Eine Weltreise um die nördliche Hemisphiirc. Gim Weltreise um die nördliche Hemisphäre in Verbindung mit der Ostasiatischen Expedition in den Jahren 1860 und l861. Von Wilhelm Heine. Zweiter Theil. ' Leipzig: F. A. Vrockhaus. 186"». Dns N^l!,'rs,'hm!lM,'ch! ist »,orl'>'linI1i'N, Inhaltsübersicht des zweiten Theils. Xlli. Aokuhaina. New cmagawa und MulMua. Hotel. Dic Lokalität. Die ssrem den. Der ("anMro. Daö Zollhaus. Christliche Gräber. Missionare. ,ENva6 über Pferde...........1—21 XIV. Der Anfauf! deß Endes. An deutscher Weihnachtsabend, ätriegssseschrei. letzter Aus< flüss. Der Tempel von Daisin. Eine angenehme Ueber raschunss, nnd ein unangenehmer Wetter^vechsel. Schnee «nb Schneemänner. Eine frohe VersammlnnH.....^^—4! XV. Gin Opfer. ^in Alarm. Mordanfall. Der Verwundete. Tod! Eine Leichenwacht. Ein Ackehrter. Hoffmmg. Die Obdnrtion. 3m Sarge. DaS Begräbuiß.........., 4>!—c Einfahrt. Der Papcuber^. Dic Stadt. Fremde Sclnffe. Dceima. Gastfreundschaft. Grabstätten. Fest der Todten. Ausflug uach Awa und Mogi. Die Russen. AuSsMeu für die Reise durch Sibirien.............71—80 VI XVIII. Schanghai. Seite Privathäuser und Hotels. Der deutsche Club. Die Taipings ober Schangmoas. Vorbereitungen zu einer Excursion. Bootsansrüstung. Die Mission von Sikawe. Chinesische Truppen. Siegestrophäen. Tsipo. Belagerungszustände und chinesische Kriegsführnng. Ein MilitärgerickMhof. Rückzug. Eine Filialmission. Weiterreise auf dein Whampoa-fluß. Eine kaiserlich chinesische Armee auf dem Marsch. Ein wandernder Westlänber. Sangtiangfu. Eine zerstörte Stadt. Kaiserliche Dschunken. Manipulation des Handels. Schutt und rauchende Trümmerhaufen. Die Kriegführung der Schangmoas. Rückkehr..............«1—110 XIX. Nach Tientsin. In See. Das Gelbe Meer. Tshifre. Die Takuforts. Vesnch am ^ande. Englische und französische Garnison. Verkäufer und Gaukler. Englische Pontons. Abschied von der „Arkona". Reise in Manlthierkarren. Die große Ebene. Ortschaften. Grabhügel. Aufbewahrung von Früchten, Salz, Gemüsen und Eis. Viehzucht. Tientsin...........111—12« XX. Nach Peking. Die Heerstraßen. Die Reisenden. Pferde, Manltlnere, Esel, Reiter nnd ihre Sättel, Wirthshäuser. Originelle Städte-namcn. Die Hauptstadt. Die Mcmern und Thore. Besuche. Rückkehr nach Tientsin. Die Stadt. Der Fluß. Straßen nnd Gebäude. Handel. Bevölkerung. Bettler. Nahrungsmittel. Preise derselben. Englische Trnppcu. Unterhaltungen. Theater. Der Geburtstag der Königin 129—145 XXI. Peking. Unterwegs. Schlechte Wege. Eingeborene. Ackerbau. Hr. Klockerts. Peking. Die französische Gesandtschaft. Diplomatische Formalitäten nnd Schwierigkeiten. Die Stadt und ihre Abtheilungen. Der kaiserliche Palast und scine Umgebungen. Missionare der vergangeneu und Neuzeit. Ihre Wirksamkeit. Chinesische Examen der literati. Die Woh- VII Eeilc nungen der Gesandten von England und Frankreich. Die russische Mission. Eine Moschee. Die Kathedrale. Verschiedene Religionsformcu. Bedürfniß eineö umfassenden Schutzes für alle Missionare. Lamatempcl, Tempel des Himmels, Ackerbau ic. :c. Der Iesuiteukirchhof. Ausflug nach den Hügeln. Ankunft von zwei andern Mitgliedern der Expedition. Hoffnung. Täuschung. Die Brigg „Imogen". Nangasaki..............140—195, XXII. Vergebliche Versuche Nikolajewsk zu erreichen. Nach Jokuhama. Angriff auf die englische Gesandtschaft in Jedbo. Unsicherheit und Wirren. Die Fregatte ,,Actäon". Westküste der Bai von Ycodo. Bai von Susaki. Fischfang. Neue Wirren. Reise des ,,Actaon" unterbrochen. Rückkehr nach Jokuhama. Eine japanische Rauferei. Ka-Matura. Nach Sau-Francisco......... . , 19«—221 XXIII. Von SawFraneisco mit der Ueberlandpost. Sacramento. Die Ueberlandpost. Placerville. Wege, Pferde, Kutscher und Kutsche. Getränke. Frühstück in Strawberry. Die Bergstraße. Carsonvallcy. Carsoncity. Rivalität der verschiedenen Städte im Territorium. Ein Agent. Neue Reisegefährten. Eine Nacht in Virginiacity. Fort Chnrch« hill. Californische Dragoner. Die Gebirgöo'de. Salz^ selber. Große Trockenheit. Poststationen. Fanstrecht und seine Folgen. Indianer. Saltlakedalley......222—251 XXIV. Die Mormonen und die Stadt am Salzsee. Du Mormonen. Ihr Ursprnng. Ihre Verfolgung. Ans. Wanderung nach den Felsengcbirgen. Gründung der Stadt am Salzsee. Organisation der Ansiedelung. Das Thal der Salzseen. Die Anlage der Stadt. Communalbcstimmnngen. Das „Hotel". Die heißen Mineralquellen. Ein starler Glaube. VrighaM'Yoimg. Cultnrzustände. Nationalitäten der Mormonen. Weiterreise. Fort Kearney. Büffeljagd. St.°Ioseph. Nach Neuyork. Krie.Mcber. InS Feld, 252—271 VIII Anhang. EM« I. China nnd Japan, daö östliche Asien und der Welthandel. Ein Vortrag von Wilhelm Heine, gehalten in der Oeogra-phischcn Gesellschaft M Äerlin, den 7. Mai 185«). , , 273-2^5 II. Anszn.q an« der Denkschrift des preußischen ^inanzmimsters iiber dic Expedition nach Ostasien.........2!)6 ^ !i01 III. Daö Verhalten der Amerikaner gesseniil'cr der preußischen Expedition...................302—W5 XIII. Jokuhama. Kanagawa und Yokuhama. Hotel. Die Lokalität. Die Fremden. Der Ganküro. Das Zollhaus. Christliche Gräber. Missionare. Etwas über Pferde. <3u verschiedenen malen habe ich einen Besuch in Kana-gawa gemacht, und jedesmal bin ich auch auf einige Stunden nach Jokuhama auf der andern Seite des Flusses gegangen, dem Orte, wo Commodore Perry 1855 den ersten Vertrag mit den Japanern abschloß, und wo jetzt die fremden Kaufleute Handel treiben. Die verschiedenen Consuln wohnen in Kanagawa, einem Städtchen von einigen tausend Einwohnern, aus einer doppelten Reihe von Häusern bestehend zu beiden Seiten der Straße nach Jeddo, die hier, gleichwie in Sinagawa, eingeengt zwischen einer Hügelkette und dem Meeresnfer, hinläuft. Alle diese Herren hatten wit herzlicher Gastfreundschaft den Mitgliedern der Expedition Aufnahme angeboten; ich felbst habe dem amerikanischen Consul, Hrn. Dorr, für seine Gastfreundschaft zu danken. Heine, Weltreise. II, 1 2 Sämmtliche Consuln sowie eine Anzahl amerikanischer Missionare bewohnen Tempel, welche ihnen von den japanischen Behörden zum Aufenthalt angewiesen wurden, und haben mit Hülfe von Glasfenstern und Thüren, Tapeten und Möbeln sie ziemlich civilisirt aussehen, oft sogar sehr bequeme und angenehme Wohnungen daraus gemacht. Welch einen Contrast bildet der Anblick von Jokuhama mit dem kleinen Fischerdörfchen, das vor 5 Jahren oder selbst 18 Monaten an dieser Stelle sich befand! Auf der Stelle, wo damals das hölzerne Gebäude errichtet war, in welchem die Verhandlungen stattfanden, die Geschenke gegenseitig übergeben wurden, sodann die kleine Eisenbahn gelegt und der Telegraph aufgestellt war, steht jetzt eine Anzahl weitläufiger Gebäude, von einer Breterwand nnd einem einige Fuß breiten Graben umgeben. Dies ist das Zollhaus, vor welchem sich zwei steinerne Dämme einige hundert Schritt in die See hinaus erstrecken, als Landungsplätze für die Boote dienend. Parallel mit dem Ufer laufen einige Straßen, von andern in einem rechten Winkel durchschnitten, und die so gebildeten Vierecke enthalten die Wohnungeu und Waarenhäuser der Kaufleute und sonstigen fremden Residenten. Unweit, des Zollhauses hat ein Holländer, Hr. Hufnagel, ein Hotel errichtet, wo der Physische Mensch gegen Erlegung einer Summe von 2 Dollars per Tag oder 50 Dollars per Monat in einem kleiueu Zimmer untergebracht und reichlich mit guteu, nahrhaften, schmackhaften Speisen dreimal des Tages erquickt wird, auch gute Getränke zu mäßigen Preisen erhalten kann. Das Leben 3 in Jokuhama gleicht noch ein wenig dem Aufenthalt in San-Francisco während seiner zweiten Entwickelungspcriode, doch kann man hier über mehr Arbeitskräfte zu billigern Preisen gebieten als dort; deshalb ist das 3 eben weniger kostspielig, und man kann sich mit einem gewissen Grad von Comfort umgeben. Zwischen Mkuhama und Kanagawa läuft ein Fluß, und mehrere breite Gräben durchschneiden das Land, von denen einer etwa 30 Schritt breit hinter dem Orte sich erstreckt. Jetzt sind Hunderte von Arbeitern beschäftigt, diesen Graben hinter dem Südwestende der Stadt mit dem Meere durch einen andern von gleichen Dimensionen zu verbinden und so die Ansiedelung der Fremden gleich der Insel Dezima gänzlich abzuschließen; denn da, wo Brücken über Fluß oder Graben führen, befindet sich auch ein Gitter, dessen Thor bei Nachtzeit verschlossen ist, und wahrscheinlich wird nebst dem Graben auch ein Gitter, das man an mehreren Orten aufzurichten anfängt, bald den ganzen Ort umgeben. Da Nokuhama in einer von Hügeln eingeschlossenen Ebene liegt, so fällt es weder schwer, alle diese Maßregeln ins Werk zu setzen, noch einen plausibeln Grund dafür zu finden. Bei frischem Süd- oder Westwiud ist es wegen der dann herrschenden Vrandnng nicht bequem für Boote, an den steinernen Werften vor dem Zollhause zu landen; die vorsich-tlgm Behörden machen es jetzt möglich, in dem wohlge-schützteu Graben hinter der Stadt zu allen Zeiten die Boote mit Bequemlichkeit auszuladen. Wenige Schritte vom Zollhaus entfernt steht eine hohe 1* 4 alte Kiefer, unter dieser eine kleine Mia oder Kapelle (s. Commodore Perry's Bericht S. 400), dabei ein kleines Gehöft und ein Stückchen Feld, mit einem Bambuszaun umgrenzt. In der ganzen Ansiedelung fand ich, daß diese einzige Stelle, seit ich sie zuletzt gesehen, unverändert geblieben war, alles Uebrige hat Neuem Platz gemacht; selbst ein kleines Monument dicht am Ufer, zum Andenken einer ganzen Familie errichtet, die an dieser Stelle in einem Sturm ertrank (in Commodore Perry's Bericht bildet eine Zeichnung davon die Vignette vom XIX. Kapitel) und das man damals sorgfältig im Stande hielt, ist verschwunden. Westlich von dem eben künstlich erzeugten Graben in einem kleinen Thal zwischen zwei Hügeln liegt auf allmählich ansteigendem Grund der christliche Kirchhof; dicht bei demselben steht das Denkmal, welches die Japaner zum Andenken des vor einem Jahr gemordeten russischen Offiziers zu errichten versprochen. Seit vielen Monaten sind Lente daran beschäftigt, doch scheinen sie nur langsame Fortschritte zu machen, denn außer vier Säulen und dem Anfang eines Bogens ist noch nichts zu sehen. Es scheint, als ob das Monumeut ein steinerner Baldachin werden solle, wie er oft in griechischen Kirchen über dem Altar zu finden ist. Die Zeichnung ist augenscheinlich von den Russen geliefert, denn die Architektur hat durchaus nichts gemein mit der der Japaner. Kirchhof und Grab nehmen die Stelle ein, wo bei Commodore Perry's Besuch ein Seefoldat beerdigt, später aber wieder ausgegraben und nach Simoda gebracht wurde. 5 Die Hügelrcihe, welche hier beginnt, lauft in nordwestlicher Richtung weiter und dominirt die Ansiedelung sowie die kleinen hinter derselben befindlichen Ebenen vollkommen; der Graben, wenn derselbe vollendet, und das Gitter, machen es den Japanern möglich, allem Verkehr ein Ende zu machen, wenn es ihnen beliebt, die Fufuhr von frischen Lebensmitteln zn verhindern und dadurch die Fremden in große Verlegenheit zu bringen. Schon jetzt geben diese Schranken manchen Anlaß zu Streitigkeiten. Man schließt die großen Gitter mit Einbruch der Nacht, während welcher jedermann durch ein kleines Seitenpförtchen passiren soll. Die Fremden, welche gegen Abeich oft Excursionen zu Pferde in die Umgegend machen, weigern sich, anders als durch das große Thor zu reiteu, eiu Streit erfolgt, der Manchmal in Thätlichkeiten endet oder wenigstens zur Folge hat, daß man das große Thor mit Gewalt öffnet, die Riegel Und Barren, welche dasselbe sperren, aber ins Wasser wirft. Nun gibt es eine Klage an den Consul der betreffenden Nation, dieser führt Beschwerde an den Gouverneur von Kanagawa, welcher sich mit Instrnctioncn von Jeddo entschuldigt, die Angelegenheit wird nach L)eddo berichtet und bleibt bort im Ministerium liegen, bis, wenn ein wichtiger Fall vorkommt, der die japanischen Behörden in Verlegen-hüt setzt, diese sich einen gewünschten Anfschnb dadurch .verschaffen, daß sie eine dieser alten Streitigkeiten, womöglich eine, bei welcher die Fremden sich Uebcrciluug zu Schulden kommen ließen, heroorsnchen und vorschützen, die neuen Angelegenheiten könnten nicht eher besprochen werden, als 6 bis die alten erledigt seien. Als bei der Eröffnung des Hafens Jokuhama von den Japanern den Fremden übergeben werden sollte, verweigerten, soviel ich erfahren konnte, sämmtliche Gesandte und Consuln die Annahme und empfahlen den eben angekommenen Kaufleuten, darauf zu bestehen, ihre Waarenhäuser in Kanagawa anzulegen. Dieser Ort bot den Vortheil, hoch zu liegen, und das Terrain machte eine solche gänzliche Abschlicßung wenn nicht ganz unmöglich, so doch sehr schwierig, außerdem aber führt die große Bandstraße von Naugasaki nach Jeddo durch die Stadt; es war demnach leichter, in directeu Verkehr mit einer großen Anzahl der Eingeborenen zu treten, während jetzt außer einigen Kausieuten und den in Diensten der Fremden stehenden Japanern niemand mit denselben in Berührung kommt. Die Kaufleute beriethen sich und, entweder weil sie nicht alle Folgen übersahen oder weil sie wünschten, schnell den Handel zu beginnen, erklärten sich zur Annahme von Jokuhama bereit. Der gegenwärtige uubchagliche Zustand ist das erste Resultat; was die Zukunft weiter bringt, läßt sich nicht absehen. Am nördlichen Ende der Ansiedelung befindet sich eine Anzahl von Gebäuden, um einen mäßig großen Platz gruppirt, von einem Gitter umgeben. Dieser Theil führt den Namen Gantüro und steht auf derselben moralischen Plattform wie die japanischen Thechänser, nur einige Stufen tiefer. Auf dem Platz finden »rührend des Abends Schaustellungen verschiedener Art statt, um die sich meist ein ziemlich zahlreiches Publikum versammelt, meist aus 7 Japanern der niedern Klassen, gemischt mit Chinesen und solchen Fremden, welche die Neugier hierher treibt, bestehend. Die Nordwestecke des Platzes bildet ein großes, etwas substantieller gebautes Etablissement. In einer geräumigen Vorhalle sitzen eine Anzahl Japaner, theils als Thürhüter, theils Rechnungen oder sonstige Schreibereien besorgend. Aus dieser Vorhalle tritt man in einen geräumige« Hof, mit Papicrfensteru überdacht, iu dessen Mitte ein großes Bassin mit den üblicheu Goldfischen, Inseln, Pflanzen, Felsen und sonstigen Etceteras befindlich. Eine Brücke schmückt das Bassin, und außerdem kann derjenige, welcher sich in idyllische Stimmung zu versetzen wünscht, eine Reihe von Steinen benutze», um das nasse Element zu überschreiten. Galerien umgeben in beiden Stockwerken diesen Hof. Die uuteru Räume sind meist klein und unansehnlich, die obern, zu dcnen eine breite Treppe führt, umfassen mehrere große Piecen, von denen einige reich möblirt find, eine aber ein kleines Theater enthält. In diesen kauu derjeuige, der Lust und Geld dazu hat, seinen Freunden Lou^rs ö. 1a, ^poniüäL, Concerts oder auch Lailyt en, grauäL ou, 6n petite tenus geben. Da ich zur Zeit keine derartige Unterhaltung gesehen, so kaun ich keine Beschreibung davon liefern. Ueber der Thür steht in englischer Sprache folgende Inschrift: A0 ärunkmi psi^on ^1c»vLcI kers; 110 (Hin^inon aämitteä; tlw polioo is ÄutKorixVä to 6^6ot 11018? por8oii8, oder, wie ein Bewohner der Emerald - Insel es aussprach, uoi^ Mi'- 8 Viele der übrigen Gebäude haben ebenso wie das obenerwähnte Etablissement neben der Vorhalle einen andern, manchmal nicht kleinen Raum, nach der Straße zu blos mit einem hölzernen Gitter verschlossen. In diesem sitzen an fünf bis zehn oder auch mehr junge Mädchen, in allerhand bunte Gewänder gekleidet, weiß und roth geschminkt, mit allerhand phantastischem Kopfputz angethan, ruhig und bewegungslos, ebenso vielen Wachsfiguren gleichend, vor einem jeden ein lackirtes Theebret, darauf ein Büchschen mit Taback, eine Pfeife und ein kleines Kohlenbecken. Nähme nicht manchmal eine diefer stummen Schönheiten ihre Pfeife auf und rauchte einige Züge, man würde kaum glauben, daß sie lebende Wesen seien. Eine andere Ausstellung noch niedrigerer Art sind zwei Reihen von Kästen, vielleicht ss—8 Fuß ins Geviert, einander gegenüberstehend, doch durch eine Breterwaud getrennt. In jedem dieser Kästen sitzt gleichfalls ein aufgeputztes, geschminktes Frauenzimmer und ruft: «^nnata, knnata.!» Die Prostitution hat hier jedenfalls den weitesten Umfang erreicht, und kommt dazu der Umstand, daß, obgleich das Unternehmen von einzelnen Individuen geführt wird, die japanische Regierung, dennoch direct bei demselben betheiligt ist, indem sie dasselbe überwacht und 50 Procent der eingehenden Gelder empfängt. In frühern Zeiten beschränkte sich die ganze Anstalt auf ein Gebäude gleich dem größten zuerst beschriebenen, wo Zimmer und Erfrischungen geliefert wurden und die Besucher ihre Gesellschaft selbst mitbrachten. Es gab damals noch kein Hotel in Iokuhama; 9 mancher der jetzigen Residenten hat seine ersten Tage in dem Hause zugebracht, bis er ein anderes Obdach gefun-den, und erst sftäter den Charakter seines Nachtquartiers kennen gelernt. Seinen jetzigen Umfang hat der Ganküro erst erreicht, als im vergangenen Jahr verschiedene Morde an Fremden verübt worden waren, worauf die japanische Regierung diesen letztern den Besuch der Theehäuser untersagte, da an diesen Orten oft Betrunkene, geneigt zu Händeln, sich vorfänden. In einer sehr naiven Verordnung theilte sie dann den verschiedenen Consuln die Errichtung der obenbeschriebenen Anstalt mit, „die, so hoffe man, allen Ansprüchen genügen solle". Ein altes Sprichwort sagt: „Ist Gott irgendwo eine Kirche gebaut, gleich setzt der Teufel ein Wirthshaus daneben." Hier ist der Fall umgekehrt; dem Teufel ward erst der Ganküro gebaut, dann kam die Kirche. In Kana-gawa hält sich eine Anzahl amerikanischer Missionare auf, von diesen hält jeden Sonntag einer Gottesdienst; und zählt auch die kleine Gemeinde jetzt erst nach Dutzenden, fo ist doch ein Anfang gemacht. Kaum hätte wol bei Unterzeichnung des ersten Vertrages im I. 1855 einer der damals Gegenwärtigen geglaubt, daß früher als in einem halben Decennium christlicher Gottesdienst auf dieser Stätte gehalten werden würde. Am Sonntag, wo ich die Missionare in Kanagawa besuchte, ward beim Abendgottesdienst der hundertste Psalm gesungen, in England und Amerika gewöhnlich «Olä Iiunärsä» genannt und denselben Rang behauptend wie in der deutschen protestantischen Welt 10 das herrliche Lied: „Eine feste Burg ist unser Gott." Es erinnerte mich an unsern guten alten Kaplan Mr. Jones, der sich vom Commodore ausbednngen hatte, daß bei erster Gelegenheit dieses Lied in der Bai von Jeddo an Bord gesungen werden müsse, und zu seiner großen Freude seinen Wunsch erfüllt sah. Auch die gegenwärtige Expedition hatte ihre religiöse Feier am zweiten Sonntag nach der Landung der Gesandtschaft, denn am ersten Sonntag wehte eiu heftiger Sturm, der die Verbindung mit dem Lande unterbrach. Statt «01ä kunäi-sä» hatten wir „Eine feste Burg ist unser Gott", und zwar alle Verse, eine einfache, kräftige Predigt, wie die Gelegenheit sie erheischte, und zum Schluß die herrliche Dankhymne: „Nun danket alle Gott." Schon früher habe ich bei mehr als einer Gelegenheit ausgesprochen, welchen Eiudruck dcr Gottesdienst an Bord der Schiffe auf mich machte, au Bord dcr „Thetis" sah ich kürzlich zum ersten mal die Feier des Heiligen Abendmahles auf einem Kriegsschiff. Diese größte und wesentlichste aller christlichen Kirchenfeiern wird doppelt ergreifend an einem Ort, wo eine kleine Schar braver Männer, weit von der Heimat und allem, was ihnen lieb und werth, der Gefahr und dem Tode mehr als gewöhnlich ausgesetzt, sich in stiller Andacht versammeln, um der Leiden, des TodeS und der Gnade uusers Erlösers zu gedeukeu, Gottes Schutz anzuflehen und gute Borsätze für ihr weiteres Leben zu fassen. Einen andern sehr schönen Gebranch sah ich zum ersten mal an Bord der „Arkona". Abends, wenige 11 Minuten vor 8 Uhr, schlägt man zur Retraite; während Trommeln und Pfeifen den Takt angeben, macht man wie auf den Kriegsschiffen anderer Nationen die Runde; das Piket der Seefoldaten steht auf dem Quarterdeck Gewehr beim Fuß, und zuletzt wird der Rapport gemacht, der Abendschuß kracht, nachdem die Glocke acht geschlagen hat, und eine tiefe Stille folgt, nur unterbrochen vom Commando: „Gewehr ab, Helm ab zum Gebet!" und die schöne Weise „Nun dauket alle Gott" zieht in langsam getragenen Tönen über das Wasser. Es gibt manche Personen, welche die Begriffe von Seemann oder Soldat und Frömmigkeit nicht vereinigen können, andere sogar, die denken, daß ein religiöser Mann weniger voll Muth und Entschlossenheit sein müsse. Meist wird das religiöse Leben eines Mannes wenig bekannt, seltener noch werden es die Thaten eines frommen und deshalb bescheidenen, zurückhaltenden Mannes; von Zeit zu Zeit jedoch glänzen derartige Beispiele in der Geschichte gleich Sternen am Abendhimmel. Die Ereignisse der letzten Jahre, der furchtbare blutige Aufstand in Indien bieten eins davon in der Person des edeln, heldenmüthigen Generals Havelock. Schon zu der Zeit, wo er als Major das Regiment der Punjab-rifles (ich denke, so hieß das Corps) commandirte, nannte man sein Commando in manchen militärischen Kreisen „das Bibel-Commando", und mancher, durch die obenerwähnten Vorurtheile beeinflußt, hatte keine großen Erwartungen von seinen Waffenthaten. In dem blutigen Feldzug am Sutledsch, wo zu einer Zeit fast 12 jedes Corps im Zustand einer halben Auflösung begriffen, der Feind aber im Vordringen war, hemmte Havelock mit seinem Bibel-Commando denselben und wirkte so nicht unwesentlich zur glücklichen Beendigung des Feldzuges mit. Der Heldenmuth, mit welchem er der kleinen Besatzung von Luckno zu Hülfe eilte, ist mit dem des Xenovhon und seiner Zehntausend verglichen worden. Sicher war die Aufgabe eine gleich schwierige, doch der Unterschied zwischen beiden, daß, während auf der einen Seite 10000 Griechen einen gefährlichen Rückzug durch zahlreiche feindliche Scharen einer schmählichen Gefangenschaft vorzogen, hier 1200 Mann durch 40000 erbitterte, wohldisciplinirte, gleichbewaffnete Sepohs ihren Weg erfochten, um dem kleinen Häuflein ihrer in Luckno eingeschlossenen Landsleute Entsatz zu bringen, daß sie, zurückgeworfen von der Uebermacht des Feindes, einen neuen, diesmal erfolgreichen Versuch machteu, und, in der belagerten Stadt angelangt, als sie sahen, daß ihre Stärke nicht genügte, alle Frauen, Kinder, Kranken und Verwundeten mit sich zu nehmen, es vorzogen, die Beschwerden einer neuen Belagerung zu theilen, in welcher ihr hochherziger Führer, geschwächt durch Krankheit und Beschwerden, sein Leben endete. Bei meinem Besuch in der amerikanischen Mission in Kanagawa fand ich daselbst einen frühern Seesoldaten der „Mississippi", der, obgleich er in einer viel bescheidenern Weise Waffen für sein Vaterland getragen, dennoch auf gleiche Art Religiosität mit dem Waffenhandwerk verband. Mr. G. ist, soviel ich erfahren konnte, im Staat Neuhork 13 geboren, feine Familie, sagt man, sei aus Hessen und habe sich gleich den meisten der hessischen Truppen, welche während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges dort für ihren Landgrafen und Herrn und seinen Verbündeten, den König von England, gefochten, später gefangen genommen wurden, in der Neuen Welt angesiedelt. Vom Wunsche getrieben, der Japan-Expedition unter Commodore Perry beizuwohnen, machte er gleich vielen andern eine Eingabe, um Erlaubniß, irgendeine bescheidene Stellung ausfüllen zu dürfen, bittend, nnd als er alle Plätze, für die er sich eignete, besetzt fand, ließ er sich unter die Seesoldaten einreihen. In dieser bescheidenen Stellung gewann er sich den guten Willen seiner Vorgesetzten nnd Kameraden und bietet eins der seltenen Beispiele, wo während einer dreijährigen Reise ein Untergebener weder Verweis noch Be-strafnng gefunden. In Commodore Perry's Bericht, S. 486, wird eines Japaners erwähnt, der, als Schiffbrüchiger in China angekommen, später als Matrose auf der „Mississippi" diente. Commodore Perry fragte bei den japanischen Beamten an, ob es diesem Manne vergönnt sein würde, in Japan zurückzubleiben, und diese erwiderten lachend, daß niemand ihn daran verhindern würde. Sam Patch (diesen Spitznamen hatte man ihm an Bord beigelegt) schien aber diesen Versprechungen nicht recht zu txauen nnd zog es vor, an Bord zu bleiben. Vielleicht hatte er nicht so unrecht; ein anderer seiner Landsleute und Leidensgefährten, der später als Dolmetfcher in Diensten des englischen Gesandten, Mr. Alcock, sich in Yeddo aufhielt, ward von einem Japaner 14 ermordet. Commodore Perry sagt weiter unten: ,,Sam hatte wegen seiner Gutmüthigkeit das Wohlwollen seiner Schiffskameraden gewonnen, alle bedauerten sein Unglück, und besonders einer der Seesoldaten, Namens G., ein religiöser Mann, fühlte ein besonderes Interesse für ihn. In seiner Sanftmuth und Gelehrigkeit eine Bürgschaft guter Resultate eines richtig geleiteten religiösen Unterrichts findend, begann er ihn nach seiner Art zu belehren, und hoffte nicht nur, ihm gründliche Kenntniß der englischen Sprache beizubringen, sondern ihn vielleicht selbst zum christlichen Glanben zu bekehren. Sam kehrte mit der „Mississippi" nach den Vereinigten Staaten znrück und begleitete seinen wohlwollenden Freund und treuen Lehrer nach seiner Heimat im Innern des Staates Neuyork, wo G. Grundeigeuthum besitzt. Nach den letzten Nachrichten lebten sie dort zusammen, uud es ist kaum eine ungegründete Hoffnung zu nennen, daß Sam mit der Erziehung seines amerikanischen Freundes, im Fall seiner spätern Rückkehr in seine Heimat, unter dem Einfluß einer weitern Entwickelung der Verhältnisse in jenein Reich, ein Werkzeug werden kann, um seinen Landsleuten eine höhere und bessere Civilisation mittheilen zu können." So weit, was Commodore Perry gesagt. Mein Besuch in Kanagawa fiel auf einen Sonntag, und man begann eben den Abendgottesdienst. Ein noch junger ernster Mann las das 10. Kapitel St.-Pauli an die Römer und suchte es in seiner einfachen schlichten Weise zu erklären. Mir schien, ich habe den Mann bereits 15 irgendwo gesehen, hatte aber nichts weniger erwartet, als daß nach beendigtem Gebet der Rev. Mr. B. ihn zu mir führte, mit den Worten: „Ich denke, Sie kennen Mr. G. bereits) der zugleich mit Ihnen auf der «Mississippi« in Japan war." In der That hatte dieser die Muskete mit dem Evangelium vertauscht, sein Hab und Gut den Armen gegeben, und stand nun fertig, einen gntcn Kampf zu kämpfen. Dieses Beispiel einfachen, starken christlichen Glaubens verursachte mir unbeschreibliche Freude, ich wünschte dem wackern Manne guten Erfolg und alles Gute für seine Familie; er ist jetzt verheirathet, und seine junge Frau mit einem kleinen Töchterchen hat ihn in dieses ferne Land begleitet. Meine erste Frage war nach seinem japanischen Freunde Sam Patch oder Samuel Santarro, wie er jetzt genannt wird. Dieser hatte die vou ihm gehegten Erwartungen nur insoweit gerechtfertigt, als er die Taufe empfangen und die englische Sprache geläufig spricht. Als Lehrer scheint er tcine großen Qualifikationen zn besitzen; er kann seine natürliche Scheu noch nicht überwinden, noch eine gewisse Furcht vor seinen eigenen Landöleutcn, die vielleicht durch geschehene Vorfälle gerechtfertigt worden ist. Kann er aber nun nicht den Heiden das geistige Brot des Lebens bringen, so ist er wenigstens geeignet, denen, die das thnn, weltliches Brot zu bereiten, und auch noch et--was dazu, was er denn auch wirklich thut: mit andern Worten, Samuel Santarro, ali^8 Sam Patch, ist jetzt wohlbestallter Koch der Mission und soll als solcher große Zufriedenheit erregen. 16 Noch einen andern frühern Bekannten habe ich angetroffen, den ich fchon in Hongkong als katholischen Missionar kannte. Pere Girard, desfen Schule und Schüler in Morrisfon-college ich damals mit so vielem Interesse besucht, ist jetzt hier als Legationssecretär und japanischer Dolmetscher der französischen Gesandtschaft. Mehrmals schon war ich mit ihm zusammengetroffen, ohne ihn in der modernen Kleidung und der Mütze mit dem Goldband wieder zu erkennen; denn als ich ihn vor fünf Jahren sah, trug er ein chinesisches Gewand, einen langen Zopf und den Nest des Kopfes glatt geschoren. Seitdem hatte er geraume Zeit in Napa und Liu-Kiu zugebracht und sich bedeutende Kenntniß der japanischen Sprache erworben.*) Um mit Jokuhama zu enden, so läßt sich aus dem ganzen ^reiben, aus den vielen Schiffen, die vor Anker liegen, ankommen oder abgehen, und manchem andern schließen, daß der Handel schon einen ziemlichen Umfang erreicht hat, trotzdem derselbe wenig mehr als ein Jahr alt ist, und trotzdem die Kausieute das Gegentheil behaupten. Ich hege gleichfalls die Ueberzeugung, daß dort viel Geld verdient wird, und ein großer Theil davon auf die gewöhnliche geschäftliche Weise. Die Leute würden wol Thoren sein, wenn sie es überall ausposaunten, um dadurch neue Con-currenten herbeizuziehen. *) Jetzt lebt er wieder in Uokuhama, wo er eine Kapelle erbaut, deren Kosten durch von ihm selbst gesammelte Subscriptionen gedeckt werden, ein zweiter Missionar ist bereits eingetroffen und mehrere werden erwartet. 17 Die fast täglichen entfernten Ausflüge, welche die verschiedenen Mitglieder der Expedition unternehmen, machten es vom Anfang des Aufenthaltes in Yeddo nöthig, Pferde-beine als Transportationsmittel in Requisition zu nehmen. Im Anfang benutzte man Miethpferde. Zu solcheu wird in keiner Zone der Vollblntstamm verwandt, in Japan sind die besten Pferde nicht mehr als Ponies, und so versammelte sich denn oft eine traurige Collection von lebensmüden Vierfüßlern im Hofe von Akabani. Da außerdem die Pferde, die man um 6 Uhr des Morgens brauchte, oft erst um 9 Uhr erschienen, fo schafften sich viele Herren im Laufe der Zeit eigene Pferde au, und gegenwärtig stehen nicht weniger als ucuu im Stalle. Dies sind nun allerdings keine auserwählten Schlachtrosse und würden vielleicht am besten als jeuer Nasse augehörig zu bezeichnen sein, auf der in England ältliche Herren (der Gesundheit halber) im ruhigen Trabe sich bewegen und die allgemein unter dem Namen „Cob" bekannt sind. Das größte uud stärkste ist vielleicht 12 Hand hoch, andere nicht so viel, uud das Noß von Leuten, die mehr als 200 Pfd. wiegen, dabei aber genöthigt sind, oft und weit zu reiten, ist wahrlich nicht im Genuß einer „Sinecure". In diesem Lande, wo beinahe für jede Vorrichtung des täglichen Lebens ein besonderer Stand eristirt, für jede Art von Dienstleistuug eine besondere Person angestellt wird, erheischt natürlich der Besitz eines Pferdes auch die Gegenwart eines Pferdeknechtes oder „Bctto". Dieser besorgt das Putzen und Füttern des Thieres, beim Ausreiten länft Heine, Weltreise. II. 2 18 er mit, um beim Absteigen sogleich bei der Hand zu sein und das Thier zu halten. Diese Leute bilden einen besondern Schlag Menschen; durch die Art ihrer Arbeit und besonders das viele und schnelle Laufen sind die Brust und die Muskeln der Beine sehr ausgebildet, und es ist merkwürdig, wie selbst kleine Jungen von acht oder neun Jahren, die manchmal mit den Miethpferden marschiren, einen langen Lauf neben dem Pferde aushalten. Die Kleidung dieser Leute ist gleichfalls charakteristisch. Während der warmen Tage des September und October beschränkte sich dieselbe beim Laufen nur auf das weiße Lendenband, welches jeder Japaner trägt; nur bei Staatsgelegenheiten trugen sie einen kurzen Ueberwurf mit Aermeln aus blauem Saumwollstoff, auf dem Nucken das Wappen oder wenigstens die Anfangsbuchstaben des Namens ihrer Herren. Jetzt, wo das Wetter kälter wird, tragen sie einen gleichen, wattirten Ueberwurf, enganliegende dunkelblaue Hosen, einen gleichfalls blauen Brustlatz, von Kreuzbändern, die über den Rücken laufen, gehalten, und an den Füßen weiße Strümpfe, bis an die Knöchel reichend. Diese sind aus starkem Baum-Wollstoff genäht, die große Zehe von den übrigen getrennt, um das Anlegen der Strohfandalen möglich zu machen, und die Sohle ist entweder mit einem sehr festen Baumwollstoff oder auch manchmal mit Leder benäht. Der Lohn eines „Betto" ist bei uns auf 10 Itzebu oder 5 Thlr. monatlich festgestellt, wofür er sich selbst beköstigt. Das Pferdefutter ward im Anfang in großen Quantitäten gekauft und täglich ausgetheilt; später ergab es sich aber 19 als sachgemäßer, die Fütterung durch die Japaner besorgen zu lassen, wofür der Preis von 5 Itzebu oder 2'/2 Thlr. wöchentlich für Pferd und Betto berechnet ward. Stallung und Verpflegung der Pferde sind hier wesentlich verschieden von der in Europa üblichen Art. Der Stall ist ein leichtes Gebäude aus Holz, im hiesigen Klima, wo nur selten strenge Kälte eintritt, genügenden Schutz bietend. Längs der ganzen Fronte läuft ein etwa 4 Fuß breiter Gang, die Vorderwand hat 4'/4 Fuß über der Erde eine Oeffnung, i'/^Fuß hoch und sich über die ganze Länge des Gebäudes erstreckend, blos mit einem Lattengitter verschlossen, das genügendes Licht und Luft einläßt. Ueber dieser und unter der Decke läuft ein Gerüst, 1^ Fuß breit, die Sättel darauf zu legen. Die Stände für die Pferde sind 6V2 Fuß lang, 5'/2 Fuß breit, mit Bohlen der Länge nach gedielt; scharren die Pferde, so leidet das Holz weniger, als wenn quer gelegt, wo es leicht in Splitter gerissen wird. Diese Dielung senkt sich ganz leicht gegen die Mitte, wo drei Fugen, I V2 Fuß lang und 1 Zoll breit, den Urin des Pferdes in ein darunter befindliches Gefäß und aus diefcm durch eine verdeckte Ninne ins Freie lassen. Infolge davon und durch bie reichliche Ventilation sind die Ställe frei von dem unangenehmen Ammoniakgeruch. Hinter den Pferdeständen befindet sich noch ein Gang, I V2 Fuß breit. Aller Unrath des Pferdes wird von dem Betto mehrmals des Tages hierhin gekehrt, des Morgens und Abends aber ins Freie geschafft. Der untere Theil der Hinterwand hat seiner ganzen Länge nach gleichfalls eine IV4 Fuß hohe Oeffnung, 2* 20 durch die der Stall ventilirt wird. Die Scheidewände zwischen den Ständen sind 3V2 Fuß hoch. Die Pferde stehen mit den Köpfen nach vorn, die Fütterung geschieht ans einem Eimer, an Stricken zwischen den die Stände theilenden Balken hängend. Einige Herren tadeln diese Art zu stallen, als den Augen der Pferde nachtheilig, in die das Licht durch die Ocffnung in der Vorderwand aus geringer Entfernung fällt. Ob es besser ist, ein Pferd den ganzen Tag auf eine dunkle Krippe blicken zu lassen und dann plötzlich ins Freie zu nehmen, wo die volle Sonne seine Augen trifft, oder es fortwährend an ein gemäßigtes Licht zu gewöhnen, wird jeder denkende Landwirth, besser aber noch ein Augenarzt entscheiden können; jedenfalls wird hier der Vortheil erzielt, daß beim Füttern und Reinigen des Pferdes der Stallknecht sich ihm von vorn nähert, ziemlich wesentlich bei beißenden, schlagenden Pferden, wie die meisten hierzulande sind. Die Fütterung besteht ans Heu, etwas gekochten Bohnen oder Kleien, die mau über das Heu streut. Getränkt werden die Pferde nicht separirt, sondern über jeden Eimer Kleie wird etwa der vierte Theil des Ouautums (etwa 3 Qnart) Wasser gegossen, und dies oft lauwarm. Statt des StrieaMs waschen die Japaner die Pferde des Morgens, und sind sie warm geritten, bei der Rückkehr in den Stall niit warmem Wasser. Auch hiergegen sind mancherlei Einwendungen gemacht worden, da die so erzeugte Nässe das Pferd steif machen soll. Ich glaube nicht, daß Wasser mehr naß ist als Schweiß, letzterer wird durch ersteres 21 entfernt; das Waschen und Abreiben mit Stroh regt aber die Haut auf angenehme Weise an, wie manche Fußreisende deshalb bei der Ankunft im Nachtquartier die Füße waschen. Alle Reitpferde, die ich in Modo gesehen, waren Hengste, ebenso wurden in den in dieser Stadt gebräuchlichen Karren nur Büffelstiere gebraucht; Stuten habe ich nie gesehen, Kühe einige bei fremden Residenten, die sie der Milch wegen hielten. Ich befolge bei meinen Beschrcibungeu den Gruud-fatz, nur das zu verbürgen, was ich selbst gesehen; in diesem Falle glaube ich jedoch" von meinem Princip etwas abweichen zu dürfen, indem ich annehme, daß nicht alle Pferde in Japan Hengste find. Die Damnos sollen Stuteu besitzen, die nur zur Zucht verwendet werden. XIV. Der Anfang des Endes. Ein beutscher Weihnachtsabend. Kriegsgeschrei. Letzter Ausflug. Der Tempel von Dai-sin. Eine angenehme Ueberraschung, und ein unangenehmer Wetterwechsel. Schnee und Schneemänner. Eine frohe Versammlung. 30. Dec. Der Winter ist nun mit allem Ernst eingetreten; im Laufe der letzten Wochen haben wir des Morgens mehrmals Eis in den kleinen Pfützen der Straßen gefunden, seit dem 24. aber ist dasselbe nicht mehr gänzlich weggethaut, und am 26. stattete uns ein dichter, 12 Stunden anhaltender Schneesturm einen Besuch ab. Alles dieses war eine passende Vorbereitung und Begleitung zum lieben Weihnachtsfeste, das hier im fernen Osten mit aller Festlichkeit gefeiert wirb, die dasselbe in Deutschland so anziehend macht. Für den Abend des 24. hatte der Gesandte eine Anzahl Gäste eingeladen, darunter Hrn. Alcock, den englischen Gesandten, mit drei oder vier Herren seines diplomatischen 23 Haushaltes; Hr. Harris, der amerikanische Gesandte, war in Kanagawa, doch sein Secretär, Hr. Heusken, der treue Freund aller Fremden in Yebdo, fehlte nicht, ebenso Hr. de Witt, holländischer Generalconsul, der, vor kurzem in der holländischen Kriegsbrigg „Cachelot" angelangt, jetzt einer der Residenten geworden ist. Hr. Polsbroek, holländischer Consul, und Kapitän Iachmann waren am selben Tage von Kanagawa gekommen. General Sir Hope Grant, der Oberbefehlshaber der englischen Armee von China, war kürzlich mit dem Dampfer „Granada" von Schanghai eingetroffen und befand sich jetzt in Gefellschaft von Lady Grant nebst einigen Offizieren seines Stabes auf kurze Zeit zum Besuch hier; alle waren gleichfalls vom Gesandten eingeladen, und so war denn das Fest durch die Gegenwart einer Dame (den ersten Damenbesuch, der in Akabaui gesehen worden) geziert. Die drei größten Gemächer, die längs denselben laufenden Seitengalerien und das Vorgemach, durch welches man zu denselben gelangte, waren von Hrn. B., unter Mitwirkung verschiedener anderer Herren, geschmackvoll mit Tannenzweigen und immergrünem Laubwerk decorirt, die das Holzwerk der Gesimse und Säulen umgaben, welche Capitale aus Blättern der Fächerpalme trugen. Die Decke war durch eine Menge geschmackvoll angebrachter Bambuszweige in ein Blätterdach verkleidet, aus dessen Grün eine Menge bunter Papierlaternen herabhingen, andere dergleichen waren den Seitengängen angebracht, in dem mittlern Zimmer stand der herkömmliche Christbaum mit Orangen, Zucker. 24 werk und allerlei Zierathen geschmückt und von einer Masse Lichter erhellt. In einer kleinen Vertiefung im vordern Zimmer waren zwei schöne Reitergruftpen von Bläser auf bronzenen Piedestalen von 5 Fuß Höhe aufgestellt. Diese sind zum Geschenk für den Taikun bestimmt, trugen aber an jenem Abend nicht wenig dazu bei, die Ausschmückung des Zimmers zu verschönern. Die verschiedenen in Jeddo anwesenden Mitglieder der Expedition hatten ein jedes eine kleine Anzahl von Geschenken zu einer Lotterie verewigt, und die Verlosung gewährte eine erheiternde Abcndunterhaltnng. In frohester Stimmung blieb die Gesellschaft bis zu später Stunde beisammen, denn dieses froheste aller Feste, an welchem jeder, der von seiner Heimat und seinen Lieben getrennt, mit erneuter Sehnsucht darauf hofft, mit denselben wieder vereinigt zu werden, brachte auch allen jetzt hier Versammelten die frohe Hoffnung eines baldigen glücklichen Ausgangs von wenigstens einem Theil der Sendung. Am Morgen des Christabends hatte der Gesandte eine entscheidende Zusammenkunft mit dem japanischen Staatssecretär, und die Unterzeichnung des Vertrages ward in baldige Aussicht gestellt. So brachte das Christkindlein allen die beste, liebste Weihnachtsgabe. Möge sie für ganz Deutschland von guten Folgen fein, und jeder wird froh auf das Weihnachtsfest in Ueddo zurückblicken. 25 31. Dec. Seit einigen Tagen liegen auf der Rhede von Jeddo mehr Kriegsschiffe als je zuvor; Engländer, Franzosen und Holländer haben jetzt Kanonen in diesen Gewässern schwimmen. Die englische Fregatte „Impericnse" (Flaggschiff), die Corvette „Scout", das Damftfkanonenboot „Pioneer" nebst einem Transportschiff, die französische Fregatte „Renommee" und das Dampfkanonenboot „Mongc" nebst der holländischen Brigg „Cachelot" ankern in Einer Linie, von der „Arkona" und „Thetis" den äußersten Flügel bilden. Ein derartiger Besuch würde vielleicht noch von größerm Nutzen sein, wenn eine größere Machtentfaltnng stattfände, doch auch so verleiht die Gegenwart der Flotte den Mittheilungen der betreffenden Ministerresidenten einigen Nachdruck. Hoffentlich wird es nie gewichtigerer Maßregeln bedürfen, um die Stellung der Fremden in Japan sicherzustellen. 2. Jan. 1861. Der erste Tag dieses Jahres brachte den fremden Residenten Jeddos eine Ueberraschung eigenthümlicher Art. Die verschiedenen jetzt hier befindlichen Herren waren am Abend im Gesellschaftszimmer des Gesandten versammelt, als gegen 10 Uhr sich plötzlich die Gouverneure von Yeddo anmelden ließen. Ein Besuch zu so ungewöhnlicher Stunde war durch keine geringere Veranlassung hervorgerufen wor- 26 den als durch eine Verschwörung von gegen 500 Personen, alle Fremden zu ermorden, wie die Gouverneure mit sehr bedenklicher Miene ankündigten. Die Verschworenen waren sogenannte „Lonis" oder „Lo-nins", d. h. Beamte von Daimios oder Fürsten und Edelleuten. Durch Todesfälle, Amtsentsetzung vornehmer Personen und andere Vorfälle wird manchmal eine große Anzahl von Unterbeamten plötzlich entlassen; diese finden dann ihren Unterhalt, um die Worte der Gouverneure zu gebrauchen: „indem sie entweder kaiserliche Soldaten werden, oder als Lehrer in Kriegsschulen eintreten (besonders bei der Artillerie), oder durch allerlei Schlechtigkeiten, auch als Räuber." Von dieser Klasse von Leuten waren vor etwas mehr als einem Jahre in Aoknhama die verschiedenen Morde an Fremden verübt worden, und dieser sollten jetzt die 500 Verschworenen angehören. Nicht nur die Gouverneure, sondern auch die übrigen japanischen Beamten des Haushaltes in Aka-bani schienen in nicht geringem Grad besorgt, und die Regierung ließ dem Gesandten vorschlagen, entweder seine Residenz im Schlosse des Taikun aufzuschlagen oder an Bord der Sch'iffe zu gehen, wohin ihm die Bevollmächtigten des Kaisers folgen würden, um die Verhandlungen zu Ende zu führen. Daß irgendeine wichtige Ursache diesen ungewöhnlichen Eröffnungen zu Grunde liegen mußte, war ohne Zweifel; leicht aber konnte man die Gefahr größer darstellen, als sie wirklich ist, sei es, um die verschiedenen Gesandten zu bewegen, einen einzigen gemeinsamen Wohnplatz zu wählen, 27 wie man schon vorher ohne Erfolg versucht hatte, sei es aus andern Gründen. Jedenfalls ist die größte Gefahr einer Verschwörung vorüber, wenn dieselbe entdeckt ist, und deshalb war die Antwort des Gesandten die unter obwaltenden Umständen einzig richtige: er hege das vollkommenste Vertrauen in die Macht der Regierung, allen ungesetzlichen Handlungen zu begegnen, er hoffe, die Verhandlungen werden sehr bald zu einem zufriedenstellenden Ende geführt fein; im schlimmsten Fall könne er sich aber auch selbst schützen. Diese einfache, männliche Antwort hat wahrscheinlich mehr gethan, einen günstigen Standpunkt in der Meinung der Japaner zu gewinnen, als alle möglichen diplomatischen Künste. Ich hege die feste Ueberzeugung, daß der Vertrag in wenigen Tagen abgeschlossen sein wird, der deutschen Nation aber in Japan jene würdige Stellung errungen ist, die ihr in der großen Völkerfamilie gebührt. Die nöthigen Vorsichtsmaßregeln sind jedoch nicht versäumt worden. Ein Boot der „Arkoua" ward sogleich ans Land geschickt, das Personal in Akabani durch 10 Mann verstärkt, die Mannschaften sind mit den nöthigen Waffen und Patronen versehen, was mit den verschiedenen Waffen und Annnunitionen im Privatbesitz eine erfolgreiche Vertheidigung möglich macht. Signalraketen sind am Laude, und in kurzer Zeit können einige hundert Mann herbeigerufen werden. Die Fregatte „Thetis" fegelt morgen nach Jokuhama, um im schlimmste» Fall den dort sich aufhaltenden Fremden im Verein mit der englischen Flotte Schutz 28 angedeihen zu lassen, und ein Theil dieser letztern wird morgen wieder vor Ueddo erscheinen. Die Maßregeln der Japaner sind gleichfalls zweckmäßig und umfassend. Jeder der verschiedenen Gesandtschaften ist eine Wache kaiserlicher Soldaten, außer den bereits dort befindlichen Beamten, zugetheilt; außerdem aber sind einzelne Fürsten besonders mit dem Schutze der Fremden beauftragt. Akabani hat jetzt eine Besatzung von 100 Mann. Der Name des Fürsten, der dieselbe befehligt, ist Too-Zawu, Kaza-zano, Süki, fein Feldzeichen, mit dem jetzt die Wache decorirt ist, so: Außerdem darf kein Hausbesitzer in Jeddo jemand beherbergen, der nicht zu feinem Haushalt gehört; alle nicht in die Stadt gehörigen Personen werden ausgewiesen; wer sich des Nachts auf den Straßen nmhertreibt, wird angehalten und eiugezogm: ich glaube, daß kein Grund zu weiterer Besorgniß vorhanden ist, und sende diese flüchtige Notiz, um die wahre Sachlage bekannt zu machen und un-nöthigen Besorgnissen vorzubeugen, welche durch übereilte oder übertriebene Mittheilungen erregt werden könnten. 18. Jan. Das große Kriegsgeschrei, welches sich am Neujahrstage plötzlich erhob, beginnt allmählich sich wieder zu legen; die 29 Zahl der Verschworenen stellt sich geringer heraus, als man vorher dachte; die Haupträdelsführer sind eingezogen, und ob schon man die getroffenen Vorsichtsmaßregeln fortsetzt und hoffentlich bis zum Tage unserer Abreise nicht einstellen wird, so scheint dennoch die Gefahr, wenn dergleichen den Fremden wirklich drohte, jetzt geringer. Ebenso wird aber auch bald unser Aufenthalt in Yevdo vorüber sein; schon seit mehreren Tagen ist jedermänniglich beschäftigt, zu Packen, uud Kisten nach Kisten mit allerhand Curiositäten werdeu an Bord der Schiffe geschickt. Nachdem meine Siebensachen, mit Ausnahme der zum täglichen Gebrauch uöthigen Gegeustäude, gleichfalls in verschiedenen Koffern untergebracht waren, wünschte ich noch einen Ort zu besuchen, um Aufnahmen machen zu lasseu, den zu sehen mir bisjetzt noch nicht möglich gewesen. Der Tempel von Kubo-Dai-siu, der Sonnengöttin gewidmet, liegt auf jener kleinen Halbinsel, welche die obere Bai von Ueddo von der untern oder dem Golf von Kanagawa trennt; da aber die Autorität der Gouverueure uur bis an das östliche Ufer des Kawafacky-Flusses sich erstreckt, an dessen westlichem Ufer der Tempel sich befindet, so erhoben die Beamten Schwierigkeiten gegen diese Excursion, da die Jackunins oder bewaffneten Beamten, die stcts mitgegeben werden, zu diesem Ausflüge vom Gouverneur von Kanagawa gestellt werden müssen, dessen Territorium sich bis dahin erstreckt. Endlich verfiel man auf folgenden Ausweg: „Die Gouverneure von Modo haben das Recht, jederzeit eine Escorte nach Kanagawa zu geben; es liegt keine Be- 30 stimmung vor, wie lange die Reise dauern soll; ebenso ist nicht gesagt, wie lange Zeit man von Kanagawa nach Jeddo unterwegs bleiben könne; deshalb könne ich sehr früh am Morgen Jeddo verlassen, den Tag über im Tempel von Dai-sin arbeiten, die Nacht in Kanagawa schlafen, den nächsten Tag in Dai-sin wiederum arbeiten und am Abend nach Ueddo zurückkehren." Dem Circumlocutions genie dieser Schriftgelehrten meine vollste Bewunderung zollend, bereitete ich mich sofort, von der Herren Weisheit den gehörigen Nutzen zu ziehen, uud am 11. bei Tagesanbruch ward in Gesellschaft der Herren Photographen ausgerückt. Das Thermometer stand nur wenige Grad unter dem Gefrierpunkt, allein in diesem milden Klima genügte auch dies, um ein Gefühl beißender Kälte zu verursachen, und mit blauen Nasen trottete die Gesellschaft auf der hartgefrorenen Landstraße dahin, daß der Hufschlag hell und lustig durch die Morgenluft klang. Die Pferde schienen gleichfalls durch die frische Atmosphäre zu verdoppeltem Eifer insftirirt zu sein, und nach einer Stunde hielten wir vor dem wohlbekannten Oasthause des 9 Miles entfernten Dorfes Omori. Die freundliche fette Wirthin mit den schiefstehenden Augen und schwarzen Zähnen ließ sogleich durch das weibliche Corps ihrer Adjutantinnen eine Anzahl von Kohlenbecken herbeibringen, an deren erwärmender Glut wir unsere erstarrten Gliedmaßen aufzuthauen suchten, wobei die jungen und alten Wirthshauöschönheiten uns die verklammten Finger zwischen den Händen rieben. Wäh- 31 rend die Frau Wirthin vor mir kniend die Kohlen an-fächelte, ließ ich im Versehen ein Stückchen Eis, das ich mit ins Zimmer gebracht, fallen; es sank auf die Schultern der würdigen Dame und verschwand bald in den weiten Falten ihrer Gewänder. Ein kleiner Schrei erfolgte, und der Ausruf Wari! Wari! (schlimm, schlimm), dann ein verschmitztes Lächeln, wobei beide Reihen schwarzer Zähne in ihrer ganzen Pracht sichtbar wurden und die schiefen Augen zu zwei kaum sichtbaren Linien zusammenschrumpften. Ein schelmisches Drohen mit dem Finger sollte augenscheinlich bedeuten: Warte, ich werde dir das vergelten! und in der That erfolgte die Strafe für meine Unachtsamkeit schon am nächsten Tage, wo wir am Nachmittag auf dem Rückweg nach Jeddo wieder hier einkehrten. Während ich wiederum meine Hände über den Kohlen wärmte, hatte die Alte meine linke Hand ergrissen, wie um diefelbe zu reiben, und ehe ich es mir versah, steckte sie mir einen silbernen Ring an den fünften Finger. Welch ein Unglück! sie hatte den Fall des Eisstückchens für einen Ausdruck zärtlicher Gefühle gehalten. Glücklicherweise war dies mein letzter -Besuch in Omori, deshalb ertrug ich diese Aufmerksamkeit mit der nöthigen Fassung, die sonst vielleicht etwas gestört worden wäre dnrch die Erinnerung an „Onkel Toby", dem die schlaue Witwe das Stanbkörnchen ans dem Augenwinkel rieb. Der geistreiche Verfasser „Tristram Shandy's" ruft bei dieser Gelegenheit aus: „O Witweu, Witwen! wer kann euch trauen?" und meint damit vorzüglich irische Witwen. Wäre er jemals nach Omori gekommen, so würde 32 er gefunden haben, daß die japanischen Witwen ihren trans-oceanischen Schwestern in Arglist nicht um ein Haar nachstehen. Am Morgen des 11. Jan. hatte jedoch keiner unserer Gesellschaft weitere Ursache zn Beschwerden. Im Gegentheil, der gesalzene Lachs, die Fische mit brauner Sauce, und Soya, in die geriebener Rettig gemischt, das wohlzubereitete Seegras, sowie die jungen Keimchen von Ingwer, Sellerie und Bambussprossen bekamen unsern leeren Magen vortrefflich, im Verein mit einem Schluck „Schwenby" (Berlin, Chausseestraße Nr. 94); denn als vorsichtiger Mann führe ich bei derartigen Gelegenheiten immer ein solches „Gläschen Melnecker für den Magen" in den Satteltaschen, und kann als Sachverständiger versichern, daß obbenanntcr Artikel, von obiger Firma bezogen, auch zu andern Nahrungsmitteln als ein passendes Accompagnement erscheint. Das Frühstück ward geendet, die Luft war durch die lauen Strahlen der Morgensonne etwas milber geworden, und bald befand sich unsere Gesellschaft wieder unterwegs. Der Tempel von Dai-sin wird erreicht, wenn man, bald nachdem die Fähre bei Kawasacky passirt, die Heerstraße nach Kanagawa, die sich hier etwas nördlich wendet, verläßt und einen Pfad in südlicher Richtung einschlägt. Nachdem man diesem 2 Miles durch Reisfelder, Obstgärten und zwischen einzelnen Häuscrgruftpen gefolgt, sieht man den Tempel zwischen Baumgipfeln, umgeben von einer Menge Theehäuser, emporragen. Letztere geben Zeugniß, daß der Ort oft und von vielen Personen besucht wird, welche die 33 frommen Zwecke einer Pilgerfahrt mit den weltlichen Vergnügungen einer Pickenickexcursiou zu vereinigen wissen. Der Tempel selbst gleicht in seiner Bauart dem von Asaxa, ist von geringern Dimensionen, allein schönern und sorgfältiger ausgeführten Details, die alle sehr gut erhalten sind. Das Glockenhaus auf der linken Seite des Hofes kann als Meisterwerk von Holzarchitektur dem Brunnenhäuschen des Tempels von Ikegami au die Seite gestellt werden. Der Haupttempel trägt an dem Portal, den Giebeln, der Firste des Daches und im Innern eine Menge goldener Sonnen als Embleme der Sonnengöttin, und unter dem Hauptportal hängt eine Papierlaterne von den riesigsten Dimensionen, auf der dasselbe gleichfalls zu sehen ist. Die Wohnungen der Priester stehen zur Rechten, und ihre Architektur, ob-schon einfach wie alle Wohnungen der Japaner, trägt den Stempel einer höchst sorgsamen Ausführung. Verschiedene Priester, darunter ein dicker unfreundlicher, augenscheinlich der Vornehmste von ihnen, sahen den Herren Photographen sehr aufmerksam bei ihrer Arbeit zu, und die Porträts von einigen derselben wurden aufgenommen. Eine Ueberraschung der unerwartetsten und erfreulichsten Natur begegnete mir an jenem Tage. Das Instrument War eben aufgestellt, um eine Hauptansicht zu nehmen; ich hielt wie gewöhnlich Wache, damit niemand vor das Ob-iectiv laufe oder die Herren Photographen sonst belästige, als plötzlich vier oder fünf vornehme Japaner quer über be» Hof gingen und der Aufnahme durch ihre Bewegung Heine, Weltreise. II. 3 34 hinderlich wurden. Auf den vordersten derselben zugehend und seine Hand ergreifend, ersuchte ich ihn, einen Augenblick zu warten, als er Plötzlich, sich umdrehend, meinen Namen ausrief, den ich ebenso schnell mit „Gohara Isa-buro" beantwortete. Er war es in der That, den ich schon vor acht Jahren gekannt und der mir bei seinem Abschied die Pfeife mit dem Theekasten und dem hübschen Gedicht gegeben hatte. Er war jetzt Director des Zollamts in Aokuhama und eben dabei, diesen Tempel zu besuchen, freute er sich anscheinend ebenso sehr wie ich über das unerwartete Zusammentreffen. Ich verfprach, sollten die Schiffe nach Abfchluß des Vertrages noch einige Tage in Hokuhama liegen, ihn zu besuchen; ob nun dieses geschehen wird, weiß ich selbst noch nicht, nud so schieden wir nach kurzem Zusammentreffen, um uns vielleicht nicht wieder zu sehen. Für die Nacht hatte uns Mr. E. W. Dorr, Consul der Vereinigten Staaten in Kanagawa, ein Obdach angeboten uud um 4 Uhr ?. N. begaben wir uns erst auf den Weg dahin. Hat man geraume Zeit in einem Papierhause gewohnt, durch dessen Wände die Luft au verschiedenen Orten freie Circulation hat, und sich dabei die Hände an einem Kohlenbecken nothdürftig gewärmt, so ist es ein kleiner Genuß, sich in einem von foliderm Material erbauten Haufe auf einen weichen Lehnstuhl niederzulassen und die Knie vor einem guten Kamin, in dem ein helles Steinkohlenfeuer brennt, zu wärmen. Derartige Momente lassen sich 35 besser fühlen als beschreiben, und der gute alte Herr ließ es an nichts mangeln, um seinen Gästen den Aufenthalt im Hause angenehm zu machen, trotzdem er selbst übel von der Gicht geplagt ward und seit geraumer Zeit Bett und Zimmer hüten mußte. Ich schlief diese Nacht in einem guten, weichen Bette ein, unter Visionen von allerhand schönen Ansichten, die am nächsten Morgen gemacht werden sollten; denn der Tempel, in welchem sich das Consulat befindet, ist malerisch auf der Spitze eines Hügels gelegen, von welchem man eine umfassende Aussicht über die Bai von Kanagawa hat. Welch eine Enttäuschung erwartete uns am nächsten Morgen! Als ich d.ie Thür öffnete, war eine dichte Schneemasse, von einem Nordweststurm mir ins Gesicht getrieben, der Morgengruß; Erde und Bäume trugen ein weißes Winterkleid, und die schweren grauen Wolken, welche in wilder Hast dahinjagten, verhießen mchr von derselben Sorte. Ich wartete einige Stunden, allein alles verhieß einen hartnäckigen Schneesturm; ans Arbeiten war unter diesen Umständen gar nicht zu denken, und gegen Mittag trat unsere ganze Gesellschaft den Rückweg nach Jeddo an. Ueber den photographischen Excursionen nach Joknhama scheint ein eigener Unstern zu walteu. Am 19. Nov., wo die Einweihung der russischen Kapelle stattfand, war den ersten Tag herrliches mildes Herbstwetter, kein Wölkchen am Himmel; am nächsten Tage sollte ein Panorama von Jokuhama genommen werden; in der Nacht begannen 3" 36 heftige Regengüsse und hielten während fünf Tagen an. Am Wcihnachtstage fuhr ich in Begleitung eines Photographen in dem kleinen Dampfer „Vesta" mit der Pinasse der „Thetis" im Schlepptau nach Jokuhama, besagtes Panorama aufnehmen zu lassen; bei der Fahrt ein wahres Festtagswetter, alles voll Fröhlichkeit und Hoffnung auf einen andern schönen Tag, in der Nacht ein furchtbarer Schneesturm, der die fünf Tage meines Aufenthalts in Jokuhama und noch drei andere nach meiner Rückkehr nach Jeddo währte, nnd jetzt ganz derselbe Spuk. Es blieb jedoch nichts übrig, als sich in sein Schicksal zu ergeben und nach Jeddo zu reiten, so gut es eben der schlüpfrige Boden, auf dem die Pferde fortwährend strauchelten, zuließ. Die fette Wirthin von Omori mit ihrem Kohlenbecken und Erfrischungen war vielleicht nie in so angenehmem Licht erschienen, wie an jenem Tage nnserer durchfrorenen, hungerigen, ermüdeten Gesellschaft; ihr Lachs und sonstige Leckerbissen haben nie so gut geschmeckt, und in dankbarer Anerkennung dieser Labsale will ich ihren Silberring aufbewahren, bis er verloren geht. Den 15. Jan. Der vergangene Sonntag bildete eine seltene und nicht unangenehme Episode unsers Aufenthalts in Jeddo. Der Schneesturm hatte noch die ganze Nacht gewährt; am nächsten Morgen jedoch erleuchtete eine helle Sonne die reine 37 Schneedecke, über der sich ein klarer blauer Himmel wölbte; die Luft war mild, und kein Lüftchen regte sich. Ein heller, klarer Wintertag trägt in sich etwas Erregendes, Begeisterndes und verfehlt nie, auf mich diese Wirkung hervorzubringen. Am Abend vorher war im Salon des Gesandten eine Discussion über die beiden Reitergruppen von Bläser gewesen, die als Geschenk für den Taikun am Weihnachtsabend aufgestellt waren. (Wenn ich nicht irre, so sind die Originale in Berlin im Palais des Prinzen Karl aufgestellt.) Hr. A. fand an der einen Gruppe auszusetzen, daß der Gegenstand kein vollkommen gerundeter sei, der in die Luft geführte Hieb deute auf einen Feind in jener Richtung an, der jedoch nicht sichtbar sei. „Plastik muß den gegebenen Gegenstand in vollkommen gerundeter Weise behandeln." Dieser Satz hatte mir in der Nacht viel Nachdenken verursacht. Ich bemühte mich jetzt, diesen Grundsatz in Anwendung zu bringen, indem ich die Büste des Legationssecretärs in Schnee auszuführen versuchte. Wie weit ich dem Ideal der Plastik nahe gekommen, wage ich nicht zu entscheiden. Es scheint jedoch, daß mein Beispiel nachahmungswürdig gefunden wurde; denu bald war im vordern Hof von Aka-bani ein anderer großer Schneemann entstanden, der die Gestalt eines Japaners mit zwei Schwertern, Fächer, Haar-zöpfchen uud sonstigem Zubehör trug. Die Herren Photographen stellten Haus, Schneemann uud alles getreulich dar; schließlich aber entspann sich ein Gefecht mit Schnee- 38 ballen, bei welchem die Japaner zuerst Zuschauer, zuletzt aber Participanten wnrben. Nun kam zunächst die Idee, wie man eine Schlittenfahrt anstellen könnte. Auf die Kufen eines Feuerfasses ward ein Bret gelegt, darauf ein Stuhl gestellt, eine Kiste bilVete den Kutschersitz, ein Pferd, das ein Seecadet ritt, mit Strohseilen darangespaunt, Kutscher und Bediente hinten und vorn auf, und fort ging die Reise. Leider fand dieselbe ein schnelles Ende: die morschen Strohseile rissen. Allein auch diese Gruppe ward photographirt. Gestern, am 14., war in Akabani wieder ein fröhlicher Kreis versammelt, um die Geschenke für den Taikun, welche hente übergeben werden sollten, zu besichtigen. In der Nische am östlichen Ende des Saales war das lebensgroße Bild des Prinzregenten aufgestellt, die beiden Reitergruppen von Bläser standen in der Mitte der beiden Zimmer. Die übrigen Geschenke, unter denen besonders viele schöngebundcue Prachtausgaben kostbarer Werke (Leftsius' Aegypten war dabei), hatte man an den Wänden und längs der Galerie aufgestellt. Verschiedene Offiziere, darunter Kapitän Iachmann, waren von den Schiffen gekommen. Mr. Alcock war mit sämmtlichen Herren von seiner Gesandtschaft zugegen, und diesmal fehlte auch Hr. Harris nicht; daß Hr. Heusken zugegen war, versteht sich von selbst. Die beiden letztgenannten Herren sind die ältesten fremden Residenten in Icddo; Hr. Harris, damals als General-consul der Vereinigten Staaten, uud Hr. Heusken, sein 39 Secretär und Dolmetscher, langten am 20. Aug. 1856 in der amerikanischen Dampffregatte „St.-Iacinto" in Simoda an, dort, kraft Commodore Perry's Vertrags, ihren Aufenthalt zu nehmen. Am 30. Nov. 1857 kamen beide Herren nach Feddo, wo Hr. Harris einen Handelsvertrag mit der kaiserlichen Regierung negociirte, der am 20. April 1858 unterzeichnet ward. Wenn Commodore Perry's Vertrag den Forderungen des Völkerrechts Genüge leistete, so machte Hr. Harris diesen erst praktisch nützlich. Mehr und bessere Häfen wurden fremden Schiffen zugänglich gemacht, fremden Kaufleuten wurden permanente Wohnplätze angewiesen, Consuln und Viceconsuln übten Jurisdiction über ihre eigenen Landsleute, und Hr. Harris, jetzt zum Minister-residenten ernannt, mit Hrn. Heuskcn als seinem Legations-secretär, nahm am 2. Juli 1859 seinen dauernden Wohnsitz in Jeddo. War Hr. Harris der Kopf gewesen, der diese sämmtlichen erstaunlichen Aenderungen hervorbrachte, so war Hr. Heusken ganz gewiß seine rechte Hand bei Ausführung derselben. Als Dolmetscher war er bei jeder Verhandlung gegenwärtig, als Legationssecretär gingen alle Schriftstücke durch seine Hände. Allem nicht nur ihren Landsleuten neue Vortheile zu erringen, waren beide verdienstvolle Männer bemüht, sondern sie suchten auch europäischen Gesaubtschaften bei ihren Verhandlungen behülfiich zu sein, oder pflegten die von Kriegsschiffen zurückgelassenen Kranken. Im August 1858 ließ der russische Admiral Putiatine eine Anzahl russischer 40 Seeleute, mit dem Skorbut behaftet, in Simoda zurück, indem er die Japaner anwies, sie mit Knoblauchsuftfte zu füttern. Letzterer vortrefflicher antifkorbutischer Arznei fügte Hr. Harris aus seinen eigenen Vorräthen allerhand stärkende Nahrungsmittel bei, wie z. B. 300 Hühner, die er aus eigenen Mitteln bezahlte. Es ist mir nicht bekannt, daß ihm dafür irgendwelche Anerkennung zu Theil geworden. Am 13. Aug. desselben Jahres erschien Lord Elgin mit einem Geschwader von vier Schiffen in Simoda. Hr. Harris sandte sogleich Hrn. Heusken an Bord, der Lord Elgin nach Jeddo begleitete und bei allen Verhandlungen als Dolmetscher diente. Als Dank für seine Bemühung erhielt er von der Königin eine goldene Dose (Nr. 3, Namenszug, blaue Email mit Diamanten) und einen sehr vorsichtigen Brief Lord Elgin's. Bei Ankunft der gegenwärtigen Expedition war er am Morgen des 5. Sept. 1860 der erste fremde Resident von Aeddo, der an Bord kam, und während der Verhandlungen fungirte er als Dolmetscher. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß seine aufopfernde Thätigkeit die ehrendste Anerkennung finden wird. Der Tag ward in der fröhlichsten Stimmung verbracht. Während eines mehr als viermonatlichen Aufenthaltes hatte ein häufiger freundschaftlicher Verkehr mit den Mitgliedern der verschiedenen Gesandtschaften stattgefunden, und nicht ohne Bedauern dachten viele von uns an die baldige Trennung von fo liebenswürdigen Leuten. Auf der andern Seite 41 beseelte alle die frohe Hoffnung, daß ein wichtiger Theil von der Aufgabe, die alle hierhergeführt, gelöst fei, daß ein Vertrag abgeschlossen, welcher der deutschen Nation in Japan gleiche Rechte mit den Bürgern anderer Länder sichert, daß die Unterzeichnung desselben in den nächsten Tagen stattfinden soll und wir bann unsers Weges weiter ziehen, an dessen Ende die Heimat und das Wiedersehen werther theuerer Freunde liegt. XV. Ein Opfer. Ein Alarm. Mordanfall. Der Verwundete. Tob! Eine Leichen« wacht. Ein Bekehrter. Hoffnung. Die Obduction. Im Sarge. Das Vegräbniß. Akabani, Jedbo, 24. Jan. Heute roth; morgen todt. Gestern Lust und Freude; heute Betrübniß und Trauer. Am 15. erschienen, wie verabredet, die Gouverneure, die Empfangnahme der Geschenke fand statt, einige Supplementbestimmungen des Vertrages wurden regulirt, und Hr. HeuSken blieb, wie gewöhnlich, bei Tische. Gegen halb 9 Uhr, am Abend, verließ er Akabani, wie gewöhnlich, zu Pferde, begleitet von drei Mackunins, die Laternen trugen, ebenso wie die Bettos oder Stallknechte, von denen neben oder vor jedem Pferde einer lief. Um halb 10 Uhr wurden die Bewohner von Akabani plötzlich in große Bestürzung versetzt durch die Nachricht, Heusken fei angefallen und ver- 43 wundet worden. In meinem Zimmer beschäftigt, hatte ich nicht bemerkt, baß, seit Hr. Heusken nns verlassen, geraume Zeit verstrichen war; ich glaubte deshalb, daß er irgendwo auf der Straße läge, sattelte schnell mein Pferd und ritt, mit Säbel und Revolvern bewaffnet, schnell den Weg entlang, den er gewöhnlich zn nehmen pflegte. Eine kurze Entfernung von Akabani überholte ich mehrere der andern Herren, welche zu Fuß vorangeeilt waren. Es war eine dunkle Nacht, und meine Begleiter mit Laternen hatte ich weit hinter mir gelassen. Ich erreichte die amerikanische Gesandtschaft, ohne Hrn. Heusken gefunden zu haben, nur fiel mir auf, daß an zwei Orten mein Pferd scheute; die Ursache davon ward mir am nächsten Morgen verständlich. Welch einen traurigen Anblick bot das Zimmer des Hrn. Heusken! Auf dem Boden ausgestreckt lag unser Freund, gebadet in Blut, mit einer klaffenden Wunde am Unterleib. Hr. Wilson, der Photograph, welcher jetzt bei Hrn. Harris wohnte, kniete neben ihm und hielt seinen Kopf empor; einige japanische Aerzte suchten das Blut der Wunde zu stillen und dieselbe zu schließen. Der Mann, welcher hier am nöthigsten war, der Arzt der Gesandtschaft (Dr. Lucius), war noch nicht angelangt; deshalb, ohne weitere Zeit zu verlieren, stieg ich wieder zu Pferde und ritt auf dem zweiteu Wege, den die Gesellschaft von Akabani gekommen sein konnte, zurück, traf dieselbe in kurzer Entfernuug und bot dem Doctor das Pferd au, der es jedoch vorzog, die kurze Strecke zu Fuß zurückzulegen. Bald war er emsig beschäftigt, solche Hülfe zu leisteu, wie die Umstände es ge- 44 statteten, wobei ihm Hr. Wilson nnd Dr. Mayberg behülflich waren, sowie mehrere andere Herren von Akabani. Hrn. Harris, den ich nun aufsuchte, fand ich beschäftigt, solche Anordnungen zu treffen, wie die Umstände sie erforderten; von ihm erfuhr ich, wie dieses traurige Ereigniß sich zugetragen. Hr. Heusken war, wie gewöhnlich, in ziemlich schnellem Trabe geritten, einer der Jackunins vor ihm, die beiden andern folgten; die Bettos oder Pferdejungen liefen entweder voraus oder folgten. Uugefähr halbwegs zwischen Akabani und der amerikanischen Gesandtschaft, in einer etwas engen Straße, ward Hr. Heusken plötzlich von sieben oder acht mit Schwertern bewaffneten Japanern unter lautem Geschrei angegriffen, indem sie alle Laternen auslösch-ten und beide, die Jackunins und Hru. Heusken, attakirten. Letzterer setzte sein Pferd in fchnellere Gangart und hatte feine Feinde bald hinter sich gelassen, plötzlich aber sank er vom Pferde, ausrufend: „Ich bin verwundet! ich fürchte, ich werde sterben!" Die Mckunins fagen aus, daß zwei von ihnen bei dem Verwundeten geblieben seien, während der dritte nach der amerikanischen Gesandtschaft eilte, um Hülfe herbeizuholen. Als er eine kurze Strecke geritten war, fand er, daß sein Pferd, schwer verwundet, nicht mehr weiter konnte. Er band es an einen Zaun und setzte seinen Weg zu Fuß fort. Hr. Heusken sagte aus, er sei während einer halben Stunde allein gelassen worden, dann seien die Jackunins zurückgekehrt, hätten ihn auf eine Thür, von einem benachbarten Hause entnommen, gelegt und ihn so nach Hause getragen. 45 Als Dr. Lucius dm Verband vollendet hatte, schien der Verwundete sich etwas zu erholen, sein eingefallenes und todtenbleiches Gesicht nahm einen ruhigern, seine Augen einen lebendigen: Ausdruck an. Er bat um etwas Wein, der ihm gereicht ward, und dankte den um ihn versammelten Freunden für ihre Theilnahme. Seine blutigen Kleider wurden entfernt, durch reine ersetzt, und mit der nöthigen Vorsicht ward er zu Bett gebracht, wo man durch Reiben mit warmen Tüchern und durch Wärmflaschen seine sinkende Lebcnsthätigkeit zu heben suchte. Es ward beschlossen, daß beide Aerzte bei ihm wachen, Hr. Wilson aber und ich abwechselnd zugegen sein sollten, im Fall man weiterer Hülfe bedürfte. Da die augenblickliche Gefahr vorüber schien, so kehrte ich nach Akabani zurück, um Nachtkleider für den Doctor und mich zu holen, und traf um Mitternacht wieder auf der amerikanischen Gesandtschaft ein. Ich kam nur noch zeitig genug, um unsern Freund sterben zu sehen. Gegen Mitternacht ward er plötzlich unruhig, bat um wehr Wein und später um Wasser, verlangte, aufgerichtet zu werden; fein bis dahin ruhiger Athem ward röchelud, und eiuige Minuten nach Mitternacht lebte er nicht mehr. Der Abbe Girard, welcher etwas früher von der französischen Gesandtschaft angelangt war, reichte ihm im letzten Augenblick die heilige Communion. Wir alle standen in feierlicher Stille um die Leiche unsers werthen Freundes. Erinnerungen der schmerzlichsten 46 Art wurden in mir wach. Bor wenig mehr als einem Jahre stand ich ebenso am Sterbebette meiner geliebten Fran, und ich that jetzt, wie ich damals gethan. Aus einer kleinen Taschenbibel, die ich mir mitgebracht, las ich in der Stille über der Leiche erst einen Theil des 21. Kapitels der Offenbarung Iohannis, dann des 11. Kapitels der Epistel Pauli an die Hebräer. Der arme Hr. Harris, welcher herbeigerufen worden war, weinte bitterlich. Der Verstorbene war während fünf Jahren sein getreuer Gefährte gewesen, und er liebte ihn wie einen Sohn. Der Doctor blieb auf der Gesandtschaft, um Hrn. Harris nahe zu sein, im Fall er seiner bedürfe. Es ward beschlossen, daß Hr. Wilson und ich die Nacht bei der Leiche wachen sollten, um diese sowie die im Zimmer befindlichen Wcrthsachen zu beschützen; denn Hr.Heusken bewohnte ein kleines Haus flir sich in den Tempelgründen der Gesandtschaft, nnd obschon kaiserliche Soldaten zahlreiche Wachen ausgestellt hatten, so trauten wir mehr auf uns selbst. Gegen 1 Uhr des Morgens erschien der dritte Gouverueur der auswärtigen Angelegenheiten, Ogoen Bnngo no-Kam, Hrn. Harris sein Beileid zu bezeigen, und erhielt von diesem die Erlaubniß, die Leiche zu sehen. Er schien sehr bewegt, eine etwas ungewöhnliche Sache für einen Japaner, verlangte die Wunden zn sehen, was ihm gestattet ward, und versicherte, daß leine Mühe gespart werden solle, den Mörder ausfindig zu machen und zu bestrafen. Die lange, traurige Winternacht schien kein Ende nehmen 47 zu wollen. Außer zwei kaiserlichen Soldaten, die sich von Stunde zu Stunde ablösten, blieb ein Dolmetscher bei uns. Dieser, Namens Tateish Onizhiro, sftrach geläufig englisch und hatte die japanische Gesandtschaft nach den Vereinigten Staaten begleitet, wo er besser unter dem Beinamen Tommy bekannt ist. Diesen jungen Mann hatte ich bereits während Commodore Perry's Expedition in Jokuhama gesehen, wo er, damals noch ein Knabe, zugleich mit Namura, dem dritten Dolmetscher, daguerreotypirt wurde. Ein Gespräch, das sich jetzt entspann, erschien mir von so ungewöhnlichem Charakter, das ich dasselbe wiederhole. Tommy war der erste, das Schweigen zu brechen, indem er sagte: „Der arme Hr. Heusken! er war eiu so guter Mann! Ich hoffe, er wird in den Himmel kommen." „Ich hoffe, er ist jetzt bereits dort", erwiderte ich, in hohem Grade erstaunt, denn es war das erste mal, daß ich einen Japaner über einen Zustand nach dem Tode oder über irgendeinen religiösen Gegenstand sprechen hörte. Hr. Wilson sagte nun: „Tommy! Die Japaner wurden in Amerika sehr freundlich empfangen, jedermann kam ihnen liebevoll entgegen, und jetzt ermorden sie einen uuserer Landsleute aus so grausame Weise!" Tommy erwiderte: „Es ist sehr wahr; leider gibt es in Jeddo viele sehr schlechte Menschen, welche die Straßen des Nachts unsicher macheu." „Weshalb", fuhr Hr. Wilson fort, „ist es erlaubt, daß so viele Leute Schwerter tragen, die, wenn sie betrunken sind, einen so Übeln Gebrauch davon machen?" 48 „Leider ist es so!" schloß Tommy. „Mir gefiel es in Amerika viel besser, woselbst die Offiziere nur Schwerter trugen, wenn sie im Dienst waren. Unsere Regierung kann diesen Leuten die Schwerter nicht wegnehmen; versuchte man es, so würde das ganze Land in Revolution sein." Und in der That ist es so. Das Tragen der zwei Schwerter ist für einen Japaner fein Adclsbrief; verlangte sie jemand von ihm, so würde er antworten: Komm' und hole sie. „Aber, Tommy", fiel ich nun ein, „das ist ein trauriger Zustand; soll er nie besser werden?" „Er wird nie besser werden", lautete die Antwort, „bis man gute Schulen im Lande errichtet, unsern Leuten gute Sachen gelehrt werden (tauget zooä tiling to our pLopIs) und sie lernen die Bibel'lesen." Dies war gleichfalls das erste mal, daß ich einen Japaner von der Bibel sprechen hörte, und geraume Zeit blieb ich in stilles Nachdenken versunken. Tommy ist ein Jüngling von 17 oder 18 Jahren. Vielleicht, so dachte ich, hat er in Amerika oft von der Bibel sprechen gehört und wiederholt es nun, um etwas Angenehmes zu sagen. Dennoch war es auffallend, daß er in Gegenwart von zwei andern Japanern so unbefangen und furchtlos über einen Gegenstand sprach, an welchen nur zu denken für einen Japaner schon Verbrechen ist. Mehrere Tage später hörte ich von Tommy, daß Kaplan Mr. Steward von der „Niagara", auf welcher die japanische 49 Gesandtschaft zurückgekehrt war, häufig mit ihm über religiöse Gegenstände gesprochen und ihm aus dem Neuen Testament vorgelesen hatte. „Ein sehr gutes Auch, ein vortreffliches Buch!" rief Tommy. „Ich habe viel daraus gelernt von dem sehr guten Orte, wohin alle guteu Menschen geheu, und von den: sehr heißen Orte tief unteu (tiw V6r^ Kot Mo« äovvn Kolon), wo alle Bösen hingeschickt werden." Ich hege die feste Ueberzeugung, daß Tommy einen richtigen Begriff der Hauptsachen des Christenthums gefaßt. Ich wünschte, ihm meine kleine Bibel zurückzulassen; er lehnte das Geschenk ab. „Meine Landsleute würden mich todten, wüßten sie, daß ich eine Bibel besitze." Ich empfahl ihm, bei Hrn. Harris, dem er jetzt als japanischer Dolmetscher beigegeben ist, fleißig in der Bibel zu lesen; er versprach es, und ich hoffe, er wird Wort halten. Dies erinnert mich daran, daß sein Name, Ougiro, sehr ähnlich dem von Angiro lautet, der erste Japaner, welcher von Franciscus Xaverius bekehrt und getauft ward; vielleicht waren beide Namen im Japanischen gleichlautend. Wenn dieser junge Mann von Gott ausersehen wäre, in gleicher Weise erleuchtet zu werden, o, dann sci die allgütige Vorsehung gepriesen, daß endlich die Nacht, welche dieses arme Volk bedeckt, ein Ende erreicht! Das Blut unsers armen Freundes wird dann ill cine reiche Ernte für das Reich des Herrn aufblühen. Vielleicht liegt die Zeit nicht gar zu fern, wann das Wort hier frei gelehrt und gehört werden kann. Heine. Weltreise. II. 4 50 Mit einem Gefühl inniger Dankbarkeit begrüßte ich den anbrechenden Morgen des 16., welcher der langen traurigen Nacht ein Ende machte. Der erste, welcher das Zimmer betrat, war Dr. Lucius, der uns mittheilte, Hr. Harris habe wenig oder gar nicht geschlafen und sei bereits beschäftigt, weitere Anordnungen zu treffen. Sobald es hell genug war, um sehen zu können, ritt ich aus, den Platz zu sehen, an welchem das Verbrechen verübt worden "war. Es war nicht schwer, ihn zu finden: Blutstropfen auf der hartgefrorenen Erde leiteten dahin; ich folgte demselben Pfade, den ich in der Nacht gekommen. Ungefähr eine Viertelmile von der amerikanischen Gesandtschaft, nahe an einem Zaun, war eine große Blutlache sichtbar; hier hatte der Aackunin sein verwundetes Pferd angebunden; einige hundert Schritt weiter war die Erde an zwei Stellen mit Blut befleckt. Hier hatte Hr. Heusken gelegen. Es war an diesen beiden Orten, wo mein Pferd in der Nacht scheute. Der Blutgeruch hatte es erschreckt. Der Angriff fand an einer Stelle statt, wo die nicht breite Straße sich noch mehr verengte und eine kleine Seitengasse, durch die ein Reiter nicht folgen konnte, den Mördern einen Ausweg bot. Gegen 11 Uhr begannen Hr. Nilson, 1)i>. Lucius uud ich, den Todten zu waschen, während Lieutenant v. B., einer der Attaches des Gesandten, die Werthgegenstände nach einem sichern Ort bringen ließ. Außer einer beinahe 6 Zoll langen Wunde im Unterleib fanden wir jetzt noch eine zweite, kleinere am linken Oberarm über dem Einbogen, eine dritte in der linken Seite, in gleicher Höhe mit der am Arm be- 51 findlichen; beide schienen jedoch von weniger Bedeutung als die im Unterleib, wo die Eingeweide bedeutend verletzt waren. Ich ziehe aus vi-. Lucius' Bericht die Obduction aus, sie lautet: „Die Obduction fand am 16. Sept. um 11 Uhr statt. Die Leiche war sehr blaß, die Gesichtszüge collabirt. Todesstarrheit war eiugetreteu, allein die Glieder ließen sich uoch ohne Schwierigkeit biegen... Die Ränder der Wunde im rechten Hypochondrium wnrden durch die suwin coutinu«. fest in ihrer Lage gehalten. Sie maß ö'/- Zoll. An der rechten Seite ward eine zweite Wnnde entdeckt, ungefähr 1 Zoll oberhalb des Olecramnn, ungefähr l V4 Zoll lang. Haut und subcutaue Zellgewebe waren bis auf dm uuver-letzten Muskel durchschnitte». In gleicher Höhe und nahe den: untern Intercostal befand sich eine kleine ^ Holl lange Wunde, aus der zerrissene Muskelbündel und etwas Fett 'hervorhingen. „Aus dem Resultat der Obduction geht hervor, daß Hr. Hcusken dou beideu Seiten gleichzeitig angegriffen ward. Es scheint, daß die Wunde im rechten Hypochondrium durch einen Hieb, von vorn und aus großer Nähe geführt, verursacht war. Da Hr. Heusken zu Pferde, der Angreifer aber Zu Fuß war, so empfing die Wunde eine Richtung von außen und unten nach innen und oben. Die Verletzung der Eingeweide am obern Ende der Wunde zeigt, daß durch die schnelle Bewegung des Pferdes der Hieb zugleich als Stich wirkte. Der Angriff von der linken Seite scheint theilweise mislungen zu sein; wahrscheinlich ward Hr. Heusken 4" 52 nur mit der Spitze des Schwertes erreicht, der Zustand der Wunde am Oberarm deutet darauf hin. Es ist möglich, daß, indem Hr. Heusken dem Angriff von links auswich, er seine rechte Seite bloßgab. „Die Ereignisse und das Resultat der Obduction stellen folgende Thatsachen fest: „1) Daß Hr. Heusken am 15. Jan. 18ss1, ungefähr 8V4 ^hr abends, eine 5V2 Zoll lange, das Peritoneum in dieser ganzen Länge zerschneidende Wunde erhielt, die eine Schlinge des Dünndarmes zu drei Viertheilen voneinander trennte, sowie zwei andere Wunden am linken Oberarm und dem neunten Intercostal der linken Brust empfing. „2) Daß die erste Wunde im rechten Hypochondrium an und für sich tödlich war. Syme sagt über Wunden dieser Art: Whenever the contents of the bowels are effused over the surface of the peritoneum, death is the invariable and sometimes very speedy result (Princ. of Surg., p. 200). „3) Daß Hr. Heusken infolge dieser Wunden 3'/4 Stunden nachdem er sie empfangen, starb. „4) Als directe Ursache seines plötzlichen Todes (causa directs, letalis) ist der enorme Blutverlust zu betrachten, den Hr. Heusken während der 1^ Stunden erlitt, wo er ohne ärztliche Hülfe war." Ich muß Hierbei bemerken, daß obiger Bericht in englischer Sprache abgefaßt war, aus der ich denselben übersetze; befindet sich ein Irrthum in der Ausdrucksweise, so ist derselbe durch mich verschuldet. 53 Bis zum Tage nach dem Begräbniß blieb ich auf der amerikanischen Gesandtschaft. Ein Unteroffizier und zwei . Matrosen des preußischen Geschwaders hielten während der Nacht Wache bei der Leiche, und berichteten mir alle zwei Stunden. In der Nacht vom 10. zum 17. ward ein japanischer Kaufmann in der Straße unfern der amerikanischen Gesandtschaft ermordet. Das Begräbniß fand am 18. Jan. statt. Hr. Harris ersuchte mich, das Programm, welches cr selbst entworfen, auszuführen; es lautete wie folgt: 1) Die fünf japanifchen Gouverneure der auswärtigen Angelegenheiten, die aus eigenem Antrieb durch ihre Gegenwart ihre Achtung für den Verstorbenen darlegen wollten. Dies war ein ungewöhnlicher Schritt; es ist Sitte, nur an Leichenbegängnissen von Verwandten theilzunehmen. ' Die Namen der Gouverneure waren 1) Siumi-Buzen-no-Kami, 2) Moeragaki-Awadzi-no-Kami, 3) Ogoeri-Bungo-no-Kami, 4) Takay-Tamba-no-Kami, 5) Takkawa-Harima-no-Kami. 2) Die Flaggen von Holland (Hr. Heusten war Holländer), rechts davon Amerika und England, links Preußen und Frankreich, von preußifchen Matrosen getragen und escortirt. 3) Die Musik des Flaggenschiffes „Arkona". 4) Preußische Seesoldaten als Ehrenwache. 5) Holländische Seesoldaten (von der Brigg „Cachelot") als Ehrenwache. 54 6) Der Priester (Abbe Girard) und der Arzt, der den Verstorbenen behandelt (Dr. R. Lucius). 7) Der Sarg, mit einer Ehrenwache von holländischen Seesoldaten. 8) Die Leidtragenden (Hr. Harris und Hr. de Witt, holländischer Generalconsnl), ssefolgt von den Dienern des Verstorbenen und des Hrn. Harris. 9) Die fremden Gesandten (England, Frankreich und Preußen). 10) Die fremden Consuln. 11) Die Freunde des Verstorbenen, d. h. alle Mitglieder sämmtlicher Gesandtschaften, solche Mitglieder der Erpedition, die sich in Jeddo befanden, und alle Offiziere des Geschwaders, die nicht durch den Dienst an Bord zurückgehalten wurden. Um 9 Uhr langte der Sarg, der auf der Fregatte „Thetis" gemacht worden, au, und im Verein mit I)i'. Lucins schlug ich ihn mit weißer Seide aus, legte den Todten hinein und schmückte ihn mit solchen Blumen, wie sie in dieser Jahreszeit zu haben waren. Die amerikanische Flagge diente als Leichentuch. Das Begräbniß sollte um 1 Uhr nachmittags stattfinden, allein eine Stunde vor der festgesetzten Zeit ließen sich die fünf japanischen Gouverneure bei Hrn. Harris anmelden und theilten ihm mit, daß sie Befürchtungen hegten, die fremden Gesandten auf dem Wege nach dem Begräbnißplatz einem Angriff ausgesetzt zu sehen; sie baten dieselben deshalb, nicht aus dem Hause zu gehen. Hr. Harris antwortete: 55 „Ich und meine Herren Collegen haben eine heilige Pflicht zu erfüllen; keine auch noch so drohende Gefahr wird uns davon abhalten, einem theuern Freunde zu seiner letzten Ruhestätte zu folgen. Ich hege das vollste Vertrauen in den guten Willen und die Macht der japanischen Regierung, uns zu schützen; sollte dies jedoch nicht der Fall sein, so fühle ich mich vollkommen fähig, auch dies selbst zu thun." Später ersuchte er mich, diese Nachricht dem preußischen Gesandten mitzutheilen, sowie seinen Wunsch auszudrücken, daß den Gesandten eine militärische Bedeckung gegeben werden möchte, die Soldaten scharfe Patronen erhalten und ihre Gewehre laden sollten. Zur bestimmten Zeit langten die eingeladenen Gäste an, ebenso die Militärescorte unter Befehl des Lieutenants v. Imhoff (Seebataillon) von der „Arkona"; die nöthigen Vorbereitungen waren bald getroffen, und da die holländischen Seesoldaten nicht zeitig genug eintrafen, so vertraten preußische Matrofen ihre Stelle. Die Holländer schlössen sich jedoch dem Zuge an, ehe derselbe weit gegangen, und nahmen die ihnen zuerst angewiesene Stellung ein. Eine sehr bewegte See und Gegenwind hatten ihre Ankuuft verzögert. Die fünf japanischen Gouverneure, an der Spitze des Zuges, waren zn Pferde, in großer Staatskleidung und demselben Aufzug, wie wenn sie zum Taikuu zur Audienz Ziehen, uud es ist für Mäuner ihres Ranges sehr ungewöhnlich, sich auf diese Art öffentlich zu zeigen. Bei dieser Gelegenheit wünschten sie sowol den Verstorbenen zu ehren, 56 als durch ihre Gegenwart die fremden Gesandten zu schützen. Außer einer etwas zahlreichen Escorte von Dackunins waren keine japanischen Truppen herbeigezogen. Obschon der Kaiser oder Taikun im Kriege Millionen von Streitern versammeln kann, so hat dennoch bei gewöhnlichen Gelegenheiten die Regierung nur eine geringe Truppenzahl zur Verfügung. Japan hat ein Feudalsystem der Vertheidigung. Die verschiedenen Städte haben ihre Polizeileute, der Kaiser seine Haustruppen, kaum stark genug, sein Schloß zu schützen. Braucht man mehr Krieger, so wird einem oder mehreren Daimios oder Prinzen befohlen, sich mit ihren bewaffneten Vasallen einzufinden. Von diesen Daimios sind manche günstig gegen die Fremden gestimmt, andere betrachten ihre Gegenwart als beleidigend für Japan. Obschon die Regierung durch ihre Spione im allgemeinen von der herrschenden Stimmung unterrichtet ist, so herrscht dennoch mancherlei Zweifel über die wahre Gesinnung von Leuten, die besser als ein anderes Volk verstehen, ihre Entschlüsse geheim zu halten. Indem man die. Daimios und ihr Gefolge herbeirief, konnte man leicht unsern Schutz Leuten anvertrauen, die gern unsere Mörder geworden wären. Ein ruhiger Beobachter muß das Benehmen der Gouverneure als richtig und ehrenhaft erkennen. Der Begräbnißplatz für Fremde in Jeddo ist in Korinzhi. Durch ein kleines Thal windet sich ein Flüßchen, eine kurze Entfernung von demselben, an seinem nördlichen Ufer, ist die amerikanische Gesandtschaft gelegen. Etwa 1 Mile höher 57 hinauf erweitert sich das Thal, ein Tempel steht gleichfalls auf dem nördlichen Ufer, und zwischen Gruppen von Cy-prefsen und Kiefern liegt der Begräbnißvlatz. Das Grab unsers Freundes ist in der nordöstlichen Ecke, an der Seite eines Hügels, dessen Spitze von einem großen, auf einer Terrasse befindlichen Daimiograbe bekrönt wird. Hier ist bereits der Linguist der englischen Gesandtfchaft begraben, der, ein geborener Japaner, schiffbrüchig nach England kam, dort englischer Unterthan ward und bei seiner Rückkehr nach Jeddo von einigen ihm feindlich gesinnten Japanern ermordet wurde. Bei der Ankunft am Grabe ward jeder Theil des Zuges von Baron v. R. und Hrn. C. B., die als Mar-schälle fungirten, an die bezeichnete Stelle geführt. Die japanischen Gouverneure standen auf der Terrasse, die Gesandten vor ihren Flaggen am Kopfende des Grabes, die Freunde des Verstorbenen standen zur Rechten der Gesandten, die Linke ward durch die Musik und Seesoldaten gedeckt, während die Holländer die vierte Seite bildeten. So war es schwierig, sich der Person der Gesandten zu nähern. Der Sarg war etwas schwer, und die Japaner fanden es nicht leicht, ihn in das Grab hinabzulassen. Ich fühlte mich unter den Umständen nicht ermächtigt, zu verursachen, daß ein Theil der Escorte die Waffen beiseite stellte, um Hand anzulegen; allein der Kapitän Iachmann, der die Schwierigkeit entdeckte, sandte einige Matrofen herbei, die dieselbe bald beseitigten. 58 Abbe Girard verrichtete die gottesdienstlichen Formen nach dem Ritual der römisch - katholischen Kirche. Ein buddhistischer Priester des Tempels von Kormzhi war zugegen, und als der Abbe geendet, begann er zu beten, ohne sich jedoch dem Grabe zu uähern. Der Abbe wünschte, daß dies nicht geschehen möge, und er stellte seine Gebete sogleich ein. Dieser Vorfall erinnert mich an das erste christliche Begräbniß in Dokuhama während Commodore Perry's Expedition. Rev. Mr. Jones, Kaplan der „Mississippi", begrub einen Seesolbaten. Als seine Gebete geendet, näherte sich ein buddhistischer Priester uud fragte, ob ihm erlaubt sei, gleichfalls auf dem Grabe zu beten. Mr. Jones antwortete, er glaube, einige Gebete mehr würden der Ruhe des Todten keinen Schaden thun, und ließ ihn gewähren. Bei gegenwärtiger Gelegenheit ward wenig gesprochen. Hr. Harris dankte seinen Freunden für ihre Gegenwart, und alle zogen in tiefer Stille heim. Hr. Heuskeu war in Amsterdam (Holland) geboren, wo seine Mutter, eine Witwe, noch lebt. Hoffen wir, daß die Negierung Preußens durch eine Pension der Mutter das vergelte, was der Sohn für die Erpedition gethan. Eine solche Anerkennung würde vielleicht zur Folge haben, daß in Amerika, wo Pensionen nur durch läongreßbefchluß gegeben werden können, ein Gleiches geschieht. *) 5) Ist von feiten der köttigl. preußischen Regierung bereits ge' schehen. 59 Infolge der Ermordung des Hrn. Heusken haben die europäischen Ministerresidenten den Aufenthalt in Deddo nicht mehr genügend sicher gefunden und sich uach Kana-gawa oder Jokuhama zurückgezogen; nur Hr. Harris bleibt auf seinem Posten. Ich wünsche uicht, diesen Entschluß der Gesandten zu kritisiren oder zu tadeln, sie selbst müssen am besten wissen, was die Interessen ihres Landes erheischen. Als Amerikaner bin ich stolz darauf, daß Hr. Harris sich nicht zu einem voreiligen Entschlüsse hinreißen läßt und durch seine Gegenwart vielleicht die Gefahr eines Krieges abwendet. Es kann wol kein Zweifel darüber herrschen, daß in Japan eine große Partei besteht, welche die Fremden als Eindringlinge betrachtet; es wird geraume Zeit dauern, bis ihre Vorurtheile überwunden sind. Deddo, gleich allen großen Städten, beherbergt eine große Anzahl schlechter, verwegener Menschen, zu jedem Verbrechen fähig. Verliert ein Mann von gewissem Rang seine Anstellung, oder durch den Tod seines Fürsten sein Einkommen oder Vermögen, so ist es ihm nicht erlaubt, seinen Lebensunterhalt durch Arbeit zu berdieueu, wenn er es uicht, was selten geschieht, im geheimen thut. Er ist auf einmal ohne Unterhalt uud wird in den meisten Fällen ein Verbrecher, daher auch der Name dieser ganzen Klasse: I.0ninF, oder Geächteter. Begeht er ein Verbrechen und flüchtet sich in das Haus eiues Daimio, dem er daun angehört, so kann ihn die Regierung nicht erreichen. Dies sind die natürliche» Folgen emer Feudalherrschaft, von der noch hente im civilisirten 60 Europa gesetzgebende Körper bedauern, daß sie ausgerottet werden soll. Wenige Personen von Rang zeigen sich des Nachts in den Straßen; sind sie genöthigt, es zu thun, so gehen sie mit einer zahlreichen Begleitung. Hr. Harris und die übrigen Gesandten sind erst aufgefordert worden, deS Abends nicht auszugehen, und Hr. Heusken ist unzählige-mal gebeten worden, nach Eintritt der Dunkelheit zu Hause zu bleiben. Oft werden während der Nacht in den Straßen Leute ermordet, allein von Einbrüchen in Häuser habe ich noch nicht gehört. Alle Mordanfälle auf Fremde fanden des Nachts und in den Straßen statt. Die Häuser der fremden Gesandten aber sind durch kaiserliche Truppen besser bewacht als die Eingeborenen des Landes. Seit dem 15. schläft jede Nacht einer der japanischen Gouverneure bei Hrn. Harris, ein anderer in Akabani. Ich halte es für sanguinisch, daß ein Land, welches erst seit wenigen Jahren einem weitern Verkehr mit Fremden eröffnet worden ist, in so kurzer Zeit seine ganzen Einrichtungen ändern soll. Zeit, Belehrung und, vor allen Dingen gemäßigtes, untadelhaftes Betragen der Fremden allein können ein gutes Beispiel geben und eine Besserung der Umstände herbeiführen. XVI. Das Ende. Unterzeichnung des Vertrages. Die Geschenke. Trennung. Abschied von Jokuhama. In See. Der „Frauenlob". An Bord Sr. Majestät Schiff „Arkona", hohe See, 14. Febr. 1861. Am 24. Jan. (dem Geburtstage Friedrich's des Großen) kamen die drei kaiserlichen Bevollmächtigten: Muragaki-Awasi-no-Kami, Takemote-Dsoesi-no-Kami und Kurakawa-Satuw, gegen 1 Uhr mittags in Akabani an. Nachdem noch einige Maßregeln in Bezug auf die bereits in Doku-hama anwesenden deutschen Kausieute besprochen worden waren, fand die Unterzeichnung des Vertrages statt, von der einen Seite durch den Gesandten Grafen Enlenburg, von der andern durch die drei Bevollmächtigten oder Gouverneure. Sämmtliche in Akabani anwesende Mitglieder der Expedition wohnten diesem feierlichen Act als Zeugen bei; die Pinsel, mit welchen die Japaner ihren Namenszug gemacht hatten, erhielt ich nebst einem Certificate über die 62 Echtheit derselben durch den-Dolmetscher Moriyama Ta-kütziro. Die Feder, welche der Gesandte gebraucht hatte, nahm Muragaki-Awasi-no-Kami an sich, als Wahrzeichen der redlichen Erfüllung des Vertrages. Wie gewöhnlich, wurden Erfrischungen umhergereicht, Gesundheiten getrunken, die Gouverneure erhielten verschiedene Geschenke und faßen auch noch den Herren Photographen für ihre Porträts. Muragaki, der im vorigen Jahre die Vereinigten Staaten als Gesandter besucht hatte,, zeigte mit gewissem Stolz einen schönen Chronometer mit dem Porträt des Präsidenten Buchanan, den er von letzterm zum Geschenk erhalten. Kurakawa-Satuw schien mit seinem Bilde nicht ganz zufrieden; er meinte, daß er nicht geglaubt, so alt auszusehen. Die Geschenke, welche die Gouverneure an den Gesandten, den Commodore nnd Kapitän, sowie an die diplomatischen Mitglieder der Expedition machten, bestanden aus jenen golddurchwirkten Seidenstoffen, die hier fo schön gemacht werden. Während des ganzen Aufenthalts hatten kaiserliche Beamte oder Jackunins die verschiedenen Mitglieder auf ihren verschiedenen Ausflügen begleitet. Jetzt zum Abschied erhielt eiu jeder von diesen ein Geschenk, meistens Schwerter, Hirschfänger oder Mefser, worüber sie sich sehr zn freuen fchienen, und es auf Deutsch mit „Danke, danke!" auszudrücken suchten. Die Geschenke des Taikun an den Prinzregenten, bestehend aus Seidenstoffen, Waffen :c. :c., wurden am 27. überbracht, und am selben Tage erhielt auch ich em Erin- 63 nerungszeichen von einem japanischen Beamten, den ich vor jetzt beinahe sieben Jahren kennen gelernt. Als während Commodore Perry's Expedition Kapitän Adams am 22. Febr. 1854 in Uraga landete, um die Unterhanblnngen mit den kaiserlichen Commissaren zn beginnen, ward er von Idzawa Mimafako-no-Kami, einem japanischen Prinzen, empfangen, dessen feines, würdevolles, dabei sehr zuvorkommendes Benehmen auf alle den günstigsten Eindruck machte. Als der Gesandte, Graf Eulenburg, seine erste Audienz bei dem japanischen Minister der answärtigen Angelegenheiten hatte, erschien derselbe Prinz, erkundigte sich, ob nicht einer der anwesenden Herren schon früher in Japan gewesen, und als man dieses bejahte, trat er auf mich zu und hieß mich mit freundlichen Worten willkommen. Er bekleidete jetzt die Stelle eines O-O-O-mitzkY oder Groß-inspectors von Niphon, eine der höchsten Stellen im Staat, nnd hatte sich erinnert, daß ich ihm durch Kapitän Adams vorgestellt worden war. Jetzt bei meiner Abreise machte mir das Schicksal mei^ nes Pferdes nicht wenig Sorge. Mitnehmen tonnte ich es nicht, verkanfen wollte ich es nicht, denn der Gebanke war betrübend, ein Thier, welches mir seit beinahe fünf Monaten treu gedient, seine Tage als Packpferd schließen zn schen, und hätte ich es einem der Beamten des Haushalts geschenkt oder an einen der Fremden in Jokuhama verkauft, so wäre sein Schicksal vielleicht dasselbe geworden. Ich schrieb zuletzt an Idzawa Mimasako-no-Kami und bat ihn, meinem armen Gaule einen Platz in seinem Stalle zu . Jahrhunderts und die Dogmatik gewisser Theologen unserer Zeit auf würdige Weise anreihen kann. Die Chinesen haben in dieser Beziehung jedoch den Vortheil, daß die Werke, welche sie studiren, nur die reinste Vorwurfsfreieste Moral enthalten, daß ihre Lehren, wenn genau befolgt, eiu ruhiges, geregeltes, staatliches Lebeu bezwecken; ihre Schattenseite liegt vielleicht darin, daß sie beständig daran erinnern, es gebe eine moralische menschliche Vollkommenheit, die, von den Klassikern bereits erreicht, weitere Ausdehnung unmöglich macht, womit alle weitere Strebsamkeit, alle Anregung, ohne die weitere Ausbildung unmöglich ist, im Keime ge-tödtct wird. Das Resultat davon ist die ungeheuere Indifferenz, in welche die ganze Nation allmählich versank. Die Gesandten von England und Frankreich bewohnen zwei große Iamuns unweit der südlichen Mauer der Tatarenstadt. Gleich allen Wohnungen vornehmer Chinesen 173 haben diese Gebäude eine große Anzahl großer hoher Räume, in Gruppen um verschiedene Höfe vertheilt, allein, gleich andern Palästen Pekings, fand man bei Uebernahme derselben alles in Staub, Schmuz und Vernachlässigung. Während mehrerer Monate arbeiteten einige hundert Kulis (Lastträger) uud Handwerker, die jetzt immer noch beschäftigt sind, und fo ist es gelungen, nicht nur geräumige, bequeme Wohnungen einzurichten, sondern eine der Würde eines fremdeu Gesandten entsprechende Residenz herzustellen. Besonders glücklich ist dies in der englischen Gesandtschaft ausgefallen, wo Col. Neale, der die Arbeiten leitete, den ursprünglichen Charakter der Anlage fowol als die De-corationen beibehielt, nnd die bestehenden Räumlichkeiten nur insoweit veränderte, als nöthig war, um sie mit dem zum permanenten Aufenthalt nöthigen Comfort zu versehen. Der Eingang von der Straße bringt uns in einen großen Vorhof, nngefähr 150 Schritt lang, 50 Schritt breit, dessen hintere und linke Seite Pferdeställe, Vorrathshäuscr, Remisen nnb Wohnungen des Stallpersonals enthalten. Der Eingang zu den Hauptgebäuden ist in der Mitte der rechten langen Reihe, durch ein großes Portal, auf dessen beiden Seiten zwei Löwen aus weißem Marmor, in ziemlich grotesker wunderlicher Weise und mit wenig Rücksicht auf Anatomie ausgeführt, stehen. Die beiden nächsten Höfe gleichen sich sehr, am hintern Ende eine große Halle, rechts und links kleinere Gebäude, die theils leer stehen, theils vou der Militärescorte bewohut werden. Um den dritten Hof reihen sich die vornehmsten Räume. Die große Halle 174 an der hintern Seite enthält ein Entree, an das rechts der große Salon, links der Speisesaal stößt. Die Wände sind hier mit schönen zierlichen Holzschnitzereien bedeckt, entweder phantastische Zusammenstellungen geometrischer Linien bildend, oder zierliche Ornamente in Imitation von Weinreben, Bambusblättern :c. :c. vorstellend. Die dunkle Farbe des Holzes ist durch Politur erhöht, der Grund der durchbrochenen Arbeit ist entweder in brillanten hellen Farben gemalt oder vergoldet. Die Decke ist horizontal, durch sich kreuzendes Gebälk in Felder von etwa vier Quadrat-fuß getheilt, ähnlich wie man ein Zimmer aus der Zeit Franz' I. in Frankreich !findet. Jedes Feld enthält einen Kreis von Goldornamenten auf grünen und dunkelblauen Grund gemalt, dessen Mitte von einem goldenen Drachen ausgefüllt wird. Diese Decke sowie die des Billardzimmers, das die entgegengesetzte Seite des Hofes einnimmt, sind ganz in ihrer ursprünglichen Decoration geblieben, man hat nur die beschädigten Stellen restaurirt; die Schnitzereien an den Wänden sind theilweise aus andern Theilen des Gebäudes hierher gebracht worden. Das Ganze macht einen überaus prächtigen, brillanten Eindruck. Ebenso geschmackvoll ist der große Hof, an welchen diefe Näume stoßen, decorirt. Rechts und links befinden sich zwei kleine Pavillons; diese sowie die an die größcrn Hallen stoßenden kleinern Räume enthalte« die Zimmer, welche von Hrn. Bruce und dem Gesandtschaftspersonal bewohnt werden. Auch hier hat mau überall nur die beschädigten Theile ergänzt, die unscheinbar gewordenen Malereien restaurirt und 175 alles gefirnißt. Die Farben bestehen hauptsächlich aus grün, roth, blau und gelb; so heterogen auch diese Zusammenstellung erscheint, so ist sie deunoch sehr glücklich angewandt und bildet ein harmonisches Ganze. Zwei mit Steintafcln gepflasterte Gänge, von Seite zu Seite führend, kreuzen sich in der Mitte, die durch eine auf einem Piedeftal aus weißem Marmor stehende Sonuenuhr be-zeichuet wird. Die vier so gebildeten Parterres sind mit Vasen und Bäumen, Strauchwerk und Blumen ausgefüllt; das Ganze aber wird im Sommer von emem hohen Mattendach beschattet, und bildet einen angenehmen kühlen Aufenthaltsort. Die gerade Linie, durch die Mitte dieser drei Höfe ge-zogeu, würde sich von Norden nach Süden erstrecken und der Hauptpaoillon das Nordendc bilden. Nach Osten wird das Ganze durch die Straße begrenzt, von der es durch eine Reihe kleiner Wohnungen oder Verkaufsläden getrennt ist, wie mau dies bei den meisten Mamuns chinesischer Großen findet. An die Westseite dieser Höfe und Hallen stotzeu die Gemächer, welche früher von den Frauen der Mandarinen und deren Dienerinnen bewohnt wurden, jetzt dem Dolmetscherpersonal und deren chinesischen Lehrern uud Schreibern sowie ihren europäischen Schülern zur Wohnuug dienen. Da die englische Negierung, in China sowol als in Iaftan, eifrig bemüht ist, alle Gesaudtschaften und Consulate "init competenten Dolmetschern zu versehen, und den Candidate« für diplomatische Stclluugeu Mittel anschafft, sich die nöthigen Sprachkenntnisse anzueignen, so ist dieses Personal 176 sehr groß, und benutzt alle die unregelmäßig angelegten, durch bedeckte Gänge untereinander verbundenen Pavillons. Die Ränme sind hier kleiner und weniger hoch als in den Hauptgebäuden; die Disposition derselben macht den Eindruck, als ob der Architekt bei Anlage derselben mehr seiner Laune freien Lauf gelassen habe, als durch einen regelmäßigen Plau, oder selbst durch Erfordernisse des Terrains oder Bedürfnisse geleitet worden sei. Man findet sich hier in einem Labyrinth von quadratischen, oblongen, ovalen, runden Zimmern, ja eins bildet sogar ein Parallelevipidum. Ewige davon sind hoch, andere niedrig, einige haben horizontale Decken, andere zeigen die Structur des Daches. Die verbindenden Corridors laufen gerade, in Curven oder in gezackten Linien, einer davon, um emeu ovalen Pavillon führend, beschreibt eine doppelte Curve, d. h. sowol die des Grundplanes als auch eine zweite auf- und absteigende, über eine Unebenheit des Terrains, und infolge dessen steht in der ganzen Structur nicht ein Stück Holz rechtwinkelig auf dem andern; gleich daneben aber, um die Caprice dieser Anlage noch anschaulicher zu machen, läuft ein gerader Pfad, dessen gleichmäßiges Niveau mittels eines Durchschnitts durch die Erhöhung des Terrains erzeugt worden ist, nach derselben Richtung. Ebenso sind Thüreu und Fenster auf die phantastischste Weise geformt, vom Quadrat durch den Kreis nach allen möglichen Formen hin variirt, einschließlich einer Fächcrform, und die Vergitterung^ der Fenster ist ebenso phantasiereich, manchmal aus einer Combination von Kreisen, Sechsecken, Achtecken aneinander 177 geschobener Parallelogramme oder aus einem Gemisch von durcheinander geworfenen unregelmäßigen Dreiecken gebildet, als ob ein Bündel Stäbe, wild durcheinander geschüttet, darüber ausgebreitet worden sei. Sämmtliche Gebäude sind aus Ziegelsteinen und Holz gebaut. Bei den größern sind die Umfassnngsmauern solid, und nur die Säulen, Thür- und Fenstcrpfosteu, Dach :c. :c. aus Holz; bei den kleinern ist das Holz vorherrschend und nur durch etwas Fachwerk versteckt. Die Dächer siud durchgängig mit grauen Ziegeln gedeckt, die Firsten und Giebel manchmal mit buntglasirten Ziegeln verziert. Das Südcnde der Frauenwohnung, seinem gesammten Flächeninhalt nach etwa den vier großen Höfen und mngebeudm Gebäuden gleich, ist eine Gartenanlage mit allem Zubehör, von Miniaturfischteichen, nnnöthigcn Brücken, gewundenen Pfaden, die den möglichst langen Weg zwischen zwei gegebenen Punkten bilden, künstlichem Felsenwcrk ans Mörtel und Korallenfragmenten gebildet, durch eiserne Klammern oder Kupferdrahtbänder in den möglichst phantastischen Lagen gehalten. In der entferntesten Ecke waltet das romantische Element vor. Hier ist die Ruine eines Bergschlosses, 9 Fuß über der Oberfläche des Gartens gelegen; über Fclsentrümmer kommt man zur steilen Höhe, wo man eine Aussicht in die benachbarten Pferdeställe genießt, und dann durch einen unterirdischen Gang ungeseheu entires chen kann. Die Wohnung des französischen Gesandten gleicht in vieler Beziehung der eben beschriebenen, doch sind die Heine, WMrülft. II, 12 178 Gebäude weniger ausgedehnt, der dieselben umgebende Garten hingegen größer. Die Russen haben schon im Anfang des 17. Jahrhunderts eine Mission in Peking gehabt; Kosacken hatten an verschiedenen Pnnkten Niederlassungen gegründet. Eine davon, Abastn, ward von den Chinesen gestürmt und 400 Gefangene nach Peking gebracht. Unter diesen befand sich ein Priester, und dieser errichtete eine Kapelle zum Gebrauch seiner Landsleute. Im I. 1689 kam, besonders durch Vermittelung des Missionars Gerbillon, ein formeller Vertrag zu Stande; im nächsten Jahre und 1719 wurden Gesandtschaften nach Peking geschickt und im I. 1727 gelang es dem Grafen Wladislawitsch, für feine Nation ausgedehntere Privilegien zu erlangen, unter denen sich die Erweiterung der Mission in Peking befand, die damals auf sechs kirchliche und vier weltliche Mitglieder erhöht ward, die alle zehn Jahre abgelöst werden sollten. Georg Tim-kowsky, der 1821 die ablösenden Mitglieder nach Peking brachte und die abgelösten nach Kiachta zurückführte, gibt eine ausführliche Beschreibung der damaligen Zustände in Peking sowie der Reise dahin. Die russischen Geistlichen, aus einem Archimandriten (Abt) und fünf Mönchen bestehend, scheinen mehr mit der Ausübung varochialer Thätigkeit beschäftigt gewefen zu sein, weniger oder gar nicht aber als Missionare gearbeitet zu haben. Die Nachkommen der Gefangenen von Abasin, jetzt ungefähr 800 an der Zahl, bilden ihre Gemeinde; von gemachten Bekehrungen ist mir nichts bekannt geworden. Außer den obcngenannten 179 Geistlichen befinden sich ein Arzt, ein Astronom, ein Maler und ein Armeeoffizier in der Mission, die ebenso wie die Geistlichen viele werthvolle literarische Arbeiten veröffentlicht haben, von denen leider nur wenige aus dem Russia schen in andere Sprachen übersetzt worden sind. Trotzdem diese Mission sich zu keiner politischen Thätigkeit bekennt, so liegt die Vermuthung nicht fern, daß der bedeutende Einfluß, den die Russen seit geraumer Zeit in Peking besessen, durch die langjährige Anwesenheit luftiger, wissenschaftlich gebildeter Männer, die sich gründliche Kenntniß der chinesischen Zustände erwarben und dieselbe zu benutzen verstanden, wesentlich gestärkt worden ist. Die Gebäude der russischen Mission sind ganz im europäischen Stil gebaut; die kleiueu, einstöckigen, steinerneu Häuser reihen sich um mehrere Höfe, die theilweise mit Bäumen bepflanzt sind, eine kleine Kirche im Stil Ludwig's XVI. erbant, ist im Innern mit Bildern, Schnitzereien und Teppichen nach Art der griechischen Kirchen ausgeschmückt und das Innere der Wohnungen trägt den vollkommenen Stempel nordischen Comforts bis auf die Doppelfenster sowie den großen russischen Kachelofen, und erinnerten nicht die chinesischen Diener daran, daß man sich im Himmlischen Reich befindet, so könnte man sich in irgendeine russische Stadt versetzt glauben. Der Archimandrit, eine schöne männliche Erscheinung, trägt den schwarzen Tatar, langen Bart und das langherabhängende Haupthaar, wie dies bei den russischen Priestern üblich, ebenso die Mönche; die andern Mitglieder tragen eine Art von Halbuniform aus grünem Tuch. 12* 180 Ich fühle mich diesen Herren für ihre freundliche Bereit Willigkeit, mit der sie mir manche wünschenswcrthe Auskunft ertheilten, sehr verpflichtet, besonders dem Archiman-driten Pater G. und dem Dr. K. Gleichfalls bin ich Hrn. v. B., dem Secretär des Generalgouvcrneurs von Sibirien, sehr verbunden, der während meines Aufenthalts in Peking in einer Specialmission begriffen daselbst anwesend war. Der Maler Hr. F. ist ein tüchtiger Künstler, der besonders glücklich in charakteristischer Auffassnng chinesischer Porträts war, die er mit vieler Fertigkeit lebensgroß in Oel aus-geführt. Nahe der südwestlichen Ecke des kaiserlichen Palastes befindet sich eine mohammedanische Moschee nnd viele Mohammedaner, deren Ahnen im vorigen Jahrhundert aus Turkistan als Gefangene hierher geführt wurden, leben hier. In Kleidung und Sitten unterscheiden sie sich in nichts von den Chinesen, gleichwie bei den russischen Gefangenen aus Abasin hat die Zeit alle äußern Zeichen ihres Ursprungs verwischt, nur ihre Religion ist ihnen geblieben. Die Mohammedaner der Provinz Ili halten sich, wenn sie die Hauptstadt besuchen, gewohnlich ebenfalls in diesem Theil der Stadt ans. Unweit der Moschee, und in nächster Nähe vom westlichen Thor der südlichen Mauer, liegt die Kathedrale, ein großes, nicht unschönes Gebäude, im Stil Lndwig's XIV. Die Decke des Schiffes der Kirche ist in der Form eines Gewölbes aus Bambusstäben gebildet und mit Leinwand überzogen, die an vielen Stellen in Lappen herabhängt. 181 Da, wo sie noch befestigt, ist sie mit Malerei bedeckt, die nach der Geschicklichkeit und Sachkenntniß, mit der sie aus" geführt, als das Werk europäischer Maler zn betrachten ist. Seit dem Frieden von Peking ist die Kirche wieder an die französischen Missionare zurückgegeben. Das eiserne Kreuz auf dem Giebel ward mit großer Solennität wieder aufgestellt, und die Einweihung in hoher Messe durch Monseigneur Moulon, Erzbischof von Peking, vollzogen. In keiner Stadt der Erde sind vielleicht so viele verschiedene Formen des Gottesdienstes vereinigt als in Peking. Hier ist die griechische und lateinische Kirche vertreten. Islamismus und Buddhismus in seinen beiden verschiedensten Formen, Rationalismus, Ahnenverehrung, Staatsreligion, Tempel, die dem Confucius gewidmet sind, und andere, in dcuen die populären Götzen des Landes verehrt werden; nur der protestantischen Form der christlichen Religion ist der Zutritt versagt. Der französische Vertrag sichert den katholischen Missionaren die ausgedehntesten Freiheiten; der englische und amerikanische Pertrag enthält Claufeln, die sich, obschon in wenig bestimmter Weise, auf diesen Punkt beziehen; allein noch ist den protestantischen Missionaren der Zutritt in Peking versagt. Es thut mir leid, sageu zu müssen, daß ein französischer protestantischer Missionar, Hr. R., gleich nach seiner Ankunft von feiten der französischen Gesandtschaft ausgewiesen wurde. Der ^Missionar, Hr. Klockerts, der beabsichtigte, mich als Dolmetscher auf der Reise nach Kiachta zu begleiten, hatte beschlossen, nachdem er dies nicht für ausführbar hielt. 182 wenigstens den Pekingdialekt zu erlernen; bald, nachdem er mit mir nach Tientsin zurückgekehrt, reiste er, wie weiter oben erwähnt, nach dem Dorfe Auht'shiawe, und lebte dort einige Wochen in der strengsten Zurückgezogenheit. Später besuchte er Peking, und führte auch hier in einem Gasthaus ein gleiches Leben, ohne öffentlich zu predigen, oder fönst irgendwo sich zu zeigen. Nach einigen Tagen ward er vom Mandarin aufgefordert, die Stadt zu verlassen. Er wendete sich an den englischen Gesandten, um Schutz zu erlangen, allein trotzdem er von einer englischen Missionsgesellschaft abgesandt war, ward ihm dieser verweigert, mit dem Bemerken, daß er als geborener Holländer keinen Anspruch auf denselben habe; wäre er aber ein englischer Unterthan, so würde er ihu ersuchen, nach Tientsin zurückzukehren. Ich kann eine so einseitige Auffassung nur bedauern und wünschen, daß in dem preußischen Vertrage die Clansel, welche alle christlichen Missionare betrifft, ebenso klar und scharf gefaßt sei als die im französischen Vertrag lediglich zn Gunsten der römischen Katholiken. An der Hauptstraße, welche die Tatareustadt in der Mitte von Osten nach Westen durchschneidet, und ungefähr halbwegs zwischen dem kaiserlichen Schloß und der westlichen Umfassungsmauer, befindet sich ein großer Tempel, in welchem die Gedächtnißtafeln von Kaifern aller frühern Dynastien aufgestellt siud, mit Ausnahme solcher, die sich durch eiue schlechte Regierung solcher Ehre unwürdig gemacht hatten. Dies erinnert an den Gebrauch der Iuden^ die schlechte Negeuten nicht in den Königsgräbern beisetzten. 183 Einmal im Jahre findet hier zu Ehren der tugendhaften Fürsten ein besonderer Gottesdienst statt. Unweit dieses Tempels und näher der Mauer sieht man eine große weiße buddhistische Dagoba, alle umliegenden Gebäude überragend, umgeben von einer sehr großen Anzahl (vielleicht 100) kleinern Säulen, und dicht dabei der sogenannte Tempel der Weißen Pagode, der seinen Namen von diesem Monument erhalten hat. Dies soll von Kublai-Khan im 13. Jahrhundert erbaut worden sein, und enthält keine geringere Reliquie als einen Schorf oder Grind von der Stirne Buddha's, erzeugt durch häufiges Niederwerfen auf den Boden, wenn er im Gebet begriffen. In der nordöstlichen Ecke der Tatarenstadt befindet sich ein großer, sehr prachtvoller Lamatempel („Tempel des ewigen Friedens") und dicht dabei das „Kwohtßkien", eine Art von Universität, verbnnden mit dem Tempel, wo eine Anzahl von Mongolen nnd Mandschuren von den Lamas unterrichtet und. zu Dolmetschern herangebildet werden. Am südlichsten Ende der chinesischen Stadt, die viele große unbebaute Plätze, Gärten und selbst Felder enthält, unweit dem mittlern Thore, von welchem eine sehr breite Straße nach dem mittlern Südthor der Tatarenstadt führt, sind zwei sehr ausgedehnte Räume von hohen Mauern umgeben. Der auf der östlichen Seite gelegene, welcher vielleicht 3 Miles im Umfang halten mag, enthält den Altar des Himmels. Der Zutritt ward mir hier versagt, allein an einigen Stellen ist Staub und Schmuz gegen die Mauer so hoch aufgehäuft, daß man leicht über dieselbe hinweg- 184 sehen kann. Der Tientcm (Altar des Himmels) besteht aus drei runden aufeinander stehenden Terrassen, jede etwa 10 Fuß hoch, aus weißem Marmor erbaut und mit Balustraden versehen. Die uuterste, breiteste mißt wahrscheinlich gegen 100 Fuß, die oberste vielleicht halb so viel. Verschiedene größere und kleinere Gebäude sind in den Gartenanlagen, die das Ganze ausfüllen, zerstreut, darunter der „Palast der Huthaltsamkrit", in welchem der Kaiser, der als ?ontifox ing,xiniu8 zur Zeit des Wintersolstitiums hier opfert, vorher ein mehrtägiges Fasten halt. Westlich von der großen Straße, gegenüber dem Tieu-tan, ist ein anderer Platz vou etwas geringerm Umfang, durch eine gleichhohe Mauer eingeschlossen, der Sinnungtan, welcher dem Kaiser Schinnnng, dem vermuthlichen Erfinder und Begründer des Ackerbaues, gewidmet ist. Hier begeht der Kaiser in jedem Frühjahr die Ceremonien des Pflügeus mit großer Feierlichkeit, in Gegenwart der höchsten Würdenträger des Reiches. Westlich von dieser Stelle ist ein künstlich angelegter Teich, „Hehlnugtan" (der Teich des schwarzen Drachens), den Geistern der Gewässer gewidmet, wo zu Zeiteu langanhaltendcr Dürre der Kaiser Opfer darbringt, um für seiu Land Regen zu erflehen. Außerhalb der Stadtmauern befinden sich noch drei Altäre, gleich denen des Himmels, von ausgedehnten Mauern umgeben. Der erste davon, der Sonne gewidmet, liegt an der Ostseite der Tatarenstadt, südlich vom Mittelthor dieser Seite. Der Altar des Mondes befindet sich in ähnlicher Weise auf der Westseite. Der Altar der 185 Erde ist in der Nähe der nordöstlichen Ecke, und dicht dabei steht noch ein sehr großer Lamatempel, mit einem dazugehörigen Kloster, das von mehreren hundert Lamas bewohnt wirb. Das Grab Schall's habe ich auf dem sogenannten portugiesischen oder Iesuitenkirchhof, einige tausend Schritt von der westlichen Stadtmauer gelegen, aufgefunden, ebenso das Grab Ricci's, Verbiest's und anderer, aus der Zahl der ersten christlichen Missionare. Ricci selbst, der als einer der ersten christlichen Priester in China durch seine Thätigkeit eine so hohe Stellung einnahm, und dessen Arbeiten so große Erfolge hatten, liegt in der nordöstlichen Ecke des Kirchhofs begraben; wahrscheinlich war er der erste, der hier bestattet wurde. Seine Grabschrift lautet: D. 0. M. P. MATTH2EUS RICCI, ITALUS MACERATENSIS. SOC. JESU. PROFESS. IN QUA VIXIT ANNOS XLII, EXPENSIS XXVIII. IN SACRA APUD SINAS EXPEDITIONS, UBI PRIMO CUM CHRI. FIDES TERTIO IAM INVEHERETUR, SOCIORUM DOMICILIA ERE-XIT TANDEM DOCTRINiE ET VIRTUTIS FAMA CELEBER OBIIT PEKINI a.c. MDCX. DIE XI. MAU mt. su^: lix. 186 Der Kirchhof bildet ein längliches Viereck, getheilt durch einen Gang, der dasselbe in seiner größten Ausdehnung, vom Eingang bis zu einem großen Altar an seinem fernsten Ende, durchschneidet. Zu beiden Seiten des Einganges befinden sich gleichfalls Altäre. Die Gräber sind in acht Reihen, von je zwölf, geordnet, von denen sechs auf der einen, sechs auf der andern Seite des Weges liegen; allein nicht alle Grabstellen sind ausgefüllt, und deshalb zählte ich nur 86 Gräber. Die meisten davon waren von gleicher Form, ein Sarkophag mit gewölbtem Dach, davor eine 8 — 9 Fuß hohe Marmortafel, die Orabschrift in lateinischer und chinesischer Sprache enthaltend, die aufrechtstehend von zwei ineinander verschlungenen Drachen bekrönt war, denn Ricci, Schall und Verbiest waren vom Kaiser zu Mandarinen des ersten Ranges ernannt worden, hatten also Ansprüche, den Drachen auf dem Grabstein zu haben, den nach ihnen alle Ordensbrüder auch für sich selbst beibehielten. Die Namen auf den Grabsteinen deuten auf verschiedene Nationalitäten; am zahlreichsten sind die Portugiesen vertreten, Spanier und Italiener ungefähr gleichviel, dann drei Deutsche und ein Böhme. Ihre Namen sind: Pater Kaspar Castner, geb. in München 1687, gest. den 9. Nov. 1709; Pater Florianus Bahr aus Schlesien, geb. 1706, gest. 1726; Pater Leopold Liebstein aus Böhmen, gest. den i^6. April 1711; und Pater Carolus Slavick aus Mähren, geb. 1706, gest. 1725. Auch einige chinesische Brüder des Ordens befinden sich 187 hier, doch beginnen die Datums auf den Grabsteinen erst gegen die Mitte des 18. Jahrhunderts. ^r. und Frau v. Bourboulon, nebst dem englischen Gesandten, veranstalteten eines Tages eine Excursion nach den Hügeln, und waren so freundlich, mich zur Theilnahme aufzuforderu. Das Ziel unsers Ausfluges war Mingouangtnng (das Entzücken des Drachens), ein etwa 15 Miles von der Stadt in den Hügeln gelegener Tempel. Der Weg dahin führte unweit des kaiserlichen Sommerpalastes Iuenmin-Imen (der Garten der Gärten) vorüber. Dieser ist am Fuße der Hügel, etwa 12 Miles von der Stadt gelegen, und nimmt einen sehr bedeutenden Flächenraum ein. Es ist eigenthümlich, wie die Franzosen, die von Tungtschan, einer Stadt, 12 Miles östlich von Peking gelegen, aus-marschirten, um am Nordthor der Stadt zu den Engländern zn stoßen, sich hierher verirren konnten, denn eine gerade Linie von Tungtschau nach Iuenminyuen gezogeu, würde mitten durch Peking führen; die Gegend nördlich davon ist offen, deshalb muß jenes Armcecorps in einem weiten Oogen und mit verschlossenen Augeu marschirt sein. Mueuminyuen ist jetzt nicht mehr für die Fremden zugänglich; die Thore find verschlossen nnd von Eunuchen bewacht, denn man will den Ort wieder zum Gebrauch des Kaisers einrichten, uud ist beschäftigt, die von den 188 Franzosen unv Engländern zerstörten Gebäude zu restau-riren. Bon den Spitzen der benachbarten Hügel hat man einen Ueberblick über den ausgedehnten Park mit seinen Kanälen, Bächen, Wasserfällen, Inselchcn nnd zahllosen Pavillons, von denen jetzt die meisten in Trümmern liegen. Die Beschreibungen dieses Palastes, die wir in den Werken der Jesuiten finden, schildern denselben als eine reizende Zusammenstellung der vollendetsten Gartenkunst und der reichsten geschmackvollsten orientalischen Architektur. Außer dem Kaiser hatten viele Große des Reiches ihre Paläste hier, denn hier herrschte eine weniger strenge Etikette als am Hofe von Peking; der Kaiser nahm an den Festen in zwangloser Weise theil, und ward statt der gewöhnlichen ceremoniösen Weise von seinen Gästen nur mit einem Kopfnicken begrüßt. Theatervorstellungen, Wasscrfahrten mit Musik, oft des Abends auf erleuchteten Gondeln, Tänze und Kt68 Hainpöti-L« fanden fast täglich statt. Inmitten eines der großen Teiche war anf einer Insel eine kleine chinesische Stadt nachgebildet; hier konnte der Kaiser, dem es nicht erlaubt war, in Wirklichkeit das Leben seines Volkes kennen zu lernen, dasselbe künstlich nachgebildet sehen. Eunuchen waren als Bürger, Kaufleute, Fischer, Mandarinen, Handwerker und selbst Bettler verkleidet; befrachtete Boote kamen an, wurden abgeladen und die Güter in Verkaufsläden feilgeboten, wo bann der Kaifer nnd fein Hofstaat die Käufer bildeten nnd durch erhöhte Preise den Kaufmann für die Bestechung entschädigten, 189 durch die er sich die Erlaubniß erkauft hatte, seine Güter hierhcrsendm zu dürfen. Verschiedene Zeitungsberichte haben beglaubigt, welche ungeheuern Reichthümer von den Truppen hier vorgefunden wurden, und dennoch glaube ich, daß diese in den zwei Tagen, während welcher sie den Palast besetzt hielten, nicht einmal den ganzen Umfang des Parkes besucht haben, so ausgedehnt ist derselbe. Der Tempel von Mingouaugtung liegt gleichfalls in einem ausgedehnten Park, der sich bis auf die Spitze der Hügel erstreckt, von denen man eine ausgedehnte Aussicht über die ungeheuere Ebene und Peking hat, das man von hier in seiner ganzen Ausdehnung überblickt. Die Luft, jetzt in der Ebene heiß und drückend (oft bis 100° F. im Schatten), war hier angenehm und leicht, der Tag einer der angenehmsten, die ich hier zugebracht. So war der erste Theil dos Juni verstrichen, und die chinesischen Behörden verweigerten noch hartnäckig die Er^ laubniß zur Neise über Land, und ohne diese konnte ich keinen mongolischen Dolmetscher noch Führer erlangen. Da ward ich eines Morgens durch den Vesuch des Hrn. v. B. und des Malers Hrn. B. überrascht, die gekommen waren, um eine Wohnung für den Gesandten zu suchen, der ihnen m einigen Tagen folgen wollte; diese ward bald gefunden und denselben Abend von uns allen bezogen. Nun schien mir mein Plan, den die Väter in Pehtang gefaßt, ausführbar. Nordöstlich von Kalgau, einer Stadt an der Großen Maucr, wo ein ziemlich bedeutender Handel zwischen China 190 und der Mongolei getrieben wird, befindet sich eine Kara>' vanserai, dieselbe, wo Pater Huc und Pater Gäbet ihre Vorbereitungen zur Reise nach Lhassa in Tibet trafen. Seit einiger Zeit ist eine katholische Mission daselbst errichtet worden, und die Missionare von Peking senden den vier oder fünf ihrer Collegen, die sich daselbst aufhalten, von Zeit zu Zeit Bücher/ Medicin und andere Sachen, deren sie benöthigt sind. Jenes Kloster liegt nördlich von der Großen Mauer; von da ist es nicht mehr schwierig, nach Kiachta zu reisen. Der Punkt, wo Reisende befragt und ihr Gepäck untersucht wird, ist ein Zollhaus, nördlich von Peking, wo Truppen stationirt sind; denn der Weg nach Ieho, wo sich der Kaiser noch aufhielt, führt hier vorüber. Man scheint starkeu Argwohn zu hegeu, daß die Fremden einen Versuch machen könnten, sich seiner Person zu bemächtigen, uud vigilirt deshalb hier besonders scharf. Die Väter von Pehtang erboten sich nun, mein gesammtes Gepäck, in chinesische Matten gehüllt, nach ihrer Filialmission zu schicken, mich und meine Begleiter mit zuverlässigen Führern zu versehen, und mich in den Stand zu setzen, auf Nebenwegen jenes Kloster zu erreichen, um dort meine Karavane zu organisiren, wo die Missionare dafür forgen wollten, daß ich die nöthigen Kameele und Führer dnrch die Wüste Gobi erlange. Da der Verfuch, wenn er fehlschlug, üble Folgen haben konnte, so wünschte ich erst mit dem Gesandten darüber zu sprechcu; jetzt, da seine Ankunft bald zu erwarten war, traf ich sogleich die nöthigen Verabredungen, um sobald als möglich weiter zu gehen. Was 191 für hoffnungsvolle Aussichten boten sich nun auf einmal; schon in den nächsten Tagen konnten wir vielleicht-Peking ebenfo ungestört erploriren, wie früher Jeddo, und wahrscheinlich mit ebenso viel Nutzen; deshalb wurden die nöthigen Arbeiten, um das Haus in wohnlichen Zustand zu versetzen, mit allem Eifer betrieben, und waren beinahe beendet, als am 27. der Gesandte uns alle nach Tientsin zurückberufen ließ. Hr. v. B. und Hr. B. befanden sich schon am selben Abend unterwegs; ich selbst konnte meines vielen Gepäckes halber erst am nächsten Morgen folgen. Wir waren jetzt im heißesten Monat, mehrmals hatte in Peking das Thermometer im Schatten nnd der Zugluft ausgesetzt um Mittag auf 100" F. gestanden; in meinem Zimmer, das nach Süden gelegen und schlecht vcntilirt war, sogar auf Nö°. Sachtler sowol als ich, als wir auf dem Kirchthnrm von Pehtang oas Panorama aufnahmen, und uns den ganzen Tag der heißen Sonne ausgesetzt befanden, waren erkrankt und bettlägerig gewefen. Außer Sachtler und meinen chinesischen Dienern war noch ein Seesoldat und ein Cheese mit den beiden andern Herren gekommen; und um alle diese Leute nicht unnöthig zu exponiren, reiste ich über Mng-tschan, schickte Leute und Gepäck zu Wasser nach Tientsin, und ging allein zu Pferde voraus. Von Peking bis Tung-tschan ist die Entfermmg etwa 12 Miles; ein Kanal, der aber nur etwa 1 — 2 Fuß Wasser hat, führt von den Maueru Pekings bis einige hnndert Schritt von Peiho, wo die Güter, die in großen Dschunken bis hierher kommen, 192 in kleine Boote eingeladen und nach der Hauptstadt geführt werden.. Es scheint viel Verkehr auf dieser Linie zu herrschen, denn ich begegnete häufig schwerbeladenen Booten, von denen die meisten Ballen baumwollener Stoffe enthielten; es scheint, als ob ein ganz außerordentlich großer Absatz dieses Artikels stattfinde. Außer dem Kanal führt noch eine mit großen Steintafeln gepflasterte Straße von Peking nach Tungtfchau. Letztere Stadt ist vielleicht etwas kleiner als Tientsin, hat aber mehrere ansehnliche Gebäude, darunter eine schöne Pagode, und der Handelsverkehr ist hier jedenfalls nicht unbedeutend. Des Umweges halber, und wegen des durch das Miethen des Bootes nnd der Verladung verursachten Aufenthaltes, konnte ich am selben Abend nur Tchantshia-wang erreichen, brach aber am nächsten Morgen um 2 Uhr auf, und langte am selben Abend ? Uhr in Tientsin an. Da jetzt die Reise über Peking nach Kiachta außer aller Frage stand, der Sommer aber schon weit vorgerückt war, so hatte ich durchaus keine Zeit zu verlieren, wenn ich Sibirien noch in diesem Jahre, vig. Nikolajewst, erreichen wollte. Ich ersuchte den Gesandten, mich durch das Transportschiff „Elbe" nach Nikolajewsk, Castciesbai, oder einem andern Hafen der sibirischen Küste bringen zu lassen, wo dann mittels der vom Major Hytrowo, Adjutanten des Generalgonverneurs von Ostsibirien, General Murawiew zugesagten Hülfe ich hoffen durfte, meinen Weg ungestört fortzusetzen. Die Antwort lautete, daß das Schiff nicht 193 entbehrt werden könnte. Ich bedauerte, daß durch dessen langen Aufenthalt (die Gesandtschaft schiffte sich erst im September ein) nicht einmal eins der Schiffe jene Küsten besuchen konnte, nach denen sich seit knrzem die Aufmerksamkeit der Handelswelt lenkt, und daß ich genöthigt war, die Fahrt auf einem Kauffahrteischiff zu versuchen, oder im besten Fall auf einem russischen Kriegsschiff. Die Reisekosten wurden dadurch erheblich erhöht; von d?n 1500 Thlrn., die mir zur Verfügung standen und genügt hätten, um von Peking nach Berlin zu reisen, oder von Nikola-jewsk aus den Amurftuß zu exploriren, war durch den Aufenthalt in Peking und die kostspielige, jetzt meist überflüssig gewordene Ausrüstung au Pferden :c. :c., fchon viel verausgabt; dennoch ließ ich mich dadurch nicht abschrecken, sondern bot alle mir zu Gebote stehenden Mittel auf, um meinen Verpflichtungen gegen die preußische Ncgieruug nachzukommen. Glücklicherweise fand ich bei der Ankunft in Tientsin, daß die englische Brigg „Imogen" für Nan-gasaki klarirt hatte; so engagirte ich ohne weiteres Passage, und langte am Morgen des 4. in Taku an, wohin das Gepäck zu Boot vorausgegangen. Das Schiff lag auf der Nhcde 6 Miles vom Lande, und heftige Südwinde erlaubten uns nicht, vor dem Abend des 5. auszulaufcu, wo wir danu, der eintretenden Flut halber, wieder 6 Stunden an der Barre zu ankern hatten. Am Morgen des li. kam ich an Bord. Am 7. segelte die „Imogen". Wir hatten bis zum 24. Juli fortwährend südliche Winde, gegen die Heine, Weltreise. II. 13 194 wir ankreuzen mußten; das Schiff war nur in Ballast, fegelte folglich nicht gut beim Winde, und da wir an der Küste von Korea auch noch eine heftige Gegenströmung, und in der Nähe von Alceste Island zwei Tage Windstille hatten, fo langten wir erst am 24. in Nangafaki an. Ich glaubte mit ziemlicher Bestimmtheit darauf rechneu zu können, von hier eine Passage nach dem Amur auf einem russischen Kriegsschiff zu finden, denn bisher waren diese häufig zwischen beiden Häfen gesegelt, uud im vergangenen Februar lagen sieben russische Schiffe verschiedener Größe hier vor Anker. Jetzt war kein einziges da, die russische Flagge vor dem Marinehospital wehte nicht mehr, alles Personal war eingeschifft worden. Als Grnnd wurde ein Angriff der Nüssen auf die Insel Tsusima angegeben, die, so sagt man, von ihnen in Besitz genommen worden sei und wo jetzt alle Schiffe concentrirt waren, denn man beabsichtigte eine Flottenstation daselbst zu errichten. Ob diese Nachricht in ihrer ganzen Ausdehnung begründet, läßt sich schwer bestimmen, doch ist es sehr möglich, daß dem so sei. Tsusima liegt in der Mitte der Straße von Korea, 34° nördl. Br. und 129° östl. L. von Greenwich, beherrscht die Straße vollkommen und enthält mehrere ganz vortreffliche Häfen. Ein Dampfer der Amurcomvagnic, der bis jetzt auf dem Uaugtsekiang gefahren, sollte im Juli nach Norden gehen; derselbe war bereits vor 14 Tagen in Nangasaki gewesen und nach Molajewst gegangen; es scheint, als ob kein anderer Weg mehr bleibt, als auf dem englischen 195 Kanonenboot „Algerine", das am nächsten Morgen nach Jeddo abgehen sollte, Passage zu nehmen und zu versuchen, von dort Hakodabe zu erreichen, von wo eine regelmäßige Verbindung mit Nikolajewsk offen gehalten wird, sl. ange die Flußmündung eisfrei ist. 13 XXII. Vergebliche Versuche Nikolajewsk zu erreichen. Nach Vokuhama. Angriff auf die englische Gesandtschaft in Ueddo. Unsicherheit und Wirren. Die Fregatte „Actä'on". Westküste der Bai von 3)eddu. Bai von Susaki. Fischfang. Neue Wirren. Reise des „Actäon" unterbrochen. Rückkehr nach Uotnhama. Eine japa-nische Rauferei. Kamakura. Nach St. Francisco. Ihrer Majestät Fregatte „Actäon", 15. Aug. 1W1. Am 25. Juli verließ das englische Kanonenboot „Alge-rine" Nangasaki, und das vom Commandanten, Lieutenant F. W. Hallowes, gemachte Anerbieten benutzend, befand ich mich als Passagier an Bord. Am 26. passirten wir die Vandlemensstraße und Cap Tschitschakow, behielten günstigen Wind nnd helles Wetter, und unter Segel und Dampf ward die Passage in fünf Tagen vollendet, sodaß wir am 30. vor Vokuhama ankerten. Hier waren die Fremden wieder durch neue Feindseligkeiten der Japaner beunruhigt worden, Hr. Nlcock, der englische Gesandte, genöthigt, nach Hongkong zu reisen, um dort bei dem neuen Proceß, den der wegen Verwundung 197 eines Japaners bestrafte Hr. Moß beim Appellationsgericht in Hongkong gegen ihn anhängig gemacht, sich zn vertheidigen. Hr. Alcock kehrte über Nangasaki zurück und von da zu Land, wobei er Miuco und Osacca besuchte. Wenige Tage nach seiner Rückkehr nach Mddo ward das Gesandtschaftshotel in der Nacht von einer Anzahl Be^ waffneter angegriffen, deren Lärm die Aufmerksamkeit der Wache auf sich lenkte, während die andern durch den Garten in das Haus eilten und in dasselbe eindrangen. Glücklicherweise verfehlten sie den Weg nach Hrn. Alcock's Schlafzimmer und den an dasselbe stoßenden Salon, wo der größte Theil des Personals versammelt war. In einem Seitenzimmer aber trafen sie auf Hru. Oliphant, den Legationssecretär, deu sie in der Schulter und Hand verwundeten. Einer der andern Herren befand sich in der Nähe und eilte, mit einem Revolver bewaffnet, herbei. Seine Schüsse verwundeten einen oder mehrere der Angreifer, und da jetzt die Wache herbeieilte, ergriffen diese die Flucht. Mehrere wurden jetzt von der Wache verwundet, entkamen jedoch; vier aber sahen sich so in die Enge getrieben, daß Flucht unmöglich war; drei davon versuchten durch die Harratirri (Bauchaufschueiden) sich den Tod zu geben, zweien gelang es, der dritte ward gefangen genommen, ebenso ein vierter, der schwer verwundet den Wachen in die Hände fiel. Beide leben noch und haben die Namen ihrer Mitverschworenen angegeben, die das Gerücht wieder als Vasallen des fremdenfemdlichen Prinzen Mito bezeichnet. 198 Hr. Oliphant, früher Privatsecretär Lord Elgin's während seiner Mission nach China und Japan, und Verfasser des bekannten Werkes über diese Expedition, war erst vor kurzem angekommen, um die Stelle als Legationssecretär anzutreten, wird nun genöthigt sein, bald nach England zurückzukehren, seine verwundete Hand aber wahrscheinlich verkrüppelt bleiben. Die Bewegungen der englischen Schiffe sind durch diesen Vorfall gleichfalls beeinflußt worden, und ein Kanonenboot, das im Anfang August nach Hakobadi segeln sollte, ist jetzt in Jeddo zurückgehalten; andere Schiffe werden in den nächsten Monaten nicht dahin abgehen; so wird es ganz unmöglich, Nikolajewsk vor An-bruch des Winters zu erreichen, und meine Rückkehr nach Berlin auf diesem Wege erweist sich in diesem Jahre als unausführbar. Ich begann, Erkundigungen einzuziehen, auf welchem Wege ich das preußische Expeditionsgeschwader am besten uud sichersten erreichen könne, als sich Aussichten eröffneten, dies unter sehr günstigen Umständen zu thun, dabei aber zugleich sehr interessante Arbeiten vorzunehmen. Kapitän I. W. Ward von Ihrer Majestät Fregatte „Actäon" befehligt ein englisches Vermessungsgeschwader, das seit füuf Jahren an den Küsten Chinas und Japans stationirt uud jetzt nach England zurückkehren wird, vorher aber noch eine vorbereitende Vermessung der Küsten zwischen der Bai von Modo und Nangasaki vornehmen, zugleich auch deu östlichen Eingang der Suwonada mit dem Hafen von Osacca re-cognosciren wird. Kapitän Ward forderte mich auf, an 199 dieser Arbeit theilzunehmen, und ich uahm diese Einladung um so lieber an, da mir auf diese Weise nicht nur Gelegenheit geboten ward, einen wenig bekannten Theil der Küste Iapaus kennen zu lernen und interessante Arbeiten vorzunehmen, sondern es mir leicht möglich sein würde, unbestimmte Nachrichten über eiu Wrack, das, so sagten die Japaner, vor kurzem an einem wenig besuchten Theil von Kiusiu gefunden sei, auf bestimmtere Form zurückzuführen. Es war in jener Gegend, wo wir den Schooner „Frauenlob" außer Sicht verloren; nicht die geringste Spur ist seit jener Zeit von Schiff uud Mannschaft aufgefunden worden, und kann auch die Hoffnung, einen unserer wackern Kameraden unter den Lebenden zu erwarten, nur äußerst gering sein, so würde ich das Auffinden eines Theils vom Wrack, aus dem sich das Schiff ideutificiren läßt, schon als ein befriedigendes Resultat betrachten, das wenigstens jener peinlichen Ungewißheit ein Ende macht, in der alle sich jetzt über das Schicksal des Schooners, seiner Offiziere und Mannschaften befinden. Am 11. schiffte ich mich mit meinem Begleiter Sachtler ein. Der „Actäon" ist eine alte Fregatte zweiten Ranges, die für 60 Kanonen eingerichtet war, von diesen sind jedoch 10 demontirt, und in der Batterie hat man bei den so erledigten Geschützscharteu Kammern für die verschiedenen Supernumeraroffiziere errichtet, welche die Vermessung ausführen. Wie sich leicht vorstellen läßt, war der Raum in dem nicht sehr großen Schiffe äußerst beschränkt, dennoch fand mau es möglich, mich, Sachtler und mein nicht uu- 200 bedeutendes Gepäck unterzubringen, und Kapitän Ward, bei dem ich wohnte und in Menage war, trat mir außerdem noch einen Theil feiner Kajüte ab, um darin zu arbeiten. Ich fühle mich Kapitän Ward und sämmtlichen Offizieren des „Acta'on" sowie Lieutenant F. W. Hallowcs und den Offizieren der „Algerine" zu großem Dank verpflichtet für die cordiale, gastliche Aufnahme, die sie mir an Bord ihrer Schiffe zu Theil werden ließen. Kapitän Ward mit seinem Vermesstmgsgcschwadcr, schon seit dem Jahre 1857 an den Küsten von China und Japan stationirt, hatte den nordwestlichen Theil von Jezzo, Nippon, Saghalicn, Korea, das Gelbe Meer, die Provinz Shantung, die Insel Tsusima und den Archipelagus von Westjapan iu der Nähe von Nangasaki vermessen. Da bei verschiedenen Gelegenheiten die japanischen Proviuzialbeamtcn den Fortgang der Vcrmessungsarbeiten durch Erhebung von Schwierigkeiten gehindert hatten, so waren jetzt an Bord eines jeden Schiffes zwei kaiserliche Beamte nebst einem Dolmetscher stationirt, am Vormast aber zeigte man die japanische Flagge (eine rothe Scheibe in weißem Felde). Die Arbeiten begannen am Cap Kamifaki, unweit der Stadt Uraga, wo eine Sandbank (Larntoz», spit) am östlichen Ufer der Bai von Mddo sich bis innerhalb 1 Mile vom westlichen Ufer erstreckt, wovon in der amerikanischen Vermessung nur das westliche Ende locirt ist. Dein Lauf dieser Untiefe bis ans östliche Ufer folgend, ward die Vermessung dann nach Cap Susaki weitergeführt und hier ankern wir seit gestern in einer wohlgeschützten, mäßig großen 201 Bai in 15 Faden Wasser mit einem Boden von Schlamm und Kies gemischt. Als man die zur Vermessung nöthigen Landstationen erreichte und Theodoliten nnd andere Instrumente aufstellen wollte, erhoben die japanischen Beamten Einwendungen. Dieser Theil der Küste, sagten sie, gehöre zum Territorium des Prinzen Mito, der eiue feiudselige Stellung gegen die kaiserliche Regierung angenommen; infolge dessen hielten sie es nicht für rathsam, zu landen, um nicht möglicherweise nene Mishelligkeiten zu erregen, die unter obwaltenden Umständen besser vermieden würden. Schließlich kam man dahin übereiu, daß zwei kleine in der Bai gelegene Inseln als Laudungsstationen benutzt werden sollten, und so konnten wir an sehr angenehmen Stellen landen und wandeln, war auch der Raum, auf dem wir uns bewegten, ein sehr beschränkter. Die Insel nächst der Stelle, wo der „Actäou" ankerte, war ungefähr 500 Schritt lang und 300 breit, felsig nnd theilweise mit einer reichen, halbtropischen Vegetation bedeckt. Schöne große alte Bäume beschatteten kleine, von Gebüschen eingeschlossene begraste Stellen, an der Westseite aber genoß man von einer etwa 60 Schritt langen, aus großen Steinen erbauten Terrasse eine schöne Aussicht über die Bai und die gegenüberliegende Küste. Zwischen den Felsblöckcn des Ufers waren kleine, mit weißem Sande gefüllte Stellen, wo man mit Bequemlichkeit baden oder nach Muscheln suchen konnte. Letzteres Vergnügen bildete hauptsächlich die Beschäftigung des Dr. Adams, des bekannten Zoologen, der schon unter Kapitän E. Belcher in der englischen Sloop „Sulphur" au 202 der Expedition des Indischen Archipelagus, Chinas und Koreas 1835—39 theilgenommen, später mehrmals diese Station besuchte, und jetzt als Arzt des „Actäon" seine Forschungen weiter verfolgte. Hr. H., Botaniker, war feit geraumer Zeit mit Hrn. Fortune in China gereist, um Samen und lebende Pflanzen für die Gärten von Kew zu sammeln. In gleicher Absicht hatte er jetzt Japan besucht, und befand sich nun an Bord des „Actäon", nm nach beendigter Vermessung in dem Schiffe nach England heimzukehren. Kapitän Ward hatte auf dem Quarterdeck ein Miniatnrgewächshans für Hrn. H. bauen lasfen, das vom Stern des Schiffes bis an den Vesanmast reichte, und der Botaniker war emsig beschäftigt, dasselbe mit Pflanzen zu fülleu. Es ist herzerfrischend, zu sehen, wenu unter solchen Umständen ein Kriegsschiff lediglich als Mittel zum Zweck benutzt und dadurch der Zweck selbst vollkommen erreicht wird. Die Bai von Susaki ist außerordentlich fischreich; Hunderte von Booten sind täglich damit beschäftigt, Netze, die oft 2 Miles lang sind, auszuwerfen oder die gewonnene Bente in großen kugelförmigen Körben, die dann oft, 10— 12 in einev Reihe, von mehreren Booten ins Schlepfttan genommen werden, um sie nach den größern Ortschaften an den Ufern drr Bai von Ueddo zu Markt zu bringen. Die vorerwähnte Felseninsel scheint ein besonders günstiger Platz, um das Netz zu landen, und bildet dann den Schauplatz einer sehr belebten Scene. Männer, Frauen und oft auch Kinder, manmal 50—60 an der Zahl, ver- 203 sammeln sich dann an der Wcstspihe, wo unter der großen Terrasse das sandige Ufer eine passende Stelle bildet. Der Umfang des ungehenern Netzes wird dnrch leere auf dem Wasser schwimmende Fässer bezeichnet, die, in Intervallen von etwa 100 Schritt am obern Ende des Netzes befestigt, dasselbe schwimmend halten. Von beiden Enden ist ein Tau nach dem Ufer gebracht, das, von der versammelten Menge ergriffen, unier Schreien, Lachen und allerlei Kurzweil eingezogen wird. Jedes Mitglied dieses piscatorischen Clubs ist zu diesem Zweck mit eiuem Joch versehen, bestehend aus einem breiten Stück Holz, an dessen beiden Enden Stricke befestigt sind, die in einer Entfernung von 6 Fuß sich in einem einzigen 6 Fuß langen vereinigen, an dessen Ende ein Stückchen Knochen befestigt ist. Schlägt man mit diesem Elide auf das große Seil des Netzes, so bringt seine eigene Schwungkraft dasselbe auf den Strick des Joches zurück und bildet, diesen umwindend, einen Knoten, der, je mehr daran gezogen, immer fester wird, sich aber sogleich löst, sobald der darauf geübte Drnck nachläßt. Nuu folgt eine Zeit der größten Hast. Jeder zerrt nnd zieht, als ob von seinen persönlichen Anstrengungen ganz allein der Erfolg des Fischzuges abhinge, befestigt das Ende seiner Jochleine an das Tau, läuft, soweit es ihm das Terrain erlaubt, macht sich los nnd kehrt schnell ans Ufer zurück, um sich von neuem anzuspannen, bis endlich das Netz einen Halbkreis von etwa 10s) Schritt im Durchmesser beschreibt, dessen bewegte Oberfläche zeigt, daß der so eingeschlossene Raum eine reiche Beute von Bewohnern der salzigen Tiefe ein- 204 schließt. Die Boote, welche früher das Netz auswarfen, sind jetzt am äußern Nande desselben versammelt nnd viele Hände beschäftigt, die gemachte Beute mit Handnetzen zu fangen und in die vorerwähnten großen Körbe zn verschließen, die, kugelförmig etwa ss Fuß im Durchmesser mit einer etwa 2 Fuß großen Oeffnung und verschließbarem Deckel versehen, von jedem Boot im Wasser nachgeschleppt werden, um dann, an einer gesicherten Stelle geankert, die gefangenen Fische so lange aufzubewahren, bis sich Gelegen^ heit bietet, dieselben zu Markt zu bringen. Die Ufer, welche die Bai von Susaki umschließen, sind hügelig und höher als das westliche Ufer der Bai von Aeddo. Ein Theil davon ist bis zum Gipfel mit fruchtbaren Feldern bebaut, zwischen denen hier und da kleine Gehölze stehen geblieben sind; die beträchtlichern Höhen, von denen einige bis zu 1500 Fuß reichen, sind entweder bewaldet oder an einigen Stellen felsig. Die drei großen Ortschaften an der Bai zählen anscheinend eine jede mehrere tausend Einwohner und gleichen im ganzen allen übrigen Küstenstädten und Dörfern Japans. Die gewohnten Reihen von strohbedeckten Häusern mit Papierfenstern, unterbrochen von solider gebauten Vorrathshäusern, deren Ziegeldächer und weißgetiinchte Wände die Monotonie mildern, und hier und da ein kleinerer oder größerer Tempel mit Glockcnhaus :c. :c. Die Bewohner waren so friedfertig als in irgendeinem Theile Japans. Das Schiff war von früh bis Abend mit Booten umgebeu, gefüllt mit alt und jung, neugierig die fremde Erscheinung betrachtend. 205 Die meisten gehörten den untern Klassen an. Die Beamten, nachdem sie dem an Bord befindlichen kaiserlichen College« einen ceremoniellen Besuch abgestattet, ließen sich nicht mehr sehen. Die kaiserlichen Behörden hatten Kaftitän Ward eine Generalkarte von Japan zur Verfügung gestellt, die nicht wie die gewöhnlichen Karten Japans, mehr in Bezug auf die dichtere oder weniger zahlreiche Bevölkerung gezeichnet, sondern vermittels eines ausgedehnten Triangulirungs-systems nach den gewöhnlichen geographischen Grundsätzen construirt war. Unter den Hauptpunkten war besonders der große Vulkan Fusiyama hervorragend, von und nach welchem eine große Anzahl von Winkeln genommen war. Uotuhama, 6. Sept. 1W1. Der „Actaou" hatte mehrere Tage in der Bai von Susaki gelegen, die Vermessung war beinahe beendigt, und Kapitän Ward dachte daran, in den nächsten Tagen nach Ohosima, der großen, vor dem Eingang der Bai von Jeddo gelegenen Insel, zu segeln, um den Meridian derselben zu bestimmen und vielleicht den darauf befindlichen activen Vulkau zu besteigen, als plötzlich das Kanonenboot „Ringdove", dessen Besanmast das Pennaut von Admiral Hope trug, in Sicht kam und das Signal gab, „Kapitän 206 des «Actäon" solle an Bord des Flaggenschiffes, kommen". Als dieser zurückkehrte, erfuhren wir, daß neue Mishellig-keiten in Iebdo vorgefallen seien, ein nächtlicher Angriff auf die amerikanische Gesandtschaft stattgefunden habe, daß der Minister der auswärtigen Angelegenheiten den Admiral ersucht habe, keine Ansichten Photographiren zu lassen, und daß infolge dessen das Bermessuugsgeschwader bis auf weiteres die Bai von Jeddo nicht verlassen sollte. Unter diesen Umständen war es vollkommen unnütz, länger an Bord zu bleiben, und so kehrte ich im Kanonenboot „Leven", Lieutenant C,, nach Aokuhama zurück, dort zu warten, bis sich Gelegenheit zur Weiterreise fände. Den auf diese Weise verursachten Aufenthalt benutzte ich, in der Umgegend mancherlei Aufnahmen zu machen, die in vergangenem Winter aus Mangel an Gelegenheit nnterbleiben mußten. So ward noch einmal der Tempel von Daisin in der Nähe von Kawasaki besucht, um die dort gemachten Arbeiten zu ergänzen. Auf der Straße, die dahin führt, hatte im vergangenen Jahre der Sturm einen der dieselbe säumenden großen Bäume umgeworfen, man hatte denselben später weggeschafft und auch den Stumpf mit den größern Wurzeln ausgegraben, wobei man auf einen gewaltigen Stein gestoßen, den die Wurzeln umfaßten. Später, als man > unweit von dieser Stelle eine baufällig gewordene Brücke wiederherstellen wollte, gedachte man den hier gefundenen Stein im Fundament zu verwenden; als man denselben aber wegnahm, zeigte^es sich, daß er die Decke eines Grabes bildete. ^In fiesem fand man 207 ein wohlerhaltenes Skelct, an dessen Seite zwei Schwerter lagen, deren größeres beinahe 4 Fuß lang, und zwei Spiegel, von denen der eine zerbrochen. Nachforschungen über den Ursprung dieses Grabes haben sich bisher fruchtlos erwiesen. Niemand der Bewohner aus den umliegenden Ortschaften scheint Kenntniß von dem Vorhandensein des Grabes zu haben, keine Inschrift deutet an, wer hier ohne Grabstein unter einer mehrere hundert Jahre alten Eiche begraben war. Am Nachmittag dieses Ausfluges war ich am Flußufer beschäftigt, die Fahrboote mit ihrer bunteu Menge von Reisenden zu skizziren, und Sachtler hatte das Instrument aufgestellt, um einige Aufnahmen zu macheu. Die Landstraße war ungewöhnlich belebt, denn die Zeit der alljährlichen Pilgerfahrten nach dem Fusiyama nahte sich ihrcm Ende und die Pilger der nördlichen Provinzen kehrten nach ihrer Heimat zurück. Ein Beamter des Prinzen von Satzuma mit einem zahlreichen Gefolge ließ sich übersetzen, und da so alle Fährboote von ihm benutzt wurden, sammelte sich eine dichte Menge am gegenüberliegenden Ufer. Plötzlich entstand unter diesem Menschenknäuel ein Gedränge, Stimmen streitender Personen wurden laut, Schwerter blitzten in der Sonne, und in wenigen Augenblicken hatte sich eine animirte Rauferei entwickelt. Wie sich später herausstellte, hatten die Leute des Prinzen von Satzuma mit den Bootsleuten sich über den Betrag des Fährgeldes entzweit, von Worten war es zu Schlägen gekommen, und ein Theil des Publikums hatte für die Bootsleute Partei 308 ergrissen. Man ging sich mit solchen Waffen, wie sie eben zur Hand waren, zu Leibe; die Gerüste eines im Bau begriffenen Hauses wurden schnell demolirt und die 15—> 20 Fuß langen Stangen flogen in allen Richtungen umher, entweder etwaigen Flüchtlingen den Weg zu versperren oder wurden, von starken Armen geschwungen, mit gutem Willen auf die Köpfe der Streitenden niedergebracht. Ein großer Theil der so beschäftigten Personen schien neutrale Gesinnungen zu hegen, denn fie hieben mit der größten Unparteilichkeit nach allen Seiten um sich. Es war eine ani-mirte Scene. Die Streitenden wogten entweder in einem dichten Knäuel auf und nieder oder jagten sich in kleinen Gruppen durch die Felder. Stolperte einer und siel zu Boden, so waren auf der Stelle einige andere über ihn her, um ihn zu entwaffnen; kam eine der langen Stangen mit Wucht auf seinen Schädel nieder, so fiel cr hin, um nicht gleich wieder aufzustehen. Es war dabei sehr beruhigend für uns unbetheiligte Zuschauer, den Fluß zwischen uns und dem interessirten Theil des Publikums zu wissen. Hätte der Vorfall auf dem diesseitigen Ufer stattgefunden, so hätte vielleicht einer der Neutralen seine Unparteilichkeit bis auf uns ausgedehnt, in welchem Falle wir vielleicht mit weniger Vlut heimgekehrt wären, als wir am Morgen mitgenommen hatten. Die kaiserlichen Beamten und ihr Gefolge am südlichen Flußufer saßen mit großer Gemüthsruhe in ihrem Wachthaus, rauchten und tranken Thee; das gegenüberliegende Ufer gehörte nicht zu ihrem District, folglich brauchten sie 209 keine Notiz von dem Vorfall zu nehmen. Es hatte, wie sich später erwies, drei Todte und eine Anzahl Verwundeter gegeben. Ein anderer Ausflug war nach Kamakura gerichtet, an der Ostseite der Bai von Wodowara, unweit vom Mace-doniareef gelegen. Um dahin zu gelangen, folgt man dem weiten Thal, an dessen Mündung Yokuhama liegt, bis an das obere Ende, etwa 5 Miles entfernt, von wo sich dcr Weg durch einige kleine Schluchten und über eine Reihe von Hügeln windet. Von dem einige hundert Fuß hohen Gipfel des bedeutendsten derselben hat man eine schone Aussicht über Mississippibai und Goldsborough-inlet, Zwei^ gen des großen Golfs von Deddo, deren obere Enden man bald darauf passirt. Die heißesten Stunden des Tages vermeidend, waren ich und Hr. Wilson mit Sachtler um 4 Uhr nachmittags aufgebrochen und gelangten gegen Sonnenuntergang an diese Stelle; die sanft anschwellenden Hügel mit den im üppigsten Grün prangenden Thälern, die weitgedehntc Wasserfläche dcr Bai mit ihren vielen Buchten, Inseln, Flußchen und Bächen, die in dieselbe mündeten; die vielen Segel der Dschunken und Fischerboote, welche über die leichten Wellen hinsegelten, und der majestätische Konus des Fusiyama waren mit einem sanften rosigen Licht übergössen. Das Dörfchen Kanagawa, in welchem wir die Nacht zuzubringen gedachten, lag beinahe zu unsern Füßen, da aber der Weg des steilen Abhanges halber mit vielen Krümmungen in das Thal führte, so a,e- Hrin?, Weltreise. II, - 14 210 langten wir erft mit Einbruch der Nacht in das Gasthaus. Dieses letztere war geräumig und, wie fast in allen andern Orten, reinlich. Man bereitete aus den mitgebrachten Vorräthen ein gutes Abendbrot, zu dem Eier, Gurkensalat, Melonen und ein Teller des sehr beliebten Ohsassimi kam. Dieses Gericht wlrd aus verschiedenen Arten von Fischen bereitet, die einen sehr fleischigen, fetten Rücken haben müssen. Am besten eignen sich Lachs und Seeforelle dazu. Sobald der Fisch aus dem Wasser genommen, schneidet man den fleischigen Theil des Rückens in einem langen Streifen ab, das so erhaltene Fleisch ist vollkommen blutfrei, wird ein wenig geklopft, in sehr feine dünne Scheiben zerschnitten und dann mit Sago gegessen, in die man etwas geriebenen Meerrettich mischt. Der Geschmack ähnelt dem der Austern sehr, und man kann sich so gut an dieses Gericht gewöhnen, daß man Neigung fühlt, em Ich-thyophage zu werden; wo immer die Nähe der See Gelegenheit bot, diese Speise zu bereiten, benutzte man dieselbe auf das eifrigste. Es geschieht nur selten, daß Fremde diese Gegend besuchen, seltener, daß sie über Nacht dableiben, und so hatte sich ein großer Haufe Neugieriger in und um das Gasthaus versammelt. Diese wurden mit einem bengalischen Feuer amusirt, zu dem ich auf diesen Excurstonen Präparate mit mir führte, um im Fall einer nächtlichen Beunruhigung sogleich genügend helles Licht zu haben. Die bei der preußischen Marine gebräuchlichen Signallichter oder Fackelfeuer eignen sich vortrefflich dazu; schlägt man das an 211 einem Ende befindliche Zündhütchen auf einen harten Gegenstand, so fängt der Zündstoff sogleich und man hat in weniger Zeit als nöthig ist, eine Kerze anzuzünden, genügen^ des Licht, um im Umkreis von 50 — 100 Schritt deutlich sehen zu können. Das Feuer brennt etwa 10 Minuten, und kein Reisender, der einem nächtlichen Ueberfall ausgesetzt ist, sollte ohne diese Lichter fein. Im gegenwärtigen Fall war die versammelte Menge höchlich damit amusirt, später schössen wir alle unsere Revolver ab, um dieselben neu zu laden, und dies demonstrate zugleich, daß wir wohl bewaffnet waren. Man breitete baumwollene Steppdecken auf den Boden des obern Stockwerts, eiu großes Mosquitonetz von 12 Fuß im Quadrat ward ausgefpannt, und fo auf comfortable Weise untergebracht, schliefen alle, bis der Anbruch des nächsten Morgens uns zum Aufbruch mahnte. Der Isthmus zwischen Kanagawa und Kamakura ist an dieser Stelle nur 7 Miles breit; da ich aber wünschte, daß die Arbeiten der Photographen begonnen würden, sobald die Sonne hoch genug stände (in jetziger Jahreszeit ungefähr um 8 Uhr) und die große Hitze es rathfam machte, um diese Zeit im Schatten zu sein, so ward aufgebrochen, sobald es hell genug war, den Weg zu sehen. Die Fütterung der Pferde und Menschen schoben wir bis zur Ankunft in Kamakura auf, wo ein geräumiges Gasthaus erstern gutes Heu und Bohnen, die Nähe der See den letztern ein reichliches Gericht von Ohsassimi versprach; Hr. H. aus 14* 212 Schanghai, der uns bis hierher in einem Tragsessel be gleitet, ging jedoch nicht weiter, sondern kehrte nach Doku-hama zurück. Jeddo ward erst unter der gegenwärtigen Dynastie, deren Gründer Ieje-Iasu war, gegen Ende des 16. Jahrhunderts znr Hauptstadt des Landes erhoben; Taikosama, der Gründer der vorhergehenden Dynastie, benutzte Osacca als Residenz, allem zu Zeiten Joritomo's im 12. Jahrhundert war Kamakura der Sitz der kaiserlichen Regierung. Da die Häuser der Japaner zu allen Zeiten aus ebenso leichtem Material gebaut waren wie in unsern Tagen, so sind die Tempel, Portale, Brücken und Wege die einzigen Spuren, welche darauf hindeuten, daß früher eine große, volkreiche Stadt hier stand. Statt der Wohnungen von Tausenden, die sich einst hier aufhielten, decken jetzt Waldungen die Hügel, Felder die Thäler, die eine malerische Umgebung für die pittoresken alten Bauwerke bilden. Die Zahl der Tempel und Mias ist außerordentlich groß und über einen weiten Flächenraum verbreitet. Die letzten derselben stehen dicht bei Kanagawa. Um jene Zeit scheint es Gebrauch gewesen zu sein, die Begräbnißplätze in Felsen an den Seiten der Hügel auszuhauen, und in allen Richtungen findet man derartige Höhlen, meist jedoch offen und ohne Monument oder Inschrift, gewöhnlich viereckig mit einer Erhöhung an einer Seite, ähnlich den Gräbern, wie sie noch heute in den Linkiumseln gebräuchlich sind. Hat man Kanagawa etwa 2 Miles hinter sich, so pas-sirt man ein enges Dc'file, etwa W Fuß tief in dcn Kamm 213 eines Hügels gehauen. Hohe mächtige alte Bäume schließen den Anblick des Himmels und die Sonnenstrahlen beinahe gänzlich aus, die felsigen Seiten sind mit Strauchwerk, Moos und Schlingpflanzen bedeckt; ein dünner Strahl reinen kühlen Wassers rinnt von der Höhe herab in ein kleines künstlich ausgehöhltes Felsenbassin, und alles machte diesen Ort in den heißen Sommertagen zu einer willkommenen Ruhestätte für den Reisenden. Speculation hat sich dieser günstigen Gelegenheit bemächtigt, einige Reihen Sitze sind unter einem an den Felsen gelehnten Strohdach angebracht und eine alte Fran, in Gesellschaft von einer ditto jüngern, hat hier eine jener ambulanten Küchen errichtet, wie man sie in Japan so oft an den Landstraßen findet, um den Reisenden mit Thee, etwas Backwerk oder, wie sich Kämpfer ansdrückt, „auch mit einem stärkenden Sitpplein" zu erfrischen. In ein anderes nach Westen sich senkendes Thal hinabsteigend, das sich allmählich erweitert, gelangt man etwa auf halbem Wege nach Kamatura an zwei sehr alte Kiefern von merkwürdig verschrobener Form. Eine Brücke führt über den kleinen Bach, der hier seinen Weg in die Bai von Wodowara fucht, und eine Allee endet am Fnß einer steinernen Treppe, an deren oberm Ende ein kleiner Tempel steht. In einer Einzäunung dicht dabei befindet sich das Grab Moritomo's, beschattet von gewaltigen alten Eypressen. Der Zutritt zu demselben ist den Fremden nicht gestattet, und selbst nicht alle Japaner dürfen die Umzäunung betreten; die Umgebung läßt nicht darauf schließen, daß das 214 Grab des großen Kriegers wesentlich von dem seiner Zeitgenossen verschieden sei. Etwa 3--4 Miles weiter öffnet sich das Thal zu einer Weite von etwas über 1 Mile, eine gewaltige Tempelanlage mit einer thurmartigen Pagode wird sichtbar und eine Anzahl von einfachen Häusern bildet einige Straßen — der ganze Ueberrest der einst so glänzenden Hauptstadt. Das bedeutendste Bauwerk in Kamakura ist der große Hatshüman, an der Seite eines von Norden nach Süden abgeflachten Hügels liegend, dessen drei große terrassenartig übereinander liegende Portale an beiden Seiten von Ausläufern der hinter ihnen befindlichen Anhöhe umschlossen werden. Hier, so sagt man, wohnte Joritomo. Eine etwa 50 Schritt breite Straße, von beiden Seiten von gewaltigen alten Kiefern eingesäumt, „Kitokaido" oder Heerstraße benannt, führt vom Meeresufer in nördlicher Richtung nach dem Haupteingang, zwei gewaltige, aus Granit erbaute Portale stehen eins am östlichen Ende, das andere in der Mitte derselben. Diese bestehen aus zwei Säulen mit einem Querstück darüber, das Ganze von einem aus einem einzigen Steine gebildeten Dach überragt; die Säulen, ungefähr W Fuß hoch, messen am dicksten Ende nur 18 Zoll im Durchmesser, das Querstück, etwa 15 Fuß lang, mißt 9 X 12". Ein drittes etwas kleineres Portal steht am nördlichen Ende dieser Straße, die hier auf eine Länge von etwa 300 Schritt an beiden Seiten mit Häusern besetzt ist. Eine Querstraße und ein großer Teich, ganz mit Lotos' pflanzen gefüllt, trennen hier die Tempelgründe von der 215 Ortschaft, eine große steinerne Brücke führt über den schmalsten Theil desselben, auf die Axen der Heerstraße gebaut; diese wird jedoch nur von Personen hohen Ranges benutzt, dicht dabei ist eine kleinere für geringere Leute. Man scheint hier nach demselben Princip gehandelt zu haben wie jener Irländer, der unten in sein Scheunenthor ein Loch gemacht hatte, damit feine Katze durchtriechen konnte, als aber diese Junge bekam, schnitt er noch ein zweites kleineres Loch daneben, daß die Kätzlein auch durchkriechen konnten. Einige Stufen führen nun zu einem großen hölzernen Portal, dessen beide Seitenhallen von Statuen grimmiger Krieger mit Bogen und Pfeilen in den Händen bewacht werden. Der große Hof, den man nun betritt, enthält sechs Tempel oder Kapellen, von denen fünf von der gewöhnlichen viereckigen Grundform, der sechste, in der linken Ecke befindliche kleinste, achteckig ist und zwei Stockwerke, von einem spitzen Dach überragt, enthält. In der andern Ecke, rechts vom Eingang, steht ein großes, hohes, thurmartiges Gebäude, Ohara genannt, dicht dabei das nun fehlende Glockenhaus. Diese Art Bauwerke habe ich in mehreren der bedeutender»: Tempel gefuuden, wo sie eine ähnliche Bedeutung zu haben scheinen wie die Wihara in den buddhistischen Tempeln Ceylons und Indiens, uud da der Buddhismus selbst in Japan wesentliche Modifications erlitten hat, so scheint es nicht unmöglich, daß Ohara von Wihara abgeleitet ist. Die Nordfeite dieses Hofes nimmt ein etwa 30 Fuß 216 hohes Parapet ein, in dessen Mitte eine gewaltige 50 Fuß breite Freitreppe nach dem höhergelegenen zweiten Hofe, das Sanctuarium enthaltend, führt. Das Mauerwert dieser und anderer Terrassen in Kamatnra ist nicht wie derartige Werke in Ueddo lind Nangasati aus polygonisch geformten Blöcken gebaut, sondern die dazu verwendeten gewaltigen Quadersteine sind eutweder rechtwinkelig zuge> hauen oder an einigen Stellen in regelmäßige Sechsecke ge-sormt. An den beiden südlichen Ecken dieser obersten Terrassen stehen zwei kleine Kapellen, rechts neben dem Treppenaufgang aber befinden sich drei große Steinblöcke, die Michfalls im Geruch großer Heiligkeit zu stehen scheinen; sie sind beinahe ebenso glatt geküßt als der in dem untern Hofe befindliche mystische Felsblock. Die zwei großen Tempel in der Mitte dieser Terrasse sind mit einer Reihe niedriger Gebäude umgeben und der Eingang zu diesem letzten iunern Hofe war verschlossen. Die beiden Statuen über dem dazuführenden Portal trugeu die zu Zeiten Vori-tomo's übliche Kleidung nnd Kopfputz und hielten in den Händen Bogen und Pfeile. Sämmtliche Tempel und Kapellen waren verschlossen und schienen nur selten, bei gewissen Gelegenheiten, geöffnet zu werden. Ein anderer, in nordwestlicher Richtung 1 Mile entfernt gelegener Tempel war, so sagte man uns, seit 200 Jahren geschlossen. Er war dem Kriegsgott gewidmet und wird nur in Kriegszeiten geöffnet. Diese letztere Tempelanlage bot einen ganz eigenthümlichen düstern Anblick. Der erste von einem steinernen Parapet umgebene 217 Hof war mit Kies bedeckt, ohne die sonst üblichen Anlagen von Gras und Blumen. Reihen gewaltiger alter Cypressen, längs der Umfassung gepflanzt, erregten eine ernste Stimmung. Das große Portal war geschlossen, und erst nach langem Parlamentiren ließ uns der Pförtner durch ein kleines Seitenvsörtchen ein. Cm großer, mehrere hundert Schritt langer Raum war mitunter nur mit ungeheuern Cypressen beschattet, deren knorrige Aeste und Stämme wunderliche groteske Formen zeigten. Die innern Portale und Tempelgebäude waren ans Holz mit gewaltigen Strohdächern geformt, allein weder Farben noch Vergoldung verzierten das kalte monotone Grau, mit welchem die Zeit dieselben bekleidet. Die Pfade waren mit großen Quadersteinen belegt, die Abflüsse des Regenwassers in steinerne Rinnen geleitet; alles kalt, abgemessen nnd ernst. An einer düstern schattigen Stelle war eine Qnelle in ein großes bronzenes Bassin gefaßt, den Kelch einer Lotosblume darstellend, in deren Mitte daö Wasser emporquoll und dann langsam und lautlos über die grünen Seiten nach unten träufelte. Der einzige versöhnende Zng in diesem unheimlichen Bilde war ein kleiner, hinter den Wohnungen der Priester gelegener Garten, und selbst dieser athmete einen leisen Hauch von Melancholie, denn die kleine sonnige Stelle war rings von gewaltigen dunkeln Cypresfen nm-schlossen und die zarten rosenfarbigen Tinten der Lotosblumen spiegelten sich in der dunkeln Fläche eines unheimlichen kleinen Teiches ab. Etwa eine halbe Mile weiter, in der Nähe eines kleinen 218 Tempels, war eine Stelle zur Verbrennung der Todten. In einem großen Sandsteinfelsen hatte man eine Menge kleiner Kapellen ausgehöhlt; anscheinend ohne bestimmten Plan, waren sie nebeneinander und in mehreren Stockwerken übereinander unregelmäßig vertheilt, durch gleichfalls in den Felsen gehöhlte Treppen miteinander verbunden. Die unterste Höhle war die größte von allen, und in einer Ecke derselben standen eine Anzahl Oefen, in dencn die Verbrennung der Leichen stattfindet. Cine Mile in südöstlicher Richtung von Hatshüman, am Ende eines kleinen Seitenthales, befindet sich eine Kolossalstatue des Buddha, hier als Mikosi Kanti (Erhabener Gott) oder Taiho (Großer Weiser) bezeichnet. Wie überall ist der Gott in sitzender Stellung mit untergeschlagenen Beinen, das Haupt nachdenkend vornüber geneigt, dargestellt. Die Figur mißt, exclusive des Piedestals, 30 Fuß, ist aus Bronze gegossen und hohl; der Raum im Innern enthält eine Kapelle. Dieses Standbild ist an Größe das zweite in Japan, ein anderes gleichgeformtes in Miako mißt 60 Fuß, beide sind jedoch nicht aus Einem Stück gegossen, fondern aus Sectionen von je 5 Fuß Höhe zusammengesetzt. Es ist in der gelehrten Controverse über die Existenz des Kolosses von Rhodus viel über die Möglichkeit gesprochen worden, eine Metallstatue herzustellen, deren Fußzehe so groß wie ein Manu sei, unter deren gespreizten Beinen eine Galere mit aufgerichtetem Mast durchfahren könnte. Wäre gegenwärtiges Standbild in stehender Stellung, so würde es über 50 Fuß messen, das Gegenstück in Miako 219 aber über 100, was genügend demonstrirt, daß so große Figuren nicht nur eristiren konnten, sondern thatsächlich noch bestehen. Folgt man dem Meeresufer in westlicher Richtung, ungefähr 4 Miles weiter, so gelangt man an die kleine Insel Inosima, ein anderer sehr populärer Wallfahrtsort, denn in den von den Wellen ausgewaschenen Felsenhöhlen der Westseite befindet sich eine berühmte Kapelle des Gottes der Fluten, dem außerdem hier noch mehrere Tempel gewidmet sind. Die Pilger der nördlichen Provinzen wählen bei ihrer Rückkehr vom Fusiyama gewöhnlich diese Straße, um alle diese Wallfahrtsorte zu besuchen, und eben jetzt kamen sie täglich in zahlreichen Scharen vorübergezogen. Ich hielt mich mehrere Tage hier auf; ein großes Gasthaus, dicht am Eingang des Hatfhüman gelegen, bot gutes Quartier und Verpflegung für uns alle, die interessantesten Gegenstände skizzirte ich oder ließ dieselben Photographiren, und ich würde gern längere Zeit hier geblieben sein, hätten nicht einige unangenehme Vorfälle gezeigt, daß besonders unter den Priestern nicht überall eine freundliche Stimmung gegen die Fremden herrschte. An einigen Orten begnügte man sich, uns den Zutritt zu den Tempeln zu verweigern. Diese Schwierigkeiten wurden meist durch ein Geschenk oder etwas besänftigendes Getränk befeitigt, bei zwei Gelegenheiten aber war die Kundgebung unfreundlicher Dispositionen ernsterer Art. Das eine mal, als wir früh am Morgen nach dem Tempel des Kriegsgottes ritten, um dort den Tag über zu arbeiten, wurden wir von einem Priester 220 mit einer Flut von Schimpfworten überschüttet. Der gute Mann saß im obern Stockwerk, umgeben von junger Damenwelt, und war des süßen Weines voll. Er gesti-culirte und schrie auf die animirteste Weise und machte sich ohne alle Veranlassung sehr roth im Gesicht. Wir nahmen alles, was er sagte, als Complimente auf und dankten ihm höflich dafür, was die Lacher auf unsere Seite brachte. Das zweite mal ward der Fall bedenklicher. Wir lehrten von einem Ausflug nach Inosima zurück und waren auf dem Wege nach dem großen Buddhabilde, wo am Nachmittag gearbeitet werden sollte. Ich besuchte Kamakura noch ein zweites mal, bei Gelegenheit einer Pickenickpartie, von einer Anzahl der in Aokuhama residirenden Amerikaner zu Ehren von Mrs. H,, Frau des Missionars Dr. H., gegeben, die bald nach Amerika zurückzukehren gedachte. Wir hatten unsere Pferde am Tage vorher nach Kauagawa vorausgeschickt, da wir bis dahin in Barken zu fahren gedachten, und waren schon um 4 Uhr des Morgens unterwegs. Lieutenant Bullock nahm uns mit seinem Kanonenboot, die „Dove", ins Schlepptau, und so waren wir schon um 7 Uhr in Kana-gawa. Hier hatten die gleichfalls am Tage vorher abgeschickten Köche ein gutes Frühstück aufgetischt, welchem volle Gerechtigkeit wurde. 221 Nachdem alle Hoffnung verschwunden, noch eine Passage nach Nikolajewsk zu erlangen, war auch dieses Jahr so weit verflossen, daß die Zeit der Teifuns herangerückt war, in der Passagen von Iaftan nach China nur selten erlangt werden können; außerdem war mir unbekannt, wo sich das Expeditionsgeschwader zur Zeit aufhielt, und so hielt ich es für zweckmäßig, iu dem amerikanischen Schiff „Carrington" Passage nach San-Francisco zu nehmen und von da über Land nach Neuyork zu reisen, von wo ich nach Berlin zurückzukehren gedachte. Vorher schiffte ich alle schwere Bagage an Bord der „Eloise" nach London ein, mit welcher mein Begleiter Sachtler direct segelte. Am 17. verließen wir Yokuhama und segeln jetzt mit günstigem Winde über den Stillen Ocean. XXIII. Von San-Francisco mit der Ueberlandpost. Sacramento. Die Ueberlaubftost. Placerville. Wege, Pferde, Kut-scher und Kutsche. Getränke. Frühstück in Strawberry. Die Bergstraße. Carsonvalley. Carsoncity. Rivalität der verschiedenen Städte im Territorium. Ein Agent. Neue Reisegefährten. Eine Nacht in Virginiacity. Fort Churchhill. Californifche Dragoner. Die Gebirgsöde. Salzfelder. Große Trockenheit. Poststationen. Faustrecht und seine Folgen. Indianer. Saltlakevalley. Am 20. Oct. abends verließ ich die Küste des Stillen Oceans, die ich eben von Jokuhama in 26 Tagen erreicht hatte, um von Sacramentocity aus über das Felsengebirge nach Neuyork und Deutschland zu reisen. Bis Sacramentocity fährt ein Flußdampfer, elegant und bequem wie fast alle derartigen Fahrzeuge in Amerika, mit einer bunten Menge gemischter Gesellschaft als Passagiere besetzt. Meine Wiederkehr ins transatlantische Adop-tivvaterland ward sogleich beim Beginn der Ueberlandrei.se auf passende Weise gefeiert. Auf dem Wege vom Ufer nach dem Hotel (wir kamen in der Morgendämmerung an) ward 223 mir meine Reisetasche mit zwei Uhren und einer Summe Gelb gestohlen. Ich machte sogleich der Polizei Anzeige und bot eine gute Belohnung für Wiederauffindung des Eigenthums. Schsn am Abend brachte man mir die Reise-tasche wieder, die unweit des Ufers hinter einem Schuppen gefunden worden; Geld und Uhren jedoch waren nicht mehr in derselben. Zum Glück hatte ich einen Theil meines Reisegeldes in der Tasche, ebenso einen werthvollen Taschenchronometer, den mir Prof. Lepsius für die Reise geliehen; hätte ich letztern auch noch eingebüßt, so wäre mein Verlust in der That unersetzlich gewesen, denn Lepsius hatte denselben während seiner Expedition nach Aegypten geführt, ihn später an Dr. Barth geliehen, der ihn mit nach Afrika genommen und wieder heimgebracht, und jetzt war er unter meiner Obhut. Sacramento gleich Francisco zeigt nur wenige Spuren seiner frühern Außenseite, und die Ueberreste von Sutters-fort sind beinahe die einzigen Landmarken aus alten Zeiten. Der fruchtbare, ergiebige Boden des Thales ist fast überall urbar gemacht, und die alljährlichen reichen Ernten ermöglichen eine beträchtliche Ausfuhr von Cerealien. Von Sacramento bis Placerville bietet die Gegend wenig Interessantes. Bis Folsone gelangt man auf der Eisenbahn, die erste und bis jetzt einzige in California, der Anfang jenes großen Schienenweges, der vielleicht in nicht zu langer Zeit die beiden Küsten dieses weiten Continents verbinden wird. In Folsone verläßt man die 224 Bahn, und von da geht es weiter mit Wagen und Pferden. Der Preis von Sacramento bis nach St.-Ioseph in Missouri beträgt 150 Dollars, incl. 25 Pfd. Gepäck; Ueberfracht ward mit 1 Dollar pr. Pfd. bezahlt. Für Verköstigung muß ein jeder selbst Sorge tragen. Im Durchschnitt kann man einmal, oft auch zweimal des Tages, während des Pferdewechscls, eine Mahlzeit erlangen, die nach Befinden der Umstände mit I^-I V« Dollar bezahlt wird. In den höchsten Regionen der Felfengebirge besteht dieselbe oft nm aus Speck, hartem Brot uud dünnem Kaffee; bis Carsoncity in der Sierra-Nevada jedoch sind gutes Fleisch, Wildvret aller Art, Gemüse, Früchte, fast überall zu haben. Bis dahin fährt man in einer geräumigen, gepolsterten Postkutsche, mit Sitzen für neun Personen, die später gegen einen sehr leichten Nagen, mit einem leichten Zeltdach, vertauscht wird. Der Anfang der Reise bot keine besondern Schwierigkeiten. Wir waren nur vier Passagiere, Hr. A. aus Neu-York, der im selben Schiff von Aeddo gekommen war und der gleichfalls nach Neuyork reiste, sowie zwei Residenten von Carsoncity, ziemlich gebildete Leute, mit denen es sich gut verkehren ließ. Infolge des schönen milden Wetters, im Herbst dieser Regionen, waren die Straßen in gutem Zustand, und die vier großen kräftigen Pferde trabten munter und schnell über das sanft anschwellende Hügelland. Der ro'thliche Lehmboden deutet überall auf das Vorhandensem von Goldsand, nud jedes Flüßchen, jeder Bach wird, so oft es das Terrain gestattet, in kleineu Kanälen abge- 225 leitet, um das kostbare Metall auszuwaschen. Die Niederungen zwischen den Hügeln sind nach jeder Richtung hin aufgewühlt und Goldwäscher aller Nationen, unter denen die Chinesen bei weitem am zahlreichsten vertreten sind, bringen den kostbaren Schlamm nach den Waschtrögen, wo die erdigen Theile sich absondern und alle fließenden Gewässer dick und schmuzig machen, während das Gold zu Boden sinkt und von Zeit zu Zeit gesammelt wird. Gegen Mittag erreichten wir Placerville 50 Miles von Sacramento. Dieser Ort, von jetzt etwa 500 Häusern, liegt am Ausgang eines engen Thales von hohen steilen Bergen umgeben. Der kleine ebene Theil, von einem Bach durchschnitten, auf dessen beiden Ufern der Ort liegt, war früher eine der ergiebigsten Wäschereien, und kaum 1 Fuß breit Boden existirt, der nicht mehrmals umgewühlt worden ist. Die Felsen enthalten verschiedene goldreiche Ouarz-adern, mehr als eine Compagnie hat hier Mühleu errichtet und bringt die Erze auf bergmännische Weise aus. Bald nachdem man Placerville verläßt, gelangt man in die allerursvrüuglichsten Zustände. Die Bevölkerung trägt hier schon sehr das Gepräge jener Abenteuerlichkeit, die noch vor wenigen Jahren in ganz California herrschte. Lange Züge von Maulthieren kamen mit Erz beladen nach der Stadt, wo dasselbe an die Compagnien zu weiterer Ausbeutung verkauft wird, oder verlassen dieselbe, mit allerhand Vorräthen beladen, die nach den höhergelegenen Bergwerken und Wäschereien der Sierra-Nevada gesendet Heine, Weltreise. II. 15 226 werden. Vaqueros in ihren bunten Sevapas, mit großen klirrenden spanischen Sporen an den Füßen, die lange Machete im Stiefel, treiben Heerden von Schlachtvieh, Pferden oder Maulthieren nach den Städten der Niederungen ; Indianer bringen Wild zu Markte und gelegentlich begegnet man den Ochsenwagen der Emigranten, die im Frühjahr das Ufer des Missouri verlassen, und jetzt nach langer beschwerlicher Reise das Ziel ihrer Pilgerfahrt erreichen. In der Neuzeit war die Emigration über Land bis Califormen weniger zahlreich als in den Jahren 1847—50. Die meisten Auswanderer bleiben in den Districten Utah, Nevada oder Colorado; viele auch siedeln sich an passenden Orten längs der großen Heerstraße an, wo sie ihr Heu, Korn und Fleisch zu guten Preisen an andere noch auf der Reise befindliche Familien verkaufen. Nach wenigen Jahren fchon wird der größte Theil jener Regionen von einer Reihe von Ansiedelungen durchkreuzt werden, von denen sich dann die wachsende Bevölkerung rechts und links weiter ausbreitet. Das Gespann bestand hier und bei weitern Stationen meist aus halbwilden Pferden, von denen manche noch nie vorher eingespannt gewesen waren. Die Passagiere nahmen ihre Sitze ein, ehe die Pferde aus dem Stall kamen. Diese erschienen dann, ein jedes von zwei Mann geführt, die sie durch allerhand listige Manöver zu bewegen suchten, sich einspannen zu lassen. Nach Besiegung von allerhand Widerspenstigkeit, Ausschlageu und Beißen von feiten der 227 aufrührerischen Vierfüßler ist dies endlich vollbracht, der Kutscher nimmt seinen Sitz, ergreift die Zügel, sucht sein Gespann durch einige kräftige «^Vlioa,, ^Vkoa!» zu besänftigen, warnt die Passagiere «(F6nti6m.6n, »ts^ä/», ruft dann den dienstbaren Geistern, die sich an die Köpfe der Pferde gehängt haben, sein «1st zo« (laßt los) zu, und dahin geht's, Gott geb's gnädig! Von Placerville windet sich die Straße meist durch enge Thalschluchten, oder am Rande steiler Abhänge hinlaufend, bergauf, bergab. Der schmelzende Schnee und die Regengüsse des Frühjahrs haben an vielen Stellen das Erdreich weggewaschen, und große Felsbrocken machen die Straße sehr uneben. Einen Hemmschuh anzulegen fällt dem Kutscher selten ein, mir wenigstens ist kein derartiger Fall vorgekommen; im Galop geht es den einen Abhang hinab, den andern hinauf; Kutscher und Conducteur, in den meisten Fällen sich häusig mit coviöfen Dosen von Whisky stärkend, regen beständig die halbwilden Pferde durch Schreien und Jauchzen noch mehr auf, und die Passagiere, sich mit beiden Händen festhaltend, werden bald auf die eine, bald auf die andere Seite geworfen, oder stoßen mit den Köpfen gegeneinander oder gegen die Decke. Zieht man noch in Betracht, daß die Brücken aus rohen Baumstämmen, welche über die, die Straße kreuzenden Bäche oder kleinen Schluchten führen, oft morsch und schadhaft sind, daß manchmal Bäume, vom Winde umgeweht, über den Weg gefallen, oder Felsbrocken von Höhen herab in denselben gerollt sind, oder, 15* 228 daß es vielleicht einigen spaßhaften Gesellen eingefallen ist, den natürlichen Hindernissen noch ein künstliches zuzufügen, um den Passagieren eine unschuldige Ueberraschung zu bereiten, so kann man sich leicht vorstellen, in welch angenehmer Aufregung mau sich fortwährend befindet, und mit welchem Interesse man bei solchen scharfen Biegungen, um die der Wagen herumgeschleudert wird, zu berechneu sucht, ob es blos einige Beulen und Stöße abgibt, ob der Wagen gegen einen Baumstamm oder Felsblock rennen, oder vielleicht in das Thal hinabrollcn wird. Schlaf ist unter solchen Umständen natürlich selteu möglich; der Herr aber erbarmt sich der Unschuldigen uud der Betrunkenen, und so gelangten wir, mit Ausnahme obbesagter Beulen, unbeschädigt über die Höhen der Sierra^ Nevada. Auf den Stationen zwischen Placerville und Carsoncity gibt es noch überall, außer ziemlich guten Nahrungsmitteln, auch andere Erfrischungen, vortreffliche Milch, californischen Wein, der dort in großen Quantitäten und ziemlich gut erzeugt wird, Bier und den unvermeidlichen Whisky. Je weiter man sich von der Küste des Pacifico entferut, desto seltener werden die erstgenannten Getränke, bis zuletzt nur noch der „Unvermeidliche" in einsamer Größe prangt. Da der Transport meist sehr schwierig ist, folglich die Waaren sehr vertheuert, sodaß die Gallone Whisky, die in Sau» Francisco mit 1 Dollar bezahlt worden ist, in Carsoncity 5 kostet uud weiterhin noch mehr, so sind erfinderische Geister auf den Einfall gekommen, diefen einträglichen Handelsartikel in conccntrirter Form einzuführen. 229 Der stärkste Alkohol wird mit Strychnin, Tabacköl und ein wenig Vitriol oder Cayennepfeffer, um Hautgout zu geben, versetzt, und dann mit einer entsprechenden Quantität Wasser verdünnt, um das Gemisch ausgiebiger zu machen. Diese vortrefflichen gesundheitsbeförderndon Mischungen werden dann von der Volksstimme, je nachdem sie mehr oder weniger effectiv befunden werden, mit mancherlei unschuldigen, passenden Namen belegt. Die erste Klasse ist: «I^inFerinß niisyr^» oder langsames Elend. Es soll Leute gegeben haben, die dasselbe mehrere Monate lang genossen haben und sich noch unter den Lebenden befunden. Nr. 2 wird «InZtant^nkou« ä^atli« oder augenblicklicher Tod genannt. Nur wenige bevorzugte Männer überleben, nach erfolgtem Genuß, den nächsten Tag. Die dritte und be^ rühmteste Sorte ist der sogenannte «I^iüe» oder Büchsenwhisky. Er tödtet auf 100 Schritt sicher. Letztere Klasse ist besonders in den Bergwerksbezirken des Nevadaterritoriums schr beliebt. Viele behaupten, daß das Wasser durch die dort fast überall reichlich vorhandenen Kupfer-, Blei-, Zinnober- oder Arsenikerze vergiftet sei; um diese schädlichen Einflüsse zu neutralisiren, mischen viele in einen Iheelöffel Wasser eine halbe Pinte von besagtem Getränk, und haben so die Genugthuung, das Gift in einer andern Form einzunehmen. Am 22. bei Tagesanbruch langten wir in Strawberry an. Ein Dutzend Häuser, in einer geräumigen Thalebene gelegen, bilden diesen Ort, in dessen Mitte die laugen Hallen des „Hotels", von einem großen umzäunten Hof 230 umgeben, stehen. Da hier in den benachbarten Thälern viel Heu geerntet wird, so bildet der Ort einen bequemen Haltepunkt für die Maulthiertreiber, die hier, besonders im Spätherbst, Winter und Frühjahr, ihren ermüdeten und halbverhungerten Thieren einige Nuhe gönnen. Im Hotel hatten mehr als hundert Personen die Nacht zugebracht, meist in ihre Decken gewickelt auf dem Boden liegend, und diese verwirrte Masse begann jetzt, sich wieder in einzelne Individuen aufzulösen, die gähnend und sich streckend aufstanden, entweder einen guteu Platz am gewaltigen Kamin suchten, denn in diesen höhern Regionen waren die Nächte bereits empfindlich kalt, oder die ihr Blut auf chemischem Wege zu erwärmen suchten, durch Genuß einer halben Pinte der obenerwähnten Herzstärkungen. Der langanhaltenden Trockenheit halber waren die Straßen sehr staubig; Hr. A. und ich waren unerschütterliche Anhänger der Reinlichkeitsgrundsätze und hatten uns einer großen Wasferbutte bemächtigt; der Conducteur gab uns den wohlgemeinten Rath, auf der Weiterreise dergleichen Ablutionen zu unterlassen, dahingegen Gesicht und Hände mit Fett einzureihen. Drei Tage später hatten wir beide Ursache, zu bereuen, diesen Rath nicht sogleich befolgt zu haben; in der kalten, trockenen Luft war die Haut an Gesicht und Händen aufgerissen, der feine alkalienhaltige Staub, der bald, nachdem man Carsoncity verlassen, sehr lästig ward, machte die Rauheit der Haut entzündlich, Gesicht und Hände schwollen auf, schmerzten, und blieben so mehrere Wochen. Der Frühstückstifch war gut und reichlich besetzt, in der 231 That war es die letzte gute Mahlzelt, die wir genossen, bis Saltlakecity erreicht war;^ da aber die Anzahl hungeriger Magen dreimal größer war als die der Plätze am Tisch, so erforderte es einen nicht geringen Grad von Gewandtheit, sich des nöthigen Quantums von Speisen zu versichern, und des Schreiens: ?or!c anä ds^uä naiwr! (Koikes waiter! LLsksttzHk vaitsr! 8a.u83ß68 vv^itor! llam anä oggs >va,iwr! ?ot9.w68 ^ait6r! Hc. (Schweinefleisch- und Erbsen-Aufwärter! Kaffee-, Beefsteak-, Bratwurst-, Schinken- und Eier-, Kartoffel-Aufwärter) war gar kein Ende. Die Mahlzeit ward ohne großen Zeitverlust beseitigt und weiter ging die Reise. Die Gegend bietet wenig Abwechselung, Wald und wieder Wald, vom Morgen bis zum Abend und vom Abend bis zum Morgen, selten eine kleine Lichtung oder ein freier Blick über Thalgründe und die sie umschlingenden Höhenzüge. Die Vegetation dieses Theils der Westküste vou Amerika unterscheidet sich wesentlich von den Urwäldern der östlichen Staaten und des Mississippithales. Die gewaltigen, nicht zu dicht stehenden Eypressen, Tannen und Kiefern der weniger häufigen Laubhölzer, haben meist hohe, gerade Stämme, die Aeste fangen erst in beträchtlicher Höhe vom Boden an, und da nur selten Unterholz oder Gebüsch vorkommt, so entsteht jene domartige Wölbung, wie sie in so vielen Waldungen Deutschlands zu finden ist. Dieser an Culturforsten erinnernde Charakter wirb noch erhöht durch die sorgfältige Benutzung des Holzes und die 232 Vorsichtsmaßregeln, welche getroffen sind, um der Verwüstung oder Zerstörung dieser gewaltigen, werthvollen Waldungen vorzubeugen. Oestlich von der Sierra-Nevada sind die Gebirgszüge größtentheils kahl, die meisten Thalgründe unbewaldet, viele derselben aber culturfähig und besonders zur Viehzucht wohl geeignet. Das zu Gebäuden, Einzäunungen :c. :c. nöthige Holz wird nur meist den östlichen Hängen der Sierra-Nevada entnommen, und einzelne Individuen sowol als Gesellschaften haben bedeutende Waldstrecken aufgekauft. Während man in den östlichen Staaten den Urwald ausrottet und verbrennt, um Raum für den Feldbau zu gewinnen, friedigt man hier die Waldungen ein, um das unter diesen Umständen so werthvolle Holz zu schützen. So sieht man denn während vieler Meilen Breterzäune längs der Straße hinlaufen, denn die holzverschwenderische sogenannte virginische Kmi-lsnn zu bauen, die aus gespaltenen, kreuzweise übereinander gelegten Stämmen besteht, ist man hier schon zu sparsam geworden. Da, wo ein Gebirgsbach die nöthige Wasserkraft erzeugt, findet man Sägemühlen; da aber in diesen Regionen während vieler Monate große Trockenheit herrscht, so hat man seine Zuflucht zum Dampf genommen, und verschiedene Mühlen werden durch diesen getrieben. Um die zu den so ausgedehnten Umfriedigungen nöthigen Breter gleich an Ort und Stelle zn fägen, hat man kleine Dampfmaschinen auf einen Wagen befestigt, die, an der gewünschten Lokalität angelangt, mit einer daneben aufgestellten sogenannten Circularsäge in Verbindung gebracht, dieselbe treiben, und 233 hat so das gewünschte Resultat in vollkommenster Weise erreicht. Ungefähr 120 Miles von Sacramento hat man dcn Rand des großen Thales (Carsonvalley) erreicht, in dessen Mitte Carsoncity liegt. 2000 Fuß tiefer und fast zu unsern Füßen dehnten sich die reichen üppigen Weidengründe meilenbreit und mit zahlreichen Rinderheerden, anscheinend nicht größer als Ameisen, bedeckt, aus. Jenseits thürmtcn sich wieder gewaltige Gebirgszüge, von höhern schneebedeckten Gipfeln überragt, bis weit hinaus, wo sie sich in blauer klarer Ferne verloren. Hat man viele der bedeutendsten Gebirge der Erde gesehen, so ist man vielleicht geneigt, den Alpen den Preis zuzuerkennen; ich selbst halte auch jene wunderbaren gewaltigen Urformen für das Großartigste, Schönste, Unvergeßlichste, das ich je gesehen, und kein anderes Naturbild hat jene im frühesten Mannesalter empfangenen Eindrücke verwischen können; dennoch muß ich aber diesen Blick über die Sierra-Nevada als außerordentlich schön, großartig und erhebend bezeichnen. Es fehlt diesen Gebirgen der wildromantische Charakter der Alpen, das hellschimmernde Eis, die zackige Form der Gletscher, die erdrückend üppige Vegetation der Cordilleren, denn die Con-touren bestehen in langen geschweiften Linien; allein die Massen sind so gewaltig, die Formen so nngeformt, die Dimensionen so ausgedehnt, daß der Anblick das Herz groß macht. In den meisten großartigen Gebirgen dringt sich ein Gefühl der Abgeschlossenheit auf; die gewaltigen starren 234 Blöcke bilden scharfe, anscheinend unübersteigbare Grenzen, und nur das Bewußtsein, daß jenseit derselben auch Menschen wohnen, fühlen und denken, leitet die Gedanken in die Ferne. Hier ist es nicht so. Obschon die Grenzen gewaltig und erdrückend sind, schweift das Auge über dieselben hinweg, hinaus in die Ferne, wo Gebirgszug über Gebirgszug sich ausdehnt, mit tiefen Thälern und gewaltigen Hochebenen, bis weit, weit draußen alles im blauen Aether verschmilzt. Die Straße, welche hinab in das Thal führt, gibt an Kühnheit der Conception und Ausführung jener über den Simplon, den St.-Gotthard oder die Via-Mala nicht viel nach. Die Terrainschwierigkeiten sind hier nicht so bedeutend, es ist genug Raum vorhanden, um die geneigten Ebenen lang und mäßig steil zu machen; Felsen brauchten selten gesprengt zu werden, Tunnel waren gar nicht nöthig und Brücken selten; allein man bedenke, daß diese Straße inmitten einer Oede erbaut wurde, daß die dazu nöthigen Arbeitskräfte dem sehr dünn bevölkerten Staat Californien entnommen, wo immer noch das Goldsieber herrschte, und daß alle Lebensbedürfnisse für diefe Arbeitermenge von der Küste des Stillen Oceans über das ganze Gebirge gebracht werden mußten. Die Straße ist an den meisten Stellen 50 Fuß breit, und an den Stellen, wo eine jähe Wendung stattfindet, noch breiter; unser Rosselenter aber hatte sich mit einer Extraquantität Whisky begeistert, und so ging es bergab in sausendem Galop, daß die Haare allmählich eine nach 235 oben strebende Stellung annahmen. Das Gespann waren Mustangs aus Neumerico, noch wenig an das Geschirr gewöhnt, und hatten die liebenswürdige Eigenthümlichkeit, daß, wenn man das lachende Gebell der Cojotes (Prairie-Wölfe) nachmachte, sie große Neigung zum Durchgehen zeigten. Damit amusirte sich dann unser Herr Kutscher fortwährend und mit besonderer Vorliebe an Stellen, wo schroffe Wendungen stattfanden, und so schwebten wir in angenehmer Ungewißheit, ob wir zunächst nach Carson-valley oder ohne Umweg in die Ewigkeit gelangen würden. Letzteres fand vorläufig noch nicht statt, sondern wir trafen zuvörderst in Genoa ein, eine Ansiedelung, die bei ihrer Begründung große Hoffnungen erregte, jetzt aber von der vortheilhafter gelegenen Carsoncity überflügelt war. Gegenwärtig wird Genoa von einigen hundert Personen bewohnt, die entweder Verkaufsläden verwalten, in denen Getränke den Hauptbestandtheil ausmacheu, oder in den Sägemühlen der Nachbarschaft arbeiten. Die hier etwa 15 Miles am Fuß der Gebirge sich hinwindende Straße ist theils sandig, theils aus Stcingeröll bestehend, und der Sand scheint sich über die ganze Fläche des Thales zu erstrecken. Das schöne üppige Gras, das darüber gewachsen, erhält seine Hauptnahrung und Düngung jedenfalls durch die beim Schmelzen auf den Gebirgen erzeugte theilweise Ueberschwemmung im Frühjahr und den durch die Mitte sich windenden Carsonriver. Carsoncity zählt jetzt vielleicht 1500 Einwohner, und 236 rühmt sich einer ziemlich großen Anzahl ganz civilisirt aussehender Häuser, denn nur etwa 1 Mile vom Fuß der Hügel gelegen war das zum Bau der Häuser nöthige Holz mit Leichtigkeit zu beschaffen, und so sind ein Hotel von ziemlich grosien Dimensionen und mehrere größere oder kleinere Wohngebäude oder Geschäftslokale entstanden. Außerdem ist jetzt hier der Regierungssitz des Territoriums Nevada, der ihm für lange Zeit von einer andern Ansiedelung, Virgmiacity, streitig gemacht wurde. Der Federkrieg Mischen den Bewohnern beider anstrebenden Städte in den daselbst erscheinenden Zeitungen (je eine für eine Stadt), wo die eigenen Ansprüche und gebotenen Vortheile möglichst glänzend geschildert, das Unglück aber und das Verderben, das dem ganzen Territorium drohe, wenn dem Gegner der Preis zuerkannt würde, in ebenso graphischer Weise dargestellt wird, war sehr ergötzlich. Dem «I^rritorial I^tsr-prise» (Journal in Carsoncity veröffentlicht) zu glauben, ist Virgmiacity ein Schmuzloch; Klima: Stürme und Schnee; Wasser: eine Auflösung von Arsenik, Blei und Kupfererz; Holz: keins, außer Artensiasträuchen; kein guter Besitztitel für Grundeigenthum zu haben, und kein Grund-eigenthum zu finden, das besitzenswerth erscheint. Dem «Inäsp6nci6nt Ninkr» (Verfechter von Virgmiacity) zufolge aber ist Carsoncity ein bloßer Zufall; Beschäftigung der Einwohner: den Fremden, die nach Virginiacity wollen, den Weg zu verlegen; Handel: Verkauf von Whisky, und auch dann fo flau, daß Menschen, die von einer Trinkstube in die andere gehen, mitten auf der Straße 237 einschlafen; Erzeugnisse: Gras und Unkraut, was auf dem Marktplatz wächst. Eine dritte im Territorium gelegene Embryostadt von einem Dutzend Häusern, Silvercity, besitzt keine Zeitung, um ihre Ansprüche als Hauptstadt zu vertreten; die Einwohner zucken stillschweigend mit den Achseln und bedaueru die Kurzsichtigkeit der Menschheit, die nicht in Silvercity den einzigen genügenden Punkt für Locirung des Regierungssitzes entdeckt. Ein Halt von einigen Stunden, um die Ankunft der Post von Virgiuiacity zu erwarten, ward benutzt, um im Hotel eine Mahlzeit einzunehmen, und zwar die letzte, bei welcher ein Tischtuch benutzt ward, bis Saltlakccity erreicht war. Während wir diese Mahlzeit verzehrten, erschien ein ziemlich schäbiges, mit Whisky gefülltes Individuum, und nahm, ohne eingeladen zu sein, mit der größten Herablassung theil daran, wodurch er Veranlassung gewann, ein belohnendes Gespräch mit uns anzuknüpfen, und bald hatte er sich als einen „Agenten" zu erkennen gegeben, der Besitztitel für Antheile der verschiedensten Bergwerke in Washoe zu verkaufen hatte. Da gab es „Claims" der verschiedenartigsten Natur, mit den wunderlichsten Namen: Washoe, Cedar-Hill, Billy-Choller, Comstock, Miller, Don, Lady Bryant, Mammoth, Wooly-Horse, Wake-up-Iake, Root-Hogordie, Wild-Cat, Grizzly-Hill, Same-Horse, oder wie die Erzgänge alle hießen, ein jeder davon mindestens 1000 Dollars für den laufenden Fuß werth, den er jedoch augenblicklich für 238 weniger, sage 10 — 25 Dollars verkaufen wollte. Leiber fühlte keiner unserer Gesellschaft den Beruf in sich, den Bergwerksbetrieb zu übernehmen, und so entfernte sich unser nener humaner Freund in mißvergnügter Stimmung. Zwei anderweitige Passagiere nahmen hier die Plätze ein, welche durch das Zurückbleiben der beiden frühern vacant geworden waren. Der eine war ein Bewohner von Saltlakecity, Col. E., ein Mann, dessen Name, in Verbindung mit den Explorationen dieser Gegenden, viel und rühmlich genannt worden ist, und der eben jetzt die Vermessung einer neuen kürzern, bessern Straße vollendet hatte und zu seiner Familie zurückkehrte. Der andere war ein Engländer, der anscheinend Geschäft und Vergnügen miteinander verband, d. h. er reiste durch diese Gegenden, um zu sehen, ob nicht eine europäische Compagnie den Bergbau mit Vortheil betreiben könne, und suchte außerdem noch in andern Richtungen Land und Leute kennen zu lernen. Sein Name ist mir entfallen, seine Persönlichkeit jedoch noch wohl erinnerlich, ebenso seine Unterhaltung, deren guter, kräftiger Humor manche Stunde der nächsten strapaziösen Tage angenehmer dahingleiten ließ. Die Beschreibung seines Aufenthaltes in Virginiacity war erfrischend, und erinnerte an die Urzustände Californiens von 1848 — 49. Eine Stadt, zum großen Theil aus Häusern bestehend, deren Wände und Dächer aus Zeltleinwand gebildet; eine Bevölkerung, die, wenn nicht damit beschäftigt, in die Seiten der Berge Löcher zu graben, sich in den Trmkbuden versammelte, flüssiges Feuer die Kehle hinabgoß, und dabei 239 fortwährend so laut und freventlich fluchte, daß man fühlte, sie hatten fchon längst aller Hoffnung Lebewohl gesagt. Und die Nacht: „Ich hatte meine Wohnung", so lautete die Erzählung, „im «Great Washoe Hotel», Wände und Decke bestanden aus Leinwand, und als ich meine Kerze auslöschte, war mein Gemach noch von der Beleuchtung der benachbarten Räume erhellt. Links neben meinem Bett war eine Kegelbahn und das unausgesetzte Rrrrrrr Rrrrr und Rollen der Kugeln und Kegel bildete ein sanftes Wiegenlied. Zur Rechten war der Lar-rooin, oder Schenkstube, in der zugleich ein Billard aufgestellt war. Ein Herr, Namens Gus (Gustav), spielte mit einem andern Herrn, Namens Bob (Robert); Gus entsprach den Erwartungen Bob's nicht, weshalb er von diesem mit dem Queue über den Kopf gehauen ward; die Umstehenden legten sich ins Mittel, d. h. hieben auch mit zu, und schon hoffte ich, daß eine allgemeine Schlacht dem geräuschvollen Spiel ein Ende machen würde, als plötzlich, ohne wahrnehmbare Veranlassung, der Zwist beigelegt ward, und alle zusammen an den Schenktisch traten und einen «ärink all rounä» nahmen, den Bob als Friedensstörer bezahlte. „Bald darauf erhob sich ein neuer Lärm unter einer Anzahl von Goldgräbern, die eine Meinungsverschiedenheit über ihre «Claims» hegten, was zur Folge hatte, daß der Wirth, weitern Versuchungen vorzubeugen, um 10 Uhr das Lokal schloß. Ein Herr, der schon seit geraumer Zeit betrunken in der Ecke gelegen, ward jetzt zur Thür hinans-geworfen, wo er unter einen Schubkarren kroch und seineu 240 unterbrochenen Schlummer fortsetzte. Die kalte Nachtluft weckte ihn von neuem auf und er wollte weitergehen, schien aber dabei zu denken, daß er sich in der Gebirgsöde befände, und schrie deshalb laut nach feinem Freund Bill (Wilhelm), rannte dabei gegen die Leinwand meines Zimmers, und fluchte auf mich, daß ich ihm mit meinem Zelt in den Weg gekommen sei. Darüber ward ein irländisches Frauenzimmer gegenüber wach, kam auf die Straße, fing eine Unterhaltung mit ihm an, und bewegte ihn, fie nach Hause zu begleiten; allein bald verkündete eine Rauferei, daß auch zwischen diesem Paar eine Meinungsverschiedenheit sich kund gegeben. Hierdurch oder durch andere nicht zu entdeckende Beweggründe veranlaßt, trat plötzlich ein Mann aus dem nächsten Haufe und feuerte alle fechs Schüsse feines Revolvers in die Luft, weshalb ein anderer Nachbar, weiter unten in der Straße, dachte, er könne ebenso wol beide Läufe seiner Doppelflinte loslassen; ein dritter schimpfte und fluchte auf die beiden andern wie ein Dragoner, und eine Menge Hunde eilten der Stelle zu, um durch ihr Bellen und Heulen einen passenden Beitrag zu den Abendunterhaltungen zu liefern, die erst lange nach Mitternacht ihr Ende erreichten." Wenn alle Nächte in Virginiacich der obenbeschriebenen gleichen, dann muß man zugeben, daß das Leben daselbst recht friedlich und angenehm ist. Von Carsoncity führt die Straße noch einige dreißig Miles am Flußufer im Thale hin. In der Nähe von Fort Churchhill verläßt man dasselbe und mit ihm die letzten 241 Bamngruppen, unter denen just einige Schwadronen Dragoner campirten. Es waren Theile eines in Sacramento organisirten Cavalerieregiments, das jetzt verschiedene Garnisonen dieser Region besetzen sollte, aus denen die regulären Truppen nach den östlichen Staaten auf den Kriegsschauplatz abberufen waren. Die Leute waren kräftig, und für Freiwillige, die nur kurze Zeit im Dienst standen, merkwürdig gut disciftlinirt; die Pferde vortrefflich, die Uniformirung, Bewafftmug und Ausrüstung derselben denen der regulären Regimenter gleich. Dies erinnert mich an einen Umstand, der sich kurz vor meiner Abreise aus Amerika, im November vergangenen Jahres, ereignete. Nach den schweren Verlusten, welche die Unionsarmee im Laufe des Sommers erlitten, ward besonders ein Mangel an Cavalerie fühlbar, in welcher Waffe uns der Feind überlegen war. Die Staaten am Stillen Ocean, Californien und Oregon, fowie die Territorien Nevada und Washington, hatten bereits ihre Quote von Truppen gestellt, und vielleicht noch mehr. In dieser Krisis kam plötzlich auf telegraphischem Wege ein Anerbieten der resp. Gouverneure, gestützt auf Beschlüsse der Legislatur, in welcher der Regierung in Washington ein Corps von 10000 Mann Reiterei angeboten ward, die sich zugleich anheischig machten, die Pferde zu stellen und den Marsch durch die Gebirge und Ebenen nach dem Misfissippithal auf eigene Kosten zu unternehmen. Dies zeigt, welch ein starkes Heine, Weltrelsc. II, 16 242 Loyalitätsgefühl in jenen Staaten herrscht, die, durch Entfernungen von mehreren taufend Miles von den übrigen getrennt, gesonderte Interessen haben, und hätten sie anders die Absicht, aus der Union zu treten, kaum daran verhindert werden könnten. Es ist selbstverständlich, daß ein so großartiges patriotisches Anerbieten sogleich angenommen ward. Hoffentlich sind jene 10000 Reiter jetzt auf dem Kriegsschauplatz und gleichen jener Schar, die damals am Carsonriver lagerte. Verläßt man Thal und Fluß, so folgt nach allen Richtungen eine öde Felsenwüste. Kahle, felsige, starre Gebirgs-züge, oft mehrere tausend Fuß hoch, ragen an allen Seiten empor, entweder parallel laufend, meist von Süden nach Norden, oder auch große kesselförmige Thäler umschließend, deren Boden meist sandig, wasserlos und oft auch ohne Vegetation ist. Manchmal wächst hier ein spärliches, hartes, unschmackhaftes Gras und Büsche der Artemisia, öfter aber ist befonders die Mitte dieser Kessel gauz kahl. Im Frühjahr sammelt sich das vom Schnee gebildete Wasser, das keinen Ausfluß hat und dann im Sommer allmählich verdunstet. Da der Boden voll salziger und alkalischer Substanzen ist, so werden diese dadurch auf die Oberfläche gezogen, und bleiben, wenn das Nasser verduustet, als reine weiße Krystalle zurück. An manchen Stellen war die so gebildete Kruste mehrere Zoll dick, hatte eine harte Oberfläche, auf der man wandeln konnte wie auf fehr hartem Schnee, dessen Decke gethaut gewesen und dann wieder gefroren ist. Die Aehnlichkeit mit einem Schneefelde 243 war täuschend und bot den seltenen Anblick einer natürlichen Thalebene mit schneebedeckten Bergen. Zur Zeit der Reise (October) war alles trocken und staubig, in der That, während der ganzen Entfernung von San-Francisco bis Neuyork habe ich nicht einen Tropfen Regen fallen sehen, und zwischen Sacramento und dem Missonrifluß war sogar weder des Morgens noch des Abends Thau. Man denke sich nun die Folgen eines heftigen Windes in solcher Gegend, der die Augen von Mensch und Thier mit dem feinen salzigen Staub anfüllt, und in welchen Zustand die durch Sonne, Hitze, Kälte und Wind aufgerissene Haut geräth, wenn das Alkali in die offene Wunde kommt, wie das alles aufschwillt, und wie das juckt, besonders des Nachts, wo wir, trotz der warmen Tage, sehr oft sogar Eis hatten. Und dann noch der Wassermangel! Denn selbst da, wo man auf die oft ziemlich großen Tümpel und Teiche stößt, lasse man sich ja nicht verleiten, aus der schönen klaren try stallgelben Flut zu trinken, durch die man jedes Steinchen auf dem Grund des 20 Fuß oder noch tiefern Loches sieht, sonst erleidet man eine bittere Enttäuschung, sie ist so bitter und salzig, daß Mund und Kehle so eng zusammengeschnürt werden wie die Börse des geizigsten Geschäftsmannes. Wie trostlos lauten aber auch die Namen der Post« stationen in dieser Gegend: Dcsertstation (Wnsteustation), Carsonfink (Carsons Abfallgrube), Sandhill (Sandhügel), Saudsprings (Sandquelle), Drywells (Trockene Brunnen), Drycreek (Trockener Bach), Dugway (Abgegraben) :c. :c. 16* 244 Doch selbst die anscheinend vielversprechenden Namen geben noch nicht die geringste Bürgschaft für eine Realisirnng derselben. So hieß ein Ort Fairview (schöne Aussicht); besagtes PostHaus lag auf einem mit kümmerlichen Artemisia-büschen bewachsenen Hügel. Aussicht war genug da. Eine ungeheuere mit Alkali bedeckte Thalfläche, Berge über Berge, öde, zackig, abschreckend. Acht Maulthiere wurden hier neben den für die Post nöthigen Pferden gehalten, um das Wasser für dieselben aus einer Entfernung von 12 Miles (2^2 deutsche Meilen) herbeizuschleppen. Zwei Männer lebten hier. Ihr letzter Speck war vor acht Tagen alle ge-worden, ihr letztes Mehl vor zwei Tagen; Kaffee nnd Thee (und welche Sorte!) war alles, was übrig blieb; sodann hatten sie von zwei magern Hasen gelebt, denn anderes Wild gab es nicht, und jetzt hing noch ein Prairiewolf in der Speisekammer. Sie - erkundigten sich angelegentlich, ob keine Provisionen für sie mitgebracht worden, der Kutscher verneinte es. Bei der nächsten Station wurde das Gepäck auf einen andern Wagen geladen, da an dem unserigen ein Rad schadhaft geworden. Dabei kam ein großer Sack zum Vorschein, der, unter den Sitzen liegend, uns sehr genirt hatte. D^ «lingo, rief der Kutscher, tlisrs aro tks pro-vision» kor I'g.ir'vio>v-8tn.tion (da find die Provisionen für Fairview-Station). Sie wurden zurückgelassen, um sie am nächsten Tage zurückzuschicken; ob dies geschehen, weiß ich nicht. Major Simpson vom topographischen Corps, der diesen ganzen Rayon vermessen und mehrere Jahre hier zugebracht, fiel später in der Schlacht von Richmond am 245 30. Juni 1862 in Kriegsgefangenschaft; ein gleiches Unglück betraf mich, und oft haben wir in jenen trüben Tagen uns mit Dismssionm über die interessante Frage unterhalten, ob es fchlimmer sei, in die Hände der Secessionists zu fallen, ober in dieser Einöde zu leben. Sieben Wochen (so lange währte es, bis wir ausgewechselt waren) genügten nicht, um das Thema zu erschöpfen, und die Frage ist noch nicht erledigt. Ich übergehe eine specielle detaillirte Beschreibung der Reise bis zum Salzsee. Die Geologie, Meteorologie und Naturgeschichte dieser Gegend sind in den von der Regierung der Vereinigten Staaten angeordneten Vermessungs-expebitionen, behufs einer Eisenbahn nach dem Stillen Ocean, so ausführlich behandelt, die Resultate in neun großen Quartfolianten veröffentlicht, daß es unnütz wäre, hier noch speciell zu excerpiren. Hoffentlich findet es vielleicht ein Gelehrter der Mühe werth, jenes Werk zu bearbeiten und in gedrängterer Form vor das Publikum zu bringen. Die Stationen fahen sich alle sehr ähnlich. Dieselben traurigen Hütten und Ställe aus Holzstämmen, die oft aus außerordentlich großen Entfernungen herbeigeschafft worden waren; diefelbe rauhe Lebensweise, dieselbe magere Kost, und wir waren glücklich, wenn wir einmal des Tages eine Mahlzeit aus Speck, hartem Brot und etwas Kaffee oder Thee erlangten, letzterer von einer Beschaffenheit, daß er, von einer schwachen Natur absorbirt, unfehlbar den Tod zur Folge haben mußte, selbst wenn die Magenpumpe schon 246 zwei Stunden vor dem Genuß angewendet worden wäre. Die Straße ist in den Thälern meist ganz gut, Tausende von Emigrantenwagen, die hier passirt sind, haben das dieselbe bedeckende Steingeröll zum macadamasirten Pflaster umgewandelt. Die Passage über die Hügel und Berge ist schwieriger, und manchmal stiegen wir aus, den Pferden Erleichterung zn verschaffen, und uns gleichfalls, denn Tag um Tag, Nacht um Nacht im engen hartstoßenden Wagen eingeschlossen zu sitzen, wird am Ende ermüdend, und gern ergreift man die Gelegenheit, seine Beine wieder einmal etwas zu strecken. Jeden Augeublick traf man auf Ueberreste von Zugvieh, das hier umgekommen. Erschöpft von dem langen beschwerdevollen Zug über die Ebenen, oft tagelang ohne Weide und Wasser, stürzt zuletzt der Ochse oder das Pferd, nm nicht mehr aufzustehen. Oder wenn, ganz verdurstet, es sich einer jener trügerischen, mit Salzwasser gefüllten Löcher nähert und gierig das bittere Naß säuft, wird es von Darmgicht oder Blutruhr befallen und stirbt bald darauf. Die trockene feine Luft, der mit Salz geschwängerte Boden machen Fäulniß fast unmöglich, und so werden die Cadaver nnr mumificirt, und mit Ausnahme der Theile des Fleisches, den die Wölfe gefressen, als dasselbe noch frisch war (sie wählen meist die Lenden) trocknet alles mehr und mehr ein, schrumpft zusammen und zerfällt zuletzt in Staub. Und welch ein gemüthliches Faustrecht herrscht hier. Zwischen Carsoncity und der Stadt am Salzsee trafen 24? wir auf keine Emigrantenzüge, und außer dem Personal der Poststationen waren nur noch die Arbeiter hier, die eben den Telegraphen zwischen Sau-Francisco nnd St.-Louis in Missonri vollendet hatten. Trotzdem waren im Lauf der letzten vier Wochen vier Menschen im Streit durch Pistolenschüsse getödtet nnd verwundet worden. Einer lag noch in der Hütte auf einem rohen Bett, ohne sich bewegen zu können. Die Kugel war in die rechte Seite gedrungen und saß in der Gegend des linken Hüftknochens fest, das war aus der Entzündung in jener Gegend ersichtlich. Um dieselbe herauszuziehen wäre wahrscheinlich eine Operation auf der linken Seite nöthig gewesen, und so hatte der Mann bereits eine Woche gelegen und gelitten, ohne daß die geringste Aussicht war, ihm auf irgendeine Weise zu helfen. In der Station Rubivalley, wo wir am 25. abends Pferde wechselten, fehlte wenig daran, den vier Zufälligkeiten noch eine fünfte beizufügen. Wegen des Wassers, der Weide und der Bäume, die hier stehen, haben Emigrantenzüge hier gewöhnlich gerastet. Später nahmen einige Händler ans Saltlakecity hier ihren Wohnsitz, um sowol an die Emigranten Provisionen und andere Bedürfnisse zu verkaufen, als auch solche Gegenstände, die sie wegen Erschöpfung oder Tod ihres Zugviehes zurücklasse« mußten, aufzusammeln. So entstand eine Embryoansicdelung von einigen zwanzig Familien und cs gab jetzt ein Abendessen von frischem Fleisch, Kartoffeln und frischer Butter. 248 Die Arbeiter, welche den Telegraphendraht von Carson-valley nach Saltlakecity legten, hatten für geranme Zeit hier ihr Hauptquartier gehabt, und feierten jetzt die Vollendung des Unternehmens (Uebersendung der ersten Botschaft direct von St.-Louis nach San-Francisco) mit einem Schmause, wozu sie ein Fäßchen Whisky hatten kommen lassen. Natürlich war man etwas angeheitert, und ein besonders gastfreies Individuum umhalste einen der Passagiere und bestand darauf, daß er ein Glas Whisky mit ihm trinken müsse, was jener endlich that, um ihn zu beschwichtigen. Das bemerkte ein anderer und nahm es übel, daß ein nicht zur Telegraphengesellschaft Gehöriger die Genüsse derselben theilen solle, ein Zwist keimte empor, und nur mit vieler Mühe warb einer weitern Vergeudung von Schießpulver vorgebeugt. Verschiedene male waren wir mit Indianern zusammengetroffen, meist dem Stamm der Pahutahs, wie sie von den Angloamerikanern benannt werden, oder Payote, wie sie es selbst anssprechen, angehörend, ditz, vielleicht mit Ausnahme der Shoshones, auf der niedrigsten Stufe ihrer Rasse stehen. Sie waren oft ziemlich groß und auch gut gebaut, aber außerordentlich mager, mit breiten, ausdruckslosen Gesichtern, langen schlichtherabhängenden Haaren, schmuzig und scheu in ihrem Wesen. Ihr einziges Kleidungsstück bestand in einer Tunica oder einem Mantel, der aus den Fellen der kleinen Erdeichhörnchen zusammengenäht war. Diese Thierchm sind kleiner als eine Ratte, halten sich aber in 249 großen Scharen in den Artemisiabüschen auf. Die Indianer jagen sie mit Bogen nnd Pfeilen, deren oberes Ende mit einem rundlichen Kolben verseheu. Sie fchießen auf die geringe Entfernung von einigen Schritten, auf die man sich dem Thierchen nähern kann, ziemlich sicher, und oft hatten selbst kleine Jungen ein Bündel von zwölf oder mehr derartiger Jagdbeute an sich hängen. Die winzigen Fellchen werden nun abgestreift und mit ans den Sehnen des Thieres gebildeten Fäden zusammengenäht, das Fleisch entweder etwas ans Feuer gehalten, oder auch ganz roh verzehrt. Feste Wohnungen haben diese Leute gar nicht, ebenso wenig Zelte. Felsenklüfte oder Höhlen bieten ihnen einen temporären Aufenthalt oder, wo auch dieser uicht zu finden, bilden sie eine kreisförmige Umzäuuuug aus aufeinander gehäuften Artemisiabüscheu, die den beißend kalten Wind wenigstens etwas abhalten; um das in der Mitte brennende Feuer hockt daun die gauze Schar dicht aneinander gedrängt, und verbringt so, halb schlafend, halb wachend, die Nacht. Selbst während der Regengüsse des Winters haben diese Leute keinen andern Schutz gegen das ungestüme Wetter, und da sie nicht selten Mangel zn leiden haben, so ist ihre Lage im höchsten Grad beklagenswerth. Neben dem Fleisch der Eichhörncheu, Wölfe, Eidechsen, Schlangen :c. dienen ihnen noch einige Arten von Wurzelu zur Speise, sowie getrocknete Heuschrecken. Kapitän Stansbury erzählt, daß er bei seinen Vermessungen der Salzseen in einer Felsenspalte mehrere ans Häuteu gemachte Säcke aufgefunden, mit einer Substanz gefüllt, ähnlich dem getrockneten 250 und dann zu Pulver zerstampften Fleisch. Seine Begleiter, denen die Provisionen ausgegangen waren, dachten schon daran, sich eine Mahlzeit daraus zu bereiten, als sie plötzlich entdeckten, daß das vermeintliche Fleisch eine an den Ufern häufig vorkommende Art von Würmern in getrocknetem Zustand sei, was ihren Appetit verdarb. Die meisten von ihnen sind friedlich und wagen es selten, Weiße anzugreifen, wozu es ihnen auch an Waffen gebricht; dahingegen nehmen sie gern die Gelegenheit wahr, den Emigranten ihr Vieh zu stehleu, und die Leute auf den Poststationen müssen wohl auf ihrer Hut gegen sie sein, sonst gehen die Pferde uud Maulthiere verloren. Während der letzten hundert Miles vor dem großen Thal der Salzseen bat man mehrere beträchtlich hohe Berge zu Passiren, und einer davon, unweit Point-Lookout, ist so steil, daß selbst beim Herabfahren die Passagiere aussteigen müssen, um das Gewicht des Wagens zu vermindern, das sonst die Hemmschuhkette zerreißen würde. Endlich, am 29. Oct., erreichten wir das große Thal der Salzseen uud die große Mormonenstadt in demselben. Unsere Ankunft ward noch durch einen kleinen Unfall, der einem der Passagiere zugestoßen, erheitert. Bei Camp-Floyd, einer jetzt von Truppen entblößten Militärgarnison, stieg ein etwas schäbig aussehender Passagier ein, der in Rockwell, der letzten Station, die Post wieder verließ. Einem der Passagiere waren die Füße augeschwollen, und, um sich Erleichterung zu verschaffen, hatte er seine Stiefel 251 ausgezogen. Jetzt beim Aussteigen suchte er nach denselben, fand aber nur die Fußbekleidung des Unbekannten, wenn anders man einige Lederüberreste so nennen kann. So war der Unbestiefelte versorgt worden, der Bestieselte aber fand sich stiefellos. XXIV. Die Mormonen und die Stadt am Salzsee. Die Mormonen. Ihr Ursprung. Ihre Verfolgung. Auswanderung nach den Felsengebirgen. Gründung der Stadt am Salzsee. Organisation der Ansiedelung. Das Thal der Salzseen. Die Anlage der Stadt. Comlmmalbestimnumgen. Das „Hotel". Die heißen Mineralquellen. Ein starker Glanbe. Brigham-Ionng. Cultnrznstä'nde. Nationalitäten der Mormonen. Weiterreise. Fort Kearney. Büffeljagd. St.-Ioseph. Nach Ncnyork. Kriegssieber. Ins Feld. Der Ursprung der Sekte der Mormonen ist bereits genügend bekannt; ich erwähne deshalb ihrer Geschichte nur in kurzen Zügen, wozu das Material aus dem officiellen Bericht des Kapitäns Stansbury über seine Erpeditionen nach den großen Salzseen entnommen ist. Die Sekte ward im 1.1830 unter den Auspickn von Joseph Smith, ihren Gründer, organisirt, und nach einem kurzen Aufenthalt in Kirkland (Ohio) nach Jackson in Missouri versetzt, wo „durch göttliche Offenbarung" den Heiligen geboten war, einen herrlichen Tempel zu erbauen, dessen Form ihnen gleichfalls durch Offenbarung mitgetheilt ward. 253 Der Grundstein dieses Gebäudes war bereits gelegt, als die Werkleute von einer bewaffneten Volksmenge aus dem Staat vertrieben wurden. Sie wanderten nun nach dem Staat Illinois aus, wo sie an den Ufern des Mississippi eine umfangreiche, schnell emporblühende Stadt, Nauvoo, gründeten. Hier lebten sie bis zum Jahre 1844, wo sie durch die Sitte der Vielweiberei und die seltsame Art, auf welche sie unter den Frauen der Gegend Bekehrungen machten, die Entrüstung ihrer Nachbarn erregten, die sie endlich mit den Waffen in der Hand angriffen, und ihren Propheten Joseph Smith sowie dessen Bruder Hiram im Gefängniß von Karthago, wohin sie abgeführt worden waren, ermordeten. Die Verfolgung währte durch das ganze Jahr 1845, und da die Mormonen es auf diese Weise unmöglich fanden, sich länger an ihrem Aufenthaltsort zu behaupten, so beschlossen sie in feierlicher Berathung, ihr Eigenthum zu verlassen, um in der Wildniß des fernen Westens eine neue Heimat zu gründen. Die Vorbereitungen zu der Neise wurden sogleich getroffen, und im Beginn des Februar 1846 ging der größte Theil von ihnen von Nauvoo über deu Mifsissippi und sammelte sich in der Nähe von Montrose in Iowa. Hier verweilten sie wegen der großen Kälte und des tiefen Schnees bis zum März, wo mehrere hundert Wagen mit einer großen Anzahl von Frauen und Kindern zu ihnen stießen, nnd sie sich unter der Führung von Brigham-Ionng, dem Präsidenten der Kirche und Nachfolger Joseph Smith's, organisirteu. 254 Auf ihrer Reise durch den nördlichen Theil von Missouri wurden sie durch heftige Drohungen wieder aus dem Staat in den südlichen Theil von Iowa getrieben, wo sie unter vielen Leiden und Beschwerden gegen die Mitte des Sommers die Ufer des Missouriflusses westlich von der Grenze erreichten. Hier zäunten sie Land ein, machten Felder urbar und besäeten dieselben, und eine Anzahl blieb zurück, um die Ernte einzubringen und dieselbe zur Ernährung derer zu verwenden, die später nachfolgen wollten, sobald es die Umstände gestatteten. Als sie sich vorbereiteten, den Fluß zu pässiren, um weiter gegen Westen zu ziehen, erschien Plötzlich ein Offizier von der Armee der Vereinigten Staaten und forderte sie auf, 500 Rekruten zu dem Kriege in Mexico zu stellen. Dieser plötzlichen und unvermutheten Anforderung ward augenblicklich Folge geleistet, allein die Weiterreise dadurch unmöglich gemacht. Die Zurückbleibenden, meistens alte Männer, Frauen und Kinder, machten folche Vorbereitungen, wie die Umstände gestatteten, den Winter in der Wild-niß zuzubringen, indem sie Heu machten, Hütten aus Holz und Torf erbauten und so viel Höhlen gruben, als ihre Zeit und Kräfte möglich machten. Infolge von Entbehrungen und oft Mangel erkrankten und starben im Lauf des Winters viele von ihnen, ebenso ward ein großer Theil ihres Viehes von den Indianern gestohlen, oder ging wegen Mangel an Futter zu Grunde. Im nächsten Frühjahr (1847) ward die Schar von neuem orgamsirt, und am 8. April traten 143 Mann mit 72 Wagen, 175 Maul- 255 thieren, Pferden und Ochsen, und Vorrath für 6 Monate, landwirtschaftlichen Werkzeugen und Samenkorn, ihre Reise an, um jenseit der Felsengebirge eine Wohnstätte zu suchen. Sie folgten dem linken Ufer des Platteflusses, passirten denselben in der Nähe von Fort Laramie und gingen durch den Südpaß über die Gebirge. Am 21. Juli traf die Vorhut im Thal des großen Salzsees ein, am 24. folgte ihnen der Präsident und die Hauptschar. Ein Stück Land ward nun gewählt, unter Gebeten eingesegnet, gepflügt und der Samen der Erde anvertraut. So ward im Jahre 1847 die Ansiedelung gegründet, die im Jahre 1850 der Union als Territorium einverleibt wurde. Nun ward das Land vermessen und Straßen zu einer großen Stadt abgesteckt, ein Fort oder besser ein Palissadenwerk errichtet und Häuser ans Holz oder Luftziegeln in Form eines großen Vierecks errichtet, dessen Eingänge durch Thore vertheidigt und so gegen die Angriffe der Indianer ziemlich sicher gestellt waren. Im October traf eine Verstärkung von 3—4009 Seeleu ein und das Fort ward erweitert, um auch diese aufzunehmen. Pflügen und Besäen der Felder ward den ganzen Winter hindurch fortgesetzt und im Juli des nächsten Jahres waren über 6000 Acker Feld bestellt und einschließlich einer bedeutenden Strecke Weidelandes mit einer Umfassung eingeschlossen. Während des Winters und Frühjahrs fehlte cs den Einwohnern sehr an Nahrungsmitteln, und da in 256 diesen Gegenden nur wenig Wild vorhanden war, so sahen sie sich oft genöthigt, von Wurzeln zu leben und selbst die Felle nnb Häute von Thieren, mit denen sie früher ihre Häuser bedeckt hatten, zu kochen und zu verzehren; doch dauerte diese Noth nur bis zur Zeit der Ernte, nach welcher niemals wieder Mangel herrschte, sondern Provisionen der verschiedensten Art in reichster Fülle vorhanden waren. In diesem Jahre, 1848, ward eine kleine Mahlmühle erbaut und zwei Sägemühlen vollendet; im folgenden Winter und Frühjahr ward eine neue Ansiedelung an den Ufern des Weberflusses gegründet, der durch die Wahsatsch-berge, 40 Miles nördlich von der Stadt, fließt und in den großen See fällt; auch am Ogden-Creek ward 1850 eine Ansiedelung gegründet und Ogdencity benannt, die jetzt bereits von einer zahlreichen ländlichen Bevölkerung umgeben ist. Im Herbst führte Brigham-Uoung eine neue zahlreiche Emigrantenschar herbei; Feldbau und Errichtung von Häusern wurden täglich getriebeu uud neue Ansiedelungen entstanden, wo immer Wasser eiue Berieselung der Felder möglich machte; eine geräumige Berathungshalle ward begonnen und deren Material, ein röthlicher Sandstein, aus den benachbarten Bergen entnommen; ebenso waren zwei Mahlmühlen und drei Sägemühlen außer den bereits früher erbauten in Gang gesetzt. Im Frühjahr 1849 ward an den Ufern des Timvanogas oder Provauxflusses, der in den Utahsee fällt, etwa 50 Miles von der Stadt, ein Fort erbaut und eine Ansiedelung gegründet; während des Sommers und Herbstes wurden reiche Ernten von Weizen, 257 Melonen, Kartoffeln und indischem Korn erzeugt, sowie auch zwei Sägemühlen erbaut. Die Colonie war nun fest organisirt und alle Befürchtungen vor eintretendem Mangel durch die reichen Ernten beseitigt, und deshalb dachten die Colonisten jetzt daran, die nöthigen Civilbehörden einzusetzen, denn bisher war die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten nur von den Nettesten der Kirche geführt worden. Dies konnte gefchehen, solange die Gemeinde klein war und nur aus Mormonen bestand. Die Emigrantenzüge, welche von den westlichen Staaten Amerikas um diese Zeit nach Califormen wanderten, deuteten au, daß bald auch ungläubige (Gentiles, wie die Mormonen alle nicht zu ihrer Kirche gehörigen nennen) in jenen Gegenden ihren Wohnsitz aufschlagen würden, und so entstand ein Aufruf „an alle Bürger von Obercalifor-nien, östlich von der Sierra-Nevada, um sich über die Organisation einer Territorialregierung zu berathen". Diese Convention trat in der Stadt am Salzsee am 5. März 1849 zusammen, und am 10. ward eine Verfassung angenommen, die so lange in Kraft bleiben follte, bis der Congreß der Vereinigten Staaten anderweitige Bestimmungen über die Regierung des Territoriums treffen werde. Somit trat die Regierung des freien und unabhängigen Staates Deferet ins Leben. Am 2. Juli trat die Ständeversammluug zusammen und erwählte einen Abgeordneten an den Congreß, der eine Schrift überbrachte, in welcher die Einwohner des Staates Deseret mittheilen, daß sie für die Anfrechthaltung der constitutionellen Rechte der Vereinigten Staaten, die dort Heine, Weltreise. II. 17 258 die Gerichtspflege ausüben sollen, eine provisorische Staatsregierung niedergesetzt haben, um dort die Nationaljustiz aufrecht zu erhalten. Die Conflicte, welche später zwischen den Mormonen und der Regierung der Vereinigten Staaten entstanden, und die im I. 1856 durch einen kurzen Krieg beendet wurden, übergehe ich. Sie sind in den Zeitungen und officiellen Schriftstücken umfassend dargestellt worden. Die damals obwaltenden Schwierigkeiten sind beseitigt; jener Krieg selbst aber bildete den vorbereitenden Schritt jener Verschwörung der Sttdstaaten, mn die Armee der Union in diese ferngelegenen Regionen zu ziehen uud der Regierung den Schutz ihrer Waffen zu rauben. Sollte Gott mir das Leben und die Gelegenheit schenken, so würde ich zu einer spätern Zeit diesen Gegenstand mit allen seinen Folgen besonders behandeln. Saltlakecity, die große Mormonenstadt, liegt am südlichen Ende des großen Thales am Fuß der Westseite vom Wahfatschgcbirge auf einer sanft gegen Westen geneigten Ebene. Die Ansdehnnng derselben ist ungefähr 4 Miles Länge und .^ Miles Breite. Die 132 Fuß breiten Straßen sind rechtwinkelig sich kreuzend angelegt, mit 20 Fuß breiten Fußpfaden an jeder Seite, und grenzen dazwischenliegende 640 Fuß auf jeder Seite messende Quadrate ab, die wiederum in acht Parcellen getheilt sind, deren jede IV4 Acker Land enthält. Nach einer Communalbestimmung mnß jedes Haus vor semer Front einen Naum von 20 Fnß haben, der mit Strauch- 259, werk und Bäumen zu bepflanzen ist. Der Fluß Jordan, der nahe am nordöstlichen Ende aus einer Felsenschlucht strömt, wird mittels Kanäle durch alle Straßen der Stadt geleitet, und aus diesen kann durch andere kleine Gräben der ein jedes Haus umgebende Garten mit Leichtigkeit bewässert werden. Die Benutzung dieser Bewäsfe-rungsmittel steht unter der Aufsicht einer besondern Behörde, und da es selten oder nie an dem nöthigen Wasser fehlt, so werden fast unausgesetzt die reichsten Ernten von Eerealien und Gemüsen erzielt, ebenso hat man eiue große Menge von Fruchtbänmen gepflanzt, und Obst gehört schon uicht mehr zu den Seltenheiten. Der ungeheuere Salzsee mit seinen verschiedenen Inseln liegt nordwestlich von der Stadt und ist von dieser durch eine ansgedehute Ebene getrennt, deren tieferliegende Theile durch Ablagerungen von Salzen unfruchtbar gemacht sind, während andere höherliegende Stellen ziemlich gute Weidegründe bilden. Verschiedene größere und kleinere Flüsse und Bäche frischen Wassers fallen in den See, an dessen Ufern zahlreiche größere und kleinere Ansiedelungen entstanden sind, und überall, wo Berieselung möglich, findet der Fleiß der Colonisten den reichsten Lohn. Südlich und westlich schließen die gewaltig terrassenförmig abgestuften Berge das Thal, durch welches der Jordan fließt, der in den kleinen Utahsee fällt. Die niedrigen Ufer des Flusses liefern ein mittelmäßiges Heu m großen Quantitäten, die höhern Stellen sind mit einem zwar trockenen, doch nahrhaften Gras (dun6ii-Fra,8ft) bedeckt, welches diesen Regionen eigen ist, und gute Weide- 17* 260 gründe bildet. Die umliegenden Gebirge enthalten einen unendlichen Reichthum der verschiedenartigsten Metalle sowie Kohlen. In der That bergen alle diese öden Gegenden Mineralschätze, deren Umfang sich noch nicht berechnen, ja kaum übersehen läßt. Es liegt außer meinem Bereich, die Ressourcen dieses Länderstriches specieller zu erwähnen. Die sehr umfänglichen officiellen Berichte thun dies, und die meisten größern Bibliotheken Deutschlands enthalten das nöthige Material für ein Studium derselben. Das Hotel lag in der Hauptstraße, und da wir, Hr. A. und ich, bis zum nächsten Tage hier bleiben wollten, so wies man uns ein gutes geräumiges Zimmer mit zwei Betten an, das selbst solche Luxusartikel wie Ofen, gepolsterte Stühle, Sofa, Spiegel, Teppich und Tapeten enthielt. Die Nahrung an der Wirthstafel war gut, reichlich und gleich der in den Hotels der westlichen Staaten; der Preis von 2 Dollars täglich war in Anbetracht der Umstände gewiß billig zu nennen. Wie selbstverständlich sehnten wir uns nach einem Bade, dies war jedoch nicht im Hotel zu erlangen, doch sagte man uns, daß eine kurze Strecke vom nordwestlichen Ende der Stadt eine heiße Mineralquelle sei, die ein angenehmes sehr beliebtes Bad bilde, und so bestiegen wir denn einen Omnibus, der uns für den Preis von 1 Dollar dahinbrachte. Die Schilderung dieser Quelle hatte uns zu dem Glauben verleitet, daß wir eine Badeanstalt finden würden, in der Zimmer, Handtücher :c. :c. vorhanden seien; dies war nicht der Fall. Aus einer Felsenfpalte quoll der heiße Strom, sammelte 261 sich in einem natürlichen, künstlich erweiterten Bassin, von Wiesengrund umgeben. Das nächste Haus war mehrere tausend Schritt entfernt, von Handtüchern natürlich nicht die Nede. Wir behalfen uns so gut wir konnten. Das Bad war angenehm, erfrischend und stärkend, denn ohne Anwendung von Seife verschwanden alle Spuren von Staub und Schmuz, ja sogar ein Theil der aufgerissenen Haut. Der Omnibus diente als Ankleidezimmer, der Westwind, der über die Ebene wehte, vertrat die Stelle des Handtuchs. Nach der Rückkehr zum Hotel erwähnte ich bei Tisch, daß es gar nicht übel am Platze wäre, wenn ein unternehmender Jankee hier eine Badeanstalt mit Handtüchern :c. :c. errichten möchte, denn ein jeder Passagier der Ueberlaudftost würde mit Freuden 1 Dollar für derartige Accomodationen zahlen. Ein rothhaariges Mitglied von der Kirche der I^toi- du,^ «aints (Heiligen der letzten Tage, wie die Mormonen sich selbst nennen) fühlte sich dadurch verletzt: „Wir braucheu keine unternehmenden Jankees", rief er auf englisch mit jenem die Bewohner der Neuenglandstaaten auszeichnenden näfelttden Accent, „wir thun alles das durch den Glauben." Ich pflichtete bei, daß der Glaube Wunder wirken könne, doch sei mir noch nie eingefallen, ihn die Stelle eines Handtuchs vertreten zu lassen. „Wenn Sie den rechten Glauben gehabt hätteu, wären Sie so trocken wie ein Knochen aus dem Wasser gekommen." „Haben Sie selbst das einmal versucht?" fragte ich. „Nein", lautete die Antwort, „ich wollte meinen Schöpfer nicht in Versuchung führen." Daraus schloß 262 ich, daß dieses Licht der Kirche nie ein Bad genommen hatte. Nach Tisch ward Hrn. Brigham-Joung ein Besuch gemacht. Dieser bewohnt ein ausgedehntes Gebäude am nordöstlichen Ende der Stadt, das die Wohnung seiner zahlreichen Familie, die Geschäftslokale der Verwaltung :c. :c. enthält, an eine Menge von Porraths- und Wirthschafts -gebunden stößt, uud mit den dabeiliegenden Gärten und Feldern von einer 8 Fuß hohen Mauer aus Luftziegeln umgeben ist. Nach dem vergangenen Leben des Brigham-Joung und seiner Stellung als uubeschränktes Oberhaupt einer Gemeinde religiöser Fanatiker zu urtheilen, könnte man erwarten, einen hagern Mann mit tiefliegenden dunkeln Angen und von gelber Gesichtsfarbe zu fiuden. Statt desseu trat uns ein großer wohlbeleibter Mann entgegen, von blühender Gesichtsfarbe, hellen blauen Augen, hellbraunem Haar und Bart, in einer Kleidung aus grauem Tuch, einem schwarzen, niedrigen, breitränderigcn Filzhut auf dem Kopf, und im ganzen nicht unähnlich einein Farmer der westlichen Staaten, sodaß wir im Zweifel waren, ob wir uns nicht in der Person täuschten. Diese Zweifel wurden dadurch beseitigt, daß er uns den jnst anwesenden Aeltesten der Kirche vorstellte, die, selbst bekannte Persönlichkeiten, ihn alle mit Namen begrüßten. Das untere Stockwerk enthielt eine ziemlich große, vielseitige Bibliothek, die verschiedenen Bureaux der Verwaltung lc. :c. Im obern Stock waren Empfangszimmer, ähnlich denen wohlhabender Leute in den westlichen Staaten, 263 und ein in der Mitte befindlicher Thurm diente als Observatorium, von dem man einen weiten Ueberblick über Stadt und Thal hatte. Das „FrauenhauS" bildete einen besondern, rechtwinkelig an das Hauptgebäude stoßenden Flügel. Jeder Mormone bewohnt ein Haus, das sein eigeues und die Gesellschaftszimmer enthält, für jede Frau baut er ein an das größere stoßende kleineres Haus, die alle mittels einer davor hinlaufenden Veranda verbünde« sind; bei ewigen bemerkte ich noch ein ganz besonderes von den andern getrenntes Häuschen; möglich, daß es vielleicht einer widerspenstigen Frau zum Aufenthalt diente. Hier war dasselbe Princip beibehalten, nur waren es Doppelhäuser von zwei Etagen, mit Eingängen vorn und hinten, in denen sich mehrere Frauen anfhielten. Ich zählte 18 dergleichen, was auf 36 Frauen schließeu ließ; ein anderweitiges war noch im Bau begriffen, und der Raum uach jener Richtung erlaubte uoch viele Anbaue. Man glaube jedoch nicht, daß die gauze Familie hier beisammenwohnt, denn in jeder der größern Ansiedelungen halten sich uoch einige anderweitige Frauen auf, damit das Haupt der Kirche bei feinen Parochialreisen nicht zu viel Gesellschaft mit sich zu nehmen braucht. Welch ein energischer Familienvater! Die Wirthschaftsgebäude waren sehr ausgedehnt, in ihrer Art vollkommcu und in vortrefflicher Ordnung, Der zehnte Theil der Ernte, Vieh :c. :c., der der Kirche gehört, ward hier in Scheunen, Stätten uud auf Speichern aufbewahrt. Außerdem waren noch große Mehl-, Oel-, 264 Säge- und Papiermühlen da, eine Vuchdruckerei, Schmiede und Maschinenwerkstätte :c., kurz eine Modellwirthschaft vom großartigsten Umfang. Eine mehrere Acker große Baumschule war wohl gefüllt und besorgt, viele bereits großgewachsene Aepfel- und Virnbänmc prangten voll der reichsten und schmackhaftesten Früchte; mehrere Acker waren mit Weinreben bepflanzt, die voll schöner und süßer Trauben hingen. Ein „Obsthaus" in der Mitte des Gar tens enthielt mehrere hundert Scheffel Aepfcl und Birnen, sogar einige Fäßchcn Wein, oder besfer, Most, den man eben gepreßt hatte. Die Zngthiere (Pferde, Ochsen und Maulthiere) waren stark und vortrefflich gehalten, knrz, wüßte mau nicht, daß man in der Mormonenstabt am Salzfee wäre, durch viele hundert Meilen oder Gebirgsgegend vom Rest der Menschheit getrennt, man könnte wähnen, man sei inmitten eines dichtbevölkerten Landstrichs der am weitesten vorgeschrittenen westlichen Staaten. Be-denkt man nun, daß alles dies das Resultat vou 15 Jahren Arbeit ist, daß der größte Theil dieser Möbel, Maschinen, Werkzeuge, Saaten, jungeu Bäume, Nebeu :c. :c. über KXX1 Miles zu Lande transportirt ist, und oft auf Handwagen von Menfchen gezogen, daß 1848 das Thal eine öde Wüste war, so kann man die religiöfen Irrthümer und die empörende Sitte der Vielweiberei diefer Leute vergessen, und ihrem Fleiß, ihrer Energie und ihrem unerschütterlichen Muth die gebührende Bewunderuug zollen. Auch hier enthalte ich mich eines weitern Eingehens in Details, dieselben sind genügend bekannt, nur erwähne ich, 265 daß der überwiegende Theil der Bevölkerung aus Norwegern, Schweden, Dänen, Schweizern und Wallisern aus England besteht, unter die sich eine geringe Anzahl von Engländern, Irländern, Deutschen, Franzosen und Amerikanern der Union mischt. Man lud uns ein, auch das Familienhaus zu besuchen, allein da ich bis jetzt nnr Gelegenheit gefunden, meine Frende und Bewunderung auszudrücken, so wünschte ich nicht, durch nothwendiges Stillschweigen meine Kritik der Misbilligung auzndeuten, und lehnte deshalb, da es auch schon spät geworden, den Besuch ab. Im Hotel fanden wir noch ein Geschenk von Trauben und Früchten vor, von denen ich einige besonders schöne Aepfel auswählte und bis Neuyork mitbrachte, wo mein Kind dieselben mit großem Appetit verspeiste. Außer vorerwähnter Wohnung Brigham-Joung's befinden sich noch mehrere große ausgedehnte Gebäude in Salt-latecity. Der obere Theil der Hauptstraße (Broadway) enthält eine Reihe von Verkanfsläden und Wohnuugeu von Nichtmormonen (Gentiles), die meist mehrere Stockwerke haben und aus Luftziegeln (Adobe) erbaut sind. Dieses Material ist hier sehr häufig angewandt, da Bauholz aus weiter Entfernung von den Bergen herbeigebracht werdeil muß. Die fogenannte Bowery, eine große Halle, die mehrere tausend Personen faßt, dient zu Versammlungen für kirchliche sowol als weltliche Zwecke; ein Tempel von außerordentlich großem Umfang ist begonnen und soll ganz aus Granit erbaut werden; im Lauf des letzten Jahres aber hat man sogar ein ziemlich großes Theater er^ 26s) baut, das bereits damals seiner Vollendung nahe war, und in welchem im letzten Winter Vorstellungen gegeben wurden. Die kurze Zeit meines Aufenthaltes erlaubte mir nicht, weitere Beobachtungen uud Nachforschungen über den Zu-staud dieser merkwürdigen Ansiedelung zu machen; eine weitere Erforschung und Beleuchtung ihrer Licht- und Schattenseiten aber würde wol eine würdige und lohnende Arbeit sein. Nach vierundzwanzigstündigem Aufenthalt setzten Hr. A. und ich unsere Reise fort, er, um baldmöglichst nach Neu-York zu gelangen, wo dringende Geschäfte feine Gegenwart erforderten, ich, gleichfalls vom Wuufch getrieben, möglichst bald Neuyork und Berlin zu erreicheu. Bereits von Peking hatte ich meineu Verwandten in Amerika geschrieben, daß ich beabsichtige, durch Sibirieu zurückzukehren, und den Brief über Petersburg geschickt, von San-Francisco aus die veränderte Reiseroute mitgetheilt, uud in Saltlakecity benutzte ich die eben eröffnete Telegraphenverbindung, um meine baldige Aukunft anzuzeigen. Alle drei Mittheilungen trafen innerhalb weniger Tage ein uud zwar m umgekehrter Ordnung, ebeufo ging es mit Briefen an einen hochverehrten Freund in Berlin, von denen einer aus Peking meine beabsichtigte Reise durch Sibirien anzeigte, während ein zweiter späterer aus Washington meinen Wiedereintritt in den Dienst der Vereinigten Staaten mittheilte. Ueber die Reise bis St.-Louis habe ich wenig mitzutheilen, dieselbe ist vielfach beschrieben worden. Im westlichen Theil romantische Thäler, viele aufkeimende Ansiede- 267 lungcn und hohe Gebirge, darunter der sogenannte South-paß (nach Frenwut'ö Angabe 7489 Fuß hoch) mit den majestätischen Windriver-Bergen; weiterhin sanft anschwellendes Hügelland, zuletzt die weite unübersehbare Prairie, durch die der breite seichte Platesiuß dahingleitet. Einige kleine Unfälle, wie Durchgehen der Pferde, Umwerfen :c. :c. übergehe ich, sie sind auf dieser Route zu gewöhnliche Ereignisse, und gingen ohne erhebliche Beschädigungen ab. Im Fort Kearney machte ich eine Rast von zwei Tagen; es hatten sich etwa W Miles südlich an der Republican Fork Büffel gezeigt; die Versuchung, wieder einmal zu jagen, war zu groß, um ihr zu widerstehe«. Oberst S., der Onkel meiner verstorbenen Frau, der hier bis vor kurzem das 4. Cavalericregiment commandirt hatte, war bereits seit mehreren Wochen nach den östlichen Staaten berufen worden; einige Lente feines frühern Commandos, die jetzt ausgedient, hatten sich hier augefiedelt. Diese verschafften mir die nöthigen Pferde, und fo hatte ich am zweiten Tag die Freude, einen schönen großen Büffelbulleu, an den mich das starke schnelle Iagdpferd herantrug, durch füuf Schuß des Revolvers zu erlegen. Mit vieler Mühe und durch vereinigte Anstrengung gelang es uns, das Fell mit dem Schädel und Füßen davon abzustreifen; keine leichte Arbeit, in der That, die gewaltige, mehrere tausend Pfund wiegende Fleischmasse auf der offenen Prairie von Seite zu Seite zu wälzen und zuletzt stückweise wegzuschaffen. Im Fort Kearney war ich so glücklich, einige Pfund Alaun zu erlangen, und da in Anbetracht der 268 erlittenen Umwürfe der Agent der Post mir gestattete, das 2 Ctr. wiegende Fell und Kopf gegen 20 Dollars Fracht mitzunehmen, fo hatte ich die seltene Genugthmmg, das schöne Exemplar wohlerhalten nach Berlin mitznbringen. Der Taxidermist des königlichen zoologischen Mnseums bezeichnete es als zum Ausstopfen vollkommen geeignet, und vielleicht wird eines Tages dieser bescheidene Beitrag zu der schönen Sammlung in ihren Reihen zu sehen sein. In St.-Ioseph (Missouri) hat die Poststraße ein Ende, die während der letzten 600 Miles fast einer Kunststraße gleichkommt, so glatt ist der von Natur günstige Boden durch die breiten Näder der vielen tausend Emigrantenwagen, welche dieselbe alljährlich passireu, gemacht worden. Von hier reist man mittels Eisenbahn bis zu den Ufern des Mississippi, dann auf dem Dampfboot bis St.-?oms, und von da in zwei Tagen wieder mit der Eifenbahn bis Neuyork. Dampfschiff und Bahnen waren mit ucuausgehobenen Truppen gefüllt. Die Kanonen, welche im Fort Sumter gegen das Sternenbanner ihren Eifenhagel gefchleudert hatten, fanden ein Echo über den ganzen Continent. Von allen Seiten eilten Bewaffnete herbei, nnd ein Bürgerkrieg, der das Land in feineu Grnndvesten erschütterte, brach aus. Das Kriegsfieber, das in allen Adern brannte, ergriff auch mich, es drängte mich, unter der alten Flagge zu kämpfen, unter der ich früher gedient und die fo viele meiner frü-Hern Waffenbrüder treulos verlassen. Ich gestattete mir nur zwölf Stunden Rast, um mein Kind, von dem ich vor 269 drei Jahren schieb, als es noch ein Säugling war, noch einmal zu sehen; dann eilte ich noch am selben Tage nach Washington, sah, und mein Entschluß war gesaßt. In einer Immcdiateingabe an Se. Majestät den König bat ich um Frist, etwa noch schuldenden Verpflichtungen gegen die königliche Regierung nachkommen zu dürfen, wenn ich der Wehrpflicht gegen mein Adofttivvaterland genügt. Diese ward mir nicht versagt, und am selben Tage, wo ich mein Offizierspatent und Marschordre empfangen, traf ich im Hauptquartier des Generals H., dessen Stab ich als Kapitän und telegraphischer Ingenieur beigegeben, auf dem äußersten linken Flügel der Armee vom Potomac ein. Ein Jahr des Krieges mit allen seinen Greueln folgte. Schlachten, Hospital, eine traurige, grausame Kriegsgefangenschaft von sieben Wochen, in die ich am W. Juni vor Richmond gerieth, Auswechslung am 15. Aug., und am 1. Dec. 1862 fand ich mich durch eine schwere Verletzung der rechten Schulter temporär dienstunfähig. Lange, wahrscheinlich fruchtlose Behandlung im Hospital wartete meiner, mit der Aussicht auf dauernde Lähmung und permanente Invalidität. Ein verständiger, befreundeter Arzt stellte mir den Fall klar vor, und rieth mir Nuhe und Behandlung durch einen competenten Civilarzt, der, so hoffe er, mich in einigen Monaten wiederherstellen werde. Ich folgte seinem wohlgemeinten Nath und reichte mit schwerem Herzen meine Resignation ein. Die Antwort des Generalmajors Dix, Commandanten von Ostvirginien, zu dessen Stab ich seit dem 2. Juni versetzt war, lautete wie folgt: 270 Head Quarters, Department of Va. Seventh Army Corps, Fort Monroe, 7 December 1862. Capt. Wm. Heine of the Volunteer Topogr. service. Dear Sir! In accepting your resignation for the sufficient reasons you assigned I cannot forbear to express the sincere regret, with •which I consent to it. Your services have been very valuable to me; and in every position, in which you have been placed, your ability efficiency, zeal and fidelity to your official trust, call for my marked approbation. Should the exigency, which calls you to Europe be temporary in duration, I trust you will return to the service of the United States and by no one will you be more cordially welcomed than by myself. I am with my best wishes sincerely your John A. Dix, Maj. Gen. Mit schwerem Herzen nahm ich am 7. Dec. von dem edeln -gütigen Oberbefehlshaber und von meinen Kameraden Abschied. „Auf Wiedersehen im Frühjahr!" 271 Am 11.. tr.af ich in Neuyork em, verweilte zwei Tage in der Nähe meines Kindes, nnd am 13. verließ ich Amerika an Bord des hambnrger Dampfers „Borussia". „Auf Wiedersehen im Frühjahr!" Am 29. langte ich in Hamburg an, feierte beim Beginn des nenen Jahres das Geburtsfest meiner guten alten Mutter, und meldete am 5. Jan. meine Ankunft dem königlichen Ministerium, um etwa noch schuldenden Verpflichtungen nachzukommen. Ein verständiger Arzt und jetzt mir werther Freund, Hr. Dr. Moritz Meyer, unternahm auf Empfehlung meines Verwandten, Hrn. Dr. Erdmann in Dresden, meine Heilung, und Dank dem Herrn, ich habe den Gebrauch meines Armes wieder. Das Frühjahr ist da, der Krieg ist drohender und schrecklicher als je zuvor, und ich ziehe wieder dahin, wo die Pflicht mich rnft. „Auf Wiedersehen im Frühjahr!" Anhang. Heine. Weltreise. II. 16 I. China und Japan, das östliche Asien und der Welthandel. Ein Vortrag von Wilhelm Heine, gehalten in der Geographischen Gesellschaft zu Berlin, den 7. Mai 1859. Aie ehrende Gelegenheit, heute vor Ihnen zu sprechen, glaube ich nicht besser würdigen zu können als mit einigen Betrachtungen über einen Theil der Erde, dessen Beobachtung ich während der letzten sieben Jahre beinahe ausschließlich meine Aufmerksamkeit geschenkt: das östliche Asien, besonders China, Japan und die nahe der Mündung des Amur gelegenen Länder, und deren Eröffnung für den Welthandel. So glücklich, die von den Vereinigten Staaten entsendete Expedition zu begleiten, welche zwar schon jetzt Resultate hoffnungerregender Verträge anbahnte, war es mir möglich, als unbefangener Augenzeuge den Lauf der Angelegenheiten zu beobachten. Diefe Beobachtungen sowie meine persön- 18* 276 lichen Erlebnisse erschienen unter dem Titel: „Eine Reise um die Erde nach Japan", und die günstige Aufnahme, die das Buch beim deutschen Publikum fand, deutete an, wie groß das Interesse war, das sich an jene Ereignisse und die Länder, in denen sie stattfanden, knüpfte. Eine weitere Entwickelung des begonnenen Verkehrs trat ein, eine Reihe vortheilhafter Handelsverträge trat an die Stelle des ersten Vertrags zum Schuhe schiffbrüchiger Seeleute. Die Kaufleute wagten Efperimentalexpeditionen, die von Erfolg gekrönt wurden, und foweit menschliches Wissen zu dringen vermag, ist ein fast unerschöpfliches Feld, dessen Ressourcen in Production und Consumtion auf eine noch nie gesehene Weise jeden bereits bestehenden Markt übertreffen, dem Welthandel geöffnet. Die zunehmende Bedeutsamkeit des einmal erfaßten Gegenstandes bestimmte mich in einem zweiten Werk: „Die Expedition der Commodore Ringgold und Rodgers nach den Seen von China, Japan und Ochotsk", die Geschichte des weitern Verkehrs mit den Japanern, sowie solche Details, wie sie zum bessern Verständniß beider Expeditionen und zur Grundlage von Schlüssen auf künftige Verhältnisse nöthig schienen, zusammenzufassen. Beide Werke machen keine andern Prätensionen als die einer einfachen Aneinanderreihung von Thatsachen; geflissentlich habe ich mich aller Aufstellung von Theorien enthalten, die vielleicht hier und da mit Thatfachen bekräftigt wären; denn ich war der Ansicht, daß, wenn man eine genügende Reihe von Thatsachen, die alle nach der- 277 selben Richtung hindeuten, aufstellt, die Theorie von selbst sich findet. In den Dedications beider Werke habe ich mich auszudrücken bemüht, wohin ich mit denselben strebe. Das erste, dem verehrten Alexander von Humboldt dargebracht, ist der bescheidene Tribut eines wißbegierigen jungen Mannes; in dem zweitens Sr. königlichen Hoheit dem Admiral Prinzen Adalbert von Preußen gewidmeten, wünschte ich die von mir in weiter Ferne gesammelten, der deutschen Handelswelt ersprießlichen Materialien in die Hände des Mannes zu legen, der vor allen andern bemüht ist, eine Seemacht zu begründen, ohne deren Schutz keine vortheilhafte Entwickelung des Fremdhandels denkbar ist. Auf die geographische Bedeutsamkeit der Vage Japans, die derjenigen von Großbritannien im Atlantischen Ocean sehr ähnlich ist, deute ich nur vorübergehend hin, denn ein flüchtiger Blick auf die Karte genügt um zu sehen, daß ein Inselreich, in einer solchen geographisch dominirenden Lage voll der vortrefflichsten Häfen, wäre es von einer ebenso unternehmenden Nation wie England bewohnt, nicht ermangeln könnte, den ganzen Stillen Ocean von sich abhängig zu machen. Ebenso spricht die Unerschöpflichkeit der Ressourcen jener Länder aus einigen wenigen statistischen Angaben für sich selbst. Unter den glücklichsten geographischen und klimatischen Verhältnissen, umgeben von einem fast unerschöpflich reichen Boden, in dessen Tiefen große Mineralreichthümer und edle Metalle ruhen, lebt in Japan eine intelligente fleißige Bevölkerung von dreißig Millionen 278 oder mehr, denen trotz ihrer frugalen Lebensweise viele fremde Handelsgüter nicht nur willkommen, fondern sehr bald selbst unentbehrlich sein würden. Als Bezahlung für dieselben würden sie im Stande sein, edle Metalle oder Producte ihrer eigenen Industrie zn geben, denn es hat ihnen nur wenige Mühe gemacht, bereits in Nangasaki den Holländern die Güter so zu liefern, wie sie für die von holländischen Kaufleuten beschickten Märkte gewünscht wurden. Daß aber Japan reich an edeln Metallen ist, darauf deutet alles hin. Während beinahe zweihundert Jahren hat goldhaltiges Kupfer den werthvollsten Ausfuhrartikel der Holländer gebildet; daß Gold nicht fetten ist, erhellt ans den: verhältnißmäßig niedrigen Werth der Goldmünzen im Vergleich mit Silber. Die Zinnminen, die v. Siebold beschreibt, lassen auf andere ebenso reiche schließen und die geologische Formation, besonders von Iezzo und dem nördlichen Theil von Niphon, der Küste von Californien sehr ähnelnd, läßt vermuthen, daß reiche Schätze von Metallen hier verborgen liegen. Die Japaner suchen diese Umstände sorgfältig zu verbergen, damit nicht etwa eroberungssüchtige Nachbarn durch dieselben angezogen das Land an sich reißen möchten. Allein sehen sie, daß Fremde in friedlichem Verkehr mit ihnen leben, nnd daß ihre Metalle ein Aus-tanschmittel für viele Lebensbedürfnisse bilden, so werden auch die mineralischen Ressourcen des Landes mehr entwickelt werden. Die auf Rechnung der japanischen Regierung auf mehreren Wegen bestellten gewaltigen Maschinen, von denen viele für den Bergbau bestimmt sind, deuten 279 darauf hin, daß dies in keiner entfernten Periode stattfinden wird. In China sind die Proportionen des Marktes noch riesenhafter. Die, mit Einschließung der Tatarei, Korea und Saghalien, sich über 400 Millionen belaufende Bevölkerung bewohnt einen Boden, dessen Productionskraft gegenwärtig als maßlos zu bezeichnen ist, da bisjetzt derselbe nur theilweise und unvollkommen ausgebeutet worden. Wie ungeheuer diese Hülfsquellen sein müssen, läßt sich daraus schließen, daß trotz der bedeutenden zunehmenden Ausfuhr, die Marktpreise dennoch im wesentlichen dieselben geblieben sind; in der That, die Productionsfähigteit jener Länder scheint keine Grenzen zu kennen. Es ist sonderbar, daß, obschon China in manchen Gegenden so dicht bevölkert ist, daß Tausende ihre Wohnung in Booten auf dem Wasser aufgeschlagen haben, andere Theile eine nur mäßig große Bevölkerung aufznweisen haben. Besonders sind dies die gebirgigen Districte. In manchen Gebirgsgegenden haben die Einwohner noch eine große Unabhängigkeit bewahrt, denn die kaiserlichen Mandarinen wagen sich nicht in dieselben, sondern führen stets einen nie endenden Gomykrieg mit denselben, um die nicht seltenen räuberischen Einfälle in die reichen Ebenen abzuhalten. Aus diesem Grund sind jene Gebirge und die unmittelbar daranstoßenden Ebenen weniger bevölkert und angebaut, als sonst wol der Fall sein würde. Zieht man nun in Betracht, daß bisjetzt aller Handel in verhältnißmäßig beschränkter Weise getrieben wurde, da 380 der fremde Kaufmann nur im Lande geduldet wurde und vereinzelt operirte, gegenüber den eingeborenen Kaufleuten, die in Compagnien oder Hongs systematisch soviel als möglich zu seinem Nachtheil operirten; daß erst jetzt den Fremden gestattet wird, direct mit dem Volk zu verkehren und an zahlreichen Punkten ihre Waarenlager anzulegen; bedenkt man, daß es möglich sein wird, statt der ominösm Bezahlung in Silber (8i88o), Waaren abzusetzen, besonders Tücher und Wollstoffe für Winterkleider, an denen jene Völker Mangel leiden, so ist es nicht schwer, einzusehen, welche ungeheuere Zukunft den Handel mit dem östlichen Asien erwartet. Die Japaner nebst den chinesischen Anhängern des Buddha dürfen aus religiösen Rücksichten keinen Theil eines gewaltsam getödteten Geschöpfes berühren, folglich keine Pelze tragen, auch sind dieselben zu theuer für die ärmern Klassen. Als Schutz gegen die oft heftige Kälte dient ihnen gesteppte Baumwollkleiduug, die fehr bald beifeite gelegt werden würde, wären ihnen gute feste Tuche und Plüsch zur Hand. Selbst jetzt bilden feine Tuche einen Luxusartikel bemittelter Persouen. Und wie wichtig der Handel von Tuch- und Wollwaaren für Deutschland ist, habe ich erst kürzlich Gelegenheit gehabt, vollkommen zu sehen, ans einer Mittheilung des königlich preußischen Statistischen Bureau, nach welcher die muthmaßliche Ausfuhr von Wollwaaren allein aus Preußen die Abfchätzung, die ich für ganz Deutschland gemacht, beinahe um das Doppelte überstieg. Heben wir von den Ausfuhrartikeln 281 nur Thee und Seide hervor, die die Chinesen bald ebenso wie die beliebte „boppelspulige" französische und italienische Seide wickeln lernen werden, so würde dies bereits allein einen unermeßlichen Handel erschaffen; jener tausend andern Gegenstände, die bald von selbst ihren Weg in den Markt finden, gar nicht zu gedenken. Wie sehr selbst unter den ungünstigsten Umständen der Handel in jenen Gegenden wächst, beweist eine von den Herren Koch und Visser mir freundlich zugesaudte Tabelle, woraus sich ergibt, daß die directe Ausfuhr von China nach Hamburg und Bremen von 94200 Thlrn. Gold des Jahres 1848 im Jahre vor der Zerstörung Kantons, 1856, auf 2,205,500 Thlr. gestiegen war. Bereits sind von deutschen Kaufleuten verschiedene Versuche gemacht worden, von China aus direct nach Japan zu handeln, und günstig ausgefallen. Ein neuer Handelsartitel ist auf den Markt gekommen, „Pflanzenwachs", das, durch Sieden aus den Blättern eines gewissen Strauches gewonnen, für die meisten Zwecke dem Bienenwachs vollkommen gleichkommt, und deutsche Tuche sind zum ersten mal auf directem Wege nach Japan verhandelt worden. Im „Philadelphia Ledger" ist folgende Corresponds aus Hongkong vom 14. Januar zu lesen: „Wir hören, daß während der letzten zwei Monate 13 Schiffe von China nach Nangasaki gesegelt sind, und daß alles auf einen baldigen lebendigen Verkehr mit jenem Lande hindeutet. Das amerikanische Schiff «Florence», Kapitän D. Merrick, war im Stande, eine Ladung von 10000 Pikul 282 Pflanzenwachs (ungefähr 1,320,000 Pfd.) zum Preise von 7 Dollars pro Pikul aufzukaufen, das in Europa 18 — 20 Dollars pro Pikul werth ist. Dies würde einen reinen Gewinn von 120000 Dollars für eine Reise abwerfen." Es steht nun nicht zu erwarten, daß alle Schiffe gleich brillante Reifen machen, im Gegentheil, nach sehr niedrigen Preisen Pflegen gewöhnlich sehr hohe zu folgen, die erst später wieder herabgehen; deshalb wäre es vielleicht, nicht unpassend, derartige Versuche durch Gesellschaften zu unternehmen, die Gewinn und Verlust theilen, da die Mittel des einzelnen Kaufmanns nicht immer allen Rückschlägen eines so entfernten Handels gewachsen sind. — Da Japan dem deutschen Kaufmann den Vortheil gewährt, daß seine Güter hier eine ebeuso neue Erscheinung sind als die anderer Nationen, denn die geringe Einfuhr der Holländer kann kaum in Betracht gezogen werden, fo liegt es jetzt in seiner Hand, seinen Producten einen festen Standpunkt zu sichern. Es ist charakteristisch, daß beinahe in allen Branchen des überseeischen Handels die Consumenten sehr bald gewisse Gattuugen von Waaren, gewisse Marken von Fabriken auswählen, die vor allen andern Gunst bei ihnen finden; haben sie einmal eine solche Wahl getroffen, so ist es schwer, einen andern Artikel derselben Art in Aufnahme zu bringen, sei er auch noch so gut, der Preis auch noch so billig. Dies hat vor allen Dingen seinen Grund darin, daß z. B. in England gewisse Fabrikate, die einen gewissen Stempel führen, eine sich stets gleichbleibende, gewisse Qualität besitzen, wie ein Stück Gold den auf seinem 283 Stempel angeführten Nennwerth besitzt. Deutsche Fabrikanten dürften wohl thnn, dies stets zu bedenken, und ihre Fabrikate in gleichmäßiger Qualität zu erhalten; nur so können sie für dieselben eine günstige Stelle im Fremdenmarkt erlangen und behaupten. Nicht außer Augen zu lassen sind die Ausbreitungen Nußlands im östlichen Asien, und besonders die unbeschränkte Obergewalt jenes Reiches über den Amurfluß bis au seine Mündung und südlich davon bis über Castriesbai hinaus. Die an jener Küste liegenden Häfen sind für das russische Reich von ungemeinster Wichtigkeit, denn vermittelst einer nmmterbrochenen Flußschiffahrt von 2000 Seemeilen können die reichen Producte Centralsibiriens in den Stillen Ocean gebracht und andere Producte auf demselben Wege eingeführt werden. Die Handclswelt der Vereinigten Staaten hat die Wichtigkeit dieses Punktes sofort erkannt. Schon im ersten Jahre der Eröffnung des Hafens von Nikolajewsk liefen nicht weniger als sieben amerikanische Schiffe von San-Francisco, Boston und Hongkong ein; der erste Handelsversuch erzielte den Umsatz eines Kapitals von beinahe einer Million Dollars, eine Compagnie für den Amurhandel bildete sich sofort, und unternehmende amerikanische Kanfleute aus San-Francisco und China etablirten ihre Agenturen daselbst. Es ließe sich gegen Brauchbarkeit der Mündung des Amur einwenden, daß dieselbe zu weit nördlich (etwa im selben Breitengrad wie Berlin) gelegen, auch nach Norden gegen die sich im Winter und Frühjahr herandrängenden Eismassen nicht 284 genug geschützt sei. Allem etwas südlich von der Amurstraße am nördlichen Ende des Tatarischen Golfs besindet sich Castriesbai, ein vortrefflicher Hafen, nur 30 Meilen vom Bett des Amur entfernt, zu dem leicht eine Eisenbahn- oder Kanaloerbindung geleitet werden kann. Bei der großen Wichtigkeit, die diefe Häfen für Rußland haben, da die bisher besessenen in den Meeren von Ochotsk und Bering zu entlegen, auch sonst nicht geeignet waren, um viel benutzt zu werden, kommt es nothwendiger-weise darauf an, die Verbindungen nach dem Innern zu erleichtern. Der „Amur" selbst bietet den ersten Verbindungsweg, und bereits hat die russische Regieruug 10 Dampfer für die Flußschiffahrt bestimmt, die sich entweder schon dort befinden oder doch bald befinden werden. Vom Ende der Schiffahrt in Ehetha bis Kiachta ist nur eine knrze Strecke; Kiachta selbst das Thor, durch welches bisjetzt sämmtlicher Handel zwischen Nußland und China geht, der gegenwärtig nur mit den stümperhaftesten Trausportmitteln, wie Packthiere und Hundeschlitten, betrieben wird. Zieht man in Betracht, daß schon jetzt eine bedeutende Truppenmacht in jenen Gegenden steht, die im Fall eines Krieges natürlich verstärkt werden muß, daß zum Transport der Truppen und nöthigen Vorräthe bessere Mittel erheischt werden, daß das Land fast ganz eben und ungemein günstig zur Anlage von Eisenbahnen und Telegraphenverbindungen ist, so erhellt von selbst, daß bereits jetzt an eine Eisenbahn-und Telegraphenverbindung jener Gegenden gedacht werden muß, ebenso wie man in den Vereinigten Staaten daran 285 denkt, eine Bahn und Telegraphen nach dem Stillen Meer zu bauen, und kaum läßt sich bestimmen, welche dieser beiden Verbindungen früher ins Nerk gesetzt fein wird. Gewisse Verbindungslinien find von so großer militärischer und staatsökonomischer Wichtigkeit, daß Verbindungsmittel geschaffen werden müssen, seien die Schwierigkeiten auch noch so groß, die Kosten noch so ungeheuer. Bei einer Bahnverbindung zwischen Chetah und Moskau sind die Schwierigkeiten jedoch bei weitem geringer als bei einer Bahn von Neuyork nach San-Francisco. Auf der Straße von Irkutsk nach Moskau, 2500 englische Meilen, sind, wenn dieselbe nördlich von dem Altaigebirge geführt wird, keine bedeutenden Höhenzüge, nach einer Stelle eines Briefes von A. v. Humboldt, im I. 1855 an den Verfasser gerichtet, der zu jener Zeit beabsichtigte, von Japan über den Amur und Sibirien nach Amerika zu reifen: „Als Künstler werden Sie in jenen Gegenden nur eine magere Ausbeute finden, denn die berliner Hafenheide dehnt sich in beinahe ununterbrochener Länge bis Tobolsk und darüber hinaus." Auf jener ganzen Strecke sind in geringen Entfernungen Städte und Dörfer von mehr oder weniger starker Bevölkerung gelegen. Hr. Collins, Conful der Vereinigten Staaten, der sich über Petersburg nach seinem Posten an der Mündung des Amur begab, schreibt von Irkutsk: „Zwifchen hier und Moskau (eine Entfernung von 5138 Wersten oder 3426 Meilen) eriftircn 215 Poststationen, die durchschnittlich in einer Entfernung von 16^ 286 englischen Meilen (etwa 3^2 deutschen Meilen) voneinander gelegen find." Auf der projectirten Bahn nach San-Francisco sind öde Gegenden von 1200 englischen Meilen, die jetzt noch unbewohnt sind, vielleicht auch sich als unbewohnbar erweisen werben. Schnee, dieser große Feind der Eisenbahnen, fällt nicht in großen Massen, deshalb können an vielen Stellen die Schienen einfach auf den Boden gelegt werden. Vor nicht vielen Jahren wurden Unternehmungen, wie z. B. die Ueberlandverbindung mit Ostindien, als chimärische Pläne sanguinischer Köpfe betrachtet, und daß die hier erwähnte Verbindung in demselben Lichte betrachtet würde, dürfte uicht überraschen. Daß die Regierung aber die Wichtigkeit einer engen Handelsverbindung zwischen den verschiedenen Theilen des gewaltigen Reiches vollkommen einsieht, dafür zeugen die großartigen Pläne eines Eisenbahnnetzes, das Petersburg, Moskau, Warschau, Nishnij-Nowgorod und Astrachan umfaßt. Ist diese Bahn erst gebaut, so erheischt es das Interesse Rußlands, durch das Herbeiziehen von möglichst vielem Verkehr dieselbe rentabel zu machen, und aus diesem Grunde dürfte leicht die Regierung durch günstige Bestimmungen den Transithandel zu heben suchen. Artikel wie Tuche, Seide und Thee aber sind kostbar genug, um durch geringern Umfang und Schwere, durch das verminderte Risico und die kurze Zeit, in welcher das Kapital umgesetzt werden kann, die erhöhten Kosten eines Bandtransports aufzuwiegen. Vielmehr werden in keiner zu sehr entfernten Periode Ein- und Ausfuhr nach China und 287 Japan ihren Weg ebenso gut via Amur als via Cap Horn finden. Soll aber nun ein director Handel zwischen Deutschland und dem östlichen Asien entwickelt werden, so ist es vor allem nöthig, zuerst der Flagge das Recht zu sichern, die Häfen jener Länder zu besuchen. Denn selbst jene bereits stattgefundenen Versuche deutscher Kaufleute sind unter dem Schutze fremder Flaggen uuternommen worden; solches kann aber eben nur bei Versuchen stattfinden; follte deutscher Handel mit den Interessen jener Nationen in Collision kommen, so würde jener Schutz bald sein Ende erreichen. Mit großer Genugthuung vernahm ich vor einiger Zeit, daß die Regierung Preußens beschlossen hat, eine Gesandtschaft nach China und Japan zu senden. In der Neuen Preußischen Zeitung oder Kreuzzeitung las ich untern: 5. Mai: „Der Kapitän Donner, welcher auf der a Gefion» mit 15 Seecadetten eine Seereise unternommen hat, wird sich nach Japan begeben." Möge Gott den guten Entschluß segnen und stärken. Es ist hohe Zeit, daß Deutsche sich auch in dem eben eröffneten Felde zeigen. Augenblicklich können sie sich noch alle Vortheile gleich den ältesten größten Seemächten sichern, in wenigen Jahren wird es hierzu scholl zu spät sein. Haben sich gewisse Güter am Markt festgesetzt, so können sie gegen alle später erscheinenden ihren Stand behaupten. — Aus Brüssel, den 27. April, lese ich: „Belgien hat seit längerer Zeit die Absicht, eine diplomatische und commerzielle Gesandtschaft nach China und 288 Japan zu senden. Nachdem aber die zu diesem Zweck niedergesetzte Specialcommission sich dahin ausgesprochen, daß die Kosten einer solchen Sendung sich wenigstens auf IV2MU-lion Frcs. belaufen würden, hat das Ministerium unter obwaltenden Umständen Abstand von dieser Gesandtschaft genommen." Ich kann nur mein Bedauern über diese Entscheidung ausdrücken. Ist der Wohlstand des Landes im Augenblick durch politische Ereignisse zu sehr bedrückt, und liegt der Handel danieder, so erscheint dies vielmehr als ein Grund, keinen Augenblick zu verlieren, denselben wieder zu heben. Weil der Handel daniederliegt, muß man frisch ans Werk greifen, ihn neu zu beleben; sind Kanäle nach einer Seite zur Ausfuhr verstopft, müssen auf der andern neue eröffnet werden; stehen Manufacturen still, so muß ihnen neue Beschäftigung errungen werden, und keine noch so günstigen Schutzzölle, keine noch so liberalen finanziellen Ermunterungen einer weisen Negierung können dies so vollkommen thun, als wenn man dem Handel neue Märkte eröffnet, den Producenten mit neuen Consumenten in Berührung bringt, und so das träge rollende Blut mit neuer Energie durch die Adern des Staatskörpers treibt. Kann eine Auslage von einer halben, einer ganzen, ja selbst zwei oder drei Millionen gegen solche Vortheile in Anschlag gebracht werden, zu einer Feit, wo sich Armeen im Felde befinden, die, wie z. B. die Oesterreichs, täglich mehr als eine Million verschlingen? 289 Einen großen Irrthum haben alle Nationen ohne Ausnahme begangen, indem sie sich die Schwierigkeiten, von jenen östlichen Nationen Handelsverträge zu erlangen, zu groß ausmalten. Drei Jahre berieth man im Congreß der Vereinigten Staaten die Möglichkeit einer Expedition, und als dieselbe endlich beschlossen war, dauerte es noch ein weiteres Jahr, bis sie segelte. Während dieser ganzen Zeit ergoß sich ein bedeutender Theil der Presse des Landes theils in Befürchtungen eines Mislingens, oder suchte auch wol das ganze Unternehmen lächerlich zu machen. Und dennoch erzielte ein winziges Geschwader in kurzer Zeit mehr, als die sanguinischsten Gemüther erwartet hatten, und binnen kurzem schloß ein bevollmächtigter Gesandter Amerikas beim Hofe von Modo, ohne von irgendwelcher Kriegsmacht unterstützt zu werden, einen so vortheilhasten Handelsvertrag ab, als nur zu wünschen war. Es steht nichts im Wege, daß Deutschland nicht ähnliche Vortheile für sich sichern konnte, und welchen Einfluß ein jährlicher Umsatz von 10 oder 20 Millionen Werth an Waaren auf den Wohlstand des Landes ausüben wird, ist wol nicht schwer, sich vorzustellen. Commodore Perry war angewiesen, einen alle Nationen umfassenden Vertrag zum Schutz von Schiffbrüchigen und von Schiffen in Noth mit Japan abzuschließen. Als er den kaiserlichen Commissaren den Antrag stellte, lautete die Antwort: „Die Vereinigten Staaten sind durch eiue Gesandtschaft vertreten, wir werden mit den Ver- Hcinc, Weltreise. II. 19 290 einigten Staaten über alle Punkte verhandeln. Wenn andere Länder durch eine Gesandtschaft vertreten sind, werden wir mit andern Ländern auch verhandeln." Etwaige Kriege dürften wol kaum wesentlich auf eine solche Expedition wirken. Wissenschaftliche Unternehmungen stehen schon seit 1836 unter dem gemeinsamen Schutz aller Nationen; niemand wird die von Oesterreich entsendete Fregatte „Novara" antasten, und ebenso ungehindert würde die „Gefion" bleiben. Sollte aber ein kleinlicher Geist der Eifersucht unscrupulöser Machthaber eine solche unwürdige Verletzung der Völkerrechte, eine solche Schandthat herbeiführen, dann ist ein tüchtiges Schiff, bemannt von tüchtigen Leuten, immer noch im Stande, für sich selbst zu sorgen. Rußland leitete seine Verhandlungen mit Japan während eines blutigen Krieges ein, hatte nie mehr als vier Kriegsschiffe im Stillen Meer, wurde von mehr als zwanzig feindlichen Schiffen aller Größen fortwährend gesucht und beängstigt, und würde den zuletzt erfolgreich abgeschlossenen Vertrag auch nicht mit' dem Verlust Eines Mannes zu beklagen gehabt haben, hätte nicht ein unvorhergesehenes Erdbeben das Geschwader seines besten Schiffes beraubt und gegen 600 Seeleute schiffbrüchig an die Küste Japans geworfen. Schutzhäfen standen dem Geschwader zu jener Zeit nicht offen, denn die Häfen von Sibirien und des Amur waren nicht genügend befestigt, und die Japaner hätten einer angreifenden Macht der Alliirten keinen Widerstand zu leisten vermocht, um ihre Gäste zu schützen. 291 Kapitän Porter von der Vereinigten Staaten-Flotte segelte im I. 1813 mit der Fregatte „Esser" nach dem Stillen Ocean, verblieb daselbst zwei Jahre, vernichtete sämmtliche feindliche Walfischfänger, bezog von Amerika während des ganzen Zeitraums weder einen Mann Verstärkung, einen Thaler Subsidien, noch Vorräthe und Munition irgendeiner Art, sondern verproviantirte, ammunition nirte und bezahlte sein Schiff aus den genommenen Prisen, und sandte überdies eine Prise nach der andern heim, bis zuletzt im neutralen Hafen von Valparaiso, wo er sich mit Recht für sicher halten konnte, von einer ihm doppelt überlegenen feindlichen Macht sein Schiff zerstört, er selbst aber und die Mannschaft auf Parole heimgesandt wurden. Was brave Männer einmal gethan haben, können brave Männer immer wieder thun. Männer, die sich auf solche Unternehmungen begeben, müssen stets bereit sein, ihr Leben in die Schanze zu schlagen; allein Männer, die das Leben gering achten, sind unbesiegbar; der moralische Eindruck aber, den die Kühnheit eines solchen Unternehmens zu solcher Zeit hervorbringen würde, ist von so großer Wichtigkeit, daß er allein schon alle Gegengründe aufwiegt. Kleine maritime Streitkräfte können einen überlegenen Gegner auf dem weiten Ocean mit mehr Erfolg bekämpfen als im Schutz selbst vortrefflicher Häfen, wo ein einziges Kanonenboot nnter Umständen wirksamer handeln kann als eine Fregatte. Die amerikanischen Kriege von 1776 und 1813 sowie das Verbrennen der dänischen Flotte in dem 19* 292 Hafen von Kopenhagen durch Nelson liefern den Doppelbeweis hierfür. Und das Feld der Wisfenfchaft in jenen Gegenden auszubeuten, wer hat wol gerechtere Ansprüche darauf als der Deutsche? Drängen sich uns nicht bei der bloßen Nennung der Länder Erinnerungen an Namen, wie: Meyen, Mittendorf, Pallas, Ad. v. Chamisfo, A. v. Humboldt, Ermann, Krusenstern, Gützlaff u. a. auf? Und ebenso in Japan, wem verdanken wir bis heute die beste vorzüglichste Aufklärung als deutschen Gelehrten? Thunberg, obgleich von Geburt ein Schwede, dennoch gleich Chamisso und Krusenstern durch Erziehung mit deutschem Wissen identificirt; Siebold, der die Naturgeschichte jenes Inselreichs so erfolgreich behandelte, Dr. Mohnike und vor allen andern Engelbrecht Kaempfer, jener herrliche gewissenhafte Reisende, der vor 200 Jahren das Land und seine Bewohner so graphisch und gewissenhaft beschrieb, daß heute noch sein Buch ein ebenso nützlicher Wegweiser im Niphon ist als zur Zeit, wo es geschrieben ward. — Ich kann und will es nicht glauben, daß die deutsche Wissenschaft sich von dem Boden verdrängen lassen will, auf den sie ein solches Anrecht erworben. Vor allem gebe man sich nicht der Täuschung hin, daß es mit dem Absenden einer bewaffneten Gesandtschaft abgethan sei. Die Vereinigten Staaten haben geraume Zeit, ehe die Expedition segelte, die Japaner auf das Erscheinen derselben vorbereitet. Ein ähnlicher Weg würde auch hier ersprießlich sein. Artikel in Zeitschriften, Flugschriften und 293 ähnliche Mittheilungen, die Expedition und ihre Zwecke besprechend, den Japanern zugestellt, würden dieselben aufklären und Verhandlungen anbahnen. Die Zustellung könnte leicht durch den Gesandten einer der Mächte geschehen, die Verträge mit Japan abgeschlossen haben; am besten vielleicht durch Amerika, dessen Interessen wol am wenigsten mit denen Deutschlands in Collision kommen dürften; denn die Hauptartikel amerikanischen Handels sind Baumwollstosse, während der Tuchhandel, der für Deutschland wichtig ist, in Amerika nur einen untergeordneten Rang einnimmt. Bei den Verhandlungen Rußlands und Englands hat der Generalconsul Hr. Harris thätige Hülfe geleistet, und sogar bei dem endlichen Besuch der Gesandten in Jeddo seinen Privatsecretär Hrn. Heusken als Dolmetscher mitgesandt. — Die schiffbrüchigen Russen wurden von amerikanischen Kriegsschiffen so sehr unterstützt, als eine neutrale Macht nur konnte, und hätte vor Ausbruch des Krieges Commodore Perry, von der amerikanischen Regierung dazu ermächtigt, den russischen Dampfer „Vostoch" nicht mit Kohlen versehen, so wäre derselbe bald darauf den Alliirten zur Beute gefallen, da er sonst nicht aus Schanghai segeln konnte. Die Vereinigten Staaten verfahren in ihrer Handelspolitik nach dem richtigen Grundsatz, daß, um etwas Großes zu thun, es von allen, für alle, durch alle gethan werden muß; kein kleinlicher mißverstandener Egoismus darf herrschen. Ein so ungeheueres Feld von über 400 Millionen Consumeuten macht es nöthig, daß die ge- 394 sammte civilisirte Welt Hand ans Wert legt; Eifersucht und Wunsch, ein Monopol zu sichern, wären übel am Platze. Ein einzelner Ansiedler, der einen Urwald von ungeheuerer Ausdehnung in Besitz nehmen will, geht darin zu Grunde, Hunderte und Taufende, die davon Besitz ergreifen, werden Glück und Wohlstand finden, da wo die vereinzelte Axt nur ein unsicheres Obdach für den einzelnen erringt, werden Tausende rühriger Hände das Gestrüpp längst eingewurzelter Vorurtheile lichten, Luft und Sonne werden den verdumftften Boden neu beleben und Wohlstand und freundlicher Verkehr werden die Völker der Erde dem höchsten Ziel der Civilisation näher bringen: eine einzige große Familie zu bilden, die ein friedliches Band umschlingt. Sollen aber Handelsverträge im östlichen Asien angebahnt werden, so dürfen die Kaufleute Deutschlands nicht vergessen, daß bei der' Lösung der' Aufgabe, in welche ihre persönlichen Interessen so sehr eingreifen, ein beträchtlicher Theil der Anstrengungen auf sie selbst fallen muß. Sollte eine deutsche Negierung großherzig genug sein, dem allgemeinen Wohl ein so bedeutendes Opfer zu bringen, so ziemt es denen, welchen Nutzen daraus ersprießt, nicht die Hände müßig in den Schos zu legen. Die Iapanexpedition kostet den Vereinigten Staaten mit Ausnahme der durch das Marineministerium gedeckten Erhaltung der Flotte nur die geringe Summe von 20000 Dollars für Extraausgaben der Gesandtschaft. Mit Ausnahme des Dolmetschers Hrn. Wells Williams bekleideten alle daran Betheiligten, 295 der Schreiber des Gegenwärtigen nicht ausgenommen, militärischen Rang, und die Belohnung für geleistete Dienste ward erst später vom Congreß bestimmt. — Die reichen Geschenke an den Kaiser von Japan aber waren beinahe ausschließlich von Kaufleuten und Fabrikanten freiwillig beigesteuert und ihre Liberalität und ihr Unternehmungsgeist haben schon vielen der dabei Betheiligten goldene Früchte getragen; ihre Waaren haben einen festen Fuß auf dem Markt gefaßt. II. Auszug aus der Teukschrist des preußische« Finanz-miuisters über die Expedition nach Ostasien. (Vvß'sche Zeitung. Berlin, den 13. Febr. 1860.) In Betreff der Expedition nach den ostasiatischen Gewässern ist jetzt die im Vorbericht zum Etat in Aussicht gestellte Denkschrift des Hrn. Finanzministers erschienen. Dieselbe weist im Eingang auf die commerzielle, kaum geahnte Bedentnng hin, welche die am Stillen Meere bele-genen Länder in den letzten Iahrzchndcn erreichten, daß England, Frankreich, die Vereinigten Staaten von Nordamerika und Rußland ihrem Handel und ihrer Schiffahrt durch den Schutz ihrer Kriegsflotte und dnrch Verträge die Vortheile zu sichern gesucht hätten, welche aus einer Aus> beutung der genannten Verkchrsbezichungcn je errungen werden konnten, und daß andere maritime Staaten Europas dem gegebenen Beispiel folgen und Handels- und Schiffahrtsverträge mit China, Japan, Siam, Hawai verhandeln oder deren Abschluß vorbereiten. Auch der Handel, die Industrie und Schiffahrt des Zollvereins hätten in erfreulicher Weise, auch ohne den Rückhalt eigener, nationaler Verträge und ohne die Vorführung einer schutzbereiten eigenen Marine, an den Unternehmungen sich zu beth eiligen angefangen, zu welchen die ncuerfchlosfenen Verkehrsgebiete 297 Gelegenheit gäben. Indessen erschiene es doch weder der politischen Stellung Preußens und des Zollvereins entsprechend, seine Unternehmungen fortdauernd nur unter dem Schutz fremder Nationalitäten, ihrer Kriegsflotten, Gesandten und Consuln auszuführen, noch für die Geschäfte dorthin nutzbringend, wenn sie der Sicherheit erworbener Berechtigungen ferner entbehrten. Erst dann könnten die Beziehungen zu jenen Ländern zum Gegenstand einer ausgedehnten, soliden Speculation gemacht und die neuerstandenen Märkte auch uns zuständig betrachtet werden, wenn ihre Benutzung unter dem anerkannten Schutze der eigenen Nationalität stehen würde. Es gelte dies insbesondere für unsere Nhederei, welche bereits seit längerer Zeit sich nicht mehr ausschließlich in dem herkömmlichen engen Kreise von Unternehmungen bewege, vielmehr bereits seit Jahren von Erfolg begleitete Anstrengungen gemacht habe, auch jene entlegenen Welttheile in den Bereich ihrer Operationen zu ziehen. Sie habe dies allerdings nur in der Voraussetzung thun können, daß die Regierung nicht säumen werde, ihr schützend an die Seite zu treten, wie auch die Handelsfahrzeuge anderer maritimer Staaten in jenen entfernten Regionen des Schutzes seitens ihrer Regierungen nicht entbehren, und es würde dem Aufschwung unserer Rhederei in der That sehr hinderlich sein, wenn die Negierung dieser be-grüudeten Erwartung nicht begegnen wollte. Von diesen Erwägungen ausgehend, habe die königliche Regierung geglaubt, mit Anbahnung vertragsmäßiger Beziehungen zu den ostasiatischen Reichen nicht länger zögern zu dürfen. 298 Sie beabsichtige eine handelspolitische Mission dorthin zu entsenden, die den Versuch machen solle, von den Regierungen jener Reiche für Preußen und den Zollverein ähnliche Zugeständnisse zu erlangen, als solche den Negierungen von England, Frankreich, Nordamerika und Rußland gemacht worden sind. Geleitet von preußischen Kriegsschiffen, welche dabei erwünschte Gelegenheit finden werden, die preußische Kriegsflagge in fernen Gegenden zu zeigen, und ihre Führer und Mannschaft mit Erfahrungen zu bereichern, soll die Mission sich nach Siam, China und Japan, unter Umständen auch nach den Sandwichinseln begeben, das Terrain in wissenschaftlicher und commerzieller Beziehung erforschen, und den Abschluß von Freundschafts-, Handelsund SchiffahrtsVerträgen herbeizuführen suchen. Den Chef der Expedition sollen, um ihn in den Stand zu setzen, sich bei Lösung der ihm gestellten manmchfachen Aufgaben geschickter und sachverständiger Mitarbeiter bedienen zu können, ein Legationssecretär und drei Attaches begleiten, zugleich um zu Specialsendungen verwendet zu werden und ihn und sich in Krankheitsfällen gegenseitig zu vertreten. Vier Naturforscher sollen das reiche, ihnen gebotene Feld im Interesse der Wissenschaft und unserer Sammlungen ausbeuten; die Aufgabe von drei Kaufleuten, welche sich zur Begleitung der Expedition erboten haben, wird es sein, sich mit den Bedürfnissen der dortigen Märkte genau bekannt zu machen und die Aufmerksamkeit der dortigen Händler auf die Erzeugnisse des zollvereinsländischen Ge-werbfleißes zu lenken, von welchen zahlreiche Muster aus 299 allen Zweigen der Fabrikation zu ihrer Disposition gestellt sind. Ein landwirtschaftlicher Sachverständiger soll sich bemühen, zwischen dem hiesigen und dortigen Stande der Agri-cultur Bergleiche anzustellen und zu erforschen, ob dortige Erzeugnisse und deren Behandlung für unsere Verhältnisse nutzbar zu machen sind. Endlich soll ein Zeichner und ein Photograph die dort gewonnenen Eindrücke fixiren und die Illustration der Darstellung der Expedition, welche nach deren Beendigung beabsichtigt wird, vorbereiten. Es H für zweckmäßig erachtet, der Fregatte „Thetis", der Schrauben-corvette „Arkona" nnd dem Schooner „Frauenlob", welche die Escadre bilden werden, ein Transportschiff und ein kleines eifernes Dampfboot beizugeben, ersteres um die Escadre rechtzeitig an den geeignetsten Plätzen mit Proviant und Kohlen versehen zu können, letzteres, um zum Befahren der Flut und Schleppen der Boote zu dieueu. Dieselben sind um den Preis von 52250 Thlr. angekauft. Im übrigen denkt die königliche Marineverwaltung mit einem jährlichen Zuschuß von 50000 Thlrn. die Kosten des Unterhalts der Schiffe und der Mannschaft, wenn nicht besondere Unglücksfälle eintreten, aus den ihr überwiesencn etatsmäßigm Fonds bestreiten zu können. — Der Gehalt des diplomatischen Chefs der Expedition ist mit Rücksicht auf das Exceptionelle seiner Aufgabe und Stellung sowie auf die seiner zahlreichen Begleitung gegenüber ihm obliegende gewöhnliche Repräsentation auf 12000 Thlr. bemessen; es hat ihm jedoch freigestellt werden müssen, baare Auslagen und außerordentliche Repräsentationskosten, zu deren Ver- 300 ausgabung der Verkehr mit den Großwürdenträgern der ostasiatischen Reiche sowie mit den dort accreditirten diplomatischen Agenten Englands, Frankreichs, Nordamerikas, Rußlands :c. oftmals Veranlassung geben wird, besonders in Rechnung zu stellen. Einstweilen sind zu diesem Behufe 6000 Thlr. jährlich ausgeworfen. Zur Bestreitung der Kosten seiner Ausrüstung für die Erpedition sind ihm 3000 Thlr. bewilligt. Die Kaufleute empfangen keine Remuneration, es ist ihnen nur freie Beförderung und freie Station zugesichert, wodurch ein Kostenaufwand von etwa 10000 Thlrn. veranlaßt werden wird, dagegen haben die übrigen Begleiter der Expedition, je nach ihrer Stellung und Aufgabe, die Kosten ihrer persönlichen, resp. wissenschaftlichen Ausrüstung mit 300—2000 Thlrn. erstattet und die Zusicherung einer Remuneration erhalten, deren Höhe ebenfalls je nach der Stellung und Aufgabe der Empfänger variirend auf 1—2lX) Thlr. monatlich bemessen worden ist. Die Kosten der Ueberlandreise nach Singapore und der Rückreise sind für jeden der betreffenden Reisenden auf 2000-2500 Thlr. verauschlagt. Zur Deckung der Kosten beS Aufenthalts und der Reifen auf dem Lande haben für jeden Theilnehmer an der Expedition, mit Ausschluß der kaufmännischen Sachverständigen, 5—600 Thlr. ausgesetzt werden müssen. Zur Verfolgung wissenschaftlicher Zwecke und zu Ankäufen :c. sind vorläufig 2000 Thlr. ausgeworfen. Welche Ausgaben für Annahme von Dolmetschern, Booten, Führern und für andere Zufälligkeiten erwachsen werden, läßt sich vor der Hand auch nicht an- 301 nähernd bestimmen. Zur Bestreitung derselben sind einstweilen 10000 Thlr. in Ansatz gekommen. 8000 Thlr. sind verwendet worden, um für die Herrscher von Siam und Japan die bei Vertragsabschlüssen dort üblichen Geschenke anzukaufen, und eine Summe von 4000 Thlrn. ist erforderlich gewesen, um die Expedition mit den nöthigen photographischen, elektromagnetischen und sonstigen Apparaten auszurüsten. Nimmt man die Dauer der Expedition auf 2^2 Jahre an, so werden die Kosten derselben sich, dem Vorstehenden gemäß, auf etwa 350000 Thlr. belaufen, wovon die königliche Negierung für dieses Jahr die Summe von 150000 Thlrn. auf den Etat gebracht hat. III. Das Verhalten der Amerikaner gegenüber der preußischen Expedition. Hauptquartier des 103. Reg. N. Y. V. South Branch Elizabeth river Virginia, deu 25. Juli 1863. In dem kürzlich erschienenen Werke: „Die preußische Expedition nach China, Japan und Siam in den Jahren 1860, 1861 und 1862. Reifebriefe von Reinhold Werner, Lieutenant zur See I. Klasse", finde ich folgende Stelle: Theil I, Seite 119: „Wie wir von Amerikanern und selbst vom amerikanischen Consul in Hongkong äußern hörten, hat diese Nation ihr Möglichstes gethan, um den Abschluß unsers Vertrags mit Japan zu hintertreiben. Wenngleich ihr dies glücklicherweise nicht gelungen ist, so scheint doch wenigstens die lange Verzögerung der Verhandlungen und der nur einseitig mit Preußen statt mit dem Zollverein erfolgte Tractat durch Intriguen mit herbeigeführt zu fein." Ich enthalte mich eines nähern Eingehens auf den Gegenstand, weil die königlich preußische Regierung einen 303 officiellen Bericht über die Ausführung der Expedition zu veröffentlichen gedenkt und somit zu erwarten steht, daß die Thatfachen dem Publikum mit actenmäßiger Treue über» geben werden. Doch kann ich nicht umhin, nachstehenden Brief des königlichen Gefandten Grafen zu Eulenburg an Hrn. Townsend Harris, bevollmächtigten Gesandten der Vereinigten Staaten in Japan, mitzutheilen, als eine vorläufige Widerlegung jener nach meiner Ansicht irrthümlichen Ausfassung. Legation de Pruase, Yeddo, 25 Jan. 1861. Monsieur le Ministre President! J'ai rhonneur de vous faire connaitre que j'ai signe hier avec les plenipotentiaires Japonais, nommes ä cet effet, un traite d'amitie et de commerce et de navigation entre la Prusse et le Japon. Vous avez ete temoin des difficultes que j'ai ren-contrees et qu'il ma fallu combattre. Je declare franchement que je n'aurais pas reussi ä les vaincre sans votre secours tant effectif. Vous avez pris fait et cause pour moi non seule-ment comme representant d'une puissance amie ä la Prusse, mais comme veritable ami, s'interessant per-sonnellement ä la reussite de ma mission. Je m'empresserai de porter ce fait ä la connais-sance de mon gouvernement, mais je tiens avant tout que vous sachiez combien je suis sensible ä toutes les 304 preuves d'amitie que vous n'avez pas cesse de me donner pendant mon sejour plein d'emotions au Ja-pon.*) Veuillez agreer la nouvelle assurance de ma consideration la plus distinguee. COMTE d'EuLENBURG. A • Monsieur Townsend Harris, Ministre President des Etats Unis au Japon. Ferner heißt es w demselben Werk, Theil II., Seite 168: „Die andere Version lautete, daß die Amerikaner auf das stärkste gegen uns intriguirt und die Japanesen gegen die Zollvereinsstaaten eingenommen hätten, weil sie deren Concurrenz und namentlich fürchteten, von den deutschen Schiffen bald, wie in China, gänzlich verdrängt zu werden. Die letztere Version scheint die richtige, da ich diese Anficht w Hongkong offen vom amerikanischen Consul habe aussprechen hören." Der hier angeführte Grund einer solchen Intrigue zerfällt in sich selbst. Es wäre kaum der Mühe werth, sich um die Cabotage in einem Lande zu streiten, wo dieselbe voraussichtlich in den nächsten 100 Jahren kaum von irgend- *) Hier folgt noch eiue Bitte, die bereits i» Japan sich aufhaltenden deutschen Kaufleute unter seinen Schutz zu nehmen. Da die« felbe Bitte jedoch zur selben Zeit auch an die Vertreter aller übrigen Vertragsmächte in Japan gerichtet würbe, so lasse ich den Abschnitt auf ausdrücklichen Wunsch des Hrn. Harris aus. 305 welcher Bedeutung sein uud selbst danu immer noch ein sehr untergeordnetes Interesse darbieten wird. An der Küste von China aber ist die Cabotage bereits ohne Vertrag znm großen Theil in den Händen von Hamburger Nhedern, deren Fahrzeuge meist klein und zu diesem Zweck vortrefflich geeignet sind, und die als zuverlässige Leute sich eines großeu Vertrauens in der Handelswelt des Ostens erfreuen. Vertrag oder nicht Vertrag, es hat sie bisher niemand in Verfolgung dieses Geschäfts belästigt nnd wird kein anßerdeutscher Gesandter oder Consul sie darin belästigen. Der Handel der Engländer und Amerikaner wird meist von großen Häusern mit großem Kapital betrieben, und die zur Ausführung so großartiger Speculationcn nöthigen Kapitalien köunen durch Betreibung eines Nebengcschäfts, wie Cabotage, nnr zersplittert werden; deshalb bedient man sich in Fällen, wo kleinere Ouantitäteu vou Haudelsgüteru aus Zwischenhäfen nach Hongkong, Schanghai :c. gebracht werden, viel lieber der obenbenannten Fahrzeuge, welche, diesen Zweig der Schiffahrt mit großer Umsicht betreibend, einen reichlichen Gewinn dabei machen. Ende, Druck von F. A. Nrockhaus in Leipzig. Neuere Neisewertc ans dem Verlast von 6. A. Blockhaus in ^Ml- Auc.Lallcmstnt, Nobcrt. Reise durch Süd-Brasilien im Jahre 1858. Zwei Theile. 8. Geh. 4 Thlr. 10 Ngr. ------- Ncife durch Nord-Vrasilien im Jahre 1859. Zwei Theile. 8. Geh. 3 Thlr. 24 Ngr. Orcmer, Fredcrike. Die Heimat in der Neuen Welt. Ein Tagebuch in Briefen, geschrieben während zweijähriger Neifen in Nordamerika und auf Cuba. Neun Theile. Geh. 3 Thlr. Geb. 3 Thlr. 18 Ngr. ------ Leben in der Alten Welt. Tagebuch während eines vierjährigen Aufenthalts im Süden und im Orient. Jeder Theil geh. 10 Ngr. Gregorouius, Ferdinand. Wanderjahrc in Italien. Drei Bände. 8. Jeder Band geheftet 1 Thlr. 24 Ngr., gebunden 2 Thlr. Erster Band: FilMen. Geschichte, Leben und Scenerie aus Italien. Zweite ucrmehrte Auflage. Zweiter Band: Lateinische Sommer. Dritter Band: Sicilian«. Wanderungen in Neapel und Sicilk». üremcr, Alfred von. Aegyptcu. Forschungen über Land uud Volk wa'hrcud eines zehnjährigen Aufenthalts. Mit einer ^avt^ von Acgyptcn. Zwei Theile. 8. Geh. 3 Thlr. 10 Ngr. Reise nach Island im Jahre 1660. Von William Prcyer nnd Ferdinand Zirkel. Mit wissenschaftlichen Anhängen. Nebst AbbildmMn in Holzschnitt und cincr lithographirtcn .Karte. ^. (^ch, .5 Thlr. 10 Ngr. Schlagintweit, Hermann, Adolphe, and Robert de. Results of a scientific Mission to India and High Asia, undertaken between the Years MDCCCIJV and MlX'iri.YIH, by order of the Court o!" Directors of the Honourable Kast India Company.. With an AM.-i.s of Panoramas, Views and Maps. Vol. I.: Astronomical and Magnolie Observations. Vol. II.: Hypsomefry. Vol. 111. lioutc- Hook. Geographical Glossary. Jeder Maud Text in Quart nebst einer Lieferung des Atlas in Folio 20 Thlr. 20 Ngr. Tischcndors, ConstattUn. Au^ dem heiligen Lande. Mit fünf Abbildungen in Holzschnitt und einer lithoaraphirten Tafel. 8. Geh. 2 Thlr. 10 Nqr.