FORENSES IN BRIGETIO ANDRAS MÓCSY Universität Eötvös Lòrand, Budapest Zu den wenigen altchristlichen Inschriften N ordpannoniens gehört ein G rabstein aus Iža-Leanyvar, dem höchstwahrscheinlich Celamantia genannten Gegenkastell von Brigetio. Der Stein kam 1907 aus einem Kanal des Kastells zum Vorschein, wohin er in sekundärer Verwendung, aber wohl noch in der spätesten röm ischen Zeit eingebaut wurde. Die Inschrift Dionisya (sic) vidua1 ist in der L iteratur seit 1907 bekannt, aber erst sechzig Jahre später sind die H erausgeber der slowakischen Inscriftensam m lung2 darauf aufm erksam ge­ worden, dass diesem zweizeiligen Text eine ältere, oberflächlich abgemeisselte dreizeilige Inschrift vorangeht. Sie lasen I(o vi) O (ptim o) M (axim o) D{oli- cheno?) S IV M . . . ex v(oto), und ergänzten die 2. Zeile sehr unwahrscheinlich S (extu s) I u m ( ...) . S tatt dieser Ergänzung schlug L. Balla m it Vorbehalt S(oli) i[n ]v (icto ) M (ilhrae) vor.3 Die frühere Inschrift, so wie sie von Češka und Hošek gelesen wurde, kann in der Tat nicht befriedigend gedeutet w er­ den. Eine Nachprüfung des Steines durch L. Barköczi4 ergab eine zum Teil völlig andere Lesart, die von der guten Fotoaufnahm e5 bei Češka-Hošek in allen Punkten bestätigt wird. Der auf den ersten Blick wenig sinnvolle Text lautet nach Barkóczi F O R . .. II \ SIVM \ L CP X V ; nach dem R w ird auf der Umzeichnung ein w aagrechter Strich oben angegeben, der einem E oder F gehört haben konnte. Der letzte Buchstabe der 1. Zeile w ird wohl ein N sein, weil zwischen den zwei senkrechten Strichen ein schräg nach rechts herablaufender Strich verm utet w erden kann. W ird in den ersten zwei Zeilen Foren \ sium gelesen, dann folgt daraus für die 3. Zeile die wohl einzig mög­ liche Auflösung l[o~\c(us) oder Z[o]c(a) p(edes) XV. Die 53 cm hohe, 63 cm breite und 20 cm dicke, ursprünglich offenbar in eine M auer eingelassene Steintafel diente daher als Schild für einen 15 Fuss grossen locus einer Forenses genannten Gruppe. Der locus w ar entweder Sitz­ platz im A m phitheater6 oder Begräbnisplatz (z. B. ein G rabgarten). Eine ähn­ liche Tafel aus dem Zivilam phitheater von Carnuntum hat die Inschrift loca pagi AeleniJ Es kann n u r gefragt werden, ob für die loca, die m it einer ein­ gebauten Tafel kenntlich gem acht wurden, die Breite von 4,5 m (15 Fuss) nicht zu klein gewesen wäre. Die Forenses hätten dann Anspruch auf 8—10 Sitzplätze im A m phitheater gehabt. Wegen der Grössenangabe kann nämlich nicht auf die Tafel über einen Sektoreneingang gedacht werden. Vielleicht war die Tafel in eine Stufe der cavea eingebaut; ihre Höhe dürfte einer Stu­ fenhöhe entsprechen. — Da die Grösse von Grabgärten oft auf ähnliche Weise angegeben w urde, kann Forenses auch ein collegium funeraticium bedeuten, das von einer forenses oder Forenses genannten Gruppe gebildet wurde. Zur E rklärung der forenses (H ändler und H andw erker eines Forums oder Bewohner eines Stadtviertels beim Forum in Brigetio usw.) oder Forenses (landsm ännische Gruppe aus einem Forum genannten O rt) können zwei Grab­ inschriften aus dem 3. Jhdt in u nd um Brigetio herangezogen werden, die auf das niedergerm anische Forum Hadriani, wohl ein Municipium Aelium8 Bezug nehm en. Ein unweit von Brigetio gefundener Sarkophag9 gilt als das einzige sichere epigraphische Denkmal dieser Stadt: D. M. j Victoriae Verinae coniugi pientissim ae \ dom u Foro Hadrianensi provincia \ Germania Inferiori vix. ann. X X X | Aemilius Deciminus medicus ordi/narius leg. I. Adi. maritus bene meritae \ fac. cur. Die Herkunftsbezeichnung Forensis auf einem an­ deren Sarkophag1 0 w ird daher die Kurzform von Forensis Hadrianensis sein: D. M. I M. Aur. Vero \ Forensi qui \ vixit ann\is X X X III \ Aurelia \ Verina I fratri \ karissim o \ f. c. Die in Brigetio bereits zweimal bezeugte Kurzform Forensis setzt eine grössere Anzahl niedergerm anischer Ansiedler voraus ; die Tafel, von der wir ausgegangen sind, bezeugt irgendeine Gruppe von M enschen aus Forum Ha­ driani, die vielleicht auch Anspruch auf Sitzplätze im Am phitheater hatten, ln diesem Zusam m enhang darf nicht unerw ähnt bleiben, dass die in Pannonien nicht übliche, dem Gottesnam en vorangestellte Votivformel i(n) h(onorem ) d(om us) d(ivinae) einmal in Brigetio gebraucht w urde.1 1 Diese Formel war vor allem in den germanischen Provinzen verbreitet.1 2 Hierzu kommen die für Pannonien nicht typischen, aber in Brigetio verhältnism ässig häufig vor­ kom m enden Pseudogentilizia, deren Träger zum Teil aus den gallischen und germ anischen Provinzen nach Brigetio gekommen sein dürften. Aus dem 2. Band der R IU führen w ir folgende Pseudogentilizia an: Priscinius, Silv[an]ius, Homonius, Silvin(i?)us, Amicius, Tatonius (wenn nicht T. Atonius), Victorius, Dignius, Lictorius, M ataconius, Prim anius, S am [...], Senecionius, Vindonius und Q u(i?)etius. Die Belege stam m en bis auf wenige Ausnahmen aus dem 3. Jhdt., können aber nicht sam t u nd sonders aus Germ anien hergeleitet w er­ den. Die Dignii stam m en aus Raetien,1 3 die Vindonii und die Sam[uconii?] wohl aus dem norisch-pannonischen Grenzgebiet.1 4 Gewissermassen sicher nie­ dergerm anischer H erkunft w ar Priscinius Hilario, ein Soldat der Legion X X X . Ulpia Victrix, die im Bereich der Legion I. Adiutrix für das 3. Jhdt. durch eine weitere G rabinschrift bezeugt ist.1 5 Diese niedergerm anische Legion nahm an irgendeinem Donaukrieg der Severerzeit teil.1 8 Der Träger des Namens Silvanius w ar ex optione leg. II. Aug. ;1 7 sein Auf tauchen in Brigetio könnte ebenfalls m it einem Krieg in Zusam m enhang gebracht werden. Die übrigen Pseudogentilizia schliessen jedoch die Möglichkeit aus, dass ihre Träger im T ruppenverband nach Brigetio kam en. W eitere w esteuropäische Truppen sind nicht bezeugt, und für die Teilnahm e der Brigetionenser Legion an irgend­ einem Krieg in Germanien im 3. Jhdt. haben w ir keine Belege. Der in Reims m it seiner Frau begrabene V eteran1 8 ist einstweilen ein Einzelfall, woraus eine auch n u r einmalige R ekrutierung im W esten nicht gefolgert werden kann. Die Träger der Pseudogentilizien in Brigetio sind in der M ehrzahl Zivilleute,1 9 Soldatenfrauen2 0 und viel weniger Soldaten.2 1 Noch m ehr : drei Augustale von Brigetio haben Pseudogentilizia: Tatonius Fortunatus,2 2 Dignius Secundianus2 3 und nicht zuletzt Masuinnius Amicus, dessen Tochter auf gut gallisch-germa­ nische Art ein aus dem Cognomen ihres Vaters gebildetes Pseudogentiliz hatte : Amicia Digniola.2 4 Die H erkunft dieser Einw anderer aus westlichen Ländern w ar recht u n ter­ schiedlich was ebenfalls gegen eine Truppenergänzung im W esten spricht. Die Dignii kam en aus Raetien, einige aus Niedergermanien. Gallier w aren die M asuinnii2 5 u nd ein Iulius Karodius nat{ione) Gallus.2 6 Auch die landsmänni- sche G ruppe der Forenses passt besser in den zivilen Bereich, w aren doch die m ilitärischen Vereine nicht nach der Herkunft, sondern nach den Dienst­ graden gebildet. Die Einw anderung aus westlichen Ländern nach Pannonien in der Severer­ zeit ist gew isserm assen eine Neuigkeit. Unsere Forschung betont m it Recht die orientalische (vor allem syrische) Einwanderung, und zählt sie zu den Sym ptom en d er severerzeitlichen K onjunktur.2 7 Wenn w ir hier auf die epi­ graphischen Zeugnisse von W estländern in einer pannonischen Stadt auf­ m erksam m achen wollten, so soll daraus keinesfalls gefolgert werden, dass diese wohl nicht in geschlossenen Gruppen erfolgte Einwanderung ebenso bedeutend gewesen wäre wie die der Syrier, die ja gerade in Brigetio auch im Ordo vertreten waren. Auf jeden Fall w ird wohl auch die westliche Einwan­ derung zu den Symptom en der K onjunktur gerechnet w erden müssen. 1 RIU 632 mit Literatur. Die Meta­ thesis Dionisya statt Dionysia wurde bis­ her nicht bemerkt. 2 J. Češka-R. Hošek, Inscriptiones Pannoniae Superioris in Slovacia Trans­ danubiana asservatae (Brno 1967) Nr. 43. 3 Gnomon 41 (1969) 715. 4 RIU 632. 5 Die Fotos in Barkóczi, Brigetio (Bu­ dapest 1944) Taf. XVIII, 3. und in RIU sind weniger brauchbar. 6 Über das vermutete Amphitheater in Brigetio s. L. Barkóczi, Brigetio (Bu­ dapest 1951) 49. 7 RLIÖ 17 (1933) 38. 8 J. E. Bogaers, Bonner Jahrb. 164 (1964) 45 ff; 172 (1972) 318 ff, ferner Chr. B. Rüger, Germania Inferior (Köln-Graz 1968) 92 f. 9 CIL III 4279 (verschollen). '» RIU 536. 1 1 RIU 470. 1 2 M. Th. Raepsaet-Charlier, in Auf­ stieg und Niedergang der Römischen Welt II/3 (Berlin 1975) 239 ff. 1 3 Vsl CIL III 3355 1 4 Vgl. J. šašel, Živa Antika 5 (1955) 376, bzw. A. Mócsy, Die Bevölkerung von Pannonien bis zu den Markoman­ nenkriegen (Budapest 1959) 159. 1 5 CIL III 151882 . 1 6 G. Alföldy, Epigraphische Studien 4 (1967) 26 ff. 1 7 RIU 390. 1 8 CIL XIII 3260. 1 9 RIU 420, 511, 516, 562, 569, 629. 2 0 RIU 565 und die oben angeführte Inschrift der Victoria Verina. 2 1 RIU 580: vet. leg. I. Adi., vgl. RIU 412: Centurio ohne Truppenangabe, und RIU 561: heres eines Soldaten. 2 2 RIU 516. 2 3 CIL III 3355. 2 4 RIU 450, 511. 2 5 Vgl. I. Tóth, Archaeologiai Értesi­ to 99 (1972) 226. 2 6 RIU 447. 2 7 Zuletzt mit der weiteren Literatur A. Mócsy, Pannonia and Upper Moesia (London 1974) 227 ff. FORENSES V BRIGETIJU Povzetek Starokrščanski napis Dionysia / vidua (RIU 632), najden v kraju Iža preko Do­ nave nasproti Brigetija, je bil vrezan preko napol odklesanega starejšega, ki ga avtor razbere (drugače kot so ga brali doslej): Foren / sium / l[o]c(us) ali l[o]c(a) p(edes) XV. Sledi razlaga k napisu. Izraz locus (loca) bi lahko bil ali oznaka za sedežni prostor, ki ga je npr. v amfiteatru imela skupina ljudi poimenovana Foren­ ses, ali pa za skupni grobni areal; z besedo Forenses bi bil lahko označen neki collegium funeraticium. Izraz Forenses izvaja avtor iz spodnjegermanskega mesta Forum Hadriani, ki je v Brigetiju omenjen kot domu.5-oz.naka že na dveh napisih, enkrat v obliki domu Foro Hadrianensi, drugič zgolj Forensi (dat.), kar nakazuje navzočnost večjega števila prebivalcev iz province Germania v Brigetiju. Prim. tudi nekatera značilna pseudogentilicia, specifične, v tej provinci uporabljene epigrafske formule, premike vojaških enot. Ti elementi, kot tudi obravnavani napis, spadajo v obdobje Septi- mija Severa, to je v čas, v katerem se poudarja prav kot simptom konjukture tega časa velik dotok novih prebivalcev iz Sirije. Dotok iz zahoda (iz Galije in Germa- nije) sicer ni tako pomemben kot dotok Sircev, spada pa tudi med simptome seve- rijanske konjunkture.