p. ymtimmn Oratorium «5t. psti-us» Von vr. 3okef Mantuani 5epsrsl»d6mck »ur 6er „Uullur", V. Zahrg., Ueli 2. Vien 1904. OOOO0 Verlag 6er beo-Lelelllclinft. Luchciruekerei 6. Opitz, Men. p. Karlmanns Oratorium «St. Petrus». von vk. 3olek Mllntllüiii. r«in Werk von ?. Hartmann! Nach alledem, was wir vor etwa zwei Jahren in Wien erlebt haben, gehört heute Mut und Selbstverleugnung dazu, ja vielleicht sogar etwas Verwegenheit, sich mit den Kompositionen des biederen Franziskaners zu befassen. Wie erinnerlich, wurde der geistliche Komponist während seiner Anwesenheit in Wien mit überströmendem Hatz und überquellender Liebe verfolgt; man nörgelte, erging sich in Haar¬ spaltereien, schulmeisterte, schimpfte, zerriß das Gewebe und zeigte die Fetzen; andererseits verhimmelte man, lobte man und war begeistert. Auf keiner Seite aber nahm man sich die Mühe, das Werk selbst näher kennen zu lernen und es eingehend nnd objektiv zu prüfen. Zuneigung oder Ab¬ neigung für die Person oder die von ihr vertretene Sache kann ja wohl etwas mitredcn: das ist das Subjektive am Urteil. Doch darf diese Sprache die Objektivität nicht übertönen. Wenn U. Hartmann den religiös-kontem¬ plativen Ton wirklich ganz vortrefflich anzuschlagen versteht und uns damit in einen heute schon fremdgewordenen Kulturkreis zu versetzen weiß, so dürfen wir darob eine andere, auf solider Grundlage aufgebaute und von christlichen Prinzipien getragene Kunst, woher immer sic kommen mag, nicht unterschätzen. Und wenn wir die Monumentalität dieser Kunst vorbehaltlos empfinden und anerkennen müssen, dürfen wir auch in U. Hartmanns Werken die ehrliche Arbeit, die gesunde Logik, Zweckmäßigkeit und Formrichtigkeit nicht verkennen. Nicht eine Kunst, wie sie eben einer momentanen, präjudizierlichen Stimmung entspricht, dürfen wir suchen und verlangen, sondern müssen die Wirkung abwarten und uns ehrlich ein¬ gestehen, wie diese ausgefallen ist nnd ob sie dem Zwecke, den sich der Künstler gesetzt, nahegekommen ist. Mit diesen allgemein angedeuteten Gesichtspunkten »vollen wir an das in Wien noch unbekannte Oratorium ?. Hartmanns „St. Petrus" heran- tretcn und eine Analyse und Würdigung desselben versuchen. i. Der Text. Den Grundzug von k>. Hartmanns Muse zeigt der Worttext deutlich. Das denkbar Einfachste, was man sich von einem solchen vorstellen kann, liegt hier vor; einzelne Ausschnitte aus den Evang elien: Joh. 1, 35—42; L Josef Mantuani. Luk. 5, 1—11; Matth. 16, 13—19; ferner die Verse 31—36 des 106. Psalm es, und zwar deswegen, weil sie zugleich auch im Offizium der Stnhlfcier Petri verwendet sind und im Meßtexte dieses Tages als Graduale und als Allelujavers (versus -UlsIuiaUeus) Vorkommen; daun ist die achte Strophe des alten Johann csh hmnus, der mit Ist guaeant laxis rssouare tldris beginnt, ausgenommen (Nou tuit VÄSti Spatium per orbis); weiter der Introitus für das Oommuus eoufessorls poutiliois, das heißt jener Mcßformcl, die allen Festen der Bekenner, die zugleich Bischöfe sind, gemeinsam ist (Statuir ei Dominus) und schließlich das Respon- sorium (Nu SS Netrus, pastor ovium, priuesps apostolorum) uach der vierten Lektion (der zweiten Nokturn) am Feste der Stuhlseicr Petri (18. Jänner). Das ist der Boden, ans welchem Hartmanns Musik Wurzel fassen und erblühen konnte. Denke man sich nun einen modernen, durch und durch tüchtigen, geschulten, theoretisch hochgebildeten, satztüchtigen, formsicheren, mit allen Feinheiten der Instrumentation vertrauten Musiker vor diese scheinbar nnzusammenhängenden Bruchstücke gestellt, — heute, wo man vor Allem nach einem interessanten und packenden Libretto hastet, nm die Musik von demselben tragen zu lassen und ihr zur Geltung zu verhelfen! Was würde ein Künstler damit beginnen? Nichts. Er würde entmutigt die Flinte ins Korn werfen und nicht einmal den Versuch einer Bearbeitung wagen. An einen solchen Text kann sich nur Jemand heranwagen, dem die mystische Beziehung einzelner Teile klar geworden, der von der Logik der Zusammenhänge überzeugt ist, dessen Gemüt von diesen schlichten Worten erfaßt, von den daraus gezogenen Konsequenzen begeistert werden kann. Er muß in einer anderen geistigen Welt leben und dort ebenso heimisch sein Ivie zwischen den ihn umgebenden Wänden seiner Wohnung. Und wer könnte das besser als ein Mönch, ein Franziskaner, dem es seine Regel, sein Gelübde zur Aufgabe und Pflicht macht, abgewcndct von dem rauschenden Treiben der Welt ein überwiegend geistiges und geistliches Leben zu führen und sich in die Mysterien des Christentums zu vertiefen? Und wenn dann ein solcher Manu künstlerisch fühlt, wenn es ihn drängt, das geistig Erschaute und Erkannte in Wort und Ton seinen Mitmenschen mitzutcilcn, so hat er dazu ein Recht, ja er hat die Pflicht. Auch in dieser Form läßt sich predigen, lassen sich Glaubenssätze verkündigen — sogar für die nichtchristlich Gläubigen; denn die kulturellen nnd ethischen Potenzen sind für Alle, die gute Menschen sind, zugänglich, begreiflich nnd erhebend. Von den Oratorien ?. Hartmanns darf als allgemein giltig gesagt werden, daß seine Musik den Text hebt und trägt, ihm den Akzent verleiht und der sonst obsolet scheinenden Sprache jene Modulations¬ fähigkeit gibt, die der heutigen Welt zum Vcrständuis verhelfen kann. Wir werden uns bei der Analyse der Musik davon überzeugen. ?. Hartmanns Oratorium „St. Petrus". 3 2. Die Musik. Präludium. Die Celli bringen als Motib die Choralmelodie über den Worten: ,,1u es ?6trus" (aus dem Offertorium am Feste Petri Stuhlfcier si8. Jänners) in langsamem Adagio. Dieses Motiv wird dann von den Violen übernommen, darnach bringen es die Flöten, endlich die Bässe, umspielt von den Violinen und anderen Instrumenten. So gewinnen die nacheinander eintretenden Stimmen ihre volle Harmonie; nachdem die Bässe ihr Thema zu Ende geführt haben, hebt sich dasselbe, von den Hörnern und Fagotten gebracht, aus der harmonischen Hülle in der Dominante klar und nachdrücklich empor, während die anderen Stimmen mit einzelnen Phrasenteilcn immer wieder an das Motiv anklingen. Nach der Durchführung des Satzes bringen die Hörner das ganze Thema nochmals, umwogt vom ganzen Orchester, und nachdem sie fertig sind, tritt mit einem „Aruvs s Esstoso" die Orgel ein und intoniert es mit voller Harmonie, abermals mit der Melodie in der Tonika. Ein von 28 Takten unterbricht das langsamere Tempo; dann aber setzt wieder das erste Zeitmaß (H-äuZla) ein, wobei die Fagotte abermals das Thema (in der DoniiLUQte) anfuehmen und das ganze Orchester in Tätigkeit tritt, alle Stufen derDhnamik bis zum ü'durchläuft, um dann von diesem Höhepunkte und von seinem königlichen Glanze wieder zur Milde und Ruhe znrückzustrcben. Die nach der Höhe drängenden Akkorde der Violinen und Harfen zwingen den Zuhörer, sich ideal vom Irdischen loszulösen und zu den Himmels- Höhen zn erheben. Mit einem mystischen PM schließt das Vorspiel. Im ersten Teile wird die Berufung Petri geschildert. Johannes predigt und weist auf Christus, der eben herbeikommt, als auf das Lamm Gottes, auf den Erlöser; zwei seiner Schüler hören das und folgen Christo nach. Dieser wendet sich um mit der Frage, wen sie suchten. Die beiden (einer von ihnen ist Andreas, der Bruder Petri) fragen den Herrn, wo er wohne; dieser ladet sie ein: Kommt und sehet! Nachdem sie einen Tag bei ihm verbracht, waren sie sicher, den Messias gefunden zu haben. Andreas ging auch zu seinem Bruder Simon, holte ihn herbei und brachte ihn zu Jesus, der ihm beim ersten Anblick sagte: „Du bist Simon, der Sohn Jonas; du sollst Cephas (Petrus) heißen." Hicmit ist die Berufung Petri festgelegt, der Grundstein zum Riesenbau der Kirche gefunden, der innerste Kern aller der Segnungen erschaut, welche diese Berufung zur Folge hatte. — In Freude darüber bricht der Chor in eine Lobpreisung Gottes aus: „Oorckitsalltui- Oviuiuo inissrwüräws slns!" Und mystisch hinweisend auf die geistige und kulturelle Wirksamkeit der Kirche läßt der Komponist in den Worten des Psalmes 106 (V. 8.) den Segen schauen, den die Kirche, geleitet von ihrem Oberhaupte, schuf. Ein großer Chor fordert zum Dank für diese Institutionen auf. Der erste Chor wird durch eine kurze Einleitung vorbereitet, in welcher bereits im dritten Takte die Mittelstimme mit dem Motiv der bekannten 4 Josef Mantuani. Johanneshymne: „Ikt guaeant laxis rssoitars übrig" anhcbt. Im 11. Takte löst die Orgel die Streichinstrumente ab und gleichzeitig setzt der Ouisouo- Chor breit und feierlich mit der achten Strophe des Johauneshymnus: „l^oQ tüil vasti Spatium per orbis sauetior guisguam ^euitus .koauus" ein. Den Gesang begleitet die Orgel, die Zwischenspiele besorgen die Streicher in lebhafterem Fluß des Tempo. An diesen Hinweis ans die Heiligkeit Johannis, der allein würdig Ivar, Christum zu taufen, knüpft mm die 8toria (Sopran oder Tenor) an, um dessen Mission als Vorläufer Christi darzulegen. Ihre Melodie wird von Streichern denkbar einfachst retouchiert. Dagegen werden die nun folgenden Worte Johannis: „lLooe ^.Zuus vsi", vom Tenor arioso gesungen, pomphaft von Streichern, Fagotten, Hörnern, Oboen und Klarinetten in chromatisch-farbenprächtiger Harmonie umwogt, dynamisch vom mü zum k gesteigert und analog der liturgischen Formel jedesmal um eine Stufe höher intoniert, dreimal wiederholt, als wollte der Komponist noch heute aller Welt vernehmbar diesen Hinweis Johannes des Täufers auf den Heiland nachdrücklichst zum Bewußt¬ sein bringen. Neben Johannes stehen zwei seiner Schüler und ziehen sofort mit Christus, wie die „8toria" im schlichtesten Rezitativ berichtet. Christus (Bariton) fragt die beiden: „tzmä guasritis"? Die Sing¬ stimme ertönt zurückhaltend, piano, und wird von der Orgel pp begleitet, was den Worten eine besondere Weihe verleiht, umsomehr, als die zwischen diesen und den nachfolgenden Worten Christi liegenden Partieen der 8tori» und der beiden Jünger (Dnctt: Tenor und Baß) von Streichinstrumenten begleitet sind. Der Komponist läßt in diesen Wechselnden die Partie Christi an die eines anderen Rollenträgcrs nie unmittelbar anschließen, sondern bereitet sie durch einen Orgelsatz von mehreren Takten vor, um auch äußerlich die bevorzugte Stellung Christi anzudeuten. Nachdem die 8 tori a über den Erfolg des Besuches und eintägigen Ver¬ bleibens beider Jünger bei Christus berichtet hat, jauchzt Andreas (Tenor) in der Freude seiner Seele (auimsto 1, gesteigert zu 6"): „loveuimus >ls88wiu" seinem Bruder Simon zu. Die Begleitung zu dieser Melodie ist überaus wirkungsvoll: auf deu schweren Taktteilen durch Pausen getrennte, ge¬ strichene Akkorde, das stoßweise Empordringen der frohen Botschaft aus dem freudcüberfüllten Herzen andentend. Nach dem Berichte der 8toria bereitet wieder ein feierlicher Orgelsatz die Worte Christi vor; dann aber weicht die Königin der Instrumente mit ihrem überwiegend kirchlichen Charakter dem modernen Orchester (Streich-, Holz- und Blechblasinstrnmcnte), um die Verheißung Christi: „Ru es 8imou, ülius -Iona, tu vooaberis ketrus" in pompösester Weise mit Hilfe modernster Modulation umkleiden und heben zu lassen. Mit einem vtaktigen Nachspiel ist die monodische Abteilung abgeschlossen. Der ge- ?. Hartmanns Oratorium „St. Petrus". 5 schichtliche Abschnitt des I. Teiles ist vorüber; die dort auftretenden Personen gehören alle der triumphierenden Kirche an; die nun folgenden Chöre sind Dank- und Lobgesänge der streitenden Gemeinschaft an Christus für die Gründung der Kirche. Der Komponist wählte den Text des 106. Psalmcs (V. 31—33, 35, 36): „Ooulltoautur Domino misoriooräias LIUS, 6t mira- dilia ejus Lliis Immiuum". — „Dt 6xalt6ut 6um in Loolosia xlsllis: 6t in oatdsära sanioruin lauäout sum!" — „Losuit üninina in äosortum 6t 6xitns aguarum in sitim." — „'Dmram lruotiloram in sulsu^inem a malitia inllalntuntinm in 6a!" — „Losnit äosortnin in staßua ac^ua- ruin, 6t torrain sin6 agua in 6xitus aguarum." — „Dt oollooavit illio 68nri6nt68, 6t oonstituorunt oivitatsm lladitatiouis". Die künstlerische Gestaltung liegt hier schon in der Anreihung des Stoffes: Gott soll gepriesen werden für seine Güte, da er durch die Be¬ rufung Petri eine feste, heilbringende Kirchengemcinschast gegründet, dadurch alles vorher Gewesene umgcschaffen und für eine neue geistige und materielle Kultur frischen Boden gegeben hat. Die Chöre werden durch ein 7taktiges Vorspiel, das zuerst die Streicher beginnen, daun die Holzbläser vervoll¬ ständigen, eingeleitet. Vor dem Einsatz des einstimmigen Vokal¬ chores jubeln die Flöten in die Höhe und symbolisieren dadurch ungezwungen und leicht faßlich die gehobene Seelenstimmung, die den Chor durchweht oder beseelen soll, ja sie bringen dieselbe voraus. Nun setzt der Chor maestoso ein; es ist ein 1 der Sänger mit einem tk der Orgel, welch letztere aber schon im dritten Takte von den uni¬ sono aufwärts stürmenden Streichinstrumenten abgelöst wird. Das ist überaus glücklich empfunden und trefflich charakterisiert: kein Mißton in der Harmonie der Empfindung unter den Christen und Einstimmigkeit der¬ selben, wenn es gilt, den Herrn zu lobpreisen. Nun geht die Steigerung ihren Weg ungehemmt fort: nach dem ersten Absatz des Vokalchores treten die Holz- und Blechbläser in den Reigen, um bald wieder der Orgel den Vortritt zu lassen, welche dann die Begleitung wieder den Streichern über¬ läßt, die sich ihrerseits mit den Tromben und Trombonen verbinden und, dynamisch fortwährend wachsend, im Vereine mit den Pauken den ^-Einsatz des zweiten Psalmverses vorbereiten. Der Vers: „Lr oxaltsut" ist vierstimmig (gemischt) zunächst nur von kurzen Begleitungskörnern aufgcputzt, um vom achten Takte an unter stetem Wechsel der verschieden klang farbig en Instrumente, dynamisch zwischen ml und tl wogend und vom vollen Orchester getragen, indem Bässe und Pauken schließlich in ihrer tiefsten Tiefe erdröhnen, die Violinen die höchsten Höhen., erklimmen, zum Schluffe geführt zu werden. Der Allabreve-Takt weicht nun dem wiegenden °/<-Takte; in einem sanften Aüäkmtino, nur von den Streichern begleitet, folgt nun der dritte, hier verwendete Vers des 106. Psalmes: „Losuit Lumina", von vier Frauenstimmen gesungen. 6 Josef Mantuani. Beim folgenden Verse: ,,?osuit closertnin", ebenfalls für bier Frauenstimmen gesetzt, läßt der Komponist seiner Klangfarbenfrcndc vollen Lauf, indem er in der Begleitung Hörner, dann Fagotte mit den Hörnern, Trombonen und Tromben, Tuben, Oboen, Harfe nach einander in verschiedenen Kombinationen eintreten läßt, bis am Schlüsse wieder Streicher die Harmonie übernehmen, die Harfe und die Oboe aber mit gebrochenen Schlußakkorden zu dem sich nun anschließenden Zwischenspiel überleiten. Es folgt der letzte Absatz des Frauenchores „?osuit itumiuo in llssertum 6t exitns Lhunruin in sitim" seine Wiederholung des ersten Ab¬ satzes). Harmonisch ist er genau so gestaltet wie dort an erster Stelle, aber die Begleitung ist anders. Sie wird von der Harfe geführt und von den Violinen vervollständigt; zuletzt tritt noch das Horn diskret hinzu: mit ? beginnend und bis znm mt' gesteigert, schließt dann der Chor mit einem verhauchenden pxx>. Das Staktige Nachspiel inauguriert wieder die Harfe mit einem Lauf, den sie mit immer höher drängenden Triolen fort¬ setzt, während die Streicher liegende Akkorde bringen, durch welche, sanft verhallend, ein Harfenlauf durchklingt nud in einem?? verweht. Ein symphonisches Zwischenspiel, mit dem einfachsten Satz anhcbcnd und sich zu einem immer komplizierteren Gewebe verdichtend, bildet den Übergang zum Schluß chor und Fuge. Der Schluß chor vor der Fuge besteht aus der unveräudertcu Reprise der Verse: „Oonlitsnntur" (unisono) und ,, dir oxnltsnt" (4stiuimig, gem. Chor). Noch während im Sopran, Tenor und Baß der letzte Akkord des Verses: „lill oxnlwnt" verklingt, bringt der Alt das frisch und frei erfundene Thema der 57taktigen Fuge auf die Worte: „Lonkienntur Domino missriooräins eins." Dieses Thema wird nach je 3 weiteren Takten zuerst vom Sopran, daun vom Baß und endlich vom Tenor ausgenommen. Gleichen Schritt mit dem Ausbau der Fuge in den Gcsangstimmen hält auch die Be¬ gleitung: sie beginnt mit den Streichinstrumenten, dann gesellen sich die Klarinette dazu, diesen folgen Oboen, Hörner, Trombonen, Tuben, Tromben und Pauken; das harmonische Gewebe verdichtet sich, das Toumaterial der Be¬ gleitung gewinnt alle Lagen von der Tiefe zur Höhe; im stürmenden Allegro- tempo braust das Lob Gottes dahin und das Fugenthema sticht bald oben, bald nuten, bald im Vokalchor, bald in der Instrumentalbegleitung, wie der weiße Kopf einer überkippenden Welle auf wogender See, klar und deutlich hervor (Engführuug), um sich im nächsten Moment mit den mächtigen Akkorden zu amalgamieren. Zum Schluß ist alles iu Tätigkeit: der erste Teil schließt auf der Tonika des Fugenthemas unisono, K) unter dem Klange der Blechinstrumente und unter dem tiefsten Pauken¬ wirbel. ?. Hartmanns Oratorium „St. Petrus". 7 Im zweiten Teile wird die Auserwählung Petri behandelt. Ter wunderbare Fischzug überzeugt Petrus, daß Christus der Sohn Gottes, er dagegen ein sündiger, der Gemeinschaft Christi nicht würdiger Mensch sei. Aber der Herr beruft ihn zu einem hohen Amte: „Von nun an wirst du Menschen fischen." Damit ist seine Berufung an die Spitze der anderen Jünger ausgesprochen. Daher wird es zunächst verständlich, daß zuerst Petrus und, seinem Beispiele folgend, auch die anderen Jünger Christi alles ließen, um frei dem Herrn zu folgen. Petrus tritt seit diesem Augenblick an die Spitze der erlesenen Schar, die bestimmt Ivar, „das Angesicht der Erde zu erneuern". Der Komponist sagt uns dieses mit den kurzen und kernigen Worten des Introitus an Festen der Bekenner, die zugleich Bischöfe sind: „Ktatult"; der Herr schloß mit ihm einen Bund des Friedens und machte ihn zum Oberhaupte, damit ihm die Priesterwürde ewiglich verbleibe. (Nach Eccle- siastikns 45, 8, uw von Aarons Priesterschaft die Rede ist.) Der Berufung im ersten Teile folgt hier die Schilderung der Er- w ä h l n u g. Musikalisch versetzt uns der Komponist mit einem wiegenden Barka- rolen-Thema an das Ufer des Sees Genezareth und führt uns das melodische Plätschern der spielenden Wellen tonmalerisch, vor. Das Thema bringen xx die Celli; die Klarinette bringen eine über den Figuren der kräuselnden Wogen sich wiegende und die Harmonie füllende Melodie. Dann treten noch Fagotte, Violen und Hörner hinzu: wir hören die Fluten steigen und sich wieder glätten. Die Storil erzählt nun die im Evangelium (Luk. 5, 14) geschilderte Begebenheit. Das Rezitativ wird nur durch einige Akkorde nuanciert, die Zwischenspiele nehmen immer wieder das Barkarolenmotiv auf, während die dazugehörige Harmonie abwechselnd in den Fagotten, Klarinetten, Flöten und Oboen liegt und in verschiedenen Kombinationen gebracht wird. Der Befehl Christi, auf hohe See hinauszufahren, wird wieder durch die Orgel eingeleitet (2. Manual) und auch die Begleitung des Rezitativs und seiner überaus einfachen und anspruchslosen Melodie liegt hier in der Orgel. Doch schon das Rezitativ der Erzählung (Ktorla) sowie die Worte Petri werden vom Orchester begleitet. Tonmalerisch glücklich ist das Empor¬ heben der Netze zum Wurf, das Versenken derselben in die Tiefe, das Plätschern des Wassers, das Strudelrauschen in der Tiefe und das klingende Anfglucksen der Luftblasen aus dem Wirbel (Harfe), endlich das Durcheinandcrwirren der großen Menge gefangener Fische und das gleich¬ zeitige" Emporziehen der vollen Netze (volle Akkorde!) geschildert. Im Schlnßtaktc dieser Erzählung wird nochmals das Barkarolcnmotiv ausge¬ nommen, worauf die Kioi-is ihren Bericht fortsetzt. Aber die Melodie ihres jetzigen Rezitativs ist, um das Wunderbare anzudeuteu, chromatisch, 8 Josef Mantuam. dynamisch und agogisch ausgestattet, die Begleitung ist unruhig, über¬ raschend; der Umfang der Rczitativmelodie, besonders in der Partie Petri, umfaßt eine None, während sich die Rezitativc Christi innerhalb einer Quinte oder höchstens einer kleinen Sexte bewegen, nm das Gemessene und Kernige von dessen Rede anzudeuten. Besonders wirkungsvoll gestaltet ist der Gegensatz in den Worten der Ktorio. und in der Sprache Christi; die ersteren sind in Melodie und Begleitung chromatisch und bewegt, der Gang der letzteren ruhig dahin- flicßend, fast stufenweise gebant; die Begleitung hat die Orgel in ruhigem Satz auf einem Orgelpuukt und ist ausdrücklich das zweite Manuale, für den Schluß das dritte vorgeschrieben. Die Worte der Ktorig., in denen sie erzählt, daß die Jünger alles ließen und Christo folgten, sind wieder lebhafter vertont, die Begleitung (Streicher) ist komplizierter; die Dynamik wird vom mt' zum tl' ge¬ steigert, um zum Schluß in ein Nachspiel, das ts auhebt und endet, überzugehen. Den Beschluß des eben besprochenen zweiten Teiles bildet, analog wie im ersten, der Chor. Ein I3taktiges instrumentales Vorspiel (beginnend mit Holzbläsern und Hörnern, später kombiniert mit Streichern und Tromben) leitet den kanonisch gebauten Chor ein. Dieser zerfällt in zwei, formell verschiedene Teile. Der erste, längere Hanptteil ist ein auSgebautcr Kanon. Die imitierende Stimme setzt erst 12 Takte nach der führenden ein, wenn diese schon die ganze Melodie fertig gesungen hat. Der Komponist führt auch bei der ersten Wieder¬ holung die Melodie in derselben Stimme bis auf die letzten 4 Takte sehr streng, weicht aber da ab, um harmonisch wirksam zu bleiben. Die Begleitung nehmen zuerst die Violinen auf, daun gesellen sich Flöten, Tromben, Oboen, Hörner und Fagotte hinzu. Der zweite, kürzere Teil ist ein homophoner, vierstimmiger Chor, thematisch au den Kanon anklingend, ohne Begleitung; mir die Zwischen¬ takte sind den Holzbläsern überantwortet. Die Schlußreprisc ist wieder thematisch gestaltet; diesmal klingt das Thema an die Choralmelodie des Introitus „Ktatuit" an. Dieser Schluß setzt gleich ts unter Orchcstcr- begleitung ein und klingt, im Tempo stetig und sehr merklich abnehmend (vom „Andante" 69, kommt cs bald darauf mit einem „molto pid lento" auf 54 und fünf Takte weiter ans 50 herab), breit und feierlich, ohne Begleitung, vom k auf px herabsinkend, aus. Den letzten Akkord nehmen die Streicher nochmals auf, um ihn ebenfalls in einem xx zu verstreichen. Der dritte Teil enthält das Bekenntnis Petri und die Ver¬ heißung Christi. Zu Cäsaren Philippi fragt Christus seiue Jünger, für wen die Leute ihn hielten. Nachdem sie ihm dieses berichtet, fragt Christus sie selbst ?. Hartmanns Oratorium „St. Petrus". 9 darum. Da erwidert im Namen aller Simon Petrns und bekennt: „Du bist Christus, Sohu des lebendigen Gottes." Daraufhin folgt die inhalts¬ schwere und für die Kirche so trostreiche Verheißung: da ihm Fleisch nnd Blut diese Erkeuutuis nicht geben konnten, hat er diese Offenbarung nur von se.iuem Vater im Himmel erhalten können. Und da er von oben er¬ leuchtet ist, soll er sein Werk, seine Kirche leiten. „Du bist Petrns (der Fels), und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen nnd die Pforten der Hölle werden sic nicht überwältigen. — Dir werde ich die Himmelsschlüsscl übergeben; was Du auf Erden binden wirst, soll im Himmel gebunden sein, was Du ans Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein." Diese Verheißung Christi wird nur noch durch die Worte der Kirche: „Nu es ?6trus, pastor ovium, piinoeps upostolorum. liki tracliäit Deus omnin reZuu muucli" vervollständigt, um das ZN berühren nnd anzudenten, was schließlich durch die Berufung, Erwählung und Verheißung erreicht wurde im Christentum: dessen Einzug in alle Teile der Welt. Eine Jnstrnmentalcinleitnng von den Holzbläsern und Streichern l-p begonnen, am Schluffe unter der Teilnahme des ganzen Orchesters zum t't'k gesteigert und rasch wieder zum xx zurücksiukend, führt in den dritten Teil ein. Die 8toria erzählt, wie Christus in das Gebiet von Cäsarea Philippi kam und dort an seine Jünger die Frage richtete, für wen ihn die Leute hielten. Dieses Rezitativ ist nur von einigen Akkorden der Streicher schattiert (analog der Cembalobegleituug der Alten). Die Worte Christi leitet die Orgel ein und bleibt auch deren Begleiterin. Nachdem die Ktoria durch die Worte: „Vt illi äixorunt" die Antwort der Jünger aubahnt, folgt der Wortlaut dieser Erwiderung als vierstimmiger Männer- chor (allsZro animato), polyphon verwoben, die Begleitung unter vor¬ wiegender Anwendung von Blasinstrumenten. Die Ktoria spricht „vioit illis .Issus" — worauf die Orgel wieder die Worte Christi: „Vos nutsin, gusm ms 688S llioitis?" cinlcitet nnd begleitet. Das folgende Rezitativ der 8torin: „Rssponäsus stiinon kstrus äixit" wird schon, um auf die Wucht der Bckcnutuiswortc vorzubereiteu, von Streichern nnd Holzbläsern begleitet. Das Bekenntnis Petri selbst: „In ss Oliristus, Mus Osi vivl" ist nun ein Markstein der Komposition. Wie Fanfaren wirken schon die sich zweimal wiederholenden Quarten des Rezitativs und der Oklavcnfall wirkt entschieden nnd dezidiert, ein Ausdruck innerster Überzeugung. In der Begleitung sind die Massen und ist die ganze Kraft des Orchesters entfesselt: Hörner nnd Tromben unisono bereiten vor, Fagotte, Celli, Bässe stimmen ein, Holzbläser und die übrigen Streicher treten dazu nnd in voller Harmonie wirbelt und 10 Josef Mantuam. rauscht, fortwährend dynamisch gesteigert, von den dumpfen Tiefen bis zu den schnittigen Höhen stürmend, die Orchcsterbegleitung und umwogt das dreimal wiederholte und jedesmal nm eine Stufe höher angestimmle Be¬ kenntnis Petri: „Vu SS di-istus, ülius Osi vlvi" — als ob es den Zu¬ hörern eindringlichst wiederholt und eiugeprägt werden sollte. Noch einige wuchtige Takte des Nachspiels, dann folgt die Verheißung. Erst die Ein¬ leitung der Stori», dann ein kurzes Jnstrumcntalsätzchen, das sogleich von der Orgel abgelöst wird, nm die Worte Christi einzuleitcn und zu begleiten. Die Rede Christi: „Lsstus es Limon, 8sr-,IoiiL; Huiü osro st KNNKuis non rsvslnvit tidi ssä pntsr msus, gui in ooslis sst. Lt s^o clisv tibi" ist durchwegs von der Orgel begleitet. Die Bedeutung derselben aber ist künstlerisch dadurch charakterisiert, daß ihnen der Komponist den Tonumfang einer None zugesteht, nm die gehobene Seclenstimmung zu markieren. Vor den Worten ,,Vn ss Lstrus" entsteht eine sehr lange Panse; der Zu¬ hörer horcht gespannt auf das Kommende: da ertönt mysteriös im das gregorianische Choralmotiv aus dem Offertorium der Messe zur Stuhl- fcier Petri: „Vu es Petrus" ohne jede Begleitung. Das Motiv übernimmt sogleich ein gemischter Chor (Melodie im Sopran) und wiederholt es — ebenfalls ohne Begleitung. lind während der letzte Akkord des Chores noch forttönt, intoniert Christus, diesnial ml unter Orgelbeglcitnng um einen Ton höher, noch¬ mals dasselbe; und der Chor repetiert es, begleitet vom Orchester; zum drittenmale wiederholt Christus seine Worte, abermals nm eine Stufe höher unter Orgclbcglcituug und zum drittenmale bringt sie der Chor wie ein vielfaches Echo, welches sic seither in der Christenheit gehabt haben. Und nun fährt Christus in seiner Verheißung, deren einzelne Teile vom Chore nachgesnngen werden, fort, so daß wir musikalisch ein Baritonsolo mit Chor von guter Arbeit hören. Nachdem Christus die Worte: „Li portns int'sri mm prasvalelmst, aävsrsus SÄM" wiederholt hat, bringt sie ein scchsstimmiger Chor (2 Soprane, Alt, Tenor, 2 Bässe) abermals, durch die Massen des Ton¬ materiales die christliche Überzeugung ungezählter Scharen wicdcrspiegelnd. Erst homophon, dann polyphon verwoben, wogt die Verheißung Christi, nur von der lebendigen menschlichen Stimme gesungen, ohne Begleitung der Instrumente, als beseligender Ausdruck des Glaubens und Vertrauens, daß die finstere Macht niemals dieser Gründung etwas wird anhabcn können. Nach diesem Chore folgen jene Worte Christi, mit denen er dem hl. Petrus die Gewalt zu binden und zu lösen überträgt; diese läßt der Komponist den Heiland zusammenhängend sprechen. Sie werden von der Orgel begleitet, nur bei Abschlüssen treten noch Tromben und Trombonen hinzu. Wunderbar tonmalerisch ist der Schluß „in ooslis", wobei die Streicher (xp) die Orgel ablösen und dann von der Tiefe nach der Höhe ?. Hartmanns Oratorium „St. Petrus". 11 zu nacheinander aussetzcn, während die Harfen mit ihren aufwärts stre¬ benden Triolen das Gemüt des Zuhörers im pxx zum Himmel hin diri¬ gieren und heben. Den Beschluß bildet ein Chor mit Fuge. Zuerst ertönt ein homophoner Satz, vierstimmig (unäuuia maLsioso) unter Begleitung der Streicher, Holzbläser, Hörner und der Orgel. Nach dessen Schluß bringen die Bässe als Fngenthema den Choral: „Pu es Petrus." Dieses wird erst vom Tenor, dann vom Alt nnd endlich vom Sopran ausgenommen und fortgesponueu. Das Tongcwebe verdichtet sich rasch und wächst dynamisch gewaltig an; bald stürmt der Gesang in kleinen Notcnwerten lebhaft vorwärts, bald rauscht der Tonstrom breit nnd massig, nachdrücklich nnd feierlich dahin; es ist uns, als ob bald solche Gruppen sprächen, die viel zu sagen haben und nicht rasch genug fertig werden können, bald wieder solche, die uns jedes Wort und jede Silbe einprägen wollen. Der ganze Text der 87 Takte laugen Fuge besteht aus den Worten: „Pu es Petrus. L-llsluiu"! -r- -i- Dieses ist die Anlage des Oratoriums. Schon bei einzelnen Ab¬ schnitten habe ich hingewicsen, wie der Komponist dem Textgestalter ent- gegcnkommt, d. h. welche künstlerischen Mittel er sich aus dem Reiche der Töne holt, um die Textmosaik zu einem künstlerischen Ganzen zu formen. Und dabei ist es nicht unwichtig, daß der Komponist selbst die Textesstellen gewählt nnd daun mit Hilfe der Musik vereinigt hat. Diese Textansschnitte sind für den Christen, und für den Katholiken insbesondere, an und für sich eine „rss suuois tEtuiulu", weil sic der heiligen Schrift entstammen; aber weiter verpflichten und regen sie noch zu nichts an. So aneinandergereiht aber erhalten sie einen logischen Zusammenhang und dieser wieder gewinnt durch die Macht des musikalischen Ausdrucks den Charakter eines untrennbaren Ganzen ausgeprägt. Durch diese Mo¬ mente wird das Oratorium nicht nur für den Christen und speziell fin¬ den Katholiken, sondern sür jeden Gebildeten überhaupt ein nach einem wohldurchdachten geistigen Plaue angelegtes nnd mit verwendbaren tech¬ nischen Mitteln ausgearbeitetcs Kunstwerk. Das sei für jene Kreise vorausgeschickt, welche den Franziskaner- mönch und dessen Schaffen um jeden Preis abgelchnt wissen möchten. Hier haben wir eben nicht nach dem Nationale, nach dem Charakter und nach der Beschäftigung des Autors zu fragen, sondern müssen seinem Werke vorurteilslos eutgegentrcten. Die Behauptung, daß nur ein Kunst¬ werk vor uns haben, wird, so glaube ich annehmcn zu dürfen, im allge¬ meinen unwidersprochen bleiben. Es kann sich demnach nur noch um den Grad der darin entwickelten Kunst handeln. Dieser hauptsächlich ist es, der auch weniger günstige Urteile — äußerlich wenigstens — rechtfertigen zu können scheint; und 12 Josef Mantuani. darüber müssen mir uns verständigen, nm U. Hartmanns Mnse recht zu würdigen. Das Kunstwerk wird seinem geistigen Wesen nach vom Zwecke, dem cs dienen soll, bestimmt und modifiziert — denn sonst erfüllt es ja seinen Zweck nicht. lind eine Zweckknnst hat es immer gegeben, gibt es heute und wird es immer geben. Nach der größeren oder geringeren Zweck¬ mäßigkeit richtet sich dessen Wert. Das Ziel nun, das sich ?. Hartmann steckt, der Zweck, den er erreichen will, ist ein religiöser und in zweiter Linie erst ein ästhetischer oder, wenn man will, ein hcdonischer. Der Komponist will religiöse Ge¬ fühle wecken, will ans seine Art und mit seinen Mitteln in die Be¬ trachtung von heiligen Dingen cinführcn und darin leiten. Er tritt hier, — freilich mit den Schritten seiner subjektiven Eigenart, — in die Spuren der klassischen Vertreter des Oratoriums von Animuccia und Cavalieri bis Bach und Händel. Diese alle schrieben ihre Oratorien zunächst zu religiösen Zwecken, in zweiter Linie — und darin unterscheiden sie sich ganz gewaltig untereinander — zu ästhetischem Genuß. Allerdings ist bei den Großmeistern des Oratoriums vieles mit unterlaufen, wie persönliches Streben, Rücksichten auf den Künstlerruf und die materielle Existenz, Kon¬ zessionen an den Zeitgeschmack u. a., was alles beim Fertigstellen der Werke laut mitsprach. Es muß hier betont werden, daß dieselben sehr konzertmäßig empfanden und ihre Werke daher eher ansprechen als die rein meditativen Kompositionen Hartmanns. Rein religiös und dem Wesen des Oratoriums, der Kontemplation, streng Rechnung tragend, sind die Werke Hartmanns für den Konzertsaal eigentlich nicht geeignet und er selbst denkt sich dieselben für die Kirche komponiert. Und für kirchliche Zwecke, für anßerliturgische Kon¬ templation sind sie reich genug; denn sonst könnten sie ihren Haupt¬ zweck, die Meditation, verfehlen. Darin ist k. Hartmann freilich der anspruchslose Ordensmann und verlangt von seinen Zuhörern ebenso gestimmte Gemüter, wie er selbst es besitzt, wenn er komponiert. Einfach, anspruchslos, frei von Grübelei und Sophistik, ohne wcitausschanende Gedanken in Text und Ton Vorspiegeln zu »vollen, so steht er vor uns mit seinem Werke und will es vom Zu¬ hörer so rezipiert wissen. Und nur dann hat dieser auch einen Genuß davon, wenn er es unter diesen Voraussetzungen anfnimmt. Die künstlerischen Mittel, mit denen Hartmann sein Ziel zu er¬ reichen sucht, sind zwar keine außerordentlichen, aber durchwegs individuell verwendet. Monodie und Chorgesang wechseln, ökonomisch verteilt, unter¬ einander ab; homophoner und polyphoner Ban des Satzes sind vertreten, thcmatischeundimpromptnistischeJnstrnmentalsätze,endlichJndividnalisierung der Klangfarben und Charakteristik der Nezitative und Chöre nach den Stimmen. In seinen Mitteln ist u. Hartmann modern, sowohl bezüglich ?. Hartmanns Oratorium „St. Petrus". 13 der sogenannten strengen Schnlregeln im harmonischen Satze als auch in seiner Stimmführung und im Prinzipc der Melodiebildung. Und nun entsteht die verfängliche Frage, ob das alles auch der Höhe heutiger An¬ forderungen Genüge leisten und befriedigen kann. Es sei mir gestattet, auf diese Frage zunächst mit ?. Hartmanns eigenem Bekenntnis zu antworten. In einer eingehenden Besprechung seiner Kunst und nach Durchsicht mehrerer kleinerer Arbeiten sprach er: „Ich strebe nichts an; ich will nur erbauen, sonst nichts. Was ich für diesen Zweck für zuträglich erachte, das habe ich angewendet und gegeben; mehr will ich nicht und würde es mich nicht erreichen." Das heißt also: für den erbaulichen Zweck ist alles, was zu verwenden ist, geboten worden; glänzender und freier darf ich nicht werden, ohne meinen Hauptzweck zu schädigen. Dieses Bekenntnis unterstützeil die Werke unseres Komponisten durchwegs. Mit moderner Technik und zeitgemäßen Stimmungen wirt¬ schaftet er zurückhaltend, arbeitet ehrlich und will nicht besser, größer, moderner und anziehender scheinen als er es ist und sein will. Und in dieser Hinsicht steht er auf seinem Standpunkte wirklich auf der Höhe. Nur muß man ihn nicht mit kleinlichen (Sechter)chikanen verfolgen, mau darf nicht ängstlich nach Qnintcnparallelen, Terzen und Oktaven fahnden, man soll harmonische Anakoluthe und modulatorische Synekdochen nicht als schülerhaftellnbehilflichkeiten,sondern als bewußt angewendcte Mittel ansehen, — und man wird an diesen Arbeiten mehr ungetrübten Genuß haben. Um eine Parallelle in einem naheliegenden Beispiele zu ziehen: ist Annette v. Droste-Hülshoff deswegen weniger Dichterin, iveil sie sich nach ihrem eigenen Aussprnch in der Interpunktion absolut nicht zurecht findet? Sicher nicht. Und ist — nm mich mutatis mutauckis selber zu wieder¬ holen — Fra Angelico weniger Künstler, weil er es verschmäht, das Überirdische durch Gegensätze in ein wirksames Licht zu stellen, iveil er -seine Seelenstimmnugcn wohl dem Gesichtsausdrncke seiner Gestalten in unendlich feiner Abstufung einzuzanbern weiß, dagegen der Bewegung der menschlichen Gestalt rührend befangen gegeniiberstcht? Wen Fra Angelico, so Ivie er sich gibt, anwidert, der steht der Kunst und deren Wirkung über¬ haupt ferne nnd trägt — wenn man einen unterstrichenen Ausdruck brauchen will — seinen Seelcnbarbarismus offen znr Schau. Vielleicht wird es scheinen, daß ich des Guten zu viel tue, wenn ich den komponierenden Franziskaner mit dem malenden Dominikaner, zwei künst¬ lerisch schaffende Männer also, zwischen denen eine Zcitdiffcrenz voll einem halben Jahrtausend liegt, hier in eine Parallele zusammenzuzwingen wage. Und doch scheinen sie mir in ihrem Gemüte, ihrer Kunstauffassnng nnd in ihrer Kunstsprache so viel Gemeinsames zn haben, daß nach meinem Ge¬ fühle dies Wagnis kein salto mortale ist. Innerlich bieder und herzens- fromm find beide, von Irdischem abgewendct; Finsteres, Düsteres, Leiden¬ schaftliches und alles Nachtschattige ist ihrer Kunst fremd; der liebliche 14 Josef Mantuani, p. Hartmanns Oratorium „St. Petrus". Charakter in Augelicos Köpfen kommt in den aufwaudlosen Melodien Hartmanns zum Vorschein, die Hellen freundlichen Farben Fra Giovannis lachen uns aus der Instrumentation Hartmanns entgegen, die maßvoll, aber entschieden dramatische Komposition des Dominikaners von San Marco finden wir in den Tutti-Chorstellen des Franziskaners von Araceli wieder; einer wie der andere will erbauen: und dieser Standpunkt bleibt immer unverändert. Auch wenn die Künstler durch Jahrhunderte getrennt sind, hier können und müssen sie sich treffen: dieses Ziel bleibt stetig und uuverrüekt, wie der unerschöpfliche Born, ans dem sie beide schöpfen: die heilige Schrift, die Legende und die Liturgie der katholischen Kirche. Eine andere Frage ist jedoch die, ob nach solchen Werken heutzutage noch ein Bedürfnis vorhanden ist, in unserer hastenden, materiellen Zeit, die an alles eher denkt als au die seelische Erbauung? Es mag recht paradox klingen, wenn ich behaupte: ja doch! lind wenn schon nicht vom religiösen Standpunkte — (mau darf ja beispielsweise einem Nicht- christcn, dessen ganzes Wesen im Streben nach Erwerb aufgeht, nicht zu- mnteu, daß er in ein Konzert gehen werde, nm dort frommen Andachts- Übungen zu obliegen) — so doch ans rein künstlerischen und seelendiäteti- schcn Gründen. Es wird in nuferer Zeit viel konzertiert und man erhält die ganze Saison hindurch wahrlich der überwürzten Musikgerichtc genug kredenzt; mau wird mit Nektar und Ambrosia berauscht, mit Kaviar, schlitzrigen Austern und Mixed Pickles überfüttert und durch die hinterher der Kritik entquellenden Parteisumpfgase betäubt. Durch einen herben Zitronensaft allermoderusten Disfouauzeugelärmes muß mau daun Halbwegs wieder zur Besinnung gebracht werden. In solchen Zeiten tut ein Stück¬ chen Hausbrot sehr gute Dienste, schützt vor Ernüchterung und Blasiertheit und macht den Zuhörer ausuahmssähiger und — toleranter, selbst gegen solche, die uns Kaviar und Nektar kredenzen. Je weiter das Herz auch den Intentionen des Tondichters folgt, umso tiefer und genußreicher ist die Wirkung des Werkes auf ein christlich fühlendes Gemüt auch solcher Zuhörer, die nur aä Kv« Christen werden. Wenn uns die Aufführungen des „Petrus" am 10. und 22. März l. I. im großen Musikvereinssaale vereinigen werden — nnd was wäre für Katholiken und speziell für die Leo-Gesellschaft angemessener und ein¬ ladender, als die Aufführung eines Werkes, das die Verherrlichung der Kirche in ihrem Obcrhaupte anstrebt — dann wünsche ich jedem Zuhörer wenigstens soviel Erbaunugslust, daß er das Werk ganz genießen nnd sich an seinen Schönheiten ästhetisch erfreuen kann. Aber auch für jeden kultur- sreundlichcu Andersgläubigen ist es zumindest interessant zu hören, wie sein katholischer Nachbar der Glorie seiner Kirche und dem auf vielhundcrt- jährigen Kultnrtätigkeit basierenden Ruhm von deren Oberhaupte, poetisch und musikalisch, wenn auch in reservierter Form, Ausdruck und