W", *>£;. in Süd-Amerika und dessen' dcutstljcn Colonicn Vl'l! Friedrich Gcrstäckcr. Die Ilcl'cvsctzmui dicj,,^ Ä^^vt« »u irciudc sprachen wlrb votbebaltw. Erster Vaud. H c v in a n n L o st enob 1 c. 1,863. Für den Buchbinder. Es ist die Einrichtung getroffen worden, daß jeder Band, wenn es wünschenswerth erscheint, durch zwei Titel nochmals getheilt, das ganze Werk somit in <» Theile gebunden werden kann. Die Verlagshandlung. Beschmutzte, oben oder an den Seiten auslieschnittene Exemplare, oder lolche, au denen die Heftbiindcr verletzt sind, werden durchaus nicht zurückgenommen. Tie Verlallshandlung. Achtzehn Monate in S ü d - A m e r i t a. AcktZckn Monate in Süd-Amerika und dessen deutschen Colonien von Friedrich Gerstäcker. Erster Band. (Erster Theil.) Hermann Costenoble. 1863. Die Uebersehung dieses Wertes m fremde Sprachen wird vorbehalten. InkalisverLeictmiää äes er«ten Mnäes: Seite Elftes Kapitel. Ausfahrt............... 7 Zweites Kapitel. Am Pllilon ..............46 Dritte.« Capitel. In der Wildmß.............99 Viertes Kapitel. Neun Tage im Walde von Ecuador ...... 118 Fünftes Kapitel. Die Kittiwale.............151 Sechstes Kapitel. Vom Meer zum Fels...........16? Siebentes Kapitel. Quito................221 Achtes Kapitel. Vom Fels zum Meer........... 250 VI Seite Neuntes Kapitel. Guajaquil.............. . 289 Zehntes Kapitel. Jagd in Ecuador............913 Elftes Kapitel. Ecuador und feine Prvducte.........330 Zwölftes Kapitel. Stillleben auf See............356 Jeru. Erstes Kapitel. llallao und Lima..............370 Zweites Kapitel. Cm Ritt in's Innere..........416 1. Ausfahrt. Wiederum sitze ich daheim in der alten Stnbe, am alten Tisch, die nämliche Feder in der Hand, die ich vor anderthalb Jahren unabgewischt auf das Schreibzeug legte. — Die Feder blieb — der Tisch, die Stube blieb, und was geschah nicht Alles in der kurzen Spanne Zeit! Denk ich dann jetzt, wie ich die wildzerstreuten Bilder zu einem Ganzen zusammenfassen will, zurück, so schwirrt ein tolles Chaos von dunklen Wäldern, bäumenden Wogen, von Sümpfen, Abgründen, Schnee? kuppen und Palmenhainen nur durch Herz und Hirn. — Es ist ein wunderbares Ding um die Erinnerung, und wohl dem Menschen, dem sie nur freundliche Bilder wiedcrspiegelt. Die Erinnerung bleibt auch treu und under-kümmert, aber die Stimmung des Menschen än- 8 dert sich, und kann dann ihre Schatten selbst über fröhliche, mit leichtem Herzen verlebte Stunden werfen, und sie entstellen. — Das aber darf nicht sein. Wie wir einer Gesellschaft das, was uns vielleicht gerade verstimmt hat, nicht sollen merken lassen, eben der Gesellschaft wegen, so darf auch der Leser darauf Anspruch machen, nicht mit der Stimmung eines Autors behelligt zu werden. Was kümmert ihn überdies der Autor, denn er hat es nur mit der ihm vorgeführten Sache zu thun. So will ich denn auch hier, dem getreu, nur die meist an Ort und Stelle unter den frischen Eindrücken geschriebenen Skizzen zusammenstellen, und der Leser darf sich außerdem gratuliren, daß er mich nur im Geist zu begleiten braucht — er käme sonst vielleicht manchmal nicht mit den größten Wasserstiefeln durch. Am 8. Mai 186(1 verließ ich zum dritten Male die Heimath, dem amerikanischen Continent einen längeren Besuch abzustatten; diesmal aber mit einem viel bestimmteren Ziel als früher, denn der Zweck meiner jetzigen Reise galt vorzüglich den in Süd-Amerika zerstreuten deutschen Colo-nieen und Landsleuten, die aufzusuchen ich mir vorgenommen. Wir werden fpäter finden, daß 9 ^ die Sache hie und da mit einigen Schwierigkeiten verknüpft gewesen. Am 17. Mai schiffte ich mich in Southampton mit dem prachtvollen Englischen Dampfer La Plata ein; in der Mündung des Flusses passirten wir den noch nicht ganz seefertigen Koloß den Great Eastern, der wie eine schlafende Kaserne auf der Fluth lag, und neben dem selbst unfer Dampfer von 2600 Tons wie ein Boot aussah. Es war das erste Mal, daß ich mit einem Seedampfer fuhr, aber ich müßte lügen, wenn ich sagen wollte, dah mir die Fahrt gefallen hätte. Rafch geht es, das ist wahr, und Wind oder Windstille kümmern den keuchenden Koloß nicht, der gegen Wind und Strömung starr und eisern seine Vahn verfolgt; aber es ist eben keine Seefahrt, die man macht. Man lebt wie in einem großen Hotel, von nner Unzahl von Kellnern umgeben, und nimmt auch nicht das geringste Interesse an dem Meere selber. Ich bin überzeugt, daß Hunderte von Passagieren eine solche Neise machen und, wenn sie an dem Ort ihrer Bestimmung landen, noch nicht einmal den Salz-geschmaä des Meeres gespürt haben. Aber Zeit ist Geld — wenigstens bei unserer Race, denn der spanische Amerikaner kennt 10 kein solches Sprüchwort — und deßhalb füllen sich auch die Dampfer, deßhalb drängt Alles dem rauchenden Koloß zu, die „Ueberfahrt" — denn eine Neise nennt man es gar nicht mehr — so rasch als irgend möglich abzumachen. So stiegen wir denn einmal zusammen in's Weite, und da Zeit Geld ist, wollen wir uns auch nicht lange mit der „Ueberfahrt" aufhalten. Nur wenige Worte genügen, einen Tag zu schildern, und dreizehn solche bilden eine Reise nach Westindien. Morgens bekommt man den Kaffee schon an's Bett gebracht, steht dann auf, uni zn frühstücken, geht ein wenig an Deck, damit der Tisch für den Imuck oder das zweite Frühstück gedeckt werden kann, und hat kaum eine oder zwei Cigarren geraucht, als schon wieder zum Mittagsessen geklingelt wird. Das vorüber, wird Kaffee getrunken, dann Thee, und um eilf Uhr werden die Lichter an Bord ausgelöscht — ein ziemlich deutliches Zeichen für die Passagiere, daß sie nun so gut ssin mögen, zu Bett zu gehen. An Bord des La Plata wurde dabei jedm Mittag nach 12 Uhr cine Tafel ausgehängt, auf der die Entfernung angegeben stand, die wir gemacht hatten, wie der Breiten- und Längengrad, auf dem wir uns um 11 12 Uhr befanden. Die Schnelligkeit, mit der wir vorwärts rückten, variirte dabei — fortwährend gegen den Wind —von 271 bis 304 englischen Meilen in 24 Stunden. Sonderbarer Weise erreichten wir den Passatwind nämlich dieses Mal erst an demselben Tage, an dem wir in St. Thomas einliefen, also ein klein wenig zu spät. Die einzige angenehme Unterbrechung des monotonen Lebens an Bord war ein Feuerlärm — Anschlagen eines Gongs, Stürzen der Leute nach den Eimern, Bemannen der Patentpumpe und zuletzt, als kein Pumpen mehr helfen wollte, der Boote, wo jeder der Lente feinen bestimmten Posten hattc. Etwas später erfuhr man freilich, daß es eben nur ein Exercitium gewesen, die Mannschaft, falls je ein solcherNnglücksfall eintreten sollte, ihre Posten genau zu lehren und die Ordnung dabei aufrecht zu erhalten. Es war auch ganz hübsch, einigen der Passagiere aber flogen die Glieder am Leibe, und ein junger Spanier hatte sich in der Eile, seinen Koffer zu erreichen nnd an Deck zu schleppen, blos das Schienbein ein wenig aufgeschlagen. Ich muß übrigens noch hinzufügen, daß den Damen vorher Nachricht von dem Manoeuvre gegeben war, um ihnen wenigstens den Schreck zu ersparen. 12 Die Dampfer, ehe sie Westindien erreichen, passiren eine kahle, kleine Guano-Insel, die, aus irgend einem räthselhaften Grunde, somw-ero — der Hut — genannt wird; sie hat nämlich nicht die entfernteste Aehnlichkeit mit irgend einer so genannten Kopfbedeckung. Sombrero ist ein kahles, dürres, trostloses Eiland, ohne selbst einen einzigen Baum; die Dankees aber, die sich schon lange die größte, wenn auch vergebliche, Mühe gegeben, in den westindischen Inseln festen Fuß zu fassen, scheinen es hier möglich gemacht zu haben. Einige zwanzig breterne Häuser in dem bekannten Styl neuerrichteter amerikanischer Städte, stehen auf dem Boden, dem selbst fußhoher Guano keine Vegetation entlocken konnte, und die amerikanischen Sterne und Streifen flatterten lustig in der Brise über einer Sammlung vou Wirthshaus- und Trinkbuden-Schildern. Kaum war der Dampfer aber in einer Höhe mit der Insel, als auch schon Signale aufstiegen, und die Frage, die sie an uns mit diesen stellten, war: „ob in Europa Krieg erklärt wäre/' Die Leute mußten die friedlichen Versicherungen d^s friedliebendsten Kaisers der Franzosen entweder nicht gelesen haben, oder ihm kein Wort davon glauben. Wir konnten sie in- 13 dessen beruhigen. An der Insel lagen mehrere kleine Fahrzeuge, die Guano luden. Die westindischen Inseln, die man hier zuerst berührt, bieten einen trostlosen, öden Anblick. Sie sind dürr und kahl, und auch fast unbewohnt, einige kleine Fischerhütten ausgenommen. Auf einigen wird jedoch, wenn ich nicht irre, Kupfer gewonnen. Nachmittags zwischen 3—4 Uhr erreichten wir St. Thomas, eine dänische Insel, die von der englischen Compagnie zu ihrem Sammelplatz für die Dampfer gewählt ist, weil sie den besten Hafen der ganzen Gruppe hat. Sonst zeichnete sie sich eben so wenig durch üppig tropische Vegetation aus, und nur die kleine Stadt liegt ziemlich malerisch auf drei vorspringenden Hügeln und ist von Palmen freundlich eingefaßt. „Station . St. Thomas — fünf Stunden Aufenthalt — Billette, wenn ich bitten darf" — es ist kaum anders, wie auf der Eisenbahn. Der andere, für Colon bestimmte Dampfer legte auf einer, der für Jamaica schon geheizte auf der anderen Seite an, und wie die wilde Jagd wurden Briefsäcke, Kisten, Gepäck und Passagiere nach den verschiedenen Richtungen ausgeladen, um ihre Reise, so gut das gehen wollte, fortzusetzen. Hier bekam auch ein Mann Arbeit, der bis jctzt, die persomsicirte Langeweile, an Bord herum- 14 geschlendert war und in Officiers-Uniform einher ging. Anf meine Frage, wer er Hei, erhielt ich die Antwort: der Admiralitäts - Agent; an Bord der Dampfer heißt er aber kurzweg und keineswegs fo ehrerbietig da^», weil er anf die inai! daZ8 oder Briefsäcke Acht zu geben hat. Das ist ein Leben — ewig Passagier, und Nichts anf der Gotteswelt zu thnn, als, in dem Hafen angelangt, dabei zu stehen, wenn die verschiedenen Vriefsäcke ausgeladen werden! Zu einem solchen Geschäft gehört auch in der That ein außerordentlich geistreicher Mann, oder Jemand, der gerade das Gegentheil ist — ein Mittelweg findet da nicht statt, oder der Admiralitäts - Agent müßte wahnsinnig werden. Von St. Thomas bis nach Colon oder Aspinwall on der amerikanischen Küste und dicht unter der Mündung des Chagresflusses fuhren wir mit einem ctwas kleineren Steamer, als der La Plata gewesen, und mit vortrefflichem Winde auf völlig ruhiger See, und erreichten am vierten Abend eines der ungesundesten Nester, um das je die tropische Sonne Pest und Fieber ausgebrütet hat. Colon ist auch in der That weiter Nichts als eme sumpfige Insel unter Wasser, welcher der hartnäckige Amerikaner gerade genug Boden ab- 15 gewonnen hat, ein paar Holzhänser daranf zu setzen. Dnrch die Eisenbahnbrücke ist sie mit dem festen Lande verbnndcn, und was sich der Mensch nur von Morast und Sumpf und fetter ungesunder Vegetation, von giftigem angeschwollenem Thierleben denken kann, findet hier seine Vertreter. Schon der Unrath, der überall aus den Hänsern in die stehenden Sumpfwasser geworfen ist und nicht fortgenommen werden kann, athmet Seuchen, und man braucht die grüngelben Menschen gar nicht anzusehen, die hier am Ufer hernm und aus einem Hause in's andere schleichen. Glücklicher Weise ging schon um 9 Uhr der Bahnzng nach Panama; ich behielt eben Zeit, einen Brief nach Hause aufzugeben und mein Gepäck in die Expedition zu schaffen, und durfte dann fchweres Geld bezahlen, nm von diesem Pestorte wieder fortzn-kommen. Die Fahrtaxe ist enorm, denn man bezahlt für eine Strecke von etwa 42 englischen, also noch nicht 9 deutschen Meilen 25 Dollars, hat dabei 50 Pfund Gepäck frei und muß für jedes Pfund Uebergewicht 10 Cents, also für je 10 Pfund wieder einen Dollar bezahlen. — Einige der Passagiere hatten bis zu 80 Dollars nur an Uebergewicht zu entrichten. Wenn man aber die 16 » Bahn befährt, wenn man sieht, durch welchen Grund und Boden dic Eisenschienen gelegt wurden, wenn man das ganze Land und diese Vegetation sieht, diese Sonne und diesen warmen tödlichen Dunst fühlt, dann zahlt man gern und willig solchen Preis, und ist den Leuten, die es unternahmen, noch dankbar außerdem. Die Bahn, der die Erhöhung des Bodens nicht die geringste Schwierigkeit bot, denn die Cordilleren - Kette schmilzt hier zu einer Hügelreihe von einigen Hundert Fuß Erhöhung zusammen, während nur eine einzige, ctwa acht Bogen haltende Brücke gebaut werden mußte, hat acht Millionen Dollars und 10,000 Menschenleben gekostet, und besonders sind hier Irländer, Deutsche und Chinesen zum Opfer gefallen. Aber auch viele Amerikaner liegen hier begraben, denn den Auswanderern nach Califomien gab man freie Passage, wenn sie eine gewisse bestimmte Zeit au dieser Bahn mit arbeiten halfen. Die armen Teufel dachten nicht daran, daß sie sich indessen ihre eigenen Gräber ausschaufelten. Man hat berechnet, daß man die Eisenschienen dieser Bahn die ganze Strecke lang auf die Lachen der dabei Gestorbenen legen könnte, und es ist wohl nicht die geringste Uebertreibung dabei — 17 aber was thut das! der Unternehmungsgeist des Menschen hat gesiegt, nud wieder ein Glied zu der Kette wnrde geschmiedet, die unser keckes Jahrhundert um die Erde zieht. Die Bahn länft, nur hier und da den Biegungen des Flusses ausweichend, am Chagres-strome aufwärts, und mit Ausnahme kurzer Strecken mußte jeder Fuß breit in dem Sumpfe ausgefüllt werden, um die Schieueu zu legen. Rechts und links von diesen steht das braune, dunstige Sumpfwasser; rechts und links von diesem ranken fette Schlingpflanzen nnd bohren sich selbst unter die Schwellen und Schienen hinein, daß es Tausende jährlich kostet, nnr nm gegen diese Vegetation siegreich anzukämpfen. Selbst auf der Wasserscheide Zwischen dem atlantischen und dem stillen Meere ist" es nur wenig besser. Das Land ist hier allerdings trockener; nur kurze Strecken abwärts beginnt aber der Sumpf schon, wieder uud läuft ununterbrochen fast dicht bis Panama hinein. Unterwegs liegen, außer deu auf den Stationen gebanten Häusern, nnr Indianer-Dörfer, und nackte Kinder und halbnackte Männer und Frauen stehen vor ihren Hütten und sehen das unbegriffene Ungethüm der Bleichgesichter vorübcr- F v, G c r st «ct e c, Achjzchn Monatt- in Süd-Amerita I, 2 18 brausen. Die Bahn rentirt sich übrigens vortrefflich, und der Waaren-Transport, welcher natürlich ermäßigte Taxen hat, soll so bedeutend sein, daß das Unternehmen bis jetzt 12 pCt. zahlt und allem Anscheine nach jährlich mehr zahlen wird, selbst wenn die Poneypoft nach Californien durch ,die Steppen ihm manchen Passagier abwendig machen würde. In Panama langten wir natürlich im Regen an, und ich bekam deßhalb wenig davon zu sehen. Der Ort ist übrigens schun oft genug beschrieben worden und bietet, anßer den alten Ueberbleibselu der spanischen Baukunst in Kathedrale und Festungswerken, wenig Besonderes. Außerdem ist es das theuerste Nest an der ganzen Westküste, jetzt uicht einmal Sau Fraucisco ausgenommen, und wer sich hier ansiedelte, that es einzig und allein in der löbliche: Absicht, die Reisendeu mit plündern zu helfen. Ich dankte meinem Schöpfer, als ich schon am nächsten Morgen Gelegenheit fand, gen Süden wieder unterwegs zu gehen; denn die „Anna", ein kleiner, der englischen, Compagnie gehörender Dampfer, lag fertig zum Auslaufen!, und dampfte auch richtig schon am nächsten Morgen 10 Uhr in die wunderbar schöne mselbedeckte Bai hinein. 19 Es giebt kaum etwas Schöneres in derartiger Scenerie, als diese stille, mit Palmeninseln geschmückte Vai von Panama, in welche die kleine sonnige Stadt anf ciner schmalen Halbinsel hinans-ragt. Aber man muß das Alles eben nur als Scenerie, als Decoration betrachten und darf der Sache nicht näher auf den Grund gehen. Die Bai selber schwärmt von Haifischen, so daß nur ein einfaches Bad darin schon halber Selbstmord ist, und wollte man die kleinen, von Cocospalmen überschatteten Plätze am Ufer besuchen, so würde manMichts als Schmutz nnd Unrath finden. Uebrigens behielten wir vollständig Zeit, um das Alles geuau zu betrachten, denn ich fand bald zu meinem Schrecken, daß wir mit dem Dampfer kaum von der Stelle rückten. Wir liefen unterwegs mit unserem Gang, den der Capitain jedenfalls scherzhafter Weise, sonst aber ganz ernsthaft lull «pouä nannte, 3 — 3^ Knoten die Stunde, und der Erfolg zeigte denn auch bald, daß wir einen Tag mehr brauchten, die halbwegs zwischen Guajaaml und Panama gelegene Station Buenaventura zu erreichen, als der gewöhnliche Dampfer nöthig hatte, Guajaquil selber anzulaufen. Es ließ sich aber eben nicht ändern, denn der große Dampfer legte an keinen Zwischenstatioueu an, 2« 20 und mir lag daran, von einem Engländer zu hören, der irgendwo in Ecuador gelandet war, und den ich zn treffen wünschte. Schon in Panama hatten wir nun wunderliche Sachen über die neu-granadische Revolution gehört, nach der sich die Cauca-Bevolkerung Zuerst einem ungerechten Gesetze der Negiernng der Nordstaaten widersetzte und dann Miene machte, die Negierung selber an sich zn reißen. Ein komischer Fall war dabei nn't den Waffen des Staates vorgekommen, welche die Behörden der Westküste, der Sicherheit halber, an das Hauptquartier in Sabanilla abliefern wollten. Dort aber benutzte die revolutionäre Partei ein altes Gesetz, nach dem keine Waffen zu Parteizwecken gelandet werden durften. Sie gestattete also nicht, daß der englische Dampfer die Gewehre — es waren, glaube ich, viertausend Stück — au's Ufer schaffte, und dem Capitain blieb zuletzt Nichts weiter übrig, als sie mit uach Kingstown iu Jamaica zu nehmen. Dort liegen jetzt die neu-grauadischen Waffen, von beiden Parteien ihrer Hcimath beansprucht, uud werden dort wahrscheinlich unter den Hammer des Auctiouators kommen, um einzig 'und allein ihre eigenen Reisekosten zu bezahlen. In Buenaventura fanden wir indesseu die 21 Revolution in vollem Gange, und die ganze militärische Macht — ^1 so zerlumpte Kerle, wie nur je ein altes Schießeisen auf der Schulter getragen — am Strande aufmarschirt. Der Gouverneur hatte ihnen dort gesagt, unser Dampfer, der vielleicht 300 Tuns Gehalt haben mochte, brächte eine Million Soldaten von Panama, ihren Platz zu überrumpeln, und diese 21 Spartaner wollten sich denen widersetzen. Die Leute schienen übrigens sehr angenehm überrascht, als unsere kleine Anna keine feindseligen Absichten gegen die paar elenden Bambushütten zeigte, und der Gouverneur, der eines der malitiösesten Gesichter der Erde trug, wurde auch natürlich gleich übermüthig und un^ verschämt. So verlangte er von unserem Capitam, daß er ihm ohne Weiteres die Post überliefern sollte; der Capitam nahm aber' nicht die geringste Notiz von ihm, und wir gingen, trotz seiner sehr lebhaften und zornigen Gestikulationen, direkt auf das Haus zu, von dem die englische Flagge wehte. Hier residirte der bisherige Postmeister, der aber jetzt dnrch den Gouverneur der „freien Cau-ca-Nation" abgesetzt war. Trotzdem zwang der Gouverneur deu armen Teufel, während die Sol-datesca den Platz besetzt hielt, den Empfang der Briefschaften zu bescheinigen, und nahm sie dann, als sie jenem überliefert worden, augenblicklich in Beschlag und iu seine eigene Wohnnng. Das Militär marschirte hierauf ab, und der Ofsicier desselben, die einzig auständig aussehende Persönlichkeit der ganzen Regierung, schien sich seines Postens zu schämen, denu er schlenkerte den Säbel, den er trug, am kleinen Finger hin und her, als ob ihn die ganze Sache eigentlich gar Nichts anginge, And marschirte so weit von der Truppe ab, wie es die bodeulos schmutzige Straße nur erlaubte. Die ganze Stadt bestand eben aus der einen Straße, mit größtentheils auf Pfähleu errichteten Vambushütteu, aus denen überall neugierige und scheue Geschichter in den verschiedensten Färbungen hervorschauten. Jedes Haus fast hatte aber unten einen kleinen Kaufladen, in dem Flaschen mit a.ß'ua aräitzuto uud anderen, meist europäischen Herrlichkeiten aufgeschichtet standen. Irden Geschirr und Kattune, Pulver, alte rostige Schrotflinten, Seife, Stricke, Cacao, Neis und Kaffee schienen die Hauptartikel, und wild genug war Alles arrangirt. Erstaunt blieb ich aber stehen, als ich mitten zwifchen diesem Plunder, mitten zwischen den malerischen, halbnackten Gestalten der 23^ Eingeborenen und Spanier was? erkannte, das hier einsam und verlassen recht in: Herzen der Wildniß, am stillen Meere hing? — cine Crinoline. Unwillkürlich dachte ich fast an tb6 1k3t 1036 ot' 8UININ6I', leckt dioominß c»1one; mitten in der Revolution, in der Aufregnng der Gemüther dieses eine stille Bild des Friedens und der Civilisation! Aber der Aufenthalt in Bueuaventura war, irotz der Crinoline, kein angenehmer. Es regnete fortwährend, und die Stadt lag außerdem in Schmutz, Schlamm und Sumpf, die Leute sahen auch bleich und elend genug aus. Trotzdem seg-uete ich d^n Platz, denn er befreite nns von einer Quantität der nnangenehmsten Mitpassagiere, die ich noch anf allen meinen Reisen gehabt habe. In Panama hatten wir nämlich elf italienische Priester an Bord bekommen, die in Bnena-ventnra ansstiegen, nnd von hier über das Land verstreut werden sollten. Es waren, mit Ausnahme eines einzigen, lauter junge Burschen von zwanzig bis vicrundzwanzig Jahren, dabei schmutzige, gefräßige, schnatternde Gesellen, die überall das Deck bespuckten, bei deu Mahlzeiten die Lcbens-mittel in sich hineinstopften und hernach seekrank über Bord hiugen. So wie sie sich aber nur 24 etwas wohler fühlten, sangen sie lustige Lieder, schrieen, jubelten, spielten Karten, und waren bald von Allen an Vord auf das Herzlichste gehaßt und verabscheut. Die hatten dem Lande hier nur eben noch gefehlt. Ebenfalls gingen hier einige Deckpassagiere ab, die in die neu-granadischen Goldminen hinaufwollten. Arme Teufel! ich beneidete sie nicht um ihren Marsch und ihre Arbeit in dem Land und Wetter. Von Buenaventura lag unser nächstes Ziel südlich in Tomaco, einer Insel in der Mündung des Mira-Flusfts und an der Südgrenze der neu-granadischen Republik. Das Nfer ist hier überall flach, und obgleich die Cordilleren gar nicht so weit entfernt liegen, bekamen wir sie nicht ein einziges Mal zu sehen. Dichte Wolken hingen über der ganzen dunklen Nrwaldfläche und hüllten das weite Land in düsteren Nebel. Erst in Tomaco erreichten wir höheres Land, und mit einem Sonnenblick war es, als ob wir ein kleines Paradies betreten hätten. Nie im Leben habe ich auf ^iner Stelle eine größere Masse von Fruchtbäumen und Früchten gesehen, und die ganze Insel lag von Cocospalmen, Bananen und anderen werthvollen Bäumen fast vollständig be- 25 deckt. Tomaco scheint auch wirklich der Garten der Nachbarschaft, denn selbst von den viel südlicher gelegenen Ortschaften kommen Schooner und kleinere Fahrzeuge Hieher, die weiter Nichts als Früchte einnehmen und vortheilhaften Handel damit treiben. Und doch konnten die Bewohner aller der Ortschaften, wohin sie dieselben bringen, diesclben Früchte eben so gut und reichlich ziehen — wenn sie nicht eben so verwünscht faul und lässig wären. Unser nächstes Ziel war von hier aus Esme-raldas. Ich selber war indessen ziemlich fest entschlossen, mit dem Dampfer bis Gnajaquil zu fahren, von da nach Quito hinauf zu marschiren und auf dem Rückwege vou dort die ueubeabsichtigte englische Colonie am Pailon zn besuchen. In Esmeraldas änderte ich meinen Plan, denn hier kam der Chef jener Expedition, den ich in Gua-jaquil, Quito oder Gott weiß, wo, vermuthet hatte, an Bord'und sagte mir, daß er in den nächsten Tagen nach dem Pailon aufbrecheu würde. Rasch hatte ich meine Sachen geordnet nnd meinen Koffer nach Guajaquil dirigirt, wo ich ihu später wieder in Empfang nehmen wollte, während ich selber mit Büchse uud Bergsack iu das Boot sprang, um an's Land zu fahren. 26 Jener Engländer hatte hier nämlich ein vortreffliches Wallsischboot gekanft, das auf eigene, aber gar nicht etwa ungewöhnliche Art seinem Besitzer abhanden gekommen war. Von einem amerikanischen Wallsischfänger hatten sich nämlich fünf Mann in einem der Boote heimlich davon und vorher noch den dritten Harpunier trunken gemacht und mitgenommen. Das wäre nun vielleicht Zu entschuldigen gewesen, denn Wallfischfänger reiften nnn einmal ans, wo sie die geringste Gelegenheit bekommen, und die Caftitaine wissen es und müssen sich dagegen verwahren. Diese Burschen hatten aber auch noch vorher an Bord geplündert, was sie eben plündern konnten, und Geld und Kleider von Cavitain und Steuerleuten mitgenommen. Man war ihnen indeß gerade dadurch, da sie die Sachen wieder an der Küste verkauften, auf die Spur gekommen, und ein nachgeschickter Amerikaner überraschte sie an ihrem Lagerplatz und nahm sie, mit dem Revolver in der Hand, gefangen. Sie sollten jetzt dem amerikanischen Consul in Guayaquil überliefert werden, und das Voot wnrde, da der Capitain des Dampfers schon verschiedene andere Iahrzeuge an Bord hatte, mit Segel, Nndern und allem Zubehör um achtzig Dollars vertauft. ,27 Das kleine Städtchen Esmeraldas liegt an dem Fluß gleichen Namens anf einer ziemlich hohen Nferbank nnd hat höhere Verahänge im Nucken. Sonst besteht es aber ebenfalls nnr einzig nnd allein ans ein paar Reihen auf Balken errichteter Holz- und Vambushütten, mit fast eben so vielen Läden nnd Trinkbudcn wie Häusern, mit eben fo faul, stumpf und nichtsnutzig anssehenden Bewohnern, mit eben so gelben, brannen und schwarzen Kindern, die halb und ganz nackt durch den Schlamm der Straßen waten. Leider ist die Flußmündung, felbst nicht für ein Wallfischboot, in Zeit der Ebbe zu befahren, da sich eine Sand-und Schlammbarre quer davor gelegt hat nnd Aeste und Stämme dort angeschwemmter Vänme überall aus dem Wasser hervorragen. Der breite Fluß hat dabei eine wirklich reißende Strömuug, und weder Canoe noch Voot kann dagegen anrudern, sondern muß am Ufer hinauf mit Stangen geschoben werden Wir logirten beim Gouverneur, einem Sennor Anjel Ubillus, der uns ans das Herzlichste aufnahm. Leider Zeigten sich aber auch hier die Spuren der Revolution in einem krankhaft anssehenden Truppencorps von zehn oder elf Mann, das in einer Art Bambusfcheune erereirte. Ein wirk- licher Trommelschläger war dabei, und Lanzen und alte Musketen vertraten die Stelle sonstiger Waffen. General Franco in Guayaquil hatte nämlich erst kürzlich eine Aufforderung Hieher gesandt, die Nationalgarde zu organisiren, mit der er in den nächsten Tagen nach Qnito marschiren wollte, sich diese Vergstadt zu unterwerfen. Allerdings gehörte EZmeraldas, dem Namen nach, für den Augenblick seiner Partei an; die Leute schienen seiner Militärgewalt aber schon herzlich müde, und man wollte am Liebsten gar Nichts mit der ganzen Revolution zu thun haben. Am nächsten Tage fuhren wir, in entsetzlich langsamer Fahrt, den Fluß einige Meilen hinauf, einen Engländer zu besuchen, der dort eine uicht unbedeutende Cacao - Plantage hat, und tehrteu am nächsten Tage, von einem Indianer gerudert, rasch und bequem, nach Csmeraldas zurück. Esmeraldas ist seiner Cigarren wegen berühmt. Jedenfalls sind es die besten, die ganz Süd-Amerika erzeugt — was eben noch nicht viel sagen will —, Ambalema selbst nicht ausgenommen. Sie sind zwar leicht, rauchen sich aber sehr gut, und haben einen milden, angenehmen Geschmack, wie den großen Vortheil außerordentlicher Billigkeit. Während alles Andere in dem Neste ganz ent- __ 29 setzlich theuer ist und selbst die Landesproducte mit Silber aufgewogen werdeu müssen, bekommt man hier 16—20 Stück für eiuen Real ecuadon-sches Geld/ und ein französischer Franc gilt für zwei Realen, also 40 Cigarren für einen Franc. Ich zweifle nicht, daß diefe Cigarren eineu vortrefflichen Export-Artikel bilden könnten, hätten die Leute selber hier uur den geringsten Unternehmungsgeist. Sie lassen die Welt aber ruhig an sich kommen; so lange General Franco seine Drohung nicht wahr macht und in Esmeraldas einrückt, scheinen sie völlig zufrieden gestellt, wenn sie eben nur das habens was sie Zum unmittelbaren Leben braucheu ^ und Gott weiß es, das ist wenig genug. Am ersten Abend in EZmeraldas überraschte mich ein eigener, glockenähnlicher Ton, der in ziemlich monotoner Weise ans einer der Bambushütten herüberdrang — die Marimba, wie die Erklärung lautete, und ich hatte natürlich nichts Eiligeres zu thun, als der Marimba meinen Besuch abzustatten. In einer dieser Hütten, uud zwar in der Bel-Etage, fand ich den Spielenden im Kreise seiner Familie. Ein junger Bursch saß auf der Erde und machte mit den Händen Cigarren, während 30 er mit dem rechten Fuße auf eiuer vor ihm liegenden Trommel deu Tact zur Musik traiDdie Frau wischte entweder ihr Halstuch in einer Calabasse rein oder die Calabasse aus — es ließ sich nicht erkennen —, und der Mann, neben dem ein Kind in einrr Diminutiv-Hängematte schaukelte, spielte die Marimba. Die Marimba ist allerdings weiter Nichts als eine Holz-Harmonica, und zwar in der einfachsten Form gespielt; aber die Art, wie sie dieselben hier anfertigen, unterscheidet sich von der unsrigen, und ich will sie deßhalb mit einigen Worten beschreiben. Sie hat gewöhnlich 21 Töne oder drei Octaven, ohne halbe Töne.. Die Stücke sehr harten Holzes aber, auf denen, wie bei einer Glas-Harmonica und mit ähnlichen Klöppeln gespielt wird, geben nicht durch ihre Größe und Stärke den Ton an, obgleich die höheren Töne durch kür-. zere Stücke unterstützt werden, sondern je dem Ton entsprechende Bambusrohre hangen offen darunter. Die zu dem tiefsten Ton gehörige ist etwa zwei Fuß lang, die für den höchsten Ton bestimmte 'etwa vier Zoll, und alle sind von ziemlich gleicher Stärke. Die Musik selber ist entsetzlich monoton und bewegt sich nur in vier Tönen, zu denen sie einen 31 Tanz aufführen, welcher der chilenischen Sambacueca außerordRtlich ähnelt. Ob aber die Repräsentanten^ von denen ich ihn tanzen fah, nicht dazu Paßten, oder ob der chilenische Tanz wirklich so viel graciöser ist, ich weiß es nicht, mir gefiel diese ecuadorischo Lustbarkeit eben nicht besonders, amnsirte mich aber vortrefflich. Noch eine bessere Gelegenheit hatte ich, diesen Landestanz zu bewundern. Als wir nämlich von der Cacao-Plantage am Esmeraldas herunterfuhren, mnßten wir unterwegs landen und einen Arzt, der mit uns fahren wollte, einnehmen. Die Leute dort empfingen uns, wie das fast überall der Fall ist, sehr gastfrei, und da Jedermann Zeit hat und es Niemandem auch nur einfällt, sich in irgend Etwas zu übereilen, so wurde nach Tisch eine Guitarre vorgenommen, und der Doctor spielte und sang. Danach verlangte er aber auch Tanz, und ein sehr hübsches junges Mädchen in tiefer Trauer weigerte sich zu tanzen. Sie war mit ihrer Mutter vor kurzer Zeit von Quito heruntergekommen, den Vater am Esmeraldas abznholen, hatte ihn aber todt gefunden, und ging in den nächsten Tagen wieder mit der Mutter nach Quito zurück. Die Trauer hatte übrigeus mit dieser Weige- 32 rung nicht das Geringste zu schaffen, denn die Mut-ter nahm bald darauf für die Tochter die Aufforderung des wunderlichsten Individuums an, das mir je vorgekommen. Der Tänzer, der jetzt mit einem schon sehr lange gebrauchten Taschen-tnch die nöthigen Evolutionen ansführte, war ein kleiner, sehr scheuer Mensch, der etwa so anssah, wie ein heruntergekommener Schreiber, obgleich ich zweifle, daß er je eine Feder zwischen den Fingern gehabt. Er trng ein roth gestreiftes Hemde, blau gestreifte Hosen, Einen Schnh und ein Paar Ohrringe, nnd schmachtete, während er nothgedruu-gen mit der Mutter tanzte, fortwährend nach der nicht die geringste Notiz von ihm nehmenden Tochter hinüber. Das rechte Bein mußte übrigeus jedenfalls sein Licblingsbein sein, denn nicht allein hatte er den Schuh daran, sondern auch wahrscheinlich seine sämmtlichen Zehennägel, denn an dem linken Fnße war keiner. Er schaufelte und wedelte entsetzlich herüber und hinüber, und die Cigarre genirte ihn dabei, und der rechte Schnh, und die Mutter, und wir, und der Strick der Hängematte, der in einer Schleife über einem Balken mitten in die Stube hineinhing, so daß es aussah, als ob nach der Feierlichkeit gleich Jemand gehängt werden sollte. Wir tranken auch später Chocolade, daZHauvtge- 33 tränk hier im Vaterlande des CacaobamneZ, und' alle Speisen waren ziemlich ant zndereitet. Wenn die Leute nnr cine Ahnung in Süd-Amerika davon hätten, daß es ans einer sandern Tasse viel besser schmeckt, als ans einer schmntzigen! Ich glanbte früher, die Pampas wären der einzige Platz, wu die Unreinlichkeit zu Hause sei, aber ich kannte damals Ecnaoor noch nicht, nnd habe hier schanerliche Beispiele erlebt. Doch nnsere Vahn lag weiter. Nachdem ich anHem nämlichen Abend noch einem Exercitium des ecnadorischen Militärs beigewohnt und Dingo gesehen hatte, die einem preußischeu Unterofficier Krämpfe verursacht haben würden, mich aber vollständig kalt ließen, schifften wir uns am nächsten Morgen in unserm Boote ein und hielten in die See hinaus, um wieder nach Norden hinauf den Pailou zu erreichen. Der Wind ist nach Norden hinanf fast immer gnnstig, eben so die Strömung, und nach drei Stunden.etwa liefen wir am Cap Verde in den kleinen „grünen Fluß" ein, dort einen Piloten für die etwas verwickelte Müudung des Päilon zu bekommen. Das Alles geht aber freilich nicht so schnell, und obgleich wir mit einigem Treiben noch an dem nämlichen Abend hätten auslaufen können, hielt es der Doctor, h^ F r, O e r st ä ck'c r, Achlzchn Monale in Süd' Nmcnla. 1. 3 34 ' uns jetzt begleitete, für zweckdienlicher, hier zu übernachten, und am nächsten Morgen um zwei Uhr mit ausgehender Fluch unsere Reise fortzusetzen. Es ließ sich Nichts dagegen machen. Unsere Sachen wurden in ein leer stehendes Haus geschafft, wo wir auch unser Mittagsmahl einnahmen, llud-wir sollten uns dann zeitig niederlegen, um zur gehörigen Zeit wieder bei der Hand zu sein. Unmassen von Pelicanen — eine bramre Art ^ wären hier am Ufer und saßen, was ich bis dahin an Pelicanen noch nie beobachtet hatte, in den Wipfeln der höchsten Bäume. Sie schienen sich dort auch vollkommen heimisch zu'fühlen, und die Aeste bogen sich unter ihrer Last. In der Nacht pafsirte nichts Merkwürdiges weiter, als daß mich eine Natte in den Fuß biß; ich hielt natürlich nicht still und glaube, daß sie eben so darüber erschrak, wie ich; sie belästigte mich wenigstens nicht weiter. Glücklicher Weise hatten wir auch hier keine Mosquitos. Still und, grau lag noch leise wogend die See, als wir, von einer leichten Brise geführt, hinauseiltcn. Nach und nach gewann sie aber Leben. Im fernen Osten dämmerte der Tag, und Scharen von Fischen sprangen und schlugen 35 um uns her. Zwischen ihnen hin suchten llnd fanden die Pelicane ihr reichliches Frühstück; im weiten Bogen kreisten sie umher, und wo sie einen solchen Schwärm aufkommen sahen, schössen sie mit fabelhafter Geschwindigkeit mitten dazwischen hinein, ihre Vente herauszuholen. Auch Hai und Delphin warm thätig, Men Antheil zu bekommen. Es soll mir noch cmmal Jemand sagen, daß er sich ,,so wohl befindet, wie ein Fisch im Wasser", wo die armen Dinger kaum eine Flosse zeigen durften, um auch schon von einem oder dem andern Feinde verschlungen zu werden. Selbst wir im Voote hatten einen Angelhaken mit dem Versprechen einer guten Mahlzeit für einen Fisch aushängen; sie hüteten sich aber, dem zu nahe zu kommen. Dann und wann sahen wir auch einmal, gar nicht weit von dem Boote entfernt, den derben Wasserstrahl emporsteigen, den ein älter Walisisch in seinem Behagen ausblies — wußte er doch recht gut, daß ihm weder Pelican noch Hai etwas anhaben tonnte —, wenn 'ihn eben die Harpunen der Menschen zufrieden ließen. Nach und nach wurde aber die Brise stärker, und wir hatten bald nicht allein damit zu thun, auf unsere Fahrt Acht 3* ___36 zu geben, sondern auch den höher und höher steigenden Wellen auszuweichen. ^ Wer schon je in einein guten Boote vor einer solchen Brise gesegelt ist, weiß, wie froh und stolz sich da die Brust hebt, weiß, wie wohl Einem zu Muthe ist und wie es alle Nerven zu größter Thätigkeit anreizt und spannt. Vor uns lag dabei unser Ziel in einen: dunklen niederen Waldstreifen, der sich zu Starbord weit hinansdehnte, und dort sollten wir in einer der von Sandbänken und Untiefen etwas gefährdeten Mündung des Pailon einlaufen, wozu wir einen Piloten oder practioo — wie er sich selber nannte — mitgenommen hatten. Wir waren unserer Sechs im Boote, und dieses mit unserem Gepäck, Lebensmitteln, Wasser, wie einer Anzahl Cocusnüsse eben nicht leicht geladen, aber Wind und Seegang kamen voy hinten und schoben tüchtig nach, und der Practico, der vorn auf dem Bug stand, versicherte uns, daß wir die schlimmste Einfahrt noch vor Dunkelwerden überstanden hätten. Das war auch wünschenswcrth, denn der Wind blies immer heftiger, die Spritzwellen hatten uns, wie unser Gepäck, schon vollständig durchnäßt, und eine überschlagende See gab uns anßerdem bald den Nest'und warnte 37^ uns, den andrängenden Wogen etwas vorsichtiger auszuweichen. Außerdem hob die See unser Steuerruder aus und brach den oberen Haspen, daß wir es nicht mehr gebrauchen konnten, und der Riemen (Ruder), den wir rasch dafür einsetzten, war zu kurz, um ihn mit Leichtigkeit regieren zu können. Aber es ging doch, nnd als des Loot-fen ausgestreckter Arm nach rechts hinüber deutete, siel der Bug rasch nach dieser Richtung ab und ' hielt dem Lande zu. ' Es war die höchste Zeit, denn die Sonne war schon unten, die Dunkelheit eingebrochen, so daß wir das noch etwa zwei Meilen entfernte Land nur in seinen dnnklen Umrissen undeutlich erkennen konnten. Dort lag auch die Mündung des Pailon, nnd nnserem direkten^ Einlanfcn schien sich Nichfs mehr entgegenzustellen. Allerdings ließ der Wind jetzt etwas nach, es ist aber eine alte Regel, da, wo man seiner Tiefe nicht recht sicher ist, ein schwaches Kielboot nicht zu rasch vorwärts zu treiben, denn jagt man auf den Grund, so reißt man ihm leicht den Boden ails, und ist dann verloren. Noch etwa eine englische Meile vom Land entfernt, nahmen wir deßhalb die Segel ein, um wenigstens vorher eine 38 Barre zu passirm, die dort, nach des Piloten Versicherung, lag. Das konnte knch keine Schwierigkeiten haben, denn nnser Boot ging kaum mehr als 15 Zoll im Wasser, und wir hatten noch weiten Seeraum. Daß aber die Barre keine Täuschung war, zeigten uns links die Brandungswellen — sogenannte Breakers, die mit ihren glühenden Kämmen ganz häßlich herüber leuchteten. Kaum hatte ich übrigens den einen Riemen aufgenommen, in die Dolle gelegt und ausgeholt, als ich mit der Kante desselben Grund fühlte. Den Henker auch, wir hatten kaum zwei Fuß Wasser. Auf meinen Nuf, »eco! fühlte der Pilot vorsichtig mit der Stange über Bord und sagte mit der größten Gemüthsruhe: 51 — 8ocu! — aber der eigentliche tiefe Canal sollte dicht vor nns sein, und dem mußten wir deßhalb entgegenarbeiten. Doch es half Nichts — ma« 8Lco klang der Nnf des Doctors, dem bei der Sache nicht wohl wurde, denn wir hielten immer mehr auf die Breakers zu — ma8 8eco — immer trockener! und wenige Minuten später saßen wir richtig fest in ewer zähen Masse von Schlamm und Sand. Es war jetzt völlig Nacht geworden, die Wogen leuchteten wunderbar schön, aber — wir durften 39 unsere Zeit nicht mit Betrachtung der Scenerie versäumen. — Hier, dicht untcr den Brandungswellen, konnten wir nicht liegen bleiben, denn die ausgehende Ebbe drohte, uns in dem Falle mitten zwischen diese hinein zu setzen. Der Practico stieg jetzt langsam über Bord, einmal vor allen Dingen nm das Boot herumzugehen und den Stand der Dinge zu erfahren, ^r kam aber rascher wieder herein, als er hmausgestiegen war, denn mit einem wilden Aufschrei warf cr sich plötzlich über den Nand zurück, und in demselben Moment Zuckten auch zwei, drei leuchtende Fenerstreifen dicht um uns hin, nnd einer von diesen streifte sogar das Boot. Es waren blos drei Haifische, die hier in dem seichten Wasser spazieren gingen — daß es aber drei waren, dem hatte der Practico sein Leben zu verdanken. Ein einzelner — nnd kanm drei Minuten später schoß ein solcher wieder dicht an uns vorüber — würde den armen Teufel unfehlbar gefaßt und unter-Wasser gerissen haben; wo aber zwei oder mehrere dieser Ungethüme zusammen umherstreifcn, gönnen sie einander den Bissen nicht, und drängen einer den andern fort. So dicht hatte der eine Hai den Mann gestreift, daß er ihn im Vorbeischießen mit dem Schwanz 40 an das Bein traf, und der Schlag mochte ihm auch wohl den Schreckensschrei ausgepreßt haben. Mit Rudern und Stangen arbeiteten wir nun, so gut es gehen wollte, aus dem Schlamm zurück, und kamen auch richtig wieder in etwas tieferes Wasser, daß wir wenigstens flott blieben. Um die immer näher heranrückenden Brandungswellen mußten wir aber unsern Weg herumfühlen, und plötzlich saßen wir, indem wir versuchten, einen andern Canal zu treffen, wieder fest. Des Practico Versicherung nach fiel die Ebbe noch zwei volle Stunden, und so hoch auf dem.^ Trockenen durften wir das schwörgeladene Boot nicht sitzen lassen. Es hätte beschädigt werden können, und daß wir nicht wagen durften, das noch sehr ferne Land in dem Falle mit Waten und Schwimmen zu erreichen, davon hatte uns unser nächtlicher Besuch zur Genüge belehrt. Weder Ruder noch Stangen halfen aber das Voot Wieder flott zu bekommen; in der Zeit, die wir damit versäumten, sank das Wasser immer mehr, nnd es blieb uns jetzt Nichts weiter übrig, als Alle über Vord zu springen und das gefährdete Boot in tieferes Wasser nnd von unserem Gewicht erleichtert zurückzuhebeu. Das war nun allerdings leicht genug, aber ' 41 mit der noch ganz frischen Erinnerung an die Haifische war es gerade kein angenehmes Gefühl, unsere Beine dem Element anzuvertrauen, indem jene heimisch schienen. Die Zeit drängte aber; überdies waren wir diesmal unserer Sechs, und es blieb deßhalb vollkommen unbestimmt, für welches paar Veiue sich der Hai zuerst entscheiden würde. Der Engländer sprang zuerst über Bord — wir Anderen zogen erst vorsichtig unsere Schuhe und Strümpfe aus — den Practico ausgenommen, dem etwas Derartiges wohl noch uie die Füße Helästigt hattc — und uach kaum zehn Miuuten fühlten wir das Voot wieder flott und in fo tiefem Wasser/ daß wir hier wenigstens die vollständige Ebbe abwarten konnten. Nar es schon vorher ein eigenes Gefühl gewesen, mit dem Land im fernsten Hintergrund, im stillen Ocean herumzuwaten, so erinnerte mich jetzt uusere Befestigung des Bootes an die etwas wunderlichen Ideen der Landbewohner, die nicht selten glauben, der Seemann binde Abends draußen in See sein Schiff an einen Pfahl und warte den Morgen ab. Genau dasselbe thaten wir hier. Wir trieben den Bootshaken so tief tn den Schlamm hinein, wie wir ihn bekommen konnten, banden unser Boot daran fest, damit es nicht auf 42 noch höheren Grund getrieben werde, und drückten uns dann ruhig in die verschiedenen Ecken so bequem oder unbequem weg, wie es eben gehen wollte. Es war jetzt acht Uhr; um neun Uhr etwa hatten Wir niedrigstes Wasser, und um elf oder halb zwölf durften wir versuchen, ob wir aus diesem Chaos von Sand, Schlamm und Brandungswellen einen Ausweg fänden. Vorher ließ sich nicht das Geringste mehr in der Sache thun, und wir konnten nur wenigstens froh sein, daß der Wind einigermaßen nachgelassen hatte. Jede solche fatale Situation hat auch wieder ihre komische Seite, und wenn auch bis auf die Haut durchnäßt, verließ uns doch nicht unser Humor. Die Nacht war warm, und wir zählten eben all' die Vortheile auf, die wir auf unserem unfreiwilligen Halteplatz hatten: keine Mosquitos, keine Sandflöhc, keinen Staub, keine Sonnenhitze, keine unreinlichen Betten und Flöhe — keinen Negen — halt! Der Himmel hatte sich langsam umzogen, und es fing leise an zu tropfen. Das schien noch gefehlt zu haben, um unseren Sachen den Nest zu geben. „Vielleicht klärt es sich wieder auf," meinte der Doctor, und in kaum einer Viertelstunde goß es, wie es nur eben in den Tropen gießen kann. 43 Die Unterhaltung war dadurch gänzlich abgebrochen; Jeder schützte sich mit irgend einem Kleidungsstück, so gut das gehen wollte, gegen den-Guß, und wenn wir denn einmal ein paar Stunden unter einer Dachtraufe verbringen sollten, ließ sich ja doch Nichts dagegen machen. So verging Stunde nach Stunde bleiern genug, und nur mit einiger Befriedigung fühlte ich dann und wann den Grund, ans dem wir jetzt wirklich wieder bei zwölf Zoll Wasser fest saßen, und fand, daß die Fluth zu steigen ansing. — Fünfzehn Zoll — jetzt achtzehn — jetzt zwanzig — zwei Fuß, zwei ein halb — drei endlich—es war elf Uhr vorbei, und um halb zwölf, mit drei ein viertel Fuß Wasser um uns het, lichteten wir den Anker — d. h. zogen den Bootshaken aus dem Grunde, und ruderten langsam der vermutheten Einfahrt entgegen. Mit steigender Fluth war aber auch keine große Ge,fahr, daß wir wieder festkommen könnten, denn diese hätte uns in dem Falle doch bald wieder losgehoben. Bald erreichten wir auch das südliche Ufer der Einfahrt, an dem hin ein schmaler Canal mit tiefem Wasser uns Sicherheit gewährte. Erst einmal hier, setzten wir wieder unser Segel, denn der Wind war günstig, und glitten still und 44 geräuschlos zwischen dem dunklen Schatten der Mangrove-Bäume hin, die an beiden Ufern ihre Zweige und wunderlichen Wurzeln in die Fluth senkten, Es ist für mich immer ein gar eigenthümliches, geheimnißvolles Gefühl gewesen, in einen fremden Wald einzutauchen. Eine fremde Stadt läßt mich außerordentlich kalt, ein fremder Wald übt einen unendlichen Zauber auf mich aus. Was uns umgab, war übrigens auch geeignet, unsere Aufmerksamkeit zu fesseln, denn hier, in der stillen Bay des Pailon, hörten wir zum ersten Male das bis jetzt unmöglich Geglaubte: sin-gende Fische. Von der Seite, um uns her, tief aus dem Grund heraus, tönte überall ein wunderbarer, halb klagender, halb schwimmender Ton, fast wie ferner melodischer Orgel- und Glockenklang, der, wie uns unser Pilot versicherte, von einer kleinen Art von Fischen herrührte. Dazu das Rauschen der Bäume, das Quirlen der Fluth unter unserem Bug — es war ein eigenes, schwer zu beschreibendes Gefühl. Doch die Wirklichkeit einer Landung im Schlamm machte bald allem diesem ein Ende. Vor uns tauchten die Umrisse der kleinen Stadt oder des Fischerdorfes St. Lorenzo auf; hie und 45 da brannte, in den leichten, auf Pfosten errichteten Hütten, noch ein Feuer; dann kam die rafch munter gewordene Bevölkerung des kleinen Ortes fchon völlig angezogen (im Hemde, wie sie immer gehen) . an's Nfer, und gleich darauf sahen wir uns von einem wahren Menschenschwarm umgeben, die auch Alle recht gut ausgeschlafen haben konnten, denn es war etwa um zwei Uhr Morgens. 2. Nnser Empfang am Lande war charakteristisch und überraschte uns^ etwas, denn wir hatten gar nicht mehr daran gedacht, daß wir uns in einem vollständig revolutionirten Lande befanden, oder es wenigstens eben betreten wollten. Der Doctor, der zuerst ausstieg, wurde nämlich von einem gar grimmig dreinschauenden und mit einer Lanze bewaffneten Neger angeschrieen: zu welcher Partei er gehöre? Mit der freundlichsten Stimme von der Welt antwortete der Doctor aber, ohne sich auch nur einen Augenblick Zu besinnen: „Zu Ihrer, lieber Freund — ganz zu Ihrer", und es war überraschend, welche Genugthuung dieser Aufschluß ga-b. Den Soldaten fchien damit ein Stein vom Herzen zu fallen, und als sie noch dazu hörten, daß „wir die Engländer seien, die den Patton 47 bevölkern wollten", thaten sie Alles, was sie uns' an den Augen absehen konnten. Der Doctor hatte übrigens vollkommen die Wahrheit gesagt, denn als ächter Ecuadorianer oder überhaupt Süd-Amerikaner, gehörte er wirtlich zu jeder Partei, die gerade die herrschende war. Die erste Nacht verbrachten wir auf den Boden des ersten besten Hanfes ausgestreckt, und in unsere eigenen Decken gehüllt, wobei mich nur wunderte, daß wir auch nicht von einem einzigen Mosquito belästigt wurden. Vorher aber brachte uns der Negersoldat, der uns vorher mit eingelegter Lanze empfangen, eine Flasche mit Branntwein, als Willkommen, umarmte mich dabei — der Kerl hatte den ächten mcphitischen Geruch der äthiopischen Rasse — und versicherte mich, daß er der beste und treuste Freund sei, den ich auf der Welt habe< Gott sei Dank, er log. Den nächsten Tag goß es, was vom Himmel herunterwollte, und wir benutzten die Zeit, unsere Briefe, die wir schon in EZmeraldas begonnen, an den unmöglichsten Schreibtischen zu vollenden. Am nächsten Tage fuhren meine Reisegefährten mit dem Voot nach Tomaco hinüber, sie dort auf die Post zu geben, und ich selber blieb, da ich vor der Hand der Seefahrt müde war, allein in San 48 . Lorenzo mid zwischen seiner liebenswürdigen Bevölkerung. Wie bequem wir es zum nächsten „Briefkasten" hatten, erhellt darans am Besten, daß das Boot sieben Tage brauchte, nm wieder Zurückzukommen. Ich war indessen in einem Haus einquartiert, das, allem Anschein nach, nur von einem Manu und seiner Frau nebst einem kleinen Kinde bewohnt wurde. Die Häuser sind hier alle sehr leicht auf Pfählen gebaut, und bei jedem Schritt zittert das ganze Gebäude. Die Frau hatte für uus gekocht, sehr primitiv, es ist wahr, aber im Ganzen nicht schlecht, und wir brauchten dabei weiter Nichts zu beobachten, als dem Kochen eben nicht zuzusehen, wir hätten uns sonst leicht den Appetit verderben können. Die Kocherei, wie besonders der Platz, wo die Speisen zubereitet wurden, ist eben nicht zu beschreiben. Kaum duukelte es an dem Abend, als sich das bis dahin ziemlich friedliche Stillleben änderte. Bis jetzt hatte mich nur der Mann genirt, der eiu furchtbares Geschwür auf dem Rücken hatte, und sorgfältig das Hemde in die Höhe geschlagen trug, damit es Jeder sehen konnte. Jetzt legte sich die Frau hin, bekam Magenschmerzen, und winselte kläglich; das Kind fing dazu an zu schreien, 49 ein kleiner, nichtswürdig magerer Hund sing an zu bellen, und der Mann zankte. Dazu lag unter dem Hans ein halbes zerbrochenes und umgedrehtes Canoe, über das eine alte blinde Kuh, die sich vor dem jetzt niederfluthenden Regen hierher geflüchtet hatte, ein- bis zweimal hinwegstürzte; kurz, es war ein wahrer Heidenlärm, und trotzdem, daß ich mein Bestes versuchte, in der Hängematte einzuschlafen, fand ich es zuletzt unmöglich. Etwas mußte geschehen; ich warf deßhalb dem Hunde ein paar halbe Coeosnußschalen an den Kopf und trieb die Knh in den Negen hinaus, dann. gab ich der Frau etwa 15 Tropfen Opium in Branntwein, nahm den Jungen in meine eigene Hängematte, und hatte nach etwa einer halben Stnnde die Familie ruhig und zufrieden. Das war aber nur die erste Nacht, und das Schlimmste sollte noch kommen. Die Frau bekam am nächsten Tage wieder Schinerzen, nnd drei Frauen, jede mit einem kleinen Kinde, nahmen sich ihrer an. Der Abend kam, und mit ihm anch wieder das unausweichliche Winseln der Frau, mit Zanken des Mannes, Kuh, Hnnd, Regen nnd dem dazu zu aodirenoen Gebrüll von heute vier Kindern, die ich unmöglich alle bei mir unterbringen konnte. Die Frau beruhigte ich wieder mit Opium Fr. Gevstacker, AcküMl Monat» in Siid-Amcrila. I, 4 50 und Branntwein, und ließ ihr dazn den Ln>b tüchtig mit Salz und Branntwein reiben; die Kinder mußte ich aber schreien lassen, und mochte etwa eine halbe Stunde in dem jetzt stockftnsteru Raume halb verzweifelt in der Hängematte gelegen haben, als draußen die Leiter knarrte. Ich hob den Kopf, und drei glimmende Cigarren — weiter ließ sich natürlich'Nichts erkennen — tauchten auf, und liesien sich, ohne einen wettern Laut, auf drei an der Wand stehenden kleinen Kisteu nieder. Kein Wort wnrde gesprochen; ich hörte nm das Gebrüll der Kinder, in den Zwischenpausen das ewige Spucken der Besucher auf den Boden, nnd sah dazu das nnheimliche Glühen der ordentlich leuchtenden Cigarrenstummel. Endlich aber mochte es der Visite doch mit dem Gebrüll zu arg werden. „UMito," brummte der eine' zwischen den Zähnen durch, stand auf, und verschwand gleich darauf in dem niederdräuschenden Regen — ich konnte nnr eben noch hören, daß er die schlüpfrige Leiter halb hinunterrutschte. Ihm folgte der zweite und dritte, und sie ließeu uns in unserm Elend allein. Die. Frau war ruhig geworden. Als sie aber am nächsten Morgen wieder klagte und Medicin verlangte, schöpfte ich Verdacht, daß sie das Opium 51^ nur des Branntweins wegen nahm, und gab ihr Versuchs halber die gewöhnliche Dosis diesmal iu einem Löffel Klauenfett. Ich kann dieses Mittel nicht genug empfehlen; es half fast augenblicklich, und die Schmerzen sind nicht wiedergekehrt. Ich selber aber hatte dieses Leben satt bekommen, und beschloß dem ein Ende zu macheu. Am nächsten Morgen schon ging ich aus, um mir ein Haus zu miethen oder zu kaufen, wo ich allein sein, allein und ungestört schlafeu konnte; an Arbeiten war in dem Aufenthalt ja so nicht zu deuken. Die Sache war auch viel leichter, als ich im Aufauge gedacht, denn ich fand ein allerliebstes kleines Haus mit einem trefflichen Dach, sonst aher ohne Möbel uud Wände, gerade wie ich es brauchte, dicht an der Bay steheud, das ich mit Grundstück und Allem, und Naum geuug zu einem kleinen Garten, für dm mäßigeu Preis von 25 Dollars erwarb. Zwci Wände ließ ich mir ein wenig von auseinander gebogenen Palmstämmen und Bambus herrichten, reinigte den Aufenthalt von einer Unmasse alter Calebassen, Vananen-schalen, Steinen, Harpnnenstangen und Angelruthen, befestigte meine Hängematte, brachte m«ne wenigen Habseligkciten auf an die Pfosten gehangene Regale von Vambns, borgte einen kleinen 52 Tisch, uud war nun, mit dev weiten Bay vor mir, mit keinen Kühen und Hunden nnter, wie mit keinen schreienden Kindern uidd tranken Frauen in dem Hause, so behaglich eingerichtet, wie ein Mensch in diesem Lande, in dem es fast ununterbrochen regnet, nur irgend sein kann. Und jetzt die Palmen, wie die ganze tropische fo wunderbar reiche Vegetation? Ich mnß gestehen, seit ich ein eigenes Plätzchen hatte, von dem ans ich mir das Alles rnhig betrachten konnte, ich war schon wieder damit ausgesöhnt, obgleich mich derNegcn noch immer genirte, und doch gehörte dieser Juni zu der sogenannten trockenen. Jahreszeit, wie mag es erst in der nassen hier aussehen! Wnnderbar verschieden ist aber dieser ganze nördliche Theil SüdMneritas von den weiter südlich gelegeneu Ländern, uud schon ein Blick auf Hie Karte zeigt den fabelhaften Wasserreichthum dieses Landes'. Während in Plrn säst gar kein Negeu fällt, und Tausende von Aeckern des besten Landes so lange dürr und unbenutzt liegen, bis sie von der sorgenden Hand des Meu-schen künstlich bewässert werden, ist hier oben im Nmdeu bis Panama, ja selbst bis Costa -Nica hinauf, die Luft feucht und der Boden so von Wasser getränkt, daß er die wasserreichsten Berg- 53 ströme nach allen Seiten aussenden kann. Ein Amerikaner, den wir mit uns an Vord der „Anna" hatten, nnd der seit längerer Zeit diese Küsten des Handels wegen bcfährt, meinte allerdings auch, es sei ein Land, in dem wirklich nnr ein Gummiela-sticumbanm existiren könne, der, wie der Pilz den natürlichen Regenschirm, so anch gleich von der allsorgenden Natur seinen Makintosh bekommen habe; doch aber scheinen sich die Leute hier vollkommen wohl zn finden, nnd in dem kleinen Neste St. Lorenzo am Pailon, das von Lagunen und Mangrovesümpfen umgeben liegt, bcfand sich, nach meiner erfolgreichen Kur mit dem Klauenfett, anch nicht ein einziger kranker Mensch mehr. Der Ort enthält allerdings nnr elwa 1^0 Seelen — eine nngknlbliche Menge von Kindern eingerechnet. ^ , - Toch ehe ich in meiner VeschreibnW der Ein-zelnheiten fortfahre, gebe ich dcm Leser lieber erst ein ungefähres Bild des ganzen Landes; er findet 'slch dann leichter zurecht. Ecuador ist ein Theil der fncheren großen Nepuolik Columbien, die fast deu ganzen Norden Süd-Amerikas umfaßte, und vor noch nicht so langen Iahreu in die drei Repnbliken Nen-Gra-nada, Venezuela und Ecnador aufgelöst wurde. 54 Sieht man nun die Karte an, so fragt man sich allerdings: Weßhalb thaten das die Leute? weßhalb behielten sie nicht ein großes und dadurch mächtiges Neich, und zerstückelten sich dafür in so viele Splitter? Lernt man aber das Land selber kennen, und reist mail erst gar darin, so springt Einem auch die vollkommen gegründete Nrsache einer solchen Zersplitterung in die Augen, denn in einem so großen, von mächtigen Gebirgen durchschnitteneu Reiche, in dem fast gar keine Verbindungswege bestehen, ließ sich eine wirkliche Regierung der einzelnen Theile durch die schlaffen Eingeborenen mcht aufrecht erhalten. Selbst diese jetzt viel kleineren Distrikte können sich nicht friedlich einrichten, und nicht allein der Ehrgeiz oder die Geldgier Einzelner — wie damals in Ecuador — trägt die Schuld an den steten Nevolutioueu, sondern in vielen Fällen —- wie vor Allem in Nm-Granada — die vollständige Unkenntiuß der gerade Negierenden von einem großen Theil ihres Landes, dem sie Gesetze anpassen wollen, die sich wohl auf einen Distrikt, aber nie und nimmer auf alle anwenden lassen. Ein anderer mißlicher Umstand ist der, daß noch von keiner dieser zahlreichen Republiken Süd-Amerikas die Grenzen fest bestimmt sind, und wenn 55 sie sich auch wirklich für kurze Zeit im Innern selber vertragen wollten, liegen sie sich fast immer gegenseitig ill den Haaren. Ecuador macht davon keine Ausnahme, ja ist vielleicht in dieser Hinsicht einer der am Schlimmsten verwickelten Staaten. Nicht allein, daß im Westen die Grenze mit Brasilien vollständig imaginär ist, und dieses Land, während Ecuador die Grenzlinie bis zum 7!^. Grad westlicher LÜnge von Greenwich zieht, das ganze Territorium», das der Amazonenslrom östlich von den Cordilleren bewässert, für sich haben möchte, verlangt Pern im Südeil bcinahe zwei Drittel des ganzen Reichs, nnd streitet sich Ecuador im Norden noch mit Nengranada nm die Inseln in der Mündnng des dortigen Grenzflusses Mira — hat also vollständigen und genügenden Stoff für interessante Aufregung noch auf Iahrzehende. Doch von der jetzigen Revolution später. Als sich die große Republik Columbien in diese verschiedenen kleineren auslöste, wurde die Staatsschuld derselben an England auf die verschiedenen Länder vertheilt, nnd Ecuador ist bis jetzt der einzige Staat, welcher Miene gemacht hat seine Schuld abzutragen. Es bot England nämlich für die 550,000 Psd. St. Land an, und fuchte dadurch in gar nicht unpraktischer Weise diese Last los 56 zu werden, während es zugleich seine eigene Bevölkerung hob, uud das eigene Laud werthvull machte. In England wurden darauf Bonds für dieses Land ausgegeben, und eine Gesellschaft kaufte einen großen Theil derselben an. Deren Plan ist nun, außer verschiedenen Laudstrecken im Innern und an der südlicher gelegenen Küste, vor allen Dingen d'en sehr günstig gelegenen nördlichsten Hafen Eenadors, der in dem eedirten Land iubegriffen ist, in Angriff zn nehmen, und dessen Ufer zu bevölkern, dessen Küsten zu bebauen, wie sich die zahllosen Hülssqnellen des Landes' dienstbar zu machend Die Gesellschaft selber besieht aus Engländern und Deutschen. Besonders sind verschiedene Deutsche im Directorinm, und ihr größter Wunsch ist natürlich, die deutsche Auswanderung nach diesem Puukt Amerikas vorzugsweise hinznlenken. Ob sie das erreichen werden, muß die Zeit lehren; einen günstigeren Boden für die Speenlation hat es aber wohl noch nirgends gegeben, nnd wenn die Sache nur mit tüchtigen Kräften und mit ein klein wenig gesundem Menschenverstand angegriffen wird, kann man ihr nur eine günstige Zutnnft versprechen. Ecuador selbst liegt recht eigentlich im Herzen 57 der tropischen Zone, denn der Acquator durchschneidet es. Der Pailon, der ziemlich die nördliche Grenze bildet, liegt etwa unter I"ZO nördlicher Breite, während die jetzige Südgrenze bis etwa 4" R»' südlicher Breite hinab — oder vielmehr, wie man hier sagt, hinanf geht. Wind und Strömnng sind nämlich im stillen Ocean, der die Neftufcr von Ecuador bespült, entschieden von Süd nach Nord, wie auch der Passat südlich von der Linie weht, wenigstens von Südost nach Nordwest. Wohin also die Strömnng nnd der Wind gehen, heißt hinab, woher sie kommen, h inau f. Von Peru an hat nun Süd-Amerika bis nach Cap Horn hinauf fast gar keine Flüsse, oder doch nur kleine Bergströme, die von dem schmelzenden Schnee der Cordilleren anschwellen und im Spätsommer zu seichten Bächen eintrocknen.'") Hier *) Hierzu fand sich die Redaction der Allgemeinen Zeitung, in welcher ein Tl'eil dieses Artikels abgedruckt war, bemüßigt, die folgende Aumerluug zu machen. „Diese Behauptung miissen wir durchaus beanstanden, soweit sie Baldiuia betrifft, über dessen außerordentlichen Wasser- und Strom-Neichtimm die A. Z. wiederholt berichtete, nnd das als Eolouisationsland für Deutsche wohl das zweckmäßigste ander Süd-WestMste Süd°Amerikas ist." N. d. A. Z. Die Redaction der Allgemeinen Zeitung, die Unschicklich» 58 dagegen, obgleich das Land zwischen den Cordil-leren und dem Meere nur wenig breiter ist als weiter im Süden, erzeugt das feuchte Land, mit den dem Grund entsteigenden Dünsten, ganz ansehnliche Ströme, die breit und einladend in das Meer münden. Schiffbar sind sie freilich deßhalb immer nicht, oder doch nur auf kurze Strecken, Auch der Pailon ist nur die breite, von verschiedenen Inseln erfüllte Bay jener Ausläufer; wenn aber auch die Mangrove den untern Theil desselben umgiebt, liegt im Osten desselben das reichste Land, und hier besonders ist die Heimath des Cacaobaunls, der bis zu zwanzig nno dreißig Fuß Höhe wächst und zahllose Früchte trägt. keit einer solchen Bemerkung gar nicht in Betracht gezogen, bat dadurch nur ihre geographische Unwissenheit bewiesen, denn ein Blick alls die Karte genügt, nm zu zeigen, daß große schiffbare Ströme nicht in einem 5.'ande sein können, das kaum 25 Leguas breit ist. Wasser giebt e3 in Valdivia genug, das habe ich zu meinem Schaden selbst erfabren, und auch Wsse, aber es sind Nichts weiter als Bergströme, nur kurze Strecken weit in das Land hinein schiffbar, während sie weiter oben von Stromschuellcn nnd eingeworfenen Fels-blocken nnfahrbar gemacht werden. Daß Chile 'das zweckmäßigste Colonisationsland au der Süd-Westküste Süd-Amerikas ist, lengne ich gar nicht, auch wenn es bort wirklich nicht das einzige Land wäre. 59 Die Bewohner dieser Küsten sind ane tolle Mischlingsrasse von Spaniern, Indianern nnd Negern, nnd eine bestimmte Abstammung ist wirklich bei den wenigsten herauszufinden, die natürlich ausgenommen, wo sich die Indianer noch'UN-vermischt erhalten haben. ' Einen solchen Stamm: die Cajapas, fand ich an der Tolamündnng, prachtvoll gebaute, herrliche Menschen, mit dem langen straffen Haar der Nasse. Eine höchst eigenthümliche Thatsache ist es aber, daß sie, allerdings von kupferbrauner Haut, doch eine entschieden lichtere Farbe haben als ihre Brüder, sowohl im hohen Norden, als im tiefen Süden Amerikas. Die Blackfeet nnd die Sionx wie die Pampasindianer, die in einem gemäßigten, in Patagonien sogar in einem kalten Klima leben, find weit dunkler, nnd die Färbung der Haut unter der heißen Sonne der Tropen, auf die eine Anzahl von Menschen pochen, nm die Abstammung der Neger von Adam nnd Eva aufrecht zu erhalten, bekommt dadurch einen gewaltigen Stoß. Thatsachen belehren sie aber doch nicht, denn sie haben eiueu blinden Wahn, den sie Glauben nennen. Die Sprache ist natürlich wie in ganz Süd-Amerika, mit Ausnahme Brasiliens, spanisch, nnd die Lebensweise so einfach, wic sie nur möglicher- 60' weise sein kann. Brod kennt man hier gar nicht, ausgenommen ein weniges dann nnd wann, das gelegentlich von Esmeraldas oder Tomaeo herüberkommt. Die Banane (Pisang, Platane) vertritt hier, wie anf den Südinseln die Vrodfrucht, Vro-dcsstelle, Uüd wird auf die verschiedenste Weise zubereitet, am Meisten aber noch nicht völlig reif und gebacken gegessen. Dazu halten sie sich etwas Rindvieh und Schweine, von denen sie gelegentlich ein'Stück schlachten, und leben außerdem von Fischen, von denen die Bay eine Masse der besten, Arten liefert. Dann und wann gehen sie auch wohl mit ihrer Lanze oder einer alten Muskete und ein paar Hunden auf die Jagd; im Gauzen scheint ihnen aber diese Art des Broderwerbs zu beschwerlich. Noch thatsächlicher tritt diese Fanlheit in dem kleinen Orte selbst zu Tage, deun in einem Lande, wo man die Saat wirklich nur in den Boden zu stecken braucht, um den reichsten Ertrag zn erzielen, hat kein einziges der Häuser eincn kleinen Garten, Und nur eine einzige CocoZpalme steht in dem ganzen Orte, wo es weiter Nichts bedurft hätte, als die Nuß einen Fuß tief in die Erde K'graben. Es ist ein altes Sprüchwort, daß ein Mensch nicht vergebens anf dcr Welt glwesen sei, wenn er einen 61 einzigen Baum gepflanzt. Ich habe in St. Lorenzo, ehe ich den Platz wieder verließ, doch wenigstens vier Cocospalmen gepflanzt. Qnito ist die eigentliche Hauptstadt des Landes, und dort bestand damals ein sogenanntes Zodittruo 1N'ovi30rio aus drei Präsidenten oder Direetorcn. Mit diesen war der gutgesinnte Theil der Bevölkerung, dmü dicse Lente wollten leinen „Soldatenstaat," sondern nnr eine Civilregiernng nno Hebung des Ackerbaus und dbr Gewerbe. General Flores war der Generalfeldinarschall dieser Partei, während General Franeo in Guajaquil, von dem Pcrnanischcn Präsidenten Castilla dabei unterstützt, dem Staat Quito den Krieg erklärt hatte und offen dabei heraussagte, daß er weder Wissenschaft noch irgend etwas Anderes der Art brauche, sondern einen Soldatenstaat haben wolle. Guajaqnil selber schien düsen Ehrgeiz keineswegs zu theilen. Franco hatte aber eine Menge Gcstndel zusammengelesen, das sich in der ruhigen Republik zu langweilen schien, und erklärte sehr gemüthlich: er wolle dem Lande den Frieden bringen u:.d die Bewohner glücklich machen, indem er d'ie eine HäWe derselben dnrch die andere todtschlagen lüß. ' So Haß nud Unfrieden, Zwietracht und Bür- 62 gerkricg überall, und wie Noth that doch gerade diesem Lande der Frieden, das, selbst, mit den unermeßlichen Hülfsquellen und Schätzen seiner Landstriche und Gebirge, in den letzten hundert Jahren nicht die geringsten Fortschritte gemacht, ja eher, wenn das möglich wäre, zurückgegangen ist. So liegt die alte Stadt Esmeraldas, von dem fruchtbarsten Lande, von Gebirgen umgeben, die reiche Schätze bergen, noch mit ihren Zwanzig elenden Vambushütlen, wie sie vor zweihundert Jahren erbaut wnrdc, und was könnte aus dem Lande geworden sein, weun sich oic anglo^sächsische Rasse desselben bemächtigt hätte — was wird daraus werden, wenn selbst jetzt noch eine thätige, betriebsame, unternehmende Bevölkerung einrückt, nnd die Schätze ausbeutet, die hier überall zu Tage liegen. Wnnderbarc Veränderungen werden dann mit diescm Lande vorgehen, und die jetzigen Bewohner desselben wohl eben so staunen, als die eben so lässigeil californischen Spanier staunten, als Schiff nach Schiff die fremden Einwanderer an ihre Küste warf. Ist aber erst einmal eine tüchtige europäische Bevölkerung hicr ansässig, dann hören auch von selber diese lächerlichen und doch für den Einzelnen so traurigen Revolutionen auf, die jetzt alle Augen- 63 ^ blicke die Bevölkerung entzweien, uud nicht allein den Arbeiter seiner Thätigkeit'entziehen, sondern auch stets mehr oder weniger Menschenleben kosten. Für den dabei uninteressirten Zuschauer hat es allerdings etwas Komisches, die verschiedenen zusammengelaufenen Armeecorps, die gewöhnlich aus sieben bis zwanzig Mann bestehen, zu beobachten; aber die Leute tragen Gewehre, die nicht allein manchmal losgehen, sondern auch zu Zeiten platzen; und was haben die armen unglücklichen Menschen gethan, die, mit nicht dem geringsten Ehrgeiz für sich selber, einer „Idee" zufolge (wenn wir eine Sache von Thaler, Groschen und Pfennig so nennen wollen) derartigen Gefahren preisgegeben werden. „Das Kaiserreich ist der Friede" — sonderbar, daß dieses Motto jetzt über die ganze Nelt verbreitet scheint, denn überall schlagen sich'die Nationen, überall ist Unfriede und Revolution, überall keimt der Same, den dieses „große Wort" über die Welt gestreut hat. „Das Kaiserreich ist den Friede." Doch jetzt nach St. Lorenzo zurück, wo wir noch eine Menge angenehmer Bekanntschaften zu machen haben — und was für ein wunderliches Völkchen lebte dort! — Ucberhaupl, wie rasch wechseln die Schicksale im Leben und werfen uns 64 arme Menschenkinder toll und rücksichtslos aus einer Ecke in die 'andere. Heute noch in dem freundlichen Thüringen, auf der wundervollen Nosenau, von allen Bequemlichkeiten, ja manchem Luxus der Civilisation umgeben, und sieben Wochen später als Hausbesitzer in St. Lorenzo, einem der entferntesten Winkel dcs Erdballs, den ans der Karte zn finden der Leser sich nur unnütze Mühe geben würde. Hausbesitzer in St. Lorenzo; vor meiner Thür -- eine Thür habe ich eigentlich gar nicht — steigt und fällt die Fluth, ich koche mir meinen eigenen Kaffee, fange meine eigenen Fische und thue-genan so, als ob ich ans der ganzen Welt keinen Menschen weiter hätte, der mich etwas anginge. St. Lorenzo liegt am Pailon etwa 1« 30" nördlicher Breite und ungefähr 78" westlicher Länge von Greenwich (denn ich bin einmal nicht mehr gesonnen, mich dem alten deutschen und faulen Schlendrian zu fügen, und nach Ferro zu rechnen, das nur noch die deutschen Landkartenkünstler kennen). Soweit die Länge und Breite. Sonst liegt St. Lorenzo an einer reizenden Bay, in welche eine Menge aus den Coroilleren kommende kleine 65 und klare Bergströme münden, und es hat den reichsten und fruchtbarsten Boden um sich, den mau sich auf der Welt nur denken kann. Allerdings liegt es ebenfalls an der Grenze der Manglaren oder Mangrovesümpfe, die seine, es vom Meere trennenden Inseln füllen. Diese Manglarensümpfe scheinen aber keine ungesunden Dunste auszuathmen, denn sie werden Zweimal täglich von der See bedeckt und rein abgewascheu, und können «deßhalb keine schädlichen Miasmen entwickeln. Dicht dahinter liegt aber auch höheres Land, mit einer Vegetation bedeckt, durch die man weder hinkriechm, noch die man beschreiben kann. Hier mögen die Leute herkommen, die Urwald zu sehen wüuschen, öder gar eine Sehnsucht haben, im Urwald spazieren zu gehen. Ich bin doch wahrhaftig schon iu mancher Wilduiß umhergewem-dert, aber man kann die Nomantik auch übertreiben/denn so Etwas-von Wurzeln, Stämmen, Dornen, Schlingpflanzen, Sumpflöchern und Lagunen ist mir noch nicht leicht vorgekommen. St, Lorenzo hat etwa 18 Häuser, auf einem Platz zerstreut, der, mit mäßiger Eintheilung, recht gut zweihundert tragen könnte. Dabei ist der Zwischeuraum aber keineswegs mit Gärten, son- Fr. Gerstäckcr, Achtzcbn Monate in Eüb-Amenta. i. 5> 66 dern nur mit Kühen, Hunden, Schweinen, Hühnern, und halb oder ganz nackten Kindern ausgefüllt, die sämmtlich rücksichtslos durch den nassen Boden herüber und hinüber waten. Einzelne Fruchtbäume stehen allerdings hier, besonders viele, mit delikaten Früchten bedeckte Orangen, sonst ist aber nur eine einzige tragende Cocospalme auf dem ganzen Platze zu finden, weil die Leute zu lästerlich faul sind, selbst nur eine Nuß in die Erde zu graben. Die Hänser sind so einfach wie dem Klima angemessen gebaut und stehen alle auf sechs bis acht oder zwölf, etwa zehn Fuß hohen Pfosten, und Bambusleitertt, oder noch viel häusiger, nur eingekerbte Stämme, die an dem schwanken Fußboden lehnen, dienen Menschen, Kindern uud Hunden zu Treppen, die dM6 6taZ6 zu erreichen. Es ist besonders erstaunlich, welche Geschicklichkeit die Hunde entwickeln, an diesem Befördernngs-mittel nicht allein hinauf, sondern anch herunter Zu laufen. Ich würde sagen, sie klettern wie die Katzen, wenn eine einzige Katze im ganzen Orte wäre,, einen solchen Vergleich zu gestatten. Die menschlichen Bewohner sprechen Spanisch, lassen sich aber sonst von jeder nur erdenklichen Rasse ableiten, und hätte jeder Farbentou auch ' 67 einen Klang, so könnt? das vollt önendste Instrument daraus zusammengestellt werden. Jedenfalls trägt die Kaukasische, Aethiopische uud Amerikanische Nasse die Urschuld an der jetzigen Bevölkerung. Doch auf die Bewohner kommen wir später zurück, und wollen uns jetzt erst einmal eine der Wohnungen etwas näher betrachten. Vorsichtig auf in den Schlamm fest getretenen Stücken Bambus und Holz, Cocos- und Cale-bassenschalen uud Niudenstreifen haben wir die Treppe — das heißt den eingekerbten Baumstamm erreicht, uud saugen nun erst nuten: ^.V6 Naria oder etwas Aehnliches, worauf von oben die Antwort puri^iiila oder eine andere Gebetformel folgt, was theils als Gruß, theils als Erlaubniß gilt, den Platz zn betreten. Mit der Erlaubniß sind wir aber noch nicht oben, denn der Pfahl ist nichtswürdig schlüpfrig, uud liegt nicht einmal fest, so daß schon eine Art Tnrner dazu gehört, glücklich hiuaufzukommen. Oben augelangt steigen wir dann erst über zwei oder drei kleine Kinder hinweg, die nackt und ungewaschen überall herumliegen, und hier kann tch nicht umhin zu bemerken, daß ich in meinem ganzen Leben — selbst nicht im Sächsischen Erz- 5" 68 gebirge — mehr kleine Kinder gesehen habe, als in St. Lorenzo. Weniger als fünf findet man in keinem Hause, und das Wunderbare dabei ist, daß sie alle von einem Alter scheinen. Wenn das so fortgeht, nicht mehr als dle übliche Zahl stirbt, und keine bedeutende Auswanderung stattfindet, so kann man recht gut berechnen, daß in hundert Jahren St. Lorenzo etwa 250000 Einwohner zählen muß. Kinder liegen überall, kriechen am Boden, schaukeln in Hängematten, saugen an ihren Müttern oder an den eigenen Fingern, werfen Calebassen mit Trinkwasser um, ärgern die Hunde und liegen fortwährend am äußersten Nande des Bodens, wo es aussieht, als ob sie jedm Augenblick hinab' stürzen müßten. Selbst in den nur aus Palmeu-rinde gelegten Fußböden sind überall Löcher, durch die sie mit größter Bequemlichkeit rutscheu könnten, und die Leiter oder der Vanmpfahl scheint eben so bereit Zu ihrem Gebrauch, wie für den der Hunde und Erwachsenen. Nichtsdestoweniger kümmert sich kein Mensch um sie, man hört auch nie, daß eines wirklich hinabgcfallcn sei — oder wenn das wäre, daß es Schaden genommen hätte, und die Mütter gehen zum Wasserholen oder fahren in die Bay hinaus, Austern Zu snchen, und 69 überlassen die Würmer ruhig sich selbst und ihrem Schutzgeist, der hier jedenfalls alle Hände voll zu thun hat. In der Stube selber — die das ganze Haus einnimmt — sieht es wunderlich genug ans. An ein Ameublement ist natürlich nicht zu denken, man müßte denn hie nnd da einen niedrigen Tisch und ein paar Stücken Holz dazu rechnen, die zu Sitzen dienen. Wände existiren ebenfalls nur in einzelnen Fällen, und dann zwar aus gespaltenem Vambns oder eben solcher Palmenrinde. Die Lnft hat überall freien Dnrchgang, nnd nur das Dach ist mit zusammengeschnürten Palmenblättern fest nnd dicht gedeckt, nm nicht auch noch den finthenden Negen von oben hereinzulassen. Auf ein paar Qnerstaugen von Bambus, in der Mitte des Hauses, liegen einige Harpunen und Angclrnthen, auch wohl ein paar breit geschnitzte Nuder, dazwischen steckt eine nmcchetk — ein langes breites Messer, das zum Lichten der Waldung und zu verschiedenen anderen häuslichen Bedürfnissen dient, drei oder vier Hängematten schwingen überall im Wege, einige sehr kleine Holztisten stehen an den Seiten, und die innere Einrichtung, mit einem eisernen Topf und sechs bis acht Calebassen, die auf einem rohen Koch- ' 70 heerd ihren Platz haben, ist fertig. Eine Art Balkon darf ich aber nicht vergessen Zu erwähnen, der, kunstlos bis zum Aeußersteu, zu Jedem dient, was in irgend einer Haushaltung Vorkummen kann, Dort liegen Cah'basst'n- und Austerfchalen, Bananenreste, getrocknete, Fische, Orangenschalen, Nachttöpfe, Wischtücher und vorräthige Früchte in malerischer Unordnung durcheinander, und — aber es geht wahrhaftig nicht — ich kann mich nicht weiter auf diese Schilderung einlassen. So viel darf ich aber sagen, daß mir der Schmutz und Unrath in diesen Wohnungen menschlichen Fleißes zu arg wurde, und ich mich den Nächten mit Kindcrschreien, Hundebellen uuo allen möglichen anderen Aufregungen dadurch entzog, daß ich mir eben ein eigenes Haus kanfte. Uebrigens setzte ich die Eingeborenen in Erstaunen, als ich dasselbe bezogen nnd meinen Schreibtisch hergerichtet hatte, denn dort drüben wäre es nicht möglich gewesen, auch nur eine Zelle zu schreiben. Da die Burschen auf der Gotteswelt Nichts zu thun haben, als die Woche vielleicht zweimal Bananen zu holen und eine Stunde des Tages Fische oder Austern zu fangen, war ihnen meine Arbeit etwas Neues, und sie machteil Anstalt, sich bc'i mir stetig einzuquartieren. Daß sie mir dabei überall den 71 Boden bespuckten, verstand sich von sclbst, und ich überraschte sie einigermaßen, als ich sie ohne Weiteres zur Bude hinausjagte. Ich erklärte ihnen dabei, daff ich dies Haus genommen habe, um vollständig allein zu sein> und wenn sie mich besuchen wollten, möchten sie einmal kommen, wenn ich nicht zu Hause wäre. Als ich das mit drei oder vieren gemacht, ließen sie mich in Ruhe. Es ist schlimm genug, auf einem rolleudeu Faß zu sitzen und seine Gedanken Zu sammeln, es fehlte noch, daß mau sich über die faulen Beugel ärgerte. Die kleine Stadt hat übrigens den Vortheil, daß in ihr nicht ein einziger Laden,, überhaupt gar Nichts auf der Welt für Geld oder gnte Worte zu haben ist — agua lnäiLut^ ausgenommen, die ein Menschenfreund von Tomaw von Zeit zu Zeit herüberfchafft, und für einen Viertel-Dollar drei Viertel Flaschen verkauft. Die Leute leben dafür aber auch wirklich wenig besser als die Indianer, und daß sie dem Namen nach Christen sind, macht darin natürlich keinen Unterschied. Die Banane ist das tägliche Brod, das auf die verschiedenste Weise zubereitet wird; dazu essen sie dann und wann etwas Neis, wenn sie ihn haben, Fische, Mtern, Muscheln und was sie sonst an Wild mit ihren Schrctflinten erlegen können — 72 und das ist wenig genug. Sie halten sich allerdings Hühner, das scheint ab^c nur mehr zum Staate zu sein, denn einen wirtMen Nutzen habe ich noch nicht daraus ziehen sehn. Natürlich lebe ich jetzt so einfach wie sie: Morgens Austern und Reis Zusammengekocht, was gar nicht so übel schmeckt, dazu eine gebackene Banane und eine Tasse Chocolade. Der Cacaobaum wächst wild iu Ecuador — wild aber natürlich nur sehr vereinzelt, und zur Anpflanzung dieses nützlichen Baumes haben es erst sehr Weuige gebracht. Zuckerrohr, Kaffee, Vanille, die verschiedensten Arten von Gewürzen, kurz Alles, Alles, was die Vegetation nur Kostbares auf der Erde erzeugt, könnten sie hier mit der größten Leichtigkeit bauen, und thun gar Nichts auf der Gotteswelt, als daß sie sich, vom Hunger getrieben, ein paar Fisch? fangen. Es ist das traurige Bild einer heruntergekommeneu Nasse, die, wenn es anch hier nicht den Anschein hat, als ob sie ausstirbt,, doch jedenfalls dereiust eiuer anderen weichen muß, denn eben so viel Recht wie d ie se Menschen, hat anch der Indianer der Wälder, das Land für seine Iagd-gründe zu beanspruchen, und welcher ävilisirte Staat nimmt noch auf einen Indianer Rücksicht? Und dennoch hat dieses kleine Nest einen Vor- 73 ^zug vor manchem andern Orte — kcine der drei Facultäten ist hier vertreten, keine Zeitung, keine Polizei, kein Magistrat, nicht einmal ein Geheimer Nath ist hier, — was will man mehr? Da ist jedenfalls Hoffnung für eine glückliche Znkunft. Ich sagte vorher, daß die Häuser keine Gärten haben; darin finden jedoch Ausnahmen statt, das heißt hier und da ist auf Pfählen ein altes, nnbrauch-bar gewordenes Canoe aufgestellt und mit Erde gefüllt worden, in dem einige Zwiebeln und dann und wann auch ein paar Blumen wachsen. Weder Zwiebeln noch Blumen sollen nämlich, einer Unzahl kleiner Ameisen wegen, hier in der Erde gezogen werden können. Hängende Gärten der Se-miramis — spreche Einer von den sieben Nnndern der Welt, der Ecuador noch nicht gesehen hat! ./ Der Gesundheitszustand war dazu,, wie schon vorher erwähnt, vollkommen befriedigend und doch — wäre Jemand an dem Tage, an welchem ich mein Haus bezog, nach St. Lorenzo gekommen, so würde er geschworen haben, daß dieser kleine Ort das größte Fieberncst der Welt sei. In allen Häusern lagen aber.nur die Männer krank am Fieber nieder, und schienen mit verbundenen Köpfen und geschlossenen Augen geduldig ihrer Auflösung entgegenznharren. Am nächsten Tage 74 warcn sie aber Alle wieder gesund wie die Fische, und Einige rnderten sogar noch vor Tagesanbruch mit einer Kraft nnd Allsdauer über die Bay, als ob ihr Loben davon abdinge. Das Räthsel ist leicht gelöst, denn nicht das Fieber, sondern die Revolution lag ihnen in den Gliedern, wenn ich gleich damit nicht gesagt haben will, daß auch nur irgend Einer von ihnen eine selbstständige politische Meinung gehabt hätte. Sie wollten nnr eben nicht Soldaten spielen, und da Franco die Lente zu Kriegern pressen ließ, entzogen sie sich dem mit derselben Energie, wie sie sich einem gleichen Ansinnen des General Flores entzogen haben würden. Eine solche Werbetruppe des General Franco war hier eben eingetroffen. Mir gerade gegenüber, in einem auf Pfählen errichteten Hause ohne Wände, Thür, Fenster nnd Dach, lagerte und exercirte die Truppe von sieben Mann und einem Officier,' warb für die gute Sache und wartete auf die Unterstützung von Tomaco. Die Leute hier hatten aber nicht die geringste Lust, nach Esmeraldas in die Schlacht zn ziehen, nnd als gütliches Zureden Nichts half, wnrdcn sie ernstlich krank. Wie die Fliegen lagen sie umher, und erst als die sieben Soldaten sämmtliche Canoes 75 des Ortes zusammenholten und unter ihrem Fort auf's Trockne zogen, wurden sie für ihre Sicherheit besorgt/ Einzelne flüchteten in den Wald, den Abmarsch der kriegerischen Schar zu erwarten, Andere griffen zu einem noch perzweifeltern Mittel und stahlen ihre Canoes unter den Nngcn der Schildwache selbst weg, und als den einen Abend Ordre kam, daß die Verstärkung vom Pailon zur Hauptmacht stoßcu solle, waren nur noch fünf Mann, den Officier eingerechnet, übrig, nnd eben genug, eine zum Proviant bestimmte Kuh mit fortzuführen. Die Berichte, die wir dazu von derMündnng erhielten, wo ein paar Häuser, St. Pedro genannt, liegen, lauteten ebenfalls nicht ermuthigcnd, denn statt der erwarteten 200 Mann waren uur 12 Mann eingetroffen. Das Nesnltat dort blieb ebenfalls nur ein sehr geringes. Sie verzehrteil die Knh, die sie mitgenommen; nud kehrten, als sie einsahen, daß eine solche Streitmacht doch nicht gut eine feindliche Stadt überfallen könne, ruhig in den Kreis ihrer Familien zurück. Die Scenerie ist prachtvoll; überall ragen aus dem Wald die herrlichstem wild wachseudeu Palmen hervor, ihre Stämme stecken aber in einen: solchen Dickicht von anderer Vegetation, daß sie, 76 selbst an der Wurzel abgehauen, au vielen Stellen mit dem besten Willen nicht einmal umfallen könnten. Veim Lichten des Waldes muß daun anch erst einer jener riesigen Stämme die Bahn brechen, der in der Wucht seines Falles alles Uebrige rücksichtslos mit zu Boden reißt. Man darf überhaupt in der Welt nicht zu viel Rücksichten nehmen, wenn man sich Bahn brechen will. Dicht um das Wasser her nimmt fast nur der Mangrovebaum mit seinen wunderlichen Wurzeln den Naum in Anspruch. Manche vun diesen alten riesigen Bäumeu habe ich gesehen, die genau so aussehen, als ob sie die Wurzeln in die Höhe und die Aeste auf den Boden streckten, denn ihre Stämme berühren gar nicht, oft nicht einmal mit einem Hauptwnrzelarm, den Grund, sundern stehen, von unzahligen Fasern und Auszweigungen getragen, wie frei in der Luft. Unter diesen bogenförmigen Abzweigungen der Wurzeln, die mit einem undurchdringlichen Gewirr schlammbedeckter Fasern und Aeste den Boden bedecken wächst und wühlt die Fluth, und läßt in der Ebbe. den Grund darunter, wie eben so viele Höhlen, nackt und bloß. Aber die ganze Natur lebt und webt dabei, und wie aus allen Richtungen her ein wildes Gewirr von Vogelstimmen an ^ 77 ^ des Jägers Ohr tönt, der mit leisem Ruderschlag sein Canoe durch diese Wasser lenkt, so ist auch fast keine Mangrovewurzel, die nicht ihre wunder-lichen Bewohner in Gestalt der verschiedensten buntfarbigen und schwarzen Krabben hat. Die Fische stellen diesen Thieren nämlich gierig nach, und die Krabbe, die zur Ebbezeit ein höchst 'gemüthliches und beschauliches Leben unter den verschiedenen schlammigen Schlacken am Ufer führt, oder auch ihre besonderen Privatlöcher an der steilen Lchmbank hat, ist genöthigt, ihre Zuflucht bei Fluthzeit Zu den nicderhängenden Schößlingen der Mangrove zu nehmen, um an diesen aufwärts ihren gefräßigen und schnellen Feinden zu entgehen. Seitwärts sieht - man sie überall daran auf- und ablaufen, und die Fischer nehmen sie als leichte Beute in Beschlag, ihre Angeln mit ihnen zu ködern. Die Bay ist übrigens außerordentlich fischreich, und große vortrefflich schmeckende Austern kommen in der Ebbe überall zu Tage, Jedem offene Tafel gönnend, der Lust hat, sie zu vffnen und zu verzehren. ^ Die Inseln, die der auslaufende Strom bildet, sind allerdings nur meist niedere Mangrovesümvfe, hier aber schon am Pailon fängt das höhere Land 78 an, und dehnt sich in einer fruchtbaren, aber noch wasserreichen Ebene bis zu den nächsten, nicht sehr fernen Abzweigungen der Cordilleren aus. Da ich übrigens glücklicher Hansbesitzer eines auf neun Pfählen, wie auf einem Kegelspiel stehenden Hauses oder Wigwams, also damit auch Bürger vou St. Lorenzo geworden, war ich auch im Stande, das dortige Stillleben (fünf und zwanzig Kinder schrieen die ganze Nacht, sechs und dreißig Hunde bellten, und man hörte sie alle) genau kennen zu lernen, und den Leser wird es vielleicht interxessiren, eine kurze Skizze, vom Gesichtspunkt eines civilisirten Menschen aus, zu durchblä'tteru. ' Trotz meiner, übrigens nicht bedeutenden Civilisation, war ich auch schon vollkommen Indianisch eingerichtet, und denk' ich jetzt zurück, seh' ich jetzt den Platz noch bis zu dieser Stunde vor mir. Auf deu Bambusstäben, die meine Decke bilden, liegen meine Harpune, meine Angelruthe und mein Ruder. Die Doppelbüchse hängt mit Tclestop und Bergstock an einem Pfahl, deuu eine richtige Wand habe ich eigentlich nicht, und unten vor dem Hause an einem Bastseil liegt mein Canoe. Vier Calebasseu für Wasser, ein eiserner Kochtopf mit einem Chocolaoenkocher, ein Teller, eine 79 Tasse und ein hölzerner Löffel bilden mein Kochgeschirr, einige getrocknete Fische und eine Cale-basse mit Ncis, wie eiu Korb mit Orangen, eine reifende Fruchttranbe der Banane, und ein Dntzend grüner Cocosnüsse meinen Speisevorrath, und mein Schreibtisch ist einer jener nichtswürdig niedrigen, kaum fußhoheu Tische, die hier Mode sind, auf ein halb durchgehauenes Canoe gestellt, mit einem halben Eimerfaß als Stuhl. Die andere Hälfte des Canoes wnrde nämlich dazu verwandt, einen Indianer zN begraben, der ans irgend einem Grunde gestorben war. In seiner Hälfte modert er jetzt, auf meiner schreibeich nach Deutschland — so ungleich smd die Schicksale in der Welt vertheilt. Eigentlich ist es ein wunderbares Volk, das diese Küsten bewohnt ^- ein Mischlingsstamm aus .Spaniern, Indianern und Negern — nnd hätte Achulichh'it mit den Südseeinsnlanern, wcnn die Verhältnisse nicht so ganz verschieden wären. Der Südseeinsulaner arbeitet nämlich nicht, weil ihm die Natur Alles bietet, was cr zum Leben braucht, und die Vrodfrucht ihm in den Mund wächst. — Der Ekuadorianer arbeitet ebenfalls nicht, aber trotzdem, daß ihm die Natur keine Vrodfrucht über die Nase hängt. Er hat Nichts zu essen, ___80^ » aber das genirt ihn nicht im Geringsten, und nur im äußersten Nothfall schlendert er hinaus in seinen Vananengarten, den er einmal vor Jahren anlegen mußte, wenn er nicht verhungern wollte, oder fängt ein paar Fische für sich nnd die Seinen; das ist Alles. Woher er seine Kleider bekommt, ist ein Räthsel, das nur die Kaufleute in Esme-raldas und Tomaco zu lösen wissen, denn dort sollen alle diese Leute Summen schuldig sein, und nur wie ihnen Jemand borgen kunnte, begreife ein Anderer. Natürlich siud sie abergläubisch, uud der Mond spielt bei ihnen eigentlich die Hauptrolle. Nichts geschieht, wenn der Mond nicht, wie sie meinen, passend dazu am Himmel steht; und w i e sie das wissen, ist mir ebenfalls ein Räthsel, denn der Himmel ist das ganze Jahr bewölkt, nnd ein Kalender existirt im ganzen Neste nicht. Zu kaufen ist hier gar Nichts, außer dann und wann einmal eine Flafche Agua ardieute oder Syrnp, die eine einzige Frau hier aus einem kleineu Feld mit Zuckerrohr verarbeitet. Sie besitzt auch 3 Pfd. weißen Zucker, für den sie 3 Real das Pfund — '/2 Thlr. — verlangt, nnd da ihn Niemand kauft, wird sie ihn selber verbrauchen müssen. ^81 Eines Tagcs hatte ich gar Nichts im Haus zu efsen und konnte, des ewigen Regens wegen, nicht auf die Jagd gehen. Im ganzen Orte war dabei kein Fisch, keine Banane zu kaufen, und zur Verzweiflung getrieben, beschloß ich endlich eines der hier zahlreich herumlaufenden Hühner käuflich an mich zu bringen. An welches Hans ich mich .aber auch wandte, es war keines zu bekommen. ,,M Iig.7, Lennox" lautete die stete Antwort — „wir haben keine." Aber wem gehören die alle, die hier herumlaufen? — „Hui^u Labe?" sagten sie achselzuckend — dies verzweifelte Huien «ade, das mich schon in California so geärgert hatte! Abör ich war hungrig und fest entschlossen, diesmal mich nicht abweisen zu lassen. Ohne deßhalb ein Wort weiter zn verlieren, ging ich zu meinem Haus, nahm meine Büchse und schritt der nächsten Wohnnng zu', wo ich die meisten Hühner versammelt fand. „Was wollen Sie thun, Sennor?" fragte die eine Frau erschreckt. „Eines der Hühner schießen," erwiederte ich, „der Eigenthümer wird sich dann ohne Zweifel melden." — Das half — der Eigenthümer meldete sich — ehe ich die Büchse am Backen hatte, in Person' der allen fetten Donna selber. Sie bekannte sich, als die Besitzerin der Hühner und verkaufte mir Fr. Gcrftäckcr, Acht^lm N^nate in Süd-Aunr!^. > l' 82 jetzt ohne Murren eines derselben, mit dem mein Blutdurst gestillt war. Eine andere höchst schwierige Sache ist es hier, Chocolade zu bekommen, obgleich man Ecuador das Vaterland des Cacaobaumes nennen kann. Der Indianer, der in der anderen Hälfte des Canoes liegt, hat eine große Anpflanzung von mehr als tausend Bäumen hinterlassen, und kleinere Cacaogärtcn liegen au verschiedenen Stellen. Cacao ist auch genug zu bekommen, aber keine Chocolade, die von den Frauen hier zwischen Steinen gerieben oder „gemahlen" wird. Was sie nothdürstig für sich brauchen, mahlen sie allenfalls, mehr nicht, obgleich man ihnen gern das Pfnnd mit 2 Realen 10 Sgr. bezahlt. Den Cacao selber sammeln sie auch natürlich mit dem Mond. Die Frau des Mannes in dem halben Canoe monopolism außerdem fast den Verkauf, das heißt sie ist die Einzige, die dann und wann mehr macht, als sie selber braucht, und mit keinem Brocken mehr im Haus ging ich zu ihr. „Ja, ich will mahlen," sagte sie, „wenn ich „trockene Bohnen" hätte, aber 20 ka^." — Gut, trockene Bohnen waren, wie ich wußte, zu bekommen. Ich ging zu einem anderen Haus, kaufte zwei Pfuud und brachte ihr dieselben, die sie am nächsten Tage zu mahlen ver- 83 sprach. Da ich Mßte, was auf derlei Versprechungen zu geben ist/ setzte ich meine Bemühungen fort, und es gelang mir richtig, ein Pfund Choco-lade für den augenblicklichen Bedarf aufzutreiben. Zwei Taqe später begleitete ich den Englischen Ingenieur als Jäger in die Berge, wo ich nur zwei bis drei Tage bleiben wollte, aber neun Tage ausblieb, und mein erster Gang war, nach meiner Rückkunft, zu der Frau, die Chocolade abzuholen. — „Ja, ich wollte gern mahlen," sagte sie, „aber es giebt keine trockene Bohne n." — „Den Henker auch," rief ich, „ich hab' Dir ja selber zwei Pfund gebracht." „Ja, das ist wahr," erwiederte sie mit voller Gemüthsruhe — „die hab'ich freilich selber aufgebraucht—sowie aber der Mond gut ist, gehe ich hinaus und sammele andere/' — und da soll der Mensch nicht fluchen. Die Häuser stehen hier, wie schon gesagt, auf Pfählen, und Zu Treppeu dienen fast einzig und allein roh eingekerbte Baumstämme - für meine Treppe ebenfalls, von der ich, trotzdem, daß ich das Haus schon vier Wochen hatte, erst dreimal hinnntergefallen war. Erstaunlich ist es aber, welche Fertigkeit Kinder, Hühner und Hunde be-sitzen, diese Verkehrsmittel hinauf- uud hinabzulaufen. Besonders die Hunde Visitiren Abends die 84 verschiedenen Häuser, irgend eßbare Gegenstände zu finden, und überraschen nicht selten den glücklichen, in seiner Hängematte liegenden Besitzer durch eine kalte, in seine Hand geschobene Nase. Zweimal ist es mir anch passirt, daß ich Nachts andern Besuch bekam. Ginmal wach' ich auf und höre, wie sich irgend Icmaud in meinem Hause äußerst lebhaft mit einem andern unten befindlichen Individuum nnterhält. Ich springe aus der Hängematte uud frage, in der Stockduukelheit, wer da ist. „Ich biu's," sagte eine, natürlich vollkommen fremde Stimme. — „Und zum Teufel, wer ist der ich?" — „Oh, ich wohue in San Pedro und habe mich verirrt — ich will jetzt hicr schlafen." — N'un ist es aber Sitte, daß Niemand ei?! fremdes Hans betritt ohne den Ruf ^ve Naria, worauf er eine Antwort des Besitzers oder Inwohnen-den abzuwarten hat -^ noch dazn bei Nacht. Der Bursche war aber gegen allcs Völkerrecht in voller Dunkelheit zu mir heraufgeschlichen, uud ich jagte ihu deßhalb, trotz des uiederfluthenden Ne-gens, ohne Erbarmen wieder hinaus; naß war er doch einmal. Kurze Zeit vorher war mir Aehnliches passirt, und ich zog von da au meinen Baumpfahl Abends ^85^ vor Schlafengehen wie eine Zugbrücke herauf — aber selbst das ist tein Schutz. Eines Tages hatte ich mir einen Peon gemiethet, am nächsten Morgen eine. kleine Wanderung vorzunehmen. Am dem nächsten Morgen goß es aber, was vom Himmel hernnter wollte, und der Peon kam mit Tagesgrauen, mich zu fragen, ob wir trotzdem gehen wollten. Der eingekerbte Stamm war noch heraufgezogen; das genirte ihn jedoch nicht im Mindesten. Wie eine Katze kletterte er au dem Eckpfahl herauf, legte sich mit beiden Armen auf die Diele und sagte: „Guten Morgen, Sen-nor — es regnet." Die sechzehn oder achtzehn Häuser des kleinen Ortes liegen zerstreut auf dem vielleicht zehn Acker großcu Bauplatz von St. Lorenzo; da aber Alles offen oder nur durch Bambusstäbe ein klein wenig vor dem Blick der Nachbarn geschützt ist, so bildet der ganze Ort gewissermaßen eine Familie, in der Jeder genau weiß, was in dem Nachbarhause passirt. Kein Kind kctnn husten oder schreien, kein Hund bellen, ohne daß es sechzehn Häuser stört. Nachts hört mau die Unterhaltungen aller Orten, nnd die Marimba, das Lieb-lingsiustrument der Eingeborenen, klimpert in Einem fort. Diese entsetzlichen Instrumente sind 86 nie rein gestimmt, selbst von der Geburt an, und da sie Niemand verderben kann, hat der Vater kaum die Klöppel hingelegt, als sie der Sohn schon wieder aufnimmt nnd weiter hämmert. Die Melodie, die sie zu ihrem nicht nngraciösen Tanze benutzen, bewegt sich in drei oder vier Tönen, und nur die Ausdauer ist dabei zu bewundern, ' mit der sie oft zehn uud zwölf Stunden lang un-unt^rbrochen in Gang gehalten wird. Die Begleitung dazu bildet eine Art Trommel, oder in Ermangelung dieser irgend ein Kasten, der im Tact mit dcn Fäusten gestoßen oder gehämmert wird. Zm Walde giebt es ciinm Vogel, der eine.ähnliche Melodie pfeift, und sie nennen ihn den Ma-rimb ero. Die Cajapas-Indianer fabriciren auch eine Art von Guitarre, die sie, wie ein Canoe, ans einem einzigen Stück Holz sehr geschickt aushöhlen. Ein Mann hier im Orte, derselbe, der mir mein Hans verkaufte und eine Art von Zimmermann oder Kunsttischler ist, versuchte etwas Aehnliches. Er nahm einen ziemlich harten Baumstamm, und hackte wirklich, mit anerkennungswerther Ausdauer, die Form eincr Guitarre heraus, als er aber dazu kam, das Ding auszuhöhlen, gab er es in Verzweiflung auf, und es liegt jetzt vor meiner „Treppe" 87 als „Schlämmstufe", während ich mir acht Tage vergebens den Kopf darüber zerbrach, zu was der wunderliche Holzblock eigentlich bestimmt gewefen. Nur eine einzige Guitarre ist im Orte, die leidlich gespielt wird, aber einige musikalische Frauen haben wir hier, und in stiller Nacht erhebt sich manchmal plötzlich aus der einen oder der anderm Ecke eines der wunderbarsten Geqnitsche, das menschliche Einbildungskraft je Gesang genannt hat. Die eine Frau — sie wohnt nnr zwei Häuser von mir und ich kann sie vollkommen deutlich hören — ist besonders komisch darin, denn sie lM stets den Schlncken, was sie aber keineswegs am Singen hindert. Die Wirkung, die das in der fast stets wehmüthigen Melodie hervorbringt, ist äußerst eigenthümlich. Manchmal schreit auch ein Kind dazwischen, und ich kann an der Schwingung des Tones hören, wie sie die Hängematte schaukelt; das Kind soll aber noch geboren werden, das sie verhindern würde, ihr Lied zu unterbrechen. Kleine Hindernisse existireu für die Frau nicht. Handwerker giebt es hier gar nicht, meinen Zimmerman)! ausgenommen. Hüte ^ die sogenannten Panamahüte — flechten übrigens verschiedene Lente, auch lebt ein Mann hier, von dem 88 das Gerücht geht, daß er einmal ein Nad gemacht hätte, aber kein Mensch weiß hier, was eigentlich ein Nad ist, denn Niemand hat noch eines gesehen, oder weiß sich zu erklären, zu was es eigentlich dienen könnte. Sie haben das Wort in ihrer Sprache, etwa nüt einem ähnlichen nn-bestimmten Begriff, nüt dem wir das W ort Chaos anwenden. Keine Uhr ist in dem ganzeil Orte, keine ZHühle, nicht einmal eine Kaffeemühle, kein Schiebkarren, kurz Nichts, das auch nnr in der entferntesten Weise an einen Rad ähnlichen Gegenstand erinnern könnte. Eben so wenig haben die Leute hier je ein Pferd gesehen — es müßten, denn Einzelne da sein, die von weiter her eingewandert sind. In den einzigen benachbarten Orten, Esmeraldas und To-maco, giebt es nämlich eben so wenig Pferde, denn die Plätze sind in die Wildniß eingehalten, und der einzige Verkehr von dort ist zu Wassev. Hier in ganz St. Lorenzo bin ich der Einzige, der Abends Licht brennt — gute Stearinlichter noch dazu, die ihren milden Schein in einer alten Stalllaterne vergeuden. Die Laterne ist aber nöthig, und zwar darf sie, wie die meinige, nnr drei Scheiben haben, um das Licht nach einer Seite zu werfen, während es auf den anderen '89 drei Seiten — ich sitze immer gegen den Wind — vor diesem geschützt ist. Stehe ich Abends aber einmal anf, und bewege mich in meinem Wigwam, so bellen im nächsten Augenblick anch sämmtliche Hunde in der ganzen Stadt; dadurch geweckt, fangen die Kinder an zu schreien, und es bedarf einer vollen Stnnde, bis sich Alles wieder beruhigt. — Wir haben die Beispiele ja auch in Europa, daß kleine Ursachen große Wirkungen hervorbringen. Ucbrigens spielte ich auch, in gar nicht etwa so seltenen Fällen, den Arzt, nnd it'urirte kaltes Fieber nnd Kolik wahrhaft meisterhaft mit Brech-weinstcin, Ipecacuanha, Chinin lind Opium, konnte aber, trotz dieser nützlichen, wenn auch nicht sehr lohnenden Beschäftigung, doch die Zeit kanm erwarten, wo ich auf's Neue meine Büchse schnttern und in den stillen Wald hineinwaudern mochte, mir noch fremden neuen Gegenden zu. An Unterhaltung fehlte es mir ebenfalls, denn daß jenes kleine Detachement Soldaten, wenn es sich zeitweilig ill St. Lorenzo aufhielt, den ganzcn Tag nach einem nicht weit von meinem Haus entfernten Stein schoß, und uie den Platz fand, wo die Kugeln eingeschlagen waren, konnte mich wohl 90 in einer angenehmen Aufregung halten, aber doch nicht für die Länge der Zeit fesseln. Vor den Soldaten fürchtete sich übrigens ganz St. Lorenzo, nnd die entsetzlichsten Gerüchte liefen von Mund zu Mund, ja wurden fast zur Gewißheit, als eines schönen Tages eine alte Negerin in einem Canoe hier eintraf und wahre Näuber-geschichten von Haus zu Haus trug. In Folge davon kam auch-richtig noch an dem nämlichen Abend ein besorgter Familienvater zn mir, erzählte mir, daß er gehört habe, Franco's Bande würde die Stadt überrumpeln, und frug an, ob er mir in dem Fall nur seine Familie bringen dürfe: eine Frau, zwei Töchter und drei schmutzige Jungen. Bei dem Fremden fühlten sie sich sicher, und in dem Fall hätte ich mir eine schöne Colonie von hülfsbedmftigen Damen anf den Hals laden können. Die Sache war aber lange nicht so schlimm als sie gemacht wurde, denn „Franco's Bande" traf wirklich ein, ohne daß auch nur ein Mensch in dem kleinen Orte von ihr gekränkt wurde. Zwei Tage später nämlich, als ich Morgens aufstand, wmde ich durch ein prächtiges Schauspiel überrascht. Vor mir lag die, einmal ausnahmsweise von der Sonne beschienene, freund- 91 liche Bay, und auf dieser kamen langsam mit der steigenden Fluth vier so malerische Kriegscanoes angeschwommen, wie ich sie in meinem ganzen Leben, nur gesehen habe. Mit meinem Teleskop konnte ich sie schon von Weitem deutlich erkennen, und alle waren mit Bewaffneten bis an den Nand geladen. — Und was für Bewaffnete! — Schwarze und braune Burschen,, manche mit stattlichen' Bärten und zerknitterten Hüten, afte Ponchos über die Schultern geworfen, oder diese anch nackt der Luft und Sonne preisgegeben, mit Musteteu, Lanzen und alten Pallaschen bewaffnet, schwammen, malerisch in den Canoes grnppirt, langsam mit diesen heran und landeten endlich ihre Mannschaft ^ circa, hundert Krieger, au derselben Spitze, an der mein Wigwam steht. Es war der Gouverneur von Es-meraldas, der seine Getreuen aufgeboten hatte, in der Sache der Freiheit — für General Franco in Guyjaquil — die Empönr zn zerstreuen, die für die provisorische Negierung in Qnito gewagt hatten einzustehen. Von seinem Generalstab umgebeu — sie gingen Alle barfuß, feibst der Gouverneur— hielt er vor meinem Hause, und war so freundlich, mir zueist einen Besuch abzustatten. Ich muß noch ^92^ einmal erwähnen, daß ich eben erst im Negligee aus meiner Hängematte kam nnd mich noch nicht einmal gewaschen hatte; wir tranken aber ganz vergnügt einen „Bittern" anf den frischen Morgen, zündeten eine Cigarre an, und versprachen nns beim Frühstück wieder zu treffen. Die Mannschaft wurde dann durch den Quar-tiermeister in den verschiedenen Häusern — ob Naum oder nicht — untergebracht, die Frauen und Mädchen flüchteten zu Men, würdigen Damen in Unterröcken, ^die sie in Schutz nahmen, und die Soldaten zogen aus, die Pisanggärten der Aufrührer zu brandschatzen und ihre Kühe ein-zufangen und zu schlachten. Soweit aber zur Rechtfertigung des Gouverneurs, der selber ein sehr braver und rechtlicher Maun war. In dem einen Hause hatten die Soldaten von ein paar Frauen einen Halsschmuck, eine Scheere und ein paar andere Kleinigkeiten, gestohlen. Der Vater, der sich deßhalb beim Gon-vernenr beklagte, taxirte selber den erlittenen Schaden auf etwa, 31/2 Dollar. Als die Thäter aber nicht ermittelt werden konnten, zahlte der Gouverneur deu Verlust aus seiner eigenen Tasche. Prächtig sah es aus, wie die Nationen ver-lheilt wurden, denn während sechs so pittoresk 93 zerlumpte Gestalten, wie sie sich die Phantasie nnr denken kann, zwei arme, ans Seiten General Flores stehende Kühe herbeischleppten, abschlachteten nnd zerlegten, kamen Andere schwer beladen aus den Pisanggärten znrück, und für jeden Mann wurden vier oder fünf grüne Pisang — je nach der Größe — zusammengelegt, bei denen wieder besondere Schildwachen stehen mußten, die für General Franco gesinnten Kühe abzuhalten, sich der Pisang zu bemeistern. Das Ganze dauerte aber — vom Schlachten der Kühe bis zum Verzehren der Mahlzeit, keine halbe Stunde, und die Mannschaft vertheilte sich dann, einzelne Bewohner von St. Lorenzo, die mißliebig schienen, gefangen zu nehmen. Keiner widerfetzte sich dabei; kein Schuß siel, kein lautes Nort wurde fast gefprochen, und das Ganze war eine so stille, ruhige Eroberung einer Stadt, wie sie wohl je vorgekommen. Natürlich nahmen wir Fremden nicht den geringsten Antheil an diesen Streitigkeiten, denn das war eine Sache, welche die Bewohner von Ecuador allein unter sich selber auszumachen hatten. Die Gefangenen gab der Gouverneur übrigens später freundlicher Weise alle wieder heraus, als Wir ihm einen Voten nachschickten und ihm Hagen ließen, daß er uns uicht einen einzigen Mamr 94 zu den nöthigsten Arbeiten gelassen habe, und wir ohne dieselben nicht fertig werden könnten. An dem Abend war natürlich große Marimba. In einem der Häuser, in denen die Soldaten einquartiert waren, uud in dem dieses unvermeidliche Instrument hing, machten sich ein paar schon um elf Nhr Morgens darüber her, die aus Palmenholz verfertigten Tasten warm zu schlagen. Das Klimpern dauerte auch' ununterbrochen bis zum Dunkelwerden fort, wo es dann ernstlich in Angriff genommen wurde. Die gewöhnlich vierhändig gespielte Marimba wurde von zwei eben abgelösten Kriegern besetzt, ein Anderer hatte sich der Trommel bemächtigt, die er mit derben Fäusten schlug — zwei junge Burschen bearbeiteten gemeinschaftlich zu gleichem Zweck eine Kiste, die den Marken nach einst Seife enthalten und von Boston ihren Weg hierher gefunden hatte, und zwei andere, so wild und trotzig als irgend möglich aussehende Vaterlandsbefreier führten, in Ermangelung einer Dame, zusammen den Tanz auf. Bei diesem ist es freilich Sitte, daß Herr wie Dame eiu Taschentuch in die Hand nimmt, das auf die coquetteste Weife gefchwenkt und gehalten wird, wo aber hernehmen und nicht stehlen, denn keiner aus dem ganzen Corps, der .95 Gouverneur ausgenommen, führte solch' einen Gegenstand mit sich. Die Schärpen, die sie um die Hüften trugen, mußten den Dienst auch verschen, rasch knüpften sie dieselben los, und der überdies schwache Boden zitterte unter den gewichtigen Tritten. Gar bunte Decoratiou umgab dabei die Tänzer, denn an den Wänden hingen alle Arten, alle Größen verrosteter alter Flinten, die kein Kreiser in Deutschland auch nnr auf die Schulter genommen hätte; in den Ecken lehnten scharf geschliffene Lanzen und alte Pallasche, und Ponchos, und Proviantbeutel füllten den Naum aus, der nicht von dem braunen bärtigen, vergnügt drein schanenden Publikum eingenommen war. Der Schein einer Fackel von Gummielasticum - Harz verbreitete dabei über das Alles uur ein trübes Licht und warf seinen düstern Schatten mit einer ganz eigenthümlichen Wirknng über die wilden Menschen und Waffengruppen. Mitten, in den Tanz hinein tönte ein schriller Ruf. Im Nu schwieg die Marimba, und die Tänzer standen, regungslos — wieder, und lauter als vorher derselbe Nuf — der eine der Tänzer, der die Dame vorstellte, mußte auf Wache. Nasch gürtete er sich seine Schärpe wieder um, ergriff 96___ mit einer Art Instinkt seine alte Muskete unter der Zahl der übrigen heraus, und verschwand draußen in der Dnnkelheit, als die Marimba schon wieder in toller Luft einfiel, und cm Anderer seinen Platz ausgefüllt hatte. Am nächsten Morgen schiffte sich die Schar wieder nach San Pedro ein, und wir hörten von ihren Heldenthaten weiter Nichts, als daß sie nach Esmeraldas zurückgefahren wären, wo der Gouverneur vom General Franco bald' nachher — Gott weiß weshalb — abgesetzt wnrde. Seit der Zeit Haben wir Frieden hier, ni:d ich lebe nur' in ununterbrochener Fehde mit den Kühen, die mir jeden Abend in meine Umzäunung brechen wollen, mit den Fledermänsen, die Nachts meine reifen Bananen anfressen, mit einer verwünschten Art bleichsüchtiger weißer Frösche, die anf dem Dach quaken und mich im Hause selber unaufhörlich besuchen und mit einer kleinen grünen Fliege, die eigentlich das uichtswürdigste Individuum ist, das je in Gestalt einer Fliege herumsurrte und einen Menschen ärgerte. Sie sticht nicht — das einzige Gute, was man von ihr sagen kann, und das fehlte auch noch — aber sie sucht sich dunkle Stellen, in denen sie eine eigene Art von zähem klebrigem Harz deponirt, irgend 97 eine Wohnung oder einen Brutplatz zu bauen. Gleich bei meiner Ankunft hier wurde ich ermahnt, meine Büchsenläufe verstopft zu halten, da diese Fliege solche Platze am Allerliebsten auffucht, und ich that das von da an sorgfältig, aber — sie weiß auch andere Stellen aufzufinden. Der Nock, den mau hier wenig braucht, häugt ein paar Tage am Nagel — heute will mau ihn einmal anziehen, da hat dieser Satan von einer Fliege eine lange gelbe Harzröhre in den Falten hinaufgezogen und die ganze Geschichte klebt zusammen, als ob sie zusammengenäht wäre. Meine Cither hing einige Tage, als ich iu den Vergeu war, unberührt in ihrem Futteral; wie ich sie wieder herausnehmen wollte, war< sie hincingeleimt. In meiner Jagdtasche hatte ich mein Pulvermaß eine kurze Zeit aus der Lederröhre genoGnen, in die es gehört; wie ich es wieder hineinstecken wollte, fand ich den Pkatz mit dem gelben Harz fest verkittet. Messt rsch ei den, Hofentaschen und derartige Dinge darf man nicht offen ihnen preisgeben, oder man hat sich die Folgen feiler zuzuschreiben. Die Insekten sind sonst, in St. Lorenzo selber, nicht besonders lästig, und daß sich Einem Abends beim Schreiben eine Fledermaus au den Rücken krallt, gehört zu den Seltenheiten, und ist ss r. G r r stücker, Achtzchu Monat,,' iu Süd-Am«Ma, I, 7 98 mir auch in der That nur erst ein einziges Mal passirt. Sonderbar ist es, daß die Huude jedes Mal an zu bellen fangen, wenn der Lärm der Marimba, das Schreien der Sänger aufhört. Man fagt ja auch, daß der Müller aufwacht, wenn seine Mühle stehen bleibt. Im nächsten Hause würgt eine Mutter ihr Kiud. Jedes Mal, wenn es an zu brüllen fängt, legt sie ihm die Hand oder ein Tuch auf öen Mund, bis ihm der Athem vergeht — dann ist es still, biZ sich die kleine Lunge erholt hat. Natürlich beginnt es mit neuen Kräften, und die Operation wiederholt sich. Aber ich muß schließen — die Marimba macht einen solchen Heidenlärm :m zweiten oder dritten Hause von hier, daß mir die Ohren gellen. Es ist da oieWorbereitung zu einem morgenden Sonntag, den sie den „großen Sonntag" nennen — also morgen ist Sonntag, welcher aber weiß ich wahrhaftig nicht. Ich habe eine Ahnung, daß wir uns im Beginn des August befinden, ob wir aber den 1. oder 10. schreiben, wäreich nicht im Stande zu sagen — es ist auch nicht nöthig, denn in einem solchen Vegetationsleben stört die Zeitrechnung nur. 3. Zn der Mldmsz. Es ist ein gar wunderbares eigenthümliches Ding für Jemanden, der an europäische Zustände, an europäische Gesittung, an enropäische Bequem lichteiten gewöhnt ist, hier auf einmal mitten in die Wildniß zu fallen, nnd sich da so häuslich niederzulassen, als ob er im ganzen Heben nicht daran dächte wieder fortzugehen. — Es hat seinen Neiz, das läßt sich nicht leugnen, und schon daß ich in fast vier Monaten den Namen Louis Napoleon nicht einmal nennen hörte, war eine Art von europäischer Erholung. Außerdem bietet die Natur auch wieder mauches wunderbar Schöne — die ewig schaffende, die ewig sich verjüngende Natur, die hier unter keiner Scheere gehalten wird, sondern sich srei — 7. 100 manchmal auch ein wenig zu frei — regen und bewegen kann. Außerdem müßte ich aber schändlich lügen, wenn ich sagen wollte, daß mir solch' ein Leben — mit dem Banden, die mich daheim fesseln — auf die Länge der Zeit behagen könnte, und ich finde denn doch, daß ich, trotz Allem was uns daheim drückt und ärgert, keineswegs schon zu den Europamüden gehöre. Ich bin aber einmal hier, bin mitten in die Wildniß hineingesprungen, und Alles, was ich zu thun habe, ist zu sehen, daß ich wieder hinauskomme. Vis dahin will ich mich aber, soweit es meine Mittel erlauben, ihrer freuen, will sie genießen nach besten Kräften, uud die Erinnerung mag mir dann später vergüten, was ich jcht gerade an der Erinnerung leken muß. Den Leuten hier darf man es übrigens nicht verdenken, daß sie sich keinen Begriff von unseren europäischen Zuständen machen können — kommt es mir selber doch wahrhaftig manchmal wie ein Traum vor, daß zwei so verschiedene Länder exi-stiren und in wenigen Wochen erreicht werden können, ohne daß eines vom andern viel mehr als den bloßen Namen kennt. — Dort daheim . Alles Leben und Bewegung, cin ewiges Drängen ' 101 und Treiben und Streben — ein rastloser Fleiß und Ehrgeiz, ein ewiger Kampf um des Lebens Güter — oft um das tägliche Brod, und o wie oft! — hier dagegen Nichts als Nuhe, ewige Ruhe, im Wald drinnen mit seinen düsteren Schatten, in den Herzen der Menschen, die sich ihre Wohnungen an ihn hinan gebaut haben. Sie wissen Nichts von der Welt, wie sie draußen um sie liegt, sie verlangen Nichts davon zn wissen — weßhalb auch? von dort her können sie keine Pisang oder Fische bekommen, und das ist eben Alles, was sie branchen. Abgeschiedener liegt in der That keine Insel der Südsee, als diese kleinen Dörfer an der Westküste Amerikas, die der Verkehr bis jetzt noch nicht berührt, noch nicht gcsncht hat — und doch scheint solch' ein stilles, abgeschiedenes Dorf eine Weltstadt, wenn man ans dem bis dicht daran reichenden Wald tritt, ans dem Urwald, wie er nicht dichter und wilder die Niederungen des Amazonenstromes oder Indiens deckt. Dort ist Wiloniß, und wer eiuen solchen Wald noch nicht betreten hat, wird auch nie im Stande sein, sich einen richtigen/Begriff davon zu machen. -^ Wir haben auch Urwald in Europa, aber, guter Gott, wie zahm und friedlich erscheint 102 der gegen die hirsige Waldung, in die der Mensch sich erst mit dem Messer seine Bahn hauen muß, sie nur einmal auch von innen betrachten zu können! — Dort herrscht Ruhe, aber es isi nicht die stille Ruhe eines europäischen, ja selbst eines nordamerikanischen Waldes, es ist wie'die Nuhe des Grabes, groß und fürchterlich. Hier und da tönt der eigenthümlich schrille Ton eines Vogels durch den Wald, aber kein. fröhliches Vogelgezwitscher erfüllt ihn; der Lärm einer tobenden Affenschaar zieht vorüber und läßt die Wildniß öder als zuvor. — Jetzt plötzlich rauscht und prasselt es in dumpfen, langgezogenem Ton, und ein Schlag schmettert durch die Waldung, der den Boden erbeben macht. Es war einer der alten Vaumriesen, dessen morsch gefaulter Stamm die Last der Jahre und der Zweige nicht mehr irageu konnte, und mit seinem ganzen AnhailH von Schmarotzerpflanze)!, mit Allem, was sich um ihn hergedräiigt hatte, nieder Zu Aoden bricht. — Einen Moment wohl schweigt Alles — selbst der Affen wilde Schar verstummt und das monotane Zirpen der Grille, während die Luft noch voil dem Falle zittert und schwüler, drückender scheint als je — aber es ist auch wirklich nur ein Moment, denn noch haben sich die zer- 103 ' . rissenen Glieder des Gefallenen nicht in ihre neue Lage finden tonnen, noch schnellt hier und da ein lebenskräftiger junger Schößling, der nur gebeugt, nicht gebrochen ist, zurück, fo ist er auch bcgraben und vergessen. Die Affen kommen wieder herbei, ein Schwärm plappernder Papageien sucht spottend den Ton des Sturzes nachzuahmen, und das Sonnenlicht fällt zum ersten Male auf den Boden nieder, über den jener Mächtige bis dahin die Laubarme gebreitet hatte. . Durch diese Wildniß führt kein Steg, als solche, die sich der Jäger selbst ausgehauen hat, — Meile nach Meile dehnt sich diese furchtbare, waldbewachsene Strecke nach allen Seiten aus" — Meile nach Meile, und für das Auge hat der Wanderer keinen Nuhepunht, der ihm auf irgend' einer Stelle Anderes böte, als was ihn hier in großartiger, aber furchtbarer Majestät umgiebt — den Wald. Kein frifcher Luftzug dringt hier herein, kein lichter Sonnenblick; von den feuchten Zweigen tröpfelt das ewige Naß, das von dem letzten Nachtregen sich gehalten. Kew blauer < Nauch zieht wirbelnd durch die Wipfel empor, höchstens zu seltenen Zeiten ein schwarzer Qualm Don dem einsamen Lagerfeuer eines Jägers, der 104 aber auch dem Auge jedes Andern in diesen Wipfeln unsichtbar bleibt. Und doch liegt wieder ein wunderbarer Reiz darin, gerade in eine solche Wildniß einzutauchen, und einsam unter dem schützenden Regendach nnd mit der rasch einbrechenden Nacht das wirkende Leben um uns her zu belauschen. Sehen läßt sich freilich Nichts, denn so dnukel, als es überhaupt werden kann, wird es hier; und die Feuerkäfer, große prächtige Burschen mit zwei grünen Lichtern vorn, wie eine Locomotive, uud einer gelbrothen Laterne auf dem Nucken, zucken und schießen durch die Nacht, uud von allen Seiten leuchtet in oft phantastischen Formen das faule Holz. (So hatte ich einmal die eine Nacht ein alt'es faules Halmenblatt gerade vor meinem Lager hängen, das mit den auszweigeud.'n Vlattstreifen und halb eingeknickt gerade so aussah wie ein leuchtendes Gerippe.) Fremdartige Laute aber ziehen nach allen S.'iten d.urch die Nacht — fremdartig und geheinmißvoll, da man die Wesen noch nicht kennt, die sie ausstoßen. Das Zirpen der Grillen dauert fort —die fleißigen Thiere schienen erst gegen Morgen einzuschlafen, — und hier nnd da hämmert noch ein einsamer Zimmermann, l^rpwwro, wie die Ecuadorianer nicht unpassend einen 105 großen Specht nennen — nnd revidirt irgend ein altes über Tag vergessenes Wurmloch. .Jetzt schweigt auch der, und ein wilder, angstlicher Schrei tönt plötzlich von der einen Seite — rasch ausgestoßen wie der Nothschrei eines Menschen, und doch ist es nur ein kleiner schwarzer Vogel, der sich den Spaß macht, umsonst die Nachbarschaft zu alarmiren. Vielleicht hat ihn aber auch die Eule erschreckt, die mit einem ganz besonders hohlen Nuf bald von da, bald von dort her ihre Gefährten lockt, und sie hat auch wohl Hülfe nöthig, denn in diesem Wald ist es keine Kleinigkeit, Eule zu sein, nnd in der Dunkelheit und den Wipfeln Beute zu finden. Das da drüben klang wie das Bellen eines Hnndes — aber kein Hund hält sich in diesem Dickicht ans; es ist eine Schlange, oulodia, wie die Eingeborenen jede nennen, die hier zu irgend welchen Zweck ihren Nachtgesang hält nnd manchmal ganz ungebührlich nahe zum Lager kommt. Aber sie, wie alle wilden Thiere, scheut die Nähe des Menschen und flicht ihn, wenn sie ihn wittert oder hört. — Neben mir murmelt der kleine, raschfließende Strom; durch die Wipfel der mächtigen Stämme zieht der Wind, und in das Rauschen 106 und Rasseln der großen und feuchten Blätter mischt sich der klagende Nuf der „verlorenen Seele." Es ist das ein ziemlich großer Vogel, der einen ähnlichen Nuf hat wie das erste klagende Ansetzen unserer Nachtigall, nnr natürlich verhält-mßmäßig stärker. Die Süd-Amerikaner haben ihm, gar nicht unpoetisch, jenen Namen gegeben. Gegen Morgen wird Alles still, selbst die nimmermüden Grillen schweigen, und nur der monotone Schrei eines andern Vogels — wahrscheinlich eine NaMchwalbe, den kommenden Tag kündend — läßt sich in kurzen Zwischenpausen hören. Das Gran des Himmels tritt wieder lichter durch die Wipfel vor — ein röthlicher Pnntt dazwischen — eine vom Morgenroth übergossene Wolke, die hierher nur den Schein hcrniederscndet, und der Tag bricht an, der Tag ist da, ohne daß man ihn weiter kommen sieht. Der Regen, der die ganze Facht gefallen, hat ebenfalls aufgehört, denn es regnet hier in der trockenen Jahreszeit selten am Tage, und der Wald liegt wieder in seiner ganzen Pracht und Schönheit nm uns hcr. Und es ist wahr, schön ist, dieser Wald mit seinen prachtvollen Stämmen und schlanken herrlichen Palmen — überall zittert das Laub im leichten Wind, das Auge des Jägers nur zu oft 107 hinüberlenkend; überall ragen diese fächergekrönten Schäfte empor, und von der Negrito - Palme an, die ihre Blätter aus dem Boden sendet, bis zu der?alm^ real empor, die ihre Wipfel über die höchsten Stämme hinausträgt, füllen unzahlige Arten den ganzen Wald. Aber selbst diese Schönheit wirkt erdrückend, wenn sie uns eben, wohin sich der Fuß auch wendet, in immer gleicher Pracht entgegentritt. Hier ist keine Abwechselung, keine Veränderung zwischen Laub- und Nadelholz, zwischen Dickicht und Lichtung oder freier Wiese; es ist das ewige Dickicht, das uns umgiebt, jeder Baum ein Meisterstück in sich selbst, aber jeder dem Nachbar ähnlich, und' der Mensch sehnt sich zuletzt zurück nach Luft — nach Licht. In dieser Wildniß leben auch nicht einmal Indianer, und haben, wie ich glaube, nie gelebt, und wenn es ein ganz angenehmes, eigenthümliches Gefühl ist, dort einmal das Haupt hinzulegen, wo noch nie ein Mensch geschlafen' hat, stumpft sich auch das gar bald ab. — Heimwärts zieht es mich, wenn es nicht herber Spott ist, das eine Heimath zu nennen, was jetzt meinen Wohnsitz bilded, und hoch auf athmet die Brust, als sie zum ersten Male wieder den frischen Seewind' sich entgegenwehen fühlt, als sie den hellen 10^ lichten Sonnenschein anf den grünen Plan des kleinen Städtchens, auf die funkelnde blitzende Fläche der stillen Bay niederfallen sieht. — Aber hab' ich deßhalb die Wildniß verlassen? Wahrlich nicht. Das Leben dieser Menschen ist nicht anders, als das jener stillen Bäume, die daneben in dem Nachbar-Walde stehen; wie diese vege-tiren sie, und ziehen ihren Lebenssaft ans dem Boden, auf dem sie stehen. Ob draußen noch andere Menscheu wohnen und was die treiben, was kümmert's sie? ob sich die Welt iu Frieden verträgt, iu Zwietracht schlägt, geht sie Nichts an, so lauge es nicht ihre eigene Bay berührt, und den Fischen und Platanen schadet. Eisenbahnen, Orden, Telegraphen, Titel, Pensionen eristiren nicht für sie und haben für sie etwa den nämlichen Sinn wie irgend ein griechisches' oder hebttiisches Wort. Sie arbeiten einen Tagundruhetzfsechs aus, und wenn sie sterben — so'ist eben ein Blatt von dem großen Vaum gefallen, und schlummert neben den anderen, einer versprochenen Seligkeit entgegen. Menu ich diese Menschen sehe, überfällt mich immer ein eigenthümliches, eben nicht angenehmes Gefühl — nämlich das, als ob der Mensch doch eigentlich nicht in die Welt gesetzt sei, einen be- H09 sondern Zweck zu erfüllen, und also auch nicht das mindeste Anrecht habe, sich über das übrige Erschaffene zu stellen. Düse Menschen thnn Nichts weiter, als was der Baum- oder das Wild im Töalde eben anch thun — sie erhalten sich am Leben und pflanzen sich fort; und wenn sie sterben, was für ein Vorrecht können sie vor Men beanspruchen? Und wcnn diese kein solches Vorrecht haben, läßt sich dann folgern, daß wir civili-sirten ein solches beanspruchen können, weil wir eben mehr Bedürfnisse kennen und der Schöpfung und ihren Kräften etwas näher auf dm Zahn gcfühlt haben? Auch düse Menschen sind Christen — sie machen aber keinen weitern Gebrauch davon. Sie beten wohl im Stillen — aber wir wissen nicht, ob das Thier nicht ein ähnliches Gefühl hat, und wenn — aber das Alles sind eben nur „Gedanken in einer Wildniß" und verlierbnsich jedenfalls wieder, sobald der civilisirte Mnsch in die alten Zustände zurückkehrt. Daheim wissen ste ja auch genau, wie die Sache eigentlich ist — und ich will mir hier nicht länger den Kopf darüber zerbrechen. Nchmen wir lieber einmal mein Canoe, und fahren wir, ehe wir aus der Wildniß scheiden, in diese stille Dgy mit ihren Mangrovc-Dickich- 110 ten und Buchten hinaus, denn die gehören unfehlbar mit dazu. Der Mangrove ist ein höchst eigenthümlicher Baum, der nur in. tropischen Ländern am Meeresufer, oder so weit hinauf in das innere Land wächst, wie die Ebbe und Fluth hinaufreichen. Seine Besonderheit besteht aber in der Ueppigkeit, mit der er eine Unzahl von Wurzeln und Wurzelschößlingen — von oben gerade nieder, unten bogenförmig, in das Wasser hincinsenkt, so daß solch ein einzelner Baum mit diesen oft ein doppelt und dreifach so großes Terrain wie mit einem Netz überzogen hält, als er um Mittag zu seinem Schatten braucht. Viele dieser Bäume haben auch in der That gar keinen Stamm, sondern stehen auf sechs, acht einzelnen Beinen, über denen die Aeste beginnen, in der Luft. Soweit nun eben Ebbe und Fluth reichen, kommt kein anderer Baum in dem Salzwasser fort, und diese Mangroves mit ihrem hellgrünen Laub und gegittertem Boden, bedecken vollständig das Terrain, das in der Ebbe trocken gelcgt wird, und bilden dort Buchten, Inseln^ Einfahrten und Canäle — nur kein Ufer. Es ^ ist unmöglich, zwischen ihnen zu landen, denn auf ^ den bogenförmig gespannten, dünnen, aber doch zähen Wurzeln kann der Fuß nicht haften, kann sie aber auch nicht überschreiten, und der Schlamm, mit dem sie außerdem fortwährend überzogen sind, verbietet schon jedes feste Anftre-ten. In der höchsten Fluth sieht man anch nicht viel Außergewöhnliches an ihnen, denn ihre Blätter reichen meist bis znm Wasser nieder. In der Ebbe aber, mit dem Schlamm nm sie her bloßgelegt, bilden sie die tollsten phantastischen Gestalten, und wehe dann dem Canoe, das sich bei hohem Wasser verleiten ließe, in eine ihrer Einfahrten einzulaufen — es muß es mit acht, neun Stunden Warten büßen, denn ringsum tauchen plötzlich jene bogenartig gespannten Wurzeln auf, nach jeder Richtung hin die Ausfahrt rettungslos versperrend, und es bleibt dann Nichts weiter übrig, als mitten dazwischen, in Schlamm, Wurzelnetz und Sandfliegen »liegen zu bleiben, bis die nächste Fluth die Allsfahrt wieder gestattet. Aber was für ein sonderbares Leben beginnt jetzt um uns her?— Das ist Wildniß, denn diese Waldung hat noch keines Menschen Fuß, ja nicht einmal das scheue Wild betreten, und nur der tückische Alligator oder die breitschwänzige Wasserschlange haben ihre Leibspur ihnen eingedrückt. —^ Und überall regt es sich und wird lebendig., Rzmd um- 112 hex fängt es an zu rascheln, und überall an den Wurzelfasern laufen spiunenartige häßliche Krabben mit rothen und gelben Scheeren nieder, die bei der Fluth Hochauf geflüchtet waren, den Fischen zu entgehen, nnd jetzt zurückkehren, unbehindert in dcm Schlamm ihre Mahlzeit zu halten und ihr frisches Vad zu nehmen. — Bescheidene Genüsse, und doch auch wieder nicht ohne Lebensgefahr für sie zu erlangen, denn nicht allein daß einige Vögel ihuen nachstellen, nein, eine Art von kleinem Kranich gebraucht sie sogar als Lockspeise, Fische für sich zu fangeu. Er mag die Krabben nicht selber fressen, aber er sängt sie, trägt sie auf einen bestimmten Platz und wirft sie in's Wasser, wo auf sein Krächzen die Fische herbeikommen, sich der Mahlzeit Zu erfreuen. Was er von kleiner Vrut dann dabei erwischen kaun, ist seine Beute. Die Krabben wissen das aber auch schon, und selbst in der Ebbe halten sie sich, als ob sie ein böses Gewissen hätten, fast immer unter Aesten und alten Holzstücken oder Steineu versteckt. Die im Cchlamm geben dabei, auf eine ihnen am Besten bekannte Art, mit den Schceren einen schnalzenden Laut, der oft sechs- bis achthundert Schritte weit gehört werden kann. Dicht daneben 113 vielleicht, wo die Fluch noch unter die Wurzeln reicht, schlägt ein großer Fisch, der sich anfängt in dem Holzwerk unbehaglich zu fühlen, das Was-> ser, und der heisere Schrei der Kraniche und Kö-nigssischer tönt dazu hinein. Sonderbarer Weise giebt es auf der ganzen Bay keine einzige wilde Ente, nnd nnr in sehr seltenen Fällen läßt sich einmal eine Möve sehen. Nnd nudriger, immer niedriger wird das Wasser: höher und höher umspannen nns die bogenartigen, Schlamm und Krabben überzogenen Wurzeln, ärger wird das Geschnalz der kleinen Bestien, und dann und wann nur lenkt der schwere Flügelschlag eines der braunen Pelicane das Auge auf sich, der eben auch hier seine Beute erhofft und sucht. Immer toller werden die Schwärme von kleinen, fast unsichtbaren Sandfliegen, die auf das Empfindlichste stechen und die Haut entzünden. Der ganze Körper dieser kleinen Thiere kann nur eine Scheide zu dem Stachel sein, und viele, viele Stunden lang muß man den Kampf gegen diese Lästigen kämpfen. — Endlich hat die Ebbe ihren tiefsten Stand erreicht — die frische Seebrise weht auf die Bay herauf, und höher und höher steigt das Wasser wieder. Mit ihm aber steigen auch auf's Neue die Krabben, die sich vor- F r. dem wir recht gut alle acht Mann ausgestreckt liegen konnten. Die Lebensmittel wurden dann hervorgesucht und Fener gemacht, und noch stand die Sonne voll und klar am Himmel — wenigstens konnten wn sie dann und wann dnrch das Gewirr von Wipfeln erkennen, als wir, nach beendeter Mahlzeit, mit einer dampfenden Cigarre behaglich ausgestreckt auf unserem Blätterbett lagen. Das hieß allerdings „Tageslicht verbrennen," ließ sich aber nicht ändern, denn die ganze spanische Nasse ist faul und lässig, und hat, eine ganz eigenthümliche Thatsache, gar keinen Begriff von der Zeit und ihrem Werth. Das ganze Leben dieser Menschen beschränkt sich einzig und allein darauf, genug zum Leben, das heißt zum Essen, zu haben, denn Quellen sind überall, und lveßhalb also ihren Körper anstrengen, wo es nicht unumgänglich nothwendig ist, das heißt wo es sich nicht darum handelt, die nöthigsten Lebensbedürfnisse herbeizuschaffen? Kaum war die Sonne untergegangen,-als der allnächtliche Regenschauer einsetzte und uns zwang 128 unser Lager so herzurichten, wie wir es die Nacht über' einnehmen wollten. Am nächsten Morgen, lautete die Ordre, mit Tagesgrauen wieder bereit zu sein. Am nächsten Morgen waren wir auch wirklich mit Tagcsgrauen wieder auf, und das Frühstück beschäftigte uns nicht lange. Es bestand aus Neis und getrockneten Fisch, wie gebackenen Bananen. Diese letzteren bilden ein, ja ich könnte fast sagen, das Hauptnahrungsmittel des Eingeborenen; er bereitet sie auf die verschiedenartigste Weife zu, benutzt sie aber fast ausschließlich ^ was kein anderes Volk der heißen Zone thut — im grünen, also unreifen Zustande, und die Folgen sind ewige Magenleiden der Leute. Die Banane oder der Pisang wird noch grün, alfo vollkommen unreif, abgeschnitten, und anstatt sie nun wenigstens im Hause relfen zu lassen, was in vier bis fünf Tagen geschehen wäre, rösten sie dieselbe am Feuer, und verzehren ganz unglaub-liche Quantitäten davon. Sie wird durch das Rösten allerdings genießbar, und schmeckt brodartig, liegt aber wie Blei im Magen. Eine viel bessere Art sie zuzubereiten, aber auch eine kostspieligere, ist das Backen im Fett, und die Leute hier thun dies stets, wenn sie sich auf einen län- 129 geren Marsch mit Lebensmitteln versehen wollen. Die grünen Bananen werden dann in dünne Scheiben zerschnitten und in die mit zerlassenem Fett gefüllte Pfanne geworfen, bis sie vollständig hart und braun gebacken sind. Dadurch werden sie nicht allein sehr schmackhaft, sondern sind auch außerordentlich leicht zu transvortiren, und bieten ein gesundes Nahrungsmitel. Sechs in solcher Art gebackene Bananen wiegen noch nicht, was eine einzige grüne wiegt. Chocolade ist außerdem das Hauvtnahrungs-mittel der Bewohner von Ecuador; in ganz St. Lorenzo war aber kein Pfund Chocolade zu kaufen gewesen, und wir wanderten ohne sie und selbst ohne Kaffee in den Busch — Etwas, was ich wenigstens nur sehr ungern that. Unser Marsch bot heute dieselben Schwierigkeiten wie gestern, mit der Zugabe eines kleinen Flusses, den wir kreuzen mußten. Dabei war mit selber die Hand, durch das schwere Messer, mit dem ich die Bäume zeichnete, das heißt die Ninde einrih, wund geworden — ich muhte das Alles erst wieder gewohnt werden — aber wir arbeiteten rüstig weiter, und ließen uns durch Nichts abschrecken. Das Land selber wurde hier mehr wellenförmig, das heißt die kleinen Hügel, Fr, Gerfl^Äci', Achlzchu Monatc m Süd.Amcrifa, 1, H 130 die wir hier trafen, wurden häusiger und steiler^ und niedergeworfene und von Lianen umschlungene Stämme hielten uns oft nicht wenig auf. Das Holz dieser Bäume ist, mit wenigen Ausnahmen, sehr hart, und eine große Anzahl von ihnen giebt es, die voll von^gummiartiger Milch sind. Den eigentlichen Gummi-elasticum-Baum fauden wir hier nur in wenigen Exemplaren — ein anderer Baum ist aber derjenige, den die Leute hier den Kuhbaum nennen, und aus dem, sowie die Rinde nur mit Messer oder Axt getroffen wird, eine weiße, dicke, äußerst angenehme, süß und vänilleartig schmeckende Milch flieht. Der Baum heißt poM, und die Milch ist bis jetzt noch zu Nichts benutzt worden. Andere Arten geben eben so reichlich Milch, aber von einem mehr bittern Geschmack. Die Popamilch soll ein vortreffliches Mittel gegen die Dysenterie sein. Eine Menge Farbehölzer kommt ebenfalls vor, und verschiedene wurden uns gezeigt, von denen einige eine vortrefflich gelbe, andere eine schwarze Farbe geben sollen. Ich wei^de alle diese Bäume später näher beschreiben. Besonders interessirte mich die Elfenbeiuuuß ^- oder das sogenannte vegetabilische Elfenbein — die auf einer niedern Palme hier in Masse wächst. Die Palme trägt eine An- 131 zahl stachliger Fruchtkolben von dem Umfang sehr großer Kegelkugeln, und in diesen sitzen die Nüsse in Masse beisammen, bis sie vollkommen reifen und ansfallen. Vorher gehen sie aber mehrere Stadien der Reife durch, in denen sie genießbar sind, und sogar ein sehr angenehmes und kühlendes Nahrungsmittel bieten. Zu allererst ist die große Nuß in ihren einzelnen Höhlungen mit einem frischen, aber nicht besonders wohlschmeckenden Wasser angefüllt; dieses verdichtet sich indeß bald und wird zu einer gallertartigen Massc, die angenehm süß und erfrischend schmeckt. Noch reifer erhärtet sich diese Masse, und wird zäher und zäher, bis die Zähne zuletzt darin haften. Noch später wird die innere Nuß hart und bröcklicht, und zuletzt so hart und fest wie Elfenbein, dem es vollkommen gleicht, nur daß es nicht die weißlichgelbe und fettige, sondern mehr eine weißbläuliche Färbung hat. Die Größe der Nüsse ist verschieden, meist aber wie Tauben- und Hühnereier; doch kommen sie weiter im Innern des Landes noch größer vor, und werden besonders in Quito zu alletlei kleinen Arbeiten verwendet. Der Wald blieb sich gleich, und Wild war nicht zu sehen, außer ein paar Nudel von Assen, die einen Heidenlärm in den Bäumen machten. Unsere ein- 9" 132 geborenen Jäger schössen ein paarmal nach ihnen mit ihren Schrotgewchren, aber die Bäume waren zu hoch, und der Schrot richtete nichts aus. Ich selber wollte keinen Affen schießen, und erlegte gegen Abend einen Pava, den die Leute hier Truthahn nmnen. Der Vogel hat Aehn-lichteit mit dem Truthahn, nur daß er bedeutend kleiner ist. Seine Färbung ist schwarz und rostbraun, mit einem röthlichen Bart an der Kehle. Er lebt gesellig in Völkern, und lockt mit einem nicht unmelodischen Pfeifen. Das Fleisch war vortrefflich, und bot einc gnte Abwechselung gcgen den trockenen Fisch und noch trockeneres gedörrtes Kuhfleisch, das wir mitführten. Und der Wald blieb sich gleich: dichte Baumschatten, mit den Wipfeln fcst ineinander greifend, daß die Affen mit Leichtigkeit ihre Bahn dort obenhin verfolgen konnten; prachtvolle hochstämmige Palmen dazwischen aufschießend, zu denen die Elfenbemvalmen — uLßrilos — mit Tausenden von andern niedern Bäumen und Büschen das Unterholz bildeten. Kein Sonnenstrahl fiel auf diesen Boden, der, cwig feucht, in ewigem Schatten lag, keine Brise fächelte diese purpurrothen Lianen-blüthm, die in dichten Trauben niederhingen. Ja, oben in den höchsten Wipfeln brauste es 133 manchmal hin. Wir konnten von unten erkennen, wie sie sich bewegten; wir hörten das ferne Rauschen, das wie das Brausen eines mächtigen Stromes zu uns drang; wir fühlten die schweren Tropfen, die der Wind ans den höchsten Blattkronen auf uns niederschüttelte, aber hier unten herrschte ewige Nuhe und Dämmerung, und weiter und weiter verfolgten wir unsere mühselige Bahn. Die Nacht verging wie die vorige; gleich nach Sonnenuntergang begann der Regen, und hörte wie gewöhnlich gegen Morgen auf. Im Juni, sagen die Leute, beginnt hier die trockene Jahreszeit, aber wir hatten jetzt Mitte Juli, und w den letzten vier Wochen erst zwei trockene Nächte gehabt, ja oft halbe Taye Regen. Ani nächsten Tage schoß ich zwei Pavas, die sich trotz unserm Hacken in d>en Bäumen hielten. Wie brauchten sie dabei nöthig, denn unsere Leute, die keinen Begriff von einer Eintheiluug der Rationen hatten, wirthschafteten mit den Lebensmitteln, als ob sie nur immer in die vollen, frisch gefüllten Fässer zu greifen brauchten. Der Amerikaner that dabei sein Möglichstes, denn er aß den ganzen Tag, und war dann am Abend natürlich krank. Er überraschte uns anch in der That schon am dritten Tage mit der Nachricht, 134 daß der Nets aufgebraucht sei; die gebackenen Bananen hatten den Burschen ebenfalls gut geschmeckt, und es blieb uns, wenn wir kein Wild erlegen konnten, Nichts weiter als der getrocknete Fisch — eine Mischung von Gräten und Schuppen, die ansing m Verwesung überzugehen. An diesem Abend hielten wir aber noch ein treffliches Mahl von unsern Pavas, und lagerten an einem reizenden kleinen Strom, in dem wir — eine unbeschreibliche Wohlthat nach all dem Schlamm und Schmutz — ein erfrifchendes Bad nehmen konnten. Böse Noth hatte ich aber mit meiner Doppelbüchse, denn trotzdem, daß ich mein Möglichstes that, sie rein und trocken zu halten, war das Letztere doch vollkommen unmöglich. Nicht allein die immer feuchte Luft, in die kein Sonnenstrahl drang, beförderte den Rost, sondern die Büsche, die wir abhieben, oder die Bäume, die wir mar-kirten, schauerten ununterbrochen ihre Neste von dem letzten Nachtregcn auf uns nieder. Die Läufe außön waren schon ganz roth angelaufen, und selbst im Innern konnte ich sie nicht vom Nost frei halten, ja, ich mußte sie jeden Morgen noth-gedrungcn einmal abschießen, um sie wenigstens im Schuß zn erhalten. Nur iu der Absicht, dabei den Zug auf etwa zwei, höchstens drei Tage zu, 135 begleiten, hatte ich mir auch keineswegs viel Munition mitgenommen, und meine Kugeln schmolzen bös zusammen. Nichtsdestoweniger wollte ichjetzt den kleinen Trupp nicht verlassen, und beschloß wenigstens so lange als möglich bei ihm auszuhalten. An diesem Tage sahen wir wieder viele Affen, und einer der Leute that sein Möglichstes, um einen von ihnen zu erlegen. Er schoß auch, aber die Affen gaben mit einem furchtbaren Skandal und Geheul Fersengeld, und sie quälten mich jetzt, meinem Vorsatz untreu zu werden. Gegen Mittag trafen wir wieder einen Trupp, der sich in dem Wipfel eines riesigen Baumes höchst unnöthiger Weise sehr. bemerkbar machte. Durch das Hacken scheu gemacht, zogen sie sich seitwärts ab, und ich schoß einen von ihnen, der gerade auf einem ausgezweigten Ast aufrecht hinlief, mitten durch die Brust, daß er todt herabstürzte. Die Zubereitung desselben an dem Abend war so ekelhaft wie appetitraubend ; sie streiften ihn nicht ab, sondern sengten ihm die Haare über einem Feuer, gerade wie sie ein Schwein behandeln, und zerlegten ihn erst nachher. Wederich noch der Engländer konnten und mochten einen Bissen davon genießen, und delectir-ten uns an dem Abend mit getrockneten Fischgräten. Am nächsten Tage dieselbe Lage. Ich hatte 136 vergebens versucht einen Pava zum Schuß zu bekommen, die unsichtbar in den dichten Wipfeln blieben. Als ich ihnen nahzukommen suchte — denn die Träger waren noch viel weiter zurück — hörte ich das rasende Geheul der Affen, und sah endlich einen von ihnen, der an seinem langen Schwanz an einem Baumast hing, und mit Zähne-fletschen und wilden Gestikulationen mit den unter ihm stehenden Männern demonstrate. Ich schoß ihn gerade durch den Kopf; er blieb regungslos wohl n,och eine volle Minute hängen, und stürzte dann mit schwerem Fall ans seiner Höhe nieder. Diese Art Affen ist vollkommen schwarz, hat einen langen Schwanz, und steht, voll aufgerichtet, etwa drei Fuß hoch. Bei St. Lorenzo habe ich aber auch noch eine kleinere Art mit weißem Ge-sicht gesehen, und dann soll es noch eine weit größere, ebenfalls schwarze Art geben. Wie uns die Leute sagten, war das Fleisch anßerordentlich zart und saftig, und der Affe verschwand. Dem einen Neger aber, der auch davon gegessen hatte, wurde übel und weh danach, und er verschwor sich, keinen mehr anzurühren. Ich glanbe, „er sah in der geschwollenen Natte sein ganz leibhaftig Ebenbild," denn die beiden sahen einander-wirtlich ähnlich. 137 Ganz erstaunliche Geschichten hatten nns indeß die Lente von der Unmasse wilder Schweine erzählt, von denen der Wald wimmeln sollte. Es ist wahr, wir sahen ihre Zeichen überall, aber von den Schweinen selber keine Spur. Zwei Arten sollte es geben; die eine, wt^dr^ genannt, klein und weißlich; die andere, 867110, grüßer und schwarz. Die Seynos sollten außerordentlich wild und tapfer sein. An dem Morgen hatten wir wieder viele Spuren angetroffen, als gehen Mittag plötzlich ein wahrhaft mephitischer Gestank die Lnft erfüllte, und gleich darauf der ganze Wald von grunzenden und durch die Büsche brechenden Schweinen lebendig schien. Im Nu hatte ich Alles abgeworfen, was an mir hing, und lief nach der NiäMng hin, in der ich die meisten hörte; in diesem Dickicht war es jedoch unmöglich, irgend Etwas am Boden auf eine Entfernung zu schießen. Rechts und links von mir sah ich anch schon ein paar der Träger mit ihren Lanzen durch das Gewirr von Sträuchern und Palmblättern springen, aber doch nicht so rasch, als sie vielleicht hätten springen können, und kaum eine Minute später stand ich mitten im Nudel, der rechts und links grunzend und stinkend an mir vorbeisauste. Ein tüchtiger 138 Die Kittiwake war nämlich das Fahrzeug — 153 eine reizende und sehr große Jacht — welche die Englische Gesellschaft, die Leuaäm'lanä company, nach dem Palion gesandt hatte, die erst Ansiedelung an diesem Orte zu gründen, einen Neg nach Quito zu bauen nnd das Land in der Nachbarschaft des vortrefflichen Hafens zu verwerthen. Engländer und Deutsche waren an Bord dersel-, ben, als erste Ansiedler das Land hier zu betreten, und es ist sehr natürlich, daß ich der Ankunft dieses Fahrzeugs mit dem größten Interesse entgegengesehen hatte. Eines Nachmittags — ich dachte schon kaum mehr an die Kittiwake, deun sie war 208 Tage in See, während ich nur noch die Rückkunft des Direktors erwartete — kam ein Canoe von St. Pedro, der Mündung der Bay herauf, und berichtete, daß ein Fahrzeug, „halb Schooner, halb Brig," vor der Einfahrt sei. Später kam ein Canoe von Esmcraldas, die Nachricht bestätigend, daß es wirtlich die Kittiwake sei, die sich hier zeigte, und daß sie vorher in Esmeraldas eingelaufen wäre. Hatte sie wirklich einen guten Pilot an Nord, nnd die richtige Einfahrt getroffen, so> konnte sie recht gut mit der Fluth in St. Lorenzo sein; jedenfalls durfte ich erwarten, daß sie in diesem Falle ein Boot heraufsenden würde — ^15^ aber die Fluth kam und ebbte, und kein Boot erschien, und ich machte mich jetzt bereit, am nächsten Morgen mit einem Canoe auszulaufen und dem Fahrzeug zu begegnen. Um 4 Uhr Morgens, mit der ausgehenden Ebbe, waren wir unterwegs; als aber mit Morgengrauen das kleine Fischerdorf St. Pedro sichtbar wurde, suchte ich vergebens die schlanken Masten des Erwarteten. Weiter und weiter rudernd, erkannten wir es endlich in blauer Ferne, weit draußen in See, und zwar vollkommen in Lee vor der Einfahrt, an einer der gefährlichsten Stellen der ganzen Küste. Wie wir später erfuhren, hatte der von der Tola mitgenommene Pilot die Einfahrt nach St. Pedro verfehlt und das Fahrzeug sogar dort auf den Sand gesetzt. Glücklicherweise aber kam es unbeschädigt wieder los, und ankerte jetzt, unsere Ankunft erwartend, draußen in der See. Um sieben Uhr etwa erreichten wir, von der ausgehenden Ebbe begünstigt, die Kittiwake, und es war ein eigenes, wohlthuendes Gefühl, mit dem ich ihr Deck betrat. Ich liebe überhaupt den Theergeruch, liebe die See, und ein so prächtiges Fahrzeug, wie diese kleine kecke Jacht, that den Augen Wohl. 155 Der Capitain wie die Herren an Bord begrüßten mich auf das Freundlichste — sie waren Alle froh, Jemanden zu fehen, der sie endlich, nach langer, langer Reise in den sichern Hafen einführen konnte, und ich hatte einen der eingeborenen Lootsen mitgebracht, und ihnen außerdem viel von dem neuen Lande zu erzählen, das für die nächsten Jahre ihre Heimath sein sollte. Es blieb uns aber nicht viel Zeit dazu; denn vor allen Dingen mußte der Anker wieder gelichtet und das Fahrzeug vor die Einfahrt des wirklichen Canals gebracht werden, dort die steigende Fluth zu erwarten, und über die Barre zukommen, die in niedrigstem Wasser nur zwei und einen halben Faden (dr^us, wie sie hier sagen) hat. Das war in etwa einer Stunde, gegen den Wind anlavirend, geschehen; der Anker rasselte wieder, in fünf Faden Wasser, in die Tiefe, und es blieben uns jetzt ein paar Stunden, die günstige Fluth geduldig zu erwarten. Vom Pailon hatte ich zwei Eingeborene mitgebracht — Leute, die ihr Lebelang gewohnt gewesen waren, in ihren Canoes theils in der oft sehr bewegten Bay, theils draußen in See herumzufahren und zu fischen, nnd dennoch konnten sie die davon verschiedene Bewegung des größeren Fahr- 156 .zeugs nicht vertragen. Der Eine, der eigentliche Lootse, hielt es ziemlich gut aus, der Andere aber wurde richtig seekrank, bekam ein sehr weißes und sehr langes Gesicht, setzte sich still ans Deck nieder, verweigerte hartnäckig jedes Frühstück und sah sehr häusig über Bord. Wir haben dieselbe merkwürdige Thatsache mit den Seevögeln: Albatroß, Kaptaubcn, Möven ?c., die anch ihr Lebelang auf deu wildesten Wellen schaukeln, und augenblicklich richtig seekrank werden, sobald sie gefangen sich auf dem Deck eines Fahrzeugs besiuden. Ich selber freute mich indessen wieder einmal, nach langer monotoner Kost von Bananen, Fischen und Wild, einer europäischen Mahlzeit, nnd das Salzfleisch und Brod besonders, mit einer Tasse recht guten Kaffees, mundete vortrefflich. Dabei mußte ich viel vom Pailon erzählen, und als Illustration dazu lag der weite Manglarenwald mit seinen geheimnißvollen Dickichten vor uns ausgebreitet. — Aber die Flnth stü'g — das, was ich ihnen erzählen konnte, sollten die Leute ja jetzt Alle selber erleben, und mit halber Flnth gingen die Matrosen wieder daran, den Anker zu heben und die nöthigsten Segel zu setzen. Die Einfahrt in dem Pailon ist bis jetzt iloch, und bis der Hafen und Canal genau mit dem Loth untersucht und durch Bouven bezeichnet ist, ziemlich gefährlich, denu die Verrätherischen Sandbänke und Untiefen erstrecken sich so weit in See hinaus, daß man kaum die Laudmarken ordentlich von dort ans unterscheiden kann. Unterdessen waren aber auch von dem nächsten Fischerdorf St. Pedro mehrere Canoes an Bord gekommen, so daß wir Leute genug hatten, die jeden Zollbreit dieser Sandbänke genau kannten — waren sie ja doch wie, oft mit ihren Netzen darüber hingefahren, und hatten ihre Grund-augeln überall gesenkt. Nichtsdestoweniger bleibt mit solchen Natnrlootsen immer die Gefahr, daß sie keine Idee von einem tief im Wasser gehenden Fahrzeug haben. Sie sind nur ihre Ca-noes gewohnt, die sie im schlimmsten Falle über Sand und Schlamm mit Leichtigkeit hinziehen können, und es blieb daher immer nöthig, das Loth sorgfältig auszuwerfen und den Grund, über den man hinlaufeu wollte, vorher zu fühlen. Doch es ging Alles nach Wunsch — über die Barre hin hatten wir reichlich Wasser, und während ich zwischen demLootsen und demCapitain dolmetschte, bogen wir in den Canal ein, liefen auf St. Pedro Zu, und befanden uns eine'halbe Stunde fpäter 158 in der weiten und tiefen vortrefflichen Einfahrt, die von Nord nach Süden auflaufend oben in den Pailon mündet. Unferc Pailonefer aber, wie sie erst einmal das sichere tiefe Wasscr der eigentlichen Bay nnter sich wußten, waren nicht damit zufrieden, vor Klüver und Vorbramfegel langfam St. Lorenzo anzulaufen. Die Fluth war günstig, die frische Mittagsbrise, die gerade hinter uns drein kam, versprach und sicherte eine rasche fröhliche Fahrt, und sie ließen keine Nühe, bis der Caftitain alle Segel setzte, und die flinke Kittiwake blitzesfchnell durch das leicht bewegte Wasser der Bai schoß. Unsere Leute von St. Pedro hatten ihre Ca-noes hinten angehangen (das unsrige war an Deck genommen worden) und keine Idee von der Kraft, mit der ein folches großes Fahrzeug die Wellen durchschneidet. Die Folge davon, war, daß die großen Segel der Kittiwake kaum in der günstigen Brise ausblähten, als zwei der Canoes füllten und sanken und ihre Lianentaue abrissen, während das dritte umschlug und nachschleifte. Vom Land waren indessen ebenfalls ein paar andere Canoes abgestoßen, und glaubten das Fahrzeug durch scharfes Nudern überholen zu können — aber sie hatten es freilich mit keiner einfachen 159 Schaluppe zu thuu. und erst als der Capitain sein Vorbramsegel backbraßte, und dadurch die Kittiwake in ihrem Lauf hemmte, konnten sie uns erreichen. Aber selbst das that ihnen nicht gut, denn kaum wurde das Segel wieder vollgebraßt, als sie das Fahrzeug mit solcher Gewalt durch das Nasser riß, daß sie augenblicklich sanken, und nur mit Mühe ihre Nuder und Netze retten konnten. Von da an gaben sie es auf, an die Kittiwake fest-Zukommen, uud hielten sich mehr in respektvoller Entfernung. Jetzt bogen wir in den Pailon ein, eine Manglarenspitze verhinderte nur noch, daß wir das kleine Fischerdorf sehen, oder von dort gesehen werden konnten. Unsere Anknnft aber anzuzeigen, löste der Capitain eine der tüchtig geladenen Neunpfünder, und der Schuß hallte donnernd durch den stillen Wald, zum ersten Mal wohl dort ein so gewaltiges Echo weckend. Das war übrigens vollständig genügend gewesen, die Bewohner von St. Lorenzo von unserer Ankunft in, Kenntniß zu setzen. Man muß dabei wissen, wie viel und wie lange von der Ankunft dieses Fahrzeugs gesprochen, wie sehnlich cs erwartet war, um zu begreifen, wie gespannt ihm Alle entgegensahen. Sollte es ja doch auch 160 in dem kleinen stillen, bis dahin von der Welt vollkommen abgeschiedenen Ort eine ganz neue Aera begründen, und brachte es nicht allein eine ganze Anzahl von fremden wunderlichen Menschen, die sie bis dahin nur in einzelnen, etwas abgerissenen Exemplaren gesehen hatten, sondern auch eine Menge versprochener Waaren und Neuigkeiten, von denen sie die überspanntesten Ideen zu haben schienen. Rasch durchschritten wir jenen Theil der Bay, dor dell eigentlichen Namen Pailon führt, und dicht über dem St. Lorenzo liegt — jetzt schoß das Fahrzeug an der Mündung des reizenden Frischwasserstroms Nadadero (eigentlich der Schwimm- oder Badeplatz) vorüber, und wenige Minuten später fanden wir uns dem kleinen Städtchen gegenüber, an dessen Ufer die sämmtliche Bevölkerung mit einer Menge von Besuch aus der Umgegend in ihrem Sonntagsstaat versammelt war. Ein lautes Iubelgeschrei begrüßte das erste Erscheinen der Kittiwake, die noch eine Strecke auf- und bis der Stadt gerade gegenüber lief. Jetzt»sielen die Segel, der Anker rasselte in die Tiefe, das Fahrzeug schwang herum, der Fluth uud Prise den scharfen Bug bietend, und donnernd schmet- 161 terte die Kittiwake dor ihrer harrenden Bevölkerung den Kanonengruß entgegen. Hei, wie rannten die Frauen und Mädchen, als der Feucrstrahl ihnen plötzlich fast dicht gegenüber ans der Seite des fremden Schiffes fprühte, und der donnernde Schlag in ihre Ohren dröhnte; aber die Kinder und Männer jubelten und lachten, und auch die Schüchternsten überzeugten sich bald, daß sie Nichts zu fürchten hatten, und Massen von Canoes kamen jetzt vom Ufer ab, das neue Wunder — das erste größere Fahrzeug, das in diesen Hafen einlief, in der Nähe zu beschauen und zu betreten. Die Kittiwake sah allerdings gerade nicht danach aus, sich besonders sehen zu lassen, denn ein Fahrzeug, was eben eine siebenmonatliche Neise überstanden, läuft gewissermaßen mit schweißiger Stirn und in Hemdärmeln in den Hafen ein, und muß erst ein Bad nehmen und frische Kleider anlegen, ehe es sich anständiger Weise kann sehen lassen. Die Leute hier aber waren nicht besonders eigen in ihren Ansprüchen, oder verwöhnt. Für sie war Alles neu, Alles wunderbar von den starken Tauen und Ketten wie mächtigen Segeln und Masten, bis zu den Geheimnissen der Cajüte und Cambüse hinab, nnd Stunden lana Fr. Gc r st ä ck c r , A chtzchn Monatc in Süd A,ncrita I. 11 162 standen sie an den Treppen, dort niederzuschauen^ oder starrten zu den Masten hinanf, in denen die Matrosen jetzt die Segel beschlugen, bis der Abend eine neue Neberraschung für sie brachte. Wir waren erst einmal an Land gewesen ^ damit sich die Passagiere des Schiffes ein wenig umsehen und einen Platz finden konnten, ihre eot8*) aufzuhängen. Ein Haus für sie stand schon bereit, und einen Theil konnte ich bei mir selber unterbringen. Dann kehrten wir an Bord zurück, dort Thee zu trinken — ich war keineswegs böse darüber, daß ich nicht mehr meine eigenen Mahlzeiten zu kochen und mein eigenes Ge- > schirr aufzuwaschen hatte — und die Sonne war indessen untergegangen, die Bewohner von St. Lorenzo hatten sich nach der gehabten, sehr ungewöhnlichen Aufregung in ihre verschiedenen Wohnungen zurückgezogen, um dort ihre Fifche und grünen unreifen Bananen zu verzehren. Plötzlich donnerte ein neuer Kanonenschuß über das Wasser, den Bewohnern St. Lorenzos kün- *) <^at8 sind eine eigene Art von Hängematten, viereckig wie ein Bett, Von Segeltuch genäht, mit einer Mattatze tarin und mit einer Art hölzernem Gestell, Sie schaukeln weniger als die Hängematten, und der Körper liegt lang gestreckt, nicht eingebogen, darin. 163 dend, daß etwas Besonderes vorgehe. Jedenfalls hatte er den gewünschten Erfolg, sämmtliche Bevölkerung zu alarmiren und an das Ufer zu rufen, und jetzt stiegen vom Bord der Kittiwake eine Anzahl Raketen und Leuchtkugeln anf -^ die ersten, die der Pailon in feinem Wasser wieder blitzen sah, und der Jubel der St. Lorenzo-Lente kannte keine Grenzen. Ueberhanpt war das eine Ueberraschung, auf die sie gar nicht gerechnet hatten, da der rasch einbrechende Abend ihrer Neugierde zu früh ein Ziel gesetzt. Am nächsten Morgen holten sie aber reichlich ein, was sie am andern Tage zu versäumen geglaubt, denn mit Tagesgrauen waren die Canoes schon unterwegs nach dem fremden Schiff hinüber, und das Deck bald vollständig mit Menfchen, Männern, Frauen und Kindern gefüllt. Die Kittiwake verdiente allerdings ihre Bewunderung, denn sie war zwar kein großes, aber ein reizendes Fahrzeug, eine Englische Jacht, die sich ein Schottischer Lord zu seinem Vergnügen gebaut und mit dem besten iu England zu bekommenden Material ausgestattet hatte. Natürlich konnte dieses Fahrzeug von nur 250 Tons nicht viele Passagiere herüberbringen, aber es war auch nur dazu bestimmt gewesen, die erste 11* ^64^ Ansiedelung zu begründen, das erste Material mit Instrumenten hinüberzuschaffen. Dazu nur gab sie einigen Leuten Passage, die dort die Anfangsarbeiten leiten sollten. Die Compagnie hatte dabei einen sehr großen Fehler gemacht— und, zwar den Leuten in einer schwachen Stunde Uniformen gegeben, nm ihr niedliches Fahrzeug dadurch mit einem neuen Glanz auszustatten und, wo cs ankern würde einen guten Eindruck hervorzubringen. Eine Uniform ist aber ein höchst wunderliches und gefährliches Ding — ein paar goldene Litzen haben schon manchem Menschen den Kopf verwirrt, und der Erfolg auf dieser Neise war ein ähnlicher. Capitain wie Passagiere gefielen sich ausnehmend n: dieser neuen Tracht, und die Folge davon war, > daß sie nicht allein jeden Hafen anliefen, den sie möglicher Weise auf ihrer Fahrt erreichen konnten, sondern auch sehr viel Geld ausgaben nnd — das Schlimmste — sehr viel werthvolle Zeit damit versäumten. Die Kittiwake, die unterwegs Madeira/St. Vincent, Pernambuko, Montevideo, Falklands-Inseln, Valparaiso und Esmeraloas anlief, hatte dadurch und trotz ihrem raschen Segeln, eine Neise von 208 Tagen, von denen sie einige achtzig Tage 165 in den verschiedenen Häfen zubrachte, und ich selber konnte indessen geduldig am Pailon sitzen und auf sie warten. Die Passagiere derselben bestanden aus Engländern und Deutschen, ziemlich bunt znsammen-gclefen, und Alle eigentlich mit keinem rechten Begriff, was- sie in einer neuen Ansiedelung im Walde zu thun haben würden. Auf der Neise außerdem verwöhnt, konnte ihnen natürlich dieses neue Leben mit seinen Einschränkungen und Entbehrungen nicht gleich recht behagen. Die Wild-niß macht aber keine großen Umstände mit den Menschen, die sich ihr in die Arme werfen. Sie sagt einfach: Hier, lieber Freund, hast Du das Rohmaterial zu Deiner neuen Heimath, jetzt mache damit, was Du willst, verlange aber nicht mehr^ und das Schlimmste dabei ist, daß unsere civi-lisirten Menschen mit Rohmaterial eigentlich gar Nichts anzufangen wissen. Daheim bei uns arbeitet Einer dem Andern in die Hand, und was ich hier nicht bekomme, finde ich um die nächste Ecke bei einem andern Kaufmann, oder kann es mir im schlimmsten Falle per Post im Augenblick verschreiben. In der Wildniß hat das Alles ein Ende. und der civilisirte Mensch fühlt dort gewöhnlich nicht 166 gleich, wie wenig er eigentlich zum Leben, sondern wie viel er braucht, und was er Alles dort nicht haben kann. Kein Wunder dann, daß er sich im Anfang unbehaglich und sogar den Verdacht in sich aufsteigen fühlt, vok irgend Jemandem — er weiß eigentlich nicht recht von wem — schändlich und unverantwortlich behandelt zu werden. Doch das hat eigentlich Alles Nichts weiter mit der Kittiwake zu thun, die jetzt sicher in der Bay vor ihrem Anker in völlig stillem nnd gefahrlosem Wasser lag. Glücklicher Weise befanden sich einige Z.immerleute an Vord, mit denen wir augenblicklich daran gehen konnten, eine Art von Waarenlager für ihre Fracht zu bauen; diefe wurde in den nächsten Tagen ausgeladen, die Passagiere richteten sich indessen, so gut es gehen wollte, am Ufer ein, und die erste Expedition der Ecuador-Land-Compagnie war in sofern geglückt, als die ausgesandten Leute wenigstens nach langer, langer Fahrt festen Boden unter ihren Füßen hatten. 6. Dom Meer zum Fels. Eomi't, und als die Passagiere des kleinen Fahrzeugs ein wenig eingerichtet waren, hatte ich denn meinen Zweck am Pailon erfüllt und konnte um so beruhigter von dort scheiden, als es mir auch noch vor meiner Abreise gelang, die Kitti-wake an einen Minister der Ecuador-Regierung, der den Pailon besuchte, zu verkaufen. Die Negierung von Ecuador fürchtete nämlich nicht mit Unrecht die drohende Stellung des Nachbarstaates Peru, die derselbe bis auf den heutigen Tag noch nicht aufgegeben hat, und rüstete sich, einem Angriff zu Land wohl gewachsen, auch seine Flotte herzustellen,' um die Flußmündung des Guajaquil zu wahren. In Nord-Amerika waren zu diesem Zweck schon Aufträge gegeben, mehrere Dampfer zu kaufen, und die kleine, 168 stark gebaute Kittiwake, die außerdem schon mit Kanonen und Munition versehen war, sollte ebenfalls zu einem ordentlichen Kriegsschiff hergerichtet werden. Jetzt band mich Nichts mehr an den Pailon, an dem ich fast drei und einen halben Monat zugebracht. Ich sehnte mich danach, meine Reise endlich wieder aufzunehmen und meinen Plan, sämmtliche deutsche Colonien Sud-Amerikas zu besuchen, auszuführen. Vorher mußte ich freilich noch das Innere des Landes kennen lernen, an dessen tropischen Ufern ich bis jetzt gelebt und von dessen hochgelegenem Innern ich schon so viel nnd Rühmliches gehört. Selbst die Hauptstadt des Landes, Quito mit seinem vielgepriesenen „ewigen Frühling", reizte mich^ und ich beschloß meinen Weg dorthin zu nehmen und dann von dort nach Guajaqnil hinab zu gehen. Neberdies wollte ich, ehe ich Ecuador verließ, noch einmal mit dem Direktor der Compagnie zusammentreffen/mit dem ich sehr viel zu besprechen hatte, nnd es war nicht wahrscheinlich, daß ich ihn auf diesem Wege verfehlen könnte. Am 25. September war die Kittiwake von St. Lorenzo abgesegelt, und ziemlich erschöpft von der Arbeit, die ich dabei gehabt, bestimmte ich den 169 Tag zum Ausruhen und bestellte mir auf den nächsten Morgen ein Canoe, das mich nach einem höher gelegenen Theil der Bay, am Santiago-Fluß hinauf, bringm sollte. Von dort folgte ich dann, in den Bogota einbiegend, dem Cachavi aufwärts, und betrat da erst, wo die Schifffahrt aufhörte, den eigentlichen Wald, über den ich schon ziemlich traurige Berichte gehört. Der Weg, der hindurch führte, hieß allerdings cninino rsai, bestand aber blos dem Namen nach, und die, welche diesen Weg scholc einmal gegangen, wußten ihn gar nicht schrecklich genug zu beschreiben. Diese Strecke ließ sich aber nicht umgehen, wenn ich auch zu Wasser unsere nach dem Bogota ausgehauene trocim umgehen konnte, und es half deßhalb Nichts, sich davor zu fürchten. Die Fahrt im Canoe that mir wohl, denn. lang gestreckt darin tonnte ich mich ordentlich ausruhen, während ein dichtes Vlätterdach die heißeu Sonnenstrahlen von mir abhielt. Am ersten Tage war auch uicht viel zu sehen, dcun wir liefen an den Mangrovesttmpfen der Bay hin, die erst dort aufhörten, wo sich der Santiago mit seinem süßen Wasser ihr entgegenwirft — und süßes Wasser kann der Mangrovebaum eben nicht vertragen. 170 Hier begannen überall Platanars oder Pisang-seldcr am Ufer — hier und da standen Cocos-palmen nnd Kasiee, Baumwolle wie Cacao mit Orangen und anderen Fruchtbäumen waren angepflanzt. Das Ganze schien aber doch noch neu, und man sah überall, daß die Eigenthümer des Landes mit geringer Mühe weit mehr" hatten thun können, als sie eben gethan, wenn diese Leute überhaupt mehr arbeiten wollten, als sie zum Leben unumgänglich nöthig haben. Fast alle diese Anpflanzungen gehö ren Negern oder einer starken Mischlingsrace der Neger, und es sind meistens durch das Gesetz befreite Sclaven, hie sich hier ein Eigenthum gegründet haben. Der Santiago ist ein breiter, schöner Strom, der aber nahe seiner Mündung in die Tolabay so weit durch flaches und niedriges Land läuft, daß die Ebbe und Fluth bis hoch hinauf einen Mn-fluß auf ihn ausübt. In der Nähe der Bay verwandelt sie in der Fluthzeit sein Wasser in Salz, und weiter hinauf, stemmt sie es nnr für viele Meilen bis selbst in den von Norden kommenden Nachbarfluß Bogota hinein. Dorthin bogen auch wir am zweiten Tage ein, aber nur auf eine kurze Strecke, bis wir das kleine Städtchen Conception erreichten, und von 171 hier aus sollte ich am nächsten Tage in einem kleineren Canoe meinen Weg den reißenden Cachavi hinauf fortsetzen. Hier mußte ich mich auch mit Vorräthen verschen, denn weiter hinauf waren keine Lebensmittel zu bekommen, als höchstens Pisang, während das weiter im Innern gelegene Land, wie Alle bestätigten, einen wahren Ueber-siuß von allen Arten von Lcbensmitteln hervorbrachte, die nur eben nicht durch die Wildniß geschleppt werken konnten. Ein Beweis mehr, wie nöthig ein Weg war, der diese'beiden besiedelten Strecken mit einander verbinden sollte, daß sie ihre Producte gegeneinander austauschen konnten.. Meine Vorräthe waren bald eingelegt — es bedürfte dazu nicht vicl. Etwas Brod, etwas hart gebratenes Schweinefleisch., das sich einige Tage hielt, und ein paar Pfund Chocolade — das war Alles. Am nächsten Morgen mit Tagesanbruch kam das Canoe an, ein etwas schmales, schwankendes Fahrzeug mit Zwei jungen, vielleicht fünfzehnjährigen, bis auf dcu Gürtcl vollständig nackten Negerburschen, diesmal aber ohne Schutzdach gegen die Sonne, was sich nicht gut darauf anbringen ließ, uud wir stießen vom Ufer ab. — Für die beiden Vongen .Tage Canoesahrt, mit noch einem Gefährten, hatte ich sür meinen Theil 172 vier und einen halben Dollar bezahlt. Für diese beiden Burschen für zweitägige Fahrt zahlte ich drei Dollars und einen Dollar für den Gebrauch des Canoes, wobei ich noch ein paar Dollars für Lebensmittel auszulegen hatte. Im Anfang und so lange wir uns in dem breiteren und tiefen Bogota befanden, konnten die jungen Burschen ihre Ruder noch gebrauchen, sobald wir aber in den Cachavi einbogen, hörte das auf, denn der ganze Fluß bestand aus einer fast ununterbrochenen Neihe von Stromschnellen, durch die hin uns weiter Nichts als Stangen vorwärts helfen konnten. Die Geschicklichkeit der beiden jungen Burschen war außerordentlich darin, und so genau wußten sie ihre Stangen einzusetzen und der Kraft zu begegnen, die den Bug des Canoes bald herüber, bald hinüber werfen wollte, daß dieses auch nicht ein einziges Mal eine willkürliche oder falsche Bewegung machen konnte. Oft aber, und besonders je höher wir kamen, war die Strömung des Wassers so reißend und der Fall so groß, daß sie selbst mit ihren Stangen Nichts mehr ausrichteu konnten, sondern über Bord springen mußten, um das schwanke Fahrzeug gegen die Wucht der Wasser anzuziehen und zu schieben. Es war gar ^173 nichts Seltenes, daß wir auf 25-28 Fuß 10 — 14 Fuß Fall hatten, und ein paar Mal schoß das Wasser in das Canoe. Darauf waren aber die jungen Burschen schon vorbereitet, denn der Platz, wo ich mit meinem Gepäck gerade in der Mitte lag, war. mit breiten Vananenblättern so besteckt, daß das aufschlagende Wasser wohl in das Canoe laufen, aber weder mich noch meine Sachen durchnässen konnte. Der hintere Theil des Canoes lag aber fast stets viel tiefer als der vordere, und der Bursch dort hatte eine ganz eigene Fertigkeit, das einlaufende Nasser mit den Füßen wieder hinauszuschnellen. Mit dem einen Fuße blieb er fest stehen und den andern schlug er, etwas eingebogen, dagegen, so daß er alles dazwischen kommende Wasser geschickt über Bord sandte. Nur an einigen zu stachen und steilen Fällen, wo mein Gewicht zu groß war, stieg ich aus und watete einige Schritte durch das grobe Geröll. Nn allen übrigen Stellen blieb ich ruhig liegen, den beiden Burschen es vertrauungsvoll überlassend, mich sicher aufwärts zu schaffen. — Die Nacht schliefen wir bei einem Neger am Ufer, und kurz vor Sonnenuntergang schwoll der Strom plötzlich so rasend an, daß er in einer halben 174 Stunde wohl drei Fuß sticg. Der Neger beruhigte uns aber vollkommen darüber, daß er bis Tagesanbruch wieder vollständig in seinem alten Bett sein würde, und er hatte recht. So rasch er gestiegen, fiel der Strom auch wieder, und wir konnten ungehindert am nächsten Morgen unsere Fahrt fortsetzen. Die Platanare wurden jetzt sehr selten, häufig aber begegneten wir Canoes im Strom, die zum Theil nur von Frauen vorwärts gestoßen wurden. Meine beiden jungen Führer sagten mir, daß hier die Cachavi-Goldmincn begönnen, und diese Canoes dazu gebraucht würden, Lebensmittel zu den verschiedenen Stellen zu schaffen. Diese Cachavi-Goldminen sind Privateigenthum, in den Händen Einzelner, und wurden früher durch Sclaven bearbeitet. Jetzt hat das aufgehört, und die Eigenthümer müssen mit den hier wohnenden Negern bestimmte Contracte machen, um sie zum Goldgraben zu bewegen. Die Minen scheinen aber, allen vernünftigen Anzeichen nach/ nicht sehr reichhaltig zu sein, denn erstlich enthalten sie nur sehr feines Blattgold, uud dann würden sich die dort lebenden Neger schwerlich zu den beschwerlichen Sumpfmärschen und zum Lasttragen hergeben, bei dem sie den Tag nicht ein- 175 mal einen Dollar verdienen, wenn sie mehr mit Goldwaschen erübrigen könnten. Am Pailon wird das Nämliche der Fall sein. Ich zweifle gar nicht daran, daß sich im Innern des Landes und in den Bergen noch viel Gold finden wird, sobald man eben ordentlich danach gräbt; so weit aber von den eigentlichen goldhaltigen Bergen entfernt, muß das edle Metall fein und verwaschen sein, und wenn es sich auch findet, kann man es doch nicht in gehöriger Menge erlangen, die darauf verwandte Arbeit zn bezahlen. Mittags, den zweiten Tag, während der kleine Strom so schnell und reißend wurde, daß es an manchen Stellen kaum möglich war, das leere, Canoe über die Stromschnellen zu ziehen, erreichten wir endlich das kleine, fast nur von Negern bewohnte Städtchen Cachavi, und ich fand bald, daß ich hier den ganzen nächsten Tag, einen Sonntag, würde liegen bleiben müssen, damit sich die beiden Träger, die ich durch den Wald brauchte, ihre Körben flechten und überhaupt auf den viertägigen Marsch vorbereiten konnten. Mir selber blieb indessen Zeit genug übrig, mich in Cachavi umzusehen, und als Hauptquartier konnte ich dazu eine Art Vorsaal des Vambushauses unseres schwarzen Alcalden benutzen, bei dem ich mich ohne 176 Weiteres einquartiert hatte. Cachavi, mitten im Walde gelegen und rings und unmittelbar von dichtem Urwald umgeben, bestand, wie St. Lorenzo, aus etwa achtzehn oder zwanzig Häusern, mit Ausnahme eines einzigen aber alle von Negern bewohnt, die hier eine ordentliche Colonie bildeten. Es waren lauter frühere Sclaven, die jetzt ihre Freiheit gewonnen hatten und zu versuchen schienen, mit wie wenig Arbeit sie eigentlich auskommen konnten. Es mag vielleicht sein, daß die ,Neugierde, den Fremden zu sehen, auch etwas dazu beitrug, ihnen ihre Beschäftigung zu erleichtern, aber die ganze Bevölkerung schien schon am Sonnabend Mittag Sonntag gemacht zu haben. Trotzdem hatte es nur geringe Schwierigkeit, zwei Träger zu finden, die mich durch den Wald begleiten und mein Gepäck wie Lebensmittel für vier Tage tragen sollten. Ich accordirte mit ihnen für fünf Dollars den Mann, nnd sie versprachen am Montag Morgen mit Tagesanbruch bereit zu sein. An dem nämlichen Nachmittage kamen vier Indianer schwer beladen von Ibarra aus dem Innern des Landes und brachten für Cachavi der Eine eine Ladung Käse, der Andere bunte Kattune, der Dritte getrocknetes Fleisch und der Vierte eine Kiste mit Heiligenbildern. Die Leute gingen nackt, eine kurze Schwimmhose ausgenommen. Mit dem ganzen Typus des Indianers war ihre Hautfarbe aber eher weiß als braun, und sonderbarer Weise fand ich hier bestätigt, was ich schon so oft gehört, daß die Indianer der heißen Zone Amerikas viel lichtere Aarbe haben, als die im äußersten Norden und Süden, eine Thatsache, welche die Theorie der Abstammung all''r Menschen von Adam und Eva und der allein von der Sonne verbrannten Haut dieser Stämme über den Hansen wirft. Der Pa-tagonier, wie der Indianer der nördlichen kalten und gemäßigten Zone, ist tiefdunkel kupferbraun, üvährend, diese Indianer eher lichter als dnnkler sind, wie unsere deutschen, von der Sonne verbrannten Bauern. Auf ihren Schultern und Hüften zeigten sich deutlich die dunkleren Spuren, wo ihre Last sie gedrückt hatte und wo sich das Blut unter der hellen Haut zusammengezogen — gerade wie cs sich bei einem Weihen zeigen würde. Nnd tüchtige Lasten 'tragen diese Leute durch den Snmpf, denn ihre „gesetzliche Bepackung" besteht in vier Aroben und vier Pfund — die Arobe zu 25 Pfund ssl. Gerste Äcr, Allüzchn Monate in Sud^linnita. I. 1A 173 ' gerechnet. Damit laufen sle flüchtig durch den Schlamm, und ihre Nahrung besteht dabei in wenig mehr, als etwas gedörrtem Mais. Der Händler, der diese Waaren von ihnen überkam, war ein Weißer, einer der hier eingeborenen, von den Spaniern abstammenden Race, und ein Theil der Heiligenbilder, ob ans Frömmigkeit oder Speculation, will ich dahingestellt sein lassen — wurde an dem nämlichen Abend noch in die. Kirche getragen und in feierlicher Procession zurückgebracht. Ein paar kleine Glocken, nach dem Tact eines Walzers angeschlagen und mit Begleitung einer Trommel, dienten dazu, die Handlung noch feierlicher zu machen.' Am nächsten Tag — Sonntag — saß ich bei einem fluchenden Regen in dem Vorbau des Al-caldenhaufes, wo ich meine Decken ausgebreitet hatte und von meinen eigenen Lebensmitteln zehrte. Wo es nämlich irgend anging, vermied ich von der Kochkunst der Eingeborenen Gebrauch zu machen, denn von dem Schmutz dieser Leute hat Niemand eine Idee, der nicht wirklich einmal unter ihnen gelebt. Die Frau des Alcalden, ein ekelhaftes Negerweib, übertraf dabei noch Alles, was ich bis jetzt in diefer Art gesehen, und ich war froh, daß mir kein Essen angeboten wurde. 179 Ich hatte mein Gepäck ein wenig geordnet und fest geschnürt, als plötzlich ein Schrei von: Fluß aufwärts herübertönte und Alles auf eine Art von Verandah sprang, dvrt hinzusehen. Ich folgte natürlich dem Beispiel und sah zu meinem Erstaunen, wie den klaren, ziemlich seichten Strom eine gelbe zürnende Wassermasse, wie eine riesige Welle, mit furchtbarer Gewalt niedergestürzt kam. Der Ruf mußte aber schon vorher von Anderen gehört worden sein, denn ein paar dunkle Gestalten sprangen über die Steine mit Blitzesschnelle nach den: Ufer hinab, dort ihre angebundenen Canoes in Sicherheit zu bringen, und wahrlich, es blieb ihnen dazu wenig genug Zeit. In wenigen Minuten , war der klare Strom, der sich überall über Felsblöcke hinüberschnellte, in eine braune kochende ,Fluth verwandelt, die reißend ihre Wassermasse durch das jetzt breit gewordene, von zitternden Vaumzweigen eingefaßte Bett wälzte. Heftige Negen weiter oben hatten dies rasche Steigen bewirkt, aber schon gegen Abend fiel das Wasser, und am nächsten Morgen war der Strom wieder in seinem alten Stand. Am nächsten Morgen säumten wir aber auch nicht unseren Marsch anzutreten, und die Neger — ein paar baumstarke, riesige. Gestalten, nackt 12" ,, ^,80 ^ bis auf dm Gürtel, crschicmn mit ihren raschge-ftochtenen Tragkörbcn, unsere Wanderung zu beginnen. Mein Gepäck war nicht schwer, ihre eigenen, nur aus Pisang bestehenden Nahrungsmittel wogen das Meiste, und nachdem wir in einem Can'oe über den Cachavi gesetzt, betratcn wir den einzigen schmalen Waldpfad, der jetzt noch die Seeküste mit dem inneren Lande in einer sehr preeären Verbindung hielt. Der Anblick der aus diesem Walde kommenden Indianer hatte mich am erftm Tage schon 'etwas stutzig gemacht, dmn die Leute waren bis hoch an die Hüften hinauf voll Schlamm. Ich sollte aber bald finden, wie viel Ursache sie dazu gehabt, denn nach den ersten zwanzig Schritten schon, und wie wir nur das unmittelbare Nfer des Stromes hinter uns hatten, begann der eigentliche Weg, und einen schlechteren bin ich nie gewandert. Dieser Pfad. ist in früheren Jahren einmal ausgehaueu gewefen, seit der Zeit aber weder Macheta uoch Veil wieder daran gelegt, und wo die Bäume darüber hinstürzten, blieben sie liegen, es den „Reisenden" überlassend, ihre Bahn darüber oder darunter-hiu zu finden. Der eigentliche ausgetretene Pfad felber war dabei tiefer Schlamm, ^181 hie und da nur bis über die Knöchel reichend, wo man dann rascher vorrücken konnte, meist immer aber bis an und über die Kniee und an manchen kurzen Stellen noch tiefer. Gin Allsweichen war dabei nicht möglich; man wäre genöthigt gewesen, dnrch die dornigen Büsche zu brechen, und das würde den Marsch nur noch beschwerlicher gemacht und aufgehalten haben. Ueberall an diesem Pfade und überhaupt durch diesen ganzen Wald standen mit langen, scharfen Dornen dicht befetzte Palmen, und wo man sich mit der einen Hand einmal gegen zu tiefes Einsinken in den Schlamm stützen wollte, konnte mau darauf rechnen, daß man gerade mitten in diese Sta'cheln hinein-griff. ' , Vom Pailon hatte ich ein paar neue Schuhe mitgenommen, in diesem Wege hielten sie aber nicht einmal bis zum Abend aus. Die Hacken fuhren au den Seiten in die Höhe, das Leder weitete sich aus, und ich mußte sie vorn aufschneiden und mit Riemen zusammmschnüreu, um sie uur am Fuße zu halteu. Die halbe Nacht statte es dabei geregnet, und wenn sich das Wetter auch gegeu Morgen aufklärte, trat nach zehn Uhr wieder ein tüchtiger Schauer ein, der etwa bis vier Uhr Nachmittags 182- dauerte. Es blieb sich das aber vollkommen gleich, denn die Zweige hingen, voll von dcm letzten Regenwasser, so dicht übcr den Wog, daß man nach halbstündigem Marsch doch so durchnäßt war, als ob man im Nasser gelegen hätte. Aber ich will den Leser^ nicht mit der Monotonie dieses entsetzlichen viertägigen Marsches ermüden. Vier Tage wateten wir durch diesen Schlamm, ohne' auch nur ein einziges Mal auf zehn Schritte trockenen oder nur festen Boden zu haben. Vier Tage kreuzten wir angeschwollene Bergströme und kletterten und krochen durch zackige, umgestürzte Wipfel, die Nacht dann uuter einem rasch errichteten Laubdach zuzubringen, und den Regen darauf niederpeitschcn zu hören. Ich selber hatte dabei eiue sehr böse Hand, denn am Pai-lon war mir ein Tropfen brennendes Gummi-elasticum — wovon man dort Fackeln macht —auf den rechten Zeigefinger gefallen, und das Geschwür, das sich dadurch erzeugte, fraß weiter und weiter. Vergebens suchte ich es mit Vleiwasser zu kühlen und zu beruhigen, es wurde so arg, daß ich die Hand kaum noch schließen konnte; und ich darf es für ein Gluck rechnen, daß ich Höllenstein bei mir führte. Erst als ich es damit beizte, fing es an zu heilen, und bis ich wenig- 183 stens nach Quito kam, hatte ich meine Hand wieder hergestellt — wer weiß, wie sonst Alles geworden wäre. Mit der Jagd war unterwegs anch sehr wenig zu machen. Ich schoß ein paar Pavas und ein kleines wildes Schwein, aber zuletzt und in der ewigen Nässe ging meine Büchse nicht mehr los, und da mich Hand nuo Arm so schmerzten, nahm ich sie endlich auseinander und gab sie den Negern, deren Last durch das Aufzehren der Provisionen sehr leicht geworden war, mit zu tragen. Die Waldung war sich die ersten Tage ziemlich gleich geblieben, wnrde aber die letzten Tage sehr von der verschieden, wie wir sie von Pailon nach dem Bogota gefunden. Dort herrscht vorzugsweise niederer Grund vor, nuo die Negrito-palme deckte weite sumpfige Strecken. — Hier kamen wir schon in höheres und mehr bergiges Land, und die Oelpalme mit der Palme Neal bildeten den hervorragendsten Theil der Vegetation. Ich sah Stellen, wo der Wald fast einzig und allein aus Palmen bestand, uud wuudervolle Gruppen bildeten sich oft, wo zehn oder zwölf dieser schlanken, zierlichen und doch so mächtigen Stämme hie und da einen alten, von Lianen t>icht umhangeuen Laubholzbaum umstanden. Eine 184 Masse wundervoller Orchideen wachsen hier ebenfalls, aber ich konnte natürlich nicht daran den^ ken, mich länger mit ihnen einzulassen, als eben ihre Farbenpracht zu bewundern. Schlinggewächse gab es ebenfalls in Masse, und so oft mich diese schon im Leben geärgert und ermüdet hatten, so sollte ich doch auch einen praktischen Nutzen von ihnen sehen. Unser Weg führte nämlich am linken Ufer des Flusses Mira hinauf, dessen dumpfes Rauschen und Brausen wir fortwährend neben uns hören, konnten, während wir dann und wann sogar mit Hülfe einer dahin auskaufenden Schlucht sein Thal erblickten und sein trübgelbes Wasser reißend schnell darin hinschießen sahen. Viele kleine und größere Bergströme ergießen sich natürlich hinein, und wir waren so gewöhnt durch diese durchzuwaten, so tief und reißend sie auch immer sein mochten, daß wir uns nie an ihren Ufern auch nur eine Secunde aufhielten. Hier aber trafen wir einen größern Strom, wilder nnd tiefer, als alle übrigen, mit hohen, steilen Ufern, in denen die wilde, schäumende Fluth kochend dahinschoß. An ein. Durchwaten war hier natürlich nicht zu denken, und selbst ein Durchschwimmeu wäre nuv weiter oben möglich gewesen. Uns das aber er- " 1A5 sparend, hatten die letzt diesen Weg passirten Indianer eme treffliche Brücke ans wilden Schlingpflanzen über den Strom gezogen, die allerdings bedeutend hin- und herschwankte, der man sich aber doch ganz sicher anvertrauen konnte. Die Brücke bestand ans drei dicken Seilen, jedes aus fünf bis sechs Neben zusammengedreht; das eine nnd stärkste als eigentlicher Boden, darauf zu gehen, die anderen beiden, etwa zwei und' ein halb Fuß darüber und ein wenig mehr rechts und links, das Geländer bildend, das, durch kurze Reben mit dem Hanptseil verbunden, dieses auch wieder stützen und halten konnte. Das Ganze bildete so eine Art von dreikantiger Rinne, in dessen unterster Schneide man hinschritt und sich mit beiden Händen an dem Geländer hielt. Natürlich vertraute sich immer nur Einer von nns ans einmal diesem unsichern Wege an, und die Anderen warteten gcdnldig, bis er drüben, wo die Neben an starken Bäumen befestigt waren, sicheren Boden betrat. Zwei hätte die Brücke vielleicht nicht getragen; keinesfalls wollten wir den Versuch machen. Am vierten Tage endlich — wobei der Schlamm und Sumpf in unserer Bahn nicht im Geringsten nachließ, obgleich wir an dem steilen Hang ^ 186 eines Berges hinstiegen — erreichten wir, etwa um 3 Uhr Nachmittags, das erste Haus, die äußerste Greuze dieser Wildniß. Es war die noch nicht sehr lange angelegte Plantage Paramba, die mehreren Herren in Ibarra gehörte, und wo sie angefangen hatten, Cacao, Zucker und Kaffee im großartigsten Styl zu pflanzen. Der Platz sah allerdings noch sehr wild aus. Viel Land war eben nur erst gelichtet, anderes ganz kürzlich urbar gemacht. Die Pflanzungen selber waren meistens auch noch klein, und das Hans selber glich mehr einer unanfgeräumten Scheune, als der Wohnung eines civilisirten Menschen. Dennoch begrüßte ich es mit Jubel, denn cs war ja das Ende eines der nichtswürdigsten Märsche meines Lebens — nnd Gott weiß es, ich habe andere gemacht, die auch nicht übel waren. Ein Doctor— aus Quito (ich verschweige seinen Namen nur, weil ich ihn vergessen habe) nahm mich alls das Freundschaftlichste und Gastfreieste auf, und nachdem ich mich unten an dem kleinen Bach ordentlich abgcwaschen, nnd Hosen und Hemde, die ich durch den Busch getragen, nur eben in den nächsten Bnsch hinein geworfen hatte, dampfte drin schon auf dem Tische ein nahrhaftes und reichli- 187 ches Mahl, das mich für manche Entbehrung entschädigen konnte. Nach dem Essen wanderten wir, trotzdem daß ich mich eigentlich viel vernünftiger hingelegt und ausgernht hätte, über die Plantage, und es bedürfte nur kurzer Zeit, nm zn sehen, welch wunderbar fruchtbares und reiches Land dies eigentlich sei, und wie auch geringe Mühe und Arbeit auf das Reichste belohnt werden. Die Cacao-und Kaffcepflanzcn waren noch klein, nnd etwas zu sehr der Sonne ausgesetzt gewesen, so daß einige von ihnen kränklich aussahen. Die meisten schienen aber frisch nnd grüu, und besonders üppig staud das Zuckerrohr. Dieses bedarf hier zu völliger Reife uur fuufzehu Monate, ich sah hier aber selbst ueun Monate altes, das über drei und ein halb Zoll im Durchmesser hatte uud voll von Saft war, als ob es seine völlige Neife erlaugt hätte. Außerdem wuchs die Mikawmzel uoch besonders üppig, ebenso rother Pfeffer, Bohnen, Orau-geu, Limonenpflanzen, kurz Alles, was mau der Erde nur eben anvertraut hatte. Die Banane und der Pisang haben hier ebenfalls ihre eigentliche Heimath, und die Ueppigkeit, mit der ihre Stämme emporschössen, bewies, was aus ihnen ^88^ werden würde. Jetzt freilich war von alledem noch erst sehr wenig zu haben, denn anßcr der Jukawurzel und dem Neis und Tabak trug noch gar Nichts Frucht — ich müßte denn das Zuckerrohr rechnen, das die Bewohner von Ecuador mit einer Hartnäckigkeit käuen, die einer besseren Sache würdig wäre. Cocospalmen fand ich hier keine, nur eine einzige war gepflanzt worden und noch klein; ich glaube auch, daß das Land hier eigentlich schon etwas zu hoch für die Cocusnuß ist — vielleicht käme es freilich nur darauf an, sie eben heimisch zu machen, wie man ja auch in Java ganz im Innern Massen von Cocospalmen findet. Aber der Dattelpalme ist dies Klima gewiß zuträglich, und einige Kerne, die ich nebst anderen Frucht-steinen mitgebracht hatte, übergab ich dem Doctor, der versprach, die äußerste Sorge dafür zu tragen. Auch Kerne der 8^>a Im'ivo, jener reizenden rotheu Akazienbeere aus Vuitcnzorg in Java, habe ich hierhergebracht, und spätere Jahre werden zeigen, ob sie gediehen. Von hier aus war mir nun am Pailon und selbst bis in Cachavi gesagt, daß ich Pferde nach Ibarra bekommen könnte, meinen Weg von da ab leichter fortzusetzen, aber natürlich war kein Pferd 189 in der ganzen Nachbarschaft zu bekommen, Ulld' ich mußte von hier uoch einmal Leute miethen, die mein Gepäck weiter nach dem sogenannten St. Pedro trugen, wo ich — diesmal ganz gewiß — Pferde treffen sollte. Um zwei oder drei Stunden Wegs meine beiden Satteltaschen getragen zu bekommen, muhte ich ein paar Indianern jedem 1 Dollar geben, und selbst dann noch schienen sie die Sache als eine Gefälligkeit für mich zu betrachten. Ucberhaupt sollen Reisende in wilden Ländern um Gottes lMen nicht denken, daß sie billig reisen können, gelbst wenn. sie Willens sind, die größten Entbehrungen zu ertragen. So lauge sie allerdings zu Fuß gehen, selber tragen, was sie 5 bei sich haben, keinen Führer durch das Land braucheu, durch das sie ziehen, so lange sind sie von allen Menschen unabhängig und werden mit wenig Kostenberechnungen beschwert werden, denn in den meisten solchen Ländern wird man ihnen sür Essen und Trinken wenig, wenn etwas, abverlangen. Ganz in die Hände dieser Menschen sind sie aber gegeben, so wie sie die geringste thätige Hnlfsleistung von ihnen haben wollm, und sie dürfen sich dann auch darauf gefaßt machen, wenigstens den doppelten Preis von dem zu zah- 190^ le^, was irgend ein Einheimischer dafür zahlen würde. Ich selber bin geprellt, wohin ich kam, wissentlich geprellt, denn ich wußte es recht gnt, während ich es bezahlte, konnte aber anch Nichts dagegen machen, wenn ich nicht länger als nöthig zwischen diesen Menschen liegen bleiben wollte, und dem zu entgehen, habe ich immer lieber ein paar Thaler Geld geopfert. Meine jetzige Auslage vom Pailon bis hierher lief denn auch schon, obgleich ich die Hälfte des Weges Zu Fuß gemacht hatte, gar nicht unbedeutend auf. Vom Pailon bis Concepcion . 5^ Dollars. Provisionen ......4^ „ Von Concepcion bis Cachavi . 4 „ Trinkgeld.......1 „ In Cachavi Provisionen . . 2 „ Trägerlohn bis Paramba . . 12^ „ In Paramba für Juka für die Träger...... '/2 , „ Von Paramba bis St. Pedro -. 2 ^ „ Luinma 32 Dollars, für die ich weiter Nichts hatte, als daß ich mit meinen beideu Satteltaschen eine kurze Strecke in das Land hineinbefördert wurde. In St. Petto hoffte ich mich ordentlich ausruhen zu können, fand aber auch nur eine trän- 191 ' rige Hütte, nicht einmal von der feuchten Erde erhoben, nnd einhalten würdigen, sehr schmutzi-gen Greis mit seiner jungen Schwiegertochter, die mir in der, diesen Leuten eigenthümlichen Art eine Mahlzeit kochte. Es würde hierbei nichts Besonderes zu erwähnen sein, wären die Stücken Fleisch nicht etwas zu groß und sehr zäh gewesen, so daß ich genöthigt war sie durchzuschneiden. Dazu hatte ich aber nur mein großes, etwas unbehülf-liches Jagdmesser, und die junge niedliche Frau sah kaum, woran es bei mir fehlte, als sie auch schon vor mir niederkauerte, die Stücken Fleisch mst den Fingern aus dem hölzernen Napf nahm, den ich auf den Knieen hielt, sie durchschnitt und dann wieder in meinen Miniaturtrog warf. — Es wäre das auch appetitlich gewesen, selbst wenn sie sich nicht, in übertriebener Reinlichkeit, nach jeden zwei oder drei Schnitten die Finger abgeleckt hätte. Ich fand hier Pferde, mußte aber zwei miethen, damit mein Begleiter mit fort konnte, und für beide bis Ibarra — zwei Tagereisen -- sechs Dollars bezahlen. Das war insofern billig, als sich unterwegs nicht die geringste Gelegenheit bot, etwas zu verzehren. Es blieb sogar zweifelhaft, ob wir überhaupt Etwas zu essen bekommen konnten. Am nächsten Morgen brachen wir ziemlich 192 srüh auf — ich selber ohne Schuh im Sattel, denn die meimgen konnte ich nicht einmal mehr in den Steigbügeln tragen. Hatte ich aber vorher geglaubt, mich, erst einmal im Sattel, von meinen gehabten Strapazen ausruhen zn können, so sollte ich bald sinoen, oaß ich mich darin schmählich geirrt, denn den Weg zu reiten, ist weder Spaß noch Erholung. Im Anfange ging es noch durch eine Strecke schlammigen Negs, bald aber erreichten wir wenigstens trockenen Boden, und hier sollte ich auch erfahren, was es heißt, eine Vahn zu reiten, die sich nur eben Maulthiertreiber mit' ihren Thieren ausgesucht haben. Der Weg führte an dem rechten Verghang hin, und in jcde kleine Schlucht tauchten wir ein — steil hinab, daß man jeden Augenblick in Gefahr war, vornüber, über den Hals des Maulthicrs zu stürzen, um die nächsten fünf Minuten wieder an der andern, dieser ganz ähnlichen Seite in die Höhe zu klettern. An ein ruhiges ordentliches Reiten war auch keine Viertelstunde zu denken, und das Ganze ein ewiger und fast ununterbrochener Versuch, weiter Nichts zu thun, als einen festen Sitz im Sattel zu wahren. Dabei ^ief der Weg keineswegs schräg an dem Berghaug hin, an dessen Fuß der Mirafluß der 193 Richtung zubrauste, von der wir hergekommen waren, sondern jetzt stieg er auf, höher und höher, bis man sich ein paar tausend Fuß über dem wie ein Faden daneben hinschießendeu Flnß befand, nm in der nächsten halben Stunde gerade hinein, selbst bis in das wirkliche Bett desselben zn führen. Auffällig hatte sich indessen schon in den ersten drei Stunden die ganze Vegetation, ja der ganze Charakter des Landes selbst verändert. Mit Paramba schloß eigentlich die wirkliche Palmengrenze ab, und wenn auch St. Pedro noch voll zu den Tropen gehörte, lag es doch schon außer diesen schlanken Kindern der heißen Zone. Von hier ab aber nahm selbst der dichte furchtbare Wald ein Ende, dnrch den hin ich mich so manche schwere, mühselige Stunde gearbeitet. Die Berge singen an lichte, mit hohem gelben Gras bewachsene Stellen zu zeigen, und wenn auch an der Mdern Seite dcs Flusses noch hie und da kleine Ansiedelungen mit breitblätterigen Bananen lagen, zeigten die hohen steilen Hänge darüber einen vollkommen nördlichen Charakter. Ja, eine Stunde später verließen wir die Bäume ganz, der Negen der mich bis dahin verfolgt, hatte aufgi'hört, der Boden war hart, sandig nnd kahl, kurzes schwaches Fr. Gcvställcr, ?lch«zchu Mouatc in Süd-Amcnla. I. 1A 194 Gras ausgenommen, das jetzt einige der Gebirgs-seiten bis in die höchsten Wipfel hinein bedeckte. Das Land hier war aber nur sehr schwach besiedelt, und selbst spärlich Vieh sah mau an den Hängen, die sicherlich zahlreichen Heerdeu Nahrung geben könnten. Die Civilisation, wenu mau diese Menschen wirklich zur Civilisation gehörig rechnen kann, war noch nicht hierher gedrungen, denn nirgends hin zeigte sich eine Möglichkeit, das hier Gezogene absetzen zu können. Die wenigen Menschen, die hier wirklich lebten, können deßhalb fast als Ginfiedler betrachtet werden. Höchst interessant war es aber für mich, diese Grenze zwischen tropischem und gemäßigtem Klima zu betrachten die sich vollkommen deutlich herausstellte, obgleich nicht die geringste gewaltsame Scheidewand zwischen ihnen aufgeworfen wurde. Da war kein steiler mächtiger Berg, anf dessen hohem Gipfel Weizen gebaut wurde, während unten im Thal die Banane wuchs — wie man das selbst weiter oben in den Cordilleren findet — sondern ganz allmählich steigen die Berge auf, kaum bemerkbar, da man fast eben so viel bergab, wie bergauf klettern mußte, und doch wurde vou hier ab die tropische Welt mit Gewalt in deu Hintergrund gedrängt. 195 Was der Boden aber hier erzeugen konnte, war man natürlich nicht im Stande zu sehen, da nicht der geringste Versuch bis jetzt gemacht worden, das zu erproben. Maulthiere, Pferde und Esel weideten an den Hängen, und tief im Thal, wohin der scharfe, von den Cordillcren niederwehende Wind nicht dringen konnte, hatte hie und da Einer der Eingeborenen sich der gewaltigen Anstrengung unterworfen, ein paar Pisangpflanzen zu stecken und etwas rothen Pfeffer auf die Erde zu werfen — und in welchem Ueberfluß könnten diese Leute leben, wenn sie wirklich arbeiten wollten. Wir ritten den ganzen Tag, ohne auch nur ein einziges Haus in unserer Bahn zu finden. Einmal sahen wir ein paar Häuser zur rechten, aber es war nicht das Geringste dort zn bekom-men, weder für Pferd noch Mann, und erst Abends, eine halbe Stunde nach Dunkelwerden, erreichten wir das Geburtshaus meines Führers, bei dessen Mutter wir übernachten sollten. Dort wenigstens war, wie er behauptete, der einzige Platz, an dem wir Futter für die Pferde finden konnten. — Ich werde diese 3wcht im Leben nicht vergessen. Schon beim Eintritt in das Haus, ja beim Einreiten iu den Hof, kam mir eiu Geruch entgegen, als ob wir uns eiuer Scharfrichterei 18» 196 näherten, und in dem Hause selber fand ich die traurige Ursache. Die Neberreste von Gott weiß wie vielen Kühen hingen darin in Stücken geschnitten und getrocknet, denn ich konnte sechs Kinnbacken zählen, und > die zärtliche Mutter ging nach der ersten Begrüßung daran, uns von diesem „Fraß für Raben" ein leckeres Mahl zu bereiten. Sogar Zeuge mußte ich vou der Zubereitung sein, die mir der Leser ersparen mag, denn er glaubt mir doch nicht, was ich mit eigenen Augen sah, kurz, mit kleingeschnittenen grünen Bananen wurde dies Fleisch in einen Topf geworfen, oberflächlich abgekocht, und uns dann in kleinen hölzernen nie gewaschenen Holznäpfen ftrvirt. ,Ich war sehr hungrig und fest entschlossen, wenigstens den Versnch zu machen, nm zu essen — aber es ging nicht. Mit dem ersten Bissen bekam ich eine halbfaule Sehne in den Mund, biß einmal darauf und mußte dann rasch das Haus verlassen. Ich entschuldigte mich mit Unwohlsein und legte mich auf ein ausgespanntes Kuhfell, dort die Nacht eine Legion von halbverhungerten Flöhen zu füttern. Der gehorsame Sohn aß indessen zwei Näpfe diefer Speise leer, und ich konnte es zuletzt vor lauter Ekel nicht mehr mit anschen. 197 Am nächsten Morgey das nämliche Frühstück, von dem ich wieder Nichts über die Lippen bringen konnte, und mit leerem Magen stieg ich in den Sattel. Der Weg war hier der nämliche; fortwährend auf und nieder, noch steiler und steiniger wo möglich als gestern. Wir pafsirten ein kleines Städtchen, Guajerre, aber es war Nichts darin zu bekommen, nicht einmal eine reife Banane. Der Boden wurde hier trockener und dürrer, dorniges Gesträuch wechselte mit Aloe und Cactus auf weißlichem Sand — die Berge wurden kahler und höher, und Alles verrieth, daß wir immer weiter in die Gebirge hinaufrückten. Hier betraten wir übrigens auch einen sehr dürren Strich Landes, in dem fast weiter Nichts erzeugt wird als Salz. Ein kleines Städtchen, Salinas, ist hier errichtet, in dem sich fast jeder Bewohner nur vom Salzauskochen nährt. Das Salz wird dann von hier auf Maulthieren nach Ibarra und felbst bis nach Quito hinaufgeschickt. Salinas erreichten wir etwa um 1 Uhr Mittags, und Alles, was ich hier bekommen konnte, war etwas Chokolade und Vrod und reife Bana-nen — ein wahrhaft lukullisches Mahl, an dem ich mich vollständig wieder erholte. Wir fütterten die Pferde und ließen sie ein 198 paar Stunden rasten, und setzten um drei Uhr unseren Weg nach dem nicht mehr fernen Ibarra fort. Es war übrigens gut, daß ich schon in St. Pedro die Thiere dorthin akkordirt hatte, denn in Salinas hätte ich keins miethen können. Hier zum ersten Mal hörten wir die Klage über den Krieg, daß er die Lebensmittel alle so theuer gemacht und fast sämmtliche Pferde aus dem Lande geführt hätte. Ich würde, wie man mir sagte, selbst in Ibarra Schwierigkeit haben, Pferde zu bekommen, und möchte mich nur in Zeiten danach umsehen. » Von dem Schmntz der Bewohner hatte ich hierin Salinas wieder ein Beispiel, das aber nicht so tragische Folgen für mich hatte. Während ich mit meinem Führer unsere Chokolade verzehrte, kam eine Sennora in den kleinen Kaufladen oder das Cafe — ich weiß nicht, wie ich die Lehmbude nennen soll, und brachte ein Kind mit, das wohl in den letzten sechs Monaten keinen Tropfen Wasser gesehen hatte. Das Kind mochte zwei Jahre alt sein und leistete in den wenigen Minuten , die es sich in unserer Gesellschaft befand? das Aeußerste in Sachen, die sich eben nicht wieder erzählen lassen. Die Sennora, die ein altes verblichenes, aber sehr buntfarbiges Seidenkleid 1W trüg, schien das Ally's zu unserer besonderen Erbauung vorbereitet zu haben, so dicht vor und neben uns und so öffentlich wurde Alles abgemacht. Wenn es möglich gewesen wäre, hätte sie mir den Appetit verdorben, aber das ging nicht; wie sie aber die Unverschämtheit hatte, mich zu fragen^ ob es in meinem Lande anch solche niedliche Kinder gäbe, gewann der Ingrimm die Oberhand. Es war immer eine „Dame." Die Frage verdiente aber eine Antwort, und ich konnte mir nicht helfen, ich sagte: „So niedliche wohl, aber so schmierige nicht." Die Wirkung war Zauberschnell und äußerst befriedigend. Die Sennora warf mir eiuen Dolch-und Nevolverblick zu, raffte ihr Kind — wie es war und wie war es — vom Boden auf und verschwand damit ans dem Hause. Abends mit Dunkelwerdeu erreichten wir Ibarra, die größte Stadt der Provinz Imbaburra^ ill einem herrlichen fruchtbaren und dicht bevöl^ kerteu Thal. Hier war augenscheinlich ein anderes Leben, als ich in dem Walde verlassen hatte, hier war Cultur wie Civilisation, mitten in den Bergen, und freundliche Häuser und Gärten verriethen, 200 daß auch der Luxus schon seinen Wohnsitz hier aufgeschlagen. Ein für den Fremden höchst mißlicher Umstand besteht aber in diesen Städten des Innern, die auf einen Fremden-Verkehr nicht im Geringsten eingerichtet sind — daß es eben gar keine Gasthäuser (hier zwLaäa« genannt) bei ihnen giebt. Von Jedem, der in eine solche Stadt kommt, erwartet man auch, daß er irgend einen Gastfreund hat, bei dem er wohnen kann; unter keiner Bedingung findet er ein Hotel. Unterwegs war ich nun noch nicht im Stande gewesen, meine schon im Pailon ruinirte und durch den Weg hierher zuletzt noch aufgeriebene Garderobe wieder in Stand zu setzen. Ich war total abgerissen uud von Schmutz und Staub bedeckt, ohne Schuh und Strümpfe, ohncHul, denn mein alter Filz hielt kaum noch auf dem Kopfe zusammen. Deßhalb war es mir auch vollkommen gleichgültig, als mich meiu Führer — als bestes Hotel — in eine dunkle Bude der M^ führte, wo ich mich, als erstes Entree, draußen auf der Straße auf meine Sattcltasche setzeu und eine Cigarre rauchen, wie eine Orauge essen mußte. Ich sehute mich schon nach dem nächsten Morgen und hatte nnr einen Boten an einen Herrn Go- 201 mez de la Torre geschickt, um zu erfragen, ob der englische Ingenieur auf seinem Wege nach Quito schon hier eingetroffen wäre, oder wann er erwartet würde, als dessen Dolmetscher — denn der Engländer sprach natürlich nur seine eigene Sprache, trotzdem daß er noch länger im Lande war, als ich — selber kam und mich mit Gewalt dieser p08aäa. entführte. Er sagte mir, daß sein Chef morgen erwartet würde, daß Sennor Gomez, de la Torre aber keinesfalls zugäbe, mich die Zeit in der po^äa zu lassen, und ich deßhalb augenblicklich in,seme Wohnung kommen müsse. Ich weigerte mich im Anfang, meines entsetzlichen Aus-seheus wegeu, aber es half nichts; und wieder einmal, seit lauger, langer Zeit, ja seit ich England verlassen, befand ich mich in freundlichen, wohnlichen Näumeu, und konnte einmal wieder mit Messer und Gabel von einem reinlich gedeckten Tisch essen. Am nächsten Tage hofften wir den Erwarteten» bestimmter Verabredung mit dem Dolmetscher nach, in Ibuchi, etwa fünf Stunden Wegs von Ibarra zu treffen. Es war dort eine Maschinenfabrik, die einem sehr unternehmenden Eenadorianer gehörte,, nnd wir fanden in ihm einen höchst liebenswürdigen, vortrefflich unterrichteten Mann, der uns 202 nicht allein auf das Herzlichste aufnahm, fondern auch gar nicht wieder fortlassen wollte. Ein sehr lebhaftes Interesse hcrrfchte bei allen diesen Leuten für die Ansiedelung am, und besonders für den Weg nach demPailon, der auch in der That gerade dieser Provinz die größten und unberechenbarsten Vortheile bieten muß/ Alles ist Feuer und Flamme dafür, und Alles natürlich gespannt, welche eigentliche Vahn er wirklich nehmen wird, danach ihre künftigen Operationen nnd Speculations zu bestimmen. Sennor Gnijon hatte aber auch noch ein anderes, sehr bedeutendes Interesse an diesem Wege, denn er wußte recht gut, ,oder hoffte wenigstens, daß es nicht allein bei der Ansfnhrung des Fahrwegs bleiben würde, fondern daß diesem bald eine wirkliche Eisenbahn folgen möchte. Nun aber ist ganz in der Nähe von dort ein neues, sehr reichhaltiges Eisenlager entdeckt worden; sein Plan ging deßhalb dahin, eine richtige und ausgedehnte Eisengießerei anzulegen, und dann die Schienen, wie alles nöthige Maschinenwerk für die Eisenbahn zu liefern. Dicht bei diesem,' noch im Beginn stehenden Eisenwerk liegt ein kleines, ziemlich stark bevölkertes Städtchen, Otawalla, in einem Hvnklich rei- 203 zenden und äußerst fruchtbaren Thale, und hier sind wir wieder ganz in dem gemäßigten Klima, während das bedeutend tiefer gelegene Ibarra gern noch in die Tropen hineinreichen möchte. In einigen Gärten gedeihen und wachfen allerdings fogar Palmen und Bananen oder Pisang, und weite, lichtgrüne Felder mit Zuckerrohr decken oie Ebene. Das Zuckerrohr ist aber kurz und dünn und ziemlich saftlos, und die einer kältern Zone angehörenden Gewächfe kommen bei Weitem besser fort. Hier oben dagegen wird gar kein Verfnch mehr gemacht, weder Banane noch Zuckerrohr auch nnr dem Boden einzupflanzen. In Otawalla hängen die reifen Bananen allerdings in den kleinen, dunklen und schmutzigen Vert'aufsläden, und' Stücken Zuckerrohr lehnen in den Ecken, durch irgend einen jungen Stutzer in der nächsten Zeit ausgckaut zu werden. Der Boden selber aber trägt hauptsächlich Mais, Weizeu und Kartoffeln und alle Prodncte nnsercr Zone: alle Arten Erbsen und Bohnen, selbst die große Pnss- oder Saubohne, Kürbisse, Melonen, Kohl, Kraut, kurz Alles, was daheim in unseren Gärten wächst. Es sieht allerdings noch ein wenig eigenthümlich aus, von Cactus uud Aloe eingezäunte Kraut-nnd Kartoffelfelder anzutreffen, in denen man, 204 wäre es eben nicht dafür, gleich nach Rebhühnern suchen möchte; das Auge gewöhnt sich aber auch mit der Zeit daran, und mich wunderten zuletzt nicht einmal mehr die Llamas, die ich, bepackt mit den Früchten der Nachbarschaft, Quito zuziehen sah. So viel ist übrigens sicher, daß hier kein Mensch Nahrungssorgen haben kann, wenn er nur im Stande ist, eine einzige Hand zur Arbeit zu rühren. Alles, was Lebcnsmittcl heißt, hat hier einen Spottpreis, und Brod, Kartoffeln, Mais, Weizen, Gerste sind besonders billig; theuer dagegen, sehr theuer, alle die Sachen, die von fremden Ländern, über Quito natürlich, mühsam auf Maulthieren importirt werden müssen. Grobes Wollenzeuq und Schuhe werden im Lande selber gefertigt, und ill kleinen Quantitäten sogar auch Seide; doch feinere Zeuge, Glas, Porzellan, Metallarbeiten ?c. ic. 2c. kommen alle den weiten, mühseligen Weg von Guayaquil bis Quito, wo, sie schon theuer genng anlangen, und nun noch einmal Fracht in das Imbaburra-Thal bezahlen müssen. Selbst Möbeln, Pianinos und Maschinenstücke werden auf diese Weise transportirt, und es läßt sich denken, wie sehnlichst die Bewohner dieser Gegend einen Weg herbeiwünschen müssen, 205 der ihnen die Entfernung zum Hafenplatz von achtzehn bis zwanzig auf drei bis vier Tage verringert und noch dabei alle die jetzt hindernden Verge aus dem Wege räumt. Es ist ein Unterschied im Transport, ob Waaren und Güter auf einen Wagen geladen werden können, oder ob sie erst mit Mühe und Zeitverlust zu passenden Lasten für einen Packsattel hergerichtet und festgeschnürt werden müssen; und welchen Gefahren sind sie außerdem in dieser letzten Gestalt auf solchen schauerlichen Wegen ausgesetzt. Die eigentliche arbeitende Bevölkerung sind hier die Indianer; eiu ziemlich lichter und anscheinend kräftiger Volksstamm — und doch sehen diese kräftigen Körper ans, als ob sie weichlich wären und keine recht schwere Arbeit leisten könnten. Viel arbeiten sie auf keinen Fall, aber dafür werden sie auch gering genug bezahlt, und der Tagelohn für einen gewöhnlichen Arbeiter ist hier 2 Groschen, oft noch weniger, und nur ein Groschen, wenn man ihm das Essen giebt. Die Frauen arbeitet! ebenfalls, und überall sieht man sie in Feld und Haus thätig, während fast jede noch ein kleines Kind an sich herumhgngen hat. Die Tracht der Männer ist nicht unmalensch, weite weiße kurze Hosen, ein weißes Hemde und 206 ein kleiner blauer Poncho — der Kopf bloß oder mit einem Tuche bedeckt, Beine und Arme natürlich auch bloß, und von lichter Farbe. Die Haare sind laug und straff, wie bei allen Nord-Amerikanischen Indianern, und der Ausdruck ihrer Gesichter hat etwas freundlich Gutmüthiges. Es sind auch gute, harmlose Menschen, die das Joch der Weißen mit einer Geduld tragen, die an Dentsch-land erinnert. Nur den einzigen Fehler haben sie, daß sie trinken, und wenn sie es irgend bekommen können, viel trinken, Frauen wie Männer, und welche Folgen das für den ganzen Stamm hat, läßt sich denken. Das, was sie dabei Zum Trinken verführt, ist so einfacher wie trauriger Art. Einmal der Branntwein, der auf ziemlich rohe Weise aus dem Zuckerrohr berettet wird, er heißt hier einfach 3,^ua ai-äisute, mit der nnnöthigen Beifügung äsi Ms, denn daß dieser Stoff hier im Lande gebraut und nicht auch noch besonders eingeführt ist, kann sich Jeder denken. Dieser Landcsschnavs ist natürlicher Weiser billig und leider kann sich ihn jeder Indianer leicht verschaffen. Ein anderes, nicht so berauschendes, aber doch auch gefährliches Getränk ist das c6i'V62ia, äei zmi«, die sogenannte t,8, aräiöriw kommen die armen Indianer, wenn sie nur ein paar Real Arbeitslohn in der Tasche haben, nicht eher zur Besinnung, als bis ihr Geld ausgegeben und ihr Rausch ausgeschlafen ist. Um diese Tschitscha noch appetitlicher zn machen, erzählt man sich hier, daß die Körner von den Frauen, wie die cava-Wurzel der Südsee-Insulaner gekaut nnd in einen Napf gespuckt wird, um sie rascher, mit dem Speichel vermeugt, zur Gährung zu bringen. — Anis, ebenfalls im Lande gezogen, wird in ungeheuren Massen verbraucht, ihn mit dem Brauns wein zu versetzen, und der sogenannte ani^äo ist dann eine bessere Qualität. Die Hauptsprache der Indianer ist die eigentliche ^ickasprache, in der sich jetzt noch die verschiedenen Stämme dieser Landestheile, wrnn sie mit einander zusammenkommen, verständigen. Aber nur die Gebildeteren oder Gereisteren der Stämme verstehen sie, und selbst viele der eingeborenen weißen Ekuadorianer haben sie gelernt, um sich mit den kleineren Zweigstämmen zu unterhalten. 208 Diese Indianer haben ihre Wohnfitze in der Im-baburra-Provinz, aber ich glaube nicht, daß sie ausschließlich von ihnen bewohnte und abgeschiedene Plätze besitzen, die sie ihre Heimath nennen können. Ihre eigentliche Heimath ist in den Feldern, Gärten und Fabrikgebäuden der Weißen, und was ihre Vorväter einst gewesen? — sie haben es nie gewußt und werden es nie erfahren. In ihrer Physiognomie gleichen sie außerordentlich ihren Verwandten im Norden und Süden, wenn auch vielleicht die Backenknochen bei ihnen nicht ganz so vorstehend sind. Sie haben ebenfalls das lange, schwarze straffe Haar, das allen Indianern Amerikas eigen ist, und den gedrungenen festen Körper, nur ist, wie gesagt, ihre Hautfarbe lichter, oft so licht wie die der zwischen ihnen lebenden spanischen Abkömmlinge. Uebrigens sind sie ein gutmüthiges, harmloses Volk, und fleißig genug im Vergleich mit den spanischen Ecuadorianern. Natürlich sind aber bei ihnm, wie bei allen wilden und uucultivirten Stämmen, die Frauen die geplagtesten von Al-lm. Man sicht sie nie müßig, und selbst auf der Landstraße, ein Bündel Holz auf dem Nucken, ein Kind vorn in das Tuch gebunden und den 209 beladenen Esel vor sich her treibend, haben sie in der linken Hand den Rocken, in der rechten die Spindel (ganz in derselben Art, wie wir diese Arbeit^ in dem grauesten Alterthum beschrieben finden) und ziehen so, vierfach beschäftigt, ihres Wegs. Die Indianer selber marschiren, wenn unterwegs, wenn auch mit einer Last auf dem Nucken, fast immer in einem Halbtrab, was wunderlich genug aussieht, besonders wenn eine große Anzahl von ihnen beisammen ist. Diese Indianer sind jedenfalls die Hauptarbeiter des Landes, und man hofft, daß man dieselben, wenn erst die Straße nach dem Pailon geöffnet ist, auch dort in größerer Anzahl wird verwenden können. Ja, die Negierung beabsichtigt sogar, sie mit zu dem Straßenban zu benutzen. Soweit das die höher gelegenen und kühlen Distrikte betrifft, habe ich selber nicht den geringsten Zweifel, daß es gnr thun wird; diese Menschen sind aber ein frisches nud kühles Klima gewöhnt, und ich glaube kaum, daß fie die heiße feuchte Luft der niederen Landstriche werden gut ertragen können. Man behauptet wenigstens, daß ste sich dort nie lange aufhielten, sondern, immer wieder rasch in ihre Vcrge zurückzögen. Nr. Gcrstäckcv, Achtzehn Monatc in SUd-A». l.4 210 Doch das sind Alles Dinge, die sich erst durch die Zeit ergeben müssen. Jedenfalls werden sie sich in ihren Distrikten vortrefflich zu jeder Arbeit benutzen lassen, und schon ^'tzt sind sie fast die Einzigen, die das Land mit den möglichst rohen und meist hölzernen Gerathen bebauen. Indeß um wieder zurück zu meinem Marsch zu kommen, so hielt ich mich in Ibarra und der Umgegend nur wenige Tage auf. Der Ingenieur, den ich hier erwarten wollte, kam nicht, und es schien mir deßhalb das Beste, meine Tour so rasch als möglich fortzusetzen. Entweder traf ich ihn dann unterwegs, oder in Quito. Das einzige Mißliche bei der Sache war nur, daß-von Ibarra drei verschiedene Wege uach Quito führten. Zwei davon wurden in dieser Jahreszeit, wo die Winterregen schon begonuen hatten, benutzt, da der dritte in solcher Zeit fast uupassirbar wurde. Gerade diesen, sollte aber der Ingenieur erklärt haben, für seine Rückreise von Quito wählen zu wollen, da er die anderen beiden schon passirt hatte, und diesen ebenfalls wünschte kennen zu lernen. Hatte er doch die Richtung auszuwählen, in welcher er die neue Hauptstraße anlegen sollte. Es blieb mir deßhalb keine andere Wahl als die nämliche Straße zu nehmen, und was ich da- 211 von zu erwarten hatte, besagte schon ihr Name. Ein Theil derselben, den ich am zweiten Tage Passiren mnßte, wurde nämlich 1a oscaiera genannt, und wenn ein Weg indenCordilleren die Leiter heißt, so kann man sich etwa denken, wie er aussieht. Die Pferde, die man hier braucht, und die von den verschiedenen Vermiethern für solche Touren abgegeben werden, sind meist klein und nicht besonders kräftig, aber doch zäh und ausdauernd, und leisten für das wenige Futter, was sie bekommen, Außerordentliches. Nur des Nachts werden sie gefüttert, und zwar mit einer Art Esparsette, hier einfach M'da (Kraut) genannt; Morgens wird ihnen der Sattel'aufgelegt, und ohne zu rasten, gehen sie bergauf und bergab, bis spät am Abend — freilich oft auch unsicher genug, wenn sie erst einmal müde werden, und für mich besonders ist es stets ein höchst unangenehmes Ge-> fühl, ein erschöpftes Thier unter mir zn wissen — ich gehe lieber zu Fuß. Außerdem hat man noch die kostspielige Unannehmlichkeit, einen Begleiter bezahlen zu müssen, der, ebenfalls zu Pferd, das Thier des Fremden wieder mit zurücknimmt. Nicht allein, daß man dadurch zwei Pferde bezahlt statt eines, der Führer oder Begleiter rechnet für sich 14* 212 selber den nämlichen Preis wie für ein Thier, und antwortet er auf die Frage, was ein Pferd von Ibarra nach Quito kostet: 20 Neal, fo heißt das soviel als 60, also 7^ Dollar, ohne eine Anzahl kleiner Neals, Medios und Quartidios, die noch außerdem abfallen. Hier im Lande hat man nämlich die kleinste spanische Silbermünze, einen Qnartidio, den vierten Theil eines Neals, also etwa ein Groschen am Werth — aber auch nur hier im Innern, wo Lebensmittel billig genug sind, dieser Münze zu bedürfen. 'An der Küste giebt es kein kleineres Geld als einen Medio, die Hälfte eines Reals. Vor der Escalera hatten uns die Lente nun allerdings genug gewarnt, und uns gesagt, daß sie in dieser Jahreszeit nur dann passirbar wäre, wenn man Hals und Bein riskiren wolle. Ich wußte aber von früher, was ich auf folche Uebertreibungen zu geben hatte, und da wir es auch noch glücklich trafen, daß es den Tag wenigstens erst regnete, als wir die schlimmsten Stellen hinter uns hatten, kamen wir' ohne irgend einen Sturz hinüber. So viel bleibt aber wahr, der Weg ist bitterbös, und ich war recht froh, als ich ihn hinter mir hatte. Wir mußten Stellen passireu, die auch nicht im Entferntesten einem Wege glichen, 213 und wo nur ein Bergbach sich ein enges Bett steilab in den Gang gerissen zu haben schien. An vielen Stellen mußten wir absteigen, denn das Pferd konnte dort kaum allein hinabklettern — im anderen war es nicht einmal möglich, so eng stack Noß und Reiter in ein paar hohe Lehmwäude eingekeilt, die kaum genug Raum für die Kniee ließen. Am Morgen war das Wetter noch hell und klar, und aus der Ferne ragten die schncegedeck-ten Kuppen der gewaltigen Cordilleren herüber, Nachmittags aber bewölkte sich der Ammel, und als wir die Esealcra eben hinter uns hatten, goß es in Strömen nieder. Die Nacht blieben wir in einer einzelnen Hacienda, in der wir sehr freundlich aufgenommen wurden, trotzdem daß wir, mein er Meinung nach, sehr zur ungelegenen Zeit kamen. An dem nämlichen Tage waren dem Besitzer zwei Kinder gestorben, und er war gegen Abend eben fertig geworden, den Sarg zu machen, indem sie beide zusammen begraben werden sollten. Sie waren aber noch sehr jung, also gleich Engel geworden, und dieser Glaube, der in ganz Süd-Amerika verbreitet scheint, half den Eltern über den Schmerz der Trennung. Sie durften der Welt gegenüber 214 > nicht einmal klagen, und hätte der Sarg nicht da draußen auf der Verandah gestanden, ich würde im Leben nicht geglaubt haben, daß sie heute ein solcher Verlust betroffen. Hier war überall hohes Land, in dem weiter Nichts als Producte einer gemäßigten Zone gezogen werden konnten. Von dort ab senkte sich das Land aber schon wieder, die hellgrünen Felder mit Zuckerrohr wurden sichtbar, und etwas weiter hin, als wir am nächsten Morgen zu einem Städtchen kamen, dessen Name mir jetzt entfallen ist, ritten wir durch einen wahren Wald von herrlichen fruchttragenden Orangenbäumen, und sahen wieder die breiten windZerrissenen Blätter der Bananen. Von hier aus trafen wir auch zahlreiche Cara-vanen nach dem nicht mehr so fernen Quito, denn die Orangen dieses Platzes werden zu Tausenden dort zu Markt geschafft. Das freilich war die letzte tropische Vegetation, die wir unterwegs trafen; denn von hier ab stieg der Weg wieder steil empor, so daß wir bald in kahle sandige, mit Caetns und Dornbüschen allein bewachsene Höhen kamen. Der breitblätterige Cac-tns gedieh hier besonders ganz vortrefflich, und d« unterste oder erste Schößling einer jeden Pflanze 215 hatte sich zu einem ordentlichen, mit brauner Rinde bedeckten Baumstamm ausgebildet, der oft vier bis fünf Fuß hoch gerade und kräftig emporstieg. Aber nur im Aeußern glich er dem Holz, sonst hatte er ganz seine weiche, wässerige Fasermasse beibehalten. Von hier ab verließen wir den Mirafluß, den wir noch zuletzt auf einer schwanken, von eisernen Ketten gehaltenen Holzbrücke kreuzten. Weiter unten hatte ich auch Gelegenheit gehabt, die einfacheren Brücken der Eingeborenen zu bcwuudern, die ein nur ans drei oder vier Lianen zusammengedrehtes Seil über den Fluß spannen, nnd dann, mit Händen und Füßen daran hängend, von einem znm andern Ufer hinüber passiren. Acht oder nenn Legnas von Quito entfernt wurde anch der Weg endlich besser. Wir hatten die letzten tiefen Thäler und Einschnitte hinter uns, und nun die Hochebene erreicht, in der die Hauptstadt des Landes selber lag. Einzelne kleine Pueblos trafen wir hier, mehr als diese aber verrieth der Weg selber die Nähe einer volkreichen Stadt, denn ganze Scharen von Lasteseln überholten wir theils, theils kamen sie uns entgegen, und einzelne Trupps von Neitern, oft mit Da-ineu in der Mitte, sprengten auf wackeren Pfer- ^16 den die jetzt sandige Bahn entlang, ihre einzelnen Haciendas zu besuchen. Ringsum schlössen dazu hohe mächtige Berge das Thal ein, nnd hie und da ragten die fchneegedcckten Kuppen einzelner Gebirgsriesen über die grauen nackten Höhen der anderen Züge hoch hinaus. Trotz dieser lebhaften Straße aber, und trotz dem daß wir, wie gesagt, einige kleine Städtchen kreuzten, war unterwegs gar nichts Eßbares zu bekommen als Brod. Die Häuser, in denen es-verkauft wurde, und wo auch meist das entsetzliche Gebräu Tschitscha zu bekommen war, sahen aber derartig schmutzig ans, und die Verkäufer saßen so regelmäßig vor ihren Thüren, einander das Ungeziefer absuchend nnd es verzehrend, daß ich mir den Genuß selbst des Brodes versagte, und mich auf das jetzt nahe Quito vertröstete. Dieser schauerliche Gebrauch, einander das Ungeziefer abzusuchen nnd es als gute Beute zu betrachten, schien allgemein, und Zwar nicht blos bei den Indianern, sondern auch bei sonst ganz anständig aussehenden Weißen, und ich kann kaum sagen, mit welchem Ekel es mich jedes Mal erfüllte. Ueberhaupt war der Schmutz und Unrath in alleu diesen Hütten unbeschreiblich. Ich war nicht im Stande, irgendwo eine gekochte Mahlzeit 21? zu verzehren, und fühlte endlich, daß ich bald wieder zu nahrhafter Kost kommen müsse, wenn ich meine Kräfte nicht ganz herunterbringen wollte. Neberhaupt hatte ich mich, feit ich den Pailon verlassen, zu viel angestrengt, und der Marfch durch den Sumpf, wie der spätere unausgesetzte viertägige Nitt machte sich doch in meinen Gliedern fühlbar. Um so viel mehr sehnte ich mich nach Quito, wo ich mich wenigstens eine Woche von allen Stravatzcn ordentlich ansnchen und des guten Lebens dort recht erfreuen wollte. An diesem Nachmittag nun kreuzte ich zum ersten Mal in meinem Leben, etwa 5 Laguas noch von Quito entfernt, den Acquator zu Land. Der Weg zog sich aber in die Länge — die Sonne ging unter und es wurde dunkel, ehe wir die noch außerhalb Quito liegenden Landhäuser erreichten-Jetzt endlich, mit voller Nacht, kamen wir in die Vorstadt, nnd wenn wir bis daHin unsere Thiere auch nicht geschont hatteli, mußten wir sie doch jetzt auf dem mchtswürdigen Pflaster langsam ausschreiten lassen. In der Dunkelheit konnte ich auch von Quito nicht viel mehr sehen, als daß es ziemlich breite Straßen mit sehr niederen Häusern hatte. Nur Eins fiel mir eben nicht angenehm auf die Geruchsnerven: der fatale Gcstank, ^18 t>er uns in den Straßen, durch die wir ritten, entgegenwehte. Ich war vielleicht zu sehr in den letzten Monaten an die fuische Luft gewöhnt wor^ den, es mehr als sonst zu fühlen, aber es war, meiner Meinung nach, trotzdem deutlich genug. Jetzt sehnte ich mich aber vor allen Dingen nach einer Posada, oder einem Hans, in dem ich Nachtquartier bekommen konnte, denn ich wußte schon, daß Quito, trotz seiner 15000 Einwohner, kein Hotel hatte. Endlich hielten wir vor einem, mit einer Laterne versehenen Hause, das einer hohen, ruinenartig aussehenden Kirche gegenüber lag. Unten in der Hausflnr war ein Bild des heiligen Antonio in Lebensgröße, mit zwei brennenden Lichtern davor, und im Hofe standen eine Menge Pferde angebunden. Wir waren an Ort und Stelle, und mit einem aus voller Brust herausgeholten „Gott sei Dank!^ sprang ich ans dem Sattel. — Ackwlm Monate in Süd - Amcrika und dessen deutschen Colonicn von Friedrich Gerstcickcr. Erster Baud. (Zwcitcr Theil,) Her >naun C o st c uobl e. 1863, 7. Out to. Wenn irgend Jemand in der Welt mit der größten Sehnsucht den Augenblick herbeigewünscht hat, wo er Quito betreten konnte, wenn irgend Jemand von dieser so laut gepriesenen Stadt des „ewigen Frühlings" die höchsten und schönsten Erwartungen hegte, so bin ich das, und wenn irgend Jemand seinem Schöpfer aus voller Seele dankte, als er diesem „Paradies" wieder den Rücken kehren konnte, so bin ich das wieder. — Es mag sein, daß meine Erwartungen, allen gelesenen Beschreibungen nach, etwas zu hoch gespannt waren, und das thut niemals gut, aber man darf, meiner Meinung nach, mit den geringsten nach Quito kommen, und wird sie immer noch nicht befriedigt finden. Doch ich will einfach beschreiben, wie ich 222 es dort getroffen, und der Leser mag sich dann selber ein Bild davon entwerfen. Zum Tod von Anstrengung und Hunger ermattet, kam ich etwa acht Uhr Abends in Quito an und war in der besten und anständigsten xo-83,äa der Residenz abgestiegen. Dort-im Hause wohnte auch zufällig der einzige Deutsche, der in ganz Quito lebte, ein Uhrmacher aus der Märtischen Schweiz in Preußen. Das Haus schien geräumig, hatte eine breite steinerne Treppe, und ein kleiner Junge schien als Kellner zu dienen. Er sah furchtbar schmutzig und zerlumpt aus, aber es war Sonnabend und Abend, also lag der Staub der ganzen Woche auf ihm — morgen erschien er jedenfalls im Glänze. Als wir im Dunkeln die Treppe hinaufkletterten, fragte er mich sehr naiv: „Wollen Sie auch ein Licht haben?" — „Gewiß will ich." — „Ja, dann müssen Sie sich eines kaufen." — Ich lachte gerade hinaus, denn die Idee war wirklich zu komisch. Der kleine schmierige Kellner sprach aber in bitterem Ernst und führte mich in ein dunkles, kellerartiges Gemach, das nicht einmal em Fenster, sondern nur eine Thür nach der Hofgallerie hatte, und schien nicht übel Lust zu haben, mich dort meinem Schicksal und weiteren 223 ^ Betrachtungen zu überlassen. Vor allen Dingen mußte er mich zu dem Deutschen hinüberführen, der seine Freude, einen Landsmann zu treffen, außerordentlich gut verbarg. Dort borgte ich mir, als auch dieser mich versicherte, der Kauf einer Talgkerze sei unerläßlich, um Licht zu bekommen, eine solche, einen Leuchter lieferte die Wirthschaft, und ich schritt jetzt Zu einer Untersuchung meines künftigen Logis. Dort sah es freundlich aus. In der Ecke stand eine Bettstelle mit einem alten Kattunvorhang und einem Bambusgeflecht darin, aber keine Matratze und kein Bettzeug. In der anderen stand eine lange Bank mit zwei Lehnen und einem dünnen harten Kissen darauf, in der dritten ein wackliger Tisch mit zwei Stühlen, und die einzige Bequemlichkeit im Zimmer schien ein eiserner Haken, dort eingeschlagen, wo die Thür durch die dicke Mauer gebrochen war, mit einem zur Schleife gedrehten stärken Seil daran, während ein dritter Stuhl darunter und gerade im Wege stand. Durch den Stuhl wurde ich auch eigentlich erst darauf aufmerksam und mußte laut' auflachen, als ich die Vorrichtung bemerkte, deun es sah gerade so aus, als ob Jemandem, der dies Zimmer angewiesen bekam, gar auf der Welt Nichts weiter übrig blieb, als sich eben aufzuhängen. Es ließ sich jedoch Nichts dagegen thun; ein Bett war nicht zu bekommen, ebensowellig etwas zu essen. Ich bestellte mir deßhalb nur Etwas Chokolade unten im Hause — was ich augenblicklich bereute, so wie ich den furchtbaren Schmutz und Nnrath sah — und warf mich dann, in meinen Poncho gewickelt, und zum Tod erschöpft, auf die hart gepolsterte Bank an der eiskalten Wand. Die Nacht fror ich entsetzlich — ich war nicht mehr in dem warmen Klima der Niederungen — und konnte mich nicht erwärmen, trotzdem daß ich mich mit meinen beiden Ponchos zudeckte. Am nächsten Morgen erwachte ich mit heftigem Kopfschmerz und schon gcgen Abend fühlte ich, daß ich ein Fieber hatte. Den Direktor der Ecuador Land-Compagnie hatte ich indessen in Quito aufgesucht und gefunden, und eben so einen Schotten, Dr. Iamieson, kennen lernen. Der Doctor war freundlich genug, mich am nächsten Tage, wo ich fest auf mnner Bank lag, zu besuchen, und er verordnete mir ein Vomitiv, nach dem ich mich auch besser fühlte. In drei Tagen hatte ich wenigstens das Fieber abgeschüttelt uno konnte wieder aus- gehen. In der ganzen Zeit war aber auch kein Bissen, etwas Suppe ausgenommen, über meine Zunge gekommen, und die Glieder waren mir alle wie zerschlagen. In dieser Zeit entdeckte ich übrigens an der Plaza ein ziemlich anständiges Kaffeehaus — in der That den einzigen Platz in ganz Quito, woman etwas Ordentliches zu essen und zu trinken bekommen konnte, und dorthiu hatkm sich auch, Gott wciß auf welche Art, fünf Flaschen ziemlich guter Gcisenheimer verloreu. Sie trugen die Firma I. F. Hellmers Cologne — natürlich Cologne, als deutscher Wein — uud die Flasche kostete 1^ Dollar. Wie ich fortging von Quito, standen die langhälsigeu^ Landsleute nicht mehr auf ihrem Platz. Wie ich mein Fieber erst cinmal ordentlich los war, machte ich meine Entdeckuugstouren durch Quito, aber du lieber Gott, wie wenig Tröstliches fand ich! Die Gegend nm Quito ist allerdings großartig schön, und die Aussicht vou einigen der benachbarten Gebirge soll wundervoll sein. Ich war aber zu matt, diese zu ersteigen, und wußte mich begnügen, die schneegekröntcu Joche des Pitchincha wie mehrerer anderen von unten zu betrachten. Mit diesen hat anch Quito eigentlich weiter Nichts zu thun, als daß es daher seinen <5l. Gerstäckrv, Achtzchn M>,'»atc in Hüd Amn'ila, I. 15 226 Schnee zu Gefrorenem und sein nichtswürdiges kaltes Klima bekommt, das von enthusiasmirtsn Reisenden der „ewige Frühling" genannt wird. Wenn es der „ewige deutsche Frühling" hieß, wollt' ich es gelten lassen, denn die vierzehn. Tage, die ich mich in Quito aufhielt, hatten wir ein richtiges Maiwetter, wie wir es die letzten Jahre daheim gehabt haben, naß und kalt, und manchmal, auf,ein paar Stunden, wenn die Sonne ordentlich herauskam, eine Gluthitze. Alles geht auch dort in Tuchkleidern, mit dicken Ueberziehcrn oder dick wattirten Ponchos, und ich habe lange nicht so gefroren, wie in diesem Frühling. So viel über das Klima; was nuu die Stadt betrifft, so ist sie regelmäßig in gerad abgetheilten Quadren oder «tiuai'68 gebaut, und sie besteht eigentlich nur aus Kirchen und Klöstern, deren Zwischenräume mit niedrigen einstöckigen Häusern ausgefüllt sind. Furchtbar hat Quito aber durch das letzte Erdbeben gelitten, das die ganze Gegend in ihren Grundfesten erschütterte und Kirchen und Häuser durcheinander warf. Das Erdbeben, das stärkste, dessen man sich seit langen, langen Jahren zu erinnern weiß, dauerte fast eine Stunde, während der gefährlichste Theil desselben, eine scharf wellenförmige Bewegung der Erde, zuletzt kam und 227 den meisten Schäden that. Noch jetzt stehen verschiedene Kirchen nnd Häuser dachlos, und in vielen Straßen liegt noch bis Zu diesem Augenblick der Schutt der eingestürzten Gebäude zwölf und fnnfzchn Schuh hoch -^ ein Zeichen zugleich der thätigen Kraft der Vulkane wie der unthätigen Polizei. Eigenthümlich ist, daß so wenige Menschenleben bei dieser Calamität verloren gingen; denn was auch für übertriebene Berichte darüber im Umlauf waren, nach denen viele hundert Personen dabei umgekommen sein sollten, so sind doch nur neun wirtliche Todesfälle bekannt geworden. Eine alte Frau kam dabei auf eigene Weise um. Sie ging an der Kirche St. Augustin, die am Meisten gelitten hat und noch jetzt unausgebessert steht, vorüber, als wieder ein starker Stoß kam. Anstatt nun rasch einen freien Platz nnd die Nachbarschaft niederer Hänser zu suchen, siel sie auf_die Kniee nieder und fing an Zu beten, und wenige Minuten später stürzte ein Theil dcr Kirche ein und schlug sie todt. — Diesen Gegenstand hat noch kein Geist- ' licher zu einem Traktätchen benutzt. Die Kirche St. Augustin besuchte ich später, und gar traurig sah es in ihrem Innern aus. Der vordere Theil ' war durch einen großen Vorhang abgegrenzt, und 15" 228 dort wurde auch regelmäßig Kirche gehalten. Hinter dem Vorhaug aber war noch die volle Verwüstung, wie sie jener furchtbare Tag zurückgelassen. Das ganze gewölbte Dach des eigentlichen Schiffs der Kirche war eingestürzt, und die vergoldeten und mit reichem Schnitzwert überdeckten Wände standen zerrissen uud zerfetzt, wie eine frische Nuine. Quito ist übrigens, trotz dieser Unzahl von Kirchen, trotzdem daß man in den Straßen fast Niemand begegnet als Indianern und verschieden gekleideten Mönchen, der Sitz der Intelligenz für Ecuador, mit einer Universität und vortrefflichen Schuleu und einer Unzahl von Malern und Bildhauern. In der That versorgt Quito ganz Südnno Mittel-Amerika mit Heiligen- nuo anderen Bildern, fast alle in Oel gemalt. Natürlich ist darunter eine Unmasse von Schund — Schablonenbilder, die beim Dutzend vertauft werden; es sind aber auch recht gute Gemälde dabei, und alle fast zu einem unglaublich billigen Preis, so daß man wirklich kaum begreift, wie Leinwand und Farbe dabei bezahlt werden konnte. Ich habe Heiligenbilder von anderthalb Fuß Höhe und einem Fuß Breite in Oel gemalt gcsehu, das Stück zu drei Real Ecuador Geld, also etwa 12 Sgr, 229 Viele Fremde in Quito machen ein Geschäft daraus, diese Bilder anzukaufen und später mit in andere Theile von Amerika zu nchmeu. Mein kleiner Uhrmacher aus der märkischen Schweiz that das Nämliche und hatte schon ein ganzes Kapital in solchen Gemälden angelegt, wodurch ich Gelegenheit bekam, eine bedeutende Auswahl von ihnen zusammen zu sehen. Seiner Versicherung nach befanden sich Bilder der besten Künstler Quitos dabei, und war das der Fall, so muß ich den Herren rundweg die Fähigkeit absprechen, Etwas selbst zu schaffen. Alle die wirklichen Orginal-gemälde waren höchst mittelmäßig, und fast alle an Händen, Armen und Füßen verzeichnet, während sich ganz vortreffliche Covieen, besonders französischer Künstler, darnnter befanden. Im Co-Piren haben die Lente wirklich Talent und thun es für einen Preis, der fabelhaft fcheint. Der Preis muß mehr nach dem Quadratfuß als nach dem Kunstproduct gesetzt werden, wenigstens kaufte mein kleiner Landsmann danach, und wie er mir die verschiedenen Bilder anpries, war so charakteristisch, wie belehrend. „Hier ist ein sehr schönes Mädchen mit Brrd — fünf Fuß bei drei, auf starker Leinwand, acht Dollar. — Dies ist eine Nachel; vier Fuß bei zwei ein halb, auf 230 starkem Vaumwollenzeug, fünf Pollar. Hier haben Sie ,einen Christus mit der Sünderin (beiläufig gesagt, eine sehr gute" Copie eines französischen, Bildes) — vier ein halb Fuß bei drei Fuß, neun Dollar. Hier ist ein Bild aus der Wüste (ebenfalls vortreffliche französische Copie) neun Fuß bei sechs für fünf und zwanzig Dollar." Eine französische Grisette — ,ein allerliebstes Brustbild, eigentlich Kniestück in Lebensgröße, kostete vier Dollar, und kleinere Gemälde Zwei bis drei Dollar — alle in Oel und auf Leinwand. Ein anderer sehr bedeutender Aufkaufsartikel für Fremde sind in Quito abgebalgte Vögel, besonders Colibris, die von allen Seiten, häufig von Napo-Indianern, nach der Stadt gebracht werden. Die Jäger, die sich mit dem Erlegen dieser kleinen Thiere beschäftigen, schießen sie mit Blasrohren und bereiten die Häute dann mit Arsenikseife, die Indianer des Amazonenstromes dagegen mit Pfeffer zu. Je nach ihrer Seltenheit werden die einzelnen Exemplare von einem Neal bis zu ein und zwck Dollar- sebst bezahlt, und sehr gewöhnliche lassen sie sogar nicht selten beim Dntzend ab, das Stück zu einem Medio oder halben Neal. Die Indianer bringen anch die schon früher erwähnten Elfenbeinnüsse (vegetabilisches 231 Elfnibem) hier nach Quito, und einheimische Künste ler schnitzen kleine, jedoch ziemlich rohe Figuren daraus, die bemalt und an die Landleute verkauft werden. Sie sind' übrigens ebenfalls billig genug, und man verkauft das Stück zu einem Medio. Quito hat übrigens, als Stadt einer südame-rikauischcn Republik, eine sehr bedeuteude Industrie. Besonders werden hier Massen von groben Tucheü und Banmwollenzeugcn verfertigt. Eben so, und zwar in vortrefflicher Qualität, Inäin ruddor ci0t.i1 oder wasserdichte Zeuge, die auch einen ziemlich billigen Preis haben. Die moisten Fabrikate werden aber doch von Guajaquil eingeführt, und da Alles auf Packsätteln dort hinaufgefchafft wer-dcu muß, so kann man sich denken, wie mühsam und zugleich auch kostspielig und Zeitraubend der Transport ist. Die Stadt selber, die etwa 15000 Einwohner hat, ist nicht unfreundlich, wenn ihr auch jetzt noch der überall liegeude Schutt und die die vielen geborstenen Häuser ein etwas wildes Aussehen geben. Keine Stadt der Welt könnte dabei reinlicher gehalten werdeu wie Quito, denu au einem etwas schrägen Hang gebaut, ist das von Pi-chincha kommeude Wasser dort hingelenkt und taun durch alle Straßen geleitet werden, durch 232 die es sich, wenn losgelassen, wie ein Wasserfall stürzt. Und doch giebt es, glaub' ich, keine unsauberere Stadt auf dem ganzen Erdboden, denn von diesem Schmutz der Bewohner kann sich Niemand einen Begriff machen, der das nicht wirklich mit angesehen hat. Die nanw vo1u6 von Quito lebt natürlich, abgeschlossen für sich selbst und hält sich in dem.Innern ihrer Hänser, deren Fenster alle nach dem Huframn laufeit. Diese hat sich auch mehr in europäischem Geschmack eingerichtet, mit europäischer Bequemlichkeit umgeben, uud kann nicht füglich zu dem Volk gerechnet werden. Das eigentliche Volk aber lebt wirklich schlimmer als das Vieh — jedenfalls eben so schlimm, und das weßhalb? ist nicht einmal zu beschreiben. Die Wohnungen der Arbeiter und Handwerker gleichen Höhlen, in die man sich fürchtet den Fuß zu setzen, uud Alles, wohin man sieht, wimmelt von Ungeziefer, das ich selbst in dem frisch gewaschenen Leinen zugeschickt bekam. Man kann sich mit der größten Reinlichkeit nicht davor retten, wenn man eben kein eigenes, vollkommen abgeschlossenes Haus hat. — Wie wohl ich mich dort fühlte, kann man sich etwa denken. Kommt man freilich in diese bessereu Häuser, fo vergißt man die übrige schauerliche Stadt, 233 denn fast jedes derselben hat einen kleinen freundlichen Garten, in dem Massen unserer heimischen deutschen Blumen blühen. Sie gleichen kleinen Inseln in einem Meer von Schmutz und Gestank, das man aber auch regelmäßig durchschiffen muß, ehe man zu ihnen gelangen kann. Der Hauptplatz der Stadt ist die eigentliche Plaza, ein großer geräumiger Platz, der auf der einen Seite durch die Kathedrale, auf der Seitenfront durch das Negicnmgsgebäuoe uud auf den anderen beiden durch zwei sogenannte Paläste eingefaßt ist. In der Mitte steht ein dürftiger Springbrunnen. Die Kathedrale ist ein sehr großes, aber höchst geschmackloses Gebäude, das besonders nach der Plaza zu eine Menge kleiner Löcher statt der Fenster zeigt, genau wie mau sie bei uns in Ställen hat. Unter den übrigen Gebäuden laufeu Portale hiu, uud die beiden Paläste, von denen einer dem Bischof gehört, sind-in kleine Verkäufslokale abgetheilt, oereu Besitzer auch vo7 den Thüren derselbeu offene Stände halten. Ein wirklich anständiges Gewölbe findet sich nicht in ganz Quito; es sind weiter Nichts-als eben nur kleine Buden. Die Plaza selber bietet übrigens an allen Wochentagen ein sehr belebtes Bild, denn hier 234 versammeln sich die meisten Arrieros mit ihren Lastthieren ; viele Indianer halten dort ebenfalls Landes-producte feil, in den Ecken sitzen Händler mit allen möglichen Früchten und in einer der Seitenstraßen, dicht an der Plaza, ist eine Neihe vou Na-tionaleßständen, in denen die Ländesgerichte in freier Luft gebacken nnd gebraten werden. Es giebt nichts Mannigfaltigeres auf der Welt, als die Lastthiere von Eeuador, denn von der armen Indianerin an, die nnter ihrem schweren Packen, mit dem Kind als Zugabe, daherkeucht, wird Alles, wie es scheint, dazu benützt, was nur einen Nucken znm Tragen hat: Pferde, Maulthiere, Esel, Llamas' und Ochsen, welche letztere eben so gnt Packen schleppen müssen, wie Esel und Pferde. Esel sieht man aber am Meisten nnd ich bin Trupps von fünfzig nnd sechzig Stück begegnet, die mit allen nur erdenklichen Landesprodnctcn beladen und äußerst langsam gen Quito, oder leer und äußerst verguügt wieder zurück, ihrer Heimath zuzogen. Llamas sieht man verhältnißmäßig sehr wenig, und die schönen wunderlichen Thiere drehen den langen Hals verwundert nach allen Seiten, wenn sie mitten zwischen die fremden Menschen auf die Platza kommen. Am, Reichsten sind die Früchte in Quito ver- '235 . treten, und da von dieser Hochebene ab verschiedene Hänge tief zu Thal bis in die warme Zone hineinlaufen, so findet man hier nicht allein die saftigsten Erd- und Brombeeren, sondern auch Orangen, Bananen,-Ananas, Cherimojas (cnßwi-ä NMw) und eine Menge andere delikate Sachen. Die Winterkuppe des Pichincha liefert dazu ihren Schnee, mit dessen Hülfe delikates Gefrorenes bereitet wird; Mehl und Zncker ist im Ueberflnß vorhanden, wie die Quitener denn auch besonders süßes Backwerk und Näschereien hieben, und was Essen und Trinken.,anbetrifft, so glaube ich, daß keine^ Nation besser lebt, als die gebildeten Klasseü in Quito, die eben wohlhabend genug sind, sich solche Genüsse zu verschaffen. . ' , Das Klima soll gesund sein, wie behauptet wird, und kalt und hoch genug liegt die Stadt dazu, Fieber sind aber, wie ich ebenfalls zn meinem Schaden- erfahren mußte, etwas ganz Alltägliches, und wohin man hörte, litten'die Leute daran; angenehm ist das Klima auf keinen Fall, wenigstens nicht in diefer Jahreszeit, wo der Winter oder die Regenzeit gerade begonnen hatte -— natürlich mußte i ch auch gerade dazu hierherkommen. Ich habe dort Tuchkleider und einen dicken, wqrmen, wollenen Poncho getragen und 236 > bin doch nicht im Stande gewesen, ein einziges Mal ordentlich warm zu werden. Wenn man das ein schönes Klima nennt, habe ich Nichts dagegen. Ansteckende Fieber, glaube ich selber nicht, daß dort gut heimisch, werden können, denn wäre es möglich, so hätte dieser furchtbare, dort herrschende schmutz sie schon längst herbeiführen müssen. Eine sehr böse Krankheit ist dort aber heimisch, und zwar die I^pro^ oder der Aussatz, und die Leute sind so gescheudt gewesen, das Hospital dieser furchtbarsten aller Krankheiten dicht an die Stadt zu legen. Es sollen sich doch achtzig bis hundert Personen darin befinden, und sie siud nur durch eine uiedere Lehmmauer von der übrigen Welt getrennt, während der, über ihre Wohnung hinstreichende Luftzug auch alle Nachbarhäuser ret-, tungslos durchzieht. Man beabsichtigt allerdings, das Hospital in allernächster Zeit fort und weit ab von der Stadt zu verlegen, aber daß es schon so lange dort haften dnrfte, zeugt für deu fabelhaften Leichtsinn der Regierung. Die Bewohner des Hospitals sind allerdings das ganze Jahr fast für sich abgeschlossen und sollen mit der übrigen Welt in keiner Verbindung mehr stehen, denn ihre Krankheit ist unheilbar. — Am Fest des heiligen 237 Lazarus aber, wo in dell Kirchen für sie gebetet wird, kommen sie heraus auf die Mauern und lassen an Seilen Körbe nieder, in welche die Vorübergehenden ihnen Liebesgaben an Lebensmid teln und Getränken hineinwerfen. Man behauptet, daß ihnen auch Geld gegeben würde — und das Geld eirculirt doch uachher wieder unter den , gesunden Bewohnern der Stadt. Die Kleidung der gebildeten Klasse in Quito ist fast ganz europäisch. Man sieht nur wenig Ponchos — anßer bei Reitern — fast nur Ueberröcke und Burnns — viele davon, uuter dcm Aequator, dick wattirt, und der schwarze Seidenhut, dies Umgeheuer aller Kopfbedeckungen — hat sich auch hier in den Cordille'ren eingenistet. Die Dauwu entbehren dabei eben so wenig die Cri-nolinen, die ich hier in sehr bedeutendem Umfange gesehen habe. Womit die Leute aber, besonders die Frauen, in Quito ihre Zeit hinbrächten, wenn sie keine Kirchen hätten, das weiß Gott, denn Alles, was man unter dem Nameu „Vergnüguu-gen" versteht, fehlt hier vollkommen. , Theater und Concerte kennt man kaum dem Namen nach; öffentliche Gärten und Promenaden existiren ebensowenig — einander fortwährend besuchen, geht doch, auch gar nicht gut an oder wird zuletzt lang- 238 weilig; da geht man denn in die Kirche, nnd es ist in Quito eitles der größten Kunststücke, irgend Jemand, besonders eine Dame, zu Hause anzutreffen. Sie sind fast immer in der Messe nnd scheinen wirklich nur Kost und Schlafstätte daheim zu haben. Einige der Kirchen sind im Innern sehr schön nnd besonders reich mit Schnitzwerk und Gemälden ausgeschmückt, und in allen ist Musik — aber was für Mnsit! — Quito mag seiner Malerei nud Bildhauerkunst wegen in Ecuador und Süd-Amerika überhaupt berühmt sein, mit seiner Musik, kann es aber keinen Staat machen, und ich bin mehrmals am Eingang der Kathedrale vor Verwunderung stehen geblieben, wenn ich die fröhliche Tanzmnsit hörte, die mir aus dem Innern derselben entgegenschallte. Ein paar Stücke, die ich hörte, mußten aus einer Verdi'schen Oper sein, wo die Primadonna eben wahnsinnig geworden, oder der erste Tenor mit Dolch oder Degen zu seiner letzten Arie angezapft ist, denn sie klangen gar so heiter und vergnügt. Die Trommel ist dazu ebenfalls eine unerläßliche Begleiterin,, und ich begreife wahrlich nicht, wie Leute zu solcher Begleitung wirklich beten tön- ^39 neu — sie müsseil schon zu anderen Zwecken in die Kirche gehen. Von Priestern wimmelt es in Quito, von reichgekleideten und behäbig aussehenden, bis zu den schmutzigsten, schäbigsten Mönchen nieder, die in einst weißen, von Schmutz starrenden Kutten die Straßen und Häuser füllen, uud wenn Alles wahr ist, was man von ihnen erzählt, so ist ihre tägliche Beschäftigung nicht immer die heiligste. Wer darf aber auch allen Lenten glauben! Nm diese Zeit hatte ich anch Gelegenheit, einen Trupp Napo - Indianer zu sehen, die von den Quellen des Amazonenstroms herübergekommen waren, einige ihrer Producte zu verkaufen. Sie hatten zu Faden gedrehten Hanf in kleinen Gebinden und eine Art Bast zu verkaufen, der hier beim Häuserbau gebraucht wird , die Balken der Fußböden und Wände aneinander zu halten, daß sie sich bei den häufigen Erdbeben nicht losschütteln. Es war das ein ganz anderer, aber prächtiger Menschenschlag, als die Indianer der westlichen Grenze der Cordilleren. Vou Farbe ein wenig dunkler, aber nicht viel, sehen die Männer in ihren. reinlichen blauen Unterkleidern und Ponchos, schlank, kräftig und gewandt aus, nnd die Frauen hatten eine selbst 240 zarte, ausdrucksvolle Physiognomie und lebendige, wunderbar schöne Augen. Ihre große Reinlichkeit siel mir besonders auf und stach gar wohlthuend gegen das entsetzliche Wesen ihrer westlichen Genossen ab. Als Auszeichnung trugen sie das Gesicht ein klein wenig gemalt — leichte kurze Striche mit rother Farbe cm den Augen -und Mundwinkeln, was sie, wenn es sie auch nicht verschönte, doch wenig entstellte. Die Frauen hatten dazu einen sehr geschmackvollen und zu ihrer Haut trefflich passenden Schmuck von kleinen weißen und hellblauen Stickperlen, in langen Schnüren von sechs bis Zehn Nnhen. Es waren drei oder vier Familien, die alle auf der inneren Veranda derselben Posada la-geeten, in der ich selber wohnte. Mit innigen: Vergnügen überzählten sie wieder und wieder die Viertelsdollarstücke, die sie für ihre Waaren erhalten hatten, vergeudeten das Geld aber nachher nicht in nichtswürdigem agua, ciMLntL, sondern lebten mäßig und schienen sich vortrefflich zu amü-siren. Sie scherzten und lachten miteinander,, und kein böses oder auch nur ärgerliches Wort fiel die langen Tage vor. Schon in Ibarra hatte ich die Nachricht gehört, daß Gnajaquil, wo bis dahin der Sambo-Ge- 241 ^ neral Franco geherrscht hatte, von General Flores, dem General der provisorischen Negierung, erobert worden sei. Die Frende und der Jubel darüber in Quito war uubeschreiblich, deuu damit war auch zugleich der lange trostlose Bürgerkrieg beendet, wie die Communication mit ihrer jetzt einzigen Hafenstadt wiederhergestellt. Franco war, wie man das vorausgesehen hatte, geflüchtet, und zwar ans einem peruanischen Kriegsdampfer, der im Hafen lag und den ExPräsidenten nach Lima hinüberführte. Gerade wie ich nach Quito kam, sollte der Sieg der Quiteuer solenn gefeiert werden, und die Feier, die mit Glockengeläute und Gottesdienst eröffnet wurde, drei Tage dauern. Am Abend des ersten Tages war allgemeine, ziemlich glänzende Illumination und später.großes Feuerwerk auf der Plaza, das manches Interessante bot. Nach einer Unmasse von Raketen und Heuchtkugeln liefen einzelne Menschen mit ein paar Pappbildern, die einen Ochsen und einen Wagen vorstellten, und Feuer ausspieen, mitten in die Scharen hinein, die sich auf der Plaza umherdrängten, nnd dann kämmen andere, die einen vorher sorfältig präparirten papierenen Soldaten trugen. Dieser hatte eine Unmasse von Fr. Gcrstäscr, Achizchn Monate in Sud Ämmla, I, 16 ^242 imitirten Pistolen (Schwärmer) in den Händen und am ganzen Körper, und schoß diese nach allen Richtungen ab, während die muthwilligcn Burschen, die ihn trugen, wohl darauf achteten, daß sie immer den dichtesten Trnpp Neugieriger auf der Seite hatteu, auf den hin sich die Schwärmer in uuregelmäßigenZwischenränmeu entludeu. Das Geschrei und das Jubeln läßt sich denken und das Fest, zu dessen Feier alle Straßencinläufe der Plaza mit grünen Gnirlandcn nnd Triumphbogen geschmückt,waren, dauerte bis spät am Abend. Am nächstell Tage war große Procession nnd Nachmittags das wunderlichste Stiergefecht, das sich auf der Welt nur denken läßt. Wie vernünftige Menschen auf etwas Derartiges fallen konnten, ist mir nämlich noch bis zu diesem Augenblick ein Räthsel. Ich hörte schon an dem Morgen, daß am Nachmittag desselben Tages ein Stiergefecht sein solle, und achtete nicht weiter darauf. Den Nachmittag ging ich über die Plaza, zu meinem gewöhnlichen Kaffeehaus, und fand dort eine Meugc Meufchen versammelt, die plötzlich, bei dem Schall einer Trompete, alle auseinander stoben. Ich sah mich erstaunt um, denn ich dachte gar nicht an den Stier, da hier auch nicht die mindeste Vorbereitung zu einem derar- 243 tigen „Vergnügen" getroffen war: keine Einfriedigung oder Schntzwehr, keine Bänke, knrz Nichts, was zn einem solchen Kampfsftiel gehört. Da kam plötzlich ein schwarzer, ziemlich wild ans-sehender Bulle in voller Flncht mitteil anf die Plaza gerannt, wo das Volk nach allen Seiten auseinander prallte, und Indianerinnen und andere Franen, die in aller Gemüthsruhe bei Säcken von Bohnen, Mais und Kartoffeln gesessen hatten, sprangen auf und suchten in fieberhafter Hast ihre Waare in die nächsten Gewölbe zu schassen. Ich selber sprang die mir nächste Treppe zu dem Negieruugsgebände in die Höh' (es war möglicher Weise das natürliche Gefühl, was mich als guter Deutscher leitete, bei der Polizei Schutz zu, suchen) und konnte von hier aus nun den ganzen belebten Platz in Rnhe übcrscheu. Jetzt bemerkte ich auch, daß der Stier keineswegs ganz frei war, sondern einen langen Lasso nachschleifen hatte, an dem einige zwanzig Jungen hingen, unb sich die größte Mühe gaben ihn Zurückzuhalten. So wie er sich aber gegen diese drehte, ließen sie alle zugleich los, und der Stier bog jetzt plötzlich in eine Seitenstraße ein, die dort wohnenden ahnungslose,: Insassen in Erstaunen zu setzen. 244 Nach einer Weile brachten sie ihn jubelnd wieder, und er amüsirte nun die Bevölkerung für etwa sechs Stnnden dadurch, daß er, gereizt, geneckt nnd ausgcvfiffen, jetzt in die Säuleugänge der Verkaufslokale einbog und Alles in die Häuser trieb, jetzt die Treppe der Kathedrale hinauslief und die Gallerirn räumte, bis er endlich so erschöpft war, daß sich die Inngen an seinen Schwanz hängen konnten, nnd von ihm nachschleifen ließen. Ein paar Mal überraschte er auch unschuldige Eseltreiber, die aus dl,m Lande kamen und leine Ahnung von einein solchen Besitzer der Plaza hatten. ^)er Stier war aber der vernünftigste von Allen, denn er that diesen nie etwas zu Leide, als ob er wisse, daß sie mit der ganzen Sache Nichts zu thun hätten. An demselben Abend war noch cin kleines, sehr unbedeutendes Feuerwerk und eine dürftige Illumination der Negierungsgebäude — etwas Derartiges läßt sich nicht gut zwei Abende hintereinander machen ^ und am nächsten Nachmittag nahm ein zweiter Stier die Fortsetznng der Feier auf. Ja, sogar am dritten Tage hatten die Leute noch nicht genug an diesem eigenen Spicle, und ' wieder einen dritten Stier im Gange, der mir Plötzlich, weit von der Plaza ab, m ciner engen 245 Seitenstraße ganz allein begegnete. Die Stille der Straße war mir aufgefallen nnd daß alle Thüren gefchlossen waren; ich hatte aber andere Dinge im Kopfe, als den albernen „Stierkampf" nnd ging ruhig meines Weges, als ich mich dem schon halb abgehetzten Vnrschen, der eben nicht in der besten Lanne zn sein schien, ganz allein gegenüber fand. Ausweichen konnte ich gar nicht mehr und hielt mich nur fest und sprungbereit an die eine Seite der Straße gedrückt, ihm freie Bahn zu lassen; nahm er mich dann an, so mußte ich sehen, wie ich ihm aus dem Wege kam. Meinen Poncho hatte ich rasch übergestreift, ihm den im schlimmsten Falle vor den Kopf zu werfen. Glücklicher Weise nahm er aber nicht die geringste Notiz von mir und lief auf etwa fünf Schritte gerade an mir vorüber. Jetzt kamen auch seine Verfolger nach, den Lasso zu erwischen, und der ganze Schwärm war im nächsten Moment um die Ecke verschwunden. In Quito leben nur sehr wenig Fremde, und die meisten von diesen sind Franzosen. Nordamerika aber, das die südamerikanischen Nepnbli-ken nicht aus den Augen läßt, hat einen Gesandten dort, Deutschland uicht einmal einen Consul in ganz Ecuador. Ein schottischer Doctor, Dr. Ja- 246 mieson, lebt ebenfalls in Quito und ist dort ver-heirathet. Er ist ein ausgezeichneter Botaniker und Naturforscher. Der einzige Deutsche in Quito war, wie gesagt, mein kleiner Uhrmacher. Bis jetzt war der Fremdenverkehr mit Quito auch nur ein sehr geringer, denn es gehört schon ein Entschluß dazu, wenn man wirklich vom Schicksale nach Guayaquil verschlagen fein sollte, einen achttägigen Nitt über rauhen wilden Boden zu macheu, und in der Zeit allen Bequemlichkeiteu zu entsagen, um diese weit entlegene Stadt der Berge zu besuchen. Wie weuig die Stadt darau gewöhnt ist, Fremde bei sich zu sehen, beweist schon das, daß sich nicht ein einziges Hotel dort findet, und Niemand Luft hat, ein solches anzulegen, „weil es sich doch nicht bezahlen würde." Das aber muß sich jedenfalls wesentlich ändern, sobald erst einmal die Straße nach dem Pailon fertig ist, wo Quito durch einen bequemeu Weg der See auf nur wenige Tagereisen uahe gebracht ist. Die Quitener sehen auch die Wichtigkeit dieses Weges für ihre eigene Stadt vollkommen ein, uud haben jetzt bewiesen, daß sie Alles thun wollen, was in ihren Kräften steht, den raschen Bau derselben zu sichern nnd zu fördern. 247 ^ Der englische Ingenieur, den ich noch glücklicher Weise in Quito traf, hatte eben den Abschluß des Contraetes über den Straßenbau mit der Regierung beendet. Der Contract wurde, während ich dort war, von beiden Theilen unterzeichnet, und der Bau dieses wichtigen Verbindungsweges soll nun in der allernächsten Zeit beginnen. Es wird viel Geld kosten, und viele Schwierigkeiten sind dabei zu überwinden, aber es steheu ihm auch keine unüberwiudlichen Hindernisse eutgegen, und mit einiger Ausdauer kann er recht gut in der gegebenen Zeit — vier Jahre — beendet werdcn< Pailon wird dann schon durch sich selber zum Haupthafen des Landes, und die Gesellschaft kann glänzende Geschäfte machen. Ich selber hatte mich wieder so weit erholt, meine Neise nach Gnajaquil ebenfalls fortzusetzen. Ich war jetzt vierzehn Tage in Quito, und hatte in dieser Zeit diese gepriesene Stadt des „ewigen Frühlings" so satt bekommen, daß ich die Stunde segnete, wo ich ihr den Nucken zudrehen konnte. In den letzten Tagen lernte ich den amerikanischen Consul, Mr. Vukalew, kennen, der sich sehr freundlich gegen mich zeigte und mir auf die liebenswürdigste Weise anbot, in seine reizend gelegene Wohnung einzuzieheu. Ich sollte so lange 248 dort bleiben, wie ich wollte, um Quito noch von einer besseren Seite kennen zu lernen — aber ich hatte schon über und über genug davon. Ich kann auch wirklich sagen, daß ich meines Lebens dort keinen Augenblick froh geworden bm, denn von der beschwerlichen Reise dort zum Tod erschöpft angekommen, fühlte ich mich die gauze Zeit in Quito auch nicht eine Stunde vollkommen wohl. Möglich, daß mir die kalte Lust nach dem längeren Aufenthalte am Pailon nicht zusagte, aber ich fieberte fortwährend, mein Magen wollte nicht parireu, und der ewige Schmutz und Uurath, der mich auf allen Seiten umgab, machte das Uebel noch ärger. Nebrigens zeigte es sich gar nicht so leicht, wie ich gedacht hatte, von Quito wieder fortzukommen, denn nirgends waren Pferde zu miethen. Durch die Eiunahme von Guajaqnil öffnete sich nämlich wieder dcr langgehemmte Verkehr mit dieser Stadt, und nicht allein Scharen von Quitenern strömten dort hinab, theils in Geschäften, theils aus Neugierde, sondern auch ganze Caravaneu von Lastthiercn waren dorthiu unterwegs, einzelne Producte des Landes, besonders Anis, nach der See zu schaffen. Außerdem hatte der Krieg selber eine Unzahl von Pferden und Lastthieren in 249 Anspruch genommen und ich mußte drei Tage warten, ehe ich zwei Pferde bis Guaranda — über die Hälfte des Weges ober fünf gewöhnliche Tagereisen, miethen konnte. Ich zahlte dafür dreizehn Dollar. Am 27. October Morgens stieg ich wieder in den Sattel, und wenn ich mich auch nicht besonders wohl fühlte, war mir das Herz doch wenigstens froh und leicht, meinen letzten Marsch durch Ecuador endlich anzutreten. Außerdem bekam ich jetzt wieder ein tüchtiges Stück der Republik zu feheu, und das mochte mich denn für die Strapazen, denen ich anf's Neue entgegenging, entfchädigen. 8. Gom Fels zum Meer. Am 27. October 1860, au einem bellen, in dieser Jahreszeit nicht gerade häufigen freundlichen Tage, brach ich nut meinem Führer oder Begleiter Don Quito auf, um das acht Tagereisen von dort liegende Guujaquil zu erreichen. Für die Schnelligkeit unseres Rittes sprach das eben nicht besonders, daß der Bursche nebenher lief, und trotzdem, daß ich sehr wenig Gepäck hatte, nicht in den Sattel zu bringen war. Diese Leute sind aber vortrefflich daran gewöhnt, und traben halbe Tage laug ununterbrochen fort; ja, als ich später, wenn ich glaubte, daß er ermüdet sein müßte, mein Pferd manchmal einzügelte, hieb er selber auf sein Thier los und machte es wieder rascher laufen. 251 Die Scenerie war wundervoll, denn wir ritten fortwährend in der Hochebene hin, in der im Hintergründe Quito mit seinen.dicht ineinander gedrängten Ziegeldächern nnd zahlreichen Kirchen zurückblieb, während rechts nnd links von uns, über den grünen Höhen empor, starre Schnee-,Massen, auf riesigen Kuppen lagernd, emportauch-ten. Rechts war der Pichincha, der Schnee- und Eislieferant für die Residenz, links, von dickem Rauch überhangen, ragte der mächtige Kegel des Kotopari empor. Weiterhin lag ebenfalls der .Corazon und Iniliza an der rechten, und die Echneefelder des Kaywayrazo traten nach nnd nach hervor. Außerdem war mir der Chimbo-razo selber, dieser amerikanische Niese, versprochen worden, denn unser Weg lag an seinen Vorbirgen hin, die wir bis zu 15,000 Fuß Höhe erklimmen sollten. Das war mir. eigentlich ein wenig zu hoch, denn die Quitener wußten genng davon zu erzählen, wie kalt und windig es dort oben sei, und es fröstelte mich jetzt schon, wenn ich nur daran dachte. In dem Chimborazo selber lag aber auch wieder eine Belohnung für alle Beschwerden, nnd ich freute mich jedenfalls darauf, seine Bekanntschaft zu machen. 252 Wir sind in Deutschland daran gewöhnt, Schnee, und vielen Schnee zu sehen. Hier aber, wo man weih, daß diese Berge erst in 15—16,000 Fuß Höhe beginnen, Schnee zu tragen, erfaßt Einen doch eine Art von Respekt, wenn man die mächtigen Strecken sieht, die noch über dieser Linie mit Schnee und Eis bedeckt sind. Wir befanden uns selber über 9000 Fuß über der Meeresfläche, aber hoch in die Wolken ragend lagen sie noch über uns und wehten ihren kalten Athem über das Land. Wie mir der kalte Athem durch die Glieder, strich; ich konnte mich nicht erwärmen, und trotz dem scharfen Nitt, und trotzdem ich zwei Ponchos überhing, Zitterte mir der ganze Körper vor innerem Froste. Ich merkte auch bald, was mit mir war: ich hatte in schönster Art das Fieber und mußte mich tüchtig zusammennehmen, um aufrecht im Sattel zu bleiben. Die Straße war hier außerordentlich belebt, und mir begegneten oder überholten ununterbrochen Scharen von beladenen Pferden, Maulthierm, Eseln und Ochsen, die, von Indianern getrieben, ihren verschiedenen Vestimmnngen zueilten. Ganze Schwärme von Indianern trabten besonders mit kleinen zottigen Eseln zu Markt, und ihre Frauen 253 saßen, überall in kleinen freuudlicheu Gruppen am Wege, sich gegenseitig das Nngeziefer abzusu-chen und ihr Frühstück daran zu halten. Drei und vier von ihnen habe ich in einer Kette sitzen sehen nnd wandte den Blick zuletzt ab, wo ich nur mehrere zusammen kauern fand. Zum Tod erschöpft und nut furchtbarem Kopfschinerz erreichte ich endlich das erste Nachtquartier Machache, ein kleines Dorf, wo wir in d^r sogenannten Pofada übernachteten. — Posada! es war Nichts — gar Nichts dort Zu bekommen, als entsetzliche agua arclitmt.6 äki M». Das Fremdenzimmer bestand in einein Kellergcwölbe ohne Fenster, und einer einzigen trocknen Kuhhaut auf dem feuchten kalten Steinboden. Ich war aber so matt, daß ich mir an dem Abend nicht einmal die Sporen abschnallte. Wie ich war, warf ich mich anf diese einzige Bequemlichkeit nieder, uud träumte — aber was bedenteu die Träume eines Fiebertrauten. Am uächsteu Morgen erwachte ich müder, als ich mich niedergeworfen, aber es half Nichts — Frühstück war doch nicht zu bekommen, die Pferde hatten dic Nacht über tüchtig das uahrhafte ^erd^ gefressen, das in Bündeln, zu einem Neal das Stück, verkauft wurde, und ich arbciiete mich müh- 254^ sam in den Sattel. Freilich hätte ich mich weit lieber in ein ordentliches Bett gelegt, doch das war hier nicht zu bekommen, also besser, daß ich so rasch als möglich suchte diese traurige Gegend zu verlassen. Dieser Tagesmarsch war ein längerer als der gestrige; der freundliche Morgen übte aber seinen wohlthätigen Einfluß auf mich aus, so daß ich mich, nach etwa stündigem Ritt, so ziemlich wohl fühlte. Unterwegs suchte ich einen Becher Milch zu bekommen, denn überall sahen wir Kühe, aber es war nicht möglich, und ich mußte mich endlich damit begnügen, in einem kleinen Städtchen, das wir passirten, ein paar weiche Eier zn essen. Ich hätte von diesen Köchen doch Nichts weiter ver-' zehren können. Das Land war hier überall trefflich bebaut, und uach verschiedenen Richtungen hin konnte man hoch an den Bergen hinauf die regelmäßig abgetheilten eultivirten Felder erkeunen. Alle Producte der gemäßigten Zone gedeihen aber auch hier vortrefflich; die Kartoffel besonders hat ja hier ihre eigentliche Heimath, und Knollen-, Hülsen? uud Körnerfrüchte wachfen auf das Neppigste. Diefe Hauptstraße von Quito nach Guajaqnil, die einzige, welche die ganze Republik bis jetzt 255 eigentlich hat (und wie der Weg nach Ibarra, doch eigentlich nur ein Maulthierpfad), war einmal früher, und zwar in spanischen Zeiten, ganz vortrefflich angelegt. Noch jetzt findet man Strecken davon dicht gepflastert, nm die Begehnng des Weges anch in der Regenzeit möglich« zn machen, wo er in dem jetzigen Zustande völlig unvassirbar ist. Seit die Spanier aber aus dem Lande vertrieben sind, scheint Nichts mehr, als höchstens das Allernöthigste, an dieser Straße geschehen zu sein. Wo das Pflaster abbrach, wurde es nach und nach in den Schlamm hinein getreten und verschwand, und die Thiere mnßten sehen, wie sie für sich selber eine Bahn fanden, die schlimmsten Stellen sicher zu passiren. Der Weg ist, wie gesagt, in der Regenzeit, nicht mehr zu begehen, und der Verkehr mit Guajaquil und Qnito dann ganz unterbrochen. Den Nachmittag sollte ich auch eine Probe davon bekommen, wie sich der Weg bei schlechtem Wetter gestalten könne, denn der Himmel umwölkte sich, und gegen zwei Nhr goß es in Strömen nieder. Mein Fieber schien darauf nur gewartet zu haben; es stellte sich mit verdoppelter Kraft wieder ein, und schüttelte mich beinahe aus dem Sattel. Aber es half Nichts; ich mußte aushalten, 256 und war froh, daß dieser furchtbare Schauer gegen fünf Nhr etwa wieder aufhörte, wo wir eine ziemlich große Stadt, Latacungo, vor uns hatten. Hier war glücklicher Weife eine etwas bessere Posada. Ich bekam eine recht gute Tasse Kaffee und etwas. Brod, fand auch iu dem Schlafzimmer eine Art von Matratze/ auf der ich mich wärmer und weicher ausstrecken konnte, als auf der alten Kuhhaut, und lag dort bis etwa 9 Uhr Abends im heftigen Fieber. In der Posada waren noch zwei Fremde abgestiegen, die mit mir denselben Weg ritten. Es waren ein, paar Quitcner, die sich freundlich erboten, mir in Allem behülflich zu sein, was ich brauchen sollte. Ich fühlte mich aber so erbärmlich elend, daß ich ihnen kanm danken konnte. Von meinem Arriero hatten sie indessen heransbckommen, daß ich vollkommen fremd sei; um 9 Uhr kam der Eine von ihnen wieder in meine Stube und fand kaum, daß ich mich etwas besser fühle, als er mir auch keine Nuhe ließ aufzustehen, und ein Naturschauspiel zu bewundern — er, wollte mir nicht sagen, was es war. Meine Glieder waren mir noch matt genug; ich halte meinen Körper aber schon in der letzten Zeit daran gewöhnt, bei allen Bcwegnngen auch 25? nicht die geringste Stimme zu haben, und stand deßhalb auf, meinem freundlichen Begleiter zu folgen -— ich hatte es nicht zu bereuen. Wir gingen nur die eine Straße entlang auf die ziemlich große Plaza, und ich wurde hier durch einen Anblick überrascht, den ich nie im Leben wieder vergessen werde. Die Wolken hatten sich nach dem letzten Regen zertheilt uud flogeu nur noch in einzelnen zerrissenen Schleiern über den blaugestirnten Himmel. Im Osten thürmten sich dabei die hohen mächtigen Gebirgsmassen empor, die den ganzen Tag über durch nebelige Schwaden verdeckt gewesen; darüber stand der Vollmond und dicht unter diesem, die rothe Gluth in einzelnen' hellaufflammendeu Zuckungen ausstoßend, glühte die zornige Flammensäule des Kotopaxi, jenes furchtbaren Vulkans, der sein Nachbarland schon so oft durcheinander geschüttelt und geworfen hat. Wunderbar war der Effect, den das Verschmelzen dieser beiden so verschiedenen Gluthkörper hervorbrachte — die dunkelleuchtende Flammensäule des Vulkaus, und das matte bleiche Licht des Mondes dicht darüber, und ich konnte mich lange, lange nicht von dem Anblick losreißen. Der Ecuadorianer freute sich aber herzlich, als er mein Entzücken sah, denn er Fr. Gcr stacker, Achtzehn Monate in Süd-Amcrila, I. 17 - 258 war stolz auf sein schönes Vaterland, wenn es ihm auch manchmal unter den Füßen zu wackeln ansing. Der Kotopaxi war noch v<«le, viele Meilen von uns entfernt, und seine mächtige Schnecknppe zeigt deutlich, wie hoch er selber ist, dennoch sahen wir die Feucrsäule fast zwei Dritttheil von der Breite des Mondes und höher als diesen, und konnten daraus etwa abnehmen, was für ein furchtbarer Krater diese Gluthmassc anssvcien mußte. Ueberhaupt erscheint das ganze Ecuador, trotz seiner Kälte, ganz anständig geheizt zu werden, denn gar nicht so weit von diesem Vulkane entfernt concurriren der Pichincha und Sangai mit ihm, und werden noch von anderen umgeben. Wer da in die geheimnißvollcn Tiefen dieser Verge schauen und das furchtbare Arbeiten und Schaffen da unten belauschen könnte! Hätte ich mich nicht so matt gefühlt, ich wäre die ganze Nacht nicht von der Stelle gegangen, so aber mußte ich endlich mein Lager wieder suchen, um am nächsten Morgen meinen Ritt fortsetzen zu können. Der nächste Morgen fand mich denn au'ch wieder von Allen zuerst im Sattel, die für mich beste frühe Tageszeit zu benutzen, und unser nächstes Nachtquartier so bald als möglich Zu er- 259 reichen. Außerdem entgingen wir dadmch auch den gewöhnlichen täglichen Negen, diemeist immer zwischen 2 nnd 3 Uhr Nachmittags einsetzten. Mein erster Blick war an dem Morgen nach dem Kotopaxi hinüber, aber das Wetter war nicht klar, der Himmel hatte sich bewölkt und der Vulkan seine dichte Nebelkappe übergezogen. Da oben schien er auch seinen ganz besonderen Tanz zu halten, denn immer schwärzer und schwärzer thürmte es sich um seinen'Gipfel zusammen, und gegen 10 Uhr, als wir ihm etwa gerade gegenüber waren, schallte ein dumpfes ärgerliches Grollen zu uns herüber. Die Ecuadorianer an der nördlichen Küste, am Pailon und in der Umgegend — vielleicht auch die dieser Berge, haben eine wunderbar schöne Sage, die auf ihre Vulkane Bezug hat. Sie sagen: wenn ein Fremder an ihnen vorbeizieht, zürnen sie, und ein Berg ruft es grollend dem andern zu. Welch ein großartiger Gedanke liegt in diesem Glauben, an dem sie übrigens fest hängen, und wie nahe auch ist es eigentlich gegeben, diesen Kolossen Leben und Gedanken zuzusprechen, die ihr eigenes furchtbares Leben nnd Wirken nur zu oft so deutlich kundgeben. Ich mußte daran denken, als ich an dem Kotopaxi vorüberritt und 17* 260 der alte Berg, der noch gestern Abend ein so prächtiges Feuerwerk abgebrannt, meine Ankunft seinen Nachbarriesen kund that. — Aber grolle nicht, alter grämlicher Gesell, ich bin auf dem Heimwege und Du haft von mir Nichts zu fürchten, denn ich glaube schwerlich, daß ich Dich je wieder stören werde. Der Neg war hente noch freundlicher als gestern, und senkte sich mehr und mehr eimm wärmeren Klima zu. Das Wetter hielt sich ebenfalls und gegen Abend erreichten wir das allerliebste Städtchen Ambato, wo das Klima schon so viel milder wär, daß sie dort Zuckerrohr bauen tonnten. In Ambato war auch wieder eine recht gute Posada, die mir heute nöthiger als je that, denn schon von 2 Uhr an hatte sich wieder ein heftiges Fieber eingestellt, das mich nachgerade ganz von Kräften brachte. Ich durchwachte, trotz der guten Matratze, eine traurige Nacht und war am nächsten Morgen so matt, daß ich kaum in den Sattel konnte. Mein Arriero erfreute mich dazu mit der Nachricht, daß wir die nächste Nacht am Hange des Chimborazo bei einer Hundekälte, und in einer Hütte zubringcn würden, in 'der auf der Gotteswclt Nichts zu haben sei, als grünes Futter für die Pferde. Aber, was half's; drei Tage- 261 reisen hatte ich schon überstanden; die anderen fünf warm auch zu überwinden, wenn ich mich auch ein wenig vor dem Fieber fürchtete; keinesfalls konnte und wollte ich einen Rasttag machen. Von Ambato aus- lief der Weg, immer gen Süden, stet und ununterbrochen empor. Höher und höher geriethen wir in die Berge hinein, und schon gegen Mittag verrieth die uns umgebende Vegetation, daß wir uns im Bereiche des Haide--krauts und der Alpenpflanzen befänden. Die Cultur hörte allmälig auf und wir begegneten einzelnen Schafhecrden, in denen sich wunderbarer Weise' in jeder ein einfames schwarzes Schwein befand. Diese einzelnen Schweine, die ich unter den Schafen traf, waren dabei stets äußerst sauber nnd glatt, und führten ihren Namen deßhalb völlig mit Unrecht. An diesem Abend sollten wir also einen Theil des Chimborazo ersteigen, und bis ^etzt hatte ich mich noch immer vergebens nach diesem Oberhaupt der amerikanischen Cordilleren umgesehen. Bald sagte mein Führer, daß ihn die übrigen Berge verdeckten, bald lagerte ein dünner Nebel in der Richtung, wo wir ihn wußten, bis sich dieser, etwa gegen elf Uhr, plötzlich theilte, und der gewaltige Berg in all seiner schneegepauzerten 262 Majestät, von der Sonne leuchtend beschienen, dicht vor uns lag. — Er machte aber keineswegs den großartigen Eindruck, den ich mir davon gedacht hatte, und es mag sein, daß wir selber schon zu hoch gestiegen waren, was natürlich dem andern Berg zum Nachtheil geschah. Außerdem läßt die dünne Luft hoher Berge ferne Gegenstände viel näher erscheinen, als sie wirtlich sind, wodurch wir uns in ihrem Umfange täuschen. Uebrigens muß ich hier bemerken, daß ich sehr überrascht war, selbst in der Höhe vdn Quito, was doch mehr als 9000 Fuß über der Meeresfläche liegt, keineswegs, diese Täuschung auch nur im Entferntesten so stark zu finden, wie in den Cordil-leren Chiles in' gleicher Höhe, und weit, weit schwächer' als in Deutschland in den Alpen, Z und 4000'Fuß niedriger. An anscheinend fernen Matten konnte ich Rinder grasen sehen, die in den Alpen wie ein schwarzer Punkt ausgesehen hätten, und Gegenstände, die ich manchmal vor mir sah, nach der Entfernung taxirte und abschritt, hatten mich immer nur um ein Weniges getäuscht. Dicht an einen Hügelhang anreitend, verloren wir den Chimborazo wieder aus den. Augen, und der Weg zog sich von hier immer steiler und winterlicher empor. Es war fast nur Haidekraut, 263 'was hier oben wuchs, und die Schafe schienen die einzigen Bewohner der Gegend zu sein. Manchmal huschte ein Kaninchen über den Weg, und ein einzelner Falke strich rasch durch die Luft, als ob er selber nicht glaubte, daß er hier oben Beute fände. Endlich sahen wir ein einzelnes Haus hoch über uns liegen, und mein Arriero bezeichnete dieses als das sogenannte Altambo oder Pa-paurko — die Stelle, auf der. wir diese Nacht schlafen würden, da keine andere menschliche Wohnung auf viele Meilen weiter sei. Daß es dort oben ziemlich" kalt sein würde, ließ sich denken,-ich ritt aber wohlgemuth weiter, denn heute hatte mich das Fieber verschont, und nur gesund, brauchte ich alle Kälte des Chimbo-razo nicht zu fürchten. Meine anderen Reisegefährten hatten mich indessen eingeholt und wir zogen jetzt zusammen in das Gehöft nn, das so recht inmitten einer-Wildniß lag, und auch wirklich nur hierher gebaut war, den Reisenden ein Obdach zu geben. Es gab ihnen aber auch, wie wir bald fanden, in der That weiter Nichts, und eine traurigere Vernachlässigung jeder Interessen ist mir auf der ganzen Welt nicht — Ecuador ausgenommen — vorgekommen. Einen besseren Platz zu einer Wirthschaft giebt es 864 kaum, denn alle die zahlreichen Reisenden, die diesen Weg ziehen, sind gezwungen, hier zu übernachten. In Nordamerika wäre auch sicher dieser Punkt zu einem der brillantesten Hotels benutzt und der Besitzer in einigen Jahren reich dabei geworden. Die Leute hier haben aber nicht allein keine Spur von Unternehmungsgeist, sondern sie sind auch nichts weniger als praktisch, — die Posada von Papaurko liefert den besten Beweis davon. Einen Wundervolleu Anblick hatten wir von hier auf den Chimborazo, der erst wieder in Sicht kam, als wir den Hügel erstiegen und das Haus erreichten, und jetzt in seiner vollen Breite vor uns lag. So hoch aber waren wir schon selber hier, daß nur noch die schneebedeckten Massen des Berges über uns emporragten, freilich immer noch eine ganz anständige Höhe, wenn man bedenkt, daß der Chnnborazo an die 5000 Fuß hoch ewigen Schnee trägt. Bequem konnte ich von hier aus mit meinem Perspectiv die Gipfel des garnicht mehr fernen Berges, an dessen eigentlichen Hang wir jetzt standen, beobachten, und ich suchte eine Bahn daran zu finden, auf der mau ihn vielleicht erklimmen konnte. Aber die Haut schauderte mir, wenn ich diese furchtba- 265 ren Schneemassen betrachtete, die, vom Winde gepeitscht und angeweht, in den Schluchten und Einschnitten angeweht und wie ein riesiges Federbett selbst auf dem höchsten Gipsel aufgeschichtet lagen. Mir verging jedenfalls die Lust — wenn ich sie überhaupt je gehabt — einen Versuch zu wagen, diese Schueewände zu erklimmen, denn ich bin nun einmal keiu Freund davon, nur auf einen Berg hinaufzuklettern, um nachher wieder hinuntersehen zu tonnen. Gar prachtvoll stach der breite abgerundete Schueerücken des mächtigen Berges gegen den jetzt vollkommen blauen Himmel ab, und einzelne leichte > Nebelzüge, die sich aus seinen eigenen Schluchten zu entwickeln schienen, schwammen im Aether um seine Schläfe, und Zerflossen dann wieder, wie sie entstanden, zu Duft und Hauch. Aber uoch ein anderer Krater lag in Sicht, der gewaltige Sangai, dessen Grollen und Brausen man nicht selten bis nach Guayaquil hiuunter hört, und zwar so lant, daß dort die Fensterscheiben zittern. Die Umrisse dieses sehr bedeutenden Vul-kanes schimmerten aber, von Nebel dicht umlagert, nur undeutlich zu uns herüber, während jedoch dicker, darüber brütender Qnalm genau die Stelle verrieth, an der es kochte und gährte. 266^ Der Sangai ist einer der größten Krater des Landes, und meine Reisegefährten erzählten mir, daß man an einem seiner Hänge das wunderbare Schauspiel haben könne, in etwa 13,000 Fuß Höhe Zuckerrohr wachsen zu sehen. Die Wärme, die der Berg an seiner Seite dem Erdreich mittheilt/ ist hinreichend, das zarte Nohr selbst in dieser Höhe zur Reife zu bringen. Die Scenerie um uns her war überhaupt wundervoll, und überall thürmten sich an vielen Stellen mit weiten Schueefeldcrn bedeckte Fels-masscn hoch und gewaltig empor, während der Chimborazo in seiner grimmen, schnecnmhüllten Majestät, von der Abendsonne beschienen, dazwischen thronte. Mit dem Untergange der Sonne stiegen aber überall aus seinen Schluchten dünne Schwaden auf, und bald hatten ihn diese so weit eingehüllt, daß nur noch die beweglichen Schleier die Stclle kündeten, auf der er stand. Unser Aufenthalt in der Posada war desto trostloser. Der Hof füllte sich nach und nach mit Maulthieren und Eseln, die innere Verandah mit schmutzigen Arrieros und Indianern. Essen.war nicht zu bekommen, etwas Suppe ausgenommen, deren Vereitung ich aber schon kannte und vor der ich mich ekelte. Betten und Matratzen gab 267 es ebenfalls nicht, Flöhe aber dafür desto mehr; glücklicherweise hatte mich jedoch das Fieber hente vollständig verlassen, und ich wickelte mich, als es dunkel wurde, vollständig Zufrieden in meinen Poncho und legte mich auf eine Kuhhaut schlafen. — Allein wie bitter kalt wnrde es in dieser Nacht! Der Wind heulte um die Hütte und ich konnte mich nicht erwärmen. Merkwürdiges Klima das unter dem Aequator, wo ich in den letzten vier Wochen, und seit ich das niedere Land der Küste verlassen hatte, wirklich fagen konnte, daß ich noch nicht ein einziges Mal ordentlich behaglich warm geworden wa^r. Wir hatten nns verabredet, am nächsten Morgen vor Tag aufzubrechen, und um fünf Uhr weckte ich die Arrieros. Noch stand der Mond am Himmel, und a!Z ich hinaus auf den Hof trat und nach dem Chimborazo hinübersah, lag der ungeheure Schneekegel, von einem bläulichen wunderbaren Schein übergössen, fast nnheimlich dicht vor mir. Ich habe nie etwas Großartigeres und zugleich Schöneres gesehen. Unser Weg zog sich von hier noch ein Stück an dem Chimborazo empor und nm den Berg hinum, an dessen anderer Seite die Bahn nachher wieder zu Thal führte ^ leider aber umhüllte 268 ' sich der Gipfel von Neuem noch vor Sonnenaufgang, und nur ein einziges Mal, und selbst das nur kaum für die Dauer einer Minute, wurde der Gipfel über Tag sichtbar; selbst der kurze ^ Anblick aber war feenhaft. Ich hatte wohl fünfzig Mal an dem Morgen nach oben gesehen, ob uns unser kalter Nachbar nicht wenigstens noch einen Abschiedsblick gönnen wollte, aber er schien selber zu frieren, denn er hielt sich fest in seinem weißen Burnus eingewickelt. Es mochte zehn Uhr sein, als ich auch wieder nach ihm ausschaute, als er plötzlich seine Nebelkappe zurückschob und nur mit der obersten Spitze, die-gerade über uns zu hängen schien, wie mit einem riesigen Schneetopf, nach uns herunterfah. Da wir uns jetzt dicht unter ihm befanden, schien die Kuppe wirklich in den Wolken zu hängen und zu den weißen Nebeln zu gehören, die vorüberzogen. Es war aber auch wirklich nur ein Moment, denn als ob der alte Bursch nur hätte sehen wollen, wo wir eigentlich wären, zog er seine Nebelmütze wieder über, 'und das war das letzte Mal, daß er sich sprechen ließ; ich habe ihn von dem Augenblicke an nicht wieder gesehen. Schon in Quito war mir gesagt worden, daß wir an dieser Stelle des Weges jedenfalls Hirsche 269 antreffen würden, und ich hatte meine Büchs^ geladen an der Seite, — aber nmsonst. Das Terrain sah öde und wild genng aus, denn selbst das Haidekrant hörte hier auf, und gelbgrüne Grashänge zogen sich bis zu der dicht über uns liegenden Schneegrenze hinanf und lagen wellenförmig um den ganzen »Gipfel des Berges. Es soll auch hier Hirsche geben, aber ich sah keinen einzigen, nicht einmal mit meinem Teleskop, mit dem ich die Wände ein paar Mal sorgfältig abängte. Sie waren wie ansgestorben, und nur hie und da konnte ich kleine Trupps von Kühen Und Waulthieren entdecken. » So lange wir an der Seite des Berges hielten, war der Weg nicht gerade schlecht; wir konnten sogar an einigen Stellen die Thiere recht austraben lassen. Nur an einer Stelle war er, durch die Regengüsse vielleicht, eine kurze Strecke abgestürzt, daß die Pferde an der steilen Wand nicht fußen konnten, und wir mußten nach dem Wasser hinunter, diese Stelle zu umreiten. Das ging auch recht gut; wir snrthcteu den Bach und bogen bann wieder ein, zn dem verlassenen Pfade aufzusteigen. Dort aber, wo wir das Wasser znm zweiten Male kreuzen mußten, war der Boden weich, Und das Ufer desselben ziemlich hoch. Ich sah 270 jedoch nicht die geringste Schwierigkeit, hindurch-zukommen, wenn mir das Pferd nur ein Wenig dabei half, und lenkte, den Nebrigen voran, dorj, ein. Hinunter in den Bach kam ich auch vortrefflich, denn wir rutschten von selber hinein, als das etwas schwächliche Thier aber wieder nach oben sollte, ging es nicht. Ich setzte ihm die Sporen ein und es machte einen Versuch, erreichte auch mit den Vorderbeinen die höhere Bank, wie es sich aber nachhelfen wollte, rutschten ihm entweder die Hinterfüße weg, oder es war auch nur zu schwach, den Sprung zu thun; in der Anstrengung jedoch, sich emporzuheben, überschlug es sich, und ehe ich aus dem Sattel springen konnte, lagen wir Beide — ich unten — im Bach. Im Stürzen nun schnellte ich mich noch so weit auf die Seite, daß ich mein Bein wenigstens unter dem Sattel vorbekam, und dem Gaul den andern Fuß gegen den Hals setzend konnte ich mich in die Höhe raffen, ehe er sich mit seinen Beinen nach mir herüberwälzte. Ich war etwas naß geworden und das glücklicherweise der ganze Schaden, der geschehen, zog mein Thier wieder in die Höhe und ließ es nun, was ich gleich von Anfang an hätte thun sollen, allem hinüberspringen. Meine Be- 271 * gleiter waren ebenfalls abgestiegen und folgten meinem Veifpiele. Von hier ab erreichten wir bald den höchsten Pnnkt'des Passes, der 15,000 Fuß über der Mee-rcsftäche liegen soll, und voll diesem aus ging der Weg ununterbrochen steil zu Thal hinab für fünf Leguas weit, wo wir unser näMes Nachtquartier, das Städtchen Gnaranda, treffen sollten. Dieser Weg war schlecht genug, da es aber glücklicherweise nicht regnete, ging es noch an; wir rückten doch wenigstens langsam vorwärts, und^ich bedauerte nur, daß uns bald dicker Nebel umgab und jeden Blick in das vor' uns liegende tiefe Land verwehrte. Bei klarem Wetter hätten wir von hier aus sogar das Meer erkennen müssen. Erst gegen Abend hellte es sich endlich auf, und jetzt waren wir schon wieder ziemlich tief in einer andern Bergkette, in deren vor uns liegendem freundlichen Thale wir das Städtchen Guaranda deutlich erkennen konnten. Weit besser hatte sich auch jetzt die Vegetation um uns her gestaltet. Das Haidekraut, das uns Noch den ganzen Morgen begleitet, war verschwunden, oder stand nur noch hier und da in einzelnen Büschen; hohes immergrünes und lorbeerähn-liches Gesträuch wuchs, je weiter wir nach unten 272 kamen, höherund höher zu Bäumen auf, und reizende Blumen deckten die Büsche, an denen, wir hinritten. Guaranda liegt noch in keiner tropischen Vegetation, aber doch tief genug, um alle Früchte Quitos und seiner benachbarten Thäder zu ziehen, und die Stadt gewann außerdem sehr bei nur dadurch, daß sie eine recht gute Posada hatte. Das schien übrigens auch nöthig, denn wie sich bald zeigte, waren wir gezwungen, hier einen Tag liegen zu bleiben, weil sich keine Pferde zur Weiterreise auftreiben ließen. In der Posada selber lagen Unmassen von Waaren aufgeschichtet, die theils von Quito für Guajaquil, theils von dieser Stadt für Quito hier angekommen waren und weiter befördert werden sollten, ohne daß Lastthiere dafür beschafft werden konnten. Am nächsten Tage machten wir es aber doch möglich, und ich bekam, was sich später als sehr nützlich erwies, ein sehr gutes Maulthier, meinen Weq bis Bode-gas darauf fortzusetzen. Von Bodegas mußten wir dann zu Wasser nach Guajaquil geheu. Guaranda ist ein ganz niedliches Landstädtchen, das sich aber in Nichts von allen den übrigen Städten des Binnenlandes unterscheidet. Regelmäßig angelegte und regelmäßig erbärmlich ge- 273 Pflasterte Straßen, eine große viereckige Plaza mit klcinen düsteren Verkaufslocalen, in donen tl^ull l^i'äwnt^, Ponchos, Hosenträger, Knöpfe und Glasperlen mit Kattnn und Wollenstoffen, Käse und Dulces feilgeboten werden. Der Tag, den wir dort verbrachten, war Aller Heiligen, einer der größten katholischen Festtage, nnd die Bewohner von Guaranda beschäftigten sich den ganzen Tag damit, auf einem andern freien Platze Ball zu schlagen. Morgens um acht Uhr fingen sie an, und hörten erst ans, als es dunkel wurde. Am zweiten November brachen wir von dort wieder auf, und der Weg zog sich nicht etwa nun dem niederen Lande zu, sondern eher noch mehr in die Höhe, durch ziemlich wellenförmiges Terrain. Um elf Uhr Morgens erreichten wir ein kleines Dorf Tucumbo, wo die Truppen von Flores und von Franco einander bekämpft hatten. Die Soldaten Franco's waren bis hierher in die Berge hineingestiegen, hatten aber Schläge bekommen und mußten nach Bodegas retirircn. Es foll hier auch ziemlich blutig hergegangen sein, was man in südamerikanischen Schlachten eben blutig nennt, wo beide Theile stets die größte Rücksicht für sich selber haben. Manche der Häuser standen aber noch jrtzt abgedeckt, und dicht am Wege fanden wir an Fr, Gcrst.ickcr, Ächlzclm Moualc in Süd-Amcrita. l. 18 274 mehreren Stellen Todtenschädel halb in die steile Lehmwand eingegraben, halb frei zn Tage, als traurige Siegestrophäen der nachrückenden Sieger. Die Nacht hatten wir das schlechteste Nachtquartier von allen bis jetzt bestandenen, in einem Nest, das (üamiuo i-tni genannt wurde. Es war eine so schmntzige, schanerliche Hütte, wie sich nur denken läßt, die wir vor Duntelwerden im vollen Regen erreichten. In der Hütte selber konnten wir nicht einmal lagern, so voll war sie von Frauen, Kindern und Schweinen, und ich schlief daher die Nacht auf einem Baumklotz unter der Verandah, und war nicht im Stande, mich zu erwärmen. Der nächste Tag sollte uns aber dafür belohnen, wenigstens hatten wir jetzt die längste Zeit gefroren. Von hier aus ging der Weg scharf bergab; nach dem Regen der letzten Nacht war der Lehmboden aber schlüpfrig wie nasse Sche geworden, und jetzt zeigte sich der Vortheil der Maulthiere vor den Pferden anf solchem Boden. Wir waren fünf Reifende, drei auf Maulthieren, zwei auf Pferden, und wir D rei kamen unter Rutschen und Gleiten und Lachen und Fluchen selbst über die schlimmsten und steilsten Stellen ganz gut hinweg. Die Thiere schurrten allerdings manchmal auf den 275 Hinterbeinen dreißig, vierzig Schritte abwärts, setzten sich nnch wohl einmal nieder, kamen aber immer wieder anf die Füße, nnd wir blieben ruhig im Sattel hängen, während die beiden anderen Herren gleich zn Anfang von ihren Pferden herunter und zu Fuß gehen mnßten, während die Pferde, felbst leer, ein paar Mal stürzten. Gegen Mittag trocknete der Weg aber ab, die Thiere konnten wieder festen Fuß fassen, und wir erreichten auch jetzt die Thalsohle des kleinen Verabaches, dem wir bis dahin gefolgt waren, nnd von wo ans wir bessern, nicht mehr so steilen Weg hatten. Von hier ans kamen wir denn wieder in die Tropen, um sie nicht mehr zu verlassen; schon am Morgen verschwanden Cactus und Aloe, die Zeugen einer kältern Temperatur; der Wald stellte sich wieder ein mit breitblätterigen Gebüschen und Bäumen und großen herrlichen Blumen, und jetzt, auf einem kleinen Hügel, den wir erreichten, begrüßte uns ein schattiger, herrlicher Platanar, während rechts und links von uns in den Hän-gM die hellgrünen Palmenwipfel aus den dunkleren, sie umgebenden Vüschen schauten. Anch muiv tere Schwärme von Affen hörten wir im Walde, und Alles, mit der warmen, wohlthuenden Luft, _^76 die uns entgegenwehte, verkündete den tropischen Boden, den wir aufs Nene betraten. Von hier bis zur Küstc zieht sich der Weg, von keinem Berg mehr unterbrochen, allmählich ungestört abwärts, und Zuckerrohr und Bananen traf das Auge auf jedem cultivirten Platze. Eben fo zeigte sich eine Menge von Vögeln, die ich bis jetzt noch nicht gesehen, Massen von Kolibris schwirrten um die Vlnmcn, und fremde Vogclstimmen wurden laut. Einer der kleinen Burschen besonders war mir vollkommen neu nnd hatte genau eine Stimme, als ob man mit einem Klöppel an eine kleine gesprungene Glocke schlägt. Kolibris sind übrigens nicht allein die Vc-wohner der heißen Zone, sondern kommen in den höchsten Bergen bis über die Schneelinie vor, ja, die schönste Kolibriart von ganz Ecuador ist ni.r hoch am Chimborazo heimisch, und er als der kleinste, wie der Condor als der größte Vogel Amerikas, sollen allein in solcher Höhe gefunden werden. Die verschiedenen Kolibriarten haben nämlich anch ein streng für sich abgeschiedenes Terrain, das sich weit weniger nach dem Klima, als den dort wachsenden Blumen richtet. Die Kolibrijäger wissen das schon und suchen, wenn sie 277 eine bestimmte Gattung haben wollen, nicht die kleinen Vögel selber, sondern nur die Blumen, von deren Kelchen sie sich nähren. Wenn sie diese finden, sind sie vollkommen sicher, daß sie anch ihre gewünschte Beute antreffen. An dem Abend mußten kür bis lange nach Dunkelwerden reiten, weil wir nirgends Etwas zn essen bekommen konnten, nnd ich mußte zuletzt, als wir nicht weiter konnten, uuch eine Fußwanderung machen, um einige reife und eßbare Bauanen aufzusuchen. Die Faulheit dieses Volkes ist wirklich unbeschreiblich; denn an einer so bebelebten Straße, wo sie Alles nnd gut verkaufen, Wa5 sie ziehen, und Alles ziehen können, was sie nur eben in den Boden stecken, haben sie kaum genng, um selber zu leben. Aber der uächste Tag kümmert sie nicht, wenn das Heute uur, auf der Verandah oder in der Hängematte liegend, glücklich verbracht ist, nnd haben sie wirtlich einmal eine Kleinigkeit zn verkaufen, so halten sie das für so etwas Außerordentliches, daß sie die unverschämtesten Preise dafür fordern. Vi^ hierher hatten wir eine zwulich schlechte Strecke sumpfigen Weges zurückzulegen gehabt, wobei wir den breiten Vergstrom wohl zwanzig Mal kreuzeu mußten; von nun an war der Weg 278 dagegen wie eine Chanssee, trocken,' eben nnd^ hartsandig, eine niedere, mit Weideubüschen bewachsene Pampas, die aber in der Regenzeit völlig unter Wasser steht. Dieser ganze Weg muß in dieser Zeit dann mit Canoes befahren werden, und die Büsche, an denen wir hinritten, zeigten fast durchgängig die deutlichen Spnren, daß sie zehn bis zwölf Fuß tief unter Wasser gestanden hatten. Hier ließen wir denn auch unsere Pferde tüchtig ausgreifen, und da wir schon mn 4 Uhr anf-gebrochen waren, erreichten wir bereits nm 7 Uhr Morgens das Ziel unseres langen Rittes, das am Gnajaquilflusse liegende Vodegas. Natürlich konnten die zu Fnß gehenden Gepäcktreiber jetzt nicht mehr mit uns Schritt halten. Wir hatten sie schon am vorigen Tage zurückgelassen, nnd sie überholten uns hier erst etwa um zwei oder drei Uhr Nachmittags, wo sie aber sicher mit Allem eintrafen. In Vodegas wimmelte es von Soldaten, denn hier, da dieser Ort als der Schlüssel von Guaja-quil betrachtet wnd, hatte Franco zuletzt Fuß gefaßt, bis er ebenfalls der Uebermacht weichen mußte. Das heißt, er war gegangen, so wie sich nur eine passende Gelegenheit dazn bot, nnd die in Bodegas gelieferte Schlacht Nichts als ein ein- 279 faches Scharmützel, bei dem zufällig ein paar Soldaten blieben. Eine Hacienda des General Flores, an der andern Seite des Flusses und Bodegas gerade gegenüber, war von dem Usurpator aber bös zugerichtet und zu einer Caserne benutzt wor-deu, um die her noch immer die Baracken aufgeschlagen standen. Jetzt schallte von allen Ecken und Enden her kriegerischer Lärm der Florianer; überall tauchten kleine Tnivps junger Trompeter auf, die an irgend einer Ecke, ohne den geringsten Grnnd, erschienen, einen Heidenlärm machten und dann spurlos wieder verschwanden. Die Stadt war von Ofsicieren nud Beamten gefüllt, sonst aber sah Alles sehr friedlich ans, denn Niemand dachte daran, sich der neuen, machtigen Herrschaft zu widersetzen, ja, die große Mehrzahl der Bewohner war selber herzlich froh, daß die Franco'sche Wirthschaft endlich einmal zn einem Ende gebracht worden. Es hatte Niemand mehr Freude an der Sache gehabt, und ich glaube, Franco war selber froh, als er das Land endlich mit guter Manier verlassen konnte. Die Stadt Bodegas, die eigentlich nur ans Kanfläden und ewigen Wohnhäusern besteht, ist ein nicht unbedeutender Handelsplatz und hat, wenn auch nicht dem Terrain nach, doch geschäft- 280^ lich eine prachtvolle Lage. Ais hierher werden nämlich sämmtliche Güter für Quito wie für das innere Land auf dem Strom gebracht, um von hier aus auf Packthieren weiter transvortirt zn werden. Eben so kommen alle Güter und Prodncte hierher von Quito, die nach Gnajaquil bestimmt sind, und acht Monate im Jahre haben die Leute allc Hände voll zu thun und verdienen viel Geld. In der Regenzeit aber hört das Alles auf, und zu meinem Erstaunen sah ich auch hier an den Häusern die Spuren des Hochwassers, an einigen zwei und drei Fuß über den Thüren. Sämmtliche Waaren, die jetzt nnten in den Verkaufslocalcn liegen, müssen dann in die erste Etage der Häufer geschafft werden, und die Stadt steht vollkommen unter Wasser, ihre Verbindung nur durch Canoes unterhaltend. Demzufolge sind eine Anzahl von Hänsern gleich so gebaut, daß ihnen das hohe Wasser gar Nichts anhaben kann, nämlich auf einem Floß von Balsa-Stämmen, *) auf denen sie das Steigen ") Das Balsaholz ist, wenn ausgetrocknet, so leicht wie Kork, und da man sehr starte und langc Stämme davon hat, so wird es vortrefflich ;n Flößen verwandt. 281 oder Fallen des Wassers natürlich nicht das Geringste kümmert. Diese Flöße werden zwischen Bodegas und Guayaquil auch sehr viel benutzt, um Waaren zu befördern, und kein Strom kann sich hierzu besser eignen, da die Ebbe und Fluth bis hinauf nach Bodegas reicht, und die Strömung also sowohl für den einen wie für den andern Weg benutzt werden mag. Uebrigens hat anch seit einiger Zeit ein unternehmender Dankce hier ein Dampfboot hergebracht, mit dem er zwischen Vodcgas und Guaja-quil regelmäßige Fahrten macht, und natürlich auch Zu gleicher Zeit ganz hübsches Geld verdient. An, anderer Jankee hat eine Sägemühle bei Guayaquil angelegt und ist ein reicher Mann dabei geworden ; wissen doch diese praktischen Menschen an allen Orten und Enden die besten Plätze und die richtigen Dinge auszusuchen und auszubeuten. Das Dampfboot kam an dem nämlichen Tage nach Bodegas, an dem wir dort, eintrafen — der Cavitain ein so echter Daukee, wie je einer Tabak gekaut hat. Leider aber verzögerte sich feine Rückfahrt auf vier oder fünf Tage, da er ein neues Deck anf sein Boot legen mußte, und ich war deßhalb darauf angewiesen, Passage nach 282 Guayaquil in einem der dorthin abgehenden Boote oder Canoes zu suchen, wo ich freilich darauf rechnen mußte, eine Nacht unterwegs zu bleiben. Mit dem Dampfer waren Sennor Salvador und General Flores von Guajaquil heraufgekommen, und Sennor Salvador führte mich an dem Abend bei dem General ein. Der General ist ein großer, fchöner Mann und soll ein vortrefflicher Soldat sein. Icdenfalls hat er bewiesen, daß er die Kriegführung in diesem Lande versteht, und Guajaquil jetzt schon zweimal, einmal von den Peruanern, und diesmal von Franco's Truppen gereinigt. Als gnter Qui-tener interessirte er sich auch sehr, weniger für die Ansiedelung an: Pailon, als für den neuen, eben coutrahirten Weg, und sprach sich schr günstig darüber aus. Sennor Salvador, der mit der Kittiwake nach Panama gegangen und von dort mit dem Dampfer zurückgekommen war, stand jetzt im Begriff, nach Quito zurückzukehren. Er erzählte nur viel von seiner Fahrt, anf der er sich verschiedene Male in Lebensgefahr geglaubt — es war aber noch Alles glücklich abgelaufen. Indessen bemühte ich mich eine Gelegenheit nach Guajaquil aufzutreiben denn in Bodegas ^, 283 Wollte ich wahrlich keine vier oder fünf Tage liegen bleiben. Ich fand auch ein Boot, das etwas Fracht und einige Passagiere hatte nnd am nächsten Morgen um drei Uhr mit der Ebbe abging, accordirte augenblicklich meine Passage für drei Dollar, und ging um zehn Uhr Abends an Bord; um die Abfahrt nicht etwa zu verschlafen. Unier-wegs hoffte ich dann ausfchlafen und mich von den Strapazen des Qmtener Weges erholen Zu können. Ein paar Stuudeu schlief ich auch, trotz der unbeqnemen Lage in den: offenen Boote, ganz gut — um zwölf Uhr kamen aber noch andere Passagiere — sogar mit einem Betrunkenen, und mein Frieden war gestört. Um halb drei Uhr trafen wieder Andere ein, und wir fanden uns jetzt, während das Boot in der Mitte mit Anissäcken vollgeladen war, hinten im Spiegel desselben mit sechs Mann zusammen, daß wir kaum öequem sitzen konnten. Ich selber drückte mich jetzt so viel als möglich vom Steuerruder fort, weui-ger um dem Steuerruder nicht im Wege Zu fein, sondern um von diesem nicht gestört zu werden, wenn ich ja wieder ein wenig einnicken sollte. Es kam aber kein Steuermann, nnd als die beiden Bootsleute endlich Schlag drei Uhr ihre Nuder aufgriffen, faud es sich, daß uuter den sämmtli- 284 chen ecuadorianifchen Passagieren kein Mann war, der steuern konnte. Das war eine schöne Aussicht auf Ruhe — aber es half Nichts; ich nahm ruhig meinen Platz ein, griff die Steuerreepen auf und ergab mich meinem Schicksale. Der eigentliche Strom ist hier oben nichtsehr breit, macht aber ungehcnere Biegungen, und natürliche Canäle, die diese häufig durchschneiden, werden gern von kleine», Fahrzeugen benutzt, ihren Weg abzukürzen. So glitten wir oft in kleine Abflüsse hinein, die kaum breit genug waren, dem Nudern den nöthigen Naum zu gestatten, manchmal dadurch in einer Viertelstunde lange Meilen Weges abkürzend. Die User waren hier überall niedrig und bewaldet, hier und da aber zeigten sich nicht unbedeutende Platanare und Plantagen mit Zucker, Tabak und VanmwMnpflanzen. Auch außerordentlich viel Cacao wird in der Nähe von Gua-jaquil gebaut und das Land eignet sich ganz vortrefflich dazu. An den verschiedenen Landungsplätzen trafen wir eine Menge von schwimmenden Balsahäusern, theils auf günstige Fluth wartend und, unterwegs theils am Ufer auf eine Zeit lang befestigt, um 285^ als Caf^s und Restaurationen zu dienen. Außerdem gab es Gesellschaft geuug au deu Schlammufern und im Strome selber, und zwar Alligatoren in Masse. Ich hatte bis jetzt immer geglaubt, daß die MiMippisümpfe, was die Zahl der Alligatorm anlangt, von kciuem Laude der Welt übertroffen werden könuteu, ich hatte aber den Guajaquilstrom noch nicht gesehen. Wohin man blickte, schwammen ein paar dieser schmutzig grauen, ekelhaften Burscheu in dem stillen, trüben Wasser herum, uud zur Zeit der Ebbe lagen sie an den Schlammbänken wie eine Heerde Schafe zusammen. Ich habe an eiuer kleinen Schlammbank einmal 51 gezählt, an anderen vierzig und mehr, und wenn ich gcwollt, so hätte ich an dem Morgen mit Leichtigkeit ein paar hundert Alligatoren erlegen können. So aber begnügte ich mich damit, meine Doppelbüchse nach ihnen abzubrennen und schoß zwei, die ich das Verguügeu hatte, sich überschlagen zu sehen. Die Leute erzählen sich schreckliche Geschichten von ihrer Furchtbarkeit, und daß sie gar nicht selten selbst Canoes angreifen und umwerfen sollen. Das sind aber, wie die meisten dieser Sachen, Märchen und Lügen, jedenfalls grobe 286 Uebertreibungen. Daß die Alligatoren, wo sic in solcher Masse sind, nicht alle satt zu essen bekommen, ist schon möglich, und kommt ihnen dann ein Mensch gerade in die Quere, so daß sie weiter Nichts zn thnn brauchen, als das Maul aufzumachen, so schnappen sie auch wohl zu. Daß sie aber am Laude Menschen oder ein Fahrzeug im Wasser angreifen, ist Fabel, und wo wir durch ganze Trnpps von ihnen hinfnhrcn, wichen sie überall scheu aus. Alligatoren sahen wir übrigens in gleicher Masse an beiden Ufern den ganzen Fluß entlang, bis wir den breiten Hauptstrom erreichten und uns mehr in der Mitte, in dessen Strömung hielten; von dort ans konnten wir nicht mehr erkennen, was an seinen Ufern vorging, denn er ist so breit, und an vielen Stellen selbst breiter als der Mississippi. Unsern Weg setzten wir indessen so rasch als möglich fort, mußten aber in der Fluthzeit das Ufer suchen, weil wir nicht gegen die starke Strömung anarbeiten konnten, und verloren dadurch natürlich sehr viel Zeit. So legten wir Morgens und dann wieder Abends um 8 Uhr bei, und ich suchte diese kurze Nastzeit dann jedes Mal 287 zu benutzen, ein paar Stunden nur so nöthigen Schlafes zu gewinnen. Morgens um 2 Uhr warfen wir das Tau zum letzten Mal los — Gua-jaquil war nicht mehr fern, und als wir um die nächste Landspitze bogen, sahen wir die Lichter der Stadt in weiter glänzender Neihe uns ent-gegenleuchten. So hell brannten sie, doch schon dicht vor Morgen, daß ich glaubte, die Stadt müsse durch Gas erleuchtet sent. Es war aber nur Oel, und die Verschwendung der Stadt, ihre Lampen die ganze Nacht durch brennen zu lassen, rechtfertigt oder erklärt sich vielmehr dadurch, daß jeder Hansbesitzer die Lampe, die vor seiner Thür brennt, auch unterhalten muß. Jetzt erreichten wir die äußerste Spitze der Stadt, wo auf einem niederen Hügel das Fort liegt — nicht weit davor und unter dessen Kanonen ankerte ein großer Schooner — eine Ga-leotte — ich hielt unser Boot etwas näher hinüber — richtig, es war die „Kittiwake," sicher hier vom Pailon eingetroffen. Ich hätte ihr gern laut eineil Gruß zugerufen, aber am Bord schlief noch Alles, die einsame Wacht vielleicht ausgenommen, und wie konnten sie wissen, wer im Boote saß. — Rasch glitten wir vorbei — dort lagen noch eine ganze An- 288^ zahl Schiffe, Balsas und Canoes — die Lichter der Stadt leuchteten an unferer Seite und zwischen die kleinen Fahrzeuge am Ufer drängten wir uns hinein, den festen Boden einmal wieder zu betreten. 9. Guayaquil. Es ist eine eigenthümliche Thatsache, daß ich fast jede Hauptstation meiner Reisen in der Nacht anlauft. So bin ich auf meinen früheren Fahrten nach Rio de Janeiro, Buenos AyroZ, Valparaiso, Tahiti, Sidney und Vatavia in der Nacht gekommen, so auf dieser wieder nach dem Pailon, nach Quito und Gnajaquil — bekam also alle diese Orte zuerst in der Morgendämmerung zu sehen. Guayaquil machte da einen nicht unfreundlichen Eindrnck. Unser erstes Entr6e war schon durch lauter Fruchtbote, die dort theils mit uns, aus dem in-Nern Lande kommend, eintrafen, theils schon befestigt und mit Orangen, Ananas und vielen anderen Früchten hoch gefüllt lagen, daß ihr Duft die ganze Nachbarschaft erfüllte. Fr, Gcr stacker, Achlzchn Mouatc in SüdMmcvila. I. 19 290 Die Stadt selber hat dabei in ihrer ganzen Bauart etwas besonders Eigenthümliches, denn Colonnaden laufen durch alle Straßen, über denen die erste Etage steht, und in denen die Eingänge der Hänser und Kaufläden vollkommen trocken im Negcn und schattig in der Sonne liegen — Beides etwas sehr Nöthiges hier, wo es in der Regenzeit in Strömen niedergehen .soll und die Sonne im Sommer ebenfalls tüchtig brennen kann. Dennoch darf man kaum sagen, daß Guajaquil so recht, wie überhaupt ganz Ecuador, ein eigentlich heiß.es Klima hat, denn die Nähe dieser ungeheueren Schneegebirge kühlt überall die Luft ab, daß die Nächte besonders kühl, oft kalt nnd die Morgen und Abende stets sehr frisch und angenehm sind. Nur in der Sonne merkt man, daß man sich unter den Tropen befindet, aber auch dies nur für kurze Zeit, denn der Himmel ist meist immer bewölkt. Auch diesen Morgen hatte ich mich fest in meinen dicken wollenen Poncho einhüllen müssen, um nicht ganz ordentlich unter 2 Grad Süder Breite zu frieren. Jetzt fehnte ich mich vor allen Dingen nach Nnhe, denn ich hatte die letzten vier oder fünf Nächte theils gar nicht, theils sehr mittelmäßig geschlafen, und der Körper fühlte sich 291 matt und erschhpft, Guajaquil zeichnet sich auch darin vortheilhaft vor Qnito aus, daß es verschiedene Hotels und sogar ein recht gutes darunter hat, das Hüwi tiÄn^ik, wohin ich denn auch unverzüglich meine Schritte lenkte. In der jetzigen Zeit aber, und gleich nach Beendigung des Krieges waren so viele Fremde, besonders von Quito und Lima nach Guayaquil gekommen, daß ich kein Zimmer für mich allem fand, sondern mit einem französischen Obrist aus Lima zusammen eingethan wurde. Es war übrigens ein ganz prächtiger Mann, und froh, wenigstens einen anständigen und netten Schlafkameraden zu haben, warf ich mich auf das Bett, noch vor dem Frühstück ein paar Stunden zu rasten. Dort tonnte ich auch zum ersten Mal wieder mit Appetit essen, denn ich wußte, daß die Mahlzeit reinlich zubereitet war. Der Schmutz des innern Landes lag hinter mir, uud meine ecudorischen Leiden waren überstanden. Noch eine andere Annehmlichkeit erwartete mich hier, denn ich fand alle meine, mit dem Dampfer vorausgeschickten Sachen im Hause des Englischen Consuls wieder, der sich derfelben freundlich angenommen. Ich hatte kaum darauf gerechnet, denn 195 292 bei solchen Reisen muß man darauf vorbereitet sein, die Sachen kofferweise los zu werden. Guayaquil schwärmte übrigens noch ärger von Soldaten wie Vodegas. Ueberall waren einzelne Häuser zu Casernen eingerichtet; überall zogen Patrouillen durch die Straßen, überall standen kleine Trupps von Trompetern und bliesen oder marschirten auch nnt einem lnstigen Walzer oder Galopp allein durch die Stadt. Am Wasser hin hielt außerdem eine ganz eigenthümliche Garde Wacht, die in den gemischtesten Uniformen, meist barfuß, mit einer Lanze bewaffnet waren, und dann und wann an irgend einer Ecke, zu irgend einem Zwecke, aufmarschirt standen und Orangen aßen. Auch Lanzen mit kleinen Fahnen sah ich viel, auf denen ein fürchterlicher Todtenkopf drohte. Es waren die Siegor von Guajaquil, die sich ihrer Wichtigkeit völlig bewußt schienen, und mit dem Siege auch in der That noch nicht Alles beendet hatten, denn ein neuer Ausbrnch drohte gerade jetzt von anderer Seite. Der Stadt gegenüber und mitten im Strome ankerten nämlich zwei Peruanische und gar nicht etwa sehr kleine Kriegsdampfer, und lagen jetzt allerdings noch ganz friedlich dort, während ihre Ofsiciere fort- 29^ während an Land kamen, und mit den Bewohnern freundlich verkehrten. Man wußte oder vermuthete aber in der Stadt, daß ihre Absichten oder Instruktionen keineswegs so friedlicher Art seien, und es nur eines Abbrechens der mit Peru gerade jetzt schwebenden Unterhandlungen bedürfe, um ihre Kanonen selber gegen die Stadt zn richten. Und weßhalb? — Niemand konnte darüber eigentlich so recht Rechenschaft geben, denn ein wirklicher Kriegsfall lag in keiner Hinsicht vor, die alten, noch immer nicht regnlirten Grenzstreitigkeiten ausgenommen. Die Sache läßt sich aber dennoch Icicht erklären, wenn,man nur cin klein wenig in die Politik dieser Staaten hineingeschaut hat. Die Ecnadorianer behaupten allerdings, daß der vertriebene General Franco jetzt in Lima säße, und den General Castilla gegen Ecuador aufzuhetzen suche, und das war auch der Fall, wenn Franco selber auch nicht die mindeste Aussicht hat, hier je wic-d«r an die Spitze einer Partei zu kommeu. Der Präsident Castilla würde sich aber hüten, eines Dritten wegen einen doch immer nur zweifelhaften Krieg mit einem Nachbarstaate anzufangen, wenn er nicht selber seine Sonderinteressen dabei hätte. Sein Ziel ist aber, die Grenze zwischen Ecuador 294 und Peru so zu rcguliren, daß ihm fast der dritte Theil dieses Reiches zufallen soll, denn die beabsichtigte Grenze läuft von unter Guajaquil iu fast nordöstlicher Richtung schräg durch ganz Ecuador hin, und würde nicht allein einen sehr fruchtbaren Theil Ecuadors abschneiden, sondern — was die Hauptsache ist, die sämmtlichen südlichen Zuflüsse des Amazonenstroms ausschließlich in die Hände Perus geben. Bis jetzt ist Peru auch weit mächtiger als Ecuador gewesen, denu General Castilla hat fast die sämmtlichen reichen Guano-Einnahmen des Landes darauf verwendet, ein großes Heer zu unterhalten, wie eine, für eine füdamerikanische Republik sehr bedeutende Kriegsflotte zu schaffen, mit der er das, nur auf feine Hafenstadt Guaja-quil angewiesene Ecuador stets im Schach halten und bedrohen konnte. Dagegen war Ecuador nicht blind, und die jetzige Regierung suchte diesem Fehler so viel und so schnell als möglich abzuhelfen, indem sie vor allen Dingen selbst eine Flotte schasste. Ein Kriegsdampfer war Zu diesem Zwecke schon in den Vereinigten Staaten gekauft, und ein Agent dort ernannt, der noch zwei andere bauen lassen oder aufkaufen sollte, und das Englische Fahrzeug, die 295 Kittiwake, die zu einem Kricgsschooner eingerichtet und mit Kanonen und Munition versehen war, wurde von dem cdai-^6 ä'l>Mir6k der Regierung, Smnor Salvador, zu eben diesem Zwecke im Pailon angekauft. Dieser konnte auch leicht nach Guayaquil gesandt werden, wo die Negierung schon einige kleinere Kriegsschooner liegen hatte; bis die Dampfer aber von New-Dork nur die Reise um Kap Horn machten, darübcr vergingen noch lange Monate, und in dieser Zeit war die Hafenstadt deßhalb so schutzlos wie je, gegen die Nebermacht der Feinde. Ecuador hat aber auch noch außerdem einen für Peru in einem Kriege mit diesem Staate sehr unbequemen Bundesgenossen, nämlich den süd-licheu Nachbar Perus, Bolivia, das Ursache genug zur Klage gegen Peru hat. Ein Blick auf die Karte macht das augenblicklich klar. Peru hat nämlich, mit der Ausnahme eines schmaleu sandigen Küstenpunktes, Bolivia gänzlich von der See abgeschnitten, und ihm seinen besten und eigentlich einzigen ordentlichen Hafen Arika weggenommen. Der einzige Verkehr mit Bolivia besteht aber über Arika, deun von Cobija, dem Bolivischen Hafen aus müsscu die Reisenden viele lange und beschwerliche Meilen durch eine Wasser- 296 leere Sandwüste ziehen. Welche Unbequemlichkeit und Nachtheile das nun für Bolivia hat, läßt sich denken, die Bolivier sind dabei ein tapferes uud unternehmendes Volk, und scheinen fest entschlossen zu sein, ihr früheres Land, das für sie zur Lebensfrage geworden, mit Güte oder — wenn nicht anders — mit Gewalt wieder ihrem Reiche einverleibt zu bekommen. Es ist indeß eine alte Wahrheit, deren Nichtbeachtung wir in Deutschland schon so schwer gebüßt haben, und noch immer büßen, daß man mit einem mächtigen Gegner nur danu etwas erreichen kann, wenn man entschieden gegen ihn auftritt, und die richtigen Schritte thut, ihm gefährlich zu werden, nicht durch zweideutige Diplomaten blos berathen läßt, wie diese Schritte wohl möglicherweise ausgeführt werden können. Zu diesem Zwecke hat sich Bolivia mit dem gleichfalls von Peru bedrohten Ecuador, als richtigem und bestem Bundesgenossen, in Verbindung gesetzt, und ich darf glauben, daß beide Staaten fest entschlossen sind, im Fall der Noth vereint gegen Peru loszubrechen. Geschieht das dann wirklich, so werden die Grenzstreitigkeiten beider Länder in kurzer Zeit rcgulirt sein, denn an bei- 297 den Grenzen zugleich ist Peru nicht im Stande, einen für es vortheilhaften Krieg zu führen. General Castilla weiß dies auch recht gut, und befolgt genau denselben Plan, welchen Louis Napoleon bis jetzt mit so gutem Glück in Europa befolgt hat: er sucht den einen Staat hinzuhalten, bis er mit dem andern fertig ist, und ich hoffe zu Gott, daß er es hier mit keinem Oesterreich und Preußen zn thun hat, die sich eben — hinhalten lassen. General Castilla hat nämlich mit Bolivia Unterhandlungen angeknüpft, ihnen das fragliche Gebiet, von dem er doch fühlt, daß er es auf die Länge der Zeit nicht halten kann, für eine gewisse Summe Geldes abzutreten, und diese Verhandlungen sollen bereils so weit gediehen sein, daß es sich nur noch um die Hauptsache, den Ve-trag dieser Snmme, handelt. Am Tage vorher aber, an dem ich Guayaquil verließ, lief das Gerücht um, daß die Bolivier über die peruanische Grenze und in ihr altes Gebiet eingebrochen seien, wo sie die Stelle besetzt hätten, die bis dahin der peruanische General inne gehabt, und wenn das auch vielleicht nicht vollständig begründet ist, muß doch etwas Wahres an der Sache sein. Jedenfalls verräth es das, was man hier erwartet, und ein eigenes Zusammentressen schien 298 es, daß der eine peruanische Dampfer noch an dem nämlichen Abend heizte, und nach Dunkelwerden still und geräuschlos dcn Strom hinabglitt. Außerdem erwartet die ccuadorianische Negierung keineswegs etwas Gutes von ihren Nachbarn, wenn es auch bis jetzt noch nicht zu offenen Feindseligkeiten gekommen ist. In der Stadt sowohl als weiter unten im Strome, an dem dort gelegenen alten spanischen Fort, wird unausgesetzt gearbeitet, um Alles in besten Verthcidigungsstand zu setzen und zu montireu. Eben so ließ General Flores cine Anzahl von besonders construirten Kugeln gießen, welche, wenn das Gerücht wahr ist, die neue Entdeckung des alten griechischen Feuers enthalten, und in dem Fall den peruanischen Dampfern allerdings verschiedene Unannehmlichkeiten bereiten könnten.*) Für Ecuador wäre freilich ein Krieg in diesem Augenblicke — was Peru recht gut zu wissen schien — doppelt unangenehm gewesen, denn erstens war es nicht vollständig gerüstet, und durch den letzten Bürgerkrieg ziemlich blank an baarem Gelde, und dann selbst die eigene Negierung noch *) Die Vcdrohlmg Guajaqmlö durch peruanische Kriegs« schiffe besteht, den neuesten Nachrichten nach, bis auf den heutigeu Tag. 299 nicht geordnet und festgestellt, was erst in der nächsten Zeit, durch die Wahl eines Präsidenten, geschehen sollte, und Garcia Morena wurde später wirklich gewählt, während Flores die Militärobergewalt behielt. Ein Theil der Ecuadorianer verlangte oder wünschte allerdings den General Flores zum Präsidenten, ein gnter General ist dieser kleinen Nepnblik aber eben so nöthig wie ein guter Präsident, denn es drohen ihr noch Schwierigkeiten von allen Seiten, die sie nur überwinden kann, wenn sie dem übermüthigen Nachbar nicht allein gerüstet gegenüber bleibt, sondern ihn selber zwingt, ihre Stärke anzuerkennen und zu achten. General Flores hat aber bewiesen, daß er ein guter General ist, wenigstens in diesem Lande, denn er hat zweimal auf ganz charakteristische und kecke Weise Guayaquil genommen. Das eine Mal standen die Pernaner dort, um die nämliche Sache zu erzwingen, die sie jetzt durchsetzen wollen, nnd waren stark genug, der Ecuador-Armee eiuen gefährlichen Widerstand in der Stadt zu leisten, wenn sie die anrückenden Soldaten vollkommen gerüstet empfingen. Es galt deßhalb sie zu überlisten, und dies bewerkstelligte der General so schlau als erfolgreich. An der einen Seite ist Guajaquil von einer 300 weiten Ebene begrenzt, auf der eine Menge Vieh weidete. Dort lagerten die Ecuadorianer in einer gedeckten Stellung, nnd von dort her erwarteten die Peruaner auch den Angriff. Während Flores nun in aller Stille die Stadt umging, um dem Feinde in die Flanke zu fallen, ließ er zugleich diefe Heerden durch einen Theil seiner Leute zu-fammen und dcr Stadt zutreiben. Dahinter kam eine Anzahl von Trommelschlägern und Trompetern, die so viel Lärm als möglich machten, und die Signale einer anrückenden Armee bliesen. Die Peruaner hörten den Lärm, hörten das Trampen des scheu gemachten Viehs, das sie für Cavallerie hielten, sahen endlich den Staub auf der weiten Fläche aufwirbeln, und warfen leichtsinniger Weise ihre ganze Macht der friedlichen Heerde entgegnen, indeß General Flores in den preisgegebenen Theil der Stadt einzog und leichten Sieg erfocht. Den leicht angreifbaren Theil hatte Franco jetzt besser vertheidigt, und ein Hügel, der dicse Stel-ten bestrich, war mit Kanonen gespickt. Dagegen war der südliche Theil der Stadt gar nicht befestigt und nur mittelmäßig bewacht, da eine Armee hier nicht gut angreifen konnte, sie hätte denn erst durch einen bösen Manglaren- oder Mangrove- 301 Sumpf marschiren müssen. Dazu entschloß sich aber General Flores, und obgleich Franco Nachricht davon bekam, und ein Detachement ihm entgegenwarf, um den Paß zu vertheidigen, rückte General Flores in der Nacht doch in den Manglaren-Sumpf ein, poftirte überall in die Bänme wieder Trompeter, die den Feind glauben machen muhten daß er mit seiner ganzen Macht anrücke, und trieb das kleine Detachement Franco's so in Furcht, daß es seine Posten verließ, und er ohne Schwierigkeit Nachts um 1 Uhr in Guayaquil einrücken konnte. Die Guajaqnilener behaupten indessen, daß die Soldaten Franco's in den letzten Monaten keinen Sold mehr empfangen haben, uud feft entschlossen gewesen seien, nicht mehr zu kämpfen. Franco selber war schon vorher auf einein peruanischen Kriegsdampfer geflüchtet; eben so hatte sich sein Stab in Sicherheit gebracht, nnd den Soldaten kann man es da nicht verdenken, daß sie ihre Haut nicht allein zu Markte trugen. Interesse hatten sie überhaupt nicht an der Sache, denn ihnen konnte es völlig gleichgültig sein — und war es auch — welche von den beiden Parteien siegte, die eine oder die andere. Franco selber hatte auch wahrscheinlich die Geschichte satt, denn daß 302 er mit der halben Provinz Guajaqml Nichts gegen ganz Ecuador ansrichten konnte, wo ev noch dazu wußte, daß ihm selbst die Bewohner des Theils nicht gewogen waren, den er noch von seinen Truppen besetzt hielt, konnte er sich recht gut denken. Freilich aufgeben und lm Stiche lassen wollte er es auch nicht; wie er aber die Ausrede hatte, daß er von der Uebermacht des Feindes vertrieben worden sei, ging er sicherlich mit dem größten Vergnügen. Sein Schäfchen wird er dabei wohl in's Trockene gebracht haben, wenigstens hat er in Guayaquil genug Negierungsschnldeu hinterlassen. So ruhig ging übrigens die Eroberung von Gnajaquil ab, daß die Bewohner des nördlichen Theils der Stadt erst am andern Morgen erfuhren, sie hätten die Herren gewechselt. Sie hörten wohl vereinzelte Schüsse in der Nacht, dann war aber Alles wieder still, und die Truppen des Generals Flores besetzten die Stadt ohne weiteren Widerstand. Selbst der mit Kanonen gespickte Berg wurde nicht vertheidigt. Der Commandeur desselben, ein alter Amerikaner, hielt es für zweckmäßiger, den General Franco zu begleiten, und die Soldaten flüchteten, so wie die Florianer anrückten. Viele von diesen, die nicht in Gefangenschaft gerathen wollten, liefen den Berg hinab 303 und in das Wasser hinein, um sich durch Schwimmen zu retten, wo sie meist von den Booten der dort ankernden Schiffe aufgenommen wurden. Viele ertranken aber auch, denn der Fluß hat eine furchtbare Strömung. Im Kampfe selber blieben nur sehr wenige. Der kleine Fluß, welchen General Flores diesmal überschritt, um den Feind in die Flanke zu fallen, heißt der Salado, und nach ihm wird jetzt der von der Negiernng angekaufte englische Schooner, die Kittiwake, „Salado" genannt. Kittiwake ist überhaupt ein Name, den die Spanier gar nicht im Stande sind ausznsprechen. Ecuador hat auch jetzt in neuester Zeit, und zwar erst nach dem Siege, seine Flagge verändert, und zwar wieder die alte Flagge der früheren Ne-publick Columbia angenommen. Bis jetzt hatte es zwei weiße Streifen und in der Mitte einen blauen mit weißen Sternen. Jetzt hat es, horizontal laufend, Gelb, Blau und Noth, und diese Flagge weht nun von allen NegierungZgebäüden uud Schiffen, wie an den Lanzen der Soldaten. Eine tolle Verwirrung gab dies aber besonders in Quito, wo nicht genug Zeug von der richtigen Farbe so rasch aufgetriebcn werden konnte, um die Fahnen zur Siegesfeier herzustellen. Alle mög- 304 lichen ähnlichen Farben nmßten da aushelfen, und Nosa, Hinnnelblau nnd Weiß war eine der gewöhnlichsten. Selbst in Guajaqnil weht übcr verschiedenen Gebänden die rnfsische Sceflagge Weiß, Vlan nnd Noth, wo statt des Weiß nicht gleich Gelb gcfnnden werden konnte. Aber was thut's! Die Leute wissen doch, was es bedcntet, und es erreicht somit seinen Zweck. Guayaquil ist ein nicht unbedeutender Platz an der Westküste Amerikas, denn von hier aus wird bis jetzt der meiste und beste Cacao ausgeführt. Ja, für die Westküste ist es in der That, neben dem unbedeutenden Esmeraldas, fast der einzige Hafen für diesen Handel. Eine andere bedeutende Ausfuhr ist Kautschuk, oder Gnmmi-Elasticum, Tabak und besonhers Holz und Bambus, das nach Peru geführt wird und vortreffliche Preise bringt. Eben so wird die Farbeftflanze Orchilla, und Cascarilla, die Ninde des Chinm-baums, in ganzen Schiffsladungen entsendet, und dann und wann anch etwas Kaffee ausgeführt. Es giebt dabei kaum ein besseres Land für das Zuckerrohr als Ecuador; Zucker wird aber, merkwürdigerweise, eingeführt, und eben fo Weizen aus Chile, den das'Land im Innern in großer 305^ Menge baut, für den es aber keine Wege hat, um ihn an die See zu bringen. Baumwolle und Wolle, Beides mit Vortheil in Ecuador gezogen, kommt nicht M Ausfuhr. Einfnhrartikel sind besonders Manufactmen und Getränke, dann Glas- und Steingutwaarm mit Porzellan, kurze Waaren und überhaupt alle europäischen Güter, mit Ausnahme grober Tuche und Baumwollenzeuge, die viel in Quito verfertigt werden. In Guajaqml ist nur eine Sägemühle, eine Eisengießerei und eine Mahlmühle, was aber Alles natürlich nicht einmal für den eigenen Gebranch der Stadt ausreicht. Der ganze bedeutende Hau del mit dieser Stadt — Ackerproducte und französische Weine, wie überhaupt Getränke aus Chile ausgenommen — ist fast ausschließlich in den Händen der Amerikaner, die mit ihren Waaren die ganze Westküste versehen, und doch könnten deutsche Schiffe mit deutschen Gütern hier ausgezeichnete Geschäfte machen, wenn meine deutschen Landsleute nur ein klein Wenig uuterneh-meud wären. Der Deutsche will aber immer vollkommen sicher gehen, ehe er irgend etwas Neues unternimmt. Er will vor allen Dingen eine Garantie seines Erfolges haben — eine Gewähr von ssr. Geistä «er, Achtzehn Monate in Süd-Amerika. I, 20 306 der Regierung — und bis er damit zu Stande kommt, sind ihm andere Nationen überall voraus. Unser irdenes Geschirr würde einen vortrefflichen Markt in allen Städten der Westküste finden, und doch trifft man fast nur Teller und Tassen mit amerikanischen Adlern. Unsere billi> gen und besseren Kattune würden sich so leicht verkaufen wie die englischen und amerikanischen, und tausend andere zum Haushalt gehörige Dinge hübschen Gewinn abwerfen, besonders wenn sie gut assortirt wären. Glänzende Geschäfte würde aber ein Schiff machen, das gutes Schisssbrod (Zwieback), und zwar von weißem Mehl, hier herüberführte, denn das Hundertpfund wird jetzt mit neun bis zehn Dollars in Guajaquil verkauft, und ist dafür nicht einmal zu haben. Eben so fehlt es fortwährend an gesalzenem Rind- und Schweinefleisch für die Schiffe, die irgend einen Preis dafür bezahlen würden. Was das Schiff dann in Guayaquil nicht absetzen könnte, fände in Esmeraldas, Tomaco und Vuenventura einen vortrefflichen Markt. Die eigentliche Stadt Guajaquil beschränkt sich nur auf die zwei mit dem Wasser gleichlaufenden 307 Straßen, und die zweite selbst nur theilweise eingerechnet, wo die meisten Engrosgeschäfte liegen. In der Frontstraße (die Straßen habeil übrigens keine Namen) sind sämmtliche Detailgeschäfte, und die Leute fangen an ihre Waarenlager ein wenig geschmackvoll und mehr nach europäischem Geschmack herzurichten, ja, es ist sogar jetzt im Werke, die ganze Stadt mit einer Gasleitung zu versehen. Der vordere Theil der Stadt ist somit sehr freundlich uud auch reinlich gehalten; verläßt man aber diesen Theil der Stadt, dann kann man auch getrost sein Taschentuch vor die Nase nehmen, und wird rasch wieder das bessere Viertel aufsuchen. In Guajaquil wie iu ganz Ecuador ist kein einziger deutscher Cousul, weder von Oesterreich noch Preußen, weder von Hamburg noch Bremen, noch irgend einem der kleineren Staaten. „Und was schadet das?" Leider muß ich darauf zur Antwort geben: gar Nichts; denn wenn wirklich ein Consul irgend eines kleinen Staates hier sein großes Schild aufgehangen hätte: die Deutschen Wären deßhalb doch noch nicht in ihren Rechten geschützt, und er würde höchstens dazu gebraucht werden, die kleinen unbedeutenden Streitigkeiten auf deutschen Schiffen zu schlichten. Nicht einmal M5 308 einen Pah hätte er auszustellen, wo Niemand nach einem Passe fragt. Wann aber werden wir endlich cinmal anfangen, wenigstens den Fremden gegenüber, zu thun, als ob wir eine Nation wären? Wann wird endlich einmal diese kleinliche Eifersucht in Deutschland aufhören, um dem Ganzen eine Vertretung nach außen zu gönnen? Wir haben hier wieder den Beweis in Ecuador gehabt, wo Franco als willkürlicher Herrscher über das Eigenthum von Einheimischen und Fremden verfügte. Nur Engläuder und Franzosen ließ er unberührt, weil er wußte, daß er sich an diese nicht wagen dürfe; hätte er aber sämmtliche Deutsche in Guayaquil ausgeplündert, wer wäre da gewesen, der ihn darüber zur Rechenschaft gefordert hätte? In Deutschland will jeder erbärmliche kleine Bmncnstaat eine Großmacht sein, und die Her-rsn vergessen ganz, oder wollen es nicht sehen, daß gerade wegen dieses verzweifelten Dünkels nicht einmal das ganze Dentfchland eine Großmacht sein kann. Ich habe einmal ein allerliebstes kleines Gedicht gclescn, wo beim Untergang der Welt die Engel das wunderschöne deutsche Land mit sich hinauf in den Himmel tragen, und 309 sich dort oben — ein Geduldspiel daraus machen. Das Gedicht durfte freilich uicht gedruckt werden, die Sache blieb aber deßhalb geuau dieselbe, und die Erbitterung iu den Herzen derer, die es mit ihrem Vaterland wirklich gut meinen, steigt von Tag zu Tag. Die kleinen deutschen Staaten handeln aber gerade so wie unsere deutschen Kaufleute — außerordentlich vorsichtig nur auf ihren eigenen Geldbeutel, das heißt auf ihre eigene Macht bedacht, von der sie Nichts riskiren wollen, bis ihnen Jemand die Garantie giebt, daß ihnen Alles, was sie haben, bleiben soll. Keiner von uns mißgönnt ihnen diese Macht; Keinem würde es einfallen, den Wunsch zu hegen, daß sie ihrer verlustig gingen, wenn sie dieselbe nur wenigstens dazu benutzen wollten, ihr eigenes Vaterland zu schlitzen, und in den Augen der Welt ihm Achtung zu verschaffen. Wir haben einen deutschen Vund, aber wozu, im Namen alles gesunden Menschenverstandes, ist er da, wenn er nicht einmal seine Vertreter nach außen senden kann, und dies jedem kleinen einzelnen Staate selber überlassen muß? Der deutsche Handel hat sich aber so weit über die Welt ausgebreitet, deutsche Schiffe befahren jetzt so häufig alle Meere, daß ein Schutz der deutschen Iutcr- 310 cssen im Auslande dringend nöthig geworden ist, und nicht mehr nöthiger werden kann. Consuln der verschiedenen Länder richten aber gar Nichts aus, denn sie haben keine Macht, werden von den fremden Behörden selber nicht im Geringsten respektirt, und sind eigentlich weiter Nichts, als eine Auszeichnung für die Betreffenden, ein leerer Titel, den diese als Handgriff zn ihrem Namen benutzen. Der Deutsche hat nun einmal die traurige Schwachheit, daß cr sich nicht unlieber nennen hört, als bei seinem eigenen Namen, und Alles daran setzt, einen bnntcn Einband dafür zu bekommen. Eine Vertretung nach anßen kann deßhalb in den Hauptstaaten fremder Welttheile, mit denen wir in Verbindung stehen/ nur durch wirkliche Gesandte oder wenigstens Legationssecretaire stattfinden. — Diese aber ist durch die einzelnen kleinen Staaten nicht denkbar, denn — wirklich angenommen, daß wir das Geld für solche Ausgaben hätten, können wir uns nicht so blosstcllen, rinige dreißig Gesandte für Deutschland nach einem fremden Staat Zn schicken, während England und Frankreich nur jedes einen einzigen haben. Gesandte dürfen deßhalb nur von Deutschland 311 selber, und wenn es denn nun einmal nicht anders sein kann — vom deutschen Bunde gesandt werden, und Deutschland muß dann auch entschlossen sein, irgend eine, ihren Landeskindern angethane Unbill aufzunehmen und zu strafen. EZ ist traurig, wie wir jetzt hier draußen in der Fremde vertreten sind, es ist aber noch trauriger, die Fremden selber über uns reden zu hören. Sie sagen Sachen, die ich nicht einmal schreiben kann, denn es würde sie Niemand drucken wollen „und wollt' ich sie Alle zusammenschmeißen, ich könnte sie doch nicht Lügner heißen." Mit solch' bitteren Gefühlen treibt sich der Deutsche im Auslande herum. Dem, der es wirklich gut mit seinem Vaterlande meint, dreht es das Herz in der Brust herum, und der das nicht so fühlt, oder dem es einerlei ist, was aus Deutschland wird, wenn er selber nur Geld verdient, der, statt sich überhaupt im Ganzen zu schämen, daß er auf der Welt ist, schämt sich ou äotaii, daß er ein Deutscher ist, und thut sein Möglichstes, nicht als solcher erkannt zu werden. Hat aber schon Jemand einen Amerikaner oder Engländer gesehen, der sich seines Vaterlandes schämte? — 312 Für deutsche Schiffe die deutsche Flagge — für deutsche Interessen eine einige Vertretung Deutschlands — Beides ist eine Nothwendigkeit, und gebe Gott, daß deutsche Regierungen sie endlich einsehen und danach handeln wollen — aber sie thun's doch nicht. 10. Jagd in Ecuador. Wenn man in einem der benachbarten Staaten Lente spricht, die einmal in einein der Ecua? dor-Häfen waren, nnd fragt sie dann nach der Jagd dieses Landes, so lassen sie ihrer Phantasie vollkommen freien Lauf, nnd Ecuador ist, ihren Berichten nach, das Paradies der Jäger: Tiger in Unmasse, Hirsche, so viel man haben will, wilde Schweine, daß es gefährlich ist, in den Wald zu gehen, nnd nnr als einziges Hinderniß einer herrlichen Jagd schildern sie die gefährliche Menge von Schlangen, denetl man fast bei jedem Schritte begegne. Solche entsetzliche Geschichten hatten sie mir in der That von diesem fatalen Ungeziefer erzählt, daß ich mir ein Stück starkes Nindsleder in Esmeraldas kaufte, und mir selber ein Paar Leg- 314 gias davon machte, so unbequem und schwer, wie ich sie je getragen, — um sie nach meinem ersten Iagdtage in Ecuador wieder als vollkommen nutzlos wegzuwerfen. Ja, es g iebt Schlangen in Ecuador, und darunter einige sehr giftige, wie es deren aber auch in allen heißen Ländern, und hier noch lange nicht so viel wie in den Sümpfen Nordamerikas, gibt. Ich bin viel, sehr viel in den Wäldern gewesen, und habe in der ganzen Zeit meines dortigen Aufenthaltes vielleicht acht oder neun kleine Schlangen gesehen, die sämmtlich froh warm, wenn sie mir aus dem Wege kommen konnten. Das alfo dürfte der Jäger als kein Hinderniß betrachten, denn mit der geringsten Vorsicht kann man ihnen sehr leicht ausweichen. Ueberdics gehen die Eingeborenen stets barfuß und mit bis an die Kniee nackten Beinen in den Wald, ein deutlicher Beweis, daß die Gefahr vor Schlangen nicht so entsetzlich groß sein kann. Ein weit schlimmeres Hinderniß aber für die Jagd, dort, wo es wirklich Wild giebt, ist der unbeschreiblich dichte Urwald, mit seinem Untcrholze und seinen Dornen, denen man eben nicht so, wie den Schlangen, ausweichen kann. Man ist dabei an den wenigsten Stellen im Stande, wei- 315 ter als höchstens zwanzig Schritt zu sehen, und wo man wirklich noch deu Schein eines Stückes Wild auf eine größere Distanz erkennen kann, ist immer Zehn gegen Eins zu wetten, daß die Kugel irgendwo einen Zweig berührt, der sie aus ihrer Richtung lenkt. Außerdem kann man nicht ohne Geräusch durch dieses Dickicht dringen, wo der Jäger bald mit dem Kopf, bald mit den Füßen, bald mit dem Gewehr in einer oder der andern Schlingpflanze hängen bleibt und oft das Messer zu Hülfe nehmen muß, sich nur Vahn zu hauen. Das Wild aber hört das schon auf weite Entfernung und hat weiter Nichts zu thun, als der Gefahr ruhig aus dem Wege zu gehen. Es giebt allerdings großes jagdbares Flugwild, das aufbäumt und also im günstigsten Falle, wenn es nicht durch die fabelhafte Vegetation, durch einen Palmenwipfel oder die mit Schlina> Pflanzen behangenen Zweige des Baumes selber verstockt wird, gesehen und erlegt werden kann. Das aber ist eigentlich keine Jagd, es ist eben nur ein Erlegen von Wild. Man sieht es und muß rasch schießen, damit es nicht wieder auf einem andern Zweige dem Blick entschwindet, und hat keine weitere Freude daran, als daß man es fallen hört und dann nach Hause tragen kann. 316 Was mich betrifft, so habe ich auf der Jagd weit weniger Freude an dem wirklichen Erlegen eines Wildes, als an der Aufregung, die demselben vorhergehen muß, wenn das Ganze nicht ein bloßes Todtschießen sein soll. Das A-n pirschen an ein Wild ist der größte Genuß, den ich kenne, das Bewußtsein selbst, das mit den schärfsten Sinnen begabte Wild überlistet zu haben, läßt uns dann alle deßhalb überstandenen Beschwerden vergessen, und die Erinnerung daran allein ist es, was uns später erfreut. Hört einmal einen alten Jäger seine Jagd-Erlebnisse erzählen, bei was weilt er mit dem größten Vergnügen, und nur zu oft mit der größten Breite? Bei dem ersten Entdecken des Wildes, bei seinem Anpirschen, wie er den Wind nahm, wie die ersehnte Beute ihm doch noch fast entgangen wäre, welche List er gebrauchen mußte, sie zu täuschen, und zuletzt der Schuß ist Nebensache und wird nur eben laicht hin, als Schluß des Ganzen, erwähnt. Hier dagegen ist der Schuß Alles; mau arbeitet sich den ganzen Tag mühsam durch Schlamm und Dornen, watet, überdies schon bis auf die Haut naß, durch Bäche und Moräste, stürzt über 317 Baumstümpfe und Wurzeln, sieht endlich Etwas, schießt schnell, und — dir Jagd ist vorbei. Außerdcm hört die Jagd auch wirklich auf, ein Vergnügen zn sein, wenn man sich den ganzen ans geschlagenen Tag in Nässe und Schlamm herumtreiben muß nnd nur zn oft, wenn man endlich eiuma! zum Schuß kommt, durch das Versagen der beiden Nohre angenehm überrascht wird. Dabei giebt es kein traurigeres Klima für eine gezogene Büchse, als die Niederungen von Ecuador es haben, denn wenn man nicht jeden Tag die Büchse rnuigt, oder sie nicht wenigstens jeden Morgen abschießt und frisch ladet, so kann man sich auch fest daranf verlassen, daß sie eben, im entscheidenden Moment versagt, und alle Mühe und Arbeit war umsonst. Außerdcm muß man die Nohre immer sorgfältig verstopft halten, denn es giebt hicr eine kleine nichtswürdige grüne Fliege (von den Eingeborenen scherzhaft ^mißu genannt), die in Nichts lieber ihr zähes Harz, von dem sie ihre Wohnung baut, hineinklebt, als in den obern Theil eines Flintenlanfs. Und wie außerordentlich schwer nnd umständlich ist der nachher wieder davon zu befreien! Ich bin gewiß ein eifriger Jäger, und scheue dabei keine Beschwerde und Entbehrung, denn mir 318 ist eben die Jagd die Hauptsache, nicht das Frühstück, wie sehr vielen sogenannten Schützen im lieben deutschen Vaterlande, aber es muß auch wirklich Jagd sein. Aber kein Frühstück, keine Jagd und nur Beschwerden und Entbehrungen ermüden auch deu Eifrigsten, und ich hatte es zuletzt so satt, mit der Büchse in den Wald zu gehen, daß ich es nur that, wenn ich nothgedrungen mußte, — daß heißt, wenn ich gar nichts Anderes zu leben hatte. Die einzige wirkliche Jagd, die man hier hat — aber auch keine Pirsche —, ist die auf wilde Schweine, von denen es ziemlich viele giebt. Diese aber muß mit Hunden geführt werden, denn wollte man darauf ausgehen, sie.so im Walde zu finden und unbemerkt an sie hinan zu kommen, so müßte man es eben dem Zufall überlassen — ein sehr prekäres Ding, das ohne wahrscheinlichen Erfolg jedenfalls einen oder zwei Tage Marsch durch diesen Wald und möglicherweise auch noch ein Nachtquartier im Regen kostet. Doch ich will lieber das hier getroffene Wild einzeln durchnehmen, damit ich Nichts zu wiederholen brauche. Um mit dem edelsteu Wilde, dem Tiger, zu beginnen, so kann ich den Leser so weit beruhigen, daß er diese Thiere hier nicht zu fürchten 319 ^ braucht. Ich habe mehrmals allein und ohne Feuer im Walde geschlafen und bin nie von ihnen belästigt worden — ja, mehr als das — ich habe auf all' meinen Iagdzügen in Ecuador auch nicht ein einziges Mal felbst nur die Fährte eines Tigers gefunden, und der weiche Boden dort bewahrt die Fährten., trotz fallenden: Negen, Wochen und Monden lang auf. Es foil allerdings dann nnd wann dort einer erlegt worden fein, das fcheint mir aber eben so etwa, als ob bei uns ein oder den andern Winter einmal ein Wolf geschossen wird. Jedenfalls möchte ein Jäger, der hier eine Tigerjagd veranstalten wollte, den nämlichen Erfolg haben, wie bei uns auf einer Wolfsjagd. Eine kleinere, sehr schön gestreifte Art von Tigerkatze giebt es dagegen, die, etwa von der Größe eines Jagdhundes, einzeln angetroffen wird. Ich habe ihre Fährten mehrfach am Wasser gesehen, aber nie eine davon zum Schuß bekommen können. Eben so habe ich einmal die Fährte eines nicht sehr großen Bären gesehen, und zwischen Guayaquil und dem ChimboraZo soll es viele geben. Der Wald ist aber dort so furchtbar verwachsen, daß es vollständig unmöglich ist, ihnen beizukommen. So weit die wilden Bestien Ecuadors, deren 320 Zahl allerdings nicht Legion zu sein scheint. Ganz anders stellt es sich dagegen mit den wilden Schweinen, die in großen Nudeln in den Wäldern angetroffen werden, und denen, mit Hülfe eines oder mehrerer guten Hunde, auch zu Zeiten beizukommen ist. EZ giebt hier zwei Arten, Seinos oder SeynoZ und Tatabra genannt. Die Seynos sind die größeren, kommen aber unserm Schwarzwild nicht gleich, und werden auch, trotzdem daß sie ganz vortreffliche Mast in einer wilden Casta-nieuart haben, eigentlich nie wirklich fett. Ich habe einige in der besten Zeit geschossen, und sie hatten kaum eineu Viertelzoll Weißes. Die SeynoZ haben dabei noch eine andere Eigenthümlichkeit — sie stinken. Auf dem Nucken nämlich, etwa in der Gegend der Nieren, tragen sie eineu runden Beutel von der Größe einer halben Orange, oben mit einer kleinen Oeffnung, der von deu Eingeborenen in einer Art grober Schmeichelei der MoschuZbcutcl genannt wird und eine furchtbar duftende Flüssigkeit enthält. So stark ist dieser Geruch, daß selbst der Mensch dieses Wild, wenn er mit gutem Niud hinan kommt, auf viele hundert Schritt wittern kaun. Weniger auffallend ist derselbe allerdings, wenn sie sich ruhig verhalten, auf der Flucht verbreiten sie 321 aber einen ganz peslilenzialischen Duft. Glücklicherweise sitzt dieser Sack jedoch nur in der Haut und kann mit dieser sehr leicht ausgeschnitten werden. Das muß auch augenblicklich geschehen, wenn ein Stück erlegt ist, oder es wird eben vollkommen ungenießbar. Ein angeschossenes Stück, das man erst viele Stunden später findet, kann man eben so gut ungestört verenden und draußen lassen, denn es lohnt das Heimtragen nicht — nicht einmal die Hunde frcsseu das Fleisch. Die Eber haben ein ziemlich starkes und scharfes Gewehr; die jungen Frischlinge sind braunroth und qnictschcn nicht, wie die unsrigen, sondern schreien genau wie kleine Kinder. Die Eingeborenen von Ecuador nun (und man darf darunter nicht etwa Indianer verstehen, denn es ist eine Mifchlingsrace, die von Weißen, Negern, Indianern und Gott weiß was abstammt) betreiben die Jagd dieses Thieres nur mit Hunden, und führen selber gewöhnlich eine Art von alten, einläufigen Flinten, auf die sie sich selber nicht verlassen mögen. Es hängt auch wirtlich nur vom Zufall oder Glück ab, ob so ein Ding dann gerade, wenn man es brauchen will, losgeht oder nicht; deßhalb führen sie noch eine etwas lange Lanze mit zweischneidiger Spitze und 322 einem langen elastischen Stiele von Biguarriholz, um das einmal von den Hunden gestellte Wild damit zu erlegen. Die Hunde jagen vortrefflich, und finden sie Schweine im Walde, so suchen sie eines zu fassen, das durch sein Schreien augenblicklich die anderen zur Stelle bringt. Der Jäger hat dann nur zuzusehen, daß er in Schußnähe oder so nahe hinankommen kann, eines mit seiner Lanze zn erlegen. Manche nehmen in der That nur die Lanze mit in den Wald, um nicht durch das doch nntzlose Schießeisen behindert zu werdm. Einem deutschen Jäger — die Herren Bauern natürlich nicht gerechnet — würde sich auch das Herz im Leibe herumdrehen, wenn er mit einer solchen Schießwaffe auf die Jagd gehen sollte, und ich will nur ein Beispiel anführen, wie sie manchmal reparirt werden. Einer der Eingeborenen, ein Nachbar von mir, kam eines Tages zu mir, mich um ein Piston zu bitten, da das seinige wie ein hohler Zahn aussah und nicht mehr Feuer geben wollte. Ich hatte mehrere bei mir und gab ihm eins davon, das sich aber für feinen Lauf als zu dünn erwies — es füllte die Schraube nicht ganz aus, faßte also auch nicht darin. Ich bedauerte, ihm kein ande- 323 res geben zu können; er meinte aber, wenn ich ihm dieses nur überlassen wolle, das sei vortrefflich. Sehr vergnügt verließ er mich auch, und kam etwa nach einer Stunde wieder zurück, mir zu zeigen, wie er sein Gewehr „componirt" hatte. Das Piston saß jetzt allerdings darin fest, so rauh die Geschichte aussah, und als ich ihn fragte, wie er es gemacht habe, sagte er: „O, ganz einfach; ich habe den Lauf in's Feuer gesetzt, bis er glühend war, dann das Piston hineingethan, und mit einem kleinen Beil so lange darum her geklopft, bis ich das weich gewordene Eisen fest hatte." Das Gewehr schoß jetzt auch wirklich wieder, und das war Alles, was er davon verlangte. Von der Wildheit dieser Seynos werden viele Beispiele erzählt, nnd äußerst gefährlich sollen sie für den Jäger sein — wie man mir sagte —, da sie sich fast jedes Mal gegen ihn wenden. Ich habe sie jedoch nicht so gefunden, und glaube auch nicht, daß diese Leute auf die Jagd derselben nur Mit einer Lanze bewaffnet gehen würden, wenn das eben wirklich der Fall wäre. Mehrmals habe ich Seynos im Walde getroffen und erlegt, und bin jedes Mal, wenn die Hunde sie gestellt hatten, mitten in das Rudel hineingesprungen, ohne daß sie mich ein einziges Mal angenommen hätten». 21" 324 Im Gegentheil suchten sie immer so rasch als möglich mir aus dem Wege zu kommm, und liefen dann so schnell sie laufen konnten. Eben so geringen Erfolg habe ich von den Lanzen gesehen, denn die Eingeborenen, die ich mit mir hatte, haben nur ein einziges Mal, während ich dabei war, ein Schwein damit erlegt, und Zwar einen Frischling. Die andere Gattung Schweine, die Tatabras, sind noch kleiner als die vorigen, und sie sollen weiß und schwarz sein. Obgleich ich aber ihre Fährten sehr häufig im Walde fand, bin ich nie im Stande gewesen, ein Nudel von ihnen zu stellen, oder auch nur zu Gesicht zu bekommen. Gin anderes jagdbares Thier, das sich in den Niederungen aufhält, wird Coneja genannt. Co-neja bedeutet aber ein Kaninchen, deren es eine wahre Unmasse in den Gebirgen giebt, und dieses Thier der Niederungen ist keineswegs ein Kaninchen, mit dem es nicht die entfernteste Aehnlich-keit hat. Es ist ein Mittelding zwischen dem Hamster und dem Dachs, braun von Farbe, mit ziemlich hartem Haar, etwa von der Größe einer nicht starken Fischotter, aber viel dünner und lang, hat sehr kurze Lauscher, lange Nagezähne und Nägel, zum Erdgraben'gemacht, und läuft, unähn- 325 lich dem Dachs und Hamster, so rasch wie ein Kaninchen. Diese Thiere bauen in der Erde, und ihr Wildpret schmeckt in der That ganz delikat. Anch Hirsche giebt es in den niederen Wäldern, aber es ist nicht möglich, sie zum Schuß zu bekommen; die Dickichte sind zu groß und dicht, und der Hirsch hört den Jäger zu früh, um Zeit genug zum Fliehen zu haben. Die Fährte aber, die ich von ihnen fand, ist klein, wie die des vir-ginifchen Hirsches,, und wahrscheinlich ist es der nämliche, der sich weiter oben in den Gebirgen findet. Dieser hat ähnlich wie der virgimsche Hirsch das Geweih gestellt, d. h. erst vom Grind zurück und dann nach vorn gebogen. In den Ebenen von Gnajnaqml kommt aber eine andere Gattung vor, die ein Geweih hat ähnlich wie unsere Nehböcke, nur natürlich etwas stärker. Ich glaube fast, daß manche monströs große Nehbocks-Gehörne in Deutschland ihre eigentliche Heimath in Ecuador oder Süd-Amerika haben. Gern hätte ich von Quito aus auch eine Hirschjagd gemacht, denn eine Tagereise von dort soll es noch sehr viele geben. Einmal bin ich aber in dieser Hinsicht schon zn oft angeführt worden, und habe manche Tagereise nm Nichts gemacht, und dann war ich auch die ganze Zeit in Quito 326 so krank und elend, daß ich es aufgeben mußte, eine solche Jagd zu wagen. Ich brauchte die wenigen Tage der Ruhe nothwendig zu meiner Erholung und Stärkung, denn ich hatte noch eine lange, beschwerliche Reise vor mir. Was das Flugwild betrifft, so ist es eine merkwürdige Thatsache, daß es dem ganzen Staate Ecuador, wenigstens in allen Theilen, die ich besucht habe, also durch den größten Theil des ganzen Staates, vollständig an jagdbarem Wassergeflügel fehlt. Das einzige, das ich dort gesehen habe, ist eine große Art Strandläufer mit langem Schnabel, eine Art Rohrdommel und verschiedene Arten von Reiher. Keine Art von Schnepfe oder Becassine lebt aber in den zahlreichen Sümpfen, und auf allen Bayen und Strömen des ganzen Landes habe ich nicht eine einzige wilde Ente gesehen. Eben so wenig finden sich wilde Gänse dort, und ich weiß in der That nicht, watz die Ursache sein kann, denn weiter im Süden ist Amerika außerordentlich reich an diesem Wild. Ein sehr schöner jagdbarer Vogel findet sich aber dagegen in den Wäldern — und zwar nicht volkweise, wie der wilde Truthahn, sondern immer zu Paaren, und zwar der sogenannte Pauchi. Es ist ein Vogel größer als ein Truthahn und das Männchen schwarz, das Weibchen rostbraun mit dunkelbrauner Rückendecke, und beide mit einem hohen Federbusche geziert, ganz dem ähnlich, wie ihn bei uns der Wiedehopf trägt, nur natürlich im Verhältniß ihrer Größe! Das Wildpret des Pauchi ist. ausgezeichnet, weiß und äußerst schmackhaft, und dabei außerordentlich zart. Dasselbe läßt sich nicht von dem Pava sagen, einer Art kleinem Truthahne, etwa von der Größe eines sehr starken Fasans, der ziemlich häufig gesunden wird, aber ein außerordentlich zähes Fleisch hat. Die Ständer und Flügel sind beinahe gar nicht zu kauen und werden, wie der Flügel einer alten wilden Gans, immer dicker im Munde, je länger man darauf beißt. Das Männchen desselben hat an jeder Seite des Halses einen sehr schönen rothen Kamm, und der Vogel sieht im Ganzen recht hübsch aus, ist auch nicht eben schwer zu schießen, da er, wenn er aufbäumt, häufig den Ast wechselt und dadurch seine Stellung verräth. Zwei Arten von Nebhühnern giebt es — ein sehr großes graues und ein kleines braunes, das aber mit der Kugel nicht zu erlegen ist, da es in den Dickichten vor den Hunden rasch aussteht und 328 sehr bald wieder einfällt und dann läuft. Es bäumt nie auf. Die Brütezeit der verschiedenen Vögel scheint dabei entweder ganz verschieden oder vollkommen unregelmäßig zu sein, und in diesem warmen Klima ist das letztere am Wahrscheinlichsten. Ich habe nämlich an einem und demselben Tage ein Nest mit grünen Eiern der großen grauen Nebhühnerart gefunden, und junge, schon fast vollständig ausgewachsene Pavas geschossen, während ich auf dem Heimwege einem brauuen Nebhuhue begegnete, das ein einzelnes,, wie es schien, ebcn ausgekrochcnes Junges bei sich hatte uud auf das Zärtlichste beschützte. So dicht lief es bei mir zwischen den Füßen herum, sein Junges erst in Sicherheit zu' bringen, daß ich es hätte mit meinem Bergstock erschlagen können. Mein Bursche, den ich als Träger bei mir hatte, wollte es auch in der That thun — er mußte es aber bleiben lassen. Als Hauptwild von allem gilt den Eingeborenen noch der Affe, den sie für eine Delicatesse halten; wenn ich aber auch mehrmals gezwungen war, gegen meinen Willen eins dieser Thiere zu schießen, um eben Proviant für die Leute zu haben, so habe ich mich doch selber nie dazu ent- 329 schließen können, von ihrem Fleische zu kosten. Sie sind einmal zn menschenähnlich, jede Bewegung ist fast der unseren gleich, und ich wandte mich selbst in Ekel ab, wenn ich nur sah, wie diese Thiere von Anderen gegessen wurden. So viel fühle ich, so leicht ich mich an ein wildes Leben gewöhnen könnte, zum wirklichen Menschenfresser wäre ich ein und alle Mal verdorben. Es giebt verschiedene Arten von Affen hier, von denen ich drei gesehen habe. Nur der große schwarze wird gegessen, der etwa von der Höhe eines vierjährigen Kindes ist und einen langen Schwanz hat. Eine andere Art ist der kleine schwarze Affe nut vollkommen weißbehaarwn Gesicht, der außerordentlich possierlich ist, und dann, weiter im Süden, von gleicher Größe ein kleiner gelber Affe. Sie sind meist in Trupps — jedenfalls Familien — beisammen, und machen zu Zeiten einen wahren Heidenlärm. In der Nähe von Guajaqml thun sie den Cacao - Pflanzungen beträchtlichen Schaden, und werden schon deßhalb eifrig verfolgt und erlegt. 11. Ecuador und seine ^roducte. Es giebt wohl kaum ein Laud der Welt, das bei einem unerschöpflich fruchtbaren Boden ein mannigfaltigeres Terrain und Klima hat, wie Ecuador. Das niedere Land längs der Seelüste, wie auch an den östlichen Hängen und Flächen der Cordilleren, erzeugt alle Producte der heißen Zone, während feine Berge durch die ganze gemäßigte Zone hindurch bis zu der Schneegrenze theils unsere europäischen Nutzpflanzen hervorbringen, theils herrlichen und immerwährenden Weidegrund liefern. Und doch ist an vielen Stellen kaum erst der Beginn gemacht, dieses Land zu cultiviren, an sehr vielen noch nicht einmal damit begonnen, und lange Jahre werden noch vergehen, ehe dieser Boden nur erst einmal im Stande ist zu be- 331 weisen, was er eigentlich leisten, was hervorbringen kann. Für jetzt fehlt dem Lande allerdings noch eine Hauptbeoingniß der Cultnr: gute Verbindungswege; sind aber erst einmal ordentliche Straßen gebaut — und der Contract, in welchem der Hauptweg für Fuhrwerk beendet sein muß, lautet auf vier Jahre —, dann werden auch Tausende von Aeckern in Angriff genommen und bebaut werden, und die Seestadt Ecuadors wird nicht mehr genöthigt sein, Zucker und Weizen einzuführen, sondern Schiffsladungen dieser Güter werden in fremde Häfen gesandt werden. Das Hanptprodukt Ecuadors ist aber jedenfalls Cacao und bildet schon jetzt seinen wichtigsten und besten Ausfuhr-Artikel, dessen Preis in letzter Zeit bedeutend gestiegen ist. Vor einigen Jahren noch konnte man das Quintal oder hundert Pfund für elf Dollars Ecuadorgeld *) kau- *) Ecuador hat das schlechteste Gelb in ganz Amerika, und der dortige Dollar ist nicht in 8 Real abgetheilt, wie in den übrigen Republiken, fondern in 10 oder 9 Dimes öder auch Neal genannt. Eigenthümlicher Weise hat dieser Dollar nicht einmal den nämlichen Werth, denn an der Nord« Westküste, bis weit hinein in's Land, srlbst noch in Ibarra, werden 10 Ncal auf den Dollar gerechnet, und ein Franken« ftllck wird mit vollem Werth für 2 Neal gerechnet, 4 Franken 332 fen, während es jetzt auf fünfzehn, achtzehn Dollars steht. Der Cacaobanm verlangt einen warmen, feuchten Boden und Schatten für die junge Pflanze, wenn er gut und kräftig gedeihen soll. Das niedere Land von Emador eignet sich ganz vortrefflich dazu, und ist auch in der That das Vaterland des Cacaobanmes, da die beste Art desselben, der weiße Cacao, noch wild angetroffen wird und besonders Ecuador eigenthümlich ist. Um Land für eine Cacao-Pflauzung urbar zu machen, ist eigentlich Nichts weiter nöthig, als die dichten Büsche im Walde abzuhacken und die großen starken Bäume zu fällen; die kleineren dage-geu bleiben alle stehen, damit sie der jungen Pflanze noch hinlänglichen Schatten geben. Diese können dann, wenn die Cacaobäume einmal vier Jahre alt sind und selber ein dichtes Lanbdach haben, leicht und ohne Gefahr für die Fruchtbäume ent- auf den Dollar, wahrend in Quito und auf dem ganzen Wege von Quito bis Guajaqml dcr Dollar nur 9 Real hat, und häufig 9 gute Real (mit dcu Säulen) für einen schlechten Ecuador-Dollar gewechselt werden, während dcr gute Dollar (^Wnzz tu^rtL) nnr 8 zählt. Ein pe»u« luert.« aber von Mexico, Peru, Nen-Grauada :c. gilt übcrall 1« Neal. Besonders hoch stehen die L.-St. Englands, für welche 6 Dollars Gcuadorgeld bezahlt werden/ 333 fernt werden, während das mit den größeren Stämmen nicht möglich wäre. Sie würden in ihrem Sturze in der ganzen Pflanzung große Verwüstung anrichten. Die einzige Schwierigkeit, die es in diesen feuchten, dichten Wäldern bei einer solchen Urbarmachung hat, ist die, daß man gar nicht im Stande ist, einen der gefällten Stämme, wenn man das Holz nicht zu anderen Zwecken verwenden kann, zu verbrennen. Sie fangen eben dort kein Feuer und müssen entweder zerschlagen und fortgeschafft werden, oder auf der Stelle, wo sie liegen, verfaulen. Die jungen Cacaopflanzen werden dann, wenn der Grund gehörig vorbereitet ist, in vier Vavas (die Vara drei Fuß) Entfernung von einander gesteckt, und die ersten drei Jahre hat der Pflanzer allerdings nicht unbedeutende Arbeit anf seinem Lande, das Unkraut fern zu halten, daß es die jungen Schößlinge nicht tödtet und erstickt. Dieses Unkraut besteht hauptsächlich in einer Schlingpflanze, die dem nordamerikanischen Peavine außerordentlich ähnlich ist und von dem Vieh leidenschaftlich geliebt wird. Man darf das Vieh nur leider nicht in die Cacaogärten lassen, denn wenn es das Unkraut auch niederhalten würde, frißt 334 es doch eben so gern die jnngen Cacao-Schößlinge und möchte bald damit aufräumen. Nach drei Jahren hat der junge Baum aber selber schon so viel Blätter, daß er sich nicht allein gegen die Sonne schützen kann, sondern auch das bis jetzt unter ihm wuchernde Unkraut tödtet, und von da an erfordert es außerordentlich wenig Arbeit mehr, die Cacaogärten von jeder anderen Schmarotzerpflanze frei zu halten. Von da an fängt dsr Baum aber auch schon an zu tragen, und im vierten Jahre liefert er eine volle Ernte. Die Cacaobohne wächst in einer dunkelrothen, länglichen und eckigen Schale, von sehr verschiedener Größe. Man hat Fruchte von 6 und andere von 12 bis selbst 14 Zoll Länge, die etwa gerade so stark im Umfange sind — also 3—5 Zoll im Durchmesser. Die Bohnen liegen darin eng zusammen, in einer sehr wohlschmeckenden, säuerlich süßen, pelzartigen Umhüllung und müssen reif aus der Schale genommen und in der Sonne getrocknet werden. Die Farbe dieser Schale wie der Nüsse ist sehr verschieden. Die Schale des gewöhnlichen Cacao ist dunkelroth mit bräunlichen Kanten — die des weißen Cacao hellgelb mit Purpurrändern. Die Bohnen des gewöhnlichen Cacao find im 335 Innern dunkelbraun, die des weißen licht violet, und die aus diesen gefertigte Chocolade sieht genau so aus, als ob sie mit vieler Milch gekocht wäre. Ihr Geschmack ist auch außerordentlich gewürzreich und angenehm, und der sogenannte weiße Cacao wird im Markt bedeutend höher bezahlt. Wenn der gewöhnliche 15 Dollars kostet, steht dieser auf 25 und 2s Dollars. In dcr Gegend von Guayaquil wächst der schlechteste Cacao Ecuadors, nach Esmeraldas zu und in Esmeraldas eine sehr gute Art, und am Pailon und nördlich vom Pailon, im Süden von Neu-Granada, der beste und gewürzreichste, und sonderbarer Weise nimmt das eben so wieder nach Norden ab, so daß bei Vuenventura eine minder gute Gattung gedeiht, als mehr im Süden, und weiter nach Panama zu die geringste Neu-Gra-nadas. Die Chocolade wird hier im Lande nicht in eisernen Mörsern gestoßen, wie in Amerika, sondern die Bohnen werden mühsam zwischen Zwei Steinen zerrieben. Die Ecuaoorianer behaupten, daß die Chocolade bedeutend an Güte verlöre, wenn sie mit Metall in Berührung käme. Am Pailon und ich glaube auch im südlichen Theile von Pailon, haben die Leute noch außer- 336 dem den Glauben, daß der Cacao nur mit abnehmendem Mond gepflückt werden dürfe, wie sie denn überhaupt dem Mond die größte Vollmacht über alle ihre Arbeiten und Handlungen einräumen. An vielen Stellen werden Cacao-Pflanzen nicht im Baumschatten angelegt, sondern die jungen Schößlinge in Platanare oder Pisang-Pflanzungen gesteckt, von deren Schatten sie dann abhängig sind. Reifen die Früchte des einen Pisang, und wird dieser umgehauen, so sind indessen schon wieder verschiedene andere breitblätterige Schößlinge aufgewachsen. Dennoch halten viele Pflanzer es nicht für zweckmäßig und ziehen es vor, ihre Cacao-Pflanznngen im Walde anzulegen. Eben solche Pflege, wie der Camo, verlangt der junge Kasfeebaum, und ich habe sogar gesehen, daß kurze hohle Bambusstöcke über die jungen Pflanzen gestülpt wurden, sie vor der Sonne genügend zu schützen. Ecuador zicht ebenfalls einen ganz ausgezeichneten Kaffee, und in Ibarra habe ich Kaffee getrunken, der mit dem Mokka die größte Aehnlich-keit hatte. Bis jetzt wird aber noch außerordentlich wenig ausgeführt und das Wenige, was man zieht, im Lande verbraucht. Zucker dagegen wird eingeführt, und doch 337 giebt es auf der Welt keinen besseren Boden für Zuckerrohr, wie eben Ecuador. In Paramba habe ich Nohr gesehen, das neun Monate alt war und wenigstens 3 Zoll im Durchmesser und eine Unmasse von Saft hatte — fünfzehn Monate verlangt das Nohr aber hier zu seiner vollständigen Reife. Zuckerrohr wird unn zwar in allen Theilen des Landes gebaut, wo das Land nur im Mindesten urbar gemacht und wann genug gelegen ist. Ja, selbst schon hoch in den Bergen findet man die hellgrünen, mit diesem Rohr bepflanzten Felder. Das dort gezogene aber ist eine kleinere, viel geringere Art, knrz, dünn und holzige mit nur sehr weuig Saft, während das im tiefen Lande gezogene langglicdlig, stark, weichfaseng und voll von Zuckersaft ist. Zum Auspresscu desselben bedient man sich freilich noch der primitivsten Maschinen: Holz-Walzen, von Menschenhänden gedreht, oder, wo die Cultur etwas vorgeschritten ist, Metallwalzen, von Ochsen in Veweguug gesetzt. Natürlich geht die Arbeit dadurch nicht allein sehr langsam, von Statten, sondern es bleibt auch noch eine Menge Saft im Nohve sitzen und wird dadurch verloren. Der ausgepreßte Saft wird fast allein in Ecuador Fr. Gcrstäclcr, Achtzehn Monate in 'Tnd-Amcvita. I, ,^2 338 zur Bereitung von einer sehr mittelmäßigen, oft sehr schlechten und scharfen ^glia. aräicmt« benutzt, das mau auch in großeu Quantitäten über Auis abzieht und nachher ^.m^äu nennt. Der Verbrauch dieses/ schwerlich gesunden Getränkes ist enorm, und die Regierung, die für den Verkauf eine Licenz aus giebt, muß eine nicht unbedeuteude Revenue davon haben. Den Saft läßt man zu einem anderen Getränk, guarapo genaunt, gähren, und in der richtigen Reife getrunken, schmeckt dieses sehr angenehm und ist erfrischend. Zucker wird fast gar uicht bereitet, nur Syrup (Miel) eingekocht, und ein feuchter, gelber, sehr ordi-uärer Zucker ebenfalls bereitet, der raMlimn heißt. Gin nicht unbedeutendes Product Ecuadors, das aber uoch weuig zur Ausfuhr gekommen ist, und meist im Lande selber verbraucht wird, ist der Tabak. Esmeraldas erzeugt da jedenfalls den besten in ganz SüdMmerika, selbst den Ambalcma Neu-Granada's uicht ausgenommen. Das Blatt des Esmeralda-Tabaks eignet sich besonders schön zu Deckblättern; sie haben eine vortreffliche Farbe und sind sehr schön und reich punttirt. Die davon gemachten Cigarren sind leicht, aber sehr wohlschmeckend. Schwerer ist ein Tabak von eben- 339 falls sehr schöner Farbe, dcr in der Nähe von Guajaquil wächst und Daulc genannt wird. In Esmeraldas werden sehr viele Cigarren gemacht und gnt gearbeitet, und man kann das ganze Tausend dort für fünf Dollar kaufen, aber es ist nie Vorrath davon da. Eine andere, sehr wichtige Pflanze, die später einen bedeutenden Ausfuhrartikel geben, und jetzt noch nicht einmal im Lande selber benutzt wird, ist die dort wild wachsende Vanille, ein Schlinggewächs, das an feuchten schattigen Stellen hoch an den Näumen des Waldes emporrankt, und seine herrlichsten Früchte noch unbenutzt, ja fast noch un-gekanut, zum Herbst in das gefallene Laub hinabschüttelt, nm dort Zu verfaulen. — Ao viel ich weiß, hat ma:l erst an einer Stelle angefangen sie wirklich zu ziehen, und zwar in Malbncho, unfern von Paramba, bis wohin der Manlthierpfad lwn Quito ab, durch die Imbaburra-Provmz führt. Indigo wächst auch in einigen Theilen des Landes wild, und könnte jedenfalls mit Leichtigkeit cultivirt werden. Ziemlich bedeutend könnte ebenfalls Kautschuk oder Gummi elastienm ausgeführt werden, wenn die Lente nur eben arbeiten wollten, und sich Mühe gäben, Etwas zu verdienen. Zwischen Es- 22* 340^ meraldas und deni Pailon stchcn ci^e Unmasse von Kautschuk-Baumöl, im Verhältniß wird aber davon nur sehr wenig gewonnen, und das Wenige noch dazu auf eine so summarische Weise, daß der Ekuadorianer dabei das vernichtet, was er ängstlich schonen sollte — den Baum, der ihm reichen Nutzen liefern könnte. Anstatt diesen nämlich, wie das in anderen Ländern geschieht, nur die Gummimüch einfach abzuzapfen, haut er den ganzen Baum um, gewinnt dadurch allerdings auf einmal mehr, als er durch bloßes Anzapfen gewinnen würde, aber er vernichtet sich zu gleicher Zeit auf immer den Baum selber, der jetzt im Walde verfault, anstatt neue Milch zu sammeln. Außerdem glaube ich, daß aus dieser Gewinnungsart dem Gummi noch ein anderer Nachtheil erwächst. Der Eeuadoriauische Gummi ist nämlich anerkannt schlechter, wie der jedes andern Landes, wo das nämliche Product gewonnen wird, denn er enthält cine scharfe Sänre, die erst ans ihm entfert werden muß, ehe er benutzt werdcn kaim, und auf Schiffen fogar die Säcke durchfrißt, in die er gewöhnlich gepackt ist. Die Ursache dieser Säure ist noch nicht genau erforscht, es scheint aber keine ganz unbegründete Vermuthung, wenn ich anuehme, daß dies^ Säure nur durch das Fäl- 341 len des Baumes selber in den Gummi tritt, denn jeder Baum hat mehr oder weniger Säure in seinem Safte, die aber nicht so ausströmen kann, wenn ihm der Gummi nur durch Anzapfen entzogen wird. Der Zuckerahorn giebt durch Anzapfen Zucker; es ist aber sehr die Frage, ob der Zucker so gut sein würde, wenn man den ganzen Baum fällte, denn daß ein Baum in seinen Fasern zwei verschiedene Producte zubereiteu oder erzeugen kann, davon liefert eine Nadelholz art in Californien den besten Beweis. Diese schwitzt, neben dem stark Terpentin Halligen und äußerst scharf schmek-kenden Harz, das ihm entquillt, einen vollkommen weißen, trocknen Zucker ans, der an und unter seiner Rinde, an kranken oder gebrannten Stellen des Baumes sitzt. Den Gummi selber benutzen die Eingeborenen zu Fackeln und Lichtern, indem sie ihn in Stangen kneten und mit Bast oder altem Zeug umwickeln. Wenn Man eine solche Fackel in der Hand trägt, mnß man sich aber außerordentlich in Acht nehmen, daß kein brennender Tropfen darauf fällt, denu die Brandwunden von diesem Gummi sind änßerst bös, nnd heilen außerordentlich schwer — wie ich zu meinem Schaden selbst ^ 342 erfahren habe. Ich mußte die Wuude^ zuletzt mit Höllenstein ausbrennen. Ein wichtiger Baum für dieses Land ist außerdem die Guynul-Palme — im Süden von Ecuador Mocarra genannt. Aus ihren Blättern werden die vorzüglichsten und feinsten sogenannten Panama-Hüte verfertigt, die man selbst hier im Lande von einem Dollar an bis zu 30 und 40 Dollars das Stück verkauft. Leider kosten aber anch hierbei fast immer zwei, höchstens drei Hüte einen Baum, da mau nur die beiden letztausgeschossenen, noch ganz jungen Blätter verarbeiten und die Palme selber uicht erklettern kaun, diese Blätter auszuschneiden. Die Palme ist nämlich dicht nüt wohl 6 bis 7 Zoll langen, harten und spitzen Dornen, ja, man könnte sagen, Stacheln, besetzt, die ein Ersteigen zur Unmöglichkeit machen. Man muß sich sogar hüten, sie uur leise zu berühreu, deun sie haften augenblicklich im Fleische. Diese Blätter werden dann gehörig welk gemacht und zubereitet, und sind, wenn Znletzt völlig trocken, so weich und schmiegsam, und lassen sich so spalten, daß sie zu den feinsten Arbeiten verwandt werden können. Die Preise sind deßhalb uur so theuer, weil die Leute, in ihrer grenzenlosen Faulheit, so entsetzlich lange daran arbeiten; 343 " denn selbst am Pailon habe ich Mehrere an einem Hute arbeiten sehen, dessen Deckel schon fertig war, als ich an den Pailon kam, nnd an dessen Rand sie noch wenigstens jeden Tag eine halbe Stunde knüpften, als ich den Ort nach über drei Monaten wieder verließ. Noch ein anderes Palmblatt wird zu Hüten verwandt und zu diesem Zweck ordentlich angepflanzt. Die Faser desselben ist aber weit härter und unbiegsamer als die der Guynub Palme, und es liefert deßhalb auch nur die ordinären Hüte. Die- Guynul-Palme wächst wild, und das harte und eisenseste Außeuholz derselben (denn im Innern hat sie ein Mart, wie alle Palmen) wird von den Ecuadorianern zu ihren sogenannten Marimbas, einer Art Holzharmonika, benutzt. Baumwolle gedeiht vortrefflich, erfordert aber viele Arbeit beim Pflücken und Neinigen, und deßhalb finden die Emadoriauer auch, wie es scheint, keine große Freude an der Zucht derselben. Sie wird wenigstens noch keineswegs genug angebaut, um ausgeführt zu werden. In Ecuador sind zwei Gattungen heimisch, die weiße und die gelbe (Nanking), die letztere besonders mit einer sehr lebhaften, schönen Farbe. In Quito verarbeitet man beide zusammen zu 344 Ponchos und anderen Dingen. Der Boden scheint für diese Pflanze aber besonders geeignet, denn wo ich sie auch sah, fand ich sie mit reichgefüllten Kapseln überdeckt und in beträchtlicher Höhe wachsend. Einer spätern Zeit ist es freilich vorbehalten, ihre so wichtige Cultur noch weiter zu verbreiten und auszubeuten. Ein anderes Product dieses reichen, fast noch jungfräulichen Landes ist das vegetabilische Elfenbein oder die fogenannte Negrito-Nuß (in Gua-jaq'uil und Quito Koroso genannt). Die Negrito-Palme wächst nicht sehr hoch und liebt feuchten, schattigen Boden, ja selbst Sumpf, steht aber auch auf niederen Hügeln, .wenn sie eben dichten Schatten genug dort findet. Ihre Früchte wachfen am Stamme heraus, dicht unter der Nlattkrone, und gleichen großen braunen, gemusterten Kegelkugeln, in denen sich die Negrito-Nüsse nach und nach iu einzelnen, regelmäßig abgetheilten Gefächern entwickeln. In der ersten Zeit, wenn man eine solche Kugel mit uoch unreifen Nüssen mit der Macheta oder dem Jagdmesser spaltet, spritzt eine Masse Saft heraus, und die Nuß besteht dann noch ans einem kühlen, aber ziemlich fad schmeckenden Wasser. Etwas weiter gereift, setzt sich inwendig um ihre Schale (die 345 ^ b Nuß ist etwa so dick, wie cine starke Wallnuß, und nur etwas länger) ein geleeartiger, wässeriger Kern, der jetzt sehr angenehm süß schmeckt. Noch mehr gereift, wird diese Gelee zu einer zähen, immer noch genießbaren Masse, die aber jetzt keinen rechten Geschmack mehr hat, bis diese dann endlich ganz erhärtet, und zwar so hart und spröde wird, wie Elfenbein, sich auch vollkommen wie dieses verarbeiten läßt. Die Farbe der Nuß in: Iu-neru ist nur etwas bläulicher, als das Elfenbein selber, doch eignet sich die Masse ganz vortrefflich zu all' jenen kleinen Arbeiten, loie Knöpfen, Stock-knöpfeu, Schnitzereien und Spielereien, Schachfiguren :c. :c. Die Nüsse selber liegen in Unmasse im Walde umher, und mau braucht sie eben nur aufzulesen, wozu aber die faulen Eingeborenen kaum zu bringen sind. Jedenfalls könnten sie mit Leichtigkeit und in großer Zahl gesammelt und verschifft werden, und sie werden ja selbst jetzt schon sehr häufig in Deutschland verwendet uud gut bezahlt. In Englaud hat mau es schou seit längereu Jahren gethan und sie besonders Zur Knopf-Fabrikation genutzt. Ecuador ist außerdem die Heimath des Chininbaumes, der aber bis jetzt noch fast ausschließ- 346 lich am andern Hange der Cordilleren, an den Quellen und Zuflüssen des Amazoneustromes wächst, dessen Rinde aber auch jetzt schon häufig von Guajaqml aus verschickt wird, während man damit umgeht, ihn ebenfalls an die Westküste zu verpflanzen. Eines der wichtigsten Nohproducte des Landes ist aber jedenfalls das Holz, und ich weiß wirklich kein Land der Welt, wo es mannichfachcre und werthvollere Holzarten giebt, als gerade hier. Besonders siud es harte Hölzer, die den ecuado-rischen Wald füllen, und schon jetzt haben einzelne kleinere Fahrzeuge am Pailon eine Ladung Holz eingenommen und nach Peru gebracht. Sie fanden es also doch vortheilhaft, diesen, noch eigentlich vollkommen fremden und gar nicht cxvlorir-ten Hasen anzulaufen, und viel Zeit zu versäu-meu, ihre Ladung an Vord zu bekommen, nnr jener werthvollen Hölzer wegen. Die vorzüglichsten sind: das Viguarri, das semes Gleicheu an Härte und feinem Korn wohl kaum auf der Welt findet. Als Pfosten in der Erde giebt es nichts Besseres, und erst eine Zeit lang unter Grund, wird das Holz fast wie zu Stein. Es würle sich ganz ausgezeichnet zu Drcchs-lerarbeiten eignen. — Nach ihm kommt der Gua- ^ ^4? jacan, dann Carbonero, Hähua, Marckende, Cha-nul, Noble, und wie die edlen Hölzer alle heißen, von denen man die mächtigsten Stämme in diesen Wäldern findet. Ebenso trifft man auch den Mahagonibaum — hier Kende genannt — der, wenn er polirt und alt, an schöner dunkler Farbe dem an der Oftküste Nichts nachgiebt. Das Holz, das ich von diesem Baume gesehen habe, war nur nicht so reich gemasert. Es wird angegeben, daß mail auch Ebenholz in Ecuador fände, und allerdings giebt es ein Holz hier, das diesen Namen führt und einen sehr schönen, dunkeln Kern hat. Der richtige Ebenholzbaum ist es aber nicht, und ich glaube kaum, daß er hier existirt. So weit die südlichen Producte, die bis jetzt das Land hervorbringt, das sich aber eben so vortrefflich für sämmtliche Gewürze, für Zimmt, Muskatnuß, Pfeffer eiguen würde, wie die Molukken, wenn man es nur einmal erst der Mühe werth hält, diese Pflanzen hier einzuführen. Verlassen wir aber jetzt die Mederungcn und die warmen, noch tief liegenden Hügel, um in das höhere Land hinauf Zu steigen, so ändert sich plötzlich die Vegetation. Das Zuckerrohr begleitet uns 348 noch am Weitesten, und mit ihm der Pisang nnd der Orangenbaum, die noch dort hoch hinein reichen, wo die Aloe schon ihre stacheligen Blätter aus dem Sandboden hebt. Der CactnZ fängt jetzt an sich zn zeigen, und noch eine ganze Strecke hin treffen wir die hellgrünen Felder des süßen Rohrs, das aber hier oben weit dichter gepflanzt wird und so niedrig steht, daß es fast wie ein junges Weizenfeld aussieht. — Jetzt hört es ganz aus, und hier beginnen Kartoffeln und Kraut schon den Ehrenplatz einzunehmen. Freilich muß sich das Auge erst daran gewöhnen, ein ordentliches, ehrliches Kartoffel- oder Krautstück von Aloe und Cactus eingezäunt zu sehen, denn das paßt nicht recht znsammm; am Ende aber findet mau sich doch hinein und sieht nichts Außerordentliches mehr darin. Hier nun kommen wir ganz in die Vegetation unserer gemäßigten Zone, wenn wir selbst noch im Thale die Palmenkronen der heißen Wälder erkennen können. Weizen, Gerste wird in Masse angebaut, eben so Mais/Bohnen, Erbsen, Wicken, und selbst die große Pnffbohne fehlt nicht. — Die Gegend um Quito ist das Vaterland der Kartoffel, und es giebt hier drei verschiedene Arten derselben, die" Melloco, Oca nnd Ticama genannt werden. 349 In der Nähe von Ibarra hörte ich aber uon einer ganz besondern Art, die nur in einem jener Thäler wachsen soll nnd noch nirgend anders hin verpflanzt ist. Es soll das eine nicht sehr große, vortrefflich mehlige Gattung sein, die aber, wenn gekocht nnd auf dem Tische, wie mit Brillanten übersäet erscheint, so ist die Kartoffel mit kleinem, krystallisirtem Stärkemehl wahrscheinlich überdeckt. Leider war es mir nicht möglich, Exemplare davon zu bekommen, denn ich hätte mehr als eine Woche damit versäumen müssen. Für den Weinbau wäre die Gegend, besonders an der Grenze der tropischen Vegetation, ganz wunderbar geeignet, und es giebt auch wilde und angepflanzte Reben, die recht gute nnd saftige Trauben liefern. In früheren Jahren, und nach der ersten Eroberung des Landes, zog man hier sogar einen ganz vortrefflichen Wein; die spanische Negierung entschied aber, daß — da Ecuador anch andere Prodnete liefere, Peru indeß vorzüglich auf den Weinbau angewiesen sei, so solle auch Peru nur ausschließlich Wein Ziehen, und ließ demzufolge nicht allein alle Reben in Eena-dor ausrotten, sondern verbot sogar deu Wiederanbau derselben. Der jetzigen Bevölkerung hätte man es aber 350 kaum zu verbieten gebraucht, denn sie ist viel zu indolent, um Experimente mit n e u e n Producten zu machen, wo sie eben, nur dazu genöthigt, die alten anbaut. Es unterliegt aber keinem Zweifel, daß neue .Einwanderer bald einen Umschwung dahineinbringen werden, und dcr Weinban muß denen, die ihn hier ordentlich betreiben, sicherlich reichen Nutzen bringen. Kostet doch jetzt die Flasche höchst mittelmäßigen französischen Weines 1^ Dollar im inneren Lande. Noch ein anderes Product ist es, das eine große Zukunft in Ecuador hat, nnd zwar das Bier. Bis jetzt findet man nur englisch Ale und Porter im Lande, von dem die Flasche 6 Neal, also fast einen preußischen Thaler kostet — etwas zu viel für eine Flasche Vier, — und doch erislirt kein Land der Welt, wo bessere und billigere Gerste gezogen wird, als die Hochebenen von Ecuador. Das Einzige, was bis jetzt nicht gezogen werden konnte, ist der Hopfen, und da man das Bedürfniß nach einem guten und billigen Getränk fühlte, so hat man in dcr That hiermit verschiedene Versuche gemacht, die aber alle mißglückten — jedenfalls weil sie von Leuten ausgeführt wurden, welche die Sache nicht gründlich genug ver- 351 standen. Man hat Hopfensamen nach Ecuador gebracht, und hat sogar versucht, junge Pflanzen einzuführen; der erstere ging aber nicht auf, und die zweiten verkümmerten, so daß es bis jetzt unmöglich schien, eine Hopfen-Pflanzung anzulegen. Was davon die Ursache ist, weiß ich nicht, denn weder Land, noch Klima kann es soin, da man im Stande ist, sich dieses auszusuchen; möglich, daß die Wahl desselben keine glückliche war. So viel aber ist gewiß — gelänge es Jemandem, guten Hopfen hinüber und dort zum Wachsen zu bringen und ein gntes Bier zu brauen, so wäre er in wenig Jahren ein reicher Mann. Bis aber Hopfen in Ecuador angepflanzt ist, würde es selbst lohnen, denselben hinüber zu senden, wenn nur erst ein tüchtiger Brauer an Ort und Stelle ist, das Geschäft zu leiten. Die anderen Ausgabeu, die er dabei hat, würden sich sehr billig stellen. Gerste ist billiger als bei uus in Deutschland, und zwar selbst jetzt, wo der Krieg Alles vertheuert hat; Arbeiter sind in der Imbaburrn-Provinz in Menge und zu sehr billigem Preise zu bekommen, und ein Haus kann dort um das Vierfache billiger gebaut werden, als in Deutschland. Mir haben selbst einflußreiche Leute dort versichert, daß sie einem guten Brauer, wenn 35^ er dort hinkäme, mit Freuden das nöthige Capital Zur ersten Arbeit vorstrecken würden, aber ^-was ich bei meim'M dortigen Aufenthalte von den Ecuadorianern selber gesehen, so scheint mir, daß sie mit dem größten Vergnügen Alles versprechen, was man von ihnen verlangt, oder nicht verlangt, daß sie aber anch eben so regelmäßig ihre ernsthaftesten Versprechungen nicht halten, ohne darin etwas Ungebührliches zu sehen. Ich wenigstens möchte für ein Ecuadorisches Versprechen keinen Ecuadorischen Dollar geben, taun also auch keimm Vraner anraihcn, sich darauf zu verlassen. Was nun das Klima Ecuadors betrifft, so geht schon, aus den verschiedenen Producten hervor, daß man es in jedcr nur möglichcn Art dort findet, und zwar von den sieberhauchenden Sümpfen in der Nähe Guajaqnils bis zu den ewigen stummen Schneercgiomn der kalten Zone. Oft sind sogar sämmtliche Klimate auf einem einzigen engen Raume Zusammeugcdrängt, und in der Nähe von Quito selbst wohnen Pflanzer, die um ihr Haus Weizen und Kartoffeln ziehen, im Thale unteu ihre Zuckernder, ihre Ananas und Bananen, nnd oben über sich in den Bergen ihre Heerden haben, die ihnen treffliche Milch und recht guten Käse ^53 liefern. Käse ist nämlich ein Haupterforderniß eines Ecuadorifchcn Haushaltes, und derselbe wird nicht allein mit den verschiedenen Gemüsen, besonders mit Reis gekocht, sondern auch in die Cho-colade gebröckelt. Im Ganzen ist das Klima Ecuadors aber keineswegs so heiß, als man seiner geographischen Lage nach vermuthen sollte; denn erstens halt sich der Himmel in dm niederen, noch mit ungeheueren Wäldern bedeckten Landstrichen fast stets umwölkt, und dann trägt auch die Nahe der vielen und hohen, nut ewigem Schnee bedeckten Gebirge außerordentlich dazu bei, die Luft abzukühlen und zu frischen. Nähert man sich diesen hohen Gebirgen und kommt in das höher gelegene Land, so kann es dort sogar recht ordentlich kalt werden, und ich selber weiß mich kaum zu erinnern, daß ich in meinem ganzen Lcben mehr und unangenehmer gefroren hätte, als gerade hierunter dem Acquator. Ob dieses kalte Land nun im Ganzen so gesund sei, wie man behauptet, weiß ich nicht. Ich selber habe mich nicht zum Besten darin befunden, und bin das Fieber kaum losgeworden; es mag aber auch viel dazu beitragen, daß ich mich kurz vorher über ein Vierteljahr in Fr. Ger stäcler, Achtzehn Monate in SUb-Amcritll. I, 23 354 der warmen Niederung aufgehalten, und von da unmittelbar in die Kälte kam. Daran zweifle i Local mit einer kleinen Bibliothek und deutschen Zeitungen, aber wie Alles in Lima entsetzlich theuer ist, so auch dieses Institut, an dem sich nur die wohlhabenderen Deutschen bethMgen können. Die übriglu sind dawuf angewiesen, zu Hause zu bleiben, oder jene wenigen Locale zu besuchen, in denen „schwarzes und weißes Bier" (kein Preußisches) zu zwei Real die Flasche verkauft und auch wirklich getrunken wird — einem Bayer 410 - Würde es das Herz (und den Magen) im Leibe umdrehen. Außerdem besteht auch hier noch ein Theater, wo aber die Kunst mehr mißhandelt als geehrt wird. Ich ging einen einzigen Abend hinein, und war so befriedigt, daß ich es vorzog, den Platz nicht wieder zu besuchen. Das Local selber ist nicht schlecht, die Bühne geräumig und der Zu-schaucrramn weit und bequem. Das Orchester sitzt dabei hinter dem Souffleurkasten wie überall, aber nur in der Mitte der Bühne, so daß an beiden Seiten, bis dicht an die Lampen, noch ein Platz für das Parquet frei bleibt. In Thalias Tempel wütheten damals gerade die nachgemachten Äthiopischen Sänger, aber ich hielt es kaum eine halbe Stnndc aus, dem fürchterlichen Blödsinne zuzusehen. Eine Zeit lang hatte dieses Theater einmal einen ganz tüchtigen deutschen Musik-Direktor, der die Sache ein wenig in Gang brachte, und, wie mir in Lima erzählt wurde, mit eisernein Fleiße arbeitete, den alten Schmutz auszukehren nnd fern zu halten. Die Geißel aller Theater-Direktoren blieb aber nicht ans; die erste Sängcnn nämlich — denn erste Sängerinnen müssen chikaniren, wenn sie nicht eine Gemüthstrantheit bekommen sollen — und Arthur Laukin, der es wirklich aufrichtig mit der Kunst meinte, zog sich weiter in das Innere der Peruanischen Berge zurück, wo er jetzt ganz der Kunst lebt und componirt. Lima hatte auch vor einiger Zeit eine deutsche Zeitung, von einem Herrn Haller redigirt und gedruckt; Herr Haller wurde aber krank und die Zeitung, die sich überdies nur eben über Wasser hielt, ging ein. Allerdings leben genng Deutsche in Lima, die Deutschen im Auslande sind aber nun einmal schwer dahin zu bringen, eine deutsche Zeitung zu halten — obgleich es dieser nicht soll an Unterstützung gefehlt haben. — Ein rechtes Zusammenwirken unter den Dcutscheu findet überhaupt uicht statt — wir müßten eben keine Deutschen sein, wenn das anders sein sollte. — Zu meiner Freude habe ich aber doch gefunden, daß in Lima wenigstens keine offenen Zänkereien und Streitigkeiten zwischen ihnen bestehen. Die sich nicht leiden können, gehen einander ruhig aus dem Wege, und dazu ist die Stadt auch groß genug. Nicht zu deu Vergnügungen Limas kann man das neue Zuchthaus rechnen, jedenfalls das beste Gebäude in der ganzen Stadt, das fest und massiv aus Stein anfgcführt, aber noch uicht ganz 412 beendet ist. Man hat es nach dem neuen Zellensysteme errichtet, mit einem weiten, gewölbten Nanme — wahrscheinlich die Kirche, in der Mitte, und fünf sternartig auslaufenden Flügeln, in denen die einzelnen Zellen liegen, während das Ganze noch von einer hohen, bewachten Mauer umschlossen ist. Gnade Gott aber den armen Sündern, die diese Zellen einmal, in diesem Klima, bewohnen müssen; sie sind nenn Fuß lang und fünf Fnß breit, gerade lang genug, eine schmale Matratze hineinzulegen, und vier Schritte — wenn sie nicht zu groß sind — daneben hin und her zu machen. Das Gebäude, wie es jetzt steht, tann sich Jeder frei ansehen, und möglich, daß es jenem Lima füllenden Gesindel einen heilsamen Respekt vor seinen Schlössern und steinernen Kasten einstößt; das aber wäre auch nöthig, denn bis jetzt scheinen sich die Spitzbuben wenig genug aus den Peruanischen Gefängnissen gemacht zn haben. Dilse waren von ihnen gefüllt, ui.d slit die Todesstrafe abgeschafft worden, Mlhrten sich die Einbrüche und Naubanfälle und Morde in einer erschreckenden Weise. Natürlich gab es bald gar keinen Platz mehr, die wirtlich eingefaugei!en Verbrecher wtMustecken, und man behauptet allgemein, daß ^413 die Polizei, wenn frische Zufuhr ankam, einfach Platz fur sic gemacht, uud die am läZgsten Sitzenden hinausgelassen habe. Man fah sich auch zuletzt genöthigt, die Todesstrafe wieder in Kraft treten zu lassen, und die wohlthätigen Folgen dieser Maßregel haben sich seit der Zeit ausfällig gezeigt. Den Tod scheinen die Peruaner doch zu fürchten. Der Kirchhof Limas bietet manches Eigenthümliche. Der vordere Theil desselben sieht freundlich genug in der dürren, es umgebenden Wüste aus, denn einem dentschen Gärtner anvertraut, hat dieser den Eingang zn der stillen Ruhestätte der Todten in einen Garten umgewandelt, dessen Veete dnrch die hindnrchströmende Wasserleitung frisch erhalten werden. Der eigentliche Gottesacker sieht dagegen ächt kaufmännisch nnd ordentlich ans, denn hier liegen die Todten, sauber und regelmäßig in Gefache eingepackt und aufgeschichtet, mit draußen einer Etikette, die Namen und Datum der abgeliefert/n Schuldverschreibung anzeigt. Man befolgt hier das nämliche System wie in New-Orleans, die Särge in fest g^manerte Futterale einzuschieben,. und oicsc ^dann mit Backsteinen und Kalk luftdicht zu verschließen. Vier 414 über einander bilden dann stets eine breite Mauer, die einen kleinen, für sich abgeschlossenen Hof umzieht, eine Art von geschlossener stiller Gesellschaft, die vollzählig, keine weiteren Mitglieder mehr aufnimmt, und deren Geister Nachts einen kleineu allerliebsten Privatcirkel auf dem gepflasterten Mittelhof halten können. Die reichen Todten wohnen auch im eigenen Hause, mit todes-länglichcm Besitzrechte — die armen dagegen, wie das anch im Leben war, uur zur Miethe, und wenn ihre Zeit um ist, und keine neue Nachzahlung für sie gemacht wird, müssen sie anderen Frischgekommcneu den Platz gönnen. Der hintere Theil des Kirchhofs sieht nicht so geschäftsmäßig aus, denn hier sind offene, von niederen Mauern umschlossene Stellen, iu denen die Aermsteu, die unentgeltlich begrabeu werden müssen, in den rauhen Boden eben nur eingescharrt sind. Der Boden selber besteht hier nur aus Sand und großen Kieseln, und zierliche Gräber sind deßhalb anch nicht zu beschaffeu — wären sie überhaupt für so arme Teufel uöthig. Ein rohes kleines Holzkreuz, oft nur aus zwei Split-teru Holz zusammengebunden, bezeichnet die Stelle, wo sie liegen (nicht der Todten oder der Hinterlassenen, sondern nur des Todtcngräbers wegen, den 415 Platz nicht zu verwechseln), und mit Kalt über-worsen, scharrt man sie nach einigen Jahren, wenn der Platz wieder gebraucht werden sollte, ans, und verbrennt hinter dem Kirchhofe die etwa noch vorhandenen Beberreste. Während ich in Lima war, hatten wir anch einige leichte Erdstöße, von denen der eine aber doch stark genug war, daß ich Nachts davon aufwachte, und mein Bett wackeln fühlte. Ich wnßte im Anfange, noch im Schlafe, nicht recht, was vorging; das sicherste Zeichen eines solchen Stoßes aber, besonders in der Nacht, ist das, daß alle Hunde an zu bellen fangen. In Lima selber befürchtet man aber wenig davon ; die Gebäude sind alle schon darauf eingerichtet, und eine stete Gefahr stumpft auch den Menschen zuletzt vollständig gegen jedes Gefühl etwaiger Unruhe ab. 2. ^in Kitt ins Znnere. Peru hatte ich besonders besucht, um die in Deutschland so oft besprochene Deutsche Colonie am Pozuzu (oder PoZnzo, wie es jetzt in Peru geschrieben wird) zu besuchen. Nach Allem, was ich darüber gehört, glaubte ich auch annehmen zu dürfen, daß ich die Colonie von Lima ans in höchstens acht Tagen erreichen könnte; sollte aber hier bald zu meinem Schrecken, und zwar von Herrn Damian von Schütz selber, erfahren, daß ich in der jetzigen Zeit (die Ncgenzeit in den Gebirgen) reichlich sechzehn bis achtzehn Tage gebrauchen würde. Dies war mir eigentlich ein wenig zu viel, und ich überlegte mir schon im Stillen, ob ich mir nicht vielleicht den ganzen bösen Ritt schenken tonne, da ich es nicht für möglich hielt, daß 417 mir das Resultat, Anstrengung und Kosten eines solchen Marschcs, über beide Cordilleren hinüber, lohnen könne. Sollte das geschehen, so mußte ich mir in Lima selber genaue Erkundigungen über den dortigen Stand der Dinge einziehen, und dazu fand ich doch sicherlich genügende Gelegenheit. — Wie erstaunte ich jedoch, als ich fand, daß dies keimswcgs der Fall sei, denn wenn ich auch ein paar Leute traf, die wirklich dort gewesen waren (Deserteure der Colonisten), so bekam ich nach ihren Beschreibungen nur eine ganz verworrene Idee, und merkte auch, daß der Eine besonders die Verhältnisse nur so schwarz als möglich schildern wollte, um sein eigenes Descr-tiren zu entschuldigen. Die gebildete Classe von Deutschen in Lima, selbst die zahllosen Consuln eingeschlossen, wußten gar Nichts von der Colonie, als daß sie existire. Die Meisten hatten in dcr That nur das darüber gehört, was in der Augsb. Allgem. Zeitung gestanden. Da half also Nichts, ich mußte selber hin, denn meinem ursprünglichen Plane wollte ich nicht gleich von allem Anfang an untreu werden. Ich machte mich dabei auf alle nur möglichen Beschwerden gefaßt — aber noch auf lange F i. Gcrstäckcr, Achtzehn Momitc in Süd-AmcrNa, I. '^? 418 nicht genug, wie sehr ich bald zu meinem Schaden erfahren sollte. Besonders hatte ich nie'gedacht, daß ich je in einem wilden Lande so viel Geld ausgeben müsse, nur um «von der Stelle zu kommen, so wie zu existirm. Vor allen Dingen mußte ich mir in Lima ein Maulthier kaufen, und hatte sechs und eine halbe Unze zu bezahlen, um nur ein einigermaßen gutes und dauerhaftes Thier zu bekommen; aber mein Entschluß war einmal gefaßt, und ich säumte nicht, ihn in's Werk zu setzen. Am dritten Weihnachtsfeiertage, Morgens etwa um zehn Uhr, ritt ich aus, meinen Revolver vorn im rechten Halfter, meine D opftelbüchse ebenfalls geladen an der Seite, denn eine Menge Mordgeschichten waren mir von diesem Wege erzählt, und ich besonders gewarnt worden, die Tour nicht allein zu unternehmen. Thatsache ist es, daß viele Menschen schon in der Nähe von Lima, aber nicht weiter ab als sechs oder acht Leguas, angefallen und ermordet wurden, und es war deßhalb immer besser, sich vorzusehen. Außerdem treiben sich auch, seit Aufhebung der Sclaverei, eine Unmasse von Negern hauptsächlich in Lima und in dessen unmittelbarer Nähe umher, und diesen Burschen ist eben so wenig zu trauen, wie den Süd-Amerikanern . 419 selber, denn sie sind schon zu lange im Lande gewesen, um nicht Etwas wenigstens davon zu lernen. Es ist eine ganz eigenthümliche Thatsache, daß man die noch so getreue Beschreibung eines fremden, besonders überseeischen Landes auch mit der größten Aufmerksamkeit lesen mag, und sich doch ein ganz anderes und verschiedenes Bild von dem Lande selber machen wird, das man beschreiben hört, als man es später in der Wirklichkeit findet. Man mag dabei noch so viel Erfahrung von anderen Ländern auf seiner Seite haben, es hilft Alles Nichts; die Phantasie, selbst des trockensten Menschen, spielt uns stets einen Streich, und wir sehen nns dann plötzlich in Scenen versetzt, mit denen wir von vorn herein vertraut zu sein glaubten, und die uns doch jetzt vollkommen unbekannt und fremd sind. So ging es mir mit Pern, dessen Küste ich als dürr und steinig kannte, von dem ich aber geglaubt hatte, daß ich, nur die ersten Hügel überschritten, die ersten Meilen hinter mir, ein herrliches, mit Vegetation bedecktes Land finden würde, — und wie hatte ich mich darin getäuscht? Mein nächstes Ziel, Cerro oe Pasco, jene berühmte Silberstadt, und auch zugleich die höchste der Welt, für die ich irrthümlicher Weise früher Quito 2?" 420 gehalten, liegt 5000 Fuß höher als letztere Stadt, also etwa 14,500 Fuß über der Mecresflä'che, schon an den Wassern des Amazoncnstromes und in etwa nordöstlicher Richtung von Lima. Der Weg zieht sich auch aus Lima, wenn mau die Brücke über den Nimack passirt hat, nördlich hinauf, bis zu dem kleinen Vergstrome Chillon, dem er von da an treu bis zu der Wasserscheide der Cordille-ren entgegenführt. In den Straßen von Lima selber sieht man dabei natürlich uur wenig von dem Charakter des Landes draußen, die dürren Küstenhügel ausgenommen, die kahl und nackt herüberschauen, und eben nicht viel Tröstliches von der nächsten Umgebung versprechen. Und jetzt verläßt man diese Straße und betritt einen breiten Weg, der eben so gnt ein trockenes Flußbett sein könnte, denn er ist mit großen, von Wasser rund und glatt geschliffeneu Kieseln bedeckt, deren Zwischenräume allein mit grauem Staub gefüllt sind. Au beiden Seiten ist er mit einer niederen dicken Lehmwand eingefaßt, hinter der hie und da Weiden und auch wohl Fruchtbäume stehen, denn eine der Wasserleitungen, die Lima mit frischem und gutem Wasser versehen, führt hier durch, und begünstigt einigermaßen die Vegetation. Sonstist Alles kahl, Alles dürr, todt ^421 und wüst, und nicht ein Vogel — die eklen Aasraben Limas ausgenommen — zu sehen. Draußen am äußersten Thore Limas steht noch ein Garten, in dem ein Dentscher einen Schenkstand hat; es ist heute noch Feiertag, und die schwarz-roth-goldene Fahne weht darüber. Gegenüber flattern die Italienischen Farben im Winde — eine kleine scherzhafte Illustration, wie friedlich die beidm Flaggen dicht neben einander wehen könnten, wenn jede nur ihr eigenes Wohl im Auge hätte. Dahinter beginnt die Oede, und hie und da, noch nahe zur Stadt, stehen uur ein paar kleine offene Lehmhütten, in denen Tschitscha, wie altbackenes Brod nnd Papiercigarren dem reisenden Pnblicum für schweres Geld zur Verfügung gestellt sind. Wer sich dadurch nicht verführen läßt, reitet weiter, und sieht sich plötzlich am Ende des eingezännten Weges, nnd am Fnße jener dürren Hügel selber, die selbst da, wo sich ein Thal hineinöffnet, Nichts, Nichts weiter bieten, als Sand, Staub, Steine, so wie hart gebrannte dürre, rothbraune Erde, ans der die Sonne niedersengend liegt. So weit das Auge dabei die ebene Bahn bestrich, war kein menschliches Wesen zu sehen, nur hinter mir her kam in schachm Trab ein cinzel- 422 ner Reiter, dessen Bahn aber von hier links ab nach einem kleinen Städtchen lag. Er zügelte fein Pferd ein, als er mich überholte, nnd frug, wohin ich so allein wolle. Ich nannte ihm mein Ziel, das weit hinter den Cordilleren lag, und er schüttelte den Kopf. „Ich sollte mich in Acht nehmen", meinte er, „denn es 'treibe sich wieder einmal böses Gesindel im Lande umher, dem sie bis jetzt vergebens nachgespürt hätten." Damit bog er seitab und verschwand wenige Minuten später in der Staubwolke, die sein eigenes Thier aus dem trockenen Boden schlug. „In Acht nehmen," ich hatte weiter Nichts zu thun, zündete mir eine frische Cigarre an, und trabte wohlgemuth meine Bahn entlang. Mich drängte es nur, die Nähe der Küste zu verlassen, und zwar nicht der möglichen Näuber, sondern dieser traurigen Scenerie wegen, die ja doch im Innern mit einer mehr freundlichen Umgebung wechseln mußte. Eine kleine halbe Stunde mochte ich so durch diese Einöde geritten sein, als ich vor mir Staub aufwirbeln sah, und gleich darauf erkannte ich drei Reiter, die auf meinem Wege Lima entgegensprengten. Es waren, wie ich bald fand, Neger, und ich lenkte mein Pferd nach der rechten Wegseite hinüber, sie links an mir vorbei passiren zu lassen. Eine feste Begrenzung des Weges fand aber hier gar nicht statt, wo die Bahn Hunderte von Fußen breit dalag. Die Reiter theilten sich dabei, so daß ich zwei zur linken und einen zur rechten bekam; dicht bei mir zügelten sie plötzlich ihre Thiere ein, während einer der ersteren seinen Ann ausstreckte und: Feuer für seine Cigarre verlangte. Die Möglichkeit ist nun, daß es ganz brave und harmlose Menschen waren, die nicht das geringste Böse im Schilde führten, nach allen früher gehörten Mordgeschichten war ich aber nicht gesonnen, ihnen hier allem, Einer gegen Drei, den geringsten Vortheil über mich zu gestatten, denn „Gelegenheit macht Diebe." Schon vorher hatte ich die Hand unter meinem Halfterdeckel, und den Revolver herausnehmend, sagte ich dem Manne vollkommen ruhig, „das sei das einzige Feuer> das ich zu vergeben hätte." — Er prallte mit seinem Maulthiere rasch zur Seite, und die anderen Beiden lachten laut auf, ich aber gab meinem Thiere die Sporen, fest entschlossen, mich auf keine weitere Unterhaltung in Arms Bereich einzulassen. AIs ich gleich darauf den Kopf nach ihnen zurückdrehte, sah ich, wie sie noch im Wege hielten. Ich wußte aber 424 recht gut, daß, sie mir jetzt nicht mehr folgen, durften, denn das wäre ein offener Beginn von Feindseligkeiten gewesen, bei denen sie, meiner Doppelbüchse gegenüber, bös den Kürzeren gezogen hätten. Das mochten sie auch recht gut selber wissen, dmn ich wurde nicht weiter von ihnen belästigt, und hatte siej bald aus dem Gesichte verloren. Mit meinem Maulthiere war ich ziemlich zufrieden; wie alle diese Thiere aber, die vortrefflich in Gesellschaft gehen, war es allein ziemlich faul und ich hatte die Sporen nöthig; so erreichte ich denn auch bald den kleinen Berg ström Chillon, dem ich von jetzt ab entgegenreiten sollte, und fand an dessen Ufer wenigstens etwas Vegatation; immer aber noch weit weniger, als ich erwartet hatte. Das Thal dazu, dem ich aufwärts folgen sollte, lag zu beiden Seiten des Stromes dürr und kahl, und eine Menge von Einfriedigungen, die aus mauerartigen übereinander gelegten Steinen bestanden, gaben mir Stoff znm Nachdenken, weßhalb um Gotteswillen Menschen mit der größten augenscheinlichen Mühe und Arbeit eine Anzahl von Plätzen sorgfältig eingezäunt und abge-grenzt hatten, in denen auch nicht einmal ein ein-' ziger Grashalm wuchs. ^425 Im „Winter" sollen diese Verge allerdings ein etwas freundlicheres Aussehen habm, denn obgleich es hier nie wirklich regnet, fällt doch dann und wann, wie mir gesagt wurde, ein feiner Sprühregen, der, mit dem Thau der Nächte, das Gras aus dem dürren Vooen rnft und die Hänge mit einem matten, durchsichtigen Grün deckt. Möglich, daß dann diese Einfriedigungen zu Weiden werden, in denen sich kurze Zeit ein paar Maulthiere vor dem Verhungern schützen können. So viel ist übrigens sicher, daß sich viele dieser Landstriche dnrch Bewässerung mit nur einiger Arbeit trefflich verwerthen ließen, denn an Wasser fehlt es selbst diesen trockenen Hügeln nicht. Eine Menge von Quellen entspringen darin, und der Fluß oder Bergstrom selber hat Fall genug, ihn nach vielen Seiteu hin zn verwenden. Das aber kostete Arbeit, schwere Arbeit, und dazu ist diese faule spanische Nace nicht gemacht. Nur den Fremden will sie für sich schaffeu lassen und scheint höchstens dazu gut, eine einträgliche Anstellung mit Würde zu verzehren oder den Tag über die Ellenbogen auf dem Ladentische abzureiben. Selber thätig sein wollen oder können sie uicht, und weite Strecken Landes, die reiche Ernten tragen könnten, werden deßhalb so lange unbenutzt und dürr liegen, 426 bis fremde Hände sich ihrer bemächtigen — was jedenfalls im Laufe der Zeit geschieht. Ich passirte jetzt einige Haciendas, die, von Quellen und dem Chillon selber begünstigt, Pisang, Orangen, Futterkräuter und Zuckerrohr trugen. Neberhanpt ist der Boden selber fruchtbar genug, und treffliche Gemüse werden hie und da, besonders von Deutschen, in der Nähe von Lima gezogen. Weiter oben verengte sich aber das Thal mehr und mehr, der vom Wasser getränkte grüne Streifen Land wurde schmaler und schmaler, und zog sich endlich nur noch wie ein Band dicht an den Nfern des Vergstromes entlang, während rechts und links die kahlen nackten Höhen wild und traurig in die blaue Luft hineinstarrten und von ihren öden, sonngebrannten, ja gebratenen Flächen eine erstickende Hitze ausströmten. Ueberhaupt war der Weg — von keinem einzigen Baume gegen die Sonnenstrahlen geschlitzt — Nichts weniger als angenehm zn reiten, und erst mit anbrechendem Abend wurde es kühl genng, mein Thier zu schär-serem Schritt antreiben zu können. Vor Dunkelwerden erreichte ich endlich eine Brücke über den Chillon, der hier viel zu reißend floh, als daß man ihn mit dem Pferde hätte Passiren können. An der andern Seite lag eine 427 Hacienda, Macas, wo ich übernachten konnte, und ich fand dort wenigstens ein gntes Vett, von den Beschwerden des ersten Tages auszuruhen. An der Brücke wnrde mir von einem Chinesen Zoll abgenommen, nnd ich sah dicht an der Hacienda eine Menge niedriger, schilfgeflochtener, schmutziger Hütten, die von Chinesen wimmelten. Auf meine Erkundigung sagte mir der „Na^or äomo" sder Eigenthümer wohnte in Lima, oder befand sich wenigstens gerade dort), daß diese Chinesen sogenannte Culies seien, die einen achtjährigen Conctrat hätten, und nach dieser Zeit frei wären, für sich selber Etwas anzufangen oder sich auf eigene Hand zu verdingen. Diese hier hatten schon fünf Jahre ihrer Zeit abverdient, und der Mann versicherte, er sei mit ihrer Arbeit zufrieden. Von Macas, bis wohin ich noch ziemlich ebenen Weg gehabt, brach ich am nächsten Morgen früh wieder auf und kam jetzt bald in das eigentliche Bergterrain des Landes. Der Chillon hat einen außerordentlich starken Fall, der gar nicht so selten in kleine Wasserstürze ausartet. Das Thal verengte sich außerdem immer mehr, die Felsen liefen an vielen Stellen schroff und steil bis in das Flußbett nieder, und da die peruanischen Wegbauer 428 nie ein Pfund Pulver verbrauchen, hemmende Felsen damit zu sprengen, so zieht sich der schmale Maulthierpfad denn auch bald steil emen solchen Hang hinauf, bald läuft er gelegentlich, wie es gerade paßt, eben so unerwartet bis zum Wasserrand hinunter, es den Maulthieren überlassend, ihre Vürde unaufhörlich auf- und abzuschleppen. Dicht bei Macas, am rechten Ufer des Flusses und ziemlich hoch am Verge hinauf, in einer wilden Oede von nackten, unfruchtbarem Wänden, liegt eine alte indianische Stadt mit einem ganz eigenthümlich gespenstischen Aussehen. Die Mauern scheinen, so weit ich das ans der Ferne erkennen konnte, von Lehm zu sein; trotzdem aber daß die Dächer schon lange verfault und niedergebrochcn waren, hatten sie doch in einem Lande, wo man keinen Negen kennt, der Zeit Widerstand geleistet, und unheimlich starrten noch jetzt die dunklen, augeu-artigen Fenster und Thüröffnungen, durch die schon lange, lange Jahre kein lebendes Wesen geschaut hatte, aus den weihen leeren Wänden heraus nach dem Wanderer unten. Noch ließ sich der frühere Marktplatz erkennen — noch die Ucber-reste einer wahrscheinlich von den Spaniern gebauten Kirche, aber teiu Fuß betrat mehr jene öffentlichen Plätze und Straßen, kein Haupt neigte 429 sich mehr in jener Kirche dem unbekannten ncu-gebrachten nnd furchtbaren Gott, dessen Name in diesem neuen Welttheile mit Blut getränkt und mit Schrecken umgeben worden. Die bleichen, kahlen Manern, die von dort herüberschimmerten, kamen mir vor wie ein riesiges Menschengerippe, das da drüben in der Sonne dörrte. Aber auf diesen Wegen kann man sich nicht vielen Betrachtungen hingeben, denn man muß das Auge auf den Pfad selber halten, der von jetzt an bald steil aufläuft/ bald tief abfällt, wie gerade das Terrain selber toll und wild seine Höhen aufgeworfen oder seine Tiefen gerissen hatte. Vom Wcgbau haben die Süd-Amerikaner nur eine sehr unbestimmte Idee, die sich darauf beschränkt, die Bahu für ein Lastthier nur möglicher Weise pas-sirbar zu machen. Schwierigkeiten im Wege wegzn räumen fällt ihnen nicht ein; sie umgehen dieselben, wennauch auf noch so großen Umwegen, und was ihre Thiere dabei unnöthiger Weise auf- und abklettern müssen, wird gar nicht geachtet. Svrengpnlvcr steht, wie mir gesagt wurde, sorgfältig auf allen Rechnungen, aber wie ein Steinbohrer aussieht, wissen sie schwerlich; wenigstens ist er nie angewandt. Enger und enger wurde das Thal, aber hie 430 und da zeigten sich jetzt auch einige fruchtbare und angebaute Felder darin, und besonders üppig stand in diesen die Alfaifa, das Futterkraut für die Thiere. Auch Mais und Kartoffeln — denn das tropische Klima lag hinter mir, fand ich in der Nachbarschaft. Ucbrigens hatte ich mir vorgenommen, heute noch das von Maeas vierzehn Leguas entfernte Oberagilio, ein größeres Städtchen, zu erreichen, um in gutes Quartier zu kommen, und die Nacht brach ein, wahrend sich der Weg noch steil am Flusse hinaufzog. Der Chillon bildete hier fast nur eine Kette von kleinen Wasserstürzen, und wundervoll sah es aus, wie die weiß schäumende Fluth donnernd und kochend aus dem dunklen Schatten der Felsen herausströmte und in tiefeu Kesseln dann tief unten wirbelte und gährte. Der Pfad war dabei schmal und rauh, mein Thier mußte halbe Stunden lang über lose Felsstückcn hinwegsteigen und selbst oft klettern; Maulthiere haben aber darin einen vortrefflichen Instinct, und man kann sie sich selber vollkommen ruhig überlassen, ja, je weniger man den Zügel führt, desto sicherer gehen sie. Es wurde aber doch neun Uhr, ehe ich die Stadt selber erreichte, und mit Mühe konnte ich noch Quartier für mich und einen Burschen bekommen, der ^ 431 mein Maulthier für die Nacht in einen der poi-trei'08 (Weideplätze) hinausführte. An ein Bett war ebenfalls nicht zu denken, und ich schlief dte Nacht — wie schon so viele in meinem Leben — mit dem Kopfe auf dem Sattel in meinen Poncho eingewickelt. Der nächste Tag brachte für mich eine freundlichere Scenerie, denn der wilde Strom schien genng Wasserstanb umhcrzustreuen, den Thalbo-dcn feucht und fruchtbar zu halten; auch wurde mir gesagt, daß es hier sehr häusig regnen solle. Ich hatte also die dürren, trockenen Küstenhänge Perus hinter mir und durfte jetzt doch wenigstens auf grüne Hänge hoffen. Es giebt nichts Traurigeres, als durch ein so ödes Land zu reiten. Die Berge waren auch hier in der That mit grünen und Blumen tragenden Büschen bewachsen, und am Wege selber stand in großen duftenden Sträuchern das reizende Heliotrop (Vanille), das seinen Wohlgeruch mit der frischen Morgenbrise ausstreute. Allerliebste Colibris, purpurroth uud grün uud von winziger Kleinheit, summten und surrten um die Weidenbüsche des Stromufers, und buntfarbige, zierliche Vögel machten schwache und meist unglückliche Versuche, ein Concert anzustimmen. 432 Die Vögel Amerikas haben herrliche Farben, aber nur sehr wenige können wirtlich singen, und unsern Waldsängern daheim kommt keiner gleich, den Nockwß dii-ä von Louisiana, der auch die amerikanische Nachtigall genannt wird, vielleicht ausgenommen. Alfalfa, Mais nnd Kartoffeln wuchsen hier üppig, blieben aber auf das schmale Thal beschränkt, und nur hie und da hatten sich die Bewohner in die Hänge hinausgewagt und ordentliche Felder angelegt, die grün und fruchtbar aussahen. Wenn die Leute hier ordentlich arbeiten wollten, könnten sie gewiß genug ziehen; we-uig aber brauchen sie nnr zum Leben, und über das Wenige hinaus gehen dann auch ihre Anstrengungen nicht, wie man es ja in ganz Süd-Amerika, wie man es bei der ganzen spanischen Race findet. Gegen Abend überholte ich einen Arriero, der mit Packthieren nach Cerro de Pasco und weiter nach Hnlmaco zog. Den Thieren waren die kupfernen Gefäße zu einer Branntweinbrennerei aufgeladen, und einzelne davon trugen riesige kupferne Kessel, die diese Leute mit großer Gewandtheit auf den Packsättcln festzuschnüren wissen. Rauh genug gehen sie freilich mit den ihnen 433 anvertrauten Gütern ilm, denn rauh ist auch der Weg und rauh das Volk, uud was sich eben uicht gutwillig mit den rohledernen Schnüren festigen läßt, muß entweder biegen oder brechen. Den Schaden trägt natürlich der Empfänger, weßhalb also auch große Vorsicht damit braucheu? Mehrere, der kupferuen Gefäße uud Röhren waren schou eingebogen, uud ein paar der Abzugshähne vollkommen abgebrochen, so daß ich in der That nicht weiß, wie, sie das im innern Lande je wieder repariren können. Da ich am vorigen Tage einen sehr weiten Nitt mit meinem Thiere gemacht und es etwas schonen wollte, so blieb ich an diesem Tage bei den Arrieros, natürlich in der Voraussetzung, daß wir wieder irgend ein bequem gelegenes Haus erreichen würden, in dem wir übernachten könnten. Darin sollte ich mich aber getäuscht sehen. Höher und steiler stieg der Weg hinan; fruchtbare, angebaute Felder hatten wir schon gegen Mittag hinter uns gelassen, und viele Strecken mußte ich absteigen und Zn Fuße gehen, um meinem Thiere nnr einigermaßen den Weg zn erleichtern. Aber wir erstiegen auch jetzt den scheidenden Bergrücken der Cor-dilleren, in die wir so allmählich hineingekommen Fr. Geistäckcr, Achlzchu Monate in Siid-Amcrita. I. 28 434 waren, daß ich es gar nicht recht merkte, bis mich die kältere Luft darauf aufmerksam machte. Einer Menge von Maulthiercn und Efcln begegneten wir dabei, oder überholten sie auch, die theils leer von Cerro herunterkamen, theils eine Menge der verschiedenartigsten Waaren hinaufschafften. Ganze Karawanen von Eseln besonders trugen jene schweren eisernen, mit Schrauben versehenen Gefäße, in denen das Quecksilber verschickt wird, das sie in Cerro zur Amalgamation gebrauchen. Große Fässer trugen andere und riesige Kisten, ja eines der unglücklichen Thiere hatte sogar ein ganzes Pianino auf dem Nucken, das es von Lima aus in die 48 LeguaZ — circa 34 deutsche Meilen — entfernte Vevgstadt hinaufschleppen mußte. Wer die Wege selber kennt, follte das fast für unmöglich halten, aber Manlthiere machen fast Alles möglich, was in ihr Fach schlägt, und nicht sehr rasch, aber vollkommen sicher verfolgen sie ihre Bahn. Manchmal freilich wird es ihiun doch zu viel, und besonders hier oben, wo die Berge nur höchst dürftig Futter tragen und Nichts auf der Gotteswelt mehr zu kaufen ist, verlassen sie nicht selten ihre Kräfte. Die Beweise liegen dazu in zahlreichen gebleichten, Maulthier-und Pferdcgerivpen auf den Höhen und hauptsächlich 435 an der Straße selber, denn so lange sie nur noch kriechen konnteil, gönnte man ihnen kcine Nuhe. Oft wird ja sogar erst den todten die bitterschwere Last abgeschnallt, die das arme, von Hnnger ermattete Thier zu Boden drückte. Arrieros können nämlich, oder wollen für ihre Thiere kein Futter kaufen, und sobald sie diese Höhe erreichen, wo deßhalb auch nie Jemand einen Vorrath von Futter einlegt, so treiben sie ihren Trupp von Thieren einfach auf die Weide. Wie gcsund die aber für sie sein muß, sah ich am nächsten Morgen, wo der ganze Boden weiß mit Reif gedeckt wär. Diese Nacht, die ich vollkommen im Freien zubringen mußte, fror ich furchtbar, denn ebm erst aus einem heißen Klima so recht mitten wieder in den Winter hineinzukommen, wollte meinem Körper gar nicht zusagen. Du lieber Gott, ich wußte ja nicht, was mir noch Alles bevorstand, und wie oft ich in den nächsten Wochen das Klima von heiß zu kalt und von kalt zu heiß wechseln sollte. Nahrungsmittel waren außerdem ebenfalls keine zu bekommen. Nicht weit von dort, wo wir absattelten, hatte allerdings ein Schäfer seine kleine, runde, mit Nasen gedeckte Hütte, in der er die Nacht warm genug liegen mochte, aber Nichts 28« 436 writer als etwas sogenannte enuM oder Suppe, die er uns anbot, die ich aber, mit der frischen Erinnerung an die Ecuadorische Kochkllnst, hartnäckig verweigerte. Ich führte ctwas Brod uud Chocolade bei mir uud hielt davou meiu frugales Abendbrod. Am nächsten Morgeu brachen wir ziemlich früh wieder auf. d. h. die Arrieros begannen mit ihren Thiereu fehr früh; ehe sie aber allen die Sättel aufgelegt und die Packen festgeschnürt hatten, verging doch eine ziemlich lange Zeit und ein schöner Theil vom Tage. Mir selber wurde dabei die Zeit lang, und sobald ich mein Thier fertig gesattelt hatte (wobei mir die Hände so froren, daß ich sie abwechselnd in die Tasche stecken mußte), sagte ich den langsame» Arrieros aclio« und trabte frifch in die wilde, öde Vergwelt hinein. Und wie wild, wie öde sah das hier aus; wie kahl und starr hoben sich die nackten, nnr dürftig mit einem gelblichen Grase bewachsenen Kuppen empor, zwischen denen nur manchmal eine einzelne stille Lagune der Scenerie einige Abwechselung gab! — Unl> trotzdem war kein einziges wildes, d. h. jagdbares Thier zu sehen. Hoch. hoch über mir, aber weit außer einer Kugel Vereich, kreisten wohl ein paar Condore, sonst aber — zwei schwarze Vläß- 437 enten ausgenommen, die auf der einen Lagune schwammen — fand sich kein einziges lebendiges Wesen, und ich und mein Maulthier schienen in der ringsnm ausgcstorbenen Schöpfung allein übriggeblieben zu sein. Ein paar Mal, wo es ziemlich steil bergauf ging, stieg ich ab, es dem Thiere zu erleichtern, nnd fand dann zn meinem Erstaunen, daß mir das Athmen, sehr schwer wurde. Auch Kopfschmerz bekam ich, oder eigentlich keinen wirklichen Schmerz, sondern nur eine Art unangenehmes Zusammenpressen der Schläfe. Freilich war alle Ursache dazu vorhanden, denn ich befand mich hier, als ich die Höhe endlich erreichte, auf dem höchsten Passe der Cordilleien und 16,000 Fuß hoch über der Meeresfläche. Ich fühlte dabei besonders die beißende Schärfe der Luft, weun ich den Athem durch die Nase zog, sonst aber von allen jenen Unbehaglichkeiten, von denen mir früher war erzählt worden, Nichts. Es soll nämlich gar nicht so selten vorkommen, daß Menschen nnd selbst Manlthiere einen wirklichen Krantheitsanfall auf dieser Höhe bekommen, eine Art von Seekrankheit, die von furchtbaren Kopfschmerzen und tödtlicher Ermattung begleitet ist. Die davon befallenen Maulthiere stürzen plötzlich nieder, und wenn man 438 sie nach einiger Zeit wieder in die Höhe bringt, zittern sie an allen Gliedern, und können sich vor Mattigkeit kaum selber von der Stelle schleppen, viel weniger uoch einen Reiter tragen. Man nennt diesen Anfall, wenn ich nicht irre, hier im Lande Wedde, und er muß, nach Allem, was ich darüber gehört habe, weit eher in gasartigen Luftströmungen, als in der wirklichen Höhe seinen Ursprung haben, da er nie eigentlich auf dem höchsten Punkte des Passes, sondern mehr an dem östlichen Hange der Cordillcrcn vorkommt. Der eigentliche Gipfel der Cordilleren zeigt sich aber hier keineswegs so scharf uud entschieden ausgeprägt, wie weiter südlich und östlich von Valparaiso, wo man den wirklich scheidenden Gebirgsrücken in einer halben Minute passiren kann. Hier ist die Höhe weit mehr gebrochen, und in kleine Hügel und Tiefen abgetheilt; sogar eine Lagune hat sich dort oben gesammelt, uud ich fand eigentlich erst, daß ich den wirklichen Hauptgipfel erreicht hatte, als ich plötzlich wilde, mit Schnee bedeckte Hänge vor mir sah, deren weiße Flächen tiefer hinabreichten, altz ich mich selber befand. Die Schneegrenze, das heißt die Linie des ewigen Schnees, die in der Schweiz etwa auf 9000 Fuß liegen wird, wenn auch einzelne von ihren Glet- 469 schern bis 8000 herunterreichm, liegt wunderbarer Weise nnter und nahe den Wendekreisen viel höher, als unter der eigentlichen Linie selber, denn sie beträgt nnter dem Aequator 15,000 und unter jenen 16—17,000 Fuß. Woher das kommt, ist noch nicht erklärt, wenn auch für Amerika allein eine Erklärung leicht würde. Gerade unter dem Aequator und in wenigen Graden davon liegen hier nämlich eine Menge sehr hoher, schneebedeckter Berge, und unter ihnen der riesige Chim-borazo, der mit einer Masse von 5000 Fuß in die Schneeregion hineinreicht. Natürlich verbreiten diese ausgedehnten Schneefelder auch eine viel größere Kälte als dort, wo diese Kuppen nur vereinzelt emporragen, und müssen deßhalb die Schneegrenze auch tiefer in das uiedere Land drücken. Die nämliche Erscheinung, wenn auch natürlich in kleinerem Maßstabe, haben wir schon mit der Schweiz und Tyrol, denn in dem letzteren Lande, das keine so weite schneebcdcckte Flächen hat, wie das erstere, liegt die Schneegrenze ebenfalls höher, und W00 Fuß hohe Kuppen tragen hier nur im Winter Schnee, und auf dieser Höhe noch das zarteste und süßeste Alpengras. Von hier ab scnkte sich dcr Weg bald wieder bis zu etwa 14,000 Fuß nieder, führte aber nicht 440 wieder, wie ich gehofft hatte, in fruchtbare Thäler hinab, sondern hielt sich anf diesen Höhen, die man hicr zmnaz nennt, und wo nur allein ein dürftiges, vom Ncife nicht selten wie gesengtes Gras Schaf- und Llamaheerden am Leben erhält. Die Schafe haben wahrhaftig kein leichtes Brod, wenu sie sich an den Hängen ihre Nahrung suchen wollen, und die Llamas halten sich lieber in den tiefer gelegenen und sumpfigen Stellen auf, die das Schaf vermeidet. Das Llama hat aber auch breite Hufe oder vielmehr Schalen, mit de-uen es nicht so tief in den weichen Voden einsinkt, kann auch vielleicht eher das im Wasser wachsende und mehr sauere Gras vertragen, als das Schaf. Diese Cordilleren sind die eigentliche Heimath des Llamas, das aber uicht mehr wild angetroffen wird, sondern überall iu zahmen Hcerdcn beisammen lebt. Das Vieunna dagegen, eine kleinere Gattung, kommt hier noch wild vor, und läßt sich entweder nicht zähmen, oder ist auch vielleicht zu schwach, irgend eine Ladung Zu tragen. Früher soll es auch Guan^eos gegeben haben, deren eigentliches Vaterland Patagonien bis zum 30. Breiteugrade hinauf ist, diese sind aber jetzt ausgerottet oder nach dem Süden hinunter- 44l getrieben, wo man sic noch in zahlreichen wilden Nudeln findet. Die alten Inkas, deren Erinnerung jetzt nur noch im Mnnde des Volkes lebt, während ihre einfachen Bauwerke selbst noch bis auf unsere Tage dem Zahne der Zeit getrotzt haben, hielten nicht selten große Jagden auf das Vicunna und zwar auf eine höchst eigenthümliche Weise, indem sie dieselben „verlappten." Nach allen Beschreibungen nämlich scheinen sie wirkliche Federlappen gehabt zu haben, mit denen sie, wo sie ein Nudel dieser Vicunnas trafen, dasselbe einkreisten und den Ning immer enger und enger zogen, bis fie die einzelnen Thiere mit dem Lasso sichern oder mit ihren Pfeilen todten konnten. Die Federlappen waren dabei gar nicht so hoch, aber kein Vicnnna wagte es sie zu überspringen. Nur wenn sich ein oder mehrere Guan^cos mit. im Rudel befanden, was ziemlich häufig scheint der Fall gewesen zu sein, so war die Jagd vergebens, denn diese letzteren übersprangen die Lappen, nnd sobald eines dieser Thiere hinübersetzte, blieben die Vicunnas anch nicht zurück, sondern folgten dem Beispiele. Die Indianer hüteten sich anch deßhalb wohl ein Nudel einznkreisen, bei dem sie eines der klügeren Guanäcos spürten. 442 Das wilde Guanäco hat cinc bestimmte Farbe, wie überhaupt fast alle wilde Thiere — das gezähmte Llama dagegen findet sich von allen Farben, schwarz, weiß, braun, grau, gefleckt, ja selbst getigert, und es giebt kaum etwas Vuuteres auf der Welt, als eine Heerdc dieser hübfcheu, lang-halsigen, zottigen Thiere, die nicht scheu, aber doch erstaunt den schönen Kopf emvorwerfcu, wenn ein einzelner Reiter anf diesen Höhen die stille Oede ihrer Weiden unterbricht. Es giebt aber gewiß nichts Herzigeres nnd Lieberes auf der ganzen Welt, als so ein junges Llama mit seiner seidenweichen und dichten Wolle, und ich hätte Gott weiß was darum gegeben, wenn ich eines dieser prächtigen kleinen Dinger hätte mitnehmen können. Aber ich hatte Mühe genug, mich selber vorwärts zu bringen, und überhaupt könuen die Llamas auch das heiße, trockene Land der Küste gar nicht recht vertragen. Sie kommen allerdings dann und wann in einzelnen Heerdcu selbst'bis nach Lima hinunter, aber man treibt sie stets wieder so rasch als möglich zurück in das höhere, kältere Land, das ihre eigentliche Heimath ist und dessen rauher Luft zu begegnen, sie einen ganz anständigen wannen Pelz anf dcm Leibe tragen. Mein Maulthier hatte sich oben in der feinen 443 und dünnen Lust ziemlich gnt gehalten; beim Bergsteigen schien ihm nur auch die Luft etwas zu fehlen, denn es schnaufte schwer und blieb oft stehen, sich auszuruhen. Um es nicht zu sehr anzustrengen, machte ich deßhalb einen kurzen Tagesmarsch und blieb in dem ersten Tambo, der unten am Fuße des oberen Rückens ziemlich einsam in. den Bergen lag. Diese Tambos, kleine niedrige Lehmhütten, die in größeren Städten wohl auch dann und wann ein Bett für den Fremden und Reifenden haben, sind in dieser Wildniß natürlich uur einfache Nachtquartiere, in denen man höchstens Abends eine Kartoffclsuppe und — wenn man Glück hat — ein Sttick Fleisch, aber sonst nicht die geringste weitere Bequemlichkeit findet. Wenn man schlafen will, wird Einem für die Nacht ein halbes Dutzend trockener Schaffelle anvertraut, auf denen man wenigstens vor der Feuchtigkeit des Bodens geschützt ist; sonst mnß man, wie gewöhnlich, seinen Sattel znm Kopfkissen, seinen Poncho znr Decke nehmen, und wenn die Luft recht kalt nnd eisig über die Schnecberge herüberstreicht, kann man nach Herzenslust unter der dünnen Decke schütteln und frieren. Neberreinlich sind dabei diefe Nachtquartiere ebenfalls nicht, und wenn es nicht unumgänglich 444 nöthig ist, sollte man sich nie in der Nähe des Heerdcs aufhalten — wo die Suppe bereitet wird — vorausgesetzt nämlich, daß man etwas eigen in Ve-rcitnng der Speisen wäre. Dennoch ist es kein Vergleich mit dem Innern von Ecuador, denn gegen die Bewohnern dieses Landes sind die Perna-ner wirklich wahrhafte Holländer. Das Hauptnahrungsmittel dieser Höhen sind Kartoffeln (die aber auch ans mehr „tropischen" Gegenden eingeführt werden müssen) und Schaffleisch, Mais bekommen sie ebenfalls dann und wann hcranf, uud dörren ihn mit Fett, wo er ihnen als Brod dient. Von diesem Hause ans, Casacaucha, wo ich übernachtete, brach ich am uächsten Morgen wieder ziemlich früh auf, um ein kleines Städtchen, Ualjay, zu erreichen. Der Weg dorthin, der noch immer auf der Pnna fortführte, war aber heute sehr schkcht, denn obgleich hoch in den Bergen und an grasigen Hängen hinführend, zeigte sich der Boden doch so weich und snmpfig, daß mein Maulthier ein paar Mal zu versinken drohte, und von da an nur mit der äußersten Vorsicht weiter gebracht werden konnte. Allerdings hat der Staat, da dies der Hanptweg der ganzen Nepnblik ist, den Weg verbessern und an den schlimmsten Stelleu 445 ordentlich pflastern lassen. Da dies aber nur mit sehr rauhen Steinen geschehen konnte, die noch dazu kein festes Lager fanden, so drückten sie sich natürlich theils in den sumpfigen Voden ein, theils schoben sie sich auseinander, und eine schönere Gelegenheit, die Beine eines Manlthiers zu zerbrechen, giebt es wohl auf keiner Straße der Welt. Unterwegs sah ich Nichts als zahlreiche Schafuno Llamaheerden. Die Schäfer wohnen in kleinen runden Hütten, deren etwa vier Fuß hohe Mauer von Steinen aufgebant ist, ans denen ein spitzes Dach von dick aufeinander gelegten Binsen ruht. Als Brennmaterial dient ihnen dabei der an fnmpsigen Stellen abgestochene und in der Sonne getrocknete Nasen, und sie haben im Innern aus Lehm roh zusammengeklebte und von ihnen selbst aufgestellte Oefen, die so trefflich geformt sind, daß sie tüchtig ziehen und eine höchst wohlthätige Temperatur im Innern verbreiten. Rings im Innern der Hütte läuft dann »eine Bank von eben solchen Nasenstücken aufgestellt, die übcr Tag zum Sitz und Nachts zur warmeu Lagerstätte dient. Der Nauch zieht natürlich durch das Dach, oder wo er eben fönst einen Ausweg findet — Schornsteine kommen nicht vor. Ualjay erreichte ich etwa 3 oder 4 Uhr Nach- 446 mittags, und da ich von hier aus noch etwa acht Leguas bis Cerro hatte, be-schloß ich da die Nacht zu bleiben. Ein guter Tambo sollte ebenfalls im Orte sein; vergebens frug ich aber dort um Nachtquartier, vergebens hielt ich bei jedem nur einigermaßen anständigen Hause, das ich in dem kleinen Städtchen fand, quarto zu bekommen; Niemand wollte den Fremden beherbergen, und ,,no ka^ Marto" lautete der Bescheid. Wäre ich nun ein schüchterner junger Reisender gewesen, so hätte ich jedenfalls diese Nacht müssen unter freiem Himmel zubringen — keinesfalls etwas Angenehmes, da es etwa eine Stunde später scharf zu graupeln ansing und die Nacht tüchtig fror. Ich hatte aber schon genug von der südamerikanischen Nace gesehen, um zu wissen, wie man sie behandeln muß, und so wie ich meinen Rundritt gemacht und nirgends ein Nachtqnartier gefunden, ritt ich vor das beste Haus der Stadt. Dort sticg ich einfach ab, schnallte meinen Sattel ab und trug ihn in das Haus, stellte meine Büchse in die Ecke und erklärte dem Besitzer, der mich vorher selbst ziemlich barsch abgewiesen, daß ich eingezogen sei. Er schien das auch vollkommen in der Ordnung zu finden; über nieine vorherige Anfrage wurde kein Wort mehr gesprochen, und 447 der Mann wurde von da an so freundlich, wie er nur sein konnte. Ich bekam sogar etwas sehr Seltenes, für mein Maulthicr etwas Hafer und Mais, denn draußen auf der Weide war wenig oder gar Nichts für dasselbe zu finden. Außerdem entdeckte ich eine Ticnda, in der ich ein Licht, etwas Vrod und ein Blech mit Sardinen in Oel kaufen konnte; Chocolade und etwas guten Cognac hatte ich selber bei mir, und wenn der Leser wissen will, wozu ich solche lukullische Vorbereitungen an einer solchen öden Stelle machte, so muß ich ihm einfach sagen, daß es Sylvester-abend war, den ich an diesem Orte allein und eiusam verbrachte. Natürlich wollte ich ihu auf eigene Hand feiern, und mir wenigstens einen ordentlichen Grog brauen, um die Gesundheit meiner Lieben und Freunde daheim zu trinken. Wie dann die Zeit kam, daß daheim die Mitternachtsstunde schlug, und während ich im Geiste die fröhlichen Paare in den erleuchteten Sälen dahin fliegen, während ich manches stillen traulichen StübchenZ gedachte, in dem sich gute Menschen ein fröhliches „Prost-Neujahr" cntgegenriefm — während ich wnßte, wie — doch das Alles läßt sich eben nicht so mit Worten sagen, wie man es in einer solchen Stunde fühlt; als es aber daheim 448 12 Uhr war, und nähreud in Ualjay der Hagel anf das Dach niederrasselte und anf das hölzerne Vordach der Verandah schlug, lag ich allsgestreckt anf meinen Schaffellen, den Kopf auf dem Sattel, den dampfenden Grogbecher neben mir nnd ein herzlicher gemeintes „Prost-Ncnjahr" hat Niemand aus der weiten Fremde in die Heimath gefendct, die gnten Menschen dort zu grüßen. Sonst schlaf' ich, fo wie ich den Kopf auf den Sattel drücke — hentc gmg'Z nicht, und lange, lange noch lag ich träumend wach, rauchte eine Cigarre nach der andern, nnd blies den Dampf in das neben mir stehende flackernde Licht hinein.*) So lag ich, bis es da oben schon sicher Zwölf Uhr war, aber in Ualjay blieb AlleS still und stumm. Das alte Jahr war vorüber nnd ein nenes sing an, das etwa wußten die Leute, und Weiteres kümmerte sie nicht. Wie hätten sie auch mit irgend einem bestimmten Gefühle das alte Jahr scheiden sehen sollen, da sie überhaupt gar kein 5) Der Mensch kann nämlich, wie bekannt, nicht im Dunkeln rauchen, so sonderbar das auch für einen Nichtraucher klingen mag. Sobald man dm Danipf nicht sieht, weiß man nicht, ob Pfeife odcr Cigarre brennt und demzufolge wäre der Gennß des Rauchens also in der That nur eine Einbildung. 449 bestimmtes Gefühl für Zeit haben. Sie wissen, daß das Jahr 365 Tage hat, das ist Alles. Wie rasch diese fliegen oder wie langsam, bleibt sich völlig gleich, denn so wie ein Tag vorbei ift, kommt ein anderer, der gellau so aussieht und ganz denselben Werth hat wie sein Vorgänger. Wozu die Tage etwa zu gebrauchen wären, und daß sie doch vielleicht selber in die Welt gefetzt sein könnten, derselben Etwas zu nützen, fällt ihnen gar nicht ein. Daß wir Europäer diesen Zeitabschnitten vielleicht ein Wenig zu viel Nachdenken widmen, ihnen vielleicht etwas zu große Bedeutung beilegen, mag vielleicht sein, aber so ein neues Jahr ist doch auch immer wieder ein Niesenschritt dem Grabe entgegen, nach dem gemessen uusere Bahn nicht eben lang erscheint, und wenn Einem bei einem solchen Schritte dann noch eine ganze Menge von anderen Dingen einfallen — wer kann's dem armen Menschenherzen da verdenken? Mein Licht wehte endlich nieder, und als ich am nächsten Morgen aufwachte, stand die Neujahrssonne schon hoch am Himmel. Da ich übrigens keine Neujahrsvisiten zu machen hatte, störte mich das wenig, und ich stand langsam auf, meine Chocolade zu kochen und dann mein Pferd zum Weitermarsche zu satteln. Fr. GerstäÄer, Achtzehn Monate in SüdMmnila I. 29 450 Als ich die Thür öffnete, schien und blitzte die Sonne auf dic weiß bereiften und behagelten Wiesen und Dächer — Schnee und Eis unter 11 Grad Süder Breite in Peru, wo, allen authentischen Bildern nach, die Leute als einzige Kleidung einen Schurz von roth und gelben Federn und eine ebensolche Krone tragen. Wetter noch einmal, wie fest ich mich in meinen Poncho einwickelte und wie oft ich die Finger wärmen mußte, bis ich den Sattel wieder aufgeschnallt hatte. Was half es mir jetzt, daß ich den Winter unter den Tropen zubrachte? Ich fror hier mit meinen verhältnißmüßig dünnen Kleidern mehr, als ich in Deutschland im kältesten Winter gefroren haben würde. Die aufsteigende Sonne leckte aber bald den Neif von den Hängen, und erst einmal im Sattel wurde mein Thier, wie ich, bald warm genug. Von hier aus führte der Weg bis Cerro de Pasco nur durch eine weite ?u,inM« — eine fast ununterbrochene Hochebene, auf der das Maulthier wacker austrabcn konnte. Trotzdem daß hier die eigentliche Regenzeit schon länger eingesetzt, war ich doch bis jetzt glücklich verschont geblieben, und selbst die, jene Ebene durchströmenden Flüsse hatten sich 451 so niedrig gehalten, daß ich sie alle an den verschiedenen Fnrten pafsircn konnte. Ganz merkwürdig ist die Scenerie, die sich dem Reisenden bietet, wenn er das enge Thal hinter sich läßt, in dem Ualjay noch liegt. Dort öffnet sich die Pampas vor ihm, nnd rechts nnd links weichen die niederen Berghohen mehr nnd mehr zurück. Diese bestehen aber hier aus den wunderlichst geformten Steinen nnd Felsblöcken, die sämmtlich aussehen, als ob sie theils gemeißelt, theils dnrch Menschenhände sorgfältig ans einander geschichtet wären. Dazn ist der ganze Berg nicht etwa Fels, sondern Rasenboden, aus dem die einzelnen Steine ordentlich wie herauswachsen, und was für sonderbare Grupften bilden sie. Hier steigt ein einzelner Pfeiler, wohl 60 bis 80 Fnß hoch, vollkommen isolirt empor, dort sind vier oder fünf Felsblöcke Zu einer Art riesigen Menschenfignr, die einen weitausstehenden Hut trägt, aufgeschichtet, und alle möglichen fabelhaften U,ngethüme kann sich die nur einigermaßen lebhafte Phantasie ans ihren zerrissenen Gestalten und Formen zusammenstellen. Man soll nie in der Welt Etwas aufschieben — als ich dort vorbeikam, wollte ich mir ein paar der sonderbarsten Gruppen abzeichnen, verschob 29* 452 es aber auf den Rückweg, und als ich zurückkam, regnete es gerade an der Stelle, was vom Himmel wollte, und ich mußte machen, daß ich nach Ualjay hineinkam. ' Hier traf ich mit einer kleinen Reisegesellschaft zusammen, die ebenfalls von Lima kam und nach Cerro de Pasco wollte. Es war ein Kaufmann aus dieser Stadt mit seiner jungen Frau, einen kleinen fünfjährigen Burschen vor sich auf dem Sattel, und ein älterer Herr, der sie begleitete — möglicherweise der Schwiegervater. Unterwegs fanden wir einen jener kleinen Haidevögel, die sich ziemlich zahlreich in der Steppe finden. Sie sind etwa von der Größe einer Lerche, mit der sie auch soust viel Aehulichkeit habeu, und weiß und schwarz gefleckt. Dies kleine harmlose Thier flatterte nm uns her, und wir saheu, wie es eines seiner Iungeu, das uoch uicht recht flügge war, wegzubringen suchte. Die junge Frau äußerte den Wuusch, den kleinen Vogel zu haben, und der gehorsame Gatte will-fahrte dem. Die arme Mutter flog mit ängstlichem Flügelschlaq und Klageruf hiuter uns drein, als ob sie den Naub zurückerbitten wollte. Ich sagte der jungen Dame, daß sie unmöglich das 453 kleine hülflose Thier am Leben erhalten könne; ihre einzige gleichgültige Antwort daranf aber lantete: „ich weiß es," und sie behielt das arme Thierchen in der Hand, bis es die Mutter lange in Verzweiflung aufgegeben hatte, und sie es müde war, dasselbe zu tragen — dann warf sie es auf die Steppe hinaus, um dort zu verschmachten. Es war eine noch junge, ganz hübsche Frau, aber ich hätte von da an kein freundliches Wort — nicht einmal ein artiges — mehr mit ihr wechseln können. Keinesfalls hatte sie ein Herz, wie sie sich denn auch um ihr eigenes Kind den ganzen langen Weg nicht ein einziges Mal bekümmerte. Hier begegneten wir einer Masse von Arrieros, und besonders Llamatreibern, denn Cerro de Pasco ist eine nicht unbedeutende Stadt, die außerdem Nichts selber erzeugt, sondern Alles, bis auf das Letzte, aus der Umgegend mnß zugeführt bekommen. Nur das Silber, um dafür zu bezahlen, liegt um sie her im Bauche der Erde, und die Menschen haben sich in einer kalten Einöde angesiedelt, das heranszuwühlen. Pasco war die frühere Minenstadt, etwa drei Leguas von dem jetzigen Cerro entfernt, die Minen dort aber gaben ans, und die Bewohner von 454 Pasco zogen sich meist all? nach den reicheren Minen von Cerro hinüber, wo sie sich häuslich niederließen. Da aber Cerro von Pasco ursprünglich kam, nannten sie die Stadt, wie es auch daheim nicht selten unsere Schriftsteller thun, Cerro d e Pasco, Pasco besteht solcher Art noch immer fort; wir konnten es vor uns an einem kahlen, trockenen Berghange liegen sehen, aber nur noch wenige Einwohner sind dort, mehr aus alter Gewohnheit, als eines wirklichen Nutzens wegen kleben geblieben, und weder Handel noch Gewerbe blühen in der Muttcrstadt, die das junge, silberreiche und geadelte Cerro lange überflügelt hat. Auch ein.vaar Haciendas sahen wir unterwegs, aber die Eigenthümer derselben müssen sich auf dieser Höhe einzig und allein auf die Viehzucht beschränken, denn allen Feldfrüchten sind die Nachtreife, die hier das ganze Jahr eintreten, stets verderblich. Auf dieser Höhe kann natürlich weder Sommer noch Winter einen Einfluß haben, und wenn die Sonne auch im Sommer, wo sie über Kopf steht, am Tage etwas wärmer scheinen mag, und etwas mehr Schnee von den Gebirgen wegfrißt, fo bleibt die Luft doch immer kalt und dünn, 455 und die Nächte sind stets dem Frost und Reif preisgegeben. Einen wundervollen Anblick hatten wir aber auf dieser Hochebene, denn wie sich gegen Mittag der auf den Flächen lagernde Nebel hob, sah ich das herrlichste Panorama von Schneegebirgen um mich her, das sich auf der Welt denken läßt. Diese schneebedeckten Kuppen schienen allerdings von dort aus, wo wir uns befanden, nicht übermäßig hoch — lag doch die Ebene selber wenigstens 14,000 Fuß über der MeereZfläche, aber wie ein weißer zackiger Gürtel spannte sie sich um uns her, oft tüchtige Joche in die Wolken reckend, um deren scharfgerissene Spitzen dünne, schleierartige Nebel schwebten. Thätige Vulkane schienen übrigens nicht darunter zu sein, wenigstens konnte ich nirgends die dunkeln Rauchsäulen erkennen, die in Ecnador so manches Schneegeftlde überhängen. Die Pampas bildet hier solcher Art einen von mächtigen Hängen eingeschlossenen Kessel, der ebenfalls eine 4 Leguas nn Umfange haltende Lagune trägt. Alle die Wasser aber, oie hier entspringen, nähren schon den Amazonenstrom, und stießen in ihm dem Atlantischen Oceane zu. Diese Lagune weit zur rechten lassend, zieht 456 sich der Weg, während die Stadt Pasco ebenfalls auf dem rechten Hügelhange liegen bleibt — mehr nach links hinüber, nnd etwa nm 3 Uhr Nachmittags erreichten wir die Minenstadt Cerro de PaZco. — Endc d?s nsten Bandes. Druck von >. broch, I//4 Thlr. Möllhauscn, B., Der Fl licht ling. Eine Erzählnng aus Nen>Merieo und dein angrenzenden Indianergebiet. Im Anschluß an den Halb-Indianer. 4 Bde. 8. broch. ^ii-e:,, 5'/2 Thlr. Brachvogel, A. E., Ans dem Mittelalicr. Historische Erinnerungen. 2 Bde. ^, broch. «ii«:», 2'/2 Thlr. Verlcpsch, H. A>, Die Alpen in Natnr. und LebcnS-Bildern. Mit WIllustrationen nnd einem Titelbilde in Tondnick, naä, Originalzei6)iinngcn von Eluil Ritt-meyer. Lex.-^. Ein starter'Band. Elcg. broch. 3 Thlr. 26 Ngr. E l e g. .g e b. niit v crq 0 ld r ti' u Deck e ll v er- » ^ierntt^". 4V« Tblu^ M it O oldfchnitt 4'/^ Thlr. Vil'ra, Om<^ssrcihcn von, An s Chil i, Perl^nnd Bra -filicn, ^l Bre, «. broch. eir^i 1 Tl?!r. / Nilira, l^r„st Frcilicrr von, Erinnerungen ans Snd-Anierifa. .«Bd.'. 8, broch. 3 Thlr. 15 Ngr. Böttsscr, ^ldolf, Habaua. lyrisch-epische Dichtung. Zweite Amlaqc. Äiin..Ausgabe, broch. IV3 Thlr. Pracht' v 0 l! g e b. mit O 0 ids ch,5. ^ Thlr. 16 Hgr. Vrachvülicl, A. O., Benoni. Ein Roman. 3 Bde. 8. brrch. ^ 4 Thlr. ^7 ^tgr. Vrachvolicl, A. E., Narciss- Ein Trauerspiel. Win.-Ani, Ngr. Vrachuusscl, A. E., Adelbert vom Vabanbergc. Ein Trauerspiel. Äcin.-Ausgabe, broch. 24 Ätgr. Prachtvoll geb. mit'O old schnitt 1 Thlr. 2 Ngr. PrachvMl, A. E>, Der Trödl-er. Ein Roman aus dem AlttaMe^'N. 2 Bde. «. broch. 3',^ Tblr. Vrachvolicl, A.