SÜDSTEIERMARK Nach einem Aquarell von A. Wagner Alte Burg zu Marburg mit Lorettokapelle SÜDSTEIERMARK EIN GEDENKBUCH _ HERAUS GEGEBEN VON FRANZ HAUSMANN GRAZ 1925 VERLAG ULR. MOSERS B U GH H AN D LU N G (J. M E YE R H O F F) .U N I: V E RSJTÄTS-B U C H D R U C K E RE I „ST Y R I A“, G R A Z DER MARBURGER BLUTTAG (ZUR ERINNERUNG AN DEN 27. JÄNNER 1919) TT1 in unfreundlicher, feuchtkalter Morgen dämmerte über der schwergeprüften Draustadt; grauer Nebel griff gierig nach den Menschen, Schneepfützen bedeckten die Gassen und Straßen, wohlbewaffnete slowenische Wachen schritten selbstbewußt daher und musterten mißtrauisch jeden Vorübergehenden, und noch nie hatten die deutschen Frauen und Mädchen so rasch ihre Einkäufe besorgt wie an diesem Morgen. Beinahe jedes Haustor der langen Tegetthoff-straße war von Doppelposten bewacht, und verwundert fragte man sich, wozu diese Maßnahmen dienen sollten. Allmählich sickerte die Nachricht durch, daß von Graz aus eine amerikanische Abordnung zu erwarten sei, welche die Aufgabe habe, den nationalen Besitzstand zu erheben. i: Als nun um etwa halb neun Uhr die Amerikaner in Kraftwagen einfuhren, verbreitete sich dies wie ein Lauffeuer in der ganzen Stadt. Einer teilte es sofort dem andern mit, man eilte auf die Straße, die eingeschüchterte Bevölkerung atmete auf, es ging ein Hoffen und Sehnen durch alle, Erlösung von dem entsetzlichen und unmenschlichen Drucke, der auf allen lastete, zu erlangen. Man hoffte und baute auf den Gerechtigkeitssinn der Amerikaner. Diß Menschenmasse wuchs immer mehr, sie scheute sich trotz des lebhaften Einspruches der berittenen Wachen des neuen slowenischen Stationskommandanten Zwirn und der Posten des bekannten Polizeikommissärs Senekowitsch nicht, sich mit deutschen Bändern zu schmücken. Man sang wieder deutsche Lieder und bekundete damit, daß man mit der slowenischen Gewaltherrschaft äußerst unzufrieden sei. Besonders in der Herrengasse wurde das Gedränge beängstigend. Die Begeisterung stieg immer mehr, vor allem als die Häuser deutsche Fahnen auszustecken begannen — binnen einer kurzen Zeit war die ganze Stadt beflaggt —, sie erreichte ihren Höhepunkt, als über die mächtige Draubrücke die Arbeitermassen der Südbahnwerkstätte in Reih’ und Glied, voran die rasch zusammengerufene Werkstättenkapelle, herangerückt kamen; schwarz und rußig waren sie vom Schraubstock und vom Amboß weggeeilt. Nun reihte sich ein nach Tausenden zählender Zug; ein Zug, in dem der Bürger neben dem Arbeiter, die Frau neben dem einfachen Mädchen schritt; ein Zug, in dem es keinen Unterschied des Standes und Ranges gab. Es war ein überwältigendes und ungekünsteltes Aufbäumen der bis ins Innerste getroffenen deutschen Volksseele. Gemeinsames Leid und Weh hatte alle — alt und jung, arm und reich —- geeinigt und gekittet. Es war ein mit elementarer Gewalt losbrechender Volksschrei gegen die empörenden Ungerechtigkeiten und Gewalttaten der neuen Machthaber. Unvorbereitet und unerwartet war dieses Aufschäumen gekommen, und um so echter und natürlicher war es. Und so bewegte sich denn der endlose Zug, mit deutschösterreichischen Fahnen geschmückt und deutsche Lieder singend, hin zum Amtsgebäude, wo es einer Abordnung erst nach längerem Verhandeln gelang, bei den Amerikanern in einer zeitlich beschränkten Vorsprache die Wünsche der Bevölkerung der Stadt vorzutragen. Tosende Zurufe und Gesänge drangen durch Fenster und Mauern und legten ein feierliches Bekenntnis für Deutschösterreich ab. Die bestürzten slowenischen Machthaber konnten nicht verhindern, daß sich der Führer der Amerikaner, Oberstleutnant Miles, wenn auch nur für wenige Minuten, am Balkone zeigte und beifallumbraust Umschau hielt. Hierauf ging der Zug in vollster Ordnung und bei Vermeidung jeglicher Herausforderung durch die Bismarckstraße zum Bahnhof und von da durch die Tegetthoff Straße und Herrengasse zum Hauptplatz zurück. Die Häuser aller Straßen und Plätze waren fahnengeschmückt, immer mehr Menschen strömten aus den Vororten zu, außerdem hatten inzwischen die Schulen geschlossen, so daß sich auch viele Kinder in der Menge befanden. Der neue und alte Hauptplatz, die breite Kärntnerstraße bis zum Schmiedplatz hinaus war dicht gedrängt mit Menschen; auch die Vereine waren ausgerückt, unter anderen insbesonders der ehrenreiche Marburger Männergesangverein mit der Fahne. Still, ruhig und geduldig harrte die Menge, nur eine Gasse für die Durchfahrt der Amerikaner freilassend; diesen wollte man zeigen, daß Marburg deutsch Sei* und deutsch bleiben wolle. Unterdes saß General Majster mit den Amerikanern im Narodni dom bei der Tafel und suchte diese beim perlenden Wein so lange hinzuhalten, bis die Deutschen, durch das lange Warten ermüdet — es war längst die Mittagszeit vorüber —, sich zerstreuen würden. Doch unentwegt harrten diese trotz Kälte und Hunger aus. Je näher nun die Abfahrt kam, um so ungeduldiger wurden die slowenischen Machthaber; war ihnen doch über alles daran gelegen, den Amerikanern den Anblick der großen, protestierenden deutschen Volksmasse zu verhindern. Als dies nun schon beinahe unvermeidlich schien, da nahmen die bisnun im Rathaushofe stehenden Soldaten an der Front des Rathauses Aufstellung, diese als Rückendeckung benützend, ohne daß die große Menge etwas davon bemerkte. Ein geringfügiger Anlaß genügte, slowenische Kommandorufe ertönten und eine Salve nach der andern wurde in die nichtsahnende, vollkommen wehr- und waffenlose Volksmenge abgegeben. Entsetzen lähmte alle, gellende Schmerzensschreie ertönten, die Menschen stoben auseinander, Kellerfenster wurden erbrochen, Haustore gestürmt, Frauen und Kinder schrien, dazwischen knatterten wiederum die Gewehre: unbeschreiblich war die Wirkung, furchtbar die Ernte. Und während sich die armen * Bei der Volkszählung im Jahre 1910 bekannten sich in Marburg 22.653 als Deutsche und nur 3823 als Slowenen. rr-‘ Bei der im Jahre 1911 auf Grund des allgemeinen, geheimen und unmittelbaren Wahlrechtes durchgeführten Reichsratswahl entfielen 4736 Stimmen auf die deutschen Bewerber und nur 340 auf den slowenischen. — Die Friedhöfe der Stadt Marburg zeigten in der Zeit des Umsturzes mehr als 20.000 deutsche Grabinschriften und kaum 400 slowenische. Opfer am Boden wälzten und ihr Blut den Schnee rötete, trieb man mit dem Bajonette die Arbeiter über die Brücke, jagte man mit dem Revolver in der Hand die Deutschen durch die Gassen, Kinder, Frauen und Mädchen niedertretend. Der Deutsche war zum Freiwild geworden, er wurde in der gemeinsten Weise mißhandelt, zu Boden gestoßen, seiner Abzeichen beraubt; die Fahnen wurden heruntergerissen, besudelt und zerstampft. Es waren furchtbare Stunden, die jedem zeitlebens unauslöschlich in Erinnerung bleiben werden. Und kaum hatte man das letzte Opfer weggeschafft und die Blutspuren verwischt, da sausten die Amerikaner vorüber nach Kärnten zu, von Živiorufen der Soldaten und slowenischen Studenten begrüßt . . . Tot und ausgestorben schien die Stadt, die Haustore waren versperrt; niemand wagte sich auf die Gasse, durch die wiederum wie des Morgens die slowenischen Wachen stolz und selbstbewußt zogen. Der Himmel aber streute Flöckchen auf Flöckchen auf die grausige Stätte des Mordes und bedeckte sie mit seinem weißen Leichentuche, und hoch ragte das Marienstandbild, das Wahrzeichen des Schmerzes und der Befreiung, über dem menschenleeren, verödeten Platz, auf dem die Blutzeugen für das Deutschtum und für die treue Heimatliebe ihr unschuldiges Leben lassen mußten. Unvergessen bleibt die grausame Tat, unvergessen bleiben die deutschen Blutopfer! Ehre den Toten! Franz Hausmann ZUM GELEIT Innige Liebe und dankbare Verehrung für das einstige steirische Unterland halfen dieses Buch werden; Schaffensfreude und Arbeitslust, gepaart mit begeistertem Gedenken an die verlorene südsteirische Heimat, führten glücklich über manche Klippe, nicht erlahmende Ausdauer und unentwegte Tatkraft geleiteten endlich zum Ziele : das Buch des Südsteirerlandes, das Buch über dessen deutsche Kunst und Kultur und dessen Schönheiten, auf den Tisch legen zu können. Es soll und darf nicht verloren und vergessen sein, was dieses Land den Deutschen war und ist, was dieses Land den Deutschen verdankt, wie gerade an diesem Lande der deutsche Geist und das deutsche Herz hängen. Treue und aufrichtige Liebe waren die Triebkräfte des Schaffens, waren die unerschrockenen Vorkämpfer für die lautere Wahrheit — und jeder sachlich Denkende muß diese achten. Positive Tatsachen und urkundliches Material sprechen eine unwiderlegbare und unleugbare Sprache, die einerseits frei ist von jeglicher eitler Ruhmbegierde und engherziger Gehässigkeit, die aber auch andererseits jedwede nationale Elegie meidet und auf völkische Phrasen verzichtet, wenngleich auch der Stimme des Herzens gebührend Raum geschenkt wurde. Ein deutsches kulturelles Handbuch des steirischen Unterlandes will es sein ; doch war es naturgemäß unmöglich, den überaus großen Stoff vollständig vorführen und behandeln zu können. Die Durchführung der. Buchidee wurde vielfach als eine Herzenssache empfunden. Die allseits günstige Aufnahme des Buchgedankens, die wertvolle Unterstützung durch hervorragende Autoren, das treue Zusammenarbeiten von so vielen berufenen Helfern : all das steigerte die frohe Hoffnung und belebte die sichere Zuversicht, ein wahrheitstreues Bild deutschen Lebens und deutscher Arbeit in der Südsteiermark aufzeigen und eine eindrucksvolle Predigt deutscher Kultur bieten zu können. Das Zustandekommen des Buches war für alle jene, welche es mit Rat und Tat unterstützten und förderten und ein Scherflein zum Gelingen bei- trugen, eine Ehrensache, ein Akt von gläubiger Pietät. Herzinniger Dank gebührt all den hilfsbereiten Mitarbeitern und Helfern; dieser gilt aber auch dem Verlage, welcher das Buch in so würdiger Weise ausstattete, und nicht zuletzt insbesondere dem Leiter der Moserschen Buchhandlung, Herrn Ernst Tscharre. Südsteirisches Land, dir zu dienen war unser Begehr! Eine große Aufgabe galt es zu lösen, ein hohes, hehres, edles Ziel schwebte uns vor. Möge das Buch in diesem Sinne gewürdigt werden! Feldbach, im August 1925. Franz Hausmann STEIRISCHER SÜDEN Steirischer Süden, du weinlaubumkränzter Garten der Schönheit, du sonnenbeglänzter Paradiesischer Himmelsstrich, Land meiner Kindheit, kurz nur besess’nes, Immer ersehntes, nimmer vergess’nes — Steirischer Süden, Gott grüße dich! Nun sind zerrissen die uralten Bande, Die uns verknüpft mit dem Rebenlande. Fremde Paniere entfalten sich Über der Städte ragenden Warten Und verfemt sind die deutschen Standarten. Steirischer Süden, Gott tröste dich! Aber das Große, das Deutsche und Wenden Einmal geschaffen mit rüstigen Händen, Heimatbegeistert und brüderlich, Kann kein Wandel der Zeiten zerbrechen. Dankbar wollen wir’s künden und sprechen: Steirischer Süden, Gott segne dich! Dr. 0. Kernstock xin DAS STEIRISCHE UNTERLAND Nichts auf der Erde ist so fest gegründet, Daß es nicht auch des Scheidens Los verfällt; Selbst was wie Kind und Mutter ist verbündet, Des Lebens Dauer stetig nicht behält; Doch muß zu Gott der Aufblick tief uns mahnen, Daß unerforschlich sind des Schicksals Bahnen. So müssen aus der Ferne jetzt wir blicken, Mit Trauer wohl und doch im Herzen stark, Auf sie, die mit gerechtem Stolz beglücken Als Tochter könnt’ die Mutter Steiermark; Denn noch wir sehn in dieser Zeiten Wildnis Das Unterland im holden Tochterbildnis. Das Unterland, wie mocht’ es einst doch hangen An seiner deutschen Mark wie blutsvereint! Und leichtlich jetzt durch seiner Schönheit Prangen Verborgen noch die alte Treue scheint, Wie einst der Scholle Sohn die Heimat kannte Und stolz sich nur: Ich bin ein Steirer! nannte. Auch galt ihm wert zu pflegen deutsche Sprache, Dem nie entschwunden war Gemeinsamkeit, Der hielt, verbrüdert gern, getreulich Wache, Zu wehren dem ins Land getragnen Streit. Dienstfreudig war er, schlicht und fest als Bauer Und glaubte an des Vaterlandes Dauer. Daß deutsche Kraft die Städte ihm errichtet Mit deutscher Kunst vereint, das wußf er gut; Daß Recht und Satzung ihm das Heim durchlichtet, Erhöhte traulich seinen Lebensmut. So war von beiden Stämmen keiner einsam, Des Lands Gedeihen schufen sie gemeinsam. Weinhügel, schön erhöht, zur Sonne stiegen, Die ihnen edlen Rebensaft gebraut; Lieblich umblüht sahn sie die Landschaft liegen, Ob der des Südens Himmel milde blaut, Und Berge rufen, Fluren, stromdurchflossen, Die sind mit weicher Anmut all umgossen. Dies Land, wir dürfen’s nimmer eigen nennen, Und preisen doch mit herzentquollnem Spruch, Den auch die Zukunft mag noch anerkennen, Wie auch, daß Liebe schuf dies Ehrenbuch. Doch im verhüllten Leben eins bleibt offen, Das wie ein Himmelslicht erstrahlt: das Hoffen. Wilhelm Fischer SÜDSTEIERMARK IM ALTERTUM Es war im Mai des Jahres 1914. Am Bachern hatten die Buchen ihr zartes, helles Grün entfaltet, auf schattigen Plätzen duftete der Waldmeister. Mitten in dieser Frühlingspracht leitete ich die Ausgrabungen auf der Postela oberhalb Roswein. Die vorgeschichtliche Wallburg erstand immer deutlicher aus ihren Überresten, an das Heiligtum schlossen sich im Kreise die Häuser an und die Funde rundeten sich zu einem klaren Bilde der vorrömischen Kultur Norikums. Und während in der Einsamkeit der Mittagsrast der Geist die Zusammenhänge der Kultur zu erfassen strebte, ging der Blick von der Höhe des Walles im Glanze der grünen, jungen Herrlichkeit ungehindert gegen Süden. Der Wotsch und der Donatiberg standen als Grundfesten der natürlichen Grenze der Steiermark' da, die Schlösser von Oberpettau und Wurmberg leuchteten hell in der Sonne, im Schatten des Draufeldes lagen die Ruinen des alten Poetovio mit den Heiligtümern des unüberwindlichen Sonnengottes ... Poetovio und das Bacherngebirge sind denn auch die Pfeiler der früh-geschichtlichen Forschung der letzten Jahrzehnte geworden, um die sich die Altertumskunde der übrigen südlichen Steiermark rankt. Wenn wir aber ein Bild des vorgeschichtlichen Lebens im Drau- und Sanngebiete gewinnen wollen, müssen wir in viel frühere Zeiten zurückgreifen. i Aus den Uranfängen menschlichen Werdens, von dem die Funde im benachbarten kroatischen Krapina ein klares Bild der Kulturverhältnisse während der Eiszeit enthüllt haben, ist in Südsteiermark bisher noch kein Fund bekannt geworden. Anzeichen menschlichen Seins geben, uns erst geschliffene Werkzeuge aus der jüngeren Steinzeit (5000—2500), die weithin im Lande zerstreut sind, obwohl auch hier zufällige eifrige Sammeltätigkeit für manches Gebiet eine dichtere Besiedlung erwiesen hat, indessen andere Orte nur spärlich mit Funden vertreten sind. Es wurden hauptsächlich Hämmer und Beile, meist aus Serpentin, gefunden, und die sorgfältige, fast zierliche Ausführung mancher Hämmer vom Schlüsse der jüngeren Steinzeit beweist, welch hohe Entwicklung die Technik der Steinbearbeitung bereits erreicht hatte. Am stärksten war das Draufeld bewohnt; von den Ostabhängen des Bachern (Gams, Hausampacher) bis Friedau und Polstrau kann man aus den Funden erkennen, daß die Neolithiker vor allem die fruchtbaren, lehmigen Hänge der Windischen Büheln und der Kolos mit ihrem lichten Waldbestand und den weiten, waldfreien Flächen besiedelten, die nicht gerodet zu werden brauchten. Im Cillier Bergland findet man Spuren der Besiedlung in Süßenheim und in St. Rupert bei Tüffer. Das wärmere, trockenere Klima in der Schlußhälfte der jüngeren Steinzeit lockte zur Besiedlung selbst der Bacherer Höhen (St. Heinrich). Die jüngere Steinzeit ist bereits die Periode, in welcher an Stelle der primitiven Wirtschaftsform des Sammelns der Früchte schon ein regelmäßiger Getreidebau getreten ist. Der ursprünglichere Betrieb desselben, der Hackbau, bei dem der Anbau der einzelnen Getreidearten und nützlichen Gewächse durch Umsetzen, Auflockern der Erde und Häufeln vor allem der Obsorge der Frau überlassen blieb, ist für Friedau, Pettau, Marburg (Thesen), Haus-ampacher durch Funde von breiten Hacken bezeugt. Aus dem Hackbau, der einen mehr oder minder intensiven Kleinbetrieb darstellt, entwickelte sich allmählich der feldmäßige Getreidebau. An Stelle der Hacke trat ein primitiv gearbeiteter Pflug, indem ein großer, durchbohrter, auf einer Seite flacher, auf der andern Seite gewölbter Steinkeil von der Form eines Schuhleistens an das gekrümmte Pflugholz gelegt und befestigt wurde. Eine Pflugschar dieser Art wurde am Draufelde gefunden. Anfänglich wurde wohl die körperliche Kraft sowohl des Mannes als der Frau beim Pflügen ausgenützt, doch hat man sehr bald die Zugkraft des gezähmten Rindes verwenden gelernt. Auch aus der Bronzezeit (2500—1000 v. Chr.) geben uns nur Zufallsfunde, denen keine systematischen Forschungen nach bronzezeitlichen Siedlungen folgten, Anhaltspunkte über die Kultur dieser Zeit, die vom benachbarten kupferreichen Ungarn stark beeinflußt worden ist. In den Beginn der Bronzezeit (Stufe A nach der Einteilung Paul Reineckes) gehören ein gedrungener kupferner Dolch aus St. Jakob bei Marburg, ein Flachbeil mit ausladenden Schmalseiten aus Windischfeistritz, das in seiner Form den ältesten frühbronzezeitlichen Typus darstellt, und aus der Magdalenen-vorstadt in Marburg ein etwas jüngeres Beil, dessen Schmalseiten bereits mit dünnen Randleisten versehen sind, an denen der Holzgriff einen festen Halt finden konnte. Der mittleren Bronzezeit (Stufe B und C) gehören Beile mit mittelständigen Schaftlappen von St. Anton in den Windischen Büheln, vom Pettauer Felde und von Polstrau an. In der Schlußstufe D des Bronzezeitalters herrschte aber bereits ein gewisser Reichtum an Bronzegeräten; Bronze wird im Lande selbst verarbeitet (Bronzekuchen in Cilli und Rohitsch). Wie vielseitig die Verwendbarkeit der Bronze ausgenützt wurde, zeigt vor allem der ansehnliche Sammelfund von Cermožišče bei Rohitsch, in dem neben Bruchstücken rohen Erzes eine Menge von beschädigten und zerbrochenen und im Gusse mißratenen Werkzeugen und Waffen vorhanden waren, die der Händler eingetauscht hatte und dem Umgusse zuführen wollte. Eine größere Anzahl Sicheln mit senkrecht abfallendem, abgesetztem Griffende von der im Pfahlbau von Peschiera üblichen Form sowie vom halbkreisförmigen Typus der Schweizer Pfahlbauten, Lanzenspitzen vom blattförmigen und schilfblattförmigen Typus, Beile mit mittelständigen Lappen und italischem Ausschnitt am oberen Ende, Tüllenbeile mit und ohne Öse, Meißel, zwei Schwerter mit kurzer, dreieckiger Griffzunge, Messer mit geschwungenem Rücken, ein ovales zweischneidiges Rasiermesser, alle diese Waffen und Geräte wie groß der Zur Tumuligrunpe «9H Am Gačnik"’ zeigen, Verbrauch an Bronze war. Für den Hausbedarf dienten außerdem Becken und Kessel, die bereits mit gepunzten geometrischen Mustern gefällig ausgestattet sind. Nur der Schmuck war etwas spärlich durch eine Spirale und einen offenen, kantigen Ring vertreten. Das Kulturinventar dieser wohlhabenden Periode runden noch einige Sicheln, Beile und Lanzenspitzen aus Čret bei Franz, aus dem Bezirk von ' Cilli und vom Pettauer Felde ab, vor allem j jedoch das schöne Schwert aus Moschganzen, dessen Griff und Knaufplatte mit feinen halbmondförmigen Kerben dicht bedeckt ist. Diese und andere ungarische Formen weisen auf dasselbe Ursprungsland hin, ebenso wie die dem Rohitscher Funde benachbarten Depots von Radoboj und Kamenica gora in Kroatien. Dieselbe kulturelle Abhängigkeit vom pannonischen Kulturkreis kann man auch bei den Urnengräberfeldern beobachten, die von der Bronzezeit unmerklich in die Eisenzeit hinüberleiten. Diese Flachgräbernekropolen, die sich über Westungarn und Niederösterreich verbreiten, erreichen ihre südliche Grenze in den Urnenfeldern des steirischen Draulandes. Saukendorf und Haidin bei Pettau, Rotwein und Maria-Rast bei Marburg sind ihre letzten Stationen. Die geologisch und pflanzengeographisch ausgeprägte Grenze des Weitensteiner Zuges erscheint bereits am Beginne des ersten vorchristlichen Jahrtausends auch als Kulturgrenze. Abb. 1. Ringwall Postela bei Marburg 10 M. Das größte der Urnengräberfelder, Maria-Rast, liegt auf der Terrasse zwischen dem Dorfe und der Drau in der Nähe der Stickstoffabrik und enthielt gegen 190 Gräber; die dazugehörige Ansiedlung wird auf der höheren Abbi 2t Die Entwickln h ff des vovff cschichthchcn Hauses Terrasse 'wie das heutige Dorf auf der Postela gelegen haben. Die Mehrzahl der Gräber gehört noch der jüngsten Bronzezeit, ein geringerer Teil dem Beginn der frühhallstättischen Periode an (1000—850 v. Chr.). Die Aschengefäße mit den Brandresten wurden in unregelmäßigen Reihen in Erdgruben beigesetzt, mit großem Geschiebe umstellt und mit einer Steinplatte bedeckt; nur ein einzigesmal war die Aschenurne mit einer umgestülpten Schale nach italischer Art bedeckt; kleinere Krüge und Schalen, häufig als Satz von 3 bis 5 Gefäßen und Metallbeigaben, wurden in die Urne auf den Leichenbrand gelegt, die größeren Gefäße auch neben die Urne gestellt. Die frühhallstättischen Gräber, besonders die reichlich Bronzebeigaben führenden, wurden ohne Aschenurne in der Erdgrube, über der der Scheiterhaufen errichtet wurde, beigesetzt; der Scheiterhaufen wurde aus Linden-, Fichten- und Buchenholz aufgebaut. Die Urnen von Maria-Rast sind stets henkellose, bauchige, manchmal eimerartige Gefäße mit ziemlich weiter Halsöffnung von ansehnlicher Größe. Ihre Form zeigt ein allmähliches Ausklingen der spätbronzezeitlichen Gefäßtypen und vereinzelt den Übergang in einen der Villanovaurne ähnlichen Typus. Die Wertschätzung der Gefäße erkennt man an der öfteren Ausbesserung der beschädigten Stücke und ihrer Verkittung mit Harz. Die ein- und zweihen-keligen Krüge und Schalen sind an der größten Breite mit horizontalen Bändern aus einfachen Linien, mit Wolfszahnmustern oder Streifen mit falschem Schnurornament und darunter einem manchmal bereits aufgelösten und mit Metopen-bändern unterbrochenen Zickzackornament verziert und hin und wieder mit weißer Paste eingelegt. Einige kleinere frühhallstättische Gefäße zeigen auf dem Boden flach eingeritzte Kreuzmarken. Spinnwirtel und wohlriechendes Harz kamen in Frauengräbern als Beigaben vor. An Bronze führen die älteren Gräber noch Haarnadeln von jüngstbronzezeitlichem Typus, in den jüngeren Gräbern erscheinen bereits Fibeln, ungarische Harfenfibeln, Brillenfibeln und Bogenfibeln mit doppelter Schleife. Gedrehte Halsringe mit verjüngten und eingerollten Enden, einfache Armringe und Armspiralen mit gefällig verteilten Linienbändern und Winkelmustern und kleine aus Bronzedraht geflochtene Fingerringe vervollständigen den Körperschmuck. Die Gräber dieser Übergangszeit führen keine Waffen, doch darf man daraus keinen Schluß-auf die Friedlichkeit der Bevölkerung ziehen, da Waffen wegen ihrer Kostbarkeit oder nach Herkommen nicht als Grabbeigabe verwendet wurden. An Werkzeugen wurden nur drei bereits hallstättische Messer gefunden, eines mit geschwungenem Rücken, zwei mit gebotener Klinge, von denen eines mit einem eisernen Heft versehen war. Dieses Messerheft, ein gedrehter Halsring und das Bruchstück eines kleinen Ringes sind die einzigen Gegenstände aus Eisen, die in Maria-Rast gefunden wurden. Dasselbe Bild zeigt auch das nicht viel kleinere Gräberfeld von Haidin, bei dem aber keine Deckplatten beobachtet wurden. Aus dem gewöhnlichen Formenkreis der Gefäße heraus fällt ein weitmundiger Topf, an dessen Schulter eine kantige Leiste in der Form einer doppelten Girlande als Ornament angebracht ist. Nadeln sind selten, die Harfen- Abb. 3. Das Heiligtum mit den umgebenden Hütten F—K fibel fehlt; eine Brillen- und eine Bogenfibel, maschenartig aus Draht geflochtene Armringe und Spiralfingerringe bilden den Grabinhalt. Dies und die in den Tongefäßen ziemlich häufig erscheinenden Villanova verwandten Formen lassen das Ürnengräberfeld von Haidin etwas jünger erscheinen als jenes von Maria-Rast. Um die Mitte des 9. Jahrhunderts v. Chr. trat eine an vielen Orten Europas beobachtete Verschlechterung des Klimas ein, welche die Bevölkerung zwang, sich in klimatisch günstigere und wirtschaftlich erträgnisreichere Gebiete zurückzuziehen. In den Alpenländern entstand dadurch eine Lücke, man möchte fast sagen eine Leere in der Besiedlung, die sich stellenweise selbst in Südsteiermark bemerkbar macht. Erst im 8. Jahrhundert v. Chr. erscheinen wieder Anzeichen der Besiedlung, die während der jüngeren Hallstattperiode (700—400) erstarkt und recht ansehnliche Überreste zurückgelassen hat. Zur selben Zeit als die Veneter das östliche Oberitalien scheinen die Noriker, ein den Venetern eng verwandter und von ihnen nur mundartlich verschiedener illyrischer Stamm, die Gebiete der Ostalpenländer von der Donau bis zur Save besiedelt und ihnen den Namen Norikum gegeben zu haben (auch Dravus, Savus, Celeia sind norische Namen). Die norische Kultur geht mit der venetischen Hand in Hand und ist von dieser stark abhängig. Im Anschlüsse an italienische Forschungen teile ich die norische Hallstattzeit in drei Perioden ein: in die älteste norische Stufe des 8. Jahrhunderts (Villanova bei Bologna, Este I, Hallstatt B nach Reinecke), in eine mittlere norische Periode des 7. und 6. Jahrhunderts (Bologna-Arnoaldi, Este II, Hallstatt C) und in die jüngste norische Stufe (Certosa bei Bologna, Este III, Späthallstattstufe D), die das 5. und 4. Jahrhundert umfaßt und in das 3. Jahrhundert hinabreicht. Die ältesten Gräber der Nekropole von Reichenegg bei St. Georgen a. d. S., in denen Brillen-, Bogen- und Kahnfibeln erscheinen, dürften der mittleren Stufe angehören, ebenso die Funde von St. Jodoci am Kozjak und St. Peter am Königsberg, obwohl ich diese chronologische Zuweisung nur mit Vorbehalt geben kann, da die näheren Fundumstände nicht bekannt sind. Aus den Gräbern von Jodoci stammen eine Kahnfibel mit kurzem Nadelhalter und mit Strichen verzierte oder geknotete Bronzehalsringe, aus St. Peter ein fein geknoteter Halsring und eine zweischleifige Knotenfibel aus Bronze. Dieser Periode werden auch die Funde von Rastenegg bei Tüffer, das Bruchstück einer Knotenfibel und Reste von Tongefäßen zuzuschreiben sein, ferner ein Stierkopf aus Bronze mit eingesetzten Jaspisaugen, der in der Nähe von Guttendorf bei Sachsenfeld ausgegraben wurde. Die Mehrzahl der Gräber von Reichenegg gehört aber der späten Periode, dem Ende der Hallstattperiode an. Es sind ausschließlich Flachgräber mit Brandbestattung, die an den Abhängen des Berges in der Nähe der mittelalterlichen Burgruine in unregelmäßigen Reihen angelegt waren. Die Aschenurne bildet bei der Mehrheit den alleinigen Inhalt der Gräber; die Urnen sind mit einer Sandsteinplatte bedeckt und mit einem einfachen Steinsatz umgeben; die Tiefe der Erdgruben schwankt zwischen 16 cm und P5 m Tiefe. Es sind zum Teil große schwarztonige bauchige Gefäße, die in der Mitte der unteren Hälfte mit einer horizontal umlaufenden kantigen Leiste verziert und mit vier schrägen Handhaben versehen sind; doch wurden neben den großen auch kleinere Gefäße als Urnen verwendet. Außerdem kommen Gräber vor, und meist sind es die reicheren, deren Asche einfach in der Grube, über der die Verbrennung stattfand, bestattet wurde, und bei denen man die Beigefäße, meist Schalen mit eingezogenem Rand und Gegenstände aus Bronze, auf die Asche legte. Unter den Fibeltypen erscheinen eine gerippte Bogenfibel mit langem Nadelhalter, Certosafibeln und eine Tierfibel, die Figur eines Panthers mit einem Vogel auf dem Rücken. Glatte und derbgeknotete Halsringe, Spiralarmringe, Fingerringe, Bruchstücke eines Bronzehelmes und Bronzelanzen, Bernsteinperlen und Wirtel, darunter eines aus Blei, vervollständigen die Ausstattung der Gräber. Am reichsten ist die Späthallstattstufe im Savetale zwischen Lichtenwald und Rann vertreten. Der flache, die breite Ebene von Neviodunum-Dernovo weithin beherrschende Hügelrücken von Loibenberg bei Videm trägt auf seinem Gipfel mitten in einem vorgeschichtlichen Ringwall eine Kirche der hl. Margareta, deren Kult wie jener der hl. Magdalena, des hl. Georg oder Michael an prähistorischen Fundstätten häufig angetro'ffen wird. Ihr Feiertag fällt auf den Abb. 4. Barrenförmiger Gebrauchsfeuerbock 13. Juli, in die Zeit der Getreidereife; die Heilige hat offensichtlich eine heidnische Fruchtbarkeitsgöttin verdrängt. Auf den Berghängen von Loiben-berg liegen zahlreiche Tumuli, die ausschließlich Skelettbestattungen aufweisen; zwei Brandgräber (eine Urne ohne Beigaben, die andere Urne mit zwei Beigefäßen), wahrscheinlich Bestattungen von Menschenopfern gelegentlich der Leichenfeierlichkeiten, fallen nicht ins Gewicht. Jeder Hügel enthielt mehrere Gräber, so daß die Tumuli Familienbegräbnisse darstellen. Frauen- und Männergräber sind deutlich unterschieden. Diese sind mit einem kurzen gekrümmten eisernen Messer, manchmal auch mit Lanze und Helm ausgestattet. Neben einem Skelett lag auch ein lederner Köcher mit 58 Pfeilen, deren Schaft aus Haselholz noch teilweise erhalten und mit Bindfaden um die Tülle flachen Pfeilspitzen befestigt ist. Um die Hüfte trugen die Männer einen mit Bronzenägeln oder Bronzeblech beschlagenen Ledergürtel,, an dem Ringe und Perlen aus Bronze als Hängeschmuck befestigt waren. Fibeln waren in Männergräbern nur vereinzelt vorhanden. In einem Reitergrabe war ein Pferd mit dem Zaumzeug bestattet; die Ausrüstung des Reiters bestand aus Lanzen, Pfeilen, einem eisernen Tüllenbeil und einer Hammeraxt. Ein Zeremonienstab oder vielmehr ein Kultgerät, der Klapper der ägyptischen Priesterinnen der Isis, dem Sistrum, vergleichbar, ist in einer reichverzierten Bronzehülse erhalten, an deren Spitze Yogelfiguren und dreieckige Anhängsel an Ketten befestigt sind. Ein fast gleiches Exemplar wurde in St. Margareten in Krain gefunden; ein innerer Zusammenhang mit der vorgeschichtlichen Gottheit (der kleinasiatischen Göttermutter, Demeter), die sich an beiden Orten unter der hl. Margareta verbirgt, wird nicht abzuweisen sein (Tafel I). In Frauengräbern herrschen Fibeln vor; ein Skelett trug sogar deren sechs. Häufig vertreten ist die sogenannte Loibenberger Fibel, eine Dreiknopffibel mit langem, in einen Knopf oder zwei Ösen endigendem Nadelhalter, die auch in St. Margareten bei Rudolfswert, Zirknitz und Nassenfuß in Krain vorkommt; weiters eine doppelschleifige Bogenfibel mit rechteckiger Nadelhalterplatte, die wie die vorige bereits südöstliche Einflüsse aus der Balkanhalbinsel aufzeigt. Kahnfibeln, Zweiknopffibeln, Schlangenfibeln, Knotenfibeln, Certosa-und Tierfibeln vervollständigen den reichen Vorrat an Fibeln und geben besonders in den beiden letzten Formen eine gute chronologische Datierung der Gräber. Als Brustschmuck beachtenswert sind ein radförmiger Bronzebehang mit einem menschlichen Kopf als Bekrönung und ein dreieckiges Bronzeblech mit handförmigen Anhängseln, wahrscheinlich Votiven. Am Gelenk und Knöchel wurden gerippte Ringe, am Halse Perlen aus buntem Glas, Bronze und Bernstein getragen. Als Halsschmuck erscheint schließlich vereinzelt ein dicker, Bruchstück eines Votivfeuerbockes der teils dreikantigen, teils hohlgetriebener Halsreifen mit Kngelenden, ein keltisches Importstück des 4. Jahrhunderts (Tafel I). Von vollendeter Arbeit ist die Tonware. Neben graphi-tierten bauchigen Aschenurnen kommen schlanke Aschengefäße vor, deren Körper im unteren Drittel die größte Breite erreicht. Als Beigefäße werden in den Gräbern graphitierte Vasen, Abb. 6. Rekonstruktion eines bankförmigen Votivfeuerbockes deren edel profilierter Körper Rippen, Stacheln oder Buckeln verziert ist, und bald flache, bald tiefere Schalen niedergelegt, deren Rand geriefelt oder gerippt, deren Schulter zuweilen mit einer kräftig ausgeprägten hohlen Buckelreihe verziert ist, in Nachahmung der Treibarbeit bei Metallgefäßen; Schalen werden ferner zu Doppelgefäßen verbunden, die durch Übereinandertürmung merkwürdig barocke Formen annehmen. Eine Schale mit Mäanderverzierung und eine Vase mit roten und schwarzen Bändern sind dem typischen Inventar der dritten Stufe von Este entnommen. An Metallgefäßen ist ein prachtvolles Becken aus Bronze mit gedrehten Henkeln gefunden worden. Gleichartige Funde ergaben auch die Hügelgräber von Bianca und Rožno bei Lichtenwald und von Scheschitz bei Greis in der Umgebung von Cilli. In Scheschitz wurde der Scheiterhaufen über einer 30—50 cm hohen, 2—3 m breiten Steinsetzung errichtet und über ihr nach der Verbrennung der Hügel aufgeworfen. Die Aschenurnen sind schwarz oder rot gefärbt, am Halse mit schwarzem Mäander, am Körper mit aufgemaltem Zickzack verziert. Junge Kahnfibeln, Lappenbeile aus Bronze und Eisen, Pfeilspitzen aus Bronze und eiserne Lanzenspitzen vervollständigen das Inventar des Gräberfeldes. Nördlich des Weitensteiner Zuges wurden bisher Grabhügel in Samarko bei St. Leonhard, St. Benedikten und St. Margareten in den Windischen Büheln untersucht, in denen eine kleine rohe Bronzefigur in Samarko gefunden wurde. Reichhaltiger waren die Funde in drei Grabhügeln in Unterpodlosch bei Maria-Neustift, deren Brandgräber neben Bronzekettchen und Bronzefibeln Gefäße mit roten Zickzackbändern und eingepreßten Grübchen bargen, deren Verzierung Verwandtschaft mit der bunten späthallstättischen Keramik des nördlichen Norikums aufweist. Mit der Eroberung von Felsina-Bologna im Jahre 398 und den Einfällen der Kelten nach dem Osten wurde der oberitalische Einfluß nach den Ostalpenländern zwar geschwächt und abgeschnürt, trotzdem vermochte die neue La-Tène-Kultur, besonders in den südlichen Gebieten der Steiermark, nicht festen Fuß zu fassen. Während der Früh-La-Töne-Periode (400—300) ist allgemein an der Schulter mit senkrechten ein zähes Festhalten an den bodenständigen junghallstättischen Formen bemerkbar, so daß das 4. vorchristliche Jahrhundert der letzten norischen Periode zugeteilt werden muß. Erst während der Mittel-La-Tène-Periode (300—100) ändert sich allmählich das Bild. Die La-Tène-Kultur gewinnt an manchen Orten an Boden, die keltischen Eroberer, die Taurisker, bemächtigen sich, obwohl numerisch in der Minderzahl, als dünne Oberschicht der Herrschaft. Das 2. vorchristliche Jahrhundert umfaßt die ältere tauriskische Periode, der im 1. vorchristlichen Jahrhundert, durch das Vorwiegen des keltischen Kulturgutes gekennzeichnet, tauriskische Periode (— Spät-La-Töne-Periode 100 Abb. 7. Vorgeschichtliche Siedlungen, auf dem Schloßberge von Windischgraz die jüngere 16 v. Chr.) folgt, die mit der Eroberung Norikums durch die Römer ihren Abschluß findet. Die wichtigsten archäologischen Ergebnisse aus den letzten vier vorchristlichen Jahrhunderten sind in den Wohnstätten des Bacherngebirges zum Vorschein gekommen. Das Granitmassiv des Bacherngebirges endigt in seinen Ausläufern in breite wellige Rücken und Hänge, die wegen ihrer Fruchtbarkeit vortrefflich zu Siedlungen sich eigneten und zur Zeit der ersten Einfälle der Kelten mit Ringwällen befestigt wurden. Die Wallburgen bildeten nicht bloß Zufluchtsstätten bei Kriegsgefahr, einige von ihnen waren auch ständig besiedelt; vor allem die Postela (Burgstelle) oberhalb Roswein bei Marburg bildete eine wahre Volksburg (Abb. 1). Ihr Wall dehnt sich über 1 km weit im Kreise, so daß sie einen hervorragenden Sammelplatz für die Bevölkerung des westlichen Draufeldes bedeutete. Aus der älteren Periode konnten bisher vier Häuser festgestellt werden; das Randgebiet der Wallburg diente als Sammel- und Weideplatz der Viehherden. Wahrscheinlich im Gefolge der Kimberneinfälle wurde der Ringwall von den Tauriskern erobert, der mit Holzstämmen versteifte Erdwall niedergebrannt. Im 1. Jahrhundert v. Chr. wurde die Postela noch stärker befestigt, mit zwei Querwällen und einem Kernwerk (Abb. 1K) Versehen und stark besiedelt. Die Häuser der älteren Periode bestehen aus einem Herdraum, an den sich allmählich ein offener Vorraum, eine Laube, angliedert (Abb. 2). In der jüngeren Periode wird die Vorhalle vergrößert und mit Stützpfeilern versehen; sie wird aber bald in einen geschlossenen Raum umgewandelt und der Vorraum überhaupt verlängert, so daß er zum Beispiel im Hause F des Oberhauptes den Größenverhältnissen des Herdraumes sich nähert. Der Bau der Häuser ließ sich aus den Funden noch gut erschließen. Über einer Steinunterlage wurde ein Blockbau errichtet, mittelstarke und dünnere Baumstämme wurden mit senkrechten Ständern verzinkt, manchmal auch mit Weidenruten gebunden, die Außenwand mit Lehm gedichtet und einmal auch mit einer Lehmtünche verputzt. Das Dach wird als Satteldach mit einem Firstbalken versehen und mit Stroh oder Schilf, vielleicht auch mit Schindeln gedeckt gewesen sein. Den Mittelpunkt der Wallburg bildete ein kleiner Tempel, der neben dem geräumigen, 16'6 m langen und 8'8 m breiten Wohnhause des priesterlichen Oberhauptes stand (Abb. 3H). Das Heiligtum (Länge 5'8m, Breite 4‘10 m) war gegen Norden gerichtet; vor der 1'55 m tiefen offenen Vorhalle lag der Opferherd; ein zweiter Herd befand sich an der Ostseite des Tempels. Neben dem Heiligtum, besonders zahlreich aber in den Abfallgruben des vom Haus des Priesters und dem Tempel begrenzten Hofraume (Abb. 3,100), wurden Bruchstücke von Feuerböcken gefunden, welche die Umwandlung dieses uralten Herdgerätes zum Kultsymbol klar erkennen lassen. Anfänglich in Barren- oder Bankform aus Lehm gebildet, sollten sie die Feuerung erleichtern, die Durchbohrungen und Kerbungen des oberen Randes das Durchstecken oder Auflegen der Bratspieße ermöglichen (Abb. 4). Wie noch heute in Bauernhäusern des Südens, bildete der Feuerbock auch in vorgeschichtlicher Zeit das wichtigste Herdgerät. Aber bereits am Beginne der Bronzezeit erscheinen mancherorts zierlichere Formen, ohne Spuren der Feuereinwirkung, die reich mit symbolischen Zeichen, dem Sonnenrade, dem Hakenkreuze und mit Pferde- und Widderköpfen verziert sind und religiöse Symbole darstellen (Abb. 5 u. 6). Eine Reihe solcher Kultobjekte wurde auch auf der Postela, besonders in den Häusern des 1. vorchristlichen Jahrhunderts gefunden. Der Herd bildet den Mittelpunkt des Hauses, an dem den Hausgöttern, den Schirmern der Vorräte des Hauses, geopfert wurde; der Feuerbock wurde daher das Symbol der Herdgottheiten, das in einem Hause auf der Postela sogar einen eigenen Platz, einen Hausaltar erhielt. Der Feuerbock wurde aber auch zum Kultsymbol der Schutzgottheit der erweiterten Familie, der Gemeinde, als man ihr auf der Postela ein Heiligtum errichtete. Die Art des Kultes erschließt uns eine reichverzierte Schüssel aus Ödenburg (Schlußvignette), auf deren Boden ein Feuerbock befestigt und deren Rand mit drei Vögelchen und drei Näpfchen verziert ist und große Verwandtschaft zeigt mit den Kultvasen im Mysterienkult von Eleusis, den sogenannten Kernoi, bei denen in den Näpfchen am Gefäßrande die Erstlingsfrüchte des Jahres geopfert wurden, Wein, Öl, Korn und andere Feldfrüchte. Die Verschmelzung des Kultes der Fruchtbarkeitsgottheit mit dem Kulte der Herdgottheiten, wie sie sich in der Vereinigung der religiösen Symbole auf der Ödenburger Opferschale offenbart, gestattet aber auch die Gleichstellung der unter dem Symbole des Feuerbockes verehrten Gottheit mit der Landesgöttin Noreia, der norischen Mutter Erde, der ein römischer Künstler in Virunum am Zollfelde als Isis Noreia ein Füllhorn in die Linke gegeben hat, aus dem Ähren sprießen; ähnlich wie die Römer die suebische Gottheit, der ein Feuerbock (Tacitus, Germania 9: signum in modum liburnae figuratum) heilig war, der Isis gleichgesetzt haben. Eine ähnliche Stellung, wie die Postela an der Ostseite des Bachern, nahm im Mißlingtale der Schloßberg von Altenmarkt bei Windischgraz ein. Im Gegen- ü satz zur ausgedehnten Anlage der Postela sind jedoch die in der jüngeren tauriskischen Periode entstandenen Befestigungen auf den Höhen von Windischgraz nur von geringem Umfange. Die Bevölkerung benutzte sie mehr als Zufluchtsstellen in Zeiten der Gefahr; es stehen in ihnen nur drei oder vier Hütten. Infolge der zunehmenden Sicherheit der Lebensverhältnisse strebte die Bevölkerung aus dem Ringwalle hinaus und es entstand auf den oberen Terrassen der Bauernhof inmitten der dazugehörigen Grundstücke, während auf der breiten unteren Terrasse drei Häuser sich ziemlich eng zu einem Weiler zusammendrängen (Abb. 7). Der Grundriß der Häuser ist der altgewohnte; neben einräumi-gen Blockhütten kommt die Gliederung in Vorhalle und Herdraum vor. Nur bei dem größten Hause (Länge 19-9 m, Breite 6-4 m), dessen Herdraum in der Längsachse des Hauses mit Firstpfeilern gestützt war, wurde die Teilung in drei Räume durchgeführt. Bänke aus Lehm waren in der Nähe des Abb. s. Grabdenkmal des norischen Retters Herdes und längs der Wand an- c. Romanius Capito aus Cilli. Mainz gebracht. Bei einem am Schluß der jüngeren tauriskischen Periode erbauten Hause wurde die Steinunterlage des Sockels bereits nach römischer Art mit Mörtel gebunden. Die über die Hänge verstreuten Häuser, Reste von Kupferschmelzen und Schmiedewerkstätten zeigen, daß die Besiedlung des Schloßberges zur Zeit der Taurisker fast intensiver war als in der Gegenwart. Nach dem Anfall Norikums an das römische Reich wurde der Schloßberg verlassen und die römische Niederlassung Colatio breitet sich am Fuße des Schloßberges in Altenmarkt aus. Der starke keltische Einschlag, der sich in Windischgraz im Vorherrschen der La-Tène-Keramik ausprägt, ist auch in der übrigen Südsteiermark, besonders in dem dem damaligen Verkehr mehr erschlossenen Sanngebiet, zutage getreten. Bereits im Inventar der Gräber von Reichenegg kommt eine eiserne Mittel-La-Tène-Fibel vor. In Dreschendorf bei Cilli, an der uralten Bernstein-und Völkerstraße, wurde aber bei der Anlage eines Hopfengartens ein großes keltisches Gräberfeld, mehr als hundert Urnen, aufgedeckt und leider zum größten Teile zerstört. Die Gräber verteilen sich auf die ältere und jüngere tauriskische Periode und den Beginn der römischen Herrschaft. Aus den Gräbern der älteren Periode konnten vier zusammengebogene Mittel-La-Tène-Schwerter mit eiserner Scheide und Schwertketten, Spangen von Schildbuckeln, eiserne Lanzenspitzen, Messer mit gebogenem Griff und eine eiserne Mittel-La-Tène-Fibel geborgen werden. Die jüngere tauriskische Periode ist durch Aschengefäße, die bereits auf der Drehscheibe erzeugt wurden, und durch eine Spät-La-Tène-Fibel in Bronze charakterisiert. Die Gräber der römischen Kaiserzeit sind durch ein Balsamfläschchen und ein Öllämpchen vertreten. Die eigentümliche Sitte der Brandbestattung, die in Dreschendorf beobachtet wurde, während in den übrigen Gebieten der Mittel-La-Tène-Kultur allgemein die Leichenbestattung üblich ist, wurde auch in den übrigen Fundorten in Südsteiermark festgestellt. In Pobersch bei Marburg wurden in einem Flachgrabe eine eiserne Lanze von ungewöhnlicher Länge (43‘2 cm) und ein Spat-La-Tène-Schwert gefunden; das Grab von Skorba bei Pettau hatte einen ähnlichen Inhalt: ein Mittel-La-Tène-Schwert, eine Lanzenspitze und zwei Bruchstücke eines eisernen Schildbuckels. Diese Waffenstücke von Skorba, die typologisch zwar der älteren tauriskischen Periode zuzuweisen sind, wurden mit Tongefäßen zusammen gefunden, die bereits auf der Drehscheibe gearbeitet sind; und Drehscheibenarbeit erscheint am Südostrande der Alpen erst in der Spät-La-Tène-Zeit, ungefähr um die Mitte des 1. vorchristlichen Jahrhunderts. Die fremden Kultureinflüsse werden in zwei Erscheinungen besonders augenscheinlich, im Charakter der Bronzehelme von Negau bei Radkersburg und im Vorkommen keltischer Münzen. Die Negauer Helme, 26 an der Zahl, zeigen eine kräftige Krempe, über der Einkerbung einen meist aus gepunzten Palmetten gebildeten Ornamentstreifen und einen stark betonten Mittelgrat. Sie gehören noch zum Formenkreis der etruskischen Helmhauben, doch zeigen venetische Inschriften auf zwei Helmen, daß sie während der Periode der keltischen Estegruppe IV im 2. Jahrhundert v. Chr. entstanden sind, in einer Zeit, die sich durch zähes Festhalten an altertümlichem Formengut auszeichnet. Von ihren Beutezügen nach dem Balkan und ihren Söldnerdiensten brachten die Kelten griechisches Geld in ihre Heimat. Als die Tributleistungen, mit denen man sich von ihren Raubzügen loszukaufen getrachtet hatte, allmählich aufhörten und der Geldvorrat im Verkehre immer geringer wurde, versuchten die Kelten, selbst Geld zu prägen, das ihnen bereits zur Kulturnotwendigkeit geworden war. Als Vorbilder dienten ihnen der weitverbreitete Silberstater Philipps II. von Mazedonien und die Silbermünzen des päonischen Königs Audoleon (etwa 315—286), die jedoch infolge der geringen technischen Geschicklichkeit der keltischen Stempelschneider bedeutende Umformung und Barbari-sation erfuhren. Die Vorderseite zeigt einen Herrscherkopf mit Diadem, die Rückseite ein Pferd oder einen Reiter. Die Gepräge sind anfangs schriftlos, in Abb. 9. Weiherelief der Nutrices. Pettau späteren Funden gesellen sich ihnen auch Münzen mit der Schrift zu; die letzteren zeigen in besserem Gewicht, edleren Formen und sorgfältigerer Arbeit unzweifelhaft einen Aufschwung der Prägetechnik, der mit geordneten staatlichen Verhältnissen der Kelten zusammenhängt. Ihr Gewicht schwankt zwischen 10'5 und 11'5 g; sie sind nach dem kleinasiatischen Münzfuß (12-5 g), den auch König Audoleon anwandte, ausgebracht. Neben Großsilber kommt auch Kleinsilber im Durchschnittsgewichte von 0'76 g vor, Teilstücke, die ein Zwölftel der Großsilberstücke ausmachen. # Dennoch herrschte kein Silberreichtum in der keltischen Südsteiermark. Außer mehreren Einzelfunden, darunter einem goldenen Regenbogenschüssel-chen vom Platschberge, hat Südsteiermark nur zwei größere Münzschätze geliefert, den von Lemberg bei Cilli und von Trifail, die in den gefahrvollen Zeiten um die Mitte des il vorchristlichen Jahrhunderts, als das norische Gebiet unter den Einfällen des Dakerkönigs Burebista stark zu leiden hatte, vergraben wurden. In Lemberg wurden 400—450 Münzen, darunter mindestens 14 Goldmünzen, in Trifail 553 Silberstücke gefunden. An beiden Orten herrschen ältere schriftlose Münzen mit dem Pferd auf der Rückseite vor. Auf einigen Silbermünzen des etwas älteren Fundes von Lemberg kommen einzelne Buchstaben vor, der letzte Rest einer Philippuslegende, ferner mehr als 18 Gepräge mit dem Namen Ti(nco), das auch im Funde von Trifail enthalten war. Tinco war allem Anschein nach ein südsteirischer Fürst, da das Gepräge nur einmal noch in Wietersdorf am Zollfelde vorkommt. Aus einem kleinen Funde von Unter-Lahnhof bei Cilli ist ein Fürst Congestlus bekannt. Die in Kärnten häufigeren Gepräge der Fürsten Atta und Nemet, die in den Jahren 30—15 v. Chr. als Landesmünze in Norikum kursierten, tauchen in Südsteiermark vereinzelt auf. Sie sind das letzte Zeichen der Selbständigkeit und Landeshoheit Norikums; der immer mächtiger werdende römische Handel verdrängte sie aus dem Verkehr, bevor das Land selbst nach einem verunglückten Einfalle norischer und pannonischer Stämme in Istrien im Jahre 16 V. Chr., wie es scheint ohne Anwendung besonderer Gewalt, dem römischen Imperium einverleibt wurde. # # Rom dankt seine Größe der Vortrefflichkeit seiner Verwaltung und der Tüchtigkeit seines Heeres. Die Notwendigkeit einer leichten Beweglichkeit der Armee, die Förderung des Handels und Verkehrs andererseits verlangten gebieterisch als erste Grundlage der Behauptung der neu gewonnenen Ost-’ alpengebiete die Anlage guter Straßen. Ihr Bau wurde bereits in den letzten Lebensjahren des Augustus (t 14 n. Chr.) in Angriff genommen. Durch Südsteiermark führte die große Reichsstraße von Aquileja an die Donau; bei Atrans am Trojanapasse, an der Grenze des Römischen Reiches gegen Norikum, an der im 2. Jahrhundert das Reiterstandbild eines Kaisers in Bronze aufgestellt wurde, trat die Straße in den südsteirischen Landesteil ein, zog über St. Gotthard, Presedlo nach Lotschitz im Sanntale (ad Medias) und längs der Sann nach Cilli. Von dieser Stadt wandte sie sich nördlich über Ivnica bei Hohenegg durch die Enge nach Stranitzen (Lotodos) und zog über Losnitz (Ragando), Windischfeistritz und Pragerhof (Pultovia) nach Haidin bei Pettau und weiterhin über Friedau (Curta) nach Steinamanger (Savaria), Ödenburg (Scarbantia) und Carnuntum—Deutsch-Altenburg an der Donau. Von dieser Hauptstraße zweigten mehrere Verbindungsstraßen ab, die im Laufe der Jahre ausgebaut wurden. Im Süden führte eine vielbefahrene Straße von Neviodunum bei Gurkfeld über Reichenburg, Steinbrück durch das Sanntal nach Cilli; von Stranitzen stellte eine §traße über Weitenstein (Upellae) und Windischgraz (Colatio) nach Globasnitz im Jauntale (Juenna) und weiterhin nach Virunum am Zollfelde die Verbindung zwischen Norikum und Pannonien her; von Pettau endlich zog eine Straße über die Windischen Büheln nach Straß und Solva bei Leibnitz. Die längs dieser Straßen liegenden Orte, deren keltische Namen die Ausführung des Straßenbaues im 1. Jahrhundert n. Chr. bezeugen, bildeten die Ausstrahlungszentren, von denen sich die römische Kultur allmählich im Lande ausbreitete; eine jahrhundertelange Friedenszeit begünstigte die ruhige Fortentwicklung der eroberten Gebiete. Die wichtigsten Orte sind Celeia und Poetovio, beide in ihren Anfängen und in der Entwicklung verschieden. Als Kaiser Claudius nach dem Jahre 46 das ehemalige norische Königreich in verschiedene Verwaltungsbezirke teilte, erhob er Celeia zur Stadt und zum Mittelpunkte eines Bezirkes, der das Quellgebiet der Sann umfaßte und von der Save bis zutn Weitensteiner Zuge reichte. Die römische Niederlassung wurde im Viereck zwischen der Mündung der Wogleina und des Loschnitzbaches in die Sann erbaut. Die Reste dér römischen Stadt liegen unter den Häusern der heutigen Stadt Cilli verborgen; Mauerzüge, Heizanlagen und vor allem schöne Mosaike sind im Bereiche der Stadt allenthalben angetroffen worden. Ob aber die Stadtmauer, die beim Bau des Narodni dom festgestellt wurde Abb. 10. Weiherelief der Nutrices. Pettau und auf deren Grundmauern das späte Mittelalter die Stadtmauer wieder errichtet hat, dem 1.. Jahrhundert n. Chr. angehört oder nicht eher aus der Zeit der Kriegswirren des 3. Jahrhunderts stammt, das ist noch eine offene Frage. Der unregelmäßige Grundriß spricht für die letztere Möglichkeit; außerdem scheint Claudius eine Befestigung der römischen Städte in befriedetem Gebiet, wie das Beispiel von Yirunum und Juvavum-Salzburg zeigt, als überflüssig erachtet zu haben. Die Stadt war ausgezeichnet kanalisiert und aus der Richtung der zum Teil noch wohlerhaltenen Kanäle läßt sich das römische Straßennetz bequem erschließen. Die Rathausgasse (decumanus maximus), die Herrengasse, die Grazergasse und der Hauptplatz (cardo maximus) haben noch die antike Straßenrichtung bewahrt. Im östlichen Teil der Herrengasse wurde sogar ein Teil der Straßenpflasterung, an beiden Seiten von einer Säulenstellung umsäumt, gefunden. Im Mittelpunkte der Stadt zwischen Herrengasse und Brunnengasse lag wahrscheinlich das Forum. Auf dem Kaiser-Josef-Platz stand ein Tempel, von dessen prächtiger Architektur 13 m dicke Säulen aus Bacherer Marmor, fein gearbeitete Kapitelle und Gesimsteile mit Akanthus- und Rosettenornamenten übriggeblieben sind. Im Schutt gefundene Yotivfiguren lassen vermuten, daß das Heiligtum dem Herkules geweiht war, dessen christlicher Nachfolger, der Prophet Daniel, in der Pfarrkirche von Cilli verehrt wird. Aus zahlreichen Altarinschriften ist ferner die Verehrung des Juppiter, Mars und Vulkan, der Stadtgöttin Celèia, der Landesgöttin Noreia und der keltischen Schutzgöttin der Pferde und Maultiere, Epona, gesichert. Das populäre, am Antikentore in Cilli eingemauerte Bild einer Gottheit mit Stierhörnern und -ohren und einer Wamme stellt den griechischen Gott Acheloos und nicht Adsalluta, die vermeintliche Göttin der Sann, dar. Adsalluta, deren Altäre nur in Savedörfel bei Hrastnigg gefunden wurden, ist eine keltische Lokalgottheit der Stromschnellen, in deren Nähe auch ihr Heiligtum stand. Bei den einzelnen Heiligtümern bildeten sich allmählich verschiedene Bruderschaften. Das Namensverzeichnis eines solchen Sterbevereines am Tempel des Vulkan, der Cultores Vulcani, ist noch in einer großen Inschrift des 2. Jahrhunderts erhalten; es enthält noch keltische Namen Vindo, Boniatus, Solimarus und Atto und bestätigt aufs neue auch die an anderen Orten festgestellte Tatsache, daß das einheimische nationale Element sich noch lange forterhalten hat. War Celeia Sitz des kaiserlichen Statthalters? Die meisten Forscher haben diese Frage bejaht, seit im Jahre 1863 die zahlreichen Benefiziarierinschriften in der Grazervorstadt das Tageslicht erblickten. Benefiziarier sind Soldaten im Genüsse bestimmter Begünstigungen und Befreiungen vom gewöhnlichen Dienste, Unteroffiziere, die den Truppen des Statthalters, dem Exercitus Noricus (Abb. 8), entnommen und als Beamte im Verwaltungs- und Sicherheitsdienst verwendet wurden. Gelegentlich ihrer Beförderung im Dienste, meist beim Abgänge auf eine andere Station, pflegten die Benefiziarier einen Weihealtar aufzustellen, in dessen Inschrift sie dankbaren Sinnes ihres Vor- HAUSMANN, SUdsteiei' to Abb. 11. Weihealtar mit Darstellungen mithrischen Kultes. Aus dem dritten Mithreum in Pettau Linke Seite: Vordere Ansicht: Rechte Seite: Waffen des Mithra Helios und Mithra reichen sich die Hände Mithra erschließt durch einen Felsen- schuß eine Wasserquelle gesetzten erwähnten. Die Gunst des Bodens hat uns solcherart in Cilli 20 Altäre mit Namen norischer Prokuratoren aus dem 2. Jahrhundert aufbewahrt, deren Reihe mit dem unter Kaiser Trajan ernannten Statthalter Memmius Apollinaris beginnt und mit Flavius Titianus um das Jahr 166 schließt. Am Ende der Regierung Mark Aurels (f 180) wurde Norikum dem Befehlshaber der zweiten italischen Legion, einem kaiserlichen Legaten, unterstellt. In der Nähe des Fundortes der Benefiziarieraltäre stand , ein von Säulen getragenes, ausgedehntes Gebäude, dessen mit prächtigen Mosaiken geschmückten Räume in den benachbarten Gärten liegen. Es war das Amtsgebäude, in dem der Prokurator,. dessen Residenz in Virunum war, abstieg, wenn er in Cilli weilte; in ihm befanden sich die Amtsräume der Benefiziarier und vor ihm ein freier Platz, auf dem die Altäre dicht aneinander aufgestellt waren. Auf diesem Platze dürften auch der sogenannte norische Krieger, die spätkaiserzeitliche Statue eines römischen Befehlshabers barbarischer Nationalität mit Schnauzbart und dicken Augenbrauen, und did Ehreninschrift des aus Cilli gebürtigen T. Varius Clemens, um die Mitte des 2. Jahrhunderts "Statthalters in Trier, aufgestellt gewesen sein, die in der Nähe gefunden .wurden. In der späten Kaiserzeit wuchs in Celeia eine ansehnliche Christengemeinde heran, deren Bischof Maximilian Unter Diokletian dèh Märtyrertod. erlitt. Die Reste der altchristlichen BäSilika wurden beim Neuhah des Postgebäudes bloßgelegt, Der Boden des Hauptschiffes, dessen Säulen-ein einfaches Ziegeldach trugen, war mit einem Mosaikboden versehen, dessen Kosten die Gemeindemitglieder untereinander aufgeteilt und sich dafür auf ihm verewigt haben, Herren und Dienerschaft in bunter Mischung. Als Mitglieder der Geistlichkeit werden erwähnt der Diakon Justinian und der Scholastiker ,Leo. Dip Gemeinde erhielt sich auch in den Stürmen der Völkerwanderung, noch ini Jahre 579 wird ein Bischof Johannes genannt. Die Schwesterstadt Celeias, Poetovio, verdankt ihr Aufblühen der Lage an der bequemen Draufurt. Als tauriskische Siedlung gehörte sie ursprünglich zu Norikum, wurde aber von Kaiser Claudius Pannonien zugeteilt, bei dem sie bis zum Ende des 8. Jahrhunderts verblieb*VWährend dieser Periode gelangte die Stadt Zu großer Bedeutung, sowohl als Umschlagplatz an der alten Völkerstraße als auch als Sitz der Steuerbehörde und des Zollamtes. Poetovio. wird zum ersten Male in den Kriegswirren des Jahres 69 n. Chr.-als,Winterlager der XHI. Legion genannt, in dem Vespasian von den Befehlshabern der drei panno-nischen Legionen zum Kaiser ausgerufen wurde. Aus dieser Tatsache wollte man eine vorwiegend militärische Bedeutung des Ortes erschließen; zwei altertümliche Denkmäler aktiver Soldaten der VIII. Legion schienen die Ansicht zu unterstützen, daß in Poetovio bereits seit Beginn der christlichen Zeitrechnung ein Lager bestanden habe. In Poetovio starben allerdings der .Reifer (eques) C. Servilius (CIL ni 10,879) und der Centurie M. Petronius Classicus (CIL HI 4060), beide vor dem Jahre 46, da in diesem Jahre die VIII. Legion nach Mösien verlegt wurde. Aber das Standlager der Legion war seit Augustus in Siscia. Abb. 12. Mithrasrelief aus Maria-Rast. Tötung des Stieres Außerdem kommen drei Angehörige derselben Legion auch in Virunum vor, die Brüder C. und Q. Yettius und M. Metilius (CIL III4858), die ebenfalls Equites, Chargen, sind. Norikum stand damals unter dem militärischen Oberkommando des Befehlshabers von Pannonien und die genannten Unteroffiziere sind untergeordnete, nach Virunum und Poetovio abkommandierte Organe des Verwal-tungs- und Sicherheitsdienstes, die nach der Aufrichtung der zivilen Verwaltung in Norikum im Jahre 46 von den im gleichen Range stehenden Benefiziariern abgelöst wurden. Seit dem Jahre 46 stand in Pannonien einzig die bereits seit Tiberius in Carnuntum stationierte XV. Legion und erst im Jahre 68 wurde die XIII. Legion von Obergermanien nach Pannonien geschickt, um den wankenden Thron Neros zu stützen. Nach seinem Tode kämpfte sie am 15. April 69 auf Seite Othos in der Schlacht von Bedriacum-Cremona, wurde besiegt und strafweise zum Bau der Amphitheater von Cremona und Bononia gezwungen und kehrte im Sommer nach Poetovio zurück. Im Oktober schlug sie auf der Seite Vespasians die Schlacht von Cremona mit und wurde im Jahre 71 endgültig nach Vindobona (Wien) verlegt. Das Lager der nur kurze Zeit in Poetovio weilenden Legion war als Erdlager ohne Steinbauten errichtet; die geringfügigen Reste desselben können nur im Gebiete von Haidin liegen, da die Gräber der XIII. Legion an der Straße Pettau—Pragerhof, westlich vom Dorfe, sich befinden. Auf der Terrasse von Unterhaidin, im Bereiche des heutigen Dorfes, lag die römische Stadt Poetovio in der Nähe der starken Quellen des Brunn-wassérs, die gutes Trinkwasser lieferten. Wahrscheinlich schon von Vespasian mit munizipalen Rechten bedacht, wurde Poetovio im Winter 98 auf 99 von Traian zum Range éiner Kolonie erhoben. Der Kern der verhältnismäßig kleinen Altstadt lag südlich der Reichsstraße und ist erst zum Teile erforscht. Festgestellt sind die Warenhäuser, ein Gebäude mit außerordentlich dicken Mauern aus der Mitte des 1. Jahrhunderts, das mehrere Aufbewahrungsräume mit holzernén Vorbauten und Kaufläden enthielt. Neben diesen Magazinsräumen oder in einem benachbarten Gebäude wird daš inschriftlich bezeugte Zollamt untergebracht gewesen sein, denn in der nächsten Nähe stand das Heiligtum der Nutrices, ein kleines Gebäude mit einem rechteckigen Kultraum. Dieser altrömische Kult einer Fruchtbarkeitsgöttin von der Art der Ceres, die als mütterliche Gottheit mit einem Kind an der Brust und von Dienerinnen begleitet dargestellt ist, verschmolz mit der in den Provinzen geläufigen Vorstellung der Matres Noricae und Matres Pannoniorum et Dalmatarum, indem er sich zu einer Dreiheit der Göttinnen entwickelte. Eine besondere Verehrung genossen die Nutrices beim Gesinde der Zollpächter, die ihnen ^ das Gedeihen der Zollpacht (fructus vectigalis Illyrici) besonders anempfahlen (Abb. 9 u. 10). Im Osten'der Warenhäuser (horrea) dehnte sich das Geschäftsviertel aus, das nach Fortuna, der Göttin des Gewinnes, benannt war (vicus Fortunae), eine Gruppe von Häusern zu beiden Seiten einer Straße umfaßte und bis zu den Tempeln der Fortuna, des Vulkan und der Venus reichte. Jeder Gottheit war ein Kultraum von etwa quadratischer Form mit einer nach Osten gerichteten Vorhalle geweiht; die Wände der Heiligtümer waren mit gleicher Wandmalerei geschmückt, in der älteren Periode in leuchtendem Gelb, jn der jüngeren in Weiß, das mit roten und grünen Streifen in größere Flächen abgeteilt war. Neben Fortuna schützte Vulkan, der ebenso in Ostia, Augsburg und Aquincum (Ofen) als Schutzgott der Speicher verehrt wurde, die handelsfleißige Stadt und dankbaren Herzens hat ihm der Vicus Fortunae für Errettung vor Feuersgefahr einen Altar anf dem öffentlichen Platze vor dem Tempel geweiht. In der mittleren Kaiserzeit wuchs die Stadt bedeutend über ihren alten Umfang hinaus; in offener Bauweise entwickelte sich die Neustadt längs der Straße am Oberrann, deren Mittelpunkt das vornehme Amtsgebäude, das Absteigequartier der höheren Würdenträger (Ammianus Marcellinus XIV, II, 20 : palatium extra muros), bildete, das in einem reich mit kostbaren Mosaiken ausgestatteten Gebäude vermutet wird. Am Panoramaberg oberhalb des linken Drauufers erstand eine villenartige Vorstadt, in der ein kleines Heiligtum dem Geheimkulte derKabiren, der thrakischen Abart der Dioskuren, errichtet wurde. Das charakteristische Gepräge erhielt jedoch Poetovio durch die Mithreen. Soldaten und Zollbeamte haben die Verehrung des Sonnengottes, die noch im 4. Jahrhundert als Reichsreligion galt, in der Stadt derart verbreitet, • daß Poetovio geradezu eine heilige Stadt des Mithra gewesen ist und im Dienste der Sonne den anderen Orten vorangeleuchtet hat. Drei wohlerhaltene Heiligtümer bieten ein lebendiges Bild der Entwicklung des Kultes von der Mitte des 2. Jahrhunderts bis ans Ende der römischen Macht. Das älteste und kleinste, fast quadratische (5'57 :5'62 m) Heiligtum lehnt sich an den Tempel der For- Tafel I Funde aus Hügelgräbern von Loibenberg 1, 9, 11, 12, 13, 15, 16: Gefäße aus Ton. — 2, 3: Brustschmuck. — 4: Certosafibel und Schlangenfibel.WM, 5: Helm aus Bronze. 6: Kultgerät mit Vogelfiguren und dreieckigen Anhängseln.— 7 : Doppelschlei fige Bogenfibel.— 8 : Loibenberger Fibel. — 10: Bronzebecken. — 14 : Halsring. tuna und des Vulkan an und wurde von der Sklavenfamilie des Zollpächters C. Antonius Rufus um die Mitte des 2. Jahrhunderts errichtet. Nicht weit entfernt vom ersten lag das zweite, größere (8:16 m) und reicher ausgestattete Mithreum. In dem vertieften Mittelraum, das rechts und links von erhöhten Podien umgeben war, auf denen die Gläubigen dem Gottesdienste beiwohnten, befand sich eine Brunnenanlage für rituelle Waschungen. Das Heiligtum wurde in den ersten Jahrzehnten des 3. Jahrhunderts abermals unter pekuniärer Mithilfe von Sklaven des Zollamtes errichtet. Das dritte, am Oberrann in der Nähe des vermeintlichen Palatiums gelegene Mithreum, von gleicher Größe wie das zweite, erhält besonderen Wert wegen der guterhaltenen Inneneinrichtung und der zahlreichen, bedeutenden Denkmäler. In der Zeit des Kaisers Gallienus (254—268) wurde es vergrößert und hat die jetzige Gestalt erhalten. Den größten Weihealtar hat Flavius Aper, der Oberbefehlshaber der V. und XIII. Legion, gestiftet, die auf dem Durchmärsche einige Zeit in Poetovio in Quartieren lagen; die Inschriften der übrigen, ebenfalls von Offizieren und Beamten der beiden Legionen gestifteten Denkmäler erschließen wichtige Einzelheiten über die Organisation der Militärverwaltung der mittleren Kaiserzeit, und nennen neben den untergeordneten Beamten (actarii, codicarii und librarii) als höchsten Rechnungsbeamten beider Legionen den canaliclarius, dessen Abzeichen die canalicula, die Kielfeder, war. Die soziale Stellung der militärischen Gönner des neuen Mithreums prägt sich in der würdigen künstlerischen Ausstattung des Heiligtums mit Marmordenkmälern aus, deren zahlreiche Reliefbilder die Hauptgrundzüge der Lehren und Offenbarungen der Mithrareligion; enthalten. Das Hauptbild stellt die Tötung des Stieres dar. Der Stier ist das Prinzip aller Fruchtbarkeit und alles Segens der Erde; Mithra fängt ihn mit Hilfe seines Hundes und stößt ihm sein Jagdmesser in die Flanke. Da begibt sich, ein Wunder; aus dem Körper des sterbenden Tieres wachsen die heilsamen Kräuter und Pflanzen der Erde, aus seinem Rückenmark sprießt das Getreide, welches das Brot, und aus seinem Blut der Weinstock hervor, der den heiligen Trank der Mysterien lieferte. Diese wunderbare Vegetation ist durch die Umbildung des Schweifendes in ein Ährenbüschel angedeutet. Die Fackelträger zu den Seiten des Hauptreliefs mit der erhobenen und gesenkten Fackel sind eine Wiederholung des Mithra, des dreieinigen Mithra, der aufgehenden, leuchtenden und sinkenden Sonne. Eine wichtige Szene auf den Nebenbildern der Reliefs bildet die Felsgeburt des Mithra, der der Felsmasse sich entringt, das Haupt mit der phrygischen Mütze bedeckt, mit einem Messer bewaffnet und die Fackel tragend, welche die Finsternis erhellt. Sehr häufig ist auch der Bund des Mithra mit dem Helios dargestellt, wie sie sich über einem Altar die Hände reichen (Abb. 11) oder zusammen auf dem Wagen des Helios gegen Himmel fahren; daher auch der Name Sol. invictus Mithras. Das sakramentale Mahl, Brot oder Wasser mit Wein gemischt, über das der Priester die heiligen Formeln sprach, bildete die rituelle Gedächtnisfeier des Mahles, welches Mithra vor seiner Himmelfahrt mit Sol gehalten hatte. Ein weiteres Mithreum aus der diokletianischen Zeit ist am linken Drau-ufer gegenüber der Dominikanerkaserne bezeugt (CIL III4039—4042). Doch auch in den anderen Teilen der südlichen Steiermark standen Heiligtümer des Sonnengottes, in Maria-Rast (Abb. 12), in Modric am Bacherngebirge, Atrans, St. Johann bei Rietz im Sanntal, in St. Christoph-Tremersfeld bei Cilli und ein sehr primitives Felsenheiligtum im Teufelsgraben zu Oberpohanica bei Rann an der Save. Zu dem Bilde wohlhabenden Lebens, das uns die Forschungen in Celeia und Poetovio bieten, treten ergänzend die Funde aus den kleineren ländlichen Ansiedlungen der Südsteiermark hinzu. In Altenmarkt bei Windischgraz schließen sich die Gebäude der Poststation Colatio um einen stattlichen Juppitertempel; aus diesem Heiligtum wurde eine monolithe Marmorsäule im Mittelalter auf den nahen Schloßberg gebracht und als Stütze des Schiffsgewölbes der St. Pankraz-Kirche verwendet. Reiche Grabdenkmäler, dem Pranger von Pettau ähnlich, standen in der Nähe römischer Häuser in St. Martin am Bachern, an dessen Marmorbrüche das Kultbild des Saxanus erinnert. St. Marein bei Erlachstein war ein größerer Weiler, dessen Häuser reich mit Badeanlagen und Mosaiken ausgestattet waren. In Kerschbach bei Windischfeistritz verraten Bildwerke und Inschriften mit keltischen Namen (CIL HI 5300—5306) sowie reiche Münzenfunde, daß hier frühzeitig eine römische Niederlassung gegründet wurde. In dieser Siedlung blieb der Kult der Landesgöttin lange noch lebendig, noch um die Wende des 2. Jahrhunderts n. Chr. weiht ein Centurio der H. italischen Legion, L. Septimius Tertinus, der Noreia regina eine Dankinschrift (CIL III 5300). In Römerbad bei Tüffer stand ein Nymphenheiligtum (CIL III 5146—5149), an dieses schloß sich eine Badeanlage, sechs Wannen aus blankpoliertem, buntem Mörtelguß in regelmäßigen Reihen nebeneinandergestellt. Wie lange aber noch heimisches norisch-keltisches Volkstum sich behauptete, ist aus den zahlreichen Grabdenkmälern ersichtlich, auf denen die einheimische norische Frauentracht — die Haube, der Kopfbund und die großen Flügelfibeln an den Schultern — sich bis zu den Markomannenkriegen erhalten hat. In diese Zeit reicht auch noch die Sitte der Überdeckung des Grabes mit dem Erdhügel, der allerorten im südöstlichen Norikum erscheint, am schönsten in dem Grabgewölbe in Lack bei Pettau und in der aus großen Marmorplatten erbauten und mit Marmorsäulen ausgestatteten Grabkammer von Gomilsko (im sogenannten Galgenhügel) im Sanntale. Der zeitweilige Aufenthalt der Legionen in Pettau um die Mitte des 3. Jahrhunderts deutet an, daß im Zeitalter der Prätendentenkämpfe dem südöstlichen Norikum kriegerische Lasten nicht erspart geblieben sind. Ein noch deutlicheres Zeichen drohender Kriegsgefahr ist aber die Errichtung eines Standlagers mitten im steirischen Unterlande in Lotschitz im Sanntale vor dem Anstiege der römischen Straße zur Grenzhöhe von Trojana. Das Legionslager, das feindliche Einfälle aus Pannonien nach Italien abwehren sollte, bildet ein Rechteck mit abgerundeten Ecken, rechteckigen Türmen und enthält mehrere Gebäude, darunter das Mittelgebäude (Verwaltungsgebäude). Es war das erste Abb. 13. Schläfenringe, Schellen und Kreuz. Oberpeltau Lager der II. italischen Legion, die Kaiser Mark Aurel nach dem Ausbruch des Markomannenkrieges im Jahre 166 aufgestellt hatte; bis zum Jahre 180 und darüber hinaus weilten Abteilungen der Legion in Lotschitz und besorgten den Wachtdienst zwischen der nahen, noch zu Norikum gehörigen Grenzstation Atrans, Celeia und Poetovio. Von kriegerischen Zeiten kündet auch die Niederlassung auf der einsamen Höhe Vranje bei Liehtenwald. Bedrückt von den zahlreichen feindlichen Ein- fällen, die seit Beginn des 3. Jahrhunderts längs der großen pannonischen Heerstraße die Bewohner des Savetales mit Mord und Brandschatzung heimsuchten, zogen sich die Bewohner aus dem Tale auf die steile Kuppe zurück und umgaben Wohngebäude und Wirtschaftsräume mit Mauern und Türmen. Ähnliche umwehrte Höhensiedlungen wurden am Reichenegg, im Ančnikgradišče bei Tainach und am Kugelstein bei Deutschfeistritz festgestellt. Die kleine Ansiedlung von Vranje verrät patriarchalische Verhältnisse, die nicht der Wohlhabenheit entbehrten. Der Boden der Wohnräume war mit einem feinen Mörtelestrich belegt; gegen Wassermangel schützte eine gut gebaute Zisterne. Die Toten wurden an den Außenwänden der Gebäude begraben; die vornehmeren Toten, darunter ein Mitglied des Gemeinderates von Celeia, Maronius Marcellinus, dessen Heimat Vranje war, ruhten in Sarkophagen, die reichlich mit plastischem Bildwerk ausgestattet sind. Das ganze Anwesen wurde unter den Schutz des Herkules und der Herekura, der Gottheiten der Fruchtbarkeit und des Wohlstandes, gestellt, deren Altäre in der Nähe der Häuser im Freien standen. Zum Schutze ihrer wertvolleren Habseligkeiten legten die Bewohner von Vranje Verstecke an. Im älteren Versteck, über dem später ein Gebäude errichtet wurde, befand sich eine Steinkiste, das bronzebeschlagene Holzkästchen im Innern war leer, der Inhalt bereits in alter Zeit geborgen. Das zweite Versteck in einer Mauernische barg eine Anzahl wirtschaftlicher Geräte aus Eisen, eine Sense, eine Sichel, eiserne Wollkämme und Schnellwagen aus Eisen und Bronze. Eine Armbrustfibel datiert die Zeit des Versteckes in den Ausgang der Kaiserzeit (4./5. Jahrhundert). Brandreste, die überall den Boden der Gebäude bedecken, geben Kunde von den Kämpfen, die diese letzte Zufluchtsstätte vernichteten. Ein barbarisches Drittelgoldstück Justinians (527—565) macht es wahrscheinlich, daß Langobarden auf ihrem Zuge nach Italien den Ort vollends zerstört haben. Über den Aufenthalt germanischer Stämme in Südsteiermark haben wir bisher kein Zeugnis aus Altertumsfunden. Genauere Kenntnis bieten die Funde erst vom jüngsten Volke der Völkerwanderungsperiode, den Slowenen, die seit dem Jahre 568 in Norikum einzuwandern begannen. Ihre Ansiedlungen konnten bisher noch nicht festgestellt werden, hingegen sind mehrere Gräberfelder, die stets von mäßigem Umfange sind, untersucht worden. Das früheste ist das Gräberfeld von Wellischdorf bei Cilli. Als Beigaben erscheinen Halsketten aus Bernstein- und blauweißen Glasperlen, ein Fingerring aus Bronze mit vertieftem geometrischen Ornament und eine reichverzierte spätrömische Haarnadel mit durchbrochenem oberen Teil. Das charakteristisch slawische Element dér Grabbeigaben bilden die Schläfenringe, die in leinenen oder ledernen Schlingen hingen und an einem; leinenen Stirnbande befestigt waren. Die Skelette waren mit Bruchstücken römischer Sigillatagefäße bestreut, besonders ein Skelett war damit förmlich übersät. Nach diesen Gefäßbrüchstücken darf man auch das Gräberfeld zeitlich dem Ausklingen der spätrömischen Kultur im 6. Jahrhundert gleichsteilen. Etwas jünger ist der etwa 20 Gräber umfassende Friedhof in der Nähe der Dorflinde von Oberhaidin. Die mittelgroßen, in Reihen liegenden Skelette waren mit einfachen, meist mit einer S-förmig gebogenen Schlinge versehenen Schläfenringen ausgestattet, an denen manchmal traubenförmige Anhängsel hingen, wie sie besonders in altkroatischen Gräbern Vorkommen; vereinzelt kommt ein Schläfenring mit einem glöckchenförmigen Zierat vor. Die wertvollsten Beigaben bilden ein Anhängsel in Gestalt einer Maske mit Rosettenansätzen und eine kleine Scheibenfibel mit gleichschenkeligem Kreuze, das mit grünem Zellenschmelz eingelegt war. Reicher ausgestattet waren die Gräber des am sogenannten Turnierplatz im Schloßpark von Ober-pettau untersuchten Friedhofes (66 Skelette). Die Beigaben zeigen große Verwandtschaft mit jenen von Haidin; neu sind Schläfenringe mit halbmondförmiger Scheibe, die mit eingravierten oder in Zellenschmelz eingelegten Blattornamenten verziert sind (Abb. 13). Auffällig ist der Reichtum an gedrehten und Abb. 14. Halsringe. Oberpettau gekerbten und selbst mit reicherem erhabenen Rankenornament geschmückten Ringen. Die rechteckigen Kapseln der Fingerringe sind mit farbigen Steinen eingelegt; als Halsschmuck waren Schnüre mit gerippten blauen, vergoldeten und versilberten Glasperlen beliebt, zwischen denen Schellen und Anhängsel aus Bronze hängen. Eigenartig sind die Halsringe aus mehrfach gedrehtem Bronzedräht, wie sie besonders im altkroatischen Kulturkreis häufig Vorkommen (Abb. 14). Ein kleines Kreuz mit blattförmig verzierten Schenkelenden, das als Anhängsel diente, kann ebensowenig vue die Scheibenfibel von Haidin als sicheres Zeichen des Christentums gelten, da es als Handelsartikel ins Land gebracht worden sein kann; beide Stücke sind aber wichtig als chronologische Dokumente für die Anlage des Friedhofes um die Wende des 8. zum 9. Jahrhundert, Gleichen Charakter weist auch das Gräberfeld von Polstrau auf, das innerhalb der Ruinen eines römischen Gebäudes angelegt wurde. Schläfenringe aus Bronze, darunter auch einer aus Eisen, häufen sich bis zu zehn Exemplaren bei einem Skélétte; ein halbmondförmiger Schläfenring ist mit einer gravierten Blumenknospe verziert. Sowohl in Polstrau • als in Pettau kommen grobgearbeitete Tongefäße mit dem Ornament der Wellenlinie vor, das die Slawen von der provinzialrömischen Keramik übernommen haben. Neu sind außer den Halsringen Gürtelschnallen aus Bronze und Eisen; im Draufelde mischen sich bereits Stämme pannonischer mit karäntanischen Slawen, der Einfluß der byzantinischen Kultur mit der abendländischen des Frankenreiches. Ungefähr-gleichzeitig, wenn nicht etwas älter, ist das karantanische Gräberfeld von Windischgraz, das innerhalb des Ringwalles Puščava hinter dem Schloßberge aufgedeckt wurde und über 130 Gräber umfaßt. Wie in Wellischdorf war auch hier eine große Anzahl der Gräber mit Scherben, diesmal von groben Tongefäßen, bestreut. Neben Schläfenringen erscheinen mit feinen Strich- und Kerbenreihen verzierte Fingerringe aus Bronze und Armringe aus Bronze, deren offene Enden nach römischem Muster mit Schlangenköpfen geschmückt sind. Eine Scheibenfibel, auf der ein Vogel in Gestalt eines heraldischen Adlers mit blaugrünem Email ausgelegt istj stellt Beziehungen her zu Kärntner Funden von Perau bei Villach und Flaschberg bei Hermagor und weiter zum fränkisch-bajuwarischen Kulturbereich, dessen Einwirkung Sich in Windischgraz in Glasgefäßen, einer eisernen Lanze, einem Köcher mit Pfeilen und zwei eisernen versilberten Sporen offenbart. Auch die Formen der handgearbeiteten Tongefäße, deren Körper mit einfachen Rillenreihen und Wellenlinien verziert ist, verraten fränkischen Einfluß. Karantanien war lange, bevor seine Herzoge im Jahre 743 unter die Oberhoheit Bayerns gerieten, geistig vom Frankenreiche beeinflußt, und mit der christlichen Lehre kamen deutsche Sitte, Waffen und Schmuck in den Häusern vornehmer Karantaner zur Geltung. Der wachsende westliche Einfluß macht sich auch bei den ersten Burganlagen bemerkbar, die nach fränkischem Muster aufgebaut wurden. Drei Herrenhöfe sind bisher aus Südsteiermark bekannt. Der Wehrbau am Rochushügel bei Pettau und das Gradišče in Polstrau sind künstlich in pyramidenförmiger Gestalt aufgeworfene Hügel mit einer breiten, ebenen Fläche, die. zum Beispiel in Polstrau eine Länge von 54 m und eine Breite von 20'5 m aufweist, und sind mit Wall und Graben umgeben. Ein kleinerer Wehrbau liegt im Walde von Pickerndorf bei Marburg auf sanft ansteigendem Gelände; ein kreisrunder Graben umschließt die 6'40/n lange und 6 m breite Fläche. Im Innern standen hölzerne Wohntürme, an deren Stelle allmählich gemauerte Türme traten. Aber nicht nur der Typus dieser befestigten Herrensitze ist aus dem Frankenlande in das Land an der Drau gelangt, auch die Dorfburgen oder Hausberge sind germanischer Herkunft. Eine solche Burg wird ursprünglich Haus (=Burg) am Bacher gewesen sein; weiterhin das sogenannte Grab Attilas, eine kleine Befestigung am Südwestabhange des Rosenberges in Unterkatzian bei Radkersburg, und schließlich die Hausberge im Mißlingtale, in Apace, in Pametsch und der Kogel im Radušchgraben. Diese Dorf bürgen sind ovale oder runde, künstlich abgeplattete Kegel an Bergvorsprüngen, die eine gute Aussicht gewähren oder Zugänge zu Tälern sperren, und sind stets mit Wall und Graben versehen. Sie sind Fluchtburgen, errichtet züm Schutze der bäuerlichen Bevölkerung, besonders in den unruhigen Zeiten der Ungarneinfälle des 10. Jahrhunderts. Der Verfall des fränkischen Reiches wie die dauernde kriegerische Beunruhigung des Draugebietes durch die Ungarn ünterbanden auf Jahrzehnte hinaus den Zusammenhang der Südsteiermark mit der westlichen Kultur. Damit wurden die letzten Fäden zerrissen, die über die Völkerwanderungszeit hinaus die Verbindung mit der Antike, mit Italien und Byzanz notdürftig aufrechterhalten hatten. Univ.-Prof. Pr. Walter Schmid Votivschiissel mit Feuerbock aus Ödenburg, 1/7. nat. Gr. DIE LANDSCHAFTLICHE GLIEDERUNG DES UNTERLANDES In einem gewaltigen Halbkreis vom Wechsel bis an das Ostende des Bachem und Posruck erstreckt sich ein breiter massiger Gebirgszug, der — nur von der Mur unterhalb Bruck durchbrochen einen großen Teil der Senkungsfelder am Ostrande der Zentralalpen umrahmt. Er hat in neuerer Zeit den Namen des Steirischen Randgebirges erhalten.1 Durch ihn wird die Obersteiermark von den übrigen Teilen des Landes getrennt und wir finden diese auch heute noch in einzelnen Lehrbüchern im Gegensatz zu jener als Untersteiermark zusammengefaßt. Das widerspricht aber dem gegenwärtigen Sprachgebrauch im Lande selbst. Man pflegt vielmehr hier und zumeist auch anderwärts das Hügelland beiderseits der mittleren Mur als Mittelsteiermark herauszuheben und diese wieder in die West- (oder eigentliche Mittel-) und die Oststeiermark zu teilen. Dabei ist aber noch keine Übereinstimmung über die Grenzen zwischen der Mittel- und der Untersteiermark erzielt worden. Manche ziehen sie in Anlehnung an ältere oder jüngere politische Einteilungen, zumeist derart, daß die Bezirkshauptmannschaften Windischgraz, Marburg und Luttenberg noch zur Untersteiermark, die nördlicheren aber schon zur Mittelsteiermark gerechnet werden. Andere legen sie an die Wasserscheide zwischen Drau und Mur, gehen aber zum Teil im Osten, wo diese in geringerer Höhe verläuft, von ihr ab an die Wasserscheide zwischen der Mur und ihrem Nebenbache, der Stainz, ja an die Mur selbst. Daš von drei Historikern 1914 bearbeitete Hand- und Reisebuch „Steiermark“ (Graz, Ulrich Moser) rechnet zu'm Beispiel Kappel und die Gegend südlich von Spielfeld mit dem Stainztal zum Unterland, scheint also die Grenze im Posruck und am Nordrande der Windischen Bühel zu ziehen; es behandelt aber Abstall in beiden Abschnitten.1 2 Gelegentlich findet man auch Radkersburg als eine untersteirische Stadt bezeichnet3 und innerhalb unserer heutigen Staatsgrenzen 1 Dieser, gelegentlich in Vorlesungen Albrecht Pencks verwendet, wurde von J. Sülch seit seinem Vortrage auf dem Innsbrucker Geographentag Ì912 (siehe dessen Verhandlungen S. 128f.) in einer Reihe wichtiger Arbeiten gebraucht. Pirchegger, ich und andere haben sich ihm angeschlossen. 2 Ich selbst habe in der kurzen geographischen Einleitung zu diesem Werk, die manchen Keim zu den folgenden Ausführungen schon enthielt, Luttenberg zur Mittelsteiermark gerechnet und die Wasserscheide gegen die Drau als Grenze bezeichnet. 3 Z. B. bei Pirchegger in der Denkschrift des Akademischen Senats Graz, „Die Südgrenze ‘ der deutschen Steiermark“, 1919, S. 29 f., und in den Flugblättern für Deutschösterreichs Recht, Heft 36. unterscheidet die Einteilung in Wahlbezirke (die allerdings in Namen etwas leichtherzig gemacht wurde1) neben der „Oststeiermark“ noch einen Bezirk „Mittel- und Untersteiermark“, sucht also die Grenze des Unterlandes irgendwo nördlich vom Posruck oder der Mur! „Es ergibt sich daraus, daß in dieser Gegend keine von der Natur scharf vorgezeichnete, ja kaum eine gute naturentlehnte Grenzlinie zu finden ist. Vielmehr sind hier Übergänge vorhanden und man kann nur sagen, daß man die Grenzzone des Unterlandes dort als erreicht ansah, wo mit dem kleinhügeligen, zerschnittenen Land der Bühel, mit dem Vorherrschen des Weinbaues, dem altertümlichen Winzerwesen und den von ihm bedingten eigenartigen Reihensiedlungen, mit den farbenfreudigen Bauten des nach Süden hin immer stärker hervortretenden slowenischen Volkes und anderen Auswirkungen seiner Eigénart für den von Norden Kommenden neue Züge in der Landschaft sichtbar werden, die sie von dem Großteil der Mittelsteiermark unterscheiden, die aber keineswegs für den ganzen Süden der alten Mark bezeichnend sind. Auch klimatisch ist nur ein Übergang, keine scharfe Grenze; Marburg und Radkersburg sind zum Beispiel in ihrem Klima nur wenig verschieden. Wir müssen weiter südlich gehen, um wirklicher Verschiedenheit zu begegnen.“1 2 Da scheint sich "uns nun zunächst das Steirische Randgebirge als eine unzweideutige Grenze darzubieten. Die Außenseite seines Bogens, die sich dem Innern der Alpen zukehrt, ist von Randfurchen begleitet, die sich vom Semmering und der Mürz bis an die Südseite des Bachern und ins Draufeld aneinanderreihen. Aber gerade im Süden, am Bachern-Posruck-Gebirge, liegen % die Dinge nicht so einfach wie etwa an der Glein- oder Koralpe. Zunächst zerfällt es nach seinem Bau in zwei, durch eine Einsenkung mit jüngeren Meeresablagerungen getrennte Teile, den massig breiten Bachern und den niedrigen schmalen Zug des Posruck, die aber miteinander in enger Verbindung stehen. Dann aber wird es von der Drau zerschnitten und deren stellenweise recht enges Durchbruchstal hält sich nicht an diese tektonische Grenze, so daß die vom Flußtal bestimmte orographische Grenze (zwischen dem Bachern und dem Radel-Remschnigg-Zug) mit ihr vielfach nicht zusammenfällt. Das Engtal, das mehr der Längsrichtung des Gebirges folgt, als es durchquert, schneidet in beide Züge ein. Es trennt aber nicht etwa selbständige Landschaften beiderseits des Flusses; im Gegenteil, es verbindet in Verkehr und Wirtschaft seine beiden Uferstriche miteinander und mit ihren Hängen, so daß ihr Hinterland als eine Einheit erscheint; sie öffnet sich nach der Austrittspforte der Drau in die Ebene bei Marburg hin und ist mit dem dortigen flachen Schuttkegel des Flusses wirtschaftlich auf das engste verknüpft. Sie 1 Das zeigt auch die Bezeichnung „Südtirol“ für das Osttiroler Gebiet von Lienz. 2 Sieger, Die natürlichen Landschaften der Südsteiermark (Deutsches Südland, Heft 1, Klagenfurt 1921), S. 16. Für das Folgende ist außer den genannten und noch zu nennenden Schriften auch mein Leipziger Vortrag „Das geographische Bild der Steiermark“ (Mitt. d. Ges. f. Erdkunde zu Leipzig, 1919—1922) anzuführen. Demnächst erscheint auch von mir in den Mitt. d. geogr. Ges. Wien eine Studie „Innerösterreich und seine geographische Gliederung“, bildet also einen Teil des natürlichen Verkehrsgebietes von Marburg. Dieses Drauland von Unterdrauburg bis unterhalb von Marburg stellt zudem, im Gegensatz zu dem rein deutschen Lande nördlich vom Posruck und zu dem fast rein slowenischen südlich vom Bachern ein völkisch-sprachliches Mischgebiet mit ungefähr gleichstarkem Anteil beider Völker dar.1 So muß man es als Ganzes entweder zur Mittel- oder zur Untersteiermark rechnen. Weiter ostwärts fehlt eine Gebirgsumrahmung, wie sie das Hügelland der nördlichen und westlichen Mittelsteiermark besitzt. Posruck und Bachern brechen recht unvermittelt gegen die Windischen Bühel und das Draufeld ab. Dadurch eröffnet sich ein bequemer Weg nach Süden, den die Bahn Spielfeld— Marburg—Pragerhof bezeichnet. Er verläuft ganz im niedrigen Hügelland und in der Ebene und verknüpft so das natürliche Verkehrsgebiet von Marburg mit dem des Murlandes, Wer geographische Landschaften durch Erhebungen und andere Verkehrshindernisse gegeneinander abgrenzt, findet in dem an sich zwar nicht sehr gut durchgängigen, aber nirgends Gebirgscharakter annehmenden Hügelland keine Verkehrsschranke, die an trennender Kraft auch nur dem niedrigen, bis zur Höhe besiedelten Kamme des Posruck einigermaßen vergleichbar wäre. Eine alte, noch immer gedankenlos nachgebetete Lehre sucht die natürlichen Grenzen der Landschaften und der politischen Gebilde in den Wasserscheiden. Aber hier hat die Wasserscheide zwischen Mur- und Draugebiet und auch die schärfer ausgesprochene Nebenwasserscheide der Mur gegen die Stainz für Vèrkehr und Wirtschaft nicht die Bedeutung einer Schranke. Die Bühel gehören zum großen Teil dem Verkehrsbereich von Marburg an oder sind ihm mit dem des Murgebiets gemein, das in ihrem östlichen Teile durch die Anordnung des Schienennetzes begünstigt wurde. Dem Marburger Verkehrsgebiet gehört aber auch das Draufeld an. Die bisher genannten Landschaften sind um so enger mit ihrem Knotenpunkt Marburg verbunden, als dieser dank der Drau und der ihr folgenden Bahn und Straße auch ein Eckpunkt eines großen naturgegebenen Wegdreiecks geworden ist, eines Wegdreiecks, das wiederholt die Grundlage geschichtlich - politischer Zusammenhänge geworden ist. Ich meine das von mir so genannte „Innerösterreichische Verkehrsdreieck“ Bruck—Marburg—Villach. Dadurch ist Marburg in so hohem Maße ein Mittelpunkt geworden, daß wir sein Verkehrsgebiet nicht zwischen Mittel- und Unterland aufteilen, sondern nur als Ganzes der einen oder der andern von diesen Großlandschaften zuteilen können. Das Marburger Verkehrsgebiet selbst aber haben wir noch nicht vollständig kennengelernt. Es erreicht seine Südgrenze nicht am Bachern, sondern es greift noch an dessen Südseite und reicht von ihr nach Westen. Wie das Steirische Randgebirge überhaupt von Tiefenfurchen umzogen ist, so auch dort. Vom Kärntner Becken zum Draufeld führt nicht nur der schmale Durchgang des Flusses im Gebirge, sondern auch eine Senke, die früher für den Verkehr viel wichtiger war als heute und dem Drautal ebenbürtig zur 1 R. v. Pfaundler in der Senatsdenksehrift, S. 18 und Tabelle zur Karte (1910 : 40.080 Deutsche, 36.310 Slowenen in der Staatsangehörigen Zivilbevölkerung). Seite gestellt werden konnte. Das Streben der Wege nach der Adria hat insbesondere im Eisenbahnzeitalter ihre natürliche Bedeutung zurücktreten lassen und gestört. Aber ein Blick auf die Karte zeigt, daß diese Südsteirische Randfurche (früher nannte ich sie auch den „Südsteirischen Grenzkorridor“), deren Verlauf etwa die Pforte von Windischgraz, die Orte Gonobitz, Windisch-feistritz und andere bezeichnen, ein recht offener Naturweg ist.1 Im Osten verbreitert sie sich stark gegen das Draufeld, aber Sumpf und Bodenschwellen, von denen noch die Rede sein soll, drängen den für technisch weniger entwickelte Zeiten bequemsten Durchgang an den Rand des Bachernbogens und damit zugleich in den näheren Bereich des Knotenpunktes Marburg. So ergibt sich ein zweiter Weg Unterdrauburg—Marburg neben demjenigen an der Drau. So schwer es uns geworden ist, eine deutliche Landschaftsgrenze weiter nördlich zu finden, so leicht wird uns dies an der Südseite des Marburger Verkehrsgebietes. Hier stoßen wir auf eine langgestreckte Verkehrsschranke, deren Überwindung dem Bahnbau recht schwer geworden ist. Wir treffen als Fortsetzung der Karawanken einen in mehrere Parallelketten gegliederten, aber gleichwohl schmalen Gebirgszug, der zwar nicht durchaus die Wasserscheide, aber so gut wie überall die Verkehrsscheide gegen die Landschaften des Savegebietes, insbesondere gegen das Cillier Becken (Sanngau) und die Ebene von Rann und Gurkfeld darstellt. Seine Bedeutung ist so wie die des Steirischen Randgebirges in den letzten Jahrzehnten übersehen worden, weil er keinen einheitlichen Namen trug. Seine einzelnen Teile erscheinen auf den Karten als Weitensteiner Gebirge, Gonobitzer Gebirge, Wotsch, Donatizug, Matzeigebirge usw. Die Geologen erkannten in ihm ein einheitliches Gebilde, den nördlichsten Zug der Südlichen Kalkalpen, zugleich aber ein Gebirgsglied, das mit den südlich angrenzenden weder den Bau noch die Richtung gemein hat. Es gehört mit den Karnischen Alpen und den Karawanken zusammen zum „Drauzug“. So empfanden die Geologen zunächst das Bedürfnis nach einer einheitlichen Benennung und prägten wenigstens für den westlichen Teil den Namen „Weitensteiner Zug“,1 2 der dann von geographischer Seite auf das ganze ausgedehnt wurde.3 Immer stärker hat sich uns dessen Bedeutung als 1 Vgl. insbesondere neben meinen eingehenden Darlegungen in der Senatsdenkschrift, S.,8ff., 521, die knappe Zusammenfassung mit Kärtchen bei Sieger, Neue Gebirgs- und Landschaftsnamen in der Steiermark, Kartographische und schulgeographische Zeitschrift, Wien 1922, S. 48 ff. Durch die Bahnbauten ist der Einfluß Cillis merklich neben den von Marburg getreten (Senatsdenkschrift S. 10), da jenes durch sie eine selbständige Verbindung mit Windischgraz und Unterdrauburg erhielt. .2 K. Diener, Bau und Bild der Ostalpen, Wien 1903, S. 494ff. und Übersichtskarte. — Genanntes, bietet die seit Niederschrift dieser Zeilen erschienene Arbeit von A. Winkler, Über den Bau der’ östlichen Südalpen. Mitt. d. geolog. Ges. Wien, XVI, S. Iff. und Karte Tafel IV. 3 N. Krebs, Länderkunde der österreichischen Alpen, Stuttgart 1913, S. 4161 und beigegebene Karten. Auf meine Darstellung im Handbuch „Steiermark“, die vorher geschrieben war, konnte dieses Buch keinen Einfluß mehr ausüben. Grenze natürlicher Landschaften aufgedrängt, die sich in seiner geschichtlichen Rolle spiegelt.1 Der Weitensteiner Zug ist „mit seinen vielfach unbesiedelten Kämmen die einfachste und schärfste natürliche Grenzlinie in einer natürlichen Grenzzone von der höchsten Bedeutung, in der die verschiedenartig-, sten Bewegungen und Yerbreitungserscheinungen zum Stillstände gelangt sind. Diese Zone, vom Südabfall des Bachern auf den Weitensteiner Zug reichend, ist die Grenze zwischen Ur- und Kalkalpen, zwischen Schollenland und Faltenland, daher auch (allerdings in weiterer Ausdehnung) zwischen atlantischem und pazifischem Typus der vulkanischen Magmen, in weiterer Folge also zwischen Gebieten von sehr verschiedenartiger Oberflächengestaltung und Bewässerung. In sie tritt, von den Karawanken kommend; die Grenze zwischen dem mitteleuropäischen und illyrischen Florenreich ein. Die mediterranen Einflüsse im Klima tönen in ihr völlig aus. So war der Weitensteiner Zug, wie Luschin dartut, nicht nur eine Grenzscheide prähistorischer Kulturkreise und die älteste Grenze der Steiermark (bis 1311), sondern war (und ist in der Hauptsache noch) die Scheide zwischen der ,windischen‘ und der ,krainerischen‘ Mundart des Slowenischen; die sozialen Verhältnisse der Bauern waren beiderseits von ihm sehr verschieden gestaltet.“1 2 Sehen wir ältere Verkehrskarten an, so wird uns klar, daß erst an diesemnunmehr von zwei Bahnen durchschnittenen, aber immer noch von wenigen Straßen überquerten yg Erhebungszuge das natürliche Verkehrsgebiet von Marburg und mit ihm das des innerösterreichischen Verkehrsdreieckes endet. „So überragt die Bedeutung des Gebirgszuges weitaus das, was man nach seiner geringen Höhe (bis 1273m) erwarten sollte.“3 Die kleineren, von mir früher hervorgehobenen und auch jetzt nicht geleugneten Verkehrshindernisse, die innerhalb der Südsteirischen Randfurche quer zu ihr auftreten, mehrfach wiederholte Bodenschwellen und Versumpfungen,4 treten gegen die trennende Kraft der Weitensteiner Ketten weit zurück und bewirken nur Umwege der Straßen innerhalb des Korridors, wie sie auch die Richtung des Hauptweges auf Marburg zu begünstigen. Erscheinen also einer eindringenderen Betrachtung die Südsteirische Randfurche und das Draufeld nicht nur als bloße „Vorkammern“ und „Randlandschaften“ des von Krebs klar umschriebenen geographisch erfaßten zentral- 1 Vgl. die Senatsdenkschrift, H. Pirchegger, Das steirische Draugebiet — ein Teil Deutschösterreichs, Graz 1919, und Flugblätter für Deutschösterreichs Recht, Heft 25, meine angeführten Arbeiten und „Die neuen Grenzen der Steiermark“ (Jahrbuch des Steirischen Gebirgsvereines, 1920, bes. S. 29f.), A. Luschin-Ebengreuth, Die Zerreißung der Steiermark, Graz 1921. Ordnet man diese Arbeiten nach der Zeit ihrer Abfassung, so zeigt sich, daß die Bedeutung des Bachern als Verkehrsschranke und Landschaftsgrenze gegenüber jener des Weitensteiner Zuges mit dem Fortschreiten der Erkenntnis immer mehr zurücktrat. Von den politischen Folgerungen, die daraus gezogen werden, mußten, soll hier 'natürlich nicht die Rede sein. 2 Kartographische Zeitschrift, a. a. O. S. 49f. 3 Ebd. S. 50. ; 4 Senatsdenkschrift, S. 8f., 53 (Sieger). HAUSMANN, SUđsteier Rohitsch-Sauerbrunn nach einem Gemälde von K. Ruß (1810) alpinen „InnerÖsterreich“ — als welche ich sie 1919 bezeichnet hatte1 — sondern gleich dem sprachlichen Mischgebiet zwischen Posruckkamm und Bachernhöhe als ein Teil dieser Großlandschaft, im besonderen aber des Marburger Verkehrsgebietes, dessen Südgrenze der Weitensteiner Zug darstellt, so müssen wir die Frage, die wir zuerst nur für den Draudurchbruch, dann für das Marburger Gebiet im allgemeinen stellten, anders fassen. Ist der Weitensteiner Zug die gesuchte natürliche Verkehrsschranke und Landschaftsgrenze zwischen Mittel- und Untersteiermark? Unsere Erörterung führt dazu, sie glattweg zu bejahen. Das schlägt nun aber dem bisherigen Sprachgebrauch ins Gesicht; schon die Ausdehnung der Mittelsteiermark auf den Bachern und über Marburg würde ihm insofern widersprechen, als man diese Gebiete allgemein zum Unterland zieht. Und überdies haben wir damit zu rechnen, daß sich ein Sprachgebrauch weitester Kreise entwickeln wird, der, von den politischen Grenzen ausgehend, als Untersteiermark einfach alles bezeichnét, was von unserem Lande an den Südslawenstaat gefallen ist, also auch das Abstaller Feld im Murtal. Für die landschaftliche Gliederung der Steiermark im kleinen ist die Frage, wie man sich hierüber entscheidet, von geringerem Belange. Ich will also nur kurz mein Verhalten zu ihr darlegen. Insbesondere auch, da die wirtschaftlichen Gemeinsamkeiten und Verkehrsbeziehungen zwischen dem natürlichen Verkehrsgebiet von Marburg und dem des mittelsteirischen Murtales (Graz mit Radkersburg) größer sind als zwischen jenem und den Gebieten südlich des Weitensteiner Zuges, habe ich kein Bedenken getragen, in diesem Zuge die „geographische Südgrenze Mittelsteier-marks“ zu suchen (in meinem Leipziger Vortrag vom 10. Jänner 1921). Aber ich habe schon vorher, um einen Widerstreit mit den üblichen und schwankenden Ausdehnungen des Namens „Untersteiermark“ zu vermeiden, vorgeschlagen, in geographischen und anderen wissenschaftlichen Erörterungen diesen zu vermeiden und der erweiterten Mittelsteiermark lieber die Südsteiermark gegenüberzustellen.1 2 In dem sehr lange nach Niederschrift gedruckten Aufsatz über neue Gebirgs- und Landschaftsnamen in der Steiermark, der zeitlich jenem Vortrag voranging, glaubte ich indes für die Schule selbst eine Erweiterung des Namens Mittelsteiermark bis zum Bachern noch nicht vorschlagen zu dürfen.3 Das war doch wohl zu zaghaft und es ist nicht aus-; geschlossen, daß sich der Name S ü d Steiermark in der gegebenen Begrenzung angesichts der gewichtigen Gründe, welche uns die Naturgrenze am Weiten-;: steiner Zuge als eine solche ersten Ranges erscheinen lassen, nicht doch einbürgern mag. Ich werde jedenfalls auch als Lehrer an meinem nunmehrigen Sprachgebrauch festhalten, den u. a. W. Winkler4 bereits übernommen hat. 1 Krebs, a. a. O. S. 343ff.; Sieger, Senatsdenkschrift, S. 8, 53, 57. Vgl. aber schon damals dagegen ebd. S. 52, 57f. über den Weitensteiner Zug und Pirchegger, Draugebiet, S. 13f., .31. 2 Senatsdenkschrift, S. 8, Deutsches Südland, a. a. O. S. 17. 3 Kartographische Zeitschrift, a. a. O. S. 49. * 4 In Stepan s Neu-Österreich, Wien 1923, S. 39ff. Dagegen soll im folgenden „Untersteiermark“ für die verlorenen Gebiete schlechtweg gebraucht werden. Die voranstehenden Erörterungen werden durch dieses Kompromiß durchaus nicht gegenstandslos. Sie haben uns vielmehr im Rahmen der auf Großlandschaften gerichteten Betrachtung bereits eine Reihe von kleineren Einheiten gezeigt und sie mehr oder weniger scharf Umrissen. Ich kann mich daher bei deren Kennzeichnung — eine landschaftliche Einzelschilderung muß sich ja diese Übersicht versagen — kürzer fassen. Des Vergleiches halber empfiehlt es sich, auch die landschaftliche Gliederung der übrigen Steiermark anzuführen, wie sie sich einer siedlungs-, wirtschafts- und verkehrsgeographischen Betrachtung und vor allem auch nach politisch-geographischen Gesichtspunkten ergibt. In der Obersteiermark unterscheide ich den Mur-Mürzgau, den Ennsgau, das steirische Salzkammergut, in der Mittelsteiermark im engsten Sinne das Grazer Schollenland, die Weststeiermark, die Murebene (zu der das abgetretene Abstaller Feld1 gehört) und die Oststeiermark. In dem Gebiete, dem dieses Buch gewidmet ist, unterscheide ich im Anschluß an das vorstehend Ausgeführte das Marburger Gebiet von jenem südlich des Weitensteiner Zuges. Das erstgenannte umfaßt folgende Landschaften : 1. das Bacher-Posruck-Gebiet mit Einschluß des „Steirischen Draudurchganges“, 2. die Windischen Bühel, 3. die Südsteirische Randfurche,1 2 4. das Draufeld (Pettauer Feld), 5. die Kollos. Im zweiten Hauptgebiet genügt es zu unterscheiden: 6. den Sanngau, 7. die Savezüge. Die bloße Aufzählung dieser Landschaften gibt schon ein Bild von der Mannigfaltigkeit des Gebietes. Wir wollen sie kurz kennzeichnen.3 Der Bachern und Posruck zu beiden Seiten des Draudurchganges zeigen die sanften Formen des zentralalpinen Mittelgebirges. Die geschlossenen Siedlungen halten sich an die Terrassen, die den Fluß als Reste älterer Talböden begleiten, an einzelne Stufen und Hochflächen und die begrenzten tertiären Ablagerungen. Weiter hinauf greift die Einzelsiedlung, während der Wald allmählich die Oberhand im Landschaftsbilde gewinnt. Aber es ist ein Unterschied zwischen beiden Talseiten. Der Bachern erreicht 1548, der Posruck 1049 m größter Höhe und diesem Unterschied von 500 m gesellt sich ein solcher von 550 m für die mittlere Kammhöhe, von mehr als 600 m für die Paßhöhe. Der Radi (670 m) gewährt einen bequemen Übergang ins Murgebiet, dessen 1 Vgl. Luschin, Zerreißung der Steiermark, II; Sieger in „Der Ausländsdeutsche“, 1. Märzheft 1922 u. a. Der Name Abstaller Becken für dieses nur durch den Fluß in seinem heutigen Lauf abgeschnittene Stück des Murfeldes und des geschlossenen deutschen Sprachgebietes ist sinnlos, wörtliche Übersetzung von „bassin d’Abstall“. 2 Da sie im Sinne meiner Ausführungen nicht in der Süd-, sondern in der (weiteren) Mittelsteiermark liegt, wäre dieser Name einer Verbesserung bedürftig (Bachern-Randfurche?), wenn man sich nicht damit abfindet, daß der Korridor vor dem äußeren Rande der Südsteiermark liegt. 3 Von der Verteilung der Siedlungen im Draugebiet gewährt ein anschauliches Bild die Siedlungskarte von R. Wiegele, die der Senatsdenkschrift beigegeben ist. Für die übrigen Landesteile benutzte ich eine handschriftliche Siedlungskarte der Steiermark vonM. Sidaritsch. einstige Bedeutung erst die Vernachlässigung im Eisenbahnzeitalter herabgedrückt hat. So reicht denn menschliche Siedlung bis auf die kapellen-geschmückte Höhe des Kamms, und das Bild der Kulturlandschaft ist voll freundlicher Anmut. Dagegen liegt die geruhige Stimmung der Einsamkeit über den weiten, dunklen, menschenleeren Wäldern des Bachern, die Bartsch uns so anschaulich geschildert hat; die höchsten Teile heben sich aus ihnen heraus in das Bereich des Krummholzes und der Hochweide. Selbst das Drautal ist streckenweise arm an menschlichen Wohnsitzen. Ist es doch vielfach so schmal, daß man die Straße auf der einen, die Bahn auf der andern Seite des Flusses durchgeführt hat. Meist verbinden nicht einmal Brücken, sondern nur Überfuhren die Orte des Nordufers mit ihrer Station. Trotzdem oder gerade deshalb bildet das schmale Tal eine Lebensgemeinschaft in Verkehr und Wirtschaft, der Grundbesitz greift vielfach von einem Ufer auf das andere und die Ausnutzung der Wasserkraft verlangt gleichzeitige Benutzung beider Gestade. Den Ausgang des Draudurchganges aber beherrscht Marburg, das zu beiden Seiten des Flusses sich ausdehnt.1 Der Dreiklang: Waldgebirge, Weinhügelland, Ebene bestimmt das Bild dieses Knotenpunktes, dessen Aufschwung sich in der Entwicklung volkreicher Nachbarorte in der Ebene, am Rande des Bachern und drauaufwärts spiegelt, weniger nach der Seite der Bühel hin. Denn die Windischen Bühel, ein tertiäres Hügelland mit ungemein bewegten Kleinformen der Bodengestalt, mit engen Tälchen und steilen, wenn auch niedrigen Hängen, mit häufigen Rutschungen und nach jeder Regenzeit grundlosen Wegen, bieten weder der Dorfsiedlung noch dem Verkehr einen günstigen Boden. Der Weinbau, den wir auch schon am Ostende des Bachern gut entfaltet sehen und der den Büheln ihren bezeichnenden Zug in wirtschaftlicher Hinsicht gibt, trägt dazu bei, sie zu einem Gebiet eigenartiger Kleinsiedlungen zu stempeln. Er ist auch die Hauptursache dafür, daß das Waldkleid sehr stark gelichtet wurde. Nur zwei große, vielfach versumpfte Längstalzüge, von der Pößnitz und der Stainz durchflossen, bieten nicht nur der blühenden Viehzucht reiche Weiden, sondern auch größeren Ortschaften Raum zur Entfaltung — neben ihnen verschwinden die Einzelsiedlungen. Überall sonst in den Büheln finden wir die kleinen, farbenfrohen Winzer- und Bauernhäuser in lockeren Reihen angeordnet auf den langgestreckten Rücken, die sich aus der Aufeinanderfolge runder Köpfe und dazwischenliegender flacher Sättel entwickeln. Schmale Brunnenwege führen von ihnen hinab zu den tiefgelegenen Quellen und Bächen. „Buntester Wechsel im einzelnen und doch eine fast ermüdende Eintönigkeit im ganzen“ ist nach Solch2 der unwillkürliche Eindruck dieser Landschaft auf den 1 Die wirtschaftliche Stellung Marburgs leidet nur wenig darunter, daß aus technischen Gründen die Bahnkreuzung teilweise nach Pragerhof verlegt wurde. Dieses ist lediglich ein Verkehrsknotenpunkt ohne wirtschaftliche Bedeutung, den ein großer Teil der Personenzüge schon seit längerem ohne Aufenthalt durchfuhr. Unter der südslawischen Herrschaft ist er in raschem Abbau begriffen. Vgl. Geographische Zeitschrift, 1921, S. 126 f. e2 J. Sülch hat in seiner Schrift „Die Windischen Bühel“, Graz 1919 (Sonderabdruck aus den Mitt. d. geogr. Ges. Wien), diese Landschaft geographisch vorzüglich dargestellt. Beschauer. Aber ihm bleibt in der Erinnerung manch liebliches Bild von freundlichen Höhenorten und Höhenkirchen, stillen, kühlen Talgründen am Fuße der Weingehänge, anmutig gelegenen Weinberghäusern der Städter und malerisch bunten Winzerhäusern und von den reichen Rebenhängen selbst, in schöner Herbstbeleuchtung. Südliche Farben in Natur und Menschenwerk machen sich hier schon stärker geltend; deutsche und slawische Züge durchdringen sich im Kulturbild. Die Weinhügellandschaft ist auch zu einem guten Teil bestimmend für das Bild der Randfurche im Süden des Bachern. Die Winzerei bedeckt die großenteils von tertiären Ablagerungen eingehüllten sonnseitigen Hänge des Bachern ziemlich weit hinauf mit ihren Kleinsiedlungen und die Märkte und Landstädte des Korridors verdanken ihr einen erheblichen Teil ihres wirtschaftlichen Gedeihens. Aber es fehlt doch nicht an größeren Orten, gerade auch an den Hängen des Gebirges. In der Furche selbst — in der unter tertiärem Hügelland und jungen Schwemmlandböden das Grundgebirge nur auf kleine Strecken hervortritt setzen die im Osten wie im Westen reichlichen Dorfsiedlungen gerade um Weitenstein fast, ganz aus und werden von Einzelhöfen vertreten. Denn die Senke ist keineswegs immer ein Streifen flachen Landes — selbst das Einbruchsbecken von Windischgraz ist nur ein sanfter gewellter Teil des anderwärts recht lebhaft bewegten Hügellandes. Kleinere Höhenzüge und schmale Täler lenken die Straßen vielfach von der Geraden ab und sie sind gelegentlich zu merklicher Steigung genötigt. Im Osten, wo der Korridor sich zum Tore verbreitert, nähert sich das Land den ruhigeren Formen der Platten- und Riedellandschaft. Immer aber tritt die Einsenkung als solche hervor; die geschilderten mannigfachen Gegensätze berühren und durchdringen sich innérhalb des Rahmens, der sie, auf beiden Seiten grundverschieden, doch auf beiden deutlich überhöht. Den Wald- und Weingehängen des massigen Bachern steht der unruhige Weitensteiner Zug gegenüber. Vorwiegend aus Kalken aufgebaut, denen sich unter anderem auch junge Eruptivbildungen gesellen, in mehrfache Ketten gegliedert, von schlecht gangbaren Durchbrüchen gequert, gewährt er der menschlichen Siedlung nur wenig Eingang und erscheint als Wald- und Felslandschaft, die ebenso reizvolle Talbilder als weitreichende Ausblicke von den auch hier oft von Kapellen gekrönten Höhen gewährt. „Südliche“ Anklänge, insbesondere in der Flora, sind dort und schon in der Randfurche leicht zu bemerken. Ganz anders wieder ist das Bild der Natur- und der Kulturlandschaft in dem warmen, in seinem Wetter recht veränderlichen Draufeld. Im Westen eine trockene, großenteils bewaldete Schotterfläche mit einem Zug größerer Dörfer, während Hauptstraßen und Hauptsiedlungen sich an seine feuchteren Ränder halten — im Osten vielfach fruchtbarerer, aber auch oft versumpfter Anschwemmungsboden mit wenigen waldigen Terrassen, von verzweigten Wasseradern durchzogen! Allenthalben weidereich, ist das Draufeld ein ausgesprochener Bereich geschlossener Dorfsiedlung, dem die Mannigfaltigkeit der Kleinsiedlungen (so bezeichnend für seine Umrahmung) ganz fehlt. Von wich- tigen Handelswegen durchzogen, hat die Ebene dort, wo das engere Marburger Gebiet endet, einen zweiten Yerkehrsmittelpunkt, heute klein, aber einst von hoher Bedeutung, in dem auch industriell aufstrebenden Pettau. Die einst so weinfrohe, wunderschön am Fuße des Schloßbergs liegende Römerstadt ist durch die neuzeitliche Verkehrsentwicklung stark in den Schatten gerückt worden, aber eine treue Arbeiterin für deutsches Wesen und deutsche Kultur geblieben, gerade weil man hier die Art des Slawen gut kannte, ihn auf wirtschaftlichem Wege zu gewinnen verstand. Andere größere Siedlungen bezeichnen neben ihr die pannonische Straße. Im Südwesten des Draufeldes aber, am Übergang zu der Randfurche, hat das Übermaß des Wassers, dem der Abfluß verwehrt ist, der Siedlung eine Grenze gesetzt und den Verkehr erschwert. Im Hintergründe der letzten Dorfreihe dehnen sich um Pragerhof die Schretten-(Tschreten-) Sümpfe, in die man fast naturwidrig einen Bahnknotenpunkt gelegt hat. Mit ihnen bilden die Bodenschwelle, die der Kerschbacher Tunnel durchbohrt, das Feuchtland der Feistritz und Drann und die Anschwellung des Bodens, die den Bacherp mit dem Donatiberg im Weitensteiner Zuge verbindet, einen „doppelten Wall und Graben“, ohne eine Sperre darzustellen. In diesem Übergangsgebiete halten sich die Dörfer auf den trockenen Höhen und überlassen spärlichen Einzelhöfen die grüne Niederung. Die großen Randorte des Draufeldes haben einen guten Teil ihres wirtschaftlichen Hinterlandes in den Wein- und Weideländereien der Windischen Bühel. Ein anderer liegt in der Kollos, dem tertiären Weinhügelland südlich des Draufeldes. Mit einem niedrigen Steilrand, der schöne Uferwälder und malerische Burgen, ähnlich denen am Saume der Windischen Bühel, trägt, tritt sie an die Drau, die stellenweise rechts drängend das Ufer angenagt und entblößt hat. Die Kollos ist nur ein durch die dreieckige Ebene abgetrennter Teil der Bühel, der sich zwischen dem Flusse und dem Weitensteiner Zuge nach Osten hin zu einem schmalen Saume verengt. So spiegelt sie auch das Bild der Bühellandschaft wider, nur vielleicht in etwas großzügigerer und strengerer Fassung und nicht unbeeinflußt von dem Hintergründe der im Süden steil aufragenden Kalkkette. Hier haben vordem die waschechtesten Bartschverehrer ihre Sommerfrischen gesucht und das von dem Dichter so meisterhaft entworfene Bild in der Wirklichkeit gefunden. Hier gedieh noch vor kurzem um die Zeit der Obstblüte und der Weinlese das fröhliche Leben in den Weinberghäusern der Städter aus der deutschen Steiermark, die inmitten einer deutschfreundlichen Bevölkerung nur zu leicht vergaßen, welche völkische Pflichten ihnen in einer Grenzmark deutschen Wesens oblagen. Eine Landschaft weit größeren Stils ist der Sanngau, südlich von der großen Schranke des Weitensteiner Zuges. Das Netz der Wasserläufe und der ihnen folgenden Verkehrswege — die in Ci Ili zusammenlaufen und durch den Sanndurchbruch im Süden der Stadt vereint an die Save und dann weiter an die Adria und zur unteren Donau führen -9 hat hier Landschaftselemente sehr verschiedener Art zu einer großen Einheit verbunden. Es hat auch das Entstehen eines verkehrsgeographischen und wirtschaftlichen Mittelpunktes bedingt, dessen Bedeutung uns nicht nur in der Römerzeit entgegentritt, sondern auch im Mittelalter groß genug war, um in hochstrebenden Gewalthabern den Plan zu selbständiger Herrschermacht reifen zu lassen. Breite, gangbare Wege verknüpfen mit ihm auch das Land an der oberen Sotla. Nicht erst im Eisenbahnzeitalter hat die Gegend um Rohitsch ihre Hauptbeziehungen nicht die Sotla hinab, sondern im Sanngau gefunden. Die Knotenpunktlage Cillis und die verkehrsgeographische Bedeutung des Sanngaues aber tritt uns erst dann voll entgegen, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß durch die Gebirgsum-rahmung nach Westen hin die Straße über den Trojanapaß von Cilli nach Laibach leitet. Heute von keiner Eisenbahn begleitet, hatte sie vordem erhebliche Bedeutung und kann sie im neuen Staatsverband leicht wiedergewinnen. Im Westen ist der Sanngau abgesperrt durch die Gebirgsmasse der Steiner Alpen, welche die schönsten und gewaltigsten Bilder des ganzen Unterlandes umschließen: Wildes Kalkhochgebirge mit kühnen Bergformen hier, ausgedehnten (aber wegen ihrer Trockenheit nur wenig der Almwirtschaft erschlossenen) Plateauflächen dort, mit anmutigen Vorbergen, mit lieblichen waldigen Zugangstälern und großartig öden Innentälern. Sie zwingen den westwärts zielenden Verkehr, nordwärts auszuweichen nach der Windischgrazer Pforte oder südwestlich über den Trojanapaß nach Krain. Ostwärts schließen sich dem|Hoch-gebirge niedrigere Stufen an, aus denen einzelne Plateaus, wie die Raducha und die Menina planina aufragen, großenteils verkarstet gleich den Hochalpen selbst. Ausgedehnte Kalkhochflächen mit flachliegendem Schichtenbau und daher ebenfalls trocken, und ein unruhiges, waldiges Bergland aus jungen Eruptivgesteinen erfüllen, durch Bruchlinien gegliedert, den westlichen Teil des Sanngaues. Sein östlicher Hauptteil hat ebenfalls eine bewegte geologische Geschichte. Kalkalpenschollen — gleich den erwähnten durch ihren Schichtbau von den Weitensteiner Ketten wesentlich unterschieden — treten aus dem tertiären Hügelland hervor, das sich über das Gebiet von Rohitsch nach Osten erstreckt. Einbrüche, die an ihren Rändern, wie insbesondere auch am Südabfall des Weitensteiner Zuges, ausgezeichnet sind durch Thermenlinien mit freundlichen, zum Teil weltbekannten Badeorten (wie Neuhaus, Sauerbrunn, Rohitsch), gliedern das Land. Unregelmäßig gestaltete Beckenlandschaften liegen zwischen Bergen und Hügelland. Von ihnen tritt eine Dreizähl besonders hervor: das stark von Tälern zerfurchte Rietzer Becken, das Wöllaner Becken, das durch seinen Braunkohlenbergbau vor änderen Sanngauer Kohlengruben bekannt ist, und vor allem das ausgedehnte, fruchtbare Cillier Becken am Südrande des Sanngaues. So wechselt die Beschaffenheit der Landschaft aufengem Raum, und mit diesem Wechsel verknüpft sich der Gegensatz von dicht und dünn bewohnten, mit Einzelsiedlungen besetzten und durch große Dörfer ausgezeichneten Gebieten, von einsamem Bauernland und lebhaften Markt- und Industrieorten, wie Cilli und Umgebung oder Schönstein. Dorfsiedlungen, oft von beträchtlicher Größe, und auch kleinere Weiler nehmen auch hier die Talböden und Becken ein, Winzerhäuser die Weinleiten, Einschichthöfe das bewegtere und höhere Land; menschenleer erhebt sich darüber das Gebirge. Am Südrande des Cillier Beckens treten schmale und bei ihrer Niedrigkeit verhältnismäßig steile Gebirgskämme auf und sperren auch in ihrer östlichen Fortsetzung die Wege nach Süden — bis auf den Durchbruch der Sann, der unmittelbar bei der malerischen Stadt sich öffnet. Diese Ketten, die sich bündelweise zu Gebirgszügen zusammenfassen lassen, rechnen wir zu den Kalkvoralpen und fassen sie als einen Teil der Savezüge.1 Sie danken ihren Formenreichtum der Faltung, den Bruchlinien und nicht zuletzt dem Wechsel des Gesteins. Triassische Kalke, denen die höchsten Erhebungen angehören, weisen schroffe Formen, oft aber auch waldbedeckte Höhen auf. Leicht zerstörbare ältere Schiefer verraten sich durch sanft abgerundete Bergformen und breite Talweitungen. An Bruchlinien, die auch bei der Begrenzung der einzelnen Züge eine Rolle spielen, finden wir auch hier berühmte Thermen, wie Tüffer und Römerbad. Zwischen die Voralpenzüge aber legen sich Mulden mit tertiären Ablagerungen. Man unterscheidet auf steirischem Boden drei Züge, die aber nicht ununterbrochen sind. Denn das tertiäre Hügelland dehnt sich im Osten breit aus und umrahmt nicht nur das Ostende der Gebirgszüge, sondern trennt auch (im Quellgebiete der Wogleina mit den Sanngauer Hügeln in Verbindung tretend) den nördlichsten Voralpenzug, den Tüfferer Zug von seiner unansehnlicheren Fortsetzung, der Rudenza. Diese aber nötigt die Sotla zu einem Durchbruch und sperrt das Rohitscher Hügelland ebenso vom Süden ab wie der Tüfferer Zug selbst das Becken und Hügelland von Cilli. Die Tertiärmulde, die sich südlich von beiden allmählich verschmälert nach Westen zieht, umschließt in ihrem Hügelland die wichtigsten Braunkohlenlager des Unterlandes, die der Umgebung von Trifail. Das tief eingeschnittene Tal der Save, das sich in schräger Richtung durch die Gebirgsketten hindurchwindet, greift hier so weit nordwärts, daß es die Trifailer Mulde fast erreicht. Deren Bergwerke bringen, also durch kleine Nebentäler ihre Erzeugnisse an den Hauptstrom. Die folgenden Züge werden von der Save durchschnitten. Der zweite, der mehr Neigung zu sanfteren, plateauartigen Formen zeigt, wird als Save-Wacher-Zug bezeichnet. Er verschwindet schon westlich der Sotla, also auf steirischem Boden, im Tertiärhügelland. Südlich von ihm greift wieder ein schmaler Streifen Tertiär westwärts bis an die Save bei Lichtenwald. Und dann folgt der schmale dritte Voralpenzug, die Orlica, die sich bis über den ehemaligen Grenzfluß Sotla verfolgen läßt. Die Save durchbricht alle diese Ketten und Mulden von Sagor bis oberhalb Rann. „Im Gebiete des Schiefers freundlich und dichtbesiedelt, verengt sich das Tal im Kalk zu einer 400 m tiefen Schlucht, an deren Grunde nicht selten Quellen zutage treten... Terrassenreste, die den Canon begleiten, zeugen von der Kraft, die der Fluß der Hebung entgegensetzte.“1 2 Aus diesen unwegsamen Engen tritt der Fluß in die breite Ebene des Senkungsfeldes an den Mündungen der Gurk und Sotla; wir be- 1 Krebs rechnet auch den Weitensteiner Zug zu den Saveztigen. Aber seine räumliche Trennung von ihnen und seine engere Beziehung zu den Karawanken scheint mir dies ebenso zu verbieten wie das Dazwischenauftreten andersgebauter Kalkalpenglieder. 2 Krebs, a. a. O. S. 419. treten hier die südlichste Teillandschaft des steirischen Savegebietes, die heiße Niederung des erdbehenreichen deutschen Städtchens Rann. So einheitlich uns der Sanngau bei aller Mannigfaltigkeit des Landschaftsl bildes erschien, da sich alle seine Teilgebiete nach der Torwächterin des Südens, Cilli, hin öffnen, so zerstückelt gin kleinere, miteinander schlecht verbundene Landstriche stellt sich das nicht weniger mannigfaltige Gebiet der Saveketten dar. Das Engtal der Sann und namentlich das des Hauptflusses selbst, das den Verkehr lange von seinen unzugänglichen Ufern wies, erscheint weniger als Verbindung denn als Hindernis. Wer sich, an der Vereinigung beider Flüsse stehend, so recht vergegenwärtigt, daß die Errichtung einer steinernen Brücke hier auf Jahrhunderte hinaus einem Ort Namen und Bedeutung geben konnte, wer die Windungen der Straßenzüge verfolgt oder wer sich die Frage vorlegt, ob Tüffer und Umgebung verkehrsgeographisch nicht doch dem Bereich des Sanngaues enger verbunden ist als dem der Save, wer sich die Verkehrs-Verhältnisse an der unteren Sotla vor Augen hält, deren Gebiet trotz der querenden Züge seinen natürlichen Schwerpunkt in Rann zu finden scheint, der wird zu dem Ergebnis kommen, daß wir es hier mit kleinen, wenig auf-geschlossenen Talschaften zu tun haben, die im Eisenbahnzeitalter immer mehr vom Großverkehr abgferückt sind. So fehlen denn auch dem Großteil des Gebietes auf blühende große Orte; die alten, burgüberragteh Märkte haben ihre Bedeutung immer mehr eingebüßt. Größere Orte beschränken sich auf die Tüffer-Trifailer Mulde, die Ranner Niederung und einige breitere Stellen des bahndurchzogenen Savetales. Sonst herrschen in den niedrigen Teilen Klein! dörfer und Weiler, in den höheren Einzelhöfe vor oder sie sind unbewohnt. Gelegentlich wirkt auch hier der Weinbau auf die Siedlungsform ein. Anmutig und wechselreich ist dieser vergessene Winkel in hohem Maße. Das Eisenbahnzeitalter hat aber die Verhältnisse auch in anderer Beziehung verschoben. War für frühere Zeiten die Saveschlucht eine naturgegebene Landesgrenze, so hat die Gegenwart ihr das Wesen einer Schranke genommen. An dem widerhaarigen Fluß entlang zieht — begünstigt durch den Aufschwung des Bergbaues, dessen Erzeugnisse, wie die der erwachsenden Industrie, ihr hier in Krain und Steiermark zukommen — die Hauptverbindung von Agram nach Laibach und mit ihr der Schienenweg von Wien nach Triest. So wurde der südlichste Teil der Steiermark immer mehr in das Verkehrsnetz der Saveländer einbezogen. Hatte die Unzugänglichkeit des Südens in Verbindung mit der höheren Entwicklung der nördlichen Landesteile bewirkt, daß der Sanngau mit diesen in immer engere wirtschaftliche Verbindung .trat, so hat sich der Schwerpunkt allmählich verschoben und die politischen Gestaltungen der Gegenwart drohen, den Sanngau auch dem wirtschaftlichen Einflußbereich des nahen Krain stärker anzugliedern als die anderen Teile des Unterlandes. Um so wichtiger ist es, daß gerade die Bewohner dieser Stadt sich ihrer Stellung als Vorposten deutscher Kultur bewußt blieben. Ich bin am Ende meiner Übersicht — ich darf nicht sagen: Schilderung. Denn nur die wichtigsten Züge wollte ich herausheben, welche die geogra- phische Gliederung des Landes begründen, dessen mannigfache Bedeutungen dieses Buch vorführen soll. Nur auf eines mag noch hingewiesen werden. Die neue Staatsgrenze wurde bekanntlich auf Grund „ethnographischer“ Ansprüche gezogen, die sich mit der Sprachgrenze nicht decken; sie weist das ganze überwiegend deutsche Mischgebiet und alle deutschen Vorposten dem Südslawenstaate zu und greift in das geschlossene Bereich des Deutschtums ein, wohl um militärische Vorteile unserem neuen südlichen Nachbar zu sichern. Sie deckt sich aber auch nicht mit den Grenzen natürlicher geographischer Landschaften. Zunächst dem Posruckkamm folgend, der an trennender Kraft dem Weitensteiner Zuge und selbst der Einöde der Bachernhöhen weit nachsteht, windet sie sich dann durch das Hügelland an die Mur und schneidet von deren Tiefland ein Stück ab, das seine ganzen völkischen und wirtschaftlichen Beziehungen über den Fluß herüber nach dem übrigen Murlande hat. Im kleinen trennt sie Gemeindeteile, Pfarrkirchen, Friedhöfe ab. Im großen sucht die Grenzbestimmung von St.-Germain das Marburger Verkehrsgebiet, das durch Natur und Geschichte mit dem Murland so eng verbunden und von ihm nur durch unscharfe Grenzen gesondert ist, ganz unter südslawische Herrschaft zu bringen, macht aber an seiner Grenze nicht halt, sondern greift stark in das des Murtales ein. Die alte, durch Verkehrsschranken bezeichnete Landesgrenze war in der Natur viel fester verankert als die neue. So kann diese den Begriff der Steiermark als einer Großlandschaft nicht aufheben und ruft uns vielmehr, sobald wir ihrer gedenken, den engen Zusammenhang des Unterlandes mit der Mittelsteiermark stets neu in Erinnerung. Robert Sieger Marburg, Klein-Venedig DIE GEOLOGISCHE ERFORSCHUNG UNTERSTEIERMARKS Bie Wissenschaft ist international. Sie muß es sein und ist es auch geblieben trotz des Krieges und seiner Folgen, wenn wir von wenigen bedauerlichen Ausschreitungen jenseits der Grenzen der einstigen Mittelmächte absehen. Aber die Wissenschaft hat auch eine nationale Seite, nämlich die Freude an den Leistungen der Volksgenossen, den Stolz auf wissenschaftliche Großtaten des eigenen Volkes. Wir deutschen Geologen können diesen Stolz reichlich haben. Wie in zahlreichen anderen Gebieten des alten Österreich, Europas und auch fremder Erdteile hat der deutsche Geologe auch im Bereiche der ehemaligen Untersteiermark Rühmliches und Großes geleistet. Dieses Land im Einzugsgebiete von Drau und Save weist einen geologischen Bau auf, der, wie selten einer, mannigfaltig ist. Die verschiedensten Gesteinskörper nehmen an der Zusammensetzung dieses schönen Gebietes teil. Im Bachern erhebt sich die Urkraft des kristallinen Gebirges. Im westlichsten Zwickel dieses südlichen Teiles unserer einst großen grünen Mark steht ein herrliches Hochgebirge aus Kalk und Dolomit, aufgebaut im alpinen Stil, mit Formen, die in den scharfgegrateten Gipfeln und in den Plateauflächen ein vollendetes Gegenstück zu den Berggruppen der nördlichen Kalkhochalpen sind. Mit einem jähen Sprung, an einer scharf markierten Zerbrechungslinie unserer Erdkruste, setzt diese Hochgebirgsgruppe der Steiner Alpen gegen niedriges Land ab, das auch noch zum großen Teile aus Kalk und Dolomit aufgebaut ist und oft weite Plateaus bildet. — Das sind die zu Ende gehenden Alpen. Auch weiter im Norden haben wir dasselbe Bild. Die Hochketten der Karawanken reichen noch mit dem Ursulaberg in die ehemalige Untersteiermark herein und an sie schließen sich niedrige Bergzüge an. Südlich des Bachern sind diese niedrigen Bergkämme, die vielfach aus Kalk und Dolomit aufgebaut sind, voneinander wohl getrennt. Ich meine da zum Beispiel den Zug von Weitenstein, die Bergketten südlich von Grobelno bis zur Save. Gegen Osten treten diese Kämme immer weiter auseinander, und zwischen diesen Kalk- und Dolomitketten liegt, gleichsam in der Form von Großmulden, Hügelland, von der Erosion in zahllose kleine Gräben zerschnitten, reich bebaut, voll von Siedlungen. Die Gesteine dieses Hügellandes gehören einer geologisch sehr jungen Zeit an, der Tertiärformation. Die Kalkketten sind gleichsam das Gerippe des Landes, das bereits gefaltet war, als die Gesteine des Hügellandes zum Teil aus dem Meere abgesetzt wurden, zum Teil aus Vulkanen als Lavamasse ausflossen — die letzten Reste dieser vulkanischen Tätigkeit haben wir ja heute noch in der Form der zahlreichen Mineral- und Thermalquellen vor uns. Eine ganz jugendliche — nämlich im geologischen Sinne — Gebirgsbildung hat auch die tertiären Schichten, die an vielen Stellen Braunkohlenflöze enthalten, erfaßt und zu Falten zusammengestaut. So ist zum Beispiel der Donati eine senkrecht aufgerichtete Rippe von kalkigem Konglomerat aus dem Jungtertiär (Miozän). In den vorliegenden Zeilen kann es sich nicht um eine geologische Darstellung der ehemaligen Untersteiermark handeln; denn auch die bescheidenste Skizze einer solchen würde viele Seiten füllen und fände in diesem Buche auch nicht das richtige Leserpublikum. Ich möchte um im Rahmen dieses Buches zu bleiben — hier nur auf die Erforschungsgeschichte dieses Landes hinweisen. Vor inir liegt die vorzügliche, mir in Übersetzung zugänglich gemachte populäre Darstellung der Steiner Alpen, verfaßt von meinem verehrten Mitarbeiter bei der Erforschung des Ranner Erdbebens von 1917, von dem Slowenen Ferdinand Seidl, mit dem mich ein herzliches Freundschaftsverhältnis verbindet. Diese Darstellung heißt „Kamniške ali Savinjske alpe“ und ist in zwei Teilen, 1907 und 1908, in Laibach erschienen. In dieser schönen, reich ausgestatteten Schrift hat der gelehrte Verfasser seine ausgezeichneten Kenntnisse der Steiner Alpen und deren Umgebung auf Grund der vorhandenen Literatur und seiner eigenen Begehungen geologisch dargestellt. Wir blättern im Verzeichnis der benutzten geologischen Literatur und finden fast nur deutsche Namen, deutschgeschriebene Abhandlungen. Das charakterisiert die Bedeutung der deutschen geologischen Forschung für Untersteier. Wir dürfen aber nicht vergessen, daß die Grundlage der geologischen Kenntnisse der ehemaligen Untersteiermark ein Nichtdeutscher gelegt hat. Gestützt auf die Arbeiten seiner Vorgänger — Morlot, Unger, Fötterle, Rolle, Ettingshausen, Zolli-kofer II hat der Slowake D. Stur in seiner 1871 erschienenen Geologie von Steiermark ein geologisches Gesamtbild entworfen, das den späteren Forschern die wichtigste Grundlage wurde und auch heute noch überaus wertvoll ist. Nach dieser Phase geologischer Forschung, die eine großzügige Übersicht erstrebte, kam die Zeit genauer Detailforschung, die großangelegte Tätigkeit der Geologischen Reichsanstalt in Wien, neben welcher zahlreiche kleinere Untersuchungen herliefen; ich erwähne von den letzteren nur die vielen kleinen Studien des Grazer Professors R. H o e r n e s. Die Geologische Reichsanstalt hat eine Reihe von geologisch kolorierten Spezialkarten des untersteirischen Gebietes herausgegeben. Von dem ausgezeichneten Geologen dieser Anstalt, 'F. Teller, sind die Blätter Eisenkappel—Kanker, Praßberg, Cilli—Ratschach aufgenommén worden. Das sind Darstellungen von größter Genauigkeit,, von ungewöhnlichem wissenschaftlichen Werte, wahre Meisterwerke geologischer Landesdarstellung. Im Vereine mit J. Dreger hat F. Teller das Blatt Pragerhof—Windisch-feistritz herausgegeben. Von J. Dreger stammen die Spezialkartenblätter Röhitsch—Drachenburg, Pettau—Vinica. Mit der Herausgabe dieser geologischen Spezialkartenblätter ist bei der jetzt üblichen Darstellungsweise und den jetzigen Möglichkeiten einer geologischen Landesabbildung ein Abschluß für die kartierten Gebiete erreicht. Damit ist aber nicht gesagt, daß es in Untersteiermark nichts mehr auf geologischem Gebiete zu arbeiten gibt. Für den neuen Besitzer des Landes, besonders für die Geologen der Laibacher Universität, gibt es ein reiches Feld der Tätigkeit. Freilich werden sie immer wieder zurückgreifen müssen auf die Arbeiten der Deutschen, die — ohne daß mich etwa ein nationaler Übereifer zu einer eitlen Überhebung verleiten würde — vielfach mustergültig sind. Große Fragen harren noch der Lösung. Ich erwähne da nur die Gliederung der Massengesteine im Bacherngebirge, zu welcher Frage erst kleine Bausteine zusammengetragen wurden, ferner die Untersuchung der kristallinen Gesteine des Bachern, ihr Vergleich mit den schon erforschten kristallinen Schiefern der alpinen Zentralzone und der böhmischen Masse. Wollen wir im Interesse der Wissenschaft hoffen, daß diese und so zahlreiche andere geologische Aufgaben bald ebenso vorzüglich gelöst werden, wie das für andere Fragen durch F. T e 11 e r erreicht wurde. Nie aber wird die künftige geologische Erforschung der éhemaligen Untersteiermark hinweggehen können über die Arbeiten, die deutscher Fleiß, deutsches Wissen und Können, deutsche Gründlichkeit, deutsche Liebe zur Wissenschaft geschaffen haben. Univ.-Prof. Dr. Franz Heritsch Siegel der Stadt Marburg DIE GEOGRAPHISCHE BEDEUTUNG UNTERSTEIERS Die Bedeutung des verlorenen Unterlandes für Steiermark, für Deutschösterreich, für das ganze mitteleuropäische Deutschtum kann schwerlich überschätzt werden. Sie liegt nicht bloß in wirtschaftlichen Werten, an die man meist zu denken geneigt ist, nicht allein in der Raumbeherrschung an einer Stelle, die unserem Volke wegen der Nähe des Mittelmeeres immer besonders teuer war, sondern auch in geistigen Gütern, die sich wohl vergleichen dürfen mit den in den Namen Elsaß, Südtirol, Oberschlesien, Nordschleswig enthaltenen völkischen Erinnerungsbildern. Beginnen wir unsere Betrachtung, wie es dem Geographen geziemt, mit der Frage nach dem „Wo“, so ergibt sich zunächst auf Grund des Gradnetzes eine überraschend südliche Lage Untersteiers. Reicht es doch mit dem Zipfel von Rann im Save-Sotla-Eck unter den 46. Grad bis in die Breite von Görz, Riva, Como, Aosta, Lyon, der Gironde, also bis in den sonst zum Teil schon als subtropisch bekannten Erdgürtel. Wenn auch der milde Anhauch des Mittelmeeres und dessen Pflanzenwelt hier nicht so weit landeinwärts zu dringen vermögen, so wird doch das Gepräge Untersteiers als eines rechten Sonnenlandes durch die nordsüdliche Höhensenkung „Hoch vom Dachstein an“ bis zum Savebett an der kroatischen Grenze, von 2996 auf 138 m wesentlich gesteigert. Während nämlich beispielsweise im Deutschen Reich der Gegensatz zwischen Nord und Süd durch Anschwellen des Bodens von der Wasserkante bis zum Alpenfuß mehr als ausgeglichen wird, und München, trotzdem es um 5V2 Breitengrade südlicher liegt, keineswegs wärmer ist als Hamburg, wächst in Steiermark dank der mittäglichen Böschung des Landes die Wärme von Norden nach Süden viel stärker, als dem Breitenunterschiede entsprechen würde. Außer Tirol war Steiermark im alten Umfang das einzige Land, das an sämtlichen Gesteinsgürteln der Ostalpen Anteil hatte: durch die das Enns-, Salza- und oberste Mürztal begleitenden Felsklötze zwischen Dachstein und Rax an den Nördlichen Kalkalpen, durch das breite Mittelstück vom Hochgolling und Wechsel bis zum Bachern an den Graten und Rücken des Urgebirges aus Gneis und Schiefer, endlich durch die Zacken und Zinnen der Steiner oder Sanntaler Gruppe an den Südlichen Kalkalpen. Wie in Südtirol werden wir auch in Untersteier durch den eindrucksvollen Gegensatz der malerischen Felsberge oder wuchtig hingelagerten Waldrücken zu den flachen Talböden, Becken und Ebenen gefesselt, ein Gegensatz, der sich ebenso in Klima und Pflanzenkleid ausspricht und dem Ober- und Mittellande nicht im Bad Tüffer gleichen Maße eignet; denn Obersteier stellt sich als reines Hochgebirgsland dar und in Mittelsteier bleibt der Unterschied von Höhe, und Tiefe geringer. Die Koralpe überragt die Ebenen von Leibnitz und Radkersburg weniger als die Ojstrica jene von Cilli und Rann, aber auch die unmittelbare Nachbarschaft der kühlen Waldgründe des Bacherngebirges und der sonnigen Weiten des Pettauer Feldes hat in dieser Ausdehnung nördlich der Windischen Bühel kein Seitenstück. Mittelsteier ist eben in jeder Hinsicht das „Mittel“ des Landes; wem aber eine bunte Fülle rasch wechselnder Bilder besser zusagt, dem bietet das Unterland mehr. Übrigens hört eben infolge des Verlustes im Süden Mittelsteiermark auf, ein Mittelglied zu sein; das Gleichgewicht zwischen „Oben“ und „Unten“ erscheint gestört, zumal das neue Staatsgebilde SHS seine Grenzen möglichst weit nordwärts schob und am Randgebirge Mittel-steiers sowie an der Murniederung (Abstaller Becken!) über sein natürliches Bereich hinausgreift. Denn ich darf hier nicht unerwähnt lassen, daß neue geographische Untersuchungen ein „Steirisches Randgebirge“ festgestellt haben, welches einen Halbkreis um das Senkungsfeld der „Grazer Bucht“ schlägt und vom Wechsel bis zum Bachern reicht, ohne andere Unterbrechung als das enge Mur- und Drautal. Hingegen hebt eine „Randfurche“ an der Außenseite dieses halbkreisförmigen Bogens Mürz-, Mur-, Granitzental, Obdächer Sattel, Lavant-, Drau-, Mißlingtal, Weitenstein. Drann pÉdenselben deutlich aus dem Ostalpenkörper heraus. Da die Randfurche fast durchweg schienenbelegt ist, so kann ihr Vorhandensein auch verkehrsgeographisch leicht erwiesen werden, und es hat gewiß manches für sich, wenn nun die „geschlossene Verkehrslandschaft“ der Innenseite des Steirischen Randgebirges* also tertiäres Hügelland und Ebenen bis zur Wasserscheide gegen die Save (Weitensteiner Zug) als „Mittelsteier“ zusammengefaßt wird. Auch der Sprachgebrauch scheidet nicht streng zwischen „Unter“- und „Süd“steiermark, da es Teile des Murbodens (Radkersburg) zuweilen schon zum Unterlande schlägt und so wieder diesen Begriff über Gebühr ausdehnt. Aus allem ergibt sich klar die innige Verbundenheit der ober-, mittel- und unterländischen Gaue Steiermarks, diezwar, nicht so einheitlich wie im Nachbarland Kärnten, je eine Gruppe für sich bestehender eigenartiger Landschaften bilden, aber doch nach keiner Seite hin sich wesentlich besser öffnen als gegeneinander. Sonst wären sie ja auch nicht im Laufe der Geschichte zu einer politischen Einheit verwachsen. Doch damit gelangen wir bereits zur Geographie des Menschen, dessen Sinnen und Trachten zuweilen die von der Natur vorgezeichneten Entwicklungslinien außer acht läßt. So wie in Obersteier das maßgebende Städtepaar Bruck-Leoben an dem einzigen Großverkehrstor ins Mittelland, dem Murdurchbruch Bruck—Graz liegt, drängt sich auch der untersteirische Hauptort Marburg an den Fuß jener Drau und Mur trennenden Höhen, wo zwar vielleicht nicht der bequemste, jedenfalls aber der kürzeste Weg aufs Leibnitzer und Grazer Feld beginnt. Daß zwischen den wirtschaftlichen Schwerpunkten Unter- und Obersteiers der Landeshauptstadt eine Mittellage zukommt (ähnlich wie Rom zwischen Mailand und Neapel), stärkte die Stellung von Graz und half den Süden enger an den Norden schließen. Zudem sind Bruck und Marburg die östlichen Eckpunkte des wichtigen Dreiecks mit der Spitze in Villach, das durch seine verkehrsleitenden Täler jenes unentbehrliche Grundgerüst bildet, auf dem die Lebensfähigkeit des alten Innerösterreich beruht. Daß es durch den Wegfall Marburgs nun verstümmelt ist, hat die Notlage unseres jungen Freistaates ganz wesentlich mitverschuldet. Denn es sind damit einheitliche Wirtschafts- und Verkehrsgebiete auseinandergerissen und die Hauptverbindung der Nachbarn Steiermark und Kärnten längs der Drau ist gelähmt. Marburg ward ein wichtiger Bahnknoten durch die Kreuzung der Donau-Adria-Linie mit dem Ungarn und Tirol verbindenden Drautal, ein reicher Wirtschaftsmittelpunkt dank der fruchtbaren, weingesegneten Umgebung, ein uralter deutscher Kulturkern, schon im 12. Jahrhundert als solcher genannt, zugleich aber auch eine wahre „Markburg“, ein Grenzort des Berglandes gegen die östliche Ebene, des Drau-Eng-tales gegen die weiträumige Niederung, des geschlossenen Deutschtums gegen das gemischtsprachige Unterland. Denn bis unterhalb Marburg ist (oder war?) das Drautal überwiegend von Deutschen bewohnt, die Stadt war durch das südmärkische Besiedlungsgebiet von Spielfeld her in unmittelbarer Berührung mit dem geschlossenen Deutschtum und teilte mit Péttau die zwar slowenische, zumeist aber deutschfreundliche Umgebung. Deutschfreundlich schon aus der allgemeinen Erkenntnis, daß die Industrie- und Bergbaubezirke Mittel- und Obersteiermarks gute Abnehmer der untersteirischen Landwirtschaft, Vieh- und Geflügelzucht sind, während umgekehrt die Fabrikstätigkeit der ersteren gleich im agrarischen Unterlande einen sicheren Markt hatte. Und was über die Landesgrenze weiter verschickt wurde, bediente sich der untersteirischen Verkehrslinien, entweder der Südbahnhauptstrecke zur Adria oder ihrer Abzweigungen nach Ungarn und den Balkanländern. Alle namhaften Orte des Unterlandes dürfen daher als Zeugen der weitausgreifenden, allen Beteiligten nützlichen Unternehmungslust und Arbeitskraft unseres deutschen Volkes gelten, Zeugen auch der zweckmäßigsten politischen Bindung, die sie zum eigenen und zum gemeinsamen Wohle sämtlicher Landesbewohner eingehen konnten. Es ist ferner kein Zufall, daß die berühmten Heilstätten in Rohitsch-Sauer-brunn, Tüffer, Römerbad und Bad Neuhaus deutsche Gründungen sind und von deutschen Kurgästen belebt waren ; denn wir betreten mit den Windischèn Büheln eines der sonnigen Sehnsuchtsländer, an denen das kühle Mitteleuropa Mangel hat und die es deshalb um so mehr schätzt. Rudolf Hans Bartsch schildert in seinen Landschaftsromanen außer der Umwelt auch die Stimmungen ganz richtig, die den Deutschen hier überkommen und in träumerische Weichheit einspinnen. Dennoch darf man diese nicht einer tatenlosen Schwäche gleichsetzen; vielmehr spricht die rühmliche Vergangenheit des Deutschtums im Sanngau wie an der Drau und Save, vor allem im Städtedreieck Marburg—Pettau—Cilli, daß auch in Zukunft die Bedeutung ihres Unterlandes für die Steiermark wohl zeitweilig verdunkelt, aber nicht dauernd erloschen sein kann. Dr. Georg A. Lukas, Graz St. Urbani bei Marburg UNTERSTEIRISCHES AUS DEM MITTELALTER Es wäre eine sehr dankbare Aufgabe, die Stellung der Untersteiermark im deutschen Schrifttum eingehend zu untersuchen und klarzulegen, wie deutscher Forscherfleiß sich an der Erschließung dieses Gebietes betätigt hat, wie nicht minder auch der deutschen Dichtung hier reichliche Anregung und liebevolle Pflege in Vers und Prosa zuteil ward. Die Durchführung dieser Aufgabe würde jedoch einen viel weiteren Rahmen beanspruchen, als er hier zur Verfügung steht. Wir wollen uns daher mit einem kurzen Streifzug in das Mittelalter begnügen und an einigen wenigen Beispielen zeigen, wie weit zurück sich die Fäden verfolgen lassen, die das steirische Unterland mit dem deutschen Geistesleben verbinden und für alle Zeitén unlöslich im deutschen Kulturkreise festhalten. Solches Erinnern tut uns heute doppelt not und wohl. In jenen glanzvollen Tagen, da des Reiches Krone bei den Hohenstaufen war, Rittertum und Poesie in deutschen Landen zu edelster Blüte gepflegt wurden, da hat ein Erlauchter im Reiche der Dichtung ein Stück südsteirischer Landschaft in das Gewirke seiner begnadeten Kunst verwoben, hat Meister Wolfram von Escheribach diese Landschaft in unser Schrifttum eingeführt. Heimattraut berührt es uns, lesen wir im neunten Buche des Parzival (498, V. 21 ff.) die Stelle, wo Trevrizent dem Neffen erzählt: Üz Zilje ich vür den Róhas reit, dri mäntage ich dà vil gestreit: mich dühte, ich hete dà wol gestriten. dar nàch ich sehierest kom geriten in die witen Gandine . . . diu selbe stat liget aldà, dà diu Greiàn in die Trà, mit golde ein wazzer, rinnet.1 Der Röhas (Rohitsch, der Rohitscher Berg) und- Zilje (Cilli) werden im Parzival auch an einer früheren Stelle (496, V.;l5ff.) erwähnt; ihre Bedeutung ist ohne weiteres klar, ebenso wie man die Greiàn und die Trä als Grajena-bach bei Pettau und Drau leicht erkennt. Der Name Gandine ist in verschiedenartiger Schreibung für die Gegend von Pettau und die Zeit vom 12. bis zum Ausgang des 17. Jahrhunderts vielfach urkundlich belegt. Der Ort selbst war lange umstritten, ist aber sicherlich, wie schon A. v. Muchar im 5. Bde., S. 41, seiner „Geschichte des Herzogthums Steiermark“ vermutet, das heutige Haidin bei Pettau (vgl. hiezu die Abhandlungen von Moritz Haupt und Jos. Weiß in der „Zeitschrift für deutsches Altertum“, Bd. 11, S. 47f., und Bd. 28, S. 136ff., 1 Nach der Ausgabe von A. Leitzmann, Halle 1902. sowie Zahn, „Ortsnamenbuch“, S. 248). Den Ortsnamen Gandin gebraucht auch der Pleier (nach 1260) in seinem höfischen Roman „Garei von dem bittenden tal“, dessen Held aus „Stire“ stammt und den steirischen Panther im Wappen führt (V. 4191 ff. u. a.).1 In dem mittelalterlichen Epos „Biterolf und Dietleib“, dessen Dichter ein Steiermärker war, findet sich (V. 13.297—13.348) ein begeisterter Lobspruch auf die Steiermark, in dem auch das „untere Land“ 1 Vollständige Ausgabe von M. Walz, Freiburg i. Br. 1892. seinen Teil des Preises erhält (vgl. K. Weinhold, „Über den Antheil Steier-marks an der deutschen Dichtkunst des 13. Jahrhunderts“, Wien 1860, und Nagl-Zeidler, „Deutsch-österreichische Literaturgeschichte“, 1. Bd., S. 89f.). Auch in der Schar der deutschen Minnesänger läßt sich ein Untersteirer hören. Es ist „Der von Sounegge“, den die Heidelberger (Manessesche) Liederhandschrift in ihrer Reihe als 67. zwischen zwei anderen Steiermärkern, dem von Wildonie und dem von Scharpfenberg, anführt. Daß dieser Sänger dem Geschlechte der Freien von Saneck angehörte, ist durch die Forschung sichergestellt; unentschieden ist nur, ob es sich, wie ziemlich allgemein angenommen wird, um Konrad L von Souneck (urkundlich nachzuweisen von 1220—1241), den Großvater Friedrichs, des ersten Grafen von Cilli, handelt oder um einen seiner Söhne, was für uns hier ohne Belang ist.1 Die Heidelberger Handschrift enthält drei Dichtungen des Souneckers, ein Sommerlied, ein Winterlied und ein allgemeines Liebeslied. Sie sind sämtlich an die „Frouwe“ gerichtet, „diu vii süezey saelic reine“, zu deren Lob der Liebessieche singt: Yil süeze Minn, du hast mich s6 betwungen, daz ich muoz singen der vii minneclichen, Nach der min. herze ie hàt dà her gerungen; diu kan vil souze dur min ougen slichen Al in min herze lieplich unz ze gründe; wände àne got nieman erdenken künde só lieplich lachen von so rötem munde. Die beiden letzten anmutigen Verse schließen als Kehrreim jede der drei Strophen dieses Liedes. Wie die weltliche, So hatte nicht minder die geistliche Dichtung des Mittelalters einen Vertreter in Untersteiermark. Im stillen Johannistale bei Gonobitz lag das Kloster Seitz, die älteste deutsche Kartause. Hier dichtete Bruder Philipp in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts nach einer lateinischen Quelle sein über 10.000 Verse umfassendes „Marienleben“ und widmete das Werk dem Deutschen Orden in Preußen.1 2 Der Verfasser gibt sich in seinen Versen (10.122—10.126) selbst zu erkennen: Bruoder Philipp bin ich genant, got ist mir leider unerkant, in dem orden von Carthüs. geschriben hàn ich in dem hüs ze Seitz ditz selbe büechelln. Bruder Philipp war kein eingeborener Steirer, seine Sprache weist ihn nach Mittel- oder Norddeutschland, worauf man auch aus der erwähnten Widmung an die Deutschordensbrüder schließen kann. Das Marienleben ist uns in einer auffallend großen Zahl von Handschriften erhalten, die sich den Mundarten der Landschaften von Steiermark bis an die Ostsee angepaßt 1 Vgl. K. Weihhold a. a. O. und K. F. Kummer, Die poetischen Erzählungen der Herrand von Wildonie . . . Wien 1880, S. 78 ff. 2 Zum erstenmal herausgegeben von Heinrich Rück er t, Quedlinburg 1853. haben, so daß wir eine ganz besondere Beliebtheit und Verbreitung dieses Gedichtes annehraen dürfen. Dafür spricht auch der Umstand, daß es im 14. Jahrhundert in eine prosaische Erzählung aufgelöst und auszugsweise in das große, viel gelesene Werk „Der Heiligen Leben“ aufgenommen wurde. Wieder in einer Klosterzelle entsprang - eine der wertvollsten Quellen für die österreichische Geschichte des Mittelalters. Bevor wir weiter von ihr sprechen, sei vermerkt, daß wir aus dem Ende des 14. Jahrhunderts eine österreichische Chronik besitzen, die früher in der Literatur den Namen des Matthäus oder Gregor Hagen trug, deren Verfasser aber nach den Untersuchungen von Franz Martin Mayer (Archiv f. österr. Geschichte, 60. Bd., 1880) der aus Untersteier gebürtige Johann Sefner, Pfarrer in Rohats (Rohitsch), nach 1391 Dekan der juridischen Fakultät in Wien, war. Geschichtlichen Wert hat Sefners von Fabeln erfüllte Chronik nicht. Jene andere Quelle dagegen übertrifft alle an Bedeutung für unser Gebiet. Es ist die in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts abgefaßte „Cillier Chronik“, deren Wert neben ihrer Glaubwürdigkeit auch darin besteht, daß sie für die Zeit von ungefähr 1350 bis 1435 die einzige chronikalische Aufzeichnung in Steiermark, Kärnten und Krain ist. Sie schildert besonders ausführlich die Ereignisse der Jahre 1437 bis 1458 und enthält die von höchstem Glanz und tiefster Tragik erfüllte Geschichte des mächtigen deutschen Herrengeschlechtes der Grafen von Cilli (1341—1456), deren Machtbereich sich weit über das Gebiet der Untersteiermark und ihrer Nachbarländer nach Deutschland und Italien und über Ungarn bis an den Balkan erstreckte. Die älteste und natürlich wertvollste Fassung der Chronik stammt noch aus dem 15. Jahrhundert und ist das durchaus selbständige Werk eines Minoritenmönches in Cilli, der dem Grafenhause nahestand.1 Die Geschichte der Grafen von Cilli hat den Forschern reichen Stoff geboten. Das Hauptwerk darüber verdanken wir dem unübertrefflichen Fleiße des Altmeisters der österreichischen Geschichtschreibung, Franz R. v. Krones: „Die Freien von Saneck und ihre Chronik als Grafen von Cilli“ (Graz 1883). Länger als ein Jahrzehnt beschäftigte sich Krones (f 1902) mit dem Quellenstoff zur Geschichte der Saneck-Cillier und hat seinem abschließenden, eben genannten Werke eine ganze Reihe von Einzeluntersuchungen vorausgeschickt. Während die Cillier Chronik von Sim. Friedr. Hahn im 2. Bande der Collectio Monumentorum veterum (Braunschweig 1726) nach einer, dann von Aquilinus Julius Caesar im 3. Bande seiner Annales Ducatus Styriae (Wien 1777) nach vier Handschriften veröffentlicht worden war; konnte Krones deren siebzehn benutzen, die er in seinem Buche eingehend kritisch behandelt. Bei der weiteren Betrachtung der mittelalterlichen Geschichtschreibung muß eines Mannes gedacht werden, der weder ein Deutscher von Geburt war, noch in deutscher Sprache geschrieben hat, den aber vielfache Beziehungen mit unserem Lande verbinden und dessen Hauptwerk eine hervorragend ergiebige Quelle zur steiermärkischen Geschichte bildet. Es ist Aeneas Sylvius 1 Dem geschichtlich wertvollen Teile geht die Maximilianlegende, eine deutsche Bearbeitung der aus dem 13. Jahrhundert stammenden Vita S. Maximiliani, voraus. Piccolomini (Papst Pius IL, f 1465) mit seiner Historia rerum Friderici IH. Imperatoris. Aeneas Sylvius, Geheimsekretär des Kaisers Friedrich III. (als steirischer Herzog Friedrich V.), war wiederholt in Steiermark, auch im Unterlande, so 1447 in Radkersburg, und genoß die Einkünfte der Pfarre Altenmarkt bei Windisehgraz. In seinem Werke schildert er unter anderem, welch wichtige Rolle die Cillier Grafen Friedrich und Ulrich in der Fehde der österreichischen Stände mit dem Kaiser gespielt haben, er berichtet uns auch über den Untergang des Geschlechtes der Cillier und den Beginn des Streites um deren Erbe. — Auch die „Österreichische Chronik“ des kärntnerischen Pfarrers Jakob Unrest (1435—1499) erzählt ausführlich die Ermordung des letzten Grafen von Cilli und den Verlauf des Erbstreites.1 Unrest bietet die letzte Quelle, die für uns hier in Betracht kommt. Nicht übersehen aber wollen wir einen der emsigsten Kompilatoren des ausgehenden Mittelalters, Hartmann Sch edel, den Nürnberger. Sein Werk „Buch der Chroniken und Geschichten“ erschien als kostbarer Wiegendruck 1493 zu Nürnberg gleichzeitig in einer deutschen und einer lateinischen Ausgabe.1 2 Es bietet uns den ersten Versuch einer historisch-topographischen Darstellung unseres Landes. Auf dem Blatte 275a wird „Graff Vlrich von Cilli“ erwähnt. Die Blätter 275b und 276a berichten sodann „Von Steyer einer gegent Teutschlands“ also: „Steyer ettwen Valeria genant stöst gegen dem auffgang an Hungern ... das volek in den stetten ist gewonlich Teutsch. vnd das pawrvuolck herdißhalb der Trawn windisch . . . Hier innen ist ein altes stettlein das ettlich Cili nennen, alda erscheinen vii anzaigung alter ding, auch namen vn marmorstainini greber der römischen Fürsten. Zu vnßern zeitten hat alda geherrschet graff Friderich ..." Es folgt eine längere, ergötzliche, aber keineswegs schmeichelhafte Kennzeichnung dieses Grafen und dessen Sohnes Ulrich, des letzten seines Stammes. „Als derselb erschlagn wardt,“ heißt es schließlich, „do warn XXIIH ansprecher seiner verlassen erbschaft. Also wie er in seinem Leben allenthalben krieg vnd auffrur bewegt also erwecket er auch sterbende zwittracht vnd Widerwertigkeit. . .“ Schedel hält sich in seinem Bericht an Aeneas Sylvius. Zum Abschluß unserer Rückschau sei eines Landsmannes gedacht, dessen Name mit der ältesten Geschichte des steirischen Buchwesens in Verbindung steht. Er nannte sich Magister Matthäus Cerdonis de Windischgratz, stammte also aus dem bekannten untersteirischen Städtchen und, worauf sein latinisierter Zuname zu deuten scheint, aus einer Handwerkerfamilie (Gerber?). Cerdonis war der erste bekannte Buchdrucker, den die Steiermark hervorgebracht hat, übte aber Gutenbergs Kunst nicht in der Heimat, sondern in Padua aus. Wir kennen über vierzig Druckwerke seiner Presse aus den Jahren 1482 bis 1487 (vgl. H. Schleimer im Zentralblatt für Bibliotheks- 1 Vgl. Kr on es, Die zeitgenössischen Quellen der steiermärkischen Geschichte in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts (Beitr. z. Kunde steierm. Geschichtsquellen, 8. Bd.). Ilwof, Steiermärkische Geschichtschreibung (Deutsche Geschichtsblätter, Bd. 4,5 u. 8, Gotha 1903-1906). 2 Ein schönes Stück der deutschen Ausgabe mit den Holzschnitten von Wolgemut und Pleydenwurff bewahrt die Steierm. Landesbibliothek. sgasasas», firn t eftawidt). tmb gert biro nyötrg.ing vii mttteiwag S^ta'pftw Kermro «tnf^eiibf.iDifegegèt ff{n& tBur biebec&nbemiwin fìiif? be fencing## fófe gigertfrt» $e Itlitr fleußt ut Wc Crown ftwb bie thrown in tir Cfjonaw.baa t>okf iit bm fittati tfi gew«ttUi^r«Ütrcfc w& b<*8 w>IcE beriefbrtlfa &«r ibernar» wtnbijrbr. tofe ffirt ßinmStbcn aUetufyalben tricgt cwfltur bmwgt alfo mwftt «■ «ud>fia: sminai »il «nsrtigSgiiItfrbmg and) nanna vruib marmoiftepniitgrjberber rfmifdìcn fUrftahgä Cttfmt jcytm alba^an ^af^etmaff^mk^.ber tortam wiérfc fdjer fl«i(cygirig6ryt gcgm tiuem sawcibtn- niiitbćtfentt Ittitgcbome grtig«f>SI«»Mm&erJ|mO«w«f ter mettnem. >ucBetbyejuiicffM>»o» giti tbfijmge &oe («ri&ublcf OiettfìpetEnt SenitóetberBrctm götttr wwb fànnlt Bt su fm bie miirtofelfèber-iibelt^ttr. n»r f feiner onöer&irtfj bin bcj7ejii3ag&e6 felbm krtöe feyferiVt&eric^rtflrt gegeben mit Öeti« gcöistg &aefV bròanfpKC&t' : rm md) gemro^eyt bea [««beitigerieteatu-' : tWft«{ä?,(Sö38!Sfee(^SKt;fi(^grs^aöitt4) g?., togtiewittittaataefyjw^cj^fìèfeérmw. ;2ter Eeyfer.fnberi«^ rearò itaci? etobmrogc vii | ct)l«0 De« graffett rittermcyflrr wtttb cropping (jraffm abater er entpfjeng es baibrciicnvnb wtbfrpärtte oner grebEobdibat übel «1 ft ubd s >eóe&e£?Ctdj e^t bi)a30fT»36itiefir4!eMg^w5*tR5fleiiTfeo ttjejeimžrbmtnjžrofJ?: nn^«tt«tfi4>}«8 er éitt«» eignen pefeper btßd' ll^éBnnfaitotbertJdWtJifen tesrrtm«£»ii b«f&!femprir}?rr§«&t^ WJfBt’rSJfflWöf I WÈd- ^ -V .^v’’1:'’''' ■ ■ •' '■ J»e,ìj Faksimile aus H. Schedels „Cronica“, Augsburg 1496 wesen, 38. Jahrgang 1921, S. 113ff.). Der Meister stand jedenfalls, da er damals wohl der- einzige Drucker in Padua war, mit der Universität in Verbindung. , Seine Drucke sind daher meist juristischen, mathematischen, medizinischen, zum Teil auch humanistischen Inhaltes. Fünf Cerdonis - Drucke befinden sich in Graz, davon zwei in der Universitätsbibliothek und drei in der Landesbibliothek. Außer diesen Zeugnissen seiner Tätigkeit ist über die Verhältnisse und Lebenswege unseres Magisters derzeit nichts bekannt, wir wissen weder seinen Geburts- noch seinen Todestag. In den Pfarrarchiven von Windischgraz und Altenmarkt fehlen die Matrikeln jener Zeit; vielleicht findet ein glücklicher Forscher einmal erwünschte Aufschlüsse in einem Archiv ZU Padua. Moriz Riipschl ZUR ERFORSCHUNG UND ERHALTUNG GOTISCHER DENKMÄLER SÜDSTEIERMARKS ■eben vielen anderen Geisteswissenschaften kann sich auch die Kunstgeschichte gegenwärtig nicht der schmerzlichen Erkenntnis entziehen, daß in der Vorkriegszeit ungezählte Gelegenheiten zu planmäßigen Forschungen auf naheliegenden Gebieten versäumt, daß soundso viele begünstigende und erleichternde Umstände leider nicht in entsprechenderWeise ausgenützt worden sind. So verhält es sich auch mit der Erforschung der gotischen Denkmäler Südsteiermarks, von der malerischen Ruine der Kartause von Seitz angefangen bis zu den letzten Erscheinungsformen der Spätgotik in Gilli und Pettau. Unsere Kenntnisse stecken bedauerlicherweise noch in den Anfängen kunsthistorischer Verarbeitung des Stoffes, sie werden auch nicht so schnell über die bisher zu verzeichnenden bescheidenen Ergebnisse hinauskommen, insofern derart günstige Arbeitsmöglichkeiten nicht so bald wiederkehren dürften. Wie wäre es verlockend gewesen, das Eindringen der verschiedenen befruchtenden Kunstströmungen in einzelnen Grenzstädten festzustellen, den weiteren Verlauf der künstlerischen Entwicklüng im 14. und 15. Jahrhundert wie schließlich das Ausklingen in der einen oder der andern spätgotischen Baugepflogenheit zu verfolgen; doch sollte es bis in unsere Tage bei spärlichen Ansätzen verbleiben. An eine erfolgreiche systematische Bearbeitung aller verhältnismäßig zahlreichen Kunstdenkmäler der gotischen Epoche konnte seinerzeit neben verschiedenen anderen Gründen schon infolge des einen Umstandes nicht geschritten werden, weil vor allem die nötigen photographischen Unterlagen ganz und gar fehlten. Viele südsteirische Werke waren überhaupt noch nie in größerem Maßstabe aufgenommen worden, geschweige daß zu verschiedenen Zeitpunkten hergestellte Aufnahmen eine Vorstellung von den im Laufe des 19. Jahrhunderts vorgenommenen Veränderungen ermöglichten. Dies betrifft namentlich die mehr oder minder fachgemäß durchgeführten Restaurierungen. Dennllfl es nützt keine Beschönigung — in jenen Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts, in denen die sogenannte Regotisierung von so vielen alpenländischen Kirchenbauten und ihrer Innenausstattung erfolgte, sind durch ehrliche Begeisterung und wohlgemeinten Eifer leider auch dem südsteirischen Denkmälerbestand schwere Wunden geschlagen worden, insofern die geplanten Wiederherstellungsarbeiten in vielen Fällen infolge der Bescheidenheit der zur Verfügung gestandenen Mittel oder der Unzulänglichkeit der mit der Restaurierung betrauten Kunstkräfte zu einer nicht genug zu beklagenden Änderung des ursprünglichen Stilcharakters geführt haben. Gotisches Relief an der Kirche Maria-Neustift So tritt uns heute gar manches südsteirische Denkmal nicht mehr in jener ungetrübten Unberührtheit entgegen, die bei kunsthistorischen Untersuchungen vorausgesetzt werden muß. Hieher gehören besonders jene plastischen Kunstwerke des 15. und vom Beginne des 16. Jahrhunderts, bei denen die Versuche, den vermeintlichen ursprünglichen Charakter des betreffenden Objektes in seiner „historischen Reinheit“ erstehen zu lassen, nicht zu rechtfertigende Eingriffe zur Folge gehabt haben, so daß ein oder das andere Werk seither kunstgeschichtlich fast nicht mehr verwertet werden kann. Solche Beobachtungen ergeben sich zum Beispiel bei einer Analyse der ikonographisch so interessanten Reliefs der Kirche von Maria-Neustift. Das erste, eine Anbetung der Könige, bot vor der zu Anfang unseres Jahrhunderts vorgenommenen Restaurierung — wenn auch beschädigt und verwittert — immerhin noch jedem Fachmann die Möglichkeit, den historischen und künstlerischen Wert der Darstellung zu erfassen und deren Abhängigkeit von nördlicheren Behandlungen desselben Themas in Malerei wie in Plastik festzustellen. Die anläßlich der Wiederherstellung erfolgte Überarbeitung und Neubemalung führten fast zur Vernichtung jeglicher Ursprünglichkeit. Ähnliche, die kunsthistorische Beurteilung erschwerende Restaurierungsverfahren lassen sich an dem zweiten Maria-Neustifter Relief, einem Tod Mariens, feststellen. Hier hat der ursprüngliche Zustand der in ihrer Schlichtheit ungemein wirkungsvollen Darstellung in erster Linie durch die ungeschickte Bemalung der weitgeöffneten Augen eine derartige Veränderung erfahren, daß die ganze, einst so volkstümlich-rührend wirkende Gruppe ein fast parodistisches Gepräge erhalten hat. Nicht viel besser steht es mit dem Relief mit den wappenhaltenden Engeln, an dem zum Beispiel die Sterne im ersten und vierten Felde des einen Wappens bei der Restaurierung übersehen und einfach überstrichen worden sind. Diese drei Beispiele mögen genügen, um auf die Bedeutung hinzuweisen, die noch so kleine, zu verschiedenen Zeiten von einem und demselben Denkmal hergestellte Aufnahmen erlangen können, wenn es sich um die Feststellung eines ehemaligen Erhaltungszustandes und die Beantwortung der daran sich knüpfenden kunstgeschichtlichen Fragen handelt. Ein günstiges Geschick hat es gefügt, daß das kunsthistorische Institut der Universität Graz in den Kriegsjahren dank der Opferfreudigkeit einzelner Körperschaften und Persönlichkeiten ganze Bestände von solchen Aufnahmen erwerben und der neuen kunsttopographischen Abteilung des Institutes einverleiben konnte. Namentlich die Erwerbung des Nachlasses von weiland Hofrat Professor Johann Wist, der sich als langjähriger Denkmalpfleger von Untersteiermark mit besonderer Liebe gerade der gotischen Denkmäler angenommen hatte, ergab eine Fülle von Dokumenten von unschätzbarem Werte. Nicht minder kostbar war das diesbezügliche Material, das dem Institute durch die Schenkungen von Negativen aus den Nachlässen Paul Hauser und Wilhelm Sirach erfloß. Auf diese Weise ist aus einer, von dem Unterzeichneten ursprünglich als „Denkmalarchiv der Steiermark“ geplanten Abteilung im Laufe des letzten Jahrzehntes eine Forschungsstätte geworden, nicht nur für die Bearbeitung der Denkmäler der heutigen Steiermark, sondern auch für die der angrenzenden Gebiete der Nachbarländer bestimmt. Dabei wurde natürlich nicht versäumt, alle Vorkehrungen zu treffen, um jedem zukünftigen Bearbeiter irgendeines ehemals südsteirischen, nunmehr jugoslawischen Denkmales der Gotik sämtliche wie immer gearteten Unterlagen in möglichster Vollständigkeit zu bieten. Zu diesem Zwecke wurde die Handbibliothek nach dieser Richtung ergänzt, die nötigen bibliographischen Vorarbeiten besorgt und insbesondere ein alphabetisch-topographisch angeordnetes Ortsrepertorium angelegt, das in Verbindung mit dem bereits vorhandenen Zettelkatalog für steirische Künstler vor allem eine rasche Inangriffnahme und Verarbeitung jeglichen Problems ermöglichen soll. Wenn es sich für die nächste Zukunft wohl lediglich um bescheidene Lokalforschungen und dabei scheinbar nur um bedeutungslose Ergebnisse handeln wird, so vertieft doch jeder noch so geringfügig erscheinende Beitrag in letzter Linie unsere Kenntnisse von deutscher Kulturarbeit und deutschem Volkstum in den Grenzgebieten, denn alle jene südsteirischen Werke sind ja von deutschen Meistern und Steinmetzgesellen geschaffen worden. Hermann Egger TÜRKENNOT aie Türkennot der letzten Jahrzehnte des Mittelalters und der ersten Jahrhunderte der Neuzeit hat der Steiermark ihren Stempel aufgedrückt, denn nur wenige Ereignisse haben die geschichtliche Entwicklung des Landes so tief beeinflußt. Die schwerste Last trug aber das steirische Unterland, das durch die ostwärts gerichteten Täler der unteren Mur, Drau und Save den türkischen „Rennern und Brennern“ (berittene Brandstifter) als natürliches Einfallstor offenlag. , Nach dem Falle Konstantinopels (1453) breitete sich der Halbmond mit der dem Islam eigenen Schnelligkeit über die Balkanhalbinsel aus. Bald wehte der türkische Roßschweif auch in Ungarn. Nun wälzte sich die Woge gegen die südöstlichen Grenzmarken des Deutschen Reiches. Lähmendes Entsetzen eilte ihr voraus, demi die habsburgischen Erblande waren durch Teilungen, Kriege, Münzverschlechterung, Fehden, Aufstände, Mißwachs, Hunger und Pest zerrissen, verarmt und wehrlos. Was hatte der Kaiser, der nicht einmal im eigenen Hause Herr war, vom Reiche zu erwarten? Dieses lebte nur noch in seinen Territorien fort. Die alte Kaiserherrlichkeit war verblichen, die Reichsgewalt verfallen. Die Reichstage jener Zeit boten ein trauriges Bild der Zerklüftung und Schwäche. So waren die von den Türken bedrohten Gebiete „am Hofzaun des Deutschen Reiches“ in ihrer Not sich selbst überlassen. Das Jahr 1469 sah den türkischen „Sackmann“ (Plünderer) in Krain und Istrien. Das gleiche Los stand der Steiermark bevor. EinSchreiben des kaiserlichen Hauptmannes Christoph Ungnad in Cilli vom 11. Juni 1469 schildert die gefahrvolle Lage des steirischen Unterlandes: „. . . Unser allergnädigster Herr, der römische Kaiser, hat mir geschrieben und mich gewarnt, daß die Türken jetzt her nach Cilli kommen wollen . . . Ich bin von Gottes Gnaden hier mit Stadt und Burg darauf vorbereitet, aber das Vordringen kann ich ihnen nicht wehren . . ., darum habe ich hier alles bestellt und versorgt, auch mit dem Hauptmann in Krain besprochen, daß ich, so sie nun heraufziehen, hoffe, 500 bis 600 Mann aufzubieten . . ., wißt auch, daß ich die Stadt hier fast unvorbereitet gefunden habe. Ich habe auch keine Söldner hier und behelfe mir mit etlichen Landeskindern und Umwohnern. Ich will in allen Dingen meinen Fleiß tun und ein getreuer Diener sein.“ Zwar blieb in diesem Jahre die Steiermark noch verschont, doch schon 1471 brach der Türke ins Sanntal ein. Es war der erste Einfall in steirisches Gebiet, über den wir Sicheres wissen. Die kaiserlichen Hauptleute berichteten aus der Umgebung Cillis an den Reichstag zu Regensburg, den Türken seien im Sanntal 2 Mönchsklöster (wahrscheinlich Oberburg und die abseits gele- gene Kartause Gairach), 24 Pfarrkirchen, 5 Märkte und gegen 200 Dörfer zum Opfer gefallen, 5000 (?) Menschen seien verschleppt worden. Im Jahre 1472 kamen die Türken auf das Draufeld zwischen Marburg und Pettau. 1473 nahmen sie auf dem Rückzuge aus Kärnten ihren Weg über Cilli. Da die auf dem großen „Christentage“ zu Regensburg 1471 beschlossene Reichshilfe durch das „Hintersichbringen“ (Verschleppen) der Reichsstände nicht zustande kam (von den vereinbarten 10.000 Mann erschienen nur die kleinen Kriegerscharen Bayerns und Brandenburgs), säh sich Kaiser Friedrich III. gezwungen, die Mittel seiner Erblande rücksichtslos zur Türkenabwehr heranzuziehen. Nachdem schon 1470 ein Landtagsbeschluß jedem Untertan, vom Abt bis zum ärmsten Taglöhner, eine abgestufte „Kopfsteuer“ auferlegt hatte, wurde 1474 zu Marburg eine sogenannte „Wochensteuer“ beschlossen. Mit ihrem Ertrage wurden Söldner aufgenommen. Feldhauptmann der Steiermark ward Reinprecht von Reichenburg. Trotzdem wurde im folgenden Jahre das Draufeld wieder verheert. Als aber kaiserliche Truppen den äbziehenden Türken an der steirischen Grenze, beim Kaisersberg, den Weg verlegten, kam es zum Kampf, der die Blüte des innerösterreichischen Adels (aus Steiermark, Kärnten und Krain) dahinraffte. 1476 unternahmen die Renner und Brenner sogar zwei Raubzüge nach ! Untersteiermark. 1477 wurde das Draufeld, 1478 das Sänntal, 1479 durch zwei Einbrüche das Gebiet zwischen Mur und Drau und zwischen Peilenstein und Rann getroffen. Im Jahre 1480 erreichte die Türkengefahr in der Zeit Friedrichs III. ihren Höhepunkt. Im August durchzogen türkische Horden von Kärnten und Kroatien aus das ganze Land. Nicht nur die Ebenen und weiten Talungen mit ihrén einladenden Städten und Märkten, sondern auch bewohnte Höhen und steile Paßstraßen wurden damals heimgesucht. Selbst Graz schwebte in Gefahr, woran auch das „Gottsplagenbild“ auf der südlichen Außenseite des Domes erinnert. Drei Jahre später brandschatzten die Türken vierzehn Tage lang Steiermark Südlich der Drau, auch im Jahre 1493 wählten sie sich dieses Ziel. So wurde das Unterland fast Jahr für Jahr von den osmanischen Reiterhorden zerstampft. Sie erschienen und verschwanden wie der Wind. Brennende Wohnstätten und Kirchen, ausgeplünderte Vorratshäuser und Ströme von Blut bezeichneten ihren Weg. Sie trafen so sicher ein wie der Herbst, der ihnen die Ernte bot, wo andere gesät hatten. Sie töteten die Männer, schändeten die Weiber und raubten die Kinder. In ihren Spuren schritten Hungersnot und Pest. Weite Strecken der Steiermark wurden entvölkert, aber sie lagen nicht lange brach. Der gute Boden zog neue Siedler an. Der Menschenvorrat deš deutschen Mutterlandes war schon damals Unerschöpflich. So erfuhr das Vor 1500 verödete Dorf St. Marxen bei Pettau durch den Deutschen Orden eine neue deutsche Besiedlung. Wo aber Städte, Burgen, Kirchenkastelle und eine neue Art von Befestigungsbauten — die Täber — den Bauern des flachen Landes Unterschlupf boten, dort hielten diese stand und trotzten den Gefahren. Untersteier weist zahlreiche Verteidigungsanlagen aus jener Zeit auf, insbesondere in Marburg, Pettau und Cilli. Spuren ehemaliger Befestigungen zeigen ferner die Ruinen der Kartause Seitz und der Kirche Sachsenfeld bei Cilli, wenn auch ihre Anlage sich mit jener der Kirchenkastelle von Eisenerz, Feldbach und Fehring nicht messen kann. Allein diese und ähnliche Vorkehrungen waren nicht wirksam genug. Maximilian I., der im rJahre 1493 nach seinem energielosen Vater die Zügel der Regierung mit starker Hand ergriff, konnte zunächst nicht verhindern, daß die Türken 1494 wieder in Untersteier einfielen. In den folgenden 35 Jahren blieb die Steiermark von den Rennern und Brennern verschont. Doch war dies nicht so sehr ein Erfolg der Bemühungen Maximilians und seiner Enkel, Karls V. und Ferdinands L, sondern es wurde dadurch veranlaßt, daß sich der Schwerpunkt der osmanischen Machtentwicklung wieder einmal nach Asien verschob. Mit dem Jahre 1494 schließt die erste Periode der Türkeneinfälle in Steiermark. Im Jahre der ersten Belagerung Wiens durch die Ungläubigen (1529) berührte die Feindesflut nur den Nordrand Steiermarks. Hingegen brachte das Jahr 1532 schweres Leid über unser Land. Daher lebt dieser Einfall wie kein anderer in der heimischen Sage fort. Nach der vergeblichen Belagerung von Güns zog Sultan Suleiman I. über Gleisdorf gegen Graz, wandte sich aber, da ein Angriff auf die Stadt mißlang, gegen Marburg, das er Sogleich umschloß. Auch diese Bestürmung mußte er aufgeben. Dafür nahm er am ungeschützten Lande furchtbare Rache.- Die Umgebung Marburgs, die Hänge des Bachern und das weite Draufeld boten ein. grausiges Bild der Verwüstung. St. Peter, Gams, Schleinitz, Kötsch, Lembach, Feistritz u. a. sanken damals in Schutt und Asche. Die Volkssage gestaltete den Mißerfolg des Sultans vor Marburg zu einer Niederlage um: Als die Türken ins Land zogen, da warf jeder Reiter in einen der drei Bottiche, die sich zu Maria-Rast befanden, ein Geldstück. Diese wurden gegupft voll. An der Lörenzener Klause würden die Türken unter den schwersten Verlusten zurückgeworfen. Wie die wenigen Überlebenden in wilder Flucht zurückfluteten und jeder seine Münze wieder nahm, da fehlte nur ein Gupf von den drei Geldbottichen,Falles übrige fiel nun den wackeren Verteidigern als willkommene Beute zu. Dieser Zeit gehören vielleicht auch die sogenannten Türkengräber von Pivola und Kranichsfeld an. Erschien der Türke im Lande, dann flammten auf bestimmten Plätzen die „Kreidfeuer“ auf, erdröhnten Kanonenschüsse und ihr Schall vermischte sich mit dem Klang der Glocken. Um 1539 erscheinen als Kreideplätze des Unterlandes der Rohitscher Berg, Köble am Bachern, Grünberg, Plankenstein, Cilli, Pettau, Marburg u. a. Fünfzig Jahre später zählte man deren mehr als hundert im Lande (darunter auch den Schöckl bei Graz)! Die Steiermark war demnach mit einem Netz solcher Kreidfeuerstationen bedeckt. Waren die Leute auf ihrer Hut und war das Wetter günstig, so konnten die Ennstaler Edelleute zeitig nachmittags schon erfahren, daß der Türke zum Frühstück in Luttenberg angepocht hatte, und vermochten ihre Bauern aufzurufen, ohne Verzug mit Roß und Wehre ins Unterland abzurücken: Die Obersteirer nach Windisch- graz, die Mittelsteirer und Drauländer nach Marburg, die aus der Cillier Grafschaft nach Cilli. Zwei Kanonenschüsse mahnten den Familienvater, Frau und Kind in Sicherheit zu bringen, drei boten jeden zehnten, vier jeden fünften? fünf alle waffenfähigen Männer auf. Als im Jahre 1537 die Türkengefahr wieder drohte, wurden die Befestigungswerke von Pettau, Marburg und die Mauern zahlreicher Schlösser verstärkt. Solche Rüstungen und der Sold der Truppen verschlangen selbstverständlich riesige Summen, für die nach wie vor unsere Grenzmarken aufkommen mußten. So hatte nach dem Einfall vom Jahre 1562 der vornehmste geistliche Große, der Abt von Admont, 37 Reiter und 50 Büchsenschützen, das mächtigste Adelsgeschlecht, die Stubenberger, 52 Gewaffnete zu Pferde und 162 Schützen zu stellen. Der Landtag des Jahres 1564 bewilligte Leistungen von insgesamt 150.000 Gulden. Später leisteten die Grundherren die auf sie entfallenden Beträge und die Landschaft warb die Söldner. Schon unter Ferdinand I. setzte in der Steiermark die Tätigkeit ausländischer und heimischer Festüngsbaumeister ein, die nicht nur wertvolle Kriegsbollwerke gegen die Türken, sondern auch friedliche Kunstmale von unermeßlichem Werte schufen. Außer Graz und Radkersburg wurden auch Marburg, Pettau, Rann u. a., ja selbst Kreuz und Kopreinitz in Kroatien zu starken Festungen ausgebaut. Durch den Regierungsantritt Karls II. wurde Graz nicht nur Residenz, sondern zugleich auch politischer, militärischer und geistiger Mittelpunkt Innerösterreichs und erreichte seine höchste Blüte. Mit der Führung fiel aber der Steiermark auch die Hauptlast der Türkenabwehr zu. Das Land trug am meisten zur Erhaltung der Militärgrenze bei. Das war damals der Teil Kroatiens und Westungarns, der noch nicht von den Türken erobert worden war. Er wurde stark befestigt und hier spielten sich die größten Kämpfe ab. Doch die Opfer wurden nicht vergeblich gebracht und gereichten unserem Unterlande zum Segen. Auch Karl II. richtete sein Augenmerk auf die Militärgrenze, zu der sein Vater (Ferdinand I.) den Grund gelegt hatte. So entstand ein Wall von Menschen und Material, an dem sich fortan die türkische Woge fast immer brach. Schon seit dem 15. Jahrhundert ließen sich Kroaten und Serben, die sich vor den Türken geflüchtet hatten, auf dem linken Ufer der Save nieder, wo sie unter der Bedingung der Landesverteidigung Steuerfreiheit und andere Vorrechte erhielten. In der Steiermark erfolgten solche Ansiedlungen in größerem Maße um die Mitte des 16. Jahrhunderts (Uskokenansiedlungen), so zu Wernsee an der Mur, auf dem Aichhofe zu Pettau, in Skoggen und Rognis (Ragosa) bei Kranichsfeld und zu Kötsch am Bachern. Zahlreiche Niederlassungen dieser Art dürften sich unserer Kenntnis entziehen. War dies nun eine Schädigung des deutschen Elementes im Unterlande, so darf man nicht übersehen, daß dieses anderseits durch deutsche Krieger fortwährend eine Stärkung erfuhr, die deutsches Wesen tief nach Kroatien hineintrugen. Manches deutet darauf hin, daß sich auch türkische Gefangene und Überläufer in Untersteier niederließen. Einzelne anscheinend mongolische Typen und das Auftreten zahlreicher Familien- namen, die dem Türkischen entlehnt sein dürften, wie Oman, Šalamun, Sagadin, Murat, Hasenmali, Mustafa, Turk u. a. sprechen wenigstens dafür. Die Militärgrenze zog als kroatische Grenze von Fiume über Zengg, Ottochacz, Dreznik, Czetin, Sluin, Wihitsch, Ogulin, Modrusch, Gora, Chresto-witz an die Save und von dieser als windische über Warasdin, St. Georgen Kreuz, Ivanich, Ludbreg und Kopreinitz an die Drau. Die erstere schützte insbesondere Krain, die letztere Steiermark. Nördlich der Drau war die Murinsel für die Verteidigung von großer Bedeutung. In Rann, Pettau, Marburg, Cilli und andernorts war Kriegsmaterial in großer Menge aufgestapelt. Zum Bau der Grenzfestung Karlstadt an der Kulpa (nach Karl II.) 1578 trug Steiermark 200.000 Gulden bei (Kärnten und Krain zusammen nur 150.000), 1580 beliefen sich die Kosten der Grenzverteidigung für unser Land auf 200.000 Gulden, in den folgenden Jahren waren sie nicht viel niedriger. Auch Karls Nachfolger, Ferdinand II., wandte seine Obsorge der Türkenabwehr zu. Kaiser Rudolf H. übertrug ihm 1597 das Generalat der Militärgrenze, das schon Karl II. bekleidet hatte. Der Einbruch einer kleinen Türkenschar 1600 in die Gegend von Mureck war ohne Bedeutung, gefährlicher wurde 1602 der Verlust der Festung Kanischa (Westungarn), die einen Teil der Steiermark gedeckt hatte. Dies zeigte sich gleich im folgenden Jahre: ohne ernstlichen Widerstand drangen die Renner und Brenner bis Mureck, Pettau und Radkersburg vor. Im Sommer und Herbst 1605 suchten sie zusammen mit den ungarischen Heiducken Ost- und Südsteiermark heim. Zahlreiche gleichzeitige Berichte spiegeln den Jammer, den die Menschenräuber über das Land brachten. Im kleinen Dorfe Wernsee allein raubten sie 28,Personen: „Jury Kanzian ist sein Weib sammt einem Knaben, 12 Jahre alt, entführt; Philippen Werzko seind drei Kinder entführt; Michael Simonitsch ist hinweggeführt; Martin Werzko ist sein Weib, die schwanger, sammt den Sohn entführt worden ; Benedict Morsehanitsch ist sein Tochter, seines Sohnes Weib, jede mit einem Kind und beede schwanger, entführt“ usw. Der Friede von Sitvatorok (1606), in dem die Pforte Österreich endlich als gleichberechtigt anerkannte, brachte der Steiermark zwar ruhigere, aber nicht friedliche Zeiten, denn die Rüstungen wurden trotzdem fortgesetzt und beliefen sich 1611 auf 555.747 Gulden; die Steiermark hatte die Hälfte zu tragen. Im Jahre 1640 fiel der Sackmann um die Weinlesezeit nach einer mehr als dreißigjährigen Pause wieder in Steiermark ein, drang bis Luttenberg und Radkersburg vor und gefährdete die Ernte im fruchtbarsten Teile des Landes. 1664 und 1677 berührten die Türken seine Ostgrenze. Auf dem Marburger Landtage von 1677 übernahmen die Steirer zu ihren ohnehin drückenden Lasten auch noch die Erhaltung der Festung Petrinia. Drei Jahrzehnte früher war das Grazer Zeughaus entstanden. Genau wie zurZeit der Türkennot steht es heute noch da, ein Wahrzeichen steirischen Bergsegens, heimischer Kraft und Kunst: „Vier drückend düstere, lange Säle übereinander und. in jedem die endlosen Reihen der Rüststücke : eines wie das andere. Küraß neben Küraß, Kara- biner an Karabiner, Musketenreihen, dicht wie Baumschulen, und Schwerter, Schwerter, Schwerter. Dreißigtausend alte Zeugstücke funkeln dort in düsterem Grau und erzählen, was die Steiermark für den Westen tat“ (Bartsch). Im Jahre der zweiten Belagerung Wiens durch die Türken (1683) kam unser Land mit dem bloßen Schrecken davon. Von den Feinden sah man hier anscheinend nur einen Gefangenen, der im November in Radkersburg frei umherging, dann nach Graz geschafft wurde und dadurch zu einem eifrigen Schriftenwechsel zwischen Regierung, Landschaft und dem Kommandanten von Radkersburg Anlaß gab, welcher der heiteren Seite nicht entbehrt. Aus seiner Klosterzelle zu St. Anna in Graz sandte aber um diese Zeit der berühmte Augustinerprediger Abraham a Santa Clara seinen Türkenruf „Auf, auf, ihr Christen“ in die Welt. Der Kampf um Wien war das letzte Aufflackern des osmanischen Dranges nach dem Westen. Allein nicht vor Wien, sondern schon vorher, in dem jahrhundertelangen Ringen an der Südostecke Steiermarks, hatte sich die türkische Kraft erschöpft. Anton Adalbert Klein (Graz) Judenturm in Marburg SÜDSTEIRISCHE BURGEN UND SCHLÖSSER Qo wie der Wanderer im reindeutschen Gebiet Obersteiermarks auf Schritt O und Tritt ganz undeutsch klingende Orts-, Berg- und Flurnamen antrifft, so findet er im slowenischen Teil der Steiermark eine sehr große Zahl von rein deutschen Ortsnamen, die meist schon durch ihre Zusammensetzung mit Stein, Berg, Burg u. ä. auf die einstige, ursprüngliche Form der Siedlung als befestigte Ritter-oder Herrensitze hinweisen. Daß diese Festen deutsche Gründungen sind, wenn sie auch mitten im slawischen Gebiete liegen, beweisen nicht nur ihre uralten rein deutschen Namen, wie Hörberg, Drachenburg, Lichtenwald, Gutenegg u. v. a., sondern auch die in den Urkunden vorkommenden Ritternamen, wie Ortolf, Udischalk, Haug (Hugo), Dietmar, Herand usw. Auch die slawischen Namen mancher dieser Burgen, wie Gonobitz, Tüffer, Rohitsch zeugen nicht dafür, daß sie Sitze slawischer Herren waren, denn auch bei diesen Geschlechtern sind solche rein deutsche Vornamen weitaus vorherrschend. Da diese letzteren Burgen stets in der nächsten Nachbarschaft alter gleichnamiger Siedlungen liegen, sind sie wahrscheinlich erst, nachdem der Ort sich schon entwickelt hatte, zu seinem Schutze auf dem nächsten Berge erbaut worden und wurden später gleich wie der Ort benannt, während die anderen — mit rein deutschen Namen ttgewöhnlich mitten in einem oft durch lange Zeit unbewohnten Gebiete auf freier Anhöhe entstanden sind und ihren ersten, von den Erbauern gewählten Namen behalten haben. Wann die Burgen aufgerichtet wurden, läßt sich fast niemals genau feststellen; ja, es ist nicht einmal sicher, daß die die Burg erbauten, die in den Urkunden zuerst genannt werden, denn es ist oft nur einem Zufall zu danken, daß uns in einer Urkunde der Name des einen oder andern Burginhabers überliefert wird, wenn er eben gerade als Zeuge anwesend war oder wenn die Urkunde zufällig ihn selbst betraf. Ebensowenig sind uns genaue Beschreibungen der alten Burgen überliefert und wir müssen nach den erhalten gebliebenen Resten oder sonstigen Quellenangaben annehmen, daß die Burgen gewöhnlich ganz einfache, mit einer Wehrmauer geschützte, aus Stein gefügte Häuser waren, die auf beherrschender Höhe angelegt, oft ziemlich schwer zugänglich waren. Die dort hausenden Herren, meist Ministerialen eines mächtigeren Lehensherrn, lebten gewöhnlich sehr bescheiden und einsam und herrschten mit harter Faust über die ihnen unterstellten Hörigen und Zinsbauern, lagen gelegentlich auch mit ihren Nachbarn in blutiger Fehde und suchten dabei die Burg des Gegners zu gewinnen oder zu zerstören. In dieser rauhen Zeit konnte die zarte Blüte des Minnesanges nicht gut gedeihen. Wohl wissen wir, daß auch in unserem Unterlande einzelne Sänger gelebt haben, aber die Unruhe der herrscherlosen Zeit nach dem Aussterben der Babenberger war nicht geschaffen für Minnefahrten und fröhlichen Sang. Viele Burgen gehörten zum Besitz der Kirche und gerade die ältesten erscheinen als Lehenssitze des Salzburger Erzbistums; auch das später gegründete Bistum Gurk hatte gerade in Südsteier viele Festen, ebenso das Patriarchat Aquileja, das in den alten Urkunden stets in der deutschen Bezeichnung Aglay genannt wird. Außer den vielen Burgen, die heute noch erhalten oder als Ruinen zu erkennen sind, gab es auch noch einige Burgen, deren Namen wir zwar in den Urkunden finden, von denen jedoch heute buchstäblich kein Stein mehr zu finden ist, und dort, wo einst blühendes Leben, emsiges Treiben, fröhlicher Becherklang und lustiges Jagen herrschte, liegt tiefes Schweigen über dichter Waldwildnis. Wenn wir auch über die Erbauungszeit meist im ungewissen sind, so können wir doch aus den erhaltenen Überlieferungen ersehen, daß neue Burgen nur bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts erbaut wurden. Mit der Besitzergreifung des Landes durch die Habsburger hört der Burgenbau auch bei uns auf. Erst viel später, am Beginn der Neuzeit, kann man eine neuerliche Bautätigkeit erkennen. Neue, bisher unbekannte Geschlechter kommen empor und mehrmals sehen wir, daß an Stelle der meist nicht mehr genügenden alten Burgen größere Gutshöfe zu neuen Schlössern ausgebaut werden; meist werden diese Schlösser nicht mehr so abseits auf steiler Bergeshöhe angelegt, sondern entweder an eine schon bestehende Siedlung angelehnt oder am Fuße der früheren Burg erbaut, die von da an gewöhnlich dem Verfalle preisgegeben wird. Die meisten der noch heute erhaltenen und bewohnbaren Burgen und Schlösser haben nach den schweren Zeiten der Türkeneinfälle während der Renaissance- und späteren Barockzeit eine mehr oder weniger gründliche Umgestaltung erfahren je nach der Kunstliebe und dem Wohlstände des Besitzers. Und wenn wir auch in Südsteiermark keine weitberühmten, prunkvollen Herrschaftssitze finden, so zeigt uns doch das berühmte Vischersche Schlösserbuch vom Jahre 1681 gerade unter den Schlössern unseres Gebietes eine Anzahl prächtiger Herrensitze, die damals gewiß sehr stattlich waren und den Mittelpunkt reichen, üppigen Herrschaftslebens gébildet haben. Ganz merkwürdig ist die Verteilung der Burgen und Schlösser in den einzelnen Teilen der Südsteiermark. Je weiter wir nach Süden kommen, desto zahlreicher werden sie und sind am dichtesten in der Umgebung des Cillier Beckens, wo ein förmlicher Kranz von solchen alten Edelsitzen sich rings um das Gebiet der Sann hinzieht. ^ * Im Gebiet der Windischen Büheln gibt es sehr wenige Schlösser. Nur an zwei Stellen sind alte Herrensitze zu finden, die auch auf ein hohes Alter zurückblicken. Scharf fällt der Burgberg von Oberradkersburg zur Mur ab, die hier den Bergsporn umspült. Der Name der Burg erscheint zum erstenmal im Jahre 1269 und von da an in einer Reihe von Urkunden fast immer schon in der jetzt üblichen Namensform. Wer diese stolze Feste erbaut hat, läßt sich nicht erweisen, vielleicht waren es die Herren von Rukkerspurch, die Ministerialen der Traungauer, die bis zu ihrem Aussterben in der Mitte des 14. Jahrhunderts im Besitze der Burg waren. Dann wurde sie landesfürstliches Lehen und von da an wechselten die Besitzer wiederholt. Eine Zeitlang besaßen das Haus Stubenberg und später die Familie des Fürsten Eggenberg die Burgherrschaft und seit 1789 gehört der schöne Besitz den Grafen Wurmbrand-Stuppach. Vom alten Schlosse, das viele Stürme der Türken und Ungarn mitgemacht hat, sind nur noch einzelne Überreste der Wälle und Befestigungen erhalten. An Stelle der alten Burg steht jetzt ein geräumiges, zweistöckiges Schloßgebäude, dessen stolzer Turm weit in die Lande hinausragt. * o. * Die zweite alte Burg, die über das Murtal hinweg die Wacht hält, ist Oberluttenberg, von der nur noch kümmerliche Reste erhalten sind, denn das alte Gebäude wurde durch Feuer zerstört und die Ruine dem Verfalle preisgegeben, bis im Jahre 1859 die letzten Reste abgetragen wurden und an ihrer Stelle ein neues Herrenhaus erbaut wurde. Wohl kennen wir ein altes Rittergeschlecht der Herren von Luetenperch, doch ist kaum anzunehmen, daß die die Burg erbaut haben. Zwei Brüder, Albert und Otto, werden in einer Urkunde des Jahres 1274 genannt; seit dem Tode Hermanns, des letzten seines Stammes (1372), waren zuerst kaiserliche Pfleger im Besitze der Herrschaft, dann vererbte sie sich in verschiedenen Familien, von denen die Bärenecker, Lamberg, Rindscheit genannt sein mögen. * * Sonst sind die Windischen Büheln, dieses herrliche Rebenland mit seinen vielen Winzerhäusern und Bauerngehöften, arm an Schlössern. Am Rande der Hügel gegen die Murebene sind nur noch das kleine Schlößchen Steinhof inmitten eines größeren Parkes, westlich von Radkersburg das Schloß Ober-Mur eck, das besonders in der Zeit des südslawischen Einbruches für Mureck und das ganze linke Murufer von den Südslawen als militärischer Stützpunkt benützt wurde, und Schloß Mallegg zu nennen. Einst stand hier ein alter Schutzturm, der gleich den beiden zuerst genannten Festen ein Glied in der Sicherungskette des dahinterliegenden Hügellandes gegen die Einfälle der Türken und Kuruzzen gebildet hat; er wurde erst im 18. Jahrhundert abgerissen und an seiner Stelle das große neue Schloßgebäude aufgerichtet. Auch von dieser Schutzfeste nennt sich ein Herrengeschlecht: die Mallegger, aber von ihnen ist nur sehr wenig bekannt. * * * In der Ebene liegt das aus dem 18. Jahrhundert stammende Schloß Lukafzen, das nach dem benachbarten alten Dorfe benannt ist. Es war früher ein großes Jagdhaus und wurde erst später zu einem Schlosse ausgebaut. * * * Etwas abseits vom Stainztale liegt auf einem gegen Westen steil abfallenden Hügel das alte Schloß Negg au in einem Hügelmeer von Weinbergen, die vom wiesenreichen Stainztal unterbrochen werden. Während der Name des Dorfes schon im Rationarium Styriae vorkommt, erscheint urkundlich die vest Negaw erst 1425. Das berühmte Geschlecht der Herren von Trautmannsdorff hat das Schloß mit mächtigen Mauern und einem gewaltigen Rundturm versehen und sein Wappen samt der Jahreszahl 1615 über dem Eingangstore anbringen lassen. Das Schloß hat schwere Zeiten mitgemacht und mußte wiederholt feindlichen Anstürmen trotzen; eine türkische Kanonenkugel in der Mauer ist der stumme Zeuge dieser bewegten Tage. Einst barg die Rüstkammer eine große Menge von Waffen aller Art, und manche von ihnen zeigte Kugelspuren und Hiebnarben. Heute ist diese interessante Sammlung in alle Winde zerstreut und die Gegend um eine bedèutende geschichtliche Erinnerung ärmer. # ^ * In der Nähe des Radkersburger Friedhofes liegen hart an der Pettauer Straße die letzten Reste der kleinen Feste Schachenthurn, die als Lehen der Herzoge von Österreich wiederholt den Besitzer wechselte. Heute kennt man dort diesen Namen nicht mehr; er ist im Laufe der Zeit gänzlich vergessen worden. ^ # * In herrlicher Lage schaut von einem mäßig hohen Hügel das efeu-umrankte alte Schloß G.utenhaag ins breite Pößnitztal. Es enthält die stattliche Anzahl von 64 wohnlich eingerichteten Zimmern und war früher fast von allen Seiten durch Teiche geschützt. Schon seit jeher war es mit seinen zwei runden Ecktürmen ein ansehnlicher, weitläufiger und vielteiliger Bau, wie es uns Yischer in seinem Schlösserbuch zeigt; nicht nur „die von Moheregg komenten“ sehen das Schloß als ein durch Terrassen, Mauern mit Schießscharten und Ecktürmen geschütztes Gebäude, sondern Yischer zeigt es uns auch, wie es „denen von Grätz Khomenden ins gesicht khombt“. Über alle Gebäude ragt der alte, viereckige Bergfried mit seinem einfachen Satteldach empor. Seine Erbauungszeit läßt sich, wie gewöhnlich bei alten Burgen, nicht feststellen. Es gehört schon zu den ältesten Burgen, denn schon im Rationarium Styriae vom Jahre 1265 wird es als Gvtenhage erwähnt, und die jetzt in einen Stall umgewandelte Kapelle, früher dem hl. Oswald geweiht, wird ebenfalls schon 1388 erwähnt. Durch Jahrhunderte war die Feste im Besitze des berühmten steirischen Geschlechtes der Herren von Herberstein, die auch hier die Gerichtsherren waren und einen Bezirk mit 44 Gemeinden verwalteten. Im Schloßarchive gab es eine große Zahl von Gerichtsakten über viele dort verhandelte Hexenprozesse, bei denen gar viele der unschuldigen Geschöpfe dem Wahne und Aberglauben der Zeit zum Opfer gefallen sind. * Das ganze übrige Gebiet der Windischen Büheln mit seiner unübersehbaren Menge von Hügelkämmen und Gräben ist merkwürdigerweise ganz schlösserleer, obwohl es sehr dicht besiedelt ist; das muß um so mehr auffallen, weil dann weiter im Süden die alten Burgen und Schlösser so zahlreich werden. Erst wenn wir ins Drautal gelangen, finden wir wieder eine ganze Reihe dieser alten Edelsitze. Fast alle der alten Burgen sind heute nur noch spärliche Trümmerhaufen, von manchen ist überhaupt nichts mehr erhalten geblieben, und nur die Geschichtsquellen und manchmal auch der Yolksmund wissen davon zu erzählen.1 * •P H» Wir beginnen unsere Wanderung dort, wo die Drau unser Land betritt, und kommen bald in eine freundliche Talweitung. Am rechten Ufer der Drau stand auf steiler Berghöhe die alte Ritterburg der Herren von Seidenhofen, von der jedoch nur noch ganz wenige Steintrümmer erhalten sind. Vom Jahre 1359 lesen wir von der „vest Saeldenhouen und dem turn der darob leyt“, doch schon mehr als hundert Jahre früher hat ein Cholo aus dem Edelgeschlèchte der Herren von Truchsen die Feste erbaut und sich und seine Nachkommen nach dieser Burg benannt. Eine ganze Reihe hochangesehener Herren hat in den folgenden Zeiten hier gehaust; erst mit Sophie, der Nonne im Mahrenberger Frauenstift, erlosch im Jahre 1432 das berühmte Geschlecht. Aber schon viel früher war um den reichen Besitz dieses Hauses hart gestritten worden, bis ihn schließlich die allgewaltigen Herren von Untersteiermark, die Grafen von Cilli, erwarben. * * * Fast gerade gegenüber auf dem andern Ufer der Drau stand die alte Mauthenburg, ebenfalls schon im Rationarium als Muetenberch erwähnt. Ihre Trümmer erhoben sich über dem Talbecken fast auf der Spitze des „Alten Graschin“. Am Ausgange des Marktes „bei der hohen Mauth“ wurde bald ein Schloß gebaut, das später den Namen Kienhofen führte. Es war seit alter Zeit ein landesfürstliches Lehen. Als am Anfang des Jahres 1302 der Besitzer von Wildhaus sich widerrechtlich des Schlosses bemächtigt hatte, begann darob eine gewaltige Fehde. Herzog Rudolf von Österreich selbst wollte den Sturm auf die Burg leiten; von allen benachbarten Burgen war der Heerbann auf- geboten worden. Erst der großen Übermacht ergab sich Heinrich von Wildhaus, nachdem seine Verwandten die Vermittlung mit dem Herzoge herbeigeführt hatten. Auch diese Herrschaft gewannen sich die Cillier; nach deren Aussterben wurde es als kaiserlicher Besitz von bestellten Pflegern verwaltet. Gar bald jedoch scheint der Verfall eingetreten zu sein, denn schon 1510 wird die Burg als zerfallen bezeichnet. * * * Die nächste Talweitung beherrschte die Feste Mahrenberg, die sich auf steilem Bergkegel dort erhoben hat, wo der vom Radel herabkommende, viel benützte Saumpfad ins Tal herabsteigt. Auch sie gehört zu den ältesten Burgen unseres Gebietes, denn schon 1251 spricht eine Urkunde vom „castrum Merenberch“, während sie in einer ungarischen Urkunde vom Jahre 1259 Marnin-berg heißt. Das ganze Mittelalter hindurch führte sie den Namen Mernberg und erst in neuerer Zeit hat sich der Name in den heute üblichen verändert. Von dieser Burg, dessen Besitzer in der Geschichte des Landes eine bedeutende Rolle gespielt haben — man denke nur an Seyfried von Mahrenberg, den Widersacher König Ottokars —, sind nur noch einige Mauertrümmer vorhanden, weil sie durch Jahrhunderte von den umwohnenden Besitzern als Fundstelle für brauchbare Bausteine benützt wurde. Die Reste lassen aber auch jetzt noch erkennen, daß die Burg nicht allzu groß gewesen sein muß, weil ja auch der Platz hiezu nicht ausgereicht hätte. Das jetzige Schloß am Westausgange des langgestreckten Marktes ist neueren Ursprunges. * * * Erst dort, wo die Drau aus dem vielgewundenen Engtal wieder heraustritt und in raschem Fließen über entgegenstehende Felsen hinweggleitet, wurde, ebenfalls schon im 13. Jahrhundert, die Feste Valle, das heutige Fa al, erbaut (1265 zum erstenmal genannt). Die Besitzer dieser Burg, die Herren von der Fall oder die Gfaller (auch öfter Gfeller genannt), beherrschten die Überfuhr über die Drau und den Weg über den Jodl nach St. Lorenzen. Da die Schiffer die Schnellen des Flusses nicht gern passieren wollten, wurden hier meist die Waren ausgeladen, um erst dann nach Überwindung der Stromschnellen wieder eingeladen zu werden. Natürlich ging das nicht ohne gehörige Abgabenleistung vor sich und der Schloßherr zog daraus reichen Gewinn. Die Faaler Herren haben sich auch ihren Wohnsitz behaglich eingerichtet. In einer harten Fehde wurde das Schloß samt Überfuhr und Klause durch Otto von Pergauer zerstört und erst viel später in viel bescheidenerem Umfange wieder aufgebaut. Aus dem Schloßurbar des Jahres 1638 erfahren wir seine Wohnräume: „Es holt in sich drey schöne Stubn, drey grosse Khämer, ein Saal, zween Kheeler gewölbte, Khuchel, Khuchelgewölb, gesinnt Stuben und dann ein ziemblich große Capell zu St. Niklas.“ Von 1550 an war es Besitz des Klosters St. Paul. Als die Türken ins Land kamen, wurden hier Befestigungen angelegt, die zum Teile heute noch in den „Türkenmauern“ erhalten sind und Anlaß zu zahlreichen Sagen gegeben haben. * * * Weiter flußabwärts liegt hart an der Straße in einem wohlgepflegten Park das neu umgebaute Schloß Wildhaus, von dessen ältester Anlage heute kaum noch Spuren vorhanden sind. Einst war es der Stammsitz des mächtigen Geschlechtes der Herren von Wilthousen — so die älteste Namensform aus dem Jahre 1190 —, die außerdem noch zeitweise die Herrschaft Eibiswald und Gonobitz besaßen und ein sehr fehdelustiges Geschlecht waren. Die letzte des Schloß Wurmberg bei Petiau Stammes, Margarete, vererbte den Besitz im Jahre 1446 an die Rogendorfer. In den folgenden Jahrhunderten ging die Burg durch eine Feuersbrunst und allgemeine Baufälligkeit zugrunde, denn später erscheint sie nur noch als Ruine. Vischer zeigt uns in dem schon öfter erwähnten Schlösserbuch das neue Schloß, das 1625 Sigmund von Herberstein erbauen ließ, als ein einfaches, schmales, zweistöckiges Gebäude, das von einer weitläufigen Ruine überragt wird, von der nur noch der alte Bergfried steht. Die heutige Form erhielt das Schloß erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Es war auch einige Zeit hindurch Besitz des großen Gelehrten Carneri, eines der bedeutendsten Männer der Untersteiermark. Mm ^ * Vom alten Schlosse Lembach gehen wohl verschiedene sagenhafte Erzählungen, aber das Schloß selbst, das schon im Jahre 1257 genannt wird, hat sich nicht erhalten. Es war auch immer nur ein ganz einfacher, unbedeutender Bau, der im Laufe der Zeit durch zahlreiche Hände ging; dabei wurden die Grundstücke immer mehr zerteilt und schließlich wurde aus dem Herrschaftsbesitz ein einfacher Bauernhof. | Am Fuße des mächtigen Bachernstockes liegt, ganz eingehüllt in dichten Obstgärten, das kleine Schlößlein Rothwein, dessen zinnengekröntes Türmchen ganz bescheiden über die mächtigen Baumkronen hervorlugt. Es ist eine ganz junge Schöpfung. Wohl finden wir schon 1530 einen Sigmund Grafen von Gaisruck als Besitzer des Gutes, aber erst im 18. Jahrhundert erscheint es als herrschaftlicher Besitz mit einem Bezirk von sechs Gemeinden, zu denen das gleichnamige Dorf, schon im 11. Jahrhundert als Radwina genannt, gehört. * * Nicht weit vom vorher genannten Schlosse entfernt hegt, ebenfalls am Bachernfuß, aber schon ganz in der Ebene, von mächtigen Eichen- und Kastanienhainen umgeben, der jetzige Sommersitz des Marburger Bischofs, das Schloß Win den au, ein geschichtlich außerordentlich interessanter Ort, der eine Zeitlang in der Geschichte dieses Gebietes eine sehr wichtige Rolle spielte. Im Mittelalter hören wir wohl des öfteren von einem Dorfe gleichen Namens — 1319 finden wir die erste Nachricht darüber , aber das Schloß wird erst viel später genannt; es war früher mit der Herrschaft Marburg vereinigt und hatte verschiedene Besitzer; so die Herren von Winden, Grafen von Rosenberg, Herberstein, Khiesel u. a. Hier errichteten die Herren von Herberstein für die protestantischen Bürger von Marburg eine evangelische Kirche samt Schule, Friedhof und Pfarrhaus. Gar viele Festlichkeiten und Andachten wurden hier abgehalten, manch prunkvoller Hochzeitszug bewegte sich von der Stadt heraus zu diesen schönen Eichenhain und auch oft wurde ein Heimgegangener in dem schönen Waldfriedhof zur letzten Ruhe gelegt. Doch nicht lange sollte die kirchliche Stätte erhalten bleiben, im Jahre 1600 wurden durch die landes-fürStliche Gegenreformationskommission Kirche, Schulhaus, Pfarrhof und sogar der Gottesacker durch Pulver zerstört, die Prediger davongejagt, die Gräber geschändet und die Anlagen verwüstet. Erst darauf wurde das Schloß in seiner heutigen Form aufgebaut und besteht aus einem Hauptteil, der auf beiden Enden Seitenflügel hat, die im Hintergrund durch Wirtschaftsgebäude abgeschlossen werden. Später kam die Herrschaft in den Besitz des Bistums Lavant und wird jetzt als Wirtschaftshof geführt. Das Schloß selbst wird wenig gepflegt und macht den Eindruck trauriger Vernachlässigung. Der Wald vor dem Schlosse ist den Marburgern ein lieber Ausflugsort geworden und im Sommer erschallt er häufig vom hellen Singen und Rufen der Kinder, die hier eine unerschöpfliche Quelle neuer Lebensfreuden finden, ohne zu ahnen, welch schwere Tage unruhigen Geschehens sich auf diesem Boden einst abspielten. - * * Wir verlassen den Bachernrand und wandern über die Drau in die größte Stadt des Unterlandes. Da nachweislich die Gründung dieser Stadt „auf grünem Wasen“ erfolgte, also eine planmäßige war, kann auch der Name nur vom Namen der ältesten Ansiedlung, der Markburg oder, wie sie später genannt wurde, Obermarburg hergeleitet werden. Das Maribor der Slowenen ist nichts anderes als eine willkürliche Slawisierung des kerndeutschen Namens. Schon um die Wende des 11. Jahrhunderts erscheinen Jonus und Hartwig von Marburg als Salzburger Ministerialen und 1188 nennt das Admonter Saalbuch: Marchburch oppidum inferius et superius (die obere und untere Stadt Marburg), wobei unter superius wohl nur die Feste Obermarburg gemeint sein konnte, so daß man sagen kann, daß die Burg schon im 11. Jahrhundert als Herrschaftssitz bestand. Diese alte Burgsiedlung auf dem Gipfel des die Stadt beherrschenden Pyramidenberges war der Mittelpunkt des ausgedehnten Eigengutes des Grafen Bernhard von Sponheim, der es vor seiner Abreise ins Heilige Land durch letzten Willen seinem Verwandten Ottokar, dem Traungauer, vermachte. Von dieser alten Burg gibt es heute keine Ruine mehr, aber die alten Nachrichten weisen uns dorthin, wo heute noch gelegentlich einzelne Mauerstücke und Ziegeltrümmer aus dem Boden hervortreten. Jetzt krönt die Spitze des Burgberges eine weithin i sichtbare Kapelle. * i * Die Nordostecke der Altstadt Marburgs nimmt die Burg ein, die noch heute einen sehr stattlichen Eindruck macht, obwohl allerlei Verkaufsläden, Schenken und ganz besonders schreiende, höchst geschmacklose Ankündigungsund Reklametafeln das architektonische Bild auf das widerlichste verunstalten. Gewinnsucht, Geschmacklosigkeit und Untätigkeit der Behörden haben dahingeführt, daß das weitaus interessanteste Gebäude der Stadt dem sicheren Verfall anheimgegeben ist; gewiß nicht zur höheren Ehre der Bürger dieser reichen Stadt. * * ❖ Schon von Marburg aus sieht man manchmal bei Sonnenuntergang das Blinken der Fenster des einige Stunden drauabwärts liegenden alten Wurmberg, das auf einem hohen, knapp über dem rasch dahinschießenden Drau-strom sich erhebenden Berge weithin das blühende Land zu seinen Füßen überschaut. Uralte Sagen von einem Lindwurm und vom Grafen Krstnik erzählt sich das slowenische Landvolk, doch auch die Deutschen bringen den Namen des Schlosses mit der Erlegung eines gewaltigen Drachen in Verbindung und lassen einen Ritter namens Popo den Gründer sein. Urkundlich erscheint der Name der Feste Wuermwerg erst im Jahre 1244. Da kein anderer Name zu finden ist und auch dieser Name von diesem Zeitpunkte an immer vorkommt, kann wohl mit Sicherheit angenommen werden, daß auch diese Burg, wie fast alle in unserem Lande, eine deutsche Gründung war. Damals war ihr Besitzer Amblreich von Stubenberg; er gab sie uni 130 Mark Silber an Swiker von Hollenburg in Kärnten. Später hat sie schwere Zeiten mitgemacht; 1267 wurde sie vom Böhmenkönig Ottokar zerstört, was der steirische Reimchronist mit folgenden Worten berichtet: „dacz Wurmberich fült er den graben mit den Purckh mawern“. Erst als nach Ottokar Rudolf von Habsburg Herrscher wurde, erhielten auch die Pettauer, die damaligen Besitzer von Wurmberg, ihr zerstörtes Schloß wieder zurück. Friedrich III. von Pettau erbaute dann die neue Burg, die zum Teil heute noch steht. Auch die Türken haben ihr arg mitgespielt und zahlreiche Spuren der harten Kämpfe kann man an Mauern und Toren noch heute sehen. Das ganze altersgraue Schloß ist aus mehreren Gebäuden zusammengewachsen, die aus verschiedenen Zeiten stammen. Der große Wartturm und der südliche Flügel wurden wahrscheinlich von den Stubenbergern im 15. Jahrhundert erbaut ; der südwestliche und die Mitte aber erst am Ende des 17. Jahrhunderts. Im Vorbau sind wie als Hüter des Schlosses zwei große Kanonen und zwei Feldschlangen aufgestellt, die aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts stammen und daher wohl zu den ältesten Geschützen des Landes gehören dürften. Leider sind sie vollständig eingemauert und so allen Witterungsunbilden ausgesetzt. Hier soll auch die unglückliche Veronika von Dessenitz von ihrem Gatten vor dem Wüten seines Vaters verborgen gehalten worden sein. Gar viele Festlichkeiten sind in den weiten Räumen abgehalten worden und manche Geschlechter sind nacheinander die Herren dieser wichtigen Burg gewesen; immer blieb sie ein wichtiger Mittelpunkt einer weit, ausgedehnten Herrschaft, bis auch hier wie überall die Umgestaltungen des Sturmjahres 1848 den herrschaftlichen Patrimonialgerichten ein Ende gemacht haben. * * * Wenige Kilometer flußabwärts liegt, wenn auch nicht so steil über dem breiten Strome das alte Oberpettau.1 Am Rande der Drauauen, etwa eine Viertelstunde von Pettau entfernt, liegt inmitten eines prächtigen Parkes das von dem Feldmarschall Grafen Johann von Thurn erbaute Schloß Thurnisch. Früher war es nur eine unbedeutende Gült und wurde durch den Ankauf angrenzender Höfe immer mehr vergrößert und schließlich zu einem unserer schönsten Barockbauten ausgestaltet. Wiederholt haben Kaiserin Maria Theresia und ihr großer Sohn Josef hier geweilt, um den militärischen Übungen, die im Pettauer Felde abgehalten wurden, beizuwohnen. * Östlich von Pettau liegt etwas abseits der Straße das noch ins Mittelalter zurückreichende Schloß Dorn'au, das 1441 unter dem Namen „gesäss Dornaw“ zu finden ist. Einst nur ein Jagdhaus, war es anfangs im Besitze der Herberstein, dann mit dem benachbarten Ankenstein vereinigt im Besitze der Grafen von Sauer. In den Jahren 1739 bis 1743 ließ Johann Graf von Attems den Hof gänzlich umbauen und im italienischen Schloßstil herrichten, während man den Park nach französischem Vorbilde umgestaltete. * * * 1 Über dieses Schloß bringt das Buch an anderer Stelle einen eigénen Aufsatz, weshalb hier darauf nicht näher eingegangen wird. Ähnlich wie Wurmberg und Oberpettau ragt auch die vielumstrittene Feste Ankenstein auf einem steilen Felsen über dem Đrauflusse empor. Sie gehört zu den ältesten Burgen des Landes und war infolge ihrer vorgeschobenen Lage ein wichtiger Stützpunkt zum Schutze des weiten Pettauer Feldes; sagt doch der steirische Reimchronist: „umb dacz haws ze Ankchenstain was der chrieg nicht chlain“. Schon als 1199 Friedrich von Pettau die Madjaren beim späteren Großsonntag vernichtend schlug, spielte die Burg eine wichtige Rolle und wird auch öfters mit dem ungarischen Namen genannt, der auch später mehrmals in Urkunden vorkommt; so lesen wir 1291 Borlyn siwe Ankynstain castrum. Als die Ungarnnot vorüber war, wurde es der Mittelpunkt einer großen Herrschaft, bis in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wiederum schwere Tage für die Burg kamen. Als sich die Steirer dem einfallenden Ungarnkönig Matthias Corvinus entgegenstellten, ließ dieser 1481 die Burg berennen und zerstören. Bald darauf wurde sie von ihren Besitzern wieder aufgebaut und bildet heute einen aus drei zusammenhängenden Teilen bestehenden Bau, über dessen Mittelstück ein kleiner vierseitiger Turm mit einer Zwiebelkuppel aufragt. % Hi Hart an der kroatischen Grenze liegt auf einem ebenfalls von der Drau umspülten Ausläufer der weinreichen Kolos das kleine Schlößchen Sauritsch, das erst 1717 erbaut wurde und seine heutige Gestalt genau hundert Jahre später vom damaligen Besitzer Ulm erhielt, weshalb es auch heute noch Schloß Ulm heißt. Früher war es nur ein ganz einfacher Gutshof. ❖ H« Auf dem nördlichen Drauufer steht auf sanfter Anhöhe das mächtige, mit vier festen Rundtürmen bewehrte Schloß Großsonntag. Es ist zur Erinnerung an jenen ruhmvollen Sieg gestiftet worden, den Friedrich von Pettau am Großen Sonntag, das ist Ostersonntag 1199, mit seinen deutschen Panzerreitern über die überlegenen Scharen der Madjaren erfocht, worauf diese auf lange Zeit ihre Einfälle ins Steirische aufgaben. Von der ersten Gründung ist wohl kaum etwas übriggeblieben, denn die ältesten Teile, die vier gewaltigen Ecktürme, von denen das schwarze deutsche Ordenskreuz nach Osten schaut, sind im Jahre 1620 vom damaligen Ordenskomtur Markward Freiherrn v. Eckh erbaut worden, wogegen die übrigen Teile erst aus dem Jahre 1729 stammen. * * * Nach dem Siege über die Ungarn gründete der Sieger in der Umgebung des Schlachtfeldes den Ort Friedau und ließ natürlich zur Sicherung des neuen Ortes eine Burg erbauen, die den gleichen Namen Friedau erhielt. Der frühere Name dieses Platzes war Ormusch oder, wie eine Urkunde des Jahres 1315 berichtet, Holomus; noch 1430 finden wir die Bezeichnung : markt Holermüs; 1441 aber schon: stad Fridaw. Die Burg wird 1433 das erstemal vest Fridaw genannt. Daß der letzte Ort an der Drau auf steirischem Boden, Polstrau, nicht auch durch eine Burg gesichert worden wäre, ist kaum anzunehmen, und tatsächlich finden wir auch am Ende des 14. Jahrhunderts mehrfach die Bezeichnung vest Polstraw, aber schon in Vischers Schlösserbuch zeigt das Bild von Polstrau kein schloßähnliches Gebäude; heute ist davon noch viel weniger zu sehen. * * * Im unteren Pettauer Felde liegt noch ganz in der Ebene am Ostrande des gleichnamigen Dorfes das Schloß Meretinzen, eines von den wenigen Schlössern, die aus jüngerer Zeit stammen und auch die rein slawische Bezeichnung behalten haben. 1577 war es noch ein einfacher Hof und erst 1632 wurde es von dem baulustigen Sigmund von Herberstein zu einem Schlosse ausgebaut; bald darauf wurde es gegen eine andere Herrschaft des Deutschen Ritterordens vertauscht und mit der Ordenskommende Großsonntag vereinigt. Es bildet ein vierseitiges, von Ecktürmen flankiertes Gebäude und ist von einem breiten, parkähnlichen Garten umgeben. * * * Wir wandern nun wieder an den Bergsaum des Bachern zurück, um an seinem Ostfuß nach Süden zu ziehen. Bald bemerken wir nicht allzufern der alten Verkehrsstraße das klotzig aufragende Hausampacher über Kötsch und dem obstreichen Bergsaum. Auf uraltem Siedlungsboden — zahlreiche Hügelgräber aus der Römerzeit weisen darauf hin — ist diese Feste schon früh auf beherrschender Höhe entstanden und wird schon von 1164 an immer Schloß Ankenstein bei Petiau unter diesem Namen wie domus, huos, huse und ähnlich genannt. Eine ereignisreiche Geschichte hat sich in seinen Mauern abgespielt, zumal es ja bis 1848 der Sitz eines Landgerichtes war und wiederholt den Besitzer gewechselt hat. Weiter zieht die Straße nach Süden an Dorf und Schloß Schleinitz vorbei. Wohl erfahren wir aus den Urkunden, daß 1492 Stephan Georg v. Kolonitsch hier eine Burg erbaut habe — einer von den wenigen Fällen, in denen wir die Erbauungszeit der Burg kennen aber von dieser alten Burg ist nichts mehr erhalten geblieben; wahrscheinlich ist sie einer Feuersbrunst zum Opfer gefallen und nachher nicht mehr aufgebaut worden; statt dessen ist unterhalb am Bergfuß das neue Schloß entstanden, das nach der Zeichnung Vischers früher von einem langgestreckten Teiche umgeben war. Heute macht das Schloß in seinem schön gepflegten Garten einen ganz netten Eindruck. * * Während Schleinitz hart an der Straße liegt, ist die weiter südlich liegende Ruine Frauheim in einem tief eingeschnittenen Graben auf steiler Anhöhe erbaut, jetzt von weitgedehntem Weingelände umgeben. Da die Burg schon im 12. Jahrhundert als Manneslehen zum Marschallamte des Landes Steier gehörte, müssen wir sie ebenfalls unter die ältesten Edelsitze des Gebietes zählen. Von ihren Erbauern ist nichts bekannt. Zwei mächtige Ecktürme, eine Anzahl von Warten und Verteidigungszinnen schützten den festen Bau. Die Türken haben die Feste eine Zeitlang belagert und von der gegenüberliegenden Anhöhe mit ihren schweren Geschützen beschossen, aber den starken Mauern nichts anhaben können, so daß sie unverrichteter Dinge abziehen mußten. Die Volkssage erzählt, daß die Belagerten eine mit Stroh ausgestopfte Ochsenhaut über die Mauer ins Türkenlager geworfen hätten, zum Zeichen, daß sie noch reichlich mit Lebensmitteln versorgt seien. Erst viel später ist auch diese Burg durch einen Brand zerstört worden. Die Steine der zerstörten Burg wurden dann zum Bau des am Ausgange des Grabens gelegenen Amtsgebäudes der Herrschaft verwendet. * ❖ ❖ In dem schon 1164 genannten Dorfe Pulsgau liegt das nette Schlößchen Oberpulsgau, das als Schloß erst 1478 urkundlich erwähnt wird, aber sicherlich schon viel älter ist, denn bis ins 12. Jahrhundert kann man das Rittergeschlecht der Herren von Pulska zurückverfolgen, die mit ihren Namen Richer, Rüdiger und anderen auf ihre deutsche Herkunft hinweisen und nur den Geschlechtsnamen von ihrem Lehen an der Pulska erhalten haben. * * ❖ Zwischen den Dörfern Ober- und Unterpulsgau liegt das ansehnliche Schloß Freistein, das mit diesem Namen schon 1286 erscheint, dann auch Sitz eines Landgerichtes war und zusammen mit den Herrschaften Oberpulsgau, Grünberg und Wartenstein verwaltet wurde. Dann erwarben es die Dominikanerinnen von Studenitz. Nach Aufhebung dieses Klosters kaufte es aus dem Religionsfonds der im Bacherngebiet reichbegüterte Graf Brändis. % $ Ü Schloß Pragerhof liegt östlich des ebengenannten Schlosses in der Ebene, hart am Rande des Sumpfgebietes der Tschreten, war als gegen die von Osten kommenden Überfälle der Türken gut geschützt. Wann die Herren von Prager, Besitzer von Pragwald bei Cilli, das ziemlich große Schloß erbauten, ist nicht nachweisbar; wahrscheinlich entstand es um die Wende des 15. Jahrhunderts, weil es unter den mittelalterlichen Namen nicht zu finden ist. * sfc * Östlich von Frauheim liegt in der Ebene das alte Schloß Kranichsfeld, das wegen seiner ungeschützten Lage früher hinter gewaltigen Erdwällen und ringsum laufenden Wassergräben verborgen lag. In seinem Besitz lösten sich einige berühmte Herrengeschlechter ab, wie die Stattecker, Montfort und Tattenbach. Nach der Hinrichtung des Grafen Erasmus Tattenbach wegen seiner Teilnahme an der Magnatenverschwörung gegen Kaiser Leopold wurde die Herrschaft vom Staate eingezogen, bald aber wieder verkauft. So kam sie auch für längere Zeit in den Besitz der Familie Werdenberg, deren Wappen und Initialen wir mehrmals im Schlosse antreffen. * | * Am Westende der kleinen Stadt Windischfeistritz erhebt sich am Rande des kleinen Talkessels Oberfeistritz, das als Burg erst 1313 erscheint, obwohl der Ort schon viel älter ist. Auch von dieser Burg leitet ein Rittergeschlecht seinen Namen her: die Feistritzer, deren Stammburg in dem am Bachernabhang gelegenen Juritschendorf gestanden hat, und das uns schon in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entgegentritt; später erwarben die Cillier auch diese Herrschaft und rückten so ihren ausgebreiteten Besitz bis ins Pettauer Feld vor. Man kann am heutigen Bau deutlich zwei verschiedene Erbauungszeiten erkennen; der nördliche Teil mit dem wuchtigen Rundturm, der noch Spuren von Gewehrkugeln von dem Franzoseneinmarsch im Jahre 1809 trägt, ist der ältere; der südliche Teil ist ein späterer Zubau aus dem Jahre 1623. Seit 1720 besitzt es die Familie Attems und hält es in gutem Zustand, so daß es eines von den wenigen Schlössern ist, die bis heute sich erhalten haben. * Dort, wo der uralte Römerweg aus dem Dranntale über eine flache Einschneidung den vorgelagerten Hügelzug überschreitet, um ins Drautal hinabzusteigen, liegt nahe dem großen Pfarrdorfe Maria-Neustift die Ruine der alten Burg Monsberg, 1256 als castrum Mannesperch zum erstenmal erwähnt. Nach Norden wie nach Süden beherrschte sie weit hinaus die Umgebung und gehörte zu dem Gürtel von Festen, die im weiten Umkreis das Pettauer Feld umspannten und schützten. Sie ist schon sehr baufällig. Über dem erhaltenen Eingangstor liest man die Jahreszahl 1589, die wahrscheinlich die Zeit eines Umbaues bedeutet, denn die Burg hatte schon vorher schwere Stürme über sich ergehen lassen müssen. So wie Ankenstein wurde auch Monsberg von Matthias Corvinus besetzt und gewiß auch stark verwüstet, denn von da an beginnt der Verfall der Burg. ^ # Mitten im Rebengelände der Kolos liegen ganz vom Gebüsch umsponnen die wenigen Mauerreste der alten Burg Stattenberg, von der wir schon 1241 hören (urkundlich Staetenpurch). In den folgenden Zeiten wechseln des öfteren die Namen Staetenberch, Stetenpurch mit ähnlichen Formen. Sie ist der Stammsitz der Ritter von Staetenberg, die besonders im Kampfe der ersten Habsburger mit dem steirischen Adel wiederholt sich für ihren Herrn auszeichneten und dafür auch von diesem begünstigt wurden. Es wuchs daher der Besitz des Geschlechtes sehr bald an, so daß schließlich in der Burg und dann im neuen Schlosse gleichen Namens ein wichtiges Landgericht mit einem Bezirk von einem Markt (Maxau) und 29 Gemeinden verwaltet wurde. Nach den Stattenbergern übernahmen es die Wallseer und nach diesen die Cillier. Nach dem Aussterben dieses Geschlechtes wechselten die Pfleger sehr oft, und erst im 17. Jahrhundert erhielten die Grafen von Attems diesen Besitz. Einer von ihnen (Dismas) erbaute nördlich von Maxau an der Vereinigung des Drann-und Losnitztales auf einem sanften Hügel das neué Schloß Stattenberg, das von Gärten und wohlgepflegten Parkanlagen umgeben ist und zahlreiche weite Wohnräume enthält, so daß es zu den größten und schönsten Schlössern des Unterlandes gehört. ■ * * # Dort, wo im Dranntale die Hauptlinie der Südbahn die Kleinbahn Pöl-tschach—Gonobitz kreuzt, ragen die Ruinen der alten Feste Plankenstein empor, deren Besitzer schon 1206 unter dem gleichen Namen Vorkommen. Von der Höhe des Burgberges schweift der Blick weit ins Pettauer Feld bis zu den Windischen Büheln und zum waldumgürteten Bachern. Ob die Ritter, die sich nach dieser Burg nannten, auch ihre Erbauer wären, ist nicht erweislich, sicher ist, daß sie auch die Festen Monsberg und Rohitsch besaßen. Nach deren Aussterben wurde um den Besitz dieses Geschlechtes zwischen dem Kaiser Friedrich III. und seinem mächtigsten Widersacher, dem Grafen von Cilli, eine lange Fehde geführt, die erst 1443 entschieden wurde. Das Gut verblieb dem Kaiser, der es an Ulrich Graßl verpfändete. Nach Ulrichs in. von Cilli gewaltsamem Tode wurde in dem langwierigen Kriege um sein Erbe die Burg vom Cillier Feldhauptmann Johann Witowetz erobert und zerstört. Die übriggebliebenen Reste lassen mit einiger Sicherheit die Ausdehnung und Anlage der Burg erkennen. Sie dürfte nicht allzu groß gewesen sein und außer einem mächtigen unregelmäßig gebauten fünfeckigen Pallas nur noch aus einigen kleineren Räumen bestanden haben, die hoch über dem heutigen Erdboden gelegen und vielleicht sogar nur auf schmaler, leiterartiger Holztreppe erreichbar waren, weü nirgends eine Spur einer Stiegenanlage zu erkennen ist. Die Burg war lange Zeit hindurch der Sitz einer bedeutenden Herrschaft, zu der ein Landgericht Und ein Bezirk von einem Markt (Pöltschach) Und 35 Gemeinden gehörten. §f § * Drannaufwärts gehend treffen wir bald wieder ein schönes Schloß, das durch eine Pappelallee von der Straße aus erreicht wird, es ist das im Viereck gebaute, mit mächtigen Rundtürmen versehene Pogled, das, um die Mitte des 16. Jahrhunderts erbaut, in den Türkeneinfällen zerstört wurde. Der Feldmarschall Schwarzenberg schenkte es nachher seinem General Conti, dessen Erben es bis 1803 besaßen. Später kam es in verschiedene Hände und wurde dabei seiner ganzen wertvollen Einrichtung entblößt, bis es die letzten Besitzer wieder bewohnbar machten und die ganze Herrschaft wieder emporbrachten. * * $ Oberhalb Gonobitz, des größten Ortes des Dranntales, liegen nahe der St. Anna-Kapelle die Ruinen der alten Feste Gonobitz oder Tattenbach, deren gewaltige Mauerreste, Wölbungen usw. auf die große Ausdehnung dieser Burg schließen lassen. Noch heute ragt der gewaltige dreieckige Wartturm weit in die Lande hinaus. Die Herren von Gonobitz spielten in der Landesgeschichte eine bedeutende Rolle und wiederholt treten uns Namen dieses Geschlechtes entgegen; so lesen wir, daß Ottokar der Traungauer von Leopold von Gonobitz im Jahre 1151 Teile der Herrschaft kaufte, um- sie zur Ausstattung der jungen Kartause Seitz zu verwenden. Später treffen wir noch die Namen Ortolpf, Ottachar, Liutpold u. a., also wiederum ganz deutsche Namen; noch 1448 finden wir einen Erasmus Gonobitzer. Aber damals war die Feste bereits Besitz der Herren von Wildhaus. Dann gehörte sie den Wallseern, von denen sie die Cillier erbten. Nach dem Untergange dieses Hauses erlangten die Tattenbach Burg und Herrschaft und machten sie zum Mittelpunkte ihres ausgedehnten Besitzes, denn sie besaßen in Untersteiermark noch Königsberg, Wisell, Kranichsfeld, Windischlandsberg, Stattenberg, Lidlhof, Ankenstein, Olimie, Hohenbruck, Sauritsch, Unterlichtenwald, Hörberg, Lindeck, Ebensfeld, Pogled und Golitschhof, also ein wahrhaft fürstliches Habe, das den Besitzer leicht übermütig werden lassen konnte, wodurch es verständlich wird, daß sich Graf Erasmus Tattenbach von den unzufriedenen Magnaten im Jahre 1670 verleiten ließ, an ihrer Verschwörung teilzunehmen, da man ihm dafür doch die Fürstenkrone von Untersteiermark versprach. Als bald nach dem unglücklichen Ende des genannten Grafen sein Haus ausstarb, zerfiel der riesige Besitz und die Stammburg kam samt den dazugehörigen Ländereien ans Kloster Seitz, bis es nach dessen Aufhebung dem Religionsfonds zufiel, von dem es das Geschlecht Windischgrätz kaufte und auch heute noch inne-hat. Niemals wieder hat die Herrschaft eine solche Rolle gespielt, wie einst in den Blütetagen der Tattenbach. Wie viele prunkvolle und lärmende Feste mögen die großen Säle gesehen haben, wie viele Pferde mögen in den weiten Ställen einst gehalten worden sein! Und heute? ^ eine tote, verlassene Ruine, deren hohe, außerordentlich dicke Mauern gewiß noch Klange dem Verfalle trotzen werden! * # Im Pfarrsprengel Gonobitz lag auch noch die alte Burg Holenstein, die aber seit Jahrhunderten verschollen und vergessen und nur noch aus den alten Urkunden nachweisbar ist. Vischer bringt nicht einmal von ihrer Ruine ein Bild. * ‘ * Haben wir bisher die Burgen und Schlösser fast immer am Rande der Ebene oder der Beckenlandschaften angetroffen, so daß wir sie meist schon von weitem sehen können, wodurch sie gewissermaßen als Hüter frei daliegender Gebiete erscheinen, so müssen wir von jetzt an gar oft die weiten Täler verlassen, um zu den meist ganz versteckt liegenden alten Burgen oder deren Resten zu gelangen. Nur im Cillier Becken finden wir wieder ähnliche Verhältnisse wie am Rande des Pettauer Feldes. Im Gebiete der Wogleina finden wir in der Umgebung von St. Georgen die Reste von Reicheneck, von dem noch ein Turm und Mauertrümmer kühn emporragen. Während die Burg erst 1326 als vest Reichenekk genannt wird, finden wir die Namen eines gleichlautenden Rittergeschlechtes schon mehr als hundert Jahre früher, und lange, nachdem die Burg bereits zerstört war, starb der letzte seines Namens als Pfleger in Arnfels im Jahre 1480. Früher noch als obige Burg erstand auf dem gegenüberliegenden Talhange die schon 1247 erwähnte Anderburg, das ist die andere Burg. Sie wird noch bis zum Beginne des 16. Jahrhunderts des öfteren erwähnt. Wer sie erbaute und wem sie gehörte, ist nicht sicher erweislich. Auch von ihr sind nur noch einige Mauerreste übriggeblieben. Nachdem sie durch Witowetz auf Befehl des Grafen Friedrich von Cilli zerstört worden war, wurde sie nicht mehr in dem früheren Umfange aufgebaut. * * * Nördlich vom Tal und weitab von der Straße liegt auf mäßig hohem Hügel das ansehnliche, wohlerhaltene Schloß Reifenburg, dessen ältester Name Rifenstain aus dem Jahre 1257 überliefert ist. Auch hier war der Sitz eines Patrimonialgerichtes, zu dem der Markt St. Georgen und 38 Gemeinden der Umgebung gehörten. Wer die Burg zuerst besaß, ist nicht bekannt; vielleicht war es jenes Geschlecht, das auch in Obersteier eine Burg gleichen Namens (bei Judenburg) besaß. Die späteren Herren waren die Freiherren v. Pögl, die Dietrichstein, Gaisruck und die im Unterlande so reich begüterten Wurmbrand. # * Zwischen dem letztgenannten Schloß und den Ruinen von Seitz liegt über dem kleinen Dorfe gleichen Namens das einfache kleine Schloß Ponigl, dessen früheste Besitzer auch schon zu den ältesten Ministerialen des Landes gehörten, denn schon 1197 finden wir einen Friedrich v. Ponihil, dann einen Hermann, einen Ottokar, der Kommendator des Deutschen Ritterordens war, und dessen Sohn Richer; lauter deutsche Namen, so daß wir annehmen können, daß wir es auch hier mit einem deutschen Siedlergeschlecht zu tun haben, das von seinem Grundherrn hier Land und Lehen erhalten hatte. Vom ältesten Bau ist heute nichts mehr zu sehen. Nachdem es im Besitze der Grafen von Schaumburg war, erbten das Gut die Cillier, nach deren Aussterben es landesfürstliches Lehen wurde, bis es Erzherzog Karl verkaufte. Der heutige Bau zeigt nichts Bedeutendes, hat auch nur geringen Grundbesitz. ❖ $ * Auf dem halben Wege nach Rohitsch treffen wir das mächtige Schloß Erlachstein, dessen Erbauer wahrscheinlich die Herren von Erlach waren, die schon unter den letzten Traungauern einflußreiche Herren waren. Ein Eberhard von Erlach wird als Zeuge in der Stiftungsurkunde von Reun 1146 und ein anderer Eberhard in der wichtigen St. Georgenberger Handfeste angeführt. Bis ins 14. Jahrhundert reicht dieses Geschlecht. Nachdem das Schloß dann die Herren von Hohenwart besessen hatten, wurde es als landesfürstliches Lehen an die Gaisruck vergeben, die es durch viele Jahrhunderte besaßen. Von ihnen stammt die heutige prächtige Gestalt mit ihren reichverzierten Innenräumen, von denen ganz besonders die große Vorhalle mit ihren reichen Stukkaturen und Deckengemälden unsere Aufmerksamkeit fesselt. Sie stammen aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Auch hier bestand bis 1848 ein Landgericht mit einem Verwaltungsbezirk von 38 Umgebungsgemeinden. * * Am Ende der Bahnstrecke erblicken wir auf einem Hügel die gewaltigen Reste des alten Ro hit sch, das schützend den alten Markt gleichen Namens überragt. Ein mächtiges Herrengeschlecht saß dort oben, denn die Rohatscher — so der alte Burg- und Rittername — besaßen noch die Herrschaften Stattenberg, Studenitz, Furteneck, Schönstein, Katzenstein und ein Haus in Cilli. Um volle 700 Mark Silber kaufte 1301 Ulrich v. Sanneck den Besitz der Rohatscher und dehnte so seine Herrschaft bis hn die östliche Grenze des Landes aus. Nach den Cilliern wechselten wiederholt die Besitzer, die die Herrschaft Rohitsch gewöhnlich zuerst pflegweise, dann aber als dauerndes Erbgut innehatten. Herrschaft Süßenheim bei Cilli Wenn wir nun im Sottlatale abwärts wandern, treffen wir hart an der Ostgrenze unseres Landes in einem engen Seitengraben Schloß Win disc h-landsberg am oberen Rande des gleichnamigen Marktes. Zwei stattliche Türme schützen den Eingang zum zweistöckigen, umfangreichen Bau, der seine jetzige Gestalt erst im 19. Jahrhundert erhielt. Die spärlichen Mauerreste auf dem Plateau ober dem Schlosse zeugen dafür, daß dort früher eine Burg gestanden ist. Sie war ein Lehen der Bischöfe von Gurk und kam nach dem Aussterben der ältesten nachweisbaren Besitzer, die sich nach der Burg die Herren von Landsberg nannten, in die Hände der Cillier. 1479 besetzten die Ungarn die Burg und konnten erst nach dem Tode ihres Königs wieder vertrieben werden. Jetzt ist sie seit mehr als zweihundert Jahren bereits im Besitze der Grafen von Attems. § Diesen gehört auch das 1661 in ein Paulinerkloster umgewandelte. Schloß Oli mie in der Gemeinde Sopote, das auch schon ziemlich alt ist, wiewohl die Stiftung durch die hl. Hemma im Jahre 1015 kaum auf Wahrheit beruhen dürfte. Nach Aufhebung des Klosters wurde auch ein Teil des weitläufigen Baues abgetragen und es blieb nur noch der mittlere, zweistöckige Hauptteil mit den zwei runden Ecktürmen. | Mitten in dem unendlichen Hügelwirrnis weitab von jedem Verkehr träumt einen richtigen Dornröschenschlaf das Schloß Süßenheim. Auf Felsgrund erhebt sich der Bau, der früher von einer Ringmauer umgeben war. Durch einen viereckigen Torbau gelangt man in den ersten Hof, der vor dem Hauptgebäude, das von zwei Rundtürmen flankiert wird, gelegen ist. Auch hier amteten durch lange Zeit im Namen der Herrschaft die Pfleger über einen Bezirk von 39 Gemeinden. Auch diesen Bezirk erwarben die Cillier, die schon 1364 Heinrich von Süßenheim zwangen, die Grafen Ulrich und Hermann von Cilli als seine rechtmäßigen Lehensherren anzuerkennen. Von der benachbarten Sallenburg erzählen uns wohl die alten Quellen, t wenn im Jahre 1256 eine Burg Seldenberch oder 1309 ein Seidenburg, um 1490 ein Saldenbergkh und um 1500 ein Saldanburg genannt werden, aber heute steht von dieser Burg nichts mehr. Der Name Sallenburg erhielt sich nur noch als Riedname. ^ * Im engen Feistritzgraberi, einem Seitentale der Söttla, liegen einige Ritterburgen, deren Namen uns schon früh begegnen. Zuinnerst im Graben finden wir auf steiler Anhöhe das Schloß Peilenstein, schon 1167 unter dem Namen Pilistain, 1173 als Pilstaine, 1208 schon als Peilstein. Vielleicht sind dessen Erbauer die Pilstainer, von denen ein Poppo im Jahre 1171, ein Raspo 1256 genannt werden. Heute ist es, wie die meisten der alten Burgen, ganz bedeutungslos. * * In der Nähe Peilensteins liegen auch Ruinen der Burg Hartenstein, von der wir nur den Namen wissen. Näheres aus ihrer Geschichte ist nicht überliefert. § : Einige Kilometer talaus liegen auf einem vorspringenden Kegel ober dem Markte die Reste von Drachenburg, das schon 1286 als castrum Trachen-berk genannt wird. Nach dem ältesten Geschlechte, den Herren von Drachenburg, deren letzter Sproß noch um 1500 lebte, hatten es durch Erbschaft die Reichenburger inne; nach diesen ging der Besitz durch verschiedene Hände. Im großen Ungarneinfall wurde die Burg berannt und dürfte wohl auch zerstört worden sein, obwohl Genaueres darüber nicht bekannt ist. Zum Landgerichte Drachenburg gehörten auch die beiden Märkte Drachenburg und Peilenstein sowie 16 Gemeinden. ... ... Nach kurzer Wanderung kommen wir zur nächsten Burg, die ebenfalls auf steiler Höhe thront und von einem mächtigen Bergfried überragt wird: Hörberg, dessen Name schon 1273 genannt wird. Sie wurde bald ein Gurker Lehen und kam als solches schon 1340 in den Besitz der Freien von Sanriek. Nach dem Ende dieses glanzvollen Geschlechtes begann auch für unsere Burg die Zeit der wechselnden Besitzer und gar oft wurde sie für den geldbedürftigen Kaiser ein brauchbares Pfandstück, das dann die verschiedensten Besitzer sah. So finden wir auch (1547) einen ehemaligen königlichen Portier namens Martin Gillig als Besitzer der Herrschaft. Später kamen die Herberstein und hernach die Barbo in den Besitz der Herrschaft und Jetzt gehört sie den Windischgrätz. ^ | * Im Engtale der Sottla ragen auf steiler Höhe die Ruinen von Königsberg auf, denen auf dem kroatischen Ufer die Reste von Kaisersberg (Cesar-grad) gegenüberliegen. Früher war die Burg, die heute ganz verfallen ist, der Stammsitz eines alten Herrengeschlechtes, das im Dienste der Salzburger Erzbischöfe hier an der Ostgrenze des Landes Wache hielt. Dann kam sie in den Besitz des Gurker Stiftes, von dem sie die Cillier als Lehen empfingen. Von 1472 an wurde sie wiederholt pflegweise vergeben und hat viele Herren als Besitzer und Verwalter erlebt. Als die Feste allmählich baufällig und unbewohnbar wurde, wurde die Verwaltung in das südlicher gelegene jüngere Schloß W i s e 11 verlegt, das abseits der Straße und über dem breiten Wiesental der Sottla auf einem Bergrücken liegt und im Laufe der Zeit mehrere Zubauten erhielt, so daß der Grundriß ziemlich unregelmäßig wurde. Die westliche Front wird an den Ecken von zwei Rundtürmen flankiert und enthält einen sehr schönen vierseitigen Hof mit einer alten tiefen Zisterne. Wohl wird uns von einem Geschlecht der Herren von Wisell berichtet, aber sonst ist aus der ältesten Zeit dieses Schlosses nicht viel bekannt. Auch hier haben die Ungarn bei ihrem Einfall Schloß und Umgebung auf das grausigste verwüstet. Später besaßen die Herrschaft die Familien Wildenstein, Dietrichstein und zuletzt die Windischgrätz. Bis zum Jahre 1848 war Wisell eine von den ganz wenigen Herrschaften Steiermarks, bei denen Grundherrschaft, Landgericht, Bezirksvogtei, Zehentherrlichkeit und Jagdrechtsame in einem ungetrennten Distrikt beisammen waren. * * Ähnlich wie Wisell liegt auch Pischätz, dessen Name in der gleichen Form schon 1329 als haws Pischätz urkundlich nachweisbar ist. Es hat eine sehr bewegte Geschichte und ist als Grenzfeste von jeher sehr stark gebaut gewesen. Ganz besonders der Mittelturm mit seinen 3 m dicken Mauern ragt in vier Stockwerken 36 m empor. Aber selbst diese gewaltigen Mauern konnten dem furchtbaren Bauernstürme im Jahre 1661 nicht trotzen, der ausbrach, weil die Bauern ihren Grundherrn, den Grafen Moscon, für den Urheber einer neuen landesfürstlichen Steuer, die natürlich wieder auf sie abgewälzt wurde, ansahen; aus Empörung darüber stürmten sie die Burg, erschlugen den Grafen samt seiner Frau und zerstörten das Gebäude. Erst später wurde das heutige Schloß vom Grund aus neu und geräumig aufgebaut. Wer aber die Erbauer des ersten Baues, dieses gewaltigen Luginsland waren, läßt sich nicht nach-weisen; wahrscheinlich ließen die Salzburger Erzbischöfe, als die Besitzer des ganzen Gebietes, hier für ihre Pfleger eine Burg erbauen. Nach dieser nannte sich dann das hier sitzende Geschlecht die Herren von Pischätz, von denen einer 1285 als Salzburger Vasall genannt wird. Nahe der kroatischen Grenze an einem sanft zur Save abfallenden Höhenrande liegt die südöstlichste Stadt der alten Steiermark, Rann, mit ihrem uralten Schlosse, das mit seinen vier wuchtigen Ecktürmen sich wie schützend über die an seinem Fuße hingelagerte Stadt erhebt. Während diese schon von 1249 an als Reyne, Rayn und mit ähnlichen Namen erscheint, wird die Burg erst 1322 als castrum Raein genannt, hat aber sicher schon viel früher bestanden; gehörte doch Rann zum ältesten Besitz der Salzburger Kirche, und deren Pfleger haben sicherlich von einer an erhöhter Stelle angelegten Burg aus das Land behütet. Bis ins 15. Jahrhundert war Rann salzburgisch, dann wurde das Schloß landesfürstlicher Besitz und bekam auch weiterhin verschiedene Herren als Pfleger der Herrschaft. In den Tagen der Türkeneinfälle (1475) und in den wiederholten Bauernaufständen, besonders 1516, hat das Schloß viele Stürme erlebt. Noch heute sehen wir am Schloßtor die Spuren der anstürmenden Horden, die mit Säbeln und Kolben auf das mächtige Tor schlugen und ihre Flinten gegen die Verteidiger abšchossen, wovon am Tor und der Schloßmauer noch heute zahlreiche Kugellöcher zeugen. * * * Saveaufwärts treffen wir an der Einmündung des Brestanabaches den Markt Reichenburg, der wohl zu den ältesten beglaubigten Siedlungen gehört; wahrscheinlich ist gleichzeitig auch auf dem steilen Burgberg eine Feste erbaut worden. Der Markt wird schon 895 als Schenkung Ludwigs des Deutschen an den dritten Erzbischof von Salzburg als Richenpurch genannt und schon im 12. Jahrhundert erzählt uns eine Salzburger Quelle, das „castrum Richenburch archiepiscobus Chunradus a nouo aedificavit“, d. p das Schloß Richenburch hat Erzbischof Konrad vom Grund auf neu erbaut. Hier saß durch Jahrhunderte ein mächtiges Geschlecht, das außer dem oberen und unteren Schloß (im Markte selbst) noch Drachenburg, Reichenstein, Rann und zeitweise auch Riegersburg besaß. Der bedeutendste aus diesem Geschlechte war Reimprecht von Reichenburg, der zur Zeit Kaiser Friedrichs III. sich aus* zeichnete, indem er Wiener-Neustadt gegen den anstürmenden Matthias Cor-vinus verteidigte, und auch später noch, als er den von den Genter Bürgern eingeschlossenen jungen Maximilian durch sein tapferes Eingreifen rettete. Auch sonst tat er sich im Dienste der Habsburger hervor und gab mehrmals Geld und Gut für seinen Herrn. Bald darauf starb das Geschlecht aus und die reichen Güter wurden zerteilt. Der Erbe des Schlosses, Gail von Gallenstein, ließ es 1503 gänzlich erneuern; auch später erfuhr es, da es ständig benutzt wurde, wiederholte Umgestaltungen, die stärkste wohl in den letzten Jahren, wo in den altehrwürdigen Räumen die jetzigen Bewohner —Trappisten — eine Schokoladenfabrik (!) eingerichtet haben. Natürlich hatte auch diese Herrschaft das Patrimonialgericht über den gleichnamigen Markt und 22 Gemeinden. Von dem kleineren, unteren Schloß jenseits des Brestanabaches, nach seiner einfachen Form gewöhnlich Turm genannt, soll ein unterirdischer Gang zum oberen Schloß geführt haben, wie auch das Volk erzählt, daß ein ähnlicher geheimer Gang unter der Save bis zum Schlosse Gurkfeld geführt habe. * * Wenige Kilometer oberhalb Reichenburg liegt das an Erinnerungen reiche Schloß Lichtenwald. Auf einem Felskegel erhebt es sich über dem gleichnamigen Markte, der teils um den Schloßberg gelagert ist, teils sich längs der Save hinzieht. Wir stehen hier auf uraltem Kulturboden, denn schon die Römer haben hier eine Straße gebaut und eine Station errichtet. Ein hier gefundener Römerstein, der jetzt neben dem Schloßtore eingemauert ist, ist Zeuge davon. Mit Reichenburg wird auch Lichtenwald in der Schenkung Kaiser Ludwigs an Erzbischof Liutpram genannt. Das Rittergeschlecht der Herren von Lichtenwald hat nur das untere Schloß (im Markt) besessen, ist also nicht als der Erbauer dieser alten Burg anzusehen. Jahrhundertelang saßen im oberen Schloß die Pfleger der Salzburger Erzbischöfe und verwalteten von hier aus den umfangreichen Besitz des Erzstiftes. Sturmreiche Tage kamen für dieses ruhige Tal erst, als Erzbischof Bernhard während seines Streites mit Kaiser Friedrich III. seinen Gönner, den Ungarnkönig, ins Land rief und dieser mit seinen Truppen viele der steirischen Burgen erstürmte, darunter auch Lichtenwald. Noch mehr machten Burg und besonders der Markt in den Türkenkriegen mit, so im Jahre 1475 nach der blutigen Niederlage der Christen bei Rann und später, als diese Niederlage durch einen glänzenden Sieg auf fast gleicher Stelle wieder wettgemacht wurde. Auch als 1516 die zahlreichen Scharen der empörten Bauern heranzogen, hat die Burg schwer gelitten. Als dann das Luthertum auch hier Eingang fand, wurde die Schloßkirche ein evangelisches Gotteshaus; nach der Vertreibung der Prädikanten durch die Gegenreformation aber nicht mehr zur Kapelle geweiht, sondern zu sehr weltlichen Dingen eingerichtet: gewaltige Weinfässer lagern jetzt in diesen einst heiligen Hallen. Die heutige schöne, regelmäßige Gestalt mit seinen wohnlichen Räumen, Sälen und Bogengängen stammt aus dem Anfänge des 19. Jahrhunderts vom damaligen Besitzer Edlen v. Rebenburg. Im Markte befindet sich auch noch das kleine Schloß Unterlichtenwald, das wahrscheinlich eine Gründung der Herren von Lichtenwald ist; um 1400 und später noch einigemal hören wir von diesen. Jetzt ist es ein einfacher Besitz ohne jede Bedeutung. Fern von jedem Tal und größerem Ort, förmlich weltverlassen, liegt auf steiler Höhe, weit das Hügelland überschauend, die alte Burg Montpreis, 1250 Montparis und etwas später Montpareis genannt. Der Überlieferung nach soll die Feste in der Mitte des 12. Jahrhunderts von Tempelherren erbaut worden sein; Sicheres läßt sich darüber nicht nachweisen. Im 13. und 14. Jahrhundert haben die Herren von Montpreis diese Gegend beherrscht; in mehreren Urkunden werden Mitglieder dieser Familie genannt. Später vermachten die Herren ihr Gut den Grafen von Cilli, die seit 1363 im gänzlichen Besitz der Herrschaft waren. Nach dem Ende der Cillier wurde sie landesfürstliches Gut und der Kaiser gab die Burg an ihm treuergebene Männer, so an Jörg Katzen-dorfer gegen jährlich „200 ungarische und Dukatengulden“. 1576 erhielt die Herrschaft Freiherr v. Thurn auf Lebenszeit. Im Savetal liegt auf sanfter, waldbedeckter Anhöhe das schöne Schloß Ruth. Es hat seinen Namen wahrscheinlich von ruda = Erz, weil hier schon seit langem auf Bleierz gegraben wurde. In der Reformationszeit verfiel der Bergbau und hörte am Beginn des 19. Jahrhunderts ganz auf. Nach längerer Unterbrechung wurde gegen Ende des Jahrhunderts der Bergbau wieder in Angriff genommen, aber die geringe Ergiebigkeit zwang bald zur Einstellung des zu kostspieligen Betriebes. Vom Schlosse aus hat man eine überwältigende Fernsicht auf unzählbare Hügel und Berge, auf denen man an die 20 Kirchen und viele Schlösser sehen kann. An der Vereinigungsstelle der Save mit der Sann, wo die Wege nach drei Seiten auseinandergehen, wo schon durch Leopold den Glorreichen 1224 mit Benutzung römischer Pfeilerreste eine steinerne Brücke erbaut wurde, erstand auch sehr bald zum Schutze dieses Überganges eine Burg, die den für diese Enge trefflich passenden Namen Klausenstein führte. Sie wurde im 12. bis sl4. Jahrhundert wiederholt genannt und gehörte schließlich zum Besitze der Cillier, die sich einen so wichtigen Platz nicht entgehen ließen. In ihrem Kampfe mit Kaiser Friedrich wurde 1439 die steinerne Brücke über die Save zerstört; ob auch die Feste oberhalb der Brücke dabei zugrunde ging, wird nicht berichtet, es ist aber sehr wahrscheinlich, weil man später nichts mehr von ihr hört; ja heute ist ihre Lage nicht einmal mehr zrnbè-stimmen; keine Mauer, kein Stein ist auf dem andern geblieben. Gewiß wurden die Mauertrümmer, wie bei so vielen anderen Burgen, später als günstige Fundstelle für die Bausteine neuer Häuser betrachtet. Fast in der Mitte des Engtales der Sann liegt die alte Burgsiedlung Tüffer. Auf einem sanft ansteigenden Hügel sehen wir die Reste der einstigen Burg, die, nach den Mauern zu schließen, einen sehr einfachen Grundriß gehabt haben muß. Auch hier sind die Erbauer nicht angebbar. Die Feste gehörte zum Besitze des 1148 im Heiligen Lande gestorbenen Grafen Bernhard von Marburg, der den Besitz seinem Verwandten vermachte. Die öfter genannten Herren von Tyuer saßen nur als Lehensträger auf der Burg. Durch obige Vererbung wurde die Burg sehr bald landesfürstlicher Besitz, der dann von den Traungauern an die Babenberger und dann an die Habsburger kam, die ihn 1336 dem Friedrich von Sanneck um 900 Aglayer Pfennige verpfändeten. Zur Zeit der Türkengefahr wurden die schon altersschwachen Mauern wieder instand gesetzt, dann aber verfiel die Burg und||m Jahre 1675 ließ der damalige Besitzer Graf Johann Vetter von der Lilie im Markte selbst das Schloß Hörberg bei Cilli neue Schloß erbauen, über dessen Eingangstor noch heute das Wappen der Grafen Vetter, drei Lilien, prangt. Die ursprünglich vorhandenen Ecktürme wurden 1845 abgetragen. ^ ^ In beherrschender Lage, hoch über dem fruchtbaren Sannbecken, dort, wo die Sann das weite Becken verläßt und scharf nach Süden umbiegend sich ins lange Engtal zwängt, ragen aus dem lichten Buchenwalde die efeu-umrankten Reste der berühmtesten Burg des ganzen Unterlandes auf, der Burg Obercilli. Nach den heute noch erhaltenen Überresten gehörte sie zu den umfangreichsten und vielgestaltigsten Festen unseres Landes und war in Südsteiermark sicherlich die gewaltigste, was ja der wahrhaft fürstlichen Macht seiner Besitzer mit Recht entsprach. Sie ist nicht einheitlich angeordnet und wurde im Laufe der Zeit wiederholt vergrößert. Nach Westen und Süden fallen die Felsen des Burgberges fast unvermittelt in die Tiefe ab, so daß von dieser Seite her eine Bestürmung ganz unmöglich war. Nur von Osten und Norden her sind Zugangsmöglichkeiten, weshalb gegen diese Seiten auch die Schutz- und Wehrmauern errichtet wurden. Auf dieser Seite treffen wir auch ein Vorwerk, das von Anfang an ungewöhnlich groß und weiträumig gehalten war, jetzt aber nur den gewaltigen Bergfried enthält. Dieser hat vier ungleichlange Seiten und ist nur infolge seiner außerordentlich starken Mauern noch wohl erhalten. Hinter der Vorburg war ein sehr breiter Graben, über den man erst durch drei hintereinanderliegende Tore zur eigentlichen Wohnburg gelangen konnte. Von wem diese Feste erbaut wurde, ist ganz unbekannt; nur so viel wissen wir, daß sie schon sehr früh ein Besitz der Grafen von Heunburg war. 1831 kamen Burg und Stadt Cilli um den Preis von 250 Mark Silber an den Freien Friedrich von Sanneck, der von da an in dieser Burg seinen Sitz aufschlug und, nachdem er 1841 vom Kaiser Ludwig zum Grafen von Cilli erhoben worden war, daranging, seinen Machtbereich immer weiter auszudehnen. In dieser Abhandlung war ja mehr als einmal Gelegenheit, von diesem Weitergreifen der Macht der Cillier zu sprechen. Je größer der ‘ Besitz dieses Geschlechtes wurde, je weiter sich dessen Beziehungen zu den auswärtigen Fürstenhäusern spannten, desto prächtiger wurde auch ihr Stammsitz ausgestattet und gar manch prunkvolles Fest mögen die jetzt kahlen Mauern gesehen haben. Als dann der letzte Cillier am 9. Jänner 1456 dem Mord-anschlage seiner ungarischen Feinde zum Opfer gefallen war, begann ein langer Streit um das reiche Erbe, während dessen es Kaiser Friedrich gelang, schließlich alle seine Mitbewerber zurückzudrängen, so daß er durch Unterstützung des Johann Witowetz im Besitze der Cillier Burg blieb. Sie wurde dann der Sitz der Pfleger, denen sie meist pfandweise übertragen wurde. 1750 verkaufte Maria Theresia die Feste Cilli samt „allen Hoheiten und Zugehörungen“ an die Grafen v. Gaisruck, die dann jahrzehntelang im Besitze der Burg waren; die aber war infolge arger Vernachlässigung schon längst dem sicheren Verfalle preisgegeben. Nur so ist es zu erklären, daß, als die Güter dieses einst so mächtigen Geschlechtes der Gaisruck zum zwangsweisen Verkauf kamen, die Ruinen der Burg von dem Bauern, der am Abhange des Burgberges ein bescheidenes Anwesen hatte, um ganze 30 fl. gekauft wurden. Der benutzte sie als Steinbruch und riß die schönsten Stücke aus dem herrlichen Gebäude heraus. Erst nachdem schon sehr viel unwiederbringlich vernichtet war, griff die steirische Landschaft ein, kaufte die Trümmer und suchte durch sinngemäße Ausbesserungen das Bestehende zu erhalten. So zeigt gerade das Schicksal dieser größten und einst mächtigsten Burg die Wahrheit des Spruches: Alles Irdische ist vergänglich. Als die Burg nicht mehr verwendbar war, ließ Graf Gaisruck an der Stelle des alten verfallenen Schlosses Brunnberg in den Jahren 1754—1770 das Schloß Neucilli im italienischen Stile erbauen. Schon von weitem sieht man das prächtige Schloß, das in der weiten Ebene liegt und durch eine schöne Allee mit der Hauptstraße verbunden ist. Es war der Verwaltungssitz für die Herrschaften Brunnberg, Obercilli und einige andere kleinere Besitzungen. ❖ * An der Austrittstelle des Riekerbaches ins Sannbecken, nahe der Vereinigung von Sann und Volska, liegt Pragwald, ein ziemlich spät genanntes Schloß, denn erst 1491 kommt es unter dem Namen siez zu st. Loi;enczen vor. Es liegt am Abhange des Tousti vrh und war der Sitz eines Landgerichtes. Die Erbauer waren wahrscheinlich die Freiherren v. Prager, denen dann als Besitzer die Erkenstein und Wagensburg folgten. In nächster Nähe dieses Schlosses liegt auch das kleine Schlößchen Görz-hof, dessen Name ebenfalls um die Mitte des 15. Jahrhunderts auftaucht. Später wurde es landesfürstliches Lehen und kam im 18. Jahrhundert in bürgerliche Hände. Tief versteckt in einem einsamen Graben des Oistricabaches liegen auf sanftem Abhange die Reste der Burg Osterwitz, die in der Geschichte der Cillier Grafen eine so traurige Rolle spielte; fand doch hier das junge Eheglück Friedrichs ein gewaltsames Ende durch die Ertränkung seiner schönen Gattin Veronika. Das Schloß selbst ist schon sehr alt; es wird 1280 als Ostirwitz castrum zum erstenmal genannt und dürfte wahrscheinlich von dem gleichen Rittergeschlechte erbaut worden sein, das die herrliche Burg Hochosterwitz in Kärnten besaß und sich danach benannte. Schon um 1248 gab es einen Richer v. Osterwitz. Diese Ritter nannten sich gewöhnlich Schenken von Osterwitz und werden unter diesem Namen ziemlich häufig genannt. Später kam die Burg in den Besitz der Cillier und nach deren Ausgange wurde sie als landesfürstliches Gut von verschiedenen Pflegern verwaltet. Als sie später baufällig wurde, errichtete man im Tale ein neues Schloß, in das dann das Amt des Landgerichtes verlegt wurde. * * Beim* alten Orte Franz liegt das Schloß Burgstall, das in den mittelalterlichen Urkunden unter dem Namen Podgrad und ähnlichen Bezeichnungen vorkommt. Es war stets unbedeutend und wird auch von Yischer 1681 als einfacher, mit zwei kleinen runden Ecktürmen versehener Bau dargestellt. Nördlich von Franz sehen wir am sanft ansteigenden Abhange des Cret das Schloß Héggenberg, über dem, etwas höher gelegen, die Reste der alten Burg mit einem noch gut erhaltenen Rundturm sich erheben. Schon 1232 wird sie genannt, ist also eine der ältesten Burgen des Unterlandes. Da ihr Namè in den Urkunden sehr häufig ist, muß das hier hausende Geschlecht eine wichtige Rolle gespielt haben. Wer sie erbaute, ist nicht bekannt; ebensowenig läßt sich bestimmen, wann die alte Burg zugrunde gegangen ist und das neue Schloß erbaut wurde. 1442 ging der ganze Besitz an die Cillier über. Von diesen erhielten die Burg die Ritter Eytzinger, von denen Ulrich Eytzinger als Vertrauensmann Kaiser Albrechts zu hohen Ehren kam. Dieser verkaufte die Burg an den Herrn v. Schrottenbach und dann wechselten die Besitzer sehr häufig. , ... Nördlich von Gomilsko liegt etwas über die weite Niederung aufragend das schön gebaute Schloß Straußenegg, das ehemals Jägerhof hieß. Sein jüngerer Name stammt von dem ehemaligen Besitzer Jakob Strauß (1578—1590), der seinen Hof Straußenhof nannte, woraus dann später, wahrscheinlich in Anlehnung an ähnliche Schloßnamen, Straußenegg gemacht wurde. Seine heutige Gestalt hat es erst vor einigen Jahrzehnten erhalten, ist im Viereck gebaut und umschließt einen schönen, von gewölbten Säulengängen umschlossenen Hof. Von seinen Fenstern blickt man fiber das breite, wohlbebaute Sannbecken bis weit hinein in die kroatischen Berge im Osten. Von diesem Schlosse aus erblickt man im Norden auch die Zinnen des Schlosses Sannegg, über dem die kümmerlichen Reste der alten Burg gleichen Namens auf dem breiten Rücken des Dobrollberges liegen. In allen erdenklichen Namensformen ist uns der Name dieser Burg überliefert. 1173 als Sonhec, 1209 als Sonneke genannt. Ulrich v. Lichtenstein nennt den Besitzer dieser Feste „Herrn Kuonrat v. Suoneke“. 1255 heißt sie Sewenekke, 13Q8 wieder haws zw Sevnegk, 1314 Senaegg, 1327 Sawenek und 1362 zum erstenmal schloss Saanek. Aus den erhaltenen Resten kann man die Burganlage recht gut erkennen, obwohl die Gräben zugeschüttet, die Mauern absichtlich abgetragen sind (das beste Material wurde vom seinerzeitigen Besitzer Tschockl zum Bau des unteren Schlosses Ruhetal verwendet). Die Anläge war so, daß dem eindringenden Feinde nur eine Schmalseite entgegenstand, die wieder durch zwei vorgelagerte Gräben geschützt war; mächtige Mauern und der gewaltige runde Bergfried schützten das Innere der Burg; sonst waren die übrigen Räume wie bei den meisten alten Burgen klein und unbedeutend; starke Zwinger und Steintreppen sind heute noch nachzuweisen. Das hier hausende Geschlecht erlangte bald eine hervorragende Bedeutung; wir kennen seit Gebhard I. (1129—1144) die Reihe der Herren von Suone und finden unter ihnen auch einen Pfleger der edlen Minne namens Konrad, von dem einige Minnelieder erhalten geblieben sind, ein Beweis dafür, daß die damalige Mode der ritterlichen Sangespflege auch bis in die stillen Waldtäler unserer Südsteiermark gedrungen war. In den folgenden stürmischen Zeiten verstand es das Geschlecht, sich mächtig zu entfalten, und war schon eines der stärksten im Lande, als es mit dem mächtigen Geschlechte der kärntnerischen Heun-burger in Verwandtschaft trat. Durch schlaue Ausnutzung der Verhältnisse und Verheiratung erweiterte sich der Besitz des Geschlechtes immer mehr. So erlangte Friedrich v. Sannegg nach dem Tode des letzten Heunburgers Güter im Sann- und Packtale und die halbe Herrschaft Cilli. Die andere Hälfte war zuerst an die Pfannberger gefallen und wurde ebenfalls von Friedrich nach harten Kämpfen erworben. Im Besitze solcher Macht verstand er es, auch die im Umkreis seiner Güter liegenden kirchlichen Lehen zu gewinnen. Als dann der Sitz der Herrschaft auf die Burg Obercilli übertragen wurde, verlor Sannegg viel von seinem Glanze, nur die Erinnerung an die reiche Geschichte blieb. Nach dem Ende der Cillier wurde die Burg von kaiserlichen Pflegern’ verwaltet und der Sitz eines ausgedehnten Landgerichtes, zu dem auch die beiden Märkte Fraßlau und Praßberg gehörten. ij: iji § Bevor wir die Wanderung ins obere Sanntäl antreten, sollen die Edelsitze besprochen werden, die am Nordrande des Cillier Beckens meistens auf den sanften Abhängen entstanden sind. Gegenüber Sannegg liegt auf einer kleinen Anhöhe das geschmackvoll gebaute Schloß Schönegg, von dem man einen einzig schönen Ausblick auf das ganze Becken hat; nicht weniger als 34 Kirchen, zahlreiche Dörfer, viele Burgen und ungezählte Bauernhöfe an den Berghängen kann man von seinen Fenstern aus überblicken. Wahrscheinlich hat auch hier schon früher eine Feste gestanden, aber von dieser ist nichts erhalten geblieben; vielleicht lag sie auf jenem kleinen steil abfallenden Plateaurande, auf dem jetzt das Kirchlein St. Nikolai steht. — Unter den späteren Besitzern des Schlosses, das natürlich auch den Cilliern gehört hatte, finden wir die Herren v. Ramschüssel, Gabl-kofen, Schrottenbach und andere. Seit 1775 war es immer bürgerlicher Besitz. * * * Nur ein paar tausend Schritte östlich liegt das gut gebaute und von einem dichten Park umgebene Schloß Neukloster, das die Cillier aus einem Jagdhause zu einem Dominikanerkloster umbauten. Es hatte bald darauf bei den Türkeneinfällen schwer zu leiden und wurde auch beim großen Bauernaufstände 1516 gänzlich zerstört. Zur Zeit der Gegenreformation wurde es wieder aufgebaut und blieb bis zur Josefinischen Klosteraufhebung; dann wurde es dem steirischen Religionsfonds zugewendet und schließlich als Gutsherrschaft an einen Bürgerlichen verkauft. Östlich von diesem Schlosse liegt das Gut H o f r a i n, das an Stelle eines früheren, ganz einfachen Hauses erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts in dem üblichen Schloßstil erbaut wurde. Seine Hauptfront ist nach Süden gerichtet. An geschichtlichen Erinnerungen hat es nichts aufzuweisen. * . ❖ In'ähnlicher Lage sehen wir etwas weiter im Süden das moderne Schloß Salloch inmitten eines prächtigen Parkes, in dem ganz besonders die Treibhäuser zahlreiche ausländische Pflanzen beherbergen. Zum Schlosse gehörten 16 Gemeinden und auch einzelne Untertanen noch in zahlreichen anderen Gegenden. Von den Erbauern wissen wir nichts; unter den mittelalterlichen Edelsitzen kommt es nicht vor. Dagegen zeigt uns Vischer in seinem Schlösserbuch Salloch als ein einstöckiges Gebäude, über dessen Eingangstor zwei schräggestellte Wappen angebracht sind; über dem Tore sehen wir einen kleinen Uhrturm mit einer Zwiebelkuppel als Dachreiter. ^ $ * Im westlichen Eck des Cillier Beckens, wo die Pack einmündet, liegt das schöne einstöckige Schloß Packenstein; oberhalb am Berghange die kümmerlichen Reste der alten Burg, die meist Altpackenstein genannt wird, in den Urkunden aber gewöhnlich nur als turn an der pack oder purkstal, gesecz und anders erscheint. Auch diese alte Feste gehörte den Cilliern, ist aber schon sehr bald zugrunde gegangen. Die in der Ruine vorhandenen großen, aus dem Fels gebrochenen Hohlräume — wahrscheinlich die einstigen Weinkeller^^ gaben Veranlassung zur Entstehung der Sage vom Jungfernzwinger, in dem geraubte Mädchen verschwunden sein sollen. * * * Bei Fraßlau gab es auch noch eine Burg Liebenstein, die heute jedoch ganz verschollen ist; nicht einmal ihre Lage läßt sich genauer bestimmen. Nur unter den Oberburger Stiftsgütern kommt sie vor; auch einige Besitzer, wie Friedrich Liebenstein und seine Erben, werden als Dienstmannen der Cillier genannt. # * * Dort, wo die Sann die Rietzer Talweitung verläßt und wieder für ein kurzes Wegstück in das enge Tal sich einzwängt, liegt gegenüber der doppel-türmigen Wallfahrtskirche Nazareth die Altenburg, die ihren Namen nicht umsonst hat, denn schon 1248 erscheint sie unter diesem Namen als Alten-burch castrum. Im 13. Jahrhundert nannte sich ein Rittergeschlecht nach dieser Burg, das sich aber gegen die aufstrebenden Sannegger nicht halten konnte und 1360 die Feste samt allen Gütern an die Cillier verkaufte, die im nächsten Jahre einen ihrer Dienstmannen dort einsetzten. Im Streite um das Cillier Erbe berannte Johann Witowetz die Feste, wobei sie arg gelitten hat. Später vergab sie der Kaiser an verschiedene Pfleger und auch Hans Katzianer, der Türkensieger, war eine Zeitlang im Besitze dieser Burg, die dann den Bischöfen von Laibach zufiel und bis 1798 diesen Kirchenfürsten gehörte. Dann wurde sie gegen krainerische Güter umgetauscht und schließlich in eine Staatsherrschaft umgewandelt, in deren Verwaltungsbezirk auch die beiden Märkte Laufen und Rietz sowie 27 Gemeinden gehörten. * * In inniger Verbindung mit dieser Burg stand durch Jahrhunderte die alte Feste Rudeneck, auch Rudenstein genannt, die von den Altenburgern dem Oberburger Stifte zum Trotz erbaut worden war, weshalb es zwischen diesen beiden und ihrem Anhänge zu einer langwierigen Fehde kam, an der sich die angesehensten Ritter des ganzen Gebietes beteiligten, die dem geschädigten Abte und Gotteshaus von Oberburg zu ihrem Rechte verhelfen wollten; aber erst nach mehreren Jahren wurde durch Entscheidung des Herzogs der Streit geschlichtet. Etwa hundert Jahre später vermachte Hans v. Altenburg die Feste den Grafen von Cilli und 1578 kaufte sie der Bischof von Laibach, der den Besitz an verschiedene Herren verpachtete. 1635 überfielen die aufständischen Bauern die Burg und plünderten sie gründlich aus. Wahrscheinlich begann damit ihr Verfall und da ihre Güter von Altenburg aus verwaltet wurden, hatten die Inhaber wenig Interesse an der Erhaltung des alten Gebäudes. * $ $ Die liebliche Talweitung der Pack umsäumen ebenfalls mehrere alte Burgen und Schlösser, von denen Schönstein am bedeutendsten sein dürfte. Während das aitò Schloß, dessen Name schon um 1200 als Schonenstain, 1213 als Sonnenstain, 1318 als Schonstain auftaucht, im Markte lag, aber schon bei den ersten Türkeneinfällen oder vielleicht schon früher durch die Cillier zerstört worden war, wurde das neue Schloß auf der Höhe des benachbarten mäßig ansteigenden Burgberges erbaut. Die Erbauungszeit ist ebenfalls unbestimmt. Als die ersten Besitzer erscheint ein gleichnamiges Herrengeschlecht; es ist aber sehr unsicher, ob diese auch die Gründer waren. Natürlich wurde auch diese Burg in den Besitz der Cillier eingefügt und fiel nachher dem Kaiser zu. Unter den späteren Pflegern und Pfandinhabern war auch Hans Katzianer, der sie mit drei anderen Herrschaften vereinigte. Bald nachher kamen diese Güter an die Galler und dann an die Grafen Thurn, die besonders in Krain reich begütert waren. Am Ende des 18. Jahrhunderts begann die Reihe der bürgerlichen Besitzer, bis dann wieder Adelige die Herrschaft erwarben, zu der ein sehr ausgedehnter Grundbesitz gehört. Sie besaß auch das Landgericht über den gleichnamigen Markt und 11 Gemeinden. Heute sind im Schlosse die staatlichen Ämter untergebracht. * . * $ Nicht weit davon entfernt liegen die Ruinen eines andern alten Schlosses, dessen rein deutscher Name uns auch in den ältesten Formen entgegentritt, Forchtenegg oder, wie die älteste, aus dem Jahre 1317 stammende Namensform heißt: Fürchtenegk. Anfänglich im Besitze einer Ritterfamilie gleichen Namens ging sie bald darauf an die Cillier über, nach deren Ausgange die Reihe der Pfandinhaber begann. Wann und durch welches Ereignis die Burg zerstört wurde, wissen wir nicht; sie muß aber schon lange Ruine sein, denn schon im Vischerschen Schlösserbuch sehen wir als Forchtenegg nur Mauerreste abgebildet, die bereits mit Bäumen bewachsen sind. Auch die alte Burg Katzenstein am Ende des Schalltales liegt heute in Trümmern. Von ihr, bzw. ihrem Inhaber hören wir schon im Jahre 1246, wo sie als Chattensteyne genannt wird. Sie war der Stammsitz der Katzensteiner, die im 14. Jahrhundert wiederholt in den Urkunden genannt werden. Die Burg wurde von Witowetz nach harter Belagerung eingenommen und gänzlich zerstört. Heute zeugen nur noch einige Mauerreste von ihr und die Filialkirche St. Florian steht an der Stelle der alten Ritterburg. * % ìjc Auf einem sanft ansteigenden, bewaldeten Hügel liegt die Burg Wöllan, dessen ältester Name Welen aus dem Jahre 1322 stammt und das mit seinen noch ringsumlaufenden, efeuumrankten Ringmauern ein unregelmäßiges Viereck bildet und noch ganz den Eindruck einer wohlerhaltenen Burganlage des Mittelalters macht, aber höchstwahrscheinlich ein völliger Neubau des 16. Jahrhunderts sein dürfte. Die ältesten bekannten Besitzer waren die Herren v. Chunigsberch, die an der Wende des 13. Jahrhunderts erscheinen. Von diesen erhielten sie die Cillier. Beim Einbruch der Türken wurde auch sie belagert, widerstand aber dank den starken Mauern der türkischen Beschießung, worauf die Türken nach schwerer Verwüstung des ungeschützten Marktes wieder abzogen. Mg * Ein paar tausend Schritte davon entfernt liegt das Schloß Eggenstein, während die Reste der älteren Burg gleichen Namens auf dem Berggipfel über den Ruinen der Burg Schallegg aufragen. Beide Burgen gehörten einst dem alten Geschlechte der Eggensteiner, die schon 1329 auftauchen und deren letzter 1473 in türkischer Gefangenschaft gestorben ist. Dann wurde die Burg Cillier Besitz Und ging auf den Kaiser über. 1500 verkaufte Kaiser Max die Herrschaft an den Grafen Friedrich von Zollern, dessen Nachkommen sie dann wieder weiterverkauften. # * Älter noch als diese Burg ist das benachbarte Schallegg, dessen Trümmer eine höchst bescheiden gehaltene Burg erkennen lassen; vielleicht war der dreieckige Bergfried das einzige bewohnbare Gebäude. Diese dreieckige Gestalt soll bewirkt haben, daß bei der Belagerung im Jahre 1643 die türkischen Kanonenkugeln wirkungslos abgeprallt seien. Noch bis 1770 war die Burg bewohnbar und erst später ist sie durch ein durch Blitz verursachtes Feuer zerstört worden. Dann dienten die Reste dem nahen Dorfe als Steinbruch, so daß von der Anlage nur sehr wenig zu erkennen ist. * * Der Herrschaftssitz wurde dann in das aus dem 17. Jahrhundert stammende Thur n verlegt, dessen Erbauer wahrscheinlich die Grafen Thürn zu Valessassina waren, die in Tirol und Krain reich begütert waren und auch in Steiermark schließlich eine ganze Reihe von Herrschaften besaßen, so: Plankenstein, Schönstein, Tfiurnisch, Turnovetz, Arnfels, Anderburg, Lechen, Laindorf, Schönbühel, Ankenstein und die Märkte Lemberg und St. Georgen. * ■ * * Ganz in der Nähe des alten Eggenstein treffen wir mitten im üppigen Weingelände in schöner Lage das Schloß Gutenhardt. Es war früher ein unbedeutender Hof, der erst um 1790 ausgebaut wurde und von da an Schloß hieß; jedenfalls ist es eines der jüngsten Schloßbauten unseres Gebietes. * * * Um vieles älter ist dagegen die südlich davon liegende Burg Schwarzenstein (1360 Swarczenstain genannt). Trotz ihres Alters hat die Burg neben ihren berühmten Nachbarn niemals eine größere Rolle gespielt. Sie kam im Laufe der Zeit in den Besitz verschiedener Adelsfamilien, von denen_ sich auch einige „Zum Schwarzenstein“ nannten; §o besaßen sie die Maß wander, Flaming, Triebeneck, Gaisruck, Wurmbrand. bBH Im Gebiete des Doberna- und Köttingbaches treffen wir noch mehrere alte Burgen und Schlösser. Einer der ältesten Rittersitze der Gegend ist Neuhaus, das schön 1257 als domus nova apud st. Mariam (das neue Haus bei hl. Maria), 1296 als Növenhous, 1322 als Newhous erscheint. Wann für diese Burg der Name Schlangenburg aufkam. ist nicht nachweisbar. Die weit ausgedehnte Herrschaft kam in der Mitte des 12. Jahrhunderts in den Besitz des Bistums Gurk; dann in den der Cillier und nach deren Ausgange wurde sie einem Adelsgeschlechte verliehen, das von ihr seinen Namen herleitete und außer dieser Herrschaft in Steiermark noch besaß die Herrschaften Neuhaus bei Stubenberg, Dürnstein, Forchtenegg, Irenfriedsdorf, Goppelsbach, Marburg, Kornberg und einige kleinere Gülten, also zu den bedeutenderen Geschlechtern des Landes gehörte. Es erlosch erst im Jahre 1742. * H* * Am oberen Ende des freundlichen Dobernatales erhebt sich das stille Gutenegg, das in seiner Weltabgeschiedenheit niemals eine größere Rolle gespielt hat. Wohl finden wir seinen Namen schon in den Urkunden des Jahres 1373; auch war es durch lange Zeit der Sitz eines Herrengeschlechtes, das nach der Burg die Gutenecker genannt wurde, aber niemals hervorgetreten ist. Nach diesen gehörte die Herrschaft der Familie Thybein, dann wurde sie landesfürstlicher Besitz und durch Pfleger verwaltet. H* H» H« Wandern wir talaus, so erblicken wir bald das prächtig gelegene, erinnerungsreiche Schloß Lemberg, dessen Name im Laufe des Mittelalters mehrfache Wandlungen durchgemacht hat, denn wir finden Leumburg, Lewen-burg, Lengburch und andere Formen. Das Bild der auf Felsen thronenden Burg wird von dem gewaltigen Rundturm beherrscht, an den sich mehrere Gebäude anschließen. Die schön gebaute Torgalerie wird ebenfalls von Wohngebäuden umschlossen und einige Rundtürme verstärken die umschließende Ringmauer. Nach Vischers Abbildung war die Burg am Ende des 17. Jahrhunderts eine der größten und stattlichsten des ganzen Gebietes. Sie war gleich dem Markte Lemberg Besitz des Gurker Bistums, war bis etwa 1270 im Besitze der Herren von Leumburg, ging dann am Schlüsse des 13. Jahrhunderts vielleicht mit der Herrschaft Rabensburg (deren Burg heute gänzlich verschollen ist) auf die Herren von Pettaw über, von denen sie dann .Graf Johann v. Schaumburg erbte. Da dieses Geschlecht ein Gegner der Cillier war, „zog Graf Friedrich von Cilli für ein Geschloß genanndt Rabensperg und gewann das auch und auch dabey ein gesloß, genannt Lemberg und gewann das auch und lies die beyde in Grund nieder brechen, darumb das sy ihm zu nahent bey Cilli gelegen seint“. Nach dem Ende der Cillier ließen die Schaumburger ihr Schloß wieder neu aufbauen; es blieb fortan der Mittelpunkt einer bedeutenden Herrschaft, zu der ein Landgericht mit einem Bezirk von 26 Gemeinden gehörte. # t * Nahe der Vereinigung des Dobernica- und Köttingtales liegt dort, wo sich das letztgenannte Tal zum Cillier Becken öffnet, auf sanfter Anhöhe das Schloß Weixelstätten, das erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts seine heutige Gestalt erhielt. Mit seinen Ecktürmen und dem großen Haupttürme macht es einen bedeutenden Eindruck. Wenn wir auch hier die Erbauer nicht kennen, dürfen wir doch annehmen, daß die Krainer Herren v. Weixelburg die Gründer dieser Herrschaft waren. Einzelne Männer dieses in der kraineri-schen Geschichte so bedeutenden Geschlechtes haben auch in der steirischen Geschichte eine Rolle gespielt, so Sigmund v. Weixelburg, der 1532 die Türken auf dem Leibnitzer Felde schlug. Später besaßen die Dietrichstein, Welzer und andere diese Herrschaft, zu deren Verwaltungsbezirk bis 1848 56 Gemeinden gehörten; sie war also einer der größten Bezirke unseres Landes. * I Über dem benachbarten Markte Hohenegg lag die alte Feste gleichen Namens, die 1259 unter dem gänzlich entstellten Namen castrum Horyk genannt wird, dann aber schon 1311 als purg Hohenegge erscheint (der Markt wird jedoch schon 1165 genannt). Auf den Trümmern der Burg wurde später die kleine Kirche Maria-Sieben-Schmerzen erbaut, nachdem die Burg im Kriege ums Cillier Erbe durch den Feldhauptmann Witowetz arg verwüstet worden war. * * Hs Von dem nördlich von Hohenegg hart an der Straße gelegenen Schloß Sternstein ist keine nennenswerte Geschichte bekannt, es hat auch niemals eine größere Herrschaft gebildet, seine Besitzer waren die Dienersberg, Lindeck, Jabornegg und andere. Dagegen spielte die Burg Lindeck (heute nur noch eine kümmerliche Ruine) eine größere Rolle. Von ihr hören wir schon im Jahre 1264. Als ihre Besitzer und vielleicht auch Erbauer erscheinen die Herren von Lindeck, die auch Sternstein und noch mehrere berühmte Burgen in der Oststeiermark besaßen, so die Riegersburg, Neudau und eine der ältesten Burgen des Landes, Thalberg bei Hartberg. Unter den späteren Besitzern finden wir auch berühmte Geschlechternamen wie Hammer, Hohen-warth, Tattenbach, Gaisruck. Die Burg wurde beim Einfall der Ungarn unter Johann Hunyady im Jahre 1446 zerstört und seither nicht wieder aufgebaut. H* * * In wirklich einsamer Umgebung liegt im Köttingtale das Schloß Einöd, das zwar schon am Ende des Mittelalters bestand, aber niemals eine Rolle gespielt hat. Im 17. Jahrhundert gehörte es zum ausgedehnten Besitze der Freiherrn von Ramschüßl, von denen es dann die Freiherrn von Dienersberg übernahmen. »iS ^ * Von Einöd weiter ins Tal wandernd, treffen wir den kleinen Markt Weitenstein, der auf beiden Talseiten von den Ruinen der beiden alten Burgen Oberund Unterweitenstein bewacht wird, während das neue Schloß mitten im Markte ein ganz unbedeutendes klosterartiges Gebäude ist und nichts Beachtenswertes enthält. Von den beiden Burgen ist Oberweitenstein die ältere; sie wurde schon 1140 als castrum Witenstain erwähnt. 1201 wurde sie durch ein Erdbeben gänzlich zerstört, wobei der babenbergische Ministeriale Hartnid von Weitenstein mit sieben Gefährten durch die einstürzenden Trümmer den Tod fand. Wahrscheinlich hat man sie wieder aufgebaut, denn die weiter südlich auf dem andern Hange entstandene Burg Unter- oder Neuweitenstein taucht erst fast zwei Jahrhunderte später auf (1404 als npvum castrum Weitenstein und 1425 als Neuweiten stein). Die Burg hatte eine für damalige Zeiten geradezu ideale Lage: auf einem schmalen Felsrücken gelegen, war sie nur von einer Seite leicht zugänglich und dort waren durch die mächtigen Mauern die Zugänge verwehrt. In der Mitte des ringsummauerten Gipfelplateaus erhob sich auf einem kleinen Felskegel der gewaltige Bergfried als der letzte Rückzugsort. Seit den ältesten Zeiten waren die beiden Burgen wie auch der Markt Besitz des Gurker Bistums, wurden später den Cilliern übergeben und nach dem Ende der Cillier vom Kaiser Friedrich pflegweise vergeben. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts verkaufte das Bistum die Herrschaft Weitenstein, zu der außer den beiden Ruinen und dem Schlosse auch noch das Landgericht mit dem Markte und 11 Gemeinden gehörten, an den Freiherrn von Dienersberg. # ^ * Dort, wo sich Straße und Eisenbahn durch die Engschlucht der Huda lukna zwängen, liegen auf steilem Waldhang die letzten Mauerreste der Burg Wald egg, die schon 1296 genannt wird. Es sind nur noch ein starker Turni und einige Fensterwölbungen erhalten, die inmitten der düsteren Umgebung einen fast unheimlichen Eindruck machen. Von den ersten Besitzern, den Herren von Waldegg, übernahmen die Burg die Auffenberg, unter denen sie wahrscheinlich bei einem Fehdegange zerstört wurde; denn bald verliert sich ihr Name in den Urkunden, während die Güter mit der Herrschaft Rottenturn (bei Windischgraz) vereinigt wurden. * I * • • • ' Hs Tief im Wald versteckt, abseits von allen Wegen, liegen die Reste der alten Burg Wiederdrieß, die schon 1338 unter diesem Namen vorkommt, von deren erstem Besitzer wir aber nichts wissen. Sicher ist, daß sie ein Lehensgut des Patriarchates Aquileja war und von diesem 1436 an Herzog Friedrich verkauft wurde, der sie im gleichen Jahre Hans Ungnad wegen treu geleisteter Dienste als Lehen überließ. Im 16. Jahrhundert wurde das alte Bergschloß durch Feuer zerstört und nicht wieder aufgebaut; an seiner Statt wurde weiter talauswärts ein neues errichtet, das dann im Laufe der Zeit durch zahlreiche Hände ging. » * Im Mießlingtale liegt mitten im Walde das erst im 18. Jahrhundert zum Schloß umgebäute Jagdhaus Hartenstein. Seine früheren Besitzer, die Galler und die Grafen Attems, hatten den Hof lange Zeit nur zu Jagdzwecken bènutzt und erst die folgenden Besitzer aus der Familie Kulmer vergrößerten und verschönerten das Gebäude und machten es zu einem stattlichen Edelsitzé, H« Hs • Hs.. Derselben Familie gehört auch die Herrschaft Rottenturn bei Windisch-graz, der früher auch die Stadt Windischgraz und 16 Gemeinden zinspflichtig waren. Das Schloß war, wie es der Name sagt, ein Wehrturm mit rotem Dach, in dem die Pfleger des Patriarchen saßen. Mit dem Anwachsen der Stadt verlor das einfache Gebäude seine Bedeutung und blieb nur als Herrschaftssitz bestehen. Es wurde zwar später mehrmals erweitert und weitläufig ausgebaut, bietet aber nichts Sehenswertes. Zum weitverzweigten Herrschaftsbesitz gehörten außer den letztgenannten Burgen und Schlössern noch Rottenegg und ein Bezirk von 16 Gemeinden. # # * In nächster Nachbarschaft von Windischgraz liegt in freundlicher Läge das gut erhaltene einfache Schloß Fel den hofen, dessen Name aus seiner Lage „Der Hof auf dem Felde“ leicht zu erklären ist. Das Dorf wird wohl schon 1331 genannt, aber der Edelsitz wird erst in der Mitte des 17. Jahrhunderts erwähnt. Es wurde dann in die Reihe der landtäflichen Güter eingetragen und von Vischer in seinem Schlösserbuch als ein anmutiges Schlößlein mit vorspringendem Toreingang gezeichnet, über dessen Tor sich ein verandaartiger Vorbau befindet, der von einem kleinen Uhrturm gekrönt wird. Wir sind am Ende unserer Wanderung, bei der wir die Geschichte der bedeutendsten Burgen und Schlösser in kurzen Zügen kennengelernt haben. Von vielen dieser alten Herrensitze sind uns nur sehr mangelhafte Nachrichten erhalten. Wenn wir auch von manchen Burgen nicht allzuviel wissen, so weisen deren meist rein deutsche Namen darauf hin, daß sie deutsche Gründungen waren, daß deutsche Geschlechter sich hier angesiedelt haben, die in die oft noch ganz menschenleere oder nur schütter bewohnte Landschaft neues Leben brachten. Unter dem Schutze der festen Burgen entstanden nicht selten größere Siedlungen, in denen sich bald deutsches Bürgertum mächtig entwickelte, so daß diese von Burgen geschützten Städte und Märkte feste Horte und Pflegestätten deutscher Kultur durch Jahrhunderte sein konnten. Und wenn auch jetzt von unseren Gegnern mit Eifer daran gegangen wird, alle Spuren auszutilgen, die an die deutsche Zeit im steirischen Unterlande erinnern könnten, so werden doch die alten Mauern dieser vielen Burgen und Schlösser so lange eine um so lautere Sprache sprechen, als noch Reste von ihnen bestehen werden. Und selbst wenn der letzte Stein von diesen, einst so stolzen deutschen Burgen verschwunden wäre, die vielen Tausende von Urkunden und schriftlichen Nachrichten werden immer wieder davon zeugen, daß Jahrhunderte hindurch im steirischen Unterland deutsche Kultur und Sitte in Hunderten von Wohnstätten gepflegt und behütet wurden. Prof. Dr. Fritz Nowotny FRANZ TÀHY SCHLOSZHERR AUF STATTENBERG EIN ZEITBILD AUS DEM 16. JAHRHUNDERT Bach dem Aussterben der Cillier Grafen fiel ihr reicher Besitz in Untersteiermark in die Hände der Habsburger zurück. Friedrich HL und Maximilian I. ließen die Güter nicht direkt durch ihre Pfleger verwalten, sondern verpfändeten sie auf unbestimmte Dauer an verdiente Beamte und adelige Herren. Zu diesem Vorgehen waren sie durch die schwierige wirtschaftliche Lage gezwungen. Der allzeit geldbedürftige Kaiser Friedrich III. war in eine Unzahl Händel verwickelt, die seine Lande verwüsteten und damit die Steuerkraft der Bewohner heruntersetzten. Maximilians weitausschauende Unternehmungen waren ebenfalls kostspielig, besonders stürzte ihn der Venezia? nische Krieg tief in Schulden. Die adeligen und nichtadeligen Pfandnehmer suchten sich natürlich auf Kosten der Bauern zu bereichern, um rasch zu ihrem ausständigen Gelde zu kommen. Außerordentlich ungünstig war es, daß man die Güter nur selten auf bestimmte Zeit verpfändete. Um jederzeit den Besitz wieder einlösen zu können, verlieh man die Pfandschaft auf unbestimmte Dauer, gewöhnlich bis auf Widerruf. Der Inhaber der Pfandherrschaft verwuchs daher niemals so innig mit seinem Besitztum, wie es mit den auf Lebenszeit ausgetanen oder sogar noch vererbbaren Lehen der Fall war; er übernahm jeden! falls ein Risiko und mußte die Erträgnisse des Gutes so rasch als möglich auszunützen trachten. Gerade die landesfürstlichen Kammergüter in der Untersteiermark verpfändete man gerne, weniger in den übrigen Landstrichen der Steiermark. Diese Maßnahme ist darin begründet, daß die untersteirischen Güter weit ent? fernt vom Mittelpunkte des Landes lagen, immer sehr gefährdet waren und daher schwankende Erträgnisse lieferten. Seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts raubten und sengten die Türken in Untersteiermark oft mehrere Jahre hintereinander, während sie ihre Plünderungszüge in die entferntere Mittelund Obersteiermark doch nicht so oft ausdehnten. Mochten die Pfandinhaber dann Zusehen, wie sie zu ihrem Gelde kamen. Im benachbarten Kroatien wuchs in diesen Jahrzehnten ein durch die steten Kämpfe kriegsgeübter Adel mit rauhen Sitten heran. Er war stark verschuldet und brauchte viel Geld, da man die kargen Kriegspausen durch ein prunkvolles Auftreten und ein üppiges Leben verschönte. Bezahlen ließen sich ihre Kriegsdienste nicht immer, denn der Landesherr stak selbst in Schulden, und zahlte er nicht, so lag die Gefahr des Überlaufens zu den Türken nahe. Zeitweilig mußte man deshalb an die Adeligen nicht nur kroatischen, sondern auch benachbarten südsteirischen Besitz verpfänden. Daher kam es, daß sich im Laufe des 15. und 16. Jahrhunderts eine Reihe ungarisch-kroatischer Adeliger als Pfandinhaber von landesfürstlichen Herrschaften in Untersteiermark ansässig machten. Wir finden die Czäky (Schack) schon seit 1466 in der Gegend südlich von Radkersburg, die Székely (Zackel) in Friedau, die Rättkay, Tähy, Zrinyi, Älläpi und noch viele andere als Pfandinhaber von südsteirischen Schlössern und Herrschaften. Sie brachten in ihren neuen Wirkungskreis ganz andere Anschauungen über das Verhältnis zwischen Herrschaftsbesitzer und Untertanen mit, als sie die früheren, meist einheimischen Adeligen deutscher Abkunft besaßen. In Ungarn war der Untertan schon damals ganz entrechtet und zum Leibeigenen im wahrsten Sinne des Wortes herabgesunken, mit dem man willkürlich schaltete und waltete, wie es dem Herrn beliebte. Sie brachten die Ausschweifung, die Rücksichtslosigkeit gegen Untergebene und das geringe Verständnis für das Fremde mit, die dem ungarischen Nationalcharakter eigen sind, was sich in diesen schweren, kriegsdurchtobten Zeiten noch greller auswirkte. Fast alle waren sie Bauernschinder übelster Sorte, die für ihr Vergnügen aus ihren Untertanen herauspreßten, was sie konnten. Die vordem günstige Lage der Bauern hatte sich im Verlaufe des 15. Jahrhunderts allgemein sehr verschlechtert. Die Ursache will ich hier nicht näher behandeln. Äußere Einflüsse kamen dazu, die schlechte Münze und die Entwertung des Geldes, die vielen Kriege, welche die Einnahmen beeinträchtigten und die Ausgaben erhöhten. Der erste größere Bauernaufstand in Untersteier-, mark und Krain vom Jahre 1515 fällt zeitlich mit dem finanziell verlustbringenden venezianischen Krieg zusammen. Damals kämpften die Bauern um die Wiederherstellung der „stara pravda“, des alten Bauernrechts; religiöse Fragen wirkten in der unruhegeschwängerten Zeit vor der Reformation mit. Wenn auch der große Bauernaufstand vom Jahre 1525 nicht in die Untersteiermark Übergriff, so kam es doch in den nächsten Jahrzehnten zu zahlreichen kleineren örtlichen Erhebungen, die aber jedesmal unterdrückt wurden. Erst die Jahre 1572 und 1573 brachten einen allgemeinen Aufstand der windischen Bauern, der sich über Krain und Südsteiermark erstreckte und seinen Herd in Kroatien hatte. Der Aufstand fällt in eine Zeit der stetigen Entwertung des Silbers, das die reiche Silberausbeutung in Schwaz und Joachimstal und die massenhafte Silbereinfuhr aus Amerika bewirkte. Die Folge waren ständig steigende Preise. Die Aufwärtsbewegung der Preise trat in Steiermark besonders um das Jahr 1570 zutage, da im Lande ungünstige Erntejahre waren. Unter der Teuerung litten nicht nur die Untertanen, sondern auch die Herrschaftsbesitzer, die bei gleichbleibenden Abgaben wesentlich höhere Ausgaben zu bestreiten hatten. Am ärgsten waren natürlich diejenigen Herrschaftsbesitzer betroffen, welche tief in Schulden staken. Nicht geringere Schuld trug der sich stets mehrende Steuerdruck, der eine notwendige Begleiterscheinung der hohen Auslagen für den Schutz der Grenzen gegen die Türken bildete. In diesen Zeitereignissen lag nun das auslösende Moment, welches zu dem furchtbaren Bauernaufstand vom Jahre 1573 führte. Franz Tähy de Tah war ein ungarischer Edelmann und Besitzer vieler Güter in Kroatien. Persönlich tapfer im Kampfe gegen die Türken, liebte er ein ausschweifendes Leben, war tief verschuldet und war schon lange als rücksichtsloser Grundherr gegenüber seinen Untertanen bekannt. Im Jahre 1558 hatte er von Wolf Engelbrecht von Auersperg die verpfändete Kammerherr-Schaft Stattenberg südöstlich Windischfeistritz abgelöst, blieb aber bis zu seinem Tode dem größten Teil der Pfandsumme dem früheren Pfandinhaber schuldig. Als die Teuerung einsetzte, trieb er rücksichtslos höhere Abgaben ein und raubte den Bauern Vieh und Fahrnisse. Bei den Klagen seiner Untertanen wird hervorgehoben, daß er gerade in dem „teuern Jahr“ die Abgaben doppelt einforderte. Schon im Frühjahr 1572 traten die kroatischen Bauern der Tähyschen Güter in Sossed (Szomszédvara) und Stubica, ferner von Werdowetz, Stupnik und Kaisersberg in einen geheimen Bund zusammen. Im Sommer reisten Abgesandte der Bauern nach Wien zum Kaiser, welche die Abschaffung von allerlei Abgaben verlangten und ein etwas unklares Programm vorlegten, das förmlich auf die Schaffung eines vierten Standes im Lande Kroatien hinausging. Die Antwort mußte bei so weitgehenden Ansprüchen unbefriedigend ausfallen und so kam es Ende 1572 zum allgemeinen Aufruhr in Kroatien. Die Empörung überschritt bald die steirische Grenze, die Bauern der meisten Herrschaften zwischen Drann, Save und Sottla schlossen sich dem Aufstande an. An der Spitze der steirischen Bauern stand ein gewisser Ilia Gregorič, ein Untertan aus Sossed, den Franz Tähy persönlich beleidigt hatte. Aber schon um die Mitte des Februar 1573 war der Aufstand so gut wie niedergeschlagen. Ein furchtbares Strafgericht brach über die Empörer herein, dessen Verlauf uns hier nicht näher beschäftigen soll. Einstimmig messen die Berichte über diesen Aufstand dem Tähy die Schuld an dem Ausbruch bei. Die steirischen Landstände erklärten Anfang Februar Kaiser Maximilian II., der Aufruhr sei nur zu stillen, wenn man die Herrschaft Sossed dem Tähy wegnehme und die Ausübung der Gerechtsame ihm verbiete. Ähnlich sprach sich Jost von Radmannsdorf zu Sturmberg in einem aus Warasdin vom 10. Februar datierten Schreiben aus : Wüßten die Untertanen, daß Tähy seiner Herrschaften entsetzt würde, so zögen sie selbst freiwillig alle nach Hause und blieben in Ruhe und Gehorsam. Am folgenden Tage schreibt er an die Verordneten: „Dieser Aufruhr ist gleichwoll niements anderst dan Tähy Principallursacher. Wenn man solche Dinge richtig besähe, müßte überall der arme Mann herhalten und das Bad ausgießen, zumal alles bäuerliche Gut jetzt von den Unsern verwüstet und niedergebrannt wird.“ Am 24. Februar 1573 berichtet Christof Gail an Schärfenberg über das neuerliche Wüten des Tähy, der nach Niederwurf des Aufstandes die Untertanen von neuem gefangensetze und quäle. Die allgemeine Stimmung gibt am besten der Raaber Bischof Johannes Lißthy in einem Schreiben vom 28. Februar 1574 an den damaligen ungarischen Primas wieder: „Ganz Slawonien verflucht den Tahy.“ Hier setzt die Darstellung ein, die sich im wesentlichen auf bisher unbekannte Akten des steiermärkischen Landesregierungsarchives (Sachabteilung der innerösterreichischen Hofkammer, Faszikel alt Nr. 100) stützt. Über das Verhalten des Tähy gegen seine Stattenberger Untertanen geben die erhaltenen Protokolle und Schadenersatzansprüche reichlich Auskunft, wenn auch die Untaten damit keineswegs erschöpft sind. Die Beilagen zur Beschwerdeschrift des Wortführers der Untertanen, Christof Krall, vom 15. Jänner 157.6 füllen 45 Blätter und enthalten auf einem Blatt oft mehrere Untertanen mit ihren Schadenersatzansprüchen. Der Besitz des Schlosses Stattenberg erstreckte sich größtenteils südlich Windischfeistritz durch das ganze Losnitztal bis zur Einmündung in das Drann-tal unterhalb Stattenberg und über das Stück des Dranntales von Studenitz flußabwärts bis nahe an Monsberg und war im Süden durch den Höhenzug des Wotsch begrenzt. Daher stammen die Kläger zumeist aus diesem Landstrich, aber auch Bewohner von Pöltschach, . Studenitz und Maria-Neustift, ja auch Bürger aus Windischfeistritz und Pettau finden sich unter den Leidtragenden. Jede dieser Klagen ist durch Zeugen bestätigt; aus der Unzahl der Fälle sind nur einige sinnfällige Beispiele hervorgehoben, - Die Schuldem deš Tähy bei seinen Untertanen aufzuzählen würde mehrere Blätter füllen. Andre Cramer, Bürger in Windischfeistritz, hatte zu Lasten deš Tähyschen Pflegers Gregor Dyackh 3 Pfund Seife, Vz Pfund Pfeffer, 3 Lot Nelken und „Kucheizucker“ ausständig. Auf Bezahlung von 11 Jl. ungarisch, 2 Ellen Tuch und 20 Taler Darlehen wartete Georg Khellnerlln Untermaxau vergeblich, ebenso Jansche Kötnik in Kerschbach auf Begleichung eines Darlehens von 5 Pfund Pfennigen.: Dorothea Zwirnerin in Kerschbach klagte: ihr seliger Mann habe dem Tähy um 100 fl. rhein. Roßnägel aus Graz geliefert. Als sie den Schuldbrief vorwies, habe er ihr „armen Weiwwel“ den Schuldbrief vor ihren Augen zerrissen. Dem Jansche Slodi zu Mattersdorf blieb er ein Faß Wein schuldig, ebenso dem Matthias Werloschnickh zu Nouackhendorf (Novake bei Studenitz), dem er überdies 4 leere Fässer wegnahm. Größere Geldsummen schuldete Tähy ebenfalls, so 700 fl. dem Michael Motschangrad und 400 ungarische Golddukaten dem Paul Bochoritsch in Maria-Neustift, die dessen Vater ihm schon im Jahre 1556 dargeliehen hatte. Als Edelmann blieb Tähy nicht nur schuldig, sondern enthielt auch den Arbeitern den Lohn für geleistete Arbeit vor. Er war der Schuldner des Philipp Weber in Untermäxau, der vergeblich auf seinen durch Wirken verdienten Lohn von 30 Talern wartete. Philipp Hafner zu Pöltschach lieferte vier Jahre hindurch Hafnerarbeit für die Schlösser Stattenberg, Sossed, Stubica und Hof Jablane (Jawlan), ohne bezahlt zu werden. Leonhard Maurer, Bürger und Handwerker in Maria-Neustift, machte Ausbesserungen am Schloß Stattenberg und mauerte einen; Turm auf. Sein Lohn von zusammen 20 fl. in bar und Naturalien, die 3 Görz Weizen, 10 Eimer Wein, AA Görz Salz und 4 Käse betrugen, blieb uneinbringlich. Der schon genannte Jansche Slodi aus Mattersdorf mußte durch fünf Jahre Häute, und Felle nach Stattenberg und Sossed verfrachten, eine Entlohnung erhielt er niemals. Simon, dem Bruder des Lorenz Warchitsch aus Obermaxau, zahlte Tähy den verdienten Liedlohn von 20 fl. nicht aus. Die Meierin in Stattenberg, Khättä, erhielt vier Jahre lang nicht den ihr zukommenden Jahreslohn. Urban Schmidt zu Obermaxau arbeitete 15 Jahre für den Tähy, ohne jemals eine Bezahlung seiner Leistungen zu erlangen. Larenz Khopriua aus Maxau stand mit einem Roß drei Monate im Aufgebot und erhielt keinen Sold. Weigerten sich die Untertanen, unter solchen Umständen Arbeiten für den Schloßherrn auszuführen, so wurden sie mit allen Mitteln dazu gezwungen. Steffan Haffner in Untermaxau wurde zum Ziegelmachen mit Gewalt angehalten, den Lohn von 14 fl. rhein. vergaß man ihm auszuzahlen. Thomas Vrschiz im Pacher hatte den Befehl, einen Hirsch im Bacherngebirge zu schießen. Als ihm dies nicht gelang, wanderte er ins Gefängnis und mußte 12 Taler Strafe zahlen. Außerdem zwang man ihn, durch zwei Jahre einen Sagmeister der Herrschaft umsonst zu verköstigen und zu besolden. Juri, des Walthauser Sohn (slowenisch Juri Baltiseriuff genannt) drang man zu verschiedenen Arbeiten und bezahlte ihn nicht. Über Auftrag führte Jurckho, des Gregor Sohn zu Mlatschach, bei furchtbarer Winterkälte und schlechtem Wetter Weizen nach Sossed, sein eigenes Pferd erfror und der mitfahrende „Pueb“ blieb kaum am Leben. Schadenersatz erhielt er nicht. Als sich Gregor Khraschitz in Obermaxau weigerte, solche unberechtigte Dienste auszuführen, wurde er ins Gefängnis geworfen und mit 30 Eimer Weines bestraft. Darlehen erpreßte Tähy unter Drohungen von den Bauern, wenn sie mit dem Gelde nicht herausrückten. So nötigte sein Pfleger Roßnagel den erwähnten Gregor Khraschitz, ihm ein Darlehen für den Ankauf eines Samtstoffes für die Gemahlin des Tähy zu geben. Tähy dachte nicht daran, seine Schulden zu bezahlen, aber auch sonst war ihm kein Mittel zu schlecht, um durch seine Untertanen zu Gelde zu kommen und sich zu bereichern. Die Bauern waren überhaupt schon über die von Jahr zu Jahr wachsenden Steuern und Abgaben erbittert, deren Grund in den kostspieligen Rüstungen lag, die man zum Abwehrkampfe gegen die Türken brauchte. Tähy hob aber auch Steuern zu seiner persönlichen Verwendung ein. So klagten Martin Waiz und viele andere Bauern ihn an, daß er im „teuern Jahr“ zweimal den Weizendienst einforderte. Dem Andre Schneider wurden über den bereits gezahlten Steuerausstand noch ein Paar Ochsen, ein Roß und eine Kuh weggetrieben. Juri Pißdor in Laporje (Lapria) wurde vom Pfleger gezwungen, „für die unvermuegigen Unnderthannen, nachdem sie alle erschöpfft gewest“, 25 fl. Steuer zu erlegen. Besonders schlecht erging es den Suppanen in den einzelnen Dörfern, die als Dorfrichter für die Eintreibung der Steuern verantwortlich waren. Waren die Bauern so ausgeraubt, daß sie zahlungsunfähig waren, so wurden die Steueraußenstände von ihnen zwangsweise eingetrieben. Thomas Vrschitz im Pacher mußte als Suppan in Kerschbach Gelder für Botengänge nach Graz vorstrecken. Als er den dafür ausgestellten Schuldbrief dem Tähy vorwies, nahm ihn dieser weg und zerriß ihn vor seinen Augen. Kaspar Wrumez, Suppan von Obernau bei Kerschbach, zwang der Pfleger Martin Slaschen, im „teuern Jahr“ von jeder Hube 4 Pfund Pfennige aus eigenem Säckel zu erlegen, da ein Erhalt des Geldes von den Untertanen nicht möglich war. Philipp Sorco zu Walkersdorf wurde die unangenehme Würde eines Suppan von Kerschbach aufgedrungen. Da er von den Untertanen die Steuer nicht einbringen konnte, mußte er, unter Androhung schwerer Gefängnisstrafe, 52 fl. rhein. erlegen. Der Pfleger Peter Jelicouitsch bedrängte ihn, 15 fl. rhein. zur Bezahlung zweier Reh- und Hirschnetze zu leihen, die er schuldig blieb. Ein anderes Mittel für Tähy, um Geld zu gewinnen, war der zwangsweise Verkauf von Erzeugnissen der Herrschaft Stattenberg durch die Untertanen in den benachbarten Städten und Märkten. Die Bauern mußten Lebensmittel zum Verkauf übernehmen, die entweder minderwertig waren oder so teuer berechnet wurden, daß sie unmöglich auf den Märkten anzubringen waren. Brachten sie ihre Ware nicht an, so wurde ihnen trotzdem der errechnete Kaufpreis für die Erzeugnisse herausgepreßt und der Bauer konnte dann Zusehen, wie er zu seinem Gelde kam. Dem Primus des Steffan Sohn zu Laporje gab der Pfleger 3 Startin schlechten Hof wein zum Verkauf, den er nicht verkaufen konnte, wohl aber bezahlen mußte. Ebenso drang man dem Stephan Bratschko in Laporje ein Faß „zenichtigen“ Hofwein auf, obwohl er niemals Weinschenk war, Ähnlich verfuhr man mit Lukas Richter zu Laporje, dem man 2 Startin schlechten Wein aufhalste. Er mußte zu dessen Bezahlung an die Herrschaft 2 Füllen verkaufen. Philipp Sorco, Petry Detitschek, Suppan zu Politschan, Jurko, des Gregor Sohn, und Martin Waiz hielten zwangsweise Hechte, Karpfen und Krebse in Windischfeistritz, Cilli und Pettau feil. Die Fische wurden ihnen von der Herrschaft um 1—2 kr. teurer angerechnet, als es die Marktpreise in den Städten waren. Alle erlitten durch den Verkauf großen Schaden, und als Jurkho, des Pangraz Sohn zu Politschan, sich weigerte, im Hinblick auf den Marktpreis einen solchen Verlust zu tragen, wurde er kurzerhand ins Gefängnis geworfen und mußte Strafe zahlen. So erging es auch Mathe, des Aree Sohn zu Mlatschaeh,. als ihn die Herrschaft gewaltsam nach Cilli schickte, um dort den herrschaftlichen Weizen und Käse anzubringen. Die zur Herrschaft Stattenberg gehörigen Gründe waren meist an die Bauern zu Kaufrecht ausgetan. Die Untertanen zahlten die auf dem Grundstück haftenden Zinse und Abgaben, hatten aber sonst freies Verfügungsrecht. Bei Verkäufen an andere Untertanen gebührte dem Grundherrn der zehnte Teil der Kaufsumme als Kaufrecht. Diesen Umstand nützte Tähy ebenfalls für seinen Geldbeutel aus. Er zwang seine Bauern zum öftern Verkauf der Güter, um den zehnten Teil der Kaufsumme einzustecken. Die Kinder des verstorbenen Martin Kotnickh zu Hrastovetz mußten widerrechtlich von Tähy einen Weingarten zu Kaufrecht nehmen, ebenso Jansche Slodi zu Mattersdorf. Matthias Sumer in Jellovetz (Jelloualach) lehnte es ab, einen Weingarten zu kaufen, wurde dafür mit Gefängnis bestraft und mußte sich mit 9 Talern auslösen. Als er den Weingarten dann gezwungen zu Kaufrecht nahm, entzog man ihm diesen nach kurzer Zeit. Stephan Siuakh in Luuitschendorff (Levee bei Laporje?) kaufte gezwungen einen Weingarten um 16 fl. von Tähy, den dieser dem Stephan Stertschy mit Gewalt weggenommen hatte. Alle diese Mittel genügten dem Geldbedürfnis des Schloßherrn anscheinend noch nicht. Kurzerhand griff er dann in vielen Fällen zum offenen Raub und Diebstahl. Die Reihe der Untertanen ist sehr groß, die er ohne jeden Rechtstitel ihres beweglichen Eigentums beraubte. Unter den aufgezählten Beutestücken findet sich nahezu alles bewegliche Gut des Bauern vom Vieh bis zum Hemd und zur Pferdekotze. Michel Brumez zu Untermaxau klagte, daß seinem Bruder der Tähysche Hauptmann Rotfux dreimal je ein Paar Zugvieh zur Begleichung der Steuer weggetrieben habe. Weiters nahmen sie ihm ein Roß weg und durch zwölf Jahre mußte er mit seinem Kobelwagen alle Sonntage ausfahren, wofür er niemals Bezahlung erhielt. Dem Lucaß Richter in Laporje raubten die Söhne des Tähy, als er zur Robot in Stattenberg weilte, ein Füllen, trieben es nach Stubica und verwendeten es so lange zum Reiten, bis es umstand. Juri, der Sohn des Walthauser, beklagte den Raub eines Rockes samt Unterfutter und eines Paares Hosen. Als Martin, des Vrban Sohn zu Latschach, bei seiner Behausung Mist führte, wurde ihm mit Gewalt sein Roß ausgespannt und weggeführt, er wurde obendrein noch bestraft. Recht arge Verluste beklagte Michael Khottnik zu Dole (Duell). Ihm wurden an Bargeld von Tähy eigenhändig 90 Taler und 16 fl. rhein. weggenommen, weiters verlor er 1 Feldpferd, 3 Kühe, 15 Frischlinge, 15 Geißen und 15 Schweine. Seinem Bruder Martin wurden geraubt 12 Taler Bargeld, Roggen, 40 Pfund Fett, eine neue ungarische Kotze, 15 Ellen Flachsleinwand, ein neuer Tisch, eine Truhe mit Geschirr, 3 Truhen und 2 junge Kälber. Martin, des Jakob Sohn zu Laschau, büßte ein Pferd samt einem beschlagenen Wagen mit einer eisernen und zwei Sperrketten ein, Vrban Schmidt in Kopreinitz 2 Feldpferde, 4 Kühe und 1 Ochsen. Dem Simon Fusel zu Wresie entriß man zwei Weingärten; Elena, die Witwe des Michael Stermbschak, verjagte man ohne Ursache von ihrer Hube und nahm ihr 15 Schweine und Rinder und 2 Weingärten weg; unter Gewaltanwendung raubte man Krištof, des Peter Sohn zu Grobi, 2 Rosse. Auf gleiche Weise verlor Petry Detitschek in Politschan 2 Rosse mit Sattel, und als dem Tähy im Meierhof eine Kuh umstand, nahm sich dieser aus seinem Stalle eine bessere. Schließlich wurde er ins Gefängnis gesetzt. Detitschek erklärte, noch viele Beschwerden gegen Tähy zu haben, aber dies würde die Behörden zu sehr behelligen, „derenhalben ich dieselben dieser Zeit beruen lasse“. Dem Michael Schußtersedt in Maxau nahm der Schloßherr während Ableistung der Robot Knecht und Pferd und schickte sie nach Graz. Martin Waiz beklagte den Verlust eines Wagens samt Sattelzeug, und Niklaus Adam zu Maxau, daß ihn Tähy um den Nachlaß seines Vetters Michael Schefedran gebracht habe. Wegen ganz geringfügiger Vergehen schmachteten unzählige Untertanen im Verließ des Schlosses Stattenberg und konnten sich nur nach Zahlung eines hohen Lösegeldes befreien. Als Juri Pißdor zu Laporje sich im Schlosse ein- fand, um die Begleichung einer Schuldforderung zu erhalten und dem harten Herrschaftsbesitzer während der Vorspräehe noch ein schönes Kitz zur Begütigung überreichte, wurde er für diése Unverschämtheit auf mehrere Tage in den Kerker geworfen. Als Lukas Tantschiz zu Kerschbach einèn noch von dem früheren Bestandinhaber Wolf von Auersperg ausgestellten Kaufbrief vorzeigte, wurde er auf zwei Monate (von Jakobi bis Michaeli) gefangengesetzt, außerdem nahm man ihm zwei Schober Heu ab. Für den Bau des Meierhofes zu Jablane mußte er Eichbäume in Schwanberg schlagen. Da dem Tähy der Bau nicht gefiel, maß er ihm als Suppan (Dorfrichter) die Schuld bei und ließ ihn und seinen Bruder Jörgeli ins Gefängnis schaffen. Als seine Hausfrau sich nach seinem Befinden erkundigte, wanderte sie ebenfalls in den Kerker und erst nach langem Verhandeln und Zahlung von 24 fl. ungar. konnte er die Freiheit erlangen. Die Untertanen waren durch diese Vorgänge an Geld und Gut so erschöpft, daß sie an den Bettelstab kamen. Doch war dies dem Tähy noch nicht genug, er quälte sie noch mit anderen Grausamkeiten. Lukas Bratschko zu Kerschbach hatte für seine verarmten Brüder Zinse und Abgaben gezahlt, wofür ihn Tähy mit Getreide oder Wein zu befriedigen versprach. Zweimal versuchte er umsonst, das Versprochene zu erhalten, als er das dritte Mal mit Roß und Wagen beim Schloß anrückte, ließ er ihn bis zum Schloßtor hinausprügeln. Einstmals fragte der Schreiber des Tähy bei Lorenz, des Martin Sohn zu Grebli, an, wo die Fische am besten zu verkaufen seien, da fürchtete dieser, einen jener berüchtigten Fischverkäufe durchführen zu müssen und blieb die Antwort schuldig. Dafür würde er in den Turm geworfen und mit einer Viertelkanne so mißhandelt, daß er sechs Wochen arbeitsunfähig war. Niclas Khopriva zu Maxau hatte als Soldat unter Tähy mehrere Feldzüge mitgemacht, er mußte durch zehn Jahre zwei gerüstete Pferde erhalten, die ihm 108 fl. kosteten; ebenso zwang man ihn, für den Schloßherrn ein Pferd und einen Sattel zu kaufen. Tähy blieb ihm alles schuldig, und als er mit der Klage drohte, nahm ihm Tähy sein ganzes Hab und Gut weg, damit er über keine Mittel für eine Klage vor Gericht verfüge. Während Blasy Fegengast von einem Diener zum Vergnügen des Tähy mißhandelt würde und beim „Poldern und Umbziehen“ ein wenig von sich schlug, mußte er dem Tähy 3 Taler und seinem Diener 1 Taler als Strafe zahlen. Sehr schlimm erging es Lorenz Khopriua aus Maxau. Als Gabriel Tähy, der Sohn des Herrschaftsbesitzers von Cilli, selbdritt von einer Musterung heimritt und ihn neben einem abgeschlagenen Weidenbaum (Felber) antraf, stürzte Gabriel von rückwärts auf ihn mit einem Säbel und zerschlug ihn so, daß er für tot liegen blieb. Gabriel nahm ihm den Gürtel ab und legte ihn um seinen Hals, band ihn damit aufs Pferd und schleiftè den Verletzten zwei Ackerlängen. Dänn wurde er aufs Roß „zwerchs Überbunden“ und nach Maxau gebracht. In Maxau kamen ihm gute Leute zu Hilfe und versteckten den Unglücklichen. Als Gabriel merkte, daß er ihm entkommen war, schrie er ihm noch nach: „Ich will noch meine Hendt in deinen und etlicher deiner Nachbaren Blueth waschen, Ihr wirdet mir nicht endtgehen!“ Gar schlecht erging es Paul, des Jurkho Sohn, der von dem ebenso ungeratenen Sohne Tähys, Gabriel, so schwer mißhandelt wurde, daß er das Augenlicht verlor. Ihm sprach die innerösterreichische Regierung die für jene Zeit sehr hohe Entschädigung von 1200 fl. zu, die ihm aber erst im Laufe einiger Jahre in kleineren Raten aus den Einkünften von Stattenberg ausgezahlt wurde. Auch Jurckho, des Pangraz Sohn, aus Politschan erhob schwere Klage. Der Schreiber des Tähy hatte am hellen Tage seine Ziehtochter vergewaltigt, wofür Tähy jede Sühne ablehnte. Auf sein Verhalten in dieser Hinsicht lassen die Worte des Klägers tief blicken, da er den verbrecherischen Schreiber mit dieser Untat als ein „unverschambtes Ebenbild des Tähy“ bezeichnet. Das Treiben des Tähy ist an diesen „wenigen“ Beispielen genügend klargelegt. Es ist nun für seine Veranlagung durchaus bezeichnend, daß er nicht nur seine Untertanen schädigte, sondern sich auch an den Untertanen der Nachbarbesitzer vergriff. Gegen ihn gingen Michael Zäggl und die Söhne des Georg von Idungspeug, des Pfandinhabers der benachbarten Herrschaft Windisch-feistritz, mit Klagen vor. Letzterem hatte er mehrere Wiesen widerrechtlich entrissen. Das Kloster Studenitz führte in zahlreichen Fällen Beschwerde wegen Aneignung von Weinzehenten. Ferner drang er am 10, Mai 1568 in den Hof des Klosters in Pöltschach ein, ließ die Tore aufsprengen und führte 6 Schober Getreide weg. Einem Klosteruntertanen aus Oplotnitz raubte er das Fischzeug und ermordete einen zum Kloster gehörigen Bauern. Sicherlich ist die Aufzählung der Untaten in den Protokollen nicht vollständig. Wie muß Tähy erst auf seinen kroatischen Besitzungen gehaust haben, die den Herd des Bauernaufstandes von 1573 bildeten. In Kroatien konnte er noch freier schalten als im steirischen Stattenberg, wo er doch nur selten weilte. Wie bis jetzt bekannt war, entging Tähy dem Verhängnis, das ihm zu bereiten die aufständischen Bauern willens waren. Er setzte auf seinen kroatischen Gütern nach Niederschlagung des Aufstandes sein Wüten in noch verstärktem Maße fort. Doch entging er nicht ganz der Sühne ; in Steiermark wurde ihm wenigstens sein Handwerk gründlich gelegt. Etwa im Dezember 1572 hatten sich die Bauern Stattenbergs bemächtigt, aber an den Baulichkeiten und Fahrnissen wenig Schaden getan. Aus den Akten wissen wir, daß Tähy niemals mehr seine Herrschaft wiedersah. Erzherzog Karl schickte einen Zwangsverwaiter, Georg Progg, der Stattenberg fünf Monate lang Vorstand und am 14. Mai 1573 die Verwaltung dem Pfleger Thomas Jacober überließ, der dem landesfürstlichen Verwalter in Cilli unterstellt war und von diesem Tage an die Abrechnungen führte. Der neue Pfleger machte jeglichem Luxus auf dem Schlosse ein Ende, war aber genötigt, wegen der gänzlichen Verarmung der Untertanen durch sehr starkes Ausschlagen der Wälder sich die notwendigen Gelder zu verschaffen. Im Schloßhofe fand er nach Vertreibung der Tähy einen schwelgerisch ausgestatteten Hühnerhof vor, der mit damals sehr seltenem Geflügel bevölkert war. Er führt im Inventar an 1 indianischen Hahn und 8 indianische Hühner und nicht weniger als 50 Pfauen und Pfauinnen. Die Indiane zerrissen im Laufe des ersten Jahres die Hunde, 10 Pfauen erschlugen die erbitterten Leute oder trugen sie die Füchse fort. 34 Pfauen ließ der Pfleger sofort verkaufen; im Jahre 1576 fanden sich im Schloßhof nur mehr 3 Pfauen vor. Während der Pfleger so mit allem Unnützen aufräumte, verursachten ihm die im Schlosse gehaltenen Kriegsknechte anfänglich viele Auslagen, da man noch weiterhin Unruhen unter den Bauern befürchten mußte. 1573 gab es im Schlosse 10 Kriegsknechte, ihre Anzahl wurde jedoch im folgenden Jahr auf 4 herabgemindert. Wichtig erschien vor allem die Klarstellung der Leistungen der Untertanen. In dieser Hinsicht scheint von Franz Tähy viel gesündigt worden zu sein, doch redete man sich auf „Unkundigkeit der windischen Sprachen“ aus. Die Urbare (Verzeichnisse von Leistungen der Bauern) waren durch den Aufruhr der Bauern verlorengegangen oder aus anderen Ursachen nicht auffindbar oder verfälscht und mußten erst mühsam aus alten Verzeichnissen, Salzburger und Gurker Lehensbriefen neu zusammengestellt werden, was der Pfleger und die entsendeten landesfürstlichen Kommissäre besorgten. Das Vorgehen des Tähy hatte in Steiermark allgemeine Empörung ausgelöst, wozu die an Erzherzog Karl abgesendeten Berichte der gegen die Bauern kämpfenden Feldhauptleute viel beitrugen. Ebenso waren die steirischen Landstände aufgebracht, da die Unterdrückung des Aufstandes sie in große Unkosten stürzte. Unter dem Eindruck dieser Vorgänge erhob der landesfürstliche Kammerprokurator Dr. Johann Linßmayer vor den Lands- und Hofrechten in Graz öffentlich die Klage, zu der Erzherzog Karl am 8. Mai 1573 seine Zustimmung erteilte. Über den Verlauf des Prozesses sind wir nicht unterrichtet, nur das Urteil läßt sich aus späteren Akten wiederherstellen. Tähy wurde schuldig gesprochen, ihm wurde die Herrschaft Stattenberg aberkannt und eine Geldstrafe von 2000 Talern auferlegt. Ferner mußte er den Landständen sämtliche durch den Aufstand verursachte Auslagen ersetzen. Den geschädigten Untertanen hatte er Schadenersatz zu leisten, wobei die Entschädigungen für den geblendeten Paul, des Jurko Sohn aus Supdorf, und für die Witwe des ermordeten Untertanen des Klosters Studenitz hervorgehoben sind. In der Frage der Schuldforderungen des Lucaß Zäggl, der Ansprüche der Klöster Seitž und Geirach und der Herren von Idungspeug wurde er ebenfalls als sachfällig erklärt. Die Ausführung des Urteilspruches erlebte Franz Tähy nicht mehr, er ist während des Prozesses, schon ziemlich betagt, gestorben. Kaum ist er tot, so machen seine vier hinterlassenen Söhne, Gabriel, Stephan, Michael und Johann, die größten Anstrengungen, um das verlorene Stattenberg wiederzugewinnen. Sie beanspruchen die Protektion der kroatischen Landstände, sie wenden sich mit Erfolg an den Kaiser Maximilian H. und an die Kaiserin Maria. Unter den Akten sind eigenhändige Briefe des Kaisers und der Kaiserin an den Erzherzog Karl und seine Gemahlin Maria von Bayern zu finden. Die Brüder Tähy bestürmen die innerösterreichische Regierung mit Bittschriften; auch bekannte kroatisch-ungarische Adelige, wie Simon Kegleyich und Peter Rättkay, schließen sich ihnen an, vor allem der Schwager Franz Tähys, der einflußreiche Graf Georg Zrinyi, der sich der Vermittlung der steirischen Landstände bediente. Jedoch Erzherzog Karl und seine Regierung blieben trotz aller. Fürsprachen hoher und höchster Herrschaften vorerst fest. Erst zu Beginn des Jahres 1576 wurde unter dem Druck dér starken Einwendungen der kroatischen Stände das Urteil gemildert. Auf ein Gutachten der innerösterreichischen Regierung gestützt, die erklärte, daß eine Übernahme der Herrschaft Stattenberg durch die jungen Tähy unter allen Umständen zü einem neuen schweren Aufstande der Untertanen führen würde, begnadigte Erzherzog Karl die Bittsteller in einer Resolution vom 26. Februar 1576 unter folgenden Bedingungen : Die Herrschaft werde ihnen zurückgestellt, sie müßten aber diese, ohne jemals den Boden Stattenbergs zu betreten, sofort an einen steirischen Adeligen (womöglich an Hans von Auersperg) verkaufen. Sie haben aus der Kaufsumme alle Steuerrückstände zu bezahlen, ebenso die Strafe von 2000 Talern, die Forderungen der benachbarten Herrschaftsbésitzer und die der Untertanen unter Hervorhebung der schweren Fälle. Die Bestreitung der Unkosten der Landschaft im Aufstand erließ ihnen der Erzherzog, da die übrigen Anforderungen schon sehr hoch waren. Der Verkauf verschob sich aber von Jahr zu Jahr, da einerseits die Brüder Tähy angeblich durch die Türkengefahr immer an dem Verkauf verhindert waren, andèrerseits sich auch kein Käufer fand, der diese herabgekommene Hèrrschaft mit den Widersetzlichen und zum Aufruhr geneigten Bauern erstehen wollte. Die Tähy versuchten nun, die Übernahme von Stattenberg unter gewissen Bedingungen zu erreichen. Sie verpflichteten sich, die Herrschaft nicht mehr zü betreten und nur deutsche Pfleger anzustellen, mit denen sie in Pèttau,Marburg oder Windischfeistritz verrechnen wollten. Das Gutachten der innerosterrèichi-schen Regierung vom 24. November 1576 sprach sich für schärfste Abweisung aus. Die Übernahme der Herrschaft würde jedenfalls auf große Schwierigkeiten bei den Untertanen stoßen, die Tähy könnten auch deutsche Pfleger beeinflussen und durch sie die Bauern bedrücken. Die Forderungen der Landschaft seien nur durch einen Verkauf der Herrschaft zu befriedigen, daher, habe es beim Verkauf zu verbleiben. In den nächsten Jahren vollzog sich ein Umschwung der politischen Verhältnisse, der die Bitten der Tähy begünstigte. Obwohl man mit der Türkei im Frieden lebte, hörten die Plünderungszüge der Türken und die Scharmützel an der Grenze niemals auf, ständig mußte man auf Überfällen gefaßt sein. Der Grenzschutz mußte wirksamer ausgestaltet werden und daher übernahm Erzherzog Karl anfangs 1578 auf Wunsch des Kaisers die Verteidigung der windi-schen und kroatischen Grenzen von der Dran biš zum Adriatischen Meer. Als Leiter der Grenzverteidigung war nunmehr Erzherzog Karl auf den guten Willen des kroatischen Grenzadels angewiesen, unter dem die Brüder Tähy eine hervorragende Rolle spielten. Die Sinnesänderung Karls in der Statten-berger Angelegenheit ist in einer Resolution vom 5. Februar 1578 zuerst merkbar. Darin wird den Tähy „in Anbetracht der so ansehnlichen Fürschriften und Intercessionen“ : und wegen ihrer Kriegsdienste erlaubt, das Schloß Stattenberg wieder zu .übernehmen, falls die Untertanen sie einhellig ünd gutwillig als ihre Obrigkeit anerkennen würden. Diese Resolution zeigt so recht die schwankende Haltung des Erzherzogs, der die Übernahme Stattenbergs durch die Tähy so lange als möglich verschieben wollte, aber doch nicht imstande war, dem zähen Ansturm des Grenzadels standzuhalten. Nach Stattenberg wurden Kommissäre geschickt, welche die Untertanen verhören und zugunsten der jungen Tähy umstimmen sollten. Das Ergebnis war vorauszusehen. Obwohl die Kommissäre am 29. Juni 1578 in Stattenberg den Bauern eindringlich vorhielten, daß sich die Tähy für gute Behandlung verbürgten, so gab es unter ihnen doch nur eine einzige Stimme: Sie seien nicht gesinnt, sich aus des Erzherzogs Schutz und Schirm zu begeben, „außer es habe dann Eure fürstliche Durchlaucht die Herrschaft ainem andern doch teutschen Herrn“ zu verleihen. Sonst war mit ihnen gar nichts Fruchtbares auszurichten, so berichteten die Kommissäre. Auch die steirischen Landstände, von Erzherzog Karl um ein Gutachten befragt, erklärten auf das Begehren der Untertanen hin, die Übernahme der Herrschaft würde unbedingt Aufruhr verursachen, in Betracht käme der Verkauf nur an einen deutschen Adeligen. Die Tähy ruhten trotz der Abweisung nicht und erwirkten von Erzherzog Karl eine Entscheidung, daß sich die Kommissäre neuerlich nach Stattenberg zu verfügen hätten, um dort jeden Untertanen einzeln und nicht gemeinschaftlich zu befragen. Die zweite Kommission kam erst im März 1579 zustande. Die Kommissäre verhörten die Untertanen zuerst abgesondert und verhandelten dann mit einem Bauernausschuß. Trotz aller Anerbietungen der Tähy wollten sie von ihnen nichts wissen und hören, sie würden sich lieber „von irem Haimbweßen oder auch in den Todt begeben“. In einer Bittschrift an den Erzherzog betonten die Stattenberger ihre treue Ergebung gegen den Landesherrn, sie seien bereit, beim Erzherzog durch einen Ausschuß einen Fußfall zu tun, um Schutz vor den Tähy zu erflehen. Sie wollen nur einen deutschen Herrn haben und durch deutsche Pfleger verwaltet werden. Mit erneuten Anstrengungen setzten nun die Brüder Tähy ein. Sie verpflichteten sich, ihren Besitz nur nach deutscher Art (germanicus modus) zu verwalten, den Untertanen nicht ungebräuchliche Abgaben und Steuern aufzuerlegen und nur deutsche Pfleger (germanos pflegeros sic!) anzustellen. Die Kriegshauptleute an der Grenze und die Landstände in Krain bezeugten ihre Tapferkeit und setzten sich mit Fürbitten bei der Regierung ein. Was die Protektion des Kaisers und anderer höchster Herrschaften nicht bewirkt hatte, dies erreichten die einfachen Hauptleute an der Grenze, deren treue Ergebenheit der innerösterreichischen Regierung am nächsten lag. Erzherzog Karl lenkte ein. Stark wirkte auf ihn auch die Eingabe der steirischen Landschaft vom 11. April 1579, die betonte, daß es gefährlich sei, den Untertanen anheimzustellen, ob sie einen Grundherrn annehmen wollten oder nicht. Der alte Tähy habe Stattenberg verwirkt, mit den jungen Tähy dürfe man Nachsicht üben auf so starke Anerbieten hin, zumal kein Adeliger die Herrschaft kaufen wolle. Erzherzog Karl erließ daher am 17. Mai 1579 eine Resolution, die den Tähy die Herrschaft Stattenberg wiedergab. Sie mußten sich schriftlich unter Bürgschaft des Nachbaradels verpflichten, die Untertanen nicht mehr zu bedrücken. Jeder „hungarische Brauch“ ist abzustellen, Pfleger dürfen nur Deutsche und keine Ungarn oder Kroaten sein. Die während der landesfürstlichen Verwaltung aufgelaufenen Steuerrückstände werden den Untertanen geschenkt, die Bedingungen der Übernahme der Herrschaft durch die Tähy sind ihnen vorzulesen. So ging ein langjähriger Streit zu Ende ; die Söhne des Franz Tähy hatten die Herrschaft Stattenberg zurückerhalten, wenn auch unter schweren Bedingungen. Nach dem Bericht der Kommissäre nahm die Bevölkerung in Stattenberg die Wiedereinsetzung der Tähy anfänglich nur widerwillig auf, schließlich gehorchten alle mit Ausnahme von drei Bauern. Im Dezember 1579 mußten die Brüder Tähy die Hilfe Erzherzog Karls anrufen, da die Bauern die Robot weiterhin verweigerten, und im Jänner 1580 bat ihn Gabriel Tähy um Zusendung von zwei Pflegern, um sein Ansehen gegenüber den Widerspenstigen zu stärken. Zur Untersuchung dieses Vorfalles gingen nochmals Kommissäre nach Stattenberg ab. Im großen und ganzen beruhigte sich die Bevölkerung in den nächsten Jahren vollständig, da die Brüder Tähy ihre Zusagen einhielten. Am 81. Dezember 1587 zahlten die Brüder Tähy die letzten Schulden, die auf dem Gute noch lasteten. Der Hofpfennigmeister Niklas Tschänndigg quittierte ihnen die Bezahlung von 4772 fl. 3 kr. ausständiger Steuern, wovon Gabriel Tähy 1834 fl. 43 kr. für ausgezeichnete Dienste gegen die Türken nachgesehen wurden, so daß er nur 2937 fl. 20 kr. bar bezahlte. Das Strafgeld von 2000 Talern wurde den Brüdern gegen Streichen ihrer Forderungen an die Herren von Auersperg erlassen. Der Fall Tähy beleuchtet manche Mißstände der damaligen Zeit. Vor allem i muß man sich fragen, wie es kam, daß die innerösterreichische Regierung erst durch den Bauernaufruhr von den Taten dieses Wüterichs erfuhr. Der Grund lag vor allem in der Schwäche der Regierung, die aus außenpolitischen und innerpolitischen Ursachen einem solchen Treiben ruhig Zusehen mußte. Damals war die Stellung des Adels und der Stände gegenüber dem Landesfürsten noch sehr fest, die unheilvollen Ereignisse des 14. und 15. Jahrhunderts, die Länderteilungen der Habsburger und ihre unglücklichen Kriege hatten ihre Macht untergraben, die Kräfte der Stände aber vervielfacht. Erst seit dem Ausgang des 16. Jahrhunderts ist die landesherrliche Macht wieder im Steigen, die Macht des Adels wird im 17. Jahrhundert trotz äußeren Glanzes und Reichtums eingeschränkt und der untersteirische Bauernaufstand vom Jahre 1635 ist der letzte große in dieser Reihe, den eine adelige Kraftnatur gegenüber ihren Untertanen hervorrief. Äußere Umstände spielten auch mit, da gerade an der Grenze die Regierungsorgane Rücksicht üben mußten, wie es der Prozeß der Tähy um Stattenberg genugsam zeigt. Noch einen andern Beleg bieten jene unerquicklichen Vorgänge, die sich an die Person des furchtbaren Tähy Férenc knüpfen. Es ist durchaus falsch, wenn neuere slowenische Geschichtschreiber behaupten, daß die Deutschen in jenen Jahrhunderten die slowenischen Bauern ausgesogen hätten.1 Im Gegenteil, es bestand zwischen deutschen Herren und slowenischen Untertanen ein gutes Verhältnis. Wie hätten sich sonst die bedrückten Stattenberger nach deutschen Herrschaftsbesitzern und deutschen Pflegern gesehnt! Dem allgemeinen Wunsche nach einer deutschen Obrigkeit mußten schließlich die Brüder Tähy Rechnung tragen, indem sie fürderhin nur deutsche Pfleger anstellten. Die Sehnsucht nach deutscher Verwaltung ist der beste Gegenbeweis. Gewiß hat es auch tyrannische deutsche Herren gegeben, aber sie bildeten nur eine Ausnahme unter vielen. So sind auch diese Vorgänge ein Zeugnis dafür, wie sehr deutscher Gerechtigkeitssinn in jenen Tagen von den Slowenen des steirischen Unterlandes geschätzt wurde. 1 Kerspret behandelt im „Časopis za zgodovino in narodopisje“, 6. Jahrg., S. 70ff., die Untaten des Tähy, spricht aber nur von dem Verlangen der Untertanen nach „einheimischer“ (domačo) Verwaltung (S. 100) und unterdrückt alle für das Wirken des Deutschtums bedeutsamen Stellen aus den Akten. Dr. Fritz Popelka Siegel der Stadt Pettau VON STEIRISCHER BAROCKMALEREI IM UNTERLANDE ■en uns erhaltenen Werken zufolge scheint die malerische Tätigkeit in der Steiermark vom 12. Jahrhundert an in mehrmaligem Wechsel Zeiten regeren Schaffens und Zeiten der Stagnation durchgemacht zu haben. Den eindrucksvollen Zyklen von Pürgg und Hartberg, denen sich die Wandgemälde der Bischofskapelle in Göß (mit Friesach und Gurk nahe verwandt) anschließen, vermag das 14. Jahrhundert nichts Ebenbürtiges gegenüberzustellen. Dagegen hatte Steiermark in den Tagen Ernsts des Eisernen (f 1424) eine geradezu führende Stellung, und das ganze 15. und beginnende 16. Jahrhundert scheint Zeuge einer gesteigerten Produktion gewesen zu sein, deren Spuren enge Beziehungen künstlerischer Art zu den Nachbarländern, sowohl Kärnten und Tirol als auch Niederösterreich, erkennen lassen. Die nahezu vollständige Verdrängung auto-chthonen Schaffens durch eingewanderte Italiener, von denen namentlich Teodoro Ghisi und Giovanni Pietro de Pomis breite Entfaltungsmöglichkeit in Steiermark gefunden haben, wird immer, wie im gesamten deutschen Geistesleben so auch in der steirischen Kulturgeschichte eine der rätselvollsten Tatsachen bleiben. In dem fast vierzigjährigen Wirken im Lande des zweiten der genannten Künstler zeigt sich die unentrinnbare Einwirkung der Umgebung: Pietro de Pomis wird zum Halbsteirer. Die Landschaft und deren alte Kulturschichten gehen unbewußt aber um so intensiver in das Sinnen und Schaffen des Lombarden ein, daß sein Bauen nicht mehr italienisch, sein Malen halb deutsch wird. Man pflegt den Deutschen — und gewiß nicht ohne Grund — ihre allzubereite Anpassungsfähigkeit an fremdes Wesen zum Vorwurfe zu machen. Bei den Italienern in der Zeit größter Expansionskraft ihres künstlerischen Schaffens kann man ein Gleiches beobachten. Nach Beispielen brauchen wir nicht weit zu suchen. Das Grazer Landhaus, der prächtige Ausdruck der selbständig stolzen steirischen Stände, von dem Lombarden Domenico de Lalio erbaut, ist so wenig italienisch empfunden, daß man es sich trotz italienischer Formen im Detail doch als Ganzes in keine italienische Stadt versetzt denken könnte. Und zeitlich vorausgreifend erinnern wir an all jene italienischen Architekten, Maler, Bildhauer und Stukkateure, die im späteren 17. und beginnenden 18. Jahrhundert so gut deutsch und spezifisch österreichisch sich auszudrücken wußten, daß ihre Stimmen in dem gewaltigen symphonischen Gefüge des deutschen und österreichischen Barock unentbehrlich sind; unentbehrlich, aber nicht ausschlaggebend. Langsam und beharrlich hat in den schweren Zeiten, die der Entfaltung deutscher Kunst ebenso schroffe. Hindernisse entgegentürmten wie die heu- Stiegengelände in der Burg von Marburg tigen, die Lebensarbeit deutscher Künstler sich durchgesetzt und den Boden für die Zukunft bereitet. Aus der äußeren und seelischen Wirrnis des 17. Jahrhunderts, in welcher der Parteimann Pietro de Pomis versunken war, hob sich am Ausgange des Jahrhunderts die reine Menschlichkeit und harmonische Kunstsprache des Hans Adam Weißenkircher. Das Auftreten dieses ersten und größten unter den steirischen Barockmalern hat für das steirische Unterland und Krain erhebliche Bedeutung gehabt. Der Künstler ist um 1650 oder etwas später geboren, begegnet uns 1680 zuerst mit signierten Arbeiten in Steiermark, heiratet in dem gleichen Jahr 1680 in Graz, entfaltet als fürstlich Eggenbergscher Hofmaler eine sehr reiche Tätigkeit, deren meiste Ergebnisse Wir heute noch besitzen, und stirbt schon 1695 in Graz. Der besondere Gönner Weißenkirchers, Fürst Johann Seyfried von Eggenberg, hat nicht nur das von seinem Großvater, dem bedeutenden Staatsmanne Fürsten Johann Ulrich, erbaute Stammschloß mit dem gewaltigen Gemäldezyklus versehen, der heute noch den künstlerischen Hauptakzent des Schlosses Eggenberg bildet, sondern auch , zahlreiche Kirchen seines Patronates mit Altarbildern Weißenkirchers geschmückt. Der Künstler muß von seinem Herrn mit Aufträgen ständig geradezu überhäuft gewesen sein. Es ist uns heute gewiß noch nicht alles Erhaltene bekannt. Insbesondere werden sich in Landkirchen Südsteier-marks und in Krain vermutlich noch mehrere Bilder des auf dem Grunde sicheren Könnens ungemein fruchtbaren Künstlers, über den ich bereits an anderer Stelle (Belvedere 1924) alles mir Bekannte ausführlich publiziert habe, auffinden lassen. Von einigen bemerkenswerten Werken in Südsteiermark und Krain habe ich Kunde: 6 Brustbilder von Aposteln, deren eines die Bezeichnung J. A. Weißkircher 1684 trägt, im Besitze von Baron Liechtenberg auf Schloß Habbach in Krain, stammen aus einem ehemals fürstlich Eggenberg-schen Hause in Laibach, des weiteren die hl. Anna mit Maria, dem Kinde und Josef in der Kurparkkapelle in Rohitsch-Sauerbrunn, bezeichnet und datiert: Hanns Adam Weißenkhircher 1686; endlich die beiden aus dem Dom von Marburg stammenden Altarbilder im dortigen Diözesanmuseum. Die Apostel habe ich selbst noch nicht gesehen, verdanke Kunde davon einer brieflichen Mitteilung des Besitzers. Das von mir in Rohitsch aufgefundene schöne Gemälde wird manchem vielleicht von meiner Grazer Weißenkircher-Ausstellung 1913 her in Erinnerung sein; von den Marburger Bildern hat schon Wastler dunkle Kunde, hatte aber die gelegentlich der verunglückten Domrestaurierung weggestellten Bilder selbst nie gesehen. Da sie aber im Gesamtschaffen Weißen-kirchers eine eigenartige Stelle einnehmen, wollen wir sie näher betrachten. Es sind kleine Seitenaltarbilder, jeweils ein Heiliger, dem die Madonna mit Kind auf Wolken erscheint. Dem festen irdischen Schauplatz der früheren Werke gegenüber beginnt der Künstler ungefähr seit 1690 das Schweben der Figuren, die visionären Erscheinungen zu bevorzugen. Von dieser Art ist die große Versammlung der Vierzehn Nothelfer in der Antoniuskirche in Graz (ungefähr 1691/1692). Der hl. Blasius auf diesem Bilde ist fast wiederholt in dem Bischof Nikolaus im früheren und nicht signierten Marburger Bilde, das einst den 1692 von der Müllerzunft gestifteten Altar des Domes schmückte. Von den Vierzehn Nothelfern gibt es eine kleine freie Kopie noch heute in der Magdalenenkirche in Marburg. Das zweite der Marburger Dombilder — der hl. Dominikus empfängt den Rosenkranz aus der Hand der Madonna -e-:- trägt Initialen und Jahreszahl H. A. W. 1694. Es ist das letzte uns erhaltene Werk des am 26. Jänner 1695 begrabenen Künstlers. Und so gering der zeitliche Unterschied beider Werke, so markant ist die Wandlung, die sich in ihnen ausspricht. An Stelle des einen in meisterhafter Charakteristik durchgebildeten beherrschenden Bischofs, für den Madonna, Christkind und Engel eine herrliche Folie gläubiger Ekstase bilden, ist das Rosenkranzbild sinnfällige, aber von Unruhe durchzuckte Verkörperung einer Handlung. Sehen wir, zu' welch unschöner entenschnabelartiger Bildung die schräge Untensicht im Kopfe des Dominikus, zu welch manirierter Überbeweglichkeit die Hände, zu welch flackernder Zerteilung die Lichtführung und damit auch das Kolorit gelangen, so vermögen wir uns nicht vorzustellen, daß dieser Künstler innerhalb seiner persönlichen Eigenart noch gangbare Wege vor sich gehabt hätte. Nein, er war im Miterleben der neuen Stilphase, wie sie um ihn sich in den Werken Rottmayers und anderer ankündigte, aus der Stilform, die er mitgeschäffen und in der er Bedeutendes mitgeteilt hat, herausgezogen worden, er hatte mit dem Verlassen des festen Bodens seiner Gestaltung zugleich das feste Fundament seiner Kunst verloren. Das Rosenkranzbild in Marburg enthält in mancher Beziehung den Schlüssel zum Verständnis der Kunst und der überpersönlichen Stilprobleme- im Schaffen Weißenkirchers. Gleich die nächsten jüngeren Zeitgenossen und Nachfolger Weißenkirchers • haben sich ohne Scheu, wenn auch zunächst ohne großen Zug, im Reiche des Visionären bewegt. So schon J. A. Peuchel, von dem signiert und 1699 datiert der hl. Florian auf Wolken im Marburger Dom erhalten ist, dessen Gegenstück, ein hl. Michael, der schwebend Luzifer bekämpft, im Diözesanmuseum aufbewahrt wird. Dieser J. A. Peuchel (beiWastler unbekannt) könnte ein Sohn des Vorgängers Weißenkirchers im Amte eines fürstlich Eggenberg-schen Hofmalers, des 1673 im Schlosse beschäftigten Georg Abraham Peuchel, gewesen sein. Der stärkste und eigenartigste unter den steirischen Barockmalern nach Weißenkircher war Franz Ignaz Josef Flurer (frühestes datiertes Bild 1721, gestorben in Graz am 25. Juni 1742). Zu seinem Werke habe ich in meinem Kataloge der Landesbildergalerie in Graz (Wien 1923, Seite 114) manche Beiträge gegeben. Wichtig ist noch, auch durch ältere Angaben als „Flor“ bestätigt, das vorzügliche Altarbild des ersten Seitenaltares rechts in der Stiftskirche zu Rein, der hl. Bischof Narzissus auf Wolken thronend. Beglaubigt und auf die Entstehungszeit 1737 festgelegt ist das Seitenaltarbild in St. Peter bei Marburg, „Christus übergibt an Petrus die Schlüssel“. In derselben am Ufer der Drau sich erhebenden Kirche weist auch ein kleines Nothelferbild die künstlerische Handschrift Flurers auf. Auf einer unvergeßlichen Fahrt durch die Windischen Büheln notierte ich mir vor Jahren noch die Seitenaltarbilder des hl. Florian und des hl. Johannes des Täufers in der Kirche von St. Leonhard, ein Eindruck, der noch nachzuprüfen wäre. Auf die Generation von Flurer und Hauck (f 1746) .folgte kein ebenbürtiger künstlerischer Nachwuchs im Lande. So haben die fruchtbareren und stärkeren Tiroler und Wiener das Heft in die Hand bekommen. Tirol hatte schon in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts in dem trefflichen Johann Cyriak Hackhofer (1658—1731), der 1701 Stiftsmaler von Vorau wurde, einen werbenden Vorkämpfer nach dem Östlichsten Teile der Steiermark gesandt. Den Weg von Tirol fanden auch mehrere Bildschnitzer; so ein Veit Königer, der in Steiermark seinen ständigen Wohnsitz nahm und auch für Wien arbeitete; auch Josef Adam von Mölck ist von 1764 an durch etwa 20 Jahre in Steiermark gewesen, um dann noch in Wien zu späten und nicht recht verständlichen Ehren zu gelangen. Eine seiner insbesondere auch farbig besseren Deckenmalereien ist die Kreuzauffindung der hl. Helena, von einem Kranz von Gestalten umgeben, 1775 datiert, im Dom zu Marburg. Ein gleichzeitiger Steirer, der den Vergleich mit Mölck nicht zu scheuen braucht, ist uns allein durch ein signiertes Freskowerk bekannt; M. Göbler pinxit 1771 lesen wir an dem Deckenbild der ehemaligen Dominikanerkirche (später zur Draukaserne gehörig) in Marburg. Ein großes Votivgemälde, das Mühselige und Beladene unter den Schutz der Maria von Zell stellt: „Maria mater gratiae — mater misericordiae J|| Tu nos ab hoste protege — et hora mortis suscipe.“ Dieses Gemälde erwähnt Wastler, offenbar auf Grund ungenauer Erinnerung, als Werk eines 1788 als Schüler der Zeichenakademie unter Kaupertz aufgenommenen Josef Gebier, der, wenn überhaupt mit M. Göbler verwandt, der Zeit nach allenfalls dessen Sohn hätte sein können. Derartige wohl tüchtige einheimische Kräfte werden » in den Schatten gestellt von den Meistern der Wiener Schule, von denen insbesondere Johann Martin Schmidt, genannt der Kremser Schmidt, manche seiner schönsten Altarbilder für Krain schuf. Ein Crucifixus in Dreifaltigkeit in den Windischen Büheln schien mir vor Jahren den eigenhändigen Werken des Kremser Schmidt anzugehören, seiner Schule in St. Leonhard ein Bild des Titularheiligen. Mögen die hier gegebenen Notizen, die systematisch auszubauen mir leider bisher die Gelegenheit gefehlt hat, dazu anregen, die reichen Quellen zur Kenntnis steirischer Kunst, die in unserem südlichen Nachbarlande noch vorhanden sind, zu erschließen. Dr. Wilhelm Suida Pettau, Neues Rathaus DEUTSCHES THEATER IM STEIRISCHEN UNTERLANDE Keiner Kunst ist die Möglichkeit einer so tiefen Wirkung auf den Menschen gegeben als der Schauspielkunst. Sie ist es, die, aus den Tiefen der Volksseele schöpfend, bis zu den Wolkenhöhen des Olymps emporragt; sie ist es, die mit den Füßen fest im Volksempfinden wurzeln muß, um den Zuschauer emporheben zu können ins Land der Ideale. Sie kann die große Werberin des völkischen Gedankens sein, die Hüterin des Volkstums; ihr steht die Macht des tönenden Wortes in Verbindung mit der Kraft des Geschauten zu Gebote, sie schafft den Menschen zum Kunstwerk, hebt ihn über sich hinaus und verliert dennoch nie die feste Erde unter ihren Füßen. So kann es kaum ein mächtigeres Mittel geben, großen Gedanken den Weg ins Volk zu ebnen, als die Schauspielkunst. Doch nur unter gefestigten Verhältnissen kann die deutsche Schauspielkunst ihre Schwingen, wie alle anderen Künste, voll entfalten, nur unter günstigen Lebensbedingungen kann sie zur höchsten Entwicklung gelangen. Wie das deutsche Volk im steirischen Unterlande j im Kampfe um die Erhaltung dés Volkstums nur zu oft ganz allein auf sich gestellt blieb, wie das deutsche Leid das freiè Spiel der Kräfte nur allzuoft hemmte, so konnte auch dem deutschen Schauspielwesen im Unterlande nur selten jene Förderung zuteil werden, die es nötig gehabt hätte, sich voll zu entwickeln und die große Geistesbrücke zu schlagen zwischen dem kampfumbrandeten deutschen Grenzlande im Süden und den Mittelpunkten deutschen Kunstlebens. Hier gilt der schöne Satz, den Bartsch im „Deutschen Leid“ geschrieben: „So ungeheuer war die stete Bedrängnis des Landes, so wild und eisern das beständige Kriegslager jenes Lebens, daß nicht ein klares, ruhig überschauendes Denkerauge entstehen, daß nicht ein harmonisches Sängerherz sich aufschwingen konnte, das endlose Leid und den Kampf jener Jahrhunderte zu bewahren und den Menschen in Schönheit traut und teuer zu machen.“ Unter ‘diesen Bedingungen ist es wohl nicht zu verwundern, daß die Geschichte deutscher Schauspielkunst nur wenig im steirischen Unterlande zu schöpfen vermag. Vielleicht wären uns einige Volksschauspiele erhalten geblieben, wenn: nicht die Verbote Maria Theresias, diese, vielleicht vorhandene Kunst gleichwie in den anderen Alpenländern zum Schweigen gebracht hätte. Die Theatergeschichte ist ein noch junger Zweig der historischen Wissenschaften und hat sich im deutschen Österreich bisher wenig Boden erobern können. So ist es möglich geworden, daß wir über das deutsche Theater in der Südsteiermark fast gar keine Veröffentlichung besitzen, während andererseits die politischen Verhältnisse der schweren Gegenwart eine Forschung in südsteirischen Archiven fast unmöglich machen. So seien auch die folgenden Zusammenstellungen nur als Versuch zu werten, der erst in günstigerer Zeit seinem Ausbaue entgegensehen kann Einige Namen und einzelne Schicksale mögen herausgehoben werden, die die Bedeutung auch der deutschen Bühnen im steirischen Unterlande für die gesamte deutsche Theatergeschichte zeigen sollen. Da von Volksschauspielen und Aufführungen des Volkes gar nichts erhalten ist oder wenigstens bis heute nichts aufgefunden werden konnte, so können wir nur vermuten, daß vielleicht schon im 15. und 16. Jahrhundert manchmal die Bürger der Städte zu Spielen, die Abrisse aus der Geschichte der Heiligen, Christi, der Passion und anderes darstellten, sich verbanden. Sicher können wir annehmen, daß solche Spiele nur selten und in beschränktem Umfange stattfanden, denn die Einbrüche der Türken und der madjarischen Horden hingen stets gleich einer drohenden Wolke über dem gesegneten Weinlande der Untersteiermark ; daß diese Gaue auch von den im 17. Jahrhundert langsam und gegen sein Ende immer häufiger auftauchenden wandernden Schauspielertruppen nur selten und nachweisbar gar nicht besucht wurden, ist unter den kriegerischen Verhältnissen und der bis ins letzte Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts drohenden Türkennot nicht zu verwundern, wie auch die wenigen größeren geschlossenen Ansiedlungen nur geringen Verdienst diesen Truppen versprachen. Die ersten Nachrichten theatralischer Aufführungen in der südlichen Steiermark enthält die Raster Chronik. In Maria-Rast befand sich fast durch ein Jahrhundert eine von zahlreichen Schülern, vornehmlich aus der Steiermark, besuchte Schule, ein Gymnasium, in dem vermutlich nach dem Lehrpläne der Jesuiten gelehrt wurde und das in steter Verbindung mit der St. Pauler Lehranstalt war. Die Aufführungen fanden hier nur im September, und zwar zumeist am Samstag vor dem sogenannten Raster Sonntag oder an diesem selbst, statt. Diese Vorstellungen, zumeist „Theatro comico“ oder „Actio comica“ in der Chronik genannt, dürften den Jesuiten-Theateraufführungen ähnlich gewesen sein, wenn sie auch, entsprechend den ländlichen Verhältnissen, volkstümlicher gestaltet waren und es sicherlich an Pracht und Dauer mit den Wiener oder Grazer theatralischen Veranstaltungen der Jesuiten nicht aufnehmen konnten. Mag man sich zu diesen geistlichen Aufführungen auch stellen wie man wolle, ihren bedeutenden Einfluß auf das Theater und die Zuseher jener Zeit kann man nicht leugnen. Berichtet doch die Raster Chronik wiederholt, daß die zahlreiche Zuschauermenge in die lebhafteste Bewegung geriet, in Tränen ausbrach und daß viele am nächsten Tage im Beichtstühle gestanden, daß es der Einfluß der gesehenen theatralischen Aufführung sei, der sie zur Büßfertigkeit angetrieben habe. Stadttheater in Marburg Unter dem für die Entwicklung der Raster Pfarre und Schule so bedeutenden Pfarrer Lukas Jamnik (1676—1698), der Raster Romulus genannt, fanden solche theatralische Aufführungen zuerst statt.. Am 14. September 1680 wurde in einem Garten nahe der Kirche eine Bühne aufgestellt, auf der zu Ehren der Jungfrau Maria das erste Stück von freiwillig sich meldenden Pfarrkindern und wohl auch von den Schülern aufgeführt wurde, das reichen Beifall fand und der Kirche ein hübsches Sümmchen eintrug. Wir dürfen den Ausdruck „Theatro comico“ keineswegs wörtlich auffassen. Wenn wir auch über den Inhalt der Stücke leider gar nicht unterrichtet sind, so können wir doch aus der festgelegten Wirkung der Aufführungen auf die Zuschauer mit Sicherheit annehmen, daß die Stücke durchweg ernsten Charakter hatten und das komische Element, das bei diesen geistlichen Spielen in kluger Berechnung auf den Geschmack der Zuseher nie fehlte, nur eingestreut war. Seit 1680 wird uns fast alljährlich von Aufführungen zu den Raster Festtagen berichtet. In den Jahren 1683 und 1684 finden wir die Aufführungen zu Ehren der Befreiung der Christenheit von der Türkennot abgehalten, wobei 1683 die Zuschauer ununterbrochen in Tränen ausbrachen. Heute können wir uns diese Wirkung wohl kaum mehr vorstellen; wenn man aber bedenkt, wie gewaltig die Volksseele durch die jahrhundertelange Türkennot bedrückt war, und nun eilte die Nachricht von dem Siege über die Türken vor Wien durch die geängstigten Länder, und der Bauer wußte sein Gut und seine Lieben nun sicher vor den Türken oder den oft noch ärgeren madjarischen Räuberhorden, so mag es nicht seltsam erscheinen, daß die einfache Darstellung einer Heiligenlegende, in der es an Anspielungen gegen den geschlagenen Feind nicht gefehlt haben dürfte, eine ungeheure Wirkung hervorgebracht hat. Ab und zu wurden auch geschichtliche Stoffe, die in keinem Zusammenhänge mit den Heiligengeschichten standen, dargestellt. So 1685 „Marrius’ Seeherrschaft in Sydus“, oder 1695 ein Spiel, in dem Tugend und Wissenschaft gegen Untugenden den Preis erhielten. Oft waren die Darstellungen auch in Gespräche aufgelöst, Rede und Gegenrede führten einen sittlichen oder religiösen Lehrsatz durch; manchmal wurde auch eine musikalische Darbietung damit verbunden, so 1692, da ein junger Schüler durch Sein Tamburinspiel den außerordentlichsten Beifall der Zuhörer sich erwarb. Die Teilnahme der Bevölkerung an den Vorführungen war äußerst rege und gewöhnlich gingen Summen von 200 bis 300 fl. für eine Vorstellung ein. Ob man dem Berichte des sonst wahrheitsgetreuen Chronisten trauen kann, daß 1701 20.000 Zuseher sich eingefunden hatten, kann heute wohl nicht mehr entschieden werden; er beweist aber jedenfalls, wenn auch die Ziffer nicht stimmt, die große Teilnahme der Bevölkerung. In welcher Sprache die aufgeführten Stücke verfaßt waren, ist aus der Chronik nicht mit Sicherheit zu ersehen. Wahrscheinlich waren die ernsten Stellen lateinisch, die komischen Zwischenspiele deutsch abgefaßt, da 1700 der Vortrag deutscher Gedichte, die vom Benediktinerpater Ägidius verfaßt waren, besonders erwähnt wird. Eine Woche später fand der gleiche Vortrag slowenisch statt. Im Jahre 1706 fand eine Aufführung von „Kaiser Jovianinus’ wunderbarer Bekehrung“ statt, zu der Pater Siegfried, ein Benediktiner aus St. Paul, den Prolog und Epilog gedichtet hatte, und im nächsten Jahre (1707) wurde am 10. September die Comoedia von Wilhelm A. „Herzog von Quitanien“ aufgeführt, die gegen drei Stunden dauerte. Zwei Jahre später ereignete sich ein bedauerlicher Unglücksfall. Der Kapuzinerpater Germanus wurde bei der Darstellung der Hölle durch das emporlodernde Höllenfeuer im Gesichte, an den Augen und am Barte sehr schwer verletzt. Im Jahre 1713 mußte die Aufführung entfallen, da im Orte und in der Umgebung eine Epidemie herrschte. Noch melden die folgenden Jahre eine zahlreiche Teilnahme der Bevölkerung und die Wirkung der Auf-? führungen auf zahllose unbußfertige. Gemüter, aber langsam erkaltete doch das Interesse, wie auch die Glanzzeit der Maria-Raster Schule vorbei war. Für die Jahre 1719, 1720 und 1721 sind Uns keinerlei Nachrichten über Aufführungen überliefert. Im Jahre 1722 fand die letzte Aufführung am-Raster Sonntag statt, die aber schon am Beginn durch einen plötzlich niederstürzenden Regen abgebrochen wurde. Das erste bekannte Theater in Südsteiermark hatte damit sein Ende erreicht. Waren die Aufführungen auch selten Und entbehrten sie eines Bühnenhauses, so legten sie doch den Keim zur späteren Anteilnahme der Bevölkerung an der Schauspielkunst. Denn die Zuseher kamen von weit her, auch Marburg und Pettau stellte sowohl Schüler als Zuseher zu den Aufführungen, und diese trugen den Keim der Freude an theatralischen Darstellungen heim in die aufblühenden deutschen Städte. Über ein halbes Jahrhundert fehlen nun die Nachrichten über Schauspielaufführungen in der Südsteiermark. Nicht, daß sie nicht stattfanden. Kleine deutsche und italienische Truppen zogen sicher in dieser Zeit von Ort zu Ort, Krippelspieler und Possendarsteller schlugen in den Städten und größeren Ortschaften zur Jahrmarktzeit ihre Buden auf. Vielleicht hat um 1760 auch der spätere berühmte Schauspieler Brockmann im Verbände solch einer Wandertruppe in Marburg oder Cilli gespielt. Nachrichten haben sich nicht erhalten. Doch daß die lebhafte Anteilnahme der Bevölkerung an der Schauspielkunst geweckt war, beweist die fast gleichzeitige Gründung von Liebhaberbühnen in Pettau und Marburg und die Widmung eines eigenen Gebäudes zum Zwecke dramatischer Aufführung. Diese Teilnahme mußte durch jahrelange Bekanntschaft mit dem Schauspielwesen entstanden sein, wenn auch das Interesse, das Josef II. dem deutschen Theater entgegenbrachte, ein reger Ansporn für alle deutschen Städte war, deutsche Theater zu gründen. Drei Städte der deutschen Südsteiermark waren seit jeher berufen, die Sammelstätten deutscher Kultur im Unterlande zu sein: Marburg, Pettau Und Cilli. Diese drei, vornehmlich die beiden ersteren, sind auch für die südsteirische Theatergeschichte am bedeutendsten. Viel später trat noch die Sommerbühne von Rohitsch in den Kreis dieser drei ständig wirkenden Theater. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts begann sich in diesen Städten ein reges gesellschaftliches Leben zu entwickeln. Gleichzeitig drang vom Norden des großen Deutschen Reiches die Erneuerung der deutschen Literatur und das Entstehen des neuen deutschen Schauspielwesens langsam nach Süden vor. Zwar hemmten in den deutschen Ländern Österreichs die unsinnigen Zensurverhältnisse etwas dieses Vordringen, aber der neue deutsche Geist übersprang siegreich die schwarzgelben Grenzpfähle und begann langsam auch zu den Deutschen Österreichs trotz höfischer Bevormundung und des welschgesinnten Hofes und Adels die Morgenröte deutscher Kunst zu bringen. Zwar die große Gottschedsche Bühnenreform kam nicht recht nach Österreich herein. Hanswurst und welsche Oper hielten noch zu sehr die Sinne der Menge gefangen, als daß diese Neugestaltung in Österreich festen Fuß hätte fassen können. Als aber Lessing seinen Genius in den Dienst der deutschen Schauspielkunst stellte, als bedeutende Dichter sich dem Drama zuwandten, als die Besten des deutschen Volkes sich für eine völkische Bühne zu interessieren begannen, da brach der Strom dieses siegenden deutschen Geistes auch nach Österreich herein. Als gar Josef II. die verhätschelten welschen Operisten und Komödianten aus den Wiener Theatern vertrieb und die Förderung einer deutschen Bühne sich auf das wärmste angelegen sein ließ, da begann allerorten im deutschen Österreich die Begeisterung für das deutsche Theater zu tagen, da zogen zahlreiche Schauspiel- truppen durch die Monarchie, da begannen Adel und Bürger, der Schauspielkunst Stätten zu weihen. In jenen Orten aber, welche zu klein waren, eine bessere Schauspieltruppe zu erhalten, durch die eifrig geförderte Bildung ihrer Bewohner den kleinen Wanderschmieren aber keine Teilnahme entgegenbringen konnten, sammelte sich Adel und Bürgerschaft zu Liebhabertruppen, welche durch die gute Bildung ihrer Mitglieder einen ganz vortrefflichen Spielplan zu schaffen imstande waren und deren Bemühungen auch gleichzeitig einen wohltätigen Zweck erfüllten. Vor allem waren es Marburg und Pettau, die solche Theater eroffneten. In Marburg eröffnete eine kleine Gesellschaft von Kunstfreunden 1785 im Lauthierischen Freyhause eine kleine nette Bühne. In Pettau fanden schon seit 1770 Liebhaberaufführungen statt, aber erst 1786 konnte, hauptsächlich mit Unterstützung des Adels, ein eigenes kleines Theater gebaut und eröffnet werden, das später nur ein wenig umgebaut wurde uiid sich noch heute am oberen Ende der Bismarckgasse befindet. Aber auch Gilli dürfte zu dieser Zeit ein eigenes Theater erbaut und eröffnet haben, da der steirische Korrespondent des Gothaer Theaterkalenders aus dem Jahre 1791 meldet, daß „Zilly, Mahrburg und Pettau“ stehende Theater mit „niedlichen Dekorationen“ erbaut hätten, in denen bei Ermanglung einer Schauspielergesellschaft Dilettanten spielten. Aber auch Windischfeistritz ward schon 1791 von Schauspieltruppen besucht, allerdings von geringer künstlerischer Höhe, denn die Kluersche Truppe, welche dort spielte, hatte noch den Kasperl als die Hauptstütze ihrer meist extemporierten Stücke. Besonders in Pettau schuf der Dilettantenverein Vorzügliches, während seine Einnahmen den Armen, Invaliden und Abbrändlern zugute kamen oder zur Nachschaffung von Theatererfordernissen verwendet wurden. Nur tüchtige Schauspieler durften in Pettau gastieren, andere wurden abgewiesen. Die Liebhaberaufführungen fanden in Pettau zu Silvester, am Geburtstage des Kaisers, an den Advent- und Fastensonntagen, aber auch an anderen Tagen statt. Im Jänner 1788 vermag die „Gräzer Zeitung“ zu berichten, daß „die zum Besten des Armeninstitutes in Pettau errichtete Schaubühne in ihrem löblichen Unternehmen sehr wirksam ist“. Doch schon im nächsten Jahre muß sie von einem schweren Schlage, der den Pettauer Verein betroffen hat, erzählen. Am 26. Jänner .1789 berichtet die „Gräzer Zeitung“, daß der Hauptzolloffiziant Anton Blaser, der den Anstoß zur Errichtung des Pettauer Theaters gegeben hatte und in den Liebhaberaufführungen die „härtesten Rollen“ spielte, gestorben sei. Von wandernden Schauspielertruppen, die in Marburg, Pettau und Cilli, aber auch an anderen Orten des steirischen Unterlandes spielten, sind aus dem 18. Jahrhundert noch erwähnenswert: die Berndtsche Truppe, die 1791 vor Kaiser Leopold in Laibach mit Beifall gespielt hatte und im Frühjahr und Sommer 1791 abwechselnd in Cilli, Marburg und Pettau spielte, später ihre Tätigkeit ins Burgenland und nach Niederösterreich verlegte und noch 1820 Pettauer Stadtturm und Theater in St. Pölten, Krems und Wiener-Neustadt erwähnt wird; die Pfaunnersche Truppe, die abwechselnd in Kärnten und Südsteiermark spielte; die Propstsche, Brandenbergische und Rolandsche Truppe; ferner die bedeutendere Georg Denglersche und ihre Nachfolgerin, die Georg Schantrochsche Truppe, bei denen sich auch die Schauspieler Peterka und Reisinger befanden, die später längere Zeit auf der Grazer Bühne wirkten. Bevor wir das 18. Jahrhundert verlassen, soll noch eines Mannes gedacht werden, der zwar, soweit mir bekannt, in der Südsteiermark nie aufgetreten ist, aber als der bedeutendste im deutschen Unterlande geborene Schauspieler sicher im Rahmen dieser Studie Beachtung verdient. Es ist dies Heinrich Voß. Er wurde am 28. August 1762 in Pettau, wahrscheinlich als Sohn eines gefangenen preußischen Offiziers, geboren. Zuerst nachweisbar in Cleve, Köln und Aachen, spielte er dort bei verschiedenen Gesellschaften (1786, 1787). Im Jahre 1790 finden wir ihn als ersten Helden und Liebhaber bei der Rhein-bergischen Gesellschaft, bis im Juni 1792 sein Glücksstern ihn nach Weimar führte, wo er durch seine bedeutungsvolle Tätigkeit unter Goethes Oberleitung sich einen geachteten Platz in der deutschen Theatergeschichte eroberte. Ich vermag im Rahmen dieser Arbeit die Tätigkeit des jungen Voß in Weimar nicht zu würdigen, ich möchte hier nur anführen, daß er ein außerordentlicher Karl Moor und ein beliebter Hamlet war und daß Goethe über ihn in seinen Tag- und Jahresheften urteilt: „Ein lebendiger Vorteil entsprang aus dem Beitritt des jungen Voß zu unserem Theater. Er war von der Natur höchst begünstigt und erschien eigentlich jetzt erst als bedeutender Schauspieler.“ 1793 übernahm Voß die Regie und führte sie zu Goethes voller Zufriedenheit bis 1799. Später ging Voß nach Stuttgart, wo er am 16. Juli 1804 als kurfürstlicher Hofschauspieldirektor starb. Nach dieser kurzen Abschweifung, die nur einer flüchtigen Erinnerung des bedeutendsten südsteirischen Schauspielers galt, wollen wir zum Theater im Unterlande selbst wieder zurückkehren. Die langjährigen Kriege, die das Ende des 18. und den Beginn des 19. Jahrhunderts erfüllten, wirkten lähmend auf die Schauspielkunst. Die Untersteiermark war nur allzuoft der Tummelplatz der feindlichen Kriegsvölker und die wandernden Truppen kamen in den vom Feinde ausgesogenen Orten nicht auf ihre Rechnung und blieben daher aus. Die Reihen der Liebhabergesellschaften aber waren durch die Kriegswerbungen und durch die Aufstellung der Landwehr gelichtet worden, die Zurückbleibenden aber hatten in diesen schweren Tagen nur wenig Lust, ihre Zeit der Schauspielmuse zu opfern. Wenn es auch nicht zur vollständigen Schließung der Theater kam, so sind die Aufführungen doch sehr spärlich. Erst mit Beendigung des Krieges kam wieder regeres Leben in die verödeten Bühnenhäuser. Die Entwicklung der deutschen Bühne im 19. Jahrhundert ist so mannigfaltig, daß eine kurzgefaßte Schilderung nur Stückwerk bieten kann. Gerade im steirischen Unterlande sind die Bühnenschicksale der drei deutschen Städte Marburg, Pettau und Cilli, wozu um die Mitte des 19. Jahrhunderts noch die Sommerbühne von Rohitsch tritt, so miteinander verbunden, daß es schwer ist, sie auseinanderzuhalten. Andererseits ist vornehmlich die Bühne in Hilli mit der von Laibach in Verbindung, die von Marburg mit der in Klagenfurt im Zusammenhänge und die Direktionen wechseln fast jedes Jahr. Marburg, die liebliche Draustadt, vom Bachern gegrüßt, im Norden von Rebenhügeln umgeben, an der Hauptverkehrslinie von Nord nach Süd und von Ost nach West gelegen, übernimmt im 19. Jahrhundert die geistige Führung in der deutschen Südsteiermark. Das alte Theater im Lauthierischen Freihause wurde 1806 vom Besitzer Leopold Hartnagel wegen Feuersgefahr geschlossen. So waren der Dilettantenverein und die wandernden Schauspielertruppen obdachlos geworden und man mußte eine neue Bühne suchen. Diese fand sich in der alten Heiligengeist- oder Spitalkirche, die unter Josef II. aufgelassen worden war. Um einen Zins von 35 fl. 26 kr. jährlich wurde die Kirche vom Religionsfonds gemietet, der Krankenhausverwaltung wurden einige an die Kirche anstehende Kämmern um 25 fl. jährlich für Garderobezwecke abgemietet und so konnte nach einigen Herrichtungsarbeiten das 300 Personen fassende Theater eröffnet werden. Vor allem waren es Berufsschauspieler, welche in diesem Theater spielten, denn der 1793 von Freiherrn v. Lamotte neugeschaffene Dilettantenverein spielte nur selten. Erst um 1830 begann er wieder eine regere Tätigkeit und gab in der Zeit von 1830 bis 1847 50 Vorstellungen, darunter sechsmal mit größtem Erfolge die Oper „Norma“. Die Berufsschauspieltruppen waren klein, 18 bis 23 Personen- stark und gaben 50 bis 70 Vorstellungen in einer Spielzeit. Das Theater diente aber auch anderen Künstlern als Wirkungsstätte und bald sah man einen Zauberkünstler, bald hörte man eine Schweizer Sängergesellschaft oder gab der Musikverein hier seine Konzerte. Von wichtigeren Schauspielergästen ist nur der bekannte Komiker Scholz zu nennen. Die lebhafte Teilnahme der Bevölkerung ließ den Wunsch rege werden, ein besseres Theatergebäude zu schaffen, und da 1847 auch die Spitalskirche baufällig wurde, so ward, nicht ohne große Schwierigkeiten und Widerstände, an einen Neubau geschritten. Hiezu wurde der Gärten und das Haus des Bindermeisters Pichler in der Rebengasse angekauft, Gustav Lahn entwarf die Pläne und dank der eifrigen Tätigkeit des Baukomitees, an dessen Spitze Kreishauptmann Ritter v. Marquet und Bürgermeister Gamillschegg standen, ward am 24. April 1848 der Grundstein gelegt. Doch nur geringe Barmittel standen zur Verfügung und nur langsam ging der Bau vor sich. 1851 war er so weit fertiggestellt, daß die Grazer Liedertafel das erste Konzert im neuen Theater geben konnte. Der Opfersinn der Marburger Bürger erlahmte nicht, im Laufe des Jahres 1851 lieferte der Grazer Theatermaler Horn die Dekorationen, Kurtinen und Versätzstücke und im Jänner 1852 stand das Theater fertig. Zur Eröffnung kam der Grazer Theaterdirektor Thomé mit seiner Truppe nach Marburg und am 20. Jänner 1852 erfreute die Vorstellung der Oper „Martha“ das dichtbesetzte Haus. Ein von Puff verfaßter Prolog ging der Oper voran. Am 31. Dezember 1851 hatte die letzte Vorstellung in der Spitalskirche zugunsten der Armen von einer Berufsschauspielergesellschaft stattgefunden. Der Theaterbau hatte 37.000 fl. gekostet, welcher Betrag zur Gänze von der deutschen Bürgerschaft Marburgs aufgebracht worden war. Nur heimische Kräfte hatten am Bau des Theaters mitgewirkt und vornehmlich waren es Marburger Handwerker, deren fleißige Hände Stein auf Stein fügten. Dieses Theater steht wohl heute noch, doch die deutsche Schauspielmuse steht trauernd vor dem Gebäude, das rohe Gewalt ihr entrissen. Zu weit würde es führen, die sämtlichen Direktionen und Schauspieler, die Spielplanbildung und deren Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert zu besprechen. Hier mögen nur die bedeutendsten Momente hervorgehoben werden, die dem Theater von Marburg eine weit über die engere Heimat hinausreichende geschichtliche Bedeutung geben. Auf der Marburger Bühne kam am 25. Februar 1864 das erstemal der berühmteste österreichische, ja, man kann es ruhig behaupten, der erste deutsche Volksdramatiker, Ludwig Anzengruber, zu Worte. Die beiden Stücke, das zweiaktige Drama „Der Versuchte“ und das einaktige Vorspiel „Der Nachlaß des Mörders“ sind leider verlorengegangen, aber die Bedeutung der ersten Aufführung von Werken Anzengrubers schmälert dies nicht. Im Herbst 1863 war die Truppe des Edlen von Radler, bei der Anzengruber in kleineren Rollen beschäftigt war, von der, Sommerbühne in Vöslau nach Marburg gekommen. Als Schauspieler hatte Anzengruber, oder, wie er mit seinem Bühnennamen hieß: Ludwig Gruber, kein Glück. Auch die Radlersche Truppe war bei den Marburgern nicht allzu beliebt. Zwar schreibt Anzengruber noch am 8. November 1863 an seinen Freund Lipka: „Das Theater hier ist sehr hübsch, groß und nett, die Gesellschaft gewiß nicht schlecht.“ Doch schon am 25. November teilt er mit: „Direktor (Radler) wird hier schauderhaft verschimpfiert und die Gesellschaft leidet darunter.“ Endlich kam der Tag von Anzengrubers Benefiz heran; viel mochten die Marburger von den dramatischen Versuchen des unbedeutenden Schauspielers nicht halten, denn sie kamen sehr spärlich ins Theater. Und doch, trotz aller Vorurteile, trotz des enorm schlechten Spieles von Anzengrubers Kollegen, zündete der künstlerische Funke des Genies in den Herzen der verständigen Marburger. Es wurde ein voller Erfolg. Anzengruber schreibt darüber an Lipka am 4. März 1864: „Oben, unten, überall Pech — überall Pech! — Einnahme des Herrn Ludwig Gruber: ,Der Versuchte' — Resultat pekuniäres: 13 fl. — o. W.! o. W.! Resultat der Dichtung: sehr angesprochen, wurde trotz ziemlich matter Exekutierung des Stückes seitens meiner Kollegen am Schluß zweimal gerufen kurz, das Stück gefiel!“ Der Kritiker im „Korrespondenten für Untersteiermark“ aber schrieb: „Am Donnerstag, den 25. Februar, versuchte ,Der Versuchte* von Ludwig Gruber sein Glück auf unserer Bühne und gefiel trotz des Achselzuckens jener, denen es unmöglich erscheint, daß ein Schauspieler und noch dazu ein Episodenspieler, auch dichten und dramatisieren könne. Wir aber müssen gestehen, daß Gruber ganz und gar imstande ist, etwas Rechtes auf die Beine zu stellen, und daß ,Der Versuchte* bei weitem noch kein solcher Versuch ist wie so mancher, der unter allerlei günstigen Influenzen zur Geltung gelangt. Schüchtern tritt uns dieses Stück in den ersten Szenen entgegen und spart mit zarter Hand den poetischen Stoff zu dramatischen Verwicklungen auf, und erst, als das Fundament dasteht, erhebt sich kühn des Dichters Haupt und rückhaltlos bricht der Gedanke hervor und bewältigt uns, die mit Mißtrauen und vielleicht mit eigener Überschätzung ihm entgegentraten.“ Diese Anzengruber-Erinnerung ist sicherlich ein bedeutendes Blatt in der Marburger Theatergeschichte und die Aufführung um so höher zu werten, als alle anderen Bühnen, darunter auch Graz, das Stück ablehnten. 0 du Leidensweg des Genies, das im steirischen Rebenland den ersten Lichtpunkt in seinem kummerschweren Dichterleben fand. Hatte Anzengruber in Marburg die ersten Dichterlorbeeren gepflückt, so sollte etwa ein Jahrzehnt später der größte deutsche Schauspieler des 19. Jahrhunderts hier seine ersten Bühnenerfolge sich holen:: Josef Kainz. Mit Andacht nur kann man den Namen dieses großen Künstlers sprechen, der auf einsamer Höhe das Größte, das Unerreichte an Menschen darstellung schuf. Als Josef Kainz nach einem verunglückten Gastspiel in Kassel (das Auftreten am Sulkowsky-Theater in Wien kann man wohl kaum als Engagement werten) im Oktober 1875 sein erstes Engagement bei Direktor Dietz, einem der bedeutendsten untersteirischen Theaterunternehmer, in Marburg antrat, war der Siebzehnjährige gärender Most, jubelnd und verlangend, wie der sonnendurchglühte Wein, der auf den Bergen um Marburg wächst. Mit der unerschöpflichen Kraft der Jugend, mit dem stürmischen Drang des Genies griff Kainz, der bald der Liebling der Marburger war, nach allen Rollen, die nur halbwegs in sein Fach schlugen. Kainz war als erster Liebhaber engagiert und trat am 15. Oktober 1875 als Bugslav in „Hans Lange“ von Paul Heyse das erstemal vor das Marburger Publikum, von diesem und der Kritik gleich freundlich empfangen Ein Kreis tüchtiger Schauspieler, wie der Direktor Dietz, Ichheiser, Fräulein Wilhelmi und andere, nahmen ihn auf, aber bald war Kainz’ Genie über alle hinausgewachsen. Im Anfang fühlte er sich sehr wohl in der freundlichen Draustadt, als aber der Frühling kam und das Theater sich leerte, als er sah, daß er hier nichts Neues zu lernen habe, drängte es ihn fort zu neueren, größeren Zielen. Im Frühjahre 1876 verließ er Marburg, um in Leipzig unter Förster manche Bühnenunarten abzustreifen. Zahlreiche Rollen hat Kainz in Marburg geschaffen. Die bedeutendsten waren. Laertes in „Hamlet“, Leander in „Des Meeres und der Liebe Wellen“, Marcus in „Arria und Messalina“ von Wilbrandt, Nero in dem gleichnamigen Stücke von demselben Autor, Jason in Grillparzers „Medea“, Don Cesar in. „Donna Diana“ von Schreyvogel, Mortimer in „Maria Stuart“, Kosinsky in „Die Räuber“ und die bedeutendste Rolle, die er allerdings noch nicht voll zur Geltung bringen konnte, den Faust. Der beste Mephisto der deutschen Bühne spielte als noch nicht achtzehnjähriger Jüngling den Faust. Wenn man es sich auch leider versagen muß, auf die anderen Darstellungen einzugehen, so mögen über diese „Faust“-Aufführung in Marburg, sicher eines der kühnsten Versuche der Direktion Dietz, doch einige Worte der Erinnerung vergönnt sein. Zuerst möge der junge Schauspieler sprechen. Am 27. November 1875 schreibt Kainz an seine Eltern: „Gestern abend ist bei uns etwas vorgefallen, das vielleicht noch nicht da war, so lange Theater bestehen. Ein junger, siebzehn- bis achtzehnjähriger Mensch macht die Bravour und sagt laut vor dem Direktor, er getraut sich, den Faust zu spielen. Der Direktor geht auf den Witz ein, sagt ihm die Rolle zu und so werde ich denn am 9. Dezember 1875 mit Fri. Rosa Frauenthal als Gretchen den Faust am Marburger Stadttheater spielen; denn der junge Mensch mit dem großen Maul war — ich Ä-.“ Und dann weiter: „Alles ist gespannt auf mich, wie ich es zuwege bringe.“ Am 13. Dezember aber schreibt er seinem Vater: „Gestern war ,Faust‘! — Was soll ich Dir viel sagen? Ich habe durchgeschlagen. Nach meinem Monolog wurde ich gleich zweimal gerufen. In den Szenen mit Gretchen ebenfalls. Und am Schlüsse des Stückes trotz des Gastes (Rosa Frauenthal) zweimal laut und stürmisch beim Namen gerufen.“ Der Kritiker der „Marburger Zeitung“ schreibt am 12. Dezember: „Herr Kainz gab den Faust. Aus dem finsteren Doktor wußte er wenig zu machen ; er deklamierte den ganzen Monolog, wodurch derselbe zwar geputzt, aber unwahr wurde. Besser gelang es mit dem Faust, der verjüngt, offen für jegliche Lust der Erde, in Gretchens Liebe glücklich ist.“ Das Wagnis des jungen Schauspielers war geglückt und reihte in Marburgs Theatergeschichte eine bedeutende „Faust“-Aufführung ein. Manch bedeutendes Bühnenereignis gab es noch in Marburgs Theater, oft kamen Gäste, aus Wien, aus Graz, aber auch aus dem Deutschen Reiche, um vollendetste Darstellungen den Marburgern zu bieten; mancher später bedeutende Schauspieler pflückte in Marburg die ersten Lorbeeren. Die Erstaufführung eines Anzengruberstückes und das Spielhalbjahr Kainz’ sind aber wohl die bedeutendsten Ereignisse, die die Marburger Bühnengeschichte aufzuweisen hat. Viel weniger bedeutend entwickelten sich die Theater in den Städten Pettau und Cilli. Ähnlich wie in Marburg wechselte in Pettau, je nach den Personen, die den Dilettantenverein leiteten, die Tätigkeit des Vereines. Im Jahre 1826 finden wir das erstemal eine Gesellschaft von Berufsschauspielern in Pettau erwähnt, doch können wir sicher annehmen, daß schon früher solche Gesellschaften sich längere oder kürzere Zeit in Pettau aufgehalten haben. Im Jahre 1829 wurde das Innere des Theaters neu hergestellt und das Schindeldach durch ein Ziegeldach ersetzt. Bis 1832 gab der Dilettanten verein dann wieder häufiger Vorstellungen. Am Ostermontag 1832 begann mit Gustav Karschin die Reihe der nun alljährlich nach Pettau kommenden Schauspielergesellschaften. Diese hatten zumeist in Marburg oder Cilli ihren Sitz und kamen nur einige Tage in der Woche nach Pettau, manchmal aber blieben sie einige Monate, von November bis März, ständig hier. Der Dilettantenverein spielte nur mehr selten und löste sich 1852 gänzlich auf. Im Frühjahr 1864 kommt Anzengruber auch nach Pettau, ohne von hier besondere Eindrücke mitzunehmen oder zu hinterlassen. Im Jahre 1854 wurde das Theater umgebaut und in der jetzt erhaltenen Form hergestellt. Dieser Umbau kostete der Gemeinde 6000 fl. Am 19. November 1854 wurde das neuhergerichtete Theater feierlich eröffnet. Schon im nächsten Jahre werden die nach Pettau kommenden Theaterunternehmer von der Gemeinde unterstütztr ein gutes Zeichen für das Kunstverständnis des Pettauer Gemeinderates. Die Feier des hundertjährigen Bestandes des Pettauer Theaters wurde am 27. November 1886 feierlich begangen. Die mit großem Beifall aufgenommene Rede des Theaterdirektors Karl Erfurth betonte die Wichtigkeit dieser Feste deutscher Schauspielkunst an der deutschen Sprachgrenze für die völkische Sammlung aller Pettauer Deutschen. Im Jahre 1892 wurde das Theater im Innern ganz neu hergestellt und im Jahre 1896 das ganze Theater neu hergerichtet, der Theatervorbau fertiggestellt und die Figur der Melpomene mit Dolch und Maske aufgezogen. Die Umbauten kosteten 15.700 fl. Schon vorher, 1881, war infolge des Ringtheaterbrandes ein Umbau angeordnet worden, der gleichfalls etwas über 15.000 fl. kostete. Mit der Herstellung des Vorbaues hatte das Pettauer Theater ein feierlicheres Aussehen gewonnen. Die geschmackvolle Inneneinrichtung schuf eine freundliche Umrahmung dieser süddeutschen Kunststätte. War auch die Dilettantengesellschaft j1852 auseinandergegangen, so lebte ihre Erinnerung noch in den Deutschen Pettaus fort, und je mehr das Slawentum, besonders in halbgebildeten Juristen und fanatischen Priestern, sich gegen die auflehnte, die ihnen Kultur und Kunst gebracht hatten, desto lebhafter wurde das deutsche Kunstleben. Es würde über den Rahmen dieser Arbeit hinausfallen, wenn das Wirken der Musikvereine in Pettau, Marburg und Cilli und ihre Verdienste um deutsche Tonkunst und deutsches Lied nur in großen Zügen gewürdigt werden sollten. Nur als eine Erinnerung an all die wackeren Sangesbrüder, die das deutsche Lied weit über diese unnennbar sonnigen Weinhöhen klingen ließen, möge ihrer hier Erwähnung getan werden. In Pettau fanden sich zu Theateraufführungen immer wieder fröhliche Menschen zusammen, die entweder im Theater oder im Deutschen Vereinshause zumeist heitere Stücke zugunsten eines völkischen Zweckes zur Aufführung brachten. In diesem Zusammenhänge soll nicht unerwähnt bleiben, daß Peter Rosegger am 15. April 1886 im Kasinosaale einen Vortrag eigener Dichtungen veranstaltete, dessen Reingewinn zur Gründung einer Volksbibliothek bestimmt war. Am schweigsamsten sind die Nachrichten über die Theaterverhältnisse in der dritten großen deutschen Stadt des Unterlandes, der vielleicht vom slawischen Hasse am meisten angegriffenen Stadt Cilli. Wir wissen nur, daß 1790 bereits ein nur für Theateraufführungen bestimmtes Gebäude in Cilli bestand. Erst im Jahre 1883, wahrscheinlich auch infolge der Ringtheaterkatastrophe, wurde dieses alte Theater als unzulänglich empfunden und an den Bau eines neuen Gebäudes geschritten, in das auch der Reckturm einbezogen wurde. Das neue Haus wurde am 20. Oktober 1885 von der im deutschen Unterlande rühmlichst bekannten Theatergesellschaft Siege mit dem Kneiselschen Lustspiel „Krieg den Frauen“ eröffnet. Während das Marburger Theater zumeist mit. dem Pettauer Theater von einer gemeinsamen Direktion geleitet wurde, so war Cilli mit Laibach verbunden. Allerdings hatte auch Cilli und Pettau vorübergehend eine Theatergesellschaft gemeinsam oder Cilli hatte eine eigene Truppe. Am besten scheint sich jedoch die Verbindung Laibach-Cilli bewährt zu haben. Von künstlerischen Ereignissen am Cillier Theater ist wenig bekannt. Auch hier wechselten Dilettantendarbietungen mit Berufsschauspielertruppen im 18. Jahrhundert und zu Beginn des 19.. Jahrhunderts ab; so finden wir 1815 den bekannten Schauspielunternehmer Josef Bratsch in Cilli, bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Ablenkung, welche das erstarkende politische Leben bot, auch hier wie anderswo die Liebhaberaufführungen in den Hintergrund gedrängt wurden. Regen Anteil nahm der bekannte Dichter Johann Gabriel Seidl im zweiten, dritten und vierten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts an den Cillier Liebhaberaufführungen, für die er kleine Stücke, Festspiele und Prologe schrieb. Eine solche Aufführung fand zum Beispiel am 8. Februar 1834, am Vorabend von Kaisers Geburtstag im alten Cillier Theater statt. Die Liebhabervereinigung hielt sich in Cilli länger als in den anderen Städten. In den ersten Jahren des dritten und vierten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts wurde fleißig von ihr gespielt und noch von 1853 ist ein Aufruf zum Eintritt in diesen Liebhaberverein erhalten. Wenn in diesem Zusammenhänge noch des Sommertheaters in Rohitsch-Sauerbrunn Erwähnung getan wird, so geschieht dies hauptsächlich, weil sowohl Anzengruber auf diesem Theater gespielt hat, als auch der junge Alexander Girardi hier sein erstes Engagement fand. Denn sonst hatte dieses Theater nur den Zweck eines Kurtheaters zu erfüllen, es kam für die bodenständige Bevölkerung kaum in Betracht und hat daher für die südsteirische Theatergeschichte nur wenig Bedeutung. Das Theater in Rohiisch wurde 1864 von der Böhmschen Gesellschaft, bei der sich auch Anzengruber befand, eröffnet. Es war ein reines Kurtheater und der Spielplan wurde aus Operetten, Lustspielen und Konversationsstücken gebildet. Die Preise waren verhältnismäßig hoch und bewegten sich zwischen 1 fl. in den ersten Sitzreihen bis herab zu 20 kr. auf der Galerie. Der Beginn der Vorstellungen war nach Beendigung der Abendmusik angesetzt. Die Truppen, die hier spielten, waren in den Wintermonaten an verschiedenen Orten Kroatiens, Steiermarks, Kärntens und Krains beschäftigt und halfen sich hier über die erträgnisarmen Sommermonate hinweg. Bei der gleichen Gesellschaft, die das Rohitscher Sommertheater eröffnet hatte, trat fünf Jahre nach Anzengruber, am 1. Juni 1869, Girardi das erstemal als engagierter Schauspieler als TratSchmirl in Nestroys „Tritsch Tratsch“ vor das Rohitscher Kurpublikum und eroberte sich dessen Herzen im Sturm. 30 fl. Monatsgehalt und die freie Fahrt dritter Klasse von Graz nach Rohitscb, damit begann dieser große Komiker seine herzenerfreuende Schauspielerlaufbahn auf südsteirischem Boden. Eine Menge lustiger Geschichtchen ließen sich von diesem ersten Engagement erzählen, doch gehören sie nicht in dieses ernsthafte Gedenkblatt. . . Mit den erwähnten Orten ist allerdings die Anzahl der untersteirischen Städte und Märkte, wo von Dilettanten und wandernden Schauspielertruppen Theater gespielt wurde, keineswegs erschöpft. Ja, selbst die Liebhaberschauspieler der größeren Orte gingen auf die Wanderschaft und gaben bald da, bald dort größere Gastspiele. Um nur einige Orte, in denen vorübergehend Thespis’ Karren haltmachte, zu nennen, so wäre auf Windischfeistritz, Windischgraz, Friedau als die bedeutenderen, schon im 18. Jahrhundert erwähnten Orte, hinzuweisen. Wollen wir aber nun auf den Spielplan und die Anteilnahme der Bevölkerung in den drei Hauptorten des Unterlandes zurückkommen. Die Teilnahme der deutschen Bevölkerung am Theater war immer sehr rege. War die deutsche Kunst doch ein heiliges Band, das die deutschen Siedlungen im Süden des großen deutschen Reiches mit dem geistigen Schaffen des deutschen Volkes verband. Vornehmlich als in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts der verzweifelte Kampf des Deutschtums gegen Pfaffen- und Slawentum einsetzte, sah der Deutsche des Unterlandes in seinem Theater ein Bollwerk gegen pfäffische und slawische Unkultur, oder, leider besser gesagt, er wollte es sehen. Denn eine wirklich bedeutende Höhe hat das südsteirische Theater nicht erreicht. Diese Deutschen, deren schwerer Kampf und bitteres Leid viel zu wenig anerkannt und gewürdigt wurden, legten den letzten Kreuzer zusammen, um deutsche Schulen im gefährdeten Land erbauen und erhalten zu können, wo sollte Geld bleiben, das deutsche Theater entsprechend zu fördern. Während nun die Regierenden in Wien den Slawen zur Erbauung von Schulen und — Kirchen, zur Erbauung von slawischen Trutzburgen die Steuergelder der Deutschen in den Schöß schütteten, darbten die Deutschen, um sich ihre wichtigsten Kulturstätten, die Schulen, zu erhalten. Welche' Gemeinde hätte die Beträge auf bringen können, um eine gute Schauspielertruppe entsprechend zu uhterstützen, denn der größte Opfermut der Bevölkerung wäre nicht imstande gewesen, ein gutes Theater zu erhalten. Daß der Deutsche in Untersteiermark auch bei diesem Kampfe ganz allein auf sich gestellt blieb, daß außer guten Worten nur wenig materielle und moralische Hilfe vom großen deutschen Volke für ihn abfiel, daß eine verwelschte Dynastie Prügel um Prügel dem deutschen Kämpfer zwischen die Füße warf und nicht zum Schluß die unglückselige Spaltung der Deutschen selbst jede aufbauende Kulturarbeit erschwerte, braucht dies noch breit auseinandergesetzt zu Werden? So ist es erklärlich, daß der Spielplan der in den südsteirischen Städten spielenden Truppen nichts Besonderes bot. Operetten, seichte Lustspiele, zumeist Auslandsware, vielleicht einige kräftige deutsche Possen, ganz selten ein Volksstück, solche Gaben bildeten den Spielplan. Wagte sich aber einmal ein Direktor an ein bedeutenderes deutsches Werk heran, so versagten naturgemäß seine Mitglieder. Man sah dann dié Werke deutscher Dichter so dargestellt, daß es einer Entweihung gleichkam und man sich fast nach der leichten Ware zurücksehnte. Können wir es den Unternehmern übelnehmen, wenn sie immer wieder auf leichteste, sinnenreizende Stücke zurückkamen? Kann man es dem Publikum verübeln, wenn es die Stücke seiner geliebten Dichter nicht in einer Verballhornung kennenlernen wollte? Je härter der Kampf der Deutschen war, je mehr das deutsche Leid die Seelen auch der Mutigsten zusammenpreßte, desto weniger leistete die deutsche Bühne im Unterlande, statt mit den Flammenworten der Dichter die Verzagten aufzurichten und die Mutigen zu stärken. Die deutsche Bevölkerung von Marburg, Pettau und Cilli hatte einen regen Sinn für deutsche Schauspielkunst, wir sehen dies, um nur ein Beispiel herauszugreifen, an den Erfolgen des Direktor Dietz in Marburg und der Begeisterung, die das Spiel des jungen Kainz auslöste. Aber die Städte des Unterlandes waren zu klein, um ein Theater den ganzen Winter unterhalten zu können, und es waren gar so viele Unternehmer, die hofften, im deutschen Unterlande ihre Börse spicken zu können. So wurden die Schauspieltruppen immer schlechter, der Spielplan verflachte und der Zuschauer ward zwischen schalem Sinnenkitzel und öder Enttäuschung hin und her geworfen. Ein schlechtes Obst- und Weinjahr, und das deutsche Theater war leer. Man kann dies der Bevölkerung der deutschen Städte nicht zum Vorwurf machen. Es sorgte eben niemand dafür, daß das deutsche Theater ein Seelenbedürfnis wurde, die reine Unterhaltung aber müßte in Jahren, da das Geld knapp war, vor wichtigeren Ausgaben zurücktreten. So bietet der Spielplan dieser süddeutschen Theater, besonders in den letzten zwei Jahrzehnten vor dem großen Kriege, ein wenig erfreuliches Bild. Finden wir früher noch Schiller, Goethe, Lessing, Grillparzer, Halm, Wilbrandt, um nur einige der häufiger aufgeführten zu nennen, noch als guten Bestand des Spielplans, der sich durch Nestroy, Anzengruber, Raimund und die österreichischen Lustspieldichter deš Burgtheaters vorteilhaft ergänzte, so verschwinden diese Namen bald ganz und gar. Selten, daß wir noch Nestroy, noch seltener, daß wir Anzengruber finden. Lehar und Konsorten mit ihren undeutschen Operettchen sind es, die den Spielplan formen. Dazu kommt frivole französische Lustspielmache im deutschen Unterlande. So hat das deutsche Theater im Unterlande, so sehr der rege Geist des Deutschen in den südsteirischen Städten, der sein Deutschtum im Herzen und weniger auf der Zunge trug, für die Erhaltung einer guten deutschen Bühne bestimmend hätte wirken können, seine große künstlerische und völkische Aufgabe nur sehr, sehr wenig erfüllt. Auch die Geschichte des deutschen Theaters im Unterlande ist die Geschichte von deutschem Kampfe und deutschem Leid. Nur in großen Umrissen konnte ich von den Theatern im steirischen Unterlande erzählen. Gedruckte Quellen hiefür sind fast gar keine vorhanden. Ein Forschen an Ort und Stelle war unter den heutigen politischen Verhältnissen nicht möglich. Wieviel deutsches Theaterkulturgut mag auch im Laufe der letzten schweren Jahre zugrunde gegangen sein. So blieben nur die spärlichen Nachrichten in älteren Kalendern und Zeitungen, in handschriftlichen Chroniken und für die spätere Zeit die untersteirischen Zeitungen, Ortsbeschreibungen, Biographien und Briefsammlungen, um ein beiläufiges Bild südsteirischen deutschen Bühnenlebens geben zu können. Vor allem aber soll es eine Erinnerung an deutsches Kulturstreben im südlichen Rebenlande sein, ein Erinnern, das stolz und wehmütig zugleich stimmt. Denn aus eigener Kraft entstanden die Stätten im deutschen Unterlande, der Schauspielkunst geweiht, aber die Kraft, jahrzehntelang im härtesten Kampf auf sich selbst gestellt, war nicht so stark, diese Kulturgüter auf der idealen Höhe völkischer Kunst zu erhalten. Heute schreiten fremde Füße über die Bretter heiliger deutscher Kunst, fremde Laute einer Sprache, „die nie einen Menschen beglückt“, einer Sprache, die kein bedeutendes Kunstwerk ihr eigen nennt, hallen in die Räume hinaus, die deutsche Hände deutscher Kunst erbaut hatten. Im Erinnern aber möge die Zukunft entstehen, die im Zeichen deutscher Kultur und deutscher Kunst verlorenes heiliges Sonnenland dem deutschen Volke wiederbringen möge. Robert Baravalle DIE MUSIKKULTUR SÜDSTEIERMARKS em sozialen Mitteilungszwang, der den Künstler dazu treibt, sein innerlich in Wonne geschaffenes Werk in mühsamer Arbeit der Welt zu geben, entspricht die soziale Wirkungskraft der Kunst. Nichts anderes läßt sich ihr in dieser Hinsicht vergleichen. Jahrhunderte, Jahrtausende überbrückt sie - • Jahrzehnte spielen hier gar keine nennenswerte Rolle stai und die trennenden Grenzen der Völker (in Südsteiermark die der Deutschen und Slowenen) müssen vor ihr versinken. Der Jubel und Zorn uralter Volksgesänge hallen in uns wider und ein sorgenhaftes Geschehen, das in mythischer Zeit spielt, erregt in uns Mitleid und Mitfreude, als wären wir selbst daran beteiligt. In Hugo Wolf, dem größten Sohne von Windischgraz, sehen wir dieses Weben deutlich verkörpert. Alte Kirchenweisen und Volksliedthemen sind in manchen seiner Kompositionen fast unbewußt verarbeitet; längst dahingegangene Generationen werden durch das Lied in den „Gesängen der heiligen drei Könige“ und der „Christnacht“ lebendig. Im Männergesang wie in der Kirchenmusik bringt sie der Marburger Rudolf Wagner zum Erklingen. Die Nähe Italiens beeinflußt nicht minder das Kolorit der südsteirischen Musik; Beweis dafür das „Italienische Liederbuch“ von Hugo Wolf und die sinnlich frohe Melodik in den Liedern des jungen Josef Marx. Es iät eine ähnliche Bodenständigkeit wie bei Josef Haydn, Heimatkunst im wahrsten und edelsten Sinne des Wortes. Marburg, Pettau und Cilli sind die Zentren der musikalischen Kultur Südsteiermarks; von ihnen gehen die Fäden weit hinaus bis in die kleinsten Wahlspruch des Marburger Männergesangvereines: In Eintracht, Freundschaft, Fröhlichkeit Das Herz dem deutschen Lied geweiht, Den Sinn der Freiheit zugewandt; Heil deutscher Kunst im Vaterland. Worte von Karl Oassareck Vertont von Rudolf Wagner Wahlspruch des Peüauer Männergesangvereines: Von Ort zu Ort, Von Hang zu Hang, Von Strand zu Strand, Bleib’ unser Hort Im Alpenland Das deutsche Wort, Der deutsche Sang. Worte von Robert Hamerllng Vertont von Kričh Wolf Degner Wahlspruch des Cillier Männergesangvereines: Frei in Lied und Leben. Worte von Schulrat Fichtner Vertont von Anton Zinnauer Städte und Dörfer des Landes. Dank der gut geleiteten Musikschulen, Gesangvereine und Kirchenchöre offenbarte sich im Frieden die soziale Wirkungskraft der Musik im höchsten Maße, weit mehr als in der Dichtung oder der bildenden Kunst. Die Tonkunst litt nicht unter der Berührung der einzelnen Volksstämme, sie wurde immer stärker, immer gewaltiger, sie vervielfältigte sich geradezu mit jedem, der sie erlebte, der zum neuen Brennpunkt ihrer Wirkung wurde. Die Männergesangvereine der drei genannten Städte arbeiteten nicht nebeneinander, sondern miteinander, ein und dasselbe hehre Ziel verfolgend. „Das deutsche Lied“ stand auf ihren Fahnen geschrieben, für dieses kämpften sie, für dieses opferten sie ihr Blut! Keine Kunst vermag sich in dieser Kraft mit der Musik zu vergleichen. Ihr Losgelöstsein von allem Begrifflichen schaltet die kritischen Widerstände aus, die der Verstand, der kalt berechnende, zuerst solchem Gemeinfühlen entgegenstellte. Der Rhythmus, der in den südslawischen Ländern am kräftigsten wirkt, brachte ob seiner elementaren Gewalt die Nervenbahnen in gleiche Stimmung, in gleiche Schwingung und löste jenes Gefühl einer Gleichordnung im Empfinden aller Beteiligten aus, was etwas geradezu körperlich Beglückendes hatte. Die sinnfällige Melodie in den Liedern und Chören eines Wolf oder Marx brachte die Fähigkeit, sich einzuprägen, das Kunstwerk jedem zum Besitz zu machen, wie sie wiederum keiner anderen Kunst zu eigen ist. Es ist wohl kein Zufall, daß der „Cillier Männergesangverein“ (gegründet 1847) lediglich um ein Jahr jünger ist als derjenige von Marburg (1846); nur Pettau folgte erst später (1863), als die nationale Idee stärker aufflammte. Robert Hamerling widmete dem Verein den kernigen Wahlspruch, E.W. Degner, der nachmaligé Direktor des Steiermärkischen Musikvereines in Graz, setzte die Melodie dazu. An Stärke und Wirkung kam den Marburger Sängern nicht bald ein anderer Verein gleich, der Verbände von Weltruf zu Gaste hatte. Von historischem Interesse ist es, daß der Cillier Männergesangverein Besitzer der großen Schubértbund-Médaille ist, einer Auszeichnung, die ganz Südsteiermark ehrte. Die organisierten Musikvereine und die von ihnen unterhaltenen Musikschulen stammen zumeist aus den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Sie leisteten Ersprießliches nicht nur im Unterricht, sondern auch im Konzertsaal durch die Pflege der Kammermusik und der Sinfonie. Viele kleinere Vereine wetteiferten mit ihnen im ernsten Streben um die gleiche Palme. Aus den Marburger Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten ging manch tüchtiger Musiklehrer, manch trefflicher Organist^ hervor. Ebenso Lobenswertes leisteten die Kirchenmusikvereine Südsteiermarks; war es doch keine Seltenheit, an den großen beweglichen Kirchenfesten des Jahres Messen von Haydn, Mozart, Schubert zu hören. Durch gemeinsame Arbeit der größeren Gesang- und Musikvereine Marburgs ward die Möglichkeit zur Vorführung von Kantaten, Oratorien geboten. Die Gedenktage unserer großen Tonheroen Händel, Bach, Beethoven gaben willkommenen Anlaß, diese Möglichkeit in die Praxis umzusetzen. Auswärtige Gesangvereine unternahmen seit jeher gern ihre Sommer-fah'rten nach Südsteiermark. Welch fröhliches Treiben war da in Marburg, welche Begeisterung herrschte,, wenn die Grazer „Gothia“ in Pettau weilte, welch schöne nationale Tat der Einigkeit, da die Vereine in Cilli sich ein Stelldichein gaben. Vorüber . . . ach, vorüber! Nach dem Umsturz zog eine feste Gruppe von Marburgern in die Hauptstadt des Landes; aber was an der Drau so wirksam und kerngesund war, das konnte an der Mur nicht mehr so frisch und eigenartig bleiben. Graz, heute eine Großstadt, jedoch ohne deren Vorzüge, hatte mit den Auswanderern aus deutschem Südland Mitleid, es nahm sie in seine Mauern auf. Die Marburger kamen überall unter, die Zeit sprach zu ihren Gunsten. Und heute bilden die Sänger von der Drau einen organisch eingefügten Verband im „Grazer Männergesangverein“, an dessen Spitze sogar ein Marburger als Chormeister steht, der mit seinem Heimatstamm, dem engeren Landsmann Rudolf Wagner, neuen Boden im Konzertsaal gewann. So ändern sich die Bilder im Kunstleben —- Hauptsache bleibt, daß die zündende Gesamtwirkung des deutschen Liedes die gleiche ist! — Wer im Sommer das Glück hatte, einen südsteirischen Kurort aufsuchen zu konnèn, der konnte wenigstens in Rohitsch-Sauerbrunn und Neuhaus (bei Cilli) eine gute Kurmusik antreffen, ja, man kann ruhig behaupten, daß diese Kapellen, von Grazer Musikern genährt, einen gesunden Boden für die südsteirische Musikpflege lieferten. Es gab eine Zeit, wo Rohitsch die beste Kurmusik nach Gleichenberg im Lande hatte; das war noch zu Beginn unseres Jahrhunderts der Fall, da 28 Musiker im Konzertpavillon spielten. In allen diesen Darbietungen konnte man einen festgeprägten „Stil“ beobachten, der auf einer Wechselbeziehung zwischen Künstler und Gesamtheit beruhte. Es war die Formgestaltung eines Inhaltes von einer so überzeugenden Kraft, daß sie der Gesamtheit als d i e Formgebung erschien, als der vollkommenste Ausdruck, den dieser Gedanke gewinnen konnte. Die Macht des Gesanges wurde natürlich auch bei den Slowenen erkannt; sowohl in den Kirchen als bei weltlichen Festen wurde der Tonkunst ein breiter Raum zugewiesen. Wer je eine slowenische Prozession in Marburg oder Cilli gesehen hat, wird sich auch den Gesang der frommen Gemeinde und den eigenartigen Tonfall der Musikstücke ins Gedächtnis zurückrufen, können. In den Städten entstanden nach dem Muster der bahnbrechend wirkenden deutschen Vereine ähnliche Verbände, meist jüngeren oder gar erst jüngsten Datums. Im „Narodni dom“ übten die Mitglieder des 1894 gegründeten slowenischen Musikvereines von Marburg. Über 120 ausübende Sänger und Sängerinnen, unter den Frauen mehr Alte als Soprane — unter den Männern auffallend viel Bässe, ergaben einen gemischten Chor, der sich hören lassen konnte; dazu kam ein „Tamburaschenorchester“, eine Spezialität, der man in Ober- oder Weststeiermark nie begegnete. Weiter zurückliegend ist der „slowenische Gesangverein“ in Pettau, der schon 1883 sein erstes Lebenszeichen gab, ganz im Gegensatz zu Cilli, das mehr als Filiale des „Laibacher slowenischen Musikvereines“ angesehen wurde. Weit höher standen hier die Leistungen der Deutschen — Tradition und Kultur gaben eben den Ausschlag, Gerade Cilli stellt ein historisches Dokument dar, der dortige Musikverein, eine deutsche Schöpfung aus dem Jahre 1879, wurde im Frieden vom Unterrichtsministerium, vom Lande Steiermark, der Sparkasse und Stadtgemeinde unterstützt. Er unterhielt eine gut eingerichtete und zahlréich besuchte Musikschule, übte fleißig im Musealgebäude und veranstaltete großzügige Aufführungen im großen Saale des Deutschen Hauses. Die städtische Musikkapelle konzertierte den Einheimischen und Fremden zu Dank im schönen, schattigen Cillier Stadtpark. Auch hier Kultur im wahren Sinne des Wortes. s| Gehen wir noch einen Schritt weiter bis zu den Pforten des Theaters! Als die Musik im weltlichen Geiste der Renaissance erneuert wurde, streifte sie ihren früheren Charakter gänzlich ab. Im Mittelalter war sie, sofern es sich wirklich um echte Kunst handelte, durchaus eine Schöpfung der Kirche gewesen. Der Begriff „Kirche“ als innigste Gemeinschaft der Geister und Seelen betont aber das Allgemeingefühl. Das Empfinden ist losgelöst von aller Zufälligkeit der Einzelpersönlichkeit, es wird mit dem unzähliger anderer vereinigt und für diese objektive Sammlung seelischer Kräfte hatte die Musik einen allgemein gültigen Ausdruck geschaffen. In diesem Sinne sind die Werke der Niederländer, die Messen Palestrinas und Lassos aüfzufassen und zu werten; Ganz anders im Theater, wo das persönliche Verhältnis zur Kunst entscheidet. Es liegt ja auf der Hand, daß sich die Marburger Bühne, das Pettauer Theater, der Cillier Miniaturmusentempel mit der Landeshauptstadt nicht messen konnten ; es wäre auch ein verfehltes Beginnen, Vergleiche anstellen zu wollen. Warum ging man denn in Marburg überhaupt ins Theater, wo doch Graz mit dem Schnellzug leicht und bequem zu erreichen war? Wurde in Graz, eine Meisteroper, etwa „Don Juan“, „Fidelio“, „Meistersinger“, „Salome“, gegeben, so konnte man oft genug Marburger Bekannte sehen. In sein eigenes Theater ging der Marburger Bürger zur Unterhaltung, aus Gesellschaftsrücksichten oder um den Abend im Freundeskreise zu verbringen. Fast hätte man von einem weiteren Familienkreis sprechen können, denn die Bewohner : der Draustadt waren mehr oder weniger alle miteinander verschwägert. Auf der Bühne des Theaters standen bei Massenszenen rund 40 Personen, im Orchester spielten etwa 20 Musiker, die bei Opern um etliche Mann verstärkt wurden. In der Operette herrschte immerhin guter Geschmack: Johann Strauß, Suppé, Millöcker, Offenbach, Audran, Zeller, Ziehrer waren reichlich vertreten. Eine „Fledermaus“ mit Ballett oder gar als Oper , dürfte man natürlich nicht erwarten. Manchmal wollten die Marburger höher hinaus: ein,Akt aus den „Meistersingern“ wurde versucht, Kienzls „Evangeliniann“ hielt Einzug, ihm folgten andere Opern, wie „Rigoletto“ oder „Hoffmanns Erzählungen“. In Pettau spielte das Marburger Ensemble zweimal in der Woche in der Zeit vom Oktober bis April. Das Orchester stellten “die „Pettauer Stadtkapelle“ und die einst zu stolzen Hoffnungen berechtigende „Pettauer Knabenkapelle“ bei. ; In den letzten Friedensjahren hatte auch Rohitsch-Sauerbrunn sein Sommertheater nach dem Muster Gleichenbergs unter strammer Führung Grazer Kräfte. Wie in Pettau und Cilli gewann auch hier die leichtgeschürzte Muse die Oberhand. Die Südsteirer hören es gern, wenn man von ihrer Geselligkeit und ihrem Musiksinn spricht; es gab eine Zeit, in der diese schätzenswerten Eigenschaften von niemandem bestritten werden konnten — da kam der Krieg mit seinen traurigen Folgen, die Gastfreundschaft der Deutschen wurde von den Feinden schlecht gelohnt, der liederreiche Mund verstummte. Heute singen die Marburger froh und frei in Graz — ihre engeren Landsleute verbanden sich mit den Pettauer und Cillier Deutschen zu gemeinsamem Tun. Und wiederum ist es das deutsche Lied, das hier zur Einigkeit führte. Wird es in Zukunft so bleiben können? . . . Was eine kleine Gesellschaft kunstbegeisterter, opferfreudiger Männer imstande ist, hat die Geschichte der deutschen Männergesangvereine Südsteiermarks in mehreren Fällen aufgezeichnet und verewigt. Sie haben auch viel zur Hebung des Volksgesanges, zur richtigen Wertung des Volksliedes beigetragen — nicht nur des deutschen, sondern auch indirekt des slowenischen. Und gerade dafür sollte der zweite Sprachstamm der südlichen Steiermark dankbar sein. Man besehe sich nur die „Schulliederbücher“ der Slowenen, um dessen innezuwerden. Die gegenseitigen starken Beeinflussungen der benachbarten oder zusammenhausenden Nationen spiegeln sich in Melodie und Textbildung wider. Die Erinnerung an die Kulturtaten der Deutschen Südsteiermarks wird dereinst der „Marburger Ring“ in Graz wacherhalten. Das ist unsere Pflicht! Dr. Kornelius Preiß St. Heinrich am Bachern DAS DEUTSCHE SCHULWESEN IM EHEMALIGEN STEIRISCHEN UNTERLANDE Die Kulturhöhe eines Volkes fußt auf seiner allgemeinen Bildung und diese findet ihre Quelle wieder in der Schule desselben. Kein Wunder daher, daß die Sorge und der Kampf um die Schule im Ringen der Völker um den Platz an der Sonne eine gewichtige Rolle spielen. Solange Deutsche und Slowenen des Unterlandes — durch das Wirtschaftsleben aufeinander angewiesen und miteinander verbunden — in Eintracht und Frieden lebten, solange war die Schule im Unterlande eine echt altösterreichische. Und diese altösterreichische Schule schöpfte — sosehr man auch immer bemüht war, nationalen Bestrebungen der nichtdeutschen Völkerschaften entgegenzukommen — ihr Bildungsgut, das sie vermittelte, doch nur aus den großen Kulturgütern deutschen Geistes, denen die jüngere slawische Nation Ebenbürtiges nicht zur Seite stellen konnte. Die österreichische Volksschule war und blieb aber ri wie jeder Wahrheitsliebende zugestehen wird —in ihren Unterrichts- und Erziehungswerken immer den gesamtösterreichischen Gesichtspunkten getreu, vermied also jede nationale Einseitigkeit oder Übertreibung. Wenn daher im Unterlande schon frühzeitig der Wunsch nach vertiefter Pflege des deutschen Sprachunterrichtes, beziehungsweise nach Errichtung gemischtsprachiger Schulen und in weiterer Folge auch nach Eröffnung rein deutscher Schulen laut wurde, so geschah das sicherlich nicht aus engherzig nationalen Bestrebungen der Deutschen, sondern es war vielmehr die naturnotwendige Folgerung aus der Fürsorge für die Jugend beider Nationen, der Deutschen als auch der Slowenen. War es doch bezeichnend, daß Schulgemeinden selbst — und zwar sogar solche mit ausgesprochen slowenischer Mehrheit aus eigenem Antriebe — Anträge auf Einführung des deutschen Sprachunterrichtes, zunächst als Lehrgegenstand vom zweiten und dritten Schuljahre an durch wöchentlich zwei bis sechs Stunden, sodann aber auch auf Anwendung des Deutschen als Unterrichtssprache, besonders an höher organisierten Schulen, auf deren Oberstufe oder in der Abschlußklasse, gestellt haben. Im besonderen erhob immer die bäuerliche Bevölkerung, die im Unterlande den Großteil des slowenischen Volkes ausmacht, die Forderung nach Vermittlung der deutschen Sprache, die dem slowenischen Acker- und Weinbauer, der die Produkte seiner Arbeit ins deutsche Innerösterreich liefern konnte, ein wertvolles, ja unentbehrliches Hilfsmittel seiner wirtschaftlichen Existenz erschien. Die slowenischen Bezirksschulräte erklärten sich schließlich selbst für die Zulassung der deutschen Sprache an slowenischen Schulen, freilich nicht in der gleichen Absicht wie das Volk, sondern mehr in der Erwägung, daß dadurch der Zudrang slowenischer Kinder zu den deutschen Schulen abnehmen würde. In den achtziger Jahren des vorigen Jahrhundertes, also in einer Zeit, da der Mehrzahl der führenden Männer die Fürsorge für wirtschaftlichen Wohlstand ihrer Mitmenschen höher galt als nationale Herrschsucht, entwickelte sich im wohlverstandenen Interesse der Gesamtbevölkerung des Unterlandes ein blühendes deutsches Schulwesen. Für die rein deutsche Bevölkerung errichtete der im Jahre 1880 gegründete Deutsche Schulverein deutsche Schulen, die allen Anforderungen der Zeit entsprachen und auch in ihrer Inneneinrichtung als mustergültig gelten konnten. Aus der Roseggerstiftung (1910) allein sind für Schulbauzwecke eineinhalb Millionen Friedenskronen verausgabt worden. Niemand dachte dabei an eine Unterdrückung der slowenischen Nation, niemand hatte die törichte Absicht, aus slowenischen Kindern Deutsche machen zu wollen. Die Schulvereinsschulen waren vielmehr Denkmale einer kulturell hochstehenden Zeit, die das Idealgut mitteleuropäischer Kultur auch dem Süden des alten Österreichs vermitteln wollte, damit auch dieses gesegnete Land den Fortschritten einer modernen Epoche, die Künste und Technik kennzeichnen, aufnahmsfähig gestaltet werde. Nie und nimmer hätte die deutsche Schule des Unterlandes solche Bedeutung erhalten und solchen Aufschwung nehmen können, hätte die slowenische Landbevölkerung nicht selbst den Wert und Nutzen deutscher Schulbildung hoch eingeschätzt.. Freilich gilt da auch heute noch und für alle Zeit voller Dank der deutschen Lehrerschaft, die in idealer Hingabe an ihre Aufgabe nur der Jugendbildung lebte, obgleich gerade die Lehrerschaft immer mehr und mehr von nationaler Unduldsamkeit zu leiden hatte. Nicht etwa aus einem Angriff der Deutschen heraus, sondern vielmehr durch die politischen Bestrebungen slowenischer Führer und durch die Auf-peitschung nationaler Leidenschaften ist die Schule zum nationalen Kampfobjekt geworden. Wieviel Kulturarbeit auf dem Gebiete der deutschen Schule des steirischen Unterlandes geleistet worden war, mag folgende Zusammenstellung in ihrer stummen Zahlensprache darlegen. Zur Zeit des Umsturzes waren in Südsteiermark deutsch: 39 öffentliche Volksschulen, 8 Privatvolksschulen, 5 öffentliche Bürgerschulen, 1 zweiklassige Handelsschule, 4 kaufmännische Fortbildungsschulen, 2 Mädchenfortbildungsschulen, 9 gewerbliche Fortbildungsschulen, 1 Kooh- und Haushaltungsschule, 1 Töchterheim, 1 Mädchenheim, 20 Kindergärten, 1 Knabenhort und 1 Kinderbewahranstalt mit zusammen 265 Klassen, in denen 13.005 Schüler, bzw. Schülerinnen unterrichtet wurden. Als Standort dieser Schulen und Anstalten kamen folgende Orte in Betracht: Brunndorf, St. Egydi i. d. W. B., Leitersdorf-Kartschowin, Pickerndorf, Pobersch, Roßwein, Rothwein, Thesen, Zierberg, Hochenegg, Storé, Friedau, Gonobitz, Weitenstein, St. Leonhard i. d. W. B., Lichtenwald, Luttenberg, St. Bartholomä ob Hohen-mauthen, Hohenmauthen, Mahrenberg, Saldenhofen, Thörl, Rann, Rohitsch Markt,; Rbhitsch-Sauerbrunn Kurort, Schönstem, Wöllan, Hrastnigg, Tüffer, Hölldorf, Pragerhof, Windischfeistritz, Windischgraz und insbesondere die Städte Marburg, Pettau und Cilli. . Daß die deutsche Schule das deutsche Wirtschafts- und’ Kulturleben des Unterlandes: gefördert hat, war : nicht nur ein Segen für das Deutschtum, sondern für das ganze Land. . r r ' ' Außer den Stadtschulräten Marburg, Pettau und Cilli Waren auch die Bezirksschulräte Gonobitz, Mahrenberg, Marburg Umgebung, Oberradkersburg, Pettau Umgebung, Rann, Rohitsch, Tüffer und Windischfeistritz deutsch. Wéite Schichten der Bevölkerung wetteiferten mit dem Deutschen Schulverein, dem deutschen Volksrat und dem Vereine Südmark in der Opferwilligkeit für die deutsche Schule. Besondere Verdienste um die Förderung des Volksschulwesens haben sich neben anderen die Schulinspektoren Schulrat Johann Dreflak, Regierungsrat Klemens Proft, Anton Stering (f), Schulrat Franz Frisch (f) und Direktor Thomas Wernitznigg erworben. An Mittelschulen bestanden: in Cilli seit 1808 ein deutsches Gymnasium, das erst 1897 auch slowenische Klassen erhielt und das bis zum Umstürze Regierungsrat Proft verdienstvoll leitete; in Marburg seit 1757 ein Staatsgymnasium, das nur in der Unterstufe slowenische Parallelklassen hatte, in den letzten Jahrzehnten aber immer mehr und mehr Lehrer slowenischer Nationalität erhielt; in Pettau seit 1869 das deutsche Landesgymnasium, das bis zum Umsturz Dr. Karl Schöbinger umsichtig: und verdienstvoll leitete; in Marburg seit 1870 eine Staatsrealschule, die unter der bewährten Führung ihres Direktors Regierungsrates Robert Bittner bis weit in die Tage der slowenischen Regierungsgewalt hinein am deutschen Unterrichte festhielt, ferner seit 1874 eine Staatslehrerbildungsanstalt mit deutscher Unterrichtssprache. Ihr letzter Direktor Heinrich Schreiner (f) hat — unbehindert seiner slowenischen Nationalität — auch in den Tagen des Umsturzes der deutschen Jugend seiner Anstalt Liebe und Güte entgegengebracht. 1902 erhielt Marburg endlich noch die deutsche Landeslehrerinnenbildungsanstalt, derèn Direktor Schulrat Franz Frisch (f) als pädagogischer Schriftsteller weit in deutschen Landen bekannt war. Wenn man vom deutschen Schulwesen des Unterlandes spricht, darf schließlich auch der Landes-Obst- und Weinbauschule, die für die Volkswirtschaft von hervorragender Bedeutung war und in Direktor Franz Zweifler einen ausgezeichneten Fachmann und Leiter besaß, und der von den Frauen Marburgs geschaffenen Haushaltungs- und Fortbildungsschule in Marburg, eines mustergültig eingerichteten Institutes mit Nähschule, Schule für Kleidermachen, für Kunstarbeiten, einem Modistenkurs, Feinwäschereikurs, Frisierkurs, einer Kochschule und einer Haushaltungsschule, nicht vergessen werden. Alle Schulen und Erziehungsinstitute sind nach dem Umstürze den Deutschen weggenommen und slowenisiert oder gänzlich aufgelassen worden. Alle deutschen Mittelschulen, die vorgenannten Fachschulen und 39 öffent- liehe deutsche Volksschulen, 5 deutsche Bürgerschulen und 8 deutsche Privatschulen, im ganzen 265 Klassen, sind dem künstlich erregten nationalen Haß geopfert worden. Was die deutsche Schule und der deutsche Lehrer geleistet haben, das kann doch nicht gänzlich zerstört und vernichtet werden, im Kulturempfinden derer, die die deutsche Schule besucht haben, wird die Saat fortkeimen und vielleicht in einer Zeit, die sich wieder auf höhere Gesittung und zu edleren Empfindungen emporgerungen haben wird, auch wieder Anerkennung und Bewertung finden. Hof rat Dr. Karl Köchl St. Peter bei Marburg BEITRAG ZUR SGHULGESCHICHTE SÜDSTEIERMARKS Das Städtedreieck Marburg, Cilli, Pettau bildet die Kulturgrundlage des südsteirischen Zwischenstromlandes. Claudia Celeia und Poetovio waren bereits zur Zeit der Römerherrschaft hervorragend, jenes als Sitz des Statthalters (proconsul) des südlichen Norikums, dieses als starkes Legionslager an der Grenze Norikums und Pannoniens. Die Romanisierung der Kelten ging rasch vor sich. Die Ausgrabungen zeigen Größe und Bedeutung dieser Römerstädte. Beide wurden von dèn zuwandernden hunnisch-germanischen und awarisch-slawischen Völkermassen durchwühlt; endlich drangen auch hier die Bajuvaren erobernd vor, brachten Kreuz und Pflug, legten so den Grund zur neuen, zur deutschen Kultur und gründeten Marken zum Schutze gegen barbarische Einfälle. Die Germanisierung vollzog sich wie früher die Romanisierung. Jetzt trat auch Marburg als Sitz der bajuvarischen Grenzgrafen an der Drau hervor, während sich in Cilli und Pettau deutsche Herren mit Gefolge festsetzten. Neues Lehen blühte aus den Ruinen, begünstigt durch die Kirchenfürsten von Salzburg und Aquileja. Priester und Mönche besorgten den Unterricht für eigenen Nachwuchs und den der Herren, die sie sehr begünstigten; so insbesondere die Grafen von Cilli, das reichste und mächtigste Herrengeschlecht des Landes, und der Herren von Pettau; als Vasallen der Erzbischöfe von Salzburg. In der Kartause Seiz, wo ein Graf von Cilli eingekleidet war, bestand eine Klosterschule. Hier schrieb der Bruder Philipp „Das Leben der heiligen Jungfrau Maria“ zu Ende des 13. Jahrhunderts, eines der verbreitetsten Gedichte des dèutschen Mittelalters; dem Dialekte nach war er ein Niederdeutscher, zudem ist das Gedicht dem Deutschen Ritterorden in Preußen gewidmet. Auch bei den Dominikanern in Neukloster im Sanntal und Pettau waren solche Schulen. Der Bischof von Lavant erhielt eine Domschule in Marburg. Im Jahre 1412 wird hier der Schulmeister Ruprecht an der Stadtschule genannt, „ein ansehnlicher und einflußreicher Mann“, was auf eine wohlorganisierte Schule schließen läßt. Mit dem Verfalle des geistlichen Lebens und der Klosterzucht zu Ende des Mittelalters ging auch der der Schule und Bildung Hand in Hand. Die Reformation brachte neues Leben. Deutsche und Slowenen, denen Georg Dalmatin die Bibel übersetzte, suchten durch Unterricht und Bildung ihren neuen Glauben zu stützen und zu verbreiten. Die protestantischen Schulen in Scharfenau im Sanntal und Windenau bei Marburg wurden jedoch schon 1600 durch die Gegenreformation vernichtet. Die Jesuiten bemächtigten sich nun der Schule, besonders der höheren, begünstigt von Herrschern und Herrschaften. Es begannen die humanistischen Studien. 1758 wurde in Marburg das erste Jesuitengymnasium als Privatanstalt errichtet. Die Mittel dazu bot die Gräfin Johanna Stubenberg und Albert Graf von Purgstall, der mit einer Widmung von 50.000 fl. in den Orden trat. Nach Aufhebung des Ordens (1773) wurde die Anstalt geschlossen, aber zwei Jahre danach wieder eröffnet und als Lehrer anfangs Exjesuiten, hernach Piaristen bestellt. Von 1790 an wirkten auch weltliche Professoren, bei welcher Gelegenheit der Kreishauptmann die Direktion vom Stadtpfarrer übernahm. 1850 wurde das sechsklassige Gymnasium nach dem neuen „Organisationsentwurf für Gymnasien und Realschulen“ in ein achtklassiges umgewandelt. Die Stadtgemeinde setzte auf dem Seitenflügel einen zweiten Stock zur Unterbringung der Kabinette auf und spendete den nötigen Betrag zur Anschaffung der Lehrmittel. Daš Gebäude gehörte dem Studienfonds. Den Grund zur Gymnasialbibliothek legte Josef Wartinger, der von 1802 bis 1805 Lehrer an der Anstalt war. Die Schülerzahl wuchs von Jahr zu Jahr, auch seitens der Slowenen. Die Oberrealschule wurde 1870 mit drei Klassen eröffnet. Im folgenden Jahre begann die Gemeinde (Bürgermeister Dr. Reiser) den Bäu des monumentalen Neugebäudes und brachte auch sonst große Opfer für diese Anstalt. Die Lehrerbildungsanstalt entstand aus dem alten, im Normalschulgebäude errichteten dreimonatigen Präparandenkurs (1802), später ein- und zweijährig, von 1894 ab vierjährig, in Verbindung mit einer zweiklassigen Vorbereitungsund Übungsschule. So war für den Lehrernachwuchs ausreichend gesorgt. Die 1777 gegründete Normalhauptschule löste sich 1869 in die Volksund Bürgerschule für Knaben und Mädchen in Verbindung mit einem Arbeitslehrerinnenkurs auf. Von wirtschaftlicher Bedeutung war die 1871 errichtete Obst- und Weinbauschule in Verbindung mit einer meteorologischen Beobachtungsanstalt. Die Stadt- und Landbevölkerung brachte ihr großes Interesse entgegen. Cilli erstand aus den Zerstörungen der Völkerwanderung und Flutungen der Sann allmählich durch die deutschen Herrengeschlechter, besonders der Grafen von Cilli (1340), die mit Ulrich II. als Reichsgrafen ausstarben (1456), von welcher Zeit an die Grafschaft an die Herzoge von Steiermark kam. Die Minoriten hielten eine Klosterschule. Die Lehren Luthers fanden durch die deutschen Herren Eingang. In Scharfenau bei Sachsenfeld bestand eine protestantische Schule, die schon 1600 auf Befehl der Gegenreformationskommission in die Luft gesprengt wurde. Die bald danach von den Kapuzinern, den Stellvertretern der Jesuiten, eingerichtete Schule sollte Ersatz bieten. Der Stadtschulmeister Thomas Rauch wird 1721 in den Ratsprotokollen der Stadt Cilli erwähnt, er war jedoch mehr Mesner und Organist und genoß deshalb „bei der Bürgerschaft wenig Ansehen“. Das Schulhaus war am Kirchplatz, gegenwärtig Kaplanei. Der Organist Johann Andree war bis 1760 Schulmeister. Die Bürgerschaft beschwerte sich nach den Ratsprotokollen öfters beim Stadtrat, daß er weder in den Elementen unterrichte noch gute Zucht halte. Man wurde ihn jedoch nicht los, weil er vom Pfarramte gehalten wurde. Es kamen nun die sogenannten „Winkelschulen“ auf, in denen ganz unbefugte Leute nach Belieben gegen Entgelt Unterricht erteilten. Als sich der Schulmeister Andree verehelichen wollte," kündigte ihm der Rat energisch und nahm Andreas Ude, Kantor in Gonobitz, als Stadtschulmeister mit der, Weisung auf, „die Jugend fleißig und eifrig zu instruieren, gute Zucht zu halten und nebenbei in der Kirche den Chor mit Musik emsig zu versehen, ansonsten sich friedlich und nüchtern zu verhalten“. Allein Ude war mehr Kantor und Mesner, welche Dienste mehr eintrugen; deshalb wurde auch er entlassen und 1769 Jakob Hochmuth aus Bischoflack berufen, „die Kinder in rudimentis scholasticis“ gegen besondere Bezahlung zu unterrichten, sollte jedoch einen Kantor, der zugleich Unterlehrer war, halten. Hochmuth erklärte bald, wegen schlechten Einkommens einen Kantor nicht erhalten und „pro parva“ (1. Lateinklasse) unterrichten zu können. Da man mit seinen Leistungen zufriedén war, so nahm man ihm die „instructio pro rudimentis“ ab und teilte sie dem Kantor zu; zudem wurden ihm von der Milden Stiftungskommission aus der Kirchenkasse von St. Josef jährlich 4 fl. zugeschlagen, auf daß er einen „im Lesen, Schreiben und Musik kundigen Kantor als Unterlehrer“ aufnehme. Sein Nachfolger war Michael Groß-schedl, Schulmeister, in Weit ehstein. Wie in Marburg so wurde auch in Cilli nach der; Theresianischen Schuh Ordnung eine vierklassige Kreishauptschule errichtet, die Winkelschulen endgültig abgeschafft. Die Gemeinde erbaute der. Pfarrkirche gegenüber das Schulhaus (Lokalmuseum), wo noch die Aufschrift „K. k. Kreishauptschule“ lange daran erinnerte. Die Kaiserin schenkte für die Einrichtung 50 Dukaten. Das will die Inschrift in der III. Klasse: „Supellectilia Augustissima Maria Theresia nobis donavit“ besagen, und das Gubernium teilte dem Magistrate mit, „daß er wegen des allhiesigen Schulgeschäftes sich der Allerhöchsten Belobigung würdig gemacht habe“. Mit der Kreishauptschule war eine Knaben-und Mädchen-Trivialschule verbunden, dazu kam eine zweiklassige Unterrealschule, in der auch Josef Zangger, der Ahnherr des Großhandlungshauses,, wirkte, eine Wiederholungs- und Sonntagsschule für Lehrlinge und Professio-nisten, endlich eine slowenische Trivialschule. Schon im Jahre 1726 wollten die Jesuiten Marburgs in Cilli ein Gymnasium errichten, „dein allgemeinen. Wohle zum Besten“ (Ratsprotokoll), weil sie für Marburg vom Hofe abgewiesen worden waren. Allein die Verhandlungen führten wegen Mangels an Mitteln zu keinem Abschlüsse. 1794 stellte der Gemeinderat den Antrag auf Errichtung eines sechsklassigen Gymnasiums. Das Gubernium in Graz lehnte jedoch wegen „Not und allgemeiner Zeitbedrängnis“ ab. 1799 endlich erhielt der Bahnrichter Nikolaus Lippitsch die Bewilligung, Beiträge „für die Errichtung solcher Humanitätsanstalt, für die sowohl bei der Stadt- als. auch Landbevölkerung großes Interesse vorhanden war“, im Kreise Geld zu sammeln. Zudem traten der Fürstbischof von Lavant, Leopold Maximilian Graf Firmian, und der Dompropst Paul Jeschenagg dafür ein. 1808 war die Summe von 30.000 fl. beisammen; nun gab Kaiser Franz H. die Einwilligung zur Errichtung des Gymnasiums unter der Bedingung, „daß es von unten aufwachse und mit der sechsten Klasse das zuständige Gebäude vollständig fertig sei“. Im September 1808. wurde die erste Klasse im Hause des Thaddäus Perko, Postgasse 40 (neu Rathausgasse 4) eröffnet und so nach den Worten des Präfekten Fettinger „ein lange, sehnlichst gehegter Wunsch der gesamten Bürgerschaft sowie der Bevölkerung des ganzen Kreises erfüllt“. Im Herbst 1813 war die Anstalt mit sechs Klassen fertig. Der Kreishauptmann Freiherr v. Dienersberg stand ihr als „Direktor“ vor, sein Stellvertreter war der Abt und Stadtpfarrer Hebeling als Präfekt. Der erste Lehrer war Johann Anger aus Linz. Es waren 52 Schüler eingeschrieben. Für die zweite Klasse wurde ein Lehrzimmer im Minoritenkloster hergerichtet und Johann Suppanitsch als Lehrer für Geographie, Geschichte und Mathematik bestellt. Trotz der schrecklichen Kriegsjahre infolge der französischen Invasion, der häufigen Durchmärsche und Einquartierungen, trotz der vielen und großen Kontributionen, die die Stadt mit dem Lande leisten mußte, hielt sich die Anstalt; die Opferwilligkeit der Bevölkerung war groß. Im Jahre 1829 erhielt J. G. Seidl durch die Hofstudienkommission eine Stelle als Grammatikallehrer am Gymnasium und bekleidete sie bis 1840. Es waren „seine glücklichsten Jahre“. Die herrliche Natur, der Lehrberuf, die wissenschaftliche Beschäftigung, insonderheit die Poesie, die er begeistert und begeisternd pflegte, die heitere bürgerliche Gesellschaft, deren „Spiritus rector“ er war, befriedigten ihn sehr, dazu das schöne Familienleben mit seiner jüngst angetrauten „geliebten Therese“ und Mutter. Es gab keine Festfeier, keine Aufführung im Theater, zu der Seidl nicht ein Festgedicht, einen Prolog gedichtet hätte, die in der Grazer Zeitschrift „Der Aufmerksame“ veröffentlicht wurden. Die Balladensammlung „Bifolien“ und eine Unzahl lyrischer Gedichte, die vielfach komponiert wurden, stammen aus dieser Zeit. „Selben war i glückli, selben war i jung, Ein Waldbam ohni Holzwurm, a Glock’n ohni Sprung“ sagt er in seinen „Flinserln“. Und als er als Kustos in das Münzen- und Antikenkabinett in Wien berufen wurde, sagte er im „Abschied von Steiermark“: „Ein Städtchen nahm mich auf mit meinem Hoffen, Mit meinem Wunsch nach Heimlichkeit und Ruh’, Ich fand den sichern Herd, die Arme offen, Einladend winkte die Natur mir zu. Und auch die Muse nahte wieder Und lehrte tändelnd mich bescheidne Lieder. Ich lebte froh im zweiten Vaterlande; Da klang ein Ruf aus meinem ersten mir!^^| Von den Tälern lieblichsten umfangen, Hab’ ich des Lebens schönste Zeit verlebt, Hab’ heiter und betrübt in Lust und Bangen Geschafft, geliebt, gerungen und gestrebt, Hab’ aufgenommen So manchen goldnen Faden, Der mich noch leiten wird auf spätem Pfaden! 4-: So scheidet man nicht leicht von dem Orte, Auf dem die Wiege unsrer Kinder stand.“ Und zum Schlüsse bittet er: „Vergiß so wenig auf mich in der Ferne, Als jemals ich auf dich vergessen kann; Und laß mich, wenngleich Alpenhöh’n uns trennen, Noch immer gern mich deinen Bürger nennen!“ Das „Städtchen“ vergaß seinen Dichter und „Ehrenbürger“ nicht. Am 9. Oktober 1904 wurde an seinem Wohnhause in der Grazer-, dann J. G. Seidl-Gasse sein Marmorbild enthüllt; seine überlebende Tochter Wilhelmine konnte leider krankheitshalber an der Feier nicht teilnehmen. Im Jahre 1851 war das achtklassige Staatsgymnasium auf Grund des Organisationsentwurfes für Gymnasien und Realschulen, an dem auch J. G. Seidl mitgearbeitet hatte, vollständig. Die Stadtgemeinde erweiterte das Gymnasialgebäude durch den Trakt in der Sanngasse und spendete zur Errichtung des physikalischen Kabinetts 1000 fl., Fürstbischof Slomschek in Marburg den gleichen Betrag. Die Schülerzahl nahm von Jahr zu Jahr zu, bis 320. ; Der Gemeinderat beschloß, dem Staate einen geeigneten Bauplatz für das neue Gymnasium zur Verfügung zu stellen unter der Bedingung, daß es deutsch bleibe. Auf der „Insel“ befindet sich nunmehr das slowenische Obergymnasium! In Pettau ging die erste Schulbildung von Salzburg, den Minoriten und Dominikanern aus. Zur Zeit der Reformation wurde von den Bürgern eine Stadtschule errichtet, die jedoch bald verschwand. Der Lehrer der neuerrichteten Pfarrschule zu Beginn des 17. Jahrhunderts war auch Mesner und Organist, er bekam von der Pfarre und der Bürgerschaft eine mäßige Besoldung und Wohnung. 1794 wurde diese Schule nach der_ verbesserten Lehrart in eine Trivial- und Hauptschule (Normalschule) umgewandelt und der Chorregent Gregor Neuwirth, der sich der Prüfung in Graz unterzogen hatte, bestellt. Ihm folgte Josef Gerhold. „Wegen der vielen so drückenden Auslagen infolge der französischen Invasion“, und „weil diese Schule nur mehr dann 15 Schüler zählte, unter denen kaum die Hälfte Bürgersöhne, die 1 andere Hälfte dagegen meist nur von dem Bauernstände gewesen ist, folglich solche begonnene Lehranstalt den verhofften Erwartungen nicht entsprach, so war auch nicht zu verlangen, daß solche bedeutende, endlose Auslagen gemacht werden sollen“ (Po wo den, Entwurf des Schulwesens in Pettau). Es wurde die Pfarrschule zu einer dreiklassigen erweitert, und zwar „für solche Knaben, die Lust und Fähigkeit zum Studium zeigten“. Die Prüfungen mußten sie an der Kreishauptschule in Marburg ablegen. 1850 errichtete die Stadtgemeinde wieder eine städtische Hauptschule, daneben bestand auch eine slowenische Vorstadtschule. Im Jahre 1869 errichtete der steiermärkische Landesausschuß auf Grund eines Beschlusses des Gemeinderates von 1864 das Real-Untergymnasium. Schon 1872 wurden Petitionen an den Landtag eingebracht, die Anstalt zu einem Obergymnasium zu erweitern. Der slowenische Abgeordnete Hermann bezeichnete die Anstalt als einen „Torso, der in diesem Zustande nicht belassen werden könne“, und der Cillier slowenische Abgeordnete Professor Zolgar befürwor- tete die Petition damit, „daß dadurch eine große Zunahme der Schüler, mithin eine größere Verbreitung der Bildung herbeigeführt werden würde, was für jene Gegend besonders wünschenswert sei“. Und Johann v. Kaiserfeld bezeichnte „das Pettauer Gymnasium als eine bedeutsame Bildungsstätte für die Söhne des Unterlandes“. Da sich die Realgymnasien überhaupt nicht bewährten, so wurde 1881 das Pettauer Real-Untergymnasium in ein reines TJnter-gymriasium mit Beibehaltung des obligaten Zeichenunterrichtes umgestaltet; dazu sollte eine Vorbereitungsklasse gefügt werden, weil an den slowenischer! Landschulen die deutsche Sprache unzureichend gelehrt wurde. Sintemal aber am Marburger Gymnasium slowenische Parallelklassen, in Cilli selbständige slowenische Gymnasialklassen errichtet wurden, so förderte man im Landtage dié Vervollständigung des Pettauer Untergymnasiums,:: und zwar nach Übernähme des. Léobner Landes-Obergymnasiums in die Staatsverwaltung. Die Stadt-gemeinde verpflichtete sich, einen Neubau herzustellen und jährlich 2000 fl. beizusteuern. Am 18. September 1899. wurde das Obergymnasium, in Verbindung .mit dem deutschen Studentenheim festlich eröffnet. Die Schülerzahl betrug 172. .. i Den 100. Todestag Friedrich Schillers fèiertè die Anstalt ani 5. Mai 1905 ganz besonders. Die innere Schulfeier im Zeichensaale brachte: musikalische Aufführungen, Vorträge Schillerscher Gedichte und eine Festrede, die des Unsterblichen Leben und Dichten der Jugend begeisternd darlegte und an der auch die Angehörigen dér Schüler, teilnahmen; die äußere Feier fand im Stadttheater statt. Es wurde der Monolog aus „Wilhelm Teil“ (IV, 3) von einem Oktavaner vorgetragen, dann „Wallensteins Lager“ aufgeführt, ; wobei sich besonders die Träger der. Hauptrollen, Wachtmeister (Gubo), erster Jäger (Tschurtschenthaler), Kapuziner (Kosser) auszeichneten. Als am Schlüsse die Wallensteiner über der bengalisch beleuchteten. Schillerbüste Schwerte und Hellebarden kreuzten und das Reiterlied auftönte,, durchbrauste das Haus .ein Jubel : und Beifallssturm, wie er hier noch nicht gehört ward: Das Reinerträgnis wurde, dem Schülerunterstützungsverein gewidmet. . ; Schön entwickelte sich im altösterreichisch en steirischen Zwischenstromland: das Schulwesen auf deutscher. Grundlage. Jetzt. gibt es keine deutsche Volksschule mehr auf dem Lande uniLin den Städten sind höchstens deutsche Parallelklassen, dèren Lehrer: Slowenen sind." Deutsche Mittelschulen bestèheh überhaupt nicht, .mehr. Diè deììtschèn: Hochschulen werden jedoch von den Slowenen gern besucht. , . : i _ / .Cilycl... : . ... ...1. : . .. jM§-d\erunOsra^ A- Gubo DIE KULTURARBEIT DES DEUTSCHEN SCHULVEREINES IM STEIRISCHEN UNTERLANDE Mit der Gründung des Deutschen Schulvereines begann im alten Österreich die zielbewußte nationale Schutzarbeit. In ihm fand der Gedanke des nationalen Selbstschutzes zum ersten Male seinen praktischen Ausdruck, zu einer Zeit, da eine Reihe deutscher Minderheiten den Kampf um ihre Schule zu führen hatte, die .ihnen-Slawen und Welsche streitig machten. Hier Schutz zu bringen, war der Zweck, den die Gründer des Vereines erstrebten; »seine Aufgabe sollte es sein, die „Errichtung deutscher Schulen zu fördern, und zur Erhaltung der bereits bestehenden beizutragen“. Die Schaffung öffentlicher Schulen zu ermöglichen, blieb auch immer das erste Ziel dér Vemnstätigkeit. Um es zu erreichen, unterstützte er in national bedrohten Gemeinden den Schulbau mit einem entsprechend hohen Beträge, oder er errichtete auch das ganze Schulgebäude mit . eigenen Mitteln. Waren aber die Voraussetzungen zur Errichtung einer öffentlichen Schule nicht gegeben,, so schritt er an die Schaffung einer eigenen Anstalt. In Südsteiermark, wo'deutsche Städte und Märkte mit den umliegenden slowenischen Landgemeinden einen Schulsprengel bildeten, war die besondere Tätigkeit des Deutschen Schulvereines darauf gerichtet, eine allmähliche Ausschulung der slowenischen Umgebung dieser. Städte und Märkte durchzuführen, die . dadurch statt der bisherigen gemischtsprachigen (utraquistischen), reindeutsche Volksschulen erhalten sollten. Solche. Atisschulungen wurden z. B. in Luttenberg, Eriedau, Weitenstein, Rohitsch, Tüffer, Windischgraz und Gonobitz durchgeführt. Sehr bald erweiterte- der Verein den Kreis seiner Tätigkeit dahin, daß er auch den -Hilfsanstalten der Volksschulen, sein. Augenmerk zuwandte, zu denen in erster Linie die Kindergärten, dann aber auch, die-Suppenanstalten,; Fortbildungsschulen^ Weihnachtsbescherungen und Büchereien gehören. An »diese Hauptarten der Schulförderung reiht sich .eine, große Zähl weiterer Unterstützungen an, wie die Anschaffung von Lehr- und Lernmitteln, sowie von Turngeräten zur besseren Ausstattung der Schulen, die Gewährung von Remunerationen für die Erteilung des Religions- und IndustrieuntèrrichteS, die: Bewilligung von Erhaltungsbeiträgen für Miisik-, Handels- und.Haushältungs-schulen, für Schülerheime und Lehrlingshorte, die Zuwendung von Stipendien ah äime Schüler, von Gehaltszulagen, Ehrengaben und Krankenaushilfen an verdienstvolle Lehrer und. noch anderweitige Widmungen für deutsche Schuh zwecke. HM IlmMi In dieses reiche Arbeitsgebiet hat der Verein im Jahre 1911 ein neues Feld einbezogen: Die Kinderbesiedlung. Er schuf sie als völkisches Werk, um den Bestand deutscher Minoritätsschulen zu sichern, da jene Pflegekinder, die dauernd im Pflegeorte angesiedelt werden, in die öffentliche Schule aufgenommen werden müssen. Ein weiterer nationaler Vorteil war es, daß nunmehr die Abgabe von Wiener Pflegekindern an nichtdeutsche Pflegeplätze verhindert wurde. Durch die allmonatlich einfließenden Kostgelder erfahren die Pflegeorte wirtschaftliche Vorteile und in sozialer Beziehung ist es von hohem Wert, daß den oft ärmsten Bevölkerungsschichten entstammenden Großstadtkindern gesundes Landleben und Familienpflege zuteil werden. Es hat sich auch gezeigt, daß ungefähr die Hälfte der Kinder nicht mehr in die Großstadt zurückkehrt, sondern auf dem Lande bleibt, als wertvoller Nachwuchs für den Bauern- und Gewerbestand. Das Verhältnis zwischen den Pflegeeltern und den Pflegekindern ist meist überaus herzlich, so daß es oft schmerzliche Auftritte gibt, wenn die Kinder nach dem vollendeten 14. Lebensjahre zu ihren Angehörigen nach Wien zurück sollen. Und es war ein Beispiel rührender Anhänglichkeit, als Pfleglinge, die aus dem Abstaller Becken nach dessen Losreißung von Österreich zurückgezogen werden mußten, bei Nacht und Nebel über die Grenze gingen, uin zu ihren Pflegeeltern zu gelangen. Alle diese mannigfaltigen Arten seiner Fürsorge hat der Deutsche Schulverein aufgewendet, um auch in seinem südlichen Tätigkeitsgebiete den Vereinszweck zu erfüllen. In Erkenntnis der südslawischen Gefahr hat er schon in den ersten Jahren seines Bestandes im steirischen Unterlande eingegriffen und die deutschen Städte und Märkte in ihrem Abwehrkampfe gegen die Slowenen mit Aufwendung bedeutender Geldmittel unterstützt. Seine Tätigkeit entfaltete sich daselbst in zwei Gebieten: An der Grenze des reindeutschen Landesteiles und in der südlich dieser Grenze sich erstreckenden gemischtsprachigen Zone, dann in den deutschen Sprachinseln. Im ersteren Gebiete hatten sich die Deutschen zum großen Teile aus eigener Kraft gegen das Vordringen der Slowenen behauptet, so daß das Eingreifen des Vereines verhältnismäßig nur in wenigen Orten erforderlich wurde. Sein Hauptarbeitsfeld bildeten vielmehr die zahlreichen deutschen Sprachinseln im südlichen Teile Steiermarks. Dank seiner Fürsorge haben sie ihre Stellung nicht nur behauptet, sondern sogar verstärkt und bis zum Zusammenbruche Österreichs waren die südsteirischen Städte und Märkte Bollwerke deutschen Lebens. Wenn wir das einstige Arbeitsgebiet des Deutschen Schulvereines von Norden her durchwandern, so kommen wir zuerst nach Süßenberg in den Windischen Büheln. Hier erwarb der Verein im Jahre 1886 ein Gebäude zur Unterbringung einer öffentlichen einklassigen deutschen Schule, welches er im Jahre 1907 zur Unterbringung einer zweiten Klasse erweiterte. Diese Schulerrichtung setzte dem Vordringen der Slowenen nach Norden einen Damm entgegen und stellte mit Zi erb erg, wo der Schulverein im Jahre 1910 unter großen Schwierigkeiten eine Privatschule errichtete, die Verbindung mit St. Egydi her. Die wichtige Lage dieses Ortes wurde vom Deutschen Schulvereine wie von der Südmark voll erfaßt und beide Vereine haben ganz bedeutende Mittel aufgewendet, um in diesem Gebiete das Deutschtum zu stärken. Im Jahre 1889 erwarb daselbst der Schulverein eine Liegenschaft und errichtete eine Privatschule, welche im Jahre 1901 mit zwei Klassen in die öffentliche Verwaltung übernommen wurde. Im Jahre 1913 wurde das Schulhaus aus den Mitteln der Roseggerspende zu einem dreiklassigen ausgebaut. Hier und in Zierberg sind auch im Jahre 1911 die ersten steirischen Kinderbesiedlungen vom Vereine errichtet worden. Die Hauptarbeit des Vereines richtete sich von allem Anfänge an auf Marburg und Umgebung, wo sich das Vordringen der Slowenen am stärksten bemerkbar machte. Dies hatte seine Ursache zum Teile in der slawisierenden Tätigkeit der staatlichen Lehrerbildungsanstalt, des Staatsgymnasiums und der Klosterschule, zum Teile in dem slowenischen Nachwuchs im Gewerbestand und in der Kaufmannschaft, sowie in dem Zuzug slowenischer Arbeiter und Dienstboten. Ein großer Teil der Schuld an der wachsenden Stärke der Slowenen fällt aber auf die Deutschen Marburgs selbst; hätten sie doch in früheren Jahren, nur um sich Geldausgaben zu ersparen, die eingeschulten Nachbargemeinden aus dem städtischen reindeutschen Schulsprengel ausgeschult und dadurch national bedrängte Orte geradezu geschaffen! Diese Orte deutsch erhalten zu haben, ist vornehmlich ein Verdienst des Deutschen Schulvereines, der einen Kranz von deutschen Schulen um die Stadt legen und damit einen nationalen Schutzwall für sie errichten half. Zu diesem Zwecke ermöglichte er durch Widmung großer Beträge die notwendig gewordene Erbauung der Schulhäuser in Leitersberg-Kartschowin, Rotwein, Pobersch, Roßwein und Thesen. Große Mittel wendete der Verein aber für den wichtigsten und am ärgsten bedrohten Vorort Marburgs, für Brunndorf auf. Nachdem daselbst mit seiner Hilfe im Jahre 1906 ein deutscher Kindergarten und bald darauf eine Turnhalle erbaut worden waren, übernahm er noch einen sehr bedeutenden Teil der Baukosten der im Jahre 1911 errichteten sechsklassigen Mädchenschule, eines der schönsten deutschen Schulgebäude im Unterlande, und würdigte dadurch im vollen Maße die Bedeutung dieses aufstrebenden Industrieortes. Die zielbewußte Arbeit des Schulvereines erweckte auch die deutschen Vereine Brunndorfs zu eifriger Tätigkeit; sie, sowie Kindergarten, Schule und Turnhalle wurden zu Mittelpunkten regen nationalen Lebens. Eine halbe Stunde westlich von Brunndorf in Pickerndorf errichtete der Schulverein im Jahre 1882 eine einklassige deutsche Privatschule, die dann im Jahre 1898 in die öffentliche Verwaltung übernommen wurde. Drauaufwärts von Marburg liegt der Markt Mahrenberg, wo der Verein ebenfalls die Errichtung einer öffentlichen deutschen Schule durch Gewährung einer Bauunterstützung ermöglichte. Auch der dortige deutsche Kindergarten wurde mit seiner Hilfe erbaut und erhalten. Desgleichen wurde in dem benachbarten H o he nm aut h en die deutsche Schule mit Unterstützung des Vereines errichtet. Gegenüber am rechten Drauufer ist der Markt Saldenhofen gelegen, der bis zum Jahre 1910 nur eine' utraquistische Schule besaß. In diesem Jahre errichtete der Schulverein daselbst eine Privatschule, die er auch mit eigenen Mitteln erhielt. Im Drautal sind noch die Orte Fresen, Wuchern und St. Oswald zü nennen, zu deren Schulbauten der Verein beigesteuert hat. Nördlich der Drau in den Waldbergen des Poßruck wurden die Orte Ratsch, Witschein, Kappel und Ober-St.-Kunigund mit Beiträgen zu ihren Schulbauten unterstützt. Die geplante Errichtung einer Schulvereinsschule in Pößnitz, welche den Namen Ottokar Kernstocks zu führen bestimmt war, hat der Umsturz im Jahre 1918 vereitelt. Drauabwärts von Marburg gelangen wir nach Pettau mit dem Vororte Rann. Hier war das Deutschtum im erfreulichen Fortschreiten begriffen, was nicht zuletzt auf die Tätigkeit des Deutschen Schulvereines zurückzuführen ist, der in der Stadt das Studentenheim, das Mädchenheim und die Musikschule ständig unterstützte und im Jahre 1910 durch eine große Spende die Erbauung einer öffentlichen deutschen Schule in Rann ermöglichte. Folgen wir dem Laufe der Drau, so kommen wir nach: Friedau, wo eine der schönsten deutschen Schulen des Unterlandes mit Hilfe des Deutschen Schulvereines errichtet wurde, der daselbst auch einen Kindergarten unterhielt. Nördlich der Drau im Gebiete der Windischen Bühel hegen zwei Märkte, in denen die Deutschen einen harten Daseinskampf zu führen hatten, den sie nur mit Hilfe des Deutschen Schulvereines bestehen konnten: Luttenberg und St. Leonhard. Im ersteren Orte erbaute der Verein ein Haus für die öffentliche deutsche Marktschule und errichtete einen Kindergarten, den er mit eigenen Mitteln erhielt. In St. Leonhard wären die Verhältnisse für die Deutschen ungemein traurige geworden. Die: öffentliche Schule, nominell eine utraquistische, tatsächlich aber — nicht ohne Schuld der Landesschulbehörde, meine, slowenische, ent-deutschte die Kinder. Da griff in letzter Stunde der Deutsche Schulverein ein und erbaute eine dreiklassige Schule, die er auch mit eigenen Mitteln bis zum Umstürze erhielt. Unter ungemein zahlreicher Beteiligung der Deutschen des Unterlandes wurde am 10. Oktober 1909 die Schule eröffnet; jedem Teilnehmer an dieser von nationaler Begeisterung getragenen Schulfeier wird dieser .Tag in bleibender Erinnerung sein. Wenden wir uns, der Südbahn folgend, in das Gebiet südlich der Drau, so gelangen wir nach Windis.chfeis.tri.tz; inmitten von Weinbergen am Fuße des waldreichen Bachergebirges gelegen. Bis zum Jahre 1907 war es die einzige Stadt des Unterlandes, welche keine deutsche Schule besaß, sondern noch mit den Umgebungsgemeinden zu einem utraquistischen Schulsprengel vereinigt war. Erst in diesem Jahre erhielt die Stadt eine eigene vierklassige rein- deutsche Schule, die mit reicher Unterstützungdes Deutschen Schulvereines erbaut wurde. Einen Kindergarten hat der Verein schon seit dem Jahre 1889 unterhalten. In dem benachbarten wichtigen Eisenbahnknotenpunkte Pragerhof hat der Schulverein im Jahre 1912 ein Schulhaus erbaut und bis zum Umstürze eine zweiklassige Privütschule geführt, die hauptsächlich' von Eisenbahnerkindern besucht wurde. Die Südbahn führt uns weiter zur Station Pöltschach, wo nahe der Bahn in der Gemarkung der Gemeinde Hölldorf die erste; „Roseggerschule“ in Steiermark steht, vom Deutschen Schülvereine im Jahre 19.11 erbaut und als zweiklassige Privatschule erhalten. Mit welchen Gefühlen erinnern wir uns heute der Begrüßungsworte Roseggers zur feierlichen Schuleröffnung: „Heil und Frieden eurem neuen Schulhause auf deutscher Heimatserde!“. Weiter südwärts wandernd, gelangen wir nach jener deutschen Sprache insei, deren nationale Kämpfe in vergangenen Tagen von historischer Bedeutung waren: Nach Cilli mit dem Vororte Gaberje. Hier mußte der.Deutsche Schulverein ganz gewaltige Mittel aufwenden, da infolge der großen Fabriksgründungen in Gaberje zahlreiche Arbeiterfamilien zugezogen waren und sich die Notwendigkeit ergeben hatte, für; deren Kinder eine zehnklassige öffentliche Schule und einen Kindergarten zu errichten. Der Verein hat hiefür im Jahre 1906 mehr als^i-00.000 KronenE-damals eine ganz bedeutende Summe gewidmet, Nahe bei Cilli liegt der Ort Stofe, dessen deutsche öffentliche Schule, die hauptsächlich von den Kindern der dortigen Hüttenwerksarbeiter besucht wird, die Unterstützung des Schulvereines genoß. In dem nördlich von Cilli gelegenen Markte Hocheüegg wurde im; Jahre 19Q9 ein Kindergarten errichtet. Von Cilli führt uns die Südbahn weiter in die deutsche Sprachinsel Markt-Tüffer. Für die daselbst bestandene vierklassige deutsche Schule und den Kindergarten hat der Verein ebenfalls namhafte Geldmittel gewidmet Das stattliche Schulgebäude ist sein Eigentum. - In dem weiter südlich gelegenen Industrieorte HräSthigg hat der Verein im Jahre 1907 eine " dreiklassige deutsche Privatschule Und einen Kindergarten errichtet und damit viele deutsche Kinder vor der drohenden Entnationalisierung bewahrt. Folgen wir der von Steinbrück gegen Agram führenden Bahnstrecke, so gelangen wir nach Lichtenwald. Seit dem Jahre 1882 erhielt dort der Schulverein im eigenen Gebäude eine dreiklassige Privatschule, die bedeutende Geldmittel in Anspruch nahm. Östlich davon liegt die südlichste deutsche Sprachinsel Steiermarks : Die Stadt Rann a. d. Save. Hier kämpften die Deutschen einen schweren Abwehrkampf, in dem sie der Deutsche Schul verein wacker unterstützte. Für die dortige öffentliche deutsche Schule wurde irü Jahre 1913 ein Gebäude aufgeführt, zu dem der Verein einen großen Kostenbeitrag leistete. Ein ebenfalls ä von ihm unterstützter Kindergarten förderte' die Bestrebungen der deutschen Schule. Nach Cilli zurückgekehrt, folgen wir der Bahnlinie, die durch das fruchtbare Sanntal und das kohlenreiche Schalltal in das Tal der Mießling und nach Unterdrauburg führt. Über Heilenstein, wo der Deutsche Schulverein im Jahre 1910 eine einklassige Privatschule errichtete, gelangen wir nach Schönstein, einem durch die Schöpfungen deutscher Fabriksherren zur Blüte gelangten Markte. Die im Jahre 1903 erfolgte Errichtung einer zweiklassigen, später dreiklassigen Schulvereinsschule hat die fortschreitende Slawisierung des Marktes zum Stillstände gebracht und für eineinhalb Jahrzehnte die deutsche Gemeindevertretung gesichert. Der Deutsche Kindergarten daselbst wurde ebenfalls vom Vereine ständig unterstützt. Eine Stunde nördlich liegt Wöllan, wo vom Vereine im Jahre 1907 eine Privatschule errichtet und zu diesem Zwecke ein Haus erworben wurde. Ein von ihm unterstützter Kindergarten förderte auch hier die Arbeit der deutschen Schule. Die Bahn führt uns weiter nach dem in Wäldern eingebetteten Städtchen Windischgraz. Im Jahre 1903 wurde nach Sprengung des utraquistischen Schulsprengels von der Stadtgemeinde mit Hilfe des Deutschen Schulvereines ein stattliches Gebäude errichtet, in dem eine vierklassige öffentliche Volksschule und ein Kindergarten untergebracht wurden. Von der Südbahnstation Pöltschach bringt uns eine Zweigbahn nach dem Markte Gonobitz, wo der Schulverein ebenfalls durch Widmung einer ausreichenden Bauunterstützung die Errichtung einer vierklassigen öffentlichen deutschen Volksschule ermöglichte, die dann im Jahre 1910 mit seiner Beihilfe um eine Klasse erweitert wurde. Eine Fahrstunde von Gonobitz entfernt liegt von Bergen eingeschlossen der Markt Weitenstein. Hier wurde eine zweiklassige öffentliche deutsche Schule errichtet, für welche der Deutsche Schulverein ein Gebäude zur Verfügung stellte. Im östlichen Teile des Unterlandes an der kroatischen Grenze liegen einander nahe die beiden deutschen Sprachinseln Sauerbrunn und Rohitsch. In Sauerbrunn, einem bekannten Kurorte, errichtete der Schulverein im Jahre 1898 eine zweiklassige Privatschule, die im Jahre 1908 in die öffentliche Verwaltung übernommen wurde. Im Jahre 1913 wurde daselbst auch ein Sćhul-vereins-Kindergarten eingerichtet. Im Markte Rohitsch unterstützte der Schulverein ständig die vierklassige öffentliche deutsche Schule, die in einem ihm zur Hälfte gehörigen Gebäude untergebracht ist. Wir sind mit unserer Wanderung durch das steirische Unterland zu Ende. Auf dem ganzen Wege von St. Egydi bis Hrastnigg, von Windischgraz bis Rann haben wir zahlreiche Orte gefunden, die als Marksteine der Schulvereinsarbeit gelten können. Sie geben Zeugnis ab von der wichtigsten Tätigkeit des Deutschen Schulvereines: Der Errichtung deutscher Schulen und Kindergärten. In Ausübung dieser seiner wirkungsvollsten Fürsorge hat er im Unterlande 17 eigene Schulgebäude erbaut und außerdem für 26 Orte namhafte Bauunterstützungen gewährt. Die Zahl der ausschließlich von ihm selbst erhaltenen Yereinsschulen betrug 13, die der Vereinskindergärten 6. Außerdem sind die bereits erwähnten anderweitigen Unterstützungen auf dem Gebiete der Schule über 100 Orten Südsteiermarks zuteil geworden. Kinderbesiedlungen wurden in 24 Orten errichtet. Die Tätigkeit des Deutschen Schulvereines war in Steiermark überaus wirksam. Durch zielbewußtes Vorgehen sowie durch kluge Verwendung der oft knappen Geldmittel hat der Verein die Sprachgrenzen verteidigt und die so arg bedrohten deutschen Sprachinseln vor Einbußen bewahrt. Daß bis zum Unheilsjahre 1918 der deutsche Charakter der kleinen Städte und Märkte Untersteiermarks erhalten wurde, ist in erster Linie dem Vereine zu verdanken, der sie durch Sprengung der vormals utraquistischen Schulsprengel, Schaffung reindeutscher Schulgemeinden und Errichtung deutscher . Schulen von dem ent-nationalisierenden Einflüsse des slawischen Landgebietes befreite. Und so konnte bei der Eröffnung der Hölldorfer Roseggerschule ein Redner die Frage: „Was hat der Deutsche Schulverein für Steiermark geleistet?“ mit den Worten beantworten: „Dem Deutschen Schulvereine allein haben wir es zu verdanken, daß wir Deutsche im Unterlande noch leben.“ Aus dem blühenden deutschen Schulwesen in Südsteiermark ist ein Friedhof deutscher Schulen und Kindergärten geworden! Die deutschen Anstalten wurden gesperrt, die Kinder in slowenische Schulen hineingezwungen, die Lehrer des Landes verwiesen, die Gebäude des Vereines beschlagnahmt! Und diese auch gegen die Bestimmungen des uns aufgezwungenen Zwangsfriedens verstoßenden Brutalitäten wurden von einem kleinen Volke verübt, das aus seinem kulturellen Tiefstände nur dadurch gehoben worden ist, daß es an den Gütern der deutschen Kultur teilnehmen durfte, die das deutsche Volk so freigebig und so unachtsam schenkte. Die Arbeit des Deutschen Schulvereines ist aber nicht vergebens gewesen. Denn daß das Deutschtum in dem heutigen Slowenien trotz aller Bedrängnis lebt und zu einem Faktor geworden ist, den die Belgrader Regierung in Rechnung ziehen muß, ist nicht zuletzt der emsigen zielbewußten Arbeit zu verdanken, die der Deutsche Schulverein durch fast vier Jahrzehnte in Steiermark geleistet hat. Dr. Franz Baum KULTURARBEIT DER „SÜDMARK“ IM STEIRISCHEN UNTERLANDE ■ls am 24. November 1889 eine Versammlung von kaum hundert Männern, I die sich im Grazer Stadtratssaale nicht arg zu drängen brauchten, die Gründung des Schutzvereines „Südmark“ beschloß, beherrschte wohl der Gedanke an das nahe Unterland die Vorstellungen von deutscher Not im Südosten, der dieser neue Bund an den Leib rücken sollte. Denn — wenn es auch damals, wie noch fast drei Jahrzehnte später, genug Deutsche gab, die an eine Bedrohung der steirischen Heimat nicht glauben wollten $|j wer jemals offenen Auges durch diese gesegnete Landschaft gewandert war, hatte es erlebt und konnte es nicht vergessen, wie hier Jahr für Jahr die slawische Woge deutsche Erde abbröckelte und wegschwemmte. Es war ein erschütterndes Erlebnis, in der Umgebung Marburgs, dieser frohen, liedseligen und doch immer werkbewegten deutschen Stadt, einmal einen stillen Dorffriedhof zu besuchen, etwa den von St. Urbani, wo sich auf freier Höhe der Blick in die grünen Unendlichkeiten der fern verflutenden Rebenhügelwellen und in der schwermutdunklen Wucht der tiefen Bachernwälder versenken konnte: kaum eine der neueren Grabstätten zeigte eine deutsche Grabschrift, auch wenn der Name unverkennbar deutsche Herkunft verriet; aber fast auf jedem der grau verwaschenen Leichensteine und rissigen vermorschenden Holzkreuze aus früherer Zeit die verlöschenden Lettern: „Hier ruhet in Gott. . '.“ Das war vielleicht der eindringlichste Anschauungsunterricht über das deutsche Sterben im Unterland, jenen Rückgang deutscher Geltung, der, von slawischér Seite bewußt! erzielt, vom deutschen Volke in seiner Bedeutung viel zu spät erkannt* eine der Voraussetzungen für die indessen eingetretene , unnatürliche Zerreißung der Heimat war. Aufgabe der „Südmark“ war es, i die Ursache dieser Erscheinungen zu bekämpfen und dein slawischen Vorstoß durch die Wiedereroberung verlorenen Bodens zu begegnen. Es galt, gefährdete Scholle zu erhalten, entrissene wieder zu erwerben und die Menschen im Bewußtsein deutscher Schicksalsgemeinschaft zu vereinigen. Dieser dreifachen Aufgabe suchte die „Südmark“ durch ihre Besiedlungsarbeit, durch die wirtschaftliche Stützung des deutschen Gewerbestandes, durch die Vermittlung deutscher Lehrlinge, durch die Errichtung von Volksbüchereien und slowenischen Sprachkursen, durch die Wiederbelebung alten deutschen Brauchtums und die Förderung gesunden geselligen Lebens gerecht zu werden. Das war in seiner Gesamtheit gewiß hochwertige Kulturarbeit, weil sie hier, wo mitteleuropäischer und bal-kanischer Lebenskreis ineinander greifen (obwohl man auch das rein slowenische Gebiet der Untersteiermark, wie ein Vergleich mit dem eigentlichen Balkanslawentum zeigt, als kulturell germanisiert betrachten kann), der Erhaltung und Verbreiterung der höher entwickelten Kulturgrundlagen diente. Bereits 1902 hatte der Verein „Südmark“ einer Reihe durch den Zusammenbruch ihrer Spar- und Vorschußkasse von der Gefahr des Zwangsverkaufes bedrohter Deutscher in St. Leonhard ob Marburg, dem Einfallstor zu den Windischen Büheln, durch ausgiebige Unterstützung die Erhaltung ihrer Heimstätten möglich gemacht. Vier Jahre später wurde mit dem Ankauf der ersten Liegenschaften in St. Egydi die planmäßige Besiedlungsarbeit begonnen; diese erfolgte in geschlossenen Gruppen mit dem Ziele, allmählich das ganze zwischen der Drau und dem rein deutschen Hinterlande liegende gemischtsprachige Gebiet mit entwicklungsfähigen deutschen Verbindungssiedlungen zu durchsetzen. Zuerst sollte von Marburg über St. Egydi durch die Windischen Büheln die Brücke zum geschlossenen deutschen Sprachgebiete ab Spielfeld geschlagen werden. Der ungefähr 200 Joch umfassende Krumbholzbesitz bei St. Egydi wurde als erster Grund erworben. Er war von dem bisherigen Besitzer, der kein Bauer war, arg vernachlässigt worden: ein paar Ochsen, drei Kühe und einige Schweine waren der ganze Viehstand, die Äcker waren schlecht gedüngt, die Weingärten verlottert. Die „Südmark“ teilte den für einen Besitzer zu großen Grund in drei schöne lebensfähige Bauerngüter, drei Familien verwandten seit 1907 ihren Fleiß auf die Erschließung der neuen Heimat. Wo früher ein Deutscher saß, lebten nun 26 Deutsche, die schon nach drei Jahren über 2 Paar Pferde, 4 Paar Ochsen, 12 Kühe, 18 Stück Jungvieh und 28 Schweine verfügten, Weingärten und Felder waren musterhaft gepflegt, die Wiesen lieferten doppelten Ertrag. Nach diesen ersten Erfolgen wurden nun Jahr für Jahr neue Güter angekauft und mit arbeitsfrohen schwäbischen Bauern besiedelt, die aus den meist ganz verwüsteten Gründen gesundes Kulturland schufen. An Stelle der verfallenen Baulichkeiten errichtete die „Südmark“ freundliche Block-: und Backsteinhäuser, Stallungen und Scheunen wurden gebaut, die vernachlässigten Straßen in Ordnung gebracht. Allenthalben blühte neues deutsches Leben, junger Nachwuchs gedieh in allen Höfen — es gab Familien bis zu elf Köpfen —, die Ansiedlerjugend, meist aufgeweckte und sehr fleißige Kinder, machte sich in den verschiedenen Schulen immer mehr bemerkbar -— in der Schule von St. Egydi waren es zum Schlüsse ihrer 55, aber auch in den Volksschulen von Ober- und Unter-St.-Kunigund, von Witschein und St. Georgen wuchs die Zahl der Siedlerkinder von Jahr zu Jahr. In den Gemeinden äußerte sich das Erstarken des Deutschtums durch den Einfluß in der Gemeindeverwaltung: Ende? 1913 ging der gesamte Gemeindeausschuß von Zirknitz bei Egydi-Tunnel in deutsche Hände über, die Gemeinden Sulztal, Ranzenberg und Leitersberg wiesen bei der Volkszählung 1910 zum ersten Male deutsche Mehrheiten auf. Bis zum Beginn des Jahres 1914 waren durch die Tätigkeit der „Südmark“ in den Windischen Büheln 64 Ansiedlerfamilien mit 368 Angehörigen auf 1527 Joch in 17 Gemeinden seßhaft geworden. Eine Viertelstunde vom HAUSMANN, Südsteier 161 ll „Südmarkhof“ in St. Egydi begann mit dem ersten schwäbischen Hof eine Kette blühender Siedlungen, sauberer Häuser und üppiger Äcker — wo früher verfallene Keuschen und verwahrloste Felder waren. Nachdem die Grundlagen für die Schwabensiedlung in den Windischen Büheln ausgebaut waren, wurde im Jahre 1908 mit der zweiten geschlossenen Besiedelungsgruppe im Drautale begonnen, die den Anschluß der Mahrenberger Sprachinsel an das geschlossene Sprachgebiet der Mittelsteiermark bezweckte. Hier wurden für den Anfang 193 Joch in 5 Gemeinden mit 9 deutschungarischen, 54 Menschen umfassenden Familien besetzt. Neben dieser auf friedlicher Eroberung begründeten Ausdehnung des deutschen Besitztumes im Unterlande sicherte die „Südmark“ durch Übernahme von Hypothekarschulden, Gewährung von Hypothekardarlehen und Zinsenzuschüssen die Erhaltung bedrohten alten deutschen Besitzes (die durch diese Art des Bodenschutzes dem Deutschtum erhaltene Fläche wurde 1914 — allerdings im gesamten „Südmark“gebiet — auf rund 20.000 Joch geschätzt). Krieg und Umsturz haben das schön begonnene Werk beendet. Die Siedler sind zum größten Teile Bürger und gewiß nicht die schlechtesten Staatsbürger des SHS-Staates geworden. Was sie durch ihren Fleiß mit Hilfe der „Südmark“ geschaffen, kommt heute dem neuen Staate zugute, dessen Verfechter trotz aller Deutschfeindlichkeit den Kulturwert dieses Werkes nicht werden leugnen können. Nichts von allem, was die „Südmark“ in dem Vierteljahrhundert von 1889 bis 1914 für ihr untersteirisches Schutzgebiet tat, zeigt so greifbare Erfolge, wie die Besiedlung, deren Zeugen gesunde Menschen, wohlgehaltene Höfe und gesegnete Äcker sind. Dennoch soll darüber nie vergessen werden, was auf anderen Gebieten geschah, um der Verkümmerung deutschen Wesens im Unterlande zu begegnen. In einer Zeit, da für außerhalb des Schulwesens zu lösende Aufgaben der Volksbildung in Österreich noch wenig Verständnis zu finden war, hat die „Südmark“ durch ihre Büchereien Tausenden von Deutschen die Fühlung mit dem geistigen Schaffen ihres Volkes erleichtert. Im Jahre 1900 waren die ersten südmärkischen Volksbüchereien (in Cilli, Mahrenberg, Mureck, Radkersburg, Rann und Völkermarkt) gegründet worden: der Volkswirtschaftslehrer Dr. Michael Hai ni sch, heute Präsident der österreichischen Bundesrepublik, hatte den geldlichen Grundstock gewidmet, der Vorstand der Wiener Zentralbibliothek, Universitätsprofessor Dr. E. Reyer, die sachlichen Richtlinien gewiesen. Zu Beginn des Jahres 1914 gab es bereits in 309 Orten solche Büchereien mit 199.669 Bänden. 23 Büchereien mit 23.373 Bänden entfielen auf das heute abgetrennte Gebiet der Steiermark (Brunndorf, Cilli, Friedau, Hochenegg, Hohenmauthen, Luttenberg, Mahrenberg, Marburg, Pettau, Pobersch, Pragerhof, Rann, Rohitsch-Sauerbrunn, Rot-wéin, Süßenberg, Schönstein, St. Egydi, St. Leonhard, St. Lorenzen, Steinbrück, Windischfeistritz, Windisehgraz, Wöllan). In Orten, wo ständige Büchereien nicht errichtet werden konnten, gingen Wanderkoffer mit Büchern ab, so daß selbst in kleinsten Gemeinden die Möglichkeit zu Fortbildung und geistiger Anregung geboten war. So manchem ist erst durch diese stete Verbindung mit dem geistigen Wollen und Wirken des gesamten Deutschtums das Bewußtsein der Größe seines Volkes erschlossen worden, manchen hat dieser Umgang mit guten Büchern vor geistiger und seelischer Versandung und Versumpfung bewahrt. Die vorschulpflichtige Kindheit wurde in Kindergärten (von denen der in Brunndorf bei Marburg allein im Jahre 1913 73 Zöglinge zählte) mit deutscher Liebe und Treue umhegt, bedürftigen Mittelschülern wurde durch die Verköstigung in der Marburger Studentenküche Fortsetzung und Vollendung ihres Studiums möglich gemacht, Waisenkinder, die durch Überlassung an ihre slawischen Heimatsgemeinden dem Deutschtum verlorengegangen wären) wuchsen durch die Sorgfalt eigener Waisenkolonien (von denen die erste in St. Bartholomä ob Hohenmauthen entstanden war) oder gewissenhaft ausgewählter Pflegeeltern froh und gesund in deutsches Wesen hinein. Der Schule entwachsene Knaben wurden bei verläßlichen deutschen Meistern untergebracht, tüchtigen Gewerbetreibenden wurde die Niederlassung in deutschen Orten des Unterlandes, der Besuch von Fachschulen möglich gemacht, Spar- und Vorschußkassen wurden unter Mithilfe der „Südmark“ zur Erleichterung des wirtschaftlichen Kampfes der unterländischen Deutschen gegründet. Dem geselligen und künstlerischen Leben wurden auf Anregung und unter Mitwirkung der „Südmark“ Pflegestätten in den „Deutschen Heimen“ erschlossen, Vorlesungen, Vorträge und Konzerte festigten den geistigen und seelischen Zusammenhang zwischen den Deutschen in den Sprachinseln, der schöne, weihevolle Sonnwendbrauch wurde erst durch die „Südmärk“ wieder als Fest des ganzen Volkes lebendig gemacht. All das war Kulturarbeit, durch die nicht nur greifbare Erfolge, wie sie sich in Zunahme äußeren Besitztums und Wohlstandes äußern, erreicht wurden: seelische Vertiefung, geistige Erstarkung, eine herzlichere und doch bewußtere Erfassung deutschen Wesens überhaupt war da und dort die Frucht des durch ein Vierteljahrhundert mit „warmfühlendem Herzen und hilfreicher Handvollbrachten „Südmark“wirkens, dessen Spuren im steirischen Unterlande nie völlig verlorengehen werden. D'r. Friedrich Pock 163 ll* DIE ENTWICKLUNG DES OBST- UND WEINBAUES IM EINSTIGEN HERZOGTUM STEIERMARK INSBESONDERE IN UNTERSTEIERMARK Das herrliche Steirerland hat in seinen einzelnen Landesteilen seltene und bewundernswerte Naturschönheiten und sehr erträgnisreiche Kulturen aufzuweisen, von denen im Mittel- und Unterland hauptsächlich der Obstund Weinbau, zu nennen wären. Vor dem Kriege war die grüne Steiermark mit Rücksicht auf die verschiedenen klimatischen und kulturellen Verhältnisse in drei Teile, und zwar in das Ober-, Mittel- und Unterland, eingeteilt. Im Oberlande, mit den prächtigen und ausgedehnten Waldungen, Wiesen und Weidenkulturen, wurden von landwirtschaftlichen Zweigen hauptsächlich der Wiesenbau und die Viehzucht gepflegt. In den hiefür günstigen Lagen wurde auch Obstbau betrieben, welcher wichtige Kulturzweig in den letzten Jahrzehnten durch den Landesausschuß und seine Fachorgane sehr gefördert wurde. In Bruck wurde eine Landesobstbaumschule errichtet, in welcher jene Äpfel- und Birnensorten sorten vermehrt wurden, die für die obersteirischen Verhältnisse vollkommen entsprechen, und die baumschulfertigen Bäume wurden in Hunderttausenden von Stücken an die Besitzer Obersteiermarks um billigen Preis abgegeben. Das Mittelland erstreckt sich von Graz abwärts bis an die südslawische Grenze. Es hat ausgedehnten Feld- und Wiesenbau, Rindvieh- und Pferdezucht und auch schöne, ausgedehnte Waldungen. Besonders der Obstbau ist in diesem Landesteil durch die Belehrung der Bevölkerung seitens der Landesfachorgane und Verbreitung einer nach hunderttausend gehenden Anzahl in der Landesobstbaumschule in Gleisdorf gezogener gesunder Äpfel- und Birnenbäume außerordentlich gefördert worden. Die Obstkultur im Mittelland bildet einen ausgedehnten, sehr stark betriebenen Kulturzweig und stellt ein großes Volksvermögen dar. Es werden nicht nur feine Edelsorten, wie der steirische Wintermaschanzker, die feinen Reinetten, die sehr gern von Käufern außer Landes aufgekauft werden, sondern auch vorzügliche Mostobstsorten in der Oststeiermark (Mostäpfel- und Mostbirnsorten) sowie in der Weststeiermark Mostbirnsorten bis hoch in die Koralpen hinauf gepflanzt. Mächtige Mostbirnbäume findet man vor, insbesondere sei die weststeirische Mostbirne erwähnt. Der Most von dieser Birnsorte gibt ein ausgezeichnetes, erfrischendes und wohlschmeckendes Getränk, das im Lande und auch nach Wien in großer Menge abgesetzt wird. — An dieser Stelle sei der großen Verdienste des Landesobstbauinspektors Koloman Großbauer, eines gewesenen Schülers der Obst- und Weinbauschule in Marburg, gedacht. — Der Weinbau ist im Mittel- lande recht ausgedehnt gewesen, und zwar vor dem Auftreten der Reblaus und der pilzlichen Schädlinge, wie Peronospora und des Oidium. Dieser Landesteil hatte bei 8000 Hektar Weinbaufläche aufzuweisen, die jetzt, im Jahre 1928, bei 3400 Hektar beträgt. Das Unterland, das infolge des unglücklichen Ausganges des Weltkrieges von Steiermark abgetrennt und dem südslawischen Königreiche zugeschlagen wurde, ist vielfach ein wellenförmiges, flachhügeliges, bis zu hohen Bergen (Bacherngebirge, Sanntaler Alpen etc.) ansteigendes Land. Im Boden dieses Landes wurde von deutschen Männern eine gewaltige Menge von Arbeitskraft und Kapital eingesetzt, deutscher Fleiß, deutsches Können und Wissen haben in uneigennützigster Weise das Blühen und Gedeihen dieses Landesteiles immerdar gefördert. Wirtschaftlich spielt in diesem Landesteile der Wein- und Obstbau die wichtigste Rolle. Die Südabhänge der Berge sind fast ausschließlich dem Weinbau gewidmet, während in den niederen Ost- und Westlagen der Obstbau gepflegt wird. Außerdem hat Untersteiermark Rindvieh-, Schweinezucht (letztere in den Windischen Büheln und im Pettauer Feld), Schafzucht (in den Sanntaler Alpen) und insbesondere eine nennenswerte Pferdezucht (im Sanntal, in und bei Luttenberg) aufzuweisen. Auch die Forstkultur Untersteiermarks ist erwähnenswert. In den Hochwäldern Nadelholz-, in den Niederungen Laubholzbestände, und zwar Buchen und mächtige Eichen, die der Erzeugung von Holzfaßgebinden dienen, ferner Edelkastanien und Wallnußbäume, die während des Weltkrieges großenteils zur Gewinnung von Gerbstoff und Erzeugung von Gewehrkolben gefällt worden sind. Der wichtigste Zweig Untersteiermarks, der Wein- und Obstbau, würde in den letzten 120 Jahren von allen maßgebenden Körperschaften und Persönlichkeiten in jeder Weise gefördert. Als eifriger Förderer wäre der edle deutsche Fürstensohn, der vom ganzen Volke Steiermarks so sehr geliebte und verehrte weiland Erzherzog Johann, zu nennen, der unter anderem die Steiermärkische Landwirtschaftsgesellschaft mit ihren im ganzen Lande zerstreuten Filialen ins Leben rief und den ständischen Versuchshof in Graz (Annensträße) in . der Mitte des vorigen Jahrhunderts gegründet hat. In dieser Anstalt wurden Söhne von Landwirten nicht nur aus dem Mittellande, sondern hauptsächlich auch aus der Untersteiermark für die Landwirtschaft im allgemeinen, insbesondere für den Wein- und Obstbau ausgebildet. # Als theoretische und praktische Lehrer wirkten an dieser ersten und sehr wichtigen steirischen landwirtschaftlichen Bildungsstätte Dr. Chlubek, Trümmer, Kiegerl und Obergärtner Lafferl usw., alle tüchtige deutsche Männer und eifrige Förderer der Landwirtschaft. Erzherzog Johann hat durch den tüchtigen Ampelographen Franz Xaver Trümmer sämtliche Weinbaugebiete (Rieden) der unteren und mittleren Steier- mark bereisen lassen, um die vorhandenen Traubensorten festzustellen, zü beschreiben und die wertvollsten Sorten zur Vermehrung anzuempfehlen. Die einzelnen Traubensorten wurden beschrieben, in Klassen und Systeme geordnet, in betreff Wert der Sorte, Erziehung und Schnitt usw. in einem großen Buche und in einem Nachtragsbuche von der Steiermärkischen Landwirtschaftsgesellschaft im Jahre 1841 und 1855 herausgegeben. Trummers Ampelographié war eine sehr gediegene Arbeit, welcher später von hervorragenden Önologen, wie Babo, Goethe, und anderen Fachorganen oftmals in ihren Veröffentlichungen und schriftlichen Werken Erwähnung getan' wurde. Erzherzog Johann war auch derjenige, der die erste Rebschule mit edlen Rebensorten, die er aus dem Rheinlande bezog, wie Kleinriesling, Weißburgunder, Traminer, Grünsilvaner und Ortlieber, angelegt hat, da nach den von Franz X. Trümmer gemachten Erfahrungen von dem genannten Rebenmaterial nichts oder hur wenig vorhanden war. Durch das Eingreifen des Prinzen Johann erfuhren die Weinberganlagen eine ganze Umwälzung. Die sogenannte Gräben- oder Kräftenanlage hörte vielfach auf, desgleichen das Vergruben. Statt dessen wurde das Rigolen mit Reihenbau, der Reihensatz mit reinen edlen Sorten eingeführt. Erzherzog Johann, ein Liebhaber eines guten edlen Tropfen Weines, hat sich selbst zu einem Weingutsbesitzer und Weinbauer gemacht, da er in Pickern bei Marburg ein größeres, schön gelegenes Weingartenanwesen kaufte und durch den tüchtigen deutschen Fachmann Ehrenberg, welchen er vorher nach Deutschlands Weingegenden, insbesondere in den Rheingau, behufs Studium von neuen Weinberganlagen fr Rigolen mit Reihenbau — sendete, anlegen und bewirtschaften ließ. Diese Weingärten galten als ein leuchtendes Beispiel für die Weinbauern des Unterlandes und wurden vielfach nachgeahmt. Das Weingut führt heute noch den Namen „Johannesberg“ und gehört dem Enkel Grafen Meran. Àn dieser Stelle sei erwähnt, daß auch diese schönen Weingärten durch die Reblaus vernichtet wurden. Die Anlagen wurden vom derzeitigen Besitzer auf amerikanischen widerstandsfähigen Unterlagsreben mit den edelsten europäischen Sorten veredelt, neu angelegt. Dies besorgte der Verwalter des schönen „Johannesberg“-Weingutes, Heinrich Schigert, ein Deutscher, einstiger Schüler der Marburger Weinbauschule, in ausgezeichneter Weise. Als eifrige Mitarbeiter Erzherzog Johanns wären besonders anzuführen: Dr. Hüttenbrenner in Gams bei Marburg, J. Huber in Luttenberg, Gottlieb Bayer in Gieskübel bei Windischfeistritz, Baron Moscon in Pischätz bei Rann, Franz Hirschhofer in Wisell, J. Omerschitz zu Franz, Dr. J.Wokaun in Cilli, J. Murschitz in Luttenberg, Freiherr v. Kellersberg in Frauheim, Dr. Rupnik, Dr. Mulle in Marburg, J. v. Feldbacher in Frauheim, 0. v. Kodolitsch in Luttenberg und Kerschbach bei Radkersburg usw., alles edle deutsche Männer; auch die Stifte Admont, Rein, Vorau, St. Paul in Kärnten, Bistum Seggau usf. sind zu erwähnen. Das Bedürfnis nach tüchtiger Ausbildung der jungen Leute im Obst- und Weinbau wurde immer größer. Der steiermärkische Landesausschuß fühlte sich Erzherzog-Johann-Weingarten bei Lembach nach einem Aquarell von Th Ender (1844) daher im Jahre 1871 veranlaßt, nebst der bestehenden Landesackerbauschule in Grottenhof bei Graz, die an Stelle des Versuchshofes in Graz getreten war, auch noch eine Landes-Obst- und Weinbauschule auf dem Weingute Pickardie in der Gemeinde Kartschowin bèi Marburg zu errichten, welches Gut für diesen Zweck angekauft wurde. Mit der Errichtung und Direktion wurde der tüchtige Fachmann Hermann Goethe, ein Reichsdeutscher, betraut, der ein außerordentlich fleißiger, ernster und tüchtiger Fachmann war, der die Anstalt nach jeder Richtung hin ausgestaltete, so daß sie nicht nur im Lande selbst, sondern in allen Ländern Österreichs, ja weit über die Grenzen Österreichs hinaus als Musterfachlehranstalt anerkannt wurde. Die Anstalt hat aber auch außerordentlich viel Nützliches für däs Land geleistet. Nicht nur die vorhandenen Kulturen, wie der Musterweingarten, die Obstzwerg- und Muttergärten, ferner Halb- und Hochstämme an der Anstalt wurden in mustergültiger Weise angelegt und gepflegt, sondern auch Obstsaatvermehrungsschulen sowie eine Obstbaum-schüle und Rebenschule wurden betrieben. sljjSHunderttausende schön gezogener Obstbäume der für die Untersteiermark entsprechenden Edel- und Mostobstsorten von Äpfeln und Birnen sowie viele Millionen 'Schnitt^ und bewurzelte Edelrebensorten wurden an die Obst- und Weinbauern der unteren Steiermark behufs Anlage neuer Obst- und Weingärten zu billigen Preisen abgegeben. Ihr Hauptzweck jedoch war der, daß an der Anstalt junge Fachleute theoretisch und praktisch herangebildet werden, die den Obst- und Weinbau im Lande, besonders im Unterlande, fördern helfen. Der Lehrgang war zweijährig und es konnten in jedem Jahrgang bis 25 Schüler Aufnahme finden. Jahr für Jahr waren die Anmeldungen zahlreich, insbesondere seitens der Besitzerssöhne aus dem Unterlande. Der Unterricht wurde in deutscher Sprache gehalten. Es war staunenswert, wie die slowenischen Besitzerssöhne in kurzer Zeit die deutsche Sprache beherrschten, dem Fachunterricht mit Verständnis folgten und viele von ihnen nicht nur verläßliche, tüchtige Fachkräfte des Obst- und Weinbaues wurden, sondern im späteren Lebenslauf auch hervorragende öffentliche Stellungen in ausgezeichneter Weise einnahmen und versahen. Nicht nur dem äußerst tüchtigen Fachdirektor Hermann Goethe, sondern auch seinem untergebenen Lehrkörper, wie den Adjunkten Heinrich Kalmann, Alexander Mell, Julius Hansel, der, bevor er Direktor der Landesackerbauschule wurde, eine längere Zeit als erster Phylloxera-Kommissär und Leiter der Versuchs- und Bekämpfungsarbeiten in vorzüglicher, umsichtiger Weise tätig war, ferner Franz Knauer, dem äußerst tüchtigen Ampelograph Josef Ketz, den Volksschuldirektoren Michael Janschek und Franz Pfeifer, den Bürgerschuldirektoren Karl Sketh und Viktor Phillipeck, eifrige Mitarbeiter, durchwegs Deutsche, war der großartige, ja außergewöhnliche Lehrerfolg zu verdanken. Außer dem beständigen Unterrichte an die Schüler wurden auch Winzer-Hospitanten- und Volksschullehrerkurse über Wein- und Obstbau, Kellerwirtschaft und Landwirtschaftslehre abgehalten, die stets zahlreich, zumeist aus dem Unterlande, besucht waren. Eine große Aufgabe hatte die Direktion der Anstalt zu lösen, als die Reblaus in dem tiefsten Unterlande, Gemeinde Wisell, im Jahre 1880 auftrat. Dies gelang in vorzüglicher Weise dem Direktor Hermann Goethe, der sofort erkannte, daß für die steirischen Verhältnisse, wo die Weinberge in steilen, ja oft sehr steilen Lagen, wie in der Kollos, Windischen Büheln, Poßruck, und steinigem Boden sich befanden, ferner das Vergrubungssystem seit Hunderten von Jahren vorgenommen wurde, nur das Rigolen des Bodens der durch die Reblaus zerstörten alten Rebenbestände und das Bepflanzen des Bodens mit gut verwachsenen Veredlungen auf amerikanischen, der Reblaus widerstandsfähigen Unterlagssorten, in Reihen angelegt, die Zukunft des neuen Weinbaues in Steiermark verbürgen. An der Marburger Weinbauschule wurde durch Direktor Hermann Goethe mit Fachlehrer Josef Ketz schon vor 1880 Rebsamen von amerikanischen Unterlagssorten, die aus Amerika und Frankreich bezogen wurden, in Saatschulen ausgesät und so brauchbare Riparia-Unterlagsreben herangezogen, selektioniert und von den besten Ripariaformen amerikanische Schnittweingärten behufs Gewinnung von Schnittreben (Unterlagsreben zur Veredlung unserer edlen europäischen Sorten) angelegt. Diese Arbeit wurde durch Direktor Heinrich Kalmann, dem Nachfolger des Direktors Goethe, in erfolgreicher Weisè fortgesetzt. Die Verbreitung der Reblaus hat im Unterlande rasche Fortschritte gemacht, so daß energische und umfangreiche Maßnahmen getroffen werden mußten, um die durch die Reblaus verwüsteten Weingärten durch neue Anlagen auf amerikanischer Unterlage zu ersetzen. Mittlerweile trat die Peronospora auf, die sich rasch verbreitete und alle Weinbaugebiete des Landes befiel. Es mußten Bekämpfungsmittel an der Weinbauschule in Marburg erprobt werden, um den Weinbauern auch gegen diesen Schädling dienen zu können. Als das wirksamste und sicherste Mittel wurde die Bespritzung mit der Kupferkalklösung in gewissem Hundertsatz rechtzeitig angewendet. Die genannte Lösung ist heute noch das geeignetste Mittel zur Bekämpfung des sehr gefürchteten und gefährlichen Pilzes, der sonst imstande ist, die grünen Rebstockteile wie Blätter und Trauben Jahr für Jahr zu vernichten. An der Anstalt in Marburg wurden alljährlich Kurse über Rebenveredlung (Holz- und Grünveredlung), über die Bekämpfung der pilzlichen Schädlinge Peronospora und Oidium durch den mittlerweile an Stelle des verstorbenen Fachlehrers Ketz ernannten Fachlehrer für Weinbau, Kellerwirtschaft und Pomologie Anton Stiegler abgehalten. Genannter, auch ein Deutscher, wirkte gerade während der kritischesten Zeit an der Wein- und Obstbauschule, wo die Reblaus an den Reben und die Blutlaus an den Obstbäumen zu bekämpfen war und die ersten Erfolge im Kampfe gegen Peronospora und Oidium errungen wurden. Die vorerwähnten Hospitanten- und Winzer- sowie Volksschullehrerkurse waren sehr zahlreich besucht, da die Kursteilnehmer hören wollten, welche amerikanische Unterlagssorten am zweckmäßigsten für die einzelnen Boden zu wählen, wie man sie veredelt und wie man die durch die Reblaus zerstörten Weingärten neu anlegt und pflegt und wie die pilzlichen Schädlinge bekämpft werden sollen. Fachlehrer Anton Stiegler, für das Fach „neuer Weinbau und Obstbau“ begeistert, gab farbige Tafeln heraus, die die wertvollen amerikanischen Unterlagssorten sowie die Rebengrün- und Holzveredlung und die dazugehörigen Geräte natürlich darstellen, die bei den Fach- und Volksschulen, Weinbauvereinen und Weinbauern im Lande und fast in allen Weinbauländern freundliche Aufnahme fanden und im Lande wesentlich zur raschen Bekanntmachung der Kultur der amerikanischen Unterlagssorten und Veredlung mit beigetragen haben. Ferner wurde von ihm ein farbiges Tafelwerk über die Vornahme des Rebschnittes und die wichtigsten Erziehungsarten herausgegeben, welches ebenfalls freudigst von den Weinbauern angekauft wurde. Dieses Werk hat wesentlich mit beigetragen, den Rebschnitt, der früher im argen lag, sach- und fachgemäß vorzunehmen. Das Tafelwerk „Rebschnitt“ wurde auch in einer größeren Auflage mit slowenischem Text herausgegeben. Da die Reblausverseuchung rasch im Lande zunahm, wurde anfangs des Jahres 1890 vom steiermärkischen Landtag beschlossen, Winzerschulen zu errichten, um Pioniere des neuen Weinbaues auszubilden, damit sie durch Errichtung von amerikanischen Schnittweingärten, Reb- und Obstbaumschulen eitrigst mithelfen, die zerstörten Weinberge etc. neu anzulegen. Staats- und Landesverwaltung haben alle bis dahin bekannten Mittel zur Bekämpfung dieses gefährlichsten Rebenschädlings (Reblaus) aufgeboten. Der Landesausschuß hat in Befolgung des Landtagsauftrages 1892 ein eigenes Weinbauamt im Landhause errichtet und als leitenden Fachbeamten Landesweinbaukommissär Johann Ballon, einen gebürtigen Wiseller aus dem Bezirke Rann, angestellt, der bis zu seinem Tode im Jahre 1898 in dieser Eigenschaft eifrigst tätig war und die Weinbauaktion leitete. Unter seiner Anregung wurden die bestandenen Staatsrebenmusteranlagen mit den Landesmusterrebenanlagen unter eine Verwaltung gebracht. Ein Jahr nach dem Tode Ballons war die Weinbauaktion dem Landesweinbauadjunkten Anton Puklavec als einstweiligem Leiter übergeben worden, bis in dieses Amt im Frühjahre 1899 der bis dahin an der Marburger Weinbauschule als Fachlehrer für Weinbau und Kellerwirtschaft tätige Anton Stiegler als Landeswein- und Obstbaukommissär für Steiermark berufen wurde, der auch ein Schüler der Weinbau-; schule in Marburg gewesen ist. Bei der Statthalterei in Graz wurde ein eigener Weinbauinspektor Franz Matiasic, ein ehemaliger Schüler der Landes-Obst- und Weinbauschule in Marburg, angestellt, der die Weinbauangelegenheiten des Staates für Steiermark zu besorgen hatte. Nach dem Tode des Direktors Heinrich Kalmann wurde der Fachlehrer für Weinbau und Kellerwirtschaft in der Fachlehranstalt in Geisenheim am Rhein Franz Zweifler, ein gebürtiger deutscher Steirer, gewesener Schüler der Weinbauschule in Marburg, ernannt. Unter seiner Leitung wurde die Fachschule in Marburg durch den Neubau eines sehr netten, den neuzeitlichen Verhältnissen entsprechenden Internates und Schulhauses sowie eines eigenen Kelterhauses mit Kelleranlagen erweitert. Der Versuchsweingarten wurde durch Zukauf vergrößert. Direktor Franz Zweifler war mit dem tüchtigen Obst- und Gemüsebaufachlehrer Otto Brüders, einem gebürtigen Deutschländer, den Landwirtschaftslehrern Knauer, Erhärt und Jentsch, ebenfalls Deutsche, nach jeder Hinsicht bestrebt, die weit über die Grenzen Österreichs hinaus bekannte Fachlehranstalt sorgfältigst zu leiten und den zahlreichen Schülern — meist Unter-steirerngg sowie den vielen Teilnehmern der verschiedenen Kurse, die auf dem Gebiete des Obst- und Weinbaues Rat und Belehrung suchten, stets in bereitwilligster Weise zu nützen. Von der autonomen Landesverwaltung Steiermarks, insbesondere vom Landesausschußreferenten Grafen Franz Attems, wurde die Landes-Wein- und Obstbauaktion unter der Leitung des Landes-Wein- und Obstbaükommissärs Anton Stiegler für die Untersteiermark in segenbringender Weise ausgestaltet. Es wurden unter anderem drei große amerikanische Schnittweingärten im Ausmaße von 30 Hektar, 36 Demonstrations-Rebenmusteranlagen, bestehend aus je einem amerikanischen Schnittweingarten, einer Rebenschule und einem Ertrags-Musterweingarten, zumeist mit einer kleinen Obstsaat- und Baumschule und Korbweidenschule verbunden, je im Ausmaße von 1 bis IV2 Hektar und darüber, in den einzelnen Weinbaugebieten als Muster für die Wein- und Obstbauern der betreffenden Gegend angelegt. Amerikanische Schnittreben, Wurzelreben und auf den wertvollsten amerikanischen Unterlagssorten veredelte Reben der besten für die einzelnen Weinbaugebiete Steiermarks, insbesondere für die Südsteiermark, geeigneten europäischen Rebsörten wurden zu vielen Tausenden an die umliegenden Besitzer zu sehr ermäßigten Preisen abgegeben. An diesen Reben-Demon-strations-Musteranlagen wurden die besseren Abgänger von Winzerschulen oder der Weinbauschule in Marburg als Leiter angestellt, die den Betrieb nach den Weisungen des Obst- und Weinbaukommissärs zu führen und auch an die Weinbauern Auskünfte und Ratschläge betreffs Rebschulbetrieb, Anlage von neuen Weingärten mit veredelten Reben, Auszeichnung reichtragender europäischer Rebstöcke zu erteilen hatten. Von diesen Anlagen und den bestandenen 15 bis 25 Joch großen Zentralrebschulen in Unterrann bei Pettau und Zwetten-dorf bei Marburg, in welchen Millionen von veredelten Reben herangezogen wurden, wurde zumeist nur an untersteirische Weingartenbesitzer Rebenmaterial abgegeben. Außerdem wurden durch die Landesfachorgane und den Landes-Wein-und Obstbaukommissär gelegentlich seiner vielen Wandervorträge über Neuanlage von Weingärten, die er in den einzelnen Weinbaugebieten und entlegensten Weinbaugemeinden abhielt, ebenfalls Schnittreben, Wurzelreben und veredelte Reben zu Hunderttausenden unentgeltlich an bedürftige Weingartenbesitzer verteilt. Neben den Demonstrations-Musteranlagen wurden 7 Winzerschulen, und zwar im Burgwald bei Marburg, in Ankenstein und Unterrann bei Pettau, Skalitz bei Gonobitz, Steinberg ob Luttenberg, Kerschbach bei Oberradkersburg und Silberberg bei Leibnitz vom Lande mit einer Staatssubvention unterhalten. Die erste war mit dem Betriebe der Landes-Obst- und Weinbauschule in Marburg verbunden, während die übrigen sechs der Leitung und Aufsicht des Kommissärs Stiegler unterstellt waren. An jeder Schule waren ein Leiter und ein Rebmann, meist Deutsche, angestellt und wurden an jeder Schule 10 bis 22 Schüler in einem neunmonatigen Kurs im neuen Weinbau, Obstbau sowie in Kellerwirtschaft praktisch und, soweit es zur Unterstützung der Praxis nötig war, auch theoretisch gründlich unterwiesen. An jeder Schule war ein größerer amerikanischer Schnittweingarten, eine Rebenschule, ein Ertragsweingarten, eine kleine Obstsaat- und Obstbaumschule, ein Zwergobstgarten und Obstanlagen mit Halb- und Hochstämmen und eine Korbweidenschule zur vollkommen praktischen Ausbildung der Schüler. Auf diese Weise wurde es möglich, jährlich bis 100 junge Leute mit den für den neuen Weinbau und den Obstbau erforderlichen Arbeiten vertraut zu machen, die sodann als Pioniere des Obst- und Weinbaues auf den heimatlichen Besitz oder als Angestellte nutzbringend und beispielgebend wirkten. Dem Leiter der Landes-Obst- und Weinbauaktion, Kommissär Stiegler, dem infolge seiner organi- satorischen und fachlichen Leistungen vom Landtag der Titel Landes-Wein-und Obstbaudirektor für Steiermark und später der Titel Landesökonomierat verliehen wurde, waren außerdem 8 Weinbauinstruktoren und 4 Obstbauwanderlehrer unterstellt. Diese Organe erhielten Dienstesweisungen, nach welchen sie zu arbeiten hatten. Von den 8 Weinbauinstruktoren waren 7 für die unter- und einer für die mittelsteirischen Weinbaugebiete angestellt. Sie hatten die Aufgabe, von Weingarten zu Weingarten zu wandern und die Besitzer über alle den neuen Weinbau betreffenden Verrichtungen, wie das Rigolen, Planieren, Abzeilen, Pflanzung der veredelten Reben, Behandlung und Pflege derselben, Auszeichnen reichtragender Stöcke usw., desgleichen auch über Obstbau und Kellerwirtschaft zu belehren, die Gratisverteilung von Grünveredlungsgummibändern, die vom Staat und Land gemeinsam gekauft wurden, an arme Weinbauern vorzunehmen, ferner den Pflanzrebenbedarf für die Weingärtenbesitzer zu vermitteln und den Privatrebschulbesitzern mit Rat und Tat an die Hand zu gehen, damit die Rebschulen mit Erfolg betrieben wurden und ihnen somit stets genügend brauchbar gutes Rebenmaterial für die Neuanlagen von Weingärten zur Verfügung stand. An dieser Stelle muß anerkennend hervorgehoben werden, daß aus der Weinbauschule Marburg und den Winzerschulen sehr tätige und eifrige Rebschul-unternehmer hervorgingen. Außerdem gehörte es zu den Aufgaben der Weinbauinstruktoren, die mit Staats- und Landesdarlehen zu belehnenden Weingärten der bedürftigen Weingartenbesitzer zu begehen, und zwar vor der Belehnung, zwecks Feststellung, ob die Weingartenfläche zur Anlage eines Weingartens geeignete Lage und Boden besitzt, und nach der Belehnung behufs Kontrolle, ob die betreffenden Besitzer auch die erforderlichen Arbeiten geleistet haben, welche bei den Darlehensgewährungen als Bedingung gestellt wurden. Der Staat und das Land haben an bedürftige Weingartenbesitzer bis einschließlich 1913 eine Darlehenssumme von 5V2 Millionen Kronen je zur Hälfte auf 12 Jahre unverzinslich gewährt, die nach Ablauf der genannten Jahre in abermals 12 Jahresraten zurückzuzahlen sind. Der größte Teil der Darlehenssumme von 5 Millionen Kronen entfiel auf die untersteirischen Weingartenbesitzer. Die Darlehenssummen sowie die übrigen Weinbausubventionen wurden von den obersteirischen Abgeordneten stets anstandslos bewilligt. Im Jahre 1916, zu welcher Zeit die Weinpreise schon sehr in die Höhe gingen, hat der Landesausschuß unter Hinweis auf die großen beim Verkaufe der Weinprodukte erzielten Gewinne die Darlehensschuldner zur Zurückzahlung der gewährten Darlehen aufgefordert, welcher Anregung größtenteils entsprochen wurde. Auch den Leitern der Landesversuchsstationen Graz (Direktor Dr. Eduard Hotter), Marburg (Direktor Edmund Schmid) — beide hervorragend tüchtige deutsche Männer muß an dieser Stelle gedacht werden. Sie untersuchten von allen Weinbaugebieten des Landes die Böden auf ihre Zusammensetzung, insbesondere auf den löslichen Kalkgehalt hin, damit, um Mißerfolgen bei Neuanlage von Weinbergen vorzubeugen, ja die richtigen amerikanischen Rebenunterlagen gewählt werden konnten. Ferner wurden auch die Wein- und Obstsorten der verschiedenen Gebiete in bezug auf ihre Zusammensetzung, Güte und ihren Wert untersucht. Diese Arbeiten waren für Weinbauer und Obstzüchter äußerst wertvoll und es haben sich daher die beiden Herren ein bleibendes Verdienst geschaffen. Durch die vom Landes-Wein- und Obstbaudirektor organisierte Weinbauaktion war es in der kurzen Zeit von 16 Jahren gelungen, den größten Teil der durch die Reblaus usw. zerstörten Weingärten wieder herzustellen. Es wurden fast 20.000 Hektar Weingärten durch Veredlung der besten europäischen Rebensorten auf gegen die Reblaus widerstandsfähigen amerikanischen Unterlagssorten neu angelegt, woraus hervorgeht, daß das Land Steiermark sowie auch der Staat für den untersteirischen Weinbau in weitgehender und bereitwilligster Weise große Opfer gebracht und das wirtschaftliche sowie das kulturelle Gedeihen dieses Landesteiles gefördert haben. Auch dem Obstbau wurde — wie vorhin schon des öfteren angedeutet — von den öffentlichen Faktoren das größte Augenmerk zugewendet. Die Landes-Obst- und Weinbauschule in Marburg mit den sehr tüchtigen Fachleuten, wie den Direktoren Hermann Goethe, Heinrich Kalmann, Franz Zweifler und den Fachlehrern und praktischen Unterweisern F. Federle, Karl v. Kottowitz, Wilhelm Klenert, Wilhelm Geiger, Anton Stiegler, Josef Löschnig, Otto Brüders, alles deutsche Fachleute, war eifrigst tätig und bestrebt, in jeder Hinsicht den für das Land Steiermark, insbesondere für die Untersteiermark außerordentlich wichtigen Zweig der Landwirtschaft, den Obstbau, zu heben. Wie wichtig das Obst als menschliches Nahrungsmittel ist, hat sich zur Zeit des Weltkrieges genügend bewiesen. Zur Förderung des Obstbaues wurden daher 4 Obstbauwanderlehrer, darunter für das Unterland 2, angestellt, deren Aufgabe darin bestand, die Obstzüchter mit Rat und Tat beim ganzen Obstbaubetrieb zu unterstützen. Die Obstbauwanderlehrer waren ebenfalls zumeist Abgänger der Wein- und Obstbauschule in Marburg, und es ist deren eifrige Tätigkeit innerhalb der vom Landesökonomierat Direktor Stiegler geleiteten Wein- und Obstbaüaktion als eine sehr erfolgreiche zu bezeichnen, die besonders im Unterlande hohe Werte schaffen half. Aus der Landesobstbaumschule in Cilli wurden Hunderttausende von gut gezogenen Stämmen edler Sorten von Obstbäumen, Äpfel, Birnen und Walnüsse, für die Untersteiermark geeignet, gewonnen. Eine große Anzahl von Obstbäumen wurde unentgeltlich durch die Landesfachorgane an die bedürfe tigen Besitzer des Unterlandes verteilt und das Pflanzen der Obstbäume praktisch erläutert. Der Leiter der Landes -Wein- und Obstbauaktion hat allein bei den vielen durch die Landwirtschaftsgesellschafts-Filialen veranstalteten Wanderversammlungen nach den Vorträgen an Obstbäumen (Äpfel, Birnen, Wal- nüsse, Kirschen, Edelkastanien, Obstwildlinge, Edelreisern der wertvollsten Äpfel- und Birnensorten) jährlich sicher über hunderttausend zur Verteilung gebracht. Hervorgehoben sei noch, daß in der Landeszentralrebenschule in Zwetten-dorf bei Marburg eine große Saatschule von Edelkastanien (Maroni) und Walnüssen während des Krieges angelegt wurde, deren Pflanzen im Jahre 1918 außerordentlich kräftig herangewachsen waren. Viele Tausende von diesen wertvollen edlen Pflanzen, die im ganzen Lande hätten verteilt werden sollen, sind durch die Abtrennung des schönen Unterlandes der Steiermark verlorengegangen. Da während des Krieges die meisten schönen Edelkastanien und Walnußbäume zwecks Gewinnung von Gerberlohe und zur Gewehrkolbenerzeugung gefällt und verkauft worden sind, hat der Landesökonomierat Stiegler bereits für Neupflanzung dieser Obstgattungen gesorgt. Leider hat infolge des Zusammenbruches die deutsche Steiermark nichts von dem wertvollen Pflanzenmaterial erhalten, ja, wie man hörte, wurden diese wertvollen Edelbäume tief in die südslawischen Landesteile gesendet und dort gepflanzt. Vor und auch noch während des Weltkrieges wurden von den Obstbauwanderlehrern bei einzelnen Besitzern Musterobstgärten angelegt, wobei je 25 Bäume einer der Gegend angepaßten Edelsorte aus einer Landesobstbaumschule unentgeltlich beigestellt wurden. Das Ausstecken, Beschneiden und Pflanzen der Obstbäume besorgten die Obstbauwanderlehrer. Das Aüsheben der Baumgruben, die Beistellung von Komposterde, Baumpfählen usw. sowie alle übrigen Arbeiten hatten die Besitzer zu besorgen. Zufolge dieser Fürsorge durch die Landesverwaltung hatte die Untersteiermark sehr schönes, reines Edelobst, insbesondere Bellefleur, gelbe Kanada und Ananasrenetten, die vielen Goldrenetten, insbesondere die Karmeliter und englischen Wintergoldrenetten usw., den London-Pepping, die Adamsparmäne, Adersleben und Lesans Calvill usw., von den Birnen die Frühhaferbirne oder Nagovica, die grüne Sommermagdalena, Gute Louise von Avranches, Clairgeau, Butterbirne DielS, Olivier de Seeres, Winterdechantsbirne usw., edle Pfirsiche, Marillen, Pflaumen und Zwetschensorten etc. aufzuweisen. Prachtvolles Obst war daher bei den Obstschauen, die von der Landes-Obst- und Weinbauschule in Marburg mit dem Obstbauverein und den Land-wirtschaftsgesellschafts-Filialen in der Untersteiermark veranstaltet wurden, anzutreffen. Durch diese Obstschauen wurde die richtige Sortenwahl derart gefördert, daß die Obstbauern nur wertvolle und im Handel leicht absetzbare Sorten züchteten. Jedoch nicht nur für die Hebung der Obstkultur in Untersteiermark wurde somit Hervorragendes, sondern auch für den Absatz der Produkte hat der Landesausschuß mit seinen Fachorganen, mit dem Direktor der Landes-Wein- und Obstbauaktion Stiegler an der Spitze, Ersprießliches geleistet, und zwar in der Weise, daß nicht nur im Lande Steiermark selbst, sondern auch in Triest, Görz, Wien, in letzterer Stadt wiederholt, schöne und große Ausstellungen veranstaltet wurden, die immer von günstigem Erfolg begleitet waren, da nachher stets Nachfragen nach schönem Obst bei den Produzenten erfolgten und die Ware zu guten Preisen abgesetzt wurde. Glänzende Erfolge hatte der steirische Landesausschuß mit seinen umfangreichen Obstausstellungen in Paris 1900 und Düsseldorf 1904 aufzuweisen. Auf beiden internationalen Weltausstellungen erhielt das Land die ersten Preise und das steirische Obst bekam einen Weltruf, woran die Untersteiermark einen gewaltigen Anteil hatte. Schließlich sei noch der einige Jahre vor dem Ausbruch des Weltkrieges geschaffenen (neuerbauten) Landesackerbauschule bei St. Georgen a. d. Südbahn nächst Cilli Erwähnung getan. An dieser Schule wurde Feldbau, Wiesen-, Hopfen- und Obstbau sowie auch Viehzucht in slowenischer Sprache theoretisch und praktisch unterrichtet. Es sei hervorgehoben, daß die deutschen Landtagsboten vom Ober- sowie Mittelland ausnahmslos für die Errichtung der Schule eingetreten sind. Als Direktor wurde der tüchtige Fachmann Johann Belle, welcher durch 15 Jahre als Obstbauwanderlehrer für die Untersteiermark eifrigst wirkte, ernannt. Belle ist ein gebürtiger Krainer, ist Abgänger der Klosterneuburger Lehranstalt und war als Obstbauwanderlehrer für die Untersteiermark der Direktion der Landes-Obst- und Weinbauschule in Marburg zugeteilt gewesen. Aus den vorhin niedergelegten Daten geht wohl zur Genüge hervor, daß der Landesausschuß mit seinen meist deutschen Fachorganen die Interessen des Unterlandes stets in großzügiger Weise gefördert, dessen Bodenkultur auf eine hohe Stufe gebracht und kein geldliches Opfer gescheut hat, um das Wohl des Unterlandes zu fördern und zu heben. Anton Stiegler DAS DEUTSCHE TURNWESEN IN DER SÜD STEIERMARK Leibeskräfte zu steigern, mußten schon die Naturmenschen zum Zwecke der A Selbsterhaltung bedacht sein, und es ist klar, daß im Kampfe ums Dasein schwächliche und mindergeübte Menschen den Naturgewalten und den kräftigen, gewandten Vertretern der eigenen Art erliegen mußten, so daß mit eherner Notwendigkeit eine Auslese der stärkeren Einzelwesen eintrat, die sich dann in geschichtlicher Zeit an ganzen Stämmen und Völkern wiederholte. Ein Volk, das die Leibesübungen vernachlässigt, sich der Verweichlichung und Üppigkeit hingibt, dafür aber allen Lastern der Überfeinerung erliegt, ist stets im Niedergange begriffen und wert, daß es zugrunde geht. So haben denn die gesitteten Völker aller Zeiten die Kraft und Geschicklichkeit des Leibes in irgendeiner Art gepflegt, oft nur dem kriegerischen Bedürfnisse gehorchend, nicht aus innerem Drange. Die Griechen waren das einzige Volk, welches die volle Bedeutung der Leibesübungen als völkisches Erziehungsmittel erkannte und würdigte. Als Friedrich Ludwig. Jahn die körperlichen Übungen unter dem Namen „Deutsche Turnkunst“ sammelte und auf völkische Grundlage stellte und das Turnen in die Lande hinaustrug, wurde leider am Ende des 18. Jahrhunderts die Turnbewegung von Österreich durch die damalige Regierungskunst ferngehalten. Trotzdem flammte aber an räumlich weit von einander getrennten Orten die Begeisterung für deutsches Turnen auf, so auch in der Südsteiermark. Im Jahre 1858 wurde am Gymnasium in Marburg an der Drau mit der Erteilung des Turnunterrichtes als eines Freigegenstandes begonnen. Größere Ausbreitung und eingehendere Pflege fand der Turnunterricht erst, als im Jahre 1862 von Rudolf Marki eine selbständige, behördlich genehmigte Turnschule für Studierende gegründet wurde. Bald stellte sich heraus, daß auch diese Anstalt noch nicht imstande sei, weitere Kreise der Bevölkerung für das Turnwesen zu gewinnen, und daß die Erreichung dieses von allen damaligen Freunden des Turnens angestrebten Zieles viel eher zu erwarten sei, wenn ein Turnverein in Marburg gegründet werde. Dem Gedanken folgte bereits am 13. September 1862 die Tat: Notariatsbeamter Marko wurde Sprechwart und Rudolf Marki übernahm die turnerische Leitung. Der gegründete Turnverein übernahm auch die bisher bestandene Turnschule und machte sie allen Schülern und Schülerinnen zugänglich. Am 24. November wurde bereits das Gründungsfest gefeiért. Unter den bei dieser Gelegenheit ausgebrachten Trinksprüchen möge nur derjenige des Prof. Suman hervorgehoben werden, welcher als Vertreter der „Čitalnica“ ein „Gut Heil“ auf die „Gleichberechtigung“ ausbrachte. Unter den sonstigen Ereignissen möge noch eines angeführt werden, welches an und für sich unbedeutend, doch aus dem Grunde hervorgehoben zu werden verdient, weil es einen Beweis und Markstein liefert für die zur damaligen Zeit bestehende Eintracht und Duldsamkeit unter den Völkerstämmen. In einer im Oktober 1864 abgehaltenen Sitzung des Marburger Deutschen Turnvereines wurde vom Vorsitzenden die Mitteilung gemacht, es habe Herr Dr. Sernec als Vorstand der „Čitalnica“ in Marburg an den Turnverein das Ansuchen gestellt, dieser möge dem Laibacher slowenischen Turnverein „Južni sokol“, welcher Sonntag, den 24. Oktober, zur Slomšekfeier nach Marburg zu kommen gedenke, die Turngeräte zur Benützung überlassen und es möge der Laibacher Verein von dem Mar-burger Turnverein feierlich am Bahnhof empfangen werden. Beiden Wünschen wurde willfahrt, soweit es unter den gegebenen Verhältnissen möglich war. Die Begeisterung für deutsches Turnwesen griff auch auf Cilli und Pettau über und führte in dieser Zeit ebenfalls zu Vereinsgründungen. Hierauf folgte im Jahre 1886 Windischfeistritz, 1899 „Jahn“ Marburg, 1901 Mahrenberg, 1903 Friedau, 1905 Rann an der Save, 1911 St. Lorenzen ob Marburg, Hohenmauthen und Brunndorf bei Marburg. Überall wurde für das Wohl des Volkes gearbeitet, durch mühsam erspartes Geld Turngeräte angeschafft; dem Windischfeistritzer Turnverein gelang es sogar, eine eigene Turnhalle zu erbauen und vollständig einzurichten. Die Arbeit der Vereine war nicht nur auf die reine Vereinstätigkeit beschränkt, sondern bezweckte im weitesten Maße die Erziehung des ganzen Volkes, was schon daraus hervorgeht, daß die Vorturner der Turnvereine auch den Turnunterricht in den Schulen zu leiten hatten. Bereits 1868 übernahm der Verein die körperliche Erziehung der Lehramtskandidaten und 1870 leitete Turnwart Marki einen Ausbildungskurs für Volksschullehrer. Als im selben Jahre die Gründung der Oberrealschule erfolgte, übernahm ebenfalls der Verein den Turnunterricht. Mit dem Jahre 1888 beginnt für den Marburger Turnverein ein Zeitabschnitt neuer Entwicklung und kräftigen Gedeihens. Das Ziel, das er sich gesteckt, hat er auch unter ungünstigen Verhältnissen niemals aus dem Auge gelassen, und die schönen Erfolge in der gesamten Erziehung, die er wiederholt errungen, zeugen dafür, daß er dieses Ziel auch zu erreichen wußte. Wenn sich in der Haltung und dem Auftreten des Turnvereines irgend etwas geändert hat, so lag es darin, daß der Verein dem allgemeinen Zuge der Zeit sowohl als dem Beispiele folgte, welches von nichtdeutschen Vereinen und Körperschaften schon längst gegeben wurde, indem er kein Bedenken mehr trug, sein Volkstum offen an den Tag zu legen und sich als dasjenige zu bekennen, was er von dem Tage seiner Gründung an war, was aber offen zu erklären der Verein aus übelangebrachten Rücksichten jahrelang gescheut hatte: nämlich als deutscher Verein. Der turnerische Leiter, der den Marburger Turnverein über jede Klippe hinweghalf, war der getreue Rudolf Marki. Um so schmerzlicher mußte es daher empfunden werden, als er am 15. Februar 1908 seine Augen für immer schloß. Zwei Jahre später, und zwar am 1. Dezember 1910, folgte ich aus Dresden dem Rufe des Marburger Turnvereines und übernahm die Turnlehrerstelle. Ein eigentümliches Gefühl, als ich zum ersten Male in die vom Hörensagen bekannte grüne Steiermark einfuhr. Mit frischer Kraft begann ich mein Werk. Unterstützt von den vielen treuen Helfern, trugen wir den echten und rechten Geist der deutschen Turnsache hinaus in die Bevölkerung und über Marburgs Mauern. Die Bande mit den deutschen Vereinen, besonders mit dem Männergesangvereine und dem daraus entstandenen Bergvereine „Marburger Hütte“, wurden immer fester geknüpft zum Wohle der Hauptstadt Südsteiermarks. Als im Jahre 1912 die Fünfzigjahrfeier des Marburger Turnvereines, verbunden mit dem Gauturnfeste des südösterreichischen Turngaues, in Marburg abgehalten wurde, sah man deutlich die Schaffensfreude des großen deutschen Volkes mit seiner gewaltigen Kultur, seinem Ruhme. Mitten in Wald, Wiese und Weinlaub war der Grundstein für einen Jahngedenkstein gelegt, und draußen im Volksgärten schufen tausende deutscher Männer und Frauen, Jungen und Mädel ein Denkmal für Volkstum — Deutschheit — Vaterland. Am Abend schmückte eine Turnerin die erschienenen Fahnen mit Bändern unter dem Ausspruche. Flattre, Bänd, an deiner Fahne, Wecke alle Deutschen auf, Erinnre an vergangne Tage, Die erlebt sind an der Drau! Und die aus diesem Anlaß erschienene Festschrift brachte folgende seherische Worte: „Es hieße die Bedeutung verkennen, wenn man nicht sähe, wie das Südslawentum vordringt und den deutschen Einfluß vom Meere, einer Lebensader, verdrängt, wie es sich, von Haß und erbärmlichsten Sonderinteressen geschürt, in die schönen Gaue hineinfrißt und der grünen Mark jenes Los heraufbeschwört, an dem noch gesegnetere Lande mit kraftvoller Bevölkerung teilweise verbluten, wie es das Stets-zu-Nehmen-und-wenig-zu-Geben weidlich verstanden und uns als Angebinde Und besondere Gunst Leid und Haß reicht, nicht die nationale besonnene Arbeit eines jeden herausforderte, daß eine mächtige deutsche Sphäre um die Stadt entstehe und die Bevölkerung trotz widrigster Umstände nicht nur wirtschaftlich, was sich verschieben kann, dem Deutschtume geneigt bleibe, wie ein Untergehen in die slawische Hochflut für die Machtstellung des deutschen Volkes überhaupt einstens verhängnisvoll werden kann. Leider wird die völkische Bedeutung der Dräustadt sogar von den Bürgern zu sehr unterschätzt und von Gegnern zu richtig eingeschätzt.“ Das waren die Worte im Jahre 1912, die aber man möchte sagen d von vielen als übertriebene Klugheit bezeichnet wurden. Und, ich darf es hier wohl offen aussprechen, daß auch die Deutschen Marburgs oft ungerecht gegen das eigene Volk gewesen sind, um gegen die Slawen gerecht zu sein. Durch das Gauturnfest war die deutschvölkische Begeisterung wieder ein großes Stück vorwärts getragen. Eine Festlichkeit ganz eigener Art vereinte die Turner des Unterlandes am 17. November 1912 in Windischfeistritz : Es galt die neue Turnhalle zu eröffnen, für die in ganz unglaublich kurzer Zeit die Mittel aufgebracht wurden. Die Vorgeschichte des Hallenbaues ist bald erzählt: Im Oktober 1910 besuchten einige Marburger Turnbrüder den deutschen Turnverein in Windischfeistritz. Die Turnplatzfrage war damals brennend. Aus der doppelsprachigen Schule hinausgewiesen, hatte der Verein vorübergehend einen Unterschlupf im deutschen Kindergarten gefunden, wo auch die Turnstunden abgehalten wurden. Durch verschiedene Unzulänglichkeiten sah sich der dortige Schulleiter jedoch veranlaßt, dem Vereine auch diese Räume zu entziehen. Natürlich waren die dortigen Turner verzagt und niedergeschlagen und fragten um Rat in dieser Sache. Einer augenblicklichen Eingebung folgend, warf ein Turnbruder einen Gulden auf den Tisch und rief: „Na, so baut euch selber ’ne Turnhalle, den ersten Gulden gebe ich dazu!“ Alle Anwesenden folgten diesem Beispiele, und so entstand an diesem Abend der Grundstock zum Turnhallenbausäckel. Nimmermüde Helfer brachten es zustande, daß schon ein Jahr darauf der nötige Grund gekauft und ein weiteres halbes Jahr später mit dem Bau begonnen werden konnte. Nach zwei Jahren versammelten sich bereits die Turner zum Eröffnungsfeste! Dies ist eine ganz beispiellos dastehende Tatsache! Das Jahr 1913, das Jahr großer und stolzer Erinnerungen, führte die Turner Südsteiermarks hinaus nach Leipzig zum Deutschen Turnfeste. Am 15. Juni wurde der Jahn-Gedenkstein im Marburger Stadtparke enthüllt und in die Obhut des Gemeinderates übergeben. Mit großer Begeisterung trugen am 10. August die Turner und Turnerinnen von Marburg Ofenteile, die für die Marburger Hütte am Bachern bestimmt waren, zu dieser hinauf. Anläßlich der Einweihung dieser herrlichen Berghütte veranstalteten 88 Angehörige der Turnvereines einen Eilbotenlauf vom Jahn-Gedenkstein im Stadtpark bis zur Hütte. Die vom Turnrate gestiftete Urkunde wurde von mir als letztem Läufer dem Obmann des Bergvereines mit den Worten gereiht: „Diese Urkunde wurde Punkt 11 Uhr dem ersten Turner am Jahn-Gedenkstein im Stadtparke in Marburg übergeben und ging durch 176 Hände in der Zeit von 43 Minuten 3/s Sekunden hieher zur Marburger Hütte. Die Turner des Marburger Turnvereines wollen durch diesen Lauf bekunden, daß sie mithelfen an der Kulturarbeit und mit dem Deutschen Bergvereine Hand in Hand gehen wollen, der sich hier oben ein Heim geschaffen hat, das wir Turner auch unser Heim nennen wollen. Ich übergebe die Urkunde mit dem Wunsche: So sicher wie diese Hülle die Urkunde während des Laufes schützte, so möge die Marburger Hütte alle Wanderer und Turner beherbergen und vor Wetter und Unheil schützen. Heil!“ Marburg hat wenig starke Reize, die ohne weiteres anziehen, und doch hat es manch Eigenartiges, gewissermaßen Persönliches, das anspricht, das erwärmt, ja begeistert. Schon durch seine. Lage: zum Teil umschmiegt von sanften Rebenhügeln, entfaltet es. sich im Sonnenglanz. Westlich öffnet sich der Blick gegen das ausmündende Drautal, mit den weitgeschwungenen Linien mächtiger Forste. Nach Süden webt sich die Ferne in fremde Lande. Das stolzeste Wahrzeichen vergangener Zeiten ist die Burg mit dem Schmuckstück der Barocke, dem Stiegenhaus. In jüngster Zeit hat sich eine zweite Stadt gebildet, eine wirkliche Gartenstadt, die im Vereine mit den lieblichen Höhen den Eindruck von Freundlichkeit erweckt, das eigentliche Kennzeichen der Stadt. Sie lehnt sich an den Stadtpark. Doch bist du einmal im herrlichen Stadtpark gewandelt in stiller Nacht, wenn kein Ton der Amsel, kein jubelndes Kinderstimmchen erscholl, wenn Mondes. Schein die Risse stillragender Tannenwipfel auf die Reben warf, wenn sich der Blick durch schlanke Baumkronen zum Stern, fern über St. Wolfgangs Gemäuer, in die stumme Nacht verschwimmend, hob, da ist sie hineingezogen sacht in dein Herz, die Liebe zum südsteirischen Boden, und sie hat dich, so sehr dich manches befremden mag, nicht mehr gelassen. Nun kam die Zeit des schmerzlichen Krieges. Die Turnhallen wurden belegt und alle gedienten Mannen mußten einrücken, und so verließ auch ich am 1. August 1914 Marburg, 1918 durfte ich einen zweiten Urlaub in Marburg verbringen. Und wer hätte mich ahnen lassen, als ich von Weib und Kind, von den Marburger Turnbrüdern und -Schwestern im September 1918 wieder Abschied nahm, daß es das letzte Mal sei, unser deutsches Marburg unter deutscher Verwaltung zu sehen. Nach wenigen Wochen kam der Umsturz und — die slawische Besetzung der deutschen Stadt Marburg. Als ich diese Trauerkunde erfahren mußte, wollte ich es nicht für möglich halten — aber langsam drangen die Worte an mein Ohr: Flattre, Band, an deiner Fahne, Wecke alle Deutschen auf, . Erinnre an vergangne Tage, Die erlebt sind an der Drau! Und dann, ich gestehe es offen, rollten einige Tränen über meine Backen, und die Gedanken in mir: Marburg, du liebgewordene deutsche Stadt, du sollst wirklich verloren sein? Es kam die Zeit, wo auch ich den Soldatenrock mit dem bürgerlichen Kleid tauschte. Am 26. Jänner 1919 traf ich aus Sachsen in Graz ein und am selben Tage noch mußte ich in Spielfeld die bittere Tatsache spüren: Marburg ist besetzt. Auf den ersten traurigen Tag folgte der zweite, der 27. Jänner ISgKaiser Wilhelms Geburtstag und — die Bluttat der slawischen Soldateska auf dem Hauptplatze. Zuerst Hoffnung auf eine Abstimmung, dann^S auf eine Befreiung wie in Kärnten! Beides enttäuschte und das veranlaßte mich und einige Turner der Südsteiermark, unser Eigentum zu retten. Ich fuhr nach Windischfeistritz und beförderte mit Turnbrüdern die Turngeräte nach Marburg, um sie dann nach Graz weiterzubringen. Doch, o weh, nach acht Tagen hatte die Polizei alles in Beschlag genommen. Wir wurden schärfer beobachtet. Trotz alledem ließen wir uns nicht ins Versteck zwingen, sondern verlangten, was wir früher gaben: die „Gleichberechtigung“. Da sah es natürlich auf einmal anders aus und wir mußten bald erfahren, daß die Gleichberechtigung nur für die Slawen Gültigkeit hatte. Das brachte uns nun endlich zur Vernunft, und wir retteten, was jetzt in Graz sicher untergebracht ist. Mit Freuden denke ich zurück, wie die slowenische Soldateska sich bei mir nach turnerischen Angelegenheiten erkundigte und durch meine Wohnung ging, wobei ihre Aufmerksamkeit für einen Augenblick durch eine Klavierdecke erregt wurde; Gott sei Dank: sie kamen nicht darauf, daß sie das Fahnentuch der Marburger Vereinsfahne ausgebreitet vor sich liegen sahen; wie Freund Professor Pacher mit mir meinen eisernen Barren und vieles andere aus der Turnhalle bei Nacht und Nebel über die Grenze brachte und wie ich dann im „Mariborski Delavec“ vom 20. Juli 1919 verrissen und auf Grund dessen im August desselben Jahres als staatsgefährlich erkannt und ausgewiesen wurde; als ich am letzten Abend nochmals hinauszog in den herrlichen Stadtpark, um Abschied zu nehmen von den Resten des Jahn-Gedenksteines — das Jahnbild war abgeschlagen und geraubt und der Stein mit schwarzer Farbe von slowenischen „Kulturbringern“ besudelt —, da faßte mich Wehmut und heiliger Zorn, und still lenkte ich die Schritte nach Hause und an der Turnhalle, Kaiserstraße 3, vorüber, und dabei klangen in mir die Worte von R. Krebs: Ich kenn’ einen Wahlspruch, der Goldes ist wert, Heißt: „Frisch, fromm, fröhlich und frei“. Ihn hat Vater Jahn uns Turnern gelehrt, Wir halten ihn freudig und treu Und schwören es mit Herz und Hand, Die Kraft uns zu stählen fürs Vaterland. Am nächsten Morgen ging’s aus der deutschen Stadt Marburg hinaus im Gedanken: „Gott gebe, daß ich die schwarz-rot-goldene Fahne, die ich jetzt aus Marburg tragen muß, einstens wieder, wenn ich auch alt bin, nach Marburg tragen darf. “ Und ebenso ist auch von Turnbrüdern des Marburger Jahnvereines die Vereinsfahne mitten durch die slawische Postenkette nach Graz entführt worden. Die Fahne des Laibacher Turnvereines haben die Villacher Turner in ihrer Obhut. So schließen die letzten Arbeiten der Turner von Südsteiermark. Als heutiger Kreisturnwart des Turnkreises Steiermark-Kärnten rufe ich allen Verbannten in der Steiermark zu: Doch türmen am Himmel sich Wolken schwer Und ziehen Gefahren herauf, Dann wogt es im Herzen uns heilig und hehr, Das Vaterland rufet: „Frisch auf!“ Dann setzen wir das Leben ein, Den Feind zu besiegen und frei zu sein. Paul Geißler, Graz VON DER DEUTSCHEN PRESSE IN UNTERSTEIER Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts gibt es in der Untersteiermark, die durch einen der Ihren, den aus Windischgraz stammenden Magister Matthäus Cerdonis (1481—1487 Buchdrucker zu Padua) schon an den ersten Eroberungskämpfen der schwarzen Kunst mittelbar Anteil hat, deutsche Buchdruckereien. Nach unverbürgten Überlieferungen soll eine solche in Ci Ili schon im Jahre 1765 bestanden haben. Gewiß aber ist, daß dort der Kärntner Franz Anton Schütz als Faktor eines Laibacher Hauses 1788 eine Druckerei einrichtete und 1791 ein eigenes Geschäft gründete. Nach seinen Mitteilungen überführte er dieses schon im nächsten Jahre nach Pettau. In Cilli übte von nun an Franz Jenko das Gewerbe als Buchdrucker und Buchhändler aus; seine „Damenbibliothek für Stadt und Land, im Winter und Sommer, Frühjahr und Herbst“, von deren 1793 erschienenem dritten Band die Grazer Universitätsbibliothek ein Bruchstück aufbewahrte, dürfte das erste in Fortsetzungen erschienene Presseerzeugnis der Untersteiermark sein. Jenko bewarb sich, wie eine vom Bürgermeister und Rat von Pettau am 8. November 1794 abgegangene Verständigung beweist, gleichzeitig mit Schütz um die Bewilligung der Übersiedlung nach Marburg, wo das Kreisamt die Errichtung einer Druckerei wünschte. Mit einer Gubernialverordnung vom 11. Oktober dieses Jahres war diese Bewilligung Schütz erteilt worden und so brachte im Jahre 1795 der als Wegbereiter der deutschen Presse von Lemberg (wo er als „Subject“ die erste neue deutsche Buchdruckerei einrichten geholfen hatte) nach Laibach, von da nach Cilli und Pettau geführte wanderfrohe Kärntner seine bescheidene Einrichtung nach Marburg. Im ersten Stockwerk des Hauses Hauptplatz 1 (über den Räumen des späteren Heumayerschen Wäschegeschäfts) knarrten nun die Holzpressen, während vor dem Hause der Firnis in den Kesseln dampfte, in denen bis um die Mitte des nächsten Jahrhunderts unter frohem Anteil der staunenden Jugend die Drucker ihre Farbe selber kochten. Eine im Jahre 1795 „im Namen aller unglücklichen Bürger von Marburg“ gedruckte „Danksagung an seine Exzellenz den Grafen von Prandis als den gefühlvollen Menschenfreund“ dürfte eine der ersten Leistungen der Marburger Buchdruckerkunst gewesen sein. Obwohl also die technischen Voraussetzungen gegeben gewesen wären, scheinen doch bis zum Jahre 1848 eigentliche Zeitungen in Untersteiermark nicht bestanden zu haben ^ Jenkos Cillier „Damenbibliothek“ darf ja wohl nur bedingt als Vorläuferin betrachtet werden, da ihr ein wesentliches Begriffsmerkmal der „Zeitung“, die Einstellung auf den Tag und für den Tag, fehlte. Mit der Aufhebung der josefinischen Preßfreiheit hatte in ganz Österreich das erste große „Zeitungssterben“ eingesetzt, schon gar zu Neugründungen war im Zeitraum von 1790 bis 1848 der Mut und wohl auch die Möglichkeit genommen. Die dringendsten Bedürfnisse befriedigte die „Grätzer Zeitung“ mit ihren verschiedenen Beilagen — den Marburgern scheint auch nach der neuen Freiheit von 1848 die dann freilich üppig genug emporgewachsene Grazer Presse über ein Jahrzehnt hindurch genügt zu haben. Die von der Hauptstadt weiter entfernten Cillier empfanden rasch das Verlangen nach gegenseitiger Mitteilung und Förderung auf dem neuen Wege: bereits am 1. April des Jahres 1848 erschien die erste Ausgabe des „Cillier Wochenblattes“, so daß der regsamen Sannstadt der Ruhm zukommt, die erste Druckerei und auch die erste Zeitung im Unterlande besessen zu haben. Diese von Vinzenz Prasch und J. E. Ganser geleitete, bei J. B. Beretin (dem Nachfolger Jenkos) gedruckte „Zeitschrift zur Belehrung und Vertretung des Bürger- und Bauernstandes“ konnte bereits vom Juli an zweimal wöchentlich erscheinen. Von da an nannte sie sich „Cillier Zeitung, Zeitschrift für Stadt und Land, mit besonderer Rücksicht auf deutsche und slawische Interessen“, die Zusammengehörigkeit und den Wunsch nach freundschaftlichem Zusammenwirken beider Völker ausdrücklich betonend, obwohl für die Slowenen gleichzeitig die von Professor Valentin Konšek geleiteten „Slovenske Novine“ (zuerst Celske Slovenske Novine), auch von Beretin gedruckt, als eigenes Blatt bestanden. Beide Zeitungen haben das Jahr 1849 nicht überlebt In Marburg war schon lange der Wunsch nach einem eigenen Blatte laut geworden, aber der vorsichtige Josef Janschitz, Schützens zweiter Nachfolger, war zu einem solchen Wagnis nicht zu bereden. Die nach einer kräftigeren Betonung ihrer Angelegenheiten verlangenden Marburger mußten sich damit begnügen, daß 1859 der Grazer „Tagespost“ ein „Marburger Bote“ beigelegt wurde. Erst Josef Janschitz’ Sohn Eduard gab dem Drängen einflußreicher Bürger nach und am 30. März 1862 erschien zum ersten Male der „Correspondent für Untersteiermark“. Der Gymnasialprofessor Dr. V. A. Svoboda, der schon in Prag ein Blatt geleitet hatte, übernahm die Schriftleitung und besorgte sie mit solchem Geschick, daß die junge Zeitung sofort Ansehen gewann — und den erfolgreichen Schriftleiter verlor; denn schon im August folgte Dr. Svoboda einem Rufe der Grazer „Tagespost“, durch die er bald eine führende Persönlichkeit im Leben des Landes wurde. In der Geschichte unseres Schrifttums 'wird sein Name durch die Entdeckung und Förderung Peter Roseggers verankert bleiben. Der „Correspondent für Untersteiermark“ verdankte Svobodas Begabung, daß er sofort ernst genommen wurde und in der Bevölkerung festen Rückhalt gewinnen konnte, obwohl das Blatt mancher die Gemüter erregenden Zeitfrage auswich, weil die Druckerei die Aufträge des 1859 nach Marburg verlegten Bischofssitzes nicht verlieren wollte. Erst Dr. Franz Zistler, der im Frühling des nächsten Jahres Verlag und Schriftleitung übernahm, wandelte den Correspondenten in eine dreimal wöchentlich erscheinende politische Zeitung um, die dann Jahre hindurch gemäßigt liberale Anschauungen unter dem Gesichtspunkte der Zusammengehörigkeit von Deutschen und Slowenen vertrat. Als der slowenische Führer Dr. Toman, einer der ersten Verfechter bewußt deutschfeindlicher Südslawenpolitik, bei der Jahresfeier der „Čitalnica“ erklärte, „die Slowenen sollen sich eher unter den Mauern Marburgs begraben lassen, als zugeben, daß Marburg eine deutsche Stadt ist“ — erhob sich Staunen und Entrüstung, der Marburgs großer geistiger Führer Carneri in einem vielbeachteten Einspruch Ausdruck gab. Der „Corespondent für Untersteiermark“ aber bedauerte, daß bei einer slowenischen Beseda die deutschen Brüder in Untersteiermark nicht erwähnt wurden, „während beim (Marburger) Sängerfeste zu Pfingsten in einem der ersten Toaste der Slowenen freundlichst gedacht und auf das innige Zusammenhalten derselben mit den Deutschen Untersteiermarks hingewiesen wurde — welcher Toast bei allen Teilnehmern des Festes ohne Unterschied der Nationalität mit Enthusiasmus aufgenommen ward. Wissen wir ja doch, daß beim Sängerfeste zu Pfingsten von derselben Ehrenpforte die slawische Trikolore neben der deutschen flatterte“. Und Baron Rast (Hilarius) versicherte Toman in einem Akrostichon, daß seine auf die Zersplitterung der Heimat zielenden Bestrebungen hier niemals Widerhall finden würden. Solcher Äußerungen deutschen Verständigungswillens soll man nicht vergessen, wenn man hört, daß der nationale Zwiespalt in die untersteirische Bevölkerung durch die Deutschen hineingetragen worden sei. Noch 1870, als das Blatt, das sich seit 1866 „Marburger Zeitung“ genannt hatte, zum täglich erscheinenden „Tagesboten für Untersteiermark“ emporgerückt war, wurde ein slowenisches Sonntagsblatt „Slobodni Slovenec“ beigelegt, was sich ein slawenfeindliches Kampfblatt gewiß nicht geleistet hätte. Die Schriftleiter jener Zeit — Max Baron Rast und nach ihm, wie schon vorher Franz Wiesthaler, der warmherzige Demokrat, der nur wegen seiner freiheitlichen Anschauungen wiederholt mit dem Herausgeber in Kampf geriet, hielten das Blatt auf einer Höhe, die auch dem Gegner Achtung gebot. Die politischen Aufsätze waren vornehm und gediegen, es fehlte nicht an gehaltvollen schöngeistigen Beiträgen und anregenden Berichten über das künstlerische Leben und Streben der Zeit. Wenig bekannt ist die Tatsache, daß der „Correspondent für Untersteiermark“ als erstes Blatt eine lobende Würdigung Ludwig Anzengrubers als Dramatikers brachte, der in Marburg als „Ludwig Gruber“ ein wenig beachtetes Schauspielerdasein führte, bis ihn seine erste Uraufführung („Der Versuchte“ im Marburger Stadttheater) vorübergehend zur Stadtberühmtheit machte. Das warme Lob des „Correspondenten“ vermochte freilich nicht die harte Leidenszeit zu verkürzen, die den Erneuerer der österreichischen Volksbühne noch von seinem durchschlagenden Wiener Sieg mit dem „Pfarrer von Kirchfeld“ trennte. Nach dem Deutsch-Französischen Kriege verschlechterten sich die Bedingungen für das tägliche Erscheinen eines Blattes in Marburg — Anfang Dezember 1870 wurde aus dem „Tagesboten“ wieder die dreimal wöchentlich erscheinende „Marburger Zeitung“. Indessen hatte sich die strengere Scheidung zwischen Slowenen und Deutschen vollzogen, die klerikalen slowenisch-nationalen Kreise gründeten sich 1871 ihre eigene „Cyrillus“-Buchdruckerei, die nun die bisher bei Jan-schitz gedruckten slowenischen Zeitungen „Slovenski Gospodar“ (1867) und „Slovenski Narod“ (1868) übernahm. Der slawische Eroberungskampf hatte eingesetzt und zwang die Deutschen zur Abwehr, die scharfe Betonung des völkischen Gedankens tritt nun auch in der deutschen Presse in den Vordergrund. Am 30. April 1876 erhielten die Cillier, die sich seit 1874 mit einem lithographierten „Cillier Anzeiger“ (herausgegeben und geleitet von H. Kott) beholfen hatten, wieder eine eigene, zweimal wöchentlich erscheinende „Cillier Zeitung“, von Joh. Raku sch gedruckt, zuerst von Wilhelm Goldmann, später von dem auch als gemütvollem Lyriker geschätzten Franz Tiefenbacher, nach ihm von Max Besozzi geleitet. Von dem werbenden Eifer der jungen österreichischen Burschenschaft durchglüht, teilte Besozzi der jungen Zeitung die lodernde Lebendigkeit seines starken und lauteren Wesens mit, so daß in den nun angebrochenen Kampfzeiten des österreichischen Deutschtums die „Cillier Zeitung“ oder, wie sie ab 1883 hieß, die „Deutsche Wacht“ wiederholt führende, über die Grenzen des Landes wirkende Bedeutung gewann. Besozzi trat 1887 zur „Marburger Zeitung“ über (er starb 1914 als Hauptschriftleiter des „Grazer Tagblattes“); die Richtung, die er den beiden einflußreichsten Blättern des Unterlandes gegeben hatte, wurde von ihnen auch nach seinem Scheiden im wesentlichen beibehalten. Neben diesen beiden, in der geistigen Führung wie an politischem Einfluß den Durchschnitt der üblichen Lokalpresse überragenden Blättern, die den festen Rückhalt einer schon durch die verkehrsgeographische Lage ziemlich fest abgegrenzten Leserschaft hatten, konnte sich in Pettau, dem dritten Verdichtungspunkte geistigen und wirtschaftlichen Lebens im Unterlande, eine eigene Presse nicht mehr günstig entwickeln. Ein im Jahre 1878 von Josef Jaky geleitetes, bei J. Schön gedrucktes Wochenblatt konnte sich nicht lange halten und auch der von Wilhelm Blanke 1889 gegründete, zuerst von August Heller geleitete, dreimal im Monat erscheinende „Pettauer Lokalanzeiger“, der dann ab 1. April 1890 als „Pettauer Zeitung“ wöchentlich herauskam, konnte sich keine über den engeren Umkreis der Stadt reichende Bedeutung erringen. Daran änderte auch die Umwandlung zum deutschnationalen Parteiblatt (ab 3. Juli 1898 unter dem Namen „Pettauer Montag - Zeitung, deutschnationales Organ für Untersteiermark“, geleitet von Romuald Jakob Bayer) wenig. Das Blatt hielt noch (im Spätherbst 1898 wieder zur „Pettauer Zeitung“ umgetauft) bis Ende 1904 wacker allen Stürmen stand, von da an vermochte es sich nur mehr als ausschließlich Geschäftsmitteilungen dienender „Pettauer Anzeiger“ zu erhalten. Ein unter den Auswirkungen der politischen Zersplitterung im deutschen Lager von Friedrich von Kalchberg 1901 begründetes (bei Stiasny in Leibnitz gedrucktes) „Deutsches Wochenblatt für Untersteiermark“ konnte sich um so weniger durchsetzen. Große Bedeutung aber gewann für das ganze Unterland ein bei Blanke in Pettau gedrucktes, für die slowenisch sprechende ländliche Bevölkerung bestimmtes und in ihr auch stark verbreitetes Blatt, der „Stajerc“. Er vertrat mit Geschick die später von einer eigenen „Stajerc“-Partei aufgenommenen Forderungen nach freundschaftlichen Wechselbeziehungen zwischen der slowenischen Landbevölkerung und den deutschen Bewohnern der Städte und Märkte, Einführung deutschen Sprachunterrichtes in Schulen mit slowenischer Unterrichtssprache, Ausschaltung kleinlicher politischer Streitigkeiten aus dem wirtschaftlichen Leben. Das Blatt, 1900 gegründet und zuerst von W. L e r k u t s c h* Fr. S c h r e i, Joh. Krisch mann, schließlich von dem um das ganze Unterland vielfach verdienten Karl Linhart geleitet, war in slowenischer Sprache geschrieben und entsprach den Bedürfnissen breiter ländlicher Schichten, die, des kaum lösbaren geistigen und wirtschaftlichen Zusammenhanges mit dem Deutschtum bewußt, in Sitte und Lebensführung deutschem Wesen angeglichen, sich vor allem als Steirer (Stajerc) fühlten, wie auch der bodenständige Kärntner Slowene sich stolz als Korošec bekennt. Diese Zeitung, die viel zur Überbrückung loft nur künstlich aufgerichteter Gegensätze beitrug, hatte Vorläufer im „Kmetsky iPrijatel“ (der Bauernfreund), den von 1882 bis 1884 Eduard Giantschnigg Tinj Cilli (gedruckt bei J. Rakusch) herausgegeben hatte und im „Štajerski kmet“, der unter Verantwortung F. Hinterholzers von 1894 bis 1895 bei Kralik (dem Nachfolger Janschitz’ als Drucker und Verleger der „Marburger Zeitung“) erschienen war. Umgekehrt bediente sich die slowenisch-nationale Partei deutschgeschriebener Zeitungen („Südsteirische Post“, 1881 bis 1901, von da an die „Südsteirische Presse“, beide zweimal wöchentlich und vom Jänner 1906 bis Oktober 1907 auch die dreimal wöchentlich erscheinenden „Südösterreichischen Stimmen“, alle in der Cyrillus-Buchdruckerei in Marburg gedruckt). Diese der mächtigsten slowenischen Partei dienenden Blätter, die die slawischen nationalen Forderungen rücksichtslos vertraten, suchten den Selbsterhaltungsbestrebungen des untersteirischen Deutschtums, die sie als „Hochverrat“ brandmarkten, durch aufdringliche Betonung des österreichischen Staatsgedankens zu begegnen. Der Leitaufsatz der ersten Ausgabe der „Südsteirischen Presse“ vom 2. Jänner 1901 schließt mit dem Hinweise auf die Grundlage des Blattes, die „alterprobte Devise: Für Gott, Kaiser und Vaterland“. Erscheint schon dieser Umstand, verglichen an der von den gleichen Kreisen seit 1918 eingenommenen Haltung, bemerkenswert, so verdient die Tatsache, daß slowenische Politiker sich deutschgeschriebener Blätter bedienen mußten, als Beweis für die heute so oft geleugnete Bedeutung und Anziehungskraft der deutschen Sprache im Unterlande ganz besondere Beachtung. Die rasche Entwicklung Marburgs, dessen Einwohnerzahl sich von 1847 bis 1914 beiläufig verachtfacht hatte, und die damit bedingte vielfältigere Verästelung der wirtschaftlichen und sozialen Gliederung, der allgemein geistigen und der politischen Einstellung, bewirkte allmählich eine üppigere Entfaltung der untersteirischen deutschen Presse. Die auf die freiheitliche deutschnationale Politik schärfster Tonart eingestellte „Marburger Zeitung“ konnte auf die Dauer nicht den Bedürfnissen aller Schichten der deutschen Bevölkerung entsprechen. Schon im Jahre 1885 kam es zur Gründung eines allerdings nicht nur für Marburg gedachten sozialdemokratischen Blattes. Bei Janschitz gedruckt, zuerst von Michael Schuster geleitet, war „Die Arbeit, Sozialdemokratisches Organ der Arbeiter Österreichs“, ein Vorläufer des heutigen Grazer „Arbeiterwille“. Sie erschien vom 6. August 1885 bis zum 2. April 1886 zweimal im Monat. Vom Jänner 1901 an gab dann der pensionierte Südbahnbeamte Karl Josef von M a y t n e r ein zuerst bei Stiasny in Leibnitz, dann bei Bertschinger in Klagenfurt gedrucktes Sonntagsblatt „Unabhängige Marburger Zeitung“ (später auf den Einspruch der „Marburger Zeitung“ hin „Unabhängige Zeitung in Marburg“ genannt) heraus. Es war sozialistisch gerichtet, wurde aber von der sozialdemokratischen Partei, auch von der Marburger Lokalorganisation, ziemlich schroff abgelehnt. In der ersten Ausgabe vom 20. Jänner 1901 erklärt der Herausgeber, „keinem Parteiinteresse, keiner Körperschaft, keiner Nationalität und keiner Person“ dienen zu wollen, schreibt aber dann in einer abfälligen Besprechung der Reichsratswahl in der Städtekurie: „An der Wahl beteiligten sich 1755 Wähler, Dr. Mikus (Slowene) erhielt 253, Direktor Krainer (Sozialdemokrat) 315, Dr. Wolf har dt (deutschnational) 1187 Stimmen. Beschämend für die Slowenen ist die kleine Stimmenanzähl in Marburg (29)“. Mit einer gerichtlichen Verurteilung des Herausgebers fand die „Unabhängige Zeitung“ im Oktober 1901 ihr Ende. Die Deutsche christlichsoziale Partei verfügte über die „Untersteirische Volkszeitung“, ein Wochenblatt, das im Oktober 1909 von Karl Rabit sch gegründet, später vom „Christlichsozialen Konsortium“ herausgegeben wurde. Das hauptsächlich durch eine boshafte Marburger Wochenchronik (Zwiegespräche der Frau Preiseibeer und der Frau Wiener) volkstümlich gewordene Blatt wurde zuerst von Richard Watzlawek-Sanneck, dann von Karl Rabitsch, Karl Jand, schließlich von Anton Kurzmann geleitet. Rabitsch hatte schon 1904, wie er erklärte, „um der von auswärts geplanten Gründung einer Zeitung zuvorzukommen“, wöchentlich erscheinende, bei Stiasny in Graz gedruckte „Marburger Nachrichten“ gegründet, die auch auf Pettauer Verhältnisse Rücksicht nahmen und, wie später die „Untersteirische Volkszeitung“, in einer heiteren Wochenschau die kleinen Menschlichkeiten der Marburger Gesellschaft geißelten. Als ausgesprochenes Gegenblatt gegen die „Marburger Zeitung“ war die ebenso wie jene dreimal in der Woche ausgegebene „Marburger Presse“ gedacht, ein von 1906 bis 1907 von Hermann Kr au t h geschickt geleitetes, in der leistungsfähigen neuen Marburger Druckerei Mostböck und Komp, gedrucktes „deutsches Organ für Untersteiermark“, das der schärferen völkischen Tonart der „Marburger Zeitung“ die Meinung gemäßigterer bürgerlicher Kreise entgegensetzte. Aber die Stellung der seit einem halben Jahrhundert in der Stadt verwurzelten „Marburger Zeitung“ war nicht mehr zu erschüttern. Sie überdauerte ihre Mitbewerber und blieb bis zum Schlüsse das eigentliche Marburger Blatt, das jedermann kannte, jeder benörgelte und doch als ein Stück Heimat nicht missen mochte. Mag ihre politische Stellung manchem Unterländler verfehlt erschienen sein, ihr herzhaftes Eintreten für deutsche Ziele und — Träume riß doch mit. Ihr letzter Schriftleiter, Norbert Jahn, der ihr von 1901 bis zum traurigen Ende allen Willen und alle Wärme seines ehrlichen deutschen Wesens weihte, war ein treuer Diener am Werke, dessen Lauterkeit und Pflichttreue auch der Gegner achten mußte. Sicher war es zu einem großen Teile Jahns Verdienst, daß die „Marburger Zeitung“ im Zeitraum von 1901 bis 1908 ihre Auflage fast verzehnfachte sie erschien in den Kriegsjahren als Tagblatt in acht- bis neuntausend Stücken. Ob die Auslieferung einer so wesentlichen Stütze der deutschen Bevölkerung an slowenische Geldgeber unvermeidlich war, läßt sich heute wohl noch nicht gerecht beurteilen. Die Cillier haben sich ihre „Cillier Zeitung“, wie nun die „Deutsche Wacht“ wieder heißt, erhalten, sich und dem ganzen Deutschtum des Unterlandes, deren treue Führerin sie in den Zeiten der Umwertung aller Werte blieb. Dr. Perz, der die schwere Verantwortung des Schriftleiters in den Tagen der völligen Entrechtung der deutschen Bevölkerung trug, hat indessen das Neu-satzer „Deutsche Volksblatt“ zur führenden Zeitung der Deutschen im Südslawenstaate gestaltet, die „Cillier Zeitung“ ist jetzt in den geschulten Händen Franz Schauers, des ersten deutschen Abgeordneten Untersteiermarks in der Skupschtina. Die politische Umwälzung zerstörte auch viele Ansätze, die unter günstigeren Verhältnissen später wieder vielfältige Entwicklung gefunden hätten. Neben der politischen Presse waren in Untersteiermark schon frühzeitig Zeitschriften verschiedener Art und Richtung entstanden, von denen manche vorübergehend weit über die Landesgrenzen hinaus wirkten. So waren die von der Internationalen ampelographischen Kommission 1875—1881 herausgegebenen, von Hermann Goethe geleiteten „Ampelographischen Berichte“ in allen Weinbau treibenden Ländern verbreitet; sie erschienen daher vom 1. Oktober 1879 an in deutscher und französischer Sprache. Noch vielseitiger gab sich eine von Josefine Jurik im Jahre 1888 begründete katholische Kinderzeitschrift, „Himmelsgarten, Illustrierte Blätter für die Kinderwelt“, die in deutscher, italienischer, englischer, französischer, ungarischer, tschechischer, kroatischer, slowakischer, ruthenischer, rumänischer, lithauischer, wendischer und polnischer Ausgabe aufgelegt wurden. Ein Organ für naturgemäße Heil- und Lebensweise, „Gesundheitswarte“, wurde von Josefine Jurik von 1895 bis 1898 in Feistritz-Lembach herausgegeben, aber, wie auch der „Himmelsgarten“, nicht in Steiermark gedruckt. Die Standespresse war in Untersteiermark durch die 1898 in Cilli gegründete „Freie Gewerbezeitung für Steiermark“, dann durch die Marburger „Untersteirische Gewerbezeitung“ vertreten; für die Besucher der untersteirischen Bäder war die 1880 begründete, wöchentlich einmal, in den Sommermonaten zweimal ausgegebene „Rohitsch-Sauerbrunner Badezeitung“ (später „Steiermärkisch-kroatische Bäderzeitung“) bestimmt. Allgemeiner gehaltene, schöngeistige oder satirische und humoristische Blätter vermochten sich gegenüber dem starken Andrange von Grazer, Wiener und reichsdeutschen Erscheinungen dieser Art nicht durchzusetzen. Vom 1. Oktober 1885 bis zum 16. Juni 1886 hielt sich der bei Janschitz-Kralik gedruckte, von Emil Stoerck und Leopold Kordes geleitete „Marburger Hansjörgel, Wünsche- und Beschwerdeblatt für jedermann, Stupf-, Zupf- und Rupforgan für communale und sonstige Angelegenheiten“. Schon vorher war in Marburg so wie der „Hansjörgel“ zweimal im Monate eine „Filarka“ erschienen, die sieben Jahre (von 1886 bis 1893) bestanden hatte, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Eine 1906 gegründete politisch-satirische Monatsschrift, „Streiflichter“, von Norbert Jahn geleitet, bei Kralik gedruckt, ging schon nach zwei Monaten ein. An begabten Mitarbeitern hätte es hier freilich auch ganz ernst gehaltenen schöngeistigen Zeitschriften nicht gefehlt, wie der reiche Anteil Untersteiermarks am deutschen Schrifttum zeigt. Auch die drucktechnische Gestaltung wäre nicht schwer gefallen, besonders seit Marburg in der neuen Buchdruckerei Jos. Mostböck und Komp, über ein mit allen Neuerungen der Vervielfältigungskunst ausgestattetes Unternehmen verfügte. Seine Leistungsfähigkeit äußerte sich in Druckaufträgen von auswärts -— so wurde die „Österreichische Illustrierte Alpenzeitung“ (später „Reise und Sport“) bei Mostböck gedruckt, dann das von Hans Withalm herausgegebene Grazer politische Wochenblatt „Der Samstag“ (1907—1908), der schöngeistige „Kämpfer“ (1908), der freilich, wie viele seiner Vorgänger und Nachfolger in Steiermark, schon nach dem zweiten Hefte ausgekämpft hatte, und die von Franz Scheucher gegründete Monatsschrift zur Pflege steirischen Humors, „der Null-Anerl“. Die Cillier Vereinsbuchdruckerei „Celeja“ besorgte den Druck des von Fritz May herausgegebenen protestantischen Familienblatte's ^Christlicher Alpenbote“. All das ist ein Zeichen deutscher Kraft, das nicht übersehen werden soll, wenn von der Bedeutung des Deutschtums in Untersteiermark die Rede ist. Schon dieser flüchtige, wohl nur die wesentlichsten Erscheinungen umfassende Überblick zeigt, daß es hier, solange sich geistiges Streben frei entfalten konnte, eine starke und weitverzweigte deutsche Presse gegeben hat. Und da Zeitungen nur bestehen können, wo Bedürfnis nach ihnen herrscht, so ist auch diese Feststellung ein Beweis der hohen Geltung, die der deutschen Bevölkerung im Unterlande als der geistig führenden Schichte zukam. Dr. Friedrich Podi NEUKLOSTER IM SANNTAL Im mittleren Sanntal, angesichts der fels- und eisstarrenden Alpen, erbaute auf sanfter Anhöhe im dichten Urwalde der Reichsgraf Friedrich II. von Cilli ein Jagdschloß, woselbst sich die Herren zu lustigem Gejaid auf allerlei Wild und Festgelage versammelten, wo Graf Friedrich mit der ihm heimlich angetrauten Veronika von Dessenitz manche selige Stunde verbrachte. Zur Sühne und um sein Seelenheil besorgt, machte der Genußmensch viele fromme Stiftungen. Fünf Jahre vor seinem Tode begann der fast Neunzigjährige im Einvernehmen mit dem Patriarchen von Aquileja und „mit gutem Willen unseres Heiligen Vaters Papst Nikolaus V.“, wie er im Stiftsbriefe sagt, an Stelle des Jagdschlosses ein Kloster zu bauen (1449), „da Wir in Unserem Gemüte ernstlich und mit großem Seufzen betrachtet haben, daß alle irdischen Dinge vergänglich sind und daß der Mensch von seinem Hab und Gut, das von Gott kommt, nichts als was er davon Gutes in Gott getan hat“ eine Frömmelei, die schlecht zu der Grabschrift paßt, die er nach Aeneas Sylvius, der allerdings den Cilliern nicht hold war, sich in vollem Lebensgenüsse machen ließ und in Übersetzung lautet: „Das ist die Pforte (Gruft der Grafen in der Minoritenkirche in Cilli) zu den Unterirdischen. Was ich dort finden werde, weiß ich nicht; weiß jedoch, was ich verlasse. Ich hatte Überfluß an allen Gütern, von welchen ich nichts mit mir nehme, außer was ich gegessen und getrunken habe und was die unerschöpfliche Wollust ausgekostet.“ Zur Zeit der Stiftung Neuklosters strömten aus allen Ländern der Christenheit Herren mit glänzendem Gefolge zu dem vom Papst Nikolaus V. verkündeten Kirchenjubiläum nach Rom; Graf Friedrich II. schloß sich mit 100 Pferden und prächtiger Ritterschaft dem Zuge des Herzogs Albrecht IV: von Österreich an „umb ablaß seiner Sünden“ (Cillier Chronik). Nach der Heimkehr soll er nach Aeneas Sylvius auf die Frage, was ihm die Romfahrt genutzt habe, geantwortet haben: „Mein Schuster macht nach seiner Rückkehr auch noch Stiefel.“ In Rom lernte der Reichsfürst den Orden des hl. Dominikus, wie er im Stiftsbriefe sagt, als kostbare Perle und als die schönste Tochter der christlichen Kirche kennen, vom Papst mannigfaltig belobt und begnadigt. Ihm übergab er „Newklesterle“ und stattete es mit Gütern, Rechten und Privilegien aus, die sein Sohn Ulrich II. bestätigte, ebenso Kaiser Friedrich IH. als Erbe der Grafschaft Cilli; er nahm es überdies in seinen besonderen Schutz. Ein Dominikaner von Neukloster war Beichtvater des Grafen Friedrich und die ersten sechs Mönche begleiteten den Toten von der Stammburg Sanneck nach Cilli (1454). Der schwache Kaiser Friedrich III. konnte sich selbst nicht wider allerlei Angriffe seiner Feinde schützen, geschweige denn andere, so gegen die immer heftiger anstürmenden Osmanen. 1479 machten sie einen Beutezug durch Kärnten und Steiermark. Neukloster nahmen sie arg mit, stellten die Pferde nach der Klosterchronik in die Kirche ein, zertrümmerten die Statuen der Gottesmutter und Heiligen, raubten die Kirchenschätze, schleppten den Prior mit zwei Brüdern fort und töteten einen, weil sie sich zur Wehre setzten. Der Aglaier Generalvikar weihte die Kirche wieder ein und erließ einen Aufruf an die Bevölkerung, das Kloster wieder herzustellen und zu befestigen, um es vor Überfällen zu schützen. Da brach der erste slowenische Bauernaufstand in Krain los und riß auch die Bevölkerung des Sanntales fort (1516), um alte Rechte (stara pravda) gegen die Bedrückung der Herren und Klöster herzustellen. Sie übte arge Gewalt an Burgen und Klöstern; Neukloster wurde wiederholt ausgeraubt. Der alte Landeshauptmann Siegmund von Dietrichstein zog im Verein mit Georg von Herberstein auf Befehl des Kaisers Maximilian I. mit einem Landheer gegen die Rebellen, schlug sie, was nicht fiel, wurde gefangen und die Sann-taler „in Cilli gehenkt, geköpft und gespießt“ (Cillier Chronik). In größerer Gefahr war Neukloster beim zweiten Bauernaufstände im Jahre 1635. Nach der Klosterchronik erhoben sich die Bauern des Sanntales im April gegen ihre Herrschaften, plünderten und verbrannten die schutzlosen Schlösser. Am 4. Mai standen auch die Untertanen Neuklosters auf, verlangten mit Spießen und Knütteln bewaffnet Zins- und Roboterleichterungen, drangen ins Refektorium, ließen sich’s gut gehen und warfen Brot den Außenstehenden zu. Die „Freileute“ (freimones) forderten Geschütze und Waffen, sie drohten alles zu zerstören, wenn nicht die Verminderung der Robot und des Weingartenzinses brieflich gesichert werde. Hernach beschossen sie das Kloster mit „Bombarden“. Nachdem sie die Schrift erhalten und 27 vom Herrn Matthias dem Bergamasker aus Sachsenfeld in einem Gehöfte, wo sie zechten, getötet worden, hörten die Bedrängungen von Neukloster auf. Endlich schickte die Regierung eine Schar Kroaten, die um das Kloster lagerten, aber mehr aßen und tranken als schützten. „Welchen Schaden und welche Angst der Konvent dabei gelitten,“ sagt die Chronik, „läßt sich nicht sagen.“ Beim Abzüge nahmen sie unter anderem 370 Rinder für ihre Speisung mit. Da die Untertanen während dieser Unruhen die Felder und Weingärten ungepflegt ließen, die Robot verweigerten und keine Zinsen zahlten, konnte das Kloster seinen Verpflichtungen nicht nachkommen und geriet in arge Schulden. Zur Herstellung der Ruhe und Ordnung schickte die Regierung endlich eine Kommission nach Sachsenfeld. Die Bauern legten ihre „Freibriefe“ vor; sie wurden zerrissen und ihnen aufgetragen, dem Kloster die Roboten nach alter Weise zu leisten, bis in Graz über die Sache entschieden werden wird. Die Klosterchronik führt 67 Schlösser an, die die Rebellen zerstörten; in den Klöstern entwendeten sie Kelche, Meßkleider und Pretiosen. In einem gewissen Zusammenhänge mit diesen Rebellionen steht die Einführung und Ausbreitung der Reformation. Freiheit war das Losungswort der Zeit. Primus Trüber, der eine Zeitlang Benefiziat bei St. Maximilian in Cilli war, brachte den Slowenen die Lehre Luthers und Georg Dalmatin übersetzte die Bibel. Welcher Geist in Neukloster zu Ende des 16. Jahrhunderts herrschte, geht aus einem Visitationsberichte des Patriarchen Francesco Barbaro an Papst Klemens VIII. hervor. Nachdem er über den Türkeneinfall berichtet, sagt er weiter: „Im ländlichen Kloster der Dominikaner fand ich die Brüder in großer Freiheit leben und ohne viel Kümmerns um geistliche Dinge, namentlich nachlässig in der Seelsorge. Unter anderen Unzukömmlichkeiten fand ich auch diese: Die Mönche, welche die weltliche Gerichtsbarkeit über ihre Untertanen üben, in Blutfällen mit Bauernrichtern zusammensitzen und im Falle der Schuld die Verbrecher den sieben Richtern des Landesfürsten zur Strafvollstreckung ausliefern, indem sie die Schuldigen an • die Grenze ihres Gerichtssprengels führen, wo ihrer die landesfürstlichen Beamten schon warten. Nun läßt man sie los; entkommen sie, so sind sie frei, werden sie gefangen, dann werden sie bestraft. Die Bauern beriefen sich auf alte Rechte und Übung“ (Beitr. zur Kenntnis steierm. Geschichtsquellen, VII, 141). Die Reformation in Südsteiermark wurde besonders gefördert durch den Bau der protestantischen Kirche und der Prädikantenstation in Scharfenau bei Sachsenfeld, um so mehr, da einer der Prädikanten auch slowenisch predigte und lehrte. Die slowenische Jugend verließ die Klosterschule in Neukloster und wandte sich nach Scharfenau. Erzherzog Karl II. befahl 1585 dem Polydor von Monte-grana, Propst zu Rudolfswert, Erzpriester im Sanntal und innerösterreichischer Rat, in Verbindung mit Daniel Kupitsch, Stadtschreiber in Cilli (alte Cillier Familie: Cupitianus), als Kommissäre Neukloster zu visitieren, „da der Herzog lange Zeit mit gnädigem Mitleiden und mit einer sonderlichen Beschwerung des Gemütes wahrgenommen, in was schweren, unerträglichen Schuldenlast und Abnehmen die Gotteshäuser in Unseren Fürstentümern und Landen, darunter Neuklosterl insonderheit geraten“. „Um die Gotteshäuser in ihrer hergebrachten Ehre, Würde, Gottesdienste und Vermögen, auch die christlichen Untertanen bei dem christlichen Glauben und Furcht Gottes zu erhalten“, ordnete er an, daß die beiden Kommissäre die Brüder im Kloster gnädig und ernstlich ermahnen, „daß sie in ihrem geistlichen Beruf standhaft verharren und sich davon abwendig machen lassen.“ Es waren nämlich nur drei Ordenspersonen und ein Laienbruder als Kellner vorhanden. Die Brüder wurden eindringlichst ermahnt, „den Gottesdienst, die Horen, Vesper, Mette ordnungsgemäß jederzeit und eine windische Predigt von Bruder Maurus aus Bischoflack halten zu lassen“. Der Prädikant Johann Windinger kaufte zur Kirche windische Bücher (Betbüchlein, Kirchengesänge, Sonn- und Feiertagepisteln und Evangelien). „Die Brüder werden ermahnt, statt der ausländischen Provinziale und Vikare, die nur ihr ,utile4 betrachten, inländische Personen zu den obersten Ämtern gelangen zu lassen, an Ausgaben für den Prokurator, Sollizitator und Rechtspfleger in Graz (118 fl.) zu ersparen. Die Kloöterleute sollen mit den ,temporalibus‘ nichts zu tun haben, sondern nur ihrem Berufe fleißig und andächtig ab warten; dafür sollen Pfleger, Schaffer, Anwälte zur aufrichtigen Führung der Raitungen bestellt werden, nichtkatholische Offiziere und Diener, so von den Edlingen von Tüchern, wären abzuschaffen. Es lagen viele Schuldbriefe vor, so vom Stadtschreiber Kupitsch auf einen Getreidezehent in Liboje, vom Ratsbürger und nachmaligen Bürgermeister in Cilli Fraßonell auf 714 fl. auf sechs Untertanen in Dorau, auf einen Buchenwald, Bergrecht und Weingarten bei Cilli. Die Steuern sollen zur rechten Zeit entrichtet, der Überschuß zur Abzahlung der Schulden und Herstellung des Gotteshauses verwendet werden. Darauf haben die Kommissäre zu achten.“ Die Forderung der Kommission zu häufigen Visitationen benutzte ein Schwindler, der sich als Herzog von St. Georg ausgab, und visitierte mit falschen Zeugnissen Neukloster, ließ sich reichlich bewirten und zahlen (1684). Die Anordnungen der Kommission, die an Karl II. empfohlen wurden, halfen dem Kloster auf, es erhielt Unterstützungen von der Landschaft zu Bauten, besonders nach der Zerstörung von Scharfenau, und war 1700 bis 1721 das Noviziat des Dominikanerordens. Im Jahre 1751 visitierte Karl Graf Attems, Bischof von Pergamum i. p., und 1765 der Provinzial Vinzenz Fischer Neukloster. Dieser rügte insbesondere die unter den Konventualen herrschende Uneinigkeit, jener, daß die Prioren und Obersten „nur ihr aigen nutz suchen“, und verwies auf die Anordnung Karls IL, daß die Erzpriester im Sanntal und Verwalter in Cilli fleißig auf das geistliche und weltliche Wesen aufsehen, ohne besondere Beschwerung des Gotteshauses, Einkommen und Ausgaben genau ansehen und der Regierung berichten. Durch dieses Mittel werde den wälischen Provinzialen und Prioren alle Eigennützigkeit abgeschnitten, das Gotteshaus „in pristinum“ restituiert und der Gottesdienst etwas fleißiger und christlicher verrichtet werden. Neukloster war für die Aufhebung reif. Am 19. Juni 1787 kam der Cillier Kreishauptmann Karl Schmid von Ehrenberg mit dem Aufhebungsdekret, das er dem Abt Franz Hildebrand und sieben Mönchen präsentierte. Sie wan-derten teils in die Dominikanerklöster nach Graz, teils nach Friesach und erhielten Pensionen von jährlich 200 fl. Der Wert der Realitäten, Gülten und verschiedener Pretiosen und Kapitalien samt Robotgeldern betrug nach Abzug der Schulden 90.700 fl. Viel Wein war vorhanden. Die Dominikaner bezogen jährlich über 800 Cillier Eimer zu I6V2 Tischkandel. Der Bischof von Laibach in Oberburg blieb mit 200 Eimern jährlich im Ausstande. Ein Kameralbeamter verwaltete inzwischen das verlassene Kloster. Die Glocken wurden nach Hofdekret der Pfarrkirche in Cilli überwiesen. Als ein Magistratsrat und Glockengießer mit Arbeitern kamen, um sie abzunehmen und zu überführen, protestierten 40 Bauern und verjagten die Arbeiter. Als man es am folgenden Tage wieder versuchte, kamen 200 Personen beiderlei Geschlechtes, beschimpften den Magistratsrat und zwangen die Arbeiter abermals zum Abzüge. Jetzt wurde ein Kreiskommissär mit 60 Mann unter Führung eines Oberleutnants zur Abnahme der Glocken abgeschickt, fand aber das Kloster von 400 Bauern abgesperrt. Als die Soldaten die Bauern zurückdrängten, schlug einer den Leutnant mit einem Knüttel vor den Kopf, worauf ihn dieser mit dem Säbel niederschlug. Die anderen flohen in den Wald, kamen aber wieder zurück und bewarfen die Soldaten mit Steinen. Diese schossen in die Menge und verwundeten zwei schwer, einige leicht. Erschreckt entflohen die anderen. So verteidigten die Bauern zuletzt ihr früher so angefeindetes Kloster! Die Glocken wurden noch in der Nacht abgenommen und nach Cilli gebracht. Die umliegenden Gemeinden petitionierten bei der Regierung, die Kirche mit einem Kuraten zu besetzen, worauf jedoch diese nicht einging, „weil sie zu tief im Walde liegt, daher Frucht und der Gesundheit nicht gedeihlich ist“ (L.-A.). Im Jahre 1820 wurden die Gülten und Realitäten an Private verkauft, einer ließ die dachlose, verfallende Kirche demolieren und an die Reste und mit den Resten ein Wohngebäude aufführen. Wieder war eine alte Kulturstätte des steirischen Unterlandes versunken und vergessen. Regierungsrat A. Gubo Siegel der Stadt Cilli 1465 DAS KARTÄUSERKLOSTER SEITZ Ein entlegenes Waldtal südwestlich von Gonobitz. Drückende Sommerruhe über den Baumkronen, grelle Sonnenlichter auf Moos und Laub, verträumt brummt eine Hummel durch die Stille. Die Luft flimmert von Hitze und Licht und über die Berge kommt ein leiser Klang - weit drüben läuten sie den Mittag ein. Der summende Ton schwebt über dem einsamen Tal und die alten Bäume flüstern im Sonnentraum: Das Lied ist uns vertraut. Aber es ist schon lange, lange her. Jetzt bewachen wir Ruinen . . . Graue, verwitterte Mauern ragen aus dem Grün. Eidechsen huschen zwischen dem Efeu, liegen schläfrig auf den Steinen. Manchmal rieselt es von den Mauern und fällt in Gras und Strauchwerk. Geister vergangener Zeit sind erwacht beim fernen Klang der Mittagsglocken, raunen im Gesträuche der Höfe, in verborgenen Mauerwinkeln, im dichten Efeu, dessen engverschlungene Arme eine hohe Giebelwand umklammern und stützen — die Giebelwand der Kirche der Kartause Seitz. Eide trauliche Legende webt um die Trümmer: Markgraf Ottokar von Steiermark habe auf der Jagd eine weiße Hirschkuh lange vergeblich verfolgt. Müde und mißmutig sei er eingeschlafen, und im Traum sei ihm Johannes der Täufer erschienen und habe ihm im Namen Gottes befohlen, an dieser Stelle ein Kloster zu bauen. Aufwachend soll er in seinem Schoß einen Hasen gefunden und nach diesem die Kartause „Zajec“ benannt haben. Dieser zweite Teil der Legende entstand im Volk infolge falscher Deutung des Namens Sitz (Žiče), eines naheliegenden Dorfes, mit dem das Kloster belehnt wurde. In der Stiftungsurkunde aus dem Jahre 1165 heißt es: „Es ist eine Gegend, welche allenthalben Gonobitz genannt wird. . . wo umgeben von Bergen ein für den Orden genügender Besitz liegt.“ Die Kartäuser nannten ihn „Tal des hl. Johannes“ nach ihrer Kirche, die Johannes dem Täufer geweiht war und die der Patriarch Ulrich von Aquileja 1173 in einer Urkunde erwähnt. In der dritten Urkunde spricht Papst Alexander III. von Kartäusern im Tal des hl. Johannes. Damals war das neugegründete Kloster in großer Not gewesen und hatte sich an den Papst um, Hilfe gewandt. Auf dessen Fürsprache belehnte Ottokar VI., der Sohn des Gründers, die Mönche mit Seitzdorf und anderen Ländereien der Umgebung. 1185 ist von Fratres von Seitz die Rede und von nun an hat das Kloster zwei Namen: nach seinem Patron und nach dem Dorf. In ältester Zeit war die Ansiedlung der Laienbrüder dort, wo jetzt das Dorf Špitalič liegt. Erst später zogen sie zu den Mönchen an den Berghang hinauf. Da die Kartause durch die Unbotmäßigkeit der Ritter oft arg bedrängt wurde, stellte sie sich unter den Schutz des hl. Petrus, und nachdem Leopold von Gonobitz, einer ihrer Gegner, vom Bannstrahl getroffen worden war, blühte sie in Ruhe und Frieden rasch empor. Das Klostergut wurde durch viele Schenkungen, so durch die Ortschaft Haidin bei Pettau, vergrößert. Im Jahre 1260 konnten die Seitzer Kartäuser unter Prior Burchardt schon eine neugegründete Kartause unterstützen. Es folgte eine Reihe tatkräftiger und hochsinniger Priore, die Macht und Ansehen des Klosters festigten, so Prior Gottfried von Mauerbach (1302—1314), der Ratgeber Friedrichs des Schönen, dem auch das Recht der Inquisition verliehen wurde, und Prior Konrad von Heimburg (1342—1345). In den Staatsbibliotheken von Wien und München finden sich Werke von ihrer Hand. 1360 wurden die Kartäuser ermächtigt, das Kloster zu befestigen. Die gesamten Baulichkeiten wurden mit hohen Ringmauern umgeben, am südwestlichen, an den Bach angrenzenden Teil über dessen Lauf auf einem Bogen ein Turm errichtet. Der größte Turm war der nordwestliche, dreistöckige, mit Pechnasen besetzte Rundturm. Sein nur mit Leitern zu erreichender Eingang lag im zweiten Stockwerk. Er wurde unter dem Prior Matthäus Gurgar im 16. Jahrhundert erbaut. Das auf der Bachseite liegende Portal ist auch schon baufällig. Auf den Eckpfeilern der Brücke standen vormals vier Barockstatuen aus Aflenzer Sandstein, vom Marburger Bildhauer Christoph Reiß gemeißelt. Andere, die einst ihren Platz neben und über dem Portal hatten, sind jetzt im Herrschaftshause zu Gonobitz. Das Barockportal, welches Jahreszahlen trägt, die sich auf die Ordensgründung und auf eine Stiftung des Cillier Grafen Friedrich II. (1444) beziehen, ebenso wie das sich anschließende zweistöckige Gebäude, stammen aus der Zeit des Prälaten Johann Schuller (1684—1698). In diesem Gebäude gibt es noch ein Gemach mit gut erhaltener Stuckdecke. Links seitlich liegen zwei unregelmäßige Höfe, von den zerfallenen Mauern ehemaliger Wirtschaftsgebäude umgeben. In einem dieser Höfe stand einst ein schöner Marmorbrunnen. Rechts davon ragt aus Fichten eine altersgraue, efeuumsponnene Giebelwand. Der blaue Sommerhimmel sieht durch das dreiteilige Fenster mit dem herzförmigen Maßwerk. Nur diese südliche Giebelmauer der Johanneskirche steht noch, die nördliche ist eingestürzt und auch die Seitenwände, die noch Spuren gotischer Fresken zeigen, sind zum Teil zerstört. Einige Fensterstöcke, zweiteilig, mit Dreiblattmotiven starren traurig und öde aus dem zerbröckelnden Gestein. Auch die Kirche war unter Prälat Schuller barockisiert worden. Das achteckige barocke Türmchen mag seltsam und nicht sehr geschmackvoll auf dem steilen Dach gewirkt haben. Die noch stehende Mauer trägt einen romanischen Fries. Dieser und andere halbverwitterte Merkzeichen lassen darauf schließen, daß die Kirche aus einem kleineren und älteren Bauwerk entstanden ist. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts, als das Kloster Sitz des Generalpriors der deutschen, ungarischen und italienischen Kartäuser war, dürfte sie gotisiert worden sein. Ruinen der Kartause Seitz An die Kirche schließt sich gegen Norden ein rechteckiger Hof, von einem Kreuzgang umsäumt, in welchem sich die Grabmäler Leopolds, Ortolfs und Heinrichs von Gonobitz, Ulrichs von Sonneck und seiner Gemahlin befanden. Um den Kreuzgang waren ehemals eine Reihe von Räumen, Refektorium, Kapitelzimmer und Küche, angeordnet. Das Refektorium, ein großer, hochgewölbter, gotischer Saal, stand noch im Jahre 1835. Unter dem Altar des Kapitelzimmers war ein großer Wohltäter der Kartause, Graf Friedrich II. von Gilli, bestattet. Aus diesem Hof gelangt man in einen gleichartigen größeren. Dort befand sich der Friedhof der Mönche. Um den Kreuzgang lagen die einzelnen Zellen, kleine Häuschen, jedes mit einem eigenen, von hoher Mauer umfriedeten Garten. In der Mitte des Hofes steht eine wohlerhaltene achteckige Kapelle aus spätgotischer Zeit, im Volksmund „Priorengruft“ geheißen. Sie dürfte jedoch ein Beinhaus gewesen sein, da der Ordensregel gemäß der Prior nicht anders beerdigt werden durfte als die übrigen Mönche. Die kleine Kapelle, die unter einer Sonnenuhr die Zahl 1469 trägt und die früher im sorgsam gehaltenen Hof, vom feierlich-stillen Kreuzgang umgeben war, macht nun den Eindruck einer Waldkapelle. Üppig wucherndes Strauchwerk und junge Bäume verbergen die letzten Reste der Gebäude. Kreuzgang und Zellen sind im Jahre 1786 fast ganz abgetragen worden, als der Markt Gonobitz nach schwerer Feuersbrunst neu erstand. ' . Der merkwürdigste Bau mag wohl das Mausoleum des Gründers, des Markgrafen Ottokar V., gewesen sein. Es befand sich neben der Kirche. Im untersten Geschoß stand ein Sarkophag mit einer Reliefdarstellung der Gründungssage. Dieser Sarkophag sowie die Gebeine Ottokars Y. und Ottokars VI., die tatsächlich in der Gruft gefunden wurden, sind jetzt im Stift Rein. Im zweiten Stockwerk war ebenfalls eine Kapelle und im dritten ein gewölbtes, festes Gelaß mit Schießscharten, zu dem seitlich eine Wendeltreppe emporführte. An der Innenseite der Ringmauer sieht man noch die Löcher für die Balken, die den Wehrgang trugen. Mauern und Türme haben manche stürmische Zeit erlebt. Während der Türkenkriege mögen oft Mönche und Laienbrüder Pinsel, Pergament und friedliches Werkzeug ruhen gelassen und zu den Waffen gegriffen haben, um die Klosterfestung zu verteidigen. 1494 drangen die Türken dennoch ein und schleppten den Prior und zwei Mönche fort. Zur Zeit der Reformation konnten unfähige Priore der zunehmenden Zuchtlosigkeit nicht wehren. Manch Abtrünniger verließ sein kleines Haus mit dem friedlichen Garten und vertauschte sein einsames, schweigendes Schaffen mit dem Lärm eines unruhigen Lebens. 1564 sandte Erzherzog Karl alle fremden Mönche in ihre Heimat, nur vier Mönche blieben zurück. Nun kamen böse Tage für die Kartause. 1591 mußte sie den Jesuiten übergeben werden. Nach verzweifelten Anstrengungen gelang es dem Orden, sein Gut zurückzuerhalten. Doch beliefen sich die jährlichen Abgaben an die Jesuiten auf 1200 Gulden. Um diese auftreiben zu können, mußte manches verkauft werden, so auch das Untertanenrecht im Ennstal. In den ersten Jahren lebten die Mönche frei ohne Regel. Langsam zogen wieder Ordnung und Zucht in die alten Mauern, doch konnte sich die Kartause nie mehr zu ihrem alten Glanz und Ansehen erheben. In den Jahren 1629—1639 wurde sie zweimal von aufständischen Bauern geplündert. 1669 erließ die Regierung das Verbot, dem Kloster etwas zu schenken oder zu stiften, und bestimmte, daß die Wahl des Priors, der von nun an den Titel Prälat führte, nur mit ihrer Erlaubnis vollzogen werden dürfe. In der nächsten Zeit kam Gonobitz, das wegen des Landesverrates Tattenbachs zum Verkauf gelangt war, vorübergehend in den Besitz des Klosters. Unter Kaiser Josef II., am 22. Jänner 1782, also nach 617jährigem Bestand, erhielt das vereinigte Kapitel die Nachricht von der Aufhebung der Kartause. Die Mönche kehrten im Juni in ihre Heimat zurück und erhielten vom Staat hohe Pensionen. Alle Besitzungen, darunter ein Haus in Graz, gingen in staatliche Verwaltung über.|8| Damals waren 1694 Handschriften im Archiv, meist Kauf- und Stiftungsbriefe, die sich jetzt zum größten Teil im Grazer Landesarchiv befinden. Von nun 41a durften nur die allernotwendigsten Ausbesserungen an den Gebäuden durchgeführt werden. So verfielen sie denn mehr und mehr. 1826 kam Seitz in den Besitz des Fürsten Vériand Windisch-graetz, also wieder an die Herrschaft Gonobitz, der es seine Entstehung dankte. 1918 wurde ein Plan zur teilweisen Wiederherstellung ausgearbeitet, doch ist er bis jetzt nicht zur Durchführung gelangt. — -T-T — Und so träumen die verfallenden Mauern in der Mittagshitze. In den Baumkronen rauscht es leise, Sagen aus längstvergangenen Zeiten huschen wie lichte Sommergeister durchs Gestrüpp und über den Schutt, der die Stätte alter Kultur bedeckt. Hier saß Bruder Philipp, ein Mittelfranke, in niedriger, heller Stube, den Blick hinausgerichtet auf sein Gärtchen zwischen den hohen Mauern, die ihn von der Welt, dem treibenden Leben, schieden und seine Ruhe schirmten, und übersetzte in emsiger Arbeit Hugo von Trimbergs „Vita beatae Mariae Virginis et Salvatoris rhytmica“ in die bajuvarische Mundart. Hier sann Konrad von Heimburg und malte kunstvolle Lettern auf feines Pergament und ein Jahrhundert später schrieb der Bruder Matthäus Maselhart in langer, mühevoller Arbeit fromme Gedichte und Betrachtungen. Jahrhundertelang haben Menschengeist und rastloser Menschenfleiß an diesen Mauern gebaut. Einsame Träumer, kraftvoll-helle Gestalten, finstere Schwärmer und Grübler, Asketen mit leuchtendem Blick, feinsinnige Künstler und Männer, deren Geist ruhlos forschte in den Tiefen des Alls, sind diese Wege gegangen, haben in der hohen, dunklen Kirche ihren Geist zu dem erhoben, der alles durchdringt, haben mit ihrem Wesen und Wirken die kalten Zellen erfüllt, sind zur Ruhe getragen worden im hallenden Kreuzgang fi- und andere haben weitergearbeitet, gesucht und gelitten. Und nun huschen Eidechsen über die heißen Steine, helle Sonnenkringel flirren durch die leise bewegten Blätter auf die Trümmer, und fern — weit drüben, läuten sie den Mittag ein — — — Alfred. Freih. v. Buttlar-Moscon Schloß Pischätz DER LETZTE KARTÄUSER VON SEITZ An einem sonnigen Maientage des Jahres 1815 wanderte ein großer hagerer il Mann im schwarzen Talar über den weinreichen Seitzerberg abwärts zum Seitzerbach im walddüstern Johannistale. Vor der Pforte der altehrwürdigen Kartause Seitz, die der Traungauer Ottokar Y. Markgraf von Steier im Jahre 1164 gegründet hatte, entblößte er das graue Haupt und Tränen entrollten den braunen, stark umrandeten Augen. Es war Johann Sapuschegg, der 1749 in Cilli das Licht der Welt erblickt hatte. In jungen Jahren übergaben ihn die Eltern, die daselbst das bürgerliche Ledererhandwerk betrieben," der Kartause, wo er die lateinische Schule, die zugleich für den Eintritt in den Orden vorbereitete (seminarium adolescentium), besuchte und das Ordenskleid des hl. Bruno nahm. Dieser hatte 1084 als Domherr von Rheims in der Öde von Chartreuse bei Grenoble in der Dauphiné den danach benannten Eremitenorden mit sehr strenger Regel gegründet. Bis zur Aufhebung des Ordens im Jahre 1782 lebte Sapuschegg hier als Bruder Johannes; dann wanderte er mit -15 Brüdern aus und suchte mit seiner Pension ein neues Heim. Beim Pfarrer in St. Kathrein bei Kapfenberg fand er Aufnahme und unterstützte ihn in der Seelsorge. Nach Kartäuser Art war er in seinem Benehmen still, phlegmatisch und sprach nicht gern unbefragt, war er ja nur an „Memento mori!“ gewöhnt. In seinen alten Tagen entschloß er sich zu einer Romreise, um am Grabe der Apostelfürsten sein müdes Haupt zur ewigen Ruhe zu legen. Nach dem Reisepaß, den ihm das innerösterreichische Gubernium (Landesarchiv) mit genauer Personsbeschreibung am 24. Februar 1815 ausstellte, verließ Johann Sapuschegg im April St. Kathrein, ging über Bruck a. d. Mur, Graz nach Cilli, wo er bei Verwandten rastete. Von da besuchte er die schon sehr schadhafte Kartause. An der Pforte zog er das weiße Ordenskleid, das er mittrug, an und begrüßte voll Demut und Verehrung den hl. Johannes den Täufer, den Schutzpatron des Klosters, den Ordensstifter Bruno und den Markgrafen Ottokar V., deren Statuen hier aufgestellt waren. Der alte Pförtner, einstiger Laienbruder, begrüßte gerührt den letzten Kartäuser von Seitz und begleitete ihn durch die weiten Gänge und Hallen, gab sich dabei alle Mühe, den jetzigen Besitzer des Klosters und seiner nächsten Güter, den Fürsten Windischgraetz, zu erheben; leider taten dessen Beamte für die Erhaltung des alten Denkmals der Kunst nichts. Dann begleitete er ihn in das altehrwürdige Gotteshaus; das ursprünglich im romanischen Stil erbaut und 1192 vom Patriarchen von Aquileja eingeweiht, zu Anfang des 14. Jahrhunderts im rein gotischen Stil umgebaut wurde. Sie hatte drei nach Osten gerichtete Altäre; wie verklärt betete er am Hauptaltar Johannes des Täufers. In der Sakristei, dem ältesten Teil der Kirche, kniete er am Grabdenkmal Ottokars V. und seiner Gemahlin Kunigunde von Wehburg. Ihre Überreste wurden im Jahre 1828, als hier der Verfall allgemein wurde, ins Klöster Reun übertragen. In den ziemlich erhaltenen Chorstühlen rezitierte er Hymnen des Priors Konrad I. Durch den Kreuzgang, der noch Spuren gotischen Stils zeigte, suchte er die zerfallenden Zellen der Mönche auf, wo er seine Zeit in einsamer Betrachtung still verbracht, sein Gärtchen gepflegt und sein Grab gegraben hatte. Wo einst Gras und Kräuter wucherten, Blumen dufteten, wucherte nun Unkraut, lagen Trümmer. In der Mitte des Platzes stand die halberhaltene Totenkapelle, die Gruft der Priore. Da las er Namen, die manche Erinnerung wachriefen. Philipp schrieb zu Anfang des 14. Jahrhunderts hier „Das Leben der heiligen Jungfrau Maria“, die verbreitetste deutsche Dichtung des Mittelalters. Es schildert Geburt und Leben Marias, dann Leben und Leiden Jesu. „Das Göttliche herrscht vor, das Menschliche nimmt bescheiden den mit Blumen gezierten Boden ein.“ Das Gedicht ist dem Deutschen Ritterorden gewidmet, der sich in der Bekehrung der heidnischen Preußen große Verdienste erworben; deshalb und weil manche norddeutsche Ausdrücke Vorkommen, schloß man, Philipp sei ein Norddeutscher gewesen. Prior Konrad I. dichtete über Auftrag des Kaisers Karl IV. Hymnen und Chorgebete, für deren Gebrauch die Bischöfe von Passau, Olmütz und Prag Ablässe verliehen hatten. Er und seine Nachfolger legten den Grund zu den großen Besitzungen und Gütern des Klosters durch Güte und Milde bedeutender weltlicher Herren, besonders des Grafen Friedrich von Cilli, dessen Sohn gleichen Namens aus der unglücklichen Ehe mit dem Edelfräulein Veronika von Deschenitz daselbst eingekleidet war. Das Ansehen der Kartause war so groß, daß Prior Johann zu Ende des 14. Jahrhunderts zum Ordensgeneral gewählt wurde. Die Namen der Priore des 16. Jahrhunderts riefen die Erinnerung an den Verfall der Kartause wach. Die Verweltlichung des Ordens durch Fremdlinge, die schlechte Wirtschaft und der Einbruch der Lehren Martin Luthers waren schuld daran. Unter den ersten Abtrünnigen war der Prior Peter IH. von Seitz, der 1526 mit mehreren Mönchen zum Protestantismus übertrat und die Kartause mit vielen Schätzen verließ. Sein Name war in der Reihe der Priore an der Gräbeskapelle teilweise getilgt worden. Durch die Fürsorge König Ferdinands I. kamen Mönche aus anderen Kartausen hieher. Diese sollte reformiert werden in geistlichen und weltlichen Dingen, vor allem die strenge Klosterregel und Zucht hergestellt und bessere Wirtschaft eingeführt werden; als Administrator wurde Kardinal Delphinus in Rom mit voller Gewalt bestellt. In der Reihe der Priore aus dieser Zeit war eine große Lücke. Der Kardinal kümmerte sich wenig um die Kartause, überließ die Verwaltung Fremden, die ihren Vorteil suchten; die Schulden wurden immer größer. Es wurde so arg, daß die Kartause den Jesuiten und hernach dem Kloster Reun übergeben wurde. Dieses und die Gegenreformation schufen Ordnung. Der Name Andreas H. erinnerte Sapuschegg an die Türkeneinbrüche. Dieser Prior wurde 1530 an der Spitze seiner Mannen vor dem Kloster gefangen und in Stücke gehauen. Dazu kamen Bauernaufstände wegen harter Robot und ver- schiedener Leistungen. So gemahnte der Name des Priors Theodoras an den großen Bauernaufstand des Jahres 1635, in dem 3000 Bauern die Mönche verjagten und die Kartause plünderten, bis Herr Dietrichstein mit Reiterei erschien, die Ausgänge besetzte und alle Bauern, die sich nicht über die Mauern retteten, niederhauen ließ. Dieses furchtbare Ereignis innerhalb der Klostermauern rief die Erinnerung an das traurige Schicksal der serbischen Uskoken (Pribeggen) wach, die unter Ferdinand I. auf der Seitzer Besitzung Scherschewitza bei St. Marein zum Schutze wider räuberische Ttirkeneinbrüche mit besonderen Privilegien waren angesiedelt worden. Als die Kartause Robot und Zins forderte, verweigerten sie solches mit Berufung auf ihre Privilegien und behaupteten, daß sie sich bisher durch Darstreckung ihres Leibes und Gutes wacker gehalten und mehr mit Schwert und Spieß denn mit der Haue umgegangen, so dem Lande und Kloster als Krieger und Kundschafter wichtige Dienste getan haben. Sie protestierten gegen grandherrliche Rechte des Klosters. Die Kolonisten wurden schutzlos von den umwohnenden Bauern überfallen, ihres Habes beraubt und mit Weib und Kind verbrannt. Von der Stätte so trauriger Erinnerungen führte der Pförtner den Kartäuser ins Refektorium, das sich links an die Kirche anschloß und wie die Wohnung des Priors samt den Fremdenzimmern im Interesse der Verwalter und Wirtschafter erhalten war. Die Bibliothek fand er zerstört, Wichtigeres wurde nach Graz übertragen. Den weiten Klosterraum umschloß eine gedeckte, mit Schießscharten, Laufgängen und Türmen versehene hohe Mauer, die 1366 mit Erlaubnis des Herzogs Albrecht HL aufgeführt worden war und an der unser Mönch noch Spuren aus der Zeit der Türkeneinfälle bemerkte. In den letzten 50 Jahren erholte sich die Kartause durch tüchtige Priore und die Gunst des Kaisers Leopold I. Sparsamkeit trat an die Stelle der Verschwendung und die weggenommenen Güter wurden zurückgewonnen. Prior Johann Baptista, dessen Name an der Totenkapelle besonders auffiel, kaufte vom Grafen Tattenbach die Herrschaften Gonobitz, Tribeneck und Herberstein. Kaum hatte sich die Kartause einigermaßen erholt, wurde sie aufgehoben. Am 22. Jänner 1782 verkündete der kaiserliche Kommissär* Gubernialrät Graf Franz Stürgkh, dem Prior Anselmus samt den um ihn versammelten 15 Mönchen, unter denen auch Johann Sapuschegg war, die Verordnung des Kaisers Josef TL, daß das Kloster aufgehoben und das Vermögen mit den Besitzungen dem Religionsfonds zufalle. Nach einigen Tagen begab er sich nach Obersteier. Nun verließ er abermals seine zweite Heimat, begab sich dann nach Cilli und erzählte den Verwandten, was er gesehen und erfahren; sie überlieferten es weiter. Von da pilgerte der letzte Kartäuser von Seitz nach Rom, wo er blieb; die erste deutsche Kartause ist eine öde Ruine. Regierungsrat A. Gubo JOHANN GEORG LORBER EIN UNTERSTEIRISCHER FREIHEITSKÄMPFER UM DIE ZEIT VON 1700 angarn, Türken, Heiducken und Kuruzzen brachen häufig sengend und brennend ins steirische Unterland ein, verwüsteten und plünderten das Land. Kehrte die geflohene Bevölkerung zurück, so wurden Wohnhäuser und Stallungen nur notdürftig wieder hergestellt, und da die Bewohner zu einem größeren Wohlstand nie gelangen konnten, so lernten1 sie sich mit ärmlichen Behausungen bescheiden. Obwohl, von Durchzügen der Franzosen abgesehen, schon über 200 Jahre seit dem letzten feindlichen Einbruch vergangen sind, wirkt noch immer jene Zeit der Bedrängnis nach; nüchtern und schmucklos ist auch heute noch vielfach das Heim der Bauern in der Ost- und Untersteiermark. Die Geschichte von den Mühsalen, dem Heldentum und Opfermut der Steirer im Kampfe gegen die Gefahr von Osten ist noch nicht geschrieben! vieles ruht ungehoben in unseren Archiven, noch mehr ist verlorengegangen und manches wird vergessen bleiben, weil die Helden von ihren Taten kein Aufhebens machten. Einer dieser vergessenen Männer ist der Murecker Bürger und Handelsmann Johann Georg Lorber, dessen Vater, Bartime Lorber der Ältere, aus eigenen Mitteln den Rathausturm in Mureck erbaute und für das allgemeine Wohl eine stets offene Hand hatte. H* Hs Es war im Jahre 1683, zur Zeit, als die lEürken Wien belagerten. Da durchflogen wilde Gerüchte die Steiermark. Es kamen Nachrichten, daß bei Räczkanizsa und unterhalb Luttenberg 40.000 Türken stünden, die noch durch ungarische Rebellen verstärkt würden und bereit wären, in die Steiermark einzubrechen, „alles niederzusäbeln und zu verheeren“. Um die Bewohner von der drohenden Gefahr in Kenntnis zu setzen und sie zur Flucht zu mahnen, wurden die Kreidfeuer angezündet. Die Wohlhabenden flohen und überall verbreitete sich große Niedergeschlagenheit und Furcht. Die drei Regimenter,: die damals in verschiedenen Orten der Steiermark zerstreut lagen, erhielten Befehl, sich nach Graz zurückzuziehen. Bei ihrem Durchmarsch durch : Mureck kam General Graf d’Aspremont zu Johann Georg Lorber ins Haus und riet ihm dringend, sich und die Seinen in Sicherheit zu bringen. glLorber schmerzte es sehr, daß so viele schöne Märkte und Dörfer in Stich gelassen werden sollten. Er wollte sich Gewißheit verschaffen, was an den wilden Gerüchten wahr sei, und erbat sich vom Metternichschen Kürassierregiment 50 Reiter. Da ihm diese abgeschlagen wurden, entschloß er sich, ganz allein in die Gegend zu reiten, wo die Türken und Rebellen in so großer Anzahl versammelt sein sollten. Vergebens bat er den General, den Rückzug bis zu seiner Rückkehr einzustellen. Drei Tage war Lorber unterwegs und stellte fest, daß Graf Peter Széchy in Olsnitz (Mura-Szombat), in Ober- und Unterlimbach (Lendva) Edelleute, Bürger und Bauern versammle, um in die Steiermark einzubrechen. Der Ungar hatte Leute in die Richtung Mureck und Straden ausgesandt, um festzustellen, ob eine Gegenwehr vorhanden sei oder nicht. Die Kundschafter sollten auch die Stimmung der Bewohner ausforschen und die Dorfleute über-rèden, es mit den Graf Széchyschen Leuten zu halten, da sie vom Kaiser keine Hilfe zu hoffen hätten. Nach drei Tagen kam Lorber 1 Uhr nachts glücklich wieder nach Mureck. Hier erfuhr er, daß der Oberstleutnant vom Metternichschen Regiment einmal 50, das anderemal 100 Reiter geschickt habe, um vom Kundschaftsritt Lorbers etwas zu erfahren; auch hörte er, daß die eigenen Leute im Lande, weil sie alles für verloren hielten, zu rauben und zu plündern begannen. Lorber machte sich wieder auf den Weg und erreichte in Dietersdorf, nördlich von Straden, das Metternichsche Regiment. In einer Versammlung von Offizieren erstattete er Bericht und konnte dabei auch aufgegriffene feindliche Kundschafter vorführen. Lorber bat um 180 Reiter und versicherte, daß er damit „Ehr’ einlegen werde“, Der Oberstleutnant zögerte anfangs, und erst als Scherdon, der älteste Hauptmann vom Karl Saurauischen Dragonerregiment, sich freiwillig zur Führung dieser Mannschaft erbot, wurde sie ihm anvertraut. Die Abteilung brach noch am selben Tage auf, nächtigte in Straden und ritt frühmorgens südwärts. Gegen Mittag stießen sie auf die Graf Széchyschen Rebellen, die schon mehrere Dörfer geplündert hatten und reiche Beute mit sich führten. Nach kurzem Kampfe wurden die Rebellen geschlagen und unter Zurücklassung der ganzen Beute in die Flucht gejagt. Um die Heimat vor neuerlichen feindlichen Überfällen zu schützen, ließ Lorber in aller Eile auf eigene Kosten Waffen beschaffen, die er unter die Bürger und Bauern verteilte. Mit dieser Schar wehrhafter Männer besetzte er die Mur und schützte so „das Vaterland diesseits vor allen feindlichen Einbruch und Streifereien“. Lorber wußte, daß gegen die feindlichen Heere nur die Macht des Kaisers helfen könne. Es waren aber keine feindlichen Heere, die so oft die steirische Grenze von Osten her bedrohten, sondern Banden, welche die Aussicht auf leicht zu erringende Beute zusammengeführt hatte. War das Land von Truppen entblößt, weil der Kaiser alle seine Streitkräfte an den gefährdetsten Punkten zusammenziehen mußte, so überfielen diese Horden das wehrlose offene Land, vernichteten, was sie nicht als Beute mit sich schleppen konnten, und verschwanden ebenso rasch, als sie gekommen waren. Das sicherste Mittel, um für die Zukunft die Heimat vor Plünderung und Brandschatzung zu bewahren, sah Lorber in der Wehrhaftmachung der bodenständigen Bevölkerung. Großenteils auf eigene Kosten bewaffnete er die Bürger von Mureck und die Bauern der in der Nähe gelegenen Herrschaften. Er ließ es nicht bei der Bewaffnung bewenden, sondern sorgte auch für eine entsprechende Ausbildung im Waffengebrauch. Lorbers Bemühungen führten bald zu eihem offenkundigen Erfolg. Als im Jahre 1704 die Kuruzzen wieder in die Steiermark einfielen und einen großen Teil des Landes verwüsteten, blieb Mureck und der größte Teil der Windischen Büheln verschont. Lorber begnügte sich nicht mit der bloßen Abwehr. Er zog mit seinen Scharen den Radkersburgern zu Hilfe und überredete diese zu einem Zug nach Räczkanizsa, um die dortige Schiffsbrücke zu zerstören. In der Nähe von Luttenberg, unweit vom Dorfe Krapping, stießen sie auf einen überlegenen Gegner. Beherzt schritten die Radkersburger unter der Führung von Dräsch und Wibauer und die Murecker unter Lorber zum Angriff und brachten den Kuruzzen eine empfindliche Niederlage bei. Es wurden dabei drei Fahnen erbeutet. Von den Eigenen waren 1 Bürger und 5 Bauern gefallen. Kaiser Josef 1. spricht in einem Schreiben vom 1. August 1705 an die geheime Stelle in Graz rühmend von dieser Tat Lorbers. Wegen dieser dem Vaterland geleisteten Dienste hätte Lorber geadelt und vom Kaiser mit einer goldenen Kette bedacht werden sollen. Daraus ist jedoch nichts geworden, weil einflußreiche Herren im Lande es verhinderten. Wohl stand Lorber im ganzen Lande bei Bürgern und Bauern in hohem Ansehen; dagegen war er beim Adel wie kein anderer Mann seiner Zeit verhaßt. Der Adel sah in ihm einen gefährlichen Revolutionär, einen Landesverräter, Aufwiegler und „boshaftigen Mann, der das ganze Land in Aufruhr und Empörung setzen wolle“. Denn Lorber war tatkräftig als Anwalt der Bürger und Bauern gegen die Übergriffe der Grundherren aufgetreten. Die Weingartbe-sitzer in Mittel- und Unters teiermark wählten ihn zu ihrem Gewaltträger in einem Kampfe, den schon zwei Generationen gegen die Bergherren wegen der sogenannten Laudemialabgabe geführt hatten. Bei jedem Besitzwechsel hoben die Grundherrschaften eine Gebühr von 10 Prozent des Wertes der Liegenschaft ein. Wider alles Recht forderten die Bergherren diese Abgabe auch dann, wenn ein Sohn oder Enkel den Weingarten im Erbwege von Eltern oder Großeltern übernahm. Mit der ihm eigenen Energie vertrat Lorber die Sache der Weingartbesitzer. Er erreichte in Wien bei der Regierung und beim Kaiser alles. Es ergingen scharfe Resolutionen. Hier kann es nicht geschildert werden, wie wenig sich die Grundherren um kaiserliche Patente kümmerten und wie die ständische Regierung, als die Sache für die Grundherren völlig verloren schien', es doch dahin brachte, dem Lorber den Wind aus den Segeln zu nehmen und eine gegenteilige Entscheidung zu erwirken, obwohl schon neun kaiserliche Resolutionen dem Standpunkte Lorbers gerecht geworden waren. Johann Georg Lorber, der an der Universität in Graz und wahrscheinlich auch in Wien studiert hatte, besaß ganz ungewöhnliche Kenntnisse. Beachtenswert ist seine klare und kräftige Sprache, gleichgültig, ob er in lateinischer oder deutscher Sprache schreibt. Man ist überrascht, bei einem Bürger, der fast immer in Mureck, abseits von den geistigen und wirtschaftlichen Brennpunkten lebt, Gedanken und Ideen zu lesen, die sich erst später in der politischen Literatur finden. Erst lange nach dem Tode Johann Georg Lorbers, im Jahre 1741, wurde sein Sohn, Johann Nikolaus Lorber, wegen der Verdienste seines Vaters und Großvaters in den erblichen Adelsstand erhoben mit dem Prädikate von Lor-berau. Die Waffen und Rüstungen aus Lorbers Zeit befanden sich auf dem Rathaus in Mureck und wurden während der Napoleonischen Kriege als altes Eisen verkauft. Die Rüstung, die angeblich ein Lorber getragen haben soll, Helm, Panzer, Arm- und Beinschienen, und ein altes Feuergewehr mit Radschloß wurde noch längere Zeit im Murecker Rathaus aufbewahrt, ist aber heute verschollen. ^ * »H Mureck und Radkersburg, die treudeutschen Grenzorte, hatten in den Tagen des Umsturzes durch die allzu gierigen Südslawen viel bitteres Leid zu erdulden; die Schußwunden mancher Häuser zeugen noch heute von dieser schweren Zeit. Daß diese Orte uns erhalten blieben und ihnen nicht das bittere und herbe, jedem Selbstbestimmungsrecht hohnsprechende Los des urdeutschen Abstaller Beckens zuteil ward, das verdanken wir der wackeren Bevölkerung — den Bürgern und den Bauern — und ihren mutigen Führern. Dräuend schaut das hügelkrönende Schloß Ober-Mureck mit seiner heimatfremden Besatzung auf den deutschen Markt und weit hinein in das deutsche Land. Wenngleich in diesem U Gott sei Dank — deutsch gebliebenen Markte die Wiege des ehrenfesten Lorber stand, so gebührt ihm doch auch in diesem Buche ein Ehrenblatt; denn ihm verdankt der größte Teil der Windischen Büheln, daß er von den weiteren Verheerungen durch die Kuruzzen verschont blieb, er war es, der die Weingartbesitzer dieser rebengesegneten Hügel gegen die Übergriffe der Grundherren tatkräftig schützte, und sein mutiges und unerschrockenes Auftreten und Wirken kam den Slowenen ebenso zugute wie den Deutschen; denn sein edler, aufrechter Geist machte zwischen den beiden Stämmen keinen Unterschied. Ehre diesem Manne! Dr. A. Kern JOHANN SIGISMUND POPO WITS CH i. Ochwere Landplagen: Seuchen, Miß wachs, Türkeneinfälle, Bauernunruhen, kJ hatten um die Wende vom Mittelalter zur neueren Zeit unser Unterland wiederholt heimgesucht und große Lücken in der Landbevölkerung hinterlassen. Zur Wiederbesiedlung der verödeten Huben und zur Auffüllung der Arbeitskräfte benutzte man nun in Untersteiermark und Krain ungefähr seit 1530 vor allem heimatlose, von den Türken vertriebene ^Flüchtlinge : Kroaten, Bosnier, Serben und selbst Balkanwalachen. Nachkomme solch eines serbischen „Uskok“ oder „Pribeg“ (bei welchen der Familienname Popowitsch1 häufig war) mag jener Anton Popowitsch gewesen sein, dem wir zu Ende des 17. Jahrhunderts in Diensten des Grafen Johann Sigismund von Schrattenbach begegnen. Diesem Popowitsch, der zu Arzlin (zwischen Cilli und Hoheneck) ein Bauerngut besaß,; gebar seine Frau Marina mehrere Söhne, die ihr Fortkommen in der Welt suchten und fanden: der älteste, Anton, trat in den Jesuitenorden, der mittlere, Johann Baptist, brachte es zum Rentmeister der Schrattenbach-schen Herrschaft Salloch bei Cilli, mit den merkwürdigen Lebenschicksalen des jüngsten der Brüder, der, zu Arzlin geboren, am 9. Februar 1705 in der Pfarrkirche zu Hoheneck getauft und nach seinem Paten, dem Grafen von Schrattenbach, die Vornamen Johann Sigismund erhielt* 2, wollen wir uns hier beschäftigen. Ich stütze mich vor allem auf Angaben, die Popowitsch 1749 in seiner Besprechung von A. Roschmanns „Veldidena“ (V) und 1750 in den „Untersuchungen vom Meere“ über sein Leben verstreut darbietet, und führe diese unter Angabe der Seitenzahl womöglich wörtlich an, um seine Persönlichkeit hervortreten zu lassen. Ein nachgesetztes S bezieht sich auf sein ohne. Seitenangabe erschienenes „Sendschreiben an einige vornehme Gelehrte zu Leipzig“, ein Z auf eigenhändige Zusätze in seinem Handexemplar, das jetzt in der Wiener Nationalbibliothek unter den Handschriften als n. 12.789 verwahrt wird. Ergänzt habe ich diesen Stoff durch Schottkys Nachrichten über Popowitsch 4 Als Beispiel erinnere ich an Wuk Popowitsch, Woiwoden zu Sichelburg, der 1542 wegen Verräterei zu Laibach hingerichtet wurde. Seine Kinder wurden katholisch, um den väterlichen Besitz zu retten, und sind später durch längere Zeit in Krain nachweisbar. 2 1705, die 9. Februarii baptizatus est Joannes Sigismundus, filius legitimus patris Antonii Popoviz et uxoris ejus Marinae. Patrini fuere 111. D. comes Joannes Sigismundus a Scrouten-pach et Agnes Rupniza vidua, per me Thomam Pozikar —1 Eintrag in das Taufbuch zu Hoheneck, mitgeteilt von Orožen, Das Bistum Lavant, VIII, 262 (vgl. auch S. 290), in den Wiener Jahrbüchern für Literatur, 1818, 4. Band, Anzeigeblatt 31 ff., Kaltenbaeck (K) in der Österreichischen Zeitschrift für Geschichte und Staatenkunde, 1836, n. 6—10, und Wurzbachs biographisches Lexikon (W). II. Johann Sigismund Popowitsch verlor den Vater sehr früh, die Erziehung fiel daher ganz der Mutter Marina anheim, einer verständigen Frau, welcher ihr Sohn zeitlebens ein dankbares Andenken bewahrte. Da sie schon zwei Söhne zu Graz im Jesüitengymnasium hatte, so sollte ihr jüngster die väterliche Hube übernehmen. Sie verweigerte darum ihm, der gleichfalls studieren wollte, entschieden diesen Wunsch und gestattete nur Unterricht im Lesen, Schreiben und etwas Latein, den Kaplan Pozhkar seinem Täufling zu Hoheneck erteilte. So war der Herbst 1717 herangekommen, Johann Sigismund, ein wissensdurstiger slowenischer Bauernjunge, stand in seinem 13. Lebensjahre, seine Brüder aber rüsteten mit Ferienschluß zur Rückkehr nach der schönen Stadt Graz, die damals und noch lange danach für die Bewohner von Untersteiermark das Ziel stiller Sehnsucht war. Da die Mutter auch neuerlichen Bitten gegenüber fest blieb, so entschloß sich der Knabe zur Flucht, huschte heimlich auf den Reisewagen seiner Brüder und verbarg sich so geschickt, daß er erst zu Gonowitz, wo die erste Reiserast eintrat, entdeckt wurde. Kein Zureden der Brüder vermochte ihn zur Heimkehr zu bewegen, sie nahmen ihn schließlich nach Graz mit. Hier erwartete den Ankömmling zunächst das Los eines Bettelstudenten, doch müssen die mitgebrachten Kenntnisse zufrièdenstellend gewesen sein, da ihm die „Parva“, die Vorbereitungschule der Jesuitengymnasien, erlassen und Johann Sigismund sogleich in die sogenannte „Princip“, die unterste Gymnasialklasse, aufgenommen wurde.1 Bald fanden jedoch Fleiß und Begabung des neuen Schülers ihre Anerkennung. Die Jesuiten erleichterten ihm nun das Fortkommen soweit als möglich und verschafften Popowitsch, als er den ersten Preis in der Poesie gewonnen hatte, einen Freiplatz im Konvikt, der ihm die Vollendung der philosophischen und der theologischen Studien gestattete. Popowitsch nahm indessen weder einen akademischen Grad, noch ließ er sich zum Priester weihen, angeblich (K) weil er von Natur aus keinen Wein trinken konnte. Der eigentliche Grund lag wohl tiefer im Gegensatz, in welchen der lernbegierige Schüler zu den starren Formen der Jesuitenschulen geraten war, „deren Abgott der verdammte Herkommannus1 2 und die Vorsteher manchmal noch selbst milchbärtige Knaben sind“ (LlH). „Mir ist die ganze Zeit von 1 Matrikel des Grazer Jesuitengymnasiums, Handschrift in der Grazer Universitätsbibliothek, S. 205: 1708 Parvistae .. . R. (späterer Zusatz) Antonius Popovich; S. 218: 1717 Princi-pistae: Joannes Popovich, Civis, Styrus Cillejensis. 2 Anspielung auf die um 1726 öfter erschienene satirische Schrift: „Leben und Thaten des berüchtigten Doctor Herkommannus auch Observantius genannt.“ 13 Jahren, in welcher ich alle Schulen durchwandert habe, sogar der Name historia naturalis nicht zu Ohren, gekommen. Ich hätte unter dem Vorsitze meiner Lehrer können Magister liberalium artium et philosophiae, wie auch Dr. theologiae werden, ohne zu wissen, daß es Einleitungen gebe, nach welchen man die Kräuter, Bäume, Tiere, Erden, Gesteine, Metalle erkennen könne. Ich habe den Namen Botanik“, klagt er an einer andern Stelle (384 Anm.), „nachdem ich lange vorher alle Schulen meiner Universität durchstudiert hatte, erst im 30. Jahre meines Alters von einem Apotheker gelernt.“1 Popowitsch war daher zur Ausbildung auf sich angewiesen und bezeichnet sich wiederholt als Autodidakt. Um so erstaunlicher sind darum seine Leistungen. Als Popowitsch 1728 die Jesuitenschülen verließ, hatte er die Sammlung für deutsche Sprachforschung schon begonnen, die Griechen und Römer nicht nur gelesen, sondern auch zu historisch-antiquarischen Untersuchungen exzerpiert und ein Herbarium angelegt, das als Frucht der Durchforschung des Bacherngebirges während der Ferien 2000 Spezies aufwies (K). So ausgerüstet, entschloß sich der 23jährige Popo witsch, ob knapp seine Mittel auch waren, eine Bildungsreise zur Vervollständigung seines Wissens zu unternehmen. In drei Jahren durchwanderte er zu Fuß die südösterreichischen Länder und ganz Italien nebst Sizilien und Malta, er besuchte die entlegensten Orte von den sumpfigen Niederungen bis zu den Höhen des Apennin, den Vesuv und den Ätna, keinen jedoch, ohne zuvor alles gelesen zu haben, was darüber geschrieben worden war. Gelegentliche Äußerungen in seiner Besprechung von Roschmanns „Veldi-dena“ und in den „Untersuchungen vom Meere“ verbreiten hinreichend Licht über diese Wanderjahre; dagegen sind unsere Nachrichten über Popowitsch für die nächsten 13 Jahre recht spärlich. Wir wissen nur, daß er um 1731/32 die Stelle eines Hofmeisters in einer adeligen Familie angenommen hatte, die ein Schloß im Pettauer Feld besaß, daß er mit dieser das erstemal nach Wien kam und daß er sie nach ein paar Jahren in Unfrieden verließ. Er eilte nun nach Hause, erkrankte 1735 schwer und irrte nach seiner Genesung-ziellos in Untersteiermark umher (273). Dabei erforschte er den Wotsch (122) und trieb historisch-genealogische Studien im Stifte Studeniz (250); zuletzt entschloß er sich zur Rückkehr nach Wien, wo ihm ein botanisches Gespräch freie Wohnung beim Arzt Joh. G. Heinr. Kramer verschaffte (S. c. 4). Damals eröffnete sich ihm die Aussicht, in Konstantinopel das Türkische „zum Dienst des Wienerischen Hofes zu lernen“. Allein „die Neigung eines österreichischen Kavaliers, eines der Verständigsten, die ich näher kennen zu lernen die Ehre gehabt, und sein Verlangen, mich als Hofmeister bei einem jungen Herrn zu 1 Noch bitterer äußert er sich V. 55 darüber, daß er in seiner Studienzeit „mit der aristotelischen Quacksalberei, durch deren Beihilfe die besten Lehrer derselben die Geburt einer Laus nicht erklären können, beinahe drei Jahre versäumt habe . . . Es eckelt mir, wenn ich an einige Dinge zurückdenke, die mir als Wissenschaft und Weltweisheit eingebläuet wurden ... Man lehrte mich ž. E., daß die Sonne, welche den Erdboden nicht gar weit in die Tiefe erwärmet, das Gold auskoche, merke wohl in den Bergwerken ... in visceribus terrae!“ usw. sehen, dessen Vormund er war, hintertrieb die Vollziehung dieser Reise“ (XXIII ff.). Popowitsch entschied sich für den Hofmeisterposten, weil er die Zusage hatte, daß ihm später die Mittel zur Herausgabe einer botanischen Beschreibung der Flora des niederösterreichischen Schneebergs und der angrenzenden steirischen Gebirgszüge von der Prein bis zum Wechsel gewährt werden sollten. Leider vereitelte der vorzeitige Tod seines Gönners die Erfüllung des Versprechens und Popowitsch hatte diesen Unglücksfall um so mehr zu beklagen, als er inzwischen zwei neu eingelaufene Anträge abgelehnt hatte, die ihm eine ungestörte Gelehrtenarbeit gewährt hätten. Der eine besonders verlockende kam vom Grafen Franz Josef von Sauer, Herrn von Ankenstein, der „als ein seltenes Beispiel in das Register der Steyermärkischen Gelehrten“ gehörte und mit seiner jungen Gemahlin, „die in Büchern wie ihr Herr den angenehmsten Zeitvertreib fand“, auf seinem Schlosse lebte. Graf Sauer wünschte nun, die windische Sprache zum Nutzen seiner Untertanen, weil sie alle Wenden sind, zu erlernen, und „mir wurde das hochschätzbare Glück zuerkannt, daß ich beide als windischer Sprachmeister unterweisen sollte. Ich bedauere noch izt, daß mir das Einladungsschreiben nicht zu Händen gekommen, als ich im Viertel Zilli, in meinem eigenen Vaterlande, gleichsam als ein Vertriebener herumwanderte“, . . . „weil diese Bedienung nur zwei Stunden des Tages und dieselben zu einem angenehmen Geschäfte, mir abgenommen, die übrige Zeit aber frei gelassen hätte, so würde mein so entworfener Ankensteinischer Aufenthalt den Liebhabern der Pflanzen eine Floram agri Poetoviensis geliefert haben, welche in Betrachtung der Seltenheit der Gewächse, nach der österreichischen eine der schönsten des allda geendigten teutschen Bodens gewesen wäre. Allein besagter Brief ward mir erst in Wien zugestellt, dahin ich mich mit einer grossen Last Bücher, die ich überall hin mitführe, wie die Schnecke ihr Haus herumträgt, angekommen war. Die Beschwerlichkeit einer so weiten Zurückreise, der schmerzliche Notzwang, meine Bücher dem Wienerischen Zolle das drittemal zu unterwerfen und endlich die beständige Gelegenheit, mir das alte Andenken einer verhaßten Nachbarschaft zu verneuern, so oft ich zum Fenster hinaussehen würde, meine Augen an der vortrefflichen Pettauischen Gegend zu weiden“ (S. 272 ff.), bestimmten Popowitsch, auf diesen Vorschlag mit verbindlichem Danke zu verzichten. Eine zweite Einladung zur Rückkehr nach Steiermark erreichte Popowitsch zu Wien ums Jahr 1744. Sie kam vom Dechant am Weizberg und Erzpriester des Neustädtischen geistlichen Gerichts Dr. theol. Franz Leopold Riedlegger, der den Gelehrten „ohne Aufbürdung einiger Last“ auf beliebig lange Zeit zu Gaste lud (S. 313 Anm.). Sie wurde ebenfalls wegen der Schwierigkeiten ausgeschlagen, die sich bei der Fortschaffung der Bibliothek ergeben hätten, aber auch aus dem Grunde abgelehnt, weil Popowitsch inzwischen einen Ruf an die von Abt Alexander Fixlmillner zu Kremsmünster gegründete adelige Akademie bekommen hatte, Vorlesungen über Geschichte zu halten, bis ein Stiftsgeistlicher sich dazu herangebildet hätte. Zweifellos bestimmte seinen Entschluß die Hoffnung, die schöne Stiftsbibliothek für wissenschaftliche Zwecke frei benutzen und seine botanischen Neigungen befriedigen zu können; doch blieb die Enttäuschung leider nicht aus. Popowitsch war keine schmiegsame Natur, er sagte seine Meinung frei heraus und war in Beobachtung der Formen nicht peinlich. Wenn man seinen handschriftlichen Zusatz zur Erklärung des Ausdruckes Leiten auf S. LXXII liest: „In der Fuchsleiten (bei Kremsmünster) werden zum Nachteil der umliegenden Bauern und wider die Holzordnung Füchse gehäget, damit die Ordensbrüder und die studierende Jugend einmal im Jahre Zusehen können, wie im Hofe der Abtei gedachte Tiere auf eine erbärmliche Art mit Hunden zu Tode, gehetzt werden. Das ist eine feine Lehre für die jungen Herren dadurch sie zu Grausamkeit wider die Tiere eingeführt werden,“ und wenn man weiß, daß er mit dem Stiftsbibliothekar wegen Benutzung der Bibliothek im Streite war (393 Anm.), so begreift man, daß im Stifte schon 1745 an die Entlassung des „groben Popowitsch“ gedacht wurde.1 Dieser mußte in der Tat damals seine Geschichtsvorlesungen an einen Stiftsgeistlichen abgeben, lehrte indessen noch Italienisch und Französisch, bis es Anfang 1746 endgültig zum Bruche kam und Popowitsch als Vierzigjähriger zum Entschlüsse kam, Österreich zu verlassen und als Privatgelehrter in der Fremde sein Glück zu versuchen. „Mein abgedrungener Aufbruch aus den Erbländern meiner allergnädigsten Frau“, berichtet er S. 384, „ward auf den Frühling des Jahres 1746 fest gesezt. Meine Bücher waren zu einer fernen Reise bereits eingepackt. Meine Freunde rieten mir aber, wegen der üblen Straßen, welche die Auf-tauung zu derselben Zeit grundlos machte, noch einen Monat zu verziehen. Die Lastwägen, welche meine Bücher führen würden, könnten sonst unterwegs stecken bleiben.“ Popowitsch folgte diesem Rate und begann, um das Auspacken der botanischen Bücher zu ersparen, zur Ausfüllung seiner Muße mit der Beschreibung von Schwämmen, die in Kremsmünster gleich nach dem Schnee in großer Menge hervorbrachen. Da die Vergänglichkeit dieser Gebilde ein genaues Festhalten ihrer Formen und Farben erschwerte, so behalf sich Popowitsch mit Umrißzeichnungen und einem Musterbuch von Farben. „Ich sammelte seidene, wüllene, tüchene Fleckchen von so vielen Farben ich sie auf bringen konnte, auch Stücke von Leder und gearbeiteten Fellen. Diese teilte ich nach den Verwandtschaften und Gattungen der Farben ab. Die Lücken füllte ich durch gemalte eingeschaltete Felder aus, die ich mit Muschelfarben auf Papier vorstellte. Die Namen setzte ich in lateinischer Sprache darzu. . . Diese Farbenschule nahm ich allemal mit, wenn ich auf Schwämme ausging und bezog mich bei der Andeutung der Farben auf die darinnen enthaltenen Muster. Weil aber je über 8 oder 14 Tage neue Schwämme hervorkamen, die ich nicht wollte in Österreich * S. 1 Gefällige Auskunft des hochw. Herrn Prof. Dr. Pankraz Stollenmayer in Kremsmünster. Popowitsch rächte sich später an dem Rèktor der Ritterakademie P. Nonnos Stadler dadurch, daß er eine Schwammart nach ihm Nonosus benannte. Über diesen Schwamm bemerkt er S. 380 der „Untersuchungen vom Meere“ : „Manche stinken unerträglich, wie der Nonosus, welchen Schwamm ich nur zu Kremsmünster angetroffen habe.“ unbeschrieben zurücklassen, so wurden aus einem Monat meines verschobenen Aufenthaltes zwei, drei und noch mehrere . . . und so habe ich ein ganzes Jahr mit der Untersuchung dieser Gewächse mit vielen Beschwerlichkeiten zugebracht. Ich mußte auf meine Kosten leben, die Herren des Ortes gaben mir keinen Bissen Brots zur Erleichterung meines Unterhaltes . . . Sie lachten mich noch aus, daß ich ein Schwammsammler wäre ... Ich hatte die Wohnung von übelgesitteten Leuten. Mein Zimmer war eine halbunterirdische Höhle, in welche Laubfrösche, Kröten und Nattern durch die zerbrochenen Fensterscheiben zu mir krochen . . . Auf den Brettern des Fußbodens wuchs eine seltene Art des Agarici, welche vielleicht noch nicht beschrieben ist“ (S. 382 ff.). Die Wißbegierde des Naturforschers siegte indessen über all dies Ungemach und bewog sogar Popowitsch zum Ausharren in seinem feućhten Zimmer, weil ihm dieses Gelegenheit zur Beobachtung mannigfacher Schimmelpilze darbot. Zwischenhinein beschäftigten ihn antiquarische Untersuchungen und führte ihn ein Ausflug nach Lambach und Wels zur Besichtigung eines Römersteines und der Reste des alten Ovilava (V. 13). Anfang 1747 verließ Popowitsch Österreich. Die Reise führte ihn zunächst nach Regensburg, von wo er seinen „Weg gerade nach Leipzig nehmen wollte, allein die Begierde zu erforschen, was für Gewächse dieser Strich von Bayern herfürbringe- und wie weit dieser Boden von dem österreichischen unterschieden sei, ferner die Freundschaft einiger hiesiger Gelehrten, deren werten Umgang mir die Neigung zu gleichen Studien bald zuwegen brachte, dies sind die Bande gewesen, welche mich bis izt an diesem Orte angehalten haben“, meldet er in seinem Schreiben vom 25. Oktober 1749 an einige vornehme Gelehrte in Leipzig. Über den Kreis dieser Regensburger Freunde verbreitete er sich im Vorbericht zu seinen „Untersuchungen vom Meere“; er nennt zwei Herren Harrer, von welchen ihn der eine durch seine Hausbibliothek, der zweite als Vorstand der Ratsbibliothek opferwillig unterstützt hatte, vier Brüder aus dem Geschlecht Plato genannt Wild, den Arzt Dr. Dieterichs, die Mönche vom Schottenkloster und namentlich den Stadtsyndikus Georg Theodor Gmeiner, der ihm die Drucklegung der „Untersuchungen“ ermöglicht hatte. Seine Laufbahn als Schriftsteller begann Popowitsch mit Abhandlungen in den „Regensburger wöchentlichen gelehrten Nachrichten“. Aufsehen erregten seine im 10. Stück des Jahrgangs 1749 niedergelegten Ausführungen über die Schrift „Veldidena urbs antiquissima“ des Innsbrucker Universitätsbibliothekars Rosch-mann. Es fehlte nicht an Vermutungen über den ungenannten Verfasser und Roschmann erklärte sich bereit, das nötige Papier beizustellen, um das Erscheinen der versprochenen, aber noch ausständigen Anmerkungen zu beschleunigen. Auf dieses Anerbieten kommt Popowitsch an zwei Stellen seiner „Untersuchungen“ (S. 23 Anm., 336 Anm. g) zurück und lüftet zugleich ein wenig das Dunkel, das über seiner Person schwebte. Er sei, schreibt er, weder ein gebürtiger Augsburger noch evangelisch und Geistlicher. „Ich bekenne mich zu der Religion, die in des Herrn Roschmanns Vaterlande blühet, ich bin weltlichen Standes wie er, wir beide sind Untertanen einer allergnädigsten Frau“, nur habe jener die Ehre einer ansehnlichen Stellung, während er, Popowitsch, bei all seinen Gesuchen bisher leer durchgefallen sei. Die „Untersuchungen vom Meere“, welche 1749 schon gedruckt waren, jedoch erst im folgenden Jahre 1750 ohne Nennung des Verfassers und Verlegers zu Frankfurt und Leipzig erschienen, machten nun Popowitsch über Nacht zu einem bekannten Gelehrten. Alle literarischen Zeitungen Deutschlands jener Zeit, das „Journal étranger“ in Paris, die „Novelle letterarie di Venezia“ und andere mehr, mochten sie immerhin gewisse Vorbehalte machen, erkannten den Wert dieses Werkes an, das man auch noch heute mit reichen Anregungen durchnehmen wird, falls man sich über die verunglückte Form hinauszusetzen vermag. Der Inhalt selbst mutet vielfach unveraltet an, denn man vernimmt einen Mann von großem Wissen, der seinen Zeitgenossen auf vielerlei Gebieten weit voraus war und neue Gedanken mit Freimut verkündete, die zum Teil erst im 19. und 20. Jahrhundert von der Wissenschaft als berechtigt anerkannt worden sind. Seine 1749 zu Regensburg vollendeten „Untersuchungen“ verbinden sich äußerlich mit einer von Christ. Gotti. Schwarz zu Altdorf kurz vorher erschienenen Abhandlung, als deren Erläuterung und Begründung sie sich geben. Nach einem Vorbericht auf 7 unbezeichneten Blättern kommt als Erster Teil ein Inhaltsauszug aus der Schwarzischen Schrift mit 6 längeren Anmerkungen im Anhang, dann als Zweiter Teil eine „Besondere Abhandlung vom Meere, dardurch einige in der Schrift De columnis Herculis im 6. Abschnitte stehende Berichte, so in die Geschichte des Meeres einschlagen, in vier Absätzen untersucht“ und erläutert werden. Diesem Zwischentitel folgt mit neuer Seitenzählung (S. I—LXXII) eine mit den Anfangsbuchstaben J. S.V. P. Unterzeichnete Widmung dieses Teiles an die Kosmographische Gesellschaft in Nürnberg. Sie beginnt mit einer archäologischen Abhandlung über Römerorte und Römerstraßen in Norikum und Pannonien und endet mit Vorschlägen für ein „Topographisches Glossarium“j in welchen eine Anzahl geographischer Ausdrücke auf ihre etymologische Bedeutung geprüft wird. Es schließt daran mit Fortsetzung der Seitenzählung in arabischen Ziffern (S. 43 ff.) der Abhandlung vom Meere erste Untersuchung, ob es für eine Fabel zu halten sei, daß Spanien in den ältesten Zeiten an Afrika angehangen habe, dann die zweite, „warum ein Schiff mit gleich starkem Winde von einer gegen Morgen gelegenen Küste des Mittelländischen Meeres z. E. aus Palästina eher nach Spanien gelange als umgekehrt“, als Nachträge dazu die Feststellung des Wortes „Warte“, einige Zeugnisse für früher erwähnte Überschwemmungen der Nordsee und die Erklärung einiger meist plattdeutscher Wörter, „die Sich in diesen Zeugnissen finden“. Die dritte Untersuchung betrifft die Frage, „warum der Einfluß des Atlantischen Ozeans in das Mittelländische Meer zweimal stärker sei als der Ausfluß“ aus diesem, mit vier Beilagen, von welchen zwei die Entstehung des süßen Wassers und die Wirbel zur See und in der Donau behandeln, die dritte aber mit einer Spitze gegen Gottsched die „Beurteilung einer künftigen Welt ohne Berge. Erörterung der Frage, ob eine so beschaffene Welt von vergnügten Menschen könne bewohnt werden“, liefert. Die vierte Untersuchung, mit welcher der Verfasser seine Betrachtungen über die Eigenschaften des Meeres abschließt, betrifft das Schwarze Meer und hat als Zugaben die etymologische Erklärung des italienischen Wortes Faro, mehrere Zeugnisse über Spuren der Trajansbrücke an der unteren Donau, über die gefährlichen Stellen bei Tachtali und Demir-Kapu (Eisernes Tor) und einè ausführliche „Erinnerung an Studeniz“ auf S. 250—274. Hat schon die Inhaltsangabe des Werkes bisher dargetan, daß Popowitsch in seinen „Untersuchungen vom Meere“ von allen möglichen Dingen und noch manch anderem gehandelt hat, so sprengt in dem folgenden dritten Teil (S. 275—432) der Inhalt vollends die Form. Man sieht deutlich, welch großes Wissen Popowitsch durch Selbststudium aufgehäuft hatte und wie es ihn drängt, die eigenen Gedanken darüber bei erstbester Gelegenheit auszusprechen. Diese „Nachlese von etlichen Zusätzen, die sich bei Verfertigung des Registers gesammelt haben, dadurch etliche Stellen der vorhergehenden zwei Teile ergänzet, andere erläutert oder verbessert werden“, besteht aus 28 lose aneinander gereihten Abschnitten von sehr ungleicher Beschaffenheit und Länge. Einzelne sind Bemerkungen,:! die kaum eine halbe Druckseite füllen, andere Abhandlungen von vielen Seiten. Ungefähr die Hälfte dieser Zusätze der Zahl, aber höchstens ein Fünftel dem Umfang nach, entfällt auf Fragen, welche der Titel des Werkes deckt, die übrigen betreffen Erdkunde, Naturgeschichte, namentlich Botanik, Sprachwissenschaft usw. Es folgen schließlich ohne Seitenzählung noch ein langes Schreiben an „einige vornehme Gelehrten in Leipzig“ und ein ausführliches Register. In dem erwähnten Schreiben, das von Regensburg aus unter dem 25. Oktober 1749 an den Rechtshistoriker Maskov, den Senator Menke, den Mediziner Joh. Ernst Hebenstreit und an die Leipziger Professoren Joh. Erhard Kappe und Joh. Friedrich Christ abging, erzählt Popowitsch, daß es ihn nach Leipzig ziehe, „nicht um allda zu lehren, sondern damit ich mir den Umgang so wackerer und geschickter Männer zu Nutzen machen könne“. Anknüpfend an ein flüchtiges Zusammentreffen mit Gottsched, den er zu Regensburg auf seiner Durchreise sprach, bedauert Popowitsch, nicht rechtzeitig erfahren zu haben, daß Gottsched unter anderem auch aus dem Grunde nach Wien gereist sei, „um von der Slavonischen Sprache einen Begriff allda zu überkommen“. Er hätte bei etwas längerer Unterhaltung als „geborener Wende dem Herrn Professor die Beziehungen des Wendischen zu orientalischen Sprachen, zum Griechischen, Lateinischen und Altteutschen andeuten und den Hauptunterschied anzeigen können, welcher zwischen dem Slavonischen und dem Wendischen ist. Jenes ziehet sich fast mehr auf die Griechische Sprache, dieses auf die Angelsächsische Mundart. Die Sprache meiner Landsleute, der Zillerischen Winden,“ fährt er fort, „überzeuget mich augenscheinlich, daß der Sitz unserer Voreltern an der Ostsee gewesen, davon doch die Nachkommen izt durch eine so große dazwischen liegende Strecke von Teutschland abgesondert sind. Denn wir haben überaus viele Wörter in unserer Mundart, welche in der Sprache derjenigen Teutschen, die mit uns in einerlei Gegend leben oder unsere Nachbarn sind, sich gar nicht finden, allein die unter einerlei Laute und Bedeutung im Dänischen, Schwedischen, Englischen, wie auch in dem Holländischen angetroffen werden.“ Nach Anführung von Beispielen, um zu zeigen^ daß slawische Sprachen „nicht allein zu etymologischen Untersuchungen Anlaß geben, sondern auch zur Erläuterung des Teutschen und anderer Europäischen Sprachen nicht ohne Vorteil zu gebrauchen sind“, erbietet sich Popowitsch, die oftmals unrichtigen Herleitungen im Wachterischen Glossarium „durch Beihilfe der Wendischen Sprache, wie auch aus derjenigen Teutschen Mundart, die einigen Gelehrten eines besondern Geschmacks überaus lächerlich, scheinet“, an vielen Stellen zu bessern, ja um die Hälfte zu vermehren (Seiten b, c). Damit ist Popowitsch bei einem in seinen „Untersuchungen vom Meere“ wiederholt ausgesprochenen Lieblingsgedanken angelangt: das ist bei der Auswertung der oberdeutschen Mundarten, wie sie in Steiermark, Österreich, Bayern usw. gesprochen werden, für das Hochdeutsche. Das könnte dadurch den Schlüssel zur etymologischen Erklärung mancher Ausdrücke und eine Bereicherung des Sprachschatzes gewinnen und dann so manches Fremdwort als überflüssig ausscheiden. Popowitsch verließ Regensburg Ende 1749 und nahm dann kürzeren Aufenthalt in Nürnberg. Hieher führten ihn alte Beziehungen zur Kosmo-graphischen Gesellschaft, deren Mitglied er war, und hier wurde ihm durch die Hochherzigkeit der Besitzer die ungehinderte Benutzung bedeutender Hausbibliotheken ermöglicht, unter welchen er jene des Prodirektors der genannten Gesellschaft und die an naturwissenschaftlichen Werken reiche des Arztes Hofrat Treu besonders hervorhebt. Im Laufe des Jahres 1750 kam er endlich in Leipzig an, wo er bestens aüfgenommen wurde; bei Professor Kappe fänd er freie Wohnung und Tisch, im Hause des Hofrats Menke schrieb er Besprechungen für die Acta Eruditorum, mit Geliert verbrachte er Tage und Nächte in Unterredungen über die deutsche Sprache. Mehrere Hefte mit Aufzeichnungen haben sich erhalten und Berufungen auf Geliert finden sich auch als eigenhändige Nachträge im Handexemplar der „Untersuchungen“, das nun die Nationalbibliothek zu Wien verwahrt. Zwischenhinein kamen Ausflüge nach Halle, Jena und die nächsten Umgebungen, teils zur Erholung, teils zu wissenschaftlichen Zwecken; eine Einladung zum Besuch der Karpathen, die ihm 1751 zukam und reiche botanische Ausbeute verhieß, : mußte leider, wie die Acta Eruditorum melden, unterbleiben, weil die angebötenen Reisemittel nicht zureichten. So verlebte Popowitsch in anregender Umgebung an drei Jahre zu Leipzig, nutzte aber auch die Zeit, um Beziehungen mit auswärtigen Gelehrten zu pflegen und mächtige Gönner sich zu sichern. Einen beiläufigen Überblick bietet uns eine eigenhändige Aufzeichnung aus dieser Zeit mit den Namen derjenigen, an welche Popowitsch seine im Selbstverlag erschienenen ^„Untersuchungen vom Meere“ sei es als Geschenk, sei es zum Vertrieb senden wollte. Wir entnehmen daraus,1 daß er ein Widmungsexemplar mit Begleitschreiben seiner hochverehrten Kaiserin Maria Theresia, ein zweites ihrem Minister Graf Ulefeld vorzulegen gedachte, daß er Beziehungen zu van Swieten, Reichsgraf Seckendorf, dem Bischof von Gurk, Graf Thun, zum Stift Studeniz suchte;, nebstdem aber auch den Staatsrechtslehrer von Ickstadt, den Heidelberger Kanonisten Dr. Hut, Gottsched, die Grafen von Schrottenbach und Sauer und andere mehr auf seine Liste setzte. Den Antrag, als Sekretär bei dem kaiserlichen Gesandten zu Venedig einzutreten, lehnte er aus Bedenken gegen die Wasserverhältnisse ab. Dann aber kamen im Jahre 1753 zugleich zwei Einladungen, die ernstere Erwägung erheischten: die eine aus München bot ihm die Schriftleitung der „Auserlesenen historischen alten und neuen Nachrichten von bayerischen Staatsmerkwürdigkeiten“ an, wurde aber abgelehnt; die andere, ein Ruf nach Wien, den Erzbischof Trautson vermittelt hatte, wurde mit Freuden angenommen. III. . In Wien hatte Popowitsch sein Lehramt an der Universität unter sehr schwierigen Verhältnissen angetreten. Die Errichtung einer Lehrkanzel für deutsche Sprache oder für deutsche Beredsamkeit, wie es damals hieß, hatte Gottsched hier im Jahre 1749 durchgesetzt und sie einem seiner Anhänger, dem Kameralisten Justi, zu verschaffen gewußt. Es mußte Popowitsch gewiß zu hoher persönlicher Befriedigung geréichen, daß man beim Abgang Justis nicht abermals einen „Herrn Gottscheder“, sondern ihn berief, der auf das dringende Bedürfnis eines Lehrstuhls für deutsche Sprache in Österreich schon seit Jahren aufmerksam gemacht hatte und ebenso für eine größere Berücksichtigung des Oberdeutschen neben dem Sächsischen mit Schrift und Wort eingetreten war. Freilich mußten auch Hindernisse überwunden werden, die man sich heute schwer vorstellen kann. Im Vorbericht zu seinen „Untersuchungen vom Meere“ erwähnt Popowitsch, daß er aus Ländern komme, „deren Lehrer selbst nicht wissen, Teutsch zu schreiben, in deren Schulen von der Verbesserung der Landsprache und der Ausübung einer zierlicheren Teutschen Redart mit keinem Worte gedacht wird“. Mache man die Jesuiten auf den Mangel dieses Unterrichts an ihren Gymnasien aufmerksam, so erhalte man die Antwort, „ihre Pflicht wäre, die lateinische Sprache zu lehren, wer 1 Dies Verzeichnis in Handschrift 12.784 der Wiener Nationalbibliothek auf dem ersten vollen Einstoßblatt enthält mehrere gestrichene (im Abdruck durch * * bezeichnete) Namen: Seckendorf Schr(eiben);' Swieten; Prälat Schott; Kaiserin, Schr(eiben); Bendel; Drumel(?); Fembo; *Studeniz; *Schrottenbach; Grimm 2; Rudolphus Frater; Bischof Thun; Richter Lie.; Drager; *Thun; Silber; Mayrn Gesandter; Ickstadt; Kapp 6; Dr. Huth; Critico 1; Schwabe 2; *Sauer; Gottsched 1; Roseng. Gesellschaft; *P. Gregorio 6; Vilesi primo 1, den 18. Jänner 3; *P. Priori 6; Ulefeld 1; Lect. minori; Augspurg Mayr und C.onsorten 1 ; Ortenb. 11; Schultheiß 1; Pamersperger 1 ; *Pistoring; Rudolph Schrottenbach; und *Sigmund 1 ; Den 30.Dec.P. Gregorio 16, solvit 2, manet 14; Den 31. Dec. 4; *manent 11 Wien; *München solutum; Monath primo 6, deinde iterum 6; Den 16. Febr. Döhr 6; Deinde 8 vel vide epistolam; B. Zehmen Lipsiae; Thierheim L. Hallensibus XII. Auf einem vorgeklebten Zettel stehen: *Fontané; Prälat Groß, Hradischt; *Brünn. nicht Teutsch verstünde, der soll sich von einem Teutsehen Schulmeister unterrichten lassen“ (dazu U. 310). Es fehlte fernen an einer für die Bedürfnisse der kaiserlichen Erblande eingerichteten deutschen Sprachlehre. Popowitsch selbst hatte sich seine Kenntnisse während seiner Studienzeit nur durch Lesen verbotener deutscher Werke verschafft und bekennt (U. 403), daß er „kein ganzes Jahr auf die Erlernung der Hochdeutschen Sprache verwandt habe“. Demungeachtet hatte er sich schon ums Jahr 1740 mit dem Gedanken getragen* einen Unterricht zu schreiben, „wie die Steyermärker und Österreicher die gröbsten Provinzialfehler in Hochteutschen Schriften vermeiden sollen“ (314, 404), er wurde jedoch durch Abmahnungen Gottscheds an der Vollendung gehindert, der von diesem Plane durch einen gemeinsamen Gönner beider erfahren hatte (U. 312). Diese Vorarbeiten und den seither gesammelten Stoff benutzte nun Popowitsch, um der bei seiner Berufung übernommenen Verpflichtung nachzukommen, welche von ihm die Ausarbeitung einer deutschen Sprachlehre für den Bedarf der österreichischen Schulen forderte. Die Sache selbst wurde ihm jedoch nicht leicht gemacht. Obwohl Popowitsch in der Erfüllung seiner Amtspflichten peinlich genau war und seine im Oktober 1753 sowohl an der Universität als an der Theresianischen Ritterakademie aufgenommenen Vorlesungen großen äußeren Erfolg hatten, so waren die Anhänger Gottscheds (darunter die vielen Informatoren, .welche der Meister seit Jahren in den ersten Familien Österreichs untergebracht hatte) sofort am Werk, ihm Verdruß zu bereiten. Da Popo witsch mit vielen Protestanten im freundschaftlichen Verkehr gestanden hatte und zur Bestätigung einzelner Sprachregeln die Bibelübersetzung Luthers anzuführen unbefangen genug war, so benutzte man dies, um seine kirchliche Gesinnung zu verdächtigen. Man verübelte ihm die scharfen Äußerungen gegen die Jesuiten ebenso wie den Vorwurf, den er in Unmut gegen ein bekanntes Benediktinerkloster erhoben hatte, es überlasse seine Bibliothek „lieber den Motten, welche bereits einen guten Teil zu schänden gefressen haben“, als Leuten, die daraus etwas zu lernen verlangen usw. Durch diese und ähnliche Wühlereien brachte man es dahin, daß die Zensurbehörde einschritt und das Hauptwerk unterblieb, welches Popowitsch über die deutsche Sprache schreiben wollte. Erschienen sind nur 1754 unter gleichem Titel „Die noth wendigsten Anfangsgründe der Teutsehen Sprachkunst zum Gebrauche der Österreichischen Schulen“ zwei Werke von sehr verschiedenem Umfang. Das größere, das, die Vorrede von 48 Seiten ungerechnet, 496 Seiten 8° umfaßt, bezeichnet sich als „auf allerhöchsten Befehl herausgegeben von Jph. Siegm. Popowitsch, k. k. öffentlichen Lehrer der Teutsehen Beredtsamkeit auf der Wienerischen hohen Schule wie auch Herzoglichen in der Savoyisch-Liechtensteinischen Akademie“, das andere mit 4 Seiten Vorrede und 148 Seiten Text, gleichfalls Taschenformat, läßt den Satz „auf allerhöchsten Befehl“ und die Lehrerschaft am Theresianum weg und ersetzt ihn durch die Worte „und der Herzoglichen Teutsehen Gesellschaft zu Helmstädt Mitgliede“. Über die Veranlassung zu dieser sonderbaren Doppelausgabe wird erzählt, daß die Gegner den kaiserlichen Auftrag zum Vorwand nahmen, um zu erwirken, daß Popowitsch die Ausgabe der Sprachlehre bogenweise veranstalte, um eine raschere Verbreitung dieses notwendigen Buches in der Bevölkerung zu erleichtern. Die ersten Bogen der umfangreicheren Ausgabe, vorerst ohne Titel und Vorwort erschienen, gingen bei den bürgerlichen Buchbindern Gebrüder Grundt, welchen Popowitsch den Vertrieb seiner im Selbstverläge hergestellten „Anfangsgründe“ übertragen hatte, reißend ab. Selbst Leute, welche zur. Hefe des Volkes gehörten, nahmen gleich zehn bis zwölf Exemplare auf einmal ab, nach dem zehnten Bogen blieben jedoch die Käufer mit einem Male weg und nun ergossen sich Flugschriften über Flugschriften voll des gemeinsten Spottes über das titellose Werk.1 Obwohl diese Angriffe vielfach mißbilligt wurden und die „Göttingischen gel. Anzeigen“ beispielsweise schon am 6. Juni 1754 erklärt hatten, sie „ob ihrer unanständigen Schreibart“ nicht ferner erwähnen zu wollen, so fanden diese Schmähschriften andererseits vielen Beifall. Gottsched selbst besprach sie nicht bloß rühmend, sondern rückte sogar ein Machwerk, das neben Popowitsch auch Klopstock bübisch verunglimpfte, in sein „Neuestes aus der anmutigen Gelehrsamkeit“ vollinhaltlich ein. Einen Angriffspunkt bildete vor allem der von Popowitsch schon in seinen „Untersuchungen vom Meer“ (S. XVIII ff.) ausgesprochene und begründete Satz, daß das unvollständige lateinische Alphabet, auf welchem das deutsche beruhe, nicht zur Wiedergabe mancher im Volksmunde oder in anderer Sprache vorkommender Laute-ausreiche. Allein, da man sich „einmal in den Kopf gesetzt, von der Zahl der lateinischen Buchstaben nicht abzuweichen, so hat dieser lächerliche Zwang mit der Notdurft, die neue Buchstaben erforderte, die säubern Mißgeburten des ch, deš sch, des tsch in der deutschen Schreibart ausgeheckt; ferner das c, nachdem die eigentümliche Aussprache dieses Buchstaben vermißt worden, wie zu einem Pamphil oder Wenzel im Trischackspiele gemacht, das ist, man hat diesem Zeichen, welches das eigentliche k der Lateiner vorstellen und diesen Dienst in Gesellschaft aller Buchstaben vertreten sollte, beinahe in einer jeden neueren europäischen Sprache das Vermögen einen andern Laut auszudrücken, und vor oder nach anderen Buchstaben auch besagte Gewalt von neuem zu verändern eingeräumt!“ Popowitsch beschränkte sich in seiner für Schulzwecke geschriebenen Sprachlehre darauf, das ch, sch, tsch als eigene Mitlaute anzuführen, und ließ sich, wie unbefangene Gegner seiner Ansicht selbst Zugaben, „nicht ein Wort davon entfahren, diese Buchstaben mit neuen Zeichen“ zu versehen. Die in den „Göttinger gelehrten Anzeigen“ vom Jahre 1754 auf Seite 351, 467, 588 von verschiedenen Kritikern nieder- 1 Ein solches Erzeugnis ist beispielsweise das schon am 6. April 1754 in den „Göttinger gelehrten Anzeigen“ (S. 351) namhaft gemachte „Sendschreiben an Herrn Jacob Imanuel Wächtlern über einige neue Entdeckungen in der nötigen Verbesserung und. Erneuerung der deutschen Sprache von J. G. Glasern (Grimm in Regensburg?), das für das noch ungetaufte Werk den Titel vorschlug : Popowitschische Teutsche Sprachkunst, das ist Wurmsamen eines Crainers für seines gleichen, welche der Wurm einer Crainerisch- oder Gotseheberisch-Teutschen Sprache sticht“. Ein Sendschreiben ähnlichen Inhaltes veröffentlichte der Schauspieler Weiskern (Verfasser der bekannten Topographie von Niederösterreich) unter dem Decknamen Philipp Zesen, und ihm folgten noch andere. gelegten Besprechungen rühmen im übrigen übereinstimmend den Wert der Popowitschischen Sprachlehre, welche vor allem den unnötigen Gebrauch von Fremdwörtern oder ganz veralteten Ausdrücken, wie auch schlechter Neubildungen und unverständlicher Perioden tadle und besser „als irgend eine andere uns bekannte deutsche Sprachkunst“ geeignet sei, die eigentümlichen Fehler der österreichischen Mundart anzuzeigen und zu verbessern. „Seinem vollständigeren Werk von der deutschen Sprache sehen wir nach Durchlesung dieser Anfangsgründe noch begieriger als vorhin entgegen. Es verlautet aber,“ heißt es in einer Zuschrift vom 6. Juni, „daß dieses zu Wien in der Zensur Anstoß gefunden habe, weil darinnen bisweilen zur Bestätigung der Sprach-regeln die Lutherische Bibelübersetzung angeführt war.“ Durch die geschilderten Umstände erklärt sich, wieso Popowitsch dazu gekommen ist, zwei so verschiedene Ausgaben seiner „Anfangsgründe der Teutschen Sprachkunst“ im gleichen Jahre unter gleichem Titel zu veröffentlichen. Er begann mit der größeren Ausgabe, entschloß sich aber, als die Stockung nach dem zehnten Bogen eintrat, vorerst einen gekürzten Abriß zu vollenden und diesen, der den Titel „Die notwendigsten Anfangsgründe der Teutschen Sprachkunst“ bekam, sofort als Buch in den Handel zu bringen; ausgeführt sind jedoch auf diesen 148 kleineren Seiten in neun Hauptstücken nur die Lehre von den Buchstaben und von der Beugung der Redeteile, also dasjenige, was schon die Anfänger wisseniäsolleh, fleißige Lesung des hier mitgeteilten Auszuges werde ausreichen, um die häufigsten Fehler zu vermeiden, welche man in den Schriften der Österreicher antrifft,'gdamit: wird „schon ein Vieles, ja das Meiste ausgerichtet sein, und die auswärtigen Verächter der Österreichischen Schreibart sollen auch bald schweigen, wenn man nur das Izt gedachte auf unsern Schulen erst die Jugend lernen läßt. . . Es soll aber die Fortsetzung meiner Bemühungen für die Aufnahme der Teutschen Sprache in unsern Gegenden gleichwohl nicht ausbleiben, zumal wenn Beifall und Zufriedenheit mich kräftiger dazu aufmuntern werden.“ Diesem Versprechen gemäß setzte Popowitsch seine Arbeiten an seiner „weitläuftigeren Auflage“ fort, „welche die Lehrer zur Hand haben müßten“, und vollendete sie noch im gleichen Jahre, behielt jedoch den Titel „Notwendigste Anfangsgründe“ bei, weil ihm damals die Herausgabe eines noch größeren Werkes über die, deutsche Sprache vorschwebte. Die Vollendung dieser „deutschen Sprachkunst“ unterblieb leider, weil, wie schon erwähnt, Zensursehwierigkeiten eintraten, pnd Popowitsch hat später im Lehramt nur noch den „Entwurf einer Abhandlung von deutschen Briefen“ 1760 bei Trattner drucken lassen, der bloß zum Gebrauch bei seinen.Vorlesungen bestimmt war. In der Vorrede beklagte er hier, wie mangelhaft die Kenntnis der deutschen Sprache in Österreich sei im Vergleich gegen ältere Zeiten, selbst gegenüber der Kanzlei Kg. Rudolfs I. und der damaligen Hofschreibart, ein ; Gedanke, dem er schon früher (U. 310) Ausdruck gegeben hatte. Die Vorlesungen, welche Popowitsch durch 14 Jahre fortsetzte, übten, wie Kaltenbaeck hervorhebt, nicht nur auf Studierende; sondern auch auf ältere Staatsbeamte, welche sich dabei zahlreich einfanden, den erfreulichsten Einfluß aus. Gewissenhafter als er hat wohl nie jemand seinem Berufe gelebt. Er versäumte keine Stunde, bereitete sich auf jede sorgfältig vor und arbeitete zu Hause unausgesetzt. Während seiner ganzen Lehrtätigkeit verließ er Wien nur zweimal, im Herbst 1764, um die Umgebungen des Neusiedler Sees kennenzulernen, und 1765, um den Grimming zu besteigen und sein vaterländisches Herbar zu vervollständigen. Dabei hatten schon 1763 körperliche Leiden begonnen, die ihn 1768 zur Niederlegung des Lehramtes nötigten, Mit 400 fl. Ruhegehalt, den ihm die Kaiserin bewilligt hatte, zog er sich nach Perchtolds-dorf, wo er ein Haus mit Weingarten kaufte, den er mit einer Mauer umgeben ließ, um ungestört zu sein. Er lebte allein und ohne Bedienung und bearbeitete auch selbst den Weingarten. Selten einmal kam er noch nach Wien, dann aber saß er wieder ganze Nächte über den Büchern seiner Freunde. Er scheint damals sich viel mit landwirtschaftlichen Fragen beschäftigt zu haben; seine letzte, 1770 in den Schriften der kurpfälzisch physikalisch-ökonomischen Gesellschaft als preisgekrönt veröffentlichte Arbeit handelt, als Frucht seiner Reisen und Beobachtungen, über den Mergel und ändere Angelegenheiten des Ackerbaues. August 1773 zeigten sich unverkennbare Spuren der Abzehrung, der er am 21. November 1774 erlag. Er ruht zu Perchtoldsdorf unweit der prunkvollen, 1812 errichteten Grabstätte der Familie Regenhart im eigenen Grabe, das, wie er es selbst angeordnet, von unten bis oben ausgemauert war und auf einem kleinen Denkstein die Inschrift trug: POPO VIR QUOD FÜIT. MDCCLXXIV. IV. Der Grabschrift, welche mit ihrem Popowitsch quod fuit die Ruhestätte der irdischen Reste des Verstorbenen bezeichnet, setzen wir hier ein Popowitsch quod est, eine Würdigung des Unvergänglichen gegenüber, das uns als Ergebnis seiner Lebensarbeit erhalten geblieben ist. Popowifsch der Mensch war eine seltene Erscheinung. Ungewöhnliche Begabung und rastloser Fleiß verbanden sich bei ihm mit großer Herzensgüte. Unglückliche zu unterstützen und Bedrängten Hilfe zu bringen war — wie Kaltenbaeck meldet — die einzige Leidenschaft, die er hatte. Dabei war er von größter Wahrheitsliebe, weder Ansehen noch Vorteil konnten ihn bestimmen, dem erkannten Recht oder der Wahrheit zuwiderzuhandeln. An dern väterlichen Glauben hielt er unverbrüchlich fest, war aber dabei unbefangen genug, öffentlich anzuerkennen, wie viel er Protestanten schulde, „die mir grössere Ehren erweisen, als diejenigen unter welchen ich bisher gelebet habe; die mir in der Not mit Ratschlägen, mit Büchern, mit Gelde aushalfen, nicht als wenn ich aus einer ihrer Städte bürtig und ein Mitglied ihrer Kirchengemeinde, sondern ein Kind dieser meiner Wohltäter wäre. Ich finde unter ihnen ebenso redliche Herzen und wahre Freunde, als unter meinen Religionsverwandten, allein ungleich weit mehrere und größere Liebhaber wie auch Beförderer der Gelehrsamkeit als in der Heimat“ (LXXIV). Die äußeren Formen des geselligen Lebens sind Popowitsch allerdings fremd geblieben, er war von jungen Jahren an ein Sonderling, und ist es zeitlebens geblieben. Verstöße gegen das gesellschaftliche Herkommen zählen zu den Hauptmängeln, die man ihm vorwarf. Er selbst kannte diese seine Unvollkommenheit und suchte sie mit den Worten zu entschuldigen: Einem Menschen, der sich in Wissenschaften vertieft, muß man vieles verzeihen. Sein Kopf ist meist auf seinen Gegenstand gespannt, er vergißt in seiner Einöde auf das, was die meisten hochschätzen, und schätzt hoch, was die meisten nicht kennen. Wie an seinem Glauben, hielt Popowitsch auch an seinem Vaterlande und an seiner Heimat fest. Er war ein überzeugter Österreicher und Untersteirer durch und durch. Dem Herrscherhause war er treu ergeben. Es sind keine leeren Redensarten, wenn er Jahre bevor er die Wiener Lehrkanzel erhielt, von der Kaiserin Maria Theresia als seiner „allergnädigsten Frau“ Spricht oder die Verdienste Kaiser Karls VI. um die Verbesserung des Verkehrswesens rühmend hervorhebt (36, 318). Bitter empfand er es „als patriotischer Österreicher“, daß sein Vaterland, „das vor einigen Jahrhunderten der Stolz der teutschen Gelehrsamkeit gewesen, seit 150 Jahren eine teutsche Barbarei und ein Gegenstand Obersächsischer Spöttereien geworden“ sei (310). Als Popowitsch 1749 bei einer flüchtigen Begegnung mit Gottsched auf dessen Frage, ob er studiert habe, dies mit dem bejahte, èr hätte in Graz alle Schulen durchgegangen, schmerzte ihn die hochmütige Gegenbemerkung nicht wenig, „das wäre nichts, die Universitäten in Österreich, in Bayern, ja in ganz Oberteutschland wären sehr schlecht bestellt“. Wohl mußte er den elenden Zustand des damaligen Unterrichtswesens in Österreich selbst zugeben, allein es reizte ihn, seinem Gegenüber den Beweis zu liefern, daß es trotz jenes Mangels doch Gelehrte bei uns geben könne. „Ich konnte demnach eine so schöne Gelegenheit nicht vorbeilassen, diesem berühmten Gelehrten eine Probe von meiner Physik vorzulegen, die ich, wo nicht in den Schulen, dennoch seitdem durch eigenes Nachlesen gelernt habe“ (U. 194/195). Popowitsch war unstreitig als Sprachforscher seiner Zeit weit vorausgeeilt. Seine Feststellung, daß der mit ein und demselben Buchstaben bezeichnete Laut, zum Beispiel das a oder e, bis zu vier Abstufungen habe (89a, 269,286, 313), wurde zwar in den Besprechungen rühmend erwähnt, allein sein Vorschlag,, zur Unterscheidung Beizeichen zu verwenden, wie solche heute in sprachwissenschaftlichen Werken ohneweiters zugelassen sind, wurde nicht beachtet. Sein Nachweis, daß slawische Sprachen die Einführung einiger neuer Zeichen ins Alphabet erheischen (XVIII, 286...), ein Erfordernis, dem bekanntlich im 19. Jahrhundert entsprochen wurde, hat ihm pöbelhafte Verspottung eingetragen, weil seine Gegner das falsche Gerücht verbreiteten, er, der Winde, habe deren Einführung ins Deutsche beabsichtigt. Dabei war in Wirklichkeit Popowitsch der Zeit nach der erste entschiedene Vorkämpfer der hochdeutschen Schriftsprache in Österreich (U. 310, 404). Nicht, daß er darum seine Herkunft jemals verleugnet hätte, er betont oft und unbefangen, daß er ein geborener Winde sei Und das Hochdeutsche nachgelernt habe (XVIII, 36, 337, 403. S.), Seine Muttersprache blieb ihm, solange er lebte, lieb und wert, er wurde nicht müde, ihre Schönheiten zu preisen und ihre Bedeutung für sprachgeschichtliche Untersuchungen hervorzuheben. Er war aber auch überzeugt, daß in Österreich, seinem geliebten Vaterland, diesem wichtigen Teile des Römisch-deutschen Reichs, das Deutsche nach der geschichtlichen Entwicklung und den Bevölkerungsverhältnissen als einigendes Band nicht zu entbehren sei. Von diesem Gesichtspunkt aus ist nun auch sein Kampf mit Gottsched zu beurteilen. Er war keineswegs „der unverschämte Beschnarcher“ des Meisters, als den ihn der neueste Lebenschilderer Gottscheds, Reichel, hinstellt, der übrigens zugeben muß, daß Popo witsch „ein kluger und vielseitig gebildeter Mann war, der nur die Kluft, die ihn von Gottsched trennte, nicht anerkannt habe“ (II, 707 u. 65), sondern die Sache verhält sich schier umgekehrt. Popowitsch bestritt das Verdienst Gottscheds um die Ausbildung des Hochdeutschen keineswegs, das er im Gegenteil anerkannte. Was er bekämpfte, war nur der unglückliche Versuch, die Schriftsprache unter Zurückweisung aller oberdeutschen Mundarten von der Donau bis an den Rhein (421) einzig und allein auf dem Obersächsischen aufzubauen. Sein Kampf galt ferner den vielen Fremdwörtern, die das Hochdeutsche damals noch verunzierten, obwohl sie sich, wie Popowitsch riachwies, vielfach ausmerzen ließen, sobald man das ungehobene Sprachgut heranzog, das in der kernigen Volksprache noch verborgen lag (88, 314a). Während die Anhänger Gottscheds das von ihrem Meister Geschaffene für unvergänglich ansahen und den Gedanken entsetzt zurückwiesen, seine „ausgeschmückte Schreibart“ könnte jemals veralten, stand es für Popowitsch fest : „Die Sprachen verändern sich beständig wie die Gebräuche, wie die Kleidertrachten“ (Vorrede, 6). Wenn diese Leute vom Werte der oberdeutschen „Mundarten einen besseren und gesünderen Begriff, in die Geschichte und in das Altertum der Teutschen Sprache überhaupt mehr Einsicht hätten,“ meint Popo witsch, „so würden sie wahrnehmen, daß ein Bauer in Bayern, Österreich, Steyermark und so in den übrigen oberteutschen Landschaften noch vieles beinahe auf die Art vorbringt, wie man zu Willerams Zeiten in Teutsch-land gesprochen hat.“ (S. c. 2.) Popowitsch hat demnach im Geburtsjahr Goethes genau die gleichen Gedanken und Stimmungen ausgesprochen, welchen dieser in seinen 1811 begonnenen Lebenserinnerungen (Aus meinem Leben, Dichtung und Wahrheit, 6. Buch) bei Schilderung der Schwierigkeiten, die ihm sein Oberdeutsch während der Leipziger Studienzeit bereitete, mit den Worten Ausdruck gegeben hat: „Jede Provinz liebt ihren Dialekt; denn er ist doch eigentlich das Element, in welchem die Seele ihren Atem schöpft. Mit welchem Eigensinn aber die Meißnische Mundart die übrigen zu beherrschen, ja eine Zeitlang auszuschließen gewußt hat, ist jedermann bekannt. Wir haben viele Jahre unter diesem pedantischen Regimente gelitten und nur durch vielfachen Widerstreit haben sich die sämtlichen Provinzen in ihre alten Rechte wieder eingesetzt.“ Popowitsch war indessen nicht bloß ein ausgezeichneter Sprachgelehrter, sondern ein ebenso tüchtiger Naturforscher, obwohl ich mir hier versagen muß, auch diese Seite seiner wissenschaftlichen Leistungen eingehend zu besprechen. Namentlich war ihm aber bei der Beobachtung von Schwämmen der Begriff der Entwicklung geläufig geworden, der ihn zu mancherlei Einwendungen gegen Linné und sein künstliches Pflanzensystem veranlaßte, andererseits aber seine sprachgeschichtlichen Untersuchungen befruchtete. Gern und oft wiederholte er darum den Satz: Die Naturgeschichte leidet wegen der Sprache und diese wegen jener. Der Naturforscher verläßt sich auf den Sprachforscher und dieser auf jenen. Weder der eine noch der andere wird aus dém Wüste der Verwirrungen herauskommen, wenn nicht starke Sprachforschung und starke Naturforschung in einem Manne Zusammentreffen. So hätte ich in Umrissen den Lebenslauf und das Lebenswerk eines bedeutenden Mannes aus Untersteiermark vorgeführt, der von seinen Zeitgenossen häufig verkannt, kurz nach seinem Tode durch die Stimme öffentlicher Blätter gen Himmel gehoben und bald darauf scheinbar für immer vergessen wurde. Zur Ergänzung des Bildes seien noch einige seiner kennzeichnenden Aussprüche hier angeschlossen: Gegen die nicht bloß von den Jesuitenschulen vertretene Ansicht, daß man „wie ehedessen alle Wissenschaften nur aus der lateinischen und griechischen Sprache holen könne“, heißt es (410): „Nein, das Blatt hat sich seit etlichen Jahrhunderten ganz umgewandt. Izt sind die Barbarn der Römer das gelehrte Volk, die Teutschen, deren Vorfahren man zur Last leget, daß sie nicht schreiben konnten, streiten nun mit allen Völkern um den Vorzug in der Gelehrsamkeit.“ „Die Muttersprache war bei den Römern und ist bei den Franzosen eines der größten Staatsgeheimnisse. Vorlängst mahnten Leibniz und Pufendorf die deutschen Staatsmänner daran. Das Geheimnis besteht in einer zweifachen Sorge: in der Sorge für die Ausbildung und Verbreitung der Muttersprache und in der Sorge für Einschränkung, Ausschließung und wo mögliche Unterdrückung einer fremden -f^y besonders der Sprache eines benachbarten und mächtigen Volkes!“ „Ich habe ohne Ausnahme richtig gefunden, ein Deutscher, der das Französische stark liebt und zu verbreiten sucht, hat einen seichten Kopf und ein kaltes Herz für sein Vaterland.“ Sollte der Mann, der solches vor mehr als 170 Jahren schrieb, veröffentlichte und mit seiner Persönlichkeit deckte, heute wirklich schon veraltet sein? A. Luschin-Ebengreuth ERZHERZOG JOHANN UND DIE UNTERSTEIERMARK Unvergessen lebt im Volke, Der des Volkes nie vergaß ! A. Grün Bs war am 8. September des Jahres 1878'. Tausende von Menschen aus nah und fern waren in die Hauptstadt der grünen Mark geeilt. Von den obersteirischen Waldbergen waren sie heruntergestiegen, die biederen Älpler, die Jäger und die Sennen; aus dem Salzkammergut waren sie gekommen in ihrer schmucken Heimatstracht; bändergeschmückte Bauernwagen brachten die bedächtigen Oststeirer; mit Jauchzen und unter klingendem Spiel zogen die weststeirischen Brüder ein; aber auch aus der Südsteiermark waren die fröhlichen Weinbauern und die ernsten Söhne des Bachern herbeigeeilt in hellen Schären. Festlich gestimmte Volksmassen durchwogten die reichgeschmückten Gassen und Straßen der Stadt, und am prachtvoll ausgeschmückten Hauptplatz, da staute sich die Menge, da stockte der Fuß, und von Stunde zu Stunde wuchs die Zahl der Menschen, die in gespanntester Erwartung des Kommenden harrten. Was für eine Ursache war es wohl, die das biedere Volk der Steirer zu dieser Wallfahrt und zu diesem Massenstelldichein veranlaßte? Ein Name war in aller Munde: Erzherzog Johann. Diesem edlen, hochherzigen Prinzen, der mit Recht als der größte Wohltäter der Steiermark bezeichnet werden kann, der wie ein wahrer Schutzengel in unserem Lande wirkte, dessen Name für immer innigst verknüpft und verbunden sein wird mit dem Aufblühen unserer Eisenmark, ihm wurde ein Denkmal gesetzt, und das dankbare Volk der Steirer, es hatte sich brüderlich vereint und wollte Zeuge sein bei dieser erhebenden Stunde. „Ihrem Freunde und Wohltäter, dem Erzherzog Johann von Österreich, die dankbare Steiermark“, so lautet die sinnige Widmung, die Meister Pön-ningers Monumentalwerk, das Erzherzog-Johann-Denkmal auf dem Grazer Hauptplatz, trägt. Die vier allegorischen Frauengestalten, die unter anderem das Denkmal schmücken, sie stellen die vier Hauptflüsse der alten Steiermark dar: Die „Mur“" und „Mürz“ als frische Alpenkinder mit Blumen geschmückt, die breite „Drau“ als üppige, mit Trauben und Weinlaub gezierte südliche Frauengestalt und endlich die heilkräftige „Sann“ mit einer schlangenumwundenen Schale, die Heilkraft ihres warmen Wassers anzeigend. Und vom hohen Postament blickt der edle Fürst hernieder auf seine Schützlinge. Ober-, Mittel- und Untersteiermark vereinigt das Denkmal in trefflicher Art, denn allen Teilen unseres Heimatlandes sind seine Wohltaten im höchsten Ausmaße zuteil geworden, an all seinen Bewohnern hing der Fürst mit schwärmerischer Liebe, denn alle hatte er in sein gütiges Herz geschlossen. Nicht allein die Landeshauptstadt Graz war es, der er seine besondere Fürsorge zuwandte, nicht allein die rauschenden Bergwälder und pochenden Eisenhämmer Obersteiermarks wissen davon zu erzählen, sondern auch die sonnig gen Rebenhügel Untersteiermarks mit ihren schwellenden Trauben singen sein Loblied und berichten von dem großartigen Vermächtnis des für uns Steirer unvergeßlichen Prinzen. Wir, die Nachkommen jener Zeit, genießen die Wohltaten, die er so großmütig gestiftet, wir sehen sein blühendes Werk, das er für uns geschaffen — und leider ist so mancher unserer Zeit sich des großen Schöpfers nicht mehr bewußt. Das Geräusch der großen Welt liebte er nicht, der Formenzwang des Erzherzog Johann Hofes war ihm verhaßt, der Aüfent- von Plasins Höffel nadi einem Gemälde von Peter Krafft halt in Wien, den er mitunter notgedrungen nehmen mußte, hatte für ihn wenig oder besser gesagt keinen Reiz, seine Menschen suchte er dort stets vergebens. „Nichts als Leichtsinn, kleinliche Leidenschaften, Bosheit, Fühllosigkeit, moralische Verderbtheit, Mißtrauen und vor allem die so verab-scheuenswürdige Selbstsucht, die als Zweck in allen Handlungen erscheinen“, siehet er dort prangen. „Doch wie wenige gibt es,“ klagt er in einem Briefe an den steiermärkischen Dichter und Historiker Johann Ritter v. Kalchberg, „die redlich denkend so dienen, wie es ihre Pflicht erheischet. Wien ist nicht mein Ort, ich fühle es immer mehr, daß ich hier nicht tauge, darum bin ich so wenig da als möglich. Möge bald mich der Himmel von hier wegbringen, mir ist nur dann wohl, wenn ich, über den Semmering gesetzt, meine Berge wiedersehe, die reine Luft atme, und mich in den schönen Tälern und Gegenden, unter einem Volke befinde, welches zwar nicht den hochgepriesenen (nicht haltbaren) Firnis der großen Welt besitzt, aber redlich, offen, gut, herzlich, und" wo noch ein Rest deutschen Sinnes und deutscher Sitte zu finden.“ Weilte Erzherzog Johann nicht gerade auf seinem südlich von Wiener-Neustadt romantisch gelegenen Schlosse Thèrnberg, so waren es mehrere Orte der Steiermark, wo er sich am liebsten aufhielt, und hier waren es beson- ders zwei Lieblingsplätze, die er besonders bevorzugte. Das nachfolgende, aus dem Slowenischen des Davorin von M. Vehovar übersetzte Gedicht besingt diese: BRANDHOF UND PICKERN (1844) Zwei Stellen sind Dir lieb und wert vor allen, Wo gern Dein hoher Geist der Ruhe pfleget, Daß Dir, vom ew’gen Tatendrang beweget, Stets neue Kräfte durch die Adern wallen. — • Brandhof und Pickern! =£= die ihr in den Hallen Der grünen Wälder euch stillwirkend reget, Ihr Oreaden! kommt heran und leget Auf sie des Glückes reichstes Wohlgefallen. Und Du, Bewohner jener heil’gen Stellen, Du Wende, Deutscher! auf zum Himmel flehe, Daß ihm noch lang des Lebens Stunden quellen. Und Freude nur sein teures Haupt umwehe: Denn, was sein Herz für jene Stellen hege, Für euer Wohl hat’s doch die wärmsten Schläge! — * * * Aus dem fruchtbaren Draufelde erhebt sich Sanft ansteigend der langgestreckte Rücken des Bachern. Ernst und still wirkt er, feierlich stimmen seine dunklen Wälder und Forste mit den geheimnisvollen, blaugrünen Falten und den kühlatmenden Schattengründen, die frische Bergwässerlein durcheilen; und auf den moorigen Hochflächen träumen melancholisch die „Schwarzen Seen“ und spiegeln müd des Himmels Antlitz. Und aus diesem Waldmeere erhebt sich als westlicher Eckpfeiler der beinahe gipfellosen Kammlinie das weißblinkende Wolfgangkirchlein und grüßt hernieder auf das sonnige Marburg. Und zu Füßen des Bergheiligtums, da breitet sich eine weinfrohe Hügellandschaft aus, in der ein gar köstlicher Tropfen reift. Pickern heißt das heitere Phäakendorf, nach dem diese edle Himmelsgabe getauft ist, und auf den rebenbekränzten Pickerer Bergen, da stehen die schmucken Winzerhäuser, da drehen sich die klappernden Windräder und singen ihr seliges, lockendes Lied, und lauschige Plätzchen im Schatten von mächtigen Edelkastanien, sie laden ein zur heimeligen Rast. Hier in diesem Paradiese war auch Erzherzog Johann Weinbauer. Im Jahre 1822 kaufte er durch Vermittlung des allgemein geachteten Landwirtes Thomas Foregger, der in der Nachbargemeinde Lembach bei Marburg einen Weingarten besaß, einen Besitz, der aus Wirtschaft nebst Weingarten bestand. Es war aber alles ziemlich unrationell bewirtschaftet und heruntergekommen. Doch Erzherzog Johann verstand es, den Besitz in kurzer Zeit in die Höhe zu bringen. Gerne weilte er auf diesem Gute; besonders zur Zeit der fröhlichen Weinlese, da stellte auch er sich regelmäßig ein und erwarb sich durch seine Leutseligkeit allseits Sympathie. „Johannisberg“ heißt der Besitz, den er erworben, „Johannisberger“ der köstliche Tropfen, den er hier gezogen. Und dieser Tropfen war bald weit bekannt und berühmt und gab Kunde von dem großen Verständnis, das der edle Prinz der Rebenpflege entgegenbrachte. Wie er in dem 1818 erworbenen Brandhof am Seeberg in Obersteiermark eine beispielgebende Musteralpenwirtschaft errichtet hatte, so war er auch in Pickern eifrig und erfolgreich auf Verbesserungen bédacht. Er ließ Versuche mit verschiedenen Rebengattungen machen, er bezog Setzlinge edler Sorten von den Ufern des Rheins, ließ sie in Reihen pflanzen und auch dem Beschneiden der Stöcke wurde besondere Pflege und Sorgfalt zugewandt; dies waren alles Neuerungen, die man bisher nicht beachtet hatte, und so war es nicht zu wundern, daß der fürstliche Weingarten, der seine Nachbarn durch seine erhöhte Lage mit prächtiger Aussicht überragte, bald für die ganze Umgebung als Musterbild der Weinbaukultur, ja für die ganze Untersteiermark an Bedeutung gewann. So mancher unterstem sehe Weinbauer weiß und ahnt heute nicht mehr, was er Prinzen Johann in dieser Hinsicht verdankt. Über dem Eingang des von ihm neuerbauten Herrenhauses ist eine ein-; fache Gedenktafel angebracht, welche verkündet, daß am 16. Juni 1880 Kaiser Franz I. seinen Bruder Johann hier besuchte und daß er auf dem Gute einen Weinstock gepflanzt hat, um hiedurch seine Achtung für den Weinbau in ähnlicher Weise gleichsam zum Ausdruck zu bringen, wie dies einstens sein Oheim Josef II. in Mähren durch die Führung des Pfluges für den Feldbau getan hatte. Den Besuch schildert J. G. Seidl in seinen „Wanderungen durch Tirol und Steiermark“. In der damaligen Zeitschrift „Der Aufmerksame“, und zwar vom „Mittwoch den 30. Juny 1830“, erschien ein diesen Besuch verherrlichendes Gedicht mit dem Titel „Der Kaiserstock“, in dem einleitend Johannisberg besungen erscheint: Hoch, vom Bacher zwar schon, doch hold von Reben umkränzet Blicket ein ländliches Haus weit in das freundliche Thal. Weit hin blickt es als Krone des Pickrergebirges, und sinnvoll Kündet am Thor eine Kron’ seines Besitzers Geschlecht. Viele Stellen der Briefe Erzherzog Johanns weisen darauf hin, daß er gerne in die „untere Steiermarkt“ kam und besonders gern deren „Wein-gebürge“ besuchte. Doch nicht nur wegen der Hebung des Weinbaues, sondern insbesondere wegen seines weiten Einflusses auf das Kulturleben der Südsteiermark verdient er es, daß ihm in diesem Buche ein besonderes Ruhmesblatt gewunden wird. So war es unter anderem seinem tatkräftigen und werktätigen Einflüsse zu verdanken, daß die so wichtige Brücke über die Sann bei Steinbrück raschestens in Angriff genommen und hergestellt wurde. Aus mächtigen Steinquadern ist sie erbaut und gibt heute noch ein beredtes Zeugnis von solider einstiger Bauweise. Im Jahre 1826 war die feierliche Einweihung. Die angrenzenden Gemeinden errichteten zur dankbaren Erinnerung ein sinniges Denkmal, das den edlen Prinzen in gußeiserner Büste zeigt und in lateinischer Inschrift für alle Zeiten verkünden sollte, daß der für die ganze Steiermark gleich teure und fürsorgliche Prinz das Meiste zur Beförderung des Baues dieses wichtigen Verkehrsmittels beigetragen hatte. Die undankbare Nachwelt hat das von den Vätern gesetzte Denkmal gestürzt. . . . Auch die treffliche und in der bahnlosen Zeit um so wichtigere Straße, die Windischgraz mit dem Schalltale verbindet, ist das Werk Erzherzog Johanns. Sie wurde im Jahre 1830 dem Verkehre übergeben, bei welcher Gelegenheit in der sogenannten Huda Lukna, das ist die romantische Felsen-enge, die die Straße südlich von Windischgraz durchzieht, ebenfalls ein Denkmal mit dem Bildnisse Johanns errichtet wurde. Dieses ist heute noch erhalten und trägt folgende wörtlich übernommenen Worte: Unter der Glorreichen Regierung Sr. Majestät Franc des ersten wurde durch die gnädigste Verwendung Sr. k. k. Hochheit des Durchlauchtigsten Herrn Herrn Johann Baptist Erzherzog von Österreich Präsidenten der k. k. Landwirtschaft-geselschaft in Steiermark, diese Strasse durch concurenz gebaut und dieses Denkmal Höchstdenselben von den Mitgliedern der k. k. Landwirtschaftlichen Filliale Windischgratz in tieferster Ehrfurcht und Dankbarkeit gewidmet. Mögen auf ihr späte Enkel glücklich Wandeln. Damals erschien auch ein Festgedicht von Joh. Gabr. Seidl, das den Prinzen als den Gründer der neueröffneten Straße preist. Es wurde an die Teilnehmer der Feier verteilt und der Titel lautete: Festgedicht bey Gelegenheit der feyerlichen Enthüllung des mit dem Bildnisse Sr. kaiserl. Hoheit des durchlauchtigsten Prinzen JOHANN geschmückten Monumentes in der Huda Lukna. Principe taM pLaCIDe parent VeL saXa IVVantl. (Wenn so freundlich ein Fürst beysteht, so gehorcht das Gestein selbst.) Grätz, 1830. Gedruckt mit Gebrüder Tanzer’sChen Schriften. Das Gedicht selbst, das so recht die Dankbarkeit der damaligen Zeit zum Ausdruck bringt, heißt: Wem danken wir, wem wird der Enkel danken Des heut’gen Fest’s erhab’nen Gegenstand? Gefallen sind der Berge steile Schranken; Drey Thäler eint der Straße friedlich Band. Wo sonst der Gießbach nur sich durchgeschlagen, Wo sonst des Sturmes Fittig nur gestäubt, Da rollt, auf sich’rem Gleise, nun der Wagen, Am Wasser hin, das thät’ge Mühlen treibt. Wo durch dreyhundert Jahre kühne Massen Sich, trotzend, zwischen Land und Land gestellt, Wallt nun der Wand’rer auf gebahnten Straßen; — Gesellig offen steht die Felsenwelt! Ihm danken wir’s, dem hohen Alpenfreunde; Er ging voran, versuchte, prüfte, rieth;r Da glüh’n, begeistert, Insaß und Gemeinde, Von regem Eifer schallt das Berggebieth. Ihm danken wir’s, dem Fürsten, Dessen Bildniß; Gleichwie Sein Fuß durch Alpenschnee sich ringt, Sein Auge, forschend, blickt in’s Herz der Wildniß ^ In alle Hütten — alle Busen dringt ! Was ein Jahrdreyßig eitlen Wunsch gescholten, Er wünscht es ernstlich, half,& und es geschah; Doch reicher Lohn hat allen Müh’n ■vergolten, — Ein Länder-Drey grüßt bald sich nah’! D’rum lass’t uns länger unsern Dank nicht säumen; Wir dürfen danken, können es durch Ihn: Er hat Sein Bild, als Stern den düst’ren Räumen, Als heilig Pfand uns Seiner Huld verlieh’n! Dort, in der Schlucht, wo männlich kühn bezwungen, Aus unerforschter Grotte schwarzem Mund, Das Wasser grollt mit lauten Donnerzungen, Dort thu’ es nun, was wir Ihm danken, kund! Und wenn der Pilger nun die Straße schreitet, Wenn er beklommen staunt, verirrt sich wähnt, Und plötzlich schaut, wie sich der Zwinger weitet, Wie sich die Wand, gehorchend, seitwärts lehnt; Wenn er dann umblickt, wenn’s ihn drängt zu fragen: „Wer hat vollbracht, was unvollbringbar scheint?“ Wird ihm ein Blick auf jenes Erzbild sagen: „Des Alpenlandes kaiserlicher Freund!“ Gerührt, vor’m Felsenschemmèl, wird er stehen, Zum Schwur berühren jenes Bild am Stein! Wie wir, um Segen für den Edlen flehen Und so, wie wir, zu arm an Worten seyn! Wortarm, — gefühlarm nicht an diesem Feste, Und dieß Gefühl wird nicht, kann nicht vergehn: Es wird noch, leise mahnend, sanft, wie Weste, In jener Schlucht des Enkels Schläf’ umweh’n ! Und wenn schon längst die Lippen alle schweigen, Die jetzt des Dankes heißer Trieb beseelt, Dieß Erzbild selbst wird, ewig sprechend, zeigen, Wer schwache Kraft zu solchem Werk gestählt. Gar eigenartig muten uns heute die Worte des Dichters an, wir beginnen an der Güte und am Dank des heutigen Geschlechtes zu zweifeln und fragen uns unwillkürlich: „Hat denn nicht die Menschheit einen gewaltigen Schritt in der Kultur rückwärts getan?“ * * * Ein anderer untersteirischer Lieblingsaufenthalt des Prinzen war einige Jahre hindurch Rohitsch-Sauerbrunn. Dieses Bad wurde von den Ständen Steiermarks hauptsächlich infolge Anregung des Grafen Ferdinand Attems im Jahre 1801 gekauft, es wurde vergrößert und blieb Eigentum des Landes. Dieser Graf war es auch, an den sich Erzherzog Johann immer Rieder wegen des Besuches von Rohitsch wandte. So bittet er in einem Briefe (Wien, 3. Mai 1810) um die Gefälligkeit, eine passende Wohnung dort zu besorgen. In einem andern Briefe schildert er sein geringes Gefolge, das er mitbringe, und bittet, „keine besonderen Anstalten machen zu lassen. Sie kennen mich und wissen, daß meine Bedürfnisse gering sind.“ Er brachte unter anderem auch einen Maler, Karl Ruß, mit, durch welchen er interessante Naturobjekte, Yolksszenen etc. aufnehmen ließ. In einem andern Briefe (Schloß Thernberg vom 4. April 1811) kommt er wieder auf das Bad zu sprechen, indem er sagt: „...und ich gedenke diesen Sommer sowie den vorigen Rohitsch zu besuchen; der Gesundbrunnen, dem ich wahrlich Leben und Gesundheit verdanke, soll noch die Kur ganz vollenden. Ich benachrichtige Sie izt nur vorläufig, und werde, wenn die Zeit sich nehern sollte, bestimmt noch schreiben.“ Graf Attems sandte dem Erzherzog das Verzeichnis der Badegäste, wofür er herzlichst dankt und dabei erwähnt, von Graz aus den Doktor der Heilkunde Johann Nepomuk Fröhlich, Inspektor „bey dem ständischen Sauerbrunnen nächst Rohitsch“, von der Ankunft zu benachrichtigen. Immer wieder drückt- der Prinz seine Liebe für Rohitsch aus, immer wieder erwartet er sehnsuchtsvoll die schöne Jahreszeit, auf daß er den Badeort besuchen kann, um sich dort zu erfrischen und zu erquicken und seine volle Gesundheit wieder zu erlangen. Er wird nicht müde, die wohltuende Wirkung des Gesundbrunnens zu loben; er war eifrig für die Hebung des Kurortes bestrebt, ließ neue Wege anlegen, wobei er selbst im Vereine mit den Kurgästen Hand ans Werk legte, er machte Ausflüge in die Umgebung, besuchte Landwirt und Edelmann, bestieg den Donati, von dessen herrlicher Aussicht er entzückt war. Über Anregung des Historikers Regierungsrat Dr. Anton Schlossar wurde in Rohitsch-Sauerbrunn eine Gedenktafel feierlich enthüllt, die an das Weilen des Prinzen in diesem Kurorte gemahnt. Ob sie nicht auch der Umsturz hinwegfegte und als kulturwidrig fand . . .? Dr. Schlossar bringt in dem Büchlein „Erzherzog Johanns Tagebuchaufzeichnungen von seinem Aufenthalte im Kurorte Rohitsch-Sauerbrunn und über seine Reisen in Untersteiermark aus den Jahren 1810, 1811 und 1812“ eine reiche Stoffülle und gewährt einen tiefen Einblick in die reine, hohe und edle Seele des Prinzen. * * * Erzherzog Johann war, wie bekannt, der Gründer der Steiermärkischen Landwirtschaftsgesellschaft (Gründungsjahr 1819). In dieser Eigenschaft sowie als deren erster Präsident bereiste er die ganze Steiermark und errichtete allerorten landwirtschaftliche Filialen, so auch in der Untersteiermark. Von diesen erwähnt er besonders die „an der Sau“, für welche ein gewisser Händl (später mit dem Prädikate Edler von Rebenburg), Besitzer der Herrschaft Ober-Lichtenwald, sich große Verdienste erworben hat, die der Erzherzog gebührend anerkennt. Von den Filialen Pettau und Windischgraz dagegen sagt er, daß sie sich sehr Zeit ließen. In einem Briefe aus Marburg (27. Oktober 1819) an den Grafen Ferdinand Attems, Besitzer des Schlosses Windisch-feistritz, meldet sich der Erzherzog bei ihm zum Mittagstische an und macht hiebei folgende humoristische Bemerkung: „Dort bitte ich mir ein sehr einfaches Essen aus, weil ich erstens in der Gastronomie schlechte Kenntnisse besitze, zweitens durch 14 Tage (bei seinen Bereisungen der untersteirischen Filialen) auf der Mast gewesen bin und mich freue, fasten zu können.“ Die Reisen führten den Erzherzog sogar bis in das weltferne, aber sehr romantisch gelegene Sulzbach im Logartale, in dessem „Liber memorabilium in parocha“ darüber deutsch zu lesen ist: „Im Jahre 1825 kam Sr. k. H. Dr. Eh. Johann herauf von Leutsch, wo hochderselbe im Hause des Jakob Bresnik, vulgo Mešnar (scherzweise der ,Windischó Graf4 benannt, wiewohl nur ein einfacher, aber gefügiger Bauer) übernachtete. Hier in Sulzbach verweilte der Hohe mit seinem Gefolge im Pfarrhofe im Dorfe, dann ging er ins Logartal, wo er den Bauer Klemen Logar, recte Robnik, durch seinen Maler wegen dessen auffallend langen schwarzen Haupthaar porträtieren ließ und ihn sonach als sichern Führer auf die Spitze der 7426 Wiener Fuß hohen Ojstrica nahm; von welcher hohen, ihm zuteil gewordenen Ehre der nun sei. Kiemen Logar gern und mit einem gewissen Stolze erzählte. — Zur Erinnerung dieser hohen Anwesenheit wurde eine steinerne Tafel als Monument in den Felsen auf der Nordseite der Nadel eingefügt. Die Stelle ist noch sichtbar, aber die Monumenttafel hat entweder der Zahn der Zeit oder einer in krasser Rohheit hinweggerissen.“ Die Zeitschrift „Styria“ vom 19. September 1843 bringt die Nachricht, daß auf lobwürdige Veranlassung des Dechantes von Oberburg am 20. August 1843 bei der genannten „Nadel“ im obern Sanntal ein Inschriftstein zur Erinnerung an die Anwesenheit des Landesgouverneurs im Sommer 1837 in den Fels eingegraben wurde. * * * Nicht unerwähnt soll in diesem Aufsatze jenes Erlebnis sein, das der Erzherzog in der Gegend von Witschein in den Windischen Büheln hatte und das ein Beispiel für seine herzensgute Freundlichkeit und Leutseligkeit bildet. Er war auf der Suche nach für seine Zwecke tauglichen Männern; in seiner Gesellschaft befanden sich sein Kabinettsekretär Zahlbruckner (Zahlbruckners Sohn lebt heute noch in Graz), der steirische Topograph Karl Schmutz und als Dolmetsch für die slowenische Sprache, da weder der Prinz noch sonst einer seiner anderen Begleiter dieser Sprache mächtig waren, der steirische Schriftsteller und Historiograph J. C. Hofrichter. Über das Erlebnis lassen wir Johann Krainz erzählen: „Der Erzherzog wollte einen weitbekannten, tüchtigen Landwirt besuchen und kennen lernen. In Witschein gingen nun seine Begleiter aus, den Wohnort des Landmannes zu erfragen. Da sie lange ausblieben, setzte sich Erzherzog Johann bei einem Bauernhause nieder, wo eben ein Binder mit dem Herrichten der Fässer für die bevorstehende Weinlese beschäftigt war. Da ihm die Zeit zu lang wurde, so ließ er sich mit dem Binder, welcher etwas Deutsch sprach, in ein Gespräch ein. Der Binder, der nicht wußte, wen er vor sich habe, und wahrscheinlich des Erzherzogs einfachen grauen Rock mit den grünen Aufschlägen als Maßstab seiner Beurteilung gelten ließ, gab nur kurze und mürrische Antworten. Aber der hohe Herr ließ sich dadurch nicht abschrecken, er erkundigte sich um alle Verhältnisse näher, nahm sogar die Werkzeuge in die Hand und fragte um deren Namen und Gebrauch. Das schien nun dem groben Binder zu bunt, er riß dem Erzherzog unwillig den Schlegel aus der Hand und hieß ihn seiner Wege gehen oder ihn in Ruhe zu lassen und nicht bei der Arbeit aufzuhalten. Bei solcher kategorischen Zurechtweisung blieb nun dem Prinzen nichts übrig, als sich damit zufrieden zu stellen und auf die Ankunft seiner ausgesandten Begleiter zu warten. Als diese ankamen und trotz ihrer städtischen Kleidung den Prinzen doch ehrfurchtsvollst begrüßten, fiel dies dem Binder auf, und er fragte einen derselben, wer denn der Herr im grauen Rock sei. Obwohl ihm nun die Antwort, daß dies der Bruder des Kaisers von Österreich sei, sehr unwahrscheinlich klang, ward es ihm doch unheimlich dabei zumute. Da man vom Prinzen Johann damals schon viel in Steiermark sprach und sein Name und Wirken auch in den Rebenhügeln der Untersteiermark bekannt war, wurde dem armen Mann doch etwas bange; sinnend und angstvoll sah er die Herren gegen Witschein wandeln, doch dachte er sich tröstend, wenn der hochwürdigste Herr Prälat von St. Lambrecht auf seine Herrschaft nach Witschein kommt, fährt er in stattlicher Kutsche — ein Prinz muß wenigstens mit Viergespann reisen — und der graue Rock? — Nein, die Herren könnten nur Scherz treiben, dachte er sich wieder, harrte aber doch mit beklommenem Herzen der Rückkunft derselben. Indes hatte man den gesuchten Landwirt gefunden und der Erzherzog besichtigte alles, Haus und Grund, lobte und tadelte nach Gebühr, sprach mit allen Familienmitgliedern, wie dies sein Brauch war, und erschien nicht als kaiserlicher Prinz, sondern als väterlicher Freund des Landes, als Förderer des Wohles desselben, als Gönner und Ratgeber des Landmannes wie des Hoch-gestellten. Mittlerweile war aber auch dessen Anwesenheit in Witschein bekannt geworden. Verwalter, Pfarrer und sonstige Honoratioren beeilten sich, im besten Staate vor ihm zu erscheinen, ehrerbietigst den Fürsten, der sich auf den Rückweg machte, zu begrüßen. Dem Binder aber wollte indes in der Erwartung der Dinge die Arbeit nicht recht von der Hand gehen, und mit demselben Gefühl, als er sie scheiden sah, erwartete er nun die Rückkehrenden. Aber wer malte sein Entsetzen, als er den Herrn mit dem grauen Rock inmitten einer Menge nur ihm huldigenden Personen und von Männern ehrerbietigst begleitet auf sich zukommen sah, die nach seinen Begriffen schon sehr hohe Würdenträger waren. Schwindel erfaßte ihn also in der Erinnerung des Geschehenen, und er glaubte, daß es nun um ihn geschehen sei; selbst das wohlwollende Lächeln des Erzherzogs konnte nicht diese schlimmen Gedanken bannen. Er wollte fliehen, aber die Füße schienen ihm wie gelähmt, und so warf er sich vor allen dem Prinzen zu Füßen und begann jämmerlich zu heulen — denn vor Angst und Schreck konnte der Arme kein verständiges Wort hervorbringen. Aber lächelnd hob ihn der edle Prinz auf und ersparte ihm jede Entschuldigung damit, daß er dem Binder für den Unterstand dankte. Die Begleiter des Erzherzogs blickten erstaunt auf die überraschende Szene, bis dieser lächelnd den Sachverhalt aufklärte. Der Bindèr aber konnte sich nicht beruhigen, und erst, nachdem er sah, daß man es als Scherz nahm und ohne Groll wieder schied, begab er sich wieder zum Hause und zu seiner Arbeit zurück, laut den himmelvollsten Segen über den hohen Kaisersohn herabrufend und den Dank für die Milde und Güte aussprechend, bis die Gesellschaft seinen Blicken entschwunden war.“ * n * Ja, fürwahr, Erzherzog Johann war einer der größten, denkwürdigsten Männer der Steiermark, er war dessen verdienstvollster Wohltäter und Helfer. Sein kulturelles Wirken feezog sich auf die Untersteiermark ebenso wie auf die anderen Teile unserer Mark. Seine Verdienste um das untersteirische Verkehrswesen, seine Fürsorge für die Errichtung von Straßen und Brücken, sein beispielgebendes Wirken in bezug auf die Hebung des Weinbaues, seine grundlegende organisatorische Tätigkeit auf dem Gebiete der Landwirtschaft sind Vermächtnisse einer großen, edlen Seele, eines vornehmen, volksfreundlichen, lauteren Charakters, und die Früchte dieses hohen Erbes, sie kommen in wohltuender Weise auch unserem heutigen Geschlechte zugute. Ihm zu Ehren haben einst untersteirische Söhne Denksteine gesetzt und Denkmäler errichtet. . . sein Name lebt unvergessen fort im steirischen Volke. H* H* * Auch im prächtigen alten Stadtpark in Marburg stand ein mächtiges Standbild des edlen Prinzen; auf efeuumsponnenem Stein, in dem mit goldenen Lettern „Prinz Johann“ eingegraben war, umrauscht von dunklen, ernsten Fichten, stand die überlebensgroße Statue des Prinzen in schlichter Jägertracht. Und schimmerndes, sonniges Rebenland grüßte herab von den von Himmelsblau umspannten Hügeln, und die Windräder, sie sangen und dankten mit melodischem Klange . . . Gestürzt ist nun das Denkmal, beschmutzt und besudelt von kulturfeindlicher, roher Hand, verschleppt ist es und ruht nun verlassen in irgendeinem Dachraum der alten Draustadt. . . und die Windräder, sie klagen ein wehmütig’ Lied. Franz Hausmann TEGETTHOFF (1827—1871) Wie einfach und leicht erschien die Größe eines männlichen Helden àn ihm, da floß noch die antike Vorstellung der Tapferkeit mit der Erscheinung eines Menschen zusammen. Das war nicht der moderne Begriff ausgerechneten relativen Vorteils, der seine Stunde abwartet, um über schlafende Gegner herzufallen und Geschichtsruhm zu stehlen, es war noch die Brust, die sich dem Stärksten entgegenstellt, mit dem entschlossenen Verzicht des eigenen Lebens; Mut, mit ruhig leuchtendem Antlitze, ohne zusammengebissene Zähne. Biiefe eines Unbekannten. Wien 1881. Sriedrich Nietzsche sagt, daß in Europa die unterworfene Rasse schließlich wieder die Oberhand bekommen habe, und wirft dann die tief bedeutungsvolle Frage auf: „Wer steht uns dafür, ob nicht die moderne Demokratie, der noch modernere Anarchismus und namentlich jener Hang zur ,Kommune4, zur primitivsten Gesellschaftsform, der allen Sozialisten Europas jetzt gemeinsam ist, in der Hauptsache einen ungeheuren Nachschlag zu bedeuten hat — und daß die Eroberer- und Herrenrasse, die der Arier, auch physiologisch im Unterliegen ist? . . (Werke VIH, 309.) Man betrachte auf das hin die Porträts der führenden Männer Österreichs von einst, zum Beispiel die herrlichen Bildnisse von der Hand Kriehubers, und vergleiche damit die Porträts moderner Führer: man wird überrascht sein von der Richtigkeit und Wahrheit der Vermutung Nietzsches. Die Physiognomien der alten großen Österreicher erzählen uns von „Mächtigen“, von „Herren“ und „Gebietenden“, es spricht ein unendlich „Edles“, wunderbar „Vornehmes“ aus diesen Antlitzen, „Wahrhaftigkeit“ ist ihr gemeinsamer Typus. Es liegt etwas „Unnahbares“ in diesen Zügen, ein höheres „Wachsein“, ein gesteigertes „Sein“ überhaupt: mit einem Worte, alle miteinander sind — ob mit oder ohne Krone — „adelig“. Man studiere die Physiognomien der österreichischen Ministerpräsidenten und Kabinettsmitglieder etwa seit Beust: man wird wenige solche „alte“ Köpfe darunter finden. Die meisten sind trotz aller Aufmachung nichtssagend, herzlich unbedeutend, wenn nicht geradezu schwach und arm. Ganz besonders gilt dies von Generalsköpfen: wie wenige große Physiognomien weist zum Beispiel die letzte österreichische Generalität auf! Dünn furniertes, ganz gewöhnliches Holz! Man halte dagegen die Soldatenköpfe zum Beispiel der Napoleonischen oder gar der Radetzkyzeit, man vergleiche damit die Typen aus der Epoche des Kampfes Österreichs um die Vormacht in Deutschland: Echt und unecht sondert sich da deutlich genug. Diese vergleichenden physiognomischen Studien erklären Österreichs (und ganz besonders auch Deutschlands) heutiges Schicksal deutlicher als irgendein Geschichtswerk. __Nv..~,'^ .ùn^,W^*fnr4*|eia*M^.»^vi__....... ..* .^«.v.Umi^app^lf^ Tegetthoffdenkmal in Marburg a. d. Drau Man kann ungefähr sagen, daß seit den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die alten großen adeligen Typen immer mehr schwinden, daß die führende Oberschicht mehr und mehr physiognomisch verarmt — um schließlich von den von unten, von ganz unten heraufgestiegenen Umsturzleuten auf das schmachvollste verjagt zu werden. Heute herrschen die „Minderen“, die seit je Unterjochten, die Vorarischen, die geborenen Sklavenseelen, die Rechtlosen des aristokratischen Altertums und des Mittelalters, die Minderberechtigten des Vormärz. Daß die intelligenten Juden sich solche Gelegenheiten, als lachende Dritte Macht zu gewinnen, nicht entgehen ließen, ist wohl zu begreifen . . . Wilhelm v. Tegetthoff ist einer der Letzten aus jener stolzen Reihe altösterreichischer Köpfe. Sein Wirken fällt bereits in die Niedergangszeit: er war schon sehr allein. Trotz seiner antiken Natur, trotz seines herrlichen Heldentums konnte er doch nicht mehr im höchsten Sinne entscheidend ein-greifen. Sein Achillesschicksal — er starb mit 44 Jahren — bewahrte ihn davor, Österreichs schmählichen Niedergang weiter mitanzusehen. $ * * Tegetthoffs Annalen sind leicht zu überblicken: Am 23. Dezember 1827 zu Marburg an der Drau geboren, trat er 1837 in daš dortige Gymnasium, 1840 in die Marineakademie zu Venedig ein; 1847 wurde er der Brigg „Monte-cucculi“ als Kadett zugewiesen, 1848 zum Offizier befördert; 1849 kam er anläßlich der Blockierung Venedigs zum erstenmal ins Feuer, 1856 schützte er an der Donaumündung (Sulina) den dort sehr bedeutenden Handel Österreichs; 1857 durchforschte er die Küsten des Roten Meeres, 1858 wurde er Chef der ersten Sektion beim Marine-Oberkommando in Triest; während des Krieges von 1859 wirkte er im Raume Ankona—Venedig, nach Beendigung dieses Feldzuges wurde er Adjutant des Marine-Oberkommandos und begleitete in dieser Eigenschaft den Erzherzog Ferdinand Max nach Brasilien; 1860 und 1861 hielt er sich auf Rhodus und in Syrien auf; 1862 bis Anfang 1864 führte er das österreichische Kommando in den Levantinischen Gewässern; am 9. Mai 1864 siegte er bei Helgoland über die Dänen, tags darauf war er Konteradmiral und Eskaderkommandant; 1865 finden wir ihn in Ägypten und am Suezkanal; am 20. Juli 1866 siegte er in der Schlacht bei Lissa über die Italiener unter Persano, das Jahr darauf entledigt er sich einer Mission ins Ausland, „die maritimen Einrichtungen der bedeutendsten Seestaaten Frankreichs, Englands und der Vereinigten Staaten Nordamerikas zu studieren“; kaum heimgekehrt, geht er zum zweitenmal nach Nordamerika, die Leiche des hingerichteten Kaisers von Mexiko (des Bruders Kaiser Franz Josefs) zu holen; 1868 wurde er Vorstand der Marinesektion im Kriegsministerium, am 7. April 1871 starb er nach kurzer Krankheit zu Wien. * * Der Begriff „Österreicher“ im klassischen alten Sinne ist übernational, er beinhaltet einen ganz bestimmten Kulturzustand. Edle Blutarten sind da auf eine oft recht mannigfache Weise vermischt. Auffrischungen aus dem „Reiche“, aus den Niederlanden, aus Frankreich, Belgien und Italien, aus Spanien fanden immer wieder statt. Hieraus erklärt sich die Polytropie der Österreicher, die „Anstelligkeit“, die Anpassungsfähigkeit. Wie viele seiner besten Köpfe hat das alte Österreich aus den Rheinlanden, aus Westdeutschland überhaupt erhalten. Man frug nicht nach der Nation — man beurteilte nach dem Können, nach dem Leistungsvermögen. Man forderte viel, man verlangte den ganzen Mann, man nutzte aus im besten Sinne. Weichheit, Humanität im modernen Sinne, kritiklose Philanthropie waren nicht gerade altösterreichische Eigenschaften. Von oben nach unten lastete steter Druck, dieser Druck erregte Kraftentfaltung — nicht zum Umstürzen, nein, zum Tüchtiger-, zum Erfolgreicherwerden. Kinder, denen es gar zu gut geht, denen es nicht sauer gemacht wird, haben nur geringste Entwicklungsmöglichkeiten. Und das gilt auch für ganze Völker. Freilich, solche Ansichten sind heutzutage nicht gern gesehen, wir sind demzufolge auch herabgekommen genug. Was ein Kerl ist, der ringt sich durch: je schwerer er es in den Jugendjahren hat, um so besser! Leset die Biographien großer Männer: ihr werdet genug Bestätigungen für diese Behauptung finden. — Die Tegetthoffs waren zu Anfang des 18. Jahrhunderts in Westfalen ansässig, in Paderborn besaßen sie ein Haus und Grundstücke. Karl, der Vater Tegetthoffs, kämpfte in den Napoleonischen Feldzügen, ward 1836 Major und Kommandant des Werbebezirkes zu Marburg an der Drau. 1840 in den Ruhestand getreten, übernahm er 1848 den Grenzschutz gegen Ungarn (Schloßkommandant von Riegersburg). Leopoldine Czermak, Tegetthoffs Mutter, stammte aus Prag, ihre Trauung mit Karl fand zu Marburg 1826 statt. Tegetthoffs Eltern waren so arm, daß er nach der Ausmusterung nicht einmal nach Hause auf Urlaub gehen konnte, ja, der Vater brachte nicht die 300 Gulden zur Equipierung Wilhelms auf. Und als Tegetthoff 100 mühselig aufgebrachte Gulden vom Vater erhalten sollte, lehnte er mit Rücksicht auf den Notstand der Eltern auch dieses Drittel des Ausrüstungsgeldes ab: „...ich bitte, teuerster Vater, mir es nicht übelnehmen zu wollen, wenn ich mich für die 100 fl., welche Deine grenzenlose Güte für mich mir zudachte, nochmals bedanke. Ich kann sie wirklich nicht annehmen, denn es würde mich stets schmerzen, wenn ich das Bewußtsein hätte, daß Du und die gute Mutter meinetwegen Euch Abbruch tätet. Du schilderst mir deine jetzige Lage, wie Du eingeschränkt lebst, in dem Briefe, in welchem Du mir die Unmöglichkeit, mich auf Urlaub kommen zu lassen, bekannt gabst. Ich sehe also ein, daß es Dir sehr schwer fallen muß, auf einmal eine Ausgabe von 100 fl. zu machen, und doch isi Deine Güte so groß, sie machen zu wollen. Es wäre also lieblos und undankbar von mir, wenn ich jetzt eine solche Summe annehmen würde.“ (Brief vom 26. Juli 1847.) Das ist so recht eigentlich das Klima, in welchem ganze Männer heran wachsen, das ist die Keimstätte heroischer Tugenden. Wer solches Klima nicht verträgt, um den ist eben nicht schade. — Tegetthoff war denn auch mit kaum 29 Jahren selbständiger Kommandant auf militärisch und politisch schwierigsten Posten. Prokesch-Osten schreibt in seinem Berichte an den Marine-Oberkommandanten (17. März 1856): „Es gereicht mir zur angenehmen Pflicht, die rühmliche Tätigkeit und Einsicht zu beloben, welche der Kommandant des.,TaurusV Schiffsleutnant v. Tegetthoff, in der Sulina entwickelt. Seine Berichte sind die gründlichsten und umfassendsten; seine Haltung ebenso versöhnlich als energisch, überhaupt sein ganzes Wirken den sehr schwierigen Verhältnissen dort vollkommen angemessen.“ Harte Zucht, Entbehrungen aller Art sind es auch, welche jene allen großen Menschen eigene Zähigkeit anzüchten, ohne die ein großes Siegen im Lebenskämpfe eben unmöglich ist. Welch elendigliches Vehikel war die österreichische Marine in den fünfziger und sechziger Jahren — und doch, was vermochte Tegetthoff aus ihr und mit ihr zu machen und zu leisten! Durch und durch sachlich, zog er lieber Ungnade auf sich, als sich dem liebedienerischen Schlendrian hinzugeben. Mit einer Zähigkeit bewunderungswürdigster Art arbeitete er unermüdlich am Ausbau, an der Ertüchtigung seiner Waffe. Mit einem Minimum an Mitteln ein Maximum und Optimum erreichen: wo anders sollte man das lernen, als im rauhen Klima einer strengen, harten Erziehung? Entsprechend den hohen Anforderungen, die der eigentliche Altösterreicher an sich und an andere stellte, zeigt er eine auffallende Neigung zur Universalität. Bloß Berufsmensch allein zu sein, galt für sehr wenig. Tegetthoff, der bedeutendste Marinefachmann seiner Zeit, studierte mit Vorliebe Kant, ja sogar ornithologische Forschungen, anthropologisch-ethnologische Studien trieb er. Die Erlernung fremder Sprachen lag ihm stets am Herzen; Türkisch und Arabisch konnten ihn nicht einmal abschrecken. Nur wer dann und wann einmal von anderswo herkommt, nur der vermag das Feld seines eigentlichen Berufes zu überschauen, vermag Vergrößerungsmöglichkeiten, Gebietserweiterungen zu erkennen und durchzuführen. Ausschließliche Berufsarbeit verbunden mit außerberuflicher Faulheit macht blind und unfruchtbar; früher oder später muß Gehirnlähmung eintreten. Tegetthoff forderte daher von den jungen Marineoffizieren weit- Und tiefgehende Kenntnisse: der Erziehung in den Marineschulen galt namentlich in den letzten Jahren seine ganze Aufmerksamkeit. Die hydrographische Anstalt in Pola, die Marinesternwarte, das meteorologische Observatorium, die Marinebibliothek, die Seekartensammlung sind im großen und ganzen sein Werk. Besonderes Gewicht legte er auf Studienreisen ins Ausland: immer wieder sollte man sich von dorther ergänzen, sollte man dort reicher werden. * * * Tegetthoff war ein Soldat mit genialer politischer Begabung, ein Militärpolitiker, ein Politikermilitär durch und durch. Im großen und ganzen ist alle Politik Wirtschaftspolitik und nur die Wirtschaftspolitik ist es, die den Soll daten nötig hat (man frage darüber heutzutage bei Frankreich und England an!). Wie sagt doch der aristokratischeste Philosoph Friedrich Nietzsche: „man muß heute vorerst Soldat sein, um als Kaufmann nicht seinen Kredit zu verlieren“ (Werke VIII, 497). Als Soldat vermochte sich Tegetthoff durchzusetzen, als Politiker nicht. Gegenüber Beusts Schwindeleien vermochte sein ehrlicher Wille nicht aufzukommen: nicht einmal der Monarch schenkte ihm Gehör. Anläßlich des Baues der großen Welthandelsstraße im Orient betonte Tegetthoff in einem Vortrage an den Kaiser, „die Erwerbung eines Stück Gebietes in fernen Meeren würde auch geeignet sein, dem durch den erlittenen Verlust der schönsten Provinz getrübten Glanz der Monarchie in den Augen des In- und Auslandes einigen Relief zu geben“. Weitershin forderte er „die Herabsetzung der Tarifsätze auf den österreichischen Eisenbahnen und speziell auf der Südbahn; Reform des Instituts des österreichischen Lloyd, Bau eiserner Schiffe, Herstellung geräumiger Bassins, bequemer Ausladeplätze und Magazine für Schiffe und Waren in Triest und Fiume, Abschluß von Handelsverträgen mit China, Japan, Persien, Anstellung von besoldeten Konsularagenteri auf den wichtigsten Plätzen des Roten Meeres . . Der Kaiser war jedoch von Beust und Konsorten derart eingesponnen, daß er den Vorschlägen sèines Admirals nicht die gebührende Aufmerksamkeit schenkte. Von den Ministern hörte Tegetthoff immer wieder, „man dürfe sich nicht in Auslagen stürzen, ohne von deren Notwendigkeit Gewißheit zu haben“. Über seine damaligen Erlebnisse in Wien schreibt er: „Speiste bei Graf Mens-dorf, trug dort diesem von neuem meine Leidensgeschichte vor, war auch beim Chef des Generalstabes Freiherrn v. Henikstein und Baron Biegeleben geladen; ersterer hörte mich mit ziemlicher Gleichgültigkeit an, letzterer schien Interesse zu nehmen, scheint aber dieses wenige Minuten später verloren zu haben.“ Mit dem „peinigenden Gefühle des Unverstandes und der Gleichgültigkeit von oben“ verließ Tegetthoff Wien. Und das war im März von 1866!! — Mit der rapiden Zunahme der „inneren Politik“, das heißt mit dem Politisieren der Menge, ging jede Kraft zu wirklicher, das heißt zu äußerer Politik verloren. Man hörte zu regieren auf. Am 3. September 1870 schrieb Tegetthoff: „Nach außen fällt nunmehr unserer Regierung eine sehr subalterne Rolle zu, nach innen hat sie sich schon lange daran gewöhnt, gar keine mehr zu spielen. Ein wahres Glück, daß im verflossenen Jahre die Kaiserreise (Eröffnung des Suezkanals) stattfand. Gott sei Dank, es ist dabei erheblicher Glanz auf unseren Kaiser herabgeströmt.“ So stand es um 1870! Mit steigendem Unmute verfolgte Tegetthoff die Experimente des Grafen Beust, dieses Totengräbers Österreichs. Am 15. September desselben Jahres schreibt er: „Der Firma Beust-Potocki ist es gelungen, die Deutschen dahin zu bringen, auch ihrerseits übers Striken nachzudenken. Da eröffnet sich nun eine sehr trostreiche Aussicht auf eine der gedeihlichen Entwicklung Österreichs sehr fördersame Zwickmühle, auf der sich in den verschiedensten Tonarten wird spielen lassen.“ Am 28. September: „Was sagen Sie zu dem nicht aufhören wollenden Chaos im Innern, und das zu einer Zeit, in welcher der Traum unserer Jugend, ein einiges Deutschland (leider nicht unter Österreichs Führung), der Verwirklichung entgegeneilt?“ Welchen Schmerz mag der treue', ehrliche Held empfunden haben, die erbärmlichsten Figuren in hoher kaiserlicher Gunst zu sehen! — Und doch: wie verehrungsvoll blickte dieser große, herrliche Mann zu seinem Kaiser auf! Das war noch die antike Gesinnung . . . * * Tegetthoffs tragisches Geschick war, in einer Zeit zu leben, die ihn nicht mehr verstand. Für die siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts war er ein Anachronismus. Die feilen Höflinge, die blassen Ignoranten, die Minusvarianten des Adels einerseits, das Volk mit seinen famosen Parlamentspolitikern andererseits hatten gesiegt, längst gesiegt; für Menschen von antiker Prägung, für Helden im großen Sinne, war kein Platz mehr: nicht einmal ihre Stimme konnten sie mehr vernehmbar machen. Oben Unverstand und Gleichgültigkeit, unten Durcheinander und tatenlähmende Wichtigtuerei. Es ist erschütternd, zu wissen, daß Tegetthoff noch in den Delirien des Todeskampfes sich mit Organisationsentwürfen beschäftigte, sich um das Marinebudget sorgte. Drei Stunden vor seinem Tode erlangte er wieder das Bewußtsein und sagte: „Nun legen wir uns nieder, um zu schlafen, und stehen nicht mehr auf.“ Er wollte in seiner Umwelt nicht mehr wach sein, ganz und gar nicht aber in der Zeit, die er kommen sah. Man sollte glauben, daß er mit Hilfe des Volkes, das heißt mit Hilfe des Parlamentes, gegen die schreckliche Insuffizienz von oben, seine grandiosen Pläne — großösterreichisch durch und durch — hätte durchführen können. Doch die Parlamentarier hatten anderes zu tun, als an des Vaterlandes Geltung, Wohlstand und Größe zu denken. Beust und Genossen hatten die Völker Österreichs aufeinander gehetzt, um selbst Ruhe zu haben und sich im Glanze ihrer Großkreuze und Adelskronen zu sonnen. An die Stelle einer großzügigen Wirtschaftspolitik, einer dieselbe bedingenden Militär- und Marinepolitik traten die erbärmlichsten nationalen Windbeuteleien, die die Welt je gesehen. Aber trotzdem: Ein Mann wie Tegetthoff- hat nicht umsonst gelebt! Oben und unten haben ihr Nichthinhören auf die Stimmen ihrer großen Männer furchtbar gebüßt. Ein Blick auf das heutige Österreich und Deutschland zeigt die vom Weltgericht gesetzte Strafe. Was man nicht nutzt, nicht ausnutzt, verliert man — mehr als wir verloren haben, kann man nicht verlieren. Hundert Jahre hatten wir Zeit, Dalmatien wirtschaftspolitisch und militärisch auszuwerten — wir taten es nicht. Aber, Gott sei Dank, unsere Nachfolger tun es auch nicht! — Mittlerweile haben wir Zeit — nachzudenken. Da taucht in tiefer Nacht ein sonnenhell leuchtend Gestirn auf: Tegetthoff! Sein Leben, seine Lehre, seine Art, sein Wesen: Machen wir gut, was andere an ihm verdarben! Dich aber, du größter Sohn Marburgs, bitten wir — vergiß, vergib — und sei mit uns. Schloß Laubegg, den 4. November 1923. Anton Berger BARTHOLOMÄUS VON CARNERI Im Gedenken an das alte deutsche Marburg und an seine ruhmwürdigen Persönlichkeiten steigt in erster Reihe das edle Denkerhaupt Bartholomäus von Carneris vor uns auf; sein gewichtiger Name schwingt in jener treuen Erinnerung bereichernd mit, die in Steiermark wohl immer für die ihm entrissenen Kulturstätten des Draugebietes lebendig bleiben wird. Hat doch Carneri viele Jahre auf dem seiner Schwester Josefine Freiin von Lannoy abgekauften Schlosse Wildhaus im Drautale verbracht, dort mehrere bedeutende politische und philosophische Werke geschrieben und sich schließlich nach der Vermählung seiner einzigen Tochter Friederike mit dem Korvettenkapitän Richard Freiherrn von Basso-Goedel-Lannoy (1885) dauernd in Marburg seßhaft gemacht, wo auch am 18. Mai 1909 sein schaffensfrohes, von gemeinnütziger Arbeit übervolles Leben zur Rüste gegangen ist. Was an ihm sterblich war, ruht nun in der Familiengruftkapelle zu Zellnitz an der Drau. Der mannhafte deutsche Politiker, der gedankenreiche Dichter, der optimistische Lebensphilosoph und begeisterte Ethiker, — jede der schöpferischen Auswirkungen dieses Kämpfers für die Ideale schöner Menschlichkeit bringt uns die Worte des Johannesevangeliums auf die Lippen, durch das der Meister seinen Vorläufer gezeichnet hat: Er war ein brennend und scheinend Licht. Geboren im südtirolischen Trient am 3. November 1821 als Sohn des k. k. Gubernialrates und Polizeidirektors Franz Xaver Reichsritter von Carneri zu Eben- und Bergfelden aus dessen zweiter Ehe mit Maria Gräfin Giuliari, deren Ahnenreihe in die Familie Dantes zurückreicht, drängte den jungen Bartolo sein Fühlen und Denken leidenschaftlich zu deutscher Art und deutschem Wesen. Dieses Gefühl pulst schon früh in seinen Versen: Die deutsche Sprache wurde zu der meinen, Sie ist mein selbsterworbnes Bürgerrecht. In ihr allein vermag mein Schmerz zu weinen, In ihr allein erschallt mein Jubel echt; Und alles, was ich denke, fühle, ahne, In deutschen Klängen kündet’s seine Glut, Jedwedes Lied ein Schwur zur deutschen Fahne, Jedwedes Wort ein Tropfen deutsches Blut. Er war großdeutsch im Sinne der alten Achtundvierziger gesinnt und schalt jene Kleindeutschen, die Österreich aus der Reihe der deutschen Staaten strichen, denn „wer schildert“, ruft er einmal aus, „den Schmerzensschrei von neun Millionen Deutschen, die nach tausendjähriger Vereinigung, losgerissen von den Brüdern, plötzlich nur durch eine äußere Allianz am Mutter- lande hangen sollen“. Der Bruderkrieg des Jahres 1866 war ihm ein schmachvolles Erlebnis und den Ausschluß Österreichs aus Deutschland vermochte er nie zu verwinden. Das neue preußische Kleindeutschland dünkte ihm das Grab der deutschen Einheit, die seinem Herzen nur als ein Gesamtdeutschland unter österreichischer Vorherrschaft denkbar schien. Schon in jugendlichen Jahren ergab er sich in Wien mit Vorliebe literarischen Neigungen und schloß sich in besonderer Freundschaft an Anastasius Grün (Anton Graf Auersperg), den Oheim seiner späteren Gemahlin. Also hub sein geistiges Schaffen zunächst und zuerst auf dem Gebiete der Poesie an, der er im Jahre 1848 mit einem durch F. A. Brockhaus in Leipzig herausgegebenen, von bunter, gehaltvoller Lyrik erfüllten Bande „Gedichte“ die erste größere Weihegabe darbrachte. Zwei Jahre darauf erschien die zweite Auflage. 1862 folgte ein politisch-nationaler Sonettenkranz, der sich in äußerlicher Anlehnung an ein Gedicht des Freiheitssängers Moritz Hartmann „Pflug und Schwert“ betitelte. Auch in späterer Zeit ließ ihn die Muse nicht ganz los, denn im Jahre 1892 erschienen ungarische Balladen und Volkslieder, die seine Nichte Emmy von Nemethy gesammelt und in Paris unter dem Titel „Ballades et Chansons populaires de la Hongrie“ veröffentlicht hatte; die schönsten unter ihnen muteten ihn derart begeisternd an, daß er sie meisterlich zu übersetzen wußte. Mit ziemlich arger Verkennung seiner Kräfte und in sonderbarer Selbsttäuschung äußert er sich hierüber: „Alles andere, was ich geschrieben, wird weit überflügelt werden, diese Lieder nicht, weil sie der reine Ausdruck einer Volksseele sind. Ich habe sie meinem Volk in formvollendeter Sprache geboten. Sie sind trotzdem mit sklavischer: Treue übersetzt und man könnte sie für Originaldichtungen halten. Die Formvollendung ist aber nicht das Werk der paar Monate, die ich etwa daran gearbeitet habe, sondern das Werk vieler Jahre. Denn viele Jahre habe ich in dem Wahne gelebt, ein Dichter von Bedeutung werden zu können. Mit ausdauerndstem Fleiß habe ich mich diesem vermeintlichen Berufe hingegeben, bis ich mich überzeugte, kein Berufener zu sein, denn mir gehen die echten poetischen Gedanken ab.“ Wenn Carneri auch in einer seiner Dichtungen ausdrücklich hervorhebt, daß er ausschließlich Rückerts „Geharnischten Sonetten“ nacheifere, so hat doch Italien, dessen Geschicke damals manche Ähnlichkeit mit denen Deutschlands zeigten, einen mitbestimmenden Einfluß auf den Inhalt und auf die Form seines dichterischen Wesens genommen. Diese starke Wirkung auf ihn, dessen Wiege welsche Laute umklangen, bezeugt auch seine Dante-Übersetzung, der er eine kundige Abhandlung über die Alliteration bei dem größten Dichter des mittelalterlichen Italien angeschlossen hat. Carneris Leben war ein schwerer Leidensweg, aber er hat ihn als Held und Weiser in ehrfurchtgebietender Kraft durchmessen bis ins achtundachtzigste Jahr. Die Mutter starb schon bei seiner Geburt und den Vater verlor er, als er noch nicht das 16. Jahr erreicht hatte. Ein beständiges, schleichendes Leiden war schon von frühester Kindheit an durch seinen halbgelähmten Körper bedingt; zusammengewachsen mit seiner Zwillingsschwester, mußte das kleine Geschöpf erst durch das Operationsmesser selbständig gemacht werden. Das häufig qualvoll schmerzend beeinflußte Nerven- und Muskelsystem machte Carneris Dasein zu dem eines durch bewunderungswürdige Willensmacht über das bitterste Ungemach triumphierenden Dulders. In grausamster Tücke des Schicksals versagte ihm schließlich das Augenlicht; in schier übermenschlicher Seelenstärke ergab er sich auch in diese schreckliche Unabänderlichkeit und schuf, wie er selbst erzählt, von heftigen Qualen gepeinigt, aus dem Gedächtnisse, um den Schmerz abzulenken und zu mildern, als letztes Werk eine vollständige Übertragung der „Göttlichen Komödie“ Dantes in reimlosen fünffüßigen Jamben von hoher künstlerischer Schönheit, feinster deutscher Sprachempfindung und genialer Einfühlung in den gewaltigen Geist dieser italienischen Dichtung. Seine in Graz mit Luise Gräfin Schärffenberg am 1. März 1851 geschlossene Ehe war sicher die denkbar glücklichste; um so tiefer das Leid, die geliebte Frau und Mutter zweier Kinder jahrelang einem rettungslosen Siechtume verfallen zu sehen und viel zu früh verlieren zu müssen. Die Worte, die Carneri seinen Werken voransetzt, künden ergreifend sein Schicksalslos. „Dir, geliebtes Weib,“ heißt es in der Zueignung des Buches „Sittlichkeit und Darwinismus“ (1871, zweite Auflage 1903), „dem ich 20 Jahre ungetrübten Glückes verdanke, weil deine Nähe genügte, um gegen jede Widerwärtigkeit des Lebens mich unempfindlich zu machen, dir, edles Herz, das alles Wahre, Schöne und Gute im Kleinen wie im Großen zu fassen und damit die Heiterkeit der eigenen Reinheit in jedem Schmerz sich zu bewahren wußte, dir, meine Luise, in deren Augen ich schaue, so oft ich die Seiten dieses Buches überblicke, welche dir fertig mitzuteilen mir noch gegönnt war, dieses Buches, das die tieferen Empfindungen alle aus deiner Seele geschöpft hat, — dir gehört dieses Buch : laß mich, indem ich der Öffentlichkeit es übergebe, deinen Namen darauf schreiben, wie der Seemann dem Schiff, das er den unsicheren Wogen anvertraut, den Namen seiner Heiligen gibt.“ Etliche Jahre hernach finden wir in seinem Werke „Gefühl, Bewußtsein, Wille“ (1876) die erschütternden Widmungszeilen: „Wenn etwas auf Erden in mir den Wunsch hätte wecken können, einen Namen zu erlangen, so wäre es der Gedanke gewesen, dir, mein Max, ihn zu hinterlassen, damit er fortlebe durch dich. In der Blüte der Jahre, und, was an Edlem ein Vaterherz erträumen kann, verheißend, bist du hingegangen. Was mir bleibt, ist, unsere Namen hier zu verbinden, auf daß der deinige fortlebe, so lang meiner dauern mag.“ Weil für Carneri wie für die vom Staatsbegriffe ausgehenden Ethiker des Altertums der Staat als Quell und Hort der höchsten menschlichen Zwecke wieder zum ethischen Ideal wurde, widmete er drei Jahrzehnte seines Lebens dem Parlamentarismus. Ethik und Politik verknüpfen sich schon frühzeitig in des scharfen Denkers schriftstellerischem Wirken derart eng, daß der Verfasser zahlreicher politischer Flug- und Streitschriften in den sechziger Jahren durch die Vertiefung der ihn bestimmenden Zeitgedanken zum sittlichen Erwecker und Philosophen der siebziger und achtziger Jahre werden mußte. Hohe ideale und wesentlich ethische Grundsätze sind es deshalb, die Carneri in seinem öffentlichen und parlamentarischen Wirken betätigt haben wollte, weil die politische Freiheit nur auf der moralischen beruhen kann. Sein Freund und Parteigenosse Ernst von Plener kennzeichnet ihn vortrefflich, wenn er meint: „ Carneri hat viel geleistet in seinem Leben. Aber seine Bedeutung liegt noch mehr in dem, was er selbst war. Es gibt viele gute Schriftsteller, viele tüchtige Politiker, aber wenig edle Menschen. Und gerade ein solcher war er. Er war erfüllt von einer durchgängig edlen und vornehmen Gesinnung, hilfreich, menschenfreundlich, uneigennützig, bescheiden und zugleich von einer Liebenswürdigkeit, die nur von innerlicher Güte des Herzens herrühren kann.“ Vom Jahre 1861 bis 1883 war er Abgeordneter des steiermärkischen Landtages, von 1870 bis 1891 gehörte er dem österreichischen Reichsrate als hervorragendes Mitglied der Linken an. Viele Jahre hindurch eröffnete er als Erster die Verhandlung über den Staatsvoranschlag und entwarf in sicheren Zügen ein Bild der jeweiligen Lage. In jeder dieser Reden fand sich ein packender Ausspruch, der als geflügeltes Wort dem betreffenden Zeitabschnitte das richtige Gepräge lieh. Wenn sich an solchen Tagen Carneri von seinem Sitz auf der äußersten Linken des Hauses erhob, dann lauschten Freunde und Gegner. Auf einem nicht unkräftigen, von Schmerzen gekrümmten Körper sah man den durchgeistigten, schönen, etwas zur Seite geneigten Kopf des Sprechers, aus dem die lichtvollen Augen in den Saal leuchteten und in der Erregung auch Blitze schleuderten. Aber um den schöngeformten Mund spielte stets ein heiterer, milder Zug und ein gutmütiges, etwas sarkastisches Lächeln. Als die Machenschaften der Regierung und der Parteien der Rechten offen zutage traten und das Ziel der Taaffeschen Politik klar ersichtlich wurde, entrang sich dem Innersten Carneris der niederschmetternde Ausruf: „Armes Österreich!“ — ein eindringliches Mahnwort, das in vielerlei Tonarten jahrzehntef lang vergeblich aus den Herzen der Besten aufschrie, so zum Beispiel schon 1848 in einem Frankfurter Briefe des geistvollen Tirolers Dr. Flir, der von der Wahl des Erzherzogs Johann zum deutschen Reichsverweser erhoffte, sie werde dazu beitragen, die baufällige österreichische Monarchie mit deutschen Strebepfeilern zu stützen. Ernst von Plener schildert die Reden Carneris, die die Dinge nicht vom niederen Schemel des Tages, sondern von der hohen Warte eines umfassenden Geistes behandelten, als „das Schärfste an oppositioneller Beredsamkeit, das man überhaupt hören konnte. Trotz aller physischen Hemmungen (Carneri wurde während seiner Reden oft von heftigen Nervenschmerzen geplagt und konnte wegen seiner schwachen Augen Notizen nicht benutzen) war die Wirkung seiner Rede immer ein überwältigendes Ereignis. Es war die Rede des Denkers und Patrioten“. Der vornehme Geist war immer auf das ganze Österreich gerichtet und auf die Hauptsache gesammelt, auf das Gedeihen seines heißgeliebten deutschen Volkes. Ein bedächtiger Fortschritt, allmähliche Erweiterung der politischen Freiheit, eine tüchtige, allen neuzeitlichen An-fordèrungen entsprechende Schule, ein geeinigtes Österreich mit starker Zentralgewalt, gerecht gegen alle Völker, aber deutsch in seiner Verwaltung — das waren in groben Umrissen seine politischen Ziele. Er scheute sich nicht, in einer seiner flammenden Reden gegen die zunehmende Slawisierung der Ämter zu erklären, daß der Mißbrauch des nationalen Elements den Untergang Österreichs zur Folge haben müsse, denn der deutschen Sprache ihre Berechtigung als Vermittlerin des österreichischen Staatsgedankens abzuerkennen, heiße Österreich unmöglich machen. Als Carneri bei den Wahlen im Jahre 1891 das Mandat der inneren Stadt Graz, das ihm nach Rechbauers Rücktritte zugefallen war, verlor, kehrte er ohne Groll und Verbitterung zu fruchtbarerer und gesammelterer Geistesarbeit zurück. Den philosophischen Werken „Der Mensch als Selbstzweck“ (1877), „Grundlegung der Ethik“ (1881), „Entwicklung und Glückseligkeit. Ethische Bartholomäus von Carneri Essays“ (1886) folgte nun „Der moderne Mensch. Versuche über Lebensführung“ (1891), ein Werk, das sich an einen erweiterten Leserkreis wendet und in seiner gemeinfaßlichen, volkstümlichen Schreibart der Absicht entsprang, die modernen naturwissenschaftlichen Forschungsergebnisse ethisch Veranlagten dienstbar zu machen. Das im Jahre 1893 veröffentlichte Buch „Empfindung und Bewußtsein. Monistische Bedenken“ schließt dann die Reihe der größeren philosophischen Arbeiten. Mit mehr durchdringenden als gefühlsseligen Augen sieht Carneri unbestechlichen Blickes den Menschen, seine Seele, sein Leben und seine Leidenschaft, seinen Willen und Verstand; er-hat alle Vorzüge eines feinen Sprachkünstlers und dazu die sittliche Reinheit eines geläuterten, in sich gefestigten Wesens. Er war kein Kathederphilosoph, wie er ja überhaupt mit Rücksicht auf seine körperlichen Gebrechen von einem Studium an einer Universität absehen mußte. Ihm ward dessenungeachtet durch den privaten Unterricht in den Gymnasialfächern und durch planvolles Arbeiten in den verschiedensten Wissensgebieten eine seltene allgemeine Bildung; er sprach und schrieb gleich geläufig in deutscher, italienischer und französischer Sprache, las das Englische mühelos und beherrschte das Schrifttum aller Kulturvölker. Kein Wunder, daß ihn der große Aufschwung der Naturwissenschaften um die Mitte des 19. Jahrhunderts mächtig beschäftigte und anregte. Er war ursprünglich von Spinoza, Kant und Hegel ausgegangen, um schließlich den Entwicklungsgedanken, der durch die rein biologischen Lehren Darwins so sehr in den Vordergrund gerückt war, auf das Gebiet des sittlichen Lebens anzuwenden. Der Darwinismus suchte auch das Zweckmäßige natürlich und entstehungsgeschichtlich zu erklären; diese wissenschaftlichen Theorien, die ungeheures Aufsehen erregten, wurden wie eine Offenbarung empfunden und man trachtete rasch, sie ziemlich unbesehen auf alle Gebiete, auf die Geschichte, auf die Wirtschaft, auf die Politik zu übertragen. So hat Darwins Lehre im Zeitalter des naturwissenschaftlichen Lebensgefühls einem einseitigen Materialismus sehr die Segel geschwellt; man befürchtete von ihrer Verbreitung eine kalte, rohe, mechanistische Auffassung, einen ethischen Nihilismus, geradezu eine Ver-tierung und Entsittlichung der Menschheit, die ohne Trost und Hoffnung dem Verzweifeln anheimgegeben werde. Da führte der Philosoph Carneri den Beweis, daß der Anhänger der neuen Naturwissenschaft auf das Ideal nicht zu verzichten brauche, daß diesem im Gegenteil eine fortschreitende Entwicklung geboten sei, auf deren höchster Stufe ein Mensch stehe, dessen veredelter Glückseligkeitstrieb das Glück in dem finden werde, was gut und schön ist, und was er tun solle. „Durch Arbeit und Bildung zum wahren Glück und durch das wahre Glück zur Tugend, mit einem Worte: Veredlung des Glückseligkeitstriebes“, so lautet Carneris Formel, der zur Erläuterung noch der Satz angefügt sei: „Beim wahrhaft Vollkommenen tritt das Wollen des Glückseligkeitstriebes zum Sollen der Tugend: er will, was er soll.“ Diese biologische und evolutionistische Ethik, als deren Begründer Carneri betrachtet werden muß, hat dann in dem umfassenderen und großzügigeren englischen Denker Herbert Spencer ihren Systematiker gefunden. Friedrich Jodl würdigt des Marburger Philosophen Bedeutung vortrefflich mit dem Ausspruche: „Den Weg zu zeigen, der von der neuen Biologie zu einem neuen Idealismus führt, das kann man als das eigentliche Ziel der Philosophie Carneris bezeichnen.“ Er will dem Volke ein Führer sein in jener Gedankenwelt, die durch eine tiefgründige Naturforschung der Menschheit erschlossen worden ist, und trachtet, die Grundanschauungen Darwins und Haeckels mit den geheimnisatmenden Regungen der Seele, mit den Richtlinien der Sittlichkeit, die eindringlichst das Evangelium der Arbeit predigt, in Übereinstimmung zu bringen. Als ihm die Wiener Universität im Jahre 1901 in besonderer Auszeichnung den Titel eines Ehrendoktors der Philosophie verlieh, rühmte das Begleitschreiben des Diploms die gemeinverständliche Fassung Carnerischer Schriften: „Wir schätzen es hoch, daß Sie es vermocht haben, Ihren wissenschaftlichen Ideen eine solche Form zu geben, welche dieselben befähigt, auch in weitere Kreise des Volkes zu dringen, und daß Euer Hochwohlgeboren auch in Ihrer öffentlichen Tätigkeit neben der edelsten Hingabe an Österreich stets jene Grundsätze der geistigen Freiheit vertreten haben, ohne deren rückhaltslose Anerkennung eine erfolgreiche Förderung der Erkenntnis und der wissenschaftlichen Arbeit nicht möglich ist.“ Weite Kreise suchen Halt und Rettung, Flucht aus der Enge täglichen Lebens, sie streben nach Weite, Tröstung und Gott; sie ersehnen und erhoffen aus diesem Aufschwünge die Sinngebung, die Rechtfertigung und Heiligung ihres Daseins, ein Begreifen all des schweren. Leidens, das unsere Zeit belastet. Männer vom Gepräge Carrieris ragen da als stolze Vorbilder kämpfereichen und siegenden Geisteslebens empori Wissenschaft scheint ihm die einzige Form der Welterfassung, die das tiefst Menschliche im Menschen ergreift; die Geheimnisse, die religiös erleuchteten Gläubigen erstrahlen; sind ihm fremd. In einem Briefe kennzeichnet Carneri seine Stellung zu Religion und Wissenschaft durch einen geistreichen Vergleich: „Es ist schon etwas daran“, sagt er da, „an der in der Jugend geschlossenen Freundschaft : sie hat eine Ähnlichkeit mit der Religion; aber wie deren Lichtseiten, hat sie auch deren Schattenseiten. Sie gibt viel, jedoch man verlangt von ihr mehr als billig. Dann entwächst man oft einander, verschiedene Wege gehend, wie mau der Religion entwächst, und bleibt an einem Gefühl hangen, das dem Willen nicht ganz entspricht. Eine in späteren Jahren geschlossene Freundschaft, die, von allen persönlichen Verhältnissen und Interessen absehend, allein auf Gesinnungsgemeinschaft und gleiche Ziele gegründet ist, erquickt und stärkt wie das wolkenlose Licht der Wissenschaft. Wie die wahre Liebe erhebt sie uns tatsächlich in ein edleres Leben.“ Der Marburger Weise hat einst einem Philosophen des 18. Jahrhunderts eine Kennzeichnung zuteil werden lassen, die vollends auf ihn selber paßt: „Alles Wissen, das in ihn drang, wurde in ihm lebendig, und seine Philosophie hat ganz eigentlich in seinem Leben ihren Ausdruck gefunden.“ Dieser Ausdruck zeigt uns Bartholomäus von Carneri als einen der edelsten Deutschen, der mit dem tiefsten und gütigsten Verständnisse für alles Menschliche als Monist demselben Ziele zustrebte, das dem christgläubigen Peter Rosegger vorschwebte, als er schrieb: „.. . ich selbst möchte mich an dich, du liebe, arme, unsterbliche Menschheit, klammern und mit dir sein, durch der Jahrhunderte Dämmerungen hin — den Weg suchen helfen — den Weg zu jener Glückseligkeit, die das menschliche Gemüt zu allen Zeiten geahnt und gehofft hat.“ Heinrich Wastian RUDOLF GUSTAV PUFF EIN STEIRISCHER POET UND HISTORIKER DER BIEDERMEIERZEIT Ich sehe sie noch vor mir, die blaugrauen Pappbände mit roten Rückenschildchen in dem Bücherschränke meines Vaters, die mir schon deshalb merkwürdig waren, weil sie alle „Der Aufmerksame“ betitelt waren und in Gold gedruckt eine Jahreszahl trugen, wie mich bedünkte aus alter, alter Zeit, von der ich mir gar keine Vorstellung machen konnte, weil ich sie noch nicht erlebt hatte. Auch mußten, glaubte ich, diese Bände schon deshalb einen geheimnisvollen Inhalt haben, weil mir’s verwehrt war, sie zu lesen, so daß ich, um hinter ihr Wesen zu kommen, sie heimlich in einen abseits gelegenen Winkel trug und sie las — nein, verschlang, denn da gab’s Geschichten, die so wunderbar waren, daß man sie gleich wieder „von vorne lesen wollte, aus der Vorzeit, aus längst entschwundenen Tagen, und Gedichte, die Begebenheiten aus der alten Ritterzeit besangen, ein Füllhorn heimatlicher Romantik. Im „Aufmerksamen“, dieser seit 1812 mit der alten „Grätzer Zeitung“ erscheinenden literarischen Beilage, lernte ich Rudolf Puff kennen, lange bevor ich seine reichhaltigen historischen und volkskundlichen Arbeiten las, denn der fleißige Schriftsteller hatte den Boden der Heimatkunde tüchtig beackert, er war einer der frühesten Monographen der Stadtgeschichte von Marburg und hatte in kleinen Heftchen die erste Sammlung steirischer Sagen herausgegeben, und zwar anonym, denn er wollte seine Persönlichkeit hinter das Wesen der Sache bescheiden zurücktreten lassen, ganz wie die Künstler alter Zeit, die auch ihr Werk für sich sprechen ließen und selbst ungenannt bleiben wollten. Und als mir später Puffs Schriften aus der Heimatsgeschichte nach und nach alle bekannt geworden waren, als ich als zünftiger Parvist im dreihundertsten Jubeljahr des I. k. k. Staatsgymnasiums im Festalbum gewesener Schüler der Anstalt die gütigen Züge des alten Herrn leibhaft im Lichtbild vor mir sah, drängte es mich, etwas vom Lebenswege dieses für seine Heimat so verdienstvollen Mannes zu erfahren ; allein überall herrschte Schweigen und nirgendwo war von dem Manne die Rede, der in unermüdlicher Schriftstellertätigkeit in unserer Heimat Vergangenheit hineingeleuchtet und in nie erlahmender Sammlerarbeit Bausteine für die Geschichte unseres Landes zusammengetragen hatte. Das steiermärkische Landesarchiv erhielt 1880 von dem 1891 ebenfalls verstorbenen ältesten Sohne Hermann Puff, gewesenem Hauptmann-Auditor und k. k. Notar zu Radicersburg, Aufzeichnungen seines verewigten Vaters, unter welchen eine autobiographische Skizze desselben sich befindet, der nachstehende Notizen entnommen sind. Rudolf Gustav Puff wurde auf dem seit dreihundert Jahren im Familienbesitze befindlichen Gute zu Holzbaueregg nächst Groß-Elorian (Weststeiermark), damals zum Marburger Kreise gehörig, am 10. Juli 1808 geboren. Sein Vater hatte die juridischen Studien unter Jenulls Leitung am Lyzeum zu Grätz absolviert und den Familienbesitz zur Bewirtschaftung übernehmen müssen. Seine Mutter Therese war die jüngere Tochter des Grazer Juweliers und Goldschmiedes Jakob Fielner, desselben, der bei der Schätzung von Edelmetallgegenständen anläßlich der Klosteraufhebung durch Kaiser Josef II. beigezogen wurde. Der in der steirischen Literaturgeschichte bekannte Dramatiker Johann R. v. Kalchberg, damals Pächter der benachbarten Herrschaft Feilhofen, heute im Besitze des Fürsten Liechtenstein, war sein Taufpate. Der Großvater Rudolfs, ebenfalls Johann mit Namen, hatte in den Türkenkriegen im 18. Jahrhundert sich ausgezeichnet und genoß in den Kreisen der Florianer Bevölkerung einen weitreichenden Ruf als „Wunderdoktor Puchmüller“, von einem seiner Höfe so genannt, denn er hatte, wie noch der Enkel versichert, einen großen Schatz praktischer Arzneikunde aus dem Orient mitgebracht, daß ihn auf dem sonntäglichen Kirchgänge nach Groß-Florian Kranke und Notleidende förmlich belagerten, für die er ärztlichen Rat oder ein Silberstück stets bereit hatte. Er starb um die Zeit der Geburt Rudolfs im Alter von über neunzig Jahren. Die traurige, wirtschaftlich bedrängte Zeit des Franzosenkrieges' von 1809, aber noch mehr ein Familienunglück (die einzige Schwester, Marie, von Rudolfs Vater stürzte durch einen verhängnisvollen Zufall in den tiefen Hofbrunnen und ertrank) veranlaßte Johann Puff, 1810 sein Familiengut zu verkaufen und nach Graz zu siedeln, wo er als Beamter in die Dienste der Landschaft trat. Er kaufte zu Graz in der Vorstadt Gries ein Haus mit großem Garten, dessen Pflege er seine gesamten freien Stunden widmete und wo er in Verbindung mit dem Pomologen Baron Moscon und anderen Fachleuten sich mit der Zucht von Edelobst und Blumen beschäftigte. Der früher energische, mit Lebensmut erfüllte Mann war dem Trübsinn und der Melancholie verfallen, denn die Sehnsucht nach seinem Erbgute in Holzbaueregg, das er verkauft hatte, nagte an ihm, auch waren seine Vermögensverhältnisse durch den Staatsbankerott vom Jahre 1911 auf ein Fünftel verringert. Er beschäftigte sich fast ausschließlich mit seinem Söhnlein Rudolf, der es als größten Lohn betrachtete, vom Vater ab und zu zur Teilnahme an einer Gärtnerbeschäftigung herangezogen zu werden. Als er fünf Jahre zählte, begann ihn sein Vater in den Elementargegenständen zu unterrichten, wobei ihm die väterlich-milde Strenge das Lernen leicht machte. Nur in einem Gegenstände konnte er seinen väterlichen Lehrer nicht zufriedenstellen, im Schönschreiben, da er dafür keine Veranlagung, besaß, und es war des Vaters größter Kummer, daß der Sohn diese im alten Österreich, wie man weiß, so hochgeschätzte Kunst nicht meistern konnte. Mit sieben Jahren kam Rudolf an die Normal-Hauptschule der Vorstadt St. Andrä, wo ihm Kaspar Wiederhofer, späterer Normalschuldirektor zu Marburg, ein treuer, liebevoller Lehrer ward. Daselbst gewann Rudolf seinen ersten Freund im Schulgenossen v. Leveling, dem Sohne eines Hauptmanns, der in der Grazer Garnison stand, welcher ihn ganz und gar für den Militärstand begeisterte, so daß Rudolf, als er die ersten Grammatikalklassen am alten Jesuitengymnasium besuchte, nur in der festen Hoffnung, mit fünfzehn Jahren Aufnahme in der k. k. Marineakademie in Venedig zu finden, sich zum Studium der alten und neueren Sprachen befeuern ließ, denn die Pedanterie der Lehrer erregte in ihm eher Unlust zum Studium; nur des Admonter Professors Hartnid Dorfmanns schöne Vorträge aus der Naturgeschichte wirkten auf den Knaben höchst anregend. Den Schwächen in der mathematischen Disziplin suchte über Auftrag des Vaters ein Artillerieoffizier als Hauslehrer zu steuern. Den Sinn für Geschichte und Vaterlandskunde entwickelte in Rudolfs Gemüt ebenfalls ein Admonter Professor, Blasius Trenk, und entfesselte in dem sich begeisternden Schüler eine wahre Lesewut, daß er, als ihm von den Seinen das Licht zur Lektüre verweigert wurde, in einer abgelegenen Bodenstube beim dürftigen Mondeslicht Gutes und Schlechtes über Steiermark, Österreich und Deutschland durcheinander las. Dabei mengte er Dichter und Historiker kunterbunt durcheinander, und nur sein ausgezeichnetes Gedächtnis ließ ihn den Ariadnefaden durch diesen Wust des Gelesenen finden. Im Frühjahr 1820 hielt er im Landhaussaal zu Graz mit Zöglingen der höheren Gymnasialklassen eine öffentliche Dissertation über steirische Geschichte, wobei er den Beifall der Prüfer, unter ihnen Wartinger, Schneller, Schmutz, Kalchberg und Gmeiner, errang. Von diesem Erfolge an befeuerte ein unbändiger Lerneifer Rudolf Puff, der außer der französischen, italienischen, englischen Sprache sich auch mit spanischer und neugriechischer feuereifrigst befaßte. Als Endziel stand dem nun unter H. Dorfmanns Führung stehenden ersten Humanitätsklassenschüler die Aufnahme in die Marineakademie zu Venedig vor Augen. Sein damals gewonnener Freund und Altersgenosse Eduard Baron Grimschitz, der, achtundzwanzigjährig, bei seinem frühen Tode bereits fünfzehn neuere Sprachen beherrschte, war ihm ein leuchtendes Vorbild. Da starb im September 1828 nach kurzer Krankheit Rudolfs Vater, kaum 38 Jahre alt, sein fürsorglichster Freund und Berater. Innerer Kummer über Kränkungen und Zurücksetzungen im Amte mochten zu dem raschen Ende des so kräftigen Mannes beigetragen haben, mit dem Rudolf nicht nür den Vater, sondern auch die Stütze seiner Existenz verlor. Seine lebensfrohe und dem Weltleben zugetane Mutter widmete ihre Sorgfalt dem jüngeren Bruder und überließ Rudolf sich selbst und seinem guten Genius. Schon als er mit dreizehn Jahren einen ersten poetischen Versuch gemacht hatte, hatte sie im Gegensätze zu aufmunterndem Lobe des Vaters hiefür nur beißenden Tadel gehabt. Er war nun auf eigene Füße gestellt, machte nach der Vollendung der sechsten Gymnasialklasse 1824 mit Mutter und Bruder eine Reise durch Oberund Niederösterreich, eine Fahrt, die ihm die Herrlichkeiten unserer Alpenwelt erschloß und die seine spätere nachhaltige Reiselust im Gefolge hatte. Als 1825 seine Mutter ganz nach Wien übersiedelte, fristete Puff seinen Unterhalt als Korrepetitor und gewann in den Professoren Dr. Likawetz und Alb. v. Muchar warme und ihn stets fördernde Freunde. Er bewohnte einen leerstehenden Flügel des alten Konviktes und brachte die Abendstunden in der Joanneumbibliothek zu, wobei die Beschäftigung mit mathematischen und historischen Wissenschaftszweigen ebensowenig wie die ihm liebgewordene Lehrtätigkeit ihn von literarischen Versuchen abzuhalten vermochten. Die erste Hälfte der Ferien 1825 benutzte er zu einer Reise durch die Alpengaue von Obersteier, Salzburg und Bayern, die zweite verbrachte er bei seiner Mutter in Wien, wo er in literarische Verbindung mit der Schriftstellerin Josefine v. Perin, geb. Baronin Vogelsang, und der bekannten Karoline v. Pichler, geb.. v. Greiner, trat. Einen mächtigen Eindruck machten ihm die Besuche des Hof- Rudolf Gustav Puff burgtheaters und lenkten seine Tätigkeit wieder auf das poetische Feld. Nach Absolvierung der „Physik“ 4826 machte er eine Reise durch Kärnten und verbrachte einen mehrwöchentlichen Aufenthalt in Gmunden, wo Ausflüge in die herrlichen Gegenden des Salzkammergutes und anregender Verkehr mit den Dichtern Kaltenbrunner, Schleifer, dem sogenannten österreichischen Anakreon, mit den Tondichtern Schubert und Kunt, und feine Geselligkeit mit Madame Chezzy und ihren Söhnen Max und Wilhelm ihm eine Quelle heiteren Frohsinns und dichterischer Stimmung wurde. Im Wintersemester 1826 begann er unter Jenull, der schon Lehrer seines Vaters gewesen, an dem wieder zur Universität erhobenen Lyzeum die juridischen Studien. „Meine Mutter“, heißt es in den autobiographischen Notizen, „starb, kaum 39 Jahre alt, plötzlich in Wien und der Bankerott eines Handlungshauses1 verschlang unser ganzes Vermögen. Ich wohnte damals bei meiner Tante, der würdigen älteren Schwester meiner Mutter, und war eben im Begriffe, mich zu einem glänzenden Balle 1 Wahrscheinlich Insolvenz des Bankhauses David Parish. im Hause des edlen steirischen Topographen Karl Schmutz anzukleiden, als die letztere Hiobsbotschaft eintraf. Ich zuckte etwas zusammen, aber das Motto: ,Arbeit und Muth‘ war zu licht vor mir, um mich verstimmen zu lassen. Ich ging zum Balle, wurde dort, als des Italienischen vollkommen mächtig, durch die Professoren Knarr und Hassler als Korrepetitor der Mathematik und Physik für die damals zahlreichen Italiener bestellt und fand an dem Geschäfte ebensoviel Geschmack als in jeder Beziehung günstige Resultate.“ Seine eiserne Gesundheit erlaubte ihm, nebst angestrengten Studien und seiner Korrepetitionstätigkeit mit seinen Freunden in seinen „freien Nächten“ die mannigfaltigen Zerstreuungen unserer Provinzialhauptstadt zu genießen, seine freien Tagesstunden brachte er in der landschaftlichen Fecht- und Reitschule zu. Dabei begann er eine eifrige poetische, ebensowie wissenschaftliche Tätigkeit. So hat er schon 1827 als Neunzehnjähriger ein systematisches Werk: „Die Götter der nordischen Vorwelt — sowohl germanischen als slawischen Stammes“ im Manuskripte vollendet. In den Ferien lockte es ihn auf Reisen. Nach behördlich bewilligter und abgelegter Prüfung im Frühsommer 1828 durchwanderte er Krain und Istrien, die Lombardei und Tirol von Riva bis Wörgl zu Fuß, hatte Pola, Ancona, Bologna und Turin besucht und im Anstaunen von Kunstwerken und Naturgenuß geschwelgt. Seit jener Zeit liebte er es, allein, nur in Gesellschaft, die der Zufall bot, zu wandern. Die letzten Studienferien 1829 durchwanderte er Mähren und Böhmen, besuchte die Sächsische Schweiz und kam bis nach Dresden. Im Sommer 1830 vollendete er seine juridischen Universitätsstudien, erlangte den Doktorhut der Philosophie und wurde am 2. Juli als Supplent der Humanitätsklassen nach Marburg entsandt. In der Universitätsstadt an der Mur hatte er sein Herz zurückgelassen bei einem liebenswürdigen, feingebildeten, schönen Mädchen, Josefine v. Sprung, das um seinetwillen einen glänzenden Antrag, sich zu vermählen, ausgeschlagen hatte. Er verlobte sich mit ihr, und es mag als ein in unseren Tagen unerhörter Beweis seiner Zuneigung die damals allgemein bekannte Tatsache erwähnt werden, daß er den zwölfstündigen Marsch von Marburg nach Graz allwöchentlich nicht scheute, um einige Stunden bei seiner Braut zu verbringen und am Abend des folgenden Tages wieder in Marburg zu sein. Am 10. Oktober 1830 krönte die Vermählung den geschlossenen Bund. Am 1. Mai des folgenden Jahres wurde Rudolf Puff zum wirklichen Humanitätsprofessor nach Capo d’Istria ernannt, von wo er jedoch mit dem gefeierten Dichter und Historiker, aber unfriedlichen Professor Suppanschitz nach Marburg zurück tauschte. Das gemütliche Draustädtchen von damals und seine Heimat hatten es ihm angetan, obwohl er einige Zeitlang seinen Entschluß, dahin zurückgekehrt zu sein, bedauerte, denn seine Kollegen, der „ignorante Präfekt Kerpan, der Mathematik für Pflastertreterei und Geschichte für einen Eingriff in Gottes Allwissenheit erklärte“, und der intrigante Religionsprofessor Alexander Herzog suchten ihm im Verein mit dem Kreisamtsverweser Illessey das Leben sauer zu machen, und nur die schützende Hand des Gouverneurs Graf Wickenburg vermochte ihn zum Aushalten in der genannten Stellung zu bewegen. Er fühlte sich so unglücklich, daß er wohl an einem Dutzend Konkursen für offene Lehrstellen an anderen Orten sich bewarb. Auch mit München, Athen, Paris und Algier knüpfte er Verbindungen an und träumte von einer zu ergreifenden Militär-oder Marinekarriere, nur, um von der ihm unangenehm gewordenen Dienststellung fortzukommen. Seinen Haupttrost bildete die Beschäftigung mit Poesie und Historie, und schon die frühesten Morgenstunden zwischen 2 und 3 Uhr fanden ihn bei der Arbeit, die er, wie sein Sohn erzählt, gegen 8 Uhr morgens beendigte und mit dem Schulunterricht vertauschte. Um diese Zeit begann er mit der Veröffentlichung seiner Arbeiten im „Aufmerksamen“ in Graz, in der „Carinthia“ in Klagenfurt, in der „Wiener Modenzeitung“, im Linzer „Bürgerblatt“ und im „Steirischen Nationalkalender“. Der vormärzliche Dichter Joh. Gabr. Seidl, den er als Nachbarkollegen in der Sannstadt Cilli kennengelernt und dem er sich befreundet hatte, veranlaßte ihn zu Beiträgen in dem damals beliebten Taschenbuch „Aurora“. Vom Entstehen bis zum Erlöschen des „Österreichischen Morgenblattes“ und der Schmidlschen „Literaturzeitung“ gehörte er zum Stabe der Mitarbeiter dieser Blätter. Später wurde er ständiger Korrespondent und Mitarbeiter der „Grazer Zeitung“, der „Allgemeinen Theaterzeitung“, der „Klagenfurter Zeitung“ und „Laibacher Zeitung“, der „Stiria“ (Fortsetzung des „Aufmerksamen“), „Croatia“, des „Constitutionellen Blattes aus Steiermark“, des „Magnet“, des „Österreichischen Soldatenfreundes“, des „Wochenblattes der steiermärkischen Landwirtschaftsgesellschaft“, der „Augsburger Allgemeinen Zeitung“, der „Militärzeitung“, des „Katholischen Wahrheitsfreundes“, des „Marburger Boten“, des „Grazer Telegraf“, der Grazer „Tagespost“, der Zangschen „Presse“ und der Münchener „Fliegenden Blätter“ sowie der „Österreichischen Blätter für Literatur und Kunst“> Seine Arbeitskraft war eine erstaunliche und vielseitige, so daß er, wie er sich selbst vorwarf, nie zum Feilen und Verbessern kam. In Marburg erfreute er sich des größten Ansehens und wurde nach vierjähriger Anwesenheit 1834 zum Leiter des Dilettantentheaters gewählt, das eine Schar kunstbegeisterter Bürger und Bewohner der Stadt begründet hatte. Aus dieser Zeit stammt ein Trauerspiel „Marina“, dessen Manuskript der Nachlaß im steiermärkischen Landesarchiv bewahrt. Die studierende Jugend hing mit abgöttischer Liebe an ihm als Lehrer, der mit Außerachtlassung kleinlicher pädagogischer Nörgelei nur das Wohl der ihm anvertrauten Jugend im Auge hatte. Oft nahm er sich eines Studenten an, dem ein Versagen oder grammatischer Schnitzer im Griechischen oder ein Defekt einer mathematischen Formel das Schlußzeugnis zu verderben drohte, und führte ihn sachte durch gefährliche Scylla und Charybdis. Allzurasch war die Ursache der Gegnerschaft des früher genannten Religionsprofessors Herzog gegen Puff in Studentenkreisen bekannt geworden, weil dieser energisch Protest gegen die Brutalität des ersteren eingelegt hatte, als dieser Schüler im Alter von 16 bis 20 Jahren im Zorne mit Faustschlägen zu traktieren beliebte, und diese studentenfreundliche Gesinnung lohnte die Schülerschaft mit hingebender Anhänglichkeit und Verehrung. Diese begleitete ihn durch seine ganze Lehrtätigkeit und war auch Ursache, daß Puff im verhängnisvollen Sturmjahre als Natiönalgardist die erwachsenen Schüler des Marburger Gymnasiums in einem geregelten Korps unter seinem Kommando in strenger Ordnung vereinen und die jungen Leute vor mancher Tollheit und böswilligen Verführungskünsten bewahren konnte. In durchdachter pädagogischer Absicht ließ er die Jugend über dem Soldatenspielen das leidige Politisieren vergessen. Es war auch bei allen Exzessen, Katzenmusiken und Tumulten dieser aufgeregten Zeit niemals ein Marburger Student beteiligt, die Prüfungen nahmen ihren geregelten Verlauf und Schuljahr und Korps wurden am 21. Juni 1848 geschlossen und letzteres hiebei aufgelöst. Nicht minder erfolgreich waren seine Bemühungen für den Ausgleich nationaler Gegensätze auf dem heißen Boden der deutsch-windischen Sprachgrenze, dem sein eifrigstes Bemühen galt. Er hatte selbst slowenische Sprach-und Literaturstudien mit seinem Lehrer Davorin Terstenjak getrieben. Daß diese Studien nicht unbeachtet geblieben sein mochten, bewiesen schmeichelhafte Anträge, die Puff aus Rußland gemacht wurden, die er aber bedingnislos ablehnte, da sein altösterreichisches Herz ganz der Heimat gehörte. Um so mehr mußte er sich in der Stadt seiner Berufstätigkeit wohlfühlen, da er sie auch in ihrer geschichtlichen Vergangenheit genau kennengelernt hatte, die er in einem zweibändigen Werk: „Marburg in Steiermark, seine Umgebung und Geschichte“, behandelte, das 1847 bei Leykams Erben in Graz die Druckerpresse verließ. Das Manuskript hievon hatte er in prächtigem Einbande der Stadt Marburg im Herbst 1846 verehrt, welche ihm hiefür und in Anerkennung seiner vielen Verdienste um die Stadt mittels Diplom vom 4. Dezember 1846 ihr Ehrenbürgerrecht verlieh. Die Darstellung dieser Provinzialstadtgeschichte hatte er aus Originalurkunden des Archives der steiermärkischen Landschaft geschöpft und ist dieselbe von bleibendem geschichtlichen Werte. 1885 veröffentlichte er den ersten Band seiner Gedichte, dem im folgenden Jahre der zweite folgte. 1837 und 1838 erschienen zwei Bände „Sagen und Erzählungen aus meinem Wanderleben“, von 1839 bis 1846 jedes Jahr ein Band „Frühlingsgruß“ historischen und belletristischen Inhaltes. Für die 1843 zu Graz tagende Versammlung der Ärzte und Naturforscher lieferte er einen topographischen Wegweiser von allen benachbarten Hauptstädten nach Graz; in letztgenannter Stadt erschienen bei der Firma A. F. Kaiser eine Serie baineologisch-topographisch-historischer Einzeldarstellungen der steirischen Kurorte Gleichenberg, Sauerbrunn Rohitsch und Tüffer von 1839 an; Ischl und Teplitz außerhalb unserer Landesgemarkung, die ein „Wegweiser in sämtliche Gesundbrunnen und Bäder der Steiermark“ (1854) abschloß. Im gleichen Verlage gab er 1840 einen Führer „Der Wanderer von Mariazell nach Wien“ heraus. Als Frucht seiner stets eifrig betriebenen volkskundlichen Studien erschien bei Ludewig in Graz 1839 eine Reihe von Heften „Steirische Volkssagen von der Mur und Drawe“, dann später die bekannten Jahrgänge des „Marburger Taschenbuchs“ mit historischen, genealogischen und belletristischen Aufsätzen (1853 bis 1859), wozu ihn sein rasch vergriffenes Bändchen ähnlichen Inhaltes von 1850 „Frühlingsknospen von der Sann“ angeregt hatte. Außer einer großen Anzahl von Aufsätzen, Erzählungen und Gedichten, die der unermüdliche Schriftsteller in den früher angeführten Zeitschriften und Tagesblättern veröffentlichte, hatte er 1839 eine große, vollständige Topographie von Steiermark aus eigener Anschauung, denn er war der Heimat kundig wie kaum ein zweites Landeskind, angelegt, die mit vielen begonnenen und vollendeten Arbeiten in zwölf Faszikeln das steiermärkische Lahdesarchiv bewahrt. Das, was ihn stets zu neuem Schaffen anregte, ihn im Schulstaub täglicher Lehrermühsal nie ermatten ließ; waren seine Reisen, die er in seinen Ferien unternahm. Alljährlich besuchte er Wien und dessen Sammlungen. 1848 besuchte er die Lombardei und begann unter dem frischen Eindrücke der besichtigten Schlachtfelder eine Geschichte der österreichischen Landwehr von 1809, eine Chronik des Jahres 1848 und eine Skizze der österreichischen Nationalgarde. Auch auf dieser Reise versäumte er nicht, wie auf seinen früheren in den Jahren 1832 und 1834, wo er Ungarn nebst Kroatien, dann die Schweiz mit ihren Kantonen mit historisch-künstlerisch geschultem Auge besuchte, Verbindung und Bekanntschaft mit geistig hervorragenden Männern zu gewinnen. Seine wirklich glückliche Ehe war mit sechs Kindern gesegnet, von denen drei im ersten Kindesalter starben. Der älteste Sohn Hermann diente nach vollendeten Rechtsstudien in der österreichischen Armee als Hauptmann-Auditor und wirkte nach seiner Versetzung in den Ruhestand als Notar in Radkersburg. Der Zweitälteste, Alois, hatte als Jäger-Kadett 1859 und 1864 die Feldzüge in Italien, Schleswig-Holstein glücklich mitgemacht, wurde in der Schlacht von Königgrätz 1866 eines Fußes verlustig und diente nachher im Verwaltungswesen bei der niederösterreichischen Statthalterei. Beide waren verheiratet und hatten Nachkommenschaft. Im Jahre 1854 traf Puff das schwere Unglück, seine geliebte Gattin zu verlieren. Eine zweite, einige Jahre später mit einem Fräulein Auguste Gunesch geschlossene Ehe blieb kinderlos, aber es ist erwähnenswert, daß diese Stiefmutter von den Kindern der ersten Ehe wegen ihres gütigen, herzlichen Wesens als Mutter verehrt und geliebt wurde. Nach zweiunddreißigjähriger Berufstätigkeit als Professor der Humaniora trat Puff in den wohlverdienten Ruhestand, bei seinem Rücktritt tiefbetrauert von seinen Schülern. Sein karger Ruhegehalt zwang ihn, Stück um Stück seiner sorgfältig gesammelten Kunst- und Altertumsgegenstände zu veräußern, denn seine schriftstellerischen Honorare trugen ihm nur so viel ein, um gewohnte Reisen zu tun. Sein im Herbst 1864 von Pancsova nach Marburg als Garnisonsauditor rückversetzte Sohn fand nur mehr weniges von der Sammlung seines Vaters, diesen aber, den früher so starken und robusten Mann, in siechem, krankem Zustande: an einem schweren Brustübel leidend. Von seiner Gattin hingebungsvoll gepflegt, starb er in ihren und den Armen seines Sohnes Hermann am 20. Juni 1865 eines ruhigen Todes und wurde von den Schülern des Marburger Gymnasiums unter großartiger Beteiligung der Bewohner der Draustadt auf dem dortigen Stadtfriedhofe zu Grabe getragen. Dr. Rudolf Gustav Puff ist einer der fruchtbarsten Schriftsteller Steier-marks auf dem Gebiete der schöngeistigen und historischen Literatur in der sogenannten Biedermeierzeit. Seine Bildung trägt die Signatur der „Benediktiner- barocke“, einem durch Hermann Bahr neuestens eingeführten treffenden Ausdruck. Auf philologisch-humanistischer Grundlage zeigt er in seiner Entwicklung den steigenden Einfluß der aufblühenden Naturwissenschaften. Seine lyrischepische Begabung auf dem Gebiete der schönen Literatur steht gänzlich unter der Einwirkung der Romantik, die das deutsche Geistesleben nach den Na-poleonischen Kriegen beherrschte. Wenn draußen im Reich diese literarische Strömung früher verebbte, so beherrschte sie länger das weicher veranlagte österreichische Gemüt, das ja auch einer viel älteren und tieferen Kultur entsproß. Als Poet hat Puff durch sein ganzes Leben sein Motto bewahrheitet, das er 1835 dem ersten Bande seiner Gedichte vorsetzte: Reichtum ist nicht Sängers Habe, Reichtum, wie die Welt ihn gibt, Lieder sind nur seine Gabe Jenen, die er herzlich liebt. Und als historischer Schriftsteller beackert er das weite Gebiet der Geschichte, Volkskunde, Genealogie und Altertumskunde. Seine verschiedenen Aufsätze, die vorwiegend steirischen Boden, aber auch innerösterreichischen und altösterreichischen überhaupt behandeln, sind von einer sachlichen Liebe getragen und in jener schönen Form, die den Satz bekräftigt, daß in einem guten Historiker auch ein Stück eines Poeten stecken muß. Erstaunlich ist die Vielfarbigkeit seiner Beobachtung und Deutung, wenn man bedenkt, daß zu seinen Zeiten die Geschichtsquellen archivalischer Schätze nicht so reichlich sprudelten als in unseren Tagen, wo Archivkunde und Urkundenforschung ein eigener Ast am großen Baum der Geschichtswissenschaft geworden ist. Ein künftiger steiermärkischer Plutarch wird dieses Mannes literarische Bedeutung für unsere Heimatskunde mit lautem Heroldsruf der Nachwelt verkünden müssen ! Hanns Löschnigg BÜRGERMEISTER NECKERMANN SEIN LEBEN IN SEINEM WIRKEN am frühen Morgen des 20. Juni 1893 wurde auf dem Rathausturme in Cilli L die schwarze Fahne gehißt, zum Zeichen, daß ein treues deutsches Herz Stillstand, daß der rastlos sorgende Vater des Gemeinwesens die arbeitsmüden Augen für immer geschlossen, daß der Bürgermeister Dr. Josef Neckermann dem unerbittlichen Tode erlegen. Die Kundé von seinem Hinscheiden kam nicht unerwartet, und doch verbreitete sie heißen Schmerz und tiefe Trauer in der verwaisten Stadt. Drei Jahrzehnte sind über Neckermanns Grab hingewandelt ; sein Name aber, mit den Geschicken der Sannstadt und des steirischen Unterlandes eng verknüpft, lebt unvergeßlich fort und wird in fernen Tagen noch gepriesen werden, wo immer man von unseren Besten spricht. So sei denn auch auf diesen Blättern ein bescheidenes Nachbild des Ehrenmales gezeichnet, das er in seiner Lebensarbeit sich selbst geschaffen hat. Dr. Josef Neckermann wurde am 29. November 1829 als Sohn des Kreischirurgen Rudolf Neckermann in Cilli geboren. Nachdem er hier das Gymnasialstudium und in Graz die Philosophie vollendet hatte, bezog er die medizinische Fakultät in Wien, wo die Leuchten der Wissenschaft Hyrtl, Brücke, Rokitansky, Skoda, Oppolzer, Hebra und Schuch seine Lehrer waren. In dieser glänzenden Schule vorgebildet, erlangte er am 6. August 1856 den Doktorhut und begann sogleich die ärztliche Tätigkeit in seiner Vaterstadt. Diese schenkte ihm auch die Lebensgefährtin, eine echte deutsche Bürgersfrau, die immer zu finden war, wo es galt, Gutes zu tun, vor allem aber als treuer und verständnisvoller Kamerad an der Seite ihres Mannes. Mitte 1858 übersiedelte Neckermann nach Altenburg bei Praßberg, wo er bis Ende 1859 blieb. Dann kehrte er nach Cilli zurück, das er nun nicht mehr verließ. — Der junge Arzt nahm sehr bald auch regen Anteil am öffentlichen Leben und gewann rasch das Vertrauen seiner Mitbürger. Es kam die Zeit, da das politische Leben im alten Österreich einen Hoffnung weckenden Aufschwung nahm. Mit den Staatsgrundgesetzen, dem Reichsvolksschulgesetz, der Erweiterung der Länderautonomie wurden dem durch die Ereignisse des letzten Jahrzehntes schwer erschütterten Staatsbau neue, tragfähige Grundlagen geschaffen, die eine Entwicklung in freiheitlicher und fortschrittlicher Richtung erwarten ließen. Auch an die Tore der Sannstadt pochte die neue Zeit und fand willigen Einlaß. Das Gemeindegesetz vom 5. März 1862 bot außer den Landeshauptstädten auch anderen bedeutenderen Städten die Möglichkeit, durch ein Landesgesetz eigene Gemeindesatzungen, sogenannte Statute, zu erhalten. Der Gedanke, auch für Cilli ein solches Gesetz zu erwirken, fand hier lebhaften Anklang und war bald Gegenstand eifriger Erörterung. Die Seele der auf eine freiheitliche Ausgestaltung des Gemeinwesens gerichteten Bewegung aber war Dr. Neckermann, der unermüdlich Aufklärung verbreitete und Verständnis für diese Frage weckte. In der zweiten Hälfte des Jahres 1866 wurden im Gemeindeausschusse eine neue Gemeindeordnung und Gemeindewahlordnung nach dem Vorbilde der für die Schwesterstadt Marburg bereits geltenden ausgearbeitet, die der Landtag rasch erledigte, so daß schon am 21. Jänner 1867 die kaiserliche Genehmigung erfolgen konnte. Damit schied Cilli aus der allgemeinen steiermärkischen Gemeindeordnung aus und gewann jenen erweiterten Wirkungskreis und jene größere Selbständigkeit, welche die Voraussetzung der nun beginnenden prächtigen Entwicklung der Stadt waren, die bald einen ehrenvollen Rang unter ihresgleichen erlangte. Dieses Aufblühen des kleinen Gemeinwesens aber hätte sich dennoch nie so schön entfaltet, wäre es nicht aus jener sprichwörtlichen Liebe erwachsen, mit der jedes echte Cillier Kind an seiner Heimat hängt, und wäre es nicht gehegt und gepflegt worden von jener stolzen Begeisterung, mit der jeder Cillier für seine Vaterstadt lebt und wirkt. — Mit glücklichem Blick haben Cillis Bewohner den Mitbürger gefunden, der diese Heimatliebe am reinsten in seinem Herzen trug, am wirksamsten in die Tat umzusetzen bereit und fähig war : Dr. Josef Neckermann. Er wurde denn auch in die erste Gemeindevertretung entsendet, die im April 1867 auf Grund der neuen Satzung gewählt wurde. Drei Jahre später, am 8. Mai 1870, berief ihn das allgemeine Vertrauen auf den Ehrenplatz deš Stadtoberhauptes. Fast ein volles Menschenalter hindurch hat er seitdem die Geschicke der Gemeinde geleitet, und diese Zeit ist so sehr von seinem überlegenen Geist erfüllt, daß man mit vollem Recht von der Ära Neckermann in Cilli sprechen darf und die Schilderung seines weiteren Lebenslaufes zu einem Ausschnitte aus der Geschichte der Stadt Cilli wird.1 Die erste Gemeindevertretung bestand wie alle folgenden entsprechend dem weit überwiegenden Teile der Bewohner der Stadt aus Männern von entschieden deutscher und fortschrittlicher Gesinnung, die sich in der Stellungnahme zu den Zeitereignissen auch wiederholt kundgab. So blieb diese Körperschaft, auf einen hervorragenden Kampfposten gestellt, bei aller Rücksicht auf das Wohl des eigenen Hauses davor bewahrt, sich durch engherzigen Lokalpatriotismus den Blick auf das große Volksganze beschränken zu lassen und in kleinlicher Kirchturmpolitik zu erstarren. Manche Frage auf staatspolitischem wie auf völkischem Gebiete gab auch den Vätern der Stadt Gelegenheit, ihre Meinung an der richtigen Stelle zur Geltung zu bringen. Und sooft das geschieht, hören wir den Namen Neckermann, sei es, daß er selbst die betreffenden Anträge stellt oder die Anregung dazu gibt; sei es, daß er mit warmer Beredsamkeit für einen mannhaften Beschluß eintritt. So richtete der Gemeindeausschuß im November 1867 eine Begehrschrift an die Regierung um Aufhebung des Konkordates, die im folgenden Jahre wiederholt wurde mit der 1 Vgl. Thomas Fürstbauer, Cilli 1867 bis 1892. Fünfundzwanzig Jahre selbständigen Gemeinwesens. Cilli 1892. gleichzeitigen Bitte um Abstellung der Treibereien der Geistlichkeit gegen die neuen Staatsgrundgesetze. Damals schon erwachte auch der Gedanke bei den slowenischen Politikern, Untersteiermark vom Gesaintkronlande zu trennen, einen südslawischen Staat zu schaffen und diesem das steirische Unterland anzugliedern. Solche Pläne riefen in der Bevölkerung eine mächtige Erregung hervor und veranlaßten den Gemeinderat von Cilli, den südslawischen Bestrebungen mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten und im September 1868 eine nachdrückliche Verwahrung an den steiermärkischen Landtag zu richten. Der Slawisierungssturm hatte es auch auf die deutschen Mittelschulen abgesehen, und die Regierung schien nicht abgeneigt, darauf bezüglichen Wünschen Gehör zu schenken. Daš zeigte sich bereits im Jahre 1871. Bürgermeister Neckermann merkte sogleich die große Gefahr und veranlaßte eine dringliche Verwahrung an das Gesamtministerium gegen allfällig geplante Änderungen an den bestehenden Einrichtungen der Mittelschulen in Untersteiermark, wodurch diese Anstalten in ihrem deutschen Wesen geschädigt werden könnten. Das sind die frühen Schatten jener Vorgänge, die sich im Laufe der beiden nächsten Jahrzehnte zur vielberufenen Cillier Gymnasialfrage verdichten und das politische Leben in Österreich nachhaltig beeinflussen sollten. — Das Jahr 1869 brachte die gesetzliche Regelung des Volksschulunterrichtes. Das neue, von einem freieren Geiste beseelte Reichsvolksschulgesetz wurde in Cilli mit um so größerer Freude begrüßt, als die Gemeinde für die Ordnung des städtischen Schulwesens bereits mit bedeutenden Opfern tätig war, eine selbständige Kommunalschule gegründet hatte und die Lehrkräfte auf eigene Kosten übernahm, wobei ( sie die deutsche Unterrichtssprache und das Recht, die Lehrer zu ernennen, sich vorbehielt. Das Unterrichtswesen lag Neckermann immer ganz besonders am Herzen; als Vorsitzender des Stadtschulrates war er darauf bedacht, daß der Jugend aller Schichten reiche Bildungsmöglichkeiten geboten werden konnten. An die Stelle der alten Kreishauptschule trat 1868 die erwähnte vierklassige städtische Kommunalschule. Neben dem Staatsgymnasium besaß Cilli eine zweiklassige Unterrealschule. Diese wurde im Jahre 1878 aufgelassen und machte einer landschaftlichen Bürgerschule Platz, für deren Einrichtung die Gemeinde einen Beitrag von 8000 fl. leistete. Mit großen Kosten hatte die Stadt die halb verfallene „Grafei“ ausgebaut; hier fanden min die Knaben- und Mädchenvolksschule sowie die neue Bürgerschule bequeme Räume. Auch eine Turnhalle wurde eingerichtet, denn das Turnen war in den städtischen Schulen seit 1868 Pflichtgegenstand. Wegen Beistellung einer Lehrkraft hiefür bestand ein Abkommen mit dem 1865 gegründeten Turnvereine, dessen erster Sprechwart Dr. Neckermann war. — Der Bürgerschule war seit 1875 ein gewerblicher Lehrgang für Gesellen und Lehrlinge angegliedert, der 1878 zu einer selbständigen gewerblichen Fortbildungsschule erweitert wurde. Im Jahre 1883 errichtete die Stadtgemeinde einen öffentlichen Kindergarten und übernahm 1890 auch den 1887 vom Schulverein für Deutsche gegründeten Privatkindergarten. Alle diese Anstalten entwickelten sich zu ergiebigen Quelleh deutscher Geistesbildung unter der treuen Obhut der Stadtvertretüng. Diese fand dabei immer wieder Anlaß, gegen rückschrittliche Bestrebungen namentlich äuf dem Gebiete der Unterrichtsverwaltung anzukämpfen. So machte sie im Mai 1872 eine Eingabe an das Abgeordnetenhaus um die Erwirkung eines Gesetzes gegen die Aufnahme der aus fremden Staaten ausgewiesenen Jesuiten in Österreich. Und als die klerikalen Anstürme gegen das Reichsvolksschulgesetz immer heftiger wurden, erhob auch der Cillier Gemeindeausschuß seinen Warnungsruf und kündigte im März 1880, als Liechtenstein und Lienbacher ihre bekannten Anträge im Abgeordnetenhause einbrachten, den schärfsten Kampf gegen jede Verstümmelung des Gesetzes an. Mit der gleichen Entschiedenheit trat der Gemeindeausschuß gegen die reaktionäre Schulgesetznovelle auf, welche die Regierung Taaffe dem Reichsrate 1888 vorlegte. Zur selben Zeit ergab sich abermals die Notwendigkeit, die fortgesetzten Versuche der Slowenisierung der untersteirischen Mittelschulen abzuwehren. Dies geschah in einer an beide Häuser des Reichsrates gerichteten Kundgebung, die besonders nachdrücklich auf die kulturelle Schädigung hinwies, die nicht nur für die Deutschen, sondern auch für die Slowenen des Unterlandes aus der Entdeutschung der Schulen erwachsen müßte. Indessen hatte eine rasch fortschreitende schöne Entwicklung der Stadt eingesetzt. Zu Ende der sechziger Jahre war Cilli ein gar bescheidenes Landstädtchen mit engen Gassen und krummen Straßen, die von den Segnungen eines Verbauungsplanes noch nichts ahnten. Wiesen und Weideflächen, Holz-; und andere Lagerflächen breiteten sich zwischen den meist einstöckigen, sehr oft nur ebenerdigen Häusern aus und auch der Gemeindehirt residierte innerhalb der Stadtgrenze in einer Hütte, die der Volksmund die „Stadthalterei“ nannte. Gepflasterte Straßen und Gasbeleuchtung kannten nur weitgereiste Cillier. Bürgersteige gab es nicht, wohl aber steinerne Bänke vor den Häusern, mit kleinen Blechdächern darüber, recht gemütlich für abendliche Plauderstunden und freundnachbarlichen Austausch von Stadtneuigkeiten; der wachsende Verkehr jedoch empfand solche Einrichtung als Hindernis und so verschwinden diese anheimelnden Überbleibsel aus Großvätertagen allmählich aus dem Stadtbilde. Für dieses war nün mit der Ära Neckermann die Zeit einer gründlichen Veränderung und bald sichtbaren Verschönerung gekommen. Über die unbebauten Flächen wurden Straßenzüge geführt, die Gassen nach und nach gepflastert. Neubauten entstanden, alte Häuser wurden umgebaut und vergrößert, viele kleine Wirtshäuser verschwanden, andere erhoben sich zu neuzeitlichen Gasthöfen. Die Hausbesitzer wurden zur Legung von Bürgersteigen verpflichtet. Bald stellte sich die Notwendigkeit heraus, einen Stadt-erweiterungs- und Regulierungsplan auszuarbeiten. Damit wurde 1871 begonnen und in den nächsten Jahren ein Plan geschaffen, der bis in die neueste Zeit für die Bauführung maßgebend blieb. Im Jahre 1872 erhielt die Stadt die Gasbeleuchtung. Besondere Erwähnung verdienen die vorbildlichen sanitären Verhältnisse der Stadt, wozu schon in der Frühzeit der eigenen Verwaltung der Grund gelegt wurde. Auf diesem Gebiete hat sich der Arzt-Bürgermeister Dr. Neckermann durch kluge Maßnahmen und deren strenge Durchführung bleibende Verdienste erworben. Sie haben neben der günstigen natürlichen Lage das meiste dazu beigetragen, daß sich Cilli des wohlbegründeten Rufes einer gesunden Stadt erfreuen durfte. Zu diesen Vorkehrungen gehört auch die Auflassung der beiden Friedhöfe unmittelbar vor der Stadt. Diese Frage beschäftigte den Gemeindeausschuß seit dem Jahre 1873, bis im Mai 1880 der neue, auf einer freien Anhöhe so schön und günstig gelegene städtische Friedhof eröffnet werden konnte. In den achtziger Jahren machte sich infolge der steten Zunahme der Bevölkerung ein bedenklicher Wohnungsmangel in der Stadt fühlbar. Um die Baulust anzuregen und die Bautätigkeit zu beleben, beschloß der Gemeinderat auf Anregung des Bürgermeisters die Befreiung der Neubauten von den Gemeindeumlagen für zwölf Jahre. Die Folge war ein mächtiger Aufschwung der öffentlichen wie der privaten Bautätigkeit. In die Zeit von 1884 bis 1886 fällt unter anderem der Bau des prächtigen Sparkassagebäudes, des neuen Theaters und des Giselaspitales, neben vielen modernen Wohnhäusern, die nunmehr mindestens einstöckig aufgeführt werden mußten. — Die Stadtpfarrkirche und die Deutsche Kirche hatten ^chon einige Jahre früher (1877 und 1880) ihre neuen, schmucken Türme erhalten, die im Stadtbilde so vorteilhaft wirken. Von weittragender wirtschaftlicher Bedeutung nicht nur für Cilli selbst, sondern für das ganze Sanntal war die Errichtung der k. k. Zinkhütte nahe der Stadt im Jahre 1873. Neckermann erkannte mit sicherem Urteil die besondere Eignung der Talweite bei Cilli für die Industrie; seiner Tatkraft und seinem persönlichen Einflüsse ist es zu danken, daß die Fabrik nach Cilli kam und damit der Grund zur Entwicklung der Industrie im Sanntale gelegt wurde. Seither ist hier so manches andere Unternehmen zu schöner Blüte gelangt. Eine Lebensfrage für deren Entfaltung war aber der Bau einer Bahn, welche die an Bodenschätzen, besonders an Kohle reichen Gebiete des oberen Sanntales und des Schalltales mit Cilli und der Südbahn verbinden sollte. Auf Anregung Neckermanns hatte die Gemeinde Cilli bereits 1871 die Bewilligung zur Durchführung technischer Vorarbeiten für eine solche Bahn erworben, dié später als Landesbahn gebaut wurde. --- Auch militärisches Leben fehlte der Stadt nicht. Im Jahre 1878 kam das Feldjägerbataillon Nr. 27 als Garnison nach Cilli. Drei Jahre später hatte die Stadt eine Kaserne für ein Landwehrbataillon beizustellen. Die sogenannte Chemalkaserne, die 1884 von einem eigenen Verein erbaut wurde, bot durchziehenden Truppen Unterkunft und entlastete die Bürgerhäuser von den Einquartierungen. É8b Ein längst gehegter Wunsch der Cillier war eine Wasserleitung. Die ersten Vorstudien dazu hat Neckermann 1889 veranlaßt; die Ausführung des Werkes sollte er nicht erleben. Auch die Vorarbeiten für den erst viel später durchgeführten Bau des Schlachthauses waren schon unter Neckermann begonnen worden. In das letzte Lebensjahr des Bürgermeisters fällt der Beginn des Baues der neuen Landwehrkaserne außerhalb der Stadt. Der Aufschwung Cillis wurde mächtig gefördert durch die reizvolle Lage der Stadt an der klarflutenden Sann und ihre liebliche, waldreiche Umgebung. Diese von der Natur dargebotenen Vorteile möglichst auszuwerten, war das ständige Streben der Stadtverwaltung, unterstützt durch den von Dr. Neckermann 1871 ins Leben gerufenen Verschönerungsverein und den seit 1883 tätigen Fremdenverkehrsausschuß. Die anmutige Stadt, die unvergleichlichen Sannbäder vor allem locken Jahr für Jahr erholungsbedürftige Gäste aus der Ferne herbei, die sich hier so wohl fühlen, daß sie immer wieder kommen. So wurde Cilli bald eine weitbekannte und beliebte Sommerfrische. Im Jahre 1891 erreichte der Fremdenverkehr die Zahl von 4600 Personen, Das sommerliche Leben und Treiben spielt sich außer in den erquickenden Wellen der Sann hauptsächlich im wohlgepfiegten Stadtpark sowie auf den schattigen Hängen und Höhen ab, zu denen er überleitet. Um dieses ganze weite Gelände zweckmäßig ausgestalten zu können, mußte dessen Abtrennung von der Gemeinde Umgebung Cilli und die Einverleibung in das Stadtgebiet angestrebt werden. Auch diesen Gedanken hat Dr. Neckermann angeregt und durchgesetzt. Fast ein Jahr dauerten die Verhandlungen; sie führten im September 1892 zu einem vollen Erfolge der Stadtgemeinde, die sich damit bedeutende wirtschaftliche Vorteile sicherte. Das Hauptverdienst da^an gebührte wieder dem tatkräftigen und umsichtigen Bürgermeister. Das wurde auch ohne Rückhalt dankbar anerkannt und der Gemeinderat benützte die Gelegenheit, um in der Sitzung vom 16. September 1892 das gesamte segenreiche Wirken Neckermanns, der: nun volle 25 Jahre der Stadtvertretung angehörte und 22 Jahre ohne Unterbrechung Bürgermeister war, rückschauend zu überblicken und dem allverehrten Oberhaupte der Stadt dankerfüllt jene seltene, weil einzige Auszeichnung, die der Gemeinde zur Verfügung stand, die Bürgerkrone, zu verleihen. Neckermann wurde zum Ehrenbürger von Cilli ernannt, und das war in der Tat die Krönung seines Lebenswerkes, das in nie versiegender Arbeitsfreude, in aufopfernder Uneigennützigkeit seiner Vaterstadt gewidmet war. Als .Rieht? linien seiner Tätigkeit bezeichnete Neckermann selbst „die gewissenhafte Vertretung der wirtschaftlichen Belange der Stadt, aber auch nachdrückliche Wahrung ihrer nationalen Eigenart und die Verteidigung des deutschösterreichischen Standpunktes als Ausdruck der wahren staatsbürgerlichen Gefühle in dem von Deutschen aufgebauten Staate!“ Von diesen Grundsätzen ließ er sich nicht nur als Bürgermeister von Cilli, sondern auch als Landtagsabgeordneter der untersteirischen Städte- und Märktegruppe leiten. Das allgemeine Vertrauen des deutschen Unterlandes übertrug ihm 1866 seine Vertretung in der Landstube. Hier wirkte er bis zu seinem Tode mit Ausnahme des einzigen Jahres 1870, in dem der Landesgerichtsrat Franz Tomschitz als Träger des Mandates erscheint. Neckermann war Landesausschußstellvertreter und Obmannstellvertreter des Klubs der deutschen Landtagsabgeordneten. Er arbeitete in verschiedenen Ausschüssen, hauptsächlich aber im Finanzausschüsse, dessen Obmann er die letzten zehn Jahre war. Wenn wir die Landtagsverhandlungen jener Zeit durchblättern, so finden wir Neckermann als Redner bei allen wichtigen Finanz- und Sanitätsangelegenheiten, so regelmäßig als Berichterstatter über die Landeswohltätigkeitsanstalten. Wir müssen uns darauf beschränken, sein Wirken für das steirische Unterland anzudeuten. Im Jahre 1872 stand der Bau einer Eisenbahn von Knittelfeld nach Zaprešić in Kroatien zur Erleichterung des Verkehres zwischen Deutschland und dem Balkan in Verhandlung. Neckermann trat mit Wärme dafür ein, daß die Bahn durch das Sanntal geführt werde. Später, 1874, hat er über dieses Projekt zusammen mit dem Reichsratsabgeordneten Dr. Foregger ein „Promemoria“ an die Regierung ausgearbeitet, das auch gedruckt vorliegt, alle Vorteile der Strecke klar schildert und besonders verhindern Will, daß die Bahn in unwirtschaftlicher Weise als Sackbahn gebaut werde. Die Linie durch das Lavanttal, Schall- und Sanntal bis Cilli wurde endlich 1890 ausgeführt; der beabsichtigte Flügel weiter über Drachenburg nach Zaprešić aber bis heute noch nicht. —Von der größten Bedeutung für die Stadt Cilli wie für das ganze Sanntal war und ist die Frage der Sannregulierung, denn die segenspendenden Fluten des Gebirgsstromes wandeln sich zuzeiten in verheerendes Hochwasser. Diesem Gegenstände widmete Neckermann besondere Aufmerksamkeit und seine ganze Tatkraft. Im Jahre 1876 legte die Regierung dem Landtage einen bezüglichen Gesetzentwurf vor, für dessen Annahme und rasche Durchführung Neckermann nachdrücklich eintrat. Das Gesetz wurde beschlossen, die Regulierungsarbeiten begannen, nahmen aber einen derart schleppenden und unbefriedigenden Gang, daß der Landtag sich in den folgenden Jahren immer wieder damit beschäftigen mußte und der Abgeordnete von Cilli noch recht oft Gelegenheit bekam, der Sann-frage mit großer Sachkenntnis und scharfer Kritik, der die Würze des Humors nicht fehlte, an den Leib zu rücken. — Im November 1889 berichtete Neckermann dem Landtage über die Anträge des Finanzausschusses zur Errichtung einer Landessiechenanstalt bei Hochenegg, eine Angelegenheit, die seit 1886 in Verhandlung stand und nun endlich ihren Abschluß fand. — Daß auch politische und nationale Fragen des steirischen Unterlandes Neckermann oft zwangen, im Landtage Stellung zu nehmen, ist wohl selbstverständlich. War er doch der berufene Hüter und Verteidiger des deutschen Besitzstandes im Grenzgebiete und übte dieses Amt wachsamen Auges und in schlagfertiger Abwehr. So brachte er im Jänner 1886 die unleidlichen Verhältnisse am Cillier Gymnasium zur Sprache, die slowenisch-nationalen Umtriebe unter der Schuljugend und die immer sichtbarer hervortretenden Bestrebungen um die Sloweni-sierung dieser Anstalt. Er warnte, weitblickend, vor den Folgen solchen Treibens und forderte die Regierung dringend auf, Abhilfe zu schaffen. — Im Oktober 1889 befragte Neckermann den Landesausschuß wegen der Errichtung einer zweiten Sparkasse in Cilli, die keinem wirtschaftlichen Bedürfnisse entsprach, sondern ein von der Regierung ungesetzlich begünstigter Vorstoß der Slowenen war, der den schärfsten Widerspruch der Deutschen, besonders der unmittelbar geschädigten Stadtgemeinde herausfordern mußte. In derselben Sitzung begründete er das Ansuchen um Ausscheidung des politischen Bezirkes Stadt Cilli aus der Bezirksvertretung Cilli. Für dieses Begehren waren wirtschaftliche und völkische Erwägungen maßgebend. Der Gemeindeausschuß des Landtages legte denn auch dem Hause ein Gesetz vor, nach dem, gleichwie die Landes- hauptstadt Graz, so auch Cilli und Pettau in jeder Beziehung aus dem Bezirks-verbande ausgeschieden sein sollten. Das führte zu einer erregten Wechselrede mit den Vertretern der Slowenen, wobei Dr. Neckermann seine gewohnte vornehme Sprache wahrte, sich aber nicht abhalten ließ, die Dinge beim richtigen Namen zu nennen, das friedenstörende, gegen die Einheit der Steiermark gerichtete Treiben der slowenischen Führer mit kräftigen Worten zu kennzeichnen. Das Ziel seines Bemühens war, „ein gutes altes Stück deutscher Erde und deutscher Kultur dem Lande zu erhalten“. — Im November 1890 verhandelte der Landtag das Ansuchen der Stadtgemeinde Cilli um teilweise Abänderung der Gemeindesatzung zum Zwecke einer strengeren Handhabung der Ortspolizei. Wieder veranlaßten die Slowenen eine heftige Wechselrede, an der sich auch Dr. Neckermann beteiligte, da seine Amtsführung in gehässiger Weise angegriffen wurde. Aber nicht um seine Persönlichkeit handelte es sich ihm, denn diese wurde in ihrer Lauterkeit niemals von einem Anwurf der Gegner berührt, vielmehr sah er sein politisches Lieblingskind bedroht, die freiheitliche Selbstverwaltung der Stadt. Im Verfassungsausschusse wie in offener Sitzung ward der Ruf erhoben: „Der Bürgermeister muß abgesetzt, der Stadt muß die Autonomie genommen werden!“ Diese galt es zu schützen, und der Bürgermeister von Cilli hat sie treulich geschützt und ungeschmälert erhalten. ÄtAm 17. September 1892 erscheint Neckermann zum letzten Male als Redner im Landtage. Er berichtet als Obmann des Finanzausschusses über die Systemisierung des Personales der Direktion des Landeskrankenhauses in Graz, womit einem zwanzigjährigen provisorischen Zustande durch eine dauernde Regelung abgeholfen wurde. Auch im Landessanitätsrate wirkte Dr. Neckermann für das öffentliche Wohl und war in dieser hochangesehenen Körperschaft als Fachmann ebenso geschätzt wie als Leiter des Giselaspitales in Cilli. Sein Verdienst war auch die Gründung eines Cillier Zweigvereines des Landes- und Frauenhilfsvereines vom Roten .Kreuz. Und als 1883 die 600jährige Zugehörigkeit der Steiermark zum Hause Habsburg gefeiert wurde, regte Neckermann die Errichtung einer Anstalt zur Unterbringung und Erziehung verwahrloster Kinder an, wofür die Gemeinde ein Stammgut von 2000 fl. widmete. Ebenso gab Neckermann den ersten Anstoß zur Gründung eines Versorgungshauses für verarmte Bürger. Das städtische Armen wesen war unter Neckermanns fürsorglicher Leitung im Jahre 1874 gründlich umgestaltet und seither so zweckmäßig geordnet worden, daß es wirklich notleidende Bewohner in Cilli gar nicht gab. Überflüssige Reichtümer wurden hier freilich auch nicht gesammelt; doch ist die Ära Neckermann durch einen bemerkenswerten Aufschwung der wirtschaftlichen Verhältnisse gekennzeichnet. Der Bürger gelangt im Durchschnitte zu behaglichem Wohlstand, Handel, Gewerbe und Industrie zu sichtbarer Blüte. Vor allem aber zeigt die Gemeindewirtschaft selbst, daß ein kluger und strenger Hauswalter ihre Ordnung und Führung überwacht. Es war wohl hauptsächlich sein Verdienst, daß, während anderwärts die Umlagen erhöht werden mußten, die Stadt Cilli die Zuschläge zur direkten Steuer, welche 1867 50 v. H. betrugen, im Jahre 1873 auf 35 und 1884 auf 32 v. H. herabsetzen konnte. Neckermanns so hervorragend und offensichtlich der Allgemeinheit dienendes Wirken konnte nicht ohne Dank und Anerkennung bleiben. Außer seiner Vaterstadt hat ihm der Markt Hochenegg den Ehrenbürgerbrief ausgestellt. Im Mai 1874 erhielt er das Ritterkreuz des Franz-Josef-Ordens, im September 1888 den Titel Kaiserlicher Rat; und als er schon auf der Bahre lag, brachte die amtliche „Grazer Zeitung“ die Nachricht, daß ihm der Orden der Eisernen Krone verliehen worden. Er hätte auch diese Auszeichnung, wie alle früheren, hingenommen im Bewußtsein, daß sie seinen Wert nicht erhöhen konnte, er hätte, wie er immer tat, sie nicht auf seine Person, sondern auf die gute Sache und die Art, wie er ihr diente, bezogen. Diese vornehme Zurückstellung der eigenen Persönlichkeit und des eigenen Vorteiles hinter die übernommene Aufgabe ist für Neckermanns Wesen ganz besonders bezeichnend. Um Volksgunst hat er ebensowenig gebuhlt, wie er niemals und nirgends seine Überzeugung verleugnen konnte. Wir kommen damit auf die rein menschliche Seite im Leben Neckermanns kurz zu sprechen. Wer den Bürgermeister von Cilli auch nur flüchtig gekannt, dem lebt er gewiß noch in der Erinnerung, der stramme hohe Mann mit dem mächtigen Vollbart, den freundlichen, Vertrauen heischenden Augen, um die im Gespräche so gerne ein frischer Humor seine Lichter spielen ließ, ein Abglanz tiefer Herzensgute. Diese wandte sich in erster Linie seiner Familie zu.1 Seine Kinder, vier Söhne; liebten den Vater und fürchteten, seinen Unwillen zu erregen, wußten aber auch, daß ihnen sehr bald Verzeihung und dann mahch gutes, warmeS Wort zuteil würde, das sie bei seinem so durchaus wahrhaften, aufrechten Wesen mit tiefer Freude erfüllte. Seine Wahrhaftigkeit, verbunden mit großer Menschenfreundlichkeit, machte ihn, abgesehen von seinen Kenntnissen, auch zu einem guten Arzt und Tröster, der in seinem Berufe sicherlich reiche materielle Güter hätte erwerben können, wenn ihm einerseits der Erwerbsinn èigen gewesen wäre, andererseits die Tätigkeit im öffentlichen Leben ihm die nötige Zeit gelassen hätte. Neckermann war Idealist im achtundvierziger Sinne, liberal ohne unangenehmen Beigeschmack, und national, ohne sich mit der Richtung Schönerers befreunden zu können. Über alles liebte er sein deutsches Volk, insbesondere seine deutschen Untersteirer, ünd glaubte mit Zuversicht an dessen Zukunft und Beruf. Er schätzte geselligen Frohsinn und suchte ihn gerne auf; sein Geist und sein Humor machten ihn jedem Kreise lieb. In guten Stunden konnte er mit den Jungen um die Wette Studentenlieder singen. Besonders auf Spaziergängen, wenn er sich nach anfänglichem beruflichen Drucke den Schönheiten der Natur gefangen gab, hob er erst still vor sich hin; dann immer lauter an zu singen. Dazwischen brachte er Zitate aus seinen Klassikern an, die er immer wieder und wieder lesen und genießen konnte. Seinen „Faust“ führte er stets mit sich; in diesem Buche der Weisheit fand er die Ruhe des Geistes wieder, die ihm in den politischen Tageskämpfen wohl abhanden kommen konnte.^-- In seinen Wahlorten kannte ihn bald jedes Kind. Seine 1 Die freundliche Mitteilung persönlicher Züge zum Bilde des Bürgermeisters verdanke ich dessen Sohne, Herrn Dr. Josef M. Neckermann in Graz. Reden kamen aus einer tiefen, reinen Seele, seiner voll und edel klingenden Stimme erschlossen sich rasch die Herzen aller Hörer. Zum letztenmal sprach Neckermann in großer Versammlung, als die Stadt Cilli das Jubelfest des 25jährigen Bestehens der selbständigen Gemeinde beging. Dieses Fest fand am 7. Dezember 1892 statt und Ehrenbürger Dr. Neckermann war der Mittelpunkt der Feier und Gegenstand immer wiederholter herzlicher Huldigungen. Und wie das freie deutsche Gemeinwesen mit Stolz auf das Vierteljahrhundert seiner Entwicklung weisen konnte, so durfte Neckermann an jenem Tage auf einen reich gesegneten Lebensabschnitt zurückblicken in dem beseligenden Bewußtsein, daß er zum Blühen und Gedeihen der geliebten Vaterstadt sein Bestes beigetragen. Als ihm der Ehrenbürgerbrief überreicht wurde, sagte er in seiner schlichten Art, er wisse kein anderes Mittel, seine Dankbarkeit zu beweisen, als nicht zur Ruhe zu gehen, sondern die Kraft, die ihm das Schicksal für die Zukunft noch verliehen, gleichfalls dem Wohle der Stadt zu widmen. So sprach der schaffensfrohe Mann und fühlte sich doch schon damals leidend. Wiederholt äußerte Neckermann, daß er das 'kommende Jahr nicht überleben werde. In der Tat fand ihn der Frühling auf dem Krankenlager und nach drei Leidensmonaten brach eine schwere Nierenentzündung seine Widerstandskraft. Der Schmerz um den Unersetzlichen war allgemein und äußerte sich in ergreifenden Trauerkundgebungen, als Cillis bester Sohn auf der Bahre lag, als der anerkannte Führer der Deutschen des steirischen Unterlandes in schier endlosem Zuge zu Grabe getragen wurde. Das Land, die Landeshauptstadt und etwa dreißig untersteirische Orte sowie zahlreiche Vereine aus Steiermark und den Nachbarländern hatten Abordnungen entsendet. Der Bürgermeisterstellvertreter der Stadt, ihr Abgeordneter im Reichsrate und ein Vertreter der akademischen Jugend sprachen am offenen Grabe Worte des Abschieds. Drei deutsche Bürgermeister folgten Neckermann noch im Amte. Bei seinem Tode war Cilli, die Perle im Kranze unserer Sprachinseln, eine blühende Stätte deutscher Kultur; heute finden wir dort nicht einmal mehr eine deutsche Volksschule, keine deutsche Straßentafel. Der Sturz des alten Österreich hat auch die sturmbewährte Feste an der Sann mit sich gerissen und als leichte Beute in die Gewalt des nationalen Gegners fallen lassen. Glücklich die Männer, die einst, wie Neckermann, ihr ganzes Fühlen und Denken, ihre volle Kraft für die Erhaltung der deutschen Heimat eingesetzt haben und abberufen wurden, ohne den Zusammenbruch ihres Lebenswerkes sehen zu müssen ! Ihre Gestalten leuchten aus einer versunkenen schönen Zeit zu uns herüber, ihr Andenken lebt wohlbewahrt in ungezählten heimattreuen Herzen. Moriz Rüpschl FERDINAND MALLITSCH (1820—1900) Ein Großteil der künstlerischen Schöpfungen dieses hervorragenden steiermärkischen Meisters ist mit seiner südsteirischen, zweiten Heimat, den lieblichen Windischen Büheln, in denen er auf seinem Gute „Willkommhof“ nahezu ein halbes Jahrhundert als Landwirt und Maler zugebracht, so eng verknüpft, daß es wohl am Platze ist, des Künstlers auch in diesem Buche ehrend zu gedenken. Wir folgen hiebei zunächst im wesentlichen den Ausführungen eines Nachrufes, der am 10. und 12. November 1901, ein Jahr nach dem Tode F. Mallitsch’, im „Grazer Tagblatt“ erschienen ist.1 Ferdinand Mallitsch, am 7. März 1820 im Hause Nr. 110 (jetzt Nr. 13) der Klosterwiesgasse zu Graz, damals Eigentum seiner Großmutter Barbara Yischner, geboren, war der einzige Sproß aus der nicht glücklichen, schon zur Zeit seiner Geburt geschiedenen Ehe des später als Syndikus in Kindberg verstorbenen damaligen Gutspächters Valentin Mallitsch und der (im Jahre 1873 am Willkommhof verschiedenen) Anna Mallitsch geh. Vischner. Er verbrachte seine erste Jugend teils im großmütterlichen Hause in Graz, teils (in den Ferien) auf dem Gute Willkommhof, das schon seit 1794 im Besitze der Familie Vischner war und ehemals zur Herrschaft Freydenegg gehörte. Der Willkommhof ist in den Windischen Büheln, östlich von Marburg, an der nach St. Jakob führenden Bezirksstraße gelegen ; er war des jungen Malers Lieblingsaufenthalt. Die ländliche Ruhe und Weltentrücktheit dieses Besitzes haben ihn auch später — leider nicht zum Vorteile für seine der stetigen Anregung durch das pulsierende Kunstleben entbehrende Entwicklung -yA so sehr gefesselt, daß er sich, überdies auch durch äußere Verhältnisse bewogen, um die Mitte der fünfziger Jahre nach seiner Rückkehr aus Paris gerade im Zeitpunkte der schönsten Entfaltung seines Talentes dahin zurückzog, wo er 45 Jahre seines. Lebens im Dienste der Landwirtschaft verbrachte, gleichwohl aber häufig noch zu Stift und Pinsel griff, um künstlerischen Stimmungen und Anregungen Ausdruck zu geben. Ferdinand besuchte in Graz, woselbst er schon in den Kinderjahren mit Hermann Baron Königsbrunn, dem späteren Professor der landschaftlichen Zeichenakademie, innige Freündschaft geschlossen hatte, die Normalschule, das 1 Sieh unter anderen „Steirisches Künstlerlexikon“ von Jos. Wastler, Graz (Verlag Leykam) 1883, S. 95; Dr. Konst, v. Wurzb a ch, „Biographisches Lexikon des Kaisertums Österreich“, 1867; Albr. Kr at ft, „Moderne Schule der k. k. Gemäldegalerie“, Wien 1857, S. 17. Gymnasium sowie die „Logik“ und „Philosophie“, um sich hierauf zunächst dem juridischen Studium zuzuwenden. Nachdem er durch ein Jahr an der steirisch-ständischen Zeichnungsakademie unter dem Direktor Josef Tunner und dem Korrektor Ernst Christian Moser Unterricht genommen, wurde er durch die hier ursprünglich nur nebenbei geübte Beschäftigung so mächtig angeregt, daß er im Jahre 1842 die Hochschule in Graz verließ und sich ganz der Kunst widmete. Er begab sich zu dem Ende an die Akademie der bildenden Künste in Wien, wo er unter Direktor Petter, den Professoren Kupelwieser, Eduard Ender und anderen mit Unterbrechungen bis Juli 1848 studierte. Drei Monate vorher entschloß sich Mallitsch, durch den außergewöhnlichen Erfolg der damals veranstalteten ersten Schülerausstellung des Professors Georg Ferdinand Waldmüller überrascht, dessen Schüler zu werden, sah sich aber bald darauf genötigt, Wien zu verlassen, um seiner Mutter bei der Bewirtschaftung des Willkommhofes zur Seite zu stehen. Diese unabweislich an ihn herangetretene Anforderung zwang ihn auch, aus dem Verbände der akademischen Legion, der er begeistert angehört hatte, zu scheiden und den weiteren Ereignissen des Sturmjahres fernzubleiben. In der Heimat entwickelte sich ein reger Verkehr des jungen Malers sowohl mit mehreren kunstliebenden Familien Marburgs (Bürgermeister Otmar Reiser, Graf Schärffenberg, Kollegger) als auch mit den Eigentümern, beziehungsweise Pächtern der in den Windischen Büheln gelegenen Herrschaften Gutenhaag und Negau, den Familien Pauer und v. Schluetenberg. Und so entstanden in der Zeit bis 1851 mehrere Bildnisse, als: des Verwalters der Herrschaft Freydenegg und Pößnitzhofen, Franz Kolleggers, des Notars, Bürgermeisters Otmar Reiser, des Dr. med. Mally, der Eigentümer des Schlosses Gutenhaag, des Reichsratsabgeordneten Johann Paul und Hedwig Pauer mit ihren Kindern, mehrerer Mitglieder der Familie v. Schluetenberg, ferner interessante Studienköpfe, Landschaften und anderes. Im Jahre 1851 endlich wurde es Mallitsch möglich, in Waldmüllers Meisterschule wieder einzutreten. Er bezog in Wien „Auf der Wieden“ zusammen mit dem jungen Grazer Maler Heinrich Schwach eine Wohnung und malte schon im Herbste dieses Jahres (in der Brühl bei Mödling) sein erstes großes Genrebild „Der Findling“, das 1852 bei der Ausstellung des Österreichischen Kunstvereines in Wien gerechtes Aufsehen erregte, vom Hof für das Belvedere angekauft wurde und sich später im Kunsthistorischen Hofmuseum in Wien befand.1 Um die Bedeutung dieses Werkes zu kennzeichnen, sei hier aus einer Reihe von sehr günstigen Äußerungen der damaligen Wiener Kunstkritik der Bericht der „Wiener allgemeinen Zeitung“ vom 27. Mai 1852 herausgegriffen, welcher, nachdem er von Waldmüllers „Hochzeit“ gesprochen, fortfährt: „... Diesem älteren, bereits bekannten Bilde würdig an die Seite gestellt 1 Das Bild ist als Leihgabe der Staatsgalerie in Wien der Galerie des Kunsthistorischen Landesmuseums in Graz einverleibt. zu werden verdient ein ganz neues von Mallitsch. Es ist dessen ,Findling*. Ganz Schule Waldmüller; tüchtige Zeichnung, frisches Kolorit, meisterhafte Gruppierung, Wahrheit und Wärme in den dargestellten Charakteren, kurz alles, was ein Genremaler haben muß, soll er Treffliches leisten. Hier findet es sich beisammen und dieser jugendliche Künstler berechtigt uns tatsächlich zu schönsten Hoffnungen . . .“ Diesem Bilde, durch das sich Mallitsch mit einem Schlage in die vorderste Reihe der jüngeren österreichischen Künstler seiner Zeit gestellt hatte, Und dessen treffliche, von Leybold hergestellte Lithographie vom Österreichischen Kunstverein im Jahre 1860 als Prämienblatt herausgegeben wurde, folgte bald, und zwar im Dezember 1852 auf der Ausstellung des Österreichischen Kunstvereines in Wien, „Der schwere Entschluß“, ein Genrebild,1.,das, vom genannten Verein für die Verlosung im Jahre 1858 angekauft, an künstle-] rischem Wert dén „Findling“ in mancher Richtung sogar noch übertraf, was Von der damaligen Wiener Kritik mehrfach hervorgehoben worden ist. Hierauf entstanden, um nur die hervorragenderen Arbeiten zu nennen, neben einer Reihe von Bildnissen (darunter das im Jahre 1888 für das steirische Landesmuseum angekaufte Bildnis Georg Waldmüllers) in den fünfziger Jahren noch mehrere Genrebilder, wie „Die Kinderstube“ (im August 1854 vom Pester Kunstverein erworben), .„Der kleine Rekrut“1 2 (1855 in Paris von der Gräfin Elise Batthyanyi angekauft), „Die kleine Übeltäterin“ (1858 vom Österreichischen Kunstverein für die Verlosung dieses Jahres erworben), endlich im März 1859 „Die Heimkunft von der Dorfprüfung“. Im Herbste des Jahres 1854 hatte sich Mallitsch in Gesellschaft seines Freundes, des Malers und späteren Landes-Archäologen in Graz Karl Haas, über Dresden, Leipzig, Düsseldorf (wo er unter anderen Oswald Achenbach kennenlernte), Köln und Brüssel nach Paris begeben, um daselbst alte Meister Zu studieren und in Léon Cogniets Übungsatelier seine Technik zu vervollkommnen. Der Aufenthalt in Paris sollte auf Mallitsch keine günstige Wirkung ausüben. Er fühlte sich in Paris einerseits niedergedrückt von der Großartigkeit der dortigen älteren und neueren Meisterwerke (Paris stand damals im Banne von Namen wie Charles und Horace Vernet, Eugen Delacroix, Delaroehe, Meissonier und anderen), anderseits vereinsamt; und so hatte sein zehnmonati-ger Aufenthalt in dieser Stadt eine gewisse Niedergeschlagenheit und Herabsetzung seines künstlerischen Selbstvertrauens im Gefolge. Mallitsch besaß außergewöhnlichen Ehrgeiz, gepaart mit einer streng idealen Auffassung der Kunst, die als Erwerbsquelle zu betrachten er sich niemals gewöhnen konnte ; seine allzugroße Bescheidenheit artete oft in geradezu krankhafte Selbstkritik aus — und so entstand bei ihm der leise Wunsch, die Kunst nur für sich allein, fernab vom widerwärtigen Getriebe der großen Welt, in der Einsamkeit der Natur auszuüben. Diesem Wunsche kam im Sommer 1855 zwingende 1 Lithographisch wiederholt von Dauthage. 2 Lithographisch wiederholt von Josef Bauer. Notwendigkeit entgegen. Die alleinstehende Mutter des Malers bestürmte ihn damals neuerdings mit der Bitte, ihr in der Bewirtschaftung des Willkomm-hofés beizustehen, auf welchen Besitz sich Mallitsch denn auch endlich für die Dauer seines Lebens zurückzog. In den folgenden Jahrzehnten entstanden gleichwohl noch zahlreiche Arbeiten, die ab und zu auch auf Ausstellungen des Steiermärkischen Kunstvereines erschienen; so beispielsweise die Genrebildchen „Die volle Schüssel“ (1861), „Das Verdienst“, „In der Kinderstube“ (1869), „Das widerspenstige Wickelkind“, „Das Kartenspiel“ und so weiter; ferner (1860) ein großes Hauptaltarblatt für die Kirche seines heimatlichen Pfarrdorfes St. Margarethen an der Pößnitz, darstellend die den Drachen mit dem Kreuze beschwörende heilige Margareta, zahlreiche, mitunter skizzenhafte Genrebildchen und Kompositionen verschiedener, Art, teils gezeichnet, teils gemalt, so „In der Zwischenstunde“, „Die bestrafte Naschhaftigkeit“, „Don Quixote und die Eseltreiber“, „Am Kinderbett“, „Die Pfarrertafel“, „Die Gemeindewahl“, „Ländliche Faschingsfreuden“, „Heimkehr von der Schule“,; „Schneewittchen“, Die Amazonenschlacht“, „Der Kampf um das Herz“, „Das schlafende Kind“, „Susanne“, „Daheim“ und vieles andere, ferner Studienköpfe, Selbstbildnisse und Bildnisse seiner Angehörigen, endlich eine Reihe von Landschaften, von welchen Arbeiten einzelne auf den Ausstellungen des Steiermärkischen Kunstvereines im Dezember 1892 und zu Ostern 1898 die besondere Anerkennung der Kritik fanden. An dieser Stelle sei noch einiges über Mallitsch’ Landschaft gesagt. Er hat sich ihr erst am Willkommhof besonders zügewendet und in zahlreichen, fast ausschließlich der ihn umgebenden Natur entnommenen Motiven die eigenartigen Stimmungen festzuhalten versucht, die die rebenbepflanzten Gelände der Windischen Büheln in ihm auslösten. Wer sie kennt mit ihren klaren, sommerlichen Vollmondnächten, deren lautlose Stille nur unterbrochen wird durch den klagenden Ruf des Käuzchens, das leise Zirpen der Weingrille oder den fernen, mehrstimmigen Gesang fröhlicher Mäher, wer sie kennt, die weinlaub-umrankten Winzerhäüschen, umgeben von fruchtbeladenen Obstbäumen, die mit goldigen Saatfeldern Wechselnden, bäum- und büschbegrenzten saftiggrünen Wiesen und Weiden unter dem lachenden blauen Himmel, — der wird' sich durch diese spezifisch untersteirischen Landschaften freudig angeregt und angezogen fühlen; denn es weht ihm aus diesen Bildern wohlbekannter Erdgeruch entgegen. F. Mallitsch’ Lebensabend, zum Teil verdüstert durch mancherlei, aus dem allgemeinen Niedergang der Landwirtschaft entsprungene Sorgen, gestaltete sich um so trauriger, als er am 15. August 1895 von einem Schlaganfalle heimgesucht wurde, der eine einseitige Lähmung seines ganzen Körpers Zur Folge hatte und von dem er sich nicht mehr erholen konnte. Nach mehr als fünfjährigem Siechtum, währenddessen er der Sprache fast beraubt war, verschied er, beweint von seinen Söhnen Otmar und Heinrich, in den Armen seiner herzlich geliebten Gattin Anna Marie, an deren Seite er durch 35 Jahre gelebt und die ihn auf das liebevollste betreut hatte. Sein sterblich Teil ruht auf dem Ortsfriedhofe zu St. Leonhard in den Windi-schen Büheln. Im Herbste 1901 beschloß der Steiermärkische Kunstverein, den künstlerischen Nachlaß Ferdinand Mallitsch’ in einer Nachlaßausstellung weiteren Kreisen zugänglich zu machen, und zwar in der Erwägung, daß es allgemeines Ferdinand Mallitsch künstlerisches Interesse erwecken werde, einen tieferen Blick in die Werkstätte und damit in das Geistes- und Gemütsleben eines bedeutenden lands-^ männischen Meisters zu tun. Die gehegte Erwartung des Kunstvereines wurde denn auch durch den außergewöhnlichen Erfolg dieser Sonderausstellung vollauf gerechtfertigt. Die Kritik (sieh die-Feuilletons im „Grazer Tagblatt“ vom 8. Februar 1902, gez. Dr. v. Drasenovich, in der „Tagespost“; vom 14. Februar 1902, gez. H. N., im „Grazer Volksblatt“ vom 18. Februar. 1902, gez. Ludwig R. v. Kurz, und in der „Grazer Morgenpost“ vom 19. und 20. Februar 1902, gez. Dr. H. Sch.-Dr. Hans Schukovitz), angeregt durch die überraschende Vielseitigkeit, Innigkeit und seltene Technik sowie durch die ursprüngliche, lebendige Kraft, die sich in den meisten der über 300 Nummern umfassenden Ausstellungsgegenstände (Ölbilder und Skizzen, Zeichnungen, Aquarelle) bekundeten, anerkannte einmütig die hervorragende Meisterschaft des hochbegabten Waldmüller-Schülers. Eine große Anzahl der ausgestellten Arbeiten wurde teils von der Landschaft, teils von privaten Kunstfreunden angekauft. Um das Zustandekommen der Ausstellung hatte sich unter anderen besonders Universitätsprofessor Dr. Wilhelm Gurlitt verdient gemacht, der auch die Vorrede zum Ausstellungskatalog schrieb. Hier sei nur kurz zwei kritischen Stimmen Raum gegeben. So schreibt Professor Ludwig R. v. Kurz im „Volksblatt“: ,,.. . Aber nicht nur viele und herrliche Porträte und Charakterköpfe und Versuche historischer Kompositionen sowie tief und gemütvoll empfundene Darstellungen aus dem Volks- und Familienleben bekunden die Tätigkeit dieses Künstlers; auch der Landschaft hat sich Mallitsch zugewendet. Auch in diesem Fache leistete er ebenso Eigenartiges wie Hervorragendes, denn sein kräftig ausgeprägter Farbensinn und seine rege künstlerische Phantasie wußten auch in den unscheinbarsten Erscheinungen herrliche Motive zu finden; es ist nur zu beklagen, daß so manche stimmungsvolle Landschaftsskizze und so manches herrliche Stück fein beobachteten Naturlebens nicht zu einem vollendeten Bilde wurde. Doch steht fest, daß Mallitsch die mannigfachen Farbeneffekte und herrlichen Szenerien der untersteirischen Landschaft zu allen Tageszeiten im besten Sinne festzuhalten wußte.“ Dr. H. Sch. äußerte sich unter anderem in der „Grazer Morgenpost“ wie folgt: „. . . Ferdinand Mallitsch gilt als einer der befähigtesten Künstler der Wiener Akademie, dessen Werke trotz hie und da auftretender gewisser Härte und Schärfe der Behandlung durch feinste Naturbeobachtung, durch den lebendigsten Ausdruck, durch die unbefangenste Naivität und die liebenswürdigste Gemütlichkeit der Gegenstände und ihrer Auffassung immer erfreulich bleiben werden. Besonders in der Darstellung der Kinder ist der Meister unübertrefflich; die unbefangenste Äußerung, jede Seelenregung in Freude oder Betrübnis ist auf das anmutigste naturalistisch ausgedrückt. Mallitsch wird neben Waldmüller und Amerling zu den besten heimischen Künstlern zählen.“ Nicht geringer war der'Erfolg der im Dezember 1902 durch die Wiener Kunsthandlung E. Hirschler & Comp, im Saale des „Grabenhof“ in Wien veranstalteten Auktionsausstellung, deren illustrierter Katalog durch ein ausführliches Vorwort aus der Feder des Hofrates und damaligen Direktors des Kunsthistorischen Hofmuseums in Wien August Schaeffer einbegleitet wurde. Schaeffer, selbst ein namhafter Landschafter, berichtete damals auch in der „Neuen Freien Presse“ in einem Feuilleton vom 17. Dezember 1902 über diese Ausstellung, bei welcher unter anderen mehrere Werke für die Liechtenstein-Galerie und die Galerie der Stadt Wien, später Moderne Galerie (jetzt Staatsgalerie), angekauft wurden. Auch die Wiener Kritik äußerte sich sehr anerkennend über das Nachlaß werk Mallitsch’, so beispielsweise in den kritischen Besprechungen im „Fremdenblatt“ vom 14. Dezember 1902, Seite 13 (Ludwig Hevesi), in der „Sonn- und Montagszeitung“ vom 15. Dezember 1902 (gez. v. St.). Aus der erwähnten Vorrede zum Auktionskatalog sei hier nachstehendes angeführt: ». . . Es ist ein reiches Gebiet, das Mallitsch auch in späteren Jahren betrat, als er nicht mehr ausübender Künstler sein wollte, denn er greift auf alles, was sich ihm darlegt, ja er ward sogar ein quasi „Moderner“, für den es kein einzelnes Kunstfach mehr gibt, sondern der mutig erfaßt, was ihm zu malen geeignet erscheint. Ich möchte mit den Handzeichnungen beginnen. Darunter finden sich ganz vorzügliche Blätter von hervorragender künstlerischer Qualität, von bewunderungswürdiger Sicherheit des Vortrages und groß in der Konzeption, ein beredtes Zeugnis für die Bedeutung Mallitsch’; als ich die Blätter der Reihe nach besah, war ich höchlichst erstaunt, ja überrascht von der Fülle und von dem künstlerischen Gehalt des Gebotenen. Ich fand nicht das erwartete gewöhnliche Mappen-Kunterbunt einer im Atelier-Portefeuille angesammelten Menge von Einfällen und Versuchen, sondern hochinteressante künstlerisch ausgereifte Gedanken von großer Vielseitigkeit der Richtungen und des Kunstgeschmackes. Wir finden den Klassizismus bis zu Füger und Eberhard Wächter in ganz eminenten Kompositionen vorgeführt, desgleichen wenn auch schwächer empfundene Anklänge an die später so erfolgreich auftretenden Nazarener, aber auch Primaticcio und Rubens, van Dyck und so weiter beleuchten seine Pfade, so wie er sich in der besten Zeit der Renaissance heimisch zu machen sucht, und all das erfassend mit einer gewissen Großartigkeit und persönlich heraustretendem Stile. Auch die Caräcci-Zeit sowie die Barocke geht an seinen Arbeiten und Studien nicht spurlos vorüber, kurz Mallitsch empfindet, wo er hinschaut, und zum Schlüsse sind es die so sehr geschätzten Franzosen, die ihn begeistern. Waldmüller scheint er darüber ganz zu vergessen und nur hie und da Sehen wir dessen elementare Gewalt hereinwirken. Danhauser hat es ihm in mehrfachen Entwürfen angetan, denn auch Mallitsch liebte die Einfachheit des bürgerlichen Lebens und nicht minder die Kinder bei ihren Unverwüstlich heiteren und unschuldsvollen Spielen. Eine Reihe köstlicher, mit Schmutzerscher Bravour gezeichnete Kinderköpfe Und andere derartige Studien belehren uns hierüber, wie er Sich das charakteristische Wesen derselben darzustellen angelegen sein ließ. Seine Landschaftsversuche gehen vornehmlich auf die Sonnenwirkung aus, so wie er auch in einigen Blättern figuralen Inhalts mit Vorliebe Lichtwirkungen herauskehrt. Wie streng und gewissenhaft er studierte, das können wir aus den Blättern sehen, auf welchen sich seine Perspektivstudien kundgeben, die er mit größter Gründlichkeit betrieb. Biblische Stoffe, namentlich jene, welche die Darstellungen schöner Frauen zuließen, interessierten ihn wiederholt, desgleichen die Märchenwelt sowie Hexenreigen und Nixentänze. Von imposanter Wirkung sind die Zeichnungen „Odysseus und die Freier“ und „Amazonenschlacht“. Wie er sich hier als ein großartig gewandter Zeichner und nicht nur in flüchtigen Umrissen, sondern in festen, wohlstudierten Formen erwiesen hat, ist erstaunlich. Ich habe daher nicht bald das Portefeuille eines Malers mit solchem Interesse angesehen wie dieses und daher auch wohl empfunden, wie schade es war, daß der Mann, der solche Gaben besaß, an den Pflug gebannt wurde, statt seiner Kunst, für die ihn die Muse so reich bedacht hatte, allein und ungehemmt zu dienen. Mallitsch hätte bei dieser ungewöhnlichen Begabung ein höchst bedeutsamer Meister werden müssen, groß und vielseitig zugleich, nie kümmerlich im Schauen und Erfassen, während die braune Erdkrume zu bearbeiten wohl bald ein anderer tauglich gewesen sein würde. Nun denke man sich zu diesem Talente eine einheitliche Schaffens-Konzentration, die selbstverständlich die Kräfte entwickelt und wesentlich hebt, und die sodann nach irgendeiner Richtung, die er wie immer auch genommen hätte, seine hohe Begabung erst recht zum vollen Austrag gebracht haben würde. Mallitsch wäre dann sicher neben unseren Allerersten der österreichischen Künstlerschaft des 19. Jahrhunderts gestanden. So wie die Zahl seiner Handzeichnungen, die ich sehr bewerte, da ihnen kein schüchternes Probieren, sondern stets das feste Erfassen des Gewollten i anhaftet, ist auch die Sammlung von Bildern sehr bedeutend. Wir finden auch hier Mallitsch auf allen Gebieten vertreten, sowohl als Genre-, Porträt- und Landschaftsmaler leistet er Tüchtiges und oft recht Pikantes, auch im kirchlichen Fach sowie in biblischen Stoffen begegnet er uns wieder, wovon eine Darstellung der keuschen Susanne wegen ihrer tüchtigen malerischen Behandlung hervorzuheben ist, wie auch zwei Kruzifixdarstellungen und eine „Beweinung Christi“ (Grablegung) sowie endlich die sehr vollendete Skizze zum Altarbilde in der Pfarrkirche zu St. Margarethen an der Pößnitz, darstellend die hl. Margareta. Das Genrefach sehen wir mit den Nummern „Der vergessene Glückwunsch“, „Der kleine Rekrut“ (1855 reproduziert im Wiener Künstleralbum), „Die Zwischenstunde in der Dorfschule“, eine buntbewegte Komposition vom Jahre 1876, „Die große Stube“, „Heimkunft der Kinder von der Prüfung“, „Die glückliche Kinderzeit“, „Jäger in der Wirtsstube“, „Familienglüdk“, „Das widerspenstige Wickelkind“, „Beim Lernen“, „Schlummerndes Kind“, „Nach dem Abendbrot“ etc. mannigfaltig vertreten. Selbstporträte und treffliche Studienköpfe, vorzüglich charakterisiert, lassen auch den Meister dieses Faches erkennen. Von der trefflichsten Formenbildung ist die fast lebensgroße weibliche Aktstudie, die seinem Aufenthalte in Paris bei Léon Cogniet (1854) zugeschrieben wird und wohl schon französische Malweise, aber noch durchaus Waldmüller sehe Auffassung zeigt. Neben den landschaftlichen Darstellungen, die bisweilen in ganz modernem Sinne auf Stimmung und Lichtwirkung ausgehen, sehen wir ganz vortreffliche Tier- darstellungen, bei einigen derselben man unwillkürlich an Couture und Troyon denkt. Eine der unmittelbarsten landschaftlichen Darstellungen, die füglich im Hagenbund oder in der Sezession hängen könnte, weil sie durch den intensiven Griff nach drastischer Schilderung und Sonnen Wirkung ganz und gar in unserer Zeit und deren Intentionen steht, ist das „Bauernhaus am Kogel im Sommer“, und von allerfeinster Erscheinung, ja eines Pettenkofen würdig, ist „Die Halde mit den Rindern“ (9X15 cm). Es würde zu weit führen, all das hier zu erwähnen, was an Interessantem geboten erscheint, aber dennoch kann ich es mir nicht versagen, noch einige Nummern herauszuheben, wie beispielsweise „Inneres einer Küche“, „Die Eiche am Bergwege“ (1877 dat.), die reizvolle „Herbstlandschaft“, „Die mittlere Winzerei am Kogel“ (1869), „Morgens in sonniger Flur“, „Kahler Baum nächst Willkommhof“, das durchaus modernen Intentionen entsprechende Winterbild „Hinter dem Herrenhause“; obwohl 1866 datiert, erinnert der vortreffliche Studienkopf eines alten steirischen Winzers doch noch lebhaft an die Auffassung seines einstigen Lehrers Waldmüller. Ferdinand Mallitsch, dem es angesichts all der sich hiemit darlegenden künstlerischen Tätigkeit wohl oft genug recht schmerzlich auf der Seele gelegen sein mochte, all den schönen Intentionen zumeist schon in ihrer nur teilweisen Entwicklung entsagen zu müssen, weil es ihm hiefür an Zeit und Ruhe gebrach, starb am 10. November 1900. Sein Bildnis mit dem schwarzen Käppchen, das den Katalog1 ziert und dessen Originalgemälde für Graz angekauft wurde, zeigt uns bereits den alten Herrn, der aber noch immer mit energischem Blicke herausschaut und mit dem halbgeöffneten, von vollen Lippen umgebenen Mund lebhaft zu sprechen scheint. Die „Grazer Morgenpost“ brachte am 19. Februar 1902 dem Künstler in ihrem Feuilleton einen Nachruf, in dem es heißt, daß derselbe als Achtzigjähriger ziemlich klanglos zu Grabe getragen worden sei. „Wenige“, erzählt der Nekrologist, „bemerkten sein ’Verschwinden, noch wenigere nahmen sich damals die Mühe, den Platz genau zu umschreiben, den er in der Kunst unserer letzten Zeit eingenommen hatte. Er durfte auf bessere Behandlung Anspruch erheben. Wenn nun noch; hinzugefügt wird, daß Mallitsch ein echter Künstler gewesen sei, der in seindr Eigenschaft auch besondere Wege gegangen wäre, so ist dies vollinhaltlich ;zu unterschreiben. Aber ebenso müssen wir gerecht sein, indem wir bemerken, daß darüber nicht seinen Zeitgenossen ein Vorwurf gemacht werden darf,! die ihn einfach nicht kannten, weil er sich nicht zeigte, und es sonach nur den Verhältnissen zuzuschreiben ist, die ihn und sein Schaffen dem Urteile der Menge entzogen sein ließen. Aber freuen kann es uns darob um so ihehr, heute dem Künstler das Lob und die Anerkennung zumessen zu können, nicht allein, weil er, ohne ja wie andere vollgültig geerntet zu haben, so unverdrossen seine Saat in den Boden setzte, sondern weil er trotz aller Hindernisse in sich die Pflicht fühlte, künstlerisch tätig und produktiv zu bleiben.“« Der Steiermärkische Kunstverein benutzte aber auch 18 Jahre später den Anlaß der Jahrhundertwende der Geburt unseres Meisters, im August 1920 eine Gedächtnisausstellung der gegenwärtig zugänglichen Arbeiten Ferdinand Mallitsch’ zu veranstalten. Der Verein glaubte damit der künstlerischen Anteilnahme der jüngeren Generation entgegenzukommen, die noch nicht in der Lage war, Ferdinand Mallitsch im Jahre 1902 kennenzulernen. Wir kommen auf diese Ausstellung später noch zurück. Vorerst sei noch einiges über das Wesen und die persönlichen Beziehungen unseres Malers gesagt: Übermittelgroß, kräftig, ein mächtiges Haupt mit frischem, von einem breiten braunen Vollbart umrahmtem Antlitz, aus dem zwei große braune Augen lebhaft in die Welt blicken, so lebt er der nun schon sehr klein gewordenen Zahl seiner noch atmenden Freunde im Gedächtnis. So tritt er uns auch in seinen zahlreichen Selbstbildnissen ent| gegen, die er meist zu Studienzwecken gemalt. Mit seiner äußeren Erscheinung im vollen Einklang stand sein warmblütiges, menschen- und besonders kinderfreundliches, mitunter heftiges Gemüt, das sich je nach Umständen durch ein charakteristisches schallendes Gelächter, aber auch durch ein krachendes Donnerwetter freie Bahn zu schaffen wußte. Aus dem Malerkreise seiner Freunde wären unter anderen zu nennen : Der schon erwähnte Professor Ernst Christian Moser; der Landschafter und 1 Wiedergabe auf Seite 271. spätere Professor an der Landeszeichenakademie Hermann Baron Königsbrunn (mit dem Mallitsch schon als Knabe — beim Normalschuldirektor Begutter im Jahre 1829 — Kost und Pflege teilte und der ihn 1898 noch einmal am Willkommhof besuchte, die Erinnerung hieran durch eine Reihe von selbst verfertigten interessanten Lichtbildern .festhaltend); der später in Wien tätige Genre- und Bildnismaler Karl Riedl; der Maler und steiermärkische Landesarchäologe Karl Haas, der Mallitsch im Jahre 1854 nach Paris begleitete; der treffliche Stecher Johann Passini der Ältere. Die eben genannten Maler und 'Mallitsch selbst finden sich auf einem alten, aus den fünfziger Jahren stammenden Lichtbilde (im Besitze des Steiermärkischen Kupferstichkabinetts) in lebendiger Gruppe vor einer Staffelei im Hofe eines Hauses in der Annen-straße beisammen. Aus dem Wiener Kreise der Akademie und Professor Waldmüllers sind neben diesem großen Meister vor allem Friedrich v. Friedländer, der bekannte Genremaler und Begründer der Wiener Künstlergenossenschaft, sowie der spätere Professor an der Kunstakademie in Krakau Leopold Löffler-Radymno zu nennen. Auch der nachmalige Direktor der Landesbildergalerie in Graz Heinrich Schwach und Professor Wappler der Wiener Polytechnik, ferner der Hochschulprofessor und Maler Heinrich Bank, endlich Hofrat Josef Wastler in Graz wären hier noch zu erwähnen. Am Willkommhof waren, oft und gern gesehene Gäste auch der aus Hamburg stammende, seit den fünfziger Jahren in Marburg an der Drau tätige Bildnismaler Eduard Lind und der in Marburg heimische, schon seit Jahrzehnten als Professor an der Akademie der bildenden Künste in München wirkende Maler Gabriel v. Hackl. Als junger Akademiker besuchte Mallitsch am Willkommhof auch öfter der jetzt in Wien schaffende, der Sezession angehörende, als trefflicher Landschafter bekannte Marburger Anton Nowak. An dieser Stelle soll ein Irrtum berichtigt werden, der in Josef Andreas Janisch’ Topographisch-statistischem Lexikon von Steiermark (Leykam, 1885) anläßlich der Beschreibung der Pfarrkirche zu St. Margarethen an der Pößnitz dem Verfasser unterlaufen ist. Dort heißt es: ; Im Bogen des Presbyteriums ist eine gut gemalte Maria vom Historienmaler Mallitsch, ein braves Bild ist die hl. Margareta am Hochaltar.“ Letzteres großes Hochaltarbild stammt nun' allerdings von Ferdinand Mallitsch, nicht aber die vorher erwähnte Madonna. Diese hat der obgenannte Marburger Maler Eduard Lind geschaffen. Herzliche Beziehungen verbanden unseren Meister auch mit den ihm aus der Jugendzeit befreundeten, bereits genannten Familien v. Schluetenberg und Pauer. In ihrem Kreise hat Mallitsch auf den Schlössern Negau und Gutenhaag viele Monate in frohem, schönheitsbegeistertem Verein malend und jagend zugebracht. Auch mit den Familien Notar Mravlag (Philipp und Philippine, geborene-v. Schluetenberg) in St. Leonhard und Landesgerichtsrat Fraß (Anton und Johanna, geborene v. Schluetenberg) in Cilli war Mallitsch von Jugend auf engstens befreundet. In Marburg waren es die Familien des Bürgermeisters und Notars Otmar und Dr. Matthäus Reiser, die er 1845 gemalt, sowie Dr. med. Mally und Kollegger, endlich das Haus des Grafen Schärffenberg, woselbst Mallitsch als junger Maler häufig verkehrte. Er schuf damals in diesen Kreisen eine Reihe von Bildnissen, die sich nicht nur durch große Ähnlichkeit, sondern auch durch individuelle Charakteristik auszeichnen. Ein Beleg für Mallitsch’ außergewöhnliches Formempfinden und für seine Gestaltungskraft ist die verbürgte Tatsache, daß er seinen Studiengenossen Franz v. Schluetenberg sieben Jahre nach dessen frühem Tode ohne jedes Hilfsmittel (ein Lichtbild gab es damals noch nicht) frei aus dem Gedächtnis malte und' hiebei eine geradezu sprechende Ähnlichkeit erzielte. Daß Ferdinand Mallitsch, der infolge seiner Abgeschiedenheit ziemlich in Vergessenheit geraten war, den verschollenen Künstlern heute wohl nicht mehr beizuzählen ist, das verdanken wir nicht zuletzt dem Steiermärkischen Kunstverein, der als der erste im Jahre 1902 und jüngst wieder im Jahre 1920 erfolgreich die Hand dazu geboten hat, Mallitsch und sein Werk der Vergessenheit für alle Zukunft zu entreißen. Denn auch die erwähnte letzte Gedächtnisausstellung des Steiermärkischen Kunstvereines erreichte voll und ganz den angestrebten Zweck; auch sie war von außergewöhnlichem künstlerischen Erfolg begleitet, wie aus der übereinstimmenden Fachkritik der Grazer Presse hervorgeht. So äußert sich beispielsweise der Vorstand des Landschaftlichen Kupferstichkabinettes, Dr. Karl Garzarolli-Thurnlack, in einer Besprechung der Ausstellung in der „Grazer Tagespost“ vom 25. August 1920 wie folgt: „. . . Der Steiermärkische Kunstverein hat in seiner gegenwärtigen Ausstellung an dem Verstorbenen eine letzte Ehrenpflicht erfüllt und in seinem ersten Ausstellungsräume über 70 Werke von seiner Hand vereinigt, welche großenteils aus dem Besitze des Sohnes des Künstlers, Herrn Polizeidirektors Dr. Otmar Mallitsch, der Landesgemäldegalerie und aus Grazer Privatbesitz stammen. Die prächtigen Porträts des Ehepaares Pauer (1850) beleuchten zusammen mit dem Bildnisse Waldmüllers in glücklicherweise durch ihre feine malerische Behandlung die Leistungen seiner Wiener Zeit, während das gewaltige Selbstporträt und die Bildnisse seiner Familie aus den siebziger Jahren den Künstler als Lichtmaler allerbesten Ranges erkennen lassen. Seine lebensgroße ,Büßerin4, (Paris 1854), deren treffliche Formenbildung und Haltung überaus angenehm berührt, vereinigt neben französischen Einflüssen malerischer Natur echt Waldmüllersche Auffassung. Den Großteil seiner Werke machen Landschaftsstudien aus, die die ganze Entwicklung von Moser bis zum greisen Mallitsch dartun. Der Willkommhof mit seiner nächsten Umgebung steht naturgemäß im Vordergrund. Was irgend malerische Qualitäten bot, ist von seiner fleißigen Hand festgehalten. Zuerst noch rein naturalistisch, dann im modernen Sinne auf Stimmung und Lichtwirkung abzielend. Dabei Menschen- und Tierstaffage, die aber nicht Selbstzweck* sondern nur Mittel sind. Aber das ist noch nicht der Höhepunkt. Dort, wo der Künstler sich am wohlsten fühlte, im Kreise seiner Familie, gab er das Letzte, Im ,Großen Zimmer4, seinem Selbstporträt vor dem grünen Ofen, der ,Rauchküche4 und dem ,Kindermädchen4 sind Lichteffekte erzielt, die um diese Zeit (siebziger Jahre) in Österreich wohl unerreicht sind. Ein Glück nur, daß unsere Landesgalerie das schönste Stück ihr Eigen nennt. Und dann ,Daheim4, eine Ölstudie von so herzig erquicken-dem Liebreiz, derartig lebendiger Auffassung und Darstellung, daß wir immer wieder davor hintreten müssen. Ebendort sind auch einige Proben Mallitsch’ als Miniaturist (1839) und lavierte Zeichnungen ausgelegt. Letztere gehören „Nach dem Abendbrot“ zum Besten, zeigen seine perspektivische Gewissenhaftigkeit, sein Kompositionstalent und seine sprühende naturwahre Lebendigkeit. Mallitsch ist hochbetagt am 10. November 1900 gestorben. In seinen Werken und im Herzen seiner dankbaren Heimat wird er ewig leben.44 Es wäre nur noch weniges zu sagen: F. Mallitsch, dem zu Anfang der siebziger Jahre vom Gemeindeausschuß der Ortsgemeinde Wachsenberg, in deren Bereich der Willkommhof gehörte, die Ehrenmitgliedschaft verliehen wurde, ist in der Galerie und im Kupferstichkabinett des Steiermärkischen Landesmuseums durch 14 Werke in Öl und 48 graphische Arbeiten vertreten. Die Ölgemälde der Galerie sind wie folgt benannt: „Bildnis Johann Paul Pauer mit Töchterchen“, „Bildnis Hedwig Pauer mit Söhnchen“ (1850), „Selbstbildnis“ (1878), „Ländliches Idyll“ (um 1865), „Familienglück“ (Willkommhof, 1871), „Das große Zimmer“ (Familientisch, 1873), „Bildnis des Malers G. F. Waldmüller“ (1852), „Untersteirisches Bauernhaus im Schnee“ (um 1868), „Alter Mann“ (Studienkopf, 1850), „Bergstraße vor Mondaufgang“ (um 1863), „Männlicher Studienkopf“, „Daheim“ (1865), „Der Findling“ (1852), „Das Kartenspiel“ (1869). Die beiden letztbezeichneten Werke wurden von der Wiener Staatsgalerie dem Steiermärkischen Landesmuseum als Leihgabe überlassen. Unter den graphischen Arbeiten im Kupferstichkabinett befindet sich unter anderen auch die große Kompositionsstudie (Federzeichnung) „Charon, die Seelen der Verstorbenen über den Acheron führend“, welche die Beherrschung der menschlichen Figur durch Mallitsch glänzend dartuende Arbeit gleichfalls von der Staatsgalerie als Leihgabe zur Verfügung gestellt worden ist. Im Hause Klosterwie.sgasse Nr. 13 in Graz befindet sich (grazbachgassenseitig) seit 7. März 1920 eine Gedenktafel zur Erinnerung an die vor hundert Jahren erfolgte Geburt des Malers in diesem Hause. Wenn wir uns hier mit dem künstlerischen Lebenswerk und der scharf umrissenen Persönlichkeit Ferdinand Mallitsch’ eingehend befaßt haben, so geschah dies nicht zuletzt in Würdigung des Umstandes, daß Ferdinand Mallitsch wie wohl keiner vor ihm die Reize seiner zweiten, nun für uns verlorenen untersteirischen Heimat und die Eigenart ihrer Bewohner mit Stift und Pinsel treu und eindrucksvoll zu schildern wußte. Damit hat er uns ein wertvolles Denkmal deutscher Kultur aus dem sonnigèn Rebenlande der Windischen Bühel hinterlasen. Das aus dem 16. Jahrhundert stammende Herrenhaus des zwischen den Kirchdörfern Jahring und St. Margarethen gelegenen, von Ferd. Mallitsch kurz vor seinem Tode verkauften Willkommhofes, die trauliche Stätte des künstlerischen Schaffens und des glücklichen Familienlebens unseres Malers, wurde im Jahre 1907 durch einen Brand zerstört. Der deutsche Meister ruht nun auf dem Friedhofe zu St. Leonhard in südslawischer Erde. Möge sie ihm leicht sein! Dr. Otmar Mallitsch ERNST GOLL3 Mein Bruder! Ich rufe Dich zur Heimkehr in unser Kinderland aus Deiner weiten Weltheimat! Gib mir die Hand, mein Bruder! Unser seliges Geheimnis: Unser Heimatlarid, unsere Freude und unser Leid I . . ■u Nachtigallen, Wolken, Sternen war er Du und Du. Tausend Fäden, zum engen Nest gespannt, darin er erwachend saß. Lebendige Natur und was um ihn geschah, ward Bild und Gleichnis. Aus tausend Fäden wob er und Leben wurde Linie, ein Farbenspiel, Musik; Geschwister alle Dinge und in ihm ein Gott. Was ihn erfüllte, was ihm Weite gab und Form und Schauen, war seine Heimat: Weinblütenduft an Juniabenden, Weinhähnchenzirpen Und violen-farbner Nachtigallensang in Nächten, die vor Sehnsucht schlaflos sind, brauende Glut an klaren Sommertagen, einsamkeitbanges Glockenläuten Sonntag nachmittags, da alles ruht, nur über warme Blütenwiesen Singen und Summen zieht. Andere Landschaft, karg und hart, zwingt zu Sammlung, Spannung, Bewußtheit; verdichtet, treibt Letztes zur Äußerung. Golls südsteirische Heimat löst und entspannt; heiter, grenzenlos gleichsam, ohne scharfen Kontur sich in Weiten verlierend, voll Blüte und Frucht und bunter Schönheit. Anders das Leben hier, anders die Menschen, müder und weicher, reicher auch freilich und üppiger, pflanzenhafter und erdgebundener als anderswo. So kam Ernst Goll eines Tages. Bürgertum weltverlorener Kleinstadt, der die Sprachgrenze enge Bedeutung gab. (Deutsch sein, während der Bruder drüben slawisch sprach) — Familie und Kinder und Sorgen um Haus und Feld, Die Menschen begrenzt vielleicht — nicht mehr als anderswo. Ordnung' und Zucht und Ehrbarkeit. Und doch: Dann und wann einmal einer gelöst wie im Wein aufbrausend, Feuergarben der Leidenschaft, die auch schon verglühen. Verschlossenheit ohne Härte und bedenkenloses Sichgeben. Frühreife in Kindern, bluthaft und voll natürlicher Anmut, aus Rasse und Landschaft. So kam Ernst Goll; frühreif, nachdenklich, weich, lebensdurstig. Er war von rascher Auffassung und scharfem Verstand und lernte mühelos. In Kameradenkreisen geistig überlegen, frühzeitig kritisch, leicht sarkastisch, voll 1 1 Geboren am 14. März 1887 in Windis'ehgraz im Mießlingtal in Südsteiermark als Sohn des k. k. Oberpostmeisters und Gastwirtes Ernst Goll, studierte am Gymnasium in Marburg an der Drau und an der philosophischen Fakultät der Universität Graz. Er starb am 13. Juli 1912 in Graz. Nachgelassene Gedichte „Im bittern Menschenland“;; herausgegeben von Julius Franz Schütz bei Egon Fleischei, Berlin 1912. Übermut und Witz, doch auch verschlossen wieder und verloren, ein Einzelgänger eher, aufbrausend auch und jäh. Jung aus dem Elternhause gekommen, ein Knabe noch, ging er seinen eigenen Weg mit der Kraft seines erwachenden Willens, geführt von seinem schöpferischen Drang. Kein anderes Vorbild als große Denker und Bildner, keine andere Erziehung als die humanistischen Bildungsganges. Er las leidenschaftlich, saugte sich gleichsam fest in Büchern; konnte sich maßlos begeistern für eine Gestalt, ein Bild, eine Idee. Dank seiner schöpferischen Begabung und seinem naturgegebenen Formsinn war sein ästhetisches Urteil unbedenklich klar, erkannte, er trugsicher künstlerische Werte. So leidenschaftlich er sich für eine gewonnene Erkenntnis einsetzen konnte, so bezwingend er zu überreden vermochte, so schroff und unwiderleglich lehnte er ab, was ihm Unwert schien. Selbst durch Natur und mangelnde Pflege musikalisch nicht gehörbegabt, aber, wie voll inneren Lichtes, eine Äolsharfe göttlicher Harmonie klang er auf, bewegt von rauschender Musik, und Schwingungen der Harmonien und Melodien formten in ihm Sprachklang und Bild. Was die kleine Draustadt an Kunst geben konnte, ward, immer neues Verlangen nährend, dankbar genommen. Wenig genug und bescheidenes Wollen. Doch wurde Musik gepflegt und jäh einmal entblühte aus gehaltener Enge in Schönheit einer glühenden Feldblume gleich eine Stimme, ein Instrument, rauschten ungeahnt die Wunder einer Symphonie, aus gleicher Engheit und Unschuld, aus der die magischen Kurven von Mädchenkörpern aufblühen, halmschlank aus warmer Scholle. Deutsch sein und deutsche Sprache pflegen ist eins, zumal dort, wo völkische Gegensätze trotz oder infolge Blut- und Landschaftgebundenheit hart aufeinanderprallen. So schuf sein Formwille sein Kunstwerk und sein nationales Bekenntnis. Weil er aber seine Sprache liebte und weil er erfüllt war vom Bewußtsein deutscher Art, haßte er nationale Rhetorik und Schlagworte ‘ nationalen Kampfes. Weltbürgerliche Gemeinsamkeit ersehnend, Weite, Größe, Besitz und Gut geistig fassend, war er sich in fahnenschwingender Freiheit über allem seines Künstlertums bewußt. Das folgende Gedicht, das als Prolog zur Eröffnung eines Theaters geschrieben wurde und eines der ganz wenigen Werke ist, die des Dichters ungetrübtes zuversichtlich frohes Antlitz zeigen, mag sein Künstler- und Menschentum neu aufzeigen: So soll denn dieses neue Haus begrüßen Mit Weihespruch, und Segenswunsch mein Lied; Wie leicht und golden unsre Worte fließen, Wenn uns Begeisterung das Herz durchglüht. O seht! Im Rhythmus all der Festesfreude, Die mich umflutet reich und wunderbar, Vor dieses Hauses einfach edlem Kleide, Wird mir der tiefe Sinn der Weihe klar. Und was in Rätseln meine Seele ahnte, In fernen Bildern voll von Licht, und Glanz, Und was ich stets empfand und nie erkannte, In dieser Stunde fühl’ ich es erst ganz: Deutsch sein — das heißt in Dämmerungen gehen Und Sehnsucht tragen nach dem Himmelsblau’n, Heißt mit den Füßen auf der Erde stehen Und mit den Augen nach den Wolken schau’n. Ob wir auch mit dem Geist der Zeiten hadern, Das gibt uns immer wieder neuen Mut: Lebendig quillt in unser aller Adern Ein Tropfen Künstler- und Vagantenblut. Dem frohen Drang nach sonnennahen Höhen, Dem blauen Auge, das in Fernen schaut Und nach den Wolken, die am Himmel gehen, Hat man auch dieses neue Haus gebaut. Und soll ich heute Dir Geleitwort sagen, Des Hauses Geist, auf Deine Wanderschaft, So sei es dies: In gut’ und bösen Tagen Sei immer Zeugnis dieser besten Kraft. Sei Trost, sei Bürge, daß in schönem Zeiten Sich Kunst und Leben wundersam vermengt Und daß wir unaufhaltsam vorwärts schreiten Zur Harmonie, die alle Welt umfängt. Es nimmt nicht wunder, daß Ernst Goll leicht abseits stand und .weit schauend im Morgen, wenn andere noch schliefen. Im Innersten bewegt vom Rhythmus des Lebens und der Landschaft schuf er sich seine Sprache und seine Welt. War Ernst Goll nun auch, da er die Hochschule bezog, der Sorge um den Alltag durch die elterliche Unterstützung überhoben, so trat doch mehr als einmal, wenn auch nur für Augenblicke, ein fremder, nicht gekannter Schatten aus einer irrealen Welt von Kampf und Zwangarbeit, die Sorge um Sein und Lebenmüssen, in seine bunte Welt. Er hörte und fühlte es ein ums andere Mal, daß er unnütz und aus der Art wäre. Er wußte, daß man der Ernte warte nach der Saat. Im Grunde fremd schon und entwurzelt dort, wo Bürgerfleiß und Schollenarbeit Wert und Ansehen schaffen und Sichbescheiden gut und allzu weites Schreiten fährlich gilt, stand er auf neuem Boden und schuf in Sorgen glückerfüllt an seinem Werk. Überquellend leicht strömten die Lieder, doch klingt ein Unterton von Leid aus ihren Harmonien, wie Todesfittiche an Harfensaiten rühren. Die Schatten wichen nicht von ihm. Trübe Erfahrungen, getäuschte Hoffnungen, neue schmerzliche Erlebnisse verletzten ihn. Seine fein empfindende Seele, seine gläubige weltfremde Sehnsucht, seine reine Güte und Kindernatur, seine Weite und Weichheit, sein Über-den-Dingen-Leben, all das Erbe seiner Heimat, das seine Künstlerschaft bedingte, ward sein Schicksal. Noch einmal wehrte er sich mit trunkenem Willen: die Frau sollte die Rettung, die Lösung sein; hier mußte der freie breite Weg ins Leben führen. Sie, die Gesunde, Lachende, sollte Schutz und Zuflucht sein, sie der Hafen aus Stürmen, sie die Empfängerin und Behüterin, der elfenbeinerne Turm des Trostes und Heils. Adorata, die Braut. Nicht die Geliebte, die Freundin; die Braut, die Gattin werden sollte. Ernst Goll berauschte sich an diesem Wort und war vielleicht schon müde aller Dinge. Ein quälender Dämon hatte ihn ergriffen. Er zeigte sie allen, stolz und glückselig lächelnd. So war wohl das gesunde Leben, sein Leben; wehe, wer ihm sein Glück, sein Leben nehmen wollte. Lächelnd trug er Bücher, Blumen und viele schmerzgeborene Gedichte zu seinem Heiligtum, erzählte Märchen und saß versunken. Manchmal war er noch mit Freunden; müd und von erzwungener Heiterkeit. Eines Tages zog er ein schwarzes Kleid an. Er habe eine Prüfung zu bestehen, sagte er beim Fortgehen. In der Universität traf ihn vormittag ein Freund in banger Unruhe. — Um V21 Uhr sprang er dort vom zweiten Stock. Er hat Erlösung gefunden. Sein Leben glich den Waldkirschenblüten im Abend seiner Heimatwälder. Sein Geist ist in uns;, wir können ihn nicht vergessen. Dr. Heinrich Kalmann, Graz ANNA WITTULA . EINE STEIRISCHE ERZÄHLERIN In den ersten Jahren des Weltkrieges erschien in der zu Stuttgart gedruckten und verlegten Zeitschrift „Das Buch für Alle“ eine Reihe von romanhaften Erzählungen und novellistischen Skizzen einer bis dahin unbekannten Autorin namens Anna Wittula, die in klarer Anschauung und liebevoller Vertiefung den Schauplatz von Geschehnissen in unsere Steiermark verlegten,, mit so feiner Kenntnis unseres Heimatbodens, daß in dieser Erzählerin ein neuer Stern an dem heimischen Literaturhimmel aufgegängen schien. Ein rasch ausbrechendes Gewitter des Sommers 1917 zwang mich, auf dem Lande befindlich, das schützende Dach eines Landgasthauses aufzusuchen, und um der Langweile zu steuern, besah ich die Hefte des daselbst aufliegenden Lesezirkels der Grazer Buchhandlung A. Kienreich und fand in einer Nummer der Zeitschrift „Das Buch für Alle“ die Fortsetzung einer Erzählung: „Die Venus vom Candussihof, ein Roman aus Steiermark um 1830“ von Anna Wittula. Mein Erstaunen über die mitten aus der Erzählung gerissene Fortsetzung war um so größer, als die gänzlich unbekannte Verfasserin ein treffliches Bild des alten franziszeischen Graz entwarf, das mich äußerst wohltuend anmutete und das Verlangen wachrief, den ganzen Roman zu lesen. Wer war die Verfasserin? Wahrscheinlich ein Pseudonym, war der nächste Gedanke und ich suchte in Schriftstellerverzeichnissen ihr nachzuspüren, allein überall — Schweigen. Nicht einmal der vielbelesene Hüter der steirischen Abteilung unserer Landesbibliothek, der leider seither geschiedene hochbegabte krainerische Dichter Dr. W. Goltsch, vermochte mir Auskunft zu geben, richtete vielmehr Gegenfragen an mich über Person und Herkunft dieser neuen Erzählerin, deren Talent ihm aufgefallen war. Später traf ich beim Nachsuchen im selben Jahrgang genannter Zeitschrift eine novellistische Skizze „Die süße Schäferin“ ebenfalls von A. Wittula. Und wie im ersteren Roman das alte Graz und die Sannstadt Cilli mit liebevoller Treue geschildert waren, so erkannte man in letzterer als Schauplatz der Handlung den Hauptplatz des Städtchens Bruck an der Mur mit soviel Einzelheiten der Darstellung, als hätte man eine feine Federzeichnung vor sich, auf der man die Gegenstände und Häuser nur so greifen könnte. Daß nur ein Kind unseres Landes diese liebevolle Art der Schilderung aufbringen könne, stand bei mir fest, und meine gesteigerten Bemühungen, die Persönlichkeit der hochbegabten Erzählerin auszuforschen, hatten durch Nachfragen das Ergebnis, daß die Frau eines Südbahninspektors, der in den Grazer Blättern am 4. März 1918 ihre Todesanzeige veröffentlichte, . mit der lange gesuchten Dichterin wesensgleich sei. Die schon im Morgenrote ersten Ruhmes verklärte- Schriftstellerin war am 3. März abends um Véli Uhr in einer hiesigen Krankenpflegeanstalt an den Folgen einer schweren Magenoperation gestorben. Alles, was ich über den Werdegang, Familienursprung der Dichterin erfahren konnte, sei hier im Zusammenhänge geschildert, denn als namhafte Vertreterin der so geschätzten Heimatskunst muß sie als eines der bedeutendsten Talente auf dem Gebiete der Erzählungskunst in unserer Steiermark gewertet werden. An unserer schreiblustigen Zeit gemessen, ist die Anzahl ihrer Arbeiten eine kleine, aber die wenigen Proben, die uns zu Gebote stehen, lassen es tief und aufrichtig beklagen, daß ihr der Tod die Feder so rasch entwand. Von väterlicher Seite verliert sich ihr Stammbaum in die Aufklärungszeit der theresianisch-josephinischen Epoche. Ihr Großvater war der 1781 zu Stadt Steyr geborene Matthias Unger, der über seine Herkunft zu den Kindern nie gesprochen hat und von dem es hieß, daß er im Stifte Admont in der Klosterschule studiert habe. Er war „bürgerlicher Wund-, Geburts- und Impfarzt“, der nach Graz kam, sich hier niederließ und in seiner in der Mariahilf erstraße gelegenen Offizin (heute Nr. 11) ärztliche Tätigkeit übte. Von seiner dritten Ehegattin Amalie Grünwald hatte er fünf Kinder, deren Namen bezeichnenderweise mit den Buchstaben des Friderizianischen Spruches: „A. E. J. 0. U.“ (Auguste, Emma, Julius, Ottilie und Ulrike) begannen. Der erwähnte Sohn Julius verlor in seinem 7. Jahre (12. April 1844) den Vater durch jähen Tod, wurde dann, als durch den erwähnten Todesfall die Familie sich auflöste, von dem Grazer Hof- und Gerichtsadvokaten Dr, Kajetan Bouvier als Ziehsohn gehalten, studierte an der Technischen Hochschule in Graz und trat nach Vollendung seiner Studien in die Dienste der Südbahn, bei welcher er bis zum Inspektorsrang diente. Kurze Zeit lebte er im Ruhestande zu Graz, welcher Vaterstadt er auch als Gemeinderat werktätig sich befliß, und starb hier 18. Oktober 1914. Dies ist der Vater unserer Dichterin, der mit seiner Frau Anna, einer geborenen Landwehr, Färbermeisterstochter aus Pettau, die er 1860 geheiratet, sechs Kinder hatte, als deren zweitjüngstes, Anna mit Namen, sie am 22. April 1801 in der alten, einst dem Grafen Brandis gehörigen Burg zu Marburg an der Drau geboren wurde. Eine vorzügliche Abbildung dieses schönen, leider von der Zeiten Unbill stark mitgenommenen Barockbaues von der Meisterhand Professor Adolf Wagners ist dem Titel vorliegenden Buches beigegeben. Eine güt altbürgerliche Erziehung gab der kleinen Anna feste Richtung und Weltanschauung. Ihre Vorfahren von mütterlicher Seite waren wohlgesetzte Bürger von Osnabrück, aus welchem hannoverànischen Städtchen der Großvater Frapz Landwehr 1818 nach Steiermark gekommen war und sich zuerst in Friedau, dann in Pettau niedergelassen hatte; Aus dem Draustädtchen kam die kleine Anna mit ihren Eltern infolge der dienstlichen Versetzung des Vaters zur Südbahndirektion nach der Kaiserstadt Wien, wo sie ihren ersten Volksschülunterricht genoß, der durch die berufliche Entsendung ihres Vaters nach Steinbrück 1877 unterbrochen wurde und an der dortigen Ortsschule seine Fortsetzung unter einem tüchtigen Lehrer namens Kropey fand. Ihre letzte Ausbildung vollendeten die Ursulinen zu Laibach, wò das funge Mädchen sehr viel im Hause ihres Großonkels, des Polyhistors Professor Karl Grünwald, verkehrte, dessen besonderer Liebling sie wurde. Die Tochter Henriette des Genannten war unter dem Namen Harriet selbst schriftstellerisch tätig und eine Freundin der damals vielgelesenen Eugenie John-Marlitt. Die Ernennung ihres Vaters zum Sektionsingenieur nach Mürzzuschlag brachte unsere Erzählerin zu einem längeren Aufenthalt in unser Oberland, wo sie in dem von Dr. Adalbert Kupferschmidt begründeten „Deutschen Lesekränzchen“ als Dilettantin bei Schauspielaufführungen mit ihrem Bruder Franz unter großem Beifall mitwirkte. Schiller, Lessing, Grillparzer beherrschten daselbst das Repertoire des Liebhabertheaters und auch unseres Roseggers niemals öffentlich aufgeführte dramatische Skizze „Komödianten“ wurde durch die Geschwister Anna und Franz Unger in Anwesenheit des Verfassers dargestellt. Unter den Mürztaler Sommergästen erwarb sie sich viele Freunde von Namen, unter ihnen Brahms. Leider erkrankte sie um diese Zeit an einem in ihrer Familie erblichen Übel, an Magengeschwüren. Ein vorübergehender Aufenthalt in Pettau bei einer Tante. Laura. Mayer brachte dem schwersiechen Mädchen endlich Genesung und durch die Bekanntschaft mit einem talentierten Pionieroberleutnant Fritz Wittula ihr Lebensglück. Der junge Mann quittierte den Dienst, trat zur Südbahn über und holte sich in Anna Unger seine Frau. (1892). _ Alle diese Erinnerungen an die Vorfahren ihrer Eltern, das Leben derselben in der Landeshauptstadt Graz sowie in der landesfürstlichen Kammerstadt Pettau, ihre eigenen Erinnerungen aus erster Jugend hatte die junge Frau in einer Anzahl von Heften niedergeschrieben, beseelt von einem inneren Drange, „weil sie es mußte“, um sie 1912 anläßlich der Geburtstagsfeier ihres alten Vaters diesem als Gabe zu bieten. Durch einen Zufall kam die Handschrift zur Kenntnis des in dem Dienstorte ihres Mannes in Cilli lebenden, seither verstorbenen bekannten Oberbergrates und Konservators Emanuel Riedl, der die hohe Begabung der Verfasserin dieser „Familienchronik“ erkannte und derselben den Rat gab, dieselbe romanhaft zu formen, auch bereitwilligst die junge Schriftstellerin an den Redakteur Sänger von der Deutschen Verlagsanstalt in Stuttgart empfahl, welcher die unter dem Titel „Das Gerberhaus“ verfaßte Erzählung 1914 in dem „Buch für Alle“ zum Abdruck brachte und damit die Dichterin sozusagen aus der Taufe hob. Dieser literarische Erstling gewann der jungen Autorin rasch einen Leserkreis und in der genannten deutschen Zeitschrift erschienen nun in der Folge die „Venus vom Candussihof, ein Roman aus Steiermark um 1830“, die novellistischen Skizzen „Bruder Grimm“, „Die süße Schäferin“, dann der Roman „Die Jungfer Nannette vom Goldenen Straußen“, zu welchem sie das Motiv wie das ihrer ersten Leistung ebenfalls in ihrem großelterlichen Hause in Pettau fand. Der Erfolg, den die Schriftstellerin durch ihr Auftreten in einer angesehenen reichsdeutschen Zeitschrift davongetragen hatte, ließ auch eine österreichische es als kein zu großes Wagnis erscheinen, A.Wittula unter ihre Autoren aufzunehmen. Es ist ja seit einem halben Jahrhundert bei uns herrschende Gepflogenheit, unsere tüchtigsten Köpfe erst übd!r das Ausland her zur Sprache kommen zu lassen und zu beachten, wovon einerseits die Ursache in der sprichwörtlich gewordenen österreichischen Bescheidenheit liegt, andererseits in der Wortsuggestion unserer Tages- und leider auch historischer Schriftsteller zu suchen ist. So erschien nun 1917 in „Österreichs Illustrierter Zeitung“ ein Roman „Das Gruberdirndl“ aus der Familiengeschichte eines steirischen Hammerhauses, das bis jetzt wohl die beste schriftstellerische Darstellung der alten steirischen Eisenindustrie in poetischer Form ist. Die letzte größere Erzählung in Romanform, die A. Wittula bei ihren Lebzeiten veröffentlichte, ist ein Altgrazer Roman „Veit Billerbeks Erben“, der den Franzoseneinfall vom Jahre 1809 zum historischen Hintergrund hat. Es ist höchst erstaunlich, mit welch epischer Klarheit diese jüngste namhafte steirische Erzählerin den Boden ihres Geburtslandes geschaut und geschildert hat. Orts- und Zeitkolorit sind mit meisterlicher Treffsicherheit entwickelt, und was bei einem weiblichen Autor ganz besonders auffällt: die geschichtliche Treue des feingemalten Erzählungshintergrundes. Das bürgerliche Leben und Treiben des kleinstädtischen, verträumten Pettau im „Gerberhaus“ und in der „Jungfer Nannette vom Goldenen Straußen“ mit seiner Biederkeit steht klar vor dem Auge des Lesers. Und wie fein erscheint das alte Graz der Franziszeischen Zeit, das biedermeierische Sannstädtchen Cilli in der Zeit, als J. G. Seidl, der Bifoliendichter, daselbst als Gymnasialprofessor wirkte, in der „Venus vom Candussihof“ vor unserem geistigen Auge, wie erlebt bedrückten Herzens der Leser von „Veit Billerbeks Erben“ die Schmach und Bedrängnis der Franzosenzeit! Und wie prächtig malt die Dichterin das Hammerwerksleben in der Zeit des unvergeßlichen Prinzen Johann von Österreich! Diese alten Stadt- und Landschaftsbildchen strahlen jenen unsäglichen Reiz aus wie jene, die Meister Balthasar Wigand auf den Kaffeetäßchen und Tellern unserer Urgroßeltern in nachnapoleonischen Tagen mit zartem Pinsel gemalt hat. Und den Gestalten der handelnden Personen glaubt man schon in den „Studien“ Adalbert Stifters begegnet zu sein, .nur sind sie mit keckerem Zugriff und kräftigem Umriß gezeichnet, tragen alle die gemütvollen und herzlich ansprechenden Charakterzüge jener guten alten Zeit, die der Epigone die Biedermeierzeit getauft hat, haben nichts von erklügelten Eigenschaften an sich, sondern sind lebenswarme, in helles Dasein gestellte Menschen, wie sie in der der Tradition unserer alten Familien noch legendenhaft fortleben. So hatte unsere treffliche steirische Erzählerin mit ihren leider nicht zahlreichen Leistungen unter den Lesern rasch Boden gewonnen und trug sich mit weit ausgreifenden Plänen — da meldete sichs als übler Gast jenes alte Leiden aus ihrer Mädchenzeit, aufs neue sich entwickelnde Magengeschwüre mit heftigen Blutungen, die ihr Tage und Nächte so leidvoll gestalteten, daß sie ärztlichem Rate zufolge sich entschloß, chirurgische Hilfe zu suchen; aber des siechen Körpers Kräfte versagten und ihr gütiges Herz stand stille. Am 6. März des Jahres 1918 um 2 Uhr nachmittags wurden ihre sterblichen Reste auf dem Gottesacker zu St. Leonhard in die Erde gesenkt. Noch im Jahre des Heimganges der Dichterin veranstaltete die Verlagsanstalt von „Österreichs illustrierter Zeitung“ des Jakob Philipp in Wien eine Buchausgabe des Erstlings von A. Wittula und plante eine Ausgabe ihrer Erzählungen, die ursprünglich auch die Deutsche Verlagsanstalt ins Auge gefaßt hatte. Die darüber geführten Verhandlungen gerieten ins Stocken und nun ist es als ein ganz besonderes Verdienst der heimischen Vereinsdruckerei und Verlagsgesellschaft Graz zu buchen, daß sie die Romane aus dem Nachlasse der Dichterin erwarb und in handlicher, zugleich schmucker Form in den Buchhandel brachte. Als erster Band erschien Frühjahr 1921 „Die Venus vom Candussihof“ mit Titelumschlag vom heimischen Künstler Hanns v. Schrötter, Winter 1922 „Die Jungfer Nannette vom Goldenen Straußen“ mit Buchumschlag von der rühmlichst bekannten Grazer Radiererin Martha Fossel, im Sommer desselben Jahres „Sonnenuntergang“, Erzählung aus der obersteirischen Gewerkenzeit, ebenfalls mit Buchumschlag der letzterwähnten Künstlerin, und Winter 1924 der Roman aus der Franzosenzeit in Graz „Veit Billerbeks Erben“ mit Umschlagbild von Rudolf Szyskowitz, denen noch die übrigen folgen sollen. Bei dieser Gelegenheit ist der Wunsch nicht zu unterdrücken, die Deutsche Vereinsdruckerei und Verlägsanstalt möge die früher erwähnte „Familienchronik“ der heimgegangenen Verfasserin durch Drucklegung der Allgemeinheit zugänglich machen und damit ein intimes Gemälde des alten Pettau und der jüngeren Landeshauptstadt Graz zu weiterer Kenntnis bringen. Gründe hiefür wären mehrere namhaft zu machen. Zuvörderst das jüngst ■ erwachte Interesse für Familiengeschichte und bürgerliche Genealogie, kulturhistorische Zeichnung nicht wiederkehrender Verhältnisse und nicht zuletzt, sondern hauptsächlich der Mangel an persönlichen Aufzeichnungen aus dem Beginne der Zeitungsära des 19. Jahrhunderts, der von Historikern so oft und lebhaft beklagt wird. Wir Steirer, die wir das Glück haben, aus dem Mittelalter persönliche, höchst poetische Aufzeichnungen des Minnesängers Ulrich v. Lichtenstein, aus dem ersten Jahrhundert nach Beginn der Neuzeit das „Familienbuch“ des vielgereisten Diplomaten Sigismund Freiherrn v. Herberstein und aus dem 17. Jahrhundert im „Wirtschaftsbuch“ der Gewerkin M. E. Stampfer intime Familienaufzeichnungen zu besitzen, könnten es nur freudigst begrüßen, wenn diese Lücke für das abgelaufene Jahrhundert durch eine so gewandte Erzählerin wie A. Wittula ausgefüllt würde. Was in dieser „Familienchronik“ an Sonderlingsfiguren und prächtigen Leuten vorhanden ist, würde einen umfangreichen Darstellungsstoff für Schilderung heimischen-Lebens ergeben. Geradewegs dem unerschöpflichen Volksborn österreichischen Stammes entquoll die dichterische Persönlichkeit Anna Wittulas, die in ihrer Eigenheit Zeugnis gibt für die edle Wesenheit jenes alten ostmärkischen Zweiges von vornehmster und höchststehender Kultur des deutschen Volkes. Der gewissenhafte Literaturforscher künftiger Tage, der die Namen unserer begabten Schriftsteller und Dichter erst mühsam aus dem Staube der Archive wird gammeln müssen, kann an dieser Heimatskünstlerin, deren Talent mit Bescheidenheit sich paarte, nicht vorübergehen, ohne sich sagen zu müssen, daß sie in einer Zeit des Verfalles von Kunst und Literatur eine dauernde Erscheinung auf heißumstrittenem Boden gewesen, ein Glied jener Kette deutschen Schrifttums seit den Tagen Herrn Walters bis heute. Hanns Löschnigg HUGO WOLF In Südsteiermark ist Hugo Wolf zu Hause, einem Land, dessen Seele man bis jetzt wenig erforscht hat. — So beginnt Ernst Decsey1 seine große Biographie Wolfs. Decseys Werk erschien 1903; seitdem haben sich die Verhältnisse in dieser Beziehung wesentlich geändert. Zunächst macht sich jetzt im allgemeinen ein Zug geltend, den Künstler nicht als Einzelerscheinung zu betrachten, sondern den Zusammenhängen und Wechselwirkungen zwischen ihm und seinen Vorfahren, seiner Entwicklung, den Zeitgenossen, kurz gesagt dem Milieu nachzuforschen. Ernst Decsey spricht in seinem Einleitungssatz mit vorausahnendem Verständnis nicht etwa von den geographischen und wirtschaftlichen Verhältnissen Südsteiermarks, sondern von seiner Seele. Die ist uns seitdem aufgetan worden. Männer wie Rudolf Hans Bartsch, Josef Marx und andere haben, jeder auf seinem Gebiete, die Aufmerksamkeit der. geistigen Welt auf dieses eigenartige Land gelenkt, das den Fernewohnenden fremd war, weil es nicht zur großen Reisestraße gehörte, und uns Nachbarn,-weil es zu nahe war, um unsere Neugierde zu reizen. Bartsch und Marx also haben uns mit ihrer großen Gestaltungskraft das Land nahe gebracht, das auch Wolf hervorgebracht hatte. Wenn wir nun Wolfs Persönlichkeit und seine Werke von diesem Gesichtspunkte aus betrachten, so sehen wir, daß er mit seinen Wurzeln doch viel tiefer in seiner Heimat steckte, als ihm selbst bewußt war; er selbst fühlte sich innig mit Wien und seinen Kunstströmungen verbunden, wo er verständnisvolle und fördernde Freundschaft fand, — und wohl auch heftigen, aber dadurch zu neuem Aufschwung reizenden Widerstand. Das südsteirische Hügelland ist der Übergang vom Gebirgsland mit den imposanten Formen zum Flachland mit seinen wunderbaren Beleuchtungseffekten der großen Fläche. Seine Bewohner haben nicht, wie der Bergbauer, mit der umgebenden Natur hart um die Existenz zu ringen; aber auch das meditierende Phlegma des Südslawen, dem die Natur alles reichlich in den Schoß wirft, liegt ihnen noch ferne. Dazu kommt eine Rassenmischung, die im Kampfe um das Volkstum tüchtig und selbstbewußt gewordenes Deutschtum mit weicheren slawischen und sinnlich-schönheitsdurstenden italienischen Elementen mischt. \ : Aus dieser Umgebung nun ging Wolf hervor; um ihn und hauptsächlich seinen Werdegang ganz zu verstehen, müssen wir bis zu einem gewissen Grade seine künstlerische und seine bürgerliche Persönlichkeit getrennt betrachten. Die 1 Hugo Wolf. Von Ernst Decsey, bei Schuster- und Löffler, 3 Bände. dauernden, großen Werke schafft der Künstler; vom Menschen hängt es zum großen Teil ab, wie lange er braucht, um sie durchzusetzen. Hugo Wolf ist in Windischgraz am 13. März 1860 geboren. Nach Absolvierung der Volksschule und mehrerer Klassen des Gymnasiums in Graz, St. Paul und Marburg bezieht er im Jahre 1875 das Konservatorium in Wien, in dem er bis 1877 bleibt. Mit einer Unterbrechung (1881 und 1882 war er Kapellmeister in Salzburg) lebte Wolf dann ständig in Wien oder in der Umgebung. Im Jahre 1897 mußte er zum erstenmal wegen einer geistigen Störung in einer Anstalt untergebracht werden, wo er beiläufig vier Monate verblieb. Im. Jahr 1898 kam er' in die niederösterreichische Landesirrenanstalt, wo er nach vierjährigem Siechtum am 22. Februar 1903 starb. r Hugo Wolf kam in Wien in das Zeitalter des großen Kampfes um W agner. Die Jugend jubelte dem Manne zu, der die alte Form zerbrochen und seine eigene, gigantische, dafür aufgerichtet hatte. Neben einem Heer von, Epigonen und Nachbetern waren einzelne’ Große, die den Bahnen des Meisters; folgten und dafür manche Verfolgung auszuhalten hatten. In erster Linie war das Anton Bruckner, der daher auch von der Wagnerpartei ebensosehr gefeiert als von den Gegnern angegriffen und verfolgt wurde. Die Gegenpartei repräsentierte nach, außen hin hauptsächlich Eduard Hansliek, der Wagner querst, aus Überzeugung, später wohl hauptsächlich aus Obstination bekämpfte und der seinen verlorenen Posten mit scharfem Geist, großem Wissen und einer glänzenden Feder verteidigte. Der große, schöpferische Geist der Partei war Johannes Brahms, der in seinen Werken zur alten, strengen Form zurückstrebte, und sich den Neuerungen, die er als Verfall empfand, entgegenstemmte., Zugleich verzichtet er auf die Farbigkeit in der Musik und vermeidet ängstlich alles, was als Effekt gedeutet werden könnte, er repräsentiert mit einem Wort den selbstkritischen Norden, der die Erfindung immer unter der Kontrolle der Überlegung hält. Aüch der große Chirurg Billroth, in dessen Haus Brahms, Hansliek und ihre Parteigenossen viel verkehrten, und musizierten, war ein Norddeutscher. Daß er, ein ungemein klar und selbstkritisch denkender Mann von außerordentlichem musikalischen Können und Wissen, ihre Ansichten teilte, beweist, daß es sich nicht um persönliche Momente, sondern um Auffassungs-Unterschiede handelte, die tief im Wiesen begründet waren. Zu welcher der beiden Parteien Wolf sich schlagen würde, war nach seinem Naturell natürlich von vorneherein klär. Wagner machte auf ihn einen überwältigenden Eindruck. Aber so» stark ist Wolfs Eigenart, daß sie im Erlebnis Wagner nicht untergeht, sondern daß er es vollkommen in sich verarbeitet und darüber hinaus zu sich selbst gelangt. Zu Brahms muß er in Gegen-sätz geraten, nicht aus musikalisch-„parteipolitischen“ Gründen, sondern weil seine; Schaffensart der Brahibs’ diametral zuwiderläuft. Brahms, der langsam; aber stetig Schaffende, Wolf, der nach gänzlich unfruchtbaren Perioden, unter denen er, der Gemüts- und Stimmungsmensch, selbst schwer leidet, plötzlich mit unerhörter, geradezu explosiver Schnelligkeit komponiert. . Brahms : gestaltet mit Überlegung, feilend, selbstkritisch. Wolf hat die Eingebung fertig im Kopf, er komponiert nicht, sondern „es“ komponiert in ihm; er hat kaum Zeit, in fieberhafter Hast all das schriftlich festzühalten, womit ihn der Genius überschüttet. - Dieses Tempo des Schaffens zeigt sich aber für den Kenner auch in den Werken; nur so ist eine solche Geschlossenheit im Stil, trotz allen Reichtums an Abwechslung, möglich, nicht nur im einzelnen Lied, sondern sogar im ganzen Zyklus. Wolf verbohrt sich förmlich in einen Dichter und schreibt dann die ganze Liederreihe in einem Guß". So zum Beispiel 43 Lieder nach Texten von Mörike in der Zeit vom 16. Februar bis 18. Mai 1888. Vom 21. bis zum 29. September 1888 schrieb er 10 Lieder des Eichendorff-Kreises. Von den 51 Goethe-Liedern entstanden 50 in der Zeit vom 27. Oktober 1888 bis zum 12. Februar 1889. Wolf hat sich mit seinem Dichter immer vollkommen identifiziert. Er war daher auch wählerisch in seinen Texten; wenn es ihm nicht gelang, sich in eine Dichtung ganz einzuleben, so wollte er sie nicht konipönieren. Darin ist er wieder ganz Süddeutscher, in der ungeheuren Gefühlsbetonung, mit der er, weit über die verstandesmäßige Erfassung des Textes hinaus, die Dichtung leidenschaftlich nacherlebt. V Wolf hat sich mit seinen Liedern nicht schnell durchgesetzt. Das hatte verschiedene Gründe; zum Teil wohl, die absolute Neuartigkeit seiner Musik. Nur das Durchschnittliche setzt sich gelegentlich widerspruchslos und rasch durch, um allerdings meist ebenso rasch wieder zu verschwinden. In Wolfs Lieder muß sich auch der Musikalische erst einhören; hat er den Stil einmal erfaßt, so bringt ihm dann jedes weitere Lied Neues, aber nicht mehr Fremdes. Zum andern Teil aber war sicher noch ein anderer Umstand schuld. Wolf hatte sich in der Frage Wagner-Brahms nicht nur eine entschiedene Meinung gebildet, sondern griff auch tätig sehr temperamentvoll in den Kampf ein, wozu ihm seine Stellung als Musikkritiker des Salonblattes in Wien (1884 bis 1887) Gelegenheit bot. Überhaupt hatte er nicht nur die Begabung Und die feine, empfindsame Art von seiner Heimat mitbekommen, sondern auch gewisse Eigenschaften, die dem Steirer oft in der Fremde ein Hemmnis sind. : " Wer Gelegenheit hatte, die Steirer im Weltkrieg zu beobachten, geriet oft in hellen Ärger, wenn er sehen mußte, wie wenig es diese tüchtigen Menschen verstanden, sich in Szene zu setzen. Wenn man auch weit davon entfernt ist, Ruhmredigkeit und Reklamesucht erstrebenswert zu finden, so ist doch sicher das Gegenteil auch nicht am Platz. Wie oft heimsten andere den Erfolg und die Anerkennung für wirkliche Heldentaten und Leistungen der Steirer ein, weil die im richtigen Moment den Mund nicht aufbrachten, oder gar das „Unrechte Wort am Unrechten Ort“ fanden. Und in dieser Hinsicht hatte Wolf sicher manches Steirische an sich. Er selbst empfand ès und litt darunter, konnte aber doch gegen sein Naturell nicht aufkommen. So sehr ihn alle, die ihn näher kannten, hochschätzten und liebten, so konnte er manchmal zunächst einen falschen Eindruck erwecken; und gar »in seiner kritischen Tätigkeit war er geleitet von seiner rücksichtslosen Aufrichtigkeit, vereint mit einer intensiven und sicher oft einseitigen inneren Anteilnahme am Gehörten. Ein schaffender Musiker von so ausgesprochener Eigenart wie Wolf kann niemals jene Einfühlung in Werke verschiedenster Richtung aufbringen, die der Kritiker haben muß, um allem Neuen nur halbwegs gerecht zu werden. So schuf er sich natürlich eine Reihe von erbitterten und zum Teil sehr einflußreichen Feinden, die sich dann dem Bekanntwerden seiner Werke hemmend in den Weg stellten. Bekannt ist der Vorfall bei der ersten Probe der „Penthesilea“ unter Hans Richter, die ihm eine scharfe Ablehnung eintrug. Dabei wurde ausdrücklich von Seiten Richters seiner Polemik gegen Brahms gedacht. Auf die Dauer konnten solche Hemmungen aber doch den Siegeslauf der Wolfschen Musik nicht aufhalten. Eine Reihe von Menschen mit offenem Sinn für das Neue fanden sich, die für Aufführungen sorgten — in Steiermark erwähne ich nur Dr. Heinrich Potpeschnigg, der von Anfang an sein verständnisvoller Verkünder und Verfechter war, Ferdinand Jäger, der in Graz Wolf-Liederabende sang, und das Künstlerpaar August und Marie Kraemer-Widl —, und von da an ging es unaufhaltsam weiter, bis zunächst die eigene Nation und bald auch die übrige musikalische Welt Wolf zu den Großen seines Gebietes zählte. „Musik ist international, sie steht über den Nationalitätsgrenzen ; wer das nicht zugibt, zieht sie herab.“ Mehr als je hört man heute dieses Schlagwort; immer wird es wieder von solchen aufgebracht, die keine nationale Zugehörigkeit haben oder fühlen; und immer betet es eine große Masse nach, der schrankenlose Objektivität als etwas Erstrebenswertes erscheint. Der Deutsche hat erfreulicherweise die Gabe, Schönes in der fremden Kunst aufzufassen und zu würdigen, — das zeigt zum Beispiel die ungeheure deutsche Übersetzungsliteratur. Aber darüber hinaus hat er leider auch den Fehler, die eigene Art leicht aufzugeben und nicht hoch genug einzuschätzen. In der Musik muß man in dieser Frage zwischen Form und Inhalt und zwischen Volksmusik im engeren Sinne und sogenannter Kunstkomposition unterscheiden. Die Volksmusik (Volkslieder, Tänze, zum Beispiel Zigeunerweisen etc.) könnte man vielleicht in Analogie zur unübersetzbaren Mundartdichtung stellen; die ist naturgemäß an die Grenzen des einzelnen Volkes gebunden und kann bei anderen wohl Interesse erwecken, aber kaum jemals dauernde Befriedigung bringen. Aber auch die Kunstkomposition hat nationale Elemente, wenn sie wirklich wertvoll sein soll, nur drückt sie diese gewissermaßen in einer allgemein verständlichen Sprache aus. Rußland spielt in der Musikgeschichte erst eine Rolle, seit die sogenannte „Jungrussische Schule“ einerseits die französische Schminke abgestreift und anderseits statt der reinen Nationalmusik ihrer Vorgänger Werke geschaffen hatte, die nationale Elemente in einer durch das Studium der Musik anderer Völker erworbenen, allgemeinen Kompositionstechnik ausdrückten. Shakespeare bleibt Engländer und Schiller Deutscher, auch wenn man ihre Dramen in jede beliebige Sprache übersetzt. Die „Ai'da“ bleibt italienisch und die „Matthäuspassion“ deutsch, wenn man sie auch mit chinesischem Text äufführen wollte. Und so ist Wolf ein Deutscher. In der so überragenden Begabung für das Lied, in seiner Liebe für Eichendorff und Mörike, in seiner wunderbaren, keuschen Innigkeit. Wer sonst hätte sich an Texte „Auf ein altes Bild“ oder „Auf eine Christblume“ wagen können, ohne Gefahr, farblos oder gar süßlich zu werden. Nur ein Deutscher konnte dieses italienische Liederbuch schreiben; denn wer den Italiener seinem inneren Wesen nach kennt, der weiß, daß Wolf in die Komposition weit mehr gelegt hat, als die Worte enthalten: die viele Geschlechter alte Sehnsucht des Deutschen nach dem Sonnenland, durch die er selbst manches verklärt und beseelt, was der temperamentvolle, aber in Gemütssachen unvergleichlich kühlere Italiener gar nicht empfindet und sieht. Wolf war im besonderen Süddeutscher in seinem warmen Gefühlsleben, seiner ungeheuren Wandlungsfähigkeit im Stimmungsausdruck und in seinem Humor, der von der zartesten Ironie im „Italienischen“ bis zur grotesken Darstellung des Katzenjammers und des im Walzertakt über die Stiege rumpelnden Kritikers alle Stufen umfaßt. Seine Werke gehören der ganzen Welt; am allernächsten steht er innerlich aber immer noch uns Süddeutschen, die ihm im Wesen am ähnlichsten sind. Dr. Norbert Moro RUDOLF WAGNER ■udolf Wagner gehörte zu den bekanntesten Persönlichkeiten der Stadt Marburg. Viele werden sich noch des breitschultrigen, kleinen Herrn mit den dicken Brillen, die Hände auf dem Rücken, eine Virginia behaglich rauchend, erinnern, wenn er durch die Straßen und Gassen Marburgs bummelte. Jeder Gruß schien ihn aus seinen musikalischen Träumen aufzuwecken. Rudolf Wagner stammte aus der Musikerstädt Wien. Geboren im Jahre 1851 als Sohn des Hausbesitzers Johann Wagner, verriet er schon früh große musikalische Begabung, weshalb ihm sein Vater einen gediegenen Musikunterricht zu verschaffen suchte. Sein erster Lehrer im Gesang und Flötenspiel war der damalige Regenschori der Schottenfelderkirche, Florian Pammer. In diese Zeit fallen seine ersten Kompositionsversuche. Vom Jahre 1866 bis 1869 besuchte er das Wiener Konservatorium, erreichte durch Professor Zierer die höchste Stufe der Ausbildung im Flötenspiel, erhielt durch Professor Köhler Unterricht in der Harmonielehre. Als Flötenvirtuos bald bekannt, spielte er unter Herbecks Leitung in den großen Konzerten in den Redoutensälen, im Carltheater unter Franz v. Suppé, im Hofburgtheater unter Kapellmeister Emil Titl. Nebenher studierte èr bei Moriz Käßmayer, dem wenig bekannten Komponisten von heiteren Chören, Kontrapunkt, Kompositions- und Instrumentationslehre und vermehrte so sein musikalisches Wissen und Können. Seine Militärjahre verbrachte er als Soloflötist unter Kapellmeister C. M. Ziehrer. Sein sehnlichster Wunsch, Theaterkapellmeister zu werden, ging im Jahre 1873 in Erfüllung: Er wurde an das deutsche Theater nach Budapest verpflichtet, ging von dort in gleicher Eigenschaft nach Olmütz, Kronstadt, Hermannstadt, Arad, Iglau, Bukarest und Bozen, später als Militärkapellmeister nach Trient, Mostar, Triest. Das unruhige Wanderleben beschloß Wagner in der Stadt Marburg, die er zu seiner künstlerischen Hei mat erwählte, wo er im Jahre 1881 Theaterkapellmeister wurde, im nächsten Jahre die Domorganistenstelle bekam und die Leitung des dortigen Männergesangvereines übernahm, der damals durch den Eintritt tüchtiger Kräfte in den neu gegründeten „Philharmonischen Verein“ vor schwerer Zeit stand. Durch rastloses Vorwärtsstreben und Aneifern führte er den auch an Zahl wieder zunehmenden Verein in kürzer Zeit auf eine hohe Stufe sanglichen Könnens, feierte mit ihm durch über 25 Jahre große Triumphe, so im Jahre 1886 anläßlich des 40jährigen Stiftungsfestes durch die Aufführung von Max Bruchs großangelegtem Chorwerk für Soli und Orchester „Frithjof“, beim 6. steirischen Sängerbundesfeste, bei dem die Marburger unter seiner Leitung den ersten Preis erhielten. Als Chormeister bewies Wagner seinen j guten Geschmack in der Auswahl der zu studierenden Chöre, verschmähte jede Posse, jede erdachte Nuance, liebte den Zug ins Große. Sein Ziel war der künstlerische Gesamteindruck. Der Verein ernannte ihn zum ersten Ehrenchormeister, ihm zu Ehren wurde das „Wagnerstüberl“ errichtet und mit schönen Bildern aus Motiven aus seinen vertonten Liedern von der künstlerischen Hand M. Nonners geschmückt. Vorübergehend war er zweiter Bundeschormeister, viele steirische Vereine zählten ihn zu ihrem Ehrenmitgliede. Als Domorganist schrieb er viele kleine und große, polyphon stilisierte Messen mit Orchester, Präludien, Offertorien und anderes. Seine kirchlichen Werke sind stilgerecht und zeigen von gründlicher Kenntnis des Kontrapunktes, der aber nie auf daš Niveau einer bloßen Geschicklichkeit herabgedrückt wird, sondern stets als sinnvoller Ausdruck eines seelischen Inhaltes ist. Als Gesanglehrer am Marburger Staatsgymnasium kannte er den jugendlichen Chor und schrieb für gelegentliche Schulfeste ansprechende, sangliche Lieder, zum Beispiel „Rungold, die Waldfee“, „Aus der Blumenwelt“. Als schaffender Künstler war Wagner ungemein fruchtbar. Fünf starke Bände enthalten seine Tonschöpfungen, darunter drei Operetten: „Marietta“ — in Siebenbürgen an mehreren Theatern aufgeführt —, „Das Blümchen Wunderhold“ und „Brambarsetto“, welche von den damaligen Fachleuten, wie Opernkapellmeister Kotzky und Musikkritiker Baron von Savenau in Graz, zur Aufführung empfohlen wurden. Doch es blieb beim Versprechen des ehemaligen Theaterdirektors Schreiber. Wagner ist der Verfasser von dramatischen Szenen, Ouvertüren, Märschen, Tänzen, ein- und mehrstimmiger Lieder. . Seine an musikalischen Einfällen reiche Operettenmusik, seine „Potpourri-Ouvertüreri“, die nicht die einheitliche, geschlossene Form, sondern eine Melodiesammlung, eine lockere, lediglich durch Rücksicht auf Abwechslung und effektvolle Schlußsteigerung bestimmte Aneinanderreihung einzelner Sätze bilden, verraten den Einfluß Suppés. Seine ernsten und heiteren Männerchöre, seine frischen volkstümlichen Lieder geben den Grundriß seines Schaffens. In der lètzteren Art suchte er mit Erfolg den Schein des Bekannten, in dem das Geheimnis des Volkstones liegt, ohne ihn mit dem Bekannten selbst zu verwechseln. Ich erinnere an das heitere Quartett „Von die Mohr V‘ in der ausgezeichneten Wiedergabe durch den Viergesang des Grazer Männergesangvereines, an „Reizend“, „ Ja“, wirkungsvolle Nummern des berühmten „Danubius“-Quartettes, welche immer wieder stürmische Heiterkeit hervorrufen. Wie sich der Weingenuß der Marburger, welcher eine optimistische Auffassung des Lebens, eine leichtere Lebensart mit sich bringt, bei ihm zu musikalischer Empfängnis umwandelte, beweist uns der übermütige Zecherchor „Der Pfropfenzieher“. Sein herziges „Gretelein“, „Auf dem Fichtenkogel“, seinem guten Freund und Sänger Sachs auf den Leib geschrieben,: seine stimmungsvolle „Sommernacht“ mit Streichinstrumenten und Harfehbegleitung, seine innig empfundenen Lieder aus „Heinz von Teichen“ (der Grazer Sängerschaft „Gothia“ gewidmet), „Schlehenblüt’ und wilde Rose“ stehen überall auf den Yortragsordnungen der kleinen ländlichen und großen städtischen Vereine. Die Liebe und Treue, mit der sie aufgenommen wurden, beweisen am schlagendsten, wie er das Richtige getroffen hat. Von seiner Anhänglichkeit an seine zweite Heimat zeigen seine Chorwerke mit Orchesterbegleitung „Steirische Hochlandsklänge“ (dem Grazer Männergesangverein gewidmet und von diesem am 29. Dezember 1888 in der Industriehalle unter Anwesenheit des Tondichters mit stürmischem Erfolge aufgeführt), „Aus der steirischen Heimat“, der Kraftchor „Heil dir, du Eisenmark“, der Marsch „Ursteirisch“. Seiner Liebe und Hingebung zum deutschen Volke verdanken die völkischen Chöre „Österreichs Eiche“, „Ich bin ein Deutscher“, „Deutsches Lied und deutsches Wort“, „Heil dir, du deutscher Wald“ ihre Entstehung. Unter den Gedichten bevorzugte Wagner die, deren Inhalt lyrisch einheitlich ist und deren einzelne Verse sich lediglich als Teile dieser Einheit darstellen. So vertonte er viele Texte von Baumbach, Bodenstedt, Fraungruber, Kernstock, Lynx und anderen. Sein Spürsinn fand wiederholt in den „Fliegenden Blättern“ Stoffe zu heiteren Chören. Manchmal wußte er seinen Freund Karl Gassareck zu dichterischer Arbeit aus dem steirischen Volksleben zu reizen. Als Tondichter gehörte er zu den erfolgreichsten steirischen Komponisten. Seine Meisterschaft im schrullenhaft - humoristischen Quartett ist unübertrefflich und hat seinen Namen in allen Sängerkreisen rasch bekannt gemacht. Seine Textbehandlung ist im allgemeinen noch weit entfernt von jener genau berechnenden Wortcharakteristik, die für unsere Zeiten bezeichnend geworden ist. Es fehlen alle kleinen Einzelzüge. Sie steht im Banne des melodischen Ausdrucks, wo dieser den Inhalt spiegelt, und gleitet in solchem Falle auch sorglos über Akzentuierungsfehler hinweg, in der richtigen Erkenntnis, daß jeder Text, sobald er sich mit Musik verbindet, von dieser aus zu verstehen ist und aus ihr einen tieferen Sinn empfängt. Er war bemüht, den Männerchor von seiner starren Vierstimmigkeit zu befreien, und wußte durch imitatorische Wendungen und Gruppierungen der einzelnen Stimmen Leben und Bewegung zu bringen. Gern bediente er sich bei Chören als Begleitung und Untermalung des Klaviers, welches durch eigene Züge das Bild vervollständigt, durch Zugabe rhythmischer und figuraler Elemente bis zu einer Fülle selbständiger Musikgedanken steigert. Bei größeren Chorwerken verwendet er das Orchester mit seiner koloristischen Vielseitigkeit und weiß als langjähriger Theater- und Militärkapellmeister prächtige Stimmungen zu malen, bringt Vorspiele, welche das Auftauchen der Stimmung, Nachspiele, welche das allmähliche Verklingen darstellen oder den Text gleichsam weiterdichten. Wagner steht in seinen Werken durchaus auf dem Boden der Tonalität und der Diatonik, während die moderne Musik in ihrer ganzen Anlage chromatisch ist und sich vom alten Tonartensystem und allem, was damit zusammenhängt, freizumachen versucht und eine Verhäßlichung der Musik um sich greift. In den Werken Wagners lebt noch der Schönheitsbegriff der älteren Ästhetik. Daß manches von seinen vielen Werken blutleer erscheint, ist naheliegend. Vor allem der Männersang, eine Kunstgattung, die neben der gesellschaftlichen, nationalen und organisatorischen Bedeutung in stetem Wachsen begriffen ist und neben der Instrumentalmusik und dem Sologesang gleichwertig besteht, obwohl sie von einer gewissen Seite engherziger Kritik als abgetan erklärt und nicht vollwertig angesehen. wird, verdankt Wagner eine wertvolle Bereicherung der Chorliteratur. Wenn die Kunst die Aufgabe hat, alles, was dem Kreise des menschlichen Gemütsinteresses angehört, darzustellenj und hier findet sich ebensowohl das Einfache, Naheliegende, Mäßige und Natürliche, wie das Gesteigerte, Außerordentliche, — das menschliche Gemüt sympathisiert nicht nur mit den Superlativen der Dinge, nicht nur mit den Hochgebirgen und Abgründen des Lebens, sondern auch mit seinen Ebenen und sanften Erhebungen und Senkungen, so hat Wagner seine Mission seiner Begabung entsprechend erfüllt und ein Ehrenplatz in der steirischen Musikgeschichte ist ihm sicher. Persönlich war der Künstler bescheiden, liebenswürdig und anspruchslos. Still und verträumt saß er abends nach treuerfüllter Pflicht bei einem Gläschen guten Weines in einer der kleinen, trauten Weinstuben der Stadt und ließ den Sorgenbrecher auf sein Gemüt wirken. Viel Reden war nie seine Sache. Wer ihn näher kannte, weiß, daß sich hinter einer äußeren phlegmatischen Ruhe eine frauenhafte Feinheit der Empfindung und Empfindsamkeit verbarg. Rudolf Wagner starb am 26. Dezember 1915, zur rechten Zeit. Dadurch blieb ihm viel deutsches Leid erspart* das die Machthaber zur Zeit des Zusammenbruches den deutschen Kulturbringern zufügten. Sein Gedächtnis ehrte der Marburger Männergesangverein durch ein schönes Denkmal, das dem südsteirischen Tonkünstler auf dem Poberscher Friedhof errichtet wurde. Professor Roman Köle FRANZ FRISCH EIN GEDENKBLATT .... Es war im Juni 1906. Die junge, im Jahre 1902 gegründete deutsche Landes-Lehrerinnenbildungsanstalt zu Marburg an der Drau ging dem ersten schriftlichen Reifeprüfungstag entgegen. Die Zöglinge waren im großen, morgenhellen Zeichensaal versammelt. Auf der Lehrstufe stand der Leiter der Anstalt Schulrat Franz Frisch, „Vater Frisch“, wie ihn seine Schülerinnen heimlich nannten, in hellsinnigem Verspüren seiner nicht jedem sichtbaren, aber innerlich beständig zutiefst gewußten Güte und Fürsorge. Das blasse, stillverschlossene Gesicht halb abgewandt, öffnete er mit leise erregten Händen den Briefumschlag, der das Deutschthema enthielt; eines jener zwanzig bis dreißig Themen, die er nach Vorschrift vor Wochen selbst ausgesucht und der Prüfungskommission zur Auswahl eingesandt hatte, das er aber erst in eben diesem Augenblick als das gewählte zurückempfing und so gleichzeitig mit seinen Schülerinnen erfuhr. Schweigend überflog er das Blatt, griff zur Kreide und schrieb mit seiner schönen, fast schroffen, so charakteristisch in sich zusammengedrängten Schrift das Thema des Aufsatzes an die Tafel. Es waren folgende Worte aus Goethes „Ilmenau“ : Der kann sich manchen Wunsch gewähren, Der kalt sich selbst und seinem Willen lebt; Allein wer andre wohl zu leiten strebt, Muß fähig sein, viel zu entbehren. Ob ihn selber, ob eine all seiner Schülerinnen in diesem Augenblick wohl die Ahnung durchblitzte, daß er mit diesen vier Zeilen sein eigenstes Wesen, seine Lebenshaltung, sein Lebenswerk hinschrieb, und damit den scheidenden Schülern, den ersten jungen Erziehern, die er, von seinem Geist geschult und durchdrungen, an ihr Werk in die Welt entließ, ein heiligschönes Vermächtnis mitgab, das Vermächtnis seiner vorbildlichen Persönlichkeit, die weit über die Grenzen ihres Landes, ihres Lebens hinaus im hohen Lichte gerade dieser Goetheworte leuchtete, wirkte und noch fortwirkt bis auf die heutige Stunde, wo längst Erde ihn deckt? Ja, kaum ein Mensch hat so wenig „sich selbst und seinem Willen“ gelebt wie er, kaum ein Dasein war so durch und durch von „Entbehren“ geweiht wie das seine; nicht von dem engen, widrig kettenden, das äußere Not uns aufdringt, vielmehr von jener klar und bewußt erwählten Entbehrung, die adelige Naturen in ihrem reinen Streben, „andre wohl zu leiten“, sich als unsichtbaren Kronreifen auf die Stirn drücken zum Zeichen freiwilligen, unablässigen Dienstes an der Menschheit. Was dieser führende deutsche Schulmann jahrein, jahraus* von frühmorgens bis spätnachts an Selbstverleugnung und; Verzicht, Arbeitsfähigkeit und Werkinbrunst aufgebracht, das kann für den, der zwischen den Zeilen zu lesen versteht,, schon aus der knappsten Zeichnung seines äußeren Lebensganges erhellen. ... . , Franz Frisch ist am 20. März 1856 zu Klagenfurt in Kärnten geboren, wurde in seiner Vaterstadt zum Lehrer ausgebildet und daselbst auch 1879 definitiver Bürgerschullehrer, 1888 zugleich Hilfslehrer an der k. k. Staats-Handwerkerschule. Kaum zwanzigjährig, begann er seine schriftstellerische Tätigkeit. 1878 erschienen von, ihm „Lose Bilder aus Lehrer- und Schulleben“, denen fast Jahr für Jahr neue pädagogische und methodische Schriften, Jugend-, Lehr- und Lesebücher von unmittelbarster Bedeutung folgten. Auch hier wieder Verzicht, sichtbar nur dem, der die feine, reichbegabte,, weitspannende Dichterseele kannte, die hier dem freien Schaffen éntsagte und einzig dem geliebten Erzieh erberuf mit Wort, Schrift Und Tat ein Lehen lang in hingebender Kleinarbeit diente. So nahm er auch schon frühzeitig die so undankbare wie zeit- und kraftraubende Redaktionstätigkeit auf sich; zunächst bei der Halbmonatsschrift „Kärntnisches Schulblatt“ (1877—1881), vom Jahr 1881 an aber (bis zu seinem Tode 1915) sein Haupt- und Lebenswerk, nämlich, die Schriftleitung des „Österreichischen Schulboten“ (Verlag A. Pichlers Witwe und Sohn in Wien), dem er mit glücklichster und sorgfältigster Hand, mit Festigkeit, Unerschrockenheit und Tatkraft zu einer Blüte, einem weithin geltenden Werte verhalf, der dieses einst offizielle altösterreichische Schulblatt zur angesehensten pädagogischen Zeitschrift des neueren Österreich erhob. 1891 wurde er zum Oberlehrer an der siebenklassigen Knabenvolksschule I und zum Leiter der gewerblichen Fortbildungsschule in Marburg a., d. Dr. ernannt. Damit begann sein Wirken in der Untersteiermark, die ihm nunmehr bis an sein Lebensende zweite Heimat verblieb. Seine ungewöhnliche Befähigung ließ ihn rasch von Stufe zu Stufe steigen. Noch 1891 wurde Frisch Direktor der Knabenbürgerschule, 1895 Stadtschul-I inspektor für Marburg, seit Ende 1899 auch für die Städte Cilli und Pettau und 1902 Direktor der neugegründeten deutschen Landes-Lehrerinnenbildungs-anstalt in Marburg. Der zahlreiche Besuch aus allen Gegenden Ober-,, Mittelund Untersteiermarks, der immer wachsende Zustrom von deutschen Mädchen aus Städten, Märkten und Gebirgsdörfern zeugte für die Notwendigkeit dieser Gründung. Doch gerade diese bunt zusammengewürfelte Schülerschar, ebenso wie der erst einheitlich zu formende Lehrkörper machte die Leitung der jungen Anstalt äußerst schwierig und verantwortungsvoll. Frisch zeigte sich auch dieser Aufgabe völlig gewachsen. Er selbst übernahm zu der Überlast aller anderen Geschäfte im neuerrichteten ersten Jahrgang den ihm wichtigsten Gegenstand, den Deutschunterricht, den er durch alle vier Jahrgänge, bis, zur Reifeprüfung der ersten Anstaltsschülerinnen, beibehielt und zu dem in den letzten Jahrgängen der ebenfalls von ihm erteilte Psychologie-, Logik-und Pädagogikunterricht trat.1 Und hier, gerade an diesem Posten, in dieser Arbeit schien sich, ein Jahrzehnt vor seinem Scheiden, noch alle Sonnenkraft, Innigkeit, Gedanken- und Erfahrungsfülle zu sammeln, wie oft im Gebirge ein letztes Goldstrahlenbündel gerade über einem und nur einem grünen Rasenbande ruht und weilt, indes alles ringsumher zu blauem Schatten sich verdichtet und kühlt. Dort nur glüht es und liebt es und wird Herzblut, letztes, allerletztes Segnen. Warum eben dort? Warum hat der Mann, der Schulen organisierte und inspizierte, Vereine und Beratungen leitete, mit Feder, Wort und Tat unerbittlich für das deutsche Schulwesen eintrat und vorkämpfte, den nicht wenige fürchteten und haßten, doch dem keiner die Achtung versagen konnte, warum hat dieser Mann aus seinem ganzen ungeheuren Arbeitsfelde gerade dieses Fleckchen mit nicht zu beschreibender Liebe umfaßt? Warum hat er jenen kaum erwachten jungen Menschen sein Innerstes, Bestes geoffenbart, geschenkt, ja verschwendet, daß sie das stumm getragene Leid seines Lebens ahnen, die schweigend verwaltete Glut seines Geistes verspüren, das gewollt oder ungewollt verdeckte Leuchten seines Herzens erschauen durften wie kaum seine Allernächsten? Kein Mensch weiß es. Es gibt geborene Erzieher, die, so glänzend und klar sie auch das geschriebene Wort bemeistern, so Unschätzbares sie auch an praktischen Weisungen, an befeuernden Gedanken, an auf bauenden Ideen dem weiten Kreise ihrer Leser bieten, ihre eigentlichste Schöpferstunde, ihre letzte Vollendung als Mensch doch einzig im Augenblicks wirken von Mund zu Mund, von Herz zu Herz erleben. Wer mißt den bannenden Strahl des Auges, der schlummernde Seelen und Kräfte zu Klarheit und Denkarbeit hochreißt, bis ein gemeinsam Erkämpftes, Erkanntes alle freudestark durchwallt? Wer wägt die fliegende Gewalt des Wortes, die edelstes Wollen in jungen Geistern aufrührt, reinste Schau bewirkt, lebendigstes Gefühl des Schönen, Guten, Wahren in einer einzigen Stunde zu lebenslänglicher Ergriffenheit zu zünden vermag? Wer zählt und schätzt den Segen, die Fülle, die Tag um Tag gleich tausend fallenden Tropfen nährend dahinströmt, indes der Gebende selber, sich leise verzehrend wie eine regnende Wolke, entschwindet? Solch eine Erziehernatur war Frisch. Nicht in Konferenzen, Versammlungen, Berichten, Reden, Aufsätzen, Schriften, Büchern erschloß sich sein Letztes, sondern in den vier kargen Wänden seiner Schulstube. Halbe Kinder, werdende Lehrer empfingen damals das volle Vermächtnis seiner tief verschlossenen Persönlichkeit, da sie mit unwissender Hand an jenem ersten Reifeprüfungstag den Schlüssel seines Wesens in den Worten aufzeichneten: Allein wer andre wohl zu leiten strebt, Muß fähig sein, viel zu entbehren. Sind aus manchen dieser halben Kinder ganze Menschen geworden, die ihrem Lande, ihrem deutschen Volke nach seinem Bilde mit ernster Seele 1 In den darauffolgenden Jahren hat er, soweit ich davon unterrichtet bin, wegen Arbeits-überbürdung diesen Unterricht teilweise oder ganz aus der Hand geben müssen. und heiterem Entbehren dienen, so mögen sie heute mit mir an den Grabhügel des unvergessenen Toten wie an eines gemeinsamen Vaters Grab treten und allen denen die Hand reichen, die seinen Namen in Treue und Ehrfurcht nennen. Viel hat er entbehrt — möge er unseres Dankes nie entbehren! Wohl hat er uns geleitet — möge ihn unsere Liebe über aller , Tage Grenzen geleiten! Margarete Weinhandl (geb. Glantschnigg) PETTAUS LETZTER DEUTSCHER BÜRGERMEISTER EIN GEDENKBLATT FÜR JOSEF ORNIG1 Daß sich das größte Werk vollende, Genügt ein Geist für tausend Hände. Fast zwei Jahrtausende währt die Geschichte Pettaus. Ihren Ursprung und ihren Aufstieg verdankte die Stadt von der Römer- bis zur Türkenzeit ihrer strategischen Bedeutung als Militärlager, Waffenplatz und Grenzfeste; ihren wirtschaftlichen Wohlstand verdankte sie ihrer Verkehrslage am Knotenpunkt bedeutender Straßenzüge. Doch als die letzte Völkerwelle aus Osten, als die Kraft der Türkenheere gebrochen war, insbesondere aber, als die wirtschaftlichen Mittelpunkte des Handels neue, kürzere Verbindungswege heischten und als die Hauptader des neuen Straßennetzes von Wien nach Triest über Marburg lief, da begann unaufhaltsam Pettaus Verfall, Aus einer einst mächtigen Grenzfeste, einem wohlhabenden Bischofsbesitz, wurde es allmählich ein stilles, kleines, verschlafenes Nest. Als gar die Südbahn 30 km westlich das weite fruchtbare Feld kreuzte, schien sein Schicksal besiegelt. Weitab vom befruchtenden Strome des Weltverkehrs versank die Stadt in einen Dornröschenschlaf. Um die absterbende deutsche Kolonie rankte immer üppiger die slawische, rasch wachsende Schlingpflanze, und manchen kräftigen Wurzeltrieb hatte sie schon über die geborstene Stadtmauer ins Innere gesetzt. Es schien aus zu sein mit dem Städtchen, das so vielen Stürmen standgehalten hatte. Doch siehe da! Ende der achtziger Jahre begann es sich auf einmal im Städtchen zu regen: Die Bürgerschaft besann sich zuerst der völkischen Gefahr, in der sie schwebte, und verlangte für die Stadt das Selbstverwaltungsrecht. Endlich im Jahre 1887 kam ein Landesgesetz zustande, welches ihr die verlangte politische Selbständigkeit gab. Damit schien die Voraussetzung dafür geschaffen, daß deutscher Bürgergeist und -fleiß ungehemmt von neidvollen Widersachern schaffen und die Früchte dieser Arbeit auch selber ernten konnte. Aber die politische Selbständigkeit ohne wirtschaftliche Kraft wäre eine Schale ohne Kern geblieben. Dpch der Form einen Inhalt zu geben, war das weitaus schwierigere Werk. Dazu gehörte eine kraftvolle, wagemutige, weitblickende Persönlichkeit, frei von spießbürgerlicher Enge und Ängstlichkeit, welterfahren und voll kluger Gedanken und Pläne. Es ist ein Zeichen, wie gesund und lebenskräftig das Deutschtum im 1 Quellen: „Pettauer Zeitung“ und mündliche Mitteilungen des Sohnes Herrn Ingenieur Dr. Josef Ornig. Unterlande war, daß ein solcher Mann der Stadt zur rechten Zeit erstehen konnte. Dieser Mann war Josef Ornig. Nicht eigentlich einer alteingesessenen Bürgerfamilie entstammend, waren doch seine Verwandten schon längere Zeit in Pettau heimisch. Er war 1859 in Gutenhag geboren worden, kam frühzeitig zu seinen Verwandten nach Pettau und sollte dort nach deren Wunsch das Gymnasium besuchen. Aber der Schulzopf war offenbar nicht nach seinem Geschmack: schon nach der ersten Klasse riet der Direktor von einem Weiterlernen ab; und so geschah es, daß Josef Ornig Bäckerlehrling wurde. Daß aber nicht geistige Trägheit den Mißerfolg im Gymnasium verursachte, zeigte der rege Wander- und Bildungstrieb, der ihn in jungen Jahren ins Ausland führte. Er besuchte 1878 die Pariser Weltausstellung und ging von dort auch nach England. Heimgekehrt, übernahm er die Bäckerei und trat bald auch ins öffentliche Leben, indem er zunächst im Pettauer Bauverein und im Verschönerungsverein eine rege Tätigkeit entfaltete. Beide Vereine machten ihn zum Obmann, und in dieser Eigenschaft baute er ein städtisches Bad und legte den Volksgarten an mit der Gastwirtschaft „Zum SchweizerhausDamit hatte er um so mehr Aufsehen gemacht, als er Grund und Boden für den Volksgarten auf eigene Verantwortung und Gefahr erworben hatte. Als dann 1888 der Gemeinderat zum erstenmal auf Grund der neuen Stadtverfassung gewählt wurde, wurde auch Josef Ornig in den Gemeinderat entsendet. Bereits nach zwei Wahlperioden wurde er im Juni 1894 als Nachfolger Eckls zum Bürgermeister erkoren. Das Vertrauen der Wähler berief ihn immer wieder an diese Stelle, bis ihn der Umsturz mit Gewalt aus seinem Wirkungskreis vertrieb. Kaum zum Bürgermeister erwählt, ging Ornig mit Umsicht und Tatkraft ans Werk. Zunächst galt es, die drückende Schuldenlast hochverzinslicher Darlehen zu erleichtern. Mit Hilfe der Gemeindesparkasse gelang eine Umwandlung der alten Darlehen. Sodann trachtete er, zehrende Betriebskosten in Einnahmsquellen zu verwandeln: Die Fuhren von Pflaster- und Baumaterialien aller Art verschlangen viel Geld. Ornig verfiel auf den Gedanken, einen städtischen Fuhrpark anzuschaffen, um damit die wirtschaftlichen Aufgaben der Stadt wohlfeiler erfüllen zu können. Aber der Fuhrpark mußte entsprechende ■dauernde Beschäftigung haben, um einträglich zu sein. Ornig gründete daher eine städtische Leichenbestattungsanstalt und nahm, damit zugleich die gesundheitlichen Verhältnisse der Stadt verbessernd, die Fäkalienabfuhr in städtischen Betrieb. Doch mit bloßen Entlastungen des Stadtsäckels begnügte sich Ornig nicht. Er ging auch daran, den Wohlstand und das Ansehen der Stadt und ihrer Bürgerschaft zu heben. Dazu war vor allem notwendig, für erhöhten Verkehr und Umsatz, also für eine Belebung des Geschäftslebens zu sorgen. Zweierlei Unternehmungen dienten diesem Zweck. Einerseits suchte Ornig durch Ausbau und Neugründung von Unterrichtsanstalten' auswärtige Kreise auf die Stadt aufmerksam zu machen und einen Zuzug von Fremden zu schaffen. Lange kämpfte er um die Errichtung eines Obergymnasiums: früher bestand in Pettau nur ein Untergymnasium. Der Kampf schien aussichtslos, weil die Nähe des Marburger Obergymnasiums eines in Pettau überflüssig zu machen schien und man daher auch gar nicht glaubte, eine entsprechende Schülerzahl erreichen zu können. Aber gerade diese scheinbar unüberwindliche Schwierigkeit überwand Ornig in verblüffend einfacher Weise: er faßte den Plan, dem Obergymnasium ein Studentenheim anzugliedern, um die nötige Anzahl von. Schülern auch aus weiter Ferne heranzuführen. Und mit diesem klugen Plan als Vorspann wurde das Aussichtslose Ereignis. Im Jahre 1900 beschloß der Landtag auf Betreiben Ornigs die Errichtung des Obergymnasiums, und im selben Jahre wurde auch das Studentenheim eröffnet. Die günstigen Erfolge mit diesem Heim spornten ihn zu einer Wiederholung an: schon zwei Jahre später wurde dem Studentenheim ein Mädchenheim an die Seite gestellt, und diesem eine Grundlage gegeben durch die Errichtung einer Mädchenbürgerschule, einer Mädchen-Fortbildungs- und Haushaltungsschule, einer Handelsschule für Mädchen und einer Frauenerwerbsschule. Einem ähnlichen Gedanken entsprang auch der Bau einer neuen großen Pionierkaserne im Jahre 1905 und ein Beitrag zum Ausbau des Kranken- und Siechenhauses. Andere Unternehmungen bezweckten, den Geschäftsverkehr unmittelbar zu beleben. Ornig trachtete namentlich die Märkte auszubauen, insbesondere die Viehmärkte zu vermehren und auszugestalten. Es wurde im Jahre 1902 eine Liegenschaft angekauft, um einen großen Viehmarktplatz mit einer Gastwirtschaft zu schaffen. Es gelang, die Zahl der Märkte zu vermehren, und es nahm tatsächlich der Auftrieb in kurzer Zeit ganz beträchtlich zu. Eine Vorbedingung für das Aufblühen dieser Märkte, überhaupt des Fremdenzuzuges, war eine Verbesserung des Bahnverkehrs. Ornig setzte die Einführung von direkten Lokalzügen zwischen Marburg und Pettau durch, die in Marburg Anschluß an alle größeren Fernzüge hatten. Wie sehr sich auch der Frachtverkehr durch alle diese Unternehmungen vergrößerte, das drückte sich in einer ansehnlichen Vermehrung des Bahnpersonals aus, die mit der Zeit nötig geworden war. Wenn die Schulen Auswärtige anlocken sollten, ihre Kinder in die Heime zu schicken, so mußte auch die Stadt selbst auf einen neuzeitlichen Stand gebracht werden. Schon zwei Jahre vor der Errichtung des Studentenheims wurde daher über Ornigs Veranlassung eine Gasbeleuchtung in der Stadt eingeführt, es wurde eine Schlachthalle mit einem Kühlhaus gebaut. Um diese städtischen Betriebe wirtschaftlich ergiebig zu machen, wurden ihnen ein Sägewerk und eine Dampftischlerei angeschlossen. Da ein Anschluß an das Überland-Fernsprechnetz zunächst nicht zu erreichen war, ließ Ornig ein städtisches Fernsprechnetz einrichten, das durch mehr als ein Jahrzehnt vorzügliche Dienste leistete, bis im Jahre 1913 endlich doch der Anschluß an das Überlandnetz und eine staatliche Fernsprechanlage durchgesetzt werden konnte. Im Jahre 1905 wurde dann die Badeanstalt durch ein Dampfbad und durch ein mustergültiges Freibad ausgehaut, um das Pettau noch heute von jeder steirischen Stadt beneidet werden könnte. Eine Dampfwäscherei vervollständigte die Wirtschaftlichkeit dieser Anlagen. Die Erbauung eines Fuhrhofgebäudes, eines städtischen Magazins, die Einrichtung einer Stellen- und Wohnungsvermittlung, einer städtischen Ankündigungsanstalt entsprang alles dem rastlosen Schaffensdrang des Bürgermeisters. Aber auch das Stadtbild änderte sich unter der Verwaltung Ornigs und wurde anziehend. Die Stadt wurde kanalisiert, die Straßen gepflastert, das Stadttheater neu hergerichtet, innen wie außen, und: die Stadt bekam ein Museum. Ein kleiner, aber freundlicher Stadtpark mit einem herrlichen Kai an der Drau, von der Straßenbrücke bis zur Eisenbahn, entstand auf seine Anregung und nach seinen Plänen. Gekrönt wurde diese Stadtverschönerung 1906/07 durch den Bau eines neuen Rathauses. Wenn man die Fülle dieser Werke überblickt und beobachtet, wie eines das andere bedingte und ermöglichte, möchte man meinen, das sei alles in einem Guß geplant, beschlossen und ausgeführt worden und alle Bürger hätten sich begeistert ans gemeinsame Werk gemacht. Weit gefehlt! Ornig hatte nicht bloß große Widerstände im Gemeinderate selbst zu überwinden, dem zuweilen bei den weitausgreifenden, opferheischenden, kühnen Plänen seines Bürgermeisters bange geworden war, er hatte auch sonst gegen kleinliche Nörgelei, Krämergeist, Engherzigkeit und Schildbürgerei anzukämpfen. Aber das wäre das Schlimmste nicht gewesen. Neid und Mißgunst stießen sich bald genug an den Erfolgen — und da daran nicht zu rütteln war, begann ein Verleumdungskrieg von seiten persönlicher Gegner und politischer Widersacher, der nur erklärlich ist durch den allgemeinen Schwund politischer Anständigkeit, der sich im Gefolge des allgemeinen Wahlrechtes breitzumachen begann. Dieser Feldzug erreichte den Gipfel in einer Druckschrift, in . der ihm öffentlich Unterschlagungen, Betrug, Zerrüttung der städtischen Wirtschaft, Verschleuderung des Stadtvermögens und dergleichen vorgeworfen wurde. Amtliche Untersuchungen und ein riesiger Schwurgerichtsprozeß stellten nach langen Aufregungen die Haltlosigkeit der Vorwürfe fest. Damals kam auch das Wort vom „Pascha Ornig“ auf, der sich gewaltsam auch über Recht und Gesetz hinwegsetze. Nun, Hand aufs Herz! Ohne ein wenig Druck und Schub geht es eben einmal nicht, und Politik ist im Großen wie im Kleinen Streben nach Macht oder Ausnützung von Macht. Wer gewohnt ist, von jenseits des Parteigehaders die Dinge nüchtern zu nehmen, wie sie sind, weiß, daß ohne ein gewisses Paschatum derartig Großes überhaupt undurch-setzbar ist. Warum schreit man denn gerade in Zeiten höchster Verwirrung und Not nach einem Diktator? Nur ein Wille, klar und fest, vermag Großtaten zu vollbringen: aus einem Gewirr und Gekreuz von vielerlei Strebungen und Wünschlein entsteht nur eine Verlegenheitsflickerei. — Genau das gleiche gilt von dem oft erhobenen versteckten und offenen Vorwurf, daß nur schnöder Eigennutz die Gründung der Heime veranlaßt habe. So lächerlich dieser Vor- wurf war, da Ornig nur Bäcker, nicht auch Fleischer, Selcher, Landesprodukten-und Gemischtwarenhändler, nicht auch. Schuster und Schneider gewesen ist, so wenig dürfte man von einer höheren Warte aus auch einen wirklichen Eigennutz verdammen, wenn er so sehr zum Gemeinnutz ausgeschlagen hat. Doch neben aller Bitternis der Verkennung ünd Verdammung konnte sich Ornig doch auch freudiger Zustimmung und ehrlicher Anerkennung erfreuen. Es hat nie an Einsichtigen gefehlt, die ihm volles Vertrauen schenkten und seinen Wert richtig einschätzten. Im Jahre 1900 wurde er ja auch zum Ehrenbürger der Stadt ernannt. Gerade Fernerstehende erkannten seinen Wert zuerst. So wurde er schon 1896 von der Handelskammer in den Landtag geschickt. Im Jahre 1904 wurde er auch zum Obmann der Bezirks Vertretung gewählt. In diesen Stellungen erwies er sich ebenso umsichtig, klug und rein wirtschaftlich denkend. Im Bezirk trachtete er, die Viehzucht durch Anschaffung und Verteilung hochwertiger Zuchttiere zu heben, förderte den Obstbau, ließ zum Beispiel längs der Bezirksstraßen an 6000 Obstbäume pflanzen,: beschaffte wiederholt ausgiebige Notstandsunterstützungen, die er aber klugerweise nicht an die Betroffenen verteilte und verzettelte, sondern zu produktiven, gemeinnützigen Anschaffungen und Arbeiten. verwendete. Insbesondere setzte er es durch, daß manche solcher Unterstützungen zu Straßenverbesserungen ünd zu- Brückenbauten verwendet wurden. Überhaupt war seine Sorge ; um die Hebung des Verkehrs durch den Ausbau des Straßennetzes der sichtbarste Ausdruck seiner Fürsorge für den Bezirk. Man braucht nur die Straßen: Pettau—Janschendorf — Hirschendorf, Patzing —Velovlek :— Swetinzen, Brückel-dorf — Salmannsdorf (alle links der Drau) und Podlosch^-Sestersche, Zirku-lane—Medribnik sowie die Okitscher Straße (rechts der Drau) zu nennen, um die Bedeutung und die Fruchtbarkeit der auf diesem Gebiet geleisteten Arbeit zu erkennen. So konnte es nicht ausbleiben, daß auch das amtliche Österreich die Leistungen dieses- Mannes zur Kenntnis nahm und seine Verdienste würdigte. Im Jahre 1899 erhielt er den Franz-Josefs-Orden, dem 1908 das Offizierskreuz dieses Ordens folgte. Der Krieg unterbrach jäh die Arbeit an noch viel weitergreifenderen und großzügigeren Plänen:: Pettau sollte ein neues Gerichtsgebäude: erhalten,1 ein gewaltiges Elektrizitätswerk sollte das Draugefälle von Pettau bis Friedau in zwei Stufen abbauen und hätte Kraft bis Niederösterreich liefern können. Ornig war auch ein eifriger Vorkämpfer des Gedankens, eine Bahn Wien Spalato zu bauen und über Pettau zu führen. Damit wäre Pettau wieder ein Verkehrsknotenpunkt ersten Ranges geworden und hätte seine alte Größe wiedergewinnen können. Nun, der Umsturz und die Grenžung des Friedensvertrages machten alle diese Pläne auf immer zunichte. Der verbohrte Haß des : völkischen Gegners zwang den verdienstvollen Bürgermeister sogar, aus seiner Heimat zu fliehen. Er mußte in Graz Aufenthalt nehmen. Den Schmerz vermochte er auch: nie zu verwinden, daß er fern der Stadt, der er sein ganzes Leben und Wirken gewidmet hatte, als Verbannter, als Geächteter leben mußte. Im März 1925 folgte er seiner schon früher dahingeschiedenen Gattin im Tode. Unermeßlich groß war die Zahl der Trauergäste, die sich zur Einsegnung in Graz und zur letzten Fahrt in Pettau eingefunden hatten. Nun ruht er in heimatlicher Erde? in der Stadt, die ein einziges großes Denkmal seines Wirkens ist. Und manchem der Trauergäste —| auch aus den Reihen seiner Gegner hatten sich viele ein-gefunden;[|É mag im Gedenken an • den Toten das Dichterwort aufgedämmert haben : Mit nichten! Dieser Erdenkreis Gewährt noch Raum zu, großen Taten, Erstaunenswürdiges soll dem geraten, Der Kräfte fühlt zu kühnem Fleiß! Oberlandesgerichtsrat Dr. Vinzenz Bauer AUS KERNSTOCKS KINDHEIT MARBURGER ERINNERUNGEN ■em Konzipisten Johann Kernstock bei der k. k. Kameral-Bezirksverwaltung in der Kreisstadt Marburg an der Drau und seinem jungen Eheweibe Maria, geborenen Bindlechner, ist am 25. Juli des Jahres 1848 um 2 Uhr nachmittags das erste Kind, ein Söhnlein, geboren worden, das tagsdarauf vom geistlichen Herrn und „Kurmeister“ Josef Kostanjowetz die Taufe und mit ihr die Namen Otto Heinrich Josef empfing. Das Geburtshaus, nächst der Domkirche gelegen, trug damals die Nummer 152 und war hernach bis zum Umstürze der staatspolitischen Verhältnisse Domgasse Nr. 12 ; der einstige Eigentümer, Herr Gustav Ullmann, ließ es mit einer Gedenktafel schmücken, die südslawischer Haß in hartnäckigem Wüten gegen jede Spur von Marburgs deutscher Vergangenheit, bis zur Unkenntlichkeit verschmierte. Das mit dem gesunden Stammhalter beglückte Paar hatte sich auf Schloß Klingenstein bei Graz zusammengefunden, wo die Braut als Kammerjungfer der Besitzerin, Gräfin Ernestine Bellegarde, geborenen Reichsgräfin Barbo-Waxenstein, und der Bräutigam als Hofmeister der Kinder eine ganz besondere Wertschätzung genossen. Eines dieser Kinder, der spätere Major Otto Heinrich Graf Bellegarde, übernahm auch die Paten-, stelle bei der Taufe des kleinen Marburgers, ließ sich aber durch den bürgerlichen Seifensieder Josef Bindlechner, einen der drei Brüder der Braut, vertreten. Köstlich ist der sprach-, reim-und fußkranke Vers eines biedermeierlichen Stammbuchblattes, das er dem kleinen Otto gewidmet hat: „Wenn Du wirst Soldat, So komme zu Deinem Taufpath. Graz, am 24. Dezember 1857. Otto Graf von Bellegarde, Oberleutnant.“ Die gräfliche Familie hat auch hernach, als der Finanzbeamte Kernstock im Dienstwege nach Graz versetzt worden war, engen Verkehr mit ihm und den Seinigen gepflogen, zumal beide Familien im selben Grazer Hause, Schulgasse Nr. 24, nächst der St.-Andrä-Kirche, wohnten. Der bescheidene Beamtenhaushalt, um dessen Führung sich die praktische Frau in treuer Sorge rastlos mühte, erfuhr noch durch zwei Geschwister Ottos, Ida und Ernst, eine Erweiterung. Die Schwester, ursprünglich Lehrerin, hat sich im Jahre 1888 mit dem nun schon dahingeschiedenen Marburger Kaufmann und Gemeinderat Karl Schmidi vermählt und lebt jetzt als Witwe im jugoslawischen Maribor. Ernst Kernstock ist in der Osternacht 1900 als Professor an der k. k. Staatsoberrealschule zu Klagenfurt gestorben, nachdem er sich als naturwissenschaftlicher Forscher einen in weiten fachmännischen Kreisen bekannten und hochgeachteten Namen geschaffen hatte. Vater Kernstock, den wir im Jahre 1848 auch unter den Nationalgardisten Marburgs finden, stammte aus einem einst begüterten, jedoch vom Geldsturz des Jahres 1811 schwer getroffenen Hause der in jener Zeit noch völlig deutschen Stadt Prachatitz in Böhmen. Sein zum gefeierten Dichter herangereifter Sohn, dem als Novize nach dem Gründer des Stiftes Vorau der Klostername Ottokar beigelegt worden war, schildert das Familienoberhaupt voll liebreicher Anschaulichkeit: „Die Charakteristik, die Goethe von seinen Eltern gibt, kann ich auch auf die meinen anwenden, wenn ich das bekannte Sprüchlein umkehre. Des Lebens ernstes Führen war Sache meiner Mutter; mein Vater war eine unentwegte Frohnatur von unverwüstlichem Humor, und auch die Lust zu fabulieren fehlte ihm nicht. Er war, um es recht zu sagen, eine vom Reif des Lebens um die Blüte gebrachte Poetennatur. Er schrieb in seiner Jugend wohlklingende Verse und besaß ein hervorragendes Erzählertalent. Es war ein Hochgenuß für uns Kinder, den Schilderungen aus seinem bewegten Leben und den Fahrten und Abenteuern seiner Studentenzeit zu folgen, jener Zeit, wo Frau Aventiure noch nicht durch den Pfiff der Lokomotive verscheucht war und die Traditionen der fahrenden Scholaren in der Jugend noch fortlebten. Fraglos haben die Erzählungen auf die Entwicklung meines bescheidenen poetischen Talentes großen Einfluß geübt.“ Mit welch unbegrenzter Liebe der Sohn an der vortrefflichen, aus einer alten, angesehenen Marburger Familie stammenden Mutter hing, kündet uns am schönsten das Gedicht an ihr im Wandel der Zeit verbleichtes Bild : Lichtbildner, die ihr jenes Angesichts Geliebte Züge übers Grab gerettet. Ich priese eure Kunst, wenn ihr auch nichts Als dieses eine Bild geschaffen hättet. In meinem Schatzkästlein hat’s seinen Platz, Wie ein Juwel ruht’s auf dem Atlasfutter. Mein Kleinod ist’s, mein bester, liebster Schatz — Es ist das Bildnis meiner toten Mutter. Beide, Mutter und Vater, ruhen längst im Steinfeld-Friedhofe zu Graz: die edle Frau starb im Jahre 1887, der dreiundachtzigjährige Gatte folgte ihr drei Jahre darauf. In jenen Tagen, da Otto Kernstock das Licht der Welt erblickte, war Marburg ein deutsches, daseins- und geselligkeitsfrohes Provinzstädtchen, dessen Lage und Leben, dessen Bewohner, Handel und Verkehr, Geschichte und Umgebung der fleißige k. k. Professor Dr. Rudolf Puff in einem 1847 erschienenen, heutzutage selten gewordenen umfangreichen Werke „als eine der schönsten Perlen an unserem Herzogshute“'mit begeisterter Wärme schildert. „Es liegt“, schreibt er, „wenige Minuten vom Fuße der nordöstlichen Rebenhügel Potschgau und Koschak, mit ihnen durch eine schöne, altehrwürdige Allee von Kastanien-und Walnußbäumen verbunden, gleich einem Kinde, das am hoffnungsgrünen Bande die nährende Mutter hält, während es einige Schritte entfernt sich im nahen Flusse spiegelt.“ Die Gesamtbevölkerung der Stadt (einschließlich Grazer-, Kärntner- und Magdalena-Vorstadt) betrug schon damals mehr als 5000 Köpfe, und die im Juni 1846 erfolgte feierliche Eröffnung der Südbahn ließ mit Recht eine rasche weitere Entwicklung erhoffen. In den bürgerlichen, Beamten- und Professorenkreisen dieses anakreontisch beschwingten Städtleins— der genius loci ist ja feucht |H verkehrte Vater Kernstock viel und gerne und war überall mit seinem humorvollen, geselligen Wesen, dem seine deutschböhmische Sprechweise eine besondere Eigenheit gab, herzlich beliebt. Kernstocks Vater Die Kindheitseindrücke des Sohnes sind spärlich, weil er seinen Geburtsort doch frühzeitig, so um 1854 herum, verlassen mußte. Zumeist beziehen sie sich auf sinnfällige Dinge, wie das bei einem kleinen Jungen doch selbstverständlich ist. Er erinnert sich, an der Hand des Vaters oft zu einem Ständchen am Dome gewandert zu sein, wo eine windische Verkäuferin Poganzen feilhielt, die dem Kinde trefflich mundeten. Eines Tages nahm der Vater: das Bübl an das Drauufer mit, denn vom Hochwasser war die alte Brücke weggerissen worden, und Pioniere hatten eine Schiffsbrücke hergestellt. .Die hochgehenden Wellen des Stromes und das Schwanken der mit Brettern überdeckten Pontons sind noch heute dem Siebenundsiebzigjährigen lebhaft im Gedächtnis. Unvergessen steht auch vor seinem inneren Auge ein schwarzer Pudel Negro, der als verhätschelter Hausgenosse in begründetem Rufe eines so ge- lehrten Viehs stand, daß auf ihn Fausts Worte: paßten: „Dem Hunde, wenn er gut erzogen, wird selbst ein weiser Mann gewogen.“ Der Pudel beherrschte die mannigfachsten Künste und war dem mit ihm spielenden Kinde sehr zugetan., Diesem Jugendfreunde verdankt Kernstock wahrscheinlich seine Vorliebe für Hunde, die ihm bis zu dieser Stunde eigen ist. „So oft ich später“, meinte er einmal, „einen dieser treuen Gefährten verlieren mußte, war mir wie dem eisernen Kanzler zumute, der einmal beim Verscheiden eines seiner Hunde feuchten Auges die Äußerung tat : „Ich wollt’, ich könnte wie unsere Vorfahren Kernstocks Mutter des Glaubens sein, daß wir in einer anderen Welt auch unseren treuen Hunden wieder begegnen werden.“ Der Pudel Negro ist der erste Hund aus einer späteren Reihe von vier-füßigen Trautgesellen Kernstocks, die häufig auf Bildern, die den Dichter und die Festenburg zeigen, miterscheinen. Am Waldessaume beim Forchenbach haben die ausgedienten Getreuen des Festenburger Pfarrherrn ihr Grab gefunden. Daß auch der Marburger Weingartenzauber die empfängliche Seele des Kleinen berückt und entzückt hat, ist zweifellos : Kelterdüfte, Winzerjauchzen, Traubengenuß, Weinlesefrohsinn und andere bacchische Gaben und Geiste, die in Rebengeländen heimisch sind, gaukeln mit durch diese Kindheitserinnerungen, denn man hat doch den Knaben in die Weingärten seiner Verwandten nach Gams und Leitersberg mitgenommen. Von Graz aus als Student und später als Kapitular des Stiftes Vorau kam Kernstock eigentlich- selten zum Besuche von Verwandten und Freunden nach Marburg. In den siebziger Jahren hat der junge Ordensmann die Trauung einer Base, der Tochter des Seifensieders Josef Bind-lechner, zu Gams bei Marburg vollzogen und bei der silbernen Hochzeit des Anverwandten Franz Bindlechner in der Hauskapelle des Weingartens zu Leitersberg seines priesterlichen Amtes gewaltet. Gut im Gedächtnisse ist unserem Kernstock aus seinen Kindestagen die schöne Domglockensage geblieben; er weiß es noch wohl,, daß sie ihm von seiner Mutter erzählt worden ist, als einmal das Abendgeläut der gewaltigen Glocke vom Domplatze her durchs offene Fenster ins Zimmer drang. Als das deutsche Marburg im Juli 1909 seinem berühmten Heimatgenossen unter dem hellen Jubel der ganzen Stadt die Ehrenbürgerurkunde überreichte, war diese prächtige Glockensage für den Gefeierten der Grundgedanke eines packenden rednerischen Vergleiches: Kernstock führte aus, daß sich an jeden Dom eine Sage knüpfe, so auch an den Marburgs. In alter Zeit soll hier einmal die Pest gehaust haben, die Hunderte hinwegraffte. Da beschlossen die Bürger Marburgs, eine Domglocke gießen zu lassen, deren himmlische Töne die Pestgeister bannen sollten. Zweimal mißlang der Guß — es war zuwenig edles Glockenmetall vorhanden gewesen. Da opferten die Frauen und Mädchen Marburgs ihre Ringe und ihr sonstiges Geschmeide, warfen alles in die> brodelnde Masse — und der Guß gelang. Diese alte Marburger Sage stellte Kernstock als Mahnung hin. Noch immer herrsche eine Pest, die Pest der Zwietracht und der Uneinigkeit. „Geloben auch wir,“ schloß der umjubelte Redner, „eine Sühnglocke zu gießen, ,Concordia4 soll ihr Name sein. Wie die Frauen und Mädchen von einst ihr liebstes Schmuckzeug dem guten Zwecke hingaben, so sollen auch wir unsere Sonderwünsche opfern, wenn es die deutsche Größe und deutsches Schicksal gilt.“ Die lebhafte Art, für sein Volk zu fühlen, diesen blutwarmen, schwungvollen Grenzergeist, scheint unserem Meister Ottokar doch die Heimaterde an den sonnigen Ufern der Drau mitgegeben zu haben. Dem geheimnisvollen Leben und Weben seines Geblütes und Gemütes hat er einen melodienreichen Mund gefunden, der die bezwingende Gewalt eines wunderbaren Gedankenhortes mit südlichem Feuer in alle deutschen Lande ausströmen läßt. Diè durch Jahrhunderte vielbewährte aufbauende Wehrhaftigkeit der alten Grenzstadt lebt in dieser Dichterseele, sie ist mit ihrer aufs Große und Heldische gerichteten Natur auf eng verwandte Akkorde gestimmt. So kam auch die Klage über den Verlust der untersteirischen Gebiete aus ihrem leidbewegten Innersten: Die Hand des Herrn liegt hart auf uns, und eine Wetterwolke, Verhängnisschwer und blutigrot, hängt über unsrem Volke; Ein Shylock, der auf seinem Schein besteht, hat allen Bitten Und allem Recht zum Trotz ein Stück aus unsrem Leib geschnitten. Das beste Stück, den reichsten Gau, umkränzt von Traubenhügeln, Die in der Mur und in der Drau ihr leuchtend Antlitz spiegeln ; Das beste Stück, den reichsten Gau, nicht bloß an Ähr’n und Reben, Nein, auch an Herzen überreich, die volkstreu uns ergeben. Wir sah’n wie Vögel, die ein Blick aus Schlangenaugen bannte, Ohnmächtig dem Bedränger zu, der unser Gut entwandte; Und voller Hohn erwiderten die ungebetnen Gäste Mit eiserner Entschlossenheit papierene Proteste. Für Kernstock ist als Poeten die Kunst das sinnliche Mittel des Sittlichen, anschaulich zu werden, denn auch ihn, den würdigen Priester, beherrscht das Wort Adalbert Stifters: „Kunst bringt im Kleide des Reizes, was Religion an sich bietet.“ Aus solch überragender dichterischer Würde wirken auch die an heiligen Flammen erglühten Worte, mit denen er im Jahre 1919 seine Dankesäußerung gelegentlich der Promotion zum Ehrendoktor der Grazer Universität ausklingen ließ : „Die Fakultät hat mich zum-Doktor der Philosophie gekürt. Philosophie heißt zu deutsch Weltweisheit. Der Kern aller Weisheit ist aber die Liebe, und die Blüte der Liebe ist die Liebe zum Yaterlande. Darum gelobe ich jetzt in dieser feierlichen Stunde nicht bloß der Alma mater Graecensis, sondern auch der Alma mater Germania unverbrüchliche Treue. Freilich schreitet Mutter Deutschland heute im Trauergewande, gebeugt von Schmerz und Schmach, einher, aber das ist ja das Kennzeichen eines guten Sohnes, daß er auch in den Tagen des Unglücks seiner Mutter Treue hält, ja, daß er sie um so heißer liebt, je unglücklicher sie ist. Niemals will ich vergessen, was ich meinem Yaterlande und meiner Muttersprache Großes und Herzerhebendes verdanke, und immerdar will ich an meinem Wahlspruch festhalten : In Liedern und in Taten treudeutsch bis in den Tod,!“ Mögön diese Gedanken von recht vielen beherzigt werden, die heute zweifeln, ob sie den verstörten Himmel unserer Zeit, Röte und Gewölk im trüben Zwielicht, Abend oder Morgen nennen sollen. Dichter sind wie Zauberspiegel im Märchen: wer hineinschaut, sieht sich selbst, aber ein verklärender Schimmer umweht seine Züge. Und dann sei jenes schönen, eindrucksamen Fichte-Wortes gedacht, nach welchem die Menschen vor allem daran zu erkennen sind, was sie lieben. Heinrich Wastian JOSEPH MARX UND DER SÜDSTEIRISCHE HERBST ■attgolden breiten sich Teppiche unter herbstlichem Walde, — durch die Baumkronen lächelt der Südhimmel sein blaues Sehnen hinab. Leises Vergehen strömt durch die Wipfel - die Blätter rieseln wie gelbrote Wunder-vöglein langsam zu Boden. 0 großer Pan! Hier in diesem Lande ist deine Heimat, wie im fernen Arkadien. Wenn du Flöte blasend durch die Herbstwälder schreitest, schmückt sich alles ringsum mit leuchtenden Farben. Rahe und Friede breiten sich' über die von sommerlicher Sonnenglut müde Erde. Fern von den Bergen erhebt sich ein Raunen, sanft fegt der Wind über die Weingärten: Windräder gehen, Windräder, Symbole der Reife. Herbst ist da, Herbst im steirischen Sonnenland! Hier fand Joseph Marx, der große Tonditìhter, die Geburt seiner Töne. Mächtig ergriff ihn das Herbstgefühl und ließ ihn nicht mehr los. Grüngolden und purpurfarben ist die Symphonie seiner Töne wie die endlosen Herbstwälder; blau ranken sich Motive von lichtem Sonnenhimmel, grau und düster malt er die Novemherstimmung mit wolkenverhängtem Spätherbsthimmel. Wie sich sein Blick in Fernen weitete, wenn er über die bunten Linien der Hügel, Felder und Wälder hinwegblickte, so ist seine Motivbildung weit und reich. Lange sangartige Phrasen charakterisieren seine Dichtung. Die Stimmung der südsteirischen Landschaft ist deutlich in seine Musik übergegangen und beherrscht sie vollends. So ist er der gottbegnadete Rhapsode des Unterlandes geworden. Er hat seine Schönheiten wie kein anderer in sich aufgenommen und hat uns Gemälde geschaffen in einer Farbenpracht, wie sie kein Maler auf die Leinwand gebracht hat. In seinen Harmonien, die ihm ureigen sind, findet sich immer wieder der herbe Klang der Quartenfolge und der Quartenakkorde, so recht geeignet, uns die mächtige Größe der Natur zu vermitteln. Marx führt dieses neuartige System zu unerhörten Klangwirkungen. Ebenso beeinflußt der Kontrapunkt in der sudsteirischen Herbstwelt mit seinen Linien und Wellen seine Polyphonie. Natur ist zur höchsten Kunst geworden. Weiche, in die Ferne sinnende Töne gibt er uns; dann wieder zuckt es seltsam auf von schwerer, verhaltener Leidenschaft, um in Sehnsucht zu verklingen. Gerade Sehnsucht ist die erhabenste Frucht des südsteirischen Herbstes, sogar die schönste Sehnsucht, die nach etwas Unbekanntem. Nie kann man den Wunsch nach einem friedlichen, weltentrückten Ende mehr verstehen, als wenn einen die südländische Herbststimmung ergreift. Wenn die Natur sich zum letzten Male schmückt, bevor sie in Winterschlaf versinkt, dann weitet sich des Menschen Gedankenwerk. Ein Ton singt im Innern, der ihn seltsam lockt — in weite Fernen gleitet der Geist, er verläßt die irdische Hülle und fliegt empor in ferne Welten. Von dort kehrt er befruchtet und •hochbegnadet zurück in schönheitstrunkener Erinnerung. Diese Stimmung hat Joseph Marx in dem herrlichen Liede „Der Ton“ festgehalten. Dieser Gesang trägt uns mitten hinein in den Herbst des Unterlandes. Gehe denn hin und fühle, daß du als Menschenkönig Sklave der Natur bist und vergehen mußt wie die sommerlichen Blätter, • sobald Pan herbstlich winkt. Pan ruft dir zu: „Du, deine Tage zähle!“ Noch glüht es sommerlich in des Tondichters „Herbstchor an Pan“ (Dichtung von R. Bartsch). Flimmernde Lüfte stehen über früchteschweren Weinreben. Altweibersommer! Doch die Seele ahnt die kommende Veränderung. Der erste Windstoß kommt aus den Bergen. Aufhorcht da die Natur, — noch hat sie Frist! Wie lange noch? — Wir schreiten durch einen Herbstwald — er ist es erst geworden und erglänzt nun in rotem Golde. Es ist die letzte Tat des göttlichen Pan. Er schmückt die Welt mit ungeschauten Farben. Vom Waldrand her, wo die Weinberge beginnen, tönen Windräder wie Herbstesharfen. Das Windrädermotiv * schleicht sich versonnen in die Musik, die in breiten Akkorden mahnt: Zähle deine Tage ! Die Sonne hat sich hinter eine dicke Wolke versteckt. Einen Augenblick fröstelt es — Ahnung des Winters ! Pan sehnt sich nach der wärmenden Decke von Schnee. Doch noch einmal bäumt sich die Natur zu großem Können auf ! Noch einmal leuchtet uns die Sonne in milder Pracht, Glück verbreitend. Die Musik jubelt auf, ein rauschender Klang reißt uns mit: köstliche Tage voll Gold sind wieder erstanden! Ein Rausch, einmal noch Schönes erleben zu können, bevor es zu spät ist ! Doch unerbittlich meldet sich das Ewige. Posaunentöne künden, daß die Stunde der Ruhe geschlagen hat. Mächtig rauscht die Orgel auf. Es mischen sich die Mahnklänge mit den Klängen der friedlichen Begeisterung. Nun ist das Werk vollbracht. Friedlich liegt die Erde bedeckt von tausend rotgelben Blättern. Breit tönt das Lied vom Verzeihen, vom Begreifen. Die Symphonie der Windräder erreicht ihren Höhepunkt, jedes nimmt Menschenzungen an und preist den großen Pan s ohne Leidenschaft, mit Ergebung und stiller Dankbarkeit. Nicht einmal der Tanz der Elfen ist leidenschaftlich. Sie wiegen sich ruhig, wie schläfrig mit glücklachenden Augen, bis sie zu Boden flattern, sich an die Mutter Erde schmiegen und in sie versinken, die sie geschaffen und gegen Himmel gesendet hat. Pan bläst sein letztes Lied. Er mahnt: Geht zur Erde, damit ihr nicht frieret, laßt des Sommers Übermut. Ihr werdet zu neuem Frühling Wiedererstehen! Das soll eure Religion sein: der Glaube an die Einheit der Natur in ihrer Vielfältigkeit und die Unvergänglichkeit, durch Wiedergeburt in ewigem Kreislauf! Wuchtig schließt das Tonwerk mit einem Denkmal aus erhabenen Akkorden. Im Liede „Septembermorgen“ feiert Marx den frühen Herbst. Satte, kräftige Akkorde von einer Farbenpracht sondergleichen zaubern alle Herbstesschönheit hervor. Es ist, als ob die Welt ihr Früchtereifen bejubelt. Dagegen schildert uns der Tondichter in den Liedern „Windräder“, „Herbst“ und „Der Rauch“ den Spätherbst. Schon liegt das Laub zu Boden, Nebel steigen auf, Vorboten des Winters. Die dünnen Stimmen der Windräder singen durch die Lüfte. Sie mahnen und mahnen! in kaum verhaltener Bangigkeit mahnen sie: Abend ward es, Nacht wird es bald sein. Wie lange wird sie währen? Es ahnt mir, ich werde einmal einsam sterben müssen. Ich werde dann mein Herz wie ein Windrad ticken hören und werde fühlen, daß dieses Windrad sich immer langsamer drehen wird, bis einst der Lebenswind aufhört, es zu drehen, und es stillsteht. Windräder drehen sich durch Nacht und Tod! Draußen auf den Feldern verbrennen sie verdorrte Weinreben. Sie betten die Asche davon in die Erde. Düstere Akkorde voll Todesbangigkeit tönen auf. Gemessen nimmt das Schicksal seinen Lauf. Unabänderlich ist, daß, was aus Erde entstand, wieder zu ihr zurückkehren muß, nachdem es sein Werk vollbracht hat. Wenn auch der Wein noch lebt — die ihn getragen, müssen sterben. Doch der Rauch ist schön, er verbindet sich mit "den Lüften, und dieses Vergehen ist erhaben. Die Musik zu diesem Liede (das Gedicht „Der Rauch“ ist von R. Bartsch) zeigt so recht die großartige Begabung des Meisters. Einfach, wie die Handlung, die sie vertonen, sind die Klänge, denn i einfach muß alles sterben — ohne irdischen Tand! Noch weiter schreitet: das Schicksal. Marx bringt im Liede „Herbst“ die letzte Herbstzeit, nahe vor dem Winter. Eine einsame Stimme klingt durch den Raum. Sehnsuchtsvoll zieht es über Wälder und Hügel. Willst du nicht den Winter erdulden, mußt du wandern! Hier schwindet dir das Glück! Es fällt dir schwer — die Töne deines Herzens klingen traurig; doch bedenke: deine Sehnsucht nach dem Glück treibt dich fort — in ferne Lande, wo ein milder Winter mit leuchtenden Rosen deine Sehnsucht stillen kann. Hier schwelen Nebel über den nachtdunklen Wiesen. Dieser Gesang, dem der Meister selbst die tiefempfundenen Worte gegeben hat, bedeutet einen Wendepunkt im Schaffen des Tondichters. Große, vielleicht die größten seiner Werke sind aus dieser Stimmung geboren. Herbstlich klingt es schon durch die A-dur-Violinsonate, die Vorläuferin des herrlichen romantischen Klavierkonzertes. Dieses ist die erste eigentliche Orchesterkomposition von Marx. Hier bricht er vollständig mit dem herrschenden System. Sein Klavier ist kein von unwesentlichen Orchesterklängen begleitetes Soloinstrument. Es ist primus inter pares, beherrscht das Ganze und ist doch nur ein Glied. Auch hier ist der Gedanke an die Einheit der Welten verkörpert, der für Marx so charakteristisch ist. Mit der Einleitung, einem kurzen Orchestervorspiel, zeigt Marx an, was er will: Ich will mich der Welt freuen! Und alle, die es hören, freuen sich mit ihm. Es ist nicht eine stille Freude, nein! es ist die Freude des Bacchanten, der sich den Kranz von leuchtenden Blumen ins Haar preßt und durch die herbstliche Natur tanzt. Erraffe, was du kannst! Genieße, was sich dir bietet, und vor allem: Geh ein in die Natur! Rauschend antwortet das Klavier, und nun tanzt alles in Einheit dem Gotte zu Ehren. Der Tanz ist bald ruhig, bald lächelnd, Perlen leuchten auf, Sonnen erstrahlen, hellauf lodert die Begeisterung — manchmal ist vielleicht schon ein kleinwenig Ahnung darin des Kommenden, woran man nicht denken will. Der zweite Teil bringt uns die Stimmung der Todesahnung, Einkehr und Hoffnung nach der Wiedergeburt. Ein Motiv aus dem Liede „Herbst“ tönt wieder auf: „So werde ich niemals, Herbst, von dir mein Glück empfahn?“ Grabgesang ertönt. Am Schlüsse dieses Teiles will es scheinen, als ob alles gestorben sei. Doch nein! Der dritte Teil lehrt uns: „Trotzdem freue dich, noch gibt es ein Glück auf Erden!“ Ferne Länder gibt es mit weißen Städten an blauem Meer. Schlankhohe Minarette ragen in die Lüfte, Palmen wiegen sich im Windeshauch. Wenn hier Winter wird, ist dort ewiger Frühling. All deine romantischen Träume erstehen dort zur Wirklichkeit. Schlanke, reichgeschmückte Mädchen drehen sich in wollüstiger Nacktheit zu den Klängen einer seltsamen Musik. Ringsum kauern die Zuseher, scheinbar unberührt, doch im Innern flackert das Begehren. Höchste Lust, die Lust der augenblicklichen Versagung, des Sammelns der Lebensgeister. Ferne Hörnerklänge ertönen. Alles überstürzt sich. Lachende, Taumelnde, Umarmende und Zurückgebliebene; jäher Schmerz, kurze Schreie, Aufspringen! Das Klavier ist Sieger geblieben. Allein spricht es zu uns und führt uns in die Wirklichkeit zurück. Es ist doch Herbst! Söhne dich aus mit ihm, denn er ist schön! Seine Schönheit ist jetzt still und friedlich. Sanft ist er geworden. Das ungebärdige Aufleuchten ist verblaßt. Friede ist da! Freue, freue dich! Siehe, wie die Luft klar ist (bald wird sie von Nebeln durchzogen sein)! Siehe, wie an den Bäumen noch letztes Laub hängt (bald werden sie kahl sein)! Siehe, wie der Rauch der verbrennenden Weinreben gegen Himmel fliegt (bald wird er verschwunden sein) ! Erzwinge die Freude, tanze nur noch einmal! So schließt das gewaltige Werk im Bekenntnis zur Freude. Das letzte und gewaltigste Werk, das Joseph Marx, befruchtet von unterländischer Herbststimmung, geschaffen hat, ist die „Herbstsymphonie“. Diese Symphonie kommt über einen wie ein starker Strom aus einer andern Welt. Unerhörte Klangwirkungen türmen sich auf, die Polyphonie ist zu nie geahnter Blüte gediehen. Man täte dem Werke unrecht, wollte man es zergliedern, mit Verstandesregeln messen, denn es ist unfaßbar wie der Gottesbegriff: man muß glauben. Und dies ist die höchste bisher erreichte Kunststufe: der vollständige Verzicht auf Handgreiflichkeiten. Sinne und Gefühl sind die Pforten, die uns den Genuß dieser höchsten Kunst einlassen. Und wie wollte man denn den farbenfreudigen Südherbst anders schildern? Ist seine Größe nicht auch unfaßbar? Marx führt uns mit unerhörter Farbenpracht durch das herbstliche Waldweben, ein sehnsüchtiges Singen hebt an, ein Motiv, das fast durch das ganze Werk in großartigster Weise ausgearbeitet ist. Eine ganz neue Instrumentation verleiht dem Werk Klangreize, wie man sie noch nie gehört hat. Man erlebt den ganzen Herbst, vom Beginn bis zum Ende. Das bisher Erwähnte ist lange nicht alles, das Marx aus dem ewigen Borne des südsteirischen Herbstes geschöpft hat. In seinen Klavierkompositionen, Kammermusikwerken und einer großen Anzahl von Liedern ist er stark vom Herbste beeinflußt. Eines zweiten Seèlenkreises des Meisters sei gedacht! Das ist die Stimmung des andern Sonneülandes: Italien. Diese Stimmung ist so verwandt mit der südsteirischen, daß uns die Verbindung nicht wundernehmen kann. In diesem Zusammenhänge will ich nur die „Barkarole“ und das „Italienische Liederbuch“ erwähnen, Lieder von einer überweltlichen Schönheit. Marx ist im besten Schaffensalter. Er wird uns noch Größeres schenken. Die Steiermark kann mit Recht auf ihren Sohn stolz sein und das Schicksal preisen, das ihr ihn und seine Muse entstehen • ließ. \ Ernst R. Geutebrück BARTSCH UND DIE SÜDSTEIERMARK Ich liebe dich, steirisches .Rebenland, Als tiefste Erfüllung des Lebens! Du ebnest mit streichelnder Mutterhand Die Marktgedanken, den Weltentand Und alles Unholde des Strebens. Du stimmst mich auf einen großen Akkord, Wenn deine Weingärten rauschen, Ja, machst mich selber zu Gottes Wort; Wänn kann ich zu dir, wann darf ich fort, Dein heiliges Atmen belauschen? Du, du, nicht Raum, nicht Leben, nicht Zeit, • Du leuchtende, träumende Ewigkeit. Bieses Lied, das Georg Botzenhardt im „Deutschen Leid“ gesungen, ist vielleicht der beste Ausdruck des schmerzvolljubelnden, glückswehen Empfindens, das der Dichter für das steirische Südland gefühlt. Da jubelt es auf, dies Umarmen wollen dieser sonngeküßten Weinlandhänge, da schluchzt die Sehnsucht nach der tiefdunkel geheimnisvollen Wald weit des quelldurchrieselten Bachergebirges, da lebt und webt das ganze Gefühl des Dichters für diese traumhaft schönen Lande. Ein einziges, weites Sehnsuchtsland ist Bartsch dies Fleckchen Erde zwischen Drau und Save, zwischen Poßruck und Kollos, ein Land, wo die kühle Betrachtung schweigen muß und nur die zuckende Dichterseele jubelt und schluchzt. Wer diese wundervollen Rebenhänge, diese Täler und Waldberge, diese fruchtschweren Ebenen, die lieblichen Weingartenhäuser, die grünumrankten Ortschaften je gesehen, das Flüstern der Wälder, das Tönen der Klapperräder, das silberhelle Plaudern der Quellen je gehört, dem zaubert Bartsch in seinen Schilderungen all das wieder vor die Sinne. Und es ist wie der Duft der geliebten Frau, der uns umschmeichelt, die wir verloren haben und uns vor Sehnsucht nach ihr nun nicht lassen können. Doch wer die liebliche Schönheit dieses Landes nie geschaut, dem zaubert des Dichters Wort es wie ein Traumbild vor die erwachende Seele, wie man in lauen Sommernächten in die dunkle Nacht hinaussehen mag, und aus Duft, Wärme und Sternenleuchten bildet sich ein unnennbares Traumland der Sehnsucht. Mit sehnendem Dichterherzen baute Bartsch die Südsteiermark auf. Mit leuchtenden Augen, in denen eine Träne schwamm, erschaute er die Herrlichkeit. und Schilderte sie uns. Mit Abscheu wies er auf die Schlangen der Zwietracht, die dies Land aus einem Eden zu einem Kampfplatz machten, und mit sehnsüchtigen Worten sprach er aus, wie die Menschen sein sollten, um all der Schönheit würdig zu werden. Das Hauptwerk Bartsch’ über die Südsteiermark, das ich das Hohelied der Südsteiermark nennen möchte, ist „Das deutsche Leid“. Hier formt es sich zu Sätzen, das harte Kämpfen um die wundervollste deutsche Erde, die nur im burgenumgrüßten, felsenumspannten Südtirol ein Seitenstück besitzt. Vor uns bauen sich die wundersamen Wälder des Bacher auf mit ihrer sagenhütenden Einsamkeit, wir sehen die Drau durch enge Täler und blumige Ebenen sich winden, begrüßen die Weingärten auf den Höhen mit dèn weitleuchtenden Weingartenhäuschen und möchten all diese Schönheit an unser Herz schließen. So zu schildern vermag nur einer, der das Land, dies sonnige, herrliche Land nicht gesehen, sondern erlebt hat. Und des Dichters Worte haben dieses Land auch für andere beseelt, die bisher mit stumpfen Sinnen an all der Schönheit vorbeigingen, die förmlich nur gewartet haben, bis der Dichterprinz sie erlöse. „Ich liebe dich, steirisches Rebenland . . .“ Darin liegt alle Lust und alles Leid, alle Sehnsucht und alle Qual, es ist kein Satz wie viele andere, es ist ein Rufen, das alle Fasern unseres Herzens mitzittern und mitschwingen, mitjubeln und mitgchluchzen läßt. Der zweite Sang vom Unterlande, von der südlichen Steiermark und dem angrenzenden Krain ist „Frau Utta und der Jäger“. Die hellen Weinhänge des steirischen Saveufers gegenübergestellt den düsteren Krainer Uskoken, die helle Frau: süddeutscher Frohsinn und Leichtsinn gegen den starken, wurzelfesten Jäger: deutsche Festigkeit und Heimattreue. Gedenken wir noch der beiden reizenden Erzählungen „Der Schatz“ und „Der steirische Weinfuhrmann“ aus den „Bittersüßen Liebesgeschichten“, so ist alles aufgezählt, was von Bartsch’ in Buchform erschienenen Schriften sich mit der südlichen Steiermark beschäftigt. Die hübsche „Glockensage“ reiht sich freundlich in des Dichters südsteirisches Schaffen ein. ■ Doch auch in vielen anderen Werken fühlen wir, daß Bartsch die schöne Südsteiermark nimmer vergessen konnte. Da und dort klingt die Erinnerung an, daß er des Bacherwaldes und des sonnigen Rebenlandes stets mit warmer Sehnsucht gedachte. Lesen wir heute die Schilderungen der südsteirischen Heimat und eilen wir auf den Schwingen des Dichters in diese herrlichen Gefilde, dann krampft sich uns wohl das Herz in bitterem Schmerz zusammen. Deutscher Fleiß, deutsche Arbeit, deutscher Sinn und deutsche Kunst haben gegen eine Welt von Feinden aus diesem Lande ein Eden geschaffen-,- das ein tückisches Geschick dem deutschen Volke entriß und fremde Machthaber darübersetzte, die den Garten mit ihrem Hasse beschmutzten und mit ungelenken Tritten die zarten Blumen alle zerstampften. So wollen wir doch an der Hand des Dichters dies Land wieder vor unseren geistigen Augen erstehen lassen, zu zeigen, was hier das deutsche Volk geschaffen, wie es hier gerungen und gekämpft, um für spätere Enkel, die, wir wollen zu Gott es hoffen, dies Land als deutsches Land, frei und ungeknechtet besitzen werden, die Erinnerung zu bewahren an das deutsche Leid. Die Sehnsucht nach diesem Lande springt auf in den Gedanken Georgs: „Und nun kam wieder die frostige Zeit und verstärkte seine Wünsche, im südlichen Weinland wohnen zu dürfen, wo zwar der Winter charaktervoll, aber kurz war, und wo es schon in der Mitte des Februar Primeln, Frühlingskrokus und Falter gab.“ Glüht in unseren Herzen nicht auch dies Wünschen auf, verlangend nach all diesen Gaben südlicher Sonne? Wie steigt der Bacher auf vor unseren Augen, neu belebt für den, der ihn geschaut, geschaffen dem, der ihn nie gesehen: „Alles beisammen: Fichten, Linden, Nuß, Edelkastanien, Kirschen und Buchen, alle Holzarten in buntestem Gedränge durcheinander und die Wunderkraft eines sonnigen Februartages dazu.“ Das Tal der Drau, dort, wo es bei Faal den Strom zu wildem Tosen zusammendrängt, zeigt uns lebendig des Dichters Schilderung: „Das Drautal war wild und enge. Poßruck und Bacher stießen ihre borstigen Stirnen gegeneinander wie wilde Auerbullen, und kaum blieb zwischen den Felsen und Fichten Raum für den eisengrauen Strom.“ Dann öffnet sich eine neue Welt : „Die ärmlich anmutige Schlichtheit der Hütten, die steinernen Handmühlen in den Küchen, die Kohlenglut der offenen Herde und der bestrickende Duft des Holzrauches“ führen den Beschauer in ferne, einfach natürliche Urzeit. Aus den dunklen Wäldern des Bacher, aus der Ureinfachheit bäuerlicher Behausungen führt uns der Dichter in das durch der Sonne Urkraft und deutscher Hände Fleiß emporgeblühte Rebenland: „Es war jener wunderbare, reichsonnige und verklärte Herbst der Weinlande, welcher dei* steirische Sommer genannt wird und mit seinen kalten Nächten und grenzenlos milden und hellen Tagen eine Laubfärbung der Wälder und Weingärten hervorbringt, wie sie an bunter Pracht nirgends in Europa und sonst vielleicht nur noch an den kanadischen Seen vorkommt. Das gegen Westen düstere und gemiedene Bachergebirge fließt hier, bei Pickern und Lembach, und wieder nach Südosten in ganzen Kaskaden von rebenbedeckten Rückfallskuppen gegen Tal, und wie überall, wo der Himmel die steirische Erde besonders zu lieben scheint, sind trauliche deutsche Anwesen aus der wendischen Erde gewachsen.“ In dithyrambisch beschwingten Worten grüßt der Dichter den südsteirischen Lenz: „0 du hinreißende Zeit der Rebenblüte in dem endlosen steirischen Unterlande! ... Die südsteirische Welt aber ist das segnende Ausbreiten der Arme des Vaters, wahrlich! Die südsteirische Erde ist ein Akkord, eine Harmonie des Weltwesens ... Jeder dieser südsteirischen Hügel, jedes der unterländischen Landhäuser hat, was in der getürmten Schweiz kaum einige begnadete Gipfel haben: die Endlosigkeit, das seligste Verschimmern des Allerbläuesten hinter dem Blauen, das verzehrend sehnsüchtige, lebend gestorbene, neunfach gezeichnete Pianissimo der Weite. Ja, unermeßlich weit ist diese Welt! Und über all das hin der schwebende, zärtliche Duft der Reben, dem sich nur die Reseda vergleichen läßt. Nur daß die goldbebende, stäubende Rebenblüte noch lauterer, noch reiner gestimmt duftet. . . 0 du hinreißende, zarteste, flüchtige Zeit der Rebenblüte in der südsteirischen Unendlichkeit ! “ Wem ist nicht selbst so der Sang erklungen, tief innerlich im Herzen, da das Fühlen vergeblich nach Worten rang, da südsteirische Rebenblüte ein unendlich tiefes einziges Erleben war. Deutsche Hände bauten die Rebenwelt, deutsche Herzen allein konnten ihren Zauber fühlen, der deutsche Dichter aber brachte singend noch einmal all diese Herrlichkeit zur Welt. Wie süß und weh klingen die Worte, wenn Bartsch weiter von dieser südsteirischen Welt erzählt: „Nicht zu Ende kann es gesungen sein und kein Erzählen und Anrufen kann die göttliche Yersöhntheit dieser steiermärkischen Südwelt schildern, dort im Angesicht der endlos verblauenden Weite! . . . Nirgend auf Erden steht eine Welt für Herzen, die heimverlangen, für zer-klirrte Uhrwerke von Seelen, für Sonnensehnsucht, für Andacht oder Zweifel an Gott, für Flucht aus Leid, für Todesfurcht, für alles, was euch krank gemacht hat, ihr Nervenbündel, ihr Verwundeten der Welt, so wie diese voll der süßen Gotttrunkenheit und pantheistischen Hinüberträumens, die auf euch wartet, ihr, die ihr das Paradies verloren!“ Dies ist das für deutsches Heimweh verlorene Paradies, in dessen Sonnenglast die traurigsten Gedanken des Lebens schwanden, müde zerschlagene Sehnen sich straffer spannten, um tätig zu sein für dies deutsche, oft vergessene Vorpostenland im Süden. Wie freundlich klingt die Erzählung in „Frau Utta“ vom Gesang der Klapperräder. Hier erzählt er von dem „ewigen Liebesgespräch der Windklapperräder“, ihrem „einschläfernden Naturlied, eine Muttererzählung, ein überall begriffenes liebliches Scherzen der Lüfte mit den kleinen Hartholzhämmerchen, die über eine Klanglatte spielen. Kein Zauber wie dieser. Nicht einmal der der Musik! Dieses wechselnde oder vielstimmige Einfallen all des Weingartengeplauders ist überall begriffen erheiternd, köstlich, träumerisch, tröstlich und magnetisch“. Welches Wort ist wohl am besten an das Ende dieser Erinnerungsworte für die südsteirische Landschaft zu setzen, als des Dichters Ausruf, daß es in ihr „so mühelos ist, die Gottheit zu erkennen!“ Innig mit der Landschaft verwoben sind die Menschen, die Bartsch schildert. Harmonisch fügen sie sich ihr ein, sind aus ihr emporgewachsen, in ihr aufgegangen. Denn der Mensch ist nicht der Herr der Erde, er ist nur ein Teil, ein Teilchen, ein winziges Rädchen im Weltgetriebe, nicht mehr als die Ameise oder die Blüte der Reben. Hat er Sich in Einklang mit der Umgebung gebracht, genoß er ihre Sonne, sanften Regen und gute Pflege, dann wird sein Wirken sein wie heller Wein, gekeltert an sonnigfrohen Herbsttagen. Hat aber Haß und Mißgunst, Torheit und Eigendünkel sein Herz bezwungen, dann ist er wie ein verdorrender Weinstock, von dem die Reblaus Besitz ergriffen, ein Schädling und Zerstörer, der die Sinne, die nach Frohem auslugen, beleidigt und am besten vertilgt würde. Und es gibt mehr solchér schädlicher Menschen im steirischen Unterlande als verdorrte Weinstöcke. Wie lieblich Bartsch Landschaftsfreude und Menschenlust verbindet, erzählen die Worte von deutscher Weingartenfreude. Wer diese Freude je mit- gemacht, dem wird des Dichters Schildern sie mit all ihren unendlich glücklichen Augenblicken in die Erinnerung zurückrufen; wer sie nie gekannt, dem wird die Sehnsucht mächtig das Herz ergreifen. „Langsam wie wechselnde Brunneneimer kam vom Keller der lichtgrünliche Wein, in dem es noch in der Flasche vom brausenden Druck des Hebers wogte. Perlchen stiegen, und in allen Seelen prickelten sie weiter. Über den Bäumen lag der flimmernde Sommertag, unter den Bäumen in der Kühle lachten und plauderten traulich die Menschenstimmen, leiser; weil viele von den Frauen und jungen Leuten im Grase am Hügel lagen und mit offenen Augen jenes träumende Hingegebensein der Bäume, der hinreißend blühenden Rosen, der Gräser mitmachten, all’ eine Seele. Nichts erhob da die Menschen über Bäume und Halm, höchstens daß ein Jüngling in die weißen, langsam gehenden Wolken sah, die über ihm wegzogen wie schöne, stille Frauen. Höchstens daß eine sehnlich blickende Frau in dieselben weißen, langsam gehenden Wolken sah, die über ihr wegzogen wie unerfüllt gebliebene Wünsche.“ Gleich den Menschen ist auch der göttliche Lenker mit der Landschaft verwoben. Alles, alles, die ragenden Wälder, die munteren Quellen, die weiten Ährenfelder, die köstlichen Reben, die blühenden Blumen und die andächtig all diese sehnsüchtige Lust genießenden Menschen sind Teile dieser Gottheit, sind selbst göttlich. Aus diesem wunderbaren Lande entsteht eine neue Gottheit, die mit dem christlichjüdischen, entseelten Eingott, der nur mehr eine zornige Donnermaschine ist, nichts zu tun hat, Tausend und aber tausend Götterchen kichern in der südliehen Steiermark aus jedem Winkelchen hervor, und Bartsch wird der fröhlich rufende Verkünder dieser Gottheiten. Der jüdische Christengott, der nur die Menschen kennt, weil er von ichsüchtigen Menschen geschaffen wurde zu ihrer Zuchtrute, hier, in dieser leuchtenden Rebenwelt verschwindet er vor dem siegreichen Naturgotte, dem die Menschen nur ein winziges Teilchen der Allwelt sind, zu einem Nichts. Hart rechnet der Dichter mit den Kreaturen dieses Gottes ab, die, statt die Menschen mit sich und der Natur zu versöhnen, altheilige arische Gebräuche lästern und die Menschen in wildem Kampfe aufeinanderhetzen. Wie schön kündet die Sage der Glocke von Mariä am Stein, daß totes Metall edler empfindet als ein katholischer Priester, der jüdischen Haß aus seiner Christenlehre schöpft. Den evangelischen Pfarrer aber vermag Bartsch uns nur liebenswert zu machen, weil er nicht als Künder eines irrationalen Gottes, sondern als Bekenner von Naturfreude und heiterer Menschenliebe ihn zeichnet. Diese Menschen alle kämpfen in der Schönheit des Landes, in der Schönheit der südsteirischen Heimat einen harten Kampf gegen das Teuflische, gegen das kleinlich Zerstörende, gegen das niedrig Häßliche, das nur dem Menschen eigen ist. Keine übermenschliche satanische Zerstörungswut, kein ungebändigter Strom sind die, die gegen die deutschen Kulturträger sich wenden, ein schmutziger, kleinlicher Haß, durch Halbgebildete, Pfaffen, sogenannte Rechtsanwälte und junge Burschen, die keine Heimat und keine Schönheit kennen, angefacht, wendet seine hinterlistig vergifteten Dolchspitzen gegen das Auferbauende, Schaffende. Viele schöne Worte hat Bartsch im „Deutschen Leid“ und in der „Frau Utta“ für den Kulturkampf der Deutschen gegen das giftgeifernde, lichtscheue Natterngezücht gefunden. Es ist kein Gegensatz zwischen dem Deutschen und dem Slawen in diesem gesegneten Lande, es ist der Gegensatz allein zwischen aufbauender Kulturarbeit, in die sich der deutsche Bürger und Arbeiter gemeinsam mit dem schollenfesten, unverhetzten slawischen Bauern teilen, und der haßerfüllten Zerstörungswut des halbgebildeten slowenischen Pöbels, der aus seiner Pariastellung wütend Kot gegen die Sonne warf. Wie weh klingt des Dichters Klage : „Aber wohin er sich wandte, erzählte die Gegend von der Fehde in den Ortschaften und vom Leid, vom bitteren Leid seiner deutschen Brüder, die in diesem seligen Sonnenlande verflucht, verhaßt und verfolgt waren. Denen so viele der schönen Rebenhäuser gehörten, aber nicht die Herzen : die Deutschen, die all diese Märkte, Städte und Kirchen erbauten und die nun die Herrschaft über all diese weißen Pünktlein in der goldbraunen Landschaft Stück für Stück verlieren sollten. Durch die Sonnenwelt, in der bisher die Sprache des gèdankenvollsten der Völker erklang, kroch nun ein Idiom, das noch keine Seele befreit und beglückt, das von Zurückgebliebenen und Unzufriedenen gestützt und gelobt, von Dumpfen und Gehässigen zum Schlachtgeschrei verdorben worden war.“ Nicht völkischer Haß hat in das gesegnete Rebenland zwischen Drau und Save Zwietracht und Zerstörung gesät, kranker Irrwahn und pöbelhafte Zerstörungslust landfremder Elemente, die sich oft nur um klingende Münze als Slawen gebärdeten, freche Priester, die gleich Dirnen aus dem Heiligsten ein Geschäft machten, haben die Brandfackel in dieses Eden geworfen. Konnte Bartsch das wahre Verhältnis zwischen Deutschen und Slawen besser zeichnen, als in der Liebe von Georg und Dortja, deutscher vollendeter Herzens- und Geisteskultur und slawischer Innigkeit, Gläubigkeit und Arbeitsfreude! Die Halbgebildeten, deren Herzen nur den klingenden Münzen hold waren, sind allein die Zerstörenden, nicht die Verschiedenheit der Sprache. In bitterem Weh erzählt der Dichter: „In Cilli werden sie ein slawisches Gymnasium bauen. Dann werden auch dort jene Zweckgebildeten unserer neuen «Zeit wachsen und die Stadt erfüllen, denen als des Lebens höchster Aufschwung Haß und Neid gelehrt wurde.“ Die Wahrheit so mancher Worte des Dichters haben wir erst in den letzten Jahren voll erkannt. Wir haben erkannt, daß es mehr geben muß als die feinstausgeklügelte Dressur der Gehirnwindungen, gelernt, daß unsere heutigen Glaubensgesetze, die einige noch Religion zu nennen wagen, volksfremde, lebenzerstörende Hetzartikel sind, und wir beginnen uns langsam, langsam zu besinnen, daß nur im tiefstseelischen Einigkeitsempfinden mit dem ganzen Weltall der geistige Aufstieg zu liegen vermag. Wir beginnen langsam alle die zu verachten, die aus Volkstum und Religion ein einträgliches Geschäft gemacht haben und noch machen und die der deutschen Sache entweder durch ihr gewaltsames Schlagetodauftreten mit gleichzeitig ausgestreckter Bettlerhand oder durch feiges Allfreundlichtun nur geschadet haben. Was wir im großen erlebten und erleben, die deutsche Südsteiermark kannte dies Gehaben schon längst: Von einem undeutschen frömmelnden Hofe slawischen Hetzpriestern ausgeliefert, von vielen, allzuvielen Deutschen vergessen* vom nächsten zusammenhängenden deutschen Sprachgebiet nicht genügend unterstützt und von einer feigen internationalen (für dieses verfluchte Wort gibt es keinen deutschen Ausdruck) Pariamenge preisgegeben, erfüllte sich der Südsteiermark trauriges Geschick. Und gerade hier wurzelte wie in Südtirol die deutsche Seele am tiefsten: „Diese gottgeliebte Erde schreit nach Seele, nach Menschen, denen jeder Tritt auf diesen Boden ein Dankgebet ist. Diese bedrohte deutsche Randscholle will nicht, daß Dickhäuter auf ihr stampfen. Sie will alle Tage genossen sein wie ein Kuß zum Abschied. Schwer, schwer wird der deutschen Seele hier das lichte, durchlauchtige Leben gemacht, hier, wo aus der Tiefe Geschöpfe drängen,«die, wie der geborene Tiefseefisch, die leichte Luft eines beseelten Daseins genießen sollen, ohne zu ihr herangeschult zu sein. Wir alle sehen sie ja mit an, die slawische Trommelsucht: das Zerspringen vor lauter unbändigen, unbekannten, gebrauchsunfähigen Freiheitsgefühlen!“ Viel, sehr viel können wir aus diesen Worten lernen! Und, Deutsch Österreich horche auf, wo in vielen Köpfen noch sklavisches Erinnern an ein gerichtetes Herrschergeschlecht spukt: „Daß sich der streitbare und regierende Teil der Priesterschaft vom Hofe aus unterstützt glaubte (oder vielmehr wußte), mehrte wohl ihren Anhang in der liebedienerischen Residenz, aber erzeugtè tiefsten Groll in dem zehnfach größeren Gebiete der unbemerkten Provinz.“ Wahrheit wurde, was der Dichter sorgend schrieb: „Wehe, wenn Österreich nicht siegte; die Südslawen zerträten die kleinen deutschen Gemeinwesen und erwürgten die tiefnachdenklichste Sprache der Welt.“ Wollen wir hoffen, daß auch die Worte zur Wahrheit werden: „Sie kannten ihr deutsches Volk, das nie so hochherzig, so opferreich, todesfroh und furchtbar ist als in Drohung und schwerer Not.“ Ein Dichter hat uns die leuchtende, unvergeßliche Südsteiermark geschildert, ehe noch die schweren Schicksalsschläge auf das deutsche Volk niedersausten. Er kündete das Wetterleuchten, er deutete es, bei den Mächtigen aber fand er kein Gehör. Die schöne südsteirische Welt läßt Bartsch in seinen Dichtungen vor uns aufleben, wundersames Erzählen von Sagen und Märchen, Drau und Save rauscht, das Hämmern der Windräder klingt von Berg zu Berg, es braust der Wald und es duften die Reben. Golden leuchtet der Wein und strömt eingesogenes Sonnenleuchten in starkem Dufte aus. Deutsche Lieder klingen von den Höhen, deutsche Namen hört man in den Städten,1 deutsche Arbeit schuf ein Eden in Sonnenglast und deutsche Seele hauchte all dem 1 Die Friedhof-Grabsteine sprechen eine gar beredte Sprache. Schönen, Lieblichen, Seltsamen das geistige Vollenden ein. Unendliches hat hier das deutsche Volk geschaffen. Werte, die auch schwerster Unverstand nie völlig vernichten kann. Und die deutsche Seele blutet nach diesem selbstgeschaffenen Eden und die deutsche Tatkraft wird diese Heimat wieder erobern zu Nutz und Frommen der Welt. Am Schlüsse dieser Erinnerung aber mögen des Dichters Worte stehen: „Die Heimat ist Gottes ; auch wenn das Volk darin manchmal des Teufels ist.“ Robert Baravalle DIE UNTERSTEIERMARK IM LEBEN UND SCHAFFEN EINES KÜNSTLERS Sehr geehrter Herr!1 Durch verschiedene größere Arbeiten und andere unvermeidliche amtliche Verpflichtungen bin ich zu meinem größten Leidwesen außerstande, den zugesagten gewünschten Aufsatz für das Südsteirerbuch über meine persönlichen und künstlerischen Beziehungen zur untersteirischen Landschaft selbst zu verfassen. Ich habe daher das gesamte Material an Frau Anna Hansa-Jahn abgetreten, die mit mir oft in jenen gesegneten Geländen des südlichen Rebenlandes weilte und daher am meisten berufen . erscheint, aus eigener Anschauung darüber zu schreiben, was sie gewiß gerne tun wird und mindestens ebenso gut trifft wie ich selbst. Alles Herzliche von Ihrem J. M. Tllie die Landschaft ganze Völker in geistiger und sozialer Hinsicht bestimmt, TT so ist ihr Einfluß auf den feinfühligen Künstler um so größer. Nicht nur philosophische Probleme seiner Zeit wirken auf die Art seines Schaffens ein, sondern auch die Stellung zur ausdrucksvollen Landschaft, zu den Stimmungswerten der realen Außenwelt. Letzten Endes führt emotionale Naturbetrachtung zur Natur-Symbolik, die menschliche Gefühle in die Natur hineinverlegt und in Elementarereignissen schließlich Ähnliches erlebt wie in inneren Kämpfen, die einzelne Menschen oder ganze geistige Richtungen durch Konflikte aller Art mitmachen müssen. Naturalistische Bestrebungen hat es zu allen Zeiten in der Geschichte der Künste gegeben und sie führten manchmal gar zu idealer Symbolik und Naturabkehr. Immer wieder aber war es Mutter Natur, die in irgendeiner Form die künstlerische Phantasie befruchtete und neue Problemstellungen schuf. Naturalismen in der Musik sind jedoch nicht nur durch Natur Schilderungen gegeben, sondern auch durch Anlehnung an das Volkslied, durch Urrhythmen des Volkstanzes, und gerade bei den größten Meistern findet man oft diese Rückkehr zum Elementaren, das Schöpfen aus den Urkräften der Natur. Jene Künstler sind dann auch mit der nationalen Eigenheit der Gefühlswelt des Volkes inniger vertraut, bodenständiger, ursprünglicher in ihrem Schaffen, So wurde Schubert zum Vertreter des typisch Österreichischen, Wienerischen in gutem Sinne, jener Zeit, wo glückliche Menschen in hellen Mondnächten mit Lampions und Gesang vom Heurigen heimkehrten, Grieg zum Verkünder seiner eigenartigen nordischen Heimat, Mussorgski der bedeutendste 1 Brief von Joseph Marx an den Herausgeber. Künder russischer Volksseele. Natur, Heimat, Volkskunst ward ihnen eine unerschöpfliche Quelle künstlerischer Anregung. Auch das Schaffen von Joseph Marx läßt innige Beziehung zur Natur erkennen und bringt Stimmungen aus dem südlichen Rebenlande, das er schon in früher Jugend kennenlernte; verbrachte er doch seit seinem siebenten Jahre die Ferien in den seligen Geländen von Ober-Radkersburg auf dem Besitz seiner Eltern „Wolfinauberg“. Das Herrenhaus, ein früheres Kloster, hat den typischen Stil des untersteirischen Weingarthauses mit Veranda, einer wundervollen alten Presse und dem dunklen, kühlen Keller, der die berauschenden Schätze im Herbste aufnimmt. Obstgärten und quellenreiche Wälder boten genußreiche Erholung. Dort erlebte der kleine Pepo seine ersten Weinlesen, all die Festlichkeiten des Herbstes, und noch heute gedenkt er der reichen Fülle jener Zeit, der herrlich bereiften Trauben, der duftenden Berge von Äpfeln, Birnen und Nüssen. Den tiefsten Eindruck machte ihm aber die Natur selbst. Oftmals war der Knabe stundenlang unauffindbar, und man traf ihn dann in einer Weingartrille liegend, verträumt in die Ferne schauend, oder am Dachboden von einer Luke aus die holde Üppigkeit herbstlicher Landschaft' in sich aufnehmend. Und gerade diese Eindrücke frühester Jugend finden wir in seiner Musik erklingen, in jenen satten Harmonien und einer oft überschwenglichen Polyphonie. Später am Gymnasium in Graz litt er geradezu an schönen Herbsttagen, die er in der Schule verbringen mußte, anstatt Weinlesefeste in Wolfinauberg mitzumachen, und ward ein unaufmerksamer Schüler. An solchen Nachmittagen. wurde auch zu Hause nicht gelernt, lieber saß er auf einem Apfelbaum im Gärtchen der Eltern in der Mandellstraße und träumte in die Ferne. Ähnliche Depressionen erlebte Marx später wieder als Einjährig-Freiwilliger in einer Kaserne nahe dem Bahnhof, von wo aus die Züge übermütig dampfend in die Untersteiermark fuhren. Um so fröhlicher holte er Versäumtes nach, als er bald nach seiner Einrückung eines Augenleidens halber zurückgestellt wurde. Vom Schulzwange befreit, konnte er nun auch den untersteirischen Frühling genießen. Da blühen Veilchen und Primeln reicher, üppiger als bei uns, und die Luft hat etwas von der Limpidezza des Südens. Jene Landschaft mit den vielfältigen Silhouetten und Wäldern, den wunderbaren Farben, den Windrädern (Marx nennt sie silbern tönende „Celesten des Herbstes“), deren verschiedene Klänge auf Holz- oder Metallplatten die Herbstnatur ganz besonders charakteristisch beleben, kann man wohl musikalisch nennen, und Marx wurde ihr begeisterter Verkünder. In die erste Zeit des Universitätsstudiums fällt die Komposition eines der bekanntesten Lieder, der „Windräder“; entworfen auf einem von Windrädern umsäumten „Himmelswiesenweg“ in Wolfinauberg. Die tiefe Melancholie des untersteirischen Herbstes erscheint durch musikalische Wiedergabe der bewegten Windräder in diesem Liede besonders eindrucksvoll geschildert. Auch benachbarte Gelände und Weingärten wurden besucht: Nußdorf, Kerschbach, Kapellen, Radein, der Weingarten Klöch bei Halbenrain, wo Marx bei einer feingebildeten Dame, der Frau Doris Franz, gerne als Gast weilte. Seit 1910 kam er öfters zu längerem Aufenthalte nach Frauheim bei Marburg in den Weingarten Jahn. Diese Gegend vereinigt durch die Nähe des sagenumsponnenen Bachergebirges die Lieblichkeit der Weingartengelände mit dem phantastischen Dunkel dichtbewaldeter Höhen. Das Weingarthaus lehnt am schattigen Abhang des Hügels, ein Bächlein fließt vorbei und treibt eine kleine Mühle, deren sanftes metallisches Klappern dem Schaffenden oftmals zur Melodie wurde. Hier entstand 1911 die Rhapsodie für Klavierquartett, 1913 die Violin-Sonate in. himmelblauem A-dur, so ganz südsteirisch, mit sehnsüchtiger Kantilene und jener farbigen Harmonik, die Marx in° späteren Werken, besonders in der „Herbstsinfonie“, charakteristisch ausbaut. „Der Herbstchor an Pan“, nach einem Gedicht von Rudolf Hans Bartsch in Wolfinauberg und Frauheim komponiert, wurde durch das Erlebnis eines schönen Herbsttages in Spielfeld angeregt. Wunderbare pastorale Stille, ferner Windräderklang, goldener Blätterregen in den Herbstwäldern gaben die Impression. In diese Zeit von 1910 bis 1914 fallen all die genußvollen Besuche der Untersteiermark, Sommeraufenthalte und Weinlesefeste in Frauheim und Wolfinauberg. Zu schöner Erinnerung wurde mir eine Fahrt in die Kolos mit Rudolf Hans Bartsch und ein anschließender Besuch des Weingutes Lichtenegg. Hier in herbstlich reicher Natur ergänzten sich Dichter und Komponist zu fröhlicher Harmonie. Auch jener wundervollen Frühlings- und Herbstfahrten in liebem Freundeskreise, mit Maria Gigler und Karl Krehahn, dem ehemaligen Violinlehrer von Marx, sei hier gedacht. Schon in aller Frühe holten wir Joseph Marx von seiner Wohnung in Waltendorf mit dem Auto ab, und in fröhlicher Fahrt ging es an Primel- und Yeilchenwiesen vorbei, dem geliebten Weinlande entgegen, nach Wolfinauberg. Dort wurden wir Von Mutter und Großmutter Marx freudig erwartet und in echt untersteirischer Gastfreundlichkeit bewirtet. Gleich anregend zur Frühlings- wie zur Herbstzeit waren diese Fahrten und manch ein Lied entstand aus ähnlichen Stimmungen, so die üppige „Hochsommernacht“, wo die Felder im Hörnerklang der Harmonie rauschen, oder der „Rauch“ mit dem schwermütig lastenden Ausdruck von Todesnähe. „Nocturne“ schildert eine Mondnacht in den Weinbergen, Lindenduft weht aus dem Wald herüber und sehnsüchtige Melodien klingen auf. Das Pastorale der „Cello-Suite“ entsprang der Impression einer Abenddämmerung im Spätherbste ; violette Hänge, ferne Nebel, blau verdämmernde Wälder, dazu das melancholische Lied eines Hirten. Der schwungvoll bewegte „Septembermorgen“ im leuchtenden E-dur ist so recht das musikalische Bild der weiten farbigen Landschaft. Den intensivsten künstlerischen Ausdruck hat das untersteirische Weinland in der „Herbstsinfonie“ gefunden, die wie ein Bekenntnis zur Heimat seliger Jugendzeit anmutet. Alle Stimmungen der herbstlich reichen Natur, des Erntejubels und der Herbstmelancholie finden sich darin, sinfonisch verarbeitet, und führen zu eigenartig orchestralen Problemen. Dann kam der Krieg und das Abschiednehmen von jenen glücklichen Gefilden. Wo früher frohe Lieder von Hügel zu Hügel erklangen, hörte man 33 L den fernen Donner der Geschütze, der von den Kärntner Grenzgebirgen herübertönte. Und später mit der endgültigen Abtrennung Südsteiermarks haben wir ein Stück unserer künstlerischen Heimat verloren, sind landfremd geworden in jenen Gegenden, die uns durch glückliche Jugenderinnerungen teuer wurden. Deutsche sind Kulturträger in diesem Lande gewesen, deutsche Kunst war es, die zuerst den Zauber dieser Gegend, den eigenartig tiefen Gehalt der Landschaft geoffenbart hat. Auch jetzt wollen die Slawen nicht gerne auf deutsche Kulturanregung verzichten, wie der Besuch unserer Hochschulen zeigt, und an der Akademie für Musik in Wien studieren slawische Kunstjünger bei Joseph Marx Komposition, angeregt durch sein Schaffen, in dem sie das Bild ihrer Heimat künstlerisch verklärt wiederfinden. Anna Hansa-Jahn KARL BIENENSTEIN, EIN SÜDSTEIRISCHER DICHTER In meinem Wesen und Gedicht Allüberall ist Firnelicht, Das große, stille Leuchten. (Konrad Ferd. Meyer) B Marburg! Wenn wir deiner gedenken, wie du dastandst in den Jahrhunderten der Vergangenheit und dastandst in den letzten Jahrzehnten vor dem Zusammenbruche des alten Österreichs, mit deinen deutschen Bürgern, deinen deutschen Mädchen und Frauen, mit deinen deutschen Lehrern und Studenten, deinen deutschen Dichtern und Denkern, in der Blüte deutschen Frohsinns und deutscher Geselligkeit, in deutscher Treue und deutschem Opfersinne — und wenn wir dich heute sehen, wie du, der Edlen und Guten beraubt, nun mit geblendeten Augen nach dem Balkan starrst, so krampft sich unser Herz zusammen in Schmach und Schmerz, und in tiefster Wehmut, aber auch in berechtigtem Stolze gedenken wir aller der Aufrechten und Treuen, die in dir gelebt und gewirkt haben. Und da leuchtet uns ein Name entgegen, der mit dem deutschen Marburg der letzten Jahrzehnte so innig verbunden ist wie kaum ein anderer: Karl Bienenstein. Ein Name, der in erster Reihe steht, wenn man die besten deutschen Erzähler der Gegenwart nennt. Noch 1916 hatte Bienenstein, der die ganze Schönheit der Südsteiermark in seiner Seele trug, in der von F. Hausmann herausgegebenen „Südsteirischen Heimat“ aus vollem Dichterherzen über „Marburg“ geschrieben, und an anderer Stelle des gleichen Buches stehen seine Worte: „Südsteirischer Winter! Möge das Wort nie politische Bedeutung gewinnen !“ Klang das nicht wie fernes Wetterleuchten und Donnergrollen^ war das nicht ein leises Dichterahnen, als Bienenstein daran anschließend die Deutschen zur Einigkeit mahnte, daß nicht einst „über die zerstreuten Häuflein die grimme nationale Wintersnot hereinbricht und kein Frühling mehr imstande ist, über sie sein sieghaftes Lichtbanner rauschen zu lassen“? Und wie bald, kaum zwei Jahre später, ist sie hereingebrochen, die grimme nationale Wintersnot, und hat den heimattreuen Dichter vertrieben aus der Stadt, die ihm zur zweiten Heimat geworden war und die ihm nun plötzlich, wie durch bösen Zauber gewandelt, fremd und irr gegenüberstand. Karl Bienenstein wurde am 1. November 1869 zu Wieselburg im Erlaftal in Niederösterreich geboren. Er besuchte das Lehrerseminar in St. Pölten, und, nachdem er als Lehrer in verschiedenen Orten Niederösterreichs gewirkt hatte, kam er am 29. August 1904 nach Marburg, wo er als Fachlehrer, beziehungsweise Bürgerschuldirektor bis 1. April 1919 eine reiche Tätigkeit entfaltete. Durch die jugoslawische Gewaltherrschaft vertrieben, übersiedelte Bienenstein am 29. August 1919 als Bürgerschuldirektor nach Bruck an der Mur, wo er, zum Schulrat ernannt, heute noch tätig ist. Eineinhalb Jahrzehnte hatte Bienenstein in Marburg in überaus fruchtbarer und segensreicher Weise gearbeitet, als er im tiefsten seelischen Leide die geliebte Stadt verließ. Doch wenden wir unsere Gedanken in jene schönen Zeiten des deutschen Marburg zurück. Das sonnige südsteirische Rebenland, die heitere Landschaft, die rauschenden Bachernwälder, das schöne Draustädtchen mit seiner liebenswürdigen Bevölkerung, in der Bienenstein manch treuen Freund fand, die frohe Geselligkeit, die allenthalben herrschte, hatten bald nach seinem Einzuge in Marburg des Dichters Herz gewonnen und regten ihn mächtig zu dichterischem Schaffen an, und in brünstiger Liebe umschlang er die neue Heimat, die ihm immer mehr ihre nicht jedem zugänglichen Landschaftsreize enthüllte. Immer tiefer empfand der Dichter das Schöne und Köstliche der Südsteiermark, immer inniger ward er verbunden mit diesem Stück heimattrauter Welt, und aus der Tiefe und Zärtlichkeit seiner Hingabe an die Natur erwuchsen ihm Eindrücke und Stimmungen, die in seinen Romandichtungen wunderbar nachklingen. Und indem er die Landschaft seiner niederösterreichischen Heimat ebenso wie die der Südsteiermark im Tiefsten und Geheimsten belauschte und erfaßte, entstanden Bilder in seiner Seele, die er in seinen Werken in hinreißender Schönheit uns wiedergibt. Immerdar wird der Südsteiermark und Marburg der Ruhm zufallen, einem der größten Romandichter der Gegenwart reiche Anregungen und frohe Schaffenslust gegeben zu haben, indem alle 1910 bis 1920 erschienenen Romane Biénensteins in Marburg geschrieben wurden. Wanderungen in den Bachernwäldern gaben die Anregung zu den prächtigen Schilderungen einsamen Waldlebens, wie wir sie in den Werken des Dichters finden. Die Tätigkeit Bienensteins als Wanderlehrer des Deutschen Schulvereines in Südsteiermark brachte den Plan zu dem herrlichen Wachauroman „Deutsches Sehnen und Kämpfen“ in der Seele des Dichters zur Reife. Und der Roman „Gährender Wein“ ist ganz aus dem Leben Südsteiermarks genommen: die Gegensätze zwischen Deutschen und Slowenen, die deutschen Parteikämpfe, wie sie sich in derZeit vor dem Kriege in Marburg und in der Südsteiermark abspielten, und der Krieg haben diesen Roman geschaffen, der ohne Marburg nicht zu denken wäre. So ist Bienensteins künstlerisches Schaffen innigst mit der Südsteiermark verwebt, und heute noch hängt der Dichter mit tausend nachhallenden Erinnerungen an Marburg und am Unterlande, und es geht sein Sehnen nach diesem himmelfreudigen Stück Welt wie nach einer verlorenen Liebe. Und wir können, ohne den Ruhm seiner niederösterreichischen Heimat zu schmälern, Bienenstein einen südsteirischen Dichter nennen. Treten wir nun ein in den Tempel deutscher Kunst, den der Dichter erbaut hat! Bienensteins Dichterkraft umfaßt das ganze Gebiet der Erzählung, von der lustigen Humoreske und dem einfachen Lebensbilde bis zur ernsten Novelle und zum vollendeten Kunstroman. Das Hauptgewicht seiner Leistung liegt im großen Kunstroman: hier hat Bienenstein Werke geschaffen, die ihn unter die größten und bedeutendsten deutschen Romandichter der Gegenwart stellen. Vielleicht ist es bezeichnend, daß Bienenstein ziierst als Lyriker an die Öffentlichkeit trat (schon 1893 erschien seine Gedichtsammlung „Aus tiefstem Herzen“). Wir meinen dies in dem Sinne, daß auch in den viel später erschienenen Romanen Bienensteins die Harfe des Lyrikers durchklihgt. Die große Schaffensperiode des Dichters, die Zeit, wo seine großen Romanschöpfungen entständen, beginnt erst im Jahre 1910. In rascher Folge erschienen in dem darauffolgenden Jahrzehnt bis heute: „Der Einzige auf der weitep Welt“ (zeichnet in tiefgründiger Weise die harten Lebenskämpfe eines einfachen Menschen, der sich schließlich zum Frieden einsamen Daseins durchringt, mit eingestreuten tiefdurch-seelten Naturschilderungen) 1911. „Deutsches Sehnen und Kämpfen“ (ein prächtiger Wachauroman von vollendeter Meisterschaft, im Mittelpunkte die Liebesgeschichte eines Priesters, mit herrlichen Land- und Menschenschilderungen) 1913. „Wo Menschen Frieden finden“ (mit reichbelebter Handlung und entzückenden Schilderungen aus der Bergwelt) 1913. „Im Schiffmeisterhause“ (ebenfalls ein Wachauroman wie „Deutsches Sehnen und Kämpfen“,' auf dem Hintergründe geschichtlicher Ereignisse des Sturmjahres 1848, mit prachtvoller Landschaftsmalerei und spannender Handlung) 1913. „Gährender Wein“ (der südsteirische Roman Bienensteins, voll kerniger Deutschheit, mit Schilderungen der Kämpfe zwischen Deutschen undi Slowenen und der deutschen Parteikämpfe). „Seelen, die heimgefunden“ (edel gestimmte Kriegsnovellen) 1918. „Der schwarze Stein“ ('em prachtvolles Meisterstück deutscher Erzählungskunst voll Kraft und Schönheit, aus einem Gusse) 1919. „Das Wunder der heiligen Cäcilia“ (ein Bild mittelalterlichen Lebens von glutvollster Darstellung und unnachahmlicher Farbenpracht) 1919. „Die Worte der Erlösung“ (ein Künstlerroman von erschütternder Kraft und Schönheit, eine herrliche Schöpfung, ein Höhepunkt im dichterischen Schaffen Bienensteins) 1921. „Die Eisenherren“ (ein edler, interessanter Unterhältungsroman) 1922. „Heimat“ (voll gesundem Erdgeruch und feiner Psychologie) 1923. „Das Lied der Höhen“ (ein interessantes Künstlererlebnis mit einzig dastehenden Schilderungen der Hochgebirgswelt) 1923. „Der Admiral der Donau“ (bildet sozusagen die Vorgeschichte des Romanes „Im Schiffsmeisterhause“) 1924. „Der wiedererstandene Acker“ (schildert meisterhaft in dramatischer Lebendigkeit den Kampf des zäh an Grund und Boden hängenden Bauern mit der eindringenden Industrie) 1925. Es würde über den Rahmen unseres Aufsatzes hinausführen, wenn wir auf eine genauere Besprechung der einzelnen Romane eingehen wollten, so verlockend dieses Thema auch wäre. Wir müssen uns begnügen, ganz im allgemeinen auf Grund einer nicht oberflächlichen Kenntnis des Dichters die wesentlichen und ihm im besonderen eigenen Züge hervorzuheben und so seine dichterische Art im allgemeinen zu charakterisieren. Bienenstein ist ein Meister in der Menschenschilderung und in der Lebensechtheit seiner Gestalten, deren Schicksale er mit unvergleichlicher Herzensi wärme entwickelt. Er ist ein Meister an feinsinniger Erfindungskraft, in der Aufstellung interessanter Lebensprobleme, in der Entwicklung eines gesunden Spannungsreizes, in der Steigerung starker Eindrücke bis zur tragischen Höhe, in der Glut, Kraft und Vornehmheit der Darstellung, in der reinen und edlen Sprache, die oft zu lyrischer Schönheit aufblüht. Es ist reifste Kunst, Kunst in der Schönheit und Vollendung des Meisters, gar wundersam erfüllt vom Hauche echtesten deutschen Geistes. Wie schon Viktor Wall in der Würdigung Bienensteins anläßlich seines 50. Geburtstages betont hat, hat Bienenstein die wunderbare Gabe, auch bei den heikelsten Themen eine kostbare Reinheit und Keuschheit zu bewahren. So behandelt der Dichter in dem großartigen Wachauroman „Deutsches Sehnen und Kämpfen“ die Liebesneigung eines Priesters; im „Schiffmeisterhause“ die sinnliche Leidenschaft eines Vaters zu seiner Tochter, die er im Eifersuchtswahne nicht für sein eigenes Blut hält; im „Schwarzen Stein“ die sittliche Verfehlung einer Bäuerin, deren Mann im Kriege steht: aber alles das ist so rein und keusch dargestellt, ist künstlerisch so edel entwickelt, daß man auch diese Romane unbesorgt der Jugend in die Hand geben kann, überzeugt, daß sie ihr nur nützen und niemals schaden können. Im „Wunder der heiligen Cäcilia“ wird ein ganz grauenhafter Stoff behandelt, aber in einem so glänzenden Stile, in einer so flammenprächtigen Darstellung, daß wir sogar diesen Stoff grausamster mittelalterlicher Ritterromantik als ein wundervolles Kunstwerk genießen können. Der deutsche Natursinn, die Liebe zur ganzen beseelten und unbeseelten Natur, ist bei Bienenstein ganz besonders ausgesprochen. In dieser Richtung kann man ihn einzig mit Stifter vergleichen, mit dem er auch die erquickende Reinheit der Seele und Keuschheit der Gesinnung gemein hat. Diese Reinheit und Keuschheit eines Schriftstellers mutet uns in der heutigen Zeit, wo im Schrifttum zum größten Teile eine ganz andere Richtung herrscht, tatsächlich wie eine Reminiszenz an Stifter an. Da findet sich keine brunstmäßige Schilderung erotischer Motive, kein erotisches Geigen und Harfen, kein liebestolles Flöten und Girren: Bienenstein zeichnet nur mit Meistergriffel eine große, unbezähmbare Leidenschaft, die trotz aller Natürlichkeit edle Züge trägt, weil sie eben Natur und keine verzerrte Verkommenheit ist, oder er zeichnet tiefes, stilles Lieben, getragen von der Achtung des Weibes und der Mutter, rein und gesund, fest und treu, echt und recht, deutsch zutiefst. Während in Stifters Werken die Handlung infolge der großartigen Natur- und Stimmungsschilderungen sich verliert und oft wie ein Bächlein in grünen Auen versickert, ist dies bei Bienenstein niemals der Fall: die Handlung bleibt stets trotz aller eingestreuten lyrischen Natur- und Stimmungsschilderungen ini vollen Gange, die Quelle wird zum Bächlein, das Bächlein zum Strome, der sich endlich voll und rauschend ins Meer ergießt. So ist Bienenstein über Stifter hinausgewachsen, er ist auch ein Meister der episch fortschreitenden Handlung und vereinigt den holden Natursinn und Stimmungszauber Stifters mit der großartigen Darstellungskraft des geborenen Erzählers. Bienensteins Menschen sind immer von Landschaft umgeben, in ein Stück Natur verwachsen; doch ist die Landschaft nicht nur Zier und Arabeske, so wunderbar sie auch oft geschildert wird, sie ist vielmehr aus der Seele und der Stimmung der handelnden und leidenden Menschen geschaut, sie ist infolge ihrer innigen Beziehung zum Seelenleben der Menschen sozusagen dramatisiert. Und wie mit Stifter, so geht es einem mit Bienenstein : einmal in den Bereich seines Genius eingedrungen, kann man ihn nicht mehr lassen, er geht mit einem durchs Leben wie ein guter Geist. Der Herzschlag der Bienensteinschen Romane ist ein frischer und gesunder Idealismus, ist ein hoffnungsvoller Lichtglaube, ist eine feinsinnige Lebensbejahung. Wohl dringt auch seine Kunst in die dunkelsten Tiefen des Erdenlebens, in die furchtbarsten Abgründe des Menschenherzens: aber aus allen Tiefen und Abgründen, aus allem Schmerz und aus allem Leid führt uns der Dichter immer wieder in die erhabene und feierliche Ruhe der Ideale, die wie Firne im Morgenrot stehen. Wohl erschüttert er oft unsere Seele, aber er erhebt uns wieder, indem er uns zeigt, daß hinter dem Alltag die Unendlichkeit steht und hinter dem Scheine der Dinge die ewige Wahrheit. So bieten uns Bienensteins Werke nicht bloß den augenblicklichen Genuß der Stunde, sondern aus ihnen strömt ein Dauerndes in unsere Seele ein, das wir durstig aufnehmen in der Wüste des Lebens: eine ideale Lebensanschauung. Das große, stille Leuchten der sonnigen Lebensmächte, die weltbezwingende Macht der Liebe ist es, die nicht nur im Buche, sondern auch im Leben zuletzt siegt: und da werden des Dichters Worte oft zur weichen und schwingenden Musik oder zum feierlichen Chorale, das Feste und Rauhe des Lebens löst sich auf in lyrische Milde und Schönheit, ein Süßes und Freudiges kommt über uns, als ob sich ein Himmelreich heruntersenkte auf diese arme Erde mit ihren irrenden und leidenden Menschen. Und wie sich uns die brennenden Augen feuchten, da hebt der Dichter des Lesers Herz in heiliger Andacht empor aus den Niederungen der Erde in die ewige Welt des Wahren, Guten und Schönen, der Dichter wird zum Priester im Tempel der Ideale, zum Hüter des heiligen Grales des deutschen Volkes, mit dem er gesegnet uns segnet. Sein Frühlingsherz glaubt an den Sieg der Wahrheit, der Liebe und Schönheit und hat die Kraft, diesen Lichtglauben seiner Gemeinde mitzuteilen, und der Dichter erreicht sein höchstes Ziel, indem er durch die dichterisch geschaute Einzeldarstellung ewig bedeutsamer Menschenschicksale zugleich zum Erwecker und Künder der höchsten Seelengüter wird. So ist Bienenstein ein Vertreter jener Kunst, die, wie er in den „Worten der Erlösung“ von den „Meistersingern“ so wunderschön sagt, „nicht prunkt und die Seele zu Taumeltänzen hinreißt, sondern sie gut und edel macht, der Jugend den Rosenkranz der Liebe und Begeisterung auf die klaren Stirnen drückt und dem Alter in abendgoldenem Becher den Wein lächelnden Entsagens darbietet“. Darum genießen wir die Schöpfungen Bienensteins wie einen köstlichen und erquickenden Jungborn, der uns den Staub deš Alltags von der Seele wäscht und uns reicher, reiner und besser macht; wir genießen sie wie einen hellen, feierlichen Sonntag, der uns, nachdem wir uns in Beruf und Arbeit verloren haben, wieder zur Selbstbesinnung bringt und unser bestes und ewiges Teil emporhebt aus den Niederungen und Dünsten des Lebens. Wer die stillgeklärte Schönheit und feine Stimmungs- und Landschaftsmusik der Bienensteinschen Romane kennt, wird leicht vermuten, daß hinter dem Erzähler ein Lyriker stecken müsse. Tatsächlich istBienenstein auch ein gottbegnadeter lyrischer Dichter, und unter den Gedichten namentlich seiner reifen Mannesjahre finden sich wahre Perlen deutscher Lyrik. Außer den Jugendgedichten „Aus tiefstem Herzen“ erschien die Gedichtsammlung „Aus Traum und Sehnsucht“, und außerdem hat Bienenstein. in allen namhaften deutschen Zeitungen und Zeitschriften Gedichte veröffentlicht, von denen viele ins Französische, Englische, Holländische und Dänische übersetzt wurden. Wir möchten die Leser nur auf die in den seinerzeit erschienenen fcDeutschen-Schulvereins-Kalendern“ veröffentlichten Gedichte Bienensteins aufmerksam machen, vor allen auf das im Jahrgang 1910 abgedruckte Gedicht „Die Mutter“, das an Schönheit der Poesie, an Erhabenheit und Schwung der Sprache, an mystischer Tiefe des Inhaltes und der Empfindung, mit seinen prachtvollen flutenden Schlußstrophen einzig dasteht im Garten deutscher Lyrik, wie groß und reich er auch sein mag. ^ Eine Sammlung von Bienensteins Lyrik ist leider noch ausständig, wird aber nicht versäumt werden dürfen, um sie vor einer ganz unverdienten Vergessenheit und die deutsche Literatur vor einem schweren Verluste zu bewahren. Auch als Dramatiker hat sich Bienenstein mit den Volksstücken „Die Heimatscholle“ und „Ein Gerechter“ mit Erfolg versucht, und seine „Kindermärchen“ und „Jugendgeschichten“ sowie seine zahlreichen Erzählungen und Humoresken können hier nur genannt werden. Daneben ist Bienenstein ein feinsinniger Kritiker, ein Meister des Feuilletons und Essays und zeigt eine so reiche und vielseitige schriftstellerische Tätigkeit, daß sie uns bei der gleichzeitig geleisteten gewissenhaften Berufsarbeit fast unfaßbar erscheint. Was das Wirken Bienensteins als Lehrer und Direktor in Marburg anbetrifft, so wird dasselbe unvergeßlich bleiben. Bienenstein hatte ein her-f vorragendes Lehrgeschick, und sein reiches Wissen war gepaart mit einem gediegenen, spannenden und fließenden Vortrag, und seine Schüler und Schülerinnen liebten und verehrten ihn bis zur Begeisterung. Zahlreiche Aufsätze in verschiedenen schulwissenschaftlichen Zeitungen gaben beredte Kunde von Bienensteins hervorragender pädagogischer Tüchtigkeit. Er war ein liebenswürdiger Kollege, ein großzügig denkender Vorgesetzter ohne schulmeister- liehe Pedanterie, der jeden seiner Untergebenen tunlichst frei arbeiten ließ und dabei stets bereit war, fremde Vorzüge und Verdienste anzuerkennen. Dazu kam ein sonniger Humor, der trotz mancher Sorgen und Lebensnöte immer wieder dem Leben eine heitere Seite abgewinnen konnte. Bienensteins Dichterheim in Marburg (Kasinogasse) barg herrliche Schätze in der großen Bücherei (mit den zahlreichen handschriftlichen Autorenwidmungen) und in den Werken der darstellenden Kunst und Malerei. War doch Bienenstein, der bekanntlich in seiner Jugend Maler werden wollte, ein bedeutender Kunstkenner von treffendem Urteile. — In welch geringschätziger Weise dieser hervorragende Schulmann gleich den übrigen deutschen Lehrern von den Südslawen seines Dienstes entsetzt wurde, mit welchem Undanke diese pflichttreuen Männer entlassen wurden, ist leider nur zu bezeichnend für den Geist, der in Marburg nach dem Umstürze eingezogen war. Bienenstein als Mensch ist ein überaus liebenswürdiger, vornehmst denkender Charakter von höchstem und lauterstem Gesinnungsadel, ein treuer Freund seiner Freunde, von jenem tiefen und zarten Empfinden, von jenem liebevollen Verstehen, das die Freundschaft mit ihm zu einem beglückenden Bunde macht, ein feinsinniger Gesellschafter und launiger Erzähler im Freundeskreise, ein trefflicher Sprecher und Redner in Versammlungen, ein liebevollster Gatte und Vater, ein aufrechter, unbeugsamer Deutscher. Bienenstein der Dichter und Bienenstein der Mensch sind ein harmonisches Ganzes, die Blüte höchster und edelster Geisteskultur und Künstlerschaft. Kein Komet am literarischen Himmel der Gegenwart, aber ein stiller, hellleuchtender Stern, der noch unseren Kindern und Enkeln strahlen wird, ein Dichter ohne Modeberühmtheit, aber mit einer kleinen und treuen Gemeinde, die sich immer mehr erweitert in allen deutschen Landen, einer von jenen echten Dichtern, deren große Zeit leider oft erst anbricht, wenn sie nicht mehr unter den Lebenden weilen ISf das ist Bienenstein. Noch aber steht der Dichter, wie gerade seine letzten Werke zeigen, in der Blüte seiner Schaffenskraft und künstlerischen Reife, und wir können mit Sicherheit hoffen, daß er aus dem Wunderborne seiner Künstlerschaft uns noch manche Gabe bescheren wird. Und so hat Bienenstein selbst in goldenen Lettern seinen Namen in das Ehrenbuch der Südsteiermark, der er so viel und die ihm so viel verdankt, eingetragen, seinen Namen als Dichter, als Lehrer, als Mensch. Wenn wir jedoch versuchten, in diesen Zeilen das Bild des Dichters zu zeichnen, sein Wesen und Schaffen .anzudeuten und in diesem Buche sein Andenken für immerwährende Zeiten dankerfüllt niederzulegen, so wird dies nur ein schwacher Versuch bleiben, den Schöpfungen des Dichters gerecht zu werden und ihm den wohlverdienten Lorbeer um die Stirn zu winden. Das Wesentliche bleibt die Eigenwirkung des Dichters auf die Mit- und Nachwelt, und da können wir füglich behaupten, daß die Dichtungen Bienensteins in ihrer klaren Vollendung, mit ihrem edlen Gehalte und mit ihrem wunderbaren Stimmungszauber immerdar jung und lebendig bleiben werden. Und von Bienenstein wird gelten das Wort: Wer so in deutsche Saiten Und Herzen griff wie du, Gehört für ew’ge Zeiten Dem deutschen Volke zu. (Gerok an Uhland.) Warm erhellt, feierlich, schwingend und tönend wie ein gesegneter und gütiger Sonntag über den südsteirischen Gefilden, so weht es uns oft aus Bienensteins Romanen entgegen, und der liebe, blaue südsteirische Himmel, der wie eine Mutter wacht über all das Sommerglück traubenschwerer Weingärten, grünender und reifender Saaten, schwirrender Wiesen und höhenverklärter Wälder und Kirchlein, er wölbt sich oft über die innige Landschaftsmusik Bienensteins, und da fühlen wir es freudig in den gnadenvollen Stunden, wo wir seine Bücher in Händen halten: Bienenstein ist unser, unser im besonderen, wenn er auch dem ganzen großen deutschen Volke angehört. Dr. Franz Karl Nepel MARBURG IN AT TER ZEIT Bielen, die dieses Buch zur Hand nehmen, war das Unterland die Heimat oder doch eine zweite Heimat gewesen, andere kannten es aus den Schilderungen eines Dichters und wieder andere vernahmen von ihm erst, als es verlorenging. Als uns Marburg .verlorenging. Mancher horchte da wohl auf, der sonst vom Unterland nichts wußte, als daß dort „Windische“ wohnten und ein guter Wein wuchs. Heute schüttelt er betrübt den Kopf über den sogenannten Riesling, der teures Geld kostet, und wünscht die gute alte Zeit herbei. Von der „guten alten Zeit“ Marburgs will ich berichten, von sehr fernen Tagen. Das eine und andere Bild soll zeigen, wie es damals war, als der berühmte Matthäus Vischer sein Schlösserbuch zeichnete, so um 1680, als der Adel Geld und Sinn für Prunkbauten besaß, als der Barockstil auf seiner Höhe stand und unser Land, unsere Stadt schmücken half. Der Name Marburg erzählt vom Anfang der Stadtgeschichte, von der Hauptburg der Mark hinter dem Drauwald, die oben auf dem „Burgberg“ stand. Im 19. Jahrhundert hieß er der Pyramidenberg, nachdem die letzte Spur der Feste verschwunden war. Sie und der ganze Bezirk bis gegen Wurmberg und Radkersburg gehörte dem Grafen Bernhard von Spanheim-Marburg; in seinem Namen reichen sich das Rheinland und die Steiermark die Hand. Der . Graf verlieh die Burg einem ritterlichen, aber unfreien Geschlechte als Lehen. Als er im zweiten Kreuzzuge in Kleinasien gegen die Türken fiel, erbte sein Neffe, Markgraf Otakar III. von Steyr, sowohl die Markburg und das ritterliche Geschlecht als auch den ganzen Bezirk zu beiden Seiten der Drau. So ist er steirisch geworden: das geschah im Jahre 1147. Otakars gleichnamiger Sohn, der Letzte seines Stammes, erbaute wahrscheinlich die St.-Thomas-Johannes-Kirche und begann den Markt zu errichten. Seine Erben, die Babenberger, setzten das Werk fort. Die neue Siedlung zwischen dem Burgberg und der Drau erhob, sich wohl auf „grünem Wasen“, wir wissen wenigstens von keinem Dorfe, das hier vorher gewesen wäre. Gegen Gams zu, wo die älteste Pfarrkirche links von der Drau war, gab es schon in vorrömischer Zeit Weiler; ihr Friedhof Hügelgräber —• war noch im Mittelalter sichtbar und hieß das Leberfeld (hleo, im Althochdeutschen = Hügel) ; es lag zwischen der Kärntner- und Urbanistraße. Der Markt entstand etwa zwischen 1180 und 1209. Der große Hauptplatz und die regelmäßigen Straßenzüge sprechen für die planmäßige, gewollte Anlage, nicht für die Erhebung eines Dorfes zum Markte, wie das 1222 mit St. Lorenzen geschah. Der Marktherr erreichte beim Erzbischof von Salzburg, daß die Marktkirche Pfarrechte bekam, ja mehr noch: daß sie die Hauptkirche wurde und Gams zu ihrer Tochter- oder Yikariatskirche herabgemindert wurde; auch Zellnitz und St. Peter wurden Marburg unterstellt. So war für den Handel ein Mittelpunkt geschaffen. Hier kreuzte sich die Straße, die schon zur Römerzeit von Leibnitz über den Platsch zur Drau zog, mit einer zweiten, die den Fluß begleitete; dieser selbst wurde sehr viel befahren. Marburgs Bedeutung bestand nun darin, daß hier eine Brücke die Drau übersetzte; die nächsten waren in Pettau und in Unterdrauburg, sonst gab es nur Fähren. Zur Zeit der Kirchweih, meist 14 Tage vorher und 14 Tage nachher, strömte alles zusammen, was kaufen und verkaufen wollte, aus der nächsten Umgebung und von weither: der Bacherer Gebirgsbauer mit seinen Holzwaren, der Bauer aus der Ebene mit Honig und Fleisch, der Ausseer Säumer mit Salz, der Leobner Eisenhändler mit Sicheln, Sensen und Messern, der Wiener Gewandschneider mit böhmischen und billigen polnischen Tuchen, die einheimischen Kaufleute boten ihre Weine im großen an, mancher, der mit welschen Waren handelte, hatte schöne Seidentüchlein, feines Glas, Südfrüchte und Gewürze aus Venedig zu verkaufen. Die Wirte verdienten und zogen doch ein schiefes Gesicht, wenn sie einen Säumer bemerkten, der . süßen Wein in Fäßchen feilhatte, Malvasier und Muskat. Jeder mußte Maut- und Brückengeld zahlen und der Herzog hatte eine schöne Einnahme. Dafür schützte er den Ort und verlieh ihm Freiheiten und besondere Rechte. Das war die eine. Bedeutung Marburgs. Die zweite bestand darin, daß der Marktflecken ummauert wurde und nun Stadt hieß. Das geschah um 1250. Das Stadtsiegel, das an einer Urkunde vom Jahre 1295 noch heute hängt, zeigt die Wehrhaftigkeit. Wie groß oder besser: wie klein — die Stadt damals war, das läßt sich heute nicht mehr feststellen; vielleicht bildete die Domkirche die Nordwestecke. Um 1250 kamen die Minoriten und erbauten sich nahe der Drau ein Kloster und die Kirche zu Unserer Lieben Frau. Noch im 19. Jahrhundert erhielt sich die Sage, die Kirche sei zuerst weit draußen im Freien gestanden. Vielleicht traf das zu; denn die Städte wuchsen ja und erhielten dann einen neuen Mauerpanzer. Aber es ging auch umgekehrt: manche Städte wuchsen erst in das Mauerviereck hinein; es umschloß anfangs nicht nur Häuser und Gärten, sondern auch Felder und Wiesen, ja selbst einen Park. So Wiener-Neustadt, das um 1194 vom Babenberger Leopold V. geschaffen wurde, demnach ungefähr zur selben Zeit, da Marburg Markt wurde. Beide besaßen — neben sehr vielen und starken Unterschieden — auch viele Ähnlichkeiten, von denen nach und nach die Rede sein wird. Zwischen 1305 und 1315 wurde in Marburg viel gebaut. Damals übernahm es das Kärntner Stift Viktring, welches in der Umgebung viel Besitz und in der Stadt einen Hof hatte, gegenüber der St.-Ulrichs-Kirche einen vier Stock hohen Turm zu erbauen, und versprach auch, bei der Herstellung des Stadtgrabens und der Ringmauer seinen Beitrag zu leisten. St. Ulrich und Ulrichsdorf lag östlich vom Sophienplatz außerhalb der Stadt; diese besaß also bereits damals die Nordostecke, die bis zum Falle der Mauern im 19. Jahrhundert bestand. Hier erhob sich das St.-Ulrichs-Burgtor, später Grazertor genannt, weil die Grazerstraße hinausführte; hier stand der Turm im Eck, wohl der Neu- oder Umbau der Viktringer. Der Name Ulrichs-Burgtor (1356) weist darauf hin, daß hier die herzogliche Burg stand, ebenso die Burggasse (1379). Aber es gab noch eine zweite herzogliche Burg: zunächst der Frauenkirche der Minoriten (beim Frauen b u r g tor [1428], auch Kärntnertor genannt [1338], weil die Kärntnerstraße hinausging). Diese Burg stand 1478 und verfiel dann bald, die Trümmer sah man noch hundert Jahre später. Sie diente natürlich zum Schutze des Tores, während die Südwestecke der Stadt von der Kirche und dem Kloster geschützt war ; so war es 1409. Die kleine Ansiedlung am Leber, die später zur Kärntnervorstadt würde, wie Ulrichsdorf zur Grazer Vorstadt, besaß einen „Tabor“, ein kleines Mauerwerk auf einem breiten Grabhügel, die erste Sicherung in Feindesnot und ein Vorwerk für das Frauentor. Längs der Drau gab es ursprünglich keine Mauer, aber die Brücke war gewiß hüben und drüben gesichert. Am „Rain“ stand ein befestigter Sitz, ein „Gesäß“, für einige bescheidene reisige Knechte. Später wurde das Drautor erbaut und noch jünger war wohl das Uendtor. Die Lederergasse wurde als Vorstadt gerechnet. Die Stadt war demnach ein Viereck, fast ein Quadrat, und die Mauer durch die Schmiderer-, Schiller- und. Badgasse angedeutet; die Fläche betrug etwa 2"5 ha. Die zwei Tore, geschützt durch je eine Burg, standen nahe der Südwest- und der Nordostecke. Und nun vergleichen wir Wiener-Neustadt: diese Babenbergerstadt umfaßte 2'5 ha und besaß in der Nordwest- und in der Südostecke je eine herzogliche Burg; auch befand sich außerhalb — so wie bei Marburg -- ein Vorwerk. Also eine starke Ähnlichkeit, die wohl für die Planmäßigkeit der Anlage Marburgs spricht. An der Befestigung wurde häufig gearbeitet, sie wurde schnell baufällig, die Stadtgräben, die vom St.-Barbara-Bach im Westen (Schmiderergasse) und vom Dreiteichebach im Osten (Badgasse) bewässert wurden, füllten sich rasch mit Schlamm und Unrat und mußten geräumt werden. Aber das 14. Jaluv hundert war zumeist friedlich. Wohl gab es gelegentlich größere Fehden, mancher Ritter kühlte sein Mütchen an den Bürgern und sagte ihnen gelegentlich den Krieg an. Das gehörte schon zum guten Ton und Zeitgeist und schadete weiter nicht sehr viel. Seit 1437 wurde es anders;; ernster. Die Ungarn bekriegten die Grafen von Cilli und belagerten — allerdings erfolglos — WindiSch-Feistritz. Das ging natürlich nicht ohne die üblichen Verheerungen und Greueltaten ab. Noch schlimmer ward es seit 1469. — Die Anhänger des großen Adelsbundes unter der Führung des Andreas Baumkircher überrumpelten — man sagte damals sehr bildmäßig: erstiegen — Marburg und nahmen es; freilich nur für kurze Zeit. Aber sie gereichte der Stadt gewiß nicht zum Vorteile. 1471—1494 waren dann die Türken der Schrecken von Stadt und Land, wiederholt verheerten sie das Draufeld zwischen Pettau und Lembach. An die Städte wagten sie sich niemals, . weil sie keine Belagerungsgeräte und Kanonen mit hatten. Aber man konnte nie wissen, ob sie nicht doch eines schönen Tages mit solchen und mit einem größeren Heere kommen würden. Daher wurde gerüstet. Schon 1465 ließ der Judenrichter Seidenschwanz die beiden Tore und den Brückenkopf (Tabor) am rechten Drauufer verstärken und der Stadtrichter Mitterhueber die Türme und das Bollwerk beim Ulrichstor umbauen und vor den Mauern eine Plankenwehre errichten; auch der Richter Iglshofer rüstete (1474). Noch wichtiger wurde, daß Kaiser Friedrich seine Burg beim St.-Ulrichs-Tore 1478 erneuerte und vergrößerte. Mehrere Häuslein und Gärten wurden dazu i verwendet. Es war wohl ein einfacher, nüchterner Bau, wie alles, was der Kaiser schuf, Und doch ist es schade, daß wir kein Bild von ihm haben. Vor den Türken brauchte man damals keine Sorge zu haben. Aber ein anderer, größerer Feind kam mit Mann und Geschütz: der Ungar. König Matthias eröffnete 1479 gegen den Kaiser den Krieg, weil er dessen Hauptländer leicht erobern zu können vermeinte. ; Gleich anfangs nahm er Pettau und Leibnitz, darauf Rädkersburg und ließ 1481 Marburg belagern. Doch es wurde von einem kaiserlichen Entsatzheere befreit. Diese schwere Zeit dauerte bis 1494. In den verflossenen 25 Jahren hatte Steiermark alle Greuel des Dreißigjährigen Krieges erlebt und war verarmt. Die Städte verödeten, weil dem Handel die Straßen versperrt waren, das Gewerbe ging zurück, weil niemand kaufen konnte. Daher standen auch viele Häuser leer und verfielen. Und noch ein schlimmer Feind war häufig zu Gaste: das Feuer. So kurz Vor 1368, denn Herzog Rudolf erlaubte damals, daß die Bürger Brandstätten, die Jahr und Tag öde lagen, aufbaüen und bewohnen durften, ohne den früheren Besitzer zu fragen. Zu Ostern 1438 (13. April) brach um 9 Uhr abends ein großer Brand aus, durch den über zwanzig Christen und Juden umkamen. Dann wieder am 27. April 1450, zur gleichen Stunde; die ganze Stadt wurde ein Raub der Flammen, nur das Kloster, der Seizerhof und daš Haus der Ritter von Rogendorf blieben verschont. Am 12. November 1468 erlaubte Kaiser Friedrich der Stadt, die durch Feuersbrunst und andere Ursachen zurückging, Lembacher, Pickerer und Frauheimer Wein in der Stadt zu verkaufen und vom Zapfen zu schenken, was bisher nicht erlaubt war. Das macht die großen Bauten, die nachher erfolgten, verständlich. Schließlich, am 6. November 1513, wurde wieder ein Teil der Stadt vernichtet, darunter das Rathaus mit allèn Urkunden. Kein Wunder, wenn die Marburger den bösen Ruf hatten, recht unvorsichtig und saumselig zu sein. Nun verstehen wir auch die sonst unerklärliche Tatsache, daß über die ältere Geschichte Marburgs so außerordentlich wenig bekannt ist, namentlich über seine-.Einrichtungen und sein inneres Leben. Der Stadtschreiber vermochte 1514 aus der Erinnerung den Inhalt der wichtigsten Urkunden nur oberflächlich anzugeben und der Kaiser bestätigte darauf der Stadt ihr gutes, Marburg um 1700 altes Herkommen; etwas anderes zu tun, etwa die verbrannten Urkunden zu erneuern, das war niemand imstande; sie sind für immer verloren. Und doch wüßten wir gar zu gerne wortwörtlich den Inhalt des lateinischen Freiheitsbriefes, bei 300 Jahre alt, ausgegangen von einem Fürsten zu Österreich, daß kein Ausländer — das heißt natürlich: Nicht-Marburger Wein aus den Büheln und enhalb der Pößnitz inner die Ringmauer führen und einlegen dürfe, altem Herkommen nach. — Stand das wirklich so drinnen und stammte die Urkunde tatsächlich aus der Babenbergerzeit, dann hätten wir schon für sie die Mauer bezeugt. Aber ich glaube nicht recht daran. Auch einen anderen lateinischen Brief, bei 300 Jahre alt, vermissen wir sehr: Gemeinde und Rat wählen und setzen jährlich zu St.-Petri-Stuhlfeier (22. Februar) aus dem Mittel der zwölf Ratsfreunde einen Richter, wie von alters hergekommen. Das war demnach die grundlegende Verfassungsurkunde Marburgs. Dieses gehörte zu den landesfürstlichen Städten, das heißt: Stadtherr war der Herzog der Steiermark, nicht etwa der Besitzer von Ober-Marburg. Was uns sonst der Stadtschreiber von den „alten Briefen“ berichtet, das dreht sich fast alles um den Wein. Der Weinhandel stand anno dazumal genau so im Vordergrund.wie vor dem Kriege und wie noch heute; nur daß jetzt die Zeiten für ihn schlechter geworden Sind. Die Bürger suchten den Weinkauf und Weinverkauf in ihre Hand zu bekommen, eine Art Monopolstellung wenigstens für gewisse Zeiten und Bezirke zu erlangen. Die Herzoge unterstützten sie darin sehr gerne, soweit es gegen Pettau ging, weil dieses dem Erzbischof von Salzburg, nicht ihnen gehörte. Da war zum Beispiel das Niederlagsrecht. Wenn die Sanntaler und Krainer Kaufleute mit ihren Waren kamen, durften sie nicht etwa geradewegs von Windisch-Feistritz nach Pettau fahren, sondern sie mußten ihre Waren erst nach Marburg bringen, dort zum Verkaufe auslegen, „in die Niederlage geben“, und dann konnten sie nach Pettau. Das war ihnen aber „fast beschwerlich“. Kaiser Friedrich III. wollte den einen und den anderen recht tun und tat daher den dritten: den Windisch-Feistritzern, unrecht; er verlieh ihre Maut den Marburgern, und jetzt durften die fremden Kaufleute von Windisch-Feistritz geradeaus nach Pettau. Das blieb bis 1488. Ferner gehörte zum Niederlagsrechte, daß vier Meilen Wegs rings um die Stadt kein Markt abgehalten werden durfte, weder zu Leutschach, noch zu Wildhaus und Tresternitz. Hier durften auch keine Laden, Faßböden und Weingartstècken verkauft werden, die von Kärnten her auf Flößen drau-abwärts schwammen. Sie mußten auf der Marburger Lende vermautet werden, dann konnten sie die Wildhauser kaufen. Noch schöner war der Straßenzwang. Der Herzog erlaubte den Marburgern, alle Straßen mit ihren Weinen zu befahren. Aber den anderen war der Weg vorgeschrieben. Wenn zum Beispiel Kärntner ihren Wein in Radkersburg einkauften, durften sie seit 1390 nicht die Straße über Ehrenhausen, Arnfels, Radel und Hohenmauten nehmen, sondern mußten nach Marburg, hier ihre Fässer abladen und vermauten. Das gab wenigstens zwei Tage Rast und die Marburger verdienten dabei. Den Pickerer, Lembacher und Pettauer Weinen war die Drauwaldstraße verboten, sie mußten durch Windisch-Feistritz. Das war so Handelspolitik in der guten alten Zeit, über die wir heute den Kopf schütteln. Vielleicht wird man nach fünfhundert Jahren unsere heutige auch so beurteilen. Sicher war das eine, und darauf kam es dem Landesfürsten an, daß Marburg verdiente und steuerkräftig war. Deswegen auch eine Reihe Verfügungen, die das bewirken sollten: wenn zum Beispiel der Städteförderer Rudolf IV. der Stifter 1363 anordnete — wie schon erwähnt daß jeder eine Brandstätte oder einen Boden, der seit Jahr und Tag unbebaut lag, in Besitz nehmen und ein Haus darauf erbauen dürfe. Das wäre auch heute empfehlenswert, der Wohnungsmangel wäre bald behoben. Man sieht: das finstere Mittelalter hatte auch helle Gedanken. Ferner sollten alle Hausbesitzer, geistlich und weltlich, mitsteuern, «nur jene ausgenommen, die seit alters her befreit waren. Daher der Name Freihof oder Freihaus. Der gute Wein war Ursache, daß viele Klöster Weingärten kauften oder sich schenken ließen und dann auch auf gleichem Wege ein Haus in der Stadt erwarben. So die steirischen Stifte Admont — dem übrigens auch der Ratzerhof bei Gams gehörte —, Mahrenberg, Reun, Seitz, die Kärntner Klöster Viktring und St. Paul, der Deutsche Ritterorden, ja selbst der Erzbischof von Salzburg. Auch Adelige kauften und bauten sich Sitze in der Stadt oder erhielten sie vom Herzog als Lehen (zum Beispiel die Herren von Pettau), denn wer in der Umgebung bäuerliche Untertanen hatte, suchte einen Mittelpunkt zu erlangen, wo deren Zinse gesammelt wurden. Der größte Grundherr war der Herzog, dem im Jahre 1265 bei 500 Bauern ihre Abgaben in die Stadt brachten und über 400 Weingartpächter das schuldige „Bergrecht“ in den Keller führten. Das mag ein Leben gewesen sein, wenn Wagen auf Wagen kam! Im Kasten und Keller türmten sich Getreide und Wein, Schweineschultern, Lämmerbäuche, Honig, Eier und Flachsbündel auf und dazu noch die vielen Hühner! Was der Bauer über seinen Eigenbedarf und seine Zins- und Zehentschuldigkeit gewann, das brachte er auf den Wochen- und Jahrmarkt. Dieser waren zwei: am Sonntag vor Mariä Lichtmeß, acht Tage vor- und nachher, und zu St. Ulrich, vierzehn Tage vor- und nachher, jedesmal mit doppelter Mautgebühr und doppeltem Brückengelde. Wo es viel Handel gab, lebten viele Juden; das ist heute so und es war in den steirischen Städten vor 1496 nicht anders. Sie waren als Geldgeber ebenso unentbehrlich wie verhaßt, denn der hohe Zinsfuß — im fünfzehnten Jahrhundert zwar nur mehr 40 bis 60 Prozent — vernichtete zumeist den Schuldner. Dessen Pfänder füllten ihre Häuser und machten dem Krämer und Handwerker das Verdienen sauer, weil die Pfänder, billig erworben, auch billiger verkauft wurden. Den gleichen Weg gingen Weingärten und Stadthäuser. Dem Weinhändler war der Großhandel der Juden eine unangenehme Konkurrenz. Daher von allen Seiten Klagen gegen sie beim Landtage erhoben wurden., Das Marburger jüdische Stadtviertel war in der Südostecke der Stadt. Hier stand ihre Synagoge und ihr Badehaus, dessen Becken erst im 18. Jahrhundert beseitigt wurde, hier war ihr Friedhof. Als König Maximilian 1496 die Juden auswies, besaßen sie urkundlich nachweisbar acht Häuser : Süßkind, Türl, Haym, Händl, Schalas (und Lebl), Isaak, Jona und Maul; es mögen ihrer wohl noch viel mehr gewesen sein. Einige kaufte der Stadtrichter Bernhard Drucker und ließ an Stelle der Synagoge die Allerheiligenkirche errichten; nach ihr änderte fortan die alte Judengasse den Namen. Manche Juden wanderten nach dem Süden und der Name Morpurgo erinnert noch an die Heimat der Vorfahren. Den Juden waren auch die Herren auf Ober-Marburg tief verschuldet gewesen. Sang- und klanglos erlosch deren Geschlecht 1378 und die Herzoge Albrecht und Leopold übergaben die Herrschaft, die ja von ihnen zu Lehen ging, dem Krainer Wilhelm von. Schärfenberg, der, wegen fortwährender Fehden in Ungnade gefallen, ihnen dafür seinen Erbbesitz abtreten mußte. Aber schon 1386 verpfändete er Ober-Marburg an Haug von Duino, den mächtigsten Adeligen auf dem Triestiner Karste. Dieser hatte die Erbtochter von Wildhaus geheiratet und rundete jetzt seinen Besitz ab. Aber es kam anders die Herren von Duino starben : bereits 1399 aus, ihre Erben waren die Walseer, die bedeutendste Familie Österreichs, die nun auch zur reichsten wurde. An der Feste war während der Zeit wohl wenig ausgebessert worden, sie mußte 1434 gründlich wiederhergestellt werden; vielleicht wurde sie um- und ausgebaut. Die Herren von Walsee waren zwar burgenreich und hatten für Marburg wenig Zeit über; aber der Marburger Wein zog wohl in ihre oberösterreichischen Schlösser, daher die Herrschaft für sie Wert hatte. Auch die Walseer sanken bald von ihrer Höhe herab und mußten Schulden machen, die nicht bezahlt wurden und ein Gut nach dem andern kosteten. Friedrich und Ulrich von Graben zu Graz waren Gläubiger und ließen sich ihr Geld auf Ober-Marburg sicherstellen. Sie erlangten es auch kurz vor 1465 im Wege des Gerichtes und ihre Nachkommen besaßen es fast hundert Jahre. Der Letzte der Familie, Andrà, starb am 14. April 1556 und ist in der Marburger Stadtpfarrkirche begraben. Die Burg um 1683 (vom Burgplatz aus) Die mittelalterlichen Bewohner der Stadt waren zumeist Deutsche, die Bürger fast alle. Das zeigen ihre Namen. Selten finden sich nichtdeutsche, slowenische oder italienische, wie etwa Paul Mesk, Walpotitsch oder Lube der Zwietnik, der 1312 sogar Stadtrichter war, Jakob von Yenzone, Johann von Cirol und noch einige wenige. Ihnen gegenüber stehen Hunderte von echt bayrischen Namen, die wohl niemand aus anderer Wurzel deuten kann: Rosendorn, Perwein, Puntschuech, Schlaginochs, Pierbaumb. Daß die Stadt deutsch verwaltet wurde, war ja selbstverständlich; ebenso deutsch war ihr Charakter, wenn auch auf den Wochen- und Jahrmärkten die Sprache des Landvolkes vorübergehend überwog. Das mittelalterliche Marburg war wohl klein, aber nicht viel kleiner als die Stadt, die uns auf den Bildern von 1680 und 1700 entgegenschaut. Nur die Vorstädte wuchsen. Man erkennt das auch aus der Häuser- und Bevöl- kerungszahl: Sie betrug in den Jahren 1451—1504 rund 185 Häuser (mit 220 Wohnparteien) in der Stadt selbst und 55 in den drèi Vorstädten (ohne Magdalena), während man die Einwohner auf 1030 und 225 veranschlagen darf, insgesamt auf ründ 1200 bis 1400. Im Jahre 1783 war die Häuserzahl 226, also nur um 41 mehr als 300 Jahre vorher und die Einwohnerzahl 2117 Seelen, um ein gutes Drittel mehr als am Ausgang des Mittelalters. Dabei war damals eine Zeit des Niederganges/während seit 1740 die Städtb aufblühten. Das mittelalterliche Marburg war 1513 verbrannt. Die wiedererstandene Stadt mußte bald ihre Wehrkraft bezeugen. Die Mauern und Türme wurden wohl durch die Robot der Bauern hergestellt. Das war ja auch 1446 so gewesen ; damals mußten alle im Umkreise von zwei Meilen Seßhaften drei Tage an Die Burg m de*' •S'tatt mahrb'w’& Die Burg um 1683 (vom Sophienplatz aus; St-Ulrichs-Tor) der Befestigung arbeiten. Nun war seitdem die Türkengefahr ganz anders gewachsen. Und sie rückte nach der Schlacht von Mohacs immer näher. Die Belagerung Wiens 1529 ließ in die Zukunft blicken. Daher wurden in den folgenden Jahren, namentlich 1532, als der Sultan wieder gegen Wien zog, Marburgs Verteidigungsmittel neuerdings verstärkt. Und wirklich: die Feuerprobe kam. Die Mauer Und die Bürger hielten sie aus. Es gelang dem gewaltigen Reichsheere der Türken, das unter den Augen des Sultans kämpfte, trotz aller Aufopferung nicht, die Stadt zu nehmen. Es mußte oberhalb der Stadt eine Brücke bauen, um das jenseitige Ufer und damit den Heiinweg-zu gewinnen. Denn das christliche Heer marschierte schon durch die Steiermark. Der Name des Stadtrichters Wildenrainer bleibt unvergessen, dafür sorgte schon der Dichter. Marburg hatte schweren Schaden erlitten; eine lange Belagerung und Beschießung hätten die Mauern nicht ausgehalten.' Der Türke konnte aber wiederkommen. Daher mußte ein Umbau nach dem neuesten italienischen Festungssystem erfolgen. Italienische Baumeister arbeiteten auch lange Jahre daran, aber es wurde doch nichts Besonderes daraus; die Basteien waren recht kümmerlich und im wesentlichen blieb das alte Marburg, wie es gewesen war. Ein Verzeichnis von 1592 (Stadtrichter Kröpfl) zählt die Geschütze auf, die im Rathaus, im Turm beim Trenktore neben der Drau, im Turm beim Minoriten-kloster, im Georgs- und Reckturm und im Turm beim Vizedombrunnen aufbewahrt waren. Wir sehen die Türme auf unseren Bildern, die namentlich der Bedeutung der Domkirche gerecht werden. Deren Turm wurde nach dem großen Brand vom 6. Mai 1601, der — wie der Stadtrichter Andrä Storch berichtet — die Stadt mit dem Rathaus und den Basteien einäscherte, neu und höher gebaut. Am 30. April 1648 vernichtete wieder eine Brunst binnen zwei Stunden die Stadt; die Pfarrkirche mit dem wohlauf erbauten Turme, das Rathaus, fast alle bürgerlichen Häuser, die Türme und die erst neulich gedeckte Ringmauer gingen in Rauch auf. So der Stadtschreiber Michael Kopp, der bereits zwei Jahre später fast das gleiche Unglück zu berichten Ursache hatte. Und am 21. August 1700 gab es neuerdings großen Feuerschaden: außer den beiden Kirchen und sieben Häusern ist alles übrige „abgeprunnen“; acht Menschen verbrannten. Wir verstehen das heute nicht. Aber es kennzeichnet die enge und winkelige mittelalterliche Stadt mit den schindelgedeckten Häusern, von denen manche noch ein hölzernes Oberstöckwerk besaßen. Die italienischen Baumeister brachten nun die Renaissance nach Marburg : das Rathaus wurde umgebaut. Und nach der Renaissance kam das Barock. Die mittelalterliche herzogliche Burg — sie war schon seit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts den Khisl, die später Freiherren wurden, verpfändet und ward dann ihr Eigentum —, sie mußte nun auch dem Zeitgeschmäcke huldigen und erhielt wohl um 1665 ein neues Kleid, wie es die beiden Bilder dartun. Das eine zeigt vom Sophienplatz aus die wehrhafte Stirne dem von Osten kommenden Feind; das andere weist das Prunkgesicht am Burgplatz. Die folgenden Besitzer bauten wieder (1733 bis 1744). Ober-Marburg blieb dagegen ein Aschenputtel. Es sieht auf den Bildern einem alten Kasten gleich, war aber bewohnbar. Doch eine Kommission, die es 1611 besichtigte, wußte nicht viel Schönes zu berichten: das Schloß ist in Abödung, die Hauptmauern und Gewölbe sind zerkloben und so baufällig, daß man sie erst abtragen muß, wenn man bauen will. Alle Schlösser sind von den Türen gerissen, Öfen und Fenster zerschlagen. Man kann das Gemäuer höchstens auf 2500 Gulden schätzen. Auch der Meierhof ist ganz und gar öde, der Grund und das baufällige Mauerwerk höchstens 300 Gulden wert. So das Urteil der Kommission. Vielleicht hat Gail von Racknitz, der 1612 mit der Herrschaft belehnt wurde, doch etwas gebessert. Gegen Ende des folgenden Jahrhunderts verschwand die alte Markburg und vor 105 Jahren stand nicht méhr ein Mäuerlein aufrecht da. Dr. Hans Pirchegger DIE NEUE DRAUBRÜCKE IN MARBURG Die Kunst Brücken zu bauen lernte die Menschheit bald nach Errichtung ständiger Siedlungen. Waren die ersten Brücken zweifellos aus von der Natur hiezu geschaffenen Baumstämmen gezimmert, so weckte die rasche Vergänglichkeit des Holzes schon sehr früh das Bestreben, gleichwie bei den Wohnstätten für Götter und Menschen auch bei diesen Bauwerken den allen Witterungseinflüssen trotzenden natürlichen Stein zur Anwendung zu bringen. Es mag manch trübe Erfahrung, manch hartes Stück Arbeit gekostet haben, bis es mit dem einfachen Handwerkzeug jener fernen Zeit gelang, gemauerte Pfeiler im Flußgrunde zu errichten, Steine zu das Wasser überspannenden Gewölben zu fügen. Und doch, es gelang, und sogar so gut, daß solche von römischer Sklavenhand erbaute Brücken bis auf unsere Tage allen Unbilden der Natur Widerstand zu leisten vermochten und heute noch dem Verkehre dienen, wie zum Beispiel die Engelsbrüeke in Rom. Vergänglicher als die Bauwerke war die Kunst. Sie entschwand spurlos in den Stürmen der Völkerwanderung. Erst der kulturelle Aufschwung des Mittelalters brachte auch eine neue Blütezeit des Brückenbaues, etwa vom 11. bis zum 14. Jahrhundert. Die Wirren der Glaubenskriege ließen die gesammelten Erfahrungen wieder in Vergessenheit geraten, und erst im 19. Jahrhundert erstand die Brückenbaukunst als sićh nunmehr rasch entwickelnde Wissenschaft neu. Jedenfalls haben schon die römischen Eroberer in der Nähe der heutigen Stadt Marburg Heeresbrücken über die Drau geschlagen. Ob ihnen der Verkehrsweg wichtig genug schien, um ein dauerndes Bauwerk für die Verbindung der Drauufer zu schaffen, oder, ob sie bei einem Flusse wie die Drau siqh überhaupt nicht an die Errichtung eines solchen herangewagt, wissen wir nicht. Die Baumeister des Mittelalters kannten sicher schon Mittel und Wege, auch einen breiten Fluß in Stein zu überbrücken, wie mehrfach noch bestehende Brücken, zum Beispiel die Donaubrücke in Regensburg, aus dem 12. Jahrhundert stammend, erweisen. Vielleicht war zu jener Zeit trotz der ferneren Lage von den kulturellen und wirtschaftlichen Mittelpunkten auch im Zuge der alten Römerstraße von Wien nach Triest ein solches Bauwerk über die Drau errichtet worden und dann den zu Tale stürzenden Wogen eines außergewöhnlichen Hochwassers zum Opfer gefallen und spurlos verschwunden. Wahrscheinlich nicht. Vischers Stadtbild aus dem 17. Jahrhundert zeigt eine hölzerne Jochbrücke mit einem auf ziehbaren Felde in der Mitte, die die am Nordufer der Drau gelegene feste Stadt Marchburg mit einem durch Wall und Graben gesicherten Brückenköpfe am Südufer verbindet. Dies dürfte die erste Form der Drauüberbrückung gewesen sein. Sie bestand, nach mannigfachen Zerstörungen im Wesen immer wieder gleich erneuert, noch zu Beginn unseres Jahrhunderts, die Joche, soweit dies bei einfachen Holztragwerken möglich ist, auseinander gerückt, um die Gefahr von Yerklausungen bei Hochwasser und damit der Vernichtung zu •mildern. Die Stadt selbst hatte sich nicht allein auf dem Nordufer vervielfacht, sie wär längst über die Drau aufs rechte Ufer, das sogenannte Magdalenenfeld, hinübergewachsen. Die einst nur dem Verkehre von Nord nach Süd und zur Verbindung der Stadt mit den gegen Mittag gelegenen Landstrichen dienende Brücke führte nun von dem am Südufer gelegenen, dicht bewohnten Stadtteil zu der die wirtschaftlichen und Verkehrsmittelpunkte bergenden Altstadt, ihre Joche trugen auch die Rohrleitung, in der das auf dem Magdalenenfelde gepumpte Trinkwasser dem größeren, nördlichen Stadtteile zufloß. Konnten die Frächterkolonnen der die Eisenbahn noch nicht kennenden Zeit und die paarweise fahrenden Landfuhrwerke; die der Stadt ihren Bedarf zubrachten, die Steile der zur Brücke führenden Zufahrtsstraßen durch Vorspann ohne sonderliche Schwiérigkeiten überwinden, für den schweren örtlichen Lastenverkehr der neuesten Zeit waren die starken Steigungen der belebten und engen, links zum Flusse herabführenden alten Draugässe (9‘3 vom Hundert) und der Triester- und Josefsstraße rechts (bis 10 vom Hundert) nur schwer zu bewältigende Hindernisse; zudem drohten alljährlich der Eisgang im Frühling und die schweren, meist Treibholz führenden Hochwässer deš Herbstes, die des öfteren die Brückenfahrbahn überströmten, Brücke und Wasserleitung mit sich fortzureißen und so nicht nur den Verkehr zwischen den beiden durch die Drau getrennten Stadtteilen zu unterbinden, sondern auch dem größeren, nördlichen das Trinkwasser zu nehmen. Es war daher selbstverständlich, daß die Reichsstraßenverwaltung, der die Sorge für die Aufrechterhaltung des über die Draubrücke gehenden Durchzugsverkehres von Wien nach Triest oblag, um die Wende des Jahrhunderts daranging, auf die neuesten Fortschritte der Brückenbauwissenschaft gestützt, ein dauerndes und allen Bedürfnissen Rechnung tragendes Bauwerk zu schaffen. Diè gestellte Aufgabe war nicht leicht und erforderte umfangreiche Vorstudien, die vom seither verstorbenen k. k. Oberingenieur Anton Hinterhölzl in Graz in eingehender und musterhafter Weise durchgeführt wurden und sich sowohl auf die Bauart der Brücke als insbesondere auf deren Lage und auf die Linienführung der beiderseitigen Zufahrten erstreckten. Fest stand nur, daß die neue Brücke die beiden 16 bis 25 m über dem Niederwasser (Nullwasser) der Drau liegenden Hochufer ohne Gegengefälle zu verbinden hatte, daß also die neue Fahrbahn über den Dächern des namentlich links dicht mit Gebäuden besetzten und sich bis auf rund 5 m über Niederwasser absenkenden Ufergeländes liegen mußte. Die vorhandene Verbauung der Hochufer gestattete ohne allzuweitgehende Veränderungen insgesamt vier, für den Durchzugsverkehr mehr oder weniger gleichwertige Linienführungen, die sich namentlich durch die Lage zum Stadtmittelpunkte, dem Hauptplatze, und durch den Umfang der an den Ufergeländen niederzulegenden Baulichkeiten von einander unterschieden. Schon im Jahre 1904, also knapp nach dem katastrophalen Drauhochwasser vom Marburg mit Draubrücke September 1903, dem fast alle flußaufwärts von Marburg gelegenen hölzernen Brücken zum Opfer fielen und dem die alte Marburger Brücke wider Erwarten standgehalten hatte, waren die Vorstudien beendet. Erst drei Jahre später konnte sich der Gemeinderat, der auf zum Teile auseinandergehende Meinungen der Stadtbevölkerung Rücksicht zu nehmen hatte, einstimmig für den von der Reichsstraßenverwaltung zur Ausführung vorgeschlagenen Entwurf entscheiden, der die Überquerung der Drau in der Fortsetzung der Herrengasse vorsah, und schon im Frühjahre 1909 wurde der erste Spatenstich zu einem der bedeutendsten Bauwerke der altösterreichischen Alpenländer getan. Die im Jahre 1907 durchgeführten Bodenuntersuchungen an der für den Brückenbau ausersehenen Stelle ergaben, daß das Draubett selbst aus angeschwemmtem Sand und Schotter (Alluvium) besteht und daß für größere Belastungen tragfähiger Boden erst in einer Tiefe von rund 11 m unter Niederwasser in Form des den Untergründ des Draufeldes bildenden blauen Tegels (Lapor oder Opok) liegt, daß also die wichtigeren Flußstützen der Brücke in dieser Tiefe auf sitzen müssen. Hinterhölzl hatte auch für die Bauart mehrere Vorentwürfe ausgearbeitet, die sich durch die Form der Überbrückung des eigentlichen Flusses unterschieden und diesen mit einer, beziehungsweise drei Öffnungen überspannten, die entweder in Eisen oder in Stein, beziehungsweise Beton hergestellt werden sollten. Die erhobenen, nicht gerade günstigen Verhältnisse für die Gründung der Brücke und der Mangel niederer Drauwasser-stände im Sommer ließen vom technischen und wirtschaftlichen Standpunkte, wenn man aus Schönheitsgründen von einem einfachen Balkentragwerke absah, jene-Lösung am geeignetsten erscheinen, die die geringste wagrechte Kraftwirkung auf die hohen Pfeiler ausübt und bei der der gesicherte und ruhige Bestand der mit dem in Arbeit befindlichen Tragwerke belasteten Baugerüste auf die Zeit der Winterniederwässer beschränkt werden konnte. Sie wurde mit im Wesen geringfügigen Abänderungen für den Entwurf der Einzelpläne zugruridegelegt und sei nachstehend nach der im Bilde wenigstens zum überwiegenden Teile wiedergegebenen tatsächlichen Ausführung kurz besprochen. Läßt man den Beginn des Bauwerkes mit der südlichen Begrenzung der östlich vom Hauptplatze neu geschaffenen Verkehrsfläche am linken Ufer zusammenfallen, so erstreckt sich dasselbe bis zu seinem Ende bei der Einmündung der Bergstraße am rechten Ufer auf eine Länge von rund 274 m. Hievon entfallen 122 m auf die eigentliche Strombrücke, rund 90 m auf die Rampenentwicklung über dem linken Ufergelände, 62 m auf jene der steileren rechten Drauböschung. Die eigentliche Strombrücke wird durch die unmittelbar am Ufer der Drau aufragenden, mächtigen Landpfeiler begrenzt. Mittels Senkkasten aus Eisenbeton von 16 m Länge und 8-60 m Breite wurden die massigen Grundbaukörper dieser Pfeiler unter Luftdruck bis in den Untergrundtegel auf 11'50 m, beziehungsweise 12m unter Niederwasser abgesenkt. Die Gliederung des sichtbaren Aufbaues läßt den Zweck dieser Pfeiler erkennen. Der wasserseitige Vorsprung übernimmt die mehr oder weniger in der Richtung der Bogenachse wirkende Auflagerkraft des den Fluß überspannenden eisernen Tragwerkes, der landseitige Vorbau den Stützendruck des sich anschließenden Gewölbes, während das mittlere, nach oben schwach sich verjüngende Massiv diese schräg nach abwärts gerichteten Kräfte tunlichst zum Lote beugen und damit die notwendige Breitenentwicklung deš Grundkörpers vermindern soll. Das Tragwerk der Flußbrücke wird durch dreimal drei parabolisch geformte, im Scheitel 1’20 m hohe, kastenförmige Vollwandbogen aus Eisen mit 42 m, beziehungsweise 40-32 m Stützweite gebildet, die über den Flußpfeilern durch in der Brückenachse verschiebbare Gelenke gekuppelt und auf den Landpfeilern um eine zur Flußrichtung flüchtige Gerade drehbar gelagert sind, — eine Bauform, die hier zum ersten Male verwendet wurde und, technisch ausgedrückt, aus über drei Öffnungen durchlaufenden Zweigelenksbogen besteht. Diese Anordnung überträgt auf die im Flusse errichteten Stützen, die Flußpfeiler, nur lotrechte Drucke und gestattete trotz der bedeutenden Höhenabmessungen (20 m) eine schlanke Ausbildung derselben. Von dem mittels leichter, eiserner Senkkasten gleichfalls bis in den Tegel des Untergrundes abgesenkten, 5'20 m breiten Grundbaue aus verjüngen sich die Flußpfeiler bis auf 2'80 m an der Krone. Zart erscheinende, auf die Vollwandbögen gestützte eiserne Ständer tragen die im Mittel 20'5 m über Niederwasser liegende, 12 m breite Fahrbahntafel, von der 8 m dem Fuhrwerksverkehr, je 2 m auf jeder Seite den Fußgängern zur Verfügung stehen. Die Fahrbahn der Brückenrampen mußte, um den ungefähr 8 m betragenden Höhenunterschied zwischen Hauptplatz und Magdalenenfeld durch die Anschlußstraßen überwinden zu können, von Norden nach Süden unter 2‘5 vom Hundert steigend angelegt werden. Sie führt auf mehr oder weniger halbkreisförmigen Gewölben, die, sich über das trockene Ufergelände spannend, die Hochufer mit der Strombrücke verbinden. Unmittelbar an die Landpfeiler der Flußbrücke schließen sich spiegelgleich je zwei Bogenöffnungen von 12 m Lichtweite, durch eine 2 m starke Zwischenstütze getrennt und einen kräftigeren, ähnlich dem Landpfeiler gegliederten Standpfeiler von 5'25 m Breite begrenzt. Landseits dieser Standpfeiler stellt ein 10 m lichter, in den flüchtigen Flügel übergehender Bogen die Verbindung mit dem Südufer her, während über dem flacheren linken Ufergelände noch drei durch 2'5 breite Zwischenpfeiler gestützte Bögen von 10 m Lichtweite die Auffahrt vom Hauptplatze tragen. Den Abschluß der linken Brückenrampe bildet flußaufwärts der gleichzeitig mit der Brücke erbaute Theresienhof mit der an der Südfront desselben von der alten Draugasse zur neuen Brückenbahn hinaufführenden dreiarmigen Freitreppe, flußabwärts die flußseitige Stützmauer des neu geschaffenen Platzes zwischen Allerheiligen- und Freihausgasse. Die Pfeiler der Rampenbögen sind im Schotterboden des Ufergeländes (Diluvium und Alluvium) größtenteils ober Niederwasser gegründet, erforderten aber wegen dessen geringer Belastungsfähigkeit ziemlich breite Aufstandsflächen. Das ganze Bauwerk erbreitert sich allmählich gegen die Ausläufe hin. Die Verkehrsfläche, die über der Strombrücke 12 m breit ist, mißt zwischen Land- und Standpfeilern 12'30 m, außerhalb der letzteren 14‘50 m. Über den Rampen schützen mit gußeisernen Füllungen versehene Ballustraden aus Kunststein vor Absturz, auf der Strombrücke ein in der Form der Rampenbekrönung angepaßtes, überwiegend aus Guß hergestelltes Geländer. Auf den Land- und Standpfeilern gestatten leicht vorkragende Balkone, die von mächtigen Toraufbauten aus Kunststein überdacht werden, durch den vorübergehenden Verkehr ungestörten Ausblick von der Höhe der Brücke. — Dies in groben Umrissen das äußere Bild und der technische Aufbau der Brücke. Die hauptsächlichsten Baustoffe waren Beton, Stein und Eisen. Aus Beton sind alle Grundbauten, der Kern der Pfeiler, die Gewölbe der Rampen und die Unterlagen der Fahrbahnpflaster und Gehbahnen — nicht weniger als 289 Bahnwagen zum überwiegenden Teil Zement aus der Retzneier Zementfabrik bei Ehrenhausen wurden für die Bindung von Sand und Schotter zu Beton verbraucht. Stein, und zwar Granit von Reifnigg-Bösenwinkel, sind die aus Quadern und Hausteinen gebildeten äußeren Verkleidungen der Pfeiler und der Bogenstirnen, die in verschiedener Bearbeitung (fein gespitzt, bossiert oder gestockt) die sonst glatten Flächen der Brückenrampen beleben, weiters die Berandung der Gehwege auf den Rampen und die Stufen der Freitreppe. Die Stirnwände und Flügel sind außen zyklopenartig gefügtes Mauerwerk aus Gneis von St. Lorenzen im Drautale. Die Fahrbahndecke besteht auf den Rampen aus Porphyrsteinen von Branzoll in Südtirol, auf der Flußbrücke aus Holzstöckeln; die Gehbahnen sind durchwegs asphaltiert. In Kunststein sind außer der schon genannten Bekrönung der Rampen die Kragstücke und Wappen unter den Toraufbauten und die Verkleidung der Freitreppe am linken Ufer hergestellt. An Eisen erforderte das Tragwerk der Flußbrücke allein rund 965 Tonnen; rund 130 Tonnen ruhen, in den Senkkasten verbaut, ungesehen unter dem Flußgrunde. — Viele Hände mußten sich eifrig regen, bis der neuen Brücke Platz gemacht war — für die Brücke allein wurden zehn, größtenteils schon altersschwache Gebäude niedergelegt —-, noch viel mehr, bis plangemäß Stein auf Stein gelegt, Eisenstück für Eisenstück auf den richtigen Platz gebracht und zusammengeschmiedet war. Etwa 4V2 Jahre nach dem ersten Spatenstich, ein Jahr vor dem Beginn des großen Völkerringens war das mächtige Bauwerk fertiggestellt und konnte am 23. August 1913 durch den den Kaiser vertretenden Erzherzog Friedrich unter massenhafter Beteiligung der Bevölkerung Marburgs und seiner Umgebung feierlich dem öffentlichen Verkehre übergeben werden. Rund 2'5 Millionen Kronen dürften Staat und Gemeinde für alle notwendigen Einlösungen, Straßenregelungen und für die Brücke selbst geopfert haben. Nicht umsonst; vollkommen sicher ging nun der Verkehr hoch über den Fluten der Drau, führten Leitungen für Wasser, Gas und elektrische Kraft von einem Stadtteil zum andern. Tief unten, armselig und vereinsamt, lag die alte Brücke, die zum Dank für langen treuen Dienst nun dem Verfalle preisgegeben war. Der Weltkrieg hat auch sie fortgespült. Stolz und mächtig ragt jetzt ihre jüngere Schwester in die Lüfte, ein würdiges Denkmal deutschen Geistes und deutscher Arbeitskraft, das, auch getrennt von seinen Erbauern und ihrer Obhut entrückt, Menschen und Verträge überdauern und eindringlicher als geschriebene Worte die Erinnerung an entschwundene Tage wachèrhalten wird. Dr. Ing. Josef Krebitz, Graz DIE SÜDBAHNWERKSTÄTTE IN MARBURG Unser liebes Marburg stand unter der Herrschaft des Weines, die Weingärten schauten ja" in die Stadt hinein, — wohlhabende Bürger führten ein sehr gemütliches und ruhiges Dasein! Wjm Draußen am Westende des weinfrohen Städtchens aber, da tat sich eine andere Welt auf, da gab es kein beschauliches Leben, dort arbeitete die größte technische Anlage des Unterlandes, die Südbahnwerkstätte. Dieser Gegensatz: eine großzügige technische Anlage allein mitten in einer sonnigen Landschaft und einer Umgebung mit anderen Zielen und Lebensanschauungen, war eine Eigenart dieser Werkstätte. Von den Einrichtungen und Anlagen der Eisenbahnen sind meist nur jene allgemein bekannt, welche dem Verkehr dienen. Unbekannt und nicht beachtet sind die Werkstätten, welche den Zweck haben, Lokomotiven und Wagen in betriebsfähigem Zustand zu erhalten und sie stets nach den neuesten Erfahrungen mit Verbesserungen auszurüsten. Die Eisenbahnwerkstätten sind große Anlagen, welche außer allen Einrichtungen und Hilfsmitteln einer Maschinenfabrik auch Werkstätten für Tischler, Wagner, Lackierer, Sattler, Tapezierer und sonstige Nebenbetriebe enthalten müssen. Eine solche großzügige Anlage ist die Südbahnwerkstätte in Marburg. In die große Doppelhalle der Lokomotiv-Abteilung werden die Lokomotiven mit einer elektrisch getriebenen Schiebebühne eingestellt und darin verschoben ; Laufkrane, welche über den „Ständen“ bewegt werden, und mit Wasserdruck arbeitende Hebevorrichtungen ermöglichen den Kessel abzubauen und die Lokomotiven aus den Rädern zu heben. Die zur Hauptausbesserung bestimmten Lokomotiven werden vollständig zerlegt, so weit, daß nur der Rahmen übrigbleibt, und dann aus den erneuerten oder wieder instand gesetzten alten Teilen neu aufgebaut. Die leeren, schweren Rahmen liegen auf Holzböcken, klobig sehen die nackten Dampfkessel aus, und doch werden diese schweren Teile mit Wasserwage und Millimetermaß behandelt und in genaue Lage gebracht. Mit großer Sorgfalt und peinlicher Achtsamkeit wird der Aufbau einer Lokomotive geleitet. Auf einer mit elektrischer Schaltung ausgerüsteten Wage: werden bei der fertiggestellten Lokomotive die Raddrücke auf die Schienen untersucht und genau ausgeglichen. Der Dampfkessel kommt nach sorgfältiger fachmännischer Untersuchung in die Kesselschmiede. Dort tönt die Musik der Arbeit in fortissimo. Mit den lärmenden Preßluftwerkzeugen werden dicke Kesselbleche geschnitten, Nietköpfe gehämmert; elektrische Bohrmaschinen bohren Löcher in die Bleche, eine Maschine fräst die Stemmkanten, ein großer Blechglühofen öffnet seinen Rachen, eine glühende Blechtafel wird herausgezogen und mit wuchtig geschwungenen Hämmern von behenden Kesselschmieden bearbeitet. In dieser Anlage werden an den Dampfkesseln nicht nur schadhafte oder besonders bestimmte Teile erneuert, es werden auch vollständig neue Kessel gebaut. In einem Nebenraum werden die Siederöhre für die Dampfkessel in einer in der Werkstätte Marburg nach dortigen Entwürfen besonders vervollkommten Anlage hergerichtet. Alle bewegten Teile der Lokomotiven, die Räder und die Kesselarmaturen usw. werden in Werkstättenabteilungen bearbeitet, •welche kurz Drehereien genannt werden, obwohl dort außer Drehbänken alle für die Eisen- und Metallbearbeitung üblichen Werkzeugmaschinen, wie Hobel-, Stoß-, Fräs-, Bohr-, Schleifmaschinen usw. in Betrieb sind. Außerdem stehen dort aber eine Anzahl von Maschinen, welche besonders für den Bedarf der Eisenbahnwerkstätten ausgeführt sind; etliche davon sind in Marburg erdacht und erbaut worden. Ein Laufkran befördert die schweren Radsätze zu den Drehbänken, Voll- und Schmalspurgeleise gestatten Zuführen und Wegführen der Arbeitsstücke. Zur Anfertigung und Instandhaltung der Werkzeuge sind besondere Maschinen und eine Härtestube vorhanden, die Feilen werden in einer eigenen Werkstätte hergerichtet. Die Schmiede in der großen Mittelhalle der Werkstättengebäude bietet vom Treppenhaus des Kanzleigebäudes aus gesehen ein malerisches Bild mit den sprühenden, glühenden Schmiedefeuern, dem großen Dampfhammer, den mittleren und kleinen Dampfhämmern. In der Schmiede werden eine Anzahl von Lokomotiv- und Wagenteilen, welche der Abnützung stark unterworfen sind, immer wieder neu hergestellt, andere, welche nur verbogen sind oder deren Teile zusammengeschweißt werden können, wieder gebrauchsfähig gemacht. Die Tragfedern werden besonders behandelt ; zur Erwärmung dient ein eigener Glühofen, auf einer sinnreichen Belastungsmaschine werden sie schließlich einer strengen Prüfung unterzogen, bis sie zum Wiedereinbau verwendet werden dürfen. Yon den Achsen werden die Räder auf einer mit hohem Wasserdruck arbeitenden Presse abgezogen und die Achsen mit einem eigenen, sorgfältigen Verfahren auf Anbrüche untersucht. Die Räder werden dann wieder nach Herrichtung der Achsen auf der Presse unter hohem Druck aufgezogen. In ausgedehnten Räumen sind die Abteilungen des Wagenbaues, Tischlerei, Schlosserei, Lackiererei, Sattlerei und Tapeziererei untergebracht. Auf einem großen Aufstellbahnhofe werden die zur Ausbesserung bestimmten Wagen eingestellt, um von dort in die Werkstätten verteilt zu werden. Eine eigene Halle dient zur Ausführung von laufenden Ausbesserungen kleineren Umfanges, welche in einem Tage fertiggestellt werden können. Ein umfangreicher Neubau, welcher für die großen vierachsigen Personenwagen und für eine Lackiererei bestimmt war, ist bei Ausbruch des Krieges so weit im Rohbau fertig gewesen, daß das Gebäude von einer Flieger ab teilung in Benützung genommen wurde. In der Tischlerei und den Werkstätten für den Aufbau der • Personen-, Dienst- und Güterwagen werden die hölzernen Untergestelle und Lastengerippe aus Eichenholz aufgebaut, um schließlich fertig verschalt zur weiteren Herstellung in die Wagenschlosserei und Lakiererei zu kommen. Auf einer Reihe von Holzbearbeitungsmaschinen werden die Holzteile für den Aufbau der Wagen bearbeitet. Es sind da Abricht-, Dicktenhobel-, Bohr- und Fräsmaschinen, Schärfmaschinen für Sägeblätter und eine Sandpapier-Schleifmaschine. In der Wagenschlosserei werden nicht nur die eisernen Untergestelle und Kastengerippe ausgebessert, es werden solche auch vollkommen neu hergestellt. Blechverschalungen der Personen- und Dienstwagen werden angebracht, Schlösser, Schnallen und sonstige Mechanismen an den Wagen werden erzeugt oder hergerichtet. In der Sattlerei werden die Polstersitze der I. und II. Wagenklasse behandelt und endlich geben Tapeziererei und Lackiererei den Wagen innen und außen den letzten Glanz, um wieder wie neu in den Verkehr gestellt zu werden. Den Kraftantrieb für alle Abteilungen besorgt eine große Kondensations-Dampfmaschine, deren Leistung zum Teil unmittelbar auf die Triebwerkswelle geleitet wird, zum Teil in elektrische Energie umgesetzt ist, um als solche weitergeleitet zum Einzelaritrieb mit Elektromotoren zu dienen. Eine kleinere Dampfmaschine dient zur Ergänzung bei größerem Kraftbedarf und eine sehr merkwürdige Ersatzdampfmaschine, aus einer alten Lokomotive umgewandelt, ist als Notbehelf im Falle einer Betriebsstörung an der großen Dampfmaschine vorhanden. Die Preßluft für die Kesselschmiede wird in Dampfkompressoren erzeugt. Zur Werkstätte gehört noch das Gaswerk, so groß, daß die ganze Stadt Marburg hätte mit Gas versorgt werden können. Es lieferte Leuchtgas und Heizgas für technische Einrichtungen. Das Sägewerk, mit eigener Dampfmaschinenanlage betrieben, hat ein Vollgatter, Kreissägen und Maschinen zur Erzeugung von Holzwolle. Große Holzvorräte lagern dort : amerikanische Harzkiefer, slawonische Eiche und Weichholz aus den steirischen Wäldern. Alle Werkstättehabteilungen sind, um die Baustoffe und die vielen Lokomotiv- und Wagenteile von einer zur andern leicht und schnell befördern zu können, durch eine vielverzweigte Schmalspurbahn, deren Gesamtlänge mehrere Kilometer beträgt, miteinander sichtbar verbunden — unsichtbar ist aber das Band des unermüdlichen und. zielbewußten Züsammenarbeitens der technischen Leiter aller Betriebe. — Diese große, -schöne Werkstätte ist heute für das österreichische Netz der Südbahn verloren. Die Werkstätte in Marburg war neben den Werkstätten Wien, Innsbruck und Graz an Ausdehnung, Ausrüstung und Leistung die größte und bedeutendste. Ihre Lage war sehr günstig gewählt: nahezu in der Mitte der Hauptlinie Wien—Triest, an der Abzweigung der Strecke nach Kärnten und Tirol und nahe der Abzweigung nach Ungarn. Marburg bot aber auch den Bediensteten der Werkstätte den angenehmen Aufenthalt in einer kleinen Stadt mit günstigen Lebensverhältnissen. In der zur Werkstätte gehörenden „Kolonie“ standen in geräumigen Gemüsegärten nette Zweifamilien-Wohnhäuser ; ein Kindergarten und eine vorzügliche Volksschule wurden von der Südbahnwerkstätte erhalten und erleichterten den dort wohnenden Bediensteten die Erziehung der Kinder. In Marburg boten Bürger- und Mittelschulen, Kunst-und Musikvereine reichliche Gelegenheit zur Weiterbildung. Die Werkstätte besaß eine reichhaltige Leihbücherei, welche mit den besten Werken deutschen Schrifttums stets neu versehen wurde und für sehr mäßige Beiträge gediegenen Lesestoff vermittelte. Schließlich soll noch einer Einrichtung der Werkstätte gedacht wérden, die wohl jeder Marburger kannte und schätzte : der aus Arbeitern zusammengestellten Werkstätten-Musikkapelle. Es gab wohl kein Fest in Marburg, an dem sie nicht ihre flotten Weisen erklingen ließ. Nun bleibt uns, die in Marburg einst arbeiteten und wirkten, nur die Erinnerung an Tage mühevoller, fleißiger, von manchem Erfolg gekrönter Arbeit, aber auch an Stunden reiner Freude, die uns das Unterland geboten hat. Der alte Bachern mit seinen Wäldern schaut auch heute "noch auf die Werkstätte herunter. Uns hat er oft gerufen: „Verzagt nicht, wenn die Woche auch sauer ist, es kommt wieder ein Sonntag, ein Sonnentag.“ Ing. Max Hlawatschek GROSZWASSERKRAFT ANLAGE FAAL AN DER DRAU Sòr Beginn des alles umwälzenden Weltkrieges war Österreich ein Land reich an Kohlen, so daß die Verwertung der zahlreichen, ausbaufähigen Wasserkräfte noch nicht in dem Umfange ins Auge gefaßt wurde, wie dies in den angrenzenden West- und Südstaaten, Italien und der Schweiz, der Fall war. Neben Tirol und Oberösterreich ist es vor allem das Land Steiermark gewesen, welches durch die Initiative des Herrn Ingenieurs J. Roßhaendler, der durch seine frühere Tätigkeit im Ausbau der Wasserkräfte in der Schweiz die große Bedeutung der Wasserkräfte erkannt hat, sich die Aufgabe gestellt hat, seine Flüsse durch den Ausbau der Großwasserkraftanlagen der allgemeinen Wirtschaft dienstbar zu machen. So entstanden, allerdings teilweise durch den Impuls von Schweizer Kapital, die Murwasserkraftanlagen Peggau und Lebring ; Elektrizitätswerke, die als Eigentum der Steiermärkischen Elektrizitäts-Gesellschaft Graz auch in deren Betrieb stehen. Unter Führung der nämlichen Gesellschaft wurden nach Erteilung der Konzession in den Jahren 1913—1918 die umfangreichen Bauten der Groß Wasserkraftanlage Faal an der Drau unter manch bedeutenden Schwierigkeiten, wie sie einesteils die Verbauung^ eines bedeutenden Flusses wie die Drau an und für sich mit sich bringen und wie sie durch die alle wirtschaftlichen Bedingnisse vernachlässigende Kriegswirtschaft in noch erhöhtem Maße hervorgerufen wurden, betrieben und zur erfolgreichen Vollendung geführt. Die Drau entspringt im Gebiete der Gletscher der Norischen und Karnischen Alpen, durchläuft in ihrem großen Einzugsgebiete keine größeren Seen, die als Ausgleich dienen. Vor dem Austritt der Drau aus dem Gebiete der Karawanken und steirischen Alpen durchströmt der Fluß in sehr engem, tief eingeschnittenem Defilee oberhalb der bei Marburg beginnenden Drauebene noch einen aus Urgestein, Hornblende und Glimmerschiefer bestehenden Gebirgsblock als Ausläufer des Bachergebirges und des Poßruck am linken Ufer. Dieses Defilee bietet an einer etwas erweiterten Stelle oberhalb des bekannten historischen Schlosses „Faal“ sehr günstige Bedingungen für eine Niederdruckanlage, die eine gedrängte Ausführung gestattet, so daß das gesamte Kraftwerk konzentriert ist auf einen kurzen Einlauf, die imponierende Wehranlage und das in gleicher Achse mit dem Wehr gelegene Turbinenhaus. Die baulichen Eigentümlichkeiten einer Niederdruckanlage sind große Wassermengen bei kleinem nutzbaren Gefälle, Errichtung von Einlaufbauwerken mit Rechen oder Streichwand, Stauung des Flußlaufes durch große, umfangreiche Wehrbauten, während demgegenüber bei den häufig zur Ausführung kommen- den Hochdruckanlagen im allgemeinen kleine Wassermengen bei großem Gefälle vorhanden sind, die Wasserfassungen meist kleinere Staumauern oder Wehrbauten mit dahinter liegender Speichermöglichkeit vorsehen. Das Zuleitungsgerinne besteht meist aus Stollen, einem Wasserschloß und einer eisernen Druckleitung. Bei diesen Anlagen ist neben anderen wirtschaftlichen Faktoren, wie Geschwindigkeit im Zulaufgerinne, Gefällsverlust, Speicherungsmöglichkeit, die Entsandung des Wassers wegen Abnützung der Turbinen bei der hohen Umdrehungszahl von großer Bedeutung; bei den Niederdruckanlagen hingegen ist neben dem Wehrbau mit beweglichen eisernen Schützen die Dichtung des unter dem Wasserspiegel liegenden Turbinenhausteiles und der Staumauer .von Wichtigkeit, während die Entsandung infolge der geringen Zulaufsgeschwindigkeit und der großen Stauflächen einen unwesentlichen Faktor darstellt. Das Einzugsgebiet der Drau bis zur Wehrstelle beträgt 13.320 km2, wovon ein großer Teil in einer Höhe von über 1800 m liegt, so daß das Niederwasser der Drau nur in den Wintermonaten herrscht; es sinkt in normalen Jahren nicht unter 100 m3lsek. hinunter, während in den Sommermonaten reichlich Wasser vorhanden ist. Nach den langjährigen und zuverlässigen Wasserstandsbeobachtungen des Hydrographischen Zentralbüros führt die Drau Wassermengen über 300 m3lsek. während 305 Tagen, 200 m3lsek. während 315 Tagen, 150 m3/sek. während 335 Tagen, 100 m3jsek. während 345 Tagen. Die höchsten Hochwasser treten meist Ende Mai, anfangs Juni bei der Schneeschmelze auf, doch waren während der fünfjährigen Bauzeit im Mai, September und Dezember bis zu 5000 m3lsek. eingètreten. Das katastrophale Hochwasser beträgt etwas über 6000 m3 und mußte daher das Wehr den wechselnden Wassermengen angepaßt werden und war die Durchflußkapazität von 6000 m3 zu berücksichtigen. Die maximale Stauung der Drau beträgt an der Wehrstelle 15 m, das Nettogefälle schwankt zwischen 14'80 m und 11‘30 m, der Ausbau ist mit 42.000 PS. vorgesehen, bei einem Wasserverbrauche von zirka 300 m3lsek., welcher nach den Pegelaufzeichnungen in einer Periode von 10 Jahren durch 9V2 Monate im Jahre vorhanden ist. Es werden im Jahre zirka 220 Millionen Kilowattstunden produziert, wovon zirka 100—120 Millionen eine Verwertung für zehn-und vierundzwanzigstündige Industrien, einschließlich Motoren und Licht, gestatten, während zirka 100—120 Millionen Kilowattstunden Ergebnisse des schwankenden Betriebes sind, teils durch den Abfall der zehnstündigen Industrien gegenüber den vierundzwanzigstündigen, teils durch Mehrleistungen bei den günstigeren Wasserverhältnissen. In das an das Wehr anschließende Maschinenhaus sind eingebaut: Fünf Turbinenkammern mit 8’30 m Breite, fünf Doppel-Francis-Turbinen mit zwei Laufrädern auf horizontaler Welle, welch letztere direkt mit den Generatoren, die einen Durchmesser von 5 m haben, und der Erregermaschine gekuppelt sind. Die Schluckfähigkeit der Turbinen geht bis zu 45 m3/sek. bei einer Leistung von 6500 PS. Vier dieser Turbinen wurden von der Schweizer Firma Escher, Wyß & Co., Zürich, eine von der Leobersdorfer Maschinenfabrik geliefert. Für zwei weitere Hochwasserturbinen mit Kammerbreiten von 8‘80 m sind die Bauarbeiten einschließlich der Einläufe mit Feinrechenanlage und zweiteiligen Schützen durchgeführt, während die Turbinen erst später, wenn die Kraftabgabe es erfordern wird, eingebaut werden sollen. Die einzelnen der sieben Turbinenkammern sind durch Trennungspfeiler von l-70 m Stärke voneinander getrennt. Diese Trennungswände sind als Heber ausgebildet, welche zur Spülung des Rechens dienen. Im vorderen Pfeilerteil sind diejenigen Heber, durch die das Geschwemmsel abgezogen und durch einen großen Spülkanal durch das Wehrwiderlager in das Unterwasser abge- führt und abgezogen wird ; im rückwärtigen Teil sind diejenigen Heber, die das Wasser aus den anliegenden Kammern überführen können. Die Heber haben Querschnitte von 1‘40 m2, die Trennungswände Wandstärken von nur 20 cm, so daß die Bauausführung dieser Konstruktionsteile eine recht kostspielige Eisenkonstruktion darstellt, jedoch eine einwandfreie Spülung des Einlaufes gewährleistet. Die Dauer der Spülung des Einlaufrechens, bei der vor dem Rechen lagernde Baumstümpfe von 1‘30 m Länge anstandslos abgezogen werden, beträgt etwa 15 Minuten und kann mit nur 1 Mann Bedienung erfolgen. Vor den Einlauf schützen der Turbinenkammern befindet sich eine durch Dammbalken in der Höhe entsprechend dem Stauwasserspiegel wechselbar schließende Spülrinne längs des gesamten Turbinenhauses für die Abfuhr von Schwemmsel, Spritzwasser und Oberflächeneis; die Spülrinne kann auch bei geringen Schwankungen des Stauwasserspiegels das überschüssige Wasser, das nicht über das Wehr abfließt, aufnehmen. Der Rechen mit 3 cm Stabdistanz besteht aus Flacheisenstäben von zirka 13 m Länge, die durch I-Träger abgestützt sind. Zur Vermeidung des Verlegens der Turbinen und der Rechen durch das häufig in der Drau vorhandene Grundeis wird der Rechen zur Schmelzung des Grundeises und Vermeidung der Eisbildung elektrisch gèheizt. Um das Wasser dem Turbinenhaus zuzuführenpist der Vorhof notwendig. Derselbe findet seinen Abschluß gegen die Drau durch das Einlaufbauwerk, dessen Einlauf schwelle zirka 8'80 m über der ausgeglichenen Flußsohle liegt; somit erscheint jede Gefahr einer Verkiesung ausgeschlossen. Die Einlaufschwelle ist durchwegs auf Fels, im unteren Teile mittels Luftdruckgründung auf Eisencaissons fundiert. Ein Rechen ist nicht vorhanden, sondern eine Streichwand, die normalerweise 2 m in den Stauwasserspiegel eintaucht, damit das an der Oberfläche antreibende Holz und Geschwemmsel gegen das Wehr abgeleitet und über dasselbe abgezogen wird. Die Streichwand und die Einlauföffnungen sind in sieben Felder von je 13'30 m Länge unterteilt, so daß sie eine Gesamtlänge von 100 m haben. Die Öffnung für den Einlauf ist 6’50 m hoch, hat eine Fläche von 605 m2, was. eine Wassermenge von 300 m?> pro Sekunde ergibt. Bei dieser Geschwindigkeit wird Geschiebe nicht mehr mitgerissen, sondern vor der Einlaufschwelle abgelegt, von wo es durch das Öffnen der Wehrschleuse weggespült werden kann. Die ganze Anlage, die oberhalb der Streichwand einen 2 m breiten Steg trägt, ist eine sehr elegante Eisenbetonkonstruktion, die allerdings im Betriebe im Stausee verschwindet. . Der Generatorensaal im Turbinenhaus befindet sich bei Hochwasser unterhalb des Wasserspiegels und ist daher ein System von Drainagen und Sammelkanälen vorgesehen, die das vom Unter- und Oberwasser hereindringende Sickerwasser in den gemeinsamen Pumpensumpf zuführen, von wo das Wasser in die unten liegende Drau abgepumpt werden kann. Die Dichtung des Betons geschah durch Aufbringen eines sorgfältig ausgeführten wasserdichten Verputzes an der Innen- und Außenseite. Bei der Inbetriebsetzung der Anlage, bei der der volle Stau in 8 Stunden erreicht war, war die Durchsickerung von Anfang an sehr gering, die sich mit der Zeit durch die im Wasser enthaltenen Schlickbeimengungen noch bedeutend verkleinerte. Nach Austritt des Wassers aus den Turbinenkammern schließt der Ablaufkanal an, der sich von seiner Breite von 69-50 m beim Austritt bis auf 50 m verengert, und schließt sich durch entsprechende Erweiterungen der Eintritt in die Drau an die bestehende Uferform an. Gleichzeitig steigt die Kanalsohle vom Turbinenhaus an und geht außerhalb des Kanales in die ausgeglichene Flußsohle über. Zwischen Ablaufkanäl und Drau ist eine auf Caissons bis auf den Fels gegründete, betonierte Zunge angebaut, welche eine Verkiesung des Kanales durch das vom Wehr abgestoßene Geschiebe möglichst verhindern soll. Zum Schutze der Uferböschungen ist eine Ufermauer vorhanden, die gegen den Austritt in die Drau wegen etwa zu erwartender Auskolkungen mit Luftdruckgründung unterfangen ist. Das Werk im Bau Die Wehranlage, durch welche die Drau in ihrer ganzen Breite abgesperrt und zurückgestaut ist, zeigt fünf Öffnungen von je 15 m lichter Weite, die Pfeilerstärke beträgt 5 m, die Oberkante der Schwelle mit der Eisenschütze liegt zirka 1\50 m über ausgeglichener Flußsohle. Vor Beginn der Fundierungsarbeiten wurden an der Wehrstelle durch das ganze Draubett hindurch Diamantbohrungen ausgeführt. Nach dieser Sondierung bestand das Flußbett aus einer Kiesschicht, dann folgte eine Schichte, die sich aus großen Steinblöcken zusammensetzte, unter welcher zunächst loses Material und teilweise Lager von Schwemmsand auftrat, und erst unterhalb kam in Tiefen bis 18 m unterhalb des Niederwasserspiegels der anstehende harte Fels. Bei der vorhandenen Stauhöhe von 15 m ist eine Fundierung der Wehranlage auf gesunden, standfesten Fels eine unbedingte Notwendigkeit und war nach den vorhandenen Tiefen und Lagen des Felsüntergrundes; die Fundierung vermittels Caissons und Druckluft erforderlich. Die Gründungsarbeiten haben bedeutende Schwierigkeiten verursacht, die dadurch erhöht worden sind, daß während der Kriegszeit keine geeigneten Caissonarbeiter zur Verfügung standen, sondern vielmehr diese Arbeiten mit kriegsgefangenen Russen, die sich zunächst sträubten, ausgeführt werden mußten. Die vier Pfeiler und die beiden Wehrwiderlager sowie die oberen und unteren Schwellenabschlüsse, letztere in Breiten von 4*50 m, sind pneumatisch, auf den Fels abgesenkt worden, während der innere Teil der Schwellen als armierte Platte von 2,50 m Stärke unter Wasserhaltung zwischen Dammbalken zur Ausführung kam. Alle von der Wasserführung stark in Anspruch genommenen Vorsprünge und Kanten, wie Pfeilerspitzen, Dammbalkenführungen, Schützennischen, wurden mit Panzerplatten aus Kronos-Stahl von 30 mm Stärke der Firma Böhler & Co. A.-G., Kapfenberg, armiert. Ebenso ist der Schwellenkörper bis über die Schütze und im Auslauf mit Panzerplatten versehen, die auf einem einbetonierten Gerippe, einer Profileisenkonstruktion, verschraubt sind. . Das Zwischenstück der schief abfallenden und horizontalen Absturzböden war mit 18 cm starken, fest verschraubten und verhängten Lärchenhölzern abgedeckt. Diese Konstruktion hat, wie schon eine kurze Betriebsdauer zeigte, in keiner Weise befriedigt, sondern mußte nachträglich nach Abbruch des Krieges die Holzverkleidung der sämtlichen Schwellen * durch eine Eisenarmierung ersetzt werden. Die einzelnen Wehrpfeiler sind unter sich mit einer unteren Dienstbrücke aus Eisenbeton verbunden, die als Verbindung der beiden Ufer dient, und einer oberen Dienstbrücke, ebenfalls eine Eisenbetonkonstruktion, an deren Widerlagern die Eisen- und Doppelschützen aufgehängt sind und auf welchen die Windwerke und deren Antriebsmechanismus montiert sind. Von den eisernen Schützen, die die Wehröffnungen abschließen, hat die untere, deren Tragkonstruktion flußaufwärts liegt, eine Nutzhöhe von 11 m, die obere, flußabwärts liegende Konstruktion eine solche von 4 m. Bei der Konstruktion dieser Doppelschützen wurde vor allem darauf geachtet, daß sie sich trotz des Auftriebes, der beim Senken durch das rasch durch den letzten Schlitz strömende Wasser entsteht, sicher ablenken lassen und daß eine Vereisung der Schützentafeln möglichst vermieden wird. Hingegen wurde von der Ausführung von Gegengewichten Abstand genommen. Die beiden Schützen zeigen automatische Vorrichtungen, die eine gemeinsame Hebung bedingen, wenn bei Hochwasser auch die untere Schütze gehoben werden muß. Normalerweise wird der Stauspiegel, resp. der Abfluß des nicht in den Turbinen verwendeten Wassers durch Heben und Senken der oberen Schützen bewerkstelligt. Die Regulierung des Stauspiegels wird mit Ausnahme der Hochwasser durch Überfall bewerkstelligt, wodurch die Flußsohle unterhalb der Wehrstelle vor Kolkungen möglichst geschützt und andererseits der Stauspiegel und die Anlage bei Treibeis enteist und bei Geschwemmselführung leicht gereinigt werden kann. Am rechten Ufer der Drau, anschließend an das Wehr, dient für die Zirkulation der Fische vom Unter- nach dem Oberwasser und umgekehrt, mit einem Gefälle von 12 °/o und ausreichender Wasserspeisung und Beleuchtung, die Fischgasse. Die ebenfalls an dieser Stelle angeordnete Floßgasse, als doppelte Kammerschleuse von 34 m Länge und 7 m Breite, entsprechend den an der Drau üblichen Flößen von maximal 31 m Länge und Qm Breite, hat den Zweck, die rege Flößerei auf der Drau aufrechtzuerhalten. Die Flößerei auf der Drau, der während der Bauarbeiten manch schweres Hindernis in den Weg gelegt wurde, ist eine sehr rege. Ein Floßverkehr von 10—12 Flößen per Tag mit Wehranlage 90—100 m3 Holz ist in den Frühjahrs- und Herbstmonaten keine Seltenheit. Die Durchschleusung an der Wehrstelle dauert zirka 18 Minuten; unangenehmer fühlbar macht sich die Verzögerung bèi Überwindung des 9 km langen Staugebietes, jedoch werden hier die Flöße mit einem Benzinmotorschiff vom Staugebiet zur Schleuse befördert. Das Schalthaus, ein geräumiger Bau aus Eisenbeton, vom Maschinenhaus getrennt, mit letzterem durch einen Kabelkanal unterirdisch verbunden, befindet sich am unteren Ende des Unterwasserkanales auf hoher Böschung. Das Gebäude dient zur Aufnahme der vorgesehenen Transformatoren von 46.000 Volt, 110.000 Volt und 20.000 Volt, Werkstättenanlagen, Kabelzuführungen zu der zentralen Schaltanlage im Turbinenhaus, von welchem die Regulierung mit automatischer ^Fernsteuerung erfolgt. Da die Transformatoren und die übrigen elektrischen Einrichtungen während Kriegsdauer nicht zu beschaffen waren, blieb das Transformatorengebäude längere Zeit unbenützt und leer. Die Kraftabgabe an die km entfernt gelegene Kalkstickstoffabrik Maria-Rast, eine umfangreiche industrielle Kriegs-grüridung, sowie nach der 16 km entfernten Stadt Marburg erfolgt mittels Maschinenspannung von 10.000 Volt durch eine provisorische Schaltanlage im Bereiche der später einzubauenden Generatoren der Hochwasserturbinen. Der bei den Maschinen erzeugte Strom hat 10.000 Volt Spannung, 50 Perioden in 3 Phasen Wechselstrom und haben Turbinen Wie Generatoren eine Umdrehung von 150 Touren in der Minute. Die sich längs dem Drautale am rechten Ufer hinziehende Eisenbahn ist von der Anlage vollständig unberührt, da diese Bahnstrecke weit über dem Stauspiegel liegt; die am linken Ufer führende Reichsstraße, welcher Verkehrsweg schon zu den Römerzeiten Bedeutung hatte, ist mit vielen Krümmungen und Steigungen dem Gelände angepaßt und mußte infolge der Stauungen in dem Bereiche des 9 km langen Staugebietes in verschiedenen Teilstücken auf einer Länge von 3 km gehoben werden. Bei den hiezu erforderlichen Erdarbeiten sind Bruchstücke der alten römischen Karrenwege aufgefahren worden. Die Hebung der Reichsstraße, die, den Bestimmungen der Konzession entsprechend, bis auf 1 m über gestautem katastrophalem Hochwasser zu erfolgen hatte, erforderte bei einer gleichzeitigen Verbreiterung der Fahrbahn von 5 m auf 7 m große Erdarbeiten und Uferschutzbauten. Die Arbeitsmengen, welche die größte in Österreich gebaute Niederdruckanlage darstellt, belaufen sich auf folgende Mengen: Erdgewinnung im Fels- und im Flußgebiete, einschließlich der Reichsstraßenverlegung.......................................... 300.000 m3 Beton- und Eisenbetonkubatur für die gesamte Anlage ..... 115.000 m3 Eisenarmierung der Betonkonstruktion . . . . . . ............ . 1.300 1 Aufwand an Portlandzement.............. . . . . . .... ... 33.000 t Bauholz für die Schalung, Gerüstung etc......................... 30.000 m3 Eisenkonstruktion für die Schützen und deren Führungen .... 1.500 t; sie geben ein beredtes Zeugnis von dem Umfang der geleisteten gewaltigen Arbeiten. Für die Durchführung dieser Bauarbeiten waren umfangreiche Installationen erforderlich, große Derricks bis 35 m Austragung, ein über die Wehrstelle mit 412 m Spannweite führender Kabelkran mit 5 t Tragkraft, zwei Löffelbagger, Kompressorenanlage, für deren Betätigung am rechten Drauufer unter der Südbahn eine eigene Zentrale mit zwei Lokomotiven von je 350 PS. und einem kleinen Lokomobil von 120 PS. aufgestellt war. Die Übertragung geschah elektrisch mit Strom von 50 Perioden und 500 Volt Spannung. Die vielfache Anwendung von Eisenkonstruktion erforderte, um sich von den Lieferanten der Eisenkonstruktionen unabhängig zu machen, die Aufstellung und den Betrieb einer großen Eisenwerkstätte mit Stanzen-Radialbohrmaschinen, Blechscheren, Drehbänken, Shapingmaschinen, großen Schmiedeanlagen etc. Ebenso war auch die Einrichtung einer vollständigen Holzbearbeitungswerkstätte mit Gatter-, Zirkular-, Bandsäge, Hobelmaschine etc. notwendig. Die Groß Wasserkraftanlage Fa al entstand durch das zunehmende Bedürfnis nach vermehrter Stromabgabe der der Steiermärkischen Elektrizitätsgesellschaft angeschlossenen Ortschaften und Industrien sowie durch die Notwendigkeit, ein neues großes Absatzgebiet im Norden und Süden des Kronlandes Steiermark zu erschließen, und sollte in erster Linie mit den bestehenden Fernleitungen das Murkraftwerk Peggau und Lebring verbunden werden. Leider hat durch die Abtrennung des Drautales von Deutschösterreich diese bedeutende Kraftquelle von 220 Millionen Kilowattstunden infolge der verschiedensten politischen und wirtschaftlichen Ursachen für Steiermark wohl endgültig verlorengehen müssen. Dadurch hatte auch die Anlage in den ersten Jahren des Betriebes in dem industriell wenig entwickelten Jugoslawien sehr mit Absatzschwierigkeiten zu kämpfen. Es mußten lange, schwach belastete Fernleitungen zur Ausführung gebracht werden, um den Absatz, der hauptsächlich in der während des Krieges in Maria-Rast erbauten umfangreichen Karbid- und Kalkstickstoff-Fabrik mit einem Stromverbrauch von zirka 12.0Ö0 Kilowatt und in der Stromabgabe an die Stadt Marburg gefunden wurde, weiter südlich über Trifail und Laibach auszudehnen. Das Faaler Elektrizitätswerk mit seiner imponierenden Wehranlage wird ein dauerndes sichtbares Zeichen sein für das, was deutscher Geist und weit voraussehende Entwicklungsmöglichkeit in einem deutschen Teile der an Jugoslawien abgetretenen Südsteiermark geschaffen hat. Diplom-Ingenieur Hans Mast Schloß Faal SCHLOSZ OBER-PETTAU i manchem Städtlein und an mancher Burg ging die Geschichte schweigend vorbei. Bei anderen kehrte sie öfter zu Gaste ein, als es ihnen lieb sein mochte, und die großen Ereignisse des Landes, ja selbst des Reiches spiegeln sich in ihnen wider. Zur zweiten Art gehört Pettau. Es wäre verlockend, von der Stadt zu sprechen; weiß man doch von ihr mehr zu erzählen als selbst über Graz. Doch ich beschränke mich diesmal auf die Burg: ihre Erlebnisse sind ja zum großen Teile die der Stadt. Wie nieder ist doch der Burghügel, wie wenig erhebt er sich über den Spiegel der Drau! Und dabei welcher Rundblick über das weite Pettauer Feld, über das Hügelmeer im Süden und im Norden! Wenn ein Feuerzeichen am Donati, beim Schlosse Ankenstein oder am Bacher aufleuchtete, der Burgwachter gab es weiter nach Negau, Ober-Mureck, Ober-Radkersburg und zur fernen Riegersburg. Daher mag der Hügel schon in vorgeschichtlicher Zeit bewohnt gewesen sein. Die Römer hatten sicher oben eine Ansiedlung; Reste starker Mauern und Marmorsäulen, Münzen und Pfeilspitzen beweisen es, die man auf der Westfläche aus größerer Tiefe ergraben hat. Auf der Höhe stand wohl, so möchte man gern annehmen, das Palatium, das nach dem Berichte des Ammianus Marcellinus außerhalb der Stadtmauern Poetovios gelegen war: der Kaiserpalast, wie man bisher vermutet hat. Ob das heutige Schloß auf seinen Grundmauern erbaut worden ist — wer kann das beweisen oder ableugnen ? Wie das Palatium, so sank in der Völkerwanderung die ganze Römermacht in Trümmer. Die Slowenen zogen ein (um 568) und ließen sich auf dem Schloßberg nieder. Was noch auf der Höhe stand, das benützten sie wohl als Warte (straža), und in den Ruinen auf der Westfläche legten sie ihren Friedhof an. Waffenlose Leute waren es, nach den Funden zu schließen, die man hier gemacht hat. Bald darauf kam die deutsche Herrschaft, Bettobia und sein Schloßberg wurden Besitz des Hochstiftes Salzburg (nach 874). Doch schon 20 Jahre später brausten die Madjaren längs der Drau durchs Land, und Salzburg ward seines Besitzes erst wieder froh, nachdem König Otto J. die Feinde auf dem Lechfelde besiegt hatte. Aber noch lange Zeit verging, bis auf dem Schloßberg neues Leben erblühte. Erzbischof Konrad L, der mehrere Festen erbaute, erneuerte auch die „seit alters in Trümmern liegende Burg von Pettau“. Das mag um 1125 gewesen sein. Gern wüßten wir, was diese Trümmer waren. Stammten sie vielleicht gar noch vom römischen Bau her ? Oder vön einem karolingischen Hof, den die Madjaren verbrannt hatten ? Oder war es doch schon eine jüngere Burg, die ums Jahr 1000 entstanden und um 1080 untergegangen war? Wir werden auf diese Fragen wahrscheinlich niemals eine Antwort erhalten. Die Burghut übergab der Erzbischof einem wohl aus dem Lungau stammenden Rittergeschlechte, das sich in den folgenden 150 Jahren in die Reihe der ersten Lahdesfamilien aufschwang und ums Jahr 1200 die Steiermark und daher Deutschland auf Kosten Ungarns erweiterte. Stadt und Burg Pettau nahmen damit an der Reichsgeschichte Anteil, vor allem in jenen trüben Tagen der kaiserlosen Zeit, als die Steiermark vom Reiche getrennt wurde und an Ungarn kam; da ging vom Schlosse der erste, freilich mißglückte Befreiungsversuch (1257) aus. Zu noch größerer Macht stiegen die Burggrafen von Pettau unter den ersten Habsburgern auf. Sie besaßen im Umkreise Wurmberg, Ankenstein, Friedau und Polstrau und streckten schon die Hand selbst nach der Stadt und Herrschaft Pettau aus; nur mit schwerer Mühe gelang es den Erzbischöfen, sie zurückzuweisen und auf die frühere Stellung des salzburgischen Dienstmanns zu beschränken. Das Erzstift mag aufgeatmet haben, als das mächtige Geschlecht mit Friedrich VIII. 1438 erlosch. Ein müdes, trauriges Gesicht trotz aller Jugend blickt uns vom Deckel des Sarkophags entgegen, der im Schloßgang aufgestellt ist; Anker und Wurm im Wappen stellen ihn als Besitzer der beiden großen gleichnamigen Herrschaften vor. Sein Haupterbe, der oberösterreichische Graf von Schaunberg, mußte bald darauf gegen eine Entschädigung dem Erbburggrafenamt entsagen, und der Erzbischof setzte einen gefügigen Beamten ein, der ihm keine Beschwer verursachen konnte. So war. freilich diese Gefahr abgewendet. Doch dafür kam eine andere : Die Ungarn besetzten, mit Kaiser Friedrich III. im Kriege, Stadt und Schloß Pettau (1479) und behielten beides durch elf Jahre. König Maximilian gewann es zurück und gab es nicht heraus, weil Pettau ein vorzüglicher Stützpunkt gegen Ungarn war. Die Klagen Salzburgs verhallten lange Zeit ungehört, erst die Geldnot zwang Maximilian, Stadt und Herrschaft dem Erzstift zu übergeben, aber nur als Pfand und mit dem Rechte der Wiedereinlösung (1511). Wie der mittelalterliche Bau aussah, davon kündet uns leider kein Bild. Das Schloß selbst hat wenig von ihm bewahrt ; spätere Umbauten und Zubauten veränderten so viel, daß der alte Zustand heute fast unmöglich erkannt werden kann. Jedenfalls war die mittelalterliche Burg viel kleiner; sie umfaßte wohl nur den Westteil. Eine gotische Türe im ersten Stock, die erst kurz vor dem Weltkrieg entdeckt worden ist, und ein Saal mit einer mächtigen Säule zu ebener Erde gehören ihr an. An Einrichtungsgegenständen ist nichts mehr erhalten. Das ist sehr begreiflich, wie wir gleich hören werden. Die Türkennot bestimmte, wenigstens vorübergehend, das Geschick Pettaus. Der Türke hatte im Mittelalter mehrmals das Pettauer Feld verheert ; an die Stadt und Burg hatte er sich niemals gewagt. Selbst Sultan Suleiman, der im Herbste 1532 mit seinem Riesenheere durchs obere Feld zog, hielt sich mit der Belagerung nicht auf. Er fürchtete, vom deutschen Reichsheere eingeholt zu werden. Der Wert Pettaus für die Grenzverteidigung war so offensichtlich, daß König Ferdinand die Stadt und die Burg wieder vom Erzstifte zurücklösen wollte. Aber lange fehlte es ihm an Geld. Doch verwendete er inzwischen einen Teil der Beiträge, die das Land für Schutzbauten ausgeworfen hatte, für die Befestigung Pettaus. Diese führten Mitglieder der Künstlerfamilie De Lalio seit 1549 durch. Was gebaut wurde, erfahren wir leider nicht; nur sÒ gelegentlich, daß der Polier des Schlosses oder der Stadtbefestigung (?), Antonio de Piva, 1556 einen alten Turm abtragen ließ. König Ferdinand bekam endlich — wie es scheint, von der Ritterfamilie der Gera — so viel vorgestreckt, daß er zu Georgi 1555 Pettau vom Erzstifte einlösen konnte. Am 15. Mai räumte der salzburgische Rentmeister Adlger Nöß-linger das Schloß ganz aus und führte alles Geschütz und die Munition nach Leibnitz. Noch ist das Inventar vorhanden. Wir staunen über die geringe Zahl und die Kleinheit der Waffen : eine zerbrochene Tarasbüchse, 19 Hakenbüchsen mit Schäften, 2 neue Falkonettbüchsen aus Graz, 38 eiserne Hakenbüchsen, zu Windisch-Graz gemacht, 15 Handbüchsen, 5 Hausstachel, 1 ungeschiffter zerbrochener Haken, hat bei 30 Pfund, ein mittleres Eisenschlängl auf Rädern, so im hohen Turm gestanden mit 31 Kugeln, 3054 Hakenbüchsenkugeln, 940 Tarasbüchsenkugeln, 232 Bleikugeln für Doppelhaken, 680 für Hakenbüchsen, 52 bleierne Falkonettenkugeln, 8 Faß Pulver (655 Pfund), 100 Eschenspieße, 83 geschiffte Pfeile, 46 Hellebarden, ferner Schwefel, Seilé u. a. m.; selbst 3 Papierlaternen sind nicht vergessen. So hatte also der Landesfürst Pettau in seiner Hand. An der Burg und Herrschaft lag ihm weniger, die verpfändete er bald an die Gera weiter, verpflichtete sie aber, für die Wehrhaftigkeit zu sorgen ; alljährlich sollte eine bestimmte Summe dafür verbaut werden. Im Jahre 1570 bereiste der berühmte Sallustio Peruzzi als landesfürstlicher Baumeister und Ingenieur die Grenzfestungen und entwarf dabei für das Schloß ein Einfahrtstor; es ist das zweite, das zum Hauptbau führt. Seine vornehmen Formen: der elegante Giebel, die feine Attika und die schön profilierten dorischen Kapitäle der Pilaster verraten den Künstler, der seinen Vater beim Baue von St. Peter unterstützt hatte. Das Tor trug damals wohl das Wappen des Erzherzogs. Es wurde entfernt, als dieser die Herrschaft Pettau endgiltig aus der Hand gab. Dabei spielte wieder die Weltgeschichte mit, ihre Brandung warf die letzten Wellen bis hieher. Kaiser Ferdinand II. kämpfte seit 1619 mit der protestantischen Union um Böhmen und brauchte dazu viel Geld ; daher verkaufte er eine landesfürstliche Herrschaft um die andere. So auch Pettau 1622 an die kapitalskräftigen Eggenberger. Doch nur Burg und Herrschaft, nicht die Stadt. Die behielt er sowohl wegen ihrer Bedeutung als Festung, als auch wegen ihrer, handelspolitischen Wichtigkeit und der daraus entspringenden Steuerkraft ; beides nahm damals freilich stark ab. Die Stadt entrichtete ihre Steuern in die landesfürstliche Kammer (Finanzdirektion) und wurde daher später häufig und schließlich ständig „landesfürstliche Kammerstadt“ genannt. Der Ursprung dieses Beinamens reicht also ins Jahr 1622 zurück. Die Eggenberger behielten die Herrschaft nur bis 1634; damals ging sie an die verschwägerten Grafen von Tannhausen über, deren letzter, ein Jesuit, sie seinem Orden zuwendete (1642). Der legte ein neues, noch heute im Schlosse erhaltenes Urbar an, mußte sie aber infolge Geldnot veräußern (1656). Es kaufte sie der berühmte kaiserliche General Graf Walter Leslie, ein Schotte, der während des Dreißigjährigen Krieges reich geworden war. Er begann sofort den Umbau des Schlosses und baute, wie es scheint, den Nordtrakt, dazu; der trägt wenigstens überall das Wappen der Leslie — drei Schnallen. Auch das Tor Peruzzis erhielt sein Wappenbild und die — leicht irreführende — Jahreszahl 1657. Vielleicht erstand damals auch das erste Tor mit seiner wüsten Architektur. In diesem Jahre bereiste wieder eine Militärkommission die Grenzorte. Die Türkengefahr war neuerdings bedrohlich gewachsen ; man befürchtete einen großen Angriff. Was wir über die Wehrkraft erfahren, flößt uns keine Hochachtung ein. Die Kommission fand, daß das Schloß Pettau von Norden her leicht genommen werden könne, und schlug die Anlage eines Hornwerkes an der gefährdeten Stelle zwischen dem alten Turm und dem Schloßtürl vor. Dadurch würde, wie der Bericht sagt, nicht allein das Schloß in eine gute De-fension gebracht, sondern auch die Stadt gegen die neue Pforte und die daranstehende Bastei einerseits und gegen das alte, eingefallene Gießhaus andererseits bestrichen werden, ebenso die Höhe gegenüber (Panoramaberg), die 200 bis 300 Fuß vom Schloß entfernt beginnt und von der aus der Feind das Schloß mit Geschützen beschädigen könnte. Auch die Stadtbefestigung sollte verstärkt werden. Aber es kam weder zum einen, noch zum andern; Staat, Land und Stadt hatten zuwenig Geld. Das Bild der Verteidigungsanlagen, wie sie die Kommission antraf, entspricht fast genau dem Zustande um 1858, den der Plan von Raisp darstellt ; nur das Schloß wurde nach 1657 noch erweitert. Aber ganz sonderbar mutet die Bewaffnung Pettaus an. Stadt und Schloß verfügten zwar über 2 Halbkartaunen (24-Pfündner), also schweres Geschütz, wie es außer Graz keine steirische Stadt, auch Radkersburg nicht, besaß; doch es fehlten — die Kugeln! Außerdem waren noch je eine Quartierschlange (12 Pfund), Schlange (8 Pfund) und Falkone (6 Pfund), 3 Falkonette (2 Pfund), 10 eiserne scharfe Dünel, 1 Metallhaubitze, 14 Eisenhaubitzen, 7 Eisenmörser und 3 Orgelstücke da, ferner 100 gefaßte Doppelhaken, 221 ungefaßte, 25 kurze Wehren, 329 Piken, 70 Musketen und 52 Feuerrohren. Aber! Der Ausweis verzeichnet 4000 Kugeln für Viertel-kartaunen, sonst nichts ; zwar 35 Zentner Lunten, 56 Zentner Blei und 6 Zentner Pech, doch — kein Pulver! Sollte die Stadt eine dreimonatliche Belagerung aushalten (und auf eine solche mußte sie stets gefaßt sein), so brauchte sie noch 4 Quartierschlangen und 5 Falkonen, 650 Zentner Pulver, 400 Zentner Lunten, 600 Zentner Blei, 600 Halbkartaunenkugeln, 2160 für Quartierschlangen, 500 für Schlangen, 2250 für Falkonen, 800 für Viertelkartaunen, 900 für Falkonette, 3000 für Dünel und 1500 Handgranaten, 4 Zentner Salpeter, 3 Zentner Schwefel, 5 Zentner Pech. Hoffentlich traf das alles ein! Die Angst war freilich groß, als 1664 das türkische Heer durch Westungarn gegen die Raab zog. Sie verflog, als es dort geschlagen wurde, und der Leichtsinn kam wieder. Sie kehrte zurück, als der Türke 1683 vor Wien zog, und machte dann neuerdings und endgiltig der Sorglosigkeit Platz. Die Festung hatte ausgespielt, dem friedlichen Handel eröffnete sich langsam ganz Ungarn. Damit erhielt auch das Schloß eine andere Bedeutung : es war fortan nur Mittelpunkt der Herrschaftsverwaltung. Da Graf Walter Leslie eine Dietrichstein geheiratet hatte, verfügte er, daß Pettau nach dem Erlöschen seines Geschlechtes an die Dietrichstein zu fallen hätte. Das trat am 22. Februar 1802 ein. Doch auch diese starben schon 1858 in männlicher Linie aus, worauf des letzten Fürsten Tochter Therese, verwitwete Gräfin Herberstein, die Herrschaft erstand. Sie stellte alle Gebäude wieder her, doch erst der jetzige Besitzer, Graf Josef Herberstein, wußte dem Schlosse jene Innenausstattung zu geben, die seiner geschichtlichen Bedeutung entsprach. Dr, Hans Pirchegger ERINNERUNGSBLÄTTER AN ROHITSCH- SAUERBRUNN In wehmütigem Gedenken gehe ich daran, dem Leser ein herrliches Stück untersteirischer Erde vorzuführen, das, jahrhundertelang weithin bekannt und berühmt, so vielfach durch seine Heilquellen der Gesundheit Segen gespendet hat und nun auch von unserem schönen Steirerlande losgerissen ist. Mit begreiflicher Wehmut denke ich jener Zeit, da es mir ja selbst alljährlich gegönnt war, in dem wunderbaren grünen waldumkränzten Bergtale Sauerbrunns zu weilen und Leib und Seele zu stärken zu weiterem Schaffen. Ach, der mörderische Krieg und seine entsetzlichen Folgen haben auch diesen Besuchen ein Ende gemacht! In fremden Händen erscheint nun das schöne Quellental gelegen und für den Deutschen aus Steiermark zumal nur unter den größten Schwierigkeiten erreichbar, die ich nicht mehr überwinden kann. So will ich denn in den nachfolgenden Zeilen wenigstens einiges mitteilen über das verlorene Gebiet und ihm dankbaren Herzens für das mir ein Jahr nach dem andern dereinst dort gebotene Schöne und Gute ein Zeichen der Erinnerung weihen. Ist doch die Erinnerung nach den Worten unseres großen Dichters Jean Paul das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können. Der Kurort Rohitsch-Sauerbrunn hat seinen Namen seit der Einführung eines geordneten Kurbetriebes von dem südöstlich gelegenen freundlichen Markte Rohitsch erhalten, wo im 13. Jahrhundert die mächtigen Herren der Rochatzer auf ihren heute längst zerfallenen Schlössern hausten. Ein reiches Heilquell.engebiet war um das heutige Sauerbrunn hier in der südöstlichsten Ecke der steirischen Mark schon seit vielen Jahrhunderten bekannt. Geschichtlich beglaubigt erscheint sogar schon die Anwesenheit des einstigen die damalige Welt beherrschenden Römer Volkes auch in dieser freundlichen Gegend. Sie ist durch reichen Wälderbestand ihres Hügellandes, aus dem aber auch manches gewaltige Berghaupt sich erhebt, ausgezeichnet. Eichen- und Buchenwälder, mit Nadelholz untermischt, erstrecken sich über Berg und Tal, manche Edelkastanie erinnert an die südliche Lage, nicht minder die vielen ausgebreiteten Rebenpflanzungen. In einem prächtigen grünen Talkessel liegt der eigentliche Kurort Sauerbrunn, den man erst demselben ganz nahe gekommen mit seinen stattlichen, mitunter palastähnlichen Bauten vor sich sieht. Vor 1903 erreichte der Besucher die Kuranlagen von der Eisenbahnstation Pöltschach, von wo eine Wagenfahrt den Bequemen und Heilungsbedürftigen, eine anmutige mehrstündige Wanderung den rüstigen Fußgänger in dieses südliche Heilquellengebiet brachte. Auch mir war es bei den ersten Besuchen daselbst beschieden, die treffliche Straße von Pöltschach bis zum Kurorte selbst zu durchfahren. Über die Höhe des Gabernigberges, zwischen schattigen Waldpartien, denen nach Erreichen der Höhe gegen abwärts rechts und links üppige Weingärten folgen, führte der Weg. Nachdem an der Wèst-seite des bewaldeten Wotschberges vorüber diese Höhe gewonnen ist, weidet sich der Blick an einer herrlich gebotenen Landschaft. Man erblickt bald darauf zwischen den waldigen Hügeln die hochaufragende seltsame blaugrüne Pyramide des Donatiberges im Osten, der ja auch in das Tal von Sauerbrunn hinunterblickt. Wir pflegten ihn scherzhaft das untersteirische Matterhorn zu nennen, wenn auch weder Eis noch Schnee zur Sommerszeit dieses Berghaupt bedecken, das aber von jener Seite aus in der Form tatsächlich mit dem Schweizer Gebirgsriesen eine gewisse Ähnlichkeit aufweist. Schließlich ist an Wiesen und Feldern und manchem stattlichen Gehöfte vorbei der untere Talboden rasch erreicht, und die Allee mächtiger Bäume führt den Heil- und Erholungsbedürftigen in das abgelegene und doch so bunte Kurgetriebe. — Als aber seit 1903 ein Bähnchen von der Station Grobelno der Südbahn in östlicher Richtung nach dem Markte Rohitsch und damit bis hart an die Grenze Kroatiens angelegt worden, war dessen vorletzte Station das Gebiet der Sauerbrunner Quellnymphen, denen damals die Verse entgegentönten: .. . Auf, begrüßet mit Jubel hell Die dampfgetriebenen Wagen, Die neues Leben zum alten Quell, Den ihr hier spendet, euch tragen. Und wenn’s durch die Täler dröhnend hallt Auf neu erschlossenen Wegen, Euch reicher des Dankes Wort noch erschallt, Geweiht ist euch reicherer Segen! Der Besuch wurde in der Tat noch größer, zumal aus den Ländern des Nordens und Südens. Aber der Weg war doch schöner gewesen auf der mehr als hundertjährigen Pöltschacher Straße mit ihren abwechslungsreichen Landschaftsbildern, die bunt an dem Fahrenden vorüberzogen und ihm Einblicke gewährten in die eigenartige Bergwelt des untersteirischen Gebietes bis hinüber zu den kroatischen Höhenketten. Dem Fahrgaste des naturgemäß nur in der Niederung westlich von der alten Straße dahinbrausenden Bahnzuges sind diese Ein- und Ausblicke versagt. Hier mögen noch einige geschichtliche Angaben über das ganze Heilquellengebiet ihre Andeutung finden, die uns von dessen einstiger Kenntnis und Benützung erzählen. Es ist schon erwähnt worden, daß dieser Boden den römischen Welteroberern nicht unbekannt geblieben ist. Die Legionen, welche ihn durchzogen, haben manche Spuren ihrer Anwesenheit in erhaltenen Römersteinen zurückgelassen, und die alten Römerstädte Cilli und Pettau weisen zahlreiche Denkmäler jener Zeit auf. Auch viele Heilquellen der Gegend waren schon damals bekannt. Ob aber die vielen Sauerbrunnquellen gerade des Rohitscher Beckens, ist nicht nachzuweisen. Dann sind Jahrhunderte vorüber- gegangen, aus denen ebenfalls keine Kunde über das Heilwasser vorliegt. Der gelehrte Leonhard Thurneisser erst erwähnt in einem 1572 erschienenen Buche über „mineralische“ Quellen eines Wassers von „großer kr afft und tugend“, das 5000 Schritte von der alten Stadt Cilli gelegen sein soll. Später 1581 gab der berühmte Tabernaemontanus seinen „Newen Wasserschatz“ heraus und gedenkt eines Sauerbrunns „ohnweit von Reichenburg“, der sich auf dieses Quellengebiet beziehen dürfte. Die geringen geographischen Kenntnisse jener Zeit müssen freilich die ungenaue Ortsangabe entschuldigen, da ja Reichenburg viel südlicher und ziemlich weit gelegen ist. Aber im Jahre 1685 veröffentlichte der Marburger vortreffliche Arzt Dr. Johann Benedikt Gründel sein lateinisches Werk „Roitschocrene“, das er 1687 auch in deutscher Übersetzung vorlegte und worin sehr ausführlich von „dem edlen Brunn nicht weit von Heüigenkreuz“ gehandelt wird. Auch über die Entdeckung der besonderen Heilkraft desselben erzählt Gründel. Es soll nämlich 1640 der Banus von Kroatien Graf Niclas von Zrinyi auf der Jagd in diese Gegend gekommen sein. Und da der vornehme Herr leidend war „mit der schwarzen Gelbsucht überladen, auch Leber und Milz hart gewesen“, sollen ihn Landbewohner dort auf das Wasser aufmerksam gemacht haben. Dieses hat er dann getrunken, längere Zeit gebraucht und ist in der Tat von seinen Leiden befreit worden. Es war dieser Graf Zrinyi ein Urenkel des berühmten Helden von Szigetvär, den unser edler Theodor Körner in seiner prächtigen dramatischen Dichtung verherrlicht hat. Seitdem wurde das Heilwasser immer weiter bekannt, obgleich die Hauptquelle zunächst nur in einem von dürftigem Zaune umgebenen Holzstocke gefaßt war. Aber bald kamen nun auch andere Kundige auf den Wert dieses heilsamen Wassers, nahmen sogar die Versendung des-sèlben vor und verkauften es zu teuren Preisen. Die Landesfürsten wurden nun darauf aufmerksam und es kam sogar zu manchen Streitigkeiten, die sie schlichten mußten und strenge Gesetze bezüglich der Wasserversendung erließen. Der Leser wird eine Darstellung dieser Vorgänge bis zum Anfänge des 19. Jahrhundertes gern entbehren. Dann aber erregte das in deren Gebiet gelegene Wasserbereich die Beachtung der Stände Steiermarks ' und 1803 wurde die Wasserausfuhr diesen durch kaiserliche Verordnung zugesprochen. Gleichzeitig errichteten die Stände als Vertreter der Steiermark die ersten Gebäude der entstehenden Kuranstalt, bestellten einen Inspektor und Brunnenarzt und legten den Grund zu der heutigen weitreichenden Berühmtheit von Rohitsch-Sàuerbrunn. - Insbesondere Landeshauptmann Ferdinand Graf Attems und sein Nachfolger Ignaz M. Graf Attems sowie der Prälat des Stiftes Admont Gotthard Kugelmayer machten sich damals um das Emporblühen des jungen Kurortes überaus verdient. Auch der erste Brunnenarzt und Inspektor Doktor Johann N. Fröhlich ist eine für dieses Aufblühen bemerkenswerte Persönlichkeit. Sein Sohn Dr. Ernst Hilarius Fröhlich hat die durch des Vaters Urteil und vieljährige Erfahrung unterstützte erste größere Schrift in modernem Geiste über „die Sauerbrunnen bei Rohitsch“ 1838 veröffentlicht. Die Entwicklung und Verschönerung der Kuranstalt nahm nun in erfreulicher Weise ihren Fortgang. Schon war ein Kursalon nebst anderen nötigen Gebäuden erbaut, 1819 wurde der schöne, noch bestehende Brunnentempel errichtet, 1842—1843 die Wandelbahn auf der Ostseite. Es folgte die Erbauung des großen Kurgebäudes mit dem prächtigen Saale, zu dessen Eröffnung 1847 Kaiser Ferdinand selbst nach Sauerbrunn gekommen war. Das quer über dem heutigen geräumigen Kurplatze gelegen gewesene alte Kurhaus wurde niedergelegt, Füllhäuser für die Wasserversendung erschienen nun hergestellt, eine Süßwasserleitung folgte sowie die Einrichtung mancher anderen Trinkbrunnen in zierlicher Ausstattung. Als im Jahre 1910 ein verheerender Brand das große Kurhaus und insbesondere den schönen Saal zerstörte, sorgten die Vertreter des Landes für eine rasche Wiederherstellung, und ein nun errichteter Vorbau mit dem von Säulen getragenen Portikus diente noch zur besonderen Verschönerung des palastähnlichen Gebäudes mit den breiten gedeckten Terrassen des Kaffee- und Speisehauses. Wie schöne Morgenstunden waren mir auf dieser Terrasse nach dem für die Wasserkur nötigen Spaziergange beschieden, wenn die Klänge der nahen Musik beim Frühstückstisch das Ohr umschmeichelten und der Blick über den blumengeschmückten Kurplatz mit den darauf sich Ergehenden schweifte oder den hohen Silberstrahl des Springbrunnens in der Mitte verfolgte, dessen sprühende Wassertropfen einen farbigen Regenbogen im Sonnenstrahle hervorzauberten! Vorbei! vorbei! Unter den in den neugeschaffenen Kurort immer reichlicher herbeiströmenden Gästen waren bald solche aus dem Norden und Süden vertreten, aus Wien und Triest, aus der oberen Steiermark, aus dem nahen Kroatien» aus Ungarn und selbst aus Serbien und anderen Ländern des Ostens kamen sie herbei, Labung und Heilung an den herrlichen Quellen zu suchen und — zu finden. Das hoffentlich noch bestehende alte Gedenkbuch der Kuranstalt weist manchen großen, bedeutenden Namen solcher Besucher auf. Und der größte und hervorragendste ist wohl derjenige des Fürsten, der in der Folge dem Lande Steiermark ein so unendlicher Wohltäter und Segenspender geworden ist, derjenige Erzherzog Johanns. Auch als der ältesten einer unter den Berühmten der Kurgäste ist er zu bezeichnen. Als nach den Kämpfen und trüben Erfahrungen des Jahres 1809 der edle Prinz erbittert und niedergedrückt an Leib und Seele sich krank fühlte, kam er wohl auf Veranlassung des Landeshauptmannes Grafen Attems im Jahre 1810 zur Heilquelle. Er, der schon Liebe zu unserer Steiermark gefaßt, fand Heilung und Erquickung in Sauerbrunn und wiederholte seinen Besuch in den Jahren 1811 und 1812, bis er vollständig genesen und gekräftigt erschien. Seine ergreifenden Worte, mit denen er selbst das erwähnte Gedenkbuch eröffnete: „Nach zurückgelegten kummervollen Zeiten... fand ich in diesem stillen Tale Ruhe und Gesundheit wieder“ usw., sind eine herrliche bleibende Erinnerung an den Besuch des im schlichten Steirer-gewande hier erschienenen Prinzen. Freundlich verkehrte er mit den Kurgästen, mit denen vereint er 1812 sogar selbst den Spaten zur Hand nahm, um einen Spazierweg durch den Eichwald zu bahnen, der bis zuletzt noch Rohitsch-Sauerbrunn um 1837 den Namen des Erzherzogwaldes führte. Es war mir durch die Güte der Nachkommen des Edlen gegönnt, Erzherzog Johanns damalige „Tagebuchaufzeichnungen von seinem Aufenthalte in Rohitsch-Sauerbrunn und über seine Reisen in Unter Steiermark“ aus jener Zeit (Graz, Leykam 1912) herauszugeben. Von hier aus hatte er auch in fernere Gebiete des steirischen Unterlandes seine Fahrten unternommen, hatte Pettau, Cilli, ja selbst die prächtigen Gebirge der Alpen des Sanntales bis Sulzbach aufgesucht und mit bewunderungswürdiger Genauigkeit und Landeskenntnis diese seine Reisen im Tagebuche aufgezeichnet. Aber auch seine Gefühle und seelischen Stimmungen erscheinen darin niedergelegt, die heute noch den Leser tief ergreifen und des Fürsten ganze innige Liebe zum schönen Steirerlande offenbaren. Noch sei bemerkt, daß der ausgezeichnete Maler Karl Ruß als Begleiter des Prinzen damals auch die erste Aufnahme des jungen Kurortes (1810) bewerkstelligte. Eine Ansicht aus späterer Zeit (1837) wird obenstehend dem Leser vorgelegt. Eine Marmortafel mit entsprechender Goldinschrift, an die wiederholte Anwesenheit des verehrten Erzherzogs vor 100 Jahren erinnernd, wurde auf meine Anregung im Jahre 1912 von der steiermärkischen Landesvertretung an dem Direktionsgebäude, in dem damals Erzherzog Johann gewohnt, angebracht und feierlich enthüllt. Beinahe fürchte ich, daß dieses historische Erinnerungsmal der Liebe und Dankbarkeit des Landes für unendliche Wohltaten, die natürlich auch der slawischen Bevölkerung zustatten kamen, von nachfolgenden, der Pietät und Kultur feindlichen Elementen zerstört und vernichtet worden ist. Nur knapp angedeutet sei, daß im Laufe des 19. Jahrhunderts noch viele berühmte und hervorragende Männer in Sauerbrunn geweilt, daß Kaiser und Könige, hohe Kirchenfürsten, ausgezeichnete Künstler und Dichter daselbst zu Besuch gewesen sind. Im Jahre 1811 schon hatte Ludwig, der König von Holland, "der Bruder, aber keineswegs Verehrer Napoleons I., dort seinen Kuraufenthalt genommen. Alle bedeutenden Gäste aufzuzählen, würde zu weit führen. Es seien etwa genannt von Steiermärkern die Historiker Wartinger und A. Muchar, die Dichter K. G. Puff und A. Suppantschitsch, dann der gemütstiefe Johann Gabriel Seidl, ehemals Professor in Cilli, die Archäologen J. Bergmann und Fritz Pichler, der Poet L. A. Frankl und der hochgemute Freiheitssänger Anastasius Grün (A. A. Graf Auersperg), von dessen Familie schon beim Beginn des Jahrhundertes Angehörige in der Kurgastliste Vorkommen. Ein schöner Eichbaum mit Namensbezeichnung erinnert auch an den Besuch des genialen humorreichen ungarischen Erzählers Koloman Mikszäth. Viele, viele andere von Rang und Namen haben in Rohitsch-Sauerbrunn Genesung und Erquickung gefunden. Faust Pachler, der literarische Freund Friedrich Halms und später Herausgeber von dessen Nachlaß werken, hat seit 1879 sogar in zwei Gedichtsammlungen: „Rohitscher Brunnenkur“ und „Rohitscher Sonnendienst“ der Schönbeit dieses Quellengebietes zahlreiche Verse gewidmet. Daß im Jahre 1883 der verewigte Kaiser Franz Josef I. in den anmutigen Kurort gekommen, berichtet eine Marmortafel an dem seitdem sogenannten Kaiserhause, in dem er gewohnt hat, wenn nicht die historische Gedenktafel auch von rohen Bubenhänden heute zerschlagen und entfernt worden ist. : Um gewissenhaft genau zu sein, müßte ich noch der das Kurgebiet zunächst umgebenden Berghöhen gedenken, des zum Teil mit dunklen Fichten bewaldeten Triestiner Kogels mit seinem köstlichen Ausblick, des gleichfalls nach allen Richtungen einen weiten herrlichen Blick gewährenden Janinaberges, der Ferdinandshöhe mit dem wunderlieben, zu wahrer Andacht stimmenden Kirchlein oben und dem Denkmale des eigentlichen Hauptbegründers der Anstalt Ferdinand Grafen Attems. Noch viele andere Dinge näher und ferner, neue schöne Gebäude und Einrichtungen der jüngsten Vorkriegszeit müßten erwähnt werden, um die sich durch Jahre der unendlich tätige Direktor Dr. Franz Mulli so hoch verdient gemacht hat. Nur des freilich schon seit Jahrzehnten nicht mehr bestehenden Theaters soll noch gedacht sein, in dem dereinst ein ganz Großer, Ludwig Anzengruber, sich noch als kleiner Schauspieler bescheidene Lorbeeren zu pflücken glaubte und — hungerte. Auch Alexander Girardi, der geniale Künstler, hat seinerzeit in dem verschwundenen Schauspielhause die Zuschauer erheitert. Leider gestattet der Raum hier nicht, auf mehr als geboten worden einzugehen. Nicht einmal die Besteigung des nahen merkwürdigen Donatiberges darf geschildert werden, die doch 1811 Erzherzog Johann sogar zu Pferde unternommen, ein Beweis, daß sie nichts weniger als lebensgefährlich ist. In seinen erwähnten Tagebuchaufzeichnungen hat er sie und den Berg mit seiner unendlichen Rundsicht aufs genaueste beschrieben. Als mir in einer düsteren Periode meines späteren Lebens manche Bosheit und Tücke gehässiger Menschen das Leben verbitterte, flüchtete ich wie alljährlich in dies herrliche Tal von Sauerbrunn, und auch ich hatte dort Frieden und Gleichmut wieder gefunden. Die hier folgenden Verse sind damals entstanden und mögen diesen Erinnerungsblättern selbständig beigefügt sein als ein letzter Gruß an ein nun in fremden Händen befindliches, für mich verlorenes Paradies. AN DIE QUELLNYMPHEN VON Wenn falscher Menschen und der Welt Getriebe Erbärmlich mir geworden allzusehr, Dann eil’ ich gern in alter treuer Liebe Zu eurem stillen Born, ihr Nymphen, her,. Da Herbstesahnung schon im grünen Tale, Die lautesten der Gäste heimwärts ziehn, Dann ward ja stets von eures Trankes Schale Mir für Gemüt und Körper Heil verliehn. Gern habt ihr auch dem späten treuen Gaste Geboten eurer Quelle Perlen dann, Den prächt’gen Wald ihm, daß er darin raste, Den er so oft durchzog und dabei sann. Ihr habt ihn freundlich bei euch aufgenommen Und die Natur mit ihrer ganzen Pracht Hat, wenn er in dies schöne.Rei.ch gekommen So reizumsponnen ihm den Gruß gebracht. Und wenn er aus der Flut, der silberhellen, Den Becher schöpfte, der ihm Labung bot, Wie fühlt’ er die gesunknen Kräfte schwellen^ Ein jedeš Leiden schwinden, das gedroht! Und wie verschwand auch durch die schönen Die ihm nur, ach, gar allzuschnell enteilt, [Tage, Was ihm das Herz bedrückt mit Sorg’ und Plage, Wenn er in eurem Waldtal hier geweilt. ROHITSCH-SAUERBRUNN, 1910. Es liegt weitab hier Bosheit und die Tücke, Die üppig dort im Lärm der Stadt gedeiht, Ein jeder grüßt mit frohem freien Blicke, Den der Genesung Freude ihm verleiht; Ein jeder, der beim milden Sonnenscheine Hinwandelt stillgemut durch Wald und Au’n Und heitern Sinns in ungetrübter Reine Sieht über sich des Himmels Wölbung blau’n. Das ist der Segen, den ihr Nymphen bietet Nicht nur durch euer Wasser, hell und klar, Der Segen des Bereichs, das ihr behütet, Der in das Herz strömt jedem Wunderbar. Harzduftend zieht es durch den Zweig der Fichte, Im Laubwald kühlt ein frischer Hauch die Brust Und unter grünumrankter Äste Dichte Erfaßt die Seele neue Lebenslust. Und darum biet’ auch ich des Dankes Gabe, Wie viele Tausende getan vor mir, Für jeden Becher, den zum Heil, zur Labe Mit seinen Perlen ich empfangen hier. Der Müde, der Erquickung hat gefunden In eurem herrlich grünen Heilbereich, Die schönsten, besten seiner Lebensstunden An diesem Segensquell, er dankt sie euch! Anton Schlossar MARIA IN DER WÜSTE Dieser Titel klingt wie der einer der lieblichen Legenden, welche unsere Romantiker so sehr liebten, und wer kein Marburger ist, der wird vielleicht erwarten, daß da nun von Maria und ihrem heiligen Kindlein erzählt werden wird, wie sie mitsammen in die schützende Öde gelben Wüstensandes flohen, um sich vor den Mörderhänden des Vierfürsten Herodes in Sicherheit zu bringen. Nun, mit der Legende haben diese Zeilen und ihr Titel nichts zu tun, sondern sie wollen von einem der reizendsten Winkel des südsteirischen Landes erzählen, von dem märchenheimlichen Wallfahrtsörtlein „Maria in der Wüste“, das da mitten in die grüne Wunderwelt des Bachern eingebettet liegt, wie ein Kindlein in der Wiege. Ein schwaches Stündlein Bahnfahrt von Marburg, die Drau aufwärts, trägt zur Eisenbahnstation Faal. Durch einen in den schäumenden Bergstrom vorspringenden Felsen bohrt sich die Bahn hindurch, und da liegt auf der Anhöhe, in Efeu versponnen, von den Armen harzduftenden Bergwaldes umschlungen, das Schloß Faal. Wer nicht besonders gut zu Fuß ist, der mag daran vorbei auf der sehr mäßig ansteigenden Jodlstraße in die Wüste wandern, wer aber über ein gesundes, leistungsfähiges Gehwerk verfügt, der nehme seinen Weg über den „Jägersteig“. Erst geht’s etwa eine kleine Halbstunde zwischen dem Bahnkörper und der rauschenden Drau entlang, dann springt bei einem Wächterhaus, in dessen Gärtchen die roten Pfingstrosen leuchten, der Pfad über das Geleise und geradeaus in den Hochwald hinein, um in langgestreckten Serpentinen emporzuklimmen. Das ist der alte Märchenwald! Riesige Bergtannen recken ihre Krone in die Lichtflut der blauen Himmelsweite, und ein Summen geht durch sie, so zart und leise, als hätte sich da oben in dem Labyrinth der grünen Zweige ein sanftes Sommerlüftchen verlaufen und suche nun, ärgerlich brummelnd, nach einem Ausweg. Aus dem Waldboden aber steigt an allen Ecken und Enden schwarzes Geklipp. Wie braune und schwarze Schlangenleiber ringelt sich wirres Wurzelwerk um sie oder kriecht über sie hinweg in mächtige Büschel hochwehenden Farnkrautes oder in schwarze gähnende Klüfte hinein, als wollten sie den Weg zeigen zu den geheimnisvollen Erdkammern, wo die weißgleißende Schlangenkönigin mit dem goldenen Krönlein auf dem Haupte schläft, wo in sonnenhellem Glanze der Karfunkelstein leuchtet und geschäftige Zwerglein all den tausend und tausend Wässerlein, die allenthalben aus dem Schoße der Erde hervorquellen, den Weg bahnen. Still und hoch stehen die blauen Glockenblumen, der Waldmeister verhaucht seine Duftseele in Sehnsucht nach der geliebten Prinzessin Rebenblüte, die fern auf goldbesäumten Hügeln Hof hält, und wenn die Tannenmeisen ihr Piepsen einstellen und das große, große Schweigen durch den Wald flutet, dann ist es, als müßte jetzt und jetzt zwischen den Stämmen das Einhorn hervorwandeln, das Meister Böcklin gesehen und mit andächtigem Schauer auf die Leinwand hingemalt hat. Und immer wilder und romantischer gestaltet sich das Waldbild. Tief und steil abfallende Gräben tun sich auf, in grüne Dämmerung gehüllt; schroffer und schroffer stürzt das Geklipp in die Tiefe, aus der in mattem Silberglanz ein Bächlein heraufblitzt, an dem Huflattich und Pestwurz die breiten Blätter spreizen, und dann tut sich bei einer Pfadbiegung auf einmal der Wald auf und ein Landschaftsbild liegt da von einem solchen Reiz der Farbe, daß einem das Herz erzittert im Glück des Schauens. In einem Grün, das die ganze Leuchtkraft der Sonne in sich'getrunken hat und in das tiefviolette Schatten wundersam hineinspielen, bauen sich rings die Waldberge auf, zu ihren Füßen in hellstem Sonnenglanz funkeln die graugrünen Wellen der Drau und werfen weiße Schaumkronen gegen die Felsen, die sich ihrem Läufe entgegenstemmen. Und wieder öffnet die schweigende Waldeinsamkeit ihré Pforten. Von gewaltigen Felsenstufen stürzt in sommerlich dünnem Strahle ein Wässerfall und hinter seinem Perlenschleier, aus der schwarzen Felsenschlucht hervor, die mit hängenden Zweigen vergittert ist, da haucht es so kühl, und ein fahles Glimmern ist da, wie dort, wo einst Goethe zog und wovon er sang: „In Höhlen wohnt der Drachen alte Brut, es stürzt der Fels und über ihn die Flut.“ Und steiler, steiler steigt der Pfad hinan; durch junge, dicht verwachsene Tannenschonungen führt er, in denen das Amselweibchen brütet, während über ihm auf dem Wipfel das Männchen aus voller Brust sein Flötenlied ertönen läßt. Dann liegt einmal auf kleiner, saftig grüner Waldlichtung ein einsames Forsthaus und dann geht es nochmals empor in mannigfachen Windungen an jähen Schluchten und Abgründen vorbei, welche die stürzenden Bergwasser in jahrtausendlanger unermüdlicher Arbeit in den Granit hineingemeißelt haben und in die sie im brausenden Ungestüm kraftgeschwellter Lenzzeit ganze Lasten von Felsblöcken geworfen haben, daß es da drunten in grauem Chaos durcheinander liegt wie aufgehäuftes Material zu einer neuen Weltschöpfung. Doch jetzt wird der Weg ebener und sanfter, goldgelber Ginster flammt zu seinen Seiten, und auf einmal erhebt sich aus dem hohen wehenden Sommergras und über sparrige Obstbaumkronen graues Gemäuer, dem Unterbau einer verfallenen Sennhütte gleich, auf den man aber eine Art Aussichtsbalkon gesetzt hat, sorglich mit einem Schindeldach gedeckt und einem Türmchen geschmückt. Weitum herzerquickende Waldruhe; nur Vogelsang und das traumhaft monotone Summen und Surren flügelblitzender Kerfe über den großstrahligen Margeriten, den hochragenden Ähren des Salbei und den krauszerzausten Blüten der Lichtnelken, die mit anderen Kindern cjes Frühlings den Wiesenteppich mit leuchtendem Bunt durchweben. Wie es da so herrlich, so heimattraut ist ! Man möchte sich am liebsten in dieses duftende Sommergras hineinwühlen, sein innerstes Wesen mit Duft und Sommerwind verströmen lassen, hinauf in das strahlende Blau und hinaus über die Wälder in die Nähe und Weite, die so schön heraufgrüßen, daß einem das Herz vor Jubel zu klingen anhebt. Da zieht sich unten in der Tiefe der weiße Faden der Jodlstraße entlang, Schloß Faal träumt auf seinem Felsen den Dornröschentraum, da glitzert im Sonnenfunkenspiel die Drau bald da, bald dort aus dunklen Waldweiten auf, die Häuser von Maria-Rast und Zellnitz schimmern mit weißen Mauern aus der Ebene herauf, und gegen Osten hin, wo die gelbbraunen Rebenhügel den Sonnensegen trinken, da liegt das rote Dächergewirr von Marburg. Rechts und links aber umrahmen dieses entzückende Bild die Wälder des Bachern und Poßruck mit lichtem Buchen-und dunklem Tannengrün, das sich in alle Schattierungen abtönt, bis es im blauen Duft der Ferne verschwimmt. Nur schwer reißt man sich von diesem Plätzchefi los und nun geht es, an beiden Seiten von flammendem Besenginster begleitet, durch den Hochwald abwärts. Einmal führt der Pfad über den Hof eines Bergbauernhauses, das in seiner weitläufigen Anlage und seinem Holzbau ganz an die Gebirgshöfe Ober-steiers erinnert, dann senkt sich der Weg über grüne Matten hinab und läuft dann zur Seite eines Bächleins, das ihm weiß Gott was vorbrodelt, und zwischen einem reichen Flor von Vergißmeinnicht dahin, die mit blauen Kinderaugen ins kühlumhauchende Waldland hineinträumen, dann dringt plötzlich aus der Tiefe ein Rauschen, das dem Bächlein sagt, daß dort unten ein großer Bruder seiner harre. Da stürzt es sich aufjauchzend über Stein und Stamm hinab, während der Pfad gesittet durch den Hochwald weiterläuft und erst dann in die Tiefe niedersteigt, wenn schon durch das dunkle Tannengrün rotbehelmte Kirchtürme blinken : Maria in der Wüste. Wie man dieses einzigschöne Waldidyll irgendwie mit einer Wüste in Verbindung bringen konnte, ist unerfindlich. Alle Zauber deutscher Waldromantik liegen hier vereinigt. Da erhebt sich auf ragender Felsnase ein Kapellchen mit schlankem Glockenturm, der heiligen Anna geweiht. Wie ein Ausschnitt aus einem Bilde Moritz von Schwinds oder Ludwig Richters ist das anzusehen und keinen Augenblick würde es überraschen, wenn da oben der Mönch Waltramus, dem seliges Leid geschah, den Glockenstrang zöge, um mit den weichen Tönen der Abendglocken entschwundene Liebe zu grüßen, daß es süß und sehnend durch die Einsamkeit klingt: „Vale carissima!“ Und das zweite Stück romantischer Waldpoesie ist das Wallfahrtskirchlein selbst. Dem Radibach, der mit zornig schäumenden grünen Wellen über Felsblöcke dahergebraust kommt, ist es plötzlich eingefallen, eine Schleife zu bilden, die sich fast bis zum Kreisrund schließt. Und in dieses Rund ist die Kirche hineingebaut. Durch jedes ihrer Fenster blickt der Wald in die schmucken Hallen, und in die Töne der Orgel und in den Gesang der Gläubigen mischen sich die hellen Stimmen der Bergfinken und Zeisige und rauscht der Bach von drei Seiten das Hohelied der Ewigkeit, das er schon gesungen, als hier noch Gnomen und Wichtel hausten und die weißen Wasserfrauen, auf grauem Steine sitzend, ihr goldenes Haar kämmten, bis der Klang der geweihten Glocken sie vertrieben hat, daß sie aufwärts flohen zu den einsamen, melancholischen Hochseen des Bachern, wo sie sich nur mehr zeigen, wenn ein träumender Poet sie aus dem Lande der Vergessenheit vor seine versonnenen Augen heraufbeschwört. Und daß dem frommen Waller nach anstrengender Bußübung und dem Weltkinde der sündhaften Stadt, das hier auf einige Stunden Waldfrieden, Waldluft, Vogelsang und Wellenrauschen genießen will, nichts zu seinem irdischen Vergnügen fehle, ist neben die Kirche eine gastliche Stätte hingebaut, an der ein bildsauberes Wirtstöchterlein schäumendes Bier und köstlichen Schilcher kredenzt, und dir, lieber Pilger, wenn du zur glücklichen Stunde gekommen bist, so herrliche blaugesottene Forellen auf den Tisch stellt, daß dich der vermessene Wunsch befällt, das Jahr möge unter solchen Umständen drei-hundertsechzigundfünf Fasttage haben. Ach ja! hier ist’s gut sein! Hier lasset uns Hütten bauen, dir eine, mir eine. Moses und Elias mögen sich aber anderswo ansiedeln. Doch die Sonne sinkt und kühler atmen Wald und Schlucht. Wie ein müder Falter legt sich das Abendrot auf die Wipfel des Hochwaldes; durch das reine Blau des Himmels segeln purpurngefärbte Wölklein wie rosenbeladene Kähne auf seidenblauer Meeresflut. Und da greifst du seufzend zum Wanderstab. Die Talenge entlang gibt dir der Radlbäch «schäumend und tosend das Geleite bis zur Eisenbahnstation Lorenzen. Ade du schöne, schöne Waldeinsamkeit ! Vale carissima! Karl Bienenstein CILLI Bnmutumgürtete Sannstädt! Ertönt L dein freundlicher Name, Taucht vor dem Aug’ mir empor immer dein sonniges Bild. Nord und Süd verbanden fürwahr sich, prächtig zu schmücken Dich, du lieblich Juwel traubengesegneter Mark. Üppig umgrünt dir südliches Laub die schwellenden Glieder, Doch vom Gebirge her grüßt Schnee in das blühende Tal». , Selbst dein fröhliches Volk nimmt teil an der Doppelbegabung: Stolz wahrt der Männer Geschlecht nordischgermanische Kraft. Und wo sähe der Fremdling im schönheitdurchleuchteten Welschland Holder erblühen die Frau’n, als auf celejischer Flur? Karl W. Gawalówski Cilli IM KOHLENGEBIET YON TRIFAIL In der Schulchronik von Trifail ist zu lesen, daß im Jahre 1804 zwei wandernde belgische Bergleute namens Thonhausen und Holuber in die dortige Gegend gekommen seien. Die Bauern, die allhier hausten, klagten ihnen, daß auf ihren Gründen so wenig wachse, nicht nur, weil sie so steil lägen, sondern weil überall eine so merkwürdige schwarze Erde sei, in der nichts wurzeln könne. Die Handwerksburschen erkannten die schwarze Erde als Kohle. Auf ihrer weiteren Wanderfahrt kamen die beiden Knappen nach Wiener-Neustadt und berichteten am Wirtshaustisch von ihrem Fund. Unter den Zuhörern bèfand sich auch der dortige Rechtsanwalt Dr. Maurer, der den Wert von Bergschätzen zu würdigen wußte. Ums Jahr 1805 herum begann er mit dem regelrechten Ausgraben der Trifailer Braunkohle, die jedoch als Heizstoff für den Haushalt anfänglich keinen Anklang fand. Die Kohle lag in solcher Fülle da, daß sie im Wege des Tagbaues gewonnen werden konnte. Belgische Bergleute waren bei der Arbeit tätig, unter ihnen die beiden Entdecker der Kohle, denn die wenigen Ortsinsassen verstanden nichts vom Bergbau. Da der Trifailer Boden Gelegenheit zur Glasmacherei bot, kam als erstes Unternehmen eine Glashütte in Betrieb. Das erzeugte Glas wurde auf dem alten Saumwege durchs Trifailer Tal bergan über Maria-Riek und von dort über den Trojana-Paß und über Stein nach Venetien ausgeführt. Ob es ein Zufall ist, oder ob es mit der Glasfrächterei ins Land der Welschen in einem Zusammenhang steht, ich weiß es nicht, möchte es aber doch erwähnen, daß in den Wäldern um Maria-Riek eine große Zahl prächtiger Edelkastanienbäume steht, deren Früchte zwar nur klein, jedoch überaus schmackhaft sind. Die Bauern tragen im Herbst solche Kastanien in Buckelkörben nach Trifail und Cilli zu Markt. Im allgemeinen sind die Wälder von Trifail Mischwälder, in denen das Laubholz vorherrscht, vor allem Buchen und Eichen. Der Name des Nachbarortes Hrà'stnigglgl hrast = die Eiche — deutet auf das Vorkommen dieser Bäume. In jenen Wäldern zeigte sich in den ersten Jahren des jetzigen Jahrhunderts der zahme Auerhahn, der die Jagdliebhaber der engeren und weiteren Umgebung wochenlang in Atem hielt. Das Tier kam stets zum dortigen Jagdhaus, wenn die Försterin ihre Hühner fütterte; es ließ sich von der Frau — und nur von ihr! — rufen und streicheln. Wochenlang war das Forsthaus das Ziel der Jäger, bis der Auerhahn eines Tages wieder ausblieb. Als Jagdgebiet müssen jene Wälder schon im Mittelalter bekannt gewesen sein, denn vom ältesten Haus in Trifail erzählt man sich, es sei ein Jagdhaus der Herren von Sonneck gewesen, der nachmaligen Grafen von Cilli. Die Bauart des Hauses mit dem altväterisch hohen Schindeldach und mit dem Holzgang bestätigt die Vermutung. Die Glasmacherei lohnte sich, obgleich die Glasmacher von ferne herberufen werden mußten; bald entstand eine zweite, größere Glashütte. Heute sind die alte und die neue Glashütte als Wohnhäuser in Verwendung, bevölkert von vielen Familien. Die eigenartige Bauform- blieb erhalten. Im Trifailer Becken wird auch jetzt noch Glas erzeugt, doch nicht in Trifail selbst, sondern in den Nachbarorten Sagor und Hrastnigg. Als die Südbahn dem Verkehr übergeben worden war, änderten sich die Verhältnisse; der Orient wurde zum neuen Absatzgebiet für Glaswaren. Von den belgischen Bergleuten und von den deutschen Glasmachern aus dem Riesengebirge mag es herkommen, daß in die slowenische Sprache der eingeborenen Trifailer eine ganze Reihe deutscher Worte mit slowenischen Endungen eingestreut ist; auch schöne deutsche Schreibnamen mit slowenischer Schreibweise finden sich vor. Das Trifailer Kohlenbecken dehnt sich weit aus; Trifail selbst ist der Hauptort mit den ergiebigsten Lagern; westlich davon liegt Sagor, östlich Hrastnigg, noch weiter im Osten Bresno und Hudajama, südöstlich Reichenburg. Das Kohlengebiet wechselte seine Besitzer; der Staat selbst beutete die mächtigen Flöze aus, ebenso die Familien Maurer und Pongratz, Laibacher und Wiener Herren; schließlich bildete sich die Trifailer Kohlenwerksgesellschaft, in deren Reihen Franzosen und Österreicher walteten, zumeist Wiener. Der Sitz der Gesellschaft war Wien. Auch die Kohlengruben von Reichenburg sind Eigentum dieser Gesellschaft, ebenso die von Carpano in Istrien. Zur Zeit der ersten Anfänge des Bergbaues im Trifailer Gebiet wurde Tagbau betrieben; Fuhrwerke förderten die Ausbeute auf steilen Straßen zu den Glashütten. Zeugen des Tagbaues sind die einzelnen Stufen oder Etagen, wie der ortsübliche Ausdruck lautet. Später setzte der Tiefbau ein. Vom Südbahnbau an bis vor ein Jahrzehnt etwa rollten auf den Stufen die Kohlenzüglein dahin, voran die kleine Lokomotive, dahinter die oft endlos lange Reihe von Hunten. Drahtseilbahnen förderten die Kohlen aus den Stollen und Schächten von den höheren Stufen auf die niederen, zogen das Zimmer- ^ holz und die leeren Hunte hinauf. Stufenweise wurden die beladenen Kohlenhunte ins Tal hinuntergebracht zur Kohlenwäscherei am Trifailerbach. Frauenhände sonderten dort die Kohle nach ihrer Größe und Güte. Der Kohlenabfall kam auf die riesigen Schutthalden, der Kohlenstaub in den Trifailerbach, dessen Wasser die Fluten der Save weit hinaus schwarz und grau färbte und dem Fischstand des Flusses Eintrag tat. Die gesonderte Kohle wurde in die Kohlenzüglein verladen, den Trifailerbach entlang zur Rampe bei der Südbahnstation geführt, von wo aus sie dann unmittelbar in die Südbahnwagen gestürzt und verfrachtet werden konnte. Je mehr der ursprüngliche Tagbau dem Tiefbau wich, je mehr das Verständnis für den Wert der Kohle in Stadt und Land Einkehr hielt, desto mehr veränderte sich die ursprüngliche Stille und Beschaulichkeit des engen Trifailer-Tales, aber auch das landschaftliche Bild. Der stete Zuzug von neuen Arbeitern machte die Anlage einer Ziegelei, den Aufschluß von Steinbrüchen und den Bau von Arbeiterhäusern nötig; dabei gab es nur wenig Bauplätze, denn das Tal ist ein Graben, es erweitert sich erst im Norden, wohin die Flöze nicht reichen. Dort steht das eigentliche Dorf Trifail, dessen Bewohner sich mit Ackerbau, befassen können, während die Bergleute im engen Graben, Vode genannt (am Wasser heißt dies), Haus an Haus wohnen, verteilt in einzelne Siedlungen, je nachdem der Tiefbau das Aufführen von Wohnstätten zuläßt. Schön sind diese Siedlungen nicht, doch sind sie in ihrer Weise eigenartig. Wo nur ein Fleckchen übrigbleibt, auf dem etwas wachsen kann, oft ist’s eine Schutthalde, legt der Bergmann seinen Heimgarten an ; Beet nennt man dieses zumeist steile Stück Grund, auf dem nur eine kümmerliche Erdschichte liegt und die zumeist schwerer Lehm ist. Erdäpfel, Salat und Gurken gedeihen trotzdem und vor allem die „Trifailer Weinstöcke“, die Bohnen. Unter den Häusern, Beeten, Wegen und Straßen ziehen sich die Gruben dahin ; für ängstliche Leute ist dieses Bewußtsein wenig anheimelnd. Der Kenner des Bergbauwesens weiß jedoch, daß jede Grubenanlage gezimmert oder ausgemauert wird, was die Einsturzgefahr beseitigt. In den letzten Jahrzehnten fand das Schlämmverfahren seine Einführung. Die abgebauten Grubenteile werden versetzt, das heißt sie werden ausgefüllt. Als Versatzmittel wird Sand mit Wasser vermischt in die Hohlräume geschlämmt; so bekommt das durchwühlte Erdinnere wieder Halt. Die Arbeiterhäuser der Trifailer Kohlenorte sind zumeist langgestreckte niedere Bauten, seltener solche mit Stockwerken; mehrere Familien bewohnen ein Haus; abgesondert vom Wohnhaus stehen die Schuppen für Kohle und Holz, der zumeist selbst erbaute Keller und der gemeinsame Backofen. Die Trifailer Bergarbeitersfrau ist’s gewöhnt, däs Brot für ihre Familie selbst zu backen, und dieses Handwerk versteht sie ausgezeichnet. Größere Bauten sind die Wohnhäuser des Direktors, jene für die Beamten; vor allem jedoch das schöne alte Amtsgebäude, in dessen Umkreis eine kundige Hand prächtige Bäume seltener Art pflanzte, und die Kanzleigebäude in den verschiedenen Revieren, ebenso die großen Schulhäuser, deren die Gemeinde nicht weniger als sechs zählt, denn die Schülerzahl ist in Trifail überaus groß. Die Kinder der Bergleute jenes Gebietes suchen ihr Brot zumeist dort, wo es der Vater fand, bei der Gewerkschaft. Die Buben treten als Läufer in, werden Lehrhäuer und Häuer; andere wenden sich dem Zimmermanns-, dem Tischler-, Schmiede- und Schlosserhandwerk zu und bevölkern die großen Werkstätten. — Die meisten Mädchen arbeiten in der Kohlenwäscherei, als Kanzleidienerinnen, als Aufräumerinnen in den großen Burschenhäusern. Die im Bergbau nötigen Aufseher, Steiger, Markscheider fanden ihre Ausbildung in der Bergschule zu Klagenfurt; die Ingenieure, Direktoren und Inspektoren entstammten zumeist der Leobner Hochschule, seltener jener zu Pribram. Die für den elektrischen Betrieb erforderlichen Maschinisten, Werkmeister, Monteure und Ingenieure genossen ihre Ausbildung in den Gewerbeschulen von Klagenfurt, Graz und Wien oder in den technischen Hochschulen dieser Städte. Viele Trifailer Bergmannskinder werden auch Kanzleibeamte, Handelsangestellte, Lehrer. Recht mißlich bestellt ist’s in jener Gegend mit der Wasserfrage. Die wasserführenden Schichten liegen zumeist tiefer im Tal, die Siedlungen jedoch an den ansteigenden Hängen. Es bleibt also nichts übrig, als das Koch- und Trinkwasser von den oft ziemlich weit entfernten Brunnen herbeizutragen, mit der Wäsche aber zum Bach hinunterzugehen. Zum Wassertragen bedienen sich die Frauen farbigbemalter Blechschäffer, die sie mit bewundernswerter Geschicklichkeit frei auf dem Kopfe tragen. Was die Bergleute zum Lebensunterhalt brauchen, beschafft zum größten Teil die Bruderlade, die einen eigenen großen Verkaufsladen und eine eigene Bäckerei betreibt; aber auch an Kaufleuten fehlt es in der einst so einsamen und nun von Tausenden von Arbeitern belebten Gegend nicht mehr, an einem Konsumverein, an Gewerbsleuten und an Handwerkern. Ein Werksspital und eine Apotheke sorgen für die Kranken. Den Verkehr mit der Außenwelt vermitteln zwei Postämter. Die Nachbarorte haben nicht minder lebhaften Handel und Verkehr, doch ist Trifail der größte unter den Kohlenfundorten. Kirchen in den Tälern, Kirchlein auf den Höhen verkünden, daß das Christentum Einzug hielt in die einst heidnische Gegend ; manches Gotteshaus steht an der Stelle, wo einst Feuer-und Blutopfer rauchten. Der Südbahnbau erschloß die Möglichkeit, die unermeßlichen Kohlenschätze zum Bahnbetrieb selbst zu verwerten, er schuf aber auch Absatzmöglichkeiten für Fabrikserzeugnisse verschiedener Art. In unmittelbarer Nähe der Südbahnstation Trifail fand sich Mergel vor, weshalb eine Zementfabrik entstand. Das Nachbartal um Sagor birgt außer den Kohlenschätzen prächtigen Kalkstein; die dortigen Kalköfen geben reiche Ausbeute. Auch eine Zinkhütte konnte in Sagor neben der Glashütte durch Jahrzehnte betrieben werden. Hrastnigg hat eine Glashütte und eine chemische Fabrik; das benachbarte Steinbrück eine Zement-und eine Ölfabrik. In landschaftlicher Hinsicht ist das Tal des Mediabaches reizvoller als jenes am^Trifailerbach. Knapp , hinter der Eisenbahnstation Sagor türmen sich Kalkfelsen von éigenartiger Form auf; wie durch ein Riesentor schreitet man hindurch und dahinter weitet sich das liebliche Tal mit der Ortschaft Sagor; za goro = hinter dem Berge; nördlich davon liegt Töplitz, das eigentliche Bergwerk; Wer noch weiter talein wandert, findet an den Ufern des Baches die wunderlich geformten Riesen-Kalkfelsen, die der Volksmund „die steinerne Hochzeit“ nennt. Die Sage kündet davon, daß eine ganze Hochzeitsgesellschaft zur Strafe für ihren Übermut in Stein verwandelt worden sei. Im Vollmond- schein kann man die seltsamen Felsenformen in der Tat für gigantische Menschengestalten halten, gekleidet in die Urvätertracht der Krainer. Am Ursprung des Mediabaches liegt der idyllische Badeort Gallenegg. Seinen Namen hat er vom benachbarten Schlosse, dem einstigen Wohnsitz des berühmten Geschichtschreibers Weikhart Valvasor; auch eine Ruine gleichen Namens ist in der Gegend. Gallenegg hat eine warme Quelle ; mächtig ist sie nicht, doch spricht man davon, daß entsprechende Bohrungen Erfolg bringen könnten. Der Name Töplitz (toplica — warme Quelle) deutet vulkanischen Boden an. Nicht weniger tut dies die Benennung Mrzlica = erkalteter Berg — für einen kegelförmigen Berg nordöstlich vom Dorf Trifail. In unmittelbarer Nähe der Zementfabrik von Trifail ist auch eine warme Quelle, die zum Baden benützt wird; der Name Retje, den die umliegende Ortschaft führt, kommt von vreti = sieden. Im Hrastnigger Tal wissen alte Leute von einer Quelle zu erzählen, der heilkräftiges Sauerwasser entsprudelte. Dieser Born ist versiegt, aber auch er ist ein Beweis für den vulkanischen Charakter des Bodens, noch mehr die Heilquellen des nicht allzu fernen Römerbades und die des Bades Tüffer. Zwischen den beiden genannten Badeorten liegen die Kohlenflöze Bresno und Hudajama; Bresno bedeutet einen Abgrund, Hudajama heißt zu deutsch: die böse Grube. Wer von Römerbad aus nordwestlich wandert, findet bach-aufwärts immer wieder Spuren des einstigen Schienenstranges der Kohlenbahn ; in Bresno selbst kündet nur mehr das verlassene Werksgasthaus den einstigen Betrieb. Anders ist’s in Hudajama, westlich von Tüffer; der dortige Bergbau bietet den Bewohnern dés Retschitztales — rečica = Flüßchen — noch heute eine Verdienstmöglichkeit. Wer sich gern in die ältesten Zeiten vertieft, versetze sich in Gedanken ans krainische Saveufer bei Trifail. Dort sind heute noch die riesigen Quaderblöcke zu sehen, mit denen die Römer die Ufer sicherten, um Schlepperei betreiben zu können. Heidenstraßen nennt der Volksmund diese Uferstraßen, denn heidnische Kelten waren es, die den Römern als Zugtiere dienen mußten, wenn es galt, Wasserfahrzeuge stromaufwärts zu bringen. Auf dem steirischen Ufer sind die Straßenspuren dem Bahndamm zum Opfer gefallen, denn die Südbahn führt in dieser Gegend so knapp am Flußufer dahin, daß der Beobachter meint, der dahinbrausende Eilzug müsse in die Fluten stürzen oder die überhängenden Felsen müßten jäh herunterbrechen. Wildromantisch ist das Savetal zwischen Trifail und Sagor, ähnlich dem Gesäuse. Der Bahnbau erforderte große Umsicht. Mächtige Felsblöcke liegen im Wasser, um sie brandet und gischtet es milchweiß; polternd schlagen kleinere Steine an: da und dort aber sproßt ein Bäumchen oder ein Blümlein aus den Ritzen hervor, Bachstelzen trippeln auf den Klippen herum und jauchzen ihr Jubellied; im Wasser aber schnellt hie Und da ein schnappender Huchen empor. Vom Krainer Ufer stürzt ein tosender Wasserfall jäh in die Tiefe, mit seinem kalkhältigen Wasser die von den Spritzern getroffenen Pflanzen verkrustend, die Felshänge aushöhlend. Anders ist das Bild im Herbst. Da liegt der Nebel so dicht, daß die Eisenbahner alle ihre Sinne anspannen müssen, um ein Unglück zu verhüten. Gefährlich ist’s auch zur Frühlingszeit, denn der schmelzende Schnee bröckelt Steine ab und sie rollen nur zu oft unmittelbar auf den Bahndamm ; da muß der Streckenwächter gar scharf auslugen. Einen lohnenden Anblick gewähren die mächtigen Flöße, die das erforderliche Zimmerholz für die Kohlengruben in Form gewaltiger Baumstämme aus den Oberkrainer Wäldern daherbringen. Nicht nur starke Muskelkraft erfordert das Lenken dieser Fahrzeuge, auch an Scharfblick, kluger Überlegung und an steter Geistesgegenwart darf es dem Flößer nicht fehlen, will er den Saveklippen entkommen und glücklich landen. Eine Ruine steht am krainischen Saveufer zwischen Trifail und Hrastnigg. Mächtige Mauern deuten auf ein großes Gebäude; sein Zweck ist nicht mehr zu ergründen. War’s ein Raubritterschloß, ein Zollwächterhaus, eine Falschmünzerwerkstätte oder etwas Ähnliches: eigentümlich ist nur die Sage, im Volksmund erhalten, die Mauern könnten nie ganz zerfallen, weil der Mörtel, der zum Bau verwendet werden mußte, mit Wein angerührt worden sei; im Mauerwerk aber lägen unermeßliche Schätze. Greifbarer sind die Spuren aus der Vergangenheit, die man in Trifail selbst fand, und zwar in Dobrna, wo die Gewerkschaft durch Jahrzehnte eine eigene Milchwirtschaft betrieb, deren Erzeugnisse den Werksleuten zugute kamen, da die Milchbeschaffung in der vieh- und futterarmen Gegend sehr schwierig ist. Wegen Einsturzgefahr mußte die Meierei eingestellt werden und nur noch spärliche Mauerreste sind erhalten geblieben ; vom einstigen Obstgarten zeugen kümmerliche Baumkrüppel. Beim Ackern fand ein Mann einen Topf voll keltischer Münzen ; sie sind im „Joanneum“ zu sehen. Eine Münze behielt der Finder und trug sie zeitlebens an seiner Uhrkette. Das Silberstück war von der Größe eines Guldens, rund, in der Mitte ausgebaucht; auf einer Seite war ein aufsteigendes Pferd zu sehen; die andere war nahezu ganz glatt. Zu Beginn dieses Jahrhunderts forschte eine Angehörige des Hauses Mecklenburg in Trifail nach Keltenspuren ; in der Nähe des Dorfes Retje fand sie in der Tat Knochenreste von Pferden, einige Münzen, einen Armreif und eine Kleiderspange. Ein weiteres Forschen mußte unterbleiben, da gerade jenes Gebiet steten Rutschungen unterworfen ist. Es ist eben die Gegend des ursprünglichen Tagbaues; der Pflanzenwuchs, der dem Erdreich Halt gibt, war gerodet und kein neuer nachgepflanzt worden. Roden heißt im Slowenischen trebiti; davon der Name Trbovlje = Trifail. . In diesem Jahrhundert schon geschah es, daß in jenem Gebiet eine mächtige Erdlawine ins Rutschen kam. Der Anblick der gleitenden Massen war unheimlich, die Angst der Leute riesengroß. Glücklicherweise gelang es, die Lawine zum Stehen zu bringen, bevor sie den Bach aufstaute und die Hauptverkehrsstraße verlegte. Der Sachschaden war bedeutend, doch war kein Menschenopfer zu beklagen. Anders war’s beim Bergsturz im nahen Steinbrück gewesen, das seinen Namen von den Resten der steinernen Römerbrücke herleitet, deren Pfeiler man vor Jahrzehnten bei sehr niedrigem Wasserstand sehen konnte; im Mauerwerk fand man römische Münzen vor. In Brische bei Steinbrück war am 15. Jänner 1877 eine so riesige Erdlawine niedergegangen, daß sie die Sann zu einem See aufstaute, die Straße und den Bahndamm verschüttete; drei Häuser verschwanden spurlos und in ihnen zwölf Menschen, denn daš Unglück geschah in der Nacht, und niemand konnte sich retten. Die Arbeiter der Ölfabrik in Steinbrück, die Eisenbahner und die Knappen von Hrastnigg, Trifail und Sagor' arbeiteten unter Anleitung ihrer Ingenieure drei Tage und drei Nächte, bis es gelang, dem Wasser einen Abfluß zu verschaffen und noch schwereres Leid zu verhüten. Infolge von Einsturz gingen im Gebiet von Trifail immer neue Veränderungen vor, solange die Technik nicht auf der Höhe der Jetztzeit stand. Gegen die Macht des Feuers in der Erde konnte Menschenhand nicht an. Wie sich die schwefelhaltigen Kohlenabfälle auf den Schutthalden am Tag immer wieder von selbst entzündeten, glimmten und rauchten, aber auch glühten und aufflammten, für den müßigen Zuschauer von fern ein ganz eigenartig reizvoller Anblick, so gibt’s in den Kohlengebieten auch unterirdische Brandherde, die jahrzehntelang glimmen und glühen. Verzehrt das Feuer im Innern eine Masse, so stürzt das Erdreich von außen nach. Besonders in Ojstro, einer Berghohe zwischen Trifail und Hrastnigg, sind solche Einsturztrichter und Einsturzkessel häufig. Noch in den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts war Ojstro ein ergiebiger Kohlenfundort. Ein eigenes Amtsgebäude, eine Gastwirtschaft und etliche Wohnhäuser standen dort; dazwischen führte die Straße hin, alleeartig bepflanzt mit Obstbäumen. Nur mehr Mauerreste sind erhalten, schwache Straßenspuren, ein paar verkrüppelte Bäume. Auf Schritt und Tritt schier sind umzäunte und abgeplankte Gebiete zu sehen; innerhalb der Schutzwehren sieht man die Einsturzkessel, und der Neugierige, der sich gar zu nahe heranwagt, spürt den Boden unter seinen Füßen weichen. Alljährlich sind Veränderungen des Gebietes wahrzunehmen; das Ausbleiben von Wasseradern oder das Auftreten von solchen ist ein häufiges Anzeichen dafür. Die Bergknappen erzählen noch von einem andern verläßlichen Warner: die Ratten sollen es sein, die in Stollen und Schächten keine seltenen Gäste sind, die bei den Trifailer Knappen in Ansehen stehen. „Wo sich die Ratten nicht hintrauen“, sagen die Knappen, „dorthin soll sich auch der Mensch nicht wagen.“ So erzählen alte Bergleute* wie eine zudringliche Ratte einen schlafenden Knappen weckte, daß er auf sprang und dem Tiere nachlief; wo er gelegen war, stürzte im selben Augenblick ein lockerer Kohlenblock nieder. Der Aufschwung der Technik, der größere Bedarf an Kohle, die Ausnützung der Wasserkräfte gaben dem Betrieb im Trifailer Kohlenbecken eine völlig veränderte Form. Die Ortsgemeinde erbaute eine elektrische Kraftanlage am Trifailerbach ; sie liefert den Strom zur Beleuchtung der Häuser und Straßen. Weit größer jedoch ist die Kraftanlage der Gewerkschaft ; auch sie steht am Trifailerbach, auch sie ist die Lichtquelle für Kanzleien, - Wohnungen und Straßen; mehr noch dient sie dem Betriebe der verschiedenen großen Werkstätten, wie Tischlerei, Schmiede, Schlosserei, und dem Bedarf der Zementfabrik; auch in den Nachbarorten hielt die elektrische Kraft ihren Einzug. Die hervorragendste Umgestaltung jedoch erfuhr der Betrieb des Trifailer Kohlenbergwerkes durch die Erbauung einer Kraftanlage an der Save, durch den Bau des Savestollens und durch die Errichtung einer großen Kohlenwäscherei — Separation ijj unmittelbar an der Südbahnstrecke. Die Kohle braucht nicht mehr mit dem Kohlenzüglein zum Bremsberg, von dort zur Wäscherei, von hier zur Rampe und endlich in die Eisenbahnwagen gefördert zu werden, wobei sie an Größe und Güte verliert ; die Schätze des Erdinnern werden unmittelbar aus dem Berge durch Förderschächte und durch den Savestollen in die Kohlenwäscherei und von da geradeaus in die Südbahnzüge geschafft. Die Anlage an der Save ist ein beredtes Zeugnis für den Riesenfortschritt, den die Technik in den letzten Jahrzehnten gemacht hat. Etwas mehr als ein Jahrhundert ist seit den ersten Anfängen des Bergbaues im Trifailer Kohlengebiete vergangen; Riesenmengen an Kohle sind aus dem Dunkel ans Licht befördert und in die weite Welt versendet worden; Fabrikserzeugnisse verschiedener Art, hergestellt mit Hilfe der Kohle, nahmen den gleichen .Weg; rastlos wühlen die gierigen Menschenhände nach neuer Beute, und dennoch ist kein Bangen nötig, daß der unermeßliche Quell des Wohlstandes ausgeschöpft sei; immer neue Schätze findet der rastlose Geist des kundigen Bergmannes. . Hildegard Rieger RANN AN DER SAVE Die südlichste steirische Stadt Rann liegt inmitten einer weiten Flußlandschaft an der Save, die das ausgedehnte Ranner Feld quert. Ein breiter Auen-gürtel folgt der Save, der ehemaligen steirischen Südgrenze. Die weite Ebene mit der sonst nirgends in der Steiermark so ausgebreiteten Auenlandschaft bietet an sich ihre eigenartigen Reize, doch werden die landschaftlichen Wirkungen durch die Gebirge, die das Ranner Feld umrahmen, noch verstärkt. Die Uskoken, ein an Karstformen schon reicher Kalkzug, dessen höchste Teile sich 1000 m über die Ebene erheben, treten unmittelbar an Rann heran und steigen auch hier 500 m über den Fluß an. Wenn wir von Rann gegen Nord und Nordwest blicken, so sehen wir zunächst sanfte, großenteils von Weingärten bestandene Hügel und dahinter ziehen sich langgestreckt die südsteirischen Kalkketten, zunächst die Orlica, deren höchste Gipfel etwa 550 m über dem Savetal liegen . und deren südöstliche Hänge Reben umkränzen, dahinter der Wachberg, der das Savetal fast um 900 m überhöht. In einem schrägen, landschaftlich überaus reizvollen und an Burgen und Schlössern reichen Durchbruchstal quert die Save diese Kalkketten und tritt unterhalb von Gurkfeld fast unvermittelt aus dem engen Tal in die weite Auenlandschaft. Im Osten folgt jenseits der Sotla zunächst Hügelland. Dahinter schließt der Siemen das Blickfeld ab, ein typisches Inselgebirge, das an Höhe den Uskoken und dem Wachberg ungefähr gleichkommt. Die von den genannten Gebirgen umrahmte Saveniederung war für die Anlage einer Stadt nicht ungünstig. Zwei von der Natur vorgezeichnete Verkehrsrichtungen, die Savelinie und die Verkehrsstraße längs der Sotla und Gurk schneiden einander hier. Die dazu geeignete Stelle innerhalb der Ebene konnte kaum zweifelhaft sein. In unmittelbarer Nähe der Save ist inmitten des Schotterbodens eine Lehmplatte erhalten geblieben, die den Fluß um etwa 25 m überhöht und im Westen mit einem Steilrande gegen die Save-auen ab bricht. Nach Tornquist handelt es sich um Reste von ausgedehnten Altwässerablagerungen der Save in der Quartärzeit. Genau gegenüber dieser Lehmplatte tritt das Uskokengebirge an die Gurk heran, die hier in die Save mündet. Der Auengürtel ist daher verhältnismäßig schmal und die Stelle für den Flußübergang besonders geeignet. So war auch der Platz innerhalb der Ebene gegeben, wo eine Stadt erstehen konnte, und die Lage auf der Lehmplatte gewährte überdies Schutz vor Hochwasser und gleichzeitig die unmittelbare Nachbarschaft des flößbaren Flusses, denn der Hauptarm der Save zog noch vor 100 Jahren unmittelbar westlich von der Stadt die Hauptstraße entlang, dort, wo heute die Altwasserrinne Struga verläuft. Rann an der Save Hier erstand auf trockenem, erhöhtem Boden mitten in den Saveauen eine Burg der Salzburger Erzbischöfe, denn der äußerste steirische Südosten vom südlichsten Kalkzug an und das Savetal von Lichtenwald abwärts war seit den Tagen der Karolinger Salzburger Besitz. An das Schloß Rann schloß sich unmittelbar gegen Norden anschließend der Marktort, im wesentlichen eine sich sackförmig erweiternde Straße, beiderseits von geschlossenen Häuserzeilen eingesäumt. Es ist der Typus, der in Innerösterreich bei Städten und Märkten überall herrscht; wie konnte es bei einer Salzburger Gründung auch anders sein? Die Tore sind zwar schon vor mehr als hundert Jahren gefallen, doch ist der Zug der ursprünglichen Ummauerung noch gut erkennbar. Im Osten ist die Stadtmauer zum Teil noch erhalten und auf ihr stehen die Häuser des schmalen, mit der Hauptstraße gleichlaufenden Gäßchens, das seit Jahrhunderten (für die Mitte des 17. Jahrhunderts belegt) die volkstümliche Bezeichnung „In der Gassen“ führt. „In der Stadt“ sagte man, wenn man von der Hauptstraße sprach, und ein dritter Straßenzug, der im alten Stadtgraben verläuft, heißt „Hinter der Mauer“. Im Jahre 1353 bestätigte Erzbischof Ortolf der Stadt Rann, die als Hauptort des fernsten südöstlichen Außenbesitzes für das Erzbistum ein wichtiger Stützpunkt war, das Stadtrecht. Aber lange konnte sich Salzburg dieses Besitzes nicht mehr erfreuen. Da Salzburg sich mit dem ungarischen König Matthias Corvinus gegen Kaiser Friedrich IH. verbündete und seine Burgen den Ungarn öffnete, nahm der Kaiser Rann 1491 in Besitz ; seitdem blieb es landesfürstlich. Bauern- und Türkenkriege haben die Stadt arg mitgenommen, und die Lage an zweifacher Landesgrenze mag neben der Nähe von Agram schuld daran sein, daß Rann, das ein günstig gelegener Marktort für die Umgebung und in guter Lage zum Fernverkehr ist, eine kleine Stadt blieb, die gleichwohl mit dem viertürmigen Schloß und den Türmen der drei Kirchen namentlich von der Flußseite einen stattlichen Eindruck macht. Über die Volkszugehörigkeit der Bevölkerung in der ältesten Zeit hören wir in den Quellen fast gar nichts. Doch läßt die Entstehung des Ortes im Anschluß an das Schloß die Vermutung als berechtigt erscheinen, daß die ältesten Bewohner von Rann Deutsche waren. Daß auch noch später andauernde Nachwanderung aus dem geschlossenen deutschen Sprachgebiet erfolgte, läßt sich erweisen, und daß die Verkehrs: und Amtssprache in Rann stets deutsch waren, ist sicher. Aus der slowenischen Umgebung wanderten ebenfalls Leute in die Stadt und aus ihnen ergänzte sich vornehmlich die Unterschicht und wohl auch ein Teil der Oberschicht. Die Angleichung des bäuerlichen Einwanderers an bürgerliches Leben brachte gleichzeitig die Annahme deutscher Art mit sich. So blieb Rann bis zum Jahre 1918 in seiner überwiegenden Mehrheit deutsch. Nachdem sich Rann bis an die Jahrhundertwende nur langsam entwickelt hatte, setzte in den beiden letzten Jahrzehnten eine raschere Entfaltung ein. Die Überfuhren, die bisher ausschließlich den Verkehr über die Save besorgt hatten, wurden im Jahre 1906 durch eine 524 m lange Brücke ersetzt, die mit eisernen Bogen in einem Zuge die Save und Gurk übersetzt und als Betonbrücke das dazwischenliegende Übörschwemmungsgebiet quert. Sie war die drittlängste Brücke im ehemaligen Österreich. Im ersten Kriegsjahr erhielt die Stadt elektrisches Licht und eine Wasserleitung. Der zu diesem Zweck erbaute, 47 m hohe Wasserturm erhielt das äußere Aussehen eines Stadttürmes und wurde in so glücklicher Weise in eine Häuserlücke über der Stadtmauer eingefügt, daß der Eindruck eines Stadtturmes ein durchaus ungezwungener ist. Ebenso günstig wirkt das danebehstehende neue Gebäude der deutschen Schule aus dem Jahre 1913. Das hervorragendste Gebäude der neueren Zeit ist aber das 1904 vom Architekten Kubik erbaute Deutsche Haus im sogenannten Nürnberger Stil. Weitere bauliche Ausgestaltungen und eine planmäßige Stadterweiterung waren in Vorbereitung. Da kam der Krieg, und am 29. Jänner 1917 wurde Rann von einem überaus heftigen Erdbeben auf das schwerste betroffen. Die Wiederherstellungsarbeiten wurden in so zielbewußter Weise in die Wege geleitet, daß die Stadt trotz der Schwierigkeiten der Kriegszeit eindreiviertel Jahre später beim Umsturz zu Allerheiligen 1918 in fast vollkommen wiederhergestelltem Zustand, schöner als sie je war, in slowenische Verwaltung übergeben werden mußte. Das ist vielleicht die größte deutsche Kulturtat, die in Rann je vollbracht wurde, und für diese Tat müssen die Ranner Bewohner beider Volksstämme für alle Zukunft den deutschen Männern, in deren Händen damals die Verwaltung der Stadt lag, und dem deutschen Hinterland, das helfend eingriff, dankbar sein. Franz Hausmann WIEGENLAND „Niemand glaube, die ersten Eindrücke seiner Jugend verwinden zu können.“ Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre, 2. Buch, 7. Kap. L PETTAU. aie ersten zehn Jahre meines Lebens brachte ich in meiner Geburtsstadt Pettau zu, damals eine deutsche Stadt, in der das Slowenische nur als Sprache der Dienstboten galt. Man steht hier auf historischem Boden. In dieser ältesten steirischen Stadt und ihrer Umgebung weisen zahlreiche Spuren auf die Jahrhunderte großer Vergangenheit. Der Römerstein auf dem Hauptplatz, zur Zeit meiner Kindheit der Sammelpunkt schnatternder und feilschender slowenischer Marktweiber, die Lebensmittelbörse, blickt seit zweitausend Jahren ernst und feierlich auf das kleine Getriebe des Alltags herab, wie er einst seinen steinernen Blick auf cäsarische Legionen warf, auf die Markscheide zwischen Noricum und Pannonien, auf das Völkergemisch von Deutschen, Slowenen, Kroaten und Madjaren. Hier hausten Römer, Hunnen und Türken; die Reste des Osmaneneinbruches leben noch fort in Geschlechtsnamen wie Šalamun (Soliman), Ahmed, Murad, Mulley. usw. Hier saßen die mächtigen Grafen von Pettau, deutsche Ritter, deren Schloß noch heute die Stadt in altem Stolz überragt und das weite Feld beherrscht wie einstmals ihre Burgherren. Macht und Glanz versanken im Meer der Geschichte. Zur Zeit meiner Geburt war Pettau ein kleines Landstädtchen mit zwei- bis dreitausend Einwohnern, dessen Bild sich in fünfzig Jahren wenig veränderte. Frei ragte der hohe Kirchturm vom Boden auf mit seinem viereckigen Gemäuer, in daš die große, weiße, quadratische Uhr mit ihren sonderbar verschnörkelten römischen Ziffern gar nicht paßte. Nach Norden hin schloß die Stadt das sogenannte „Specktürl“ ab, ein uraltes, finsteres und niedriges Bogentor, einem Grabgewölbe gleichend, kalt, feucht und stinkig, das uns Kindern Grauen einflößte. Ein anderes Stadttor im Süden führte zum Armenhaus und Bürgerspital. Es erschien uns mit seinem niedern Gewölbe, mit seiner Umgebung, den Wohnstätten der Siechen und Bettler, spukhaft. ‘ Welch anderes Bild bot uns der mächtige Draustrom dar! Sobald ich die hölzerne, vermorschte Brücke betrat, fühlte ich mich von einem Alp befreit, der in der buckligen und verstaubten Stadt, namentlich in ihrem unteren Teil mit seinen Schlupfwinkeln, seinen engen Gäßchen, seinen öden Plätzen, auf mich drückte. Aus dem kleinen, gepreßten und schmutzigen Gefängnisse beschrift ich die freie Natur, sah weites, offenes Land, sah im Süden die blauen, wellenförmigen Berge; nichts Schroffes, nichts Überraschendes, nichts Großartiges, alles mild, sanft, friedlich und träumerisch. Ging ich aber in der Dunkelheit über die Brücke und vernahm ich das Brausen, Rauschen und Gurgeln des breiten und reißenden Wassers in Tönen, die aus der Unterwelt zu drohen und zu locken schienen, dann überlief mich ein ehrfürchtiger Schauer vor dieser unterirdischen Macht, aus deren Tiefen finstere Dämonen auf tauchten, die mich verfolgten, nach mir haschten und mich in Angst versetzten, der ich eiligst entfloh, um dann meine kindische Furcht zu verlachen, was aber nicht recht vom Herzen ging. Im Herbste belebten die Drau Plätten und Flöße, überladen mit Äpfeln, die sie nach Kroatien verfrachteten. Wie regte mich das Strombild an! In meiner lebhaften Einbildungskraft weitete sich’s zum Meere, dem großen, unendlichen Wunder, das zu schauen bereits in meiner frühesten Kindheit für mich ein Ziel der Sehnsucht war. Die Drauinseln entführten meine Gedanken in ferne, geheimnisvolle Länder. Schon der Begriff „Insel“ schloß den Reiz einer fremden Welt in sich und war von Robinson untrennbar. Eine Gastwirtschaft am rechten Drauufer, am sogenannten „Brunnwasser“, nannte sich „Zur Insel“; der Name wob in sie den Schimmer des Exotischen. Drauabwärts lag die große „Sturmau“, eine Insel, die mir schon halb in der Märchenwelt zu liegen schien. Mitten auf der Brücke stand ein großes Holzkreuz und eine Bildsäule des heiligen Johann von Nepomuk. Daneben saß oder kniete jahrelang ein junger, blinder Bettler von großem Wuchs, mit länglichem, starkknochigem Gesicht und schlichten blonden Haaren, der unermüdlich mit lauter Stimme betete : „Cješčjena si ti, Marija!“ (Gegrüßt seist du, Maria!) Ich betrachtete ihn wie jeden Bettler und Krüppel mit beklommener Scheu nur von der Seite, weil mir der Anblick des Häßlichen, Unreinlichen und Unnatürlichen stets ein geheimes Unbehagen einflößte, so daß ich ihn mied, wo ich konnte. Im Armenhaus wohnte die Ärmste der Armen, die vielleicht einst bessere Tage gesehen. Wenn sie durch die Gassen humpelte, auf ihren derben Krückenstock gestützt, in ihrer abschreckenden Häßlichkeit : sehr groß, nahezu rechtwinklig gekrümmt, mit riesiger Eulennase und spitzem, vorstehendem Kinn, beide von behaarten Warzen bedeckt, mit zahnlosem, eingefallenem Munde, kleinen grauen Blinzelaugen, stark schnupfend, übelriechend, bekleidet mit einem unter dem Halse geknüpften schmutziggelben Kopftuch,' dessen Zipfel auf den Buckel herabfielen, einem uralten Umhängtuch und Fleckerlpatschen; wenn sie mit männlicher, tiefer Stimme vor sich hinmurmelte, so glich sie wirklich einer Hexe, die von allen Begegnenden gemieden wurde wie eine Pestkranke. Allgemein hieß sie der „Totenvogel“; ihr Anblick galt als böse Vorbedeutung, die Jugend schleuderte dem alten Weib Schimpfworté, wohl auch Steine nach. Meine Schwester fühlte Mitleid mit ihr, nicht Abscheu, ja Entsetzen, wie ich, und beschenkte sie, wo sie konnte. In späterer Zeit brachte sie die Greisin in unsere Wohnung, bewirtete sie mit Wein, Kuchen und Kaffee. Zaghaft näherte ich mich und begriff allmählich die Harmlosigkeit der Hexe, die schwerlich mit dem Teufel oder anderem Geisterspuk in Verbindung stehen konnte. Als meine Schwester ein schönes Fräulein geworden, besuchte sie teilnehmend ihren erkrankten Schützling im Armenhause und sorgte für ihn bis zur Todesstunde, gepriesen von dem armen Weibe als Engel und gesegnet fürs ganze Leben. Die nachmaligen Kasernen dienten zur Zeit meiner ersten Kindheit als Invalidenhäuser. Ihre weißbärtigen Insassen in blaugrauer Uniform dünkten uns Kindern freundliche Hausgeister, die sich als Holzschneider Nebenverdienst erwarben und die Jungen exerzieren lehrten. Sonst befand sich in der Stadt kein Militär, das ich nur aus Bildern kennenlernte und vor dem ich gewaltigen Respekt hatte. Ein General, ein Feldmarschall, ein Herzog oder gar ein regierender Herr galt mir als höheres Wesen. Ein Name übte schon in frühester Kindheit seine magische Anziehungskraft auf mich : Napoleon. Hatte doch meine Großmutter mütterlicherseits als kleines Kind auf seinem Knie gesessen! Bietet auch das Gelände von Pettau wenig Reiz, so liegt doch ein eigener Zauber, weich und schwermütig, auf der weiten Ebene. St. Rochus, Haidin, Ebensfeld, Wurmberg, überall lebte die Sage und erinnerte an die große geschichtliche Vergangenheit. Weite Strecken dehnten sich hin, mit kümmerlichem Waldwuchs bedeckt, traurig und eintönig, ein beliebtes Feld für militärische Übungen, gegen Sterntal, Kranichsfeld und Pragerhof. Nur der blaue Friede des Donati und Wotsch frischte den ermüdenden Blick auf, der sich sehnsüchtig gegen die Rebenhügel der Kollos wandte. Der bequemste und nächste Spaziergang führte zur „Schießstätte“ oder „Allee“, auch „Glacis“ genannt, dem ältesten Teil des späteren Stadtparkes an der Drau. Eine Gruppe von riesigen Pappeln umsäumte mitten in der Anlage ein Rondell, dichtbelaubte Kastanienbäume spendeten ihre Schatten, eine Kastanienallee schloß den kleinen Park von der staubigen Straße ab, geschützt von weißangestrichenen Holzschranken. Unmittelbar an diesem Parke lag ostwärts die städtische Schießstätte, aus der die Gewehre fleißig knatterten. Einiger köstlicher Punkte der Umgebung gedenke ich mit Freude. So des Eichenwäldchens bei Thurnisch und seiner vielwurzeligen Bäume mit ihren wiegenden Kronen, deren ernstes Rauschen, deren geheimnisvolles Flüstern sie zu Lebewesen machte, festgebannt, zu ewiger Unbeweglichkeit verdammt. Es war der Wald, der deutsche Wald, den ich stets mit Andacht betrat, in dem es sich so wunderbar gehen ließ. Hinter dem Friedhof lag das Gasthaus „Zum Apfelbaum“, daneben ein dichtes Wäldchen, ein munteres Bächlein, — Froschgequake, Grillenzirpen, Vogelsang. Über die „Neue Welt“ hinaus gelangte man auf das „Panorama“, einen sanften Hügel mit prächtigem, Obstbäume tragendem Wiesengrund, von wo sich ein schöner Blick über das breite, weite Tal auf die Weinberge, Wotsch und Donati erschloß. Die Schwermut einer großen Ebene paarte sich mit der Fröhlichkeit des Weinlandes, Unfruchtbarkeit mit Üppigkeit. Man lebte spottbillig und gut. Der Menschenschlag war schön und kräftig, besonders unter den Landleuten, die sich in allen möglichen Trachten gegen die Stadt bewegten. Die Kroaten mit ihren „Bundas“ (Pelzen), inTSömmer mit Linnenhemd und kurzen, sehr weiten Leinwandhosen (preguše), hohen Stiefeln und rundem, schmalkrempigem schwarzen Hut. Ihrem Leiterwagen folgte meist ein Füllen (Zieserl), das uns besonders anmutete. Gern erinnere ich mich der sauberen slowenischen Mädchen mit ihren farbigen Kopftüchern, den blühenden, heiteren Gesichtern und den zierlichen, beweglichen nackten Füßen. Fremde Menschen und Länder üben stets eine Anziehungskraft auf kindliche Gemüter. Kam der italienische Scherenschleifer, die alljährlich wiederkehrende „Schlesingerin“, die mit Leinwand, die „Tirolerin“, die mit Spitzen und dergleichen handelte, hatten wir Kinder unbändige Freude. Besonders über die Tirolerin, weil sie auch die Erwachsenen dutzte und einen spitzen, hohen, grünen Zillertalerhut mit goldenen Quasten trug. Wir wohnten am Hauptplatz, im ersten Stock des damaligen Rathauses, in dem sich auch die Gemeindearreste befanden. Oft kam es, daß Zigeuner über unsere Treppe in den Gefängnisflügel eingeliefert wurden. Die fremden Gestalten und ihr Geschrei erregten meine Neugier und beschäftigten meine Phantasie. Auch wandernde Harfenistinnen, und gar erst ein Zirkus! Häufig tauchten Bärentreiber auf, wildaussehende Menschen in fremder Tracht, und noch erinnere ich mich ihres rätselhaften Gesanges in einer unbekannten, barbarischen Sprache. Zuweilen auch Kameltreiber. Auf dem Höcker des häßlichen Tieres ritt ein rotgekleideter Affe mit Federhut und Säbel. Bilder aus einer andern Welt. Widerliche Szenen beleidigten Herz, Ohr und Auge, wenn Trunkene von den Polizeimännern die Stiege hinaufgezerrt, wenn Verdächtige, meist gefesselt, eingebracht wurden. Die Prügelstrafe ward im Arrestgange vollzogen. Wenngleich von den Eltern alles geschah, um uns diese abscheuerregenden Auftritte zu verbergen, so hörten wir doch zuweilen die Stockstreiche sowie das Wehgeschrei der Verprügelten, flohen in einen Winkel und zitterten. Von daher stammt meine Gegnerschaft gegen die Prügelstrafe. Das Schrecklichste für mich waren aber die sogenannten „Moritatenbilder“, gewöhnlich zur Zeit der Jahrmärkte, doch auch sonst bisweilen an den Mauern des Theaters hängend, in rohesten Farben geklext, den ganzen Hergang eines Mordes samt der Verhandlung darstellend. In greulichen Versen wurde dazu mit Gitarrebegleitung der Text gesungen ; auch gedruckte Beschreibungen konnte man kaufen. Ich wich diesen Greuelbildern in weitem Bogen aus, warf aber doch gruselnd hin und wieder einen verstohlenen Blick auf die von Gaffern umstandenen Tafeln. Die Schreckbilder verfolgten mich, das Mitleid mit den hingemordeten Opfern entlockte mir Tränen, Abscheu vor den Mördern schüttelte mich, der Gedanke war unfaßbar, daß ein Mensch fähig sei, seinen Mitmenschen mit kaltblütiger Grausamkeit abzuschlachten, und erst, nachdem die Bilder verschwunden waren, stellte sich wieder das Gleichgewicht meiner Seele her. Es kam der Krieg des Jahres 1859. In Pettau und Umgebung wimmelte es von Militär. Ich erinnere mich noch der berittenen Musikkapelle eines Dragonerregimentes. Da gab’s zu schauen und zu hören! Jeden Nachmittag Pettau zu Anfang des 19. Jahrhunderts. (Nach der Suite Punk.) spielte die Militärmusik auf dem Florianiplatz. Bewundernd sah ich den „Bandaführer“ der Infanterie mit seinem großen blonden Vollbart, seinen verschnürten Stock mit goldenem Knauf emporwerfend und nach einigen Schritten wieder auffangend — glückliche Erinnerungen an eine große Vergangenheit! Die Gestalt des dritten Napoleon erschien mir schon ob der Größe seines Namens höchst bedeutend. Er galt als der Herr von Europa, als dessen mächtigster Mann. Ich bewunderte ihn, haßte ihn aber als den Feind meines Vaterlandes. Auf den Märkten bot man Schlachtenbilder feil; eines sehe ich noch vor mir, die Schlacht am Minciö. Wir hielten unseren Sieg für selbstverständlich — welche Bestürzung, als die Nachricht von Solferino eintraf! In unserer Küche traf ich einmal einen jungen Soldaten des 27. Infanterieregimentes. Sein Besuch ließ meine kindliche Kriegsbegeisterung erst recht auflodern. Neugierig, scheu, betrachtete ich sein Bajonett und fragte, ob er es im Kriege gebraucht habe. Als er erzählte, daß er damit drei Italiener, darunter einen „Pfaffen“, erstochen habe, überlief mich ein Grauen, das sich beim Worte „Pfaff“ steigerte. Der gläubige Krieger dachte nicht an eine Schmähung des Priesterstandes ; daß es in diesem Sinne gebraucht werden könnte, lag außerhalb meines Denkvermögens. Darunter verstand ich ein unJ heimliches, gespensterhaftes Wesen — lang, dürr, mit gekrümmtem Rücken, gekleidet wie ein Gugelmann, das unhörbar längs der Häuser hinschlich und Verderben kündete. Um jene Zeit begann der Eisenbahnbau auf der Strecke Pragerhof—Pettau— Großkanizsa, damals Franz-Joseph-Orientbahn genannt. Der Bahnbau versetzte mich in größte Spannung. Alles schien mir ein Wunder, vor allem der Bau der großen Eisenbahnbrücke. Nicht nur Verstand, sondern auch Einbildungskraft, nicht nur Anschauung, sondern auch Lerneifer fanden reichliche Nahrung. Es war eine merkwürdige Zeit. In das stille Pettau zog Leben ein. Ein buntes Gewirr aller Truppengattungen, von Ingenieuren und Arbeitern drängte sich zusammen. Das Pettauer Feld, wie geschaffen zu militärischen Übungen größeren Stiles, glich zeitweilig einem Schlachtfelde, Kanonendonner und Kleingewehrfeuer wetteiferten mit Pilotenschlägen, dem Hämmern der Schienen, dem Rumpeln der Schotterwagen. Jung und alt wurde lebendig und rührig, Einquartierungen füllten die Häuser mit Bewegung. Tiefsten Eindruck machte es, als die erste Lokomotive in den Bahnhof in Pettau einfuhr. Überwältigt standen wir vor einer höheren Macht, die von Menschenhänden ausging, aber dem Menschengeist ihr Dasein verdankte. Kein Wunder, wenn solche Erlebnisse das jugendliche Denken mächtig an-, das jugendliche Gemüt mächtig aufregten und einen Grund legten, der nicht zu zerstören war. H. GORZABERG. Meine Eltern besaßen einen Weingarten in Gorzaberg im Kollosergebirge. Der Weg führte von Pettau am Schlosse Thurnisch vorüber durch das Eichenwäldchen, von dem wir im vorigen Abschnitte gesprochen, nach Neudorf und Lanzendorf, wo es bei einer Fußwanderung galt, einen hohen, sehr wackeligen Steg über den Pulsgaubach zu beschreiten, dann weiter bis Pöppendorf, jenseits der Dran. Dieser Nebenfluß der Drau ist dort ziemlich breit ; ein elender Steg, nur auf einer Seite mit Geländer versehen, führte hinüber. Fuhren wir, so mußte das Gefährte den Fluß durchqueren, gingen wir, so zogen die Kinder bei niederem Wasserstande vor, den Fluß zu durchwaten. Nicht weit vom Ufer lag das Gehöft unseres Weinfuhrmannes Strutzl, der etwa zwanzig Jahre später einem Raubmorde zum Opfer fiel. Von hier ging es aufwärts durch Kastanien- und Buchenwald bis Poppenberg, an einem freundlichen, mit einem Glockentürmchen versehenen Herrenhause (Adelsberger) vorüber, eine kurze Strecke ziemlich eben, dann bergan bis zur höchsten Erhebung dieser Gebirgsgruppe, gekrönt von einem weißen Hause, damals insgemein „Ballonschädel“ genannt, zu beiden Seiten von je einem runden Baume flankiert, alles wie aus einer Spielschachtel. Dort er-öffnete sich eine Aussicht voll lachender Anmut, voll tiefen Friedens auf Pettau, auf die weite Ebene, auf das Bachergebirge, auf das ganze Kollos- und Matzel- ) gebirge, den Donati, den Wotsch. Ein eigenes Rundbild, das in seiner sanften j Weichheit kaum seinesgleichen findet. Graben und Kogel wechseln in sonder-; baren Formen, rauschende Kastanienwälder, rieselnde Quellen, lichtgraue Weinhügel mit den nach dem Richtmaß angelegten dunkelgrünen Reben auf hellem Tonschiefer; man fühlt sich in einer anderen Welt, heiter und ungebunden, und freut sich des gesegneten Landes mit seiner Fülle von Naturgaben. Weiter geht es von hier, in großem Bogen an Weingärten und schlichten Häusern mit Strohdach und weißer Tünche vorüber. Endlich, nach anderthalb-stündiger Wanderung, auf eigenem Grund und Boden. Ein stolzes Gefühl regt sich: das ist unser! Auf einen runden Kogel sendet die Sonne den ganzen Tag ihre Strahlen. Vom Berggipfel erschließt sich ein neues Landschaftsbild. Man sieht weder Stadt noch Ebene. Das wunderliche Kollosgebiet mit seinen welligen Höhen und tief eingeschnittenen Senkungen gleich erstarrten Riesenwogen eines unendlichen Meeres breitet sich aus mit seinen Wein- und Obstgärten und grünen Feldern, seinen Kastanien Wäldern, seinen Herren- und Winzerhäusern, im Südwesten das Kirchlein zum Heiligen Geist. Auf dem Gipfel unseres Kogels stand ein mächtiges Windflügelrad (klopotec) zur Verscheuchung diebischer Vögel. Wenn es sich ächzend und knarrend drehte, wenn im Winde sein tiefes, klangvolles Klappern anschlug, erst langsam und feierlich, dann immer schneller, zum Schluß in rasendem Wirbel ohne die geringste Pause ; wenn dann die kleineren Windmühlen aus nah und fern einfielen ; wenn am Abend Tausende von Grillen mit ihrem Zirpen und Singen den tiefen Frieden dieses Zauberlandes priesen, über dem die Sterne mit wunderbarem Glanze leuchteten und zuckten; wenn ein schweres, kurzes Rauschen durch den Kastanienwald gleich einem verschwommenen Harfenakkord sich verlor und zwischenhinein von weitem ein Jauchzen scholl oder ein schwermütiges slowenisches Lied ertönte: dann fühlte sich das junge Herz von einer Stimmung geschwellt, die noch jetzt, nach einem halben Jahrhundert, so leb- haft nachhallt, als hätte ich sie gestern empfunden, und die genossen zu haben ich dankbar den schönsten Früchten meines Lebens zuzähle. Wie fröhlich war dies Weingartleben, in dem wir die Sommerferien weltentrückt zubrachten ! In dem wir Kinder uns so recht erholten, lasen, spielten, fleißig arbeiteten, wofür uns ein kleiner Lohn gutgeschrieben wurde! In dem wir allerlei Mutwillen trieben, Meisen fingen, nach Eichhörnchen und auf Nußhäher jagten! Einen alten Speiskasten schleppten wir auf die Komposthaufen, zogen den alten Brokatmantel der Großmutter als priesterliches Gewand an und predigten von dieser Kanzel herab dem nicht vorhandenen Volke. Auch sonst liebten wir Verkleidungen, umgürteten uns mit unseren Kindersäbeln und hielten Parade ab. Mit den Winzerleuten und Taglöhnern pflegten wir gute Freundschaft, plauderten slowenisch und ließen uns Vorsingen. Ich habe diesen treuen, kräftigen und verständigen Menschen eine große Zuneigung bewahrt. Als ich in Marburg die untersten Klassen des Gymnasiums besuchte, fuhr ich eines Tages nach Pettau zur Weinlese. Mit meinem Reisegepäck und einem grauen Mäntelchen wanderte ich fürbaß bis Lanzendorf. Vorher hatte es in Strömen geregnet, die Flüsse waren hoch angeschwollen, zum Teil ausgetreten, sie rissen Erdschollen ab, Nebel wogten, ich fror. Glücklich kam ich über den Pulsgaubach, der sich brausend, schmutziggelb, dahinwälzte. In Poppenberg stand ich vor der Dran. Das ganze Gelände war überschwemmt, der Fluß zum trüben Strom geworden; der mir bedrohlich entgegentoste ; der Steg weggespült, unmöglich das Hinüberwaten. Ich zog Schuhe und Strümpfe aus und mußte, so nahe dem Ziel, umkehren. Es blieb nichts übrig, als nach Osten, gegen Jurowetz, abzubiegen. Das Feld lag in einen See verwandelt; die Orientierung gestaltete sich um so schwieriger, als der junge Wanderer diese Gegend zuvor nie betreten hatte. Bis über die Knie im Wasser, schritt ich tapfer vorwärts. Weit und breit kein Haus, kein menschlich Wesen. Der Rogatzbach hatte sich mit dem See vereinigt; ich steuerte in der Richtung gegen Maiberg los, hielt mich immer nach Südost und erreichte nach stundenlangem Wandern den Fuß des Gebirges. Dort stieg ich barfuß weiter in die Höhe, gegen Südwest, und kam nach langem Wege steil aufwärts zu einem bekannten Weingarten, dann bergab zu unserem Nachbar, sprang in die steile Tiefe bis zum Graben an der Grenze unseres Besitzes, klomm dann mühsam und pfadlos wieder sehr steil aufwärts über steinigen, tückisch mit Laub überdeckten Boden, so daß ich oft strauchelte, fiel, ein Stück hinabglitschte und dann meine Sisyphusarbeit mit neuer Anstrengung fortsetzen mußte. Gegen Mittag kam ich bei unserem Herrenhaus an. Mit Jubelrufen, in die sich Angstschreie mischten, ward ich empfangen. Die Mutter brachte mich mit Hilfe der Leserinnen sofort zu Bette, meinen sicheren Tod erwartend. Nachdem mich die Winzerinnen abgerieben und getrocknet hatten, empfand ich wohltuende Wärme, freute mich meines Abenteuers und meiner Tapferkeit, stand auf trotz des Widerstrebens meiner Umgebung, aß, was ich konnte, half beim Lesen der Trauben, blieb die Nacht bei den Pressern, schrieb die Zahl der eingelieferten „Butten“ auf, spielte, sang und scherzte mit den Winzerkindern, blieb zwei Tage, fühlte mich frisch und gesund — nicht einmal ein Schnupfen hatte sich eingestellt — und kehrte nach Marburg zurück. — 0 Land meiner Wiege, wie seltsam eigenartig der Hauch, der über deinen Gefilden schwebt! Kühl weht er dich an, bis ein Gefühl engender Schwüle dich beschleicht. Aber wenn er sich leis und schmeichelnd um deine Wangen kräuselt, dann erwärmt er allmählich die Brust und wirkt erregend auf die Sinne. Befreit aufatmend, entspannt, ergibt sich deine Seele den Genüssen, die. jene Gaue der Melancholie nun in ein Reich der Freude wandeln. III. MARBURG. Dort, wo sich in späteren Jahren die Schiller- und Wielandstraße hinzogen, der Stadtpark und die Neubauten das Stadtbild in eim£ modernes umgestaltet und Marburg aus dem engen Rahmen der Kleinstadt hinausgedrückt haben, dehnten sich zur Zeit meiner Gymnasialstudien reiche Felder und Wiesen, von einer holprigen, ungepflegten Straße durchschnitten ; Flächen, die schon ganz außerhalb der Stadt lagen und sich bis zum Fuße des Kal-varien- und Pyramidenberges erstreckten. Jener bewaldet, grün, gekrönt von einem einfachen Kirchlein, der Barbarakapelle, dieser mit Weinreben bepflanzt, graubraun, auf dem Gipfel eine Kapelle sonderbarer Bauart, ohne Turm, mit flachem Dach, von fern einem winzigen Griechentempel gleichend. Hinter der damals noch stattlichen gräflich Brandisschen Burg, deren Park der spätere Sophienplatz einnahm, benannt nach der damaligen Gräfin, führte eine Kastanienallee bis gegen die drei Teiche ; ein von Zwetschkenbäumen abgegrenzter Weg leitete bis zum Fuße des Kalvarienberges. Auf diesen Talkessel glühte des Sommers die Sonne mit all ihrem Feuer herab, darüber wölbte sich ein tiefblauer Himmel, die Felder wogten und die Vöglein sangen, in den Gräsern und Ähren summte, surrte und schwirrte, und wob es tausendfältig, alles voller Leben, alles im Reifen und Gedeihen, man empfand förmlich, wie Gras und Getreide, Busch und Bäum trieben, sproßten und sich des Daseins freuten. Es war eine Lust, dort herumzuwandeln, eine Lust, die mein junges, wogendes und treibendes Herz durchdrang. In den freien Nachmittagsstunden des Sommers schritt ich dort auf und nieder, schauend, empfindend und lesend. Dort verlebte ich meine glücklichsten Stunden, wenn ich, ein Buch in der Hand, hinauszog und mich an den keimenden Halmen, an den Blumen, Käfern und Schmetterlingen, an den Kastanien und Pflaumen ergötzte ; wenn ich beobachtete, mich sonnte, mich eins fühlte mit dem Sommer, blühend und glühend wie dieser, sann und träumte, kein Kind mehr und doch noch ein Kind. Ein Sonntagmorgen brach an. Nach der Kirche wunderte ich meinen Lieblingsweg. Heiter lachte die Sonne herab, rein und friedlich strahlte der blaue Himmel nieder in die Stille der Einsamkeit. Doch nein ! Alles lebte und webte, in jedem Tautropfen eine Welt für sich. Die Saaten standen in gelber Pracht, von grünem Rasen umsäumt. Für bunten Wechsel sorgte der rote Mohn, die blaue Kornblume, die gelbe Wolfsmilch, die weiße Kamille. Leis bewegten sich die Baumwipfel, die Vögel schwiegen. Dafür summten und surrten die Heerscharen der Käfer. Die Schmetterlinge spielten und flatterten um blühende und glühende Blumen. Ernst-freundlich blickten die grünen Berge aus dem Sonnenglanz auf den jugendlichen Wanderer. Die Wässerlein alle schlurften, lurgten und murmelten so traulich, und sogar die Frösche und Schwimmkäfer schienen von der allgemeinen Weltfreudigkeit erfaßt. Ich stieg auf den Kalvarienberg zur Barbarakapelle. Im Walde dunkles Saatgrün, versteckt im Busche das Heideröslein. Jenseits des rauschenden Baches blühten die Weintrauben in ihrem milden Grün. Im Walde da zwitscherten und sangen die Vöglein ihre Lieder. Alles rief sich zu: „Der Sommer ist da!“ Dann wird es heller, die Sonne glüht wieder herab auf den Garten, der einen Teil des Berges bedeckt, bis wieder der kühle Schatten zur Ruhe lädt. Ich legte mich ins Gras und sah hinab auf das Menschengewimmel da unten; es ist ja Sonntag, die Arbeit ruht. Im Tale die braunen, grünen und gelben Felder, die silberne Drau, die weißen Landstraßen, die Türme, Häuser und Hütten, die dunklen Wälder. Gestärkt erhob ich mich und stieg erfrischt in die Stadt. Wolken sammelten sich um die brennende Sonne. Ein sanfter Regen rieselte nieder, die Gräser funkelten im Tal. Der Regen wird stärker, er gießt, er strömt. Alles scheint aufgelöst, es saust und fließt und rauscht, Bächlein stürzen und schäumen, es hat abgekühlt, auch das Feuer meiner Seele. Später verzogen sich die Wolken, das Abendrot glühte im Westen, und nach dem Genüsse dieses schönen Tages schlief der Jüngling zufrieden ein. — Dieses Mit-der-Natur-sich-eins-Fühlen, dieses Aufgehen in ihr, dieses Verwachsensein mit ihr blieb mir für das ganze Leben. Der erste Kuckuckruf, der erste Schneefall, das Kommen und Scheiden der Zugvögel, die Zäsuren im Rhythmus des Weltlaufes, bedeuten die Feiertage im gleichmäßigen Wandel der Zeit, wie die Feiertage des Kalenders. Sie sind die kleinen, unschuldigen Freuden, die zu genießen ich nie verlernte. Das habe ich dem Lande zu verdanken, in dem ich das Licht der Welt erblickte und die ersten, entscheidenden Jahre meines Erdenwallens'zubrachte. Ihren Eindrücken vermag sich niemand zu entziehen, sie bleiben haften, wenn auch der Strom des Lebens uns für immer den Stätten ihres Ursprunges entführte. Früh weckten sie, was dauernd blieb, was Menschenliebe fördert und Schaffenslust. Das melancholische Wiegenland spendete sie mir als ein Geschenk der gütigen Natur, die mich finden ließ, was viele vergeblich suchen, weil die Natur es ihnen versagt hat: die Weltfreude. Senaispräsident Alfred Amschi INHALTSÜBERSICHT Seite Franz Hausmann, Der Marburger Bluttag...................................................VII Franz Hausmann, Zum Geleit..............................................................-XI Dr. 0. Kernstock, Steirischer Süden . .......................... .......................XIH Wilhelm Fischer, Das steirische Unterland ................................................. XV Unrv>Prof. Dr. Walter Schmid, Südsteiermark im Altertum ...................... 1 Robert Sieger, Die landschaftliche Gliederung des Unterlandes . . : . . . . . . . ... 28 Univ.-Prof. Dr. Franz Heritsch, Die geologische Erforschung Untersteiermarks . . . . . . . 43 Dr. Georg A. Lukas, Die geographische Bedeutung Untersteiers............................46 Moriz Rüpschl, UntersteirischeS aus dem Mittelalter ....................................50 Hermann Egger, Zur Erforschung und Erhaltung gotischer Denkmäler Südsteiermarks ... 56 Anton Adalbert Klein, Türkennot ......................59 Prof. Dr. Fritz Nowotny, Südsteirische Burgen und Schlösser.............................65 Dr. Fritz Popelka, Franz Tähy, Schloßherr, auf Stattenberg ...............................102 Dr. Wilhelm Suida, Von steirischer Barockmalerei im Unterlande..........................116 Robert Baravalle, Deutsches Theater im steirischen Unterlande . ........................121 Dr. Kornelius Preiß, Die Musikkultur Südsteiermarks.....................................138 Hofrat Dr. Karl Köchl, Das deutsche Schulwesen im ehemaligen steirischen Unterlande . . 143 Reg.-Rat A. Gubo, Beitrag zur Schulgeschichte Südsteiermarks............................147 Dr. Franz Baum, Die Kulturarbeit des Deutschen Schulvereines im steirischen Unterlande . 153 Dr. Friedrich Pock, Kulturarbeit der »Südmark“ im steirischen Unterlande................160 Anton Stiegler, Die Entwicklung des Obst- und Weinbaues im einstigen Herzogtum Steiermark, insbesondere in Untersteiermark ...............................................164 Paul Geißler, Das deutsche Turnwesen in der Südsteiermark.................................176 Dr. Friedrich Pock, Von der deutschen Presse in Untersteier..................... 182 Reg.-Rat A. Gubo, Neukloster im Sanntal. ...............................................190 Alfred Freih. v. Buttlar-Moscon, Das Kartäuserkloster Seitz........................ 195 Reg.-Rat A. Gubo, Der letzte Kartäuser von Seitz ........................................ . 200 Dr. A. Kern, Johann Georg Lorber................................................... 203 A. Luschin-Ebengreuth, Johann Sigismund Popowitsch .....................................207 Franz Hausmann, Erzherzog Johann und die Untersteiermark................................224 Anton Berger, Tegetthoff .........................................:.....................234 Heinrich Wastian, Bartholomäus von Carneri.................................... 241 Hanns Löschnigg, Rudolf Gustav Puff ....................................................248 Moriz Rüpschl, Bürgermeister Neckermann.............................................. 257 Dr. Otmar Mallitsch, Ferdinand Mallitsch....................................... 267 Dr. Heinrich Kalmann, Ernst Goll........................................................281 Hanns Löschnigg, Anna Wittula...........................................................285 Dr. Norbert Moro, Hugo Wolf...........................................................291 Prof. Roman Köle, Rudolf Wagner.......................................................... 296 Margarete Weinhandl, Franz Frisch.....................................................300 Oberlandesgerichtsrat Dr. Vinzenz Bauer, Pettaus letzter deutscher Bürgermeister......304 Heinrich Wastian, Aus Kernstocks Kindheit...................... 310 Ernst R. Geutebrück, Joseph Marx und der südsteirische Herbst.........................316 Robert Baravalle, Bartsch und die Südsteiermark.................................. . ; . . 321 Anna Hansa-Jahn, Die Untersteiermark im Leben und Schaffen eines Künstlers ..... 329 Dr. Franz Karl Nepel, Karl Bienenstein, ein südsteirischer Dichter ............ 333 Dr. Hans Pirchegger, Marburg in alter Zeit............................................. . 341 Dr. Ing. Josef Krebitz, Die neue Draubrüeke in Marburg ................................351 Ing. Max Hlawatschek, Die Südbahnwerkstätte in Marburg............................... 357 Dipl.-Ing. Hans Mast, Großwasserkraftanlage Faal an der Drau......................... 361 Dr. Hans Pirchegger, Schloß Ober-Pettau...............................................370 Anton Schlossar, Erinnerungsblätter an-Rohitsch-Sauerbrunn .............................. 375 Karl Bienenstein, Maria in der Wüste............................... 382 Karl W. Gawalowski, Cilli ...........................................................386 Hildegard Rieger, Im Kohlengebiet von Trifail ......................388 Franz Hausmann, Rann an der Save................................................• • • 396 Senatspräsident Alfred Amschi, Wiegenland.............................................399 DAS BUCH ENTHÄLT BEITRÄGE VON: Amschi Alfred, Senatspräsident i. R., Graz. Baravalle Robert, Graz. Bauer, Dr. Vinzenz, Oberlandesgerichtsrat, Graz. Baum, Dr. Franz, Zentralinspektor i. R., Wien. Berger, Dr. phil. et med., Gutsherr auf Schloß Laubegg. Bienenstein Karl, Schulrat, Bürgerschuldirektor, Bruck a. d. Mur. Buttlar-Moscon, Alfred Freih. v., Gutsherr auf Schloß Pischätz. Egger, Dr. Hermann, Universitäts-Professor, Graz. Fischer, Dr. Wilhelm, Direktor i. R. der Steiermärkischen Landesbibliothek, Graz.' Gawalowski Karl W., Hofrat, Direktor i. R. der Landesbibliothek, Graz. Geißler Paul, Professor, Graz. Geutebrück, Dr. Ernst R., Rechtsanwalt, Graz. Gubo A., weiland Regierungsrat, Gymnasialdirektor. Hansa-Jahn Anna, Graz. Hausmann Franz, Bürgerschuldirektor, Feldbach. Heritsch, Dr. Franz, Universitäts-Professor, Graz. Hlawatschek, Ing. Max, Zentralinspektor, Chef der Eisenbahnwerkstätte Graz. Kalmann, Dr. Heinrich, Graz. Kem, Dr. A., Bibliothekar an der Universität Graz. Kernstock, Dr. Ottokar, Pfarrherr auf Festenburg. Klein, Dr. Anton Adalbert, Professor, Graz. Köchl, Dr. Karl, Hofrat, Landesschulinspektor, Graz. Köle Roman, Professor, Graz. Krebitz, Dr. Ing. Josef, Graz. Löschnigg, Dr. Hanns, Arzt, Graz. Lukas, Dr. Georg A., Professor, Graz. Luschin-Ebengreuth, Dr. Arnold von, Hofrat, Universitäts-Professor i. R., Graz, Mallitsch, Dr. Otmar, Polizeidirektor i. R., Graz. Mast Hans, Dipl.-Ing., Direktor des Steirischen Wasserbausyndikates, Wien. Moro, Dr. Norbert, Facharzt, Graz. Nepel, Dr. Franz Karl, Distriktsarzt, St. Peter am Ottersbach. Nowotny, Dr. Fritz, Professor, Graz. Pirchegger, Dr. Hans, Universitäts-Professor, Graz. Pock, Dr. Friedrich, Bibliothekar an der Landesbibliothek, Graz. Popelka, Dr. Fritz, Staatsarchivar, Graz. Preiß, Dr. Kornelius, Professor, Linz. Rieger Hildegard, Oberlehrerin, Eggenberg bei Graz. Rüpschl, Dr, Moriz, Direktor der Landesbibliothek am „Joanneum“, Graz. Schlossar, Dr. Anton, Regierungsrat, Direktor i. R. der Universitätsbibliothek, Graz. Schmid, Dr. Walter, Universitäts-Professor, Graz. Sieger, Dr. Robert, Universitäts-Professor, Graz. Stiegler Anton, Landes-Ökonomierat i. R., Graz. Suida, Dr. Wilhelm, Universitäts-Professor, Baden. "Wastian Heinrich, Hofrat, Graz. Weinhandl Margarete, Universitäts-Professors-Gattin, Kiel.