vfV r,! TOUEISTI SO H E (S A PMbiseskizzbn - -&£s===- — «$=>- -2jz-u~a~ S -? 1 im I ki i* sl c. Nach H. Heines »Harzreise«. Besteigung des MonLe Maggiore, Fiume, Pola. Druck und Commissions-Verlag von Ig. v. K]einmayr & Fed. Bamberg ia Laibach. 18 31 , Alle Reehte vorbehalten. 3 C}00$OJvQ G e w i d m e t seinem Freunde Ludwig Wettstein Ritter von VVestersheimb. Vom Verfasser. Motto: Patience et longueur de temps font plus que force ni que rage. La Fontaine. Liebster Freund! Ich babe Dein letztes Schreiben, von Karlsbad datirt, erhalten und wundere mich nicht, dass Du als Einleitung in demselben mit der Klage beginnst, liber mich sei wohl wieder die Schreibe- faulheit gekommen, indem kein Lebenszeichen von mir in Deine Hande gelangt. Ob Deine Vermuthung richtig, soli Dir mein nachstes Schreiben sagen; nun denn, so sende ich Dir diese Zeilen, daraus Du ersehen kannst, was D n ja ohnehin genugsam weisst, dass ich wohl Briefe nicht sehr gerne mehr schreibe, deshalb jedoch die Feder bei mir nie in Unthatigkeit ruht. Siehst Du, mein Lieber, es ist dies die noth- wendige Folge der Action, welche immer eine Reaction gebart, denn, wie Du Dich aus meinen friiheren Zeiten erinnern wirst, litt ich einstens an der Briefstellerei, da ich viele und lange, er- schopfende Briefe schrieb, in welche ich ali das, was ich fiihlte und dachte, hineinsetzte; nun ge- niigt mir dies nicht, und ich schreibe Biicher, um so vieles Herz und Geist Bedriickenden los zu werden. Du schriebst mir iiber Dein Karlsbader Leben recht Anziehliches. Du siehst herrliche Frauen in schoner Toilette, die den Wunsch in Dir reizen, doch eine fiir immer zu besitzen; Du verkehrst mit Mannern verschiedener Stellung und Begabung; eine reizende Gegend, im freundlichsten Wetter glanzend, umgibt Dieh; und — »da schleichen sich so schone, so himmlische Gefiihle in Deine Brust, da verschwindet Sorge, Leid und Schmerz so rasch, und nur ein unendliches, aber dennoch angenelunes Weh erfullt Dein Herz. Dein ganzes Wesen«. Dies Deine eigenen Worte. Und da bist Du wieder gliicklich, denn Du fiihlst, dass Du ein Herz hast; und Du denkst mit Schaudern an jene Armen, die das Schicksal so sehr bedaeht hat, sorgenlos der Freude sich hinzuneigen, denen jedoch alles fehlt, dies zu ge- niessen: die verstandnisvolle Empfindung dafiir. Wir sind nun so weit von einander entfernt, Du an den nordlichen, ich fast an den aussersten siidlichen Grenzmarken der Monarchie, und mir ist es, als waren die Blatter, die ich Dir da widme, der Wiederhall Deines Herzens, immerhin eine h propos kommende Antwort auf Deinen letzten Brief. So magst du sie denn als solche und als Zeichen der warmen Freundschaft aufnehmen, mit der Dich von ganzem Herzen grusst Dein Alfred. Pola im Juni 1881. I. Die rauhe Herrschaft der kalten Jahreszeit ist vorbei, die Erde erbluht in neuem Blatter- und Blumen- schmuck, der Himmel breitet sich blaustrahlend iiber uns aus, die Sonne scheint so freundlieh erwarmend von ihm herab, und ihre magische, zu neuem Leben aufrufende und aufmunternde Kraft macht sich auch bei den Menschen geltend. Es zieht so neubelebend, so erwarmend in unsere Herzen ein, neuen Hoff- nungen, neuen Freuden erschliesst sich dasselbe, und wie die ganze Natur um uns, das tausendstimmige Zwitschern der Vogel, der zarte Duft der Blumen, der helle Sonnenschein und der lachende Himmel ein Wiederschein freudiger Seligkeiten ist, so erfullt es auch unsere Brust mit neuen Wonnen und Wiinschen. Alles trachtet da, nun zu reisen, den Staub der Scholle, der man bisher anhaftete, von sich abzu- schiitteln; Stadte werden verlassen, das Land bevol- kert, alles zieht wo moglich weit, recht weit in die Welt hinaus. Unsere Freunde und Bekannten verlassen uns, der eine nach Venedig-Rom-Florenz, sucht Italiens klassischcn Boden auf, der andere zieht nach Miinchen- Strassburg-Paris, wieder andere machen sich auf, die l —<^> 2 o> Hijhen der Schweiz zu erklimmen, in ■ anmuthigen Badern, grunenden Nadelwaldern, kiihlen Sommer- wohnungen Genesung oder Vergniigen, oft beides zu finden. Glucklich derjenige, dem seinei' Wanderlust nichts entgegensteht, der dem zur Losung gewordenen Worte »reisen« naehkommen, den Koffer packen, besser die Brieftasche fiillen und fortziehen kann! Alle, alle haben uns schon verlassen, und auch in dir, freundlicher Leser, erwacht die Sehnsucht zum Wandern; steht es in deiner Macht, so saume nicht lange, sei nicht unschltissig, sondern gehe! Kein Wunder daher, dass auch in mir als einem schwachen Menschen dieser gebrechlichen Erde das kokette Lacheln der leuchtenden Sotine, der mir zu Haupten im reinsten strahlenden Blau sich wolbende Himmelsbogen, der liebliche Duft der Blumen und die anhangliche Zuneigung, die ich zu dieser ganzen schonen Welt hege, das lockende Sehnen erwachte und das Verlangen entstand, wenn auch nur zu Fuss und auf kurze Zeit, dennoch fort von dem Orte zu ziehen, an den ich durch meine Beschaftigung gebunden bin. Wir machten uns also zu Ftinfen auf, setzten uns Freitag nachmittags auf die Bahn, um nach Lupoglava zu fahren und dort, am Fusse des Monte Maggiore, einen Fiihrer nehmend, an dem 4500' iiber den Meeres- spiegel sich erhebenden Berge hinanzuklimmen, da- riiber himveg nach Fiume zu wandern und, dortselbst einen Tag verbleibend, mit der Bahn zum weltberiihmten Grottenfeste, welches jedes Jahr zu Pfingstmontag stattfindet, nach Adelsberg zu fahren, — -<» 3 4 >- Welch kostliches Gefiihl bemachtigte sich meiner, als der Zug die Station verliess und wir unsere letzten Abscbiedsgriisse den bleibenden Kameraden, die uns hier das Geleite und in Adelsberg das Stelldichein gaben, zuwinkten, und als sie dann unseren Blicken entschwunden, ieh nun wieder einmal nach so langer Zeit in die Ecke eines Coupes gelehnt den rollenden Radern mich iiberlassen konnte! Obwohl wir zu Fiinfen und meist junge Leute waren, nimmt die Conversation unter sehr guten Bekannten, denen man doch nicbts oder nur sehr wenig Neues zu sagen im Stande ist, in dem kleinen Raume eines Eisenbahncoupes doch endlich eine mehr oder weniger langweilende Form an; und nachdem die hier so »steinreiche« Gegend, die wir im lang- samen Fluge dieser Zweigbahn durcheilten und die von ihrem steinigen Ueberfluss dadurch gereinigt wird, dass der Bauer bei jedesmaligem Umackern seines Feldes die ihm in Menge zu Gesicht kommenden Steine aufliest und, um ihnen einen Platz anzuweisen, um sein Besitzthum damit Mauern auffuhrt, und die in der Ferne gesehen wie weit sich erstreckende Kirch- hofe. in der Nahe wie Ruinen aussehen, uns allen so wohlbekannt und nur wenig Abweehslung bietend war, mussten wir auf eine andere Zerstreuung sinnen, die sich aucli bei solchen erfindungsreichen Kopfen und in alle nur denkbaren Verhaltnisse leicht sich fiigenden Menschen, wie wir hier beisammen waren, bald fand: indem einer ein Spiel alter Tarokkarten hervorzog, viere in zwei Doppelsitze sich gegentibersetzten, die vorgehaltenen Knie mit einem Plaid iiberspannten, darauf ein Kissen legten und lustig zu spielen anfingen, l* 4 wahrend der fiinfte das Aufsehreiben der Points fiir und gegen besorgte. Mittlerweile hatte der Zug das in einem freund- lichen Thale liegende, von bewaldeten Hohenztigen unngebene Mitterburg-Pisino erreicht, und bald darauf, es war sieben Uhr abends, kamen wir in Lupo- glava an. Von Pola hatten wir dem dortigen Stationschef wegen eines Fiihrers, der uns den kurzesten Weg nach dem auf der Hohe liegenden Orte, wo wir iiber- nachten wollten, weisen solite, telegraphiert, welcher unserer Bitte der freundliche alte Herr auch nach- gekommen war, und so hatte uns hier ein des Weges kundiger Mann schon envartet. Den starken Schultern unseres Wegweisers das wenige Gepack, welches wir mit uns fiihrten und das nur in Esswaren, Tiiehern und Manteln bestand, nachdem wir die Koffer und Sabel mit dem Dampfer nach Fiume vorausgesandt hatten, aufladend, begannen wir nun wacker fiirbass zu wandern. Die Sonne war untergegangen, in der Luft herrschte freundliche Milde, und so schritten wir denn vergniigt weiter. Unser Weg fiihrte uns durch das mit der Station gleichbenannte Dorf, ein aus mehreren Hutten und armseligen Hausern bestehender, an den Fels angelehnter Ort, wo wir nur wenigen und schmutzigen Leuten, meist verwahrlosten, alten, hasslichen Gesich- tern, die uns neugierig musterten, begegneten. Beim Marenfels, einer steil sich emporhebenden Felswand, entlang gehend fiihrte uns unser Pfad durch sparliches Gebusch, bis wir endlich einige Baume erblickten. An Felsabrutschungen vorbei, durch aus- 6 <*>■—■- getrocknete Bette von Sturzbachen, oft iiber nackten, kahlen, grauen Karstfels schreitend, bot sich unserem Auge in der Tiefe, denn wir waren schon hoch gestiegen, ein nicht unschoner Anblick dar. Dunkle, bewaldete Hohenziige, fruchtbare Thaler, abwechselnd mit nacktem Fels und sparlich mit Gras bewachsenen Flachen, und in der Ferne blinkte der Cepič-See. So erreichten wir endlich die wunderbare, von Pisino nach Fiume fiihrende Poststrasse, wo es nun plotzlich sehr steil aufvvarts fiihrte. Bergauf, immer hoher fiihrte uns der Weg, die helle Sichel des Mondes schien auf uns herab, und nur dann und wann begeg- neten wir einem einsamen Hirten, der, seine Schafe Ihitend, triib-melancholische Weisen seiner Flote ent- lockte. Da kam eine Karavvane Kobler vom Tschitschen- boden, mit Kohlensacken bepackte Maulesel vor sich hertreibend, von der Hohe uns entgegen. Die Esel sowohl wie ihre Fiihrer stutzen iiber die seltsame, ungevvohnte Gesellschaft von Touristen, doch bald entschwinden sie wie schwarze Gespenster im Monden- scheine unseren Blicken. Wir waren schon drei Stunden marschiert, und noch immer wollte das ersehnte Ziel, die Herberge, wo wir iibernachten sollten, nicht kommen. Die gute, doch entsetzlich steile Poststrasse wand sich serpen- tinenartig an dem kahlen Fels hinan, der Mond schien so bleich und erhellte so greli den weissen Staub der Strasse, und Ruhe herrschte iiberall. Ich hatte es unterlassen, unten im Orte vor dem Abgange einen kraftigen Schluck kiihlen Wassers zu nehmen, um gleich einem Kameele der Wiiste mich damit zu versorgen, und nun trocknete mir die Kehle —•■<» 6 °>- aus, ein Konigreich, das mir nicht gehorte, bote ich fur einen Labetrunk. Wir mochten vielleicht noch eine kleine halbe Stunde von unserem Ruheplatz entfernt ge\vesen sein. als mein Ohi' das Platschern einer Quelle vernahm, und riclitig: links von der Strasse in einer Felsenecke war ein steinerner Brunnen, aus dem der krystallhelle Strahi einer solchen hervorrieselte, und mit Wollust beugte ich mich iiber das Brunnenbecken und trank lechzend den ktihlen Trunk. — Endlich, um 11 Uhr Nachts, kamen wir auf der Hohe an und waren in dem Orte Vela Učka, der aus einigen niederen Hiitten. dip hart an der Strasse erbaut waren, bestand. Nun hiess es den Wirt wecken, Proviant hatten wir wohl mit uns, doch Milch, Wasser und Wein sowie ein Nachtlager, nach dem wir uns nach soleh anstrengendem Marsche sehnten, mussten wir hier be- kommen. Wir pochten an das Thor und die Fenster einer auf der rechten Seite der Strasse alleinstehenden Hiitte, die uns der Fiihrer als Wirtshaus bezeichnete. Doch lange wahrte es, bis die da drinnen erwachten, fast glaubten wir, dass wir nicht eingelassen werden, dass sich der Wirt gar vor einem rauberischen Ueber- fall ftirchte und nicht offnen werde, doch endlich er- schien Licht und wir traten ein. — Eine finstere Kiiche, auf deren am Boden sich be- lindender warmer Feuerstelle noch Kohlen glimmten, ward uns geoffnet, und die Warme war gut, denn wir waren schon auf ziemlicher Hohe angelangt. draussen begann es kuhi zu werden, und vom raschen Gehen waren wir durchnasst, die Kalte daher um so empfind- licher. -

- Wir setzten uns in die anstossende, von Russ und Schmutz starrende Nebenstube; doch unseren Hunger und Durst stillend, sowie die veršpiirte Miidigkeit, liess uns nieht des Comfortmangels, der uns hier in Ueber- fluss umgab, achten; sodann noch eine Weile plau- dernd, dachten wir endlich ans Schlafengehen, denn es hiess zeitlich aufstehen, um noch vor Sonnenaufgang auf der von hier nicht mehr sehr entfernten Spitze zu sein. Doch da war guter Rath theuer: ein einziges von Schmutz starrendes Bett, die gemeinsame Ruhestatte der Wirtsleute liess Millionen von Ungeziefer ver- muthen; da konnte sich niemand entschliessen, in dem- selben Schlaf zu suchen, wir liessen daher den Fuss- boden abfegen, was gewiss nicht zu oft geschehen sein mag, einige Kotzen aufbreiten und legten uns so der Reihe nach auf den Boden, deckten uns mit den Manteln zu, und nachdem wir noch herzlich viel iiber unsere Situation gelacht, schliefen wir bald ein. So mochten wir etwa drei Stunden geruht haben, als es hell zu werden begann, und einer von uns auf- gewacht, die iibrigen aus dem Schlafe weckte. Nun mit frischem Wasser die Augen, die rebellisch den Dienst versagen wollten, ausgevvaschen, mit dem eige- nen Sacktuch sich abgetrocknet, war die Toilette bald beendigt, und nachdem wir, wie gestern abends, keine Milch bekamen, machten wir uns auf, mit niichternem Magen weiterzusteigen. Einen Hohlweg entlang, der sehr steil aufvvarts fiihrte, emporklimmend — (wobei Freund I. sehr oft auf die vordern Extremitaten angewiesen wurde, obwohl er gestern abends in Pola beim Biere noch ganz wacker — 4 > 8 »; und ohne Beschwerden den Mont - Blanc bestiegen hatte, was iibrjgens nicht viel sagen will, denn be- kanntlich bat Jules Verne noch mehr geleistet, der in den Mond eine Lustpartie gemacht hatte, — gingen wir durch griines, dichtes Buchen- und Ahorngebiisch, in dessen dunklem Haine die Nachtigall melodisch sang und Blumen — so liebe Vergissmeinnicht — tiberall sprossten. Der Pfad fiihrte uns an steil, oft senkrecht abfallenden Felswanden entlang hbher, immer hbher, bis uns endlich die Vegetation verliess und wir nur mehr hartes, kahles Karstfelsgestein traten. Ich machte es wie jener Englander, der sieh mit ver- bundenen Augen den Rigi hinanfiihren und die Schon- heit und Pracht des Anblickes, von den jugendlichen Augensternen seines liebreizenden Tochterleins gesehen, erklaren liess, um dann. auf dem hochsten Punkte an- gelangt, den ganzen Eindruck des zu Schauenden zu empfinden, und sah daher immer nur auf den Weg vor mir oder links die graue Felsvvand an, und lauschte der entziickenden Ausrufe meiner Gefahrten. Nun ging es wieder massig steil aufwarts, wobei jedoch unserem wackeren Mont-Blanc-Steiger — der mit dem friiher genannten Mondfahrer so sehr wahl- verwandtschaftlichen Zug gemein hat, nur dass letzterer uns durch seine Phantasie die Fahrt so schon mit- machen lasst, dass man wirklich glaubt, den weltbahn- artigen Flug mitgemacht zu haben, wahrend ersterer nur so im trop d’esprit, was etwas mehr noch ist als das gewisse »beaucoup d’esprit«, also kurz im Geiste zwischen Fuss und Spitze des Berges einen Unterschied macht, der sich dahin resultirt, dass der und der Berg so und so hoch ist, so steht es wenigstens in der ❖ 9 Geographie — bald der Athem ausgegangen war und, auf das liier sparlich ivaclisende Gtas sich hinstreckend, u nseren Emporstieg nur so :in Gedanken weiter verfolgte. Freilich, wenn man. mit machtigem Munde Cliim- borassos, Dhavalagiris und Mont - Blancs in eine Scliiissel werfend, dieselben so ohneweiters ver- schluckt, mogen sie einem wohl so schwer im Magen liegen, dass man davon selbst auf schon halbem Wege des nur 1496 ™/ boben Monte Maggiore hinab zur Erde gezogen wird und auf derselben nach Luft schnappend liegen bleibt. Endlich, nachdem wir liber Gerolle und stufen- fdrmig hervorstehende Felskanten, an die wir uns klammerten, emporgestiegen, hatten wir die hochste Spitze, wo zum Zeichen eines Triangulierungspunktes eine Stange ausgesteckt ist, erreicht, und nun erst liess ich mein Auge iiber das ganze vor mir liegende, herr- liche Panorama schweifen. Es war dies aber auch wirklich ein packend schoner Anblick, der sich mir hier darbot. Ganz Istrien lag zu meinen Fiissen, wie eine liypsometrische Karte, die man iibersieht: Berg und Thal, Cultur, Vegetation, Strassen und Orte, alles wie eine grosse Landkarte vor uns ausgebreitet. Die auf- gehende Sonne warf ihre Streiflichter liber den mach- tigen Berg auf Thal und Hohenziige, welch Hugelmeer da tief unter mir das Bild zu Stein gewordener Wellen einer weltbildenden Fluctuation bot, und das theils bewaldet und griinend, theils ganz kahler, grauer Fels war. Links, weit unter mir, blitzten, von der Sonne be- schienen, einzelne blinkende Punkte vom Gestade des - 4 = 10 ungarischen Emporiums Fiume herauf, iiber das sich der hohe Gebirgszug der kroatischen Berge mit deren hochster Spitze, dem Vellebich, erhebt, und die istrischen Inseln, wie aus Carton, aus der spiegelglatten, sie um- spiilenden Flache des Meeres liervorragend; vor mir die sich nach Siiden erstreckende Halbinsel, auf deren hochstem Punkte ich jetzt stand, weit unten an der Spitze Pola, das hochgelegene Marinespital vorziiglich zeigend, den Thurm von Dignano, Parenzo an der Westkiiste, Pisino im Herzen des Landes, den Cepic- See, und — siehe! dort den dahineilenden, von Divacca nach Pola falirenden Train gut ausnehmen lassend; rechts die Auslaufer der Julischen Alpen mit dem hohen Krainer Schneeberg; und um recht die Erhabenheit der Contraste wahrzunehmen, verliert sich das Auge in der unabsehbaren Flache des weit in die Ferne sich ausbreitenden Meeres, auf \velchem — gleich Nuss- scbalen — Segelschiffe ihre spurlos verschwindenden Furchen ziehen, — das Ganze des Anblickes etwas gewiss ergreifend Schones, was umsomehr zu wundern gibi, dass dieser Punkt, der so leicht zu ersteigen ist, bisher von den Touristen so wenig gewurdigt wird. Mittlerweile \var unser erschopft zuriickgebliebener Marodeur keuchend uns nachgefolgt, und nachdem wir zum Nothwendigsten die Neugierde der Ervvartung des Anblickes befriedigt hatten, nahmen wir unsere vom gestrigen Souper iibrig gebliebenen Reste herbei und fruhstiickten nun in heiterster Laune. Wahrend nun unser armer ermatteter Mont-Blanc- Besteiger, auf seinen Vordertheil sich legend, der tief unter ihm liegenden Welt seine ganze Verachtung und der schon hoch am Firmamente stehenden Sonne den - <0 11 ^- schoneren riickwartigen Theil seines besseren Ichs zeigte, und ein siisses Morgenschlafchen machend viel- leicht von Urgebirgen. auf denen er spazierte, traumte, — hatten wir die Generalstabskarte liergenommen und suchten uns mit derselben in der unter uns liegenden aufgerollten, etwas grosseren Mappe zurechtzufinden. Die Spitze selbst, auf der wir uns befanden, war ganz kahl, nur sparlich mit Gras bevvachsen, doch kaum 200 Schritte unter uns, auf*der Seite gegen Fiume zu, war die Hohe dicht bewaldet, wahrend auf der gegeniiberliegenden Seite, die gegen Pola sieht, der Tschitschenboden in trostloser Nacktheit sich zeigte. Und wie die Gegensatze fiir das Auge so schrill wahr- nehmbar waren, herrschten diese auch in der Luft. Denn wahrend auf der einen Seite der von Malamocco heriiberwehende Wind uns mit ziemlicher Kalte streifte, empfing uns nach einigen Schritten, die wir iiber den hochsten Punkt auf die andere Seite thaten, tropische Warme. Naehdem wir uns an dem schonen Panorama geniigend satt gesehen hatten, brachen wir wieder auf, um den Weg nach abwarts anzutreten. Nun zog es mich schon nacli den Gestaden Fiumes, wo meiner liebevolle Erwartung harrte; frohen Herzens und mit leichter Seele wanderte ich daher abwarts. Mein Auge in der Unermesslichkeit des Meeres schweifend, die Erde unter mir so klein und eitel sehend, ich so hoch da droben, hob sich auch die Stimmung in mir, und Sonnenlicht meinen Pfad be- leuchtend, Blumen denselben schmiickend, pfluckte ich mir einen herrlichen Strauss. 12 - Meine Gedanken schweiften weit liber die Berge hinweg und weilten dort oben im Norden an einem breiten blauen Strome, in einer schonen grossen Stadt, darin ein Hausermeer und Gassengewirre, liebe bekannte Punkte, auf denen nur momentan mein Blick haften bleibt, darinnen so viele Hunderttausende Menschen, so viele schone Frauen und Madchen — ach, das Herz, dass es doch nie aufhort, sich zu sehnen, nie aufhort zu lieben! Doch mein Gedanke schvveifte nicht lange umher, da ist auch in jenem Gassengewirre eine liebe Strasse, darin ein grosses Haus und in diesem eine Fensterreihe, da schaut aus einem der Fenster ein junges Frauchen heraus, und ich sehe die Blumen an. die ich in der Hand halte: es sind Vergissmeinnicht. So lieb und freundlich blau blicken sie n.ich an, doch darinnen sind noch die Perlen des Morgenthaues, — und ich sehe rvieder die Augen jener holden Frau, sie sehen auf mich herab, und es erglanzen darinnen Thranen. Da kamen wir an ein lauschiges Platzchen. In- mitten des Waldes, der hier so hoch auf der Berglehne liegt, unter einer alten schattigen Esche platscherte der krystallhelle Strahi einer Quelle hervor, und nun machten wir halt, um uns an der Kiihle und Klar- heit derselben zu laben. Wie sie immer rnunter dahinfliesst, unaufhorlich und unaufhaltsam, zurFreude des Wanderers, der in ihren Bereich kommt. — Wir brachen auf, bald hatten wir wieder die Post- strasse erreicht, und unseren Fiihrer verabschiedend, schritten wir nun wacker hinab zum Meere. Es ging jetzt leicht, denn abwarts fiihrte der serpenlinenartig angelegte \Veg iiber hohe Damine, neben steilen Ab- — 4 > 13 griinden vorbei durch eine baumlose Gegend. so dass nur wenig, fast gar kem Schatten zu flnden war. Nach einem zweistiindigen Marsche hatten wir Veprinatz erreicht. Es ist dies ein kleiner, auf dem Bergriicken an der Strasse liegender Ort, welcher der Ausgangspunkt jener Touristen ist, die die vorher geschilderte Be- steigung des Monte Maggiore von dieser Seite, also von Fiume kommend, bewerkstelligen wollen, und ist in diesem Falle in einem kleinen Wirtshause oder auch beim Pfarrer und Schullehrer Nachtquartier zu finden. Nach einer kleinen halbstiindigen Rast, die wir Mer hielten, trennten wir uns, und wahrend zwei schon miide gelaufene Touristen unserer Gesellschaft in einem Wagen nach Fiume hinabfuhren und unser kiihner Mont-Blanc-Besteiger zur Bahnstation nach Matuglie ablenkte, bogen der vierte und ich von der Poststrasse ab und wanderten auf einem Nebenpfade hinab zum Gestade des Meeres nach dem anmuthigen, blumenreichen und schattigen Abazia. UnserWeg fiihrte uns ziemlich beschwerlich immer tiefer, von Terrasse zu Terrasse, von Stufe zu Stufe hinab dem zu er- reichenden Ziele naher, durch schattige Lorbeerhaine und Kastanerien, bis wir endlich den lierrlichen Ort erreicht hatten. Unter einer uralten Platane, die — gleich riesigen Fittigen — ihre machtigen, dichtbelaubten Aeste schattenspendend iiber uns ausbreitete, uns nieder- lassend, baten \vir in einem Hause um einen Labe- trunk, der uns auch bereitwilligst in Form eines Kruges frischer Milch gereicht \vurde. — --- entziickten mein Auge, und den Duft der Rosen, die meine Wangen oft streiften, einathmend, wiegte ich mich in so seelisehen Gedanken, — und die Glut- augen, die mich fiihrten, die alles mit mir ansahen, in die ich dann selbst so tief, so abgrundtief hinein- schaute und die mir da eine Holle von Freuden zeigten, — ach! rief es in mir, die Welt, so lange es da Sonnenschein, Blumen und schone Frauen gibt, bleibt doch immer schon! Mein Gefahrte meinte zwar, als ich zuruckkam, dass ich mich langer dem zarten, duftenden Hauche der Blumen ergeben hatte, doch ich hatte Rosen gepfliickt, und da fallt die Wahl so schwer, eine ist schoner als die andere, die eine zarter, die andere glutvoller, die dritte duftender, ach, man mochte so gerne alle ans Herz drucken und sich daran todt- riechen, — gerade wie mit den Frauen! Wir wan- derten weiter, um an das Meer und in dem Orte in ein Gasthaus zu gelangen. — »Leb wohl, du alte Platane, ihr schonen Rosen und du glutaugiges Magdlein, addio carina mia! Leb wohl, du herziges Kind, das die siidliche Sonne so glutvoll gereift. der von dir gehende Wanderer, den du so freundlich labtest, den du mit Rosen entzucktest, er wird deiner nocli lange gedenken!« — Wir kamen auf die Strasse von Fiume und auf derselben in ein Gasthaus, das, nahe ara Meeres- strande liegend, uns zum Eintreten einlud. Wellenschlag des Meeres klang an mein Ohr, eine kiihlende Brise wehte vom Meere heruber, ein schat- tiger Garten lockte uns, und ein Diner bestellend setzten wir uns auf der Terrasse des Parkes nieder. — 4 > 16 Nun erst begann ich meine bunt ineinander ge- fugten Rosen zu ordnen; ein kunstgerechtes Bouquet formend, floeht ich tausend der duftendsten Gedanken hinein, und da hupften denn die buntesten Gestalten umher, bis ich endlich den Strauss wurdig fand, ihn Mama in F’iume zu iiberbringen. Wii' hatten bald das gevviinschte Essen, echt ita- lienisch aus einern guten Risotto, Barboni, frischem Salat und ganz gutem Rotlnvein bestehend, von einem hubschen Kinde aufgetragen vor uns. Nach dem Essen nahm mein Gefahrte Abschied von mir, um die iibliche Siesta zu halten, sicli zur Mittagsruhe begebend; wahrend ich einen Schwarzen schliirfend und eine Cigarette rauchend, beliaglich in einen Schaukelstuhl zuriickgelehnt, mich dem ganzen herrlichen Eindrucke der mich umgebenden Natur ergab. Zu meinen Fiissen rauschte das Meer in ryth- mischem Platschern seines Wellenschlages, mit den zer- kliifteten Felsen des Strandes kosend; weit und breit, unabsehbar schweifte der Blick durch den Canal von Faresina am Horizonte der hohen offenen See entlang, nur wenige Segler, gleich winzigen Moven, schsvebten auf der glanzenden Flache dahin; im schattigen Lor- beerhaine trillerten einige verliebte Nachtigallen: tiri, tiri = ich liebe dich! pi, pi; tui, tui = ach komme, kiisse mich! eine friihe Cicade zirpte melancholischen IVeltschmerz; hunderte Kehlen der befiederten Sanger bevvegten sich im zwitschernden. meludirenden Gesange, summende Kafer schwirrten um mich, bunte Schmetter- linge schvvangen sich in luftigem Fluge sylpliidenleiclit von Blume zu Blume, deren angenehmer Duft und vielfarbige Zartheit meine Sinne entzuckten. Und ich - 4 > 17 <$'; sass da, so stumm und dooh nicht allein, denn tau- send Stimmen wiederhallten ja in mir, das Ali, das meine Blicke einsogen, die vor mir liegende weite, die rings um mich summende, jauchzende, duftende und trauernde Welt liess meine eigene innere erwachen; mein Herz schwellte vor Freude und zuckte vor Weh, stille Marchen einer trauten Zeit zogen an mir vorbei, Gestalten, so lieb und freundlich, bewegten dieselben, — ach, kann dies alberne Herz doch so viel ent- ziickungsvolle Freude zugleich mit so tiefverwundendem Weh ertragen, so laut aufjauchzen und klagend weinen, ohne dabei zu brechen! So schwelgte ich eine Stunde unter sussem Weh und trauerdurchwebtem Frohsinn, dann machte ich mich auf, um noch vor Abend nach Fiume zu ge- langen. Bevor ich jedoch das bliihende, liebliche Abazia verliess, trat ich noch in den beriihmten Park des Schlosses vom Grafen Ch. Von den Pfeilern des Haupteinganges des Parkes, welcher zur Estrade des Schlosses filhrt, glanzten vom schwarzen Marmor die goldenen Lettern ,Villa Angela' auf mich herab, und nachdem ich den Grafen und dessen Familie kenne, leuchtete mir dieses Monu- ment, das er seiner so schvvarmerisch geliebten Ge- mahlin mit diesem kleinen Eden setzte, vollkommen ein. Ich hielt mich nicht lange auf und will auch kein detaillirtes Bildeines mit allen Reizen, welche die Natur, und aller Bequerolichkeit, welche der Luxus zu bieten vermag, ausgestatteten herrschaftlichen Sitzes entfalten. doch beirn Durchstreifen des Parkes, beim Anblick der vielen lauschigen und wie zum Ivosen und Lieben 2 ■ 4 > 18 eingerichteten Platze sclrvvebte mir das Paar vor, und ware ich der eine Theil desselben, und liebte ich Angela wie einstens Olga, so konnte ich hier sagen: Angela fliistert mir Natur, Angela haueht mir leise Zephyr zu etc. etc. und wirklich, alles, was ich hier sah, rief mir dies entgegen. Die Herrschaften waren fort in Schlesien; warum in einem Eldorado wohnen, wenn es liber den heissen Sommer noch ein besseres Eden gibt. Nun nahm ich im heissen Sommersonnenbrand meine Wanderung nacli Fiume vvieder auf, und noch einige hiibsche Madchen, die mein Blick traf, freund- lich grlissend, verliess ich nach den Klangen des Gascogner Marsches, den ich mir vorpfiff und der mir vom so haufigen Beliliren in Ohr und Beinen lag, den reizenden Ort, um ehebaldigst Fiume zu er- reichen. II. Das freundliche Volosca durchschreitend, grusste mich schon Bekanntes aus der Vergangenheit, als ich noch Akademiker war. Nachdem ausser dem Orte die Strasse steil berg- aufwarts geht, bis man die Hohe erreicht hat, und ich auf diesem Wege bei der schiefen, hoch iiberdem Spiegel der See aufgestellten Thunfischleiter vorbei kam, fiihrte mich die Strasse bald durch schattige Partien, bald iiber kahle Berge, doch immer knapp neben dem Strande dahinziehend nach Fiume. Fischerbarken der Chiosotten von Chioggia mit ihren grossen, gelb und braun bemalten Segeln und langen Rudern fischten ara Strande, wenige Menschen, und das nur einige Bauerndirnen in ihrer luftigen Tracht: einem iiber das Hemd bis ober die Knie nur reichenden, vorne offenen und die Brust freilassenden armellosen Tuchrock, um den Leib mit einem Giirtel lose zusammengehalten, die Haare in Zopfe geflochten auf den Schadel gesteckt, die Ohren mit schweren Goldringen geschmuckt, mitunter recht hiibsche Ge- sichter und volle Formen, begegneten mir. Da kam ich bei der kleinen Einbuchtung vorbei, wo wir so oft 2 * -

'- als Zoglinge, wenn wir unter Aufsicht spazieren gefiihrt wurden, badeten und wo der Fels so hart und scharf isl, dass man sich die Fiisse daran zerschnitt; da war ich endlich nach zweistiindigem Marsche von Abazia beim Mautschranken angelangt; da das Gast- haus, in dem ich so oft beim Spaziergange auf Be- fehl einkehrte; nun folgte die Strasse vorbei an der chemischen Fabrik, die ihr Glaubersalz und Schvvefel- saure bis in das ferne Egypten absetzt; die Briicke, iiber die in das Meer fiihrenden Quellen. Nun kommt die jetzt so sehr in Flor stehende und alle Marinen der Welt herbeifiihrende Torpedofabrik des Whitehead. ein grossartiges Etablissement der modernen Kriegs- technik, bestimmt, Werkzeuge zur Zerstorung der kolossalsten Erzeugnisse menschlicher Kraft herzu- stellen; dann folgt der erste Stapelplatz eines Schiff- bauers, das Gegentheil von ersterer Fabrik,. Segelschiffe schaffend, die bestimmt sind, den Wohlstand fried- licher Lander auszutauschen; rechts die Maccaroni- fabrik, links das Haus, wo es vor Jahren, als ich hier noch als Zogling vorbeispazierte, hiess, dass Ge- spenster darin umgehen; daneben die .Villa utile dulci', vor deren freiem Platz am Strande halbnackte Fischer das vor Stunden ausgevvorfene Netz einziehen. Nun bin ich schon mehr in der Stadt. Da durch- schneiden die Schienen der nach St. Peter fiihrenden Eisenbahn die Strasse; entlang der Mauer, die den Bahnkorper von der Strasse trennt und an der ich vergeblich in der driickenden Sonnenhitze, die, mich im Rucken verfolgend, mir beinahe das Gehirn in Brand steckte, nach einer Handbreite Schatten schmachte, dringe ich immer mehr in die Stadt ein. Nun kommt 21 •=>>—- links der neue ,Giardino puhlico 1 , und daneben das impošante, stattliche Gebaude der Marine -Akademie mit ihrem schonen, schattigen Park, boben Pappeln und Cypressen, worin ich vier so lange Jahre mich nach der Freiheit sebnte, so viel Schones und Gutes lernte; soeben begegnet mir der Rector derselben, er sclieint mich nicht zu erkennen, doch seine holde Nichte", mit der ich so viel auf den Festen der Aka¬ demie tanzte, die sieht mit ganz anderen Augen den staubigen, miiden Wanderer an, von dessen Antlitz der Schweiss in machtigen, heissen Perlen tropft; ich hore im schnellen Vorbeigehen die Worte, die sie an den lieben alten, dicken Herrn richtet: »Ist das nicht der — sie wendet sicli um, und ich im selben Momente mich auch; sonderbarer Magnetismus der Svmpathien, der unsere Augen begegnen lasst, und sie erkennt mich. Da ist nun die grosse Tabakfabrik, in der ich rneinen ersten Jugendtraum verlebte, der mir das Traulichste in aller Einsamkeit meiner strengen Aka- demiezeit barg; da begegnet mir mein ehemaliger Mathematik-Professor, der ernste Mann, er erkennt mich freilich nicht in dieser Tracht: Stiefel und sclnvarze Hosen mit fmgerdickem Staub bedeckt, ein grauer Ueberzieher, den ich bei dieser Barenhitze nicht anders als angezogen tragen kann, einen runden Slovakenhut auf dem Kopfe, um den Leib eine Handtasche geschnallt und in der Hand einen dicken Knotenstock. Ich eile, denn ich wollte nicht, dass man auf diese Art meinen Einzug belauschte, niemand weiss es, dass ich komme; šahe mich nun gar Mama so. o du mein Gott! \vie wiirde sie die Hande zu- —<^> 22 sammenschlagen, — und endlich bin ich da im grossen .Hotel de la Ville ! . Nach dem Portier klingelnd, bestellte ich bei dem Erscheinenden ein Zimmer, doch dieser mustert mich mit kuriosen Augen, ich mag wohl nicht lieb und vertraueneinflossend jetzt aussehen, was jedoch nicht anders sein kann, nachdem ich fiinfzig Kilometer zuriickgelegt und in einer Spelunke iibernachtet hatte. denn der scheele Blick, mit welchem mich der Cerberus ansieht, driickt nicht viel Wohlwollen fiir mich aus. Ich verlange nach Tinte und Feder, schreibe auf meine Karte — wobei der Portier vergeblich sich anstrengt. Name und Titel von mir zu erfahren, da es die Riickseite ist, worauf ich schreibe und woraus er nichts ersehen kann — die Bekanntgebung meiner Ankunft, und gebe sie ihm mit dem Auftrage, dies Rosenbouquet, das gleich mir fast verschmachtete, das ich jedoch wenigstens mit dem lauen Wasser meiner Sackflasche benetzte und dem ich dann Kiihlung zu- fachelte, demnach nicht so viel litt wie ich, an die Adresse — ah, da machte er schon ganz andere Nasenlocher! — zu befordern; auf die Post mit diesem Uebernahmsschein zu gehen, um die Summe, die ich von Pola an mich selbst adressirte, in Empfang zu nehmen, meinen Koffer, Mantel und Sabel von der Llovdagentie abzuholen, mir ein schones und grosses und nicht etwa dunkles Zimmer im dritten Stocke, sondern in ,premier Etage 1 anzirvveisen, einen Eiskubel mit Wasser und Bier mir in dasselbe zu stellen, kurz am besten fiir meine Beijuemlichkeit zu sorgen, — und siehe da, wie die Menschen sich doch immer tauschen lassen und in ibren unfehlbarsten Combi- -«> 23 - nationen und Calculationen sich irren konnen; der friiher mich so moros betrachtende und micli gewiss fiir einen Schelm ansehende Thorhuter wurde plotzlich zahm, und als er nun auf das handgreiflichste wusste, wer ich sei, sprang er mit der grossten Servilitat umher, meine Wiinsche zu befriedigen. — Doch, so wollen es ja die Menschen, dass man ihnen mit derber Hand die Augen auswischt, erst dann koramen sie zu sich selbst und finden, dass sie doch manchesmal falsch sehen konnen. Nun ging ich hinauf in ein freundliches Zimmer; doch factisch war es gut, dass ich das Ziel schon erreicht hatte, denn ich war todtmude und von der Hitze des Mittags sehr hergenommen. Endlich lag ich auf dem Sopha, eine Cigarre im Munde, neben mir der Eiskeller, wohl zu miide, um Wohlbehagen zu filhlen, aber doch einen geringen Grad von Erholung verspurend. Da war ich denn wieder in meinem lieben Fiume. F(inf Jahre sind es, dass ich von hier in die Welt hinaustrat; ein kleines Stiick derselben durchwandert, lehrte mich die Grosse und Weite derselben auffassen, und auch des Lebens Wellen waren seitdem an mir vorbeigegangen. Wie ganz anders jetzt, — und doch, dam als war ich ein Kind an Denkungsart, Gemiith und dem Aeusseren nach; wohl bin ich seitdem um einige Jahre alter geworden, doch die Wirklichkeit schien mir jetzt ganz anders, als ich sie damals mir dachte; es kommt mir vor, als ware dies Einst erst gestern gewesen, ich fiihle mich nachgerade so jung, wie vor vielen Jahren. Fiume, wie schon es sich verandert! Der pracht- volle. macadamisirte ,Corso Deak‘ mit den eleganten. — — 25 »>■ wirklich etwas gabe, das sie nicht milde vergebend ansehen wurde. — Die Frau meines Freundes, da solite ich wohl nichts dariiber sprechen; doch wer kann dafur, dass sie seine Frau ist, dass sie eine ihm ebenbiirtige, geistig starke, doch mit ali jenen zu lie- benden Schwachen und reizenden Zartheiten. die jedem liebenswiirdigen Weibe eigen sein miissen, ausgestattete Frau ist; wer kann dafur, dass ich nun einmal alles Schone schon finde und ein schones Weib mir eben das Schonste ist, dass diese liebe, schone Frau also eben schon und jung ist. dass ich nicht anders von den Frauen fiihlen, denken und schreiben kann. wie zwischen Dichter Frauenlob und Heine. — also sie ist auch noch imiiier das liebe, neckische Weibchen, wie sie es friiher und als Madchen schon war, lieb- reizend, iiber alles und recht viel schwatzend. nichts verleumdend, doch gerne bekrittelnd. kurz, ein ganzes Weib, wie die meisten ihres Geschlechtes. Soeben. da ich dies schreibe, singt unter meinem Fenster die alte narrische ,Nani pelosa 1 von der ersten Liebe: Die erste Liebe, die ist die beste, Denn die zweite brennt nicht heiss: Ach, wie gliicklich ist die Jungfrau, Die von keiner Liebe weiss! Hermione, die sanfte. gutherzige Hermione, sie ist auch dieselbe geblieben, leider noch ganz dieselbe. Wie gern wiird’ ich es ihr gonnen, sie fžinde einen guten Mann, der in ihren lieben Augen das schone Herz, das ihr eigen ist, ersehen wiirde. — — — Ja, alles ist noch so, wie einstens, nur Papa, der liebe. - 4> 26 3> - f alte Papa. er fehlte uns, um uns ganz in die Ver- gangenheit zu versetzen, von der wir sprachen, ein- zelne Momente aus jenem Leben und jener Zeit gleich Bildern liebvergangener Tage uns vor Augen fiihrend. Spat war es, als ich heimging, und der Mond, er schien so helle und silbern vom reinen Himmel berab; die Gassen, die ich durchschritt, waren leer, wie ausgestorben, und wiederhallten von meinem Tritte; die Hauser, vom Mondlichte versilbert, saben mich so freundlich an, wie alte. lange nicht gesehene Be- kannte; die Thore, uberall offen, gleich lockten sie mit ausgebreiteten Armen den Vorbeigehenden, ein- zutreten und den sanften, blumengleichen Schlaf der schonen Schlaferinnen da oben zu belauschen; — wie ein Gespenst huscht es dort um eine Ecke, es rauscht wie seidener Flitter, die nahe Thurmuhr schlagt dumpf die zwolfte Stunde, ich selbst werde zum Gespenst und lenke meine Schritte nach jener dunklen Gasse, und gleich Gefluster einer siissen Stimme, die ich einst so liebegluhend eingesogen hatte, Vittorina tont’ es mir entgegen. — — — Der Mond, er schien so hell und silbern, ein kiihles Luftchen wehte von der schim- mernden See bei meinen offenen Fenstern zu mir herein und spielte mit den Vorhangen so lustigen Scherz, und ich lag da und traumte von schonen, kiinftigen Tagen. Nachsten Tag, es war ein frohliches Erwachen, denn die Sonne, diese allgeliebte Vestalin unserer Tage, stand schon hoch am lichten Himmel, und alles liess hoffen, dass mein Aufenthalt vom schonsten Wetter be- giinstigt sein werde. Ichsuchtenun denSchauplatzmeiner Jugend auf, die Akademie, und ali die vielen Platzchen darin, die mir so lieb und an die sich tausend Erinne- -4= 27 q>- rungen kniipfen, und um die Leiter meiner Jugend, die Professoren und Officiere dortselbst, zu begriissen. Es war Pfingstsonntag und die Zoglinge bei der Messe. als ich karn. und so konnte ich ungestort meine Wanderung durch den herrlichen Park antreten und. meinen jetzigen Empfindungen lauschend, der ver- gangenen gedenken. Doch unzahlig und nicht enden wollend waren Gedanken und Gefuhle, wollte ich sie alle aufzahlen, die hier einst und jetzt mir Brust und Kopf erfiillten, die Baume, die Luft, die Sonne, alles war hier so wie einst. Die Nachtigallen sangen so schon und klagend. docli freier wie sonst im Haine. Da kam ich auch an jenes Platzchen, das unter schattigem Lorbeer mir so manchen Sonntag Vormittag als Ruhestatte diente, und von dem ich damals sagte: Fast unbemerkt des Vormittages Lange Entschwindet mir im schatfgen Lorbeerhain. Selbst wahlt ich mir dies grunende Gehange Als stilles Platzchen meiner Traumerei’n. In einen dicken Stani m hatte ich vor Jahren meinen Namen eingeschnitten und unter dem griinen Dache dieses Ortes damals gedichtet: Geist und Herz, verbunden mit lieblicher Phantasie, Bilden die Tone des Lebens dir zur Harmonie; Es wird dir dadurch zu einem Gedicht, du darin Dichter. Unterscheider des Schonen vom Schlechten, und Richter, — und der Baum, er stand noch da, er trug die Narbe meines Namens, und so vieles, was ich hier dachte, ist seitdem zur Wahrheit geworden. Und so wandelte ich von Ort zu Ort, mit jedem. Baume und jedem —28 — todten Gegenstande sprach ich eine stumme Sprache des Erkennens, und wir freuten uns gemeinsam unseres Wiedersehens. Die Professoren, die ich traf, begrusste ich alle freudigst; wie ganz anders standen sie wohl jetzt mir gegenuber als damals, wo ich nur Tyrannen in ihnen sah; auch sie — ich sah es ihnen an — hatten ihre geheime Freude daran, in mir das Resultat ihrer Be- muhungen zu finden; es ist doch etvvas, seine Pflicht stets gethan zu haben, wie schwer es auch dem Betreffenden oft gemacht wurde; ich bin iiber- zeugt, so mancher dieser Herren berechnete den alicjuoten Theil dessen, was von ihm in mich tiber- gegangen war und mich dazu befahigte, das zu sein, was ich jetzt bin. Nun, ich war stets dankbar, und auch jetzt kann ich nicht anders, als den Mannern fur das Gute, das sie mir erwiesen. zu danken. — Wie komisch das Geschick oft im Leben mitspielt! Da begriisste ich manche, die damals mir noch Vater waren und es wohl auch jetzt noch sein konnten — und nun bin ich ihnen gleichgestellt. Ja, — als ich da um mich die junge Zoglingsschar summend sich be- rvegen sah und nachdenklich ihrem Treiben zuschaute, da war es mir, als war’ ich selbst noch einer der ihrigen, und einer der Herren meinte, ich hatte mich so wenig verandert, dass ich wohl noch ganz gut Zogling sein konnte. Nun, fur letzteres danke ich am Ende doch. Von der Akademie ging ich auf den Bahnhof, woselbst meine Landsleute, die Budapester Sanger, heute ankommen mussten. Der ganze freie Raum vor der Station. sowie die Stvasse. \vo der Zug vorbei musste, war von einer -

- wartenden Menge dicht besetzt, welche der ankom- menden Gaste harrte. Da brauste der Eilzug mit den fremden Sangern heran, hielt in der Station und die Aussteigenden wurden vom Burgermeister und den Corporationen Fiumes officiell empfangen. Lange Reden tiber Bruderlichkeit, Gleichlieit und Patriotismus wurden auf dem Perron gehalten und sodann mit klingendem Spiele unter Begleitung der verschiedenen Vereine und Vorantragung ihrer Fahnen der Einzug gehalten. Es gestaltete sich dieser zu einem wirk- lichen Triumphzuge, und wurden die fremden unga- rischen Sanger von der Bevolkerung auf das entliu- siastischste empfangen. Es ist wirklich staunen- erregend, wie die Fiumaner in ihren Sympathien den Ungarn sich anschliessen: statt der hier gebrauch- lichen Živio der Kroaten und Evviva der Italiener rief ihnen die Bevolkerung mit begeisterten Eljens das Willkommen tausendstimmig entgegen. Doch, was sehe ich, das sind ja enge, meine eng- sten Landsleute, das sind ja Ofner, noch dazu Wasser- stadtler! Willkommen, tausendmal willkommen, ihr lieben Leute! Euch kenne ich ja alle, eure Gesichter sind mir ja so gut bekannt; wohl mogt ihr mich selbst nicht wiedererkennen, denn ich war ja ein Kind, als ich von euch ging, und als ich als Mann zuriickkam, da waren andere Zeiten, da standen wir uns ferne; doch hier in der Fremde darf ich euch ebenso, wenn auch stili, doch stiirmisch begrussen wie andere! Ach, heimatliche Luft, Ofner Luft, wenn auch, wie man hier fiirchtet, bei euch dort oben die Luft jetzt nicht sehr gesund sein mag, doch ist es dieselbe Luft, die mein Lieb’ athmet. Doch, was sehe ich, ein Schul- 30 - kamerad von mir? »Servus P.!« — »Hat te is itt vagy?« Auch du bist hier? — »Ja, ich wundere mich ja so sehr, dass ich dich sehe! Doch es entziickt mich!« — »Servus H.! Ja, da sind ja so viele von euch da!« — Natiirlich sprach alles ungarisch und recht laut; die guten Wasserstadtler! Daheim wird so schon Ler- chenfelder Jargon gedroschen; nun hiess es ja, Patriot sein, zeigen wir es: wir sprechen nur ungarisch! — Doch da fahrt ein Wagen vorbei, darinnen einige Damen, — ha! die liebe, schone Margit! Doch schnell sind sie meinen Blicken wieder entschwunden. So viele waren gekommen, nur Eine, die ich so gerne gesehen hatte, sie war nicht da! Abends war Vorstellung im Theater, da hoffte ich meine schbne Nachbarin aus der Heimat zu sehen, und ich ging hin und war gliicklich! Mein erster Blick in die Logen traf Margits liebliches Antlitz, sie war heute nicht aufgetreten. Dnd nun ein halbes Stiind- chen mit dem reizenden, blonden Engel verplaudert, liess mich die unertragliche Hitze, die im dichtbesetzten Theater herrschte, und alles andere vergessen. In die blauen Augensterne und schelmisclien Wangengriibchen dieses lieben Madchens blickend, war’ ich so gern fiir mein Leben an ihrer Seite geblieben, — doch, mein Gott, niehts dauert ewig! und so ging ich denn auch, alles Liebe daheim griissen lassend, von dannen. Nun nahm ich Abschied von allem, was mir hier so lieb, denn morgen mit dem Fruhesten geht es ja weiter, hinauf zu den Bergen, um in den Eingevveiden derselben Wunder der Natur zu schauen. III. Viele fiihlen sich schon unbehaglich, wenn sie n ur den Gedanken an eine Reise mit der Bahn hegen, und gar, wenn sie dann, ins Coupe geschlossen, auf den Schienen dahingerollt werden. Ich muss gestehen, mir ist es nicht so sehr unangenehm, in einem so rollenden Wagen, in die Polster behaglich zuriickgelehnt, mit Windeseile dahin- zujagen, mich am Wechsel der vor meinen Augen vor- beifliegenden Scenerien zu ergotzen und wohl aueh in das taktmassige Schlagen der kreisenden Rader siisse Gedanken zu flechten. So fuhr ich denn weiter, der See Lebervohl sagend. Im m er bober hinauf ging es gegen die Krainer Berge; ach, ging es nur weiter auch, driiber hinaus in jene von goldigen Spitzen durchwirkte Ebene, bis zu jenem blauen Strom, den ich so iiber alles liebe. Keuchend schnaubte das Dampfross, achzend und stohnend be- wegte sich der schwere Train auf den glatten Schienen babin, nur wenige Aussicht wurde dem Auge geboten, denn meist zwischen tiefen Einschnitten und langen Tunnels erklommen wii' die Hohe. Nur dann und wann durchsauste der Zug eine liehte, freie Stelle, wo das Gerausch der schweren Eisenrader in metallisches 32 ■»— Geklapper iiberging, wahrend in den Tunnels einen dunkle Nacht umfing und tausend unterweltliche Un- gethiime freigelassen schienen, um sich zu bekampfen. Ach, und das ist siisse Melodie fur mein Ohr, mein Sitz hiipft elastisch in seinen Federn, ich schliesse die Augen und wiege mich in seligen, seligen Gaukeleien meiner Phantasie. Die Stationen auf dieser Strecke, meist weit von einander liegend, bieten nichts Sehens- wiirdiges dar, wie die ganze Gegend in ihrem ein- tonigen Steinreichthum hochst langweilig zu durch- fahren ist. Endlicb — die Locomotive maclit einen langen Pfiff, grossere Bahngebaude fliegen an uns vorbei, das ist eine grosse Station, die Endstation unseres Zuges — wir sind in St. Peter. Wie traulich einem oft der fremdeste Ort werden kann; genug, dass einige Erinnerungen daran haften. Wie oft durcbfuhr ich diese Station, kiirzer oder langer mich in derselben aufhaltend, und obwohl ich nie etwas anderes hier that, als mich waschen und etwas zu mir nehmen, obwohl mir nie ein lieblicheres Abenteuer hier begegnete; doch fiihlt mein Herz sich hier angezogen, denn viele Gedanken, viele Empfin- dungen, die schonsten und die traurigsten hatte ich stets hieher mit mir gebracht. Vor Jahren, als ich noch Zogling, brachten mich meine Reisen, die ich in die Heimat und von dort zuriick in eigentliche, heimat- licheFremde machte, immer hieher, und ob mich nun die Flut allmachtiger Wonne auf Urlaub fiihrte oder die Ebbe trauernder Niedergeschlagenheit von dort zuriick- spiilte, jedesmal musste ich hier durch. Ja, einmal, ich erinnere mich, geschah es auch, dass diese Ebbe sich bis auf meine Tasche erstreckte —

- und ich mit 5, sage fiinf, blanken osterreichischen Kreuzern im Portemonnaie hier anlangte. und nachdem ich einige Stunden ganz mutterseelenallein hier zu- bringen musste und es draussen im Freien in Stromen regnete, war ich genothigt, mich mit meinen Gedanken zu zerstreuen, und da schrieb ich denn Briefe und stellte darin weltschmerzlerische Vergleiche tiber Sein- konnendes und Nichtseiendes an und machte Betrach- tungen iiber das Vergangliche des schon Vergangenen. Waren es Maiglockchen, die Heine auf seiner Harzreise in Goslar vom Fenster eines niedlichen Madchens, das die siisse, durchsichtige Verkorperung von Sommerabendhauch, Mondschein, Nachtigallenlaut und Rosenduft war, stalil und spater, als er bei jener Holden mit den Blumchen auf der Miitze vorbeiging, von derselben errbthend gevvahrt, als der Abend kam, noch obendrein den geheimen Wiederdruck ihrer lieb- lichen Lippen und weichen Hiindchen zu fuhlen bekam, so entziickten mich hier niclit minder die schonsten lachenden Vergissmeinnicht, die ich je auf einem Bahn- hofe sah, und das niedliche Kopfchen eines Madchens, das sich dariiber bog und dieselben mit ihrem unschul- digen Hauche als Schrvester zu kiissen schien. So gerne ware ich zu diesem kleinen Engel getreten, und fein hoflich grlissend, wie es jetzt Sitte ist, hatte ich um ein Strausslein dieser blauen Bliimlein, aus ihrer schwesterlichen Hand mir gereicht, angehalten und es einem fernen Lieb mit meinen Kiissen gesandt; docli ich stand auf einem Bahnhofe unserer Zeit, und das Fenster, woraus mir so Liebes schien, war in einem Bahngebaude, und das ist ganz was anderes, als Anno 1824 und Goslar und Heine. Da musst’ ich halt. statt 3 -— 34 °>- auf so langem Wege bis zu fein Liebchen gewiss nur verwelkend ankommender Bliimchen einen Kuss, der sich dem Seufzer meiner Brust entwand, senden, und so heiss, wie er von den Lippen mir kam, hauchte ich ihn denn, zum eiligen Weiterbringen iibergebend, dem Schienenstrang hin, der ihn, wie die Thauperle, die auf gliihendes Eisen fiel, lustig aufnahm und hiipfend mit sich fiihrte, bis er, meinen Augen entschwunden, in luftigem Tanze dahineille durch bliihende Garten, iiber bewaldete Hohen, Berge hindurch durch finstere Tunnels, iiber helle, silberne Fliisse gespannte Briicken, neben murmelnden Quellen und rauschenden Tannen, bei heimischen Bahmvachterhausern voriiber, durch ge- segnete Saatfelder, bis er auf demBahnhofe einergrossen Stadt ankam, wo er, auf einen vorbeifliegenden Wagen sich schwingend, durch eine freundliche Gasse, in einem hohen Hause derselben durch ein offenes Fenster so miide und erschdpft, gerade in den Schoss einer stili sinnenden und von vergangenen schonen Tagen traumenden Frau sprang, welche, ihn in ihre zarten, weichen Hande nehmend, an die lieben Lippen und an das Herz pressend, in den weichen Falten desselben zu siisser Ruhe einsargte. Da kam der Eilzug, der von Triest nach Wien nicht fahrt, sondern fliegt. Einsteigen, ein Pfiff, ein kurzer Ruck, ein etwas langerer Flug iiber Damine, durch freundliche Thaler, die tief unter uns liegen und. auf deren staubiger Landstrasse geputzte Krai- nerinnen und langsam im Trabe dahinkriechende Ge- fahrte, die alle zum grossartigen, fast national ge- wordenen Grottenfest wandern, und wir sind wie im Hui auf der Station Adelsberg. •<- 35 Ungewohnliche Bervegung und grosse Riihrigkeit herrschte auf der sonst so stillen Station. Die Hauser beflaggt, die Menschen in Festtagskleidern harrten der Gaste, die heute aus den fernsten Gegenden, von aller Herren Lander hieher pilgern, um niegesehenes, ungeahntes Walten unterirdischer Natur zu schauen, Wir waren die ersten, die Vergnugungsziige kom- men erst spater an, ich machte daher einen kleinen Gang hinab in den eine halbe Stunde von der Station entfernt liegenden Markt. Einige hundert Stufen in das Thal hinabsteigend, denn der Bahnkorper liegt sehr hoch, fiihrte rnich mein Weg bei der in Ruinen stehenden Adlersburg vorbei, die dem heutigen Oi-te wohl den Namen geliehen, doch von ihrem eliemaligen privilegirten zrvangsherrschaftlichen Stolze nichts als die Ueber- reste verwitterten Gesteines, in dem nur Eulen und Schlangen nisten. zuriiekgelassen hat. Ja, wenn ich nicht irre, ist von ali den stolzen Geschlechtern, die hier hausten , nicht ein einziger Sprosse mehi' da, wahrend der Ort, welcher sich weit, wie von Henkers- wohnung entfernt, von der Burg beflndet, immer rnehr ausdehnt und prosperirend bereits stiidtisches Geprage hat; und wer weiss, ob nicht die Vorfahren der jetzigen Bewohner einst nur Ivnechte der stolzen Burgherren waren. Eine freundliche Allee schattiger Rosskastanien fiihrt in den Marktflecken, am Beginne derselben sprudelt der klare Strahi einer Quelle in ein steinernes Becken, wie iiberhaupt die ganze Karstgegend des besten Wassers sich iiberall erfreut, was nur der zu schatzen verrnag. der jahraus, jahrein aus lehmigen Cisternen 8 * — 36 trinken muss. Diese Quelle umstanden nun nicht. sylphidengleiche, sondern im Gegentheile starkknochige, robuste, ordinare Korperformen aufweisende, gross- fussige, -handige und -maulige, blodaugige Blumen- madchen, so echte »Kraner« Kuhmagde, wie ich iiber- haupt keiner einzigen hiibsčhen Dirne hier begegnete. Diese sclrvverfalligen Najaden sprangen mir mit zarten, ihre Kopfchen leicht erzittern lassenden weissen Mai- glbckchen entgegen, und ein junges, doch gar so schreckenhaft hassliches Madel bietet mir da mit auf- dringlicher Geberde und unartikulirtem Gekreisclie ihre unscliuldig weissen, siiss duftenden Bliimchen an, und theils aus Mitleid fur das ungliickliche Wesen, denn sie ist eine Stumme, theils auch, um die licben Blumen von soleh hasslicher Niihe zu erlosen, nehme ich einen Strauss, und einc dem Erbarmen entlockte angemessene Entlohnung dafiir austauschend, enteile ich dem widerlichen Anblick, den mir dieses bedauerns- werte Geschopf erregte. Leider ist das Elend so hiiss- lich anzuschauen, dass nur wenige den gorgonenhaften Anblick desselben ertragen, sich nur ivenige demselben aussetzen, sondern es meistens fliehen. Blumen, Frauen, Kiisse, Traume und so viele andere Dinge, die einen entziicken konnen, sind redit schon, doch wo bleibt da die Poesie, wenn man dabei des Magens vergisst; der schonsten Dinge lange ge- dacht, wird sich derselbe bald mit rebellischer Oppo- sition einstellen und zu brummen, knurren, oft zu zwicken anfangen, und man ist dann plotzlich ge- gezwungen, von den duftigsten, luftigst gehauchten Bildern, die Wirklichkeit und Phantasie in ihrer lieben Farbenmischung einem vorfiihren. — auf ein Stiick ■ 43 - flilsternd, von Dingen, die ich nicht horen kann, die ich jedoch vielleicht auch nicht hdren diirfte. Doch da kommen die Ziige, einer nach dem an- dern in die Station laufend, an. Sei gegriisst, du Menschenstrom, der sich aus den rollenden Zwingern ergiesst. An der Ausgangsthiire. da mussten sie vorbei, und so stellte ich mich denn dorthin und liess sie alle, wie sie dem Zuge entstiegen, Revue passiren. Da sah ich erst so recht, was da alles reist und wie vieles die glatte Bahn der Schienen dahinfahvt. Manner, Weiber, Kinder, Schachteln, Koffer, Tiicher, Polster und viele andere Dinge, die sich in einem Knauel an mir vorbeibewegten, und unaufhorlich, nicht enden- wollend schien es mir, denn sobald einer der Ziige seines Inhaltes sich entleert hatte, rollte schon der nachste herein, um, dasselbe gebracht, dem folgenden Platz zu machen. Ich mochte so gerne von den Mannern sclireiben, doch \vas soli ich da von denselben anfiihren, ihre schvvarzen Barte und langen Ročke etwa? Was kann icli dafiir, dass es so unpoetische Gestalten sind, die sich nur durch Hohe und Breite von einander unter- scheiden; und so muss ich denn \vieder zu jenen Lichtgestalten mich wenden, die nicht mit Unrecht die Versiisserinnen unseres rauhen Lebens heissen. Da kamen sie denn aus den fernsten Gegenden und In-achten mil sich ali den Liebreiz, der ihnen schon bei der Geburt zutheil wird, und ich ward nimmer miide, immer und immer wieder, stets in neuer Auflage erscheinend, denselben zu schauen. Wie gut diese Frauen es doch verstehen, durch dieses Band, durch jene Rose, durch eine Kleinigkeit, die -44 geschmackvoll angebracht, das Auge zu fesseln; die Reize sind verhiillt, und doch nur so versteckt, dass man sie vermuthen kann; wie schon kann die Biiste, die Taille, der Fuss, der Arm einer Frau ins Auge springend hervorgehoben sein, und doch bleibt alles andere an ihr rathselhaft. Da naherten sich mir wieder die drei Madchen, ikre Armein einander verschlungen; doch ikre schonen, blassen Gesichter und die darin tiefliegenden. fein- beriinderten Augen sagten mir, dass noch ein anderes siisses. gemeinschaftliches Geheimnis sie umschlingt; und sie umkreisen mich unaufhorlich und scheinen mich fragen zu wollen, welche unter ihnen die Schonste sei — ich w(irde ihnen ihr Geheimnis ins lauschende Ohr fliistern, da wiirden sie alle drei gewiss auf ein- mal so roth im Antlitze werden. Doch, das \vare boshaft von mir, und das will ich doch nicht sein, und daher schweige ich. Wie verschiedenartig die Gegenden, aus denen die Ziige, ebenso waren die Menschen, die von dort hieher kamen. Aus Wien kamen sie mit ihrer Ur- gemiithlichkeit daher, in breitem Wiener Dialect schwatzend, laut und heiter lachend, ja sogar einige leichte, unternehmende Phrynen vom Graben vvaren mitgekommen, um hier ihre Libellenkunst an den Mann zu bringen; aus Italien elegante, gerauschlose Grandezza, vvelche selbst beim verfiihrerischesten Lacheln nur unter Reserve die schonen Zahne zeigen und, leise sprechend, so schmachtend die Augen niederschlagen lasst, wahrend die Ziige aus localer Gegend unter Paukenschall und lauten Juchezcrn ihrer Krainer und Steirer Insassen ankamen. '■p 45 Mittlemeile wurde es Mittag, und so begab ich mich denn mit dem Menschenstrome hinab in das freundliche Adelsberg, wo ich das grosse, mit allem Comfort versehene und einer grossen Stadt wiirdige »Grand Hotel d’Adelsberg« aufsuchte, tlieils um die hier eingekehrte elegante Welt mir anzusehen, theils auch aus Materialismus, um einem niemals mal a propos kommenden guten Diner entgegenzugehen. Ein grosser Park, ein mehrere Stock hohes, mit eleganten Terrassen versehenes stattliches Gebaude umgebend, fiihlte man sich hier in den geraumigen Foyers und Salen desselben ganz grosstadtisch wohl. Da wogte es nun und summte es von der zahllosen Menge der Gaste. und wie bei Babels verwirrendem Tliurmbau klangen hier alle Sprachen wirr dureh- einander, gleich fiihlte sicli jede derselben souveran genug, der anderen nicht zu achten. • Meine Schritte schienen durch ein eigenthiimlich mir wohlwollendes Geschick geleitet zu werden, denn ich suchte ein Wesen, das sich meiner in diesem Wirr- warre verschiedenes Wollen ausdriickender Menschen annahme und mich in ein Zimmer geleitete, wo ich des fingerdicken Staubes, der an mir haftete, mich entledigen und — nachdem ich nicht gerne als Tischnachbav bei der Table (1’hote anderen den Appetit verderbe, einige nennen dies Eitelkeit bei mir — mein verwirrtes Haar in symmetrische Ordnung setzen konnte. Und dieses friiher erwahnte, mir so sehr wohlwollende Geschick liess mich denn an eine Thurklinke driicken, ivelche einen Raum mir bffnete, in dem geschiiftige Vestalinnen des Herdes Feuer schiirend nabrten und mit Hack- messer und Loffel hantirten, und \velche freuncllich - 4 > 46 helle Kiiche als oberste Commandeurin jenes Wesen barg, das ich suchte und nun gefunden hatte, und die mir wie eine Lichtgestalt, vvie ein Cherub ersc.hien. Ich fragte sie. ob sie wohl direct von den drei Grazien abstamme oder, nachdem doch alle drei sitzen ge- blieben sind, ob sie wohl gar selbst eine derselben sei. Doch sie schiittelte das neckische Lockenkopfchen, sah mich mit dem schelmischen Braun ihrer Gazellenaugen an und schien micli nicht zu verstehen. 'Ich packte nun das Ding anders an und sagte ihr irn besten Italienisch, dass ich mich abbiirsten und Toilette machen mochte, und unter dem lieblichsten Liicheln, das ich je bei einer reizenden Franzosin sab, machte sie mir das Gestandnis, dass sie ein Kind der Gloire sei. — Nun wussten wir beide, was wir wollten, und ich schuttete ihr mein ganzes Ilerz aus, und da fielen denn ali die Rosen, Vergissmeinnicht und Maigloek- chen, die mich auf meinem Wege bis hieher zu ihr fiihrten. heraus; und sie geleitete mich in ein Zimroer, frug mich, ob ich wohl ein Franzose sei, und ich luge nicht gerne und sagte ihr, dass ich wohl keiner bin, doch so gerne es fur sie sein mochte. und da gab sie mir Biirste und Kamm — und ich wusch, kamnite und biirstete mich und ging wieder hinal) zu den Menschen, und vvenn wir uns sahen, blickten wir uns verstiindnisinnig an. Ich setzte mich an eine der langen, geputzten Tafeln, und mein Geschick hatte sich auch diesmal bevvahrt. denn mir gegeniiber sass ein reizend junges Geschopf, ein Engel von Anmuth und Lieblichkeil. heiter plaudernd und ihre schonen Zahne zeigend, neben einem jungen Manne, den ich so selil' um diese ■

49 <$- Doch sehen wir einmal, wie ein solcher, dem Sol- daten durchaus und mit Gewalt aufoctroyirter Civilist aussieht. Da hatle sich zum Beispiel Freund X. den dunklen Ueberzielier zu einer eigenen lichten Nanking- hose vom Freund Y. fur diesen einen Tag, da er im Jahre im ,Costume ! geht, ausgeliehen, der ihm natiir- lich erstens nicht passt, weil der Freund nur etwas grosser ist als er (ob breiter oder schmaler, das ware zu kleinlich, darauf Riicksicht zu nehmen). und zwei- tens hat Freund Y. den Ueberzieher selbst vor vielen, vielen Jahren in Lissabon oder Newyork gekauft, der Zusammenhang desselben mit der Mode ist also ein vager, fur alle Falle ein uralter. Und nun gar die Kopfbedeckung, o du mein Gott! alle konnten mitsammt das Repertoire pensionirter Theaterhiite ab- geben; was Form und Grosse anbelangt, oft die un- geheuerlichsten Gestalten zeigend, vom Rinaldo bis zum ungarischen ,porge Kalap‘, kurz vielgestaltig und abenteuerlich. Und wie sehr das Kleid den Mann macht, kann man da am allerbesten ersehen, denn alle, die da die schmucke Uniform ausgezogen, haben mit ihr gewohnlich auch ihre ganze Eleganz der Be- wegungen, das selbstbevvusste Auftreten abgelegt, und man sieht es formlich einem jeden von ihnen an, wie sie, statt sogenannt ,ungenirt‘, sich eher hochst un- behaglich fiihlen, ja oft der gewandteste Lione zum linkischesten Traumichnicht wird. Ich will gerade nicht sagen, dass wir nicht ebenso gut unseren Geschmack in die Civilkleider legen konnten, wie wir es ganz gut verstehen, dass uns der Soldatenrock passe; jedoch die Verhaltnisse, dass man nur selten auf die Civilkleidung angewiesen ist, bringen es mit sich, dass man dann 4 — - suchende Blick cles zarten Nackens Lilienlinie fand, auf dem das leichte Blumenkoplchen wiegend ruhte; da war es dann so wohl, wenn, das Kopfchen sich urmvendend, zwei schelmische Augen einen trafen, die dann zu sagen schienen: ,Ich bin dir niclit bose, Fremdling, was dein Auge an mir verbricht, doch ich warne dich, verirre dich niclit zu tief in deinen Be- trachtungen !• So kam ich denn immer naher dem Eingange, und endlich giihnte mir eine sclrvvarze Fels- spalle entgegen, die mit einem griinen eisernen Gitter von der Aussemvelt abgeschlossen war, durch das man hindurch musste. Gleich Marchen aus langstvergangenen Zeiten sorgenloser Kindheit wandelte es mich an, je naher icli dem zu Schauenden kam, und sehnsuchtsvoll wie damals, als ich den Worten der erzahlenden Amme lauschte, so sah ich auch jetzt dem ,Sesam, offne dich!‘ entgegen. Wir hatten die Barrieren, die den Grottenraum von der Aussenwelt trennen, durchschritten und traten in den Schacht, der den Besucher hinab in die unterirdischen Raume fiihren solite, wo man sogleich fiihlte, dass der Raum grosser ward, denn das Gedrange nahm ab. Ich nahm' Abscliied vom Tageslichte, denn Dunkelheit umgab mich, die anfangs wie Zwielicht schien. doch dann im Schimmer der zahlreichen Lichter erstarb. Erfrischende Iviihle wehte mir entgegen, die spiiter so ziemlich zunahm, darum war es rathsam, mit dem Mantel hereinzukommen, ja viele waren sogar mit Regenschirmen versehen, um gegen das von der Dečke kommende Tropfwasser sich zu schutzen. Nachdem das Auge sich an die Dunkelheit gevcohnt hatte, konnte man wieder ganz gut alles unterscheiden, und man 4 * ■■(p 52 «>■ gewahrte sich in einem langen Schachte, der berg- eimvartsfiihrend rechts und links mit Kerzen und Larnpen erhellt war. Das Gedrange nahm zeitvveise ab, und ich konnte wieder vomartseilen. Doch trat in der engen Oeffnung, welche in den ersten grossen Raum fiihrte, wieder Stockung ein. und man musste sich derselben Willkiir wieder iiberlassen, wie beim ersten Eingange. Da fiihlte ich den sanften Druck eines weichen Busens und den warmen, siissen Hauch einer leben- athmenden Brust, und ich horte eine Stimme, die so melodisch, wohlbekannt mein Ohr traf und zum Herzen weitergeleitet dasselbe mir so almungsvoll erzittern liess. Wo hatte ich dich doch schon einmal gehort, du siisse Stimme? Es ist mir, als war’ es einmal schon gewesen, dass es mir entziickungsvolle Melodie- war, wenn sie sprach; und ich wende mich mit der Geschmeidigkeit eines Aales zur Sprecherin, ich sehe hinein in den blauen Himmel ihrer Augen, und ich trete zuriick und sehe sie nochmals an, und da ist’s wie Schuppen, die mir von den Augen fallen, wie nach einem Traume, den ich da unten am Meere, in einer altehrwiirdigen Stadt mit breiten Strassen, aristokratisch-republikanisch geschwarzten Palazzis und patrizisch auf verfallene Grosse stolzen Bewohnern, von einem hellaugigen, blondkopfigen, schon lange be- kannten Gretchen traumte — schonstes Maridele! Sei mir gegriisst, holdeste Fee vom fernen Ragusa, die du dahier mir erschienst, um, mit dem Zauber deines Wesens Sesams unterirdisches Felsenschloss mir er- schliessend, mir ali die marchen- und sagenhaften Schatze desselben vor Augen zu filhren! -<=> 53 Doch hatte ich gestaunt, denn es sind viele, Tange Jahre her, dass wir uns zum letztenmale sahen, sie hier an der Pforte der Unterwelt wiederzusehen, so war das Verwundern ihrerseits nicht minder gross, was uns jedoch nicht hinderte, uns freudig zu be- grussen, und so machten wir denn gemeinschaftlich den unterirdischen Gang. Mittlerweile hatte ich die letzte stollenartige F.nge passirt und trat nun in den .grossen Dom‘ ein. Ein seltsam schoner Schauplatz bot sich hier meinen Augen dar. Eine von machtigen sclnvarzen Felsmassen umwolbte Halle, die ringsum und in der Tiefe, so wie der Weg den Beschauer fiihrt, mit vielen bren- nenden Kerzen beleuchtet war, deren Licht jedoch gegen die hohe Kuppel zu im Dunkel derselben er- starb. Ich stieg hinab in die Tiefe, und geheimnisvoll unterirdisches Rauschen. wie dunkles Walten geschaf- tiger Berggeister, tonte mir entgegen, — es ist die Poik, welche, von aussen kommend, durch diesen Theil der Grotte hindurchfliesst. Es ist dies charakteristisch fiir diese ganze Gegend des Karstes, und wie der Anblick dieses grauen Kreide- kalkgebirges ein Bild der Zerrissenheit darbietet, so sieht es auch in dessen Innern aus, das, ausgehohlt und stellemveise ausgewaschen, Grotte an Grotte, so- wie die gegenwartige, die ich durchziehe, bildet. Wer diese Eigenthurnlichkeit des Karstplateaus nicht kennt,, wird beim Anblicke einer hydrographischen Karte dieses Theiles von Krain ganz verwundert iiber die eigenthtimliche Zeichnung der Fliisse sein, welche, oft ohne Ursprung und Ende, weder Quelle noch An- schluss ihres Laufes ersehen lassen. Dies ist jedoch --<“ 54 =>- bei der inneren und ausseren Zerkluftung dieses Ge- birges ganz natiirlich, wenn man bedenkt, dass die Fliisse hier in ihrem Laufe an Stellen kommen, wo sie plotzlich in die Tiefe stiirzen, um nach einem oft nicht verfolgbaren unterirdischen Gange wieder am anderen Orte zu Tage zu treten. So bildet auch hier die Poik im ,grossen Dome‘ der Grotte einen See, iiber den sich eine Naturbriicke in doppeltem Bogen spannt, von welcher ich auf eine mit starkem Eisengelander versehene Estrade, den sogenannten Balcon, gelangte, von wo sich der beste Ueberblick tiber diesen grossten Raum der Grotte bietet. Ober mir gahnende Dunkelheit, um mich herum im Lichterscheine krystallenglitzernde Tropfsteingebilde, machtige, aus dem Boden zu wachsen scheinende Saulen von Stalagmiten und dariiber hangende, riesigen Eiszapfen gleiche Stalaktiten, unter mir der brausende Fluss, in dessen geheimnisvoll dunklem Wieder- scheine die vielen Flammen wie eben so viele Sterne sich spiegeln. Nun fiihrten mich wieder Stufen aufwarts, sodann, iiber eine lange Gallerie eilend, kam ich beim Monu- mente, das man zu Ehren Kaiser Franz L, und bei einem anderen, das man dessen Sohn Ferdinand I. zur Erinnerung deren hoher Besuche setzte, vorbei in die ,Kaiser-Ferdinands-Grotte 1 . Mein Weg fiihrte mich beim ,rothen‘ und ,weissenWasserfall‘, in flaumi- gen Wellen vom Felsen scheinbar gleich Wasserfallen herabstiirzendes Tropfgestein, vorbei zum ,Stock im Eisen 1 , das ein auf dem Boden stehender Stalagmit ist, welche Tropfsteinformation frappante Aehnlichkeit mit jenen der Sage nach bekannten und in Wien, —-» 58 »>■— Monument, welches auf schwarzem Marmor die In- schrift zur Erinnerung des Hiervveilens Ihrer Majestaten tragt. Jetzt folgt ein beschwerlicher Weg, bald auf, bald abwarts iiber Felsblocke und umgestiirzte Saulen- triimmer fiihrend, zum ,Tropfbrunnen‘. Dieser besteht aus einer rothen, abgestutzten Saule, auf welche von der Dečke der Halle herab unaufhorlich ein sehr diin- ner Wasserstrahl fallt, der, auf denselben spritzend, im Weitertropfen um die Saule herum einen aufstebenden Rand bildet, innerhalb dessen sich klares, frisches, sehr gut trinkbares Wasser ansammelt. Von hier, durcli einen schauerliehen, mit Stein- und Erdmassen ange- fiillten, bald eng und nieder, bald sich wieder erwei- ternden Seitenweg kommt man zum ,Tartarus‘, eine ode, dunkle, mit Wasser gefiillte Schlucht, die kein weiteres Vordringen mehr gestattet und von deren Wanden fortwahrend kalte Tropfen wie Regen herab- fallen. Zuriickkehrend passiren wir den ,Eremiten‘, einen sehr hohen Stalagmiten, der auf einer Kuppe ganz allein steht. Nun verlasst man, sich nach links vvendend, die ,Franz-Joseph- und Elisabeth-Grotte 1 und kommt in die ,Maria-Anna-Grotte‘, in welcher man, iiber Damine schreitend, zuerst zum ,Rrillant‘ gelangt, ein blen- dend rveisser, in einer Kuppe endigender, mit tausend und tausend Krystallen glanzender Stalagmit; von hier kommt man durch weisse Hallen, von denen Gebilde wie schrvarze Vorhange herabhangen, zum ,grossen Zelt ; und zum ,Vordache‘; ersteres trichter- formig, mit ausgezackten Randern, fast vier Meter im Durchmesser messend, theils am Boden aufstehend, theils freien Raum zum Einblicke gewahrend, wahrend — letzteres, von der Felswand herabhangend, \vie der Vorsprung eines Daches sich ansieht; und beim ,ScIiwamm‘, der plotzlich wie ein Pilz vor den Augen aufschiesst, und beim ,Riesenspargel‘, einem dieser Pflanze ahnlichen Stalagmit^n, vorbei zum ,Calvarien- berg 1 . Es ist dies einei' der wunderbarsten Theile der ganzen Grotte. Ein Berg im Berge selbst, wolbt sich der aussere mit riesiger Kuppel iiber dem inneren, auf welchem der erstaunte Bewunderer nicht einzelne, sondern einen ganzen Wald rother und brauner Saulen. von der kleinsten bis zur grossten, den Boden be- decken und ara Berge hinanziehen sieht, gleich der zu Stein gewordenen Menge, die auf Golgata wandelte. Nun gelangt man auf einem Zickzackwege, der iiber den Calvarienberg zwischen emporstehenden und oft ineinanderhangenden Saulen fiihrt, in den .Mailander Dom 1 , einen machtigen Raum, von Saulen erfiillt, in welchem sich die grosste Tropfsteinsaule der ganzen Grotte, die sechs Klafter iiber den Boden sich erhebt, beflndet. Letztere Hallen verlassend, tritt man in Raume ein, die das schauererregende Bild wiister Zerstorung bieten, indem kolossale Saulenreihen, wirr iiber einander gefallen, wie gefallte Biiume am Stumpfe des Fusses umherliegen, iiber welche sich ebensolche Kolosse neu aufbauen. Unwillkiirlich wendet sich der Blick von den im Lichterscheine flimmernden Riesenkrystallen, die hier im Durcheinander zerstreut umherliegen, weg und erhebt sich nach der Hohe, um zu suchen, wie es dort wohl an der Dečke aussieht; doch von dort oben gahnt nur undurchdringliche B’insternis zum Be- schauer herab; und vvieder das Auge senkend, trifft es die am Boden liegenden Triimmer, die einst - 4 = 60 =>— vielleicht hoch da droben gehangen sein mogen. — und zusaramenschaudernd bemachtigt sich unserer das Gefiihl, als hinge uns zu Haupten ein Wald von Damokles-Schwertern, deren haardiinne Faden zu zer- reissen wohl nur von der Laune eines boswilligen Gnomen abhangt, — und man trachtet, aus dem Be- reiche desselben zu kommen. Weiter wandernd gelangt man zu einem Stalaktiten, der, hochst merkvviirdig ge- formt, im Halbkreise von der Dečke hangt, zum ,Tiirken- sabel 1 ; beim ,Lowenkopf‘ und ,grossen Wasserfall‘, zwei ahnlichen Tropfsteingebilden, vorbei zu einer der interessantesten Sehenswiirdigkeiten der Grotte, das ist zum ,Vorhang‘. Es ist dies ein vom Felsen herabfallendes Gehange, ein vvellenformig gezacktes, rothbraun bordiirtes und fast durchsichtig diinnes Tropf- steingewebe, das in seinem glanzendweissen, sehr ge- lungenen Faltemvurfe \vie ein weisser Spitzenvorhang erscheint. Und nun noch die beiden ,Cypressen‘, die so schon in flaumig flockigem Weiss erglanzen, pas- sirend, biegt man beim ,heiligen Grab 1 wieder links in die Ferdinands-Grotte ein und wandert dem Aus- gange zu. Lieb Leser mein! magst wohl jetzt, meiner unter- irdischen Wanderung im Geiste gefolgt, ermiidet worden sein; doch glaube meiner Versicherung, warst du statt in deinen Gedanken auf deinen eigenen zwei Beinen meinen Pfaden gefolgt, so hattest du in denselben gewiss dasselbe Gefiihl gehabt wie ich, da man sagt, dass man die betreffende stark hergenommene Stelle nicht verspiirt, wiihrend sie im Gegentheile gewohnlich sehr schmerzt! Nachdem ich also in dieser zwar schonen, entziickungsvollen. aber iiber vier Kilometer 61 o>- langen Unterwelt das Doppelte an Lange und drei Stunden an Zeit auf feuchtem, oft schliipfrigem, dann wieder krystallig unter meinen Fussen knirschendem, stets jedoch sehr hartem Boden gewandert war, hatte sich meiner eine derartige Miidigkeit bemachtigt, dass ich recht froh war, als die Poik wieder unter meinen Fussen rauschte und, durch den ,grossen Dom 1 zuriick- schreitend, dem Ausgange mich nahernd, mir das Tages- licht endlich entgegendammerte, und ich, aus den kiihlen, so herrliche Rathsel der Natur bergenden Eingerveiden der Erde hervortretend, wieder in der Aussenwelt war. Noch behaglicher fiihlte ich mich jodoch, als ich in dem, dem Grotteneingange nalieliegenden Gasthaus- garten einen hinkenden Stuhl mir erobert, wieder bei einem Glas mannlicher Erfrischung sitzend den Klangen der von einer Militarkapelle intonirten Musik zuhorte und, des Geschauten denkend, dem um mich wogenden frohlichen Getriebe der Menschen zusah. Da war es mir, als hort’ ich bekannte Stimmen, was wohl leicht moglich sein mag, klangen doch so viele heute zu mir! Ich sah also auf und bemerkte zu meiner freudigen Ueberraschung meine tischnach- barliche Gesellschaft vom ,Adelsberger Hof 1 — mit der viele andere, die ich kenne, sowohl als ich schon dort so gerne Bekanntschaft gemacht hatten, — wie sie in dem dichtbesetzten Garten nach einem Ruhepunkt suchten, wo sie ihre gevviss ermiideten Glieder und ihre Seele hatten starken konnen. Der Zufall oder mein Geschick, das mir heute schon wiederholt giinstig gelachelt hatte, wollte es, dass sie sich mir naherten und nachdem ich das Vergebliche —

- zu, sprach nichts, sondern fasste meine Hand und fiihrte mich himveg aus diesem Hollenbreughel in einen schonen Garten, der von Sonnenlicht vergoldet, in dem so viele, schone Blumen bliihten, und ich sah zu meiner zauberischen Fuhrerin, sie war so schon, so sanft, so gut und ich fragte sie — —-- — da entstand ein plotzlicher Ruck, ich ervvachte und fragte: ,Wo bin ich?‘ und mein Gefahrte antwortete lakonisch: ,In Pola 1 .