A. CANCANI. o o o Von A. Belar. O O o Sonderabdruck aus der Monatsschrift „Die Erdbebenwarte“, 1904/5, Nr. 1 bis 4, IV. Jahrgang. LA1BACH 1905. Buchdruckerei Ig. v. K.leinmayr & Fed. Bamberg. PROFESSOR Dr. A. CANCANI GEST. AM 29 MAI 1904. Sonderabdruck aus der Monatsschrift «Die Erdbebenvvartes, Nr. i bis 4, IV. Jabrg., 1904/5. A. CANCANl. Der Heimgang des Adolf Cancani am 29. Mai 1904 (wie wir schon gemeldet haben) bedeutet fiir unsere junge Wissenschaft einen schvveren Verlust, wenn man sich gegenvvartig halt, wie wenige auf dem Gebiete der exakten Erdbebenforschung arbeiten. Man muft heute scbon von einem eigentiimlichen Mifigeschicke sprechen, wenn man Umschau halt nach den stark gelichteten Reihen der Erdbebenforscher und sich die bekannten Namen in Erinnerung ruft, die, man kann es sagen, bahnbrechend im Dienste der Erdbebenforschung gestanden sind und leider mitten in der vielversprechendsten, intensivsten Forscherarbeit innerhalb einer kurzen Spanne Zeit abberufen wurden. Es gentigt, die Namen von bekannten deutschen Forschern anzufiihren, wie Rebeur v. Paschwitz, Ehlert, Schliiter, und von Italienern Dr. Pacher, Contarini. Das waren durchwegs junge Mit- arbeiter, die zu den schonsten Hoffnungen berechtigten. Mit Cancani be- klagen wir nun den Verlust eines vveiteren Fachgenossen, vvelcher der kleinen Gemeinde von Seismologen allzufriih entrissen wurde. Cancani war in erster Linie Experimentalseismologe; er war unermiid- lich tatig in der Konstruktion und Verbesserung von Erdbebenmessern eigener Erfindung. Die Warten in Rocca di Papa und Rom bedienen sich vieler Instrumente, die den Namen Cancani fiihren und die der Seismologie bisher sehr gute Dienste geleistet haben. Insbesondere die letzte Ausgabe seiner Horizontalpendel hat wirklich sehr gut lesbare Diagramme von Fernbeben gegeben. Cancani war ebenso fruchtbar auf literarischem Gebiete. Eine Reihe grundlegender theoretischer Abhandlungen liber die Natur der Erd- wellen und ihre Aufzeichnung verdanken wir seiner Feder. Er diirfte als erster die Hypothese aufgestellt haben, daG bei Erdbeben zwei Wellenarten auftreten, longitudinale und transversale, und daft diese sich mit verschie- dener Geschwindigkeit durch die Erde hin fortpflanzen, eine Hypothese, die zu vielfachem Meinungsaustausche in der Fachwelt fiihrte, aber immerhin noch bis heute aufrechterhalten blieb. Auch beschaftigte sich Cancani mit den Schallphanomenen und hat die Literatur um manchen wertvollen Bei- trag in dieser Richtung bereichert. Seine makroseismischen Studien ver- dienen als musterhaft bezeichnet zu werden, so z. B. liber die Bebenperiode vom Jahre 1901 von Palombara Sabina und viele andere. An diesen 2 Arbeiten Cancanis kann man leicht urteilen, wie fruchtbar das Beobachtungs- material aus einem Hauptschiittergebiete in der Hand eines Experimental- seismologen wird. Sehr zeitraubend waren die Untersuchungen, welche Cancani ausgefiihrt hat liber die Verteilung und Haufigkeit der Erdbeben in Italien wahrend des Dezenniums 1891'—1900. Es moge hier noch einiges aus dem Leben und Bildungsgange Cancanis angefuhrt werden. Cancani wurde am 18. Februar 1856 in Rom geboren. Im Jahre 1884 erlangte er daselbst als Schiller des beriihmten Physikers Blaserna den Doktorhut. Einige Jahre verbrachte er als Assistent des Professors Blaserna am Physikalischen Institut in Rom, worauf er durch fast ein Jahr den Professor Chistoni in den Untersuchungen uber atmosph&rische Elektrizitat unterstiitzte. So war ihm bald Gelegenheit gegeben, sich fur erdphysika- lische Arbeiten zu interessieren. Im Jahre 1888 trat er in die Zentralanstalt fur Meteorologie in Rom ein, wo er als Vorstand der klimatologischen Abteilung tatig war. Schon wahrend dieser Zeit hat er sich vielfach auch mit Erdbebenstudien beschaftigt, so dafi ihm die Zentralanstalt schon im Jahre 1897 eine Assistentenstelle an der groBen Erdbebenwarte in Rocca di Papa bei Rom verlieh. In Rocca di Papa war damals der bekannte Vulkanologe und Erdbebenforscher de Rossi als Vorstand tatig. Das war ein Mann aus der alten Schule, der aber als Vater der instrumentellen Erdbebenforschung in Italien bezeichnet zu werden verdient, Allerdings hatte de Rossi mit viel einfacheren Instrumenten, als wir sie heutzutage besitzen, die Erdbeben beobachtet. Als ich die Warte in Rom im Jahre 1897 besuchte, da war Altmeister de Rossi noch am Leben und es ist mir lebhaft in Erinnerung geblieben, mit welchem Eifer und mit welcher Begeisterung de Rossi seine Tromometer und Erdbebenmelder und -Anktindiger, die in einem groBen, achteckigen Raume an den Wanden und an einer groBen Saule angebracht waren, vorgezeigt hat. Neben de Rossi stand sein Assistent Cancani, der scheinbar weniger fur die kurzen und langen Pendel, deren Verhalten alle paar Stunden mit einem Fernrohr gepruft werden muBte, begeistert war; was dann in Rocca di Papa an modernen Erdbebenmessern vorgezeigt wurde, — das war alles Cancanis Werk. Es bleibt unvergeGlich, mit welcher, man kann sagen, Liebe er daran arbeitete und wie sehr er sein ganzes Leben hindurch bemtiht war, dieselben zu vervollkommnen und zu verbessern, was ihm auch, wie schon vorhin erwahnt worden, gelungen ist. Im Jahre 1899 kam Cancani wieder an die Zentralanstalt filr Meteoro¬ logie und Erdbebenforschung nach Rom, wo ihm die Sichtung und Be- arbeitung der Erdbebennachrichten von ganz Italien iibertragen vvurde und wo er bis zu seinem Tode wirkte. Von Rom aus wurde Cancani zur zvveiten internationalen Konferenz fur Erdbebenforschung nach Strafiburg entsendet. Er nahm da in hervorragender Weise an den Verhandlungen 3 — Anteil und wurde schlieGlich in die Kommission gewahlt, welche die Vor- schlage zu machen haben wird iiber die Wahl der ErdbebenmeBinstrumente fiir den internationalen Erdbebenbeobachtungsdienst. Cancani war das Gliick nicht beschieden, hohere Amter zu bekleiden. Es ist bezeichnend genug, dafi er an der Zentrale in Rom den Titel Assistent ftihrte; nebenbei war er an einem Lyzeum in Rom als Lehrer filr Physik tatig. Erst kurz vor seinem Tode ist er an der Universitat in Modena zur Privatdozentur zugelassen worden. «Das war die Karriere des Professors Cancani«, so klagt selbst sein Amtschef, der hochverdiente Professor der Meteorologischen Zentralanstait, Ludwig Palazzo, vvelcher Cancani einen ehrenvollen Nachruf, dem wir in bezug auf seinen Lebenslauf gefolgt sind, widmet. «Allzufriih und noch unreif wurde dieselbe abgeschnitten: eine ehrenvolie Karriere, die aber durch die MiCgunst der Verhaltnisse in einem aufierst bescheiden zugemessenen Rahmen sich abgewickelt hat.» Direktor Palazzo fiigt weiter noch hinzu: »Der Rang, den Cancani im Leben erreicht hat, ist in keinem Verhaltnis gestanden mit seinen Verdiensten um die Wissenschaft, denn Cancani war auf verschiedenen Gebieten der Erdphysik und insbesondere als Seismologe ein bedeutender Mann.» Und das war er voli und ganz! Ein Mann der Wissenschaft — und von liebenswiirdigstem Entgegen- kommen. Man konnte sicher sein, jede fachwissenschaftliche Anfrage von ihm umgehend beantwortet zu erhalten. Wir haben in regem brieflichen Verkehr gestanden; seine letzten Zeilen richtete er an mich vom Sterbe- bette noch voller Iloffnungen: «Ich schreibe im Bette liegend, schvvere Fieber haben mich auf das Krankenlager geworfen — aber mein Zustand bessert sich.» «Ich konnte ruhiger sein und mit groBerer Zuversicht meinen Arbeiten obliegen, wenn Sie mir aufrichtig sagen wollten, ob Sie mit der Abfassung meiner Erdbebennachrichten im Bollettino della Societa Sismologica Italiana einverstanden sind und ob dieselben andersvvie besser und iibersichtlicher verfaBt werden konnten. — —» Das war die letzte Sorge eines Mannes, der weit iiber die Kopfe seiner Mitmenschen hinweg- sehen konnte, aber von rtihrender Bescheidenheit sich nicht selbst geniigen wol!te, indem er, im Dienste der Wissenschaft stehend, ihr nicht genau und gewissenhaft genug zu dienen vermeinte. Seinen Frieden hat er jetzt gefunden und seinen Manen ein ehrendes Andenken durch seine Forscher- arbeit fiir alle Zeiten gesichert. Mit warmem Herzen schrieb einst Cancani seinen heimgegangenen Kollegen den Nachruf in die Fachschrift Bollettino della Societa Sismologica Italiana: in unserer Monatsschrift, deren fleifiiger Mitarbeiter du warst, sprichst du heute selbst das letztemal zu den Lesern! Wir werden dir stets ein ehrendes Andenken bewahren! — , , F i d u c i t! 4 A. Cancani veroffentlichte folgende seismologische Abhandlungen: In den Annali del R. Ufficio Centrale di Meteorologia e Geodina- mica: Fotocronografo sismico. Vol.XII, parte l a , 1890; Modificazioni ai sismometrografi a lastra affumicata ed a registrazione continua. Vol. XII, parte l a , 1890; Sulle ondulazioni provenienti da centri sismici lontani. Vol. XV, parte 1“, 1893. — In den Rendiconti della R. Accademia dei Lincei: Sulla relazione fra il vento ed i movimenti micro- sismici. Vol.VII, 1°.semestre 1891; Sopra i microfoni nella sismologia. Vol.III, 1 "sem. 1894; Sugli strumenti piu adatti allo studio delle grandi ondulazioni provenienti da centri sismici lontani. Vol. III, 1°. sem. 1894; Intorno ad alcune obbiezioni relative alla velocita di propagazione delle onde sismiche. Vol. III, 2“.sem. 1894; Sulle due velocita di propa- gazione del terremoto di Costantinopoli del 10 luglio. Vol. III, 2°. sem. 1894; Nuovo sismometrografo a registrazione veloce-continua. Vol. VIII, 1°. sem. 1899; Periodicita dei terremoti adriatico-marchigiani, e loro velocita di propagazione a piccole distanze. Vol. VIII, 1°. sem. 1899; Sopra alcune obbiezioni sollevate contro il sismometrografo a registrazione veloce-continua. Vol. VIII, 1°. sem. 1899; I rombi laziali del 16 febbraio 1900. Vol. IX, 1", sem. 1900; Sopra i risultati che si ottengono dai moderni sismografi. Vol. IX, 2 "sem. 1900. — Im Bolletino della Societa Sismologica Italiana: Nuovo tipo di fotocrono¬ grafo sismico e sue applicazioni. Vol. I, 1895; Ernesto von Rebeur-Paschwitz (Cenni necrologici). Vol. I, 1895; Nuovo modello di sismometrografo a registrazione continua. Vol. II, 1896; Sul cosidetto presentimento degli animali nei terremoti. Vol. II, 1896; Osservazioni e risultati recenti sulla forma e sul modo di propagarsi delle ondulazioni sismiche. Vol. II, 1896; Barisal-guns, Mistpoelfers, Marina. Vol. III, 1897; I pendoli orizzon- tali del R. Osservatorio Geodinamico di Rocca di Papa, ed il terremoto indiano del 12 giugno 1897. Vol. III, 1897; Sismoscopio ad effetto multiplo. Vol. IV, 1898; Sopra i vari sistemi de registrazione nella sismologia. Vol. IV, 1898; Necrologia di Michele Stefano De Rossi. Vol. IV, 1898; Il terremoto adriatico-marchigiano del 21 settembre 1897. Vol. IV, 1898; Terremoto laziale del 19 luglio 1899. Vol. V, 1899/1900; Sopra un fenomeno elettrotermico nei contatti elettrici a debole pressione. Vol. V, 1899/1900; Sulla necessita e sulla scelta di apparecchi sismici paragonabili. Vol. VI, 1900/01; Sismometrografo a regi¬ strazione veloce continua. Vol. VI, 1900/01; Rombi sismici. Vol. VII, 1901/02; Sul periodo sismico iniziatosi il 24 aprile 1901 nei territorio di Palombara Sabina, Vol. VII, 1901/02; Sulla periodicita dei grandi terremoti che colpiscono la costa delle Marche e delle Romagne. Vol. VII, 1901/1902; Frequenza e distribuzione dei teremoti italiani nei de- cennio 1891—1900. Vol. VII, 1901/02; Sismometrografo con tracciamento elicoidale a due passi. Vol. VII, 1901/02; Sulla distribuzione della intensita delle repliche nei periodi sismici italiani. Vol. VIII, 1902/03; Sopra un’ipotetica relazione fra le variazioni di lati- tudine e la frequenza dei terremoti mondiali. Vol. VIII, 1902/03; Registrazioni sismiche ottenute nella stazione sperimentale del Collegio Romano dagli apparati Cancani a registrazione veloce-continua. Vol. IX, 1903/04; Notizie sui terremoti osservati in Italia durante gli anni 1898, 1899, 1900, 1901, 1902. Vol. V, VI, VII, VIII, IX. — In den Comptes-rendus des seances de la deuxifeme confdrence sismologique internationale a Strasbourg 1903 (Erganzungsband II zu den Beitragen zur Geo- physik); Sur 1’emploi d’une double dchelle sismique des intensitds, empirique et absolue; Sur une ralation hypothdtique entre les variations de latitude et la frdquence des trem- blements de terre se propageant a toute la surface du globe. Zur Hypothese iiber eine Wechselbeziehung zwischen den Variationen geographischer Breiten und der Bebenhaufigkeit. Die Erdbebenwarte. Jahrgang III, 1903/04. Klcinmayr & Bamberg, Laibach.