vfV r,! TOUEISTI SO H E (S A PMbiseskizzbn - -&£s===- — «$=>- -2jz-u~a~ S -? 1 im I ki i* sl c. Nach H. Heines »Harzreise«. Besteigung des MonLe Maggiore, Fiume, Pola. Druck und Commissions-Verlag von Ig. v. K]einmayr & Fed. Bamberg ia Laibach. 18 31 , Alle Reehte vorbehalten. 3 C}00$OJvQ G e w i d m e t seinem Freunde Ludwig Wettstein Ritter von VVestersheimb. Vom Verfasser. Motto: Patience et longueur de temps font plus que force ni que rage. La Fontaine. Liebster Freund! Ich babe Dein letztes Schreiben, von Karlsbad datirt, erhalten und wundere mich nicht, dass Du als Einleitung in demselben mit der Klage beginnst, liber mich sei wohl wieder die Schreibe- faulheit gekommen, indem kein Lebenszeichen von mir in Deine Hande gelangt. Ob Deine Vermuthung richtig, soli Dir mein nachstes Schreiben sagen; nun denn, so sende ich Dir diese Zeilen, daraus Du ersehen kannst, was D n ja ohnehin genugsam weisst, dass ich wohl Briefe nicht sehr gerne mehr schreibe, deshalb jedoch die Feder bei mir nie in Unthatigkeit ruht. Siehst Du, mein Lieber, es ist dies die noth- wendige Folge der Action, welche immer eine Reaction gebart, denn, wie Du Dich aus meinen friiheren Zeiten erinnern wirst, litt ich einstens an der Briefstellerei, da ich viele und lange, er- schopfende Briefe schrieb, in welche ich ali das, was ich fiihlte und dachte, hineinsetzte; nun ge- niigt mir dies nicht, und ich schreibe Biicher, um so vieles Herz und Geist Bedriickenden los zu werden. Du schriebst mir iiber Dein Karlsbader Leben recht Anziehliches. Du siehst herrliche Frauen in schoner Toilette, die den Wunsch in Dir reizen, doch eine fiir immer zu besitzen; Du verkehrst mit Mannern verschiedener Stellung und Begabung; eine reizende Gegend, im freundlichsten Wetter glanzend, umgibt Dieh; und — »da schleichen sich so schone, so himmlische Gefiihle in Deine Brust, da verschwindet Sorge, Leid und Schmerz so rasch, und nur ein unendliches, aber dennoch angenelunes Weh erfullt Dein Herz. Dein ganzes Wesen«. Dies Deine eigenen Worte. Und da bist Du wieder gliicklich, denn Du fiihlst, dass Du ein Herz hast; und Du denkst mit Schaudern an jene Armen, die das Schicksal so sehr bedaeht hat, sorgenlos der Freude sich hinzuneigen, denen jedoch alles fehlt, dies zu ge- niessen: die verstandnisvolle Empfindung dafiir. Wir sind nun so weit von einander entfernt, Du an den nordlichen, ich fast an den aussersten siidlichen Grenzmarken der Monarchie, und mir ist es, als waren die Blatter, die ich Dir da widme, der Wiederhall Deines Herzens, immerhin eine h propos kommende Antwort auf Deinen letzten Brief. So magst du sie denn als solche und als Zeichen der warmen Freundschaft aufnehmen, mit der Dich von ganzem Herzen grusst Dein Alfred. Pola im Juni 1881. I. Die rauhe Herrschaft der kalten Jahreszeit ist vorbei, die Erde erbluht in neuem Blatter- und Blumen- schmuck, der Himmel breitet sich blaustrahlend iiber uns aus, die Sonne scheint so freundlieh erwarmend von ihm herab, und ihre magische, zu neuem Leben aufrufende und aufmunternde Kraft macht sich auch bei den Menschen geltend. Es zieht so neubelebend, so erwarmend in unsere Herzen ein, neuen Hoff- nungen, neuen Freuden erschliesst sich dasselbe, und wie die ganze Natur um uns, das tausendstimmige Zwitschern der Vogel, der zarte Duft der Blumen, der helle Sonnenschein und der lachende Himmel ein Wiederschein freudiger Seligkeiten ist, so erfullt es auch unsere Brust mit neuen Wonnen und Wiinschen. Alles trachtet da, nun zu reisen, den Staub der Scholle, der man bisher anhaftete, von sich abzu- schiitteln; Stadte werden verlassen, das Land bevol- kert, alles zieht wo moglich weit, recht weit in die Welt hinaus. Unsere Freunde und Bekannten verlassen uns, der eine nach Venedig-Rom-Florenz, sucht Italiens klassischcn Boden auf, der andere zieht nach Miinchen- Strassburg-Paris, wieder andere machen sich auf, die l —<^> 2 o> Hijhen der Schweiz zu erklimmen, in ■ anmuthigen Badern, grunenden Nadelwaldern, kiihlen Sommer- wohnungen Genesung oder Vergniigen, oft beides zu finden. Glucklich derjenige, dem seinei' Wanderlust nichts entgegensteht, der dem zur Losung gewordenen Worte »reisen« naehkommen, den Koffer packen, besser die Brieftasche fiillen und fortziehen kann! Alle, alle haben uns schon verlassen, und auch in dir, freundlicher Leser, erwacht die Sehnsucht zum Wandern; steht es in deiner Macht, so saume nicht lange, sei nicht unschltissig, sondern gehe! Kein Wunder daher, dass auch in mir als einem schwachen Menschen dieser gebrechlichen Erde das kokette Lacheln der leuchtenden Sotine, der mir zu Haupten im reinsten strahlenden Blau sich wolbende Himmelsbogen, der liebliche Duft der Blumen und die anhangliche Zuneigung, die ich zu dieser ganzen schonen Welt hege, das lockende Sehnen erwachte und das Verlangen entstand, wenn auch nur zu Fuss und auf kurze Zeit, dennoch fort von dem Orte zu ziehen, an den ich durch meine Beschaftigung gebunden bin. Wir machten uns also zu Ftinfen auf, setzten uns Freitag nachmittags auf die Bahn, um nach Lupoglava zu fahren und dort, am Fusse des Monte Maggiore, einen Fiihrer nehmend, an dem 4500' iiber den Meeres- spiegel sich erhebenden Berge hinanzuklimmen, da- riiber himveg nach Fiume zu wandern und, dortselbst einen Tag verbleibend, mit der Bahn zum weltberiihmten Grottenfeste, welches jedes Jahr zu Pfingstmontag stattfindet, nach Adelsberg zu fahren, — -<» 3 4 >- Welch kostliches Gefiihl bemachtigte sich meiner, als der Zug die Station verliess und wir unsere letzten Abscbiedsgriisse den bleibenden Kameraden, die uns hier das Geleite und in Adelsberg das Stelldichein gaben, zuwinkten, und als sie dann unseren Blicken entschwunden, ieh nun wieder einmal nach so langer Zeit in die Ecke eines Coupes gelehnt den rollenden Radern mich iiberlassen konnte! Obwohl wir zu Fiinfen und meist junge Leute waren, nimmt die Conversation unter sehr guten Bekannten, denen man doch nicbts oder nur sehr wenig Neues zu sagen im Stande ist, in dem kleinen Raume eines Eisenbahncoupes doch endlich eine mehr oder weniger langweilende Form an; und nachdem die hier so »steinreiche« Gegend, die wir im lang- samen Fluge dieser Zweigbahn durcheilten und die von ihrem steinigen Ueberfluss dadurch gereinigt wird, dass der Bauer bei jedesmaligem Umackern seines Feldes die ihm in Menge zu Gesicht kommenden Steine aufliest und, um ihnen einen Platz anzuweisen, um sein Besitzthum damit Mauern auffuhrt, und die in der Ferne gesehen wie weit sich erstreckende Kirch- hofe. in der Nahe wie Ruinen aussehen, uns allen so wohlbekannt und nur wenig Abweehslung bietend war, mussten wir auf eine andere Zerstreuung sinnen, die sich aucli bei solchen erfindungsreichen Kopfen und in alle nur denkbaren Verhaltnisse leicht sich fiigenden Menschen, wie wir hier beisammen waren, bald fand: indem einer ein Spiel alter Tarokkarten hervorzog, viere in zwei Doppelsitze sich gegentibersetzten, die vorgehaltenen Knie mit einem Plaid iiberspannten, darauf ein Kissen legten und lustig zu spielen anfingen, l* 4 wahrend der fiinfte das Aufsehreiben der Points fiir und gegen besorgte. Mittlerweile hatte der Zug das in einem freund- lichen Thale liegende, von bewaldeten Hohenztigen unngebene Mitterburg-Pisino erreicht, und bald darauf, es war sieben Uhr abends, kamen wir in Lupo- glava an. Von Pola hatten wir dem dortigen Stationschef wegen eines Fiihrers, der uns den kurzesten Weg nach dem auf der Hohe liegenden Orte, wo wir iiber- nachten wollten, weisen solite, telegraphiert, welcher unserer Bitte der freundliche alte Herr auch nach- gekommen war, und so hatte uns hier ein des Weges kundiger Mann schon envartet. Den starken Schultern unseres Wegweisers das wenige Gepack, welches wir mit uns fiihrten und das nur in Esswaren, Tiiehern und Manteln bestand, nachdem wir die Koffer und Sabel mit dem Dampfer nach Fiume vorausgesandt hatten, aufladend, begannen wir nun wacker fiirbass zu wandern. Die Sonne war untergegangen, in der Luft herrschte freundliche Milde, und so schritten wir denn vergniigt weiter. Unser Weg fiihrte uns durch das mit der Station gleichbenannte Dorf, ein aus mehreren Hutten und armseligen Hausern bestehender, an den Fels angelehnter Ort, wo wir nur wenigen und schmutzigen Leuten, meist verwahrlosten, alten, hasslichen Gesich- tern, die uns neugierig musterten, begegneten. Beim Marenfels, einer steil sich emporhebenden Felswand, entlang gehend fiihrte uns unser Pfad durch sparliches Gebusch, bis wir endlich einige Baume erblickten. An Felsabrutschungen vorbei, durch aus- 6 <*>■—■- getrocknete Bette von Sturzbachen, oft iiber nackten, kahlen, grauen Karstfels schreitend, bot sich unserem Auge in der Tiefe, denn wir waren schon hoch gestiegen, ein nicht unschoner Anblick dar. Dunkle, bewaldete Hohenziige, fruchtbare Thaler, abwechselnd mit nacktem Fels und sparlich mit Gras bewachsenen Flachen, und in der Ferne blinkte der Cepič-See. So erreichten wir endlich die wunderbare, von Pisino nach Fiume fiihrende Poststrasse, wo es nun plotzlich sehr steil aufvvarts fiihrte. Bergauf, immer hoher fiihrte uns der Weg, die helle Sichel des Mondes schien auf uns herab, und nur dann und wann begeg- neten wir einem einsamen Hirten, der, seine Schafe Ihitend, triib-melancholische Weisen seiner Flote ent- lockte. Da kam eine Karavvane Kobler vom Tschitschen- boden, mit Kohlensacken bepackte Maulesel vor sich hertreibend, von der Hohe uns entgegen. Die Esel sowohl wie ihre Fiihrer stutzen iiber die seltsame, ungevvohnte Gesellschaft von Touristen, doch bald entschwinden sie wie schwarze Gespenster im Monden- scheine unseren Blicken. Wir waren schon drei Stunden marschiert, und noch immer wollte das ersehnte Ziel, die Herberge, wo wir iibernachten sollten, nicht kommen. Die gute, doch entsetzlich steile Poststrasse wand sich serpen- tinenartig an dem kahlen Fels hinan, der Mond schien so bleich und erhellte so greli den weissen Staub der Strasse, und Ruhe herrschte iiberall. Ich hatte es unterlassen, unten im Orte vor dem Abgange einen kraftigen Schluck kiihlen Wassers zu nehmen, um gleich einem Kameele der Wiiste mich damit zu versorgen, und nun trocknete mir die Kehle —•■<» 6 °>- aus, ein Konigreich, das mir nicht gehorte, bote ich fur einen Labetrunk. Wir mochten vielleicht noch eine kleine halbe Stunde von unserem Ruheplatz entfernt ge\vesen sein. als mein Ohi' das Platschern einer Quelle vernahm, und riclitig: links von der Strasse in einer Felsenecke war ein steinerner Brunnen, aus dem der krystallhelle Strahi einer solchen hervorrieselte, und mit Wollust beugte ich mich iiber das Brunnenbecken und trank lechzend den ktihlen Trunk. — Endlich, um 11 Uhr Nachts, kamen wir auf der Hohe an und waren in dem Orte Vela Učka, der aus einigen niederen Hiitten. dip hart an der Strasse erbaut waren, bestand. Nun hiess es den Wirt wecken, Proviant hatten wir wohl mit uns, doch Milch, Wasser und Wein sowie ein Nachtlager, nach dem wir uns nach soleh anstrengendem Marsche sehnten, mussten wir hier be- kommen. Wir pochten an das Thor und die Fenster einer auf der rechten Seite der Strasse alleinstehenden Hiitte, die uns der Fiihrer als Wirtshaus bezeichnete. Doch lange wahrte es, bis die da drinnen erwachten, fast glaubten wir, dass wir nicht eingelassen werden, dass sich der Wirt gar vor einem rauberischen Ueber- fall ftirchte und nicht offnen werde, doch endlich er- schien Licht und wir traten ein. — Eine finstere Kiiche, auf deren am Boden sich be- lindender warmer Feuerstelle noch Kohlen glimmten, ward uns geoffnet, und die Warme war gut, denn wir waren schon auf ziemlicher Hohe angelangt. draussen begann es kuhi zu werden, und vom raschen Gehen waren wir durchnasst, die Kalte daher um so empfind- licher. -
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Wir setzten uns in die anstossende, von Russ und
Schmutz starrende Nebenstube; doch unseren Hunger
und Durst stillend, sowie die veršpiirte Miidigkeit, liess
uns nieht des Comfortmangels, der uns hier in Ueber-
fluss umgab, achten; sodann noch eine Weile plau-
dernd, dachten wir endlich ans Schlafengehen, denn
es hiess zeitlich aufstehen, um noch vor Sonnenaufgang
auf der von hier nicht mehr sehr entfernten Spitze
zu sein.
Doch da war guter Rath theuer: ein einziges von
Schmutz starrendes Bett, die gemeinsame Ruhestatte
der Wirtsleute liess Millionen von Ungeziefer ver-
muthen; da konnte sich niemand entschliessen, in dem-
selben Schlaf zu suchen, wir liessen daher den Fuss-
boden abfegen, was gewiss nicht zu oft geschehen
sein mag, einige Kotzen aufbreiten und legten uns
so der Reihe nach auf den Boden, deckten uns mit
den Manteln zu, und nachdem wir noch herzlich viel
iiber unsere Situation gelacht, schliefen wir bald ein.
So mochten wir etwa drei Stunden geruht haben,
als es hell zu werden begann, und einer von uns auf-
gewacht, die iibrigen aus dem Schlafe weckte. Nun
mit frischem Wasser die Augen, die rebellisch den
Dienst versagen wollten, ausgevvaschen, mit dem eige-
nen Sacktuch sich abgetrocknet, war die Toilette bald
beendigt, und nachdem wir, wie gestern abends, keine
Milch bekamen, machten wir uns auf, mit niichternem
Magen weiterzusteigen.
Einen Hohlweg entlang, der sehr steil aufvvarts
fiihrte, emporklimmend — (wobei Freund I. sehr oft auf
die vordern Extremitaten angewiesen wurde, obwohl er
gestern abends in Pola beim Biere noch ganz wacker
— 4 > 8 »;
und ohne Beschwerden den Mont - Blanc bestiegen
hatte, was iibrjgens nicht viel sagen will, denn be-
kanntlich bat Jules Verne noch mehr geleistet, der in
den Mond eine Lustpartie gemacht hatte, — gingen
wir durch griines, dichtes Buchen- und Ahorngebiisch,
in dessen dunklem Haine die Nachtigall melodisch sang
und Blumen — so liebe Vergissmeinnicht — tiberall
sprossten. Der Pfad fiihrte uns an steil, oft senkrecht
abfallenden Felswanden entlang hbher, immer hbher,
bis uns endlich die Vegetation verliess und wir nur
mehr hartes, kahles Karstfelsgestein traten.
Ich machte es wie jener Englander, der sieh mit ver-
bundenen Augen den Rigi hinanfiihren und die Schon-
heit und Pracht des Anblickes, von den jugendlichen
Augensternen seines liebreizenden Tochterleins gesehen,
erklaren liess, um dann. auf dem hochsten Punkte an-
gelangt, den ganzen Eindruck des zu Schauenden zu
empfinden, und sah daher immer nur auf den Weg vor
mir oder links die graue Felsvvand an, und lauschte
der entziickenden Ausrufe meiner Gefahrten.
Nun ging es wieder massig steil aufwarts, wobei
jedoch unserem wackeren Mont-Blanc-Steiger — der
mit dem friiher genannten Mondfahrer so sehr wahl-
verwandtschaftlichen Zug gemein hat, nur dass letzterer
uns durch seine Phantasie die Fahrt so schon mit-
machen lasst, dass man wirklich glaubt, den weltbahn-
artigen Flug mitgemacht zu haben, wahrend ersterer
nur so im trop d’esprit, was etwas mehr noch ist als
das gewisse »beaucoup d’esprit«, also kurz im Geiste
zwischen Fuss und Spitze des Berges einen Unterschied
macht, der sich dahin resultirt, dass der und der Berg
so und so hoch ist, so steht es wenigstens in der
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Geographie — bald der Athem ausgegangen war und,
auf das liier sparlich ivaclisende Gtas sich hinstreckend,
u nseren Emporstieg nur so :in Gedanken weiter verfolgte.
Freilich, wenn man. mit machtigem Munde Cliim-
borassos, Dhavalagiris und Mont - Blancs in eine
Scliiissel werfend, dieselben so ohneweiters ver-
schluckt, mogen sie einem wohl so schwer im Magen
liegen, dass man davon selbst auf schon halbem Wege
des nur 1496 ™/ boben Monte Maggiore hinab zur Erde
gezogen wird und auf derselben nach Luft schnappend
liegen bleibt.
Endlich, nachdem wir liber Gerolle und stufen-
fdrmig hervorstehende Felskanten, an die wir uns
klammerten, emporgestiegen, hatten wir die hochste
Spitze, wo zum Zeichen eines Triangulierungspunktes
eine Stange ausgesteckt ist, erreicht, und nun erst liess
ich mein Auge iiber das ganze vor mir liegende, herr-
liche Panorama schweifen. Es war dies aber auch
wirklich ein packend schoner Anblick, der sich mir
hier darbot.
Ganz Istrien lag zu meinen Fiissen, wie eine
liypsometrische Karte, die man iibersieht: Berg und
Thal, Cultur, Vegetation, Strassen und Orte, alles wie
eine grosse Landkarte vor uns ausgebreitet. Die auf-
gehende Sonne warf ihre Streiflichter liber den mach-
tigen Berg auf Thal und Hohenziige, welch Hugelmeer
da tief unter mir das Bild zu Stein gewordener Wellen
einer weltbildenden Fluctuation bot, und das theils
bewaldet und griinend, theils ganz kahler, grauer
Fels war.
Links, weit unter mir, blitzten, von der Sonne be-
schienen, einzelne blinkende Punkte vom Gestade des
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ungarischen Emporiums Fiume herauf, iiber das sich
der hohe Gebirgszug der kroatischen Berge mit deren
hochster Spitze, dem Vellebich, erhebt, und die istrischen
Inseln, wie aus Carton, aus der spiegelglatten, sie um-
spiilenden Flache des Meeres liervorragend; vor mir
die sich nach Siiden erstreckende Halbinsel, auf deren
hochstem Punkte ich jetzt stand, weit unten an der
Spitze Pola, das hochgelegene Marinespital vorziiglich
zeigend, den Thurm von Dignano, Parenzo an der
Westkiiste, Pisino im Herzen des Landes, den Cepic-
See, und — siehe! dort den dahineilenden, von Divacca
nach Pola falirenden Train gut ausnehmen lassend;
rechts die Auslaufer der Julischen Alpen mit dem hohen
Krainer Schneeberg; und um recht die Erhabenheit
der Contraste wahrzunehmen, verliert sich das Auge
in der unabsehbaren Flache des weit in die Ferne
sich ausbreitenden Meeres, auf \velchem — gleich Nuss-
scbalen — Segelschiffe ihre spurlos verschwindenden
Furchen ziehen, — das Ganze des Anblickes etwas
gewiss ergreifend Schones, was umsomehr zu wundern
gibi, dass dieser Punkt, der so leicht zu ersteigen ist,
bisher von den Touristen so wenig gewurdigt wird.
Mittlerweile \var unser erschopft zuriickgebliebener
Marodeur keuchend uns nachgefolgt, und nachdem wir
zum Nothwendigsten die Neugierde der Ervvartung des
Anblickes befriedigt hatten, nahmen wir unsere vom
gestrigen Souper iibrig gebliebenen Reste herbei und
fruhstiickten nun in heiterster Laune.
Wahrend nun unser armer ermatteter Mont-Blanc-
Besteiger, auf seinen Vordertheil sich legend, der tief
unter ihm liegenden Welt seine ganze Verachtung und
der schon hoch am Firmamente stehenden Sonne den
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schoneren riickwartigen Theil seines besseren Ichs
zeigte, und ein siisses Morgenschlafchen machend viel-
leicht von Urgebirgen. auf denen er spazierte, traumte,
— hatten wir die Generalstabskarte liergenommen und
suchten uns mit derselben in der unter uns liegenden
aufgerollten, etwas grosseren Mappe zurechtzufinden.
Die Spitze selbst, auf der wir uns befanden, war
ganz kahl, nur sparlich mit Gras bevvachsen, doch
kaum 200 Schritte unter uns, auf*der Seite gegen
Fiume zu, war die Hohe dicht bewaldet, wahrend auf
der gegeniiberliegenden Seite, die gegen Pola sieht,
der Tschitschenboden in trostloser Nacktheit sich zeigte.
Und wie die Gegensatze fiir das Auge so schrill wahr-
nehmbar waren, herrschten diese auch in der Luft.
Denn wahrend auf der einen Seite der von Malamocco
heriiberwehende Wind uns mit ziemlicher Kalte streifte,
empfing uns nach einigen Schritten, die wir iiber den
hochsten Punkt auf die andere Seite thaten, tropische
Warme.
Naehdem wir uns an dem schonen Panorama
geniigend satt gesehen hatten, brachen wir wieder auf,
um den Weg nach abwarts anzutreten.
Nun zog es mich schon nacli den Gestaden
Fiumes, wo meiner liebevolle Erwartung harrte; frohen
Herzens und mit leichter Seele wanderte ich daher
abwarts.
Mein Auge in der Unermesslichkeit des Meeres
schweifend, die Erde unter mir so klein und eitel
sehend, ich so hoch da droben, hob sich auch die
Stimmung in mir, und Sonnenlicht meinen Pfad be-
leuchtend, Blumen denselben schmiickend, pfluckte ich
mir einen herrlichen Strauss.
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Meine Gedanken schweiften weit liber die Berge
hinweg und weilten dort oben im Norden an einem
breiten blauen Strome, in einer schonen grossen
Stadt, darin ein Hausermeer und Gassengewirre, liebe
bekannte Punkte, auf denen nur momentan mein
Blick haften bleibt, darinnen so viele Hunderttausende
Menschen, so viele schone Frauen und Madchen —
ach, das Herz, dass es doch nie aufhort, sich zu
sehnen, nie aufhort zu lieben! Doch mein Gedanke
schvveifte nicht lange umher, da ist auch in jenem
Gassengewirre eine liebe Strasse, darin ein grosses
Haus und in diesem eine Fensterreihe, da schaut aus
einem der Fenster ein junges Frauchen heraus, und ich
sehe die Blumen an. die ich in der Hand halte: es
sind Vergissmeinnicht. So lieb und freundlich blau
blicken sie n.ich an, doch darinnen sind noch die
Perlen des Morgenthaues, — und ich sehe rvieder die
Augen jener holden Frau, sie sehen auf mich herab,
und es erglanzen darinnen Thranen.
Da kamen wir an ein lauschiges Platzchen. In-
mitten des Waldes, der hier so hoch auf der Berglehne
liegt, unter einer alten schattigen Esche platscherte
der krystallhelle Strahi einer Quelle hervor, und nun
machten wir halt, um uns an der Kiihle und Klar-
heit derselben zu laben. Wie sie immer rnunter
dahinfliesst, unaufhorlich und unaufhaltsam, zurFreude
des Wanderers, der in ihren Bereich kommt. —
Wir brachen auf, bald hatten wir wieder die Post-
strasse erreicht, und unseren Fiihrer verabschiedend,
schritten wir nun wacker hinab zum Meere. Es ging
jetzt leicht, denn abwarts fiihrte der serpenlinenartig
angelegte \Veg iiber hohe Damine, neben steilen Ab-
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griinden vorbei durch eine baumlose Gegend. so dass
nur wenig, fast gar kem Schatten zu flnden war. Nach
einem zweistiindigen Marsche hatten wir Veprinatz
erreicht.
Es ist dies ein kleiner, auf dem Bergriicken an
der Strasse liegender Ort, welcher der Ausgangspunkt
jener Touristen ist, die die vorher geschilderte Be-
steigung des Monte Maggiore von dieser Seite, also
von Fiume kommend, bewerkstelligen wollen, und ist
in diesem Falle in einem kleinen Wirtshause oder
auch beim Pfarrer und Schullehrer Nachtquartier zu
finden.
Nach einer kleinen halbstiindigen Rast, die wir
Mer hielten, trennten wir uns, und wahrend zwei
schon miide gelaufene Touristen unserer Gesellschaft
in einem Wagen nach Fiume hinabfuhren und unser
kiihner Mont-Blanc-Besteiger zur Bahnstation nach
Matuglie ablenkte, bogen der vierte und ich von der
Poststrasse ab und wanderten auf einem Nebenpfade
hinab zum Gestade des Meeres nach dem anmuthigen,
blumenreichen und schattigen Abazia. UnserWeg fiihrte
uns ziemlich beschwerlich immer tiefer, von Terrasse
zu Terrasse, von Stufe zu Stufe hinab dem zu er-
reichenden Ziele naher, durch schattige Lorbeerhaine
und Kastanerien, bis wir endlich den lierrlichen Ort
erreicht hatten.
Unter einer uralten Platane, die — gleich riesigen
Fittigen — ihre machtigen, dichtbelaubten Aeste
schattenspendend iiber uns ausbreitete, uns nieder-
lassend, baten \vir in einem Hause um einen Labe-
trunk, der uns auch bereitwilligst in Form eines
Kruges frischer Milch gereicht \vurde. —
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als Zoglinge, wenn wir unter Aufsicht spazieren gefiihrt
wurden, badeten und wo der Fels so hart und
scharf isl, dass man sich die Fiisse daran zerschnitt;
da war ich endlich nach zweistiindigem Marsche von
Abazia beim Mautschranken angelangt; da das Gast-
haus, in dem ich so oft beim Spaziergange auf Be-
fehl einkehrte; nun folgte die Strasse vorbei an der
chemischen Fabrik, die ihr Glaubersalz und Schvvefel-
saure bis in das ferne Egypten absetzt; die Briicke,
iiber die in das Meer fiihrenden Quellen. Nun kommt
die jetzt so sehr in Flor stehende und alle Marinen
der Welt herbeifiihrende Torpedofabrik des Whitehead.
ein grossartiges Etablissement der modernen Kriegs-
technik, bestimmt, Werkzeuge zur Zerstorung der
kolossalsten Erzeugnisse menschlicher Kraft herzu-
stellen; dann folgt der erste Stapelplatz eines Schiff-
bauers, das Gegentheil von ersterer Fabrik,. Segelschiffe
schaffend, die bestimmt sind, den Wohlstand fried-
licher Lander auszutauschen; rechts die Maccaroni-
fabrik, links das Haus, wo es vor Jahren, als ich
hier noch als Zogling vorbeispazierte, hiess, dass Ge-
spenster darin umgehen; daneben die .Villa utile dulci',
vor deren freiem Platz am Strande halbnackte Fischer
das vor Stunden ausgevvorfene Netz einziehen.
Nun bin ich schon mehr in der Stadt. Da durch-
schneiden die Schienen der nach St. Peter fiihrenden
Eisenbahn die Strasse; entlang der Mauer, die den
Bahnkorper von der Strasse trennt und an der ich
vergeblich in der driickenden Sonnenhitze, die, mich
im Rucken verfolgend, mir beinahe das Gehirn in Brand
steckte, nach einer Handbreite Schatten schmachte,
dringe ich immer mehr in die Stadt ein. Nun kommt
21 •=>>—-
links der neue ,Giardino puhlico 1 , und daneben das
impošante, stattliche Gebaude der Marine -Akademie
mit ihrem schonen, schattigen Park, boben Pappeln
und Cypressen, worin ich vier so lange Jahre mich
nach der Freiheit sebnte, so viel Schones und Gutes
lernte; soeben begegnet mir der Rector derselben,
er sclieint mich nicht zu erkennen, doch seine holde
Nichte", mit der ich so viel auf den Festen der Aka¬
demie tanzte, die sieht mit ganz anderen Augen den
staubigen, miiden Wanderer an, von dessen Antlitz
der Schweiss in machtigen, heissen Perlen tropft; ich
hore im schnellen Vorbeigehen die Worte, die sie an
den lieben alten, dicken Herrn richtet: »Ist das nicht
der — sie wendet sicli um, und ich im selben
Momente mich auch; sonderbarer Magnetismus der
Svmpathien, der unsere Augen begegnen lasst, und
sie erkennt mich.
Da ist nun die grosse Tabakfabrik, in der ich
rneinen ersten Jugendtraum verlebte, der mir das
Traulichste in aller Einsamkeit meiner strengen Aka-
demiezeit barg; da begegnet mir mein ehemaliger
Mathematik-Professor, der ernste Mann, er erkennt
mich freilich nicht in dieser Tracht: Stiefel und sclnvarze
Hosen mit fmgerdickem Staub bedeckt, ein grauer
Ueberzieher, den ich bei dieser Barenhitze nicht anders
als angezogen tragen kann, einen runden Slovakenhut
auf dem Kopfe, um den Leib eine Handtasche geschnallt
und in der Hand einen dicken Knotenstock.
Ich eile, denn ich wollte nicht, dass man auf
diese Art meinen Einzug belauschte, niemand weiss
es, dass ich komme; šahe mich nun gar Mama
so. o du mein Gott! \vie wiirde sie die Hande zu-
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sammenschlagen, — und endlich bin ich da im grossen
.Hotel de la Ville ! .
Nach dem Portier klingelnd, bestellte ich bei dem
Erscheinenden ein Zimmer, doch dieser mustert mich
mit kuriosen Augen, ich mag wohl nicht lieb und
vertraueneinflossend jetzt aussehen, was jedoch nicht
anders sein kann, nachdem ich fiinfzig Kilometer
zuriickgelegt und in einer Spelunke iibernachtet hatte.
denn der scheele Blick, mit welchem mich der Cerberus
ansieht, driickt nicht viel Wohlwollen fiir mich aus.
Ich verlange nach Tinte und Feder, schreibe auf meine
Karte — wobei der Portier vergeblich sich anstrengt.
Name und Titel von mir zu erfahren, da es die
Riickseite ist, worauf ich schreibe und woraus er
nichts ersehen kann — die Bekanntgebung meiner
Ankunft, und gebe sie ihm mit dem Auftrage, dies
Rosenbouquet, das gleich mir fast verschmachtete, das
ich jedoch wenigstens mit dem lauen Wasser meiner
Sackflasche benetzte und dem ich dann Kiihlung zu-
fachelte, demnach nicht so viel litt wie ich, an die
Adresse — ah, da machte er schon ganz andere
Nasenlocher! — zu befordern; auf die Post mit diesem
Uebernahmsschein zu gehen, um die Summe, die ich
von Pola an mich selbst adressirte, in Empfang zu
nehmen, meinen Koffer, Mantel und Sabel von der
Llovdagentie abzuholen, mir ein schones und grosses
und nicht etwa dunkles Zimmer im dritten Stocke,
sondern in ,premier Etage 1 anzirvveisen, einen Eiskubel
mit Wasser und Bier mir in dasselbe zu stellen, kurz
am besten fiir meine Beijuemlichkeit zu sorgen, —
und siehe da, wie die Menschen sich doch immer
tauschen lassen und in ibren unfehlbarsten Combi-
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nationen und Calculationen sich irren konnen; der friiher
mich so moros betrachtende und micli gewiss fiir einen
Schelm ansehende Thorhuter wurde plotzlich zahm,
und als er nun auf das handgreiflichste wusste, wer
ich sei, sprang er mit der grossten Servilitat umher,
meine Wiinsche zu befriedigen. — Doch, so wollen es
ja die Menschen, dass man ihnen mit derber Hand
die Augen auswischt, erst dann koramen sie zu sich
selbst und finden, dass sie doch manchesmal falsch
sehen konnen.
Nun ging ich hinauf in ein freundliches Zimmer;
doch factisch war es gut, dass ich das Ziel schon
erreicht hatte, denn ich war todtmude und von der
Hitze des Mittags sehr hergenommen. Endlich lag ich auf
dem Sopha, eine Cigarre im Munde, neben mir der
Eiskeller, wohl zu miide, um Wohlbehagen zu filhlen,
aber doch einen geringen Grad von Erholung verspurend.
Da war ich denn wieder in meinem lieben Fiume.
F(inf Jahre sind es, dass ich von hier in die Welt
hinaustrat; ein kleines Stiick derselben durchwandert,
lehrte mich die Grosse und Weite derselben auffassen,
und auch des Lebens Wellen waren seitdem an mir
vorbeigegangen. Wie ganz anders jetzt, — und doch,
dam als war ich ein Kind an Denkungsart, Gemiith
und dem Aeusseren nach; wohl bin ich seitdem um
einige Jahre alter geworden, doch die Wirklichkeit
schien mir jetzt ganz anders, als ich sie damals mir
dachte; es kommt mir vor, als ware dies Einst erst
gestern gewesen, ich fiihle mich nachgerade so jung,
wie vor vielen Jahren.
Fiume, wie schon es sich verandert! Der pracht-
volle. macadamisirte ,Corso Deak‘ mit den eleganten.
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wartenden Menge dicht besetzt, welche der ankom-
menden Gaste harrte. Da brauste der Eilzug mit den
fremden Sangern heran, hielt in der Station und
die Aussteigenden wurden vom Burgermeister und
den Corporationen Fiumes officiell empfangen. Lange
Reden tiber Bruderlichkeit, Gleichlieit und Patriotismus
wurden auf dem Perron gehalten und sodann mit
klingendem Spiele unter Begleitung der verschiedenen
Vereine und Vorantragung ihrer Fahnen der Einzug
gehalten. Es gestaltete sich dieser zu einem wirk-
lichen Triumphzuge, und wurden die fremden unga-
rischen Sanger von der Bevolkerung auf das entliu-
siastischste empfangen. Es ist wirklich staunen-
erregend, wie die Fiumaner in ihren Sympathien den
Ungarn sich anschliessen: statt der hier gebrauch-
lichen Živio der Kroaten und Evviva der Italiener rief
ihnen die Bevolkerung mit begeisterten Eljens das
Willkommen tausendstimmig entgegen.
Doch, was sehe ich, das sind ja enge, meine eng-
sten Landsleute, das sind ja Ofner, noch dazu Wasser-
stadtler! Willkommen, tausendmal willkommen, ihr
lieben Leute! Euch kenne ich ja alle, eure Gesichter
sind mir ja so gut bekannt; wohl mogt ihr mich selbst
nicht wiedererkennen, denn ich war ja ein Kind, als
ich von euch ging, und als ich als Mann zuriickkam,
da waren andere Zeiten, da standen wir uns ferne;
doch hier in der Fremde darf ich euch ebenso, wenn
auch stili, doch stiirmisch begrussen wie andere!
Ach, heimatliche Luft, Ofner Luft, wenn auch, wie
man hier fiirchtet, bei euch dort oben die Luft jetzt
nicht sehr gesund sein mag, doch ist es dieselbe Luft,
die mein Lieb’ athmet. Doch, was sehe ich, ein Schul-
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kamerad von mir? »Servus P.!« — »Hat te is itt vagy?«
Auch du bist hier? — »Ja, ich wundere mich ja so
sehr, dass ich dich sehe! Doch es entziickt mich!« —
»Servus H.! Ja, da sind ja so viele von euch da!«
— Natiirlich sprach alles ungarisch und recht laut;
die guten Wasserstadtler! Daheim wird so schon Ler-
chenfelder Jargon gedroschen; nun hiess es ja, Patriot
sein, zeigen wir es: wir sprechen nur ungarisch! —
Doch da fahrt ein Wagen vorbei, darinnen einige
Damen, — ha! die liebe, schone Margit! Doch schnell
sind sie meinen Blicken wieder entschwunden.
So viele waren gekommen, nur Eine, die ich so
gerne gesehen hatte, sie war nicht da!
Abends war Vorstellung im Theater, da hoffte ich
meine schbne Nachbarin aus der Heimat zu sehen,
und ich ging hin und war gliicklich! Mein erster
Blick in die Logen traf Margits liebliches Antlitz, sie
war heute nicht aufgetreten. Dnd nun ein halbes Stiind-
chen mit dem reizenden, blonden Engel verplaudert,
liess mich die unertragliche Hitze, die im dichtbesetzten
Theater herrschte, und alles andere vergessen. In die
blauen Augensterne und schelmisclien Wangengriibchen
dieses lieben Madchens blickend, war’ ich so gern fiir
mein Leben an ihrer Seite geblieben, — doch, mein
Gott, niehts dauert ewig! und so ging ich denn auch,
alles Liebe daheim griissen lassend, von dannen.
Nun nahm ich Abschied von allem, was mir hier
so lieb, denn morgen mit dem Fruhesten geht es ja
weiter, hinauf zu den Bergen, um in den Eingevveiden
derselben Wunder der Natur zu schauen.
III.
Viele fiihlen sich schon unbehaglich, wenn sie
n ur den Gedanken an eine Reise mit der Bahn hegen,
und gar, wenn sie dann, ins Coupe geschlossen, auf
den Schienen dahingerollt werden.
Ich muss gestehen, mir ist es nicht so sehr
unangenehm, in einem so rollenden Wagen, in die
Polster behaglich zuriickgelehnt, mit Windeseile dahin-
zujagen, mich am Wechsel der vor meinen Augen vor-
beifliegenden Scenerien zu ergotzen und wohl aueh in
das taktmassige Schlagen der kreisenden Rader siisse
Gedanken zu flechten.
So fuhr ich denn weiter, der See Lebervohl sagend.
Im m er bober hinauf ging es gegen die Krainer Berge;
ach, ging es nur weiter auch, driiber hinaus in jene
von goldigen Spitzen durchwirkte Ebene, bis zu jenem
blauen Strom, den ich so iiber alles liebe. Keuchend
schnaubte das Dampfross, achzend und stohnend be-
wegte sich der schwere Train auf den glatten Schienen
babin, nur wenige Aussicht wurde dem Auge geboten,
denn meist zwischen tiefen Einschnitten und langen
Tunnels erklommen wii' die Hohe. Nur dann und
wann durchsauste der Zug eine liehte, freie Stelle, wo
das Gerausch der schweren Eisenrader in metallisches
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Geklapper iiberging, wahrend in den Tunnels einen
dunkle Nacht umfing und tausend unterweltliche Un-
gethiime freigelassen schienen, um sich zu bekampfen.
Ach, und das ist siisse Melodie fur mein Ohr, mein
Sitz hiipft elastisch in seinen Federn, ich schliesse die
Augen und wiege mich in seligen, seligen Gaukeleien
meiner Phantasie. Die Stationen auf dieser Strecke,
meist weit von einander liegend, bieten nichts Sehens-
wiirdiges dar, wie die ganze Gegend in ihrem ein-
tonigen Steinreichthum hochst langweilig zu durch-
fahren ist. Endlicb — die Locomotive maclit einen
langen Pfiff, grossere Bahngebaude fliegen an uns
vorbei, das ist eine grosse Station, die Endstation
unseres Zuges — wir sind in St. Peter.
Wie traulich einem oft der fremdeste Ort werden
kann; genug, dass einige Erinnerungen daran haften.
Wie oft durcbfuhr ich diese Station, kiirzer oder langer
mich in derselben aufhaltend, und obwohl ich nie
etwas anderes hier that, als mich waschen und etwas
zu mir nehmen, obwohl mir nie ein lieblicheres
Abenteuer hier begegnete; doch fiihlt mein Herz sich
hier angezogen, denn viele Gedanken, viele Empfin-
dungen, die schonsten und die traurigsten hatte ich
stets hieher mit mir gebracht. Vor Jahren, als ich
noch Zogling, brachten mich meine Reisen, die ich in
die Heimat und von dort zuriick in eigentliche, heimat-
licheFremde machte, immer hieher, und ob mich nun die
Flut allmachtiger Wonne auf Urlaub fiihrte oder die
Ebbe trauernder Niedergeschlagenheit von dort zuriick-
spiilte, jedesmal musste ich hier durch.
Ja, einmal, ich erinnere mich, geschah es auch,
dass diese Ebbe sich bis auf meine Tasche erstreckte
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und ich mit 5, sage fiinf, blanken osterreichischen
Kreuzern im Portemonnaie hier anlangte. und nachdem
ich einige Stunden ganz mutterseelenallein hier zu-
bringen musste und es draussen im Freien in Stromen
regnete, war ich genothigt, mich mit meinen Gedanken
zu zerstreuen, und da schrieb ich denn Briefe und
stellte darin weltschmerzlerische Vergleiche tiber Sein-
konnendes und Nichtseiendes an und machte Betrach-
tungen iiber das Vergangliche des schon Vergangenen.
Waren es Maiglockchen, die Heine auf seiner
Harzreise in Goslar vom Fenster eines niedlichen
Madchens, das die siisse, durchsichtige Verkorperung
von Sommerabendhauch, Mondschein, Nachtigallenlaut
und Rosenduft war, stalil und spater, als er bei jener
Holden mit den Blumchen auf der Miitze vorbeiging,
von derselben errbthend gevvahrt, als der Abend kam,
noch obendrein den geheimen Wiederdruck ihrer lieb-
lichen Lippen und weichen Hiindchen zu fuhlen bekam,
so entziickten mich hier niclit minder die schonsten
lachenden Vergissmeinnicht, die ich je auf einem Bahn-
hofe sah, und das niedliche Kopfchen eines Madchens,
das sich dariiber bog und dieselben mit ihrem unschul-
digen Hauche als Schrvester zu kiissen schien. So gerne
ware ich zu diesem kleinen Engel getreten, und fein
hoflich grlissend, wie es jetzt Sitte ist, hatte ich
um ein Strausslein dieser blauen Bliimlein, aus ihrer
schwesterlichen Hand mir gereicht, angehalten und es
einem fernen Lieb mit meinen Kiissen gesandt; docli
ich stand auf einem Bahnhofe unserer Zeit, und das
Fenster, woraus mir so Liebes schien, war in einem
Bahngebaude, und das ist ganz was anderes, als Anno
1824 und Goslar und Heine. Da musst’ ich halt. statt
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Doch sehen wir einmal, wie ein solcher, dem Sol-
daten durchaus und mit Gewalt aufoctroyirter Civilist
aussieht. Da hatle sich zum Beispiel Freund X. den
dunklen Ueberzielier zu einer eigenen lichten Nanking-
hose vom Freund Y. fur diesen einen Tag, da er im
Jahre im ,Costume ! geht, ausgeliehen, der ihm natiir-
lich erstens nicht passt, weil der Freund nur etwas
grosser ist als er (ob breiter oder schmaler, das ware
zu kleinlich, darauf Riicksicht zu nehmen). und zwei-
tens hat Freund Y. den Ueberzieher selbst vor vielen,
vielen Jahren in Lissabon oder Newyork gekauft,
der Zusammenhang desselben mit der Mode ist also
ein vager, fur alle Falle ein uralter. Und nun gar
die Kopfbedeckung, o du mein Gott! alle konnten
mitsammt das Repertoire pensionirter Theaterhiite ab-
geben; was Form und Grosse anbelangt, oft die un-
geheuerlichsten Gestalten zeigend, vom Rinaldo bis
zum ungarischen ,porge Kalap‘, kurz vielgestaltig und
abenteuerlich. Und wie sehr das Kleid den Mann
macht, kann man da am allerbesten ersehen, denn
alle, die da die schmucke Uniform ausgezogen, haben
mit ihr gewohnlich auch ihre ganze Eleganz der Be-
wegungen, das selbstbevvusste Auftreten abgelegt, und
man sieht es formlich einem jeden von ihnen an, wie
sie, statt sogenannt ,ungenirt‘, sich eher hochst un-
behaglich fiihlen, ja oft der gewandteste Lione zum
linkischesten Traumichnicht wird. Ich will gerade nicht
sagen, dass wir nicht ebenso gut unseren Geschmack
in die Civilkleider legen konnten, wie wir es ganz gut
verstehen, dass uns der Soldatenrock passe; jedoch die
Verhaltnisse, dass man nur selten auf die Civilkleidung
angewiesen ist, bringen es mit sich, dass man dann
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zu, sprach nichts, sondern fasste meine Hand und
fiihrte mich himveg aus diesem Hollenbreughel in
einen schonen Garten, der von Sonnenlicht vergoldet,
in dem so viele, schone Blumen bliihten, und ich sah
zu meiner zauberischen Fuhrerin, sie war so schon,
so sanft, so gut und ich fragte sie — —-- —
da entstand ein plotzlicher Ruck, ich ervvachte und
fragte: ,Wo bin ich?‘ und mein Gefahrte antwortete
lakonisch: ,In Pola 1 .