349 Urška Valenčič Arh *5 UDK 81'373.7:821.112.2(436)-93Nöstlinger C. Universität Ljubljana DOI: 10.4312/linguistica.59.1.349-362 „DIE MEISTEN MENSCHEN, SAGT MEINE GROSSMUTTER, SIND SICH SELBER DAS GRÖSSTE RÄTSEL” – GEMEINPLÄTZE IN KINDER- UND JUGENDLITERARISCHEN TEXTEN 1 EINLEITUNG Unter Phraseologie versteht man die Lehre von festen Wortverbindungen einer Spra- che, die als phraseologische Einheiten oder Phraseme bezeichnet werden. Am Anfang der phraseologischen Forschung in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden Fragen der Struktur, Terminologie, Definition und Klassifikation in den Mit- telpunkt der phraseologischen Untersuchungen gestellt. Das Ergebnis dieser Konsoli- dierungsphase ist die Feststellung, dass Phraseme sprachliche Einheiten sind, die die Merkmale der Phraseologizität – Festigkeit, Lexikalisierung, Reproduzierbarkeit, Po- lylexikalität und Idiomatizität – aufweisen. In der nächsten Phase wurde die Funktion dieser sprachlichen Zeichen im Prozess der Kommunikation aufgedeckt. Es folgten theoretische Abhandlungen über pragmatische, psycholinguistische, soziologische, textuelle, kontrastive, translatologische, didaktische und andere Gesichtspunkte. In ei- ner Reihe von phraseologischen Studien werden auch die Verwendung von Phrasemen in literarischen Texten untersucht, weil Phraseme als sekundäre sprachliche Zeichen im Unterschied zu Einzellexemen in der Lage sind, ein Potential zu entwickeln, das ihnen ermöglicht, zu verschiedenen Dimensionen des Textes einen besonderen Beitrag zu leisten (vgl. Sabban 2007: 237). Der besondere Reiz der Untersuchungen von unter- schiedlichen Leistungen, die Phraseme im Text erbringen, liegt darin, dass [...] hier die Phänomene sozusagen in Reinkultur studiert werden können, da der im Vergleich zu anderen Korpora weniger redundante, von einem stilistischen Formwillen geprägte Text im literarischen Kunstwerk eine qualitativ maximale Ausnutzung sprachlich-stilistischer Möglichkeiten enthält. (Palm 1989: 313) Die Blickrichtungen, unter welchen Phraseme in literarischen Texten analysiert werden, sind sehr heterogen und manchmal ist der Übergang von einem zum anderen Aspekt fließend. Bezüglich der Fragestellungen, welche Leistungen Phraseme im Text erbringen, herrscht innerhalb der Phraseologieforschung Einigkeit darüber, dass Phra- seme generell unterschiedliche Funktionen erfüllen (z. B. thematisierende, resultative, evaluative, argumentative usw.), die auch epochen- oder autorenbedingt sein können. * Urska.ValencicArh@ff.uni-lj.si Linguistica_2019_FINAL.indd 349 9.10.2019 8:59:02 350 Man kann feststellen, dass sich theoretisch drei Perspektiven der Untersuchungen von Phrasemen in literarischen Texten ergeben: die textkonstituierende Rolle, die sprach- spielerische Variation und die Charakterisierung der Figuren im Sprachporträt. Der vorliegende Beitrag beschreibt das Vorkommen von phraseologischen Ein- heiten, Gemeinplätze genannt, und ihre Einsetzung in jugendliterarischen Texten. In der Basisklassifikation von Harald Burger werden Gemeinplätze als satzwertige phra- seologische Einheiten definiert, die Selbstverständlichkeiten formulieren (vgl. Burger 2015: 30). Unter kommunikativ-pragmatischen Aspekten werden Gemeinplätze zum Bewerten oder zur Rechtfertigung von Handlungen eingesetzt. In der Analyse geht es um die Beantwortung folgender Fragen: Welchen Stellenwert nehmen Gemeinplätze in den ausgewählten Texten ein und wie sind sie textuell realisiert? Welche Leistungen erbringen sie in jugendliterarischen Texten? Sind Gemeinplätze in der Tat „nur“ Evi- denzaussagen (vgl. Feilke 1996: 308) und im logischen Sinne tautologisch (vgl. Burger 2015: 35) oder ist ihre Interpretation in semantisch-pragmatischer Hinsicht kontext- abhängig? Können Gemeinplätze die Rolle eines konnotativen Elements übernehmen, das bewusst in Sprachporträts angewendet wird und zur Markierung wichtiger Text- stellen dient? 2 METHODE Für die Zwecke dieses Beitrags wurde das Augenmerk auf Gemeinplätze in einigen Wer- ken der österreichischen Jugendbuchautorin Christine Nöstlinger gerichtet. Nöstlingers kinder- und jugendliterarische Werke wurden aus zwei Gründen ausgewählt: Der erste Grund war die Hypothese, dass Gemeinplätze in der Funktion von Moralpredigten da- rüber, was angemessen und höflich sei, in diesen literarischen Textsorten häufig vor - kommen werden. Der zweite Grund liegt darin, dass Nöstlingers Werke eine Fundgrube von Phrasemen darstellen, denn sie zählt zu den AutorInnen, die sensitiv und bewusst mit Phrasemen umgehen. 1 Gemeinplätze werden zunächst in der phraseologischen For- schung theoretisch verortet. Nach der Datenerhebung aus dem gewählten Korpus werden in der empirischen Analyse die gewonnenen Daten ausgewertet und die anfangs gestell- ten Fragestellungen beantwortet. Im Vorfeld stehen pragmatisch-kommunikative Funk- tionen der Gemeinplätze im Kontext, sowie ihr konnotativer Mehrwert (vgl. Koller 2007: 607), die kontextuelle Einbettung und das Sprachporträt (vgl. Fleischer 1997: 226). 3 ZUM BEGRIFF „GEMEINPLATZ“ Der Begriff „Gemeinplatz“ ist eine Eindeutschung des lateinischen locus communis bzw. des englischen commonplace (vgl. Christians 1999: 106). Meyers Konversations- lexikon (1897: 441) aus dem 19. Jahrhundert erklärt, dass loci communis „ [...] in der Theologie und im lateinisch-philosophischen Sprachgebrauch so viel wie Grundbegriffe 1 Vapaatalo (2007: 263) stellte bei der Analyse Nöstlingers Romans Der Denker greift ein eine Dichte von 0,91 Phrasemen pro Seite fest. Phraseme sind zu 75 % textuell eingebettet, wobei sich das Verfahren der Paraphrase und einige Kommentare finden. Die Untersuchung von kinderlite- rarischen Romanen Nöstlingers von Valenčič Arh (2014: 263) ergab bei einem Umfang von 508 Seiten eine Dichte von durchschnittlich 2,0 Phrasemen pro Seite. Linguistica_2019_FINAL.indd 350 9.10.2019 8:59:03 351 und selbstverständliche Wahrheiten“ bedeutet. Im vor über 100 Jahre erschienenen Brockhaus‘ Kleines Konversations-Lexikon (1911: 71) wird erläutert, dass loci com- munis eine von Melanchthon 2 eingeführte Benennung für ein Lehrbuch der Dogmatik ist. Später heißt es bei Kluge (1989: 256), dass der Fachausdruck der Rhetorik in der Bedeutung „Satz, der unter vielen Gesichtspunkten betrachtet immer seine Gültigkeit behält“ unter dem Einfluss vom neuenglischen common place im 18. Jahrhundert die Bedeutung ‚Altbekanntes, Abgegriffenes, Banales‘ annimmt. Laut Christians (1999: 106) schwankte die deutsche Übersetzung lange Zeit zwischen Gemeinspruch, Ge- meinort und Gemeinplatz, wobei der pejorative Gebrauch dieses Ausdrucks von J. W. von Goethe und C. M. Wieland festgelegt wurde. Die deutsche Lehnübersetzung „Ge- meinplatz“ wird 1770 C. M. Wieland zugeschrieben. 4 GEMEINPLÄTZE IN DER PHRASEOLOGIE In der Phraseologieforschung werden verschiedene Klassifikationen jeweils nach dem Kriterium unterschieden, nach dem die einzelnen phraseologischen Einheiten differen- ziert werden. 3 Für unsere Untersuchung ziehen wir die Basisklassifikation von Harald Burger (2015: 31f.) vor. Für den Gesamtbereich der Phraseologie verwendet Burger das Kriterium der drei Zeichenfunktionen, die die Phraseme in der Kommunikation haben. Der Gesamtbereich der Phraseologie besteht aus drei Gruppen: (1) aus referen- tiellen Phrasemen, die Objekte, Vorgänge und Sachverhalte benennen, (2) aus struktu- rellen Phrasemen, die nur syntaktische Relationen herstellen und (3) aus kommunikati- ven Phrasemen, die bei der Herstellung, Definition, dem Vollzug und der Beendigung kommunikativer Handlungen bzw. Sprechakte eine bestimmte Rolle spielen. Die referentiellen Phraseme werden weiter unterteilt. Das sind diejenigen Phra- seme, die wir für Referenz und Prädikation verwenden. Sie werden in nominative oder satzgliedwertige und propositionale oder satzwertige Phraseme untergliedert. Die nominativen Phraseme bezeichnen außersprachliche Referenten oder Vorgän- ge und sind für die Referenz zuständig, die propositionalen lassen Aussagen über diese Referenten oder Vorgänge zu und dienen der Prädikation. Diese satzwertigen Phraseme werden weiter differenziert in feste Phrasen, die explizit an den Kontext angeschlossen sind sowie topische Formeln, die durch kein Element an den Kontext angeschlossen werden müssen. Mit topischen Formeln wurden in der antiken Rhetorik argumentative Reden unter- stützt und stilistisch ausgeschmückt. Nach Juvan (2000: 21) galten sie als gültige und geeignete Argumente, die vom Redner angewendet wurden, weil die Reden dadurch überzeugender wirkten. Topische Formeln waren auch Inhalte von traditionellem und allgemeingültigem Wissen, denn sie waren im kollektiven Gedächtnis verankert. 2 Philipp Melanchthon oder Melánthon (1497–1560) war ein deutscher Reformator, der sich Lu- ther als Gehilfe im Kampfe für die Erneuerung der Kirche anschloss und als Reformator des deutschen Schulwesens gefeiert wurde (vgl. Brockhaus 1911: 160). 3 Zugleich muss betont werden, dass die Phraseologie ein sehr heterogenes Gebiet ist. Manchmal ist es unmöglich, klare Grenzen zwischen verschiedenen Phrasemklassen bzw. -typen zu ziehen, denn in der Realität kommt es oft zu Überschneidungen (vgl. Filatkina 2005: 112). Linguistica_2019_FINAL.indd 351 9.10.2019 8:59:03 352 Topische Formeln sind generalisierende Aussagen, die eine bestimmte Beziehung zum Kontext haben. Burger (2015: 35) differenziert zwei Hauptgruppen der topischen For- meln: Sprichwörter und Gemeinplätze. Diese beiden Einheiten grenzt Gläser (1986: 119) wie folgt voneinander ab: Während das Sprichwort [...] in metaphorischer Einkleidung eine kollektive Er- kenntnis und didaktische Absicht einschließt, ist der Gemeinplatz eine nichtme- taphorische, oft inhaltsleere, nichtdidaktische Redensart, die im Sprechakt „da- hingesagt“ wird, um die Kommunikation aufrechtzuerhalten. Im Weiteren richten wir unser Augenmerk auf Gemeinplätze. Nach Burger (2015: 35) formulieren Gemeinplätze etwas, was „aufgrund allgemeinen Weltwis- sens selbstverständlich ist.” Es ist interessant, dass Gemeinplätze als Phraseme de- finiert werden, doch ihre lexikalisierte Form wird eher im mentalen Lexikon und nicht unbedingt in den phraseologischen Wörterbüchern festgehalten. Man kann von relativer Festigkeit sprechen, denn die Paraphrasen sollten lexikalisiert und auf eine Interpretation festgelegt sein, ansonsten könnte es zu Missverständnissen kommen. Ähnliches stellt Čuden (2012: 57f.) auf seiner Suche nach deutschen Entsprechungen der slowenischen Verbindung po svoje fest, als er seine Studierenden bat, die sprich- wörtliche Wortverbindung „Vsak po soje, Bohinjc pa s svedrom“ 4 zu paraphrasieren. Anhand des niedrigen Bekanntheitsgrades dieser Wortverbindung wurden sehr unter- schiedliche Erklärungen vorgelegt: Naloga je bila vsaj v enem delu bržkone pretežka, saj če reka ne poznaš, o pomenu lahko samo ugibaš. Od 34 študentov jih 19 pomena ni razbralo (ne vem, nimam pojma), med drugim pa so se pojavljale rešitve kot: Vsak človek rešuje probleme na svoj način, zakompliciran način, Bohinjec pa izbere lahko pot. Vsak vidi stvari na različne načine, boriš se za svoje mnenje, samo Boh - injec se ne pusti prepričati. Vsak naredi nekaj na svoj način, Bohinjci pa imajo svoj recept [...]. 5 Der Produzent einer Aussage kann die Handlungen im Rahmen des betreffenden Kontextes mit Gemeinplätzen bewerten oder rechtfertigen. Formal gesehen sind sie schwach ausgeprägt und auch ihre Festigkeit ist relativ. Gülich (1981: 345) nennt 4 Die Bedeutung lautet ‘jeder nach eigener Art, der Bewohner von Bohinj aber mit Bohrer‘. 5 “Die Aufgabe war zumindest in einem Teil zu schwierig, denn wenn man dieses Sprichwort nicht kennt, kann man nur raten, was es bedeutet. Von den 34 Studierenden haben 19 die Bedeutung nicht erkannt (ich weiß es nicht, ich habe keine Ahnung), unter anderem wurden Erklärungen wie folgt angegeben: Jeder löst seine Probleme auf seine eigene Art und Weise, auf komplizierte Weise, der Bewohner von Bohinj aber wählt den leichteren Weg. Jeder sieht die Sachen auf verschiedene Art und Weise, kämpft für seine Meinung, nur der Bewohner von Bohinj lässt sich nicht überzeugen. Jeder macht etwas auf seine eigene Art und Weise, nur die Bewohner von Bohinj haben ihr eigenes Rezept [...].“ (Über. U.V.A.) Linguistica_2019_FINAL.indd 352 9.10.2019 8:59:03 353 diesen Phrasemtyp „vorgeformte Ausdrücke“ und definiert sie als nichtmetaphorische vorgeformte Sätze (Von nichts kommt nichts). Coulmas (1981: 64) sieht in Gemein- plätzen als verbalen Stereotypen eine kleine Klasse von Satzmustern, die dem Sprecher als ganze zur Verfügung stehen. Laut Fleischer (1997: 257) geht es um nichtmeta- phorische Aussagesätze mit unpersönlichen Elementen wie alle, man, jeder (Man lebt nur einmal). Diesbezüglich sieht Gülich (1981: 348) in Gemeinsätzen eine Prädikation über den Menschen oder das Leben im Allgemeinen und rechnet dazu auch Sätze mit indexikalischen Ausdrücken (z. B. Wir sind alle nur Menschen). Innerhalb der Ge- meinplätze werden drei Typen differenziert: Tautologien, in denen das Thema und das Rhema identisch sind (z. B. Was sein muss, muss sein), Truismen, bei denen das Rhema etwas aussagt, was sich aus dem Thema ergibt und zu den selbstverständlichen Merk- malen des Themas gehört (z. B. Man ist nur einmal jung) sowie Erfahrungssätze, die den Sprichwörtern ähnlich sind (z. B. Aller Anfang ist schwer), nach einfachen Mustern erzeugt und nach einem reduzierten Lexikon formuliert sind (vgl. Gülich ebd.: 350; Coulmas 1981: 64; Burger et al. 1982: 40). Gemeinplätze werden zumeist als einfache Aussagesätze verwendet und durch Verknüpfungselemente in den Kontext eingebettet (aber, denn ...) oder auch meta- sprachlich kommentiert (ich denke/meine ...). Genauso wie die pragmatischen Phra- seme können auch Gemeinplätze paraphrasiert werden. Im Vergleich zu Sprichwör- tern lassen sich Gemeinplätze auch nicht leicht modifizieren, denn bei modifizierten Sprichwörtern, z. B. beim Verfahren der Reduzierung, genügt oft nur der Anfang (Auge um Auge ...) und die feste Form des ganzen Sprichwortes ist beim Rezipienten abrufbar. Mit Gemeinplätzen können bestimmte kommunikative Funktionen vollzo- gen werden. Gülich (1981: 354) betont, dass abgesehen davon, um welche kom- munikativen Funktionen es sich im konkreten Fall handelt, der Sprecher/Schreiber mit einem Gemeinplatz immer die Komplexität reduziert, um ein bestimmtes kom- munikatives Ziel zu erreichen. Innerhalb der Phraseologie einer Sprachgemeinschaft schreibt Gläser (1986: 121) den Gemeinplätzen auch deshalb eine wichtige Rolle zu, weil sie ein Bindeglied zwischen Sprichwörtern und pragmatischen Phrasemen darstellen. Durch das Äußern von Gemeinplätzen werden folgende Funktionen voll- zogen (vgl. Gläser ebd.; Gülich 1981: 355): • Gemeinplätze drücken Empathie aus, • Gemeinplätze werden in beschwichtigender Absicht verwendet, • Gemeinplätze rechtfertigen ein Argument, • Gemeinplätze dienen zur Überbrückung einer Verlegenheitspause bzw. zur Auf- rechterhaltung des kommunikativen Kontakts, • mit Gemeinplätzen kann eine negative Erfahrung relativiert werden, • mit Gemeinplätzen können Konfliktsituationen entschärft oder sogar Konflikte aufgelöst werden, • Gemeinplätze legitimieren einen pädagogischen Standpunkt. Linguistica_2019_FINAL.indd 353 9.10.2019 8:59:03 354 Im Folgenden werden Gemeinplätze in den einzelnen Textbeispielen der KJL 6 hin- sichtlich ihrer kontextuellen Einbettung und der beabsichtigten Verwendung erläutert, um bestimmen zu können, ob den Gemeinplätzen in den Belegen eine oder mehrere der aufgezählten Funktionen zugesprochen werden kann. 5 KORPUSANALYSE Bei der Auswahl der zeitgenössischen Kinder- und Jugendromane Christine Nöstlin- gers geht es um moderne realistische KJL-Romane, die in die Kategorie „problem- orientierter Kinderroman“ eingeordnet werden können. Im Vordergrund stehen unter- schiedliche Themen im Leben moderner Familien, die Kinder als Probleme empfinden: Entweder sind das die Folgen einer geschiedenen Ehe oder der Umzug aus der vertrau- ten Umgebung in die Großstadt wird zum untröstlichen Kummer für das Kind. Auch andere Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens und des sich Zurechtfindens werden in den KJL-Werken Nöstlingers aufs Tapet gebracht. Die inhaltlichen Darstellungen reflektieren die subjektive Sicht der Hauptfiguren. Auf der Figurenebene sehen wir Erwachsene und Kinder, die stellenweise ein fast gleichberechtigtes Verhältnis zuein- ander haben. Das Textkorpus im Einzelnen: Weihnachtsgeschichten vom Franz (1993), Mini trifft den Weihnachtsmann (1992), Mini ist verliebt (1999), Emm an Ops (1998), Als mein Vater die Mutter der Anna Lachs heiraten wollte (2013). BELEG (1) Kontext: Emma aus dem Roman Emm an Ops (1998), genannt Emm, ist 13 Jahre alt und untröstlich. Wegen des neuen Jobs ihres Vaters muss sie plötzlich aus ihrem gemütlichen Dorf in die Großstadt umziehen. In der neuen Schule und Umgebung klappt erstmal nichts so richtig. Zum Glück hat sie ihren geliebten Opa, den sie Ops nennt. Sie hängt sehr an ihm und er ist auch der einzige, dem sie sich anvertrauen kann, weil er sie auch immer versteht. Der Roman basiert auf dem Briefwechsel zwischen Emma und ihrem Großvater. Aber inzwischen habe ich mich doch längst wieder mit der Daniela versöhnt (hoffe, dass sie wegen der blöden Häkelnadel keine Watschen von ihrem Vater gekriegt hat) und nach dem Veto von Michl haben sie mich ohnehin in das Fußballteam aufgenommen, und von der Englisch-Ziege habe ich ein Befriedi- gend ins Zeugnis gekriegt, mit der vertrage ich mich längst wieder gut. Ich habe mich eben geirrt! Jeder kann sich einmal irren. Du sagst doch immer, sich irren ist nicht schlimm, nur einen Irrtum nicht zugeben ist schlimm. (Ch. Nöstlinger: Emm an Ops 1998: 16) 6 „KJL [Kinder- und Jugendliteratur] ist die Bezeichnung für a) alle Texte, welche ausdrücklich für Kinder und Jugendliche produziert sind (spezifische KJL), b) alle Schriften, welche von Kin- dern und Jugendlichen konsumiert werden, ohne daß sie für diese speziell verfertigt zu sein brauchen [...], oder von jugendlichen Lesern rezipiert [...] werden (KJL im weiteren Sinne)“ (Do- derer 1984: 161). Diese Definition aus dem Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur stellt den Grundkonsens der kinder- und jugendliterarischen Forschung dar und wird für den vorliegenden Beitrag erachtet. Linguistica_2019_FINAL.indd 354 9.10.2019 8:59:03 355 In diesem Beispiel gibt Emma zu, dass sich die Lage in der Schule nach den anfäng- lichen Streitereien mit anderen Schülern und auch beim Englisch-Unterricht jetzt be- ruhigt hat und sie sich zurechtfindet. Emma rechtfertigt ihr fehlerhaftes Verhalten mit dem Gemeinplatz Jeder kann sich einmal irren und verweist metasprachlich („du sagst doch immer”) darauf, dass auch ihr Opa das immer sagt. Die Begründung für ihren Fehler wird noch gesteigert in der fortgesetzten Behauptung des Großvaters: “[...] sich irren ist nicht schlimm, nur einen Irrtum nicht zugeben ist schlimm.” Wie es sich für einen Großvater gehört, findet Ops immer einen klugen Rat und wie es sich für eine an- ständige und brave Enkelin gehört, nimmt sie sich seine Worte immer zu Herzen. Der Gemeinplatz wird hier in beschwichtigender Absicht und zur Beruhigung eingesetzt. BELEG (2) Kontext: Der achtjährige Franz ist die Hauptfigur in Weihnachtsgeschichten vom Franz (1993). Seiner besten Freundin Gabi will er etwas zu Weihnachten schenken. Da Gabi ihm aber immer komische Kleinigkeiten schenkt, zum Beispiel einen Schraubenzieher, will er für sie auch nur eine Kleinigkeit kaufen. Aber er ist sich nicht ganz sicher, ob man für jemanden, dem man bloß drei Schraubenzieher wert ist, so viel Geld ausgeben soll. Die Mama vom Franz meint: „Sei nicht so kleinlich. Beim Schenken darf man nicht rechnen.” (Ch. Nöstlinger: Weihnachtsgeschichten vom Franz 1993: 17) Im Beleg (2) verwendet die Mutter in gutgemeinter Absicht einen Gemeinplatz (Beim Schenken darf man nicht rechnen), mit dem sie ihren Rat auf allgemeine Gültig- keit („man“) bezieht und ihre Überzeugung rechtfertigt. Sie will ihrem Sohn beibrin- gen, dass man beim Schenken nicht kalkulieren soll, weil Schenken eigentlich bedeutet, dass einem eine Beziehung wichtig ist. Man möchte ja anderen eine Freude bereiten. Mit dem zusätzlichen Paraphrasieren „sei nicht so kleinlich“ betont sie die Großzügig- keit beim Schenken. Der Gemeinplatz wird hier im doppelten Sinne verwendet, denn einerseits wirkt das Argument überzeugender und andererseits will sie ihrem Sohn vom pädagogischen Standpunkt her gutes Benehmen beibringen. BELEG (3) Kontext: Auch in Mini trifft den Weihnachtsmann (1992) geht es um Geschenke. Die siebenjährige Mini spart für Weihnachtsgeschenke für ihre Familie. Als sie merkt, dass ihre Familie alles, was sie einkaufen wollte, eigentlich nicht braucht, ist sie verzweifelt. Die vierzehnjährige Schwester ihrer Freundin bringt sie auf die Idee, alle Geschenke selber zu basteln. Sie macht sich freudig an die Arbeit und ist darüber unheimlich ver- gnügt. In der folgenden Szene wundern sich ihre Eltern über ihre gute Laune. Die Mini sagte: „Weil die Oma recht hat, bin ich so lustig!“ – „Womit hat die Oma recht?“, fragten der Papa und die Mama. Und die Mini antwortete: „Ge- ben ist seliger als nehmen!“ Der Moritz tippte sich an die Stirn und lachte. Linguistica_2019_FINAL.indd 355 9.10.2019 8:59:03 356 „Geht es um Weihnachten?“, fragte die Mama. Mini nickte. „Hast du Geschenke gekauft?“, fragte der Papa. Mini nickte. (Ch. Nöstlinger: Mini trifft den Weihnachtsmann 1992: 28) Zu Minis Familie gehören ihr neunjähriger Bruder Moritz, ihre Mutter Lisi, Vater Peter und die geliebte Oma, die seit zwei Jahren in Pension ist und gleich um die Ecke, vier Häuser weiter, lebt. Sie spielt eine wichtige Rolle, manchmal im Hintergrund und manchmal direkt im Vordergrund. Minis Oma mischt sich nämlich geschickt ins Fami- lienleben ein und Mini legt großen Wert auf ihre Meinung. Im Beleg 3 verwendet Mini einen Spruch ihrer klugen Oma, einen Gemeinplatz (Geben ist seliger als nehmen), der hier zur Bekräftigung ihrer Ansicht geschickt eingesetzt wird und Mini als moralische Unterstützung dient. Der Wahrheitswert des Gemeinplatzes wird metasprachlich eklatant eingeführt: „Weil die Oma recht hat ...“. In diesem Beleg wirkt der Gemeinplatz als Auf - klärung der emotionalen Lage oder freudigen Stimmung in beschwichtigender Absicht. BELEG (4) Kontext: In Mini ist verliebt (1999) ist Mini schon acht Jahre alt und findet, dass ihr neuer Freund Tini wie ein Märchenprinz aussieht. Mini kann gar nicht richtig mit ihm reden, sie stottert und wird ganz rot, im Bauch hat sie ein merkwürdiges Gefühl. Mini grübelt über ihre Gefühle nach. Bis zum Nachtmahl blieb die Mini in ihrem Zimmer. Sie lag auf dem Bett und überlegte, warum sie sich auf den ersten Blick in den Tini verliebt hatte. Nur weil er wie der Dornröschen-Prinz aussah und leberblümchenblau schaute? Deswegen kann es nicht sein, dachte sie. In der Schule gibt es fünf Buben, die wie Märch- enprinzen aussehen. Jeden Tag sehe ich die. Noch nie habe ich wegen einem Schmetterlinge im Bauch gehabt! Und dumm gestottert. Nicht mal rot im Gesicht werde ich, wenn ich mit ihnen rede. Soviel die Mini auch überlegte, ihr fiel kein vernünftiger Grund für die Liebe auf den ersten Blick ein. Doch dann fiel ihr ein, was die Oma einmal gesagt hatte. Die hatte gesagt: Die Liebe fällt hin, wo sie will, niemand kann sich gegen sie wehren. Da sagte sich die Mini: die Oma li- est jede Woche zwei Liebesromane. Sie kennt sich mit der Liebe aus, und wenn es so ist, wie sie sagt, brauche ich sowieso nicht länger drüber nachzudenken. Die Liebe ist halt auf mich gefallen, und wehren kann ich mich gegen sie nicht! (Ch. Nöstlinger: Mini ist verliebt 1999: 34f.) Nach langem Nachdenken über ihre rätselhaften Gefühle fällt Mini ein passender Spruch ihrer Oma ein: Die Liebe fällt hin, wo sie will, niemand kann sich gegen sie wehren. Der Gemeinplatz hat eine bestätigende und beruhigende Wirkung. Die Verwir- rungen eines Mädchens in Bezug auf sein emotionales Empfinden werden besänftigt, weil es bei der Suche nach einer Erklärung erneut auf die gutgemeinten Ratschläge der Oma zurückgreifen kann. Sie weiß es ja bestimmt, weil sie doch Liebesromane liest! Der Gemeinplatz wird hier in beschwichtigender Absicht verwendet. Linguistica_2019_FINAL.indd 356 9.10.2019 8:59:03 357 BELEG (5) Kontext: Die Hauptfigur, der 11-jährige Cornelius, kämpft im Roman Als mein Vater die Mutter der Anna Lachs heiraten wollte (2013) mit den Veränderungen in seinem Leben, auf die er keinen Einfluss hat. Die Mutter zieht aus dem gemeinsamen Haus aus und der Vater ist ständig auf der Arbeit. In der Kinderwelt von Cornelius taucht als Gegensatz zu seiner „zerrütteten Familie“ die intakte Familie seines Schulfreunds Robi auf. In Robis heiler Familienwelt gibt es drei kleine Brüder und eine tolle Haus- frauen-Mama. Auf der Handlungsebene geht es um die neue Freundin des Vaters und ihre Tochter Anna, die am liebsten wieder zurück nach Salzburg fliehen würde so- wie die Nicht-Akzeptanz der vom Vater gewünschten Konstellation in einer geplanten Patchwork-Familie. Die beiden Kinder, Cornelius und Anna, verbünden sich gegen die Elternteile. Cornelius hilft Anna bei ihrem Vorhaben, vom neuen Zuhause abzuhau- en. Doch er kämpft mit schlechtem Gewissen und lüftet das gehütete Geheimnis, dass Anna mit dem Nachtzug abfahren wollte. Zuerst war ich total erleichtert, aber dieses gute Gefühl hielt nicht lange. Der Anna musste es doch jetzt beschissen gehen. Es war ganz wie der Robi gesagt hatte! Gegen die Erwachsenen kannst du nichts tun, da bist du machtlos! Sie gehen nach Saudi-Arabien, verkaufen Häuser, vergiften Hunde, ziehen in eine andere Stadt um, wollen eine Patchwork-Familie gründen – und alles, ohne dich zu fragen. Dir bleibt nur, Ja und Amen zu sagen. „Keine Lust?“ Mein Vater deutete auf die Croissanthälften. „Wenigstens eine!“, lockte er. „Leerer Bauch macht leeres Hirn.“ (Ch. Nöstlinger: Als mein Vater die Mutter der Anna Lachs heiraten wollte 2013: 33) Als reproduzierte Wortschatzeinheit und damit Bestandteil des Sprachsystems funktioniert in diesem Textauszug Vaters Deutung, der Sohn möge eine Croissanthälfte zu sich nehmen, denn Leerer Bauch macht leeres Hirn. Was explizit die Entschärfung einer gespannten, unangenehmen Situation zu sein scheint, könnte textimplizit als Zei- chen der Versöhnung wirken. In diesem Beleg versucht der Vater mit dem Gemeinplatz eine Verlegenheitspause zu überbrücken. 6 SCHLUSSFOLGERUNG Die Autorin des vorliegenden Beitrags hatte sich vorgenommen, die Verwendung von Gemeinplätzen in kinder- und jugendliterarischen Texten von Christine Nöstlin- ger zu untersuchen. Gemeinplätze sind in sich geschlossene satzwertige Phraseme, die meistens keine bildhaften Aussagen sind und auch keinen direkten Situations- bezug haben müssen. Die Ergebnisse der Analyse zeigen, dass Gemeinplätze in den untersuchten fünf kinder- und jugendliterarischen Texten von Christine Nöstlinger nicht oft vorkommen und nur eine kleine Gruppe der Belege bilden, in denen sie kommentierend Bezug auf eine Situation nehmen. Linguistica_2019_FINAL.indd 357 9.10.2019 8:59:03 358 Die textuelle Realisation zeigte, dass Gemeinplätze als Ansichten, Einstellungen, Überzeugungen usw. einer anderen, meist erwachsenen Person wohldurchdacht ein- geleitet werden. Auf diese Weise werden einzelne Figuren bzw. Familienmitglieder durch Gemeinplätze porträtiert. Dabei geht es auch um konnotative Elemente zur Schilderung der Klugheit und Erfahrungswelt der Erwachsenen. Wie so oft in Nöst- lingers Werken übernehmen auch in unserem untersuchten Korpus erwachsene Be- zugspersonen, die der Figur nahe stehen, die Rolle einer gesellschaftlichen Instanz, die fast immer aus dem Hintergrund agiert. Meistens drücken Großeltern Gemein- plätze mit Empathie aus, denn sie haben für alles Verständnis, finden immer einen klugen Rat und haben ein großes Herz für ihre Enkelkinder. Von diesen Personen übernehmen Kinder vorgeformte Ausdrücke und machen sich diese zu eigen. Die Schriftstellerin will dem Leser in der Auswahl der sprachlichen Ausdrücke nahe- kommen und reale Situationen sprachlich reflektieren. Die Verwendung der festen Wortverbindungen deutet darauf hin, dass die darge- stellten Szenen dem Leser glaubwürdig, bekannt und nachvollziehbar erscheinen. Den Protagonisten wird auch die gesellschaftliche Erwartung, was richtig und was falsch ist, was sich gehört und was nicht, durch die Auswahl der expliziten Gedanken oder Aussagen der anderen Figuren mitgeteilt. Es wurde festgestellt, dass die meisten Ge- meinplätze in der Figurenrede platziert wurden. Das Evozieren der gesprochenen Spra- che in den literarischen Texten ermöglicht es, dem Leser ein Gefühl der Spontaneität zu vermitteln. Pavić Pintarić (2015: 59) macht deutlich: Fiktive Mündlichkeit oder das Evozieren der gesprochenen Sprache in literari- schen Werken, [...] schafft eine Sprache der Unmittelbarkeit und erweckt das Interesse bei den Lesern. Romane stellen sowohl eine reale als auch eine nur mögliche Welt dar, weil der Schriftsteller Aspekte aus der realen Welt auswählt und aus ihnen weitere Möglichkeiten schafft.“ Gemeinplätze bringen Klarheit in etwas Ungeklärtes oder in eine Lage bzw. Stim- mung, die für Kinder im betreffenden Moment rätselhaft ist. Sie bedürfen einer eindeu- tigen und begründeten Aufklärung. Im richtigen Augenblick leuchten die passenden Aussagen der Erwachsenen, auf die sie zurückgreifen können, ein. Kinder haben die- se Aussagen zwar bereits einmal gehört, jedoch noch nicht zur Gänze verinnerlichen können. Nun, in solchen konkreten Fällen aber, können sie sich diese satzwertigen Aussagen als Sprüche zu Herzen nehmen und sie auch entsprechend befolgen. Zusam- menfassend kann festgestellt werden, dass Kinder auf der Suche nach einem Ausweg oft auf sich selber gestellt sind, doch sie akzeptieren gern die „beruhigend wirkenden“ altbekannten Weisheiten der Eltern und Großeltern, die sie mitfühlend (auch) mit Ge- meinplätzen zum Trösten einsetzen. Abschließend möchte ich die Worte der Großmut- ter aus Als mein Vater die Mutter der Anna Lachs heiraten wollte zitieren. Ihr Gedanke zum Schluss ist keine Wertung, sondern ein schlichtes Akzeptieren der Realität, wenn man sich Fragen über sich selbst oder andere Menschen stellt: „Die meisten Menschen, sagt meine Großmutter, sind sich selber das größte Rätsel.“ Linguistica_2019_FINAL.indd 358 9.10.2019 8:59:03 359 Primärliteratur NÖSTLINGER, Christine (1992) Mini trifft den Weihnachtsmann. Wien: Dachs. NÖSTLINGER, Christine (1992) Mini und Mauz. Wien: Dachs. NÖSTLINGER, Christine (1993) Weihnachtsgeschichten vom Franz. Hamburg: Fried- rich Oetinger. NÖSTLINGER, Christine (1999) Emm an Op. Hamburg: Friedrich Oetinger. NÖSTLINGER, Christine (2013) Als mein Vater die Mutter der Anna Lachs heiraten wollte. Hamburg: Friedrich Oetinger. Sekundärliteratur Brockhaus‘ Kleines Konversations-Lexikon. Leipzig: F. A. Brockhaus, 5 1911. BURGER, Harald (2015) Phraseologie. Eine Einführung am Beispiel des Deutschen. Berlin: Erich Schmidt. BURGER, Harald/Annelies BUHOFER/Ambros SIALM (1982) Handbuch der Phra- seologie. Berlin/New York: de Gruyter. CHRISTIANS, Heiko (1999) Über den Schmerz: eine Untersuchung von Gemeinplät- zen. Berlin: Akademieverlag. COULMAS, Florian (1981) Routine im Gespräch. Zur pragmatischen Fundierung der Idiomatik. Wiesbaden: Athenaion. ČUDEN, Darko (2012) „Vsak po soje, Bohinjc pa s svedrom ali nekaj drobcev o povrat- no svojilnem zaimku svoj v slovenščini in nemških ustreznicah.“ In: V. Jesenšek/A. Lipavic Oštir/M. L. Fabčič (Hrsg.), A svet je kroženje in povezava zagonetna …: Zbornik ob 80-letnici zaslužnega profesorja dr. 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Die Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen, dass Gemein- plätze in den kinder- und jugendliterarischen Texten von Christine Nöstlinger nicht oft vorkommen, jedoch tragen sie zur Intensivierung von Aussagen bei. In den ausgewähl- ten fünf Werken für Leser unterschiedlichen Alters wurden in jedem Werk nur bis zu zwei Gemeinplätze meist in der gesprochenen Sprache von erwachsenen Personen als gutgemeinter Rat oder der Ausdruck ihrer langjährigen Erfahrungen eingesetzt. Mit diesen satzwertigen Formulierungen charakterisiert die Autorin die einzelnen Figuren Linguistica_2019_FINAL.indd 360 9.10.2019 8:59:03 361 im sogenannten Sprachporträt. Unter dem Aspekt der textuellen Realisation lässt sich zusammenfassend sagen, dass Gemeinplätze als Ansichten, Einstellungen oder Über- zeugungen wohldurchdacht in den Kontext eingebettet werden. Schlüsselwörter: Phraseologie, satzwertige Phraseme, Gemeinplätze, Kinder- und Ju- gendliteratur, Christine Nöstlinger Abstract “MOST PEOPLE, SAYS MY GRANDMOTHER, ARE THE GREATEST PUZZLE TO THEMSELVES” – COMMONPLACES IN CHILDREN’S AND YOUTH LITERARY WORKS The article deals with the phraseological units called Gemeinplätze in children’s and youth literary works by the Austrian writer Christine Nöstlinger. The German term “Gemeinplatz” comes from the Latin locus communis or the English commonplace. Gemeinplatz is an undoubted or self-evident truth. In the German phraseological the- ory, Gemeinplätze are presented as sentential phraseological units. This study shows how Gemeinplätze are placed in a context and how they influence it. Simultaneously, the results of this study show that commonplaces in the children’s and youth literary works by Christine Nöstlinger are very rare; nevertheless, they intensify the message of the statement. In the selected five works for readers of different ages, only one or two commonplaces in each work were used in a statement by an adult person like parents or grandparents with the intention to give some advice or to express their experience. With these multi-word expressions, the author describes the individual characters and creates a so-called language portrait. Considered from a textual point of view, it can be summarized that commonplaces are thoughtfully considered to be embedded in the context as opinions, views, attitudes or beliefs. Keywords: phraseology, sentential phraseological units, truism, children’s and youth literary works, Christine Nöstlinger Povzetek „NAJVEČ LJUDI, PRA VI MOJA STARA MAMA, JE SAMA SEBI NAJVEČJA UGANKA“ – SPLOŠNICE V OTROŠKIH IN MLA- DINSKIH KNJIŽEVNIH BESEDILIH V prispevku nas je zanimal tip frazeoloških enot, imenovan splošnice (v nemščini Gemeinplätze), v izbranih literarnih delih za otroke in mladino avstrijske pisateljice Christine Nöstlinger. Nemški izraz Gemeinplatz je nastal na osnovi latinskega strokov- nega izraza locus communis oz. angleškega commonplace. Splošnice označujejo sa- moumevne resnice, ki izražajo vsebinsko zelo splošne povedi. V raziskavi smo najprej Linguistica_2019_FINAL.indd 361 9.10.2019 8:59:03 362 predstavili splošnice kot stavčne frazeme z vidika germanistične frazeološke teorije. Nato smo opazovali besedilno realizacijo in vpliv na sobesedilno okolje v posame- znih zgledih v delih pisateljice Christine Nöstlinger. Rezultati raziskave so pokazali, da se splošnice v izbranih literarnih delih za otroke in mladino ne pojavljajo pogosto, a na tistih mestih, kjer se vendarle pojavijo, pomensko stopnjujejo izrazno oz. pripo- vedno moč v posameznih povedih. V analiziranih delih uporabijo splošnice v dialogih v govorjenem jeziku najpogosteje starejše osebe, ki rade delijo nasvete mlajšim, tudi v smislu že preverjenih življenjskih izkušenj. Raba stavčnih frazemov oziroma splošnic daje tem figuram izrazite značajske lastnosti in jih na določen način portretira. Z vidika besedilne realizacije lahko zaključimo, da je avtorica splošnice premišljeno vključila v sobesedilo kot prepričanja ali mnenja. Ključne besede: frazeologija, stavčni frazemi, splošnice, otroška in mladinska litera- tura, Christine Nöstlinger Linguistica_2019_FINAL.indd 362 9.10.2019 8:59:03