^", ^//> Achtzehn Monate m S ii d - A m e r i l a. AMZekn Monate m Süd-Amerika und dessen deutschen Colonien von Friedrich Gerstäcker. Dritter Vaud. (Erster Theil.) Hermann Costenoble. 1863. Die Uebersetzung dieses Werkes m fremde Sprachen wird vorbehalte«. IMltnmrXeicknw öes üriüen HanäW: Seite Fünstcö Kapitel. Patagonien und dic Pcnchm'iichcn....... 7 Scchstcö Kapitel. Von Valparaiso nach Coustitncion.......44 Siebentes Kapitel. Am Cap Horn..............79 Uruguay mid ^a ^lata. Erstes Kapitel. Montevideo...............W Zweites Kapitel. Buenos Ay«s.............113 Drittes Kapitel. Eine Diligemefahrt durch Urnquav ......169 Brasilien. Erstes Kapitel. Bon Jaguaren nach Porto Mqre.......206 Seite Zweites Kapitel. Die deutschen Cok'nien von Rio Grande.....235 Drittes Kapitel. Von Porto Alegre nach Santa Catharina .... 303 > Viertes Kapitel. Die Insel Santa Catharina nnd die benachbarten deutschen Colonim............345 Fünftes Capitel. Rio de Janeiro.............368 Sechstes Kapitel. Ein Rilckblict auf Brasilien und seine Colonien . . 396 Siebentes Kapitel, Heimfahrt von Nic dc Janeiro nach Bordeaux . . . 455 5. Vatagonien und die ^enchnenchen *). Mein Plan, Patagonien selber zu besuchen, war vernichtet, aber in den Cordilleren oben benutzte ich wenigstens die Gelegenheit, so viel als möglich von jenen Nachbarstämmen und den Verhältnissen ihres Landes zn erfahren, was einem spätern Reisenden zn Gute kommen mag. Arbeiten wir doch nur immer der Eine sür den Andern. Von allen Ländern und Theilen Süd-Amerikas ist Patagonien noch immer das am Wenigsten gekannte Land, und eigentlich haben wir auch nm von seiner Südgrenze, und einem Theile des *) Pochueuches ist der in Europa gewöhnliche Name für diese Stäunnc; ich selber aber habe sie, und zwar in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, nie anders als Pencknenches nennen hören. 8 Rio Negro im Norden genauere Nachrichten. Auch hat die chilenische Regierung an der Südgrenze eine Strafcolonie angelegt, und steht dort mit den benachbarten Indianern in einer lockeren Verbindung. Alle Versuche aber, von dort in das Land einzudringen, sind bis jetzt für die Unternehmer nur höchst traurig ausgefallen, denn die Patagonier haben eine, eben nicht verlockende Gewohnheit, den Leuten, die in ihre Hände fallen und die ihnen nicht behagen, einfach die Hälse abzuschneiden, und solche, die ihnen gefallen, als Gefangene bei sich zn behalten. In dem letzten Iahrzehend sind mehrere solche Fälle vorgekommen. So ging ein Major Phi-lippi von der chilenischen Colonie aus in das Innere, den Indianern einen Besuch abzustatten, und ihr Leben und Treiben kennen zu lernen — aber er kehrte nie wieder. Nur dem Burschen, den er bei sich gehabt, war es gelungen zu entkommen, und er brachte die Nachricht in die Co-lonie, daß die Indianer den Major erschlagen hätten. Freilich war er unvorsichtig genug gewesen, seine Uniform Zu tragen, von der er vielleicht geglaubt, daß sie den Indianern imponiren würde. Außerdem hatte er reich mit Silber verziertes Saum- und Sattelzeug uud kostbare Waf- 9 fen gehabt, und der Versuchung scheinen die Wilden nicht widerstanden zu haben. Ein anderer Deutscher wurde zwar nicht von ihnen ermordet, aber Zurückgehalten, und man hat uie wieder Genaueres über sein Schicksal erfahren können. Sein Name war Simon, wie es heißt ein Maler aus Stuttgart, den es trieb, das abenteuerliche Leben unter diesen Stämmen kennen zu lernen. Er nahm seine Guitarre mit, die er vortrefflich spielte, soll auch eine sehr hübsche Stimme gehabt haben, und mit seiner Mappe auf der Schulter zog er getrost in die Pampas hinein. Auch er kehrte nie wieder, und lange Jahre verflossen, in denen er todt geglaubt wnrde. Endlich verbreitete sich das Gerücht, daß ein Deutscher unter den Patagoniern lebe, der die Guitarre spiele und Bilder machen könne. Die Nachricht war bis zu den Penchuenchen im Norden gedrungen, und vor zwei Jahren, als ein junger deutschor Kaufmann von Valdivia aus über die Cordillercn ging, um mit den dort lebenden Indianern Handel zu treiben, erfuhr er von dem damaligen Oberkaziken Yankitruß, daß jener Deutsche kürzlich gestorben sei. Die Indianer hätten ihn aber sehr gut behandelt, und ihm sogar, wa's er 10 zum Malen brauchte, so wie Saiten für seine Guitarre von dem Hunderte von Meilen entfernt liegenden Carmen geholt. Sieben Jahre hat er jedenfalls unter diesen Stämmen gelebt, und es ist möglich, daß er jetzt gestorben ist, aber noch lange nicht gewiß, denn die Indianer können auch, recht gut, da die Nachfragen nach ihm lebhafter wurden, das Gerücht seines Todes nur deßhalb verbreitet haben, um nicht weiter belästigt zu werden, und meiner Ansicht nach dürfte die Sache damit noch nicht abgethan sein, sondern verlangte im Gegentheil eine genauere Untersuchung — wenn der Vermißte auch nur ein Deutscher war. Der einzige Reisende, der Patagonien im Norden durchzogen und darüber geschrieben hat — und das geschah in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts — war ein englischer Jesuit, Faulkner oder Falkner mit Namen. Später sind allerdings dann und wann schiffbrüchige Matrosen von den Patagoniern gefangen worden und Einzelne von ihnen wieder durch einen glücklichen Zufall entkommen. Von allen diesen haben wir aber uur sehr oberflächliche Berichte über das Land bekommen können, und noch immer ist es uns ein verschlossenes Buch. 11^ Faulkner selber war aber, wie es, scheint, gar nicht unter den eigentlichen Patagoniern, weun auch südlich vom Nio Negro, sondern unter den Penchuenchen, die nördlich und südlich vom Nio Negro und an dessen Zuflüssen leben. Sein kleines Verzcichniß von patagonischen Wörtern we-nigstens, das er dem Vnche beigcgeben hat, ist nicht die Sprache der Patagomer, sondern die der Penchuenchen, die auch auf der chilenischen Seite der Cordilleren von den dort lebenden Indianern gesprochen wird. Patagonien wird geographisch allerdings erst im 39sten Grad Süder Breite von dem Nio Negro im Norden begrenzt. Die eigentlichen Pa-tagonier wohnen aber viel weiter südlich, durch weite Pampasstrecken von den Penchuenchen getrennt, welche Letztere beide Ufer des Nio Negro inne haben, und in solchen Zeiten, in denen sie mit der argentinischen Negierung in Krieg leben, nach Nord hinauf bis zu der nach Mendoza führenden Hauptstraße ihre Streif- nnd Naubzüge ausdehnen. Die Penchuencheu unterscheiden sich aber nicht allein in ihrer Sprache von den Patagoniern, sondern auch in ihrer Hautfarbe und Statur. Die Patagonier sind größer und dunkler — weun 12 auch keine Niesen, zu was man sie früher machen wollte, aber doch kräftige und besonders hochaufgeschossene Gestalten, während die Penchuenchen mehr den gedrungenen festen Körperbau der Indianer Nord-Amerikas haben. Sie sind ebenfalls auffallend licht von Farbe, und Einzelne der Indianer, unter denen ich jene Zeit lebte, unterschieden sich wirklich kaum durch eine Schattirung von den zwischen ihnen hausenden Chilenen. Das lange straffe schwarze Haar haben sie freilich wie alle Indianer, und spielte es bei denen an der westlichen Seite, besonders bei jungen Leuten, oft in das Röthliche; auch fühlt es sich immer hart und rauh an, sehr verschieden von den oft seidenweichen Locken der Südsee-Insulaner. Die Sitten und Gewohnheiten beider Stämme sind freilich dieselben. Beide sind Nomaden und leben von ihren Heerden und dem Wilde, das sie mit gleichen Waffen, mit Lasso und Bolas, erlegen. Im Kriege führen aber auch beide die lange Lanze mit furchtbarer Sicherheit. . Die Bolas, die sie führen, sind verschiedener Art und zwar mit drei und zwei Kngeln für die Jagd und mit einer Kugel als Waffe gegen den Feind. Diese Kugeln bestehen, wenn sie es be- 13 kommen können, aus rundgeschlagenen Stücken Blei in Leder eingenäht, wo sie es nicht haben können, aus eben so verwahrten Kieselsteinen, die an einem, aus ungegerbter Haut geschnittenem Riemen hängen. Für die einzelne Kugel ist der Niemen kurz und selten über zwei Fuß lang, für die Doppel- oder dreifache Kugel drei und ein halb bis vier Fuß lang. Wenn sic die letzteren werfen, fassen sie eine Kngel, schwingen sie, wie bei dem Wurf des Lassos, um deu Kopf und schleudern sie dann nach dem flüchtigen Wild, dem sie auf ihren Pferden folgen. Trifft nur der Riemen dann den Hals der Beute, so schlingen sich die Kugeln im Nu um das Opfer und werfeu es zu Boden. Für Pferde und Guanakos nehmen sie, wie für Hirsche, die dreifachen Volas, für den Strauß dagegen nur die mit der doppelten Kugel. Die Bolas tragen sie um den Leib wie einen Gürtel, der Lasso hängt stets hinten am Sattel und ist durch eine feste lederne Schleife mit Knopf an dem Sattelgurt, stets zum Gebrauch bereit, be-festigt. Die besten Lassos stechten sie aus ungegerbter Guanakohaut; überhaupt verstehen sie ausgezeichnet Leder zu flechten, und ihre Zäume und Half- 14 ter, wenn sie sich nur irgend Mühe damit geben, könnten in ihrer Arbeit nicht von dem besten europäischen Riemer übertroffen werden. Die Frauen weben gute und feste Ponchos, Decken und Kleider, und ihre Lieblingsfarbe da-sür ist dunkelblau. Indigo bildet deßhalb einen der vorzüglichsten Handelsartikel mit allen diefen Stämmen. Die Penchuenchen führen, wie gesagt, aus-Mießlich ein Nomadenleben, ihre Wohnungen aber dürfen in den offenen Pampas nicht zu leicht sein, denn. wenn ihnen der Winter auch nicht zu häusige Ncgen bringt, fo herrfchen doch außerordentlich heftige Winde (jene sogenannten Pamperos) vor, gegen die sie sich fchützen müssen. Der beste Schutz gegen den Wind ist aber eine Thierhaut, und von den Häuten des Guanakos (das man recht gut das Kameel der Pampas nennen könnte, wenn es sich überhaupt zum Gcpäcktragen bringen ließe) nähen sie sich vortreffliche dichte Zelte, die Haarseite der Felle alle nach außen, und zwar so eingesetzt, daß etwa einfallender Negen an ihnen abläuft. Zu solchen Zelten brauchen sie nicht selten 30—40 Felle, und verläßt der Stamm seinen alten Lagerplatz, fo werden Stangen und Felle mit allem ihren übrigen Geräthe auf Pferde 15 gepackt, um einen neuen Jagd gründ und Weideplatz aufzusuchen. Die Penchuenchen-Pferde, von denen viele nach Chile gebracht werden, sind grobknochige, starke, etwas ungeschickte Thiere, und werden, um Strapazen auszuhalten, nicht für so tüchtig geschätzt wie die chilenische Nace. Gleichwohl können sie wsch laufen, und das ist besonders, was der Indianer braucht. Er hat Thiere genug, und ist eins von ihnen müde, so kann er leicht mit einem andern wechseln. Sie haben übrigens zwei Racen von Thieren — solche, die sie zum Reiten, und andere, die sie zum Gepäcktragen brauchen. Die letzteren sind viel kleiner, mit kurzen Beinen, aber außerordentlich kräftigem Körper, und sie halten dieselben höher im Werthe, als die ersteren. In den letzten Jahren haben diese Penchuenchen, die früher deu Argentinern viel zu fchaffen machten, einen Friedensvertrag mit dem Präsidenten Urquizas abgeschlossen, und es wird ihnen noch bis auf den heutigen Tag von der argentinischen Negierung ein Tribut in Stuten ausbezahlt. Ueberhaupt besteht seit der Zeit ein lebhafter Verkehr zwischen diesen wilden Stämmen und den argentinischen Forts, und es ist gar nichts so Sel- 16 tenes, daß sie Couriere von dort bekommen. Da aber nur wenige der Häuptlinge der spanischen Sprache mächtig sind, keiner von ihnen aber lesen und noch viel weniger schreiben kann, so hat sich das Bedürfniß bei ihnen herausgestellt, Leute um sich zu haben, die einen solchen Botschafter empfangen und abfertigen können. Seitdem halten viele dieser Häuptlinge sogenannte ot-endano« oder Schreiber, die ihnen als Dolmetscher dienen, mit ihnen leben nnd ebenfalls in Pferden bezahlt werden. Sonderbarer Weise haben sie aber dazu keine Argentiner genommen, denen sie vielleicht nicht genug trauen, mit ihren eigenen Landsleuten zu verkehren, denn alle die bis jetzt in den Pampas lebenden ^cridanu« sind iunge Chilenen aus den Grcnzansiedelungen, Männer, von Jugend auf an cm fast eben so wildes Leben gewöhnt wie die Indianer selber, aber doch mit nothdürftigen Kenntnissen ausgestattet, einen Brief zu entziffern und eine Antwort darauf abzufassen. Selten genug überhaupt, daß sie nöthig haben, ihre Schrcibe-kunst zu bewähren. Jedenfalls sind sie dadurch schon von ihrer alten Politik abgegangen, keine Fremden unter sich zu dulden, die nicht ganz entschlossen oder gezwungen sind, ihr Leben bei ihnen zu beschließen. __17 Es ist aber einmal Mode bei ihnen geworden, und damit der erste Griff geschehen, den die Ci-vllisation in ihr bis dahin von ihr unberührtes Leben gethan hat. Fort Carmen ist der Platz, wo ihnen alljährlich ihre „Geschenke," wie man freundlicher Weise den Tribut nennt, ausbezahlt oder überliefert werden. Ein Bote von dorther meldet ihnm dann, wenn die Pferde bereit sind, abgeholt zu werden, und die Indianer schicken dann von jedem Stamm Abgesandte nach dem Fort, ihr neues Eigenthum in Empfang zu nehmen. Gerade damals war, wie ich von dem eäeridauo hörte, die Zeit, und ein^ Theil der Indianer schon nach Fort Carmen aufgebrochcu. Bei solclM Touren übereilen sie sich aber nichtim Geringsten, und brauchen Monate dazu, um eine Strecke von wenigen Graden Zurückzulegen. Sie wandern, ihren ganzen Hausstand natürlich mit sich führend, zwei oder drei, höchstens vier Tage, und schlagen ihr Lager dann wieder für nne oder Mi Wochen auf, um theils ihren Thieren die nöthige Nuhe zu gönnen, theils frische Lebensmittel für deu Marsch anzuschaffen. So lange sie aber unterwegs sind, reiten sie auch, wie die Argentines in einem steten Galopp, und wechseln unterwegs ihre Pferde Fr. Get st äs er, Achtzehn Monate in SUt-Nmerila. III. 2 18 aus dem Trupp der mitgenommenen Aushülfs-thiere. Mit den Patagoniern scheinen diese Stämme in stetem Frieden gelebt zu haben, und wenn auch vielleicht dann und wann Streitigkeiten zwischen ihnen ausbrachen, wurden sie doch immer rasch beigelegt. Sie Alle hatten Jagd- und Weidegrund genug, und durch die weiten Pampas getrennt, bot sich auch nie ein genügender Grund zu Zwi-stigkeiten. Anders gestaltete sich das mit der argentinischen Republik, die ihre Besitzungen weiter und weiter nach Süden ausdehnte, und mit ihren Heer-den nicht selten in ein Terrain kam, das die Pen-chuenchen als das ihrige beanspruchten. Die verschiedenen Revolutionsparteien in der argentinischen Republik waren ebenfalls nicht lässig, die Indianer des Südens gegen die gerade bestehende Negierung aufzuhetzeu, indem sie ihnen, im Fall ihres Sieges, bedeutende Vortheile oder Beute oder sonst werthvolle Geschenke versprachen, so daß selbst Rosas nie im Stande war, seine unruhigen südlichen Nachbarn in ihren Grenzen zu halten. Er sah sich genöthigt, häufige Kriege gegen sie zu unternehmen, und hielt lange Jahre einen Stamm von ihnen dicht bei Buenos Ayres, und von dem Lager seiner eigenen Soldaten überwacht, gefangen. Es blieb aber mit solchen Feinden ein undankbarer und endloser Krieg, denn wenn siegreich, schwärmten ihre wilden Horden bis weit in die Republik hinein, und mordeten und plünderten, was ihnen unter die Hände siel, und besiegt, oder nur von einem zu mächtigen Feinde bedroht, flüchteten sie einfach in ihre weiten Pampas zurück, in die ihnen keine Armee folgen konnte. Auch mit dieser neuen Negierung begannen sie ihre Fehden, Urquizas aber, klug gemacht durch frühere Erfahrungen, versuchte nicht das höchst schwierige und fast unmögliche Experiment, diese wilden Stämme in der nämlichen Zeit zu demüthigen, wo er einen Theil seiner eigenen Landsleute gegen sich wußte, und alle seine, ihm zu Gebote stehenden Kräfte nothwendig brauchte, sich selber nur an der Spitze der jungen Negierung zu halten. Er schlug deßhalb den viel praktischem Weg ein, sie zu Freunden zu machen. Die Pferde, die er ihnen jetzt giebt — und er zahlt ihnen lauter Stuten, die in der argentinischen Ncpublit doch nicht geritten werden — hätte ihn auch ein Krieg mit den Nothhäuten gekostet, die gar nicht gerechnet, welche die Wilden würden fortgetrieben 20 und gestohlen haben, und seine Reiter kann er jetzt zu anderen Zwecken verwenden. Daß diese Indianer aber nicht blos im offenen Felde zu fürchten sind, hatten sie vor einigen Jahren bewiesen, wo sie eines der, mit Kanonen und Gewehren vertheidigten argentinischen Forts angrissen und nahmen und die Besatzung niedermetzelten. Dankitruß war damals der Oberhäuptling der Penchuenchen und führte jenen Kriegszug an. Wie er selber erzählte, so sprengten sie mit ihren Thieren gegen die Pallisaden des Forts, sich einen Eingang zn erzwingen, und wurden mehrmals zurückgeworfen. Da erhielt, bei einem neuen Angriffe, sein eigenes Pferd eine Kugel und sprang im Todcskampfe gerade auf die Pallisaden hinauf, von denen es eine zusammendrückte. Dadurch hatten die Indianer eine Brefche bekommen, und von ihren Pferden springend, stürmten sie jetzt niit Lanze und Messer das Fort. Jankitruß siel svätcr durch die Hand eines Meuchelmörders. Ein Aryentwer kam zu ihnen m's Lager, wenn ich nicht irre, um Pferde zurückzufordern, die ihm abhanden gekommen waren, auch hatte er wohl schon früher Zwistigkeiten mit dem Häuptling gehabt. Gleichwohl blieb die Un- 21 terhandlung eine vollkommen freundliche, bis der Argentina zur Abreise gerüstet war. Er hatte sein Pferd gesattelt und bestiegelt und 'ritt vor Jankitruß' Zelt, um von diesem Abschied zu nehmen. Der Häuptling stand vor dem Eingang nnd das Lager war in voller Nuhe; wie deßhalb der Ar-gentiner dicht neben dem Indianer hielt, zog er sein schon bereitgehaltcnes Pistol, schoß ihn nieder, und floh davon, so rasch ihn sein Pferd tragen konnte. Ehe die Penchuenchen nach ihren Pferden greifen und ihn verfolgen konnten, hatte er scho.n einen solchen Vorsprnng, daß sie nicht im Stande waren, ihn einzuholen, und er entkam glücklich. Die argentinischen Pferde scheinen überhaupt flüchtiger zu sein, als die der Penchuenchen, und Nankitruß erzählte eigens einen Fall, der ihm selbst in der Erinnerung peinlich zu sein schien, denn er verlor damals an eiuem Tage scin Lieblings-weib nnd sein bestes Pferd. Beide hatte er von einem Raubzugr ans der nördlichen Republik, mit noch mehreren andercn Gefangeneu heimgebracht, und das Pferd war ein Schimmel, so flüchtig, wie er noch je ein Thier unter sich gehabt. Eines Tages nun ließ er das junge Mädchen, das er geraubt und zu seine? Frau gemacht, diescn Schimmel reiten; die junge 22 Argentinean, eben so im Sattel zu Haus wie der Beste der Indianer, scheint sich vorher mit einem ihrer gefangenen Landsleute über ihre Flucht verständigt zu haben. Der Argentiner wußte sich ebenfalls ein gutes Pferd zu verschaffen, und mitten aus dem Zuge heraus, die vollkommen berittenen und fertigen Indianer hinter sich, flohen die Beiden plötzlich Stepp ein. V^ukitruß folgte ihnen mit seiner ganzen Horde, und den ganzen Tag dauerte die Jagd, ja am nächsten Morgen nahmen sie die Fährten wieder auf, aber umsonst. Er sah weder sein junges Weib, noch seinen Schimmel wieder. Es lebt in Valdivia eine Familie, die ebenfalls durch die Araukaner eine Tochter verloren hat. Das junge Mädchen war, als sie geraubt wurde, sechzehn Jahr alt, und der Vater bot damals Alles auf, sein Kind wiederzubekommen, aber umsonst. Das Gerücht sagt, daß sie noch jetzt unter den Penchuenchen lebe, die sie wahrscheinlich von den Araukanern eingetauscht, aber es ist nie möglich gewesen, ihre genaue Spur aufzufinden, und jetzt sind lange, lange Jahre darüber verflossen. Nach Jankitruß' Tode wurde sein jüngerer Bruder Mankelav Oberkazike der Penchuenchen, 23 und ist es bis zu diesem Augenblicke. Die Häuptlings- oder Kazikenwürde scheint deßhalb erblich bei ihnen zu sein. Unter dem Hauptkaziken leben aber noch eine Menge Unterkaziken und ziemlich unabhängig von ihrem Oberhaupt in der weiten Pampas. Jedenfalls müssen sie eine bedeutende Stimme im Nathe haben, denn die argentinische NepubM zahlt ihre Geschenke nicht allein an Mankclav, sondern anch an viele der Unter-kaziken, um sich deren guten Willen zu sichern. Die Namen derselben sind Tureopan, Huen-tchapan, Yankin,Hnitrallan, Tchaiwek, Huincaval und Paillacan. Den westlichsten Distrikt, in der Nähe der Cordilleren, hat Tureopan. Mankelav residirt gewöhnlich am Limai, an dem südlichen Haupttributar des Nio Negro, und die übrigen Häuptlinge sind in den anderen Distrikten vertheilt, ohne, wie gesagt, feste und bestimmte Wohnplätze zu haben. Mankelav wird nur stets in Kenntniß gehalten, in welcher Gegend sie sich eben zeitweilig befinden, damit er im Fall der Noth rasch Voten au sie absenden kann. Was auch ihre Privat-zwistiakeiten nnter einander sein mögen, in einem Kriege nach außen haben sie (mehr, als wir von unseren deutschen Indianern sagen können) 24 noch immer fest zusammengehalten, und der erste Häuptling hat dann die Führung, ohne Widerspruch. Das Einzige auch, was diese Stämme bis jetzt noch so frei und unabhängig gehalten hat, ist, daß sie selbst nicht den entferntesten Begriff von Diplomatie haben. Die nordamcrikamschcn Indianer waren große Redner, und gingen rettungslos zu Grunde, als sie ihre Gesandten nach Washington schickten, dort mit den Bleichgesichtern Verträge abzuschließen. Sie nahmen oazn ihre klügsten Leute, die im praktischen Lrben gewöhnlich die dümmsten sind, und mit Redensarten verwirrt gemacht und durch zweideutige Verträge betrogen, sahen sie sich von ihren Iagdgründen durch kleine Stücken Papier vertrieben und in den „weiten Westen" zurückgedrängt. Die Penchuenchen, Araukaner und Patagonier haben sich dagegen nie auf derartige Spitzfindigkeiten eiugelassen. Ohne erst lange bei einem Nachbarstaate anzufragen, ob er es möglicherweise übel deuten könne, wenn sie so frei wären, ihr gutes Necht zn wahren, sprangen sie in die Sättel und bedrohten und züchtigten den Feind so lange, bis er froh war, mit ihnen Wiel5er Frieden zu schließen — denn er wußte recht gut, daß bei 25 ihnen mit Redensarten und Adressen doch Nichts auszurichten war. Ueber ihre Religion konnte ich gar Nichts erfahren, und sie scheinen auch in der That keine einzige Art von Cultus zu haben, eben so wenig b"e sie „Zauberer oder Medicinmänner", gleich ihren nördlichen Brüdern, unter sich halten. Sie glauben aber an ein böses Wesen, eine Art Feuergeist, deu Pilian oder Teufel, der seinen Sitz in den Cordillcren, in dem Krater des Vulkans Villa Nica hat, ebenso wie die Sandwich-Insulaner in früheren Zeiten (und heimlich selbst jetzt noch) ihre Feuergöttin Pelü in dem Kirauea von Hawaii verehren. Einen andenn Glauben theilen sie mit den australischen Stämmen, daß sie nämlich Niemanden für natürlich gestorben halten, der nicht im Kriege von Feindes Hand, oder vor ihren Augen durch irgend eine tödtliche Waffe fiel. Alle anderen Krankheiten und Todesarten sind, ihrer Meinnng nach, die Folgen irgend einer böswilligen Zaubers, und es geschieht gar nicht selten, daß sie sich irgend ein schuldig geglaubtes Opfer ausersehen, an diesem den Tod des Gestorbenen zu rächen. So wurde erst im vorigen Jahre der Fähr- W mann über die Huitchinlagune, dicht am Abhänge der Kordilleren, von dem Stamme Tureopan's erschlagen, weil man ihn in Verdacht hatte, den Tod eines Indianers durch Zauberei herbeigeführt zu haben. Möglich, daß sie einen großen Geist verehren, aber wie viele wilden Stämme — ganz entgegengesetzt von unserer christlichen Religion, halten sie denselben für ein durchaus gutes Wesen, voll Liebe und Erbarmen, das nachsichtig mit ihren Schwächen und Sünden ist, und das sie also deßhalb nicht zu fürchten haben. Mit dem bösen Geist ist es dagegen eine ganz andere Sache, der schadet ihnen und verdirbt sie, wenn sie ihn irgend erzürnen, und es ist deßhalb weit besser, ihn zum Freunde zu haben. Die in der Nähe des Vulkans Villa Nica wohnenden Indianer gcstattcn deßhalb auch keinem Fremden, eben so wenig wie Einem von ihrem Stamme, denen es übrigens gar nicht einfällt, den Krater des Vulkans vor der Ernte zu besuchen, weil sie überzeugt sind, der Pilian würde das übel nehmen und ihre Ernte verderben. Nach der Ernte, oder wenn ihre Aepfel einmal reif sind, hat es schon nicht mehr so viel zu sagen, wenn er auch einmal ein wenig böse werden sollte. 2? Er spuckt dann wohl Feuer aus, kann aber keinen weiteren Schaden mehr anrichten. Unsere Religion behauptet, daß ihr Gott nicht der rechte und ihr Teufel nur ein blinder Aberglaube wäre. Ich glaube, jene Stämme haben genau die nämliche Meinung von uns. Darin neigen sie übrigens den Mohamedanern zu, wenn sie auch gerade in keinem heißen Klima leben, daß sie denen, die reich genug dazu sind, verstatten, mehrere Frauen zu nehmen. Die Ka-ziken sind es sogar schon ihrer eigenen Würde schuldig, mehr als eine zu halten. Ihre Zelte sind geheiligt, und kein Fremder darf sie ohne besondere Einladung betreten. Alle Leute, die übrigens mit diesen Indianern verkehrt haben, sagen aus, daß sie, im Ganzen genommen, ein gutmüthiges und ehrliches Volk sind. Diebstähle fallen allerdings auch bei ihnen vor, eben so gut wie in civilisirten Staaten, aber nie werden sie einen Freund bestehlen — mehr als wir von den civilisirten Staaten sagen können — und selbst die Händler, die ihre Waaren zu ihnen bringen, sind ihres Eigenthumes vollkommen sicher. Mir wurden mehrere Beispiele erzählt, dah Einem oder dem Andern Thiere gestohlen waren; auf 28^ eine Klage bei dem Häuptling verschaffte er ihnen dieselben aber stets wieder, wenn es anch längere Zeit danern sollte, ehe er ihrer habhaft werden konnte. Aehnlichcs läßt sich aber nicht von ihren Nachbarn, den Chilenen, behaupten, von denen Manche in die Pampas hinübergehen, so rasch als möglich einen Trupp Pferde zusammenzubringen. Gnade Gott ihnen freilich, wenn man sie dabei erwischt, und sie dürfen es nachher nie wieder wagen, sich an der otra dauäa blicken zu lassen. Während null argentinischer Seits vom Fort Carmen ein lebhafter Handel mit jenen Penchuen-chen-Stämmen eröffnet ist, und Messer, Sporen, Sättel, Gebisse und wollene Decken von dort hin-übcrgeschafft werden, haben die chilenischen Händler ebenfalls Verbindungen mit ihnen angeknüpft und ziehen im Sommer, besonders im November, December und Januar, zu ihnen hinüber, um ihnen Indigo, Glasperlen, Messer, Kattune, Maultrommeln, Fingerhüte (welche die Frauen durchbohren und um den Hals hängen), Nadeln, Spiegel und ganz besonders Tabak und Branntwein zu bringen, denn leider ist der Penchuenche ein eben so leidenschaftlicher und vernunftloser Trinker, wie der nordamerikanische Indianer. 29 Kommt eine Ladung Branntwein in das Lager, so wird vorher der Handel mit dem Verkäufer abgeschlossen, der eine bestimmte Anzahl Pferde dafür bekommt; dann werden idie Fässer angebohrt und nicht wieder verlassen, bis sie vollkommen und gründlich geleert sind. Sie haben dieHitte, wie die Europäer, einander Zuzutrinken, und ein Horn geht fortwährend w Kreise der Lagernden herum und muß von Jedem, dem es gereicht wird, bis auf die Nagelprobe geleert werden. Allerdings vermischen die Händler den Branntwein schon vorher fast zur Hälfte mit Wasser — wie sie sagen, nur deßhalb, um den Indianern nicht zu schaden, die sich sonst vhne Zwnfcl an dem zu scharfen Branntwein todt saufen würden. Die Wilden erhalten also von vornherein nur etwas starken Grog; die Quantität, die sie aber, selbst von diesem, zu sich nehmen, soll enorm sein, und sie trinken,' bis sie an Ort und Stelle umfallen und ein- und ausschlafen, um dann augenblicklich von Neuem zu beginnen, bis das leere Faß den trockenen Boden zeigt. Bei solchen Gelagen fallen dann freilich nicht selten blutige Scenen vor, denn der Penchuenche ist in feiner Leidenschaft so rasch mit dem Messer, wie der Argentiner, aber sie haben den Streit doch 30 nur stets unter sich, und der Weiße ist vollkommen sicher — besonders der Deutsche. Wunderbarer Weife besteht nämlich bei den Penchnenchen eine Sage, daß sie ursprünglich von den Deutschen abstammen. Ihre Vorväter sollen, wie sie sagen, vor grauen Jahren von Osten zu ihnen herübergekommen sein, und zwar von Deutschland selber. Sie nennen deßhalb auch die Deutschen Mri6nw8 oder Verwandte, und haben sich bis jctzt noch immer freundlich gegen sie gezeigt. Eigenthümlicher Weise hat der Klang ihrer Sprache wirklich viele Achnlichkeit mit der deutschen, und die kleine Kazikentochter überraschte mich eines Abends nicht wenig, als ich der alten Dame und der ältesten Tochter Tabak zu einer Papier-Cigarre gegeben hatte, und sie jetzt frug, ob sie ebenfalls rauchen wolle. , Sie sah mich erst einen Augenblick an, als ob sie sich die Sache überlege, und sagte dann ganz entschieden und deutlich „ja!" Natürlich forschte ich dem Worte augenblicklich weiter nach und erfuhr dann, daß j a so viel bedeute, als in unseren Antworten „gut" oder „meinetwegen." Uebngens findet sonst unter den penchuenchen und deutschen Wörtern nicht die geringste Aehn- 31^ lichkeit statt -^ wenn ich auch damit nicht gesagt haben will, daß nicht ein tiefer Forscher die eine Sprache von der andern mit der größten Bequemlichkeit ableiten könnte. So viel ist sicher, diese Sage deutscher Abstammung, die bei allen Penchuenchenhorden besteht, kommt unter ihnen dem Deutschen besonders gut zu Statten, und ich bin fest überzeugt, ich würde in den Pampas, wenn ich sie nur hätte erreichen können, nicht im Geringsten nöthig gehabt haben, für mein Leben zu fürchten. Mehrere Deutschesind auch in der That schon von Valdivia bei ihnen gewesen, ein junger Kaufmann Muhm sogar bis über deu Limai, an dessen anderem Ufer der damalige Kazike Yankitrnß sein Lager hatte, und Alle sind freundlich von den Penchuenchen aufgenommen und weder an ihrem Eigenthum geschädigt, noch länger zurückgehalten worden, als sie selber bleiben wollten. Was nun die geographische Lage dieses Theils von Patagonien betrifft, so haben wir darüber die älteste genauere Nachricht in der Karte des Jesuiten Faulkner, die im Ganzen, so unvollkommen sie auch sein mag, doch ziemlich richtig zu sein scheint. Manches habe ich aber noch dazu erfahren, sie zu vervollkommnen, bis es späteren 32 Zeiten ermöglicht wird, eine genaue Karte dieses Theils unserer Erdkugel herzustellen. Der Rio Negro wird aus zwei Hauptzuflüssen gebildet, die, nördlich und südlich nach den Cor-dilleren hinlaufend, etwa im 40. Grad Süder-Breite zusammentreffen. Wie es scheint, nennen die In^ dianer den NW Negro aber keineswegs von dort ab schon den „schwarzen Fluß" oder Nuru i6iitu, sondern erst weiter unterhalb, und zwar unter jener Fuhrt, die nach ihren Salinen oder Salzplätzen hinaufführt. Bis dorthin wird er gewöhnlich noch der Limai genannt, wie scin südlicher, in einer Lagune entspringender Tributar heißt. Diese Lagune, die auf Faulkner's Karte nur ungefähr und ohne Namen angedeutet ist, heißt Naguelhuapi und liegt etwas über „eine Tagereise" von jener Stelle entfernt, wo dcr Limai in den eigentlichen Rio Negro mündet. Dieser Lauf des Limai erscheint dadurch sehr kurz; der Limai ist deßhalb aber keineswegs ein kleiner oder un-bedeutendcr Strom. Mau muß nämlich bedenken, baß fast alle diese Vergströme ihren Ursprung in Lagunen oder Vergseen haben, in denen sich vorher all das Wasser d ' ' Schwierigkeit hätten, darüber hinzukommen, machte mir aber deßhalb keine Sorge weiter; denn Schwierigkeiten sind ja nur deßhalb da, damit sie überwunden werden. In der Nacht vom 7ten auf den 8ten Mai ging ich, nach einem herzlichen Abschied von der Fchr-mann'schen Familie, an Bord. Ich war von den guten Menschen aufgenommen und behandelt worden, als ob ich selber zu ihnen gehöre, und mir war das Herz recht schwer, als ich das gastliche Haus verließ. Abschied nehmen — Du lieber Gott, es ist ein schweres Wort, und eigentlich sollte ich schon daran gewöhnt sein, denn ich habe mein ganzes Leben lang verwünscht wenig Anderes gethan, als irnmer nur Abschied genommen. So war auch dieser achte Mai wieder der Jahrestag, an dem ich die Meinen daheim verlassen. — Doch fortl — Morgens um 9 Uhr lichteten wir den Anker, aus der Bay hinauszusegeln; der Wind war aber ungünstig, gerade von Norden, und wir mußten dagegen aufkreuzen. Es ist eine merkwürdige Thatsache, daß fast alle Häfen an der ganzen Westseite Süd-Amerikas nicht nach Westen, sondern nach Norden zu offen, und in dieser Breite den oft sehr heftigen Nordwinden preisgegeben sind. Ein richtiger Nor- 4s.,. der richtet denn auch manchmal in dem Hafen von Valparaiso großen Schaden an, und hat schon oft die größten Schisse auf den Strand getrieben, daß sie mit ihrer ganzen Mannschaft verderben mußten. Dieser Nordcr war freilich nur eine ganz leichte Brise, die kaum die Oberfläche der Bay kräuselte, und etwa um 2 Uhr Nachmittags warm wir frei von der letzten auslanfenden Spitze, und konnten jetzt mit einem ganz leichten günstigen Winde unsere Bahn nach Süden hinunter halten. Gegen Abend frischte derselbe aber, und etwa um 9 Uhr liefen wir neun und zehn Knoten die Stunde, vor einer prachtvollen Brise, die alle unsere Segel füllte, und die weißmähnigen Wellen toll und wild hinter uns dremjagte. Ich ging erst spät zu Bett, mid als ich am nächsten Morgen aufstand, liefen wir noch vor derselben Brise, aber ein häßlicher Regen peitschte an Deck nieder. Wir konnten uns nicht weit vom Lande befinden, das mit Tagesanbruch vom Deck gesehen war; jetzt deckte es ein dichter Nebcl. Da wir aber noch nicht gut in einer Hohe mit Maule sein konnten, frühstückten wir erst in aller Nuhe und gingen dann wieder an Deck, nm zu sehen, ob wir jetzt das Land wahrnehmen konnten, auf das wir indessen zugehalten. 49 / — Trotz der starken Vrise hatte der Capitam noch alle Segel aufgehalten, sogar Leesegel bis 2 Uhr Morgens gehabt, wo uns der Wind die eine Leesegelspeer wegbrach. Das Land wurde jetzt sichtbar, aber, wie das immer bei Nebel der Fall ist, nur die allernächste Küste lag, wie ein flacher dunkler Streifen vor uns, in dem sich gar keine bestimmten Umrisse erkennen ließen. Der Capitaw meinte jetzt, das müsse das Land dicht über Maule ' sein, der Steuermann aber wollte mit Sonnenaufgang weit mehr nordlich gelegene Kuppen gesehen haben. Der Wind war indessen so heftig geworden, daß es nöthig wurde, an Reefen zu denken, und eben hatte der Capitain den Befehl dazu gegeben, als ein dunkler Felstlumpen dicht vor uns sichtbar wurde, „Das ist Maule!" rief er fast erschreckt aus, „beim Himmel, wir sind dicht davor — da ist die Barre!" Alle Wetter! er hatte recht, dort drüben lag die Barre, so nahe, daß sich das Schäumen ihrer weißen, sich überstürzenden Wogen deutlich erkennen ließ. „Und können wir hinüber?" frug der Steuermann. Fr. Gersläöci, NchtzchnMoncttc in Eüd-Amcrtta. III. 4 50 „Wenn wir heute nicht hineinkommen, kommen wir gar nicht hinein!" rief der Capitain; ,,1et der rip!" Das Steuer flog herum, und mit allen Segeln gesetzt und einem jungen Sturm hinter uns, flogen wir im wahren Sinne des Wortes direkt auf den hohen dunklen Felsen zu, dessen scharfe Wände sich jetzt deutlich erkennen ließen. Zu sehen war dabei in der That kein einziger Punkt, dem das kleine Fahrzeug hätte ungestraft zustiegen können, denn vor uns und zur Rechten lagen Nichts als hohe, schroffe Felsen, mit vor ihnen aufragend dunklen, schaumbespritzten Klippen, und etwas -zur Linken donnerte eine einzige Reihe dlln-kelgelber Brandungswellen, die den schlammigen Grund aufgewühlt hatten und an die Oberfläche schleuderten. Und gerad' auf den Felsen hielt das wackere kleine Fahrzeug zu, das über die brausende See zu tanzen schien. Es war ein wundervoller Moment, gerade gefährlich genug, um interessant zu sein, denn daß der Capitain den Platz genau genug kannte, ließ sich denken, er hätte sich sonst nie bei solcher Brise hineingewagt. Der Capitain stand vorn am Bug — der Regen peitschte nieder, aber Keiner von uns fühlte es — und gab dem Mann am Steuer 51 nur mit der Hand das Zeichen, wie er steuern solle. Der Bootsmann, als der Beste für das Steuerrad, hatte den Ehrenposten bekommen. Näher und näher schoß der Bug des Fahrzeuges dem Felsen zu; so nahe waren wir, daß ich mit meiner Büchse hätte irgend einen der um ihn kreisenden Aasgeier schießen können. — Jetzt ein wenig zur Linken — das wackere Fahrzeug gehorchte augenblicklich dem Nad — noch ein wenig — 8waäv! wir hielten, von dem Felsen ab, genau auf die schäumende Brandungswelle der Barre zu. Das Ganze dauerte aber nicht die Hälfte der Zeit, die ich gebraucht habe, es zu beschreiben; wir waren vor den Brandungswellen und darin im Handumkehren, und jetzt schäumte die gelbe, kochende Fluth unter dem Bug — das kleine, flinke Fahrzeug schien darunt er hinzugleiten; jetzt schoß und bäumte sie hinter dem Stern und warf ihre Kuppe jählings drüber — über den Mann am Steuer bis hin vor den Mast. Jack schaute sich aber nicht einmal nach ihr um; mit beiden Händen die Speichen fest gepackt stand er da, die Augen auf den Capitain gerichtet; denn noch war nicht alle Gefahr vorüber, da eine sandige Landzunge den Hafen in zwei Theile spaltet. Aber das glatte Wasser hatten Wir erreicht, die Barre 4* 52 passirt, und nicht zwei Minuten später fielen und flatterten die Segel, rasselte der Anker in die Tiefe nieder, und der „Manuel Carvallo" lag sicher im Hafen, dessen andere Schiffe dicht an die Stadt uud unter den hohen Felsen ihren Ankergrund gesucht. In manchen Hafen schon bin ich eingelaufen, aber in keinem noch war der Uebergang von wilder stürmischer See und brandenden Wellen zu vollkommen sicherer Ruhe so rasch gewesen, als hier. Es schien fast wie Zauberei, und als ich, kaum zehn Miuuteu später, das Land betrat, schwankte mir der feste Boden noch immer unter den Füßen. Constitucion, wie der Platz genannt wird, ist ein kleines freundliches Städtchen von etwa 7 bis 8000 Einwohnern an der Mündung des Maule? flufses, der seine Wasser aus den Cordilleren niederführt, und sein Haupthandcl besteht mit Valparaiso und den nördlicher gelegenen chilenischen Häfen, wohin die verschiedenen Fahrzeuge besonders die Producte einer gemäßigten Zone, ganz vorzüglich Mchl, bringeu. Gerade jotzt sah auch dl'r kleine Platz, der romantisch genug zwischen pittoresken Hügeln liegt, besonders lebhaft aus; denn vierzehn Fahrzeuge 53___ ankerten in dem engen Hafen, unter ihnen die »Amalia", die aber erst seit zwei Tagen eingelau-fen war. Die Schuld indeß, daß so viele Fahrzeuge hier versammelt waren, trug hauptsächlich die Barre, die in den letzten Tagen zu unruhig gewesen war, einem der seefertigcn Fahrzeuge den Ausgang zu verstatten, denn von den Hügeln eingeschlossen, haben sie hier sehr wenig Wind und müssen durch einen dort liegenden Dampfer hinaus-bugsirt werden. Auch der Flaggenhügel dicht dabei, demselben hohen Felsen, der uns die Einfahrt an diesem Morgen gezeigt, ist ein Flaggenstock, der den von Außen kommenden Schiffen durch besondere Signale anzeigt, ob sie die Einfahrt wagen dürfen oder nicht. Wir hatten freilich heute Morgeu nicht darauf warten können, und gegen das bestimmte Signalement die Bahn forcirt. Der Wärter oben behielt kaum Zeit, unser in Sicht kommen zu tele-graphiren, als wir auch schon sicher im Hafen vor Anker lagen. Zwei Tage vor uns war ein anderer Schooner, nach Maule bestimmt, von Valparaiso abgegangen, aber noch nicht eingetroffen, auch noch nicht einmal in Sicht gekommen. Man vermuthe, daß er in dem trüben Wetter die Einfahrt verpaßt 54 habe und nach Süden hinabgetrieben sei, von woher er jetzt wieder Tage gebranchcn konnte, gegen den Norder aufzukreuzen. Die „Amalia" hatte in dieser Zeit noch nicht einmal begonnen zu laden, und da ich die Leute an Bord nicht gern durch einen Passagier belästigen wollte, ging ich vor der Hand in ein Hotel, von denen Maule zwei aufzuweisen hat, ein französisches, wo ich einkehrte, und ein chilenisches. — Hotel! — Du lieber Gott, aber ich war auf meiuen letzten Fahrten nicht sehr verwöhnt worden, und hatte mich bald eingerichtet. Und was läßt sich von Coustitucion selber sagen? — Erstaunlich wenig, wenn man das kleine, unbedeutende, aber in breite regelmäßige Straßen ausgelegte Städtchen nur eben so von Weitem, und zwar von dem Flaggenhügel aus beschaut, wie ich es am nächsten Morgen that. Die Stadt liegt am linken Ufer des Stromes, und schmiegt sich bis fast dicht an den Felsen an, der hier die Ecke des Landes bildet, und auf der einen Seite die Varre überhängt, daß man von oben aus den da unten ankernden Schissen, wie von ihrem eigenen Wlst aus, auf das Verdeck sehen kann. Diese, etwa dreihundert Fuß hohe Kuppe war 55 srüher merkwürdigerweise ein Begräbnißplatz. Noch jetzt stecken ein paar kleine verwitterte Kreuze auf dem engen Naume, und der Regen und Sturm hat auch einzelne Menschenknochm heraus aus ihrem letzten Bett gewaschen. Jetzt wird er nicht mehr benutzt, und nur im Sommer kommen die Badegäste von Talca, der Distriktsstadt, herunter, und klettern auf diesen Höhen herum, die wirklich reizende Aussicht zu genießen. Der Anblick ist in der That die geringe Mühe werth, diesen kleinen Hügel zu ersteigen, denn man hat von ihm aus fast ein vollständiges Panorama von Landschaft und See, wie man es sich nur wünschen kann. Nach Süden hemmt ein etwas höherer Hügel, auf dem das eigentliche Flaggenhaus steht, den Blick; nach Westen aber und Norden hinauf liegt die weite See, während man im Norden noch die Brandung gegen die niederen Sandufer schlagen sieht, die auch im Südwesten, gerade zu Füßen, Wider den steilen Felsen springt und bäumt. Nach Südosten zu jedoch schlangelt sich der zwischen bewaldeten Hügeln hinlaufende Maulefluß in das grüne Land hinein, und schaut man nach Nordost zu gerade hinab, so wühlt da unten die Brandung über die Barre, während die Schiffe jmit 56^ ihren kahlen Masten ruhig und dicht dahinter in dem glatten Wasser vor Anker liegen, und von zwischen ihnen hinfahrenden Leichtern ihre Ladung nehmen. Dicht dahinter aber scheint die Sonne hell und freundlich auf die Ziegeldächer der Stadt, die aber fast wie ausgestorben scheint, denn selbst von dort aus, wo man alle Straßen übersehen kann, lassen sich in der ganzen Stadt nicht dreißig Menschen auf den Beinen erkennen. Die Stadt ist auch wirklich entsetzlich todt und Abends acht Uhr sieht man keine Seele mehr auf dem Pflaster, während nur hie und da aus einzelnen Häusern der Klang einer Guitarre oder eines schlecht gespielten Pianos heraustönt. Die Hauptausfuhr des Maule ist Mehl, Weizen, Branntwein und vielleicht Wein und Tran-bewTMscha, da das Wort Tschitscha fast auf jedes erdenkliche Gebräu angewandt wird. Die Ausfuhr an Mehl fcheint aber in der That fehr bedeutend zu sein, denn vortreffliche Mühlen in der Nachbarschaft liefern ein ganz vorzügliches Product, das überall einen guten Markt findet. Die von Valparaiso kommenden Schiffe bringen dafür alle nur erdenklichen Waaren und Kaufmannsgüter, die theils für Constitucion selber, theils sür Talca oder das innere Land bestimmt 57 sind. Außer diesen Schiffen hat die Stadt nur den wenig bedeutenden Verkehr der Flußboote; Vergnügungen oder Zerstreuungen bietet sie aber gar keine, man müßte denn eine Partie Billard oder Kegel im Hotel dazu rechnen, und es läßt sich denken, was für eine trostlose Zeit ich da verlebte, als die „Amalia", statt in drei oder vier Tagen segelfertig zu sein, theils durch die Ladung, theils später durch die Barre aufgehalten, bis zum 28. Mai in Maule liegen blieb. Am 15, Mai ging ich übrigens an Bord, denn der Aufenthalt an Land war wirklich zu schauerlich, und die Eigenthümer des Fahrzeugs, zwei, Engländer, boten mir freundlich an, meine Coje gleich jetzt zu beziehen. Ladung nach Ladung kam ebenfalls an Bord, und die Aussicht war da, daß wir bald segelfertig sein könnten. Indessen machte ich in der Stadt, wo ich mich wenigstens einen Theil des Tages oder Abends aufhielt, verschiedene Bekanntschaften, und fand bald, daß in dem kleinen Neste eine förmliche deutsche Colonie sich angesiedelt hatte — aber es war das eine ganz eigenthümliche Colonie, wie man sie auch nur in einem solchen aus dem Wege liegenden Hafenplatze finden kann. Die Chilenen sind nämlich nur höchst mittel- 58 mäßige Seeleute, die vielleicht abgerechnet, die von Jugend an auf chilenischen Kriegsschiffen gefahren. Die chilenischen Schiffsrheder wenigstens nehmen fast zu allen ihren Fahrzeugen fremde, besonders gern deutsche Capitaine, und die kleine Mauleflotte, die im Hafen lag, lieferte dazu die beste Illustration. Auf ihr war ein chilenischer Capi-tain, und dieser nur dem Namen nach, denn sein deutscher Steuermann führte das Schiff; ferner zwei französische Capitaine, ein englischer, ein Däne und die übrigen alle Deutsche. » Viele der früheren Capitaine aber, die für Maule .gefahren, hatten sich hier verheirathet und zur Ruhe gesetzt, andere deutsche Seeleute, des unruhigen Lebens ebenfalls überdrühig, folgten ihrem Beispiele, And es entstand dadurch eine kleine plattdeutsche Bevölkerung. Nur ein deutscher Bäcker und ein schwei- gel zu machen; alles Andere gehörte der See, und so wenig mehr Deutschland an, als ob es jenen Theil der Welt nie gesehen hätte, viel weniger darin geboren wäre. Die Leute wußten Nichts mehr von Deutschland oder wollten Nichts mehr von Deutschland wissen, und wenn man sie frug, weßhalb? so sagten sie: „was sollen wir denn mit Eurem Vaterlande?" „hat denn Deutschland eine Flagge, 59 daß man hier etwas davon wüßte?" — und außerdem sprachen sie noch eine ganze Menge von Dingen, die wir gar nicht niederzuschreiben brauchen, denn der Setzer zu Hause würde sie doch nur mit Sternchen anführen. Der alte Schweizer war ein ganz gemüthliches altes Haus. In seiner Jugend entflohen, um, wenn ich nicht irre, dem Militärdienst zu entgehen, hatte er sich hier in Chile niedergelassen und in Conftitucion eine Seifensiederei angelegt. Es ging ihm aber gut, und nur höchst komisch war er, wenn er böse wurde, wo dann alle möglichen spanischen nnd französischen Flüche mit deutschen Kreuzdonnerwettern wild durcheinander polterten. Er hatte davon gehört, daß ich eine Cither habe, und bat mich, weil ich im Hötel nicht darauf spielen wollte, einmal Abends zu ihm zu kommen. Einige Tage vorher, ehe wir abfuhren, ging ich mit zwei bekannten Capitainen zu ihm und nahm mein Instrument mit. Der Mann war Seifensieder, nichts weniger als sentnnal und hatte seine eigene Heimath seit^W Jahren nicht gesehen. Als er die Cither anfänglich hörte, lachte er und machte Witze in allen möglichen Sprachen, dann goß er ein Glas Tschitscha nach dem andern hinunter, 60 nun saß er eine Weile ganz still, und auf einmal sprang er auf, lief hinaus und kam mit seiner alten Schweizerbüchse zurück, die Gott weiß wie lange und vergessen in einer Ecke gelegen hatte. Er wollte Etwas sagen, aber es ging nicht; er trug die Büchse wieder hinaus, und als er zurückkam, habe ich nie einen toller ausgelassenen Burschen als den alten Schweizer ^- nie ein ergreifenderes Zeichen von Heimweh gesehen, als dies. Mit dem Manuel Carvallo waren auch noch ein paar Deckpassagiere, ebenfalls Deutsche, von Valparaiso gekommen, die, wie ich hier zu meinem Erstaunen hörte, in die Maule-Goldminen wollten, von denen mir bis jetzt kein Wort zu Ohren gekommen. Gold war aber in der That in den Bergen des Maule entdeckt worden, (es unterliegt keinem Zweifel, daß es sich in allen Bergen Chiles findet), und meine beiden Landsleute, die den calisornischen Goldbcrgen unzufrieden den Rücken gekehrt, wollten hier aufs Neue ihr Glück versuchen. Schon den dritten Tag, nachdem wir in Maule angekommen, brachen sie mit schönem Wetter auf, und einige Tage vorher, ehe ich die Stadt verließ, sah ich sie wieder. Sie hatten eben ihre Arbeiten begonnen und Gold gefunden, aber auch Schwie- 61 rigkeiten mit dem Wasser, das in Chile allerdings sehr unregelmäßig fließt, und einmal zu wenig vorhanden ist, und dann wieder in bösartigen Strömen niederschießt. Sie schienen aber doch gute Hoffnung zu haben, und wollten ernstlich zu arbeiten ansangen, sobald sie sich die nöthigen Provisionen und Werkzeuge eingelegt. Wie ihr späterer Erfolg sein wird, weiß ich freilich nicht. Fast alle die Deutschen in Constitution, ja säst alle anderen Europäer haben chilenische Frauen genommen und sich in das neue Vaterland ziemlich spanisch eingebürgert. Sie scheinen sich auch vollkommen wohl darin zu suhlen, und wenige von ihnen verlangen wohl wieder nach Deutschland zurück. Aber es sind, wie gesagt, fast lauter Seeleute, die eigentlich nirgends in der Welt ein ordentliches und festes Vaterland haben: weil sie eben von früh auf lernen müssen, sich überall, selbst in dem engen Raume eines Schisses, heimisch zu fühlen. Maule sollte ich aber nicht ohne ein Abenteuer verlassen. Ich war eines Abends in dem französischen H6tel in der Stadt gewesen, eine Partie Billard zu spielen, und brach um 8 Uhr Abends von dort wieder auf, an Bord zurückzukehren. Nicht weit von dem Hotel hörte ich eine Guitarre, und irgend eine weibliche Stimme sang ein Lied dazu. Nun hört man das genug überall in den südamerikanischen Städten. Ich wollte vorübergehen, die Melodie des kleinen Liedes, die ich noch nie gehört, war aber wirtlich reizend, und die Stimme der Sängerin ebenfalls außergewöhnlich rein und weich. Ich blieb einen Augenblick an der Thür stehen und sah im Innern, bei dem trüben Schein ein^s flackernden Talglichts, zwei Frauen, eine alte und eine etwas jüngere — die Sängerinnen. Die Letztere kauerte an dem in der Mitte der Wohnung stehenden Brazero oder Kohlenbecken, die Guitarre vor sich, und als sie ihren Vers beendet hatte und mich stehen sah, lud sie mich ein hineinzukommen und Platz Zu nehmen. Es ist das allgemeiner Brauch in derartigen Häusern, wo gewöhnlich Tschitscha verkauft wird. Man geht ungenirt hinein, läßt vielleicht eine Flasche Tschitscha bringen, die Damen zu tracti-ren, denn gewöhnlich spielen jnnge Mädchen die Guitarre, und die jungen Leute treten dann mit einer der Damen zum Tanz an, die Sambameca auszuführen. Hier sah es freilich nicht wie Tanz und Festlichkeit aus, und die Frau begann eben wieder, 63 ohne mich weiter zu beachten, einen neuen Vers ihres Liedes, als auf der Straße Stimmen laut wurden, die jedenfalls ein paar Betrunkenen angehörten. Die Frau hörte, mitten in ihrem Spielen auf und horchte, als die Alte ihr zurief, sie solle die Thür schließen. „Weßhalb?" lautete die Antwort, „sie gehen vorüber." „Nein, ich kenne ihn/' rief die alte Dame, „das ist der Geronimo und wieder betrunken; der kommt jedenfalls herein." Ich sagte ihr, sie solle unbesorgt sein, sie stand aber auf und schloß die Thür auf höchst einfache Weise, indem sie einen, dazu schon in der Ecke lehnenden Pfahl schräg dagegen schob. Es dauerte auch keine zwei Minuten, so hielten die beiden Nachtschwärmer — denn es war schon nach acht Uhr Abends und für Constitution eine sehr späte Stunde — vor der Thür und begehrten richtig Einlaß. Die Alte hatte indessen ohne Weiteres das Licht ausgelöscht, und ich befand mich selber jetzt — so rasch, daß ich eigentlich gar nicht wußte, wie ich dahingckommen — in einer ganz eigenthümlichen Situation, deren Entwickelung ich aber 64 mit aller Ruhe entgegensah. Die Sache machte mir eher Spaß. Der eine der Beiden draußen verlangte jetzt nochmals Einlaß und schwor und fluchte, er hätte gesehen, daß Licht dagewesen wäre — was allerdings der Fall gewesen. Die Alte antwortete ihm endlich, frug ihn, was er wolle, und sagte ihm, sie seien schon zu Bett gegangen und ließen Niemanden mehr ein. Statt jeder Erwiderung legten sich die Beiden draußen mit aller Kraft gegen die Thür und die nicht sehr starke Stange bog sich unter dem Gewicht. Ich war ruhig sitzen geblieben und hatte mir indessen am Brazero meine Cigarre angesteckt, und die Guitarresftielerin schien die Sache ebenfalls sehr kaltblütig zu nehmen, denn sie drehte sich eine Papier-Cigarre. Die Alte war aber desto besorgter: „Wenn sie hereinkommen, zerbrechen sie Alles, was ich im Hause habe," flüsterte sie, „halten Sie die Thür, Sennor." Ich lachte, denn die Sache kam mir ein Wenig komisch vor, daß ich andere Leute aus einem Hause fernhalten sollte, in dem ich selber nicht das geringste Anrecht hatte. Die beiden Burschen draußen waren aber, wie ich aus ihren Reden schon ge- 65^ hört, jedesfalls em paar chilenische Matrosen, und wie es schien, gerade angetrunken genug, um Unheil anzustiften. Polizei war ebenfalls nicht zu hören, obgleich sonst fast an jeder Ecke ein paar sogenannte Serenos stehen. Ich stand alfo langsam auf, ihren Wunsch zu erfüllen, ehe ich aber die Thür erreichen konnte, muhten die Beiden einen Anlauf zusammen gemacht haben, denn in diesem Augenblicke prallten sie gegen die Thür, der Pfahl brach, und der Eine kam in demfelben Moment hereingeschofsen, als ich ihn am Kragen nahm und wieder hinauswarf. Jedenfalls muh ihu diese rasche Bedieuung überrascht haben, und sein Kamerad prallte im ersten Augenblick ebenfalls zurück; die Thür war aber uicht mehr zu halten, und ich trat deßhalb in den Eingang und sagte den beiden Leuten ganz ruhig, sie sollten ihrer Wege gehen, oder ich würde sonst Polizei herbeirufen, sie zurecht zu weisen. In Wirklichkeit siel es mir übrigens gar nicht ein, die Polizei zu behelligen; ich glaubte aber, dah dies die beiden Burscheu am Schnellsten zur Vernunft bringen würde. Jedenfalls hätte die Drohung ihre Wirkung nicht verfehlt, wenn es Deutsche gewesen wären. Die beiden Tollköpfe wollten jedoch davon Nichts hdren, und erbittert Fr. GcrstäHcr. Achtzehn Monate m Tüd-Amcrita. ill. 5 66 vielleicht darüber, daß ich den Einen von ihnen so unsanft vor die Thür gesetzt, fielen sie plötzlich alle Beide auf einmal über mich her. Nun bin ich allerdings nicht mehr recht ordentlich auf einen Faustkampf eingerichtet, denn die linke Hand kann ich, eines zerschossenen Fingers wegen, nicht ordentlich schließen, und mein früher einmal aus der Kugel gefallener rechter Arm macht mir auch noch manchmal zu schaffen. Ich wäre jedenfalls der Letzte, der etwas Derartiges gesucht hätte, meiner Haut mußte ich mich aber wehren, und ein paar glücklich geführte Stöße sandten den einen der Burschen rechts und den andern links in die Straße nieder. Der eine fiel wie todt zurück und lag mit ausgestreckten Armen im Mondschein, und ich hätte jetzt ganz ruhig meiner Wege gehen können. Anstatt aber das zu thun, trat ich thörichterweise wieder in die Thür der Wohnung, vielleicht in einem unbestimmten Gefühl, die Frauen zu beschützen. Der eine der Matrosen, denn daß es ein solcher war, bewiesen die schauerlichen halb englischen, halb spanisch eil Flüche, die er ausstich) Hätte sich jetzt wieder vollkommen aufgeragt,'mO forderte mich mit solchen nichtswürdigen* Worten zu 67 einem neuen Kampfe heraus, daß ich Vernunft und Alles bei Seite setzte und die Herausforderung annahm. Mein Blut war aber auch indessen warm geworden, und nach dem zweiten 'wunä lag er wieder auf der Erde. Indessen hatten sich doch einige Menschen aus den umliegenden Häusern versammelt, außerdem stand der Vollmond hoch und tagesklar am Himmel, und ich drehte mich jetzt ab, meiner Wege zu gehen. Die Umstehenden konnten das Haus genug beschützen; der Matrose war aber schon wieder auf den Füßen und kam hinter mir drein, und um mich wirklich nnr noch meiner Haut zu wehren, gab ich ihm einen Schlag, der ihn bewußtlos gegen die Mauer schleuderte. — Merkwürdigerweise war indessen sein Kamerad, den ich noch vor wenigen Minuten auf der Erde gesehen hatte, spurlos verschwunden. Mir selber hätte jetzt nicht das Geringste im Wege gestanden, ruhig nach dem Schiff hinunterzugehen, un.d ich hielt mich auch nicht länger auf. Unglücklicherweise war aber die Frau des einen Burschen, mit dem ich den letzten Strauß gehabt, dazugekommen, lief hinter mir her und schrie und jammerte: ich habe ihren Mann todtgeschlagen. Sie schrie dazu nach den Serenos, 68 und diese merkwürdigenDienstboten der Gerechtigkeit, die den ganzen früheren Scandal mit der größten Gemüthsruhe an sich vorübergehen ließen, waren jetzt auf einmal wie aus dem Boden gewachsen neben mir. — Ich hätte jetzt noch freikommen können, denn ein paar kräftig geführte Schläge würden mich leicht von diesen Säbelträgern erlöst haben, und daß mich im Laufen Keiner einholte, wußte ich. Aber ich hatte ein vollkommen reines Gewissen und wollte mich nicht unnöthigerweise,, noch dazu bei dem tageshellen Mondenschem, in möglichst größere Unannehmlichkeiten verwickeln. Ein paar Capitaine meiner Bekanntschaft waren ebenfalls in der Nähe, um im schlimmsten Falle für mich Bürgschaft zu leisten, und ich blieb ruhig stehen, den durch Pfeifen herbeigerufenen Officier der Wache zu erwarten. Dieser kam endlich. Statt aber den ordentlichen Verlauf der Sache auch nur anzuhören, versicherte er.einfach, ^er habe weiter gar Nichts damit zu thun, als uns auf die Wache abzuliefern. Der Subdelegado würde dann morgen unseren Fall weiter untersuchen. Die Capitaine wollten jetzt Bürgschaft leisten, daß ich mich morgen früh zur bestimmten Zeit stellen würde; aber Gott bewahre, die Calebouse 69 sollte uns Beiden (denn mein Kampfgenosse war natürlich ebenfalls festgenommen) abkühlen, und dorthin wurden wir jetzt richtig abgeführt. Für tnich selber war die Sache unendlich komisch und ich hielt sie für einen vortrefflichen Spaß, bis mir, in der Calebouse angekommen, ein dunkles, kaltes, schmutziges Loch angewiesen wurde, in dem ich die Nacht zubringen sollte. Das war kein Spaß, und ich protcstirte dagegen, aber es half Nichts, — Geld hatte ich ebenfalls nicht bei mir, denn'mit Geld läßt sich viel ausrichten, und ich versprach endlich der Schildwache aus morgen eine Belohnung, wenn sie mir nur wenigstens einen alten Poncho verschaffte, mich darauf auszustrecken. Das geschah; eine kurze Thonpfeife und Tabak mit Stahl und Schwamm führte ich glücklicherweise bei mir, und während ich mir die Pfeife anzündete und mich auf dem Poncho ausstreckte, fiel die Thür hinter mir in's Schloß, und der vorgeschobene Niegel schnitt meine Verbindung mit der Welt und Freiheit — ans zwölf Stunden ab. Ich müßte übrigens lügcn, wenn ich sagen wollte, daß ich nur irgend tramig gestimmt gewesen wäre. Die Sache selber hatte manche ko- 70 mische Seite, und da mich der nächste Morgen befreien mußte, war es eben weiter Nichts, als „eine Nacht in der Calebouse." — Aber nichtswürdig kalt wurde es. Ich dampfte aus Leibeskräften meinen Tabak, konnte mich aber zuletzt nicht mehr erwärmen. Die Kälte schlug aus dem Backsteinboden herauf und von den feuchten Wänden nieder, und zog mit einem Strom wahrer Eisluft durch ein schmales Eisengitter in der Thür. Von 11 bis 2 Uhr etwa schlief ich gut, meinen eigenen Arm zum Kopfkissen, dann aber weckte mich die Kälte; ich konnte nicht wieder einschlafen und dankte Gott, als der Morgen endlich langsam aber licht anbrach. Unsere verschiedenen Ställe wurden jetzt geöffnet, damit wir in den Hof gehen konnten, um „frische Luft" zu schöpfen, während das Stubenmädchen (ein baumstarker Kerl mit einer sechs Fuß langen Kette am Beine) unsere Quartiere ausfegte. Wir Anderen — es waren noch fünf Chilenen da, die ebenfalls eine Prügelei gehabt hatten — mußten dann in eine Art von Corridor treten, wo unsere Namen aufgeschrieben wurden — und es versteht sich von selbst, daß ich mir ein aliaä fabricirte. 71 AIs wir in den Hof zurückkamen, sah ich unser Stubenmädchen wacker an der Arbeit, in dem Kehrichthaufen herumzutrampeln und mit den Füßen zu scharren. Ich ging näher und fand ihn emsig beschäftigt, eine Unzahl Flöhe todt zu treten, die unbehülflich in dem Kehrichtstaube herumkrochen. Meine Maule-Freunde waren indessen bei dem Subdelegaten gewesen, mich sobald als möglich frei zu machen, aber der streng gerechte Nichter behauptete, vollkommen in seinem Rechte, daß vor dem Gesetz Alle gleich seien, und ich mit den übrigen Gefangenen um zehn Uhr zu seinem Hause Zu kommen hätte, dort den Entscheid zu hören. BiB zehn Uhr, es war noch eine lange Zeit, und mein Tabak vollständig aufgeraucht — aber sie verging auch, und das Einzige wollte mir nicht behagen, mit einem Polizeidiener durch die Stadt Zu marschiren. Das arrangirte sich jedoch noch Alles auf's Beste, denn die Polizei war darin wirklich human. Der Soldat, der uns zum Subdelegaten geleitete', ließ die Chilenen eine Strecke vor sich her gehen, und ich folgte ihm in etwa 30 oder 40 Schritt, als ob mich die ganze Sache weiter nicht das Geringste anginge. So erreichten wir endlich das Haus des Subdelegaten, mußten dort noch etwa eine Viertel- 72 stunde antichambriren, bis der Herr fertig gefrühstückt hatte, und kamen dann Alle auf einmal vor. Er faß in seinem Arbeitszimmer an einem Schreibtische und hielt einen schmalen Zettel in der Hand, auf dem unsere Namen standen. Wir armen Sünder bildeten einen Halbkreis um ihn her. Er las jetzt die Namen, ohne uns auch nur anzusehen, nach der Reihe ab; der meinige stand oben an, ich hatte Garser angegeben. Als Jeder auf seinen Namen militärisch geantwortet und er also wußte, daß wir Alle da seien, glaubte ich-natürlich nicht anders, als daß jetzt das Verhör beginnen würde. Das hätte den Herrn aber jedenfalls zu lange von seinen übrigen Geschäften abgehalten, denn er bemerkte wenigstens ganz ruhig, indem er noch einmal hinter einander rasch die Namen ablas — „haben vier Tage öffentliche Arbeit," und legte dann, als sei die Sache vollständig beseitigt, den Zettel neben sich auf den Tisch nieder. Ich mußte wirklich an mithalten, daß ich nicht gerade herauslachte; die Situation war aber auch wirklich zu komisch, wenn ich mir dachte, daß ich vier Tage, für das Wohl Chiles, unter ^?3^ Passender Aufsicht hätte an der Straße arbeiten sollen. — Es entstand jetzt eine kleine Pause; einer der anderen Chilenen aber, der wahrscheinlich schon öfter derlei Scenen durchgelebt, sagte endlich: „Und wie viel kostet das?" „Vier Tage ist auf den Mann ein Dollar," erwiderte der Richter, und auf deu Dollar Abbüße reducirte sich also die ganze Strafe. Glücklicherweise hatten mir meine Freunde an dem Morgen schon Geld gebracht, weil sie recht gut wußten, wie solche Sachen enden. Ich zahlte also meinen Dollar, eben so die übrigen Chilenen; nur der, mit dem ich gestern Abend mein Rencontre gehabt (der arme Teufel sah blau und braun im Gesichte aus), hatte kein Geld und sollte jetzt wieder zurückgeführt werden, seine vier Tage abzuarbeiten. Draußen vor der Thürstand seine Frau, eine kleine dicke Gestalt mit einem verschosseneu Seidenkleid und einem grünseideuen Sonnenschirme, dieselbe, der ich die Verlegenheit dieser Nacht verdankte. Ihr hätte ich es eigentlich gegönnt, aber der arme Teufcl von Matrose trug seine Strafe schon für wenigstens vierzehn Tage in der Physiognomie; ich zahlte deßhalb den Dollar auch für ihn, und hatte gleich darauf das 74 Vergnügen, ihn Arm in Arm mit seiner Gattin die Straße hinabsteigen zu sehen., Constitution ist kein London, und da so wenig Fremde in den Ort kommen, glaube ich fast, daß kein Kind in dem Platze war, das nicht an dem nämlichen Morgen wußte, ich hätte die Nacht in der Calebouse gesessen. Wie ein Lauffeuer war es durch die ganze Stadt gefahren, und wo ich hinkam, traf ich freundlich grinsende Gesichter, die mich frugen, wie ich die Nacht geschlafen hätte.-Die Meisten setzten auch noch hinzu: „wenn sie es nur ein klein wenig früher erfahren, hätten sie mir ein Bett gebracht." Das gehörte aber mit zu den kleinen Leiden des menschlichen Lebens und mußte eben ertragen werden. Wir waren jetzt mit unserem Fahrzeuge vollkommen segelfcrtig, und mit uns lagen noch zehn andere Fahrzeuge bereit, jede Stunde auszulau-sen, nur daß die Barre uns noch nicht gestattete, in See zu gehen; denn ihre gelben Wogen verschlossen noch immer schäumend die Ausfahrt. An der Mündung jedes Flusses fast sind solche Barren, den Mississippi und Amazonenstrom nicht ausgenommen, und sie werden stets durch die Masse Sand gebildet, die größere Ströme mit sich 75 dem Meere entgegenführen. Dort aber, wo ihnen dies seine Fluth entgegenstemmt, lagern sie dann einen Theil des Sandes ab, und bilden dadurch eine Bank, die besonders der Schifffahrt nachtheilig ist. Die Barre von Maule thut dem Handel dort vielen Schaden, denn namentlich zur Sommerszeit, wenn der Fluß niedrig ist und keine starke Strömung hat, wächst die Sandbank so an, daß sie kaum sechs bis sieben Fuß Wasser im Canal hat und geladene und seefertige Fahrzeuge schon zwei Monate aufgehalten wurden, ehe sie aus-laufen konnten. Setzen dagegen im Winter jene heftigen Regen in den Cordilleren ein, dann wirft auch der Maule seine Strömung mit einer solchen Gewalt dem Meere entgegen, daß ihn dieses nicht mehr aufhalten kann, und reißt sich dann nicht selten einen Canal von 25 bis 30 Fuß in die Barre. Aber selbst wenn die Barre hinreichend Wasser hat und die See ihre Dünung von Westen oder Südwesten dagegenwirft, können die Schiffe nicht anslaufen, denn wo sich die beiden Wassermassen dann begegnen, bäumt sich eine solche Brandungswelle, daß die Fahrzeuge sie nur mit vollgcblähten Segeln und einer starken Brise überwinden können — etwas sehr Seltenes, da der 76 Hafen, wie schon vorerwähnt, von den hohen Felsen begrenzt wird. Nun liegt ein der Negierung gehörender Dampfer hier, der dazn bestimmt ist, scefertige Schiffe über die Barre zu bringen. Wie das aber bei allen diesen südamerikanischen Beamten geht, die nur eine Anstellung verlangen und sich damit jeder Mühe und Arbeit überhoben glauben, so war es auch hier. Weder der Hafencapitain, noch der angestellte Lootse (der Letztere taumelte ohnedies stets betrunken in der Stadt herum) kümmerten sich im Geringsten um die Barre und versuchten nicht einmal, obgleich sie zwei Tage vollkommen glattes Wasser zeigte, das Loth zu werfen. Endlich machten die Capitaine der verschiedenen Schiffe Lärm, und als ein von draußen herankommendes Schiff durch die falschen Signale des trunkenen Lootsen bald verloren gewesen wäre und nur mit genauer Noth und Verlust seines falschen Kiels wieder in tiefes Wasser kommen konnte, traten sie zusammen und verlangten in einer Schrift Absetzung des Lootsen und Untersuchung der Barre. In den nächsten Tagen (der Lootse wurde aber nicht abgesetzt) war das Wetter wieder ruhig, und der erste Officier des Dampfers fuhr hinaus 77 auf die Barre, warf das Loth und kam mit dem Bericht zurück, daß die Barre, bei Fluth, nur sieben Fnß Wasser habe. Alle dort liegenden Fahrzeuge zogen aber mehr als acht, und einige, so auch wir, über elf Fuß; an ein Ausgehen wäre also unter solchen Umständen nicht zu denken gewesen. Damit begnügten sich aber die Capitaine diesmal nicht, denn nach den letzten Regen war es nicht möglich, daß die Barre so wenig Wasser haben konnte. Ein alter deutscher Caftitain, Hanssen, fuhr deßhalb am nächsten Morgen mit einem Wallfischboot selber hinaus und fand bei niedrigem Wasser im Canal an den seichtesten Stellen I0V2 Fuß. Jetzt mußten die BeHürden wohl Anstalten machen, denn sie hatten sich zu sehr blamirt. Der Hafencapitain war am nächsten Morgen (in Shawls und Tücher eingehüllt, denn so früh war er wohl seit Jahren nicht aufgestanden) mit Tagesanbruch unten am Hafen. Der Dampfer selber fuhr hinaus, den Wasserstand zn untersuchen, und zwei Stunden später bugsirte er mit steigender Fluth das erste Fahrzeug hinaus, die jetzt nach der Rcihe folgten, wie sie eben oisponirt waren: Wir kamen an diesem Tage leider nicht mehr an die Reihe; aber 78 am nächsten Mittag sandte uns der Dampfer sein Schlepptau, die Anker wurden gehoben, und unter einem dreifachen Hip-Hip-Hip Hurrah! der am Ufer stehenden Bekannten (denn es war etwas Seltenes, daß von Maule aus ein Fahrzeug um Cap Horn ging) schössen wir der Barre entgegen, und schaukelten gleich darauf in der uns wild umtobenden Fluth. Zweimal berührten wir den Grund — und es ist das ein höchst merkwürdiges Gefühl, wenn ein Schiff aufstößt, und geht ordentlich durch alle Nerven und Knochen. Die Berührung mit der ohnedies weichen Sandbank war aber zu leicht, um dem wackern kleinen Fahrzeuge zu schadeu. Gleich darauf schwammen wir in tiefem Waffer, ein frischer Nordwind blähte unsere Segel, und während die anderen Schiffe, eine ordentliche kleine Flotte, nach Norden aufzukreuzen suchten, wurden die Kreuzraaen unseres Vormastes quer gebraßt, und lustig flogen wir dahin, dem kalten Süden zu. Gleich nachdem wir ausführen, kam der Schooner „Sarah" ein, der zwei Tage vor dem „Manuel Carvallo" Valparaiso verlassen und die ganze Zeit draußen vor dem Hafen von Maule herumgekreuzt hatte, ohne die Barre passiren zu können. 7. Um Oap Korn. Der Mensch soll nur um Gotteswillen nicht glauben, daß er je im Stande ist, selber Etwas über sein eigenes Schicksal zu bestimmen. Hatte ich mir je im Leben vorgenommen, irgend eine Reise auf meinen Fahrten nicht zu machen, so war es die um Cap Horn gewesen, und w o fällt mir das wieder ein? gerade etwa im 50. Grade südlicher Breite im alten atlantischen Ocean, in den ich vor ein paar Tagen, um eben jene verrufene Spitze herum, eingelaufen bin. Ich hatte aber auch freilich die Landreisen in ewigen, unaufhörlichen Regengüssen oder Schneegestöbern satt, recht herzlich satt bekommen, und sehnte mich danach, dem Körper wieder einmal auf kurze Zeit Nuhe zu gönnen. Cap Horn ist dazu freilich^ auch nicht der geeignete Platz, und wer 80 Neigung hat, seekrank zu werden, mag sich nur auf eine rauhe See gefaßt machen. Glücklicherweife werde ich selber aber nie seekrank, und da ich außerdem auch noch viel zu schreiben hatte, war mir die kurze Reise auf einem Segelschiffe ganz erwünscht. Das Fahrzeug selber, in dem ich mich von Constituciou aus einschiffte, war, wie vorher erwähnt, ein dreimaftiger Schooner, die Amalia, der, mit Mehl geladen, nach Montevideo bestimmt war. Die Ladung selber war nuu an und für sich vortrefflich, denn Mehl in Säcken ist eine ausgezeichnete Last für ein Schiff, mit der es leicht und bequem segeln kann, aber wir hatten zu viel, und vielleicht 50,000 Pfund mehr, als es bequem tragen konnte. Dadurch ging es zu tief und schwerfällig, besonders für eine so stürmische Reise, im Wasser, und in Constitucion selber sprach ich verschiedene Leute — selbst Capitaine von anderen Schissen — die mir versicherten, sie möchten nicht mit dem Fahrzeug, wie es geladen sei, um Cap Horn gchen. Mir blieb nun freilich keine andere Wahl, ich mußte mit, aber ich wußte auch, das es ein vortreffliches Schiff sei, daZ fest und start für die Fahrten mit Kupfererz gebaut war. Außerdem hatte 81 die Amalia einen tüchtigen Capitain — einen Deutschen, Namens Carl Blum, und daß sie ein gutes Seebot sei, bestätigten Alle — das war ohnedies die Hauptsache, und am 28. Mai traten wir von Constitucion ans unsere Winterreise um Cap Horn an. Schon am ersten Tage begünstigte uns die Brise; wir hatten einen noch ziemlich leichten Norden, der uns rasch, vor dcm Wind, nach Süden hinuntersetzte, und es zeigte sich bald, daß die kleine Amalia ein ganz vortrefflicher Segler war, der trotz seiner nicht unbedeutenden Last recht hübschen Fortgang machte. Sie lag auch außerdem viel ruhiger, als ich erwartet hatte, und der Anfang versprach alles Gute. Es ist gewöhnlich so in der Nelt, und Manches sieht von Weitem außerordent-lich gefährlich aus, das, wenn man ihm ernstlich auf den Leib rückt, eine ganz andere und viel freundlichere Farbe annimmt. Unsere Mannschaft War allerdings sehr klein und bestand aus dem Capitain, dem Steuermann, vier Matrosen, einem Schiffsjungen und dem Koch. Der Cajütsjunge war uns an dem nämlichen Morgen unserer Abfahrt noch davongelaufen. Zwei von diesen Matrosen waren Engländer, einer ein Franzose, und Fr. Ger stacker, Ächtzehn Monate in Süd-Amerika. III. 6 82 der vierte, wie der Schiffsjunge, Chilenen, aber Alles gute, ruhige Leute. In der Cajüte war ich mit dem Eigenthümer des Fahrzeugs, der ebenfalls nach Montevideo ging, der einzige Passagier, der Raum darin aber auch viel zu beengt, noch mehr einzunehmen, da die vordere Abtheilung der Cajüte gleichfalls mit Mehl vollgestaut war und wir selbst ill unserem kleinen Naume noch einige Säcke mit Weizen liegen hatten. So unbequem aber eine derartige Einrichtung auch im Anfange aussehen mochte, so glaubt man doch gar nicht, wie rasch sich Alles einrichtet und zusammenschüttelt, wenn man nur erst einmal in See ist. Die ersten ruhigen Tage kamen uns dabei ebenfalls sehr zu Statten, uns in das neue, etwas eingeengte Leben zu finden, und da der Ca-pitain sowohl wie mein Mitpassagier ein paar ganz prächtige Leute waren, so ertrug sich, was sonst vielleicht eine Unbequemlichkeit gewesen wäre, vortrefflich. Constitution liegt etwa 35 Grad südlicher Breite am stillen Ocean, Montevideo ziemlich genau in der nämlichen Breite am atlantischen Ocean, und das Cap Horn hat 55 Grad 58 Minuten, also etwa 56 Grad südlicher Breite, eigentlich schon eine etwas kalte Nachbarschaft, noch dazu im Win- ^83 ter. Gerade in dieser Jahreszeit herrschen aber auch auf der östlichen Seite Amerikas West- und Südwestwinde, auf der westlichen dagegen Nord? winde vor. In diesen Monaten werden deßhalb auch von der West- nach der Ostküste Amerikas die schnellsten Reisen gemacht, und an einer schnellen Reise lag mir jetzt Alles. Sehr starke Winde bekamen wir aber nicht, und bis zum 7. Juni hatten wir abwechselnd schwache Nord- oder Südwinde und manchmal auch vollkommene Windstille, was uns nicht rasch vorwärts brachte. Am 7. änderte sich die Sache; wir hatten jetzt etwa den 48. Grad südlicher Breite erreicht und bekamen schon früh am Morgen einen heftigen Nordwind, der über Tag eher zu- als abnahm. Unsere kleine Amalia zeigte aber auch jetzt, was sie konnte, und lief vor dem Wind, daß es eine Lust war, ihre 10 Knoten die Stnnde. Gegen Abend wurde aber der Wind zum Sturm, der sich mit der Morgendämmerung wohl etwas legte, gcgen Sonnenuntergang am 8. aber wieder von Neuem losbrach. Der Barometer, der sich bis dahin noch immer nahe den 30 und darin gehalten hatte, fiel bis auf 29 — 65,io<, und es stand eine höchst ungemüthliche See. Die Hauptbefürchtung, die jene Leute in Con- 0* 84 stitucion gegen das Neberladen des Fahrzeugs ausgesprochen, war die, daß es sich „fest segeln" würde, das heißt, daß es bei zu heftigem Winde im Rücken, vor dem es also leussen mußte, um den nachstürzenden Wellen zu entgehen, sich mit dem Bug in die See einwühlen und dann von der nachfolgenden See überschüttet und abgeschwemmt würde. An diesem Abende war es fast, als ob uns etwas Aehnliches geschehen sollte, denn wie die See höher und höher wuchs und wilder und stürmischer wurde, schlugen die furchtbaren Wellen ein paar Mal von beiden Seiten dermaßen über Bord, daß sie das ganze Verdeck bis an den Rand der Schanzkleidung füllten. Das so schon schwer geladene Fahrzeug bekam dadurch vielleicht an die 30 Tons Wasser mehr zu tragen und konnte sich mit diesem Gewicht nicht wieder aufrichten. Es war so tief unter Waffer gedrückt, daß die See mit der Schanzkleidung gleich lief, und ich kenne angenehmere Situationen, als die war, wo der wachthabende Matrose in das vorn und etwas höher liegende Vorcastle hinabschne: „Alle an Deck! wir sinken I" Eine mächtige Welle legte aber glücklicherweise das sonst vollkommen dichte und gute Fahrzeug auf die Seite, eine andere hob es wieder herüber, 85 und dadurch verloren wir fast das halbe Wasser. Die Leute konnten jetzt die Seitenluken in der Schauzkleidung öffnen, dem übrigen Wasser Raum zu geben, um abzuströmen, und der kleine, wackere Schooner schüttelte sich die Fluch vom Nacken und stieg wieder keck empor, seine Bahn fortzusetzen, als ob gar Nichts geschehen wäre. Ein anderer Schrei dieser Nacht ging mir durch Mark und Bein: „Manu über Bord!" — Wer ihn noch nie gehört hat, kann sich keinen Begriff von der Furchtbarkeit des Eindrucks machen- Glücklicherweise war es diesmal noch ein blinder Lärm gewesen; den chilenischen Schiffsjungen hatte die an Bord gekommene Fluth aufgehoben und über die Vulwcrk hinausgeworfen. Er klammerte sich aber noch an cim' der Parounen an, und die nächste Woge hob ihn wieder herein. Armer Burfche! Er erzählte an dem Abend seinen Wacht-lameraden, daß sein Großvater und sein Vater auch ertrunken wären. Er sei der letzte Sohn und habe nur noch seine Mntter und drei Schwestern daheim. Mit diesem Unwetter, das jedoch am nächsten Morgen wieder nachließ, waren wir aber ein tüchtiges Stück auf der Karte vorgerückt und ziemlich bis zum 55. Grad gekommen. Es war indessen 86 auch bedeutend kälter geworden, als wie es bisher gewesen, aber doch lange nicht so kalt, wie ich es mir bis dahin, nach allen Beschreibungen, die ich über Cap Horn im Winter gehört — gedacht hatte. Leider führten wir nicht einen einzigen Thermometer an Bord, die Temperatur genau zu bestimmen, aber um das Cap herum erreichten wir nicht ein einziges Mal den Gefrierpunkt, und nur später an der östlichen Seite und schon wieder im 52. Grade fiel gegen Morgen etwas Schnee, der ein paar Stunden auf dem Verdeck liegen blieb. Hier hielten uns freilich auch noch die Nordwinde warm, die von der heißen Zone herunterwehten, und weder Deck noch Taue waren je mit Eis bedeckt oder selbst hart gefroren. In unserem engen Cajütenraume blieb uns indessen gar kein Platz, einen Ofen zu stellen, und wir mußten uns deßhalb, um es doch etwas behaglicher da unten zu machen, mit einem sogenannten chilenischen dra^ro oder Kohlenbecken begnügen. Diese w-axm'o« sind offene Pfannen von Eisen oder Blech, je nachdem sich der Luxus ihrer bemächtigt , die einfach mit Holzkohlen gefüllt und offen in die Stuben gestellt werden. Allerdings benntzt man die Kohlen nicht eher, bis sie nicht vollkommen durchgeglüht sind und ihre gefähr- 87 Uchen Gase abgedampft haben. In den chilenischen Häusern ist auch anßerdem noch gewöhnlich Luftzug genug, eine solche Ausdünstung weniger gefährlich zu machen. Anders aber gestaltet sich das, wenn nicht die größte Vorsicht gebraucht wird, an Bord, wo Alles, schon des einschlagenden SeewasserZ wegen, so dicht als möglich gehalten werden muß. Dort kann man leicht alle die Folgen zu tragen haben, die jene giftigen Kohlendünste nach sich ziehen. So geschah es ein paar Mal, daß die Kohlen heruntergeschafft wurden, ohne richtig ausgebrannt Zu sein, da man sie, der überschlagenden Wellen wegen, nicht an Deck stehen lassen konnte, und die bösartigsten Kopfschmerzen waren nachher die Folgen davon. Vom 9. bis auf den 10. Juni hatten wir ziemlich leichte Winde, und es war, obgleich wir uns jetzt schon fast in einer Breite mit Cap Horn befanden, eher warm als kalt. Am 10. setzte wieder bis zum 11. eine frische Brise ein, die aber den 11. Nachmittags zu richtiger Windstille einschlief. Vom 11. bis 12. kreuzten wir langsam nach dem Cap Horn hinauf, das wir endlich klar und deutlich, mit all' seinen benachbarten Inseln und seinem Hintergrund von schneebedeckten Kup- 88 pen, vor uns hatten. Wie es mir aber immer mit fremden Ländern geht, daß ich sie in der Wirklichkeit stets anders finde, als ich sie mir gedacht habe, so auch hier, wo ich geglaubt hatte, ich würde, besonders im Winter, schneebedeckte riesige Kuppen finden, die bis zum Wasserrande hinab ihre weißen Hänge zeigten. Dem ist keineswegs so. Die weit Zurückgelegenen und hohen Bergkuppen des Feuerlandes zeigten allerdings Schnee genug, alle die Inseln aber, die wir südlich davon passirten, Cap Horn, mit einigen anderen Inselgruppen (denn das eigentliche Cap Horn ist auch nur eine Insel), und später, in ziemlich gleicher Breite, die große Staten-Insel, sie alle waren nicht allein nicht mit Schnee bedeckt, sondern zeigten sogar eine. freundlich grüne Decke. Capitain Robert Fitz Roy, der diese Küsten besonders genau untersucht und trefflich darüber geschrieben hat, sagt von Staten-Islano und Cap Horn: „Neben dem stürmischen und feuchtesten Klima der Welt, der Barometer dabei sehr tief, aber ziemlich fcst stehend, blüht hier eine so rnche wie üppige Vegetation. So rauh diese Inseln von Weitem aussehen, so grün und freundlich findet man sie, sobald man sie betritt. Ueberall keimen Pflanzen, die Hügel sind mit immergrünen Bü- 89 schen und Gewächsen bedeckt, und die Jahreszeiten machen dann fast gar keinen Unterschied. Sonderbarerweise scheint es auch fast, als ob jene Gesetze der Temperatur-Verringerung in aufsteigenden Gegenden hier gar keine Anwendung fänden, denn weder hier (Staten-Instln) noch am /Cap Horn finden wir den geringsten Unterschied in der Vegetation zwischen dem flachen Ungelegenen Lande und den Kuppen der doch immer 1200 Fuß hohen Hügel. Nach verschiedenen vorgenommenen Messungen und dem Stand der Temperatur in dem niederen sandigen Lande, mühte Schnee auf jenen Hügeln liegen, aber es ist nie der Fall, und selbst die Verge von Cap Horn berührt er nur in seltenen Fällen. Die Feuerländer gehen nackt, und Blumen halten sich an den ' Vänmen den ganzen langen und frostlosen Winter hindurch. Thiere giebt es natürlich nicht auf diesen Iuseln, als nur Amphibien, Ottern, Seehunde und Wasservögel, und hier haben Albatroß und Captaube ihre Heimath." Wo sich diese letzteren aber gerade jetzt aufhielten, weiß ich wahrlich nicht, denn Albatroß bekamen wir dann und wann nnr ein einzelnes zu sehen, und Captauben weiter keine, als die wir selber mit aus dem Maulestuß oder wenig- 90 stens von der Küste dort gebracht. Dicht vor dem Hafen schloß sich uns ein kleiner Flng von acht oder zehn Stück an und blieb die ganze lange Reise treu beim Schiff. Die kleinen Seeschwalben, nuitder Oar«^ «Mcksn, wie sie die Engländer nennen, sah ich nur ein oder zwei Mal. Sie folgen nicht in diese kalten Breiten,vom Cap Horn. Am 12. kreuzten wir mit richtigem Nord ostwind — also gerade daher wehend, wohin wir wollten — ganz in der Nähe des Caps herum. Die Luft war warm und angenehm und die See vollkommen ruhig. Gegen Abend fing aber der Barometer an zu fallen, plötzlich drehte sich der Wind nach 8. 8. 0. herum, und die ganze Nacht schäumten wir durch die wieder hohe und höher steigende See, daß es eine Lust war. Am nächsten Morgen sahen wir die hohen Hügclrücken von Staten-Land, hatten aber wahrlich keine Zeit, uns aufzuhalten, und gegen Abend begann ein neuer Sturm. Bis etwa um 10 oder N Uhr wa? der Barometer, der niedrigste Stand, den wir noch gehabt, bis auf 28,^/,„o gefallen, und der Sturm hatte damit seine höchste Höhe erreicht. Fast vor dem Wind, 9 und 10 Knoten die Stunde, vor dicht gereftem Marssegel und Vorstengenstag- 91 segel schäumte unser kleiner tief geladener Schooner durch die fast milchweiße Sce. Am 14. beruhigte sich der Sturm in Etwas, aber nur auf wenige Stunden, ohne der See Zeit zu geben, ihre hohen mächtigen Wellen einigermaßen zu legen. Wie kleine Berge kamen sie angerollt, und manchmal war es ordentlich, als ob sie das niedere Fahrzeug überstürzen mühten. Den ganzen 15. Juni wehte es mit vollen Backen, eine wahre Verschwendung des herrlichsten Windes, denn wir durften fast gar keine Leinwand zeigen und sahen die See dabei nur immer wie eine Sprühftuth vorrüberrauschen. Ich hatte den Abend noch spät bis in die Nacht hinein geschrieben, so daß es fast 1 Uhr Morgens war, alZ ich mich niederlegte. Dafür konnte ich am nächsten Morgen so viel länger schlafen, denn die Sonne ging in dieser Breite erst nach 8 Uhr auf. Ich sollte heute aber auf traurige Art geweckt Werden. Mit einem jähen Schreck fuhr ich empor, als ich wildes, ängstliches Geschrei an Deck hörte, und in zwei Minuten in den Kleidern tönte fchon der Angstrnf zu mir nieder: „Mann über Bord!" Du großer Gott, diesmal war es nur zu wahr. Der arme Schisssjunge, der in dem vorigen Sturme schon fast über Bord geschwemmt wäre, war in 92 dieVormarsraae hinaufgefchickt worden, dort irgend etwas Nothwendiges auszubessern, und durch ein Ueberholen des Fahrzeugs aus dem Gleichgewicht gekommen und abgefallen. Der Mann am Steuer hatte ihn stürzen stehen und augenblicklich den Alarm gegeben, und ein Tau war zu ihm hinausgeworfen, als er vorbeitrieb, aber nicht lang genug gewesen, und alle Segel flappten jetzt im Winde, das Schiff drehte bei und die Leute sprangen nach dem Boot, wenn irgend möglich, den Kameraden zu retten. Der Wind hatte allerdings gegen Morgen bedeutend nachgelassen, die See ging aber noch immer mächtig hoch, und für das kleine Boot, welches wir anhängen hatten, war es ein Wagstück. Wer denkt aber in solchen Augenblicken an die eigene Gcfahr. Durch das Beidrehen des Fahrzeugs und die hochgehende See hatten die Leute an Deck den Verunglückten aus dem Gesichte verloren. Ein paar sprangen in die Wanten hinanf, ihn mit den Au gen zu suchen und: „dort ist er — er schwimmt noch!" tonte der Inbelschrei, und da drüben, gar nicht weit von dem Schiff entfernt, kreisten unsere Captaubcn dicht über dem Kopfe des Armen, der mit seinen schweren wollenen und vollgesogenen 93 Kleidern wacker gegen die bänmende Flnth ankämpfte. Dem Schiffe strebte er entgegen, ruhig und fest, ohne einen Schrei ausznstoßen. Das Boot stieß ab nnd hielt auf ihn Zu ^ noch war der Kopf über Wasser, noch lebte er — die Woge hob ihn und bäumte vor ihm auf — als sie in sich zusammenschmolz, war der Platz leer, und die Captauben strichen wieder ab und zum Schooner zurück. Das Boot gab ihn noch nicht auf — die Männer legten sich aus allen Kräften in Nuder ^- umsoust —sein Schicksal hatte sich erfüllt, und dasselbe nasse Grab, das seinen Großvater und Vater umschloß, hatte nun auch ihn aufgenommen. Wäre eine Nettungsboye an Bord gewesen, dcm Schwimmer zuzuwerfen, wie sie eigentlich an keinem Schiffe fehlen dürfte, so hätten wir den Mann jedenfalls gerettet, denn nur das Gewicht seiner schweren Kleider zog ihn so rasch in die Tiefe. Wer aber kümmert sich auf südamerikanischen Schiffen um etwas Derartiges, und die Regierung hat mehr zu thun, als auf das Leben Hrer Unterthanen zu achten. //Jetzt hat die See, was sie will," sagte der Steuermann, als eine halbe Stunde später die Sonne hell und warm heraustrat, eine leichte stete Brise uus vorwärts trieb, und die See sich 94 rasch legte, und merkwürdig war es in der That, Wie mit dem einen Schlage die ganze Natur sich zu verändern schien. Wer kann es dem Seemanne verdenken, wenn ihm, in einem von solchen Scenen erfüllten Leben manchmal der Gedanke aufsteigt — den der civilisirte Landmcnsch vielleicht Aberglauben nennen würde — daß die wilde wogende See nicht blos ein todtes, mit Salzwasser gefülltes Gefäß ist, sondern Leben und Bewußtsein hat, und „ihre kärgliche Nahrung an Menschenleben" gewissermaßen als eine Art Tribut für freie Schifffahrt verlangt. Armer Bursch! Seine Mutter und Schwestern standen am Ufer, als unser Fahrzeug den Maulefluß verließ — ihre Gedanken folgen dem Kind und Bruder, das sie jetzt bald in dem fernen Lande glauben und indessen — wohl ihnen, daß sie den Augenblick nicht mit erleben durften, als die Mö-ven über dem sinkenden Körper kreisten, und den leeren Platz dann gleichgültig verließen. Den ganzen Tag hatten wir eine leichte günstige Brise, und auch der nächste Tag, der 17., setzte eben so ein, wenn es auch die Nacht uud früh am Morgen ein paar Mal etwas Schnee und Hagel herunterwarf. Wir waren jetzt auch wieder aus den fünfziger Breitengraden heraus 95 und, nachdem wir die Falklandsinseln umschifft, frei von jedem Land, mit dem Cours offen vor uns. Vergessen hab' ich aber zu erwähnen, daß wir, noch im stillen Ocean und zwar 45 Grad 17 Minuten südlicher Breite und 78 Grad 30 Minuten westlicher Länge, einen nicht unbedeutenden Kometen entdeckten. Am 4. Juni, 20 Minuten nach 6 Uhr Abends (15 Minuten nach 11 Uhr Greenwich-Zeit), sehen wir ihn in 8. ^V. bei 8. (nach magnetischem Nord) etwa 12 Grad über dem HoriZont, mit einem Schweif von circa 12 Grad Länge, schräg auch nach Süden zeigend. Der Kern des Kometen glich einem Stern zweiter Größe und war hellleuchtend, der Schweif sah aus wie ein langer dünner und leuchtender Ncbelstreifen. Der Komet ging 7 Uhr 27 Minuten im Südwesten unter, und ich war nicht wenig erstaunt, ihn am nächsten Morgen um 4 Uhr schon wieder, ebenfalls etwa 12 bis 14 Grad hoch am Himmel zu sehen. Richtung liegt halb Süd. An dem Morgen erschien er mir bedeutend größer, als am vorigen Abend. Am 7. Juni nahmen wir Abends 6 Uhr 12 Minuten unter 49 Grad 32 Minuten südlicher Breite und 76 Grad westlicher Länge, also im stillen Ocean 96 nahe der chilenischen Küste, die genaue Distance 8. "A. vom Jupiter. Die Angular-Distance betrug 92 Grad 6 Minuten. Der Kern des Kometen sälber stand 10 Grad 46 Minuten über dem Horizont. Von da ab bekamen wir sehr rauhes und schweres Wetter; der Himmel war fast immer bewölkt, und gab es einmal einen klaren Morgen, so zog die Luft so kalt über See, daß ich, an ein warmes Klima wieder gewöhnt, mich wohl hütete, so früh an Deck zu kommen. Nachdem wir Cap Horn drublirt, hatten wir fast keine Nacht klaren Himmel mehr, und erst am 12. Juni etwa bekamen wir klare Abende, aber kein Komet war zu sehen, und die Morgen blieben trübe. Am 26. Morgens sagte mir der eine Matrose, daß er den Kometen wieder vor Tag gesehen habe, und er sei jetzt viel größer als früher. Am 27. ließ ich mich wecken. Leider war der Himmel nicht ganz rein, aber der Komet ließ sich deutlich, etwa 5 Uhr Morgens, 8 Grad über dem Horizont erkennen — er hatte sich total verändert. Nach dem, was wir daran sehen konnten, hatte der Kern etwa den Durchmesser des halben Mondes, und war nicht mehr leuchtend, sondern nebelhaft; der Schweif stand fast gerade in die Höhe, 9? etwas nur nach Norden geneigt und war riesenhaft breit und lang, und dabei so hell, daß die darin strahlenden Sterne fast verschwanden. Er stieg auf, aber Wolken verdunkelten ihn, und später erhellte sich der Morgenhimmel. Unsere Fahrt ging indessen sehr monoton, aber glücklich von Statten. Nachdem wir den armen Schiffsjungen über Bord verloren, wurde das Wetter gut, und der Wind logte sich, ja oft so, daß wir Tage lang Windstille und klares Wetter wie ruhige See hatten. Damit machten wir freilich auch nur geringen Fortgang. Glücklich aber erst einmal um das Cap, rückten wir doch wenigstens jeden Tag etwas vor, bis wir endlich am 35. Juni eine prachtvolle Brise bekamen, die uns rasch vorwärts brachte. Am 20. hatten wir noch ein Gewitter mit Donner und Blitz durchznmachen gehabt; von da an war die See glatt und mit wenig Dünung, der Wind frisch, und wir schäumten fröhlich durch die Fluth. ffr. Gcrstä Nichts, oder um ein paar Real verkauft wurden, kosteten jetzt, in der Heerde und die billigste Art, zwei Dollar das Stück — Kuh und Kalb, fönst für 2^ Dollar zu bekommen, war jetzt ä —8 Dollar werth, Pferde eben so im Verhältniß. Eben fo waren natürlich Schaffelle und Nindshäute, wie ckar her und treibt ein paar leergehende Pferde, die auf die nächste Station gehören, oder auch wohl zur Aushülfe dienen, wenn eines der toll aeuug getriebenen Thiere stürzen sollte. Natürlich sind die sämmtlicheu Pferde schon in der ersten Viertelstunde so naß, als ob sie aus dem Wasser gezogen wären, aber das schadet. Nichts — füuf oder sechs Leguas weiter werden sie ausgespannt und können sich dann iu aller 172 Bequemlichkeit die einzelnen Grashalme auf der fast vollständig ausgetrockneten Pampas zusammenlesen. Vor allen Dingen nahmen meine Reisegefährten meine erste Aufmerksamkeit in Anspruch, und diese bestanden, um sie nach der Neihe, wic sie sich eingefunden, aufzuzählen, erstens in einem jungen Manne von Montevideo, der etwas sehr Anständiges und Nettes in seinem ganzen Benehmen hatte, dann einem mehr plumpen, aber doch auch nicht ganz Übeln Brasilianer, und 1a,«t aber nicht 1lN8t, in einer „stillen Familie" von Mann, Frau und Kind, über deren Zusammenstellung wir ersteren Drei uns während der ganzen Fahrt den Kopf sehr unnöthigerweise zerbrachen. Er war ein junger Gauchoflegel von etwa 24 Jahren, schmutzig, unverfchämt, großthuerisch und zärtlich — sie etwa 26 Jahr alt, nicht besonders hübsch, mit auffallend fchlechten Zähnen,, lustig, laut und auch sehr zärtlich — es ein ungezogener Junge von etwa 6 Jahren, ungewaschen, mit abgerissenen Knöpfen, defekten Hosen, uuge-kämmt, und die vier Tage, die wir zusammen zubrachten, unabläfsig bemüht, mit den dickbesohlten Schuhen irgendwo bei den Passagieren verheimlichte Hühneraugen zu entdecken. 173 Es war ihr Bruder, wie sie sagte, und er nahm seine junge, eben erst verheirathete Frau auf seine „Hacienda" — eine Lehmhütte in den Pampas, von der er ihr unterwegs selbst noch die glänzendste Schilderung machte. Wir sahen seinen „Sommerpalast," wie er ihn nannte, von Weitem später in der öden Steppe liegen, und mich dauerte die arme Frau, die aus Buenos AyreZ mit glühenden Erwartungen dem „reizenden Landaufenthalt" entgegenstrebte. Angenehm war es freilich nicht, daß sich die beiden „jungen Gatten" — die alte Gans hätte vernünftiger sein können.— den ganzen Tag in den Armen lagen und sich ableckten und herzten, und da ich ihnen auf der Omnibnsbank gerade gegenüber saß, tonnte ich auch nicht wo anders hinsehen, ich hätte mir sonst den Hals abgedreht. Mäoi-68, war eine LieblingZredensart des jungen Fg.uelw und drückte zugleich die Grundsätze der ganzen Nace aus, und heißt, fein übersetzt: „wir haben kacicMäak, aber wir arbeiten Nichts. Wir dankten alle Drei Gott, als die Stunde unserer Erlösung endlich schlug, und wir von der „stillen Familie" befreit wurden. Meine Aussicht anf die umliegende Scenerie 174 war durch die Familiengruppe nur äußerst beschränkt. Vor mir hielten die beiden Liebenden die Köpfe permanent zusammen, und nur schräg nach rechts und direkt nach links war Licht und Luft — aber man verlor nicht viel au der Aussicht, denn weite öde Steppe umgab uns, wo auch immer der Blick in's Freie traf. Aber, keine Pampas, wie sie vorzugsweise um Buenos Ayres liegt, wenn sie auch eben so wenig einen Baum trug wie jene, sondern mehr wellenförmiger Boden mit leisen Anschwellungen, der einen Marsch oder Ritt durch solche Flächen nur noch verzweifelter macht. Von jeder kleinen Erhebung aus glaubt und hofft man, daß man nun wenigstens einen etwas freieren Ueberblick gewinnen werde, und jede kleine Erhebung bringt weiter Nichts als eine neue getäuschte Diminutiv-Hoffnung. Deßhalb büßte man in dem Kasten von der Landschaft gar Nichts ein, und konnte sich eine solche Verpackung — wenn nur die Liebenden nicht gewesen wären, — durch solche Scenerie recht gut gefallen lassen. Und wie monoton war hier das ganze Leben, wie öde und traurig lagen die einzelnen Ranchos in dem weiten Plan. Darin gleicht aber der Zau-eko von Uruguay dem von La Plata auf ein Haar, daß er nie daran denkt, sich durch ein klein wenig Arbeit das Leben auch ein klein wenig behaglicher zumachen. Eine Hütte muß er bauen, denn Kälte, Regen und Sonnenbrand zwingen ihn dazu; eine kleine Umzäunung, um seine Pferde darin zu fangen, muß er haben, wenn er sich nicht unnöthigerweise anstrengen will — und das will er nicht. Das Beides richtet er deßhalb her, aber nun ist er auch fertig, und denkt gar nicht daran, nur wenigstens einen kleinen Garten anzulegen, um Gemüse zu ziehen, oder ein paar Blumen neben sein Haus zu pflanzen, die eigene Heimath freundlicher zu machen. Ja, Blumen — Rinder- und Pferdegerippe liegen darum her, das ist seine ganze Verzierung, und der Geruch der Cadaver scheint ihm mehr zu behagen als der unnützer, langweiliger Blüthen. Unser erstes Nachtquartier war ebenfalls sehr primitiver Art. Eine einzige nie gewaschene Matratze, mit Steppengras gestopft, und als Zudecke — ich mußte wirklich lachen, als ich diese erste Entschuldigung für eine Bettdecke betrachtete, ein einfaches geblümtes Stück Kattun, ganz genau so schwer und warm, wie es in Batavia den Müden deckte — und was für ein Unterschied hier, mit dem Klima in Vatavia. Schon am La Plata hatten wir Morgens 176 viertelzoll dickes Eis auf den Lachen gehabt, und die ganze Pampas weiß bereift gesehen. Hier war es nicht um einen Grad wärmer, und unter dem Kattun hätte man mit Bequemlichkeit erfrieren können. Glücklicherweise führte ich aber einen warmen Poncho mit, und schon daran gewöhnt, aus der Noth eine Tugend zu machen, nahm ich noch außerdem von einem der nicht benutzten Betten die Matratze als Zudecke und schlief darunter, meinen Poncho statt Laken gebrauchend, warm und vortrefflich. Am nächsten Morgen aber lautete die Ordre: „schon vor Tag heraus," und wenn wir auch am letzten Abend ein erträgliches Souper mit Lisboa-Wein gehabt, war heute Morgen doch nicht an Kaffee zu denken. So vorwärts denn; es hatte allerdings einige Schwierigkeit, irgendwo Wasser zum Waschen zu finden, denn darauf sind die Leute hier nicht eingerichtet, und der junge Mann von Montevideo und ich waren auch die Einzigen, welche es gebrauchten, es gelang aber doch endlich. Unser junges Ehepaar, mit dem noch jüngeren Schwager, fand sich auch wieder ein, und fort ging's über die Pampas, was die Pferde laufen tonnten. Den ganzen Tag nun gab ich mir Mühe, 177 irgendwo auf der weiten Pampas doch wenigstens ein Stück Wild zu entdecken, denn bis jetzt hatte ich weiter Nichts darauf erkennen können, als Heerden von Pferden, Rindern und zuweilen auch von Schafen — aber umfonst; es war nirgends Etwas zu entdecken, und der „m^jor äouio" den ich danach frug, versicherte mich, ich würde erst „weiter hin" Hirsche finden, deren es viele gäbe. — Meine Doppelbüchse hatte ich natürlich bei mir. Gegen Abend entdeckte ich in weiter Ferne aber einen wunderlichen Gegenstand, der mir trotzdem in seinen Bewegungen bekannt vorkam, und ich wandte mich an meinen Nachbar, um mich zu erkundigen, ob es hier Strauße (Kasuare) gebe. „Hier nicht," sagte er, „aber weiter hin." — „Hier nicht? und was ist das dort drüben?" — „Wahrhaftig ein Strauß," sagte er, hinaussehend, „so nahe bei Montevideo chabe ich sie noch nie gefunden." Strauße! Der alte Iagdteufel kehrte wieder, und ich hätte gern einen kleinen Abstecher hinaus in die Pampas gemacht, aber das ging jetzt nicht an. Die Diligence flog in Carriere über die Steppe und der ilMM' äomo schien nicht die geringste Lust zu haben, einer solchen Bagatelle Fr. Gerstäcker, Achtzchn Monate mGüd-Amenla. III. 12 178 wegen, wie ein Strauß in seinen Augen war, die republikanische Diligence aufzuhalten. An der nächsten Station, wo die Pferde gewechselt wurden, nahm ich mir aber doch meine Kugeltasche vor und lud meine Büchse, um für alle Fälle gerüstet zu sein — man konnte eben nicht wissen, was vorkam. Das Pferdewechseln geschieht hier genau so, wie in den Pampas von Buenos Ayres. Eigentlich sollen die PostPferde schon, ehe der Wagen kommt, eingetrieben und bereit sein. Da diese Diligencen aber eben so eigentlich gar keine bestimmte Zeit einhalten und sich oft um viele Stunden, ja manchmal halbe Tage verspäten, so mögen die „PostHalter" ihre Thiere auch nicht so lange in den zu Brei gestampften „corral" sperren, wo sie nur unnütz fo lange hungern müßten, und ziehen es vor, die nöthigen Pferde eben einzutreiben, wenn der heranrasselnde Kasten in der Ferne sichtbar wird. Natürlich entsteht dadurch jedesmal eine neue Verspätung. ^ Auffallend war es mir aber, daß ich diese Gauchos nie, auf der ganzen Tonr, den Lasso gebrauchen sah, obgleich sie wohl ebenfalls recht gut damit umzugchen wissen. Sie trieben die Pferde, die gefangen werden follten, in die kleine Um- 179 zännung, und krochen dann so lange mit den Zügeln zwischen ihnen herum, bis sie die nöthige Anzahl beisammen hatten. Aber was für ein wildes Fahren, wenn sie erst einmal eingeschirrt sind. Ein wirklicher Weg besteht dabei gar nicht, man müßte denn die Fahrgleise früherer Fuhrwerke als einen solchen betrachten. Nirgends ist auch nur ein Spatenstich oder ein Schlag mit der Spitzhacke geschehen, irgend eiit vorgefundenes Hinderniß zu beseitigen, ein Sumpfloch zu füllen, oder gar eine Brücke M schlagen. Wie der Hang dieser wellenförmigen Landbildung von der Natur gcworfcn ist, so ras' selt die „Diligence" darüber hin, oder sauft, noch viel schlimmer, an der schräg liegenden Seite vorüber, daß man oft gar nicht begreift, wie es möglich war, eine solche Stelle ohne Umwerfen zu Passiren. Huih! schreit der Kutscher, der übrigens seine Thiere prächtig in der Gewalt hat, und der ans dem vordersten Pferde reitende Gaucho bohrt dem semigen die Sporen in die Flanke. Fort geht's, wie die wilde Jagd, mitten in die Pampas hinein, und der Burfchc vorn fcheint vor lauter Lust und Behagen ganz übermüthig zu werden, so wirft er sich jauchzend und schreiend vorn im 12* 180 Sattel herum. Er schiert sich auch den Henker darum, ob die Diligence hinter ihm umschlägt oder nicht, denn ihm da vorn kann in dem Falle nicht das Mindeste geschehen. „Rechts!" kommandk't der Kutscher, der alle Sumpflöcher uud Steine hier wie seine eigene Tasche kennt, und der Reiter wirft sein Leitthier scharf rechts ab, die anderen Thiere folgen im Bogen, und während der Kutscher wieder „links" schreit und sich das nämliche Manöver nach der andern Seite wiederholt, beschreiben die Näder des Wagens einen kleinen Bogen dicht um den Rand eines tiefen, durch den Negen in den Boden gerissenen Loches, das uns bei der geringsten Nachlässigkeit hätte verderblich werden müssen. Jetzt senkt sich dcr Hügel steil einem kleinen Steppenwasser zu — nun wird er doch wenigstens etwas anzügeln. Gott bewahre! Huih! tönt aufs Neue der ermunternde Nuf, und hinunter geht die Hetze auf das scharf abgebrochene Ufer des Baches zu und mitten in denselben hinein, daß der schwere Kasten zwei, drei Stöße hintereinander thut, die ihn auseinander zu bersten drohen. „3aiM Naiia! yu<2 dardariäaä!" schreit die „Dame" unft stemmt beide Hände auf das Sitz- 181 kissen. Während aber der Kutscher als einzige Antwort nur ein neues gellendes „Huih!" aus-stößt, und draußen Schlamm, Wasser und kleine Steine um den selber wie erschreckt vorwärtsschießenden Kasten umherspritzen, donnern die Räder schon wieder an dcr andern Seite, eine schräg aufsteigende Erdbank von drei Fuß Höhe als gar kein Hinderniß betrachtend, in die Höhe, und reihen die wild durcheinander gerüttelten Passagiere mit sich fürt, auf den Gipfel des nächsten Hügelrückens. Dort zügelt der Gaucho plötzlich ein, denn seine Thiere müsseu sich einen Augeublick, nach der furchtbaren Anstrengung, verschnaufen, und im Schweiß gebadet, mit Schlamm und Schaum bedeckt stehen sie zitternd da, und lassen Kopf uud Ohren hängen. Aber die Nuhe dauert nicht lange; zwei Minuten mußteu genügen, ihnen, uach ihres Treibers Meinung, wieder frischen Athem Zu geben, und fort saust das Fuhrwerk wieder, neuen Abenteuern entgegen. Auf solchen Rastplätzen, die aber selten genug vorfallen, läuft den erschöpften Thieren, selbst wenn, wir auch vorher kein Wasser passirt waren, der Schweiß in solcher Masse vom Körper ab, daß 182 sich dort, wo sie nur zwei Minuten gestanden haben, ordentlich kleine Lachen bilden. Aber was kümmert das den Knischer — Pferde giebt's genug in den Pampas, selbst wenn auch einmal eins der seinigen stürzen sollte — für solchen Nothfall werden ja noch immer ein paar nebenher gehetzt — nnd für die Hälse der Passagiere ist er eben Niemandem verantwortlich. Und jetzt wieder weiter, Hügel ab, Hügel auf, Hänge streifend, daß der Wagen manchmal nur auf seinen zwei Seitenrädern vorwärts gerissen wird, und ein einziger unglücklicher Zufall, irgend eine unbedeutende Kleinigkeit, ein Stein, ein ans-gcfahrenes Gleis die ganze Diligence jeden Augenblick umwerfen und dann rettungslos zu Atomen zerschmettern müssen. Wahrhaftig, an Aufregung fehlt es bei einer solchen Fahrt nicht, und ich habe manchmal wirklich gezögert, mir noch eine Cigarre oder Pfeife anzuzünden, weil ich in der That glaubte, daß es nicht mehr der Mühe werth wäre. Am dritten Tage gewann indessen die Steppe ein Interesse, das sie bis jetzt nicht gehabt; ich entdeckte nämlich rechts und links vun uns, erst vereinzelt, dann in Trupps und Nudeln, Strauße sowohl wie Hirsche, die, wenn sie ein- oder zweihundert Schritt abseits standen, sich für voll- kommen sicher hielten und den rasselnden Wagen ruhig an sich vorbeidonnern ließen. Vergebens bat ich den mg,M- äoino jetzt dringend, nur ein einziges Mal anzuhalten, um wenigstens, ein Stück Wildpret zu schießen. Er behauptete, daß er keine Zeit hätte, und dann hälfe es mir und ihm ja doch Nichts, denn das käme alle Augenblicke vor, daß Passagiere ihre Flinten mitführten und schießen wollten. Wenn er dann aber auch Zeit dabei versäumt, und sie vom Nagen gelassen habe, hätten sie nachher ein- oder zweimal geschossen und nachher wieder eine Viertelstunde geladen, ohne auch nur ein einziges Mal Etwas zu treffen. Das Wild sei wenigstens jedesmal entweder sehr vergnügt fortgelaufen, oder auch gar ruhig stehen geblieben. Außerdem versicherteer mich, daß die Hirsche gar nicht zu genießen wären, weil sie einen so fatalen Geruch hätten, und die Strauße wären wohl der Federn wegen eines Schusses werth, aber Fleisch hätten sie gar keins. Das Letztere fand ich allerdings später bestätigt, war aber auch fest entschlossen, mich dieser anscheinenden Tyrannei nicht viel länger zu unterwerfen und, wenn es eben nicht anders ging, die Diligence ruhig fahren zu lassen und einen 184 Iagdzug auf eigene Hand zu unternehmen. Nur wollte ich noch gern vorher ein Stuck gegen Ar-tigas vorrücken, um nicht zu viel von dem hohen und schon bezahlten Passagierprcis zu verlieren — Reisen kostet überhaupt in Süd-Amerika e^in ganz schmähliches Geld. Am dritten Tag Abends, wo wir etwas früher als gewöhnlich in's Quartier kamen, nahm ich indessen meine Büchse, um noch vor Dunkelwerden ein wenig pirschen zu gehen. Ich hatte an dem Tage einige achtzig Stück Wild und vielleicht 150 Strauße gezählt, die wir passirt waren, und es mußte Etwas iu der Nähe sein. Das Haus, in dem wir übernachten sollten, lag überdies auf einer langen Erhöhuug, so daß ich den Platz nicht gut verfehlen konnte, wenn ich selbst im Dunkeln zurückkehrte. Zudem war der Himmel klar und ich konnte meine Richtung recht gut nach einem Stern nehmen. Kaum hatte ich übrigens die Buchse geschultert, als sich meine beiden Reisegefährten, der Brasilianer und der Montevideo fthr unnötigerweise entschlossen, mich zu begleiten. Der Letztere trug dazu noch einen dunkelblauen Tuchponcho grellroth gesüttert, und das Futter über die rechte. Schulter hoch und scheinbar nach außen geschlagen. 185 Los wurde ich sie aber doch nicht mehr, und mit meinem Pirsch gang von vornherein nicht zufrieden, rückte ich aus, in die Pampas hinein. Meine beiden Iagdgefährteu unterhielten sich außerdem noch dabci auf das Lebhafteste und ziemlich laut, und so lauge wir uns in der Nähe der Häuser befanden, ließ ich mir das gefallen. Nie wir aber erst ein Stück in's Freie hinauskamen, verbot ich mir das, und hielt mich auch ein Stück vor ihnen, das Terrain besser übersehen zu können. Das Glück wollte, daß ich solcher Art, durch einen Hügelhang gedeckt, auf etwa hundert Schritt an einen, sich'ruhig äsenden Hirsch herankam, der, als mein Hut über dem Kamm sichtbar wurde, rasch deu Kopf in die Höhe warf und nach mir herüber sicherte. Ehe er übrigens zu einem Entschluß kommen konnte, saß ihm meine Kugel, vorn durchgeschossen, im Rückgrat nnd warf ihn in seinen Fährten zusammru, meine Begleiter nicht wenig in Erstaunen setzend, die nicht einmal bemerkt hatten, daß ich anlegte. Es war, wie sie mir sagten, ein mittelstarker Hirsch, der viel stärker überhaupt hier gar nicht vorkäme, er erreichte aber meine Erwartungen, die ich von diesem Wild gehabt hatte, nicht, denn 186 er war noch geringer als ein starler Dambock, auch mit dem Wedel wie dieser und sehr dürftigem Geweih. Alle diese Hirsche, wenigstens alle, die ich bis jetzt gesehen hatte, haben nnr sechs Enden; ziemlich gerade Hauptstangen, eine Augensprosse und nach vorn auszwcigende Gabel. Die Stangen waren aber außerdem noch außerordentlich dünn und sehr wenig geperlt, Staat also in keiner Weise damit zu machen. Haken (Zähne) hatte er eben so wenig, und was den früher erwähnten Duft betraf, so mußte ich eingesteheu, daß der nicht zu den angenehmsten gehörte. Es war ein recht fataler Brunstgeruch, und zwar ohne jede Entschuldigung, denn die Brunstzeit mußte schon über vier Monate vorüber sein. Der Hirsch soll aber diesen Geruch das ganze Jahr behalten, und ist deßhalb auch wirklich ungenießbar, oder wird wenigstens von den Gauchos nicht gegessen, eben so wenig wie ich etwas davon versuchen mochte. Nnr das Geweih bat sich der eine meiner Reisegefährten aus, und da ich es bei meinen späteren Ritten doch nicht mitnehmen konnte, ließ ich cs ihm. Das war Alles, was wir von dem erlegten Hirsch mitnahmen. 187 Ich beschloß aber auch von da ab und unter solchen Umständen keinen Hirsch weiter zu schießen, denn znr bloßen Zerstörungswuth habe ich es noch nicht gebracht, und wcnn Niemand etwas Mit ihnen anfangen konnte, mochten sich die Thiere auch ihres Lebens freuen. Durch meinen Erfolg auf dieser Jagd war aber auch das Herz des Kutschers gerührt worden, und als der major äomu in der Nacht erkrankte Und in unserem Nachtquartier Zurückgelassen wurde, uud ich am nächsten Morgen mit Tagesanbruch und ehe die Post abging noch einen Kasuar auf der Pirsche, gar nicht weit vom Haus entfernt, schoß, versprach er mir, bei der ersten Gelegenheit die Diligence anzuhalten und mir Gelegenheit zu geben, eine Hirschkuh zu schießen. Die ,fano sich auch bald; rechts von der Straße trafen wir, etwa Morgens um 8 Uhr, ein kleines Rudel, der Wagen hielt, ich hatte indessen, wie ich sie sah, schon meine Zündhütchen aufgesetzt, und mit dem Schuß zeichnete das getroffene Stück und wurdc mit den anderen flüchtig. Aber es ging nicht weit; der uns zu Pferde begleitende Gaucho hatte ebenfalls geschen, daß cs getroffen war, und galoppirte nach, und noch etwa hundert Schritt weiter brach es zusammen und wurde von 188 dem wilden Gesellen am Lasso ou Min carri^re zu uns zurückgeschleift, dann rasch aufgebrochen und vorn auf die Deichsel gebunden. EZ war ein feistes Stück und hatte nicht den mindesten, unangehmen Geruch. Auf der nächsten Station, wo wir Halt machten, um zu frühstücken, fand ich aber auch die Erklärung, weßhalb es hier in der Nachbarschaft so viel Wild gab, und weßhalb es gar nicht verfolgt und erlegt wurde. Als ich nämlich Ziemer und Keule ausgeschnitten und in das Haus getragen hatte, uud dort die Frau bat, cs für uns zurecht zu machen, wandte sie sich in Ekel von dem Wildpret ab und sagte: „Das schwarze, häßliche Fleisch soll mau doch nicht etwa essen? Mit dem weiß ich gar uicht umzugehen, und will auch Nichts damit zu thun habm." Wie sich herausstellte, wollte keiner der dort wohnenden Gauchos — und wahrlich nicht aus Reinlichkeitsrücksichten — etwas mit dem Wildpret zu thun haben. Anders dachten aber unser Kutscher und meine Mitpassagicre darüber, und es blieb mir jetzt Nichts weiter übrig, als selber deu Koch zu machen. Ich lieh mir also wenigstens eine Pfanne geben und Rindstalg, denn weiter war kein Fett zu bekommen, schnitt ktLkk» 189 aus dem Fleisch, und hatte bald die Genugthuung ein vortreffliches Frühstück hergerichtet zu haben. Das Wildftret war delikat, und wir Reisende aßen eine ganze Quantität davon; die Wirthin war aber nicht dahin zu bringen, auch nur ein Stück davon zu kosten. — Was das Vorurtheil nicht thut! An demselben Morgen wurden wir auch glücklicherweise von den „Liebenden" und dem jungen Schwager befreit. Er miethete ein paar Pferde, die ihn zu seinem Besitzthum, dem Sommerpalast, tragen sollten, und als er sein Sattelzeug auspackte, fand es sich, daß es von Argentan strotzte ^- nur die riesigen Sporen waren ächt, und ganz dem Charakter dieser Art Leute treu, die zu Hause lieber halb verhungern und ein vollkommen elendes Leben fristen, aber ein paar schwersilberne Sporen müssen an den Hacken hängen haben, stieg er stolz mit diesen zu Pferde und sah halb Mitleidig auf uns andere arme Sterbliche herab, weil wir keine silbernen Sporen an den Beinen hatten. Das ganze Zaumzeug strotzte überdies von nnächtem Glanz, der ebenfalls wirkliches Silber imitiren sollte, und wäre Alles nicht gewesen, so hatte er sein Reitzeug wahrlich nicht unter 190 600 Dollars gekauft gehabt. So, wie es war, hatte die Sache weniger zu bedeuten. Er nahm dann den „Schwager" vor sich anf den Sattel, sie hing eine Anzahl Körbe, Packets und Hutschachteln um sich her, und die Neise ging fort, der Lehmhütte entgegen, die wir, von dem letzten Hügelhang aus, deutlich in den öden Pampas hatten Uegen sehen tonnen. Am nächsten Tage erreichten wir ein kleines Städtchen, (^i'i-o Im-go (großer Berg), den ich selber aber nirgends entdecken konnte. Hver verließ uns unser Reisegefährte aus Montevideo, von dem es mir wirklich leid that zu scheiden, so liebenswürdig hatte er sich in jeder Hinsicht benommen. Von hier aus sollte uns auch die Post noch an dem nämlichen Abend wieder mit fortnehmen, und zwar in anderthalb Tagen nach Artigas. Kurz Znvor, ehe wir fortfahren wollten, erfuhr ich aber von einem Brasilianer — Artigas bildet die Grenze mit diesem Strich — daß es auf der andern Seite des Flusses Iaguaron fast gar kein Wild, oder doch nur äußerst wenig gebe, und wenn ich überhaupt Lust zu jagen habe, so sei das hier meine letzte Gelegenheit. Das war ein guter Rath in Zeit; denn was mir der Fremde sagte, fand ich in der That spä- 191 ter bestätigt. Ich zögerte also auch nicht lange; das Dampfboot, das den Iaguaron befuhr, konnte ich, wie ich hier erfuhr, doch nicht mehr mit der Post erreichen, denn es war an dem nämlichen Tage abgegangen, wo ich in Cerro largo eintraf, und da ich nun zu Pferde von da weiter mußte, kam es anf die paar Tage auch nicht an. Nafch waren meine Sachen in das Hutel geschafft, das sich durch ein französisches Billard als das erste in der Stadt bezeichnete: ein Flamländer — Hausknecht im Hütel — der weder Französisch noch Spanisch sprach, besorgte mir em Pferd, und noch an dem nämlichen Abend ritt ich einer nicht sehr fernen Hacienda entgegen, in deren Nähe ich das meiste Wild, allen Beschreibungen nach, finden sollte. Doch es bleibt mir hier keine Zeit, meinen dreitägigen Iagdzug — der mir aber viel Interessantes und Lohnendes bot, hier weitläufiger zu beschreiben. Ich thue das vielleicht einmal später, Und will jetzt nur zu meiner Neise selber zurückkehren, die, wie sich bald herausstellte, mit einem andern Kutscher ebenfalls in einen Iagdzug ausartete, und zwar den wunderlichsten, der wohl je Schalten wurde. Nachmittags vier Uhr ging die Post wieder 192 von Cerro largo ab, und wir trafen, gar nicht weit von der Stadt entfernt, mit viel mehr^ebener Pampas, als wir sie bis jetzt gehabt, ein geltes Thier auf etwa hundert Schritt vom Wege abstehen. „Können Sie 'was mit Ihrer Flinte treffen?" sagte der Bursche, neben dem ich im CouvLe saß — „wenn wir nachher an Stranße kommen, möchte ich gern ein paar Flügel haben." „Halten Sie einmal Ihren Karren an," erwiederte ich ihm, „und ich schieße nns das Stück Wild zum Abendbrod." „Wenn's wahr ist," meinte er lachend, zügelte aber doch die Pferde ein, um, wie er hinzusetzte, zu sehen, ob ich Etwas treffen könne. Ich sprang augenblicklich ab; wie aber der Wagen hielt, wurde das Wild flüchtig und stellte sich erst wieder auf reichlich 200 Schritt. Auf diese Distance war ich aber meiner wackern Büchse — wenn ich selber nur ordentlich hielt— gewiß; sprang also hinter den Wagen, legte das Nohr an das rechte Hinterrad — das Schnaufen der Pferde genirte mich etwas, die fest im Geschirr lagen und dabei den Wagen selber in einer athmenden Bewegung hielten — und drückte erst ab, als ich meines Schusses vollständig sicher war. Das Thier knickte auch glücklicherweise im 193 Feuer zusammen, und die Treiber stießen ein wildes Iubelgeschrei aus. Zehn Minuten später lag es aber wieder, ausgeweidet und festgebunden, vorn auf der Deichsel, und mein Nachbar betrachtete sich indessen mit nicht geringem Staunen mein Gewehr, das auf so weite Distance ein so kleines Stückchen Blei so sicher geworfen hatte. Die Leute hier bekommen überhaupt nur höchst selten eine Büchse Zu sehen, denn alle die Reisenden, die hier passiren, führen nur Schrotflinten. Nicht lange darauf passirten wir einen Trupp Strauße auf etwa hundert Schritt, und die Diligence hielt jetzt von selber, ohne daß ich ein Wort gesprochen. Ich sprang wieder ab und zielte, traf auch den Strauß, fchoß ihn aber nur hoch durch, daß er zuerst einen Moment taumelte und dann flüchtig mit den Gefährten abging. In voller Flucht hielt ich ihm aber jetzt mit der zweiten Kugel etwa eine Handbreit vor, und tiefer als vorher, und mit dem Knall der Büchse fast, überschlug er sich wohl sechs bis acht Schritt weit, kam wieder auf die Füße, überschlug sich noch einmal und lag dann still. Der Treiber galoppirte hin, dem Erlegten die Flügel abzuschneiden, die in der Pampas einigen Werth haben, und als ich unserem neuen nilrjor Nr. Gerstücker, Achtzehn Monate in SUd-Nmcrila. III. 13 194 äomo jetzt versicherte, daß ich nur das Vergnügen des Schusses haben wolle, und er alle Federn bekommen könne, war er plötzlich bei meiner Jagd auf das Innigste interessirt. Noch konnten wir keine Viertel-Meile gefahren, sein, als wir zur Linken, aber viel außer Schußweite, ein neues Nudel Strauße entdeckten. „Links!" schrie der major äomu dem Treiber vorn zu, dessen Pferd flog herum, und über die Pampas quer hin, die Pferde in vollem Carriöre, mit sechs Passagieren im Innern donnerte das schwere Fuhrwerk zu der wunderlichsten Pirschfahrt hinaus, die wohl je vorgekommen. Ich schoß von dem Nudel drei Strauße, denn den ersten hatte ich wieder ein wenig zu hoch getroffen, und in seinen wunderlichen Überstürzungen, mit denen er aber nicht mehr von der Stelle kam, blieben die andercn erstaunt stehen und machten einen langen Hals. Ja, selbst als ich den zweiten geschossen, ließen sie mir Zeit, wieder beide Läufe zu laden, und flohen erst nach dem dritten Schuß, wo ich dann mit der vierten Kugel fehlte. Die Diligence bog, als der Conducteur seine Federn in Sicherheit gebracht hatte, wieder schräg 195 nach dem Weg ein, und wir hatten von da an nicht mehr weit zum nächsten Nachtquartier. Die Scenerie der Pampas, die bis jetzt Alles übertroffen, was ich ^ seit ich die Mil».« von Peru verlassen, noch an öden Landschaften gesehen, wurde aber jetzt viel freundlicher. Die Pampas selber war nicht mehr so wellenförmig, wenigstens nicht mehr mit so hohen, jede Aussicht versperrenden Rücken. Hie und da in Ven stachen Thälern zeigten sich auch kleine freundliche Gruppen immergrüner Bäume, und sonderbarer Weise standen in diesen Gebüschen schlanke wehende Palmen, die ich diesem Klima nie im Leben zugetraut hätte. Es herrschte hier nämlich, und trotz der Nähe von Brasilien, von dem wir nur noch wenige Leguas entfernt wären, eine keineswegs tropische Temperatur, denn wir hatten jeden Morgen ganz tüchtiges Eis in den Pampas, und die weite Uäche sah bereift aus und winterlich, so weit das Auge reichte — und doch die Palmen, die, wie ich bis jetzt geglaubt, nur in einer heißeren Zone ihren Wohnplatz hatten und heimisch sein konnten. Palmen im Schnee — es schneite gerade nicht, aber die Steppe sah doch des Morgens genau so aus, als ob es geschneit hätte, und der Contrast war wunderlich genug. 13* 196 Jetzt fand ich auch hie und da an den Ranches oder Haciendas Umzäunungen und Gärten. Und einer meiner Reisegefährten versicherte mich, es sei das ein Zeichen, daß wir uns der brasilianischen Grenze näherten, denn die Bewohner von Uruguay „3011 I^eikuäero», pero uo tiad^a-äore«. Die Bewohner von Brasilien dagegen hielten Etwas auf eine mehr freundliche Heimath, und scheuten nicht bie Mühe, eine ordentliche Umzäunung anzulegen. Ich fand das später in der That bestätigt, und wenn auch in Uruguay keine Sclavenarbcit mehr gestattet ist, haben jene Einwanderer von Brasilien doch weit mehr Fleiß mit herübergebracht, als sie im Lande selber fanden. Der Bewohner von Süd-Brasilien darf überhaupt nicht mit dem des nördlichen Theiles dieses Landes verwechselt werdm, denn Beide sind, wie ich später noch oft fand, himmelweit voneinander verschieden. Einwanderung nach Uruguay! Es wird ja jetzt, so viel ich weiß, auch für dieses Land in Deutschland geworben, denn unsere tüchtigen deutschen Kräfte sind überall in spanischen und Portugichjchen Provinzen gesucht, und kommen dem Lande nur zu Statten, auf das sie sich werfen, 197 Für die Einwanderung ist aber schwerlich dieser östliche Strich gemeint, den ich jetzt durchzog, denn in dieses öde, wilde Land paßt für jetzt nnr der Viehzüchter, und für den Viehzüchter wunderlicher Weise selten oder nie der Deutsche. Der deutsche Auswanderer treibt in der Fremde wohl allerdings auch etwas Viehzucht, aber nie als Hauptsache (außer er ist ein reicher Landbesitzer und Kaufmann, und hält sich seine Leute auf den 68t6N0i<^ ohne selber wirklich mit Hand anzulegen). Hat er ordentlich Land urbar gemacht, dann hält er sich auch natürlich Vieh, aber er findet keinen Geschmack daran, diesem ganz ausschließlich seine Aufmerksamkeit und Thätigkeit zuzuwenden. Ich habe das wenigstens in allen Ländern, die ich bis jetzt bereiste, wieder und wieder bestätigt gefunden. Mr die Auswanderung nach Uruguay werden aber auch nur die westlichen und nordwestlichen Distrikte gemeint, die in der Nähe des Uruguaystromes liegen, und wenn ich sie auch nicht selber besuchen konnte, habe ich doch, wo auch immer ich mich dauach erkundigte, nur Gutes und Rühmliches darüber gehört. So viel ist sicher, daß dort viel fruchtbares Land in einem verhältnißmäßig gesunden Klima 198 liegt, und die jetzige Regierung, während das Volk nicht die geringste Lust zu einer Revolution Zu haben scheint, ist so liberal, und unterstützt besonders die Fremden so willig, daß der Einwanderer hier wohl wenig für seine eigene Sicherheit zu befürchten hat. Aber er kommt dort doch auch wieder in ein noch sehr wenig cultivates und sehr wildes Land, und da ist ihm abermals sein geselliger Charakter im Wege. Der Deutsche paßt nun einmal nicht recht zum Pionier der Civilisation, für den der Nord-Amerikaner wie gemacht erscheint. Der Deutsche verlangt, neben der Arbeit, vor der er sich wahrlich nicht scheut, aber doch seine Geselligkeit, und gewissermaßen auch seine Bequemlichkeit, und wenn er diese nicht haben kann, so verlangt er sie erst recht und bildet sich dann ein, daß er unglücklich sei und schlecht behandelt werde. Deßhalb besonders, und seien die Verhältnisse derselben auch gerade jetzt noch so wenig verspre-- chend, findet diese bedeutende Auswanderung nach den Vereinigten oocr gegenwärtig vielmehr nach dm „Uneinigen Staaten" statt, well der Auswanderer dort drüben eine Menge Verwandte und Freunde weiß, in deren Nähe er sich nicht allein niederlassen kann, sondern in deren Nachbarschaft , es auch sogar deutsches B i e r giebt. Er hat dort einen 199 Anhaltepunkts wie er glaubt, und wenn ihm die Menschen dort auch noch so wenig helfen werden und als einzigen Rath das amerikanische Sprüchwort „1l6ip )'om'5lo1k" für ihn haben, so ist er doch wenigstens ill ihrer Nähe, und glaubt sich schon dadurch nicht ganz verlassen. Der eigentliche Amerikaner dagegen, besonders der Bewohner der westlichen Staaten, fühlt sich nie wohler, als wenn er gar keine Fenz auf wenigstens einen Tagemarsch um sich her hat, und schafft sich mit Büchse nnd Axt seine neue Hei-Math, die ihm nur so lange behaglich scheint, als er keine Nachharn bekommt. Deßhalb, und unseren deutschen Charakter in Betracht gezogen, ist es immer ein etwas gefährliches Experiment, einzelne Deutsche nach einem noch wilden Lande zu schicken, mögen die sich ihm bort bietenden Vortheile auch noch so groß sein — ausgenommen man könnte gleich von vornherein eine große Colonie dorthin schaffen, wo ganze Schiffsladungen von Einwanderern dann auf einer nnd derselben Stelle blieben, und sich gleich nebeneinander ansiedeltet,. Sollte das aber geschehen, so glaube ich gewiß, daß die Wahl von Uruguay ill jenen fruchtbaren Distrikten, mit einer guten 200 Wasserverbindung gleich fertig zu ihrer Benutzung, gar keine so unpassende wäre. Ein noch fruchtbareres und schöneres Land dafür wäre eben so Paraguay, dem auch noch einmal in späterer Zeit eine große Zukunft bevorsteht. Aber auch dorthin wäre es anzurathen, eher eine Massen- als Einzeln-Einwanderung vorzunehmen, so lange wenigstens noch uusere jetzigen traurigen deutschen Verhältnisse mit einer Vertretung nach Außen bestehen. Die dortigen Präsidenten und Diktatoren sind ost ganz brave und vernünftige Leute, die den Nutzen recht gut einsehen, den ihnen eine besonders deutsche Einwanderung bringt, aber man weiß nie, wie lange sie regieren, oder wie lange sie diese gute Meinung behalten, und ihrer Willkür ist in dem Fall der arme Deutsche vor allen Anderen preisgegeben. Was hilft es, daß jetzt Preußen einen ordentlichen und tüchtigen Vertreter in dem Gesandten von Golich in den spanischen Provinzen der Ostküste hat, so lange derselbe, mit keiner Macht hinter sich, eben nur auf seine Proteste beschränkt gleibt. Es wird und muß das anders werden, und dann eröffnet sich auch ein wunderbar reiches Feld für die deutsche Auswanderung in Süd-Amerika- 201 wo der Deutsche im Ganzen — ungleich den Verhältnissen in den Vereinigten Staaten — geachtet und gern gesehen ist. Dort liegt noch ein Boden für seine Thätigkeit, dort kann er wirken und schaffen und wird in seiner Rückwirkung eben so segensreich für das Vaterland daheim arbeiten, wie für sich selber — wenn das unsere deutschen Regierungen auch freilich noch immer nicht einsehen können — oder wollen. Unser letzter Tag mit der Diligence war, für mich wenigstens, der interessanteste von allen. Nicht deßhalb etwa, weil ein neuer brasilianischer Passagier mit dem ebenfalls portugiesischen Kutscher neben mir im Coupee saßen und ihre ganz verzweifelt langweiligen monotonen portugiesischen Lieder brüllten, sondern weil die Pampas von Wild und Straußen lebte, und mein Kutscher jetzt wie toll hinter den „Federn" herwar. Wo auch immer ein Trupp von Straußen auf der Pampas sichtbar ward — denn auf Hirsche wollte ich nicht mehr schießen, da wir Wildpret genug hatten — bog er in voller Flucht mit der schweren Neisekalesche dahin ab, und ob die Passagiere drinnen auch zusammengerüttelt wurden, und um so viel später an den Ort ihrer Bestimmung kamen, blieb sich vollkommen gleich. Er 202 wußte einmal, daß ich die Strauße mit dcr Büchse traf, denn ich hatte mich jetzt vortrefflich darauf eingeschossen, nnd er war entschlossen, so viel da« von zusammenzubringen wie irgend möglich. Leider hatte ich nur noch sieben Kugeln, schoß aber an diesem Tage mit ihnen fünf Strauße, und betrübte ihn sehr, als ich ich ihm erklärte, die Jagd müsse jetzt, wegen Mangel an Munition, aufhören. Eine wunderlichere Pirschfahrt ist aber wohl noch nie vorgekommen. Die Scenerie wurde hier immer freundlicher, denn die Nähe des Iaauaronflusscs brachte Büsche und Dickicht mit reizenden Palmengruppen, und wir passirten einige wirklich malerisch gelegene Haciendas, die aber alle hierher eingewanderten Brasilianern gehörten, und Nachmittag um drei Uhr erreichten wir das Ziel unserer Dili-gence-Fahrt, ArtigaZ, am rechten und südlichen Nfer des Jaguaren die Grenzstadt von Uruguay, und an dem nördlichen Ufer gegenüber lag die erste brasilianische Stadt Iaguaron. Artigas selber schien mir ein trauriger Aufenthalt, eine kleine, vollkommen kahle Stadt, fast ohne Baum, im Sand gebaut, mit breiten regelmäßigen Straßen, die aber heute einen etwas 203 wunderlichen Schmuck trugen, nämlich: spanische Flaggen. Es war hier vor einigen Tagen die Unab-Hängigkeits-Erklärung Uruguays vom spanischen Joch gefeiert worden, und die Festlichkeit dauerte drei volle Tage. Dazu war es nöthig, daß eine Masse von Flaggen aufgezogen wurdeu, um der Stadt eben ein Feiertags-Ansehen zu geben, und überall im Ausland ist es Sitte, daß jede Nation da ihre eigene Flagge hißt — wenn sie nämlich eine hat. Hier in Artigas stellte sich nun die wunderlichste Thatsache heraus, daß da fast lauter Alt-Spanier lebten, die jetzt allerdings in ihrem neuen Vaterlande vollkommen eingebürgert waren, aber doch noch so viel Liebe zur alten Heimath hatten, ihre eigenen Farben auswehen zu lassen. Schon in Cerro largo war mir ganz Aehnliches aufgefallen, und die ganze Stadt sah hier ebenfalls aus, als ob sie keineswegs zu Uruguay — dessen Fahne nur auf dem Negierungsgebäude flatterte — fondern in der That zu Alt-Spanien gehörte; und Nichts war eigentlich komischer, als gerade den Tag zur Entfaltung einer wahren Uazahl von spanischen Flaggen zu wählen, der die Erinnerung an die Losreißung von diesem Lande 204 trug. Es war gerade, als ob die ganze Stadt das Heimweh bekommen habe, und das Heimweh hatte auch wohl die gelb und rothen Farben aufgepflanzt. In Artigas hielt ich mich übrigens keine Viertelstunde auf — der Platz sah auch keineswegs verlockend genug dazu aus — und schiffte mich in einem kleinen Boote mit meiner geringen Bagage nach der gegenüberliegenden Stadt Iaguaron ein. „Brasilien ist nicht weit von hier!" Unwillkürlich fiel mir das alte Lied wieder ein, als uns die zwei Nuder dem Nfer entgegentrieben, und wenige Minuten später stand ich auf brasilianischem Boden einem Steuerbeamten gegenüber, der mein Gepäck mit einigem Verwundern und, wie mir schien, auch Mitleiden betrachtete. Es war in der That ärmlich genug, und bestand aus meiner Satteltasche mit ein paar Hemden und Socken, meinem Sattelzeug von Chile, woran ihm besonders die großen hölzernen Steigbügel auffielen, meiner Büchse, einem halben Dutzend Straußenflügeln von meinem Iagdzug bei Cerro largo, und einer Keule Wildpret, die ich mir zur Vorsorge mitgenommen. Natürlich stand dem Eingang dieser Sachen nicht die geringste Schwierigkeit im Wege, und 205 nachdem ich mit großer Mühe, denn hier wnrde Nichts-mehr als portugiesisch gesprochen, einen Neger bekommen hatte, der mein Gepäck in das „französische Hotel" hinauf trug, betrachtete ich mich als völlig in Brasilien eingezogen. Brasilien. 1. Don Jaguaron nach Oorto Megre. „Ilütoi krlln^ai» >." lieber Gott, ich habe, schon in besseren Plätzen gewohnt, aber es war doch leidlich, und den wenigen mitgebrachten Ansprüchen gegenüber, befand ich mich vollkommen wohl. Anßerdem konnte mir die alte Wirthin, oder vielmehr das Factotum des Hüteis, der Koch und Hausknecht, rasch Pferde und Führer für morgen besorgen, denic in Jaguaron selber war verwünscht Wenig zu sehen, und je rascher ich in das innere Land vorrückte, desto besser. Auffallend war mir aber, gleich bei meinem ersten Betreten des Landes, der Unterschied in der Bevölkerung, der sich einem Lande, in dem die Sclaverei noch herrscht, unfehlbar aufdrückt. In Uruguay giebt es auch noch ziemlich viel Neger, 207 und man begegnet ihnen oft; wenn ich aber auch nie das widerlich freche Betragen der peruanischen Schwarzeil bei ihnen bemerkte, sah man ihnen doch an, daß sie freie Menschen waren und sich eben bewegen konnten, wie sie wollten. Hier dagegen waren sie, das merkte man bald, unter der Zucht gehalten; kein Neger ging an einem Weißen vorbei, ohne ihn höflich zu grüßen, und auf den Straßen wichen sie Alle vorsichtig aus. NebrigenZ können sie nicht sehr streng und hart behandelt werden, denn sonst begreife ich nicht recht, wie die Brasilianer im Stande wären, sie so dicht an der Grenze zu halten. Die Regierung von Nrugnay liefert allerdings, wie ich glaube, flüchtige Neger aus, aber ehe das geschehen kann, muß man sie auch nachweisen und haben, und in dem weiten wilden Lande wäre Nichts leichter als eine FIncht der Sclaven, die besonders durch viele, im Innern leoende Schwarze erleichtert und befördert werden würde. Dennoch scheinen die Sclavenbesitzer deßhalb außer Sorge zu sein, und ziehen überall mit ihren Sclaven bis unmittelbar an die Grenze des freien Territoriums hinan. An dem Abend war großer „Zapfenstreich" in Iaguaron. Die Militärmusik spielte wenigstens 208 an der Ecke der Plaza, und die gar nicht schlechte Musik versammelte die ganze schöne Welt, bei einem wundervolleu mondhellen Abend, um sich her. In Iaguaron selber leben auch einige Deutsche, ein deutscher Tischler, ein Sattler, ein Bäcker, ein Schneider und noch ein paar Andere, die sich hierher von den brasilianischen Colonien heruntergezogen haben. Es geht ihnen Allen, wie es scheint, ziemlich gut. Auch eine deutsche Putzmacherin, deren Mann vor einiger Zeit gestorben ist, residirt hier, und hat, wie mir gesagt wurde, viel zu thun. Putzen wollen sich die Leute ja überall, und das schöne Geschlecht in Iaguaron macht davon natürlich keine Ausnahme. Die Sprache ist dort allein portugiesisch, und Zu meiner eben nicht angenehmen Neberraschung fand ich, daß ich weit weniger davon verstand, als ich erwartet hatte- Auf meiner Fahrt hierher glaubte ich, daß ich mit dem Spanischen, das doch große Aehnlichkeit haben sollte, recht gut durchkommen würde. Es stellte sich aber bald heraus, daß die Leute mich zwar Ziemlich gut verstanden, ich aber dagegen über das, was sie mir sagten, vollständig im Dunkeln blieb. Das Portugiesisch verhält sich, meiner Mei- 309 nung nach, zum Spanischen gerade wie das Schwäbische zum reinen Deutsch, und die vielen Zifch-und Nasenlaute klingen dem, an das melodische Castiliauisch Gewöhnten nichts weniger als angenehm. Dazu kommt außerdem noch, daß eine Unmasse von Hauptwörtern und Benennungen im Portugiesischen ganz andere Bedeutung haben, als im Spanischen, besonders alle solche, die sich auf das, was mich uumittelbar berührte, bezogen: auf Reitzeug und Reisen, und ich sah gleich am ersten Tage, daß ich hier wieder von vorn müsse zu lernen anfangm — eine höchst fatale Sache für einen alten Kopf. Glücklicherweise bekam ich übrigens einen Neger von dcu La Plata-Staaten zum Führer, der mir also zugleich als Dolmetscher dienen tonnte, und dieser brachte mir auch am nächsten Morgen ein Pferd, das ich bis Pelotas, einem anderen kleinen Städtchen an der Lagune, reiten sollte. Ich hatte Nichts nöthig, als meine Satteltasche darüber zu werfen und meine Sporen anzuschnallen, und fort ging die Reise, einmal wieder im Sattel, nach Brasilien hinein. Brasilien — wahrhaftig, das brasilianische Klima hatte ich mir anders gedacht, denn der Reif lag wieder dicht und weiß auf der Pam- Lr. GeistäÄer, Aä>tzchnM»nate in Süd-Amenta III. 14 210 pas, und ich hatte meine beiden Ponchos umgehängt, um mich zu erwärmen. Und was für ein Nitt! Ich bin gewiß an den Sattel gewöhnt, und kann wochenlang mit größter Bequemlichkeit darin aushalten, habe es auch schon so oft thun müssen. Ein solcher Harttraber war mir aber in meiner Praxis noch nicht vorgekommen, und da ich das Thier drei Tage reiten mnßte, es also eine so lange Zeit nicht galoppiren tonnte, so blieb eben Nichts weiter übrig, als ein Zuckeltrab, der mir die Seele fast aus dem Körper schüttelte. Ich versuchte den andern Klepper einmal, den mir der Neger sehr freundlich zur Verfügung stellte; der war aber wo möglich noch schlimmer als der erst gerittene, und ich hielt denn auch auf diesem die drei Tage mit einer wahrhaft hel-demnüthigen Resignation aus. Diese erste Nacht wurde mir auch Gelegenheit, die Hacienda eines ächt brasilianischen Pflanzers kennen zu lernen, und ich müßte lügen, wenn ich sagen wollte, daß ich sehr erbaut davon gewesen wäre. Vielleicht trug anch mein Nitt etwas dazu bei, der mich unmöglich bei guter Laune erhalten konnte. Als wir vor dem Hause hielteu, das einem sehr wohlhabenden Brasilianer gehörte, konnte ich- 211 kaum das rechte Bein über den Sattel bringen, so steif war ich geworden, und die Kniee hatten gänzlich jedes Gefühl verloren. Der brasilianische Kanon ä^u— denn einHü-tel oder auch nur eine gewöhnliche z)u«al alle Producte des nördlichen Theils der Provinz müssen durch seine Hände gehen, während es den Centralpuntt für alle die, den Colonien zugeführten Waaren bildet. Das Einzige, was ihm noch fehlt, ist ein besserer Hafen, als Rio Grande, und das allein wäre durch eine Eisenbahn nach dem Norden zu umgehen. Darauf aber komme ich noch später zu sprechen. Ackwkn Monate m Süd-Amerika und dessen deutschen Colonicn von Friedrich Gcrstäckcr. Dritter Vand. (Zwcitcv Thci!,) Hermann Costenoble. 1863. 2. M deutschen Kolonien von Mo Krande. So wohl ich mich auch in Porto Alegre fühlte, so fast heimifch möchte ich sagen, in der lieben Familie, so durfte ich doch anch den Zweck, weß-halb ich eigentlich hierhergekommen, nicht außer Angen setzen, und mein nächstes Ziel lag deßhalb in einem Abstecher nach der alten Colonie St. Leopoldo, wo mir schon von Allen gesagt war, daß ich ächt deutsches Leben und Treiben finden würde. Nun fahren allerdings kleine Dampfer zwischen Porto Alegre nnd der Colonic; ich zog es aber, da sich mir noch besonders einige Freunde zur Begleitung anschlössen, vor, zn Pferde zu reisen, denn an Bord eines Dampfers sieht man Nichts weiter, als die sich ewig gleich bleibende Küste, und im Sattel fühl' ich mich auch mehr daheim. 236 Außerdem wäre mir die Zeit, wenn ich mit dem Dampfboot ging, zu kurz in der Colonie abgemessen gewesen. Es war ein prächtiger Nitt, und wenn auch eine nicht unbedeutende Strecke Sumpfboden zwischen Porto Alegre und St. Leopoldo liegt, so hatte die Regierung doch durch diese hin einen tüchtigen Damm mit einer festen steinernen Brücke bauen lassen, mit deren Hülse wir die sonst in der Regenzeit bösen Stelleu leicht und glücklich passirten. Da wir indessen ziemlich spät — es war zwei Uhr Nachmittags, von Porto Alegre abgeritten waren, erreichten wir das eigentliche Städtchen St. Leopoldo erst etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang, also in völliger Dunkelheit und kehrten dort in dem besten deutschen Wirthshaus ein. Daß hier übrigens deutsches Leben herrschte, konnte man auch recht gut bei Nacht erkennen, denn an drei oder vier verschiedenen Orten war Musik, und ein Trupp von deutschen Musikanten zog, von einer Schar lachender deutscher Kinder begleitet, durch die schlecht genug beleuchtete Straße. Am nächsten Morgen behielt ich aber dafür desto mehr Zeit, mich ordentlich umzusehen, uud Wenn ich nicht gewußt hätte, daß ich in Brasi- 237 lien wäre, an der Stadt selber hätte ich es wahrlich nicht gemerkt. Lauter deutsche Schilder, lauter blondköpftge, blauäugige Kinder, mit dicken, rothen und schmutzigen Gesichtern. Ueberall alte Frauen, die eben so gut hätten in einem deutschen Dorfe spazieren gehen können, junge Mädchen und Burschen, die, wenn auch hier geboren und erzogen, doch in dem Schnitt ihrer Kleider verriethen, wie sie ein deutscher Schneider aus-stafftrt; deutsche Blechschmiede, Schuster, Uhrmacher, Riemer, Seiler :c. :c., deutsche Kaufläden und Wirthshäuser, deutsches Leben und Treiben in allen Ecken, deutsche Sprache, wohin das Ohr nur hörte. An dem einen Hause, an dem ich vorbeiging, stand ein kleines, allerliebstes Mädchen von etwa vier Jahren, mit einem gar so herzigen Gesicht und so lieben blauen Augen. Ich kauerte, mich vor ihm nieder, nahm seine Hand und frug es, wie es hieß. Das kleine Ding war aber zu verschämt, und wollte nicht antworten. „Aber so sage mir doch nur, wie Du heißt, Du kleiner Kerl," bat ich zum dritten oder vierten Male vergebens. Dicht daneben > stand ein Negermädchen von etwa acht oder neun Jahren, ^das augenscheinlich die Kleine beaufsichtigte und gar wunderbar mit seiner 238 glänzend schwarzen Hant und den dnnklen Augen gegen das Kind abstach. Es siieß die Kleine auch ein paar Mal an, daß sie mir doch antworten sollte, und als diese immer noch nicht wollte, das dicke Fingerchen ^verschämt Zwischen die Lippen schob und sich halb von mir abdrehte, überraschte mich die Schwarze plötzlich mit der Auskunft — „Mine heeßt se." Alle Neger sprechen hier deutsch, wie ich später erfuhr, und selbst die brasilianischen Kinder können es nicht verhindern, die Sprache zu lernen, und werden auch, in nicht seltenen Fällen, von den Eltern dazu angehalten. Die Stadt St. Leopoldo bildet solcher Art den Mittelpunkt sämmtlicher darum hergelegener deutscher Colonien, und während sie diese mit Waaren und den Arbeiten ihrer Handwerker versieht, verschifft sie die vom Lande hereingebrachten Producte nach Porto Alegre. Dicht an der Stadt beginnen aber schon die Colonien, und die Deutschen haben dort wahrlich bewiesen, daß sie Geschmack in der Anlage ihrer Wohnungen hatten, so freundlich und oft sogar recht malerisch liegen die kleinen, aber bequem und gut gebanten Holzhäuser zwischen einzelnen Palmen und Pinien, 239 so wie einem ganzen Wald von fruchtbedeckten Orangenbäumen. Man braucht wahrlich nicht zu übertreiben, um mit einer nur etwas ausgeschmückten Beschreibung dieser kleinen Colonie einem armen Teufel, dem die Lust zur Auswanderung überdies schon in den Knochen steckt, den Mund recht ordentlich danach wässern zu machen, und in der Hand eines geschickten Agenten kann das zu einer gefährlichen Angel werden, eine unbestimmte Anzahl von Köpfen damit zu fischen. Sie sehen freilich dann nicht den Schweiß, den es gekostet hat, diese Wälder auszurotten, sie kennen nicht die lange schwere Zeit, die der Colonist in einem fremden Lan de durchzumachen hatte, ehe er es dahin brachte, ein solches Bcsitzthum zu erschaffen. Trotzdem läßt es sich nicht leugnen, daß es den Leuten dort fast Allen gut geht, und wo das bei dem Einzelnen nicht der Fall ist, hat die Sache auch gewöhnlich ein aber, und er ist meist immer, auf eine oder die andere Art, Schuld daran. Die Leute haben auf diesen Colonien schwer und sauer arbeiten müssen, und hatten besonders im Anfange mit vielen Uebelständen - zu kämpfen (wobei die damals ausgebrocheue Revolution nicht zu den geringsten gehörte). Jetzt scheint es aber doch, 240 als wenn sie das Alles überstanden hätten, und sie ernten nun, was sie früher gesäet — Etwas, was der deutsche Arbeiter daheim freilich nicht immer von sich sagen kann. Neberhaupt bringt die Auswanderung nicht immer dem Auswanderer selber den verdienten Lohn; er darf wenigstens nicht fest darauf rechnen , aber der junge Nachwuchs hat doch wenigstens die Nutznießung davon, und zahlreiche Kinder, die daheim dem Armen nur'zu oft zu einer schweren und drückenden Kette werden, sind in allen Colonien ein Segen. Die Mutter braucht nicht mit Sorge auf dem Säugling zu blicken; sie weiß, daß er, so lang er klein ist, nie zu hungern braucht und, wenn herangewachsen, mit Leichtigkeit sein Brod verdienen kann. Diese Kinder sind auch die glücklichsten Colonisten, denn ihnen bringt das Leben, — wenn auch harte Arbeit, und arbeiten müssen wir Alle — doch keine trüben und wehen Erinnerungen an eine verlassene Heimat!), an ein zerstörtes Glück, die so oft bei den Eltern Thränen mit Schweißtropfen mischte. Brasilien ist aber^n der That ein reiches und fruchtbares Land, und wer die Hände nicht in den Schooß legt, und sein eigenes Land bebauen 241 will, der darf schon darauf rechnen, seinen Fleiß belohnt zu bekommen. Eben so muß das Klima gesund sein, denn noch leben Viele von jenen ersten Colonisten, die doch schon vor 34 Jahren herüberkamen und hart gearbeitet haben, und befinden sich wohl und kräftig, und die Kinder haben dicke rothe Backen und von Gesundheit strotzende Gesichter. Es sind nun schon einige dreißig Jahre her, daß die brasilianische Regierung den Entschluß faßte, jene ungeheueren Strecken ihres Reiches, die wild und werthlos brach lagen, durch deutsche Hände bebauen zu lassen und dadurch den Staat selber zu heben und seine Zeugungskraft zur Geltung zu bringen. Wollen wir nicht absichtlich ungerecht sein, so müssen wir eingestehen, daß alle die Pläne, die von der Regierung selber zur Colonisation des Landes ausgingen, human und vernünftig waren, und nicht nur die Hebung des eigenen Landes, sondern auch die Wohlfahrt der angezogenen Einwanderer und Colonisten im Auge hatten. Daß Fehlgriffe gemacht wurden, läßt sich nicht leugnen; aber es liegt nicht der geringste Grund vor, zu glaubm oder zu behaupten, daß solche in böser Absicht ihren Ursprung hatten. Jedes neue Hr. Gcrstäcker, Achtzehn Monate inSüd-Amerila. III 16 242 Unternehmen muß erst erprobt, es muß Erfahrung darin gesammelt werden; und die brasilianische Regierung hat nicht allein bis auf die neueste Zeit bewiesen, daß sie es wirklich ehrlich mit den deutschen Einwanderern meinte, sondern auch in der That große Opfer gebracht, ihr Ziel würdig durchzuführen. Ein verfehlter Versuch war es z. V., das bei Rio de Janeiro gelegene Petropolis, eine eigene Besitzung des Kaisers, zu einer deutschen Colonie mit Landbau umzuschaffen. So gesund und vortrefflich das Klima ist, so eignet sich das bergige Terrain nicht im Geringsten zu wirklichen Colo-nien. Die dorthin geschafften Deutschen hatten sich aber über Nichts zu beklagen; man leistete ihnen jede nur mögliche Unterstützung, hielt ihnen jedes gegebene Versprechen, und unsere jetzt noch in Petroftolis wohnenden Landsleute, so weit sie von der Regierung selber dorthin gerufen wurden, befinden sich nicht allein wohl und in autcn Umständen, sondern wissen auch nicht genug des Lo-, bes von dem humanen und liebenswürdigen Betragen des Kaisers selber zu erzählen, der gern unter ihnen lebt und jeden Sommer in Petropolis zubringt. Er scheint sich dort nicht allein wohl, sondern auch so sicher zu fühlen, daß er vor sei- 243 nem Palast nicht einmal eine einzige Schildwache duldet, und auf seinen Spaziergängen jedem Bittsteller, oder Jedem, der sich ihm sonst nähern will, auf das Freundlichste zugänglich ist — ein gewaltiger Unterschied mit dem republikanischen Präsidenten Ca-stilla von Peru, der von seiner Sommerwohnung aus kein Seebad zu nchmen wagt, ohne eine halbe Compagnie Soldaten mit geladenen Gewehren zu seinem Schutz um sich zu haben, und selbst auf der Eisenbahn sein Coup6 durch einen Waggon von Bewaffneten von dem übrigen Zuge getrennt hält. Petrovolis ist auch in der That, bis auf den heutigen Tag, keine Colonie geworden, wenn gleich die Einwanderer hier schon seit 1845 lcben und in der Nachbarschaft kleine Gartengüter haben. Es ist mehr ein kleines Landstädtchen, eine Art Badeort, in den sich die reichere Bürgerschaft und der Adel von Nio de Janeiro in den heißen und ungesunden Monaten zurückzieht. — Milch- und Gartenwirthschaften entstanden deßhalb, und die Handwerker, Hotelbesitzer und Hausvermiether befanden sich — wie überall unter gleichen Umständen — wohl. Mit weit größerem Erfolg hatte man aber indessen schon im Süden des großen Reichs begonnen wirkliche Colonien anzulegen. Die ersten 16«- 244 von diesen scheinen die Colonien von Torres^ und Tres Forquillas im Norden der Provinz Rio Grande gewesen zu sein, denen sich dann unmittelbar die alte Colonie St. Leopoldo anschloß, und auch bewies, was deutsche Kräfte in diesem Lande leisten können. Diese Colonie besonder's, die etwa im Jahre 182? zuerst in's Leben gerufen wurde, wuchs so rasch, daß die Negierung schon im Jahre 1849 die Einwanderung dorthin schloß, um nicht „ein kleines Deutschland im Herzen von Brasilien zu erschaffen." Bis 1852 scheint es aber doch, daß, selbst auf Kosten der Regierung, neue Einwanderer der Colonie zugeführt wurden, und 1854, wo der letzte Census aufgenommen wurde, bestand die Seelenzahl der deutschen Coloniften St. Leopoldos aus über 11,000 Deutschen, und zwar aus 4778 Katholiken und 6568 Protestanten. Man hatte also auf den Glauben der Leute nicht die geringste Rücksicht genommen, und Alles herüberbefördert, was nur irgend arbeiten konnte und wollte." Das dabei einem jeden Colonisten geschenkte Land war außerdem für deu Beginn reichlich genug, und bestand für jede Colonie aus 160,000 245^ Quadrat-Brazos"), die er nur mit der einzigen Bedingung erhielt, selber darauf zu wohnen und sie zu bebauen. Wie rasch sich dabei der Bau der Feldfrüchte und der Export derselben hob, geht aus den statistischen Berichten jener Zeit hervor. So wurden im Jahre 1849 noch 6000 Säcke Bohnen expor-tirt, im Jahre 1853 aber schon betrug der eigene Verbrauch 7680 Säcke, und 27,000 wurden überdies ausgeführt. Eben so betrug der Export des Mais 1849 nur 10,000 Säcke, während er im Jahre 1853 schon auf 30,000 stieg, mit 18,400 eigenem Consum. So mehrte sich im Verhältniß fast Alles, und die Leute gelangten bald zu einem gewissen Wohl-stayd, zu einer recht behäbigen Lage, in der sie für sich und ihre Kinder sorgenfrei in die Zukunft schauen konnten. Und was für einen kräftigen Nachwuchs lieferte St. Leopoldo, einen Nachwuchs, *) drg,2«8 beißt eigentlich Arme — oder ein Maß, das Man eben mit ausgestreckten Armen spannen kann, also eine Klafter oder ein englischer Faden. Die drg.208 der spanischen Republiken entsprechen auch mehr unseren Klaftern und Faden, das brasilianische Maß ist aber weit größer, und eine bra« Manische dr^o hat etwa 7 Fuß 2 Zoll englisch. Die Hälfte davon ist eine vara,, und die v^ra hat wieder acht I>Äwk8 ober Spanneu, 246 auf den der Deutsche mit Stolz, und doch auch eigentlich wieder mit Trauer blicken muß, wenn er dabei des eigenen Vaterlandes gedenkt, und sich nun nicht verhehlen kann, daß wir daheim einen eben so kräftigen, gesunden und lebensmuthi-gen Nachwuchs haben könnten, wie diese Deutschen in Brasilien, wenn — eben bei uns Alles so wäre, wie es sein sollte, und einst vielleicht auch hoffentlich noch einmal wird. Das sind dieselben deutschen Väter und Mütter, die diese schlanken, kräftigen blauäugigen und so frei und keck in die Welt blickenden Gestalten erzeugten — kein Vergleich mit nnseren tölpischen Vauerjungen und dummblöden Mädchen.*) Wir *) Während ich dieS schrieb, kam mir nachstehendes „Eingesandt" der Coburger Zeitung zu Gesicht. Kaun es eine traurigere Bestätigung des eben Gesagten geben? Eingesandtes. Bemerkung bei Gelegenheit der Volkszählung. Die in den letzten Tagen znr Ausführung gekommene Volkszählung hat merkwürdige Schlaglichter auf das leider sehr bildungsarme Terrain unseres socialen Lebens geworfen und uns einen sehr traurigen Einblick in die Volkszu« stände im GanM und Großen thuu lassen. Es kann nnd darf nicht verschwiegen bleiben, daß die plötzliche Menfluth überall Verwirrung, Mißverständniß uud Verlegenheit her-vorgerufen hat und daß ein großer Theil der Gemeindean-gehörigen nicht das Geschick oder den Muth hatten, mit 247 haben daheim die nämliche gesunde Luft, und ziehen dieselben Nahrungsmittel, und weßhalb also dieser fabelhafte Unterschied! Jene Deutschen, die fortwährend Zeter über Brasilien schreien, möchten doch ein Wenig in Verlegenheit kommen, wenn sie den Vergleich anstellen sollten, und dann um eine Auskunft gefragt würden. Ich will ihnen eigener Hand die Ausfüllung der Schemate zu bewerkstelligen. Das muß im höchsten Grade bedauert werden, indem dadurch Zeugniß von der großen Unselbstständigkeit nnd Abhängigkeit der einzelnen Familienhäupter in einer öffentlichen Angelegenheit gegeben ist. Wie sehr wir im Allgemeinen noch im Denken und Verstehen, in der Auslegung des ge« druckten Wortes nnd in der Handhabung der Feder zurück sind, muß der Umstand beweisen, das; man nicht blos anf Dorfschaftcn, sondern selbst in Provinzial- und Residenzstädten seine Zuflucht zu Amtsdienern, Postboten, Schulzen u. s. w, nehmen nmßte, nm einige Zahlen nnd Namen zu registriren. Wir sind weit entfernt, die ausgegebenen Schemate" in Schntz nehmen ,;n wollen, sie hätten einfacher, klarer, volisthümlicher sein können. Aber das muß heut zu Tage von jedem selbstständigen Manne erwartet werden, daß ihn eine so einfache Liste nicht düpirt und daß er leinen Unsinn m Rubriken schreibt, die eine verschiedene Deutung nicht zu« lassen. Wie steht's milden vielgerühmten Fortschritten im Volks« leben? Wie steht's mit dem Einfluß der Schulen und Vil« dungSanstalten auf Enlwickelnng der Selbstständigkeit und Politischen Befähigung? Es ist ein großer Jammer in Israel! Ein Volkslehrer. 248 aber sagen, woher der Unterschied kommt, wenn ihnen die Erklärung vielleicht auch nicht gefällt, gilt es doch nur, eine Wahrheit damit auszusprechen. Die Ursache, weßhalb wir daheim eine verkümmerte elende Bevölkerung haben, die scheu und mißtrauisch durch's Leben kriecht und unpraktisch und hölzern Jedem, der Lust hat, sie auszubeuten, in die Hände fällt, sobald sie nur einmal aus dem gewöhnlichen Gleis geschüttelt werden, ist unser faules und überfaules Erziehungssystem daheim, das im alten indischen Kastengeist den Juden zwingt, Jude, den Bauer, Bauer, den Handwerker, Handwerker zu bleiben. Das ist vor allen Dingen der Zwang, den die Geistlichkeit auf den Unterricht der Kinder ausübt, indem sie die Lehrer zu ihren Untergebenen herabwürdigt, das ist der alte lächerliche Stolz der Junker, das ihnen unterworfene Volk in „Demuth und Gottesfurcht," das heißt in Kriecherei und Pfaffenfurcht heranzuziehen. Werft diese schmählichen Schranken endlich einmal über den Haufen, und Ihr werdet einen eben so wackern und kräftigen Nachwuchs ziehen können, wie Brasilien. Euere Bauern und Diener werden Euch freilich nicht mehr viel mit „gnä- 249 diger Herr" und „Unterthänigster" die Ohren kitzeln, aber sie werden Männer werden, von denen das Vaterland einst auch etwas erwarten kann und darf. Mit einem solchen Nachwuchs wissen die Herren aber auch recht, gut, daß sie den alten Schlendrian gefährden. Ein solcher Nachwuchs ließe sich nicht mehr das lächerliche Unding, den Bundestag, gefallen, der zum Spott des Auslandes geworden und jedes ehrliche deutfche Herz mit Grimm und Ekel erfüllt; aber dafür dürften wir auch mit solchen Bürgern hoffen, ein großes, starkes und mächtiges Neich zu werden. Träume — schöne, luftige Träume! — Und sollen das Alles Traume bleiben! Nein, bei Gott nicht! Der deutsche Stamm ist noch nicht entartet, wie sie es uns daheim so gern möchten glauben machen. Der junge deutsche Nachwuchs in Brasilien beweist uns, daß wir noch Mark und Kraft in den Knochen haben, wenn man die alten morschen Stämme nur niederhaut, die jetzt den jungen Eichenwald mit ihrem Schatten erdrücken und ihm die Luft rauben. — Setzen wir nur mit frohem Muth unser Gut und Blut ein, so müßte es doch mit dem Bösen zugehen, wenn wir'Z nicht auch zu Ende führten. Unseren zerrissenen, unnatürlichen Zuständen 250 daheim haben wir es aber auch zu danken, daß jene deutsche Nachkommenschaft nur zum Theil deutsch geblieben ist, und in der großen Mehrzahl mit Vergnügen behauptet, Brasilianer zu sein. Sie haben eben kein Vaterland, auf das sie stolz sein, mit dem sie Staat machen könnten; sie sehen sich im Auslande verlassen und der Willkür jedes fremden Volkes preisgegeben, ohne daß die deutschen Regiernngen anch nur so thäten, als ob sie ihre Rechte mit mehr als Protesten und Redensarten vertreten wollten; und da finden sie es denn natürlich, sich dem Volke anzuschließen, das wenigstens eine Nation ist und eine Flagge hat. Kann das den draußen Geborenen Jemand verdenken, wo es selbst die in Deutschland Geborenen und Erzogenen in der Fremde thun? Deutsch sprechen aber doch die Meisten noch, und verheirathen sich auch am Liebsten wieder mit Deutschen. Findet man auch Ausnahmen davon, so sind es gewiß eben nur Ausnahmen, und selbst die Enkel hängen noch mehr an der Muttersprache ihrer Eltern, als ich es in Nordamerika von den Kindern gefunden habe. Aber sie wissen außerordentlich wenig von Deutschland selber; denn was ihnen die Eltern davon erzählen konnten, war so wenig, und das Wenige selber so unbe- 251 stimmt und dunkel, dah sie dadurch nur einen sehr vagen Begriff von dem Lande bekommen tonnten, aus dem sie ursprünglich stammten. Den deutschen Charakter haben sie aber, im Guten wie im Bösen, beibehalten, den konnte der Stamm schon nicht gut verleugnen, wenn er auch gewollt. Sie sind brav, ehrlich, gutmüthig und steißig, haben Alle den Trieb, sich ein kleines eigenes Vesitzthum zu gründen, auf dem sie arbeiten, und das sie nach besten Kräften vorwärtsbringen und cnltiviren können, und leben -^ an Sonntagen sehr fidel, an Wochentagen sehr friedlich, in den Tag hinein. Und was für ächte Deutsche sind es in ihrem politischen Leben geblieben. Sie bekümmern sich um gar Nichts und wollen sich um Nichts bekümmern; ja, als sie in St. Leopoldo Mitglieder in ihre Municipalität zu wählen hatten, wählten sie — nicht etwa ihre Landsleute, denn von denen mochten sie keinem zugestehen, daß er etwas Besseres sei, als sie — aber lauter Brasilianer, und beklagten sich nachher auch noch, daß sie von diesen stets hintangesetzt würden, und ihre eigenen Rechte nirgends vertreten fänden. Anch die alte Uneinigkeit der Deutschen blüht und wuchert in diesen Colonien so üppig, wie 252 irgend ein Unkraut ihrer Felder — nur dah sich Niemand die Mühe giebt, es auszureißen. Es ist zum Verzweifeln, wenn man das so mit ansieht, wenn man weiß, was für gute ehrliche Menfchen die Einzelnen sind, fo lange sie eben einzeln bleiben, und was für ein trauriger Geist des Widerspruches und Neides und Hasses über sie kommt, sowie der Nebenmann nur in ihren Dunstkreis tritt. Es ist das ja auch leider nicht nur im Auslande, sondern eben so daheim, und kommt man in Deutschland in eine fremde Stadt, wo Einem drei oder vier Freunde leben, so kann man sich auch darauf verlassen, daß man drei oder vier verschiedene Plätze besuchen muß, sie Alle zu sehen, denn es stellt sich als unmöglich heraus, sie — der unglaublichsten Unbilden wegen, die Einer vom Andern erfahren — auch in einem Local friedlich zufammenzubringen. — Es ist ein rechter Jammer, daß jedes erbärmliche kleine Städtchen solcher Art ein getreues Bild unseres erbärmlichen großen Vaterlandes liefert, und die Leute wollen mit ihren zahllosen kleinen Vereinen und Gesellschaften, die sich alle feindlich gegenüberstehen, nie einsehen, wie komisch das ist, daß sie das große Unglück ihrer Heimath so nachäffen — und doch auch wieder wie unendlich traurig. 253 Die deutschen Colonieu aller Nelttheile sind denn auch nicht frei davon geblieben, und in Brasilien keimt und gedeiht dieses, von Deutschland herübergebrachte Unkraut mit der brasilianischen Vegetation lustig um die Wette. Es artet aber dort weniger in offene Anfeindungen aus, wie daheim, und verhindert nur die Deutschen — freilich oft ein großes Unglück für sie selber — gemeinsam zu wirken und für einander einzu-stchen. Zu ihrer Ehre sei es aber gesagt, daß weder Religion, noch Abstammung den Grund dazu liefert; Preuße und Baier, Sachse und Hannoveraner bleibt sich gleich, es liegt nun einmal im Blut und läßt sich nicht ändern. Wenn ich aber von dem kräftigen deutschen, in Brasilien aufgeblühten Geschlecht rede, so meine ich nur den südlichsten, also den kältesten und gesundesten Theil Brasiliens, wo sich eben deutsches Leben und deutsche Kraft so vortrefflich entwickeln konnte. Wäre ich doch auch der Letzte, der den heißen Norden jenes Landes, mit seinen faulen und nichtsnutzigen Kaffeepflanzern, dem deutschen Auswanderer empfehlen möchte — er müßte denn eine ganz besondere Luft verspüren, sich als Sclave behandelt und seine Kräfte durch nichtswürdige und hinterlistige Privatcontracte ausgesogen zu 254 sehen. Doch auf die Parvenuverträge und ihre uneigennützigen Empfehler, die Auswanderungs-agenten, komme ich später noch zu sprechen. Dieser südliche Theil Brasiliens, noch hoch über Porto Alegre und selbst bis zur Insel St. Catha-rina hin, gehört auch noch gar nicht zu den Tropen, wenn auch Palmen darin wachsen, die sich hier überhaupt aus zwei bis drei Grad Kälte gar Nichts zu machen scheinen. In diesen Colo-nien kommen auch die Products der Tropen gar nicht, oder doch nur einige sehr mittelmäßig fort, und selbst mit dem Kaffee, der schon ein etwas rauheres Klima verträgt, sind nur wenige Versuche gemacht, die ein sehr unbefriedigendes Resultat geliefert haben. An geschützten Stellen kommen die Kaffeebäume allerdings fort, aber sie liefern sehr wenig Kaffee, und diesen noch dazu von einer geringen Sorte. Eben so ist es mit dem Zuckerrohr, das hier über zwei Jahre zur Neife braucht, und außerdem noch bei kalten Wintern erfriert, und dann gelb und trocken dasteht. Es bleibt in dem Falle den Colonisten Nichts weiter übrig, als es abzuschneiden und wieder frisch austreiben zu lassen — die ganze Ernte ist aber für das Jahr jedenfalls verloren. 255 Die Hauptproducte bleiben jedenfalls Bohnen und Mais, mit der Maniokpflanze, aus der das Mehl gewonnen wird. Bohnen, und zwar die kleine schwarze Bohne, mit Maniokmehl bilden überhaupt neben getrocknetem, etwas lederartigem Rindfleisch, die Haupt- und nicht selten einzigen Nahrungsmittel des Brasilianers selber, der nichts weniger als ein guurm^nä ist, und sich vollkommen wohl dabei befindet, Bohnen und Maniot-mehl sind übrigens, wie ich selber bestätigen kann, eine wirklich gute und besonders sehr nahrhafte Kost, mit der man wohl im Stande ist, es auszuhalten. Nach einem langen Ritt vorzüglich kenne ich gar nichts Besseres und Nahrhafteres. — Das getrocknete Fleisch, sogenanntes cImiM6, schenke ich ihnen freilich mit Vergnügen. Diese Bohnen werden in ungeheurer Masse m ganz Brasilien angebaut. Ueberhaupt gedeihen hier ziemlich alle europäischen Producte, die beiden Körnerfrüchte, die aber am Besten fortkommen, siud, neben dem Mais, sonderbarer Weife Neis und Hafer. Der Neis gehört doch jedenfalls einem warmen Klima an, während der Hafer bei uns bis hoch in den Norden hinauf wächst. Hier aber scheinen sich die Beiden ganz vortrefflich zu vertragen, und der Hafer ganz besonders liefert aus- 256 gezeichnete Ernten, selbst wenn er vorher zwei oder drei Mal zu Futter abgeschnitten wurde. Es wird hier übrigens nur der trockene Reis gebaut. Gerste gedeiht, aber mittelmäßig — das in St. Leopoldo gebraute Bier läßt aber sehr viel zu wünschen übrig, und ich hatte schon genug, als ich hörte, es sei ein „ausgezeichnetes Bier für den Durst." Es ist das eine der verdächtigsten Empfehlungen, etwa wie „ein recht guter Tischwein" oder „eine prächtige Cigarre für die freie Luft." Hopfen fangen die Leute an zu bauen, der meiste Hopfen wird aber noch aus den Vereinigten Staaten importirt. Oelfrüchte, Erdnüsse, Flachs, Hanf, gedeiht Alles vortrefflich, und früher zog die Colonie auch einen ausgezeichneten Weizen, was jetzt aber, eigenthümlicher Weise, nicht mehr der Fall ist. Wenn der Boden auch nicht so fabelhaft war, wie der Herr Peter Kleudgen in seiner Auswanderungsbroschüre"") schreibt, so gab der Weizen doch recht *) „Für Weizen ist der neu cultivirte Boden zu frisch und üppig; erst durch vier oder sechs Ernten geschwächt wird die Pflanze gebürjg gedeihen, dann aber hat sich in St. Leopotdo der Kürnerertrag auf fast beispiellose Weise eingestellt." Diese verwünschten Aufschneidereien; es ist mir da« 257 gute Ernten, aber schon seit mehreren Jahren ließ das nach; jetzt, so haben mich mehrere Colonisten versichert, lohnt er die Aussaat nicht mehr, und bekommt Brand und alle mögliche ändere Krankheiten. Es mag sein, daß man der Ursache dieser sonderbaren Erscheinung später auf die Spur kommt, zur Zeit wissen die Colonisten aber Nichts damit anzufangen, und haben vor der Hand den Weizenbau so gut als aufgegeben. Es wird jetzt Weizen nicht selten aus der ziemlich entfernten deutschen Colonie Tres Forqnillas zu Maulthier nach St. Leopolde geschasst. Wein und Tabak wird ebenfalls angepflanzt, und auch — leider muß ich es eingestehen — Wein gekeltert. Mit seinem Wein und Tabak kann Brasilien aber keinen Staat machen, und wem diese Producte genügen, der kann sich zu den bescheidensten Menschen der Erde rechnen. Ich wuß gestehen, daß ich nicht zu diesen gehöre. Der Tabak ganz Süd-Amerikas ist überhaupt bei, als ob ich meinen Freund Vahrens in Arkansas hörte, der uns erzählte, er könne auf seinem Lande Alles ziehen, nur keine Maisbohnen (die mit dem Mais zusammengelegten Bohnen), denn sein Mais wüchse so schnell, daß er die an ihm aufrankenden Bohnen mit der Wurzel aus dem Bo« den zöge. Fr. GcrstäÄ >.'r. AcktzM Monate in Silb-Amerila. III. 17 258 nur sehr mittelmäßiger Qualität und — wenn dann und wann auch nicht ganz ohne Wohlgeschmack, doch so leicht und strohartig, daß er den wirklichen Raucher nie befriedigen wird. Embalcma in Neu-Granada liefert jedenfalls die aromatischsten Cigarren, nach diefem District Esmeralda in Ecuador, und ziemlich gleich kommen diesen die Bahia-Ci-garren Brasiliens, wenn sie auch kein so schönes Deckblatt haben wie die Esmeralda-Cigarren. Das übrige Zeug ist nur mit Aufopferung zu rauchen, und selbst der für Papier- und Stroh-Cigarren sehr fest gedrehte Tabak wird allerdings ziemlich stark, schmeckt aber nicht besonders. Ich habe mich wenigstens niemals damit befreunden können, und dasselbe Urtheil von allen Rauchern — das heißt von solchen, die nicht ihren Geschmack mit Papier und Stroh verderben — bestätigen hören. Der Tabak mag vielleicht — ich will es nicht leugnen — seine guten Eigenschaften haben, dann liegen dieselben aber noch versteckt, und die Leute verstehen eben nicht ihn zu behandeln. Wie die Cigarren wenigstens jetzt geliefert werden, sind sie eben zu weiter Nichts gut, als sie — wie vorerwähnt — in freier Luft zu rauchen, und die besten könnten höchstens als Pfälzer Regalias betrachtet werden. 259 Noch bei Weitem schlimmer steht es mit dem Wein. Einer schlechten Cigarre kann man manchmal ausweichen, einem angebotenen Glas Wein nicht, und ich glaube nicht, daß diesen Wein Deutsche im Stande sind auf die Länge der Zeit auszuhalten — „geborene Schlesier" vielleicht ausgenommen. Der Wein hat allerdings den Nachtheil in Brasilien, daß die Trauben ungleich reifen, und daß es fast unmöglich ist, einen nur einigermaßen trinkbaren Wein zu keltern, ohne die einzelnen Beeren vorher sorgfältig auszulesen — eine böse, und mit diesem Wein stets höchst undankbare Arbeit; denn selbst St. Leopoldo-Auslese — (mir werden schon in der Erinnerung davon die Zähne stumpf) — bleibt immer nur ein höchst mittelmäßiges Getränk. Ich habe den brasilianischen Wein an verschiedenen Stellen gekostet, und er hat sonderbarer Weise stets einen schwachen Himbeergeschmack. Das erste Mal glaubte ich auch in der That nicht anders, als daß sich unser gastlicher Freund vergriffen und eine Flasche Himbeeressig statt den edlen Nebensaft erwischt habe. Es war aber Alles in Ordnung, und wir—tranken Himbeeressig ohne Wasser und Zucker, und bekamen stumpfe Zähne und Leibschneiden. Dazu 17» 260 rauchten wir eine Bahia-Cigarre und tranken nachher eine Tasse dünnen brasilianischen Kaffee — der Genuß war also vollständig. Es existiren auf diesen Colonien die verschiedenartigsten Reben; die aber, die von allen am meisten angepflanzt wird, ist ein alter Bekannter von mir aus Arkansas, die dort mu80kü1no genannte Rebe, welche ihre Frucht nicht in Trauben, sondern in einzelnen großen Beeren treibt. Die Schale dieser Beeren, so schmackhaft das Innere auch sei, ist aber sehr dick und etwas säuerlich, und es läßt sich denken, daß sie kein besonderes Getränk liefern kann. Es mag sein daß man es erzwingen könnte, den Wein gleichzeitig zu reifen, wenn man ihn zu einer gewissen, erst auszuvro-birenden Zeit beschnitte. Ich verstehe selber aber zu wenig davon, das zu bestimmen, und es bleibt jedenfalls noch den Versuchen der Weinbauer überlassen, vielleiAt doch, trotz allen Schwierigkeiten, ein trinkbares Gewächs zu erzielen. Wie die Sachen jetzt stehen, müßte es eigentlich als eine persönliche Beleidigung betrachtet werden, einem Fremden ein Glas brasilianischen Weines vorzusetzen. Es bleibt, das Geringste gesagt, immer heimtückisch, und ich warne hiermit jeden Reisenden davor. 261 Höchst eigenthümlicher Weife existiren allerdings Leute, die ohne sichtbares persönliches Interesse oder Vornrtheil den brasilianischen Wein loben. Das sind aber jedenfalls Geschmacks-Uh-normitäten, nnd man nehme sich vor ihnen in Acht. Unser Wirth anf eincr der Colonim, der uns sonst auf das Herzlichste nnd Gastlichste aufnahm, erklärte mir die Eigenschaften feines Weines, über den er noch die höchst unnöthige Bemerkung machte, daß er — durch das Alter nicht schlechter würde. In früheren Zeiten wurden den Colonisten von der Negierung gewöhnlich 160,000 Quadrat-Vrazos für eine Colonie gegeben, und dieselben so vermessen, daß die Ansiedler 200 Brazos Front und das Uebrige in der Tiefe, also etwa 800 Vrazos Länge bekamen. Im Urwald, und je nachdem die Flüsse liefen, theilte man ihnen auch Wohl nur 100 Brazos Front mit 1600 Tiese zu. In neuerer Zeit ist aber dieses nicht unbedeutende Längenmaß beschränkt worden, und die Colonisten bekommen jetzt gewöhnlich nur 100,000 Quadrat-Brassen für eine Colonie — immer aber noch ein ganz anständiger Strich Landes, anf dem sich schon Etwas bauen läßt. Es ist natürlich.ganz unmöglich, zu bestimmen, 262 was der Colonist auf seinem Lande ziehen kann, denn wie bei' uns hängt ja Alles von der Güte des Bodens und dessen Lage ab. Nichts lügt auch gewöhnlich mehr, als solche Zahlen und statistische Berichte, die den Fremden nur verwirren, statt ihm einen klaren Begriff von den Verhältnissen des Landes zu geben. Der Bau fast aller Feldfrüchte scheint aber zu lohnen, und man muß da mehr das Resultat berücksichtigen, als man den verschiedenen Berichten der Leute glauben kann, wenn man sie selbst an Ort und Stelle fragt. So klagte mir ein Colonist in St. Leopold», daß der Boden so bald ausgenutzt sei, und sie eigentlich gar keine rechte Wechselwirthschaft trei<-ben könnten. Ich frug ihn, warum er keinen Klee ansäete, und er sagte kopfschüttelnd: „Ja, wenn der Klee bei uns wachsen wollte, dann wäre es in Brasilien lange gut/' Natürlich setzte mich diese Bemerkung sehr in Erstaunen, denn ich sah eigentlich keinen vernünftigen Grund, weßhalb der Klee hier nicht eben so gnt wachsen sollte, wie in irgend einem andern Theile der Welt; der alte Colonist blieb aber bei seiner Behauptung, und ich vergaß seine Nachbarn darüber Zu fragen. In dem gar nicht sehr weit davon entfernten 263 Santa Cruz aber, eigentlich eine Nachbarcolonie von St. Leopoldo, wo ich einen der tüchtigsten deutschen Oekonomen, einen Hrn. v. Vorroski, traf Und diesen um seine Meinung über solche Eigenthümlichkeit des Bodens frug, lachte der alte Herr, und führte mich hinaus in seinen Garten, wo er nicht allein rothen und weißen Klee, sondern auch Esparsette in voller Ueppigkeit stehen hatte. Er versicherte mich, daß er den rothen Klee drei und vier Mal geschnitten habe, und daß er nicht todt zu machen sei; was aber St. Leopoldo beträfe, so hätte das ziemlich ähnlichen Boden, und wenn die Leute wollten, könnten sie dort so guten Klee bauen, wie hier. Das nur zum Beweis, wie man oft an Ort und Stelle sein und doch ganz verkehrte Urtheile hören kann, wenn man eben nicht an die richtige Quelle kommt. Ein merkwürdiger Umstand übrigens, der mir von den verschiedensten Seiten bestätigt wurde, hat mit der Bienenzucht stattgefunden. Vor zehn oder zwölf Jahren — ich weiß nicht mehr genau, wann — brachte ein deutscher.Auswanderer auf Speculation eine Anzahl von Bienenstöcken nach Brasilien, und zwar in diese Colonien, mit denen er ein ganz außerordentliches Geschäft machte. 264 Die Stöcke vermehrten sich nämlich so außerordentlich, daß jeder im Jahre fünf, sechs und mehr Schwärme absetzte, und er verkaufte jeden Schwärm für eine Unze festen und bestimmten Preis. So kam es, daß sich die Bienen bald über die sämmtlichen benachbarten Colonien verbreiteten, und außerordentlich reiche Honigerntcn gaben. Auf einmal hörte das auf; die Bienen fanden—Gott weiß, aus welcher Ursache — keine Nahrung mehr, und verzehrten nicht allein, was sie selber bauten, sondern gingen sogar stockwcise ein, wenn sie nicht regelmäßig gefüttert wurden. Dieser Zustand dauert noch, und man weiß keinen rechten Grund dafür. Mag es sein, daß sich die Bienen, auf einem verhältnißmäßig kleinen Naume, zn rasch vermehrten und dadurch nicht genug Nahrung fanden, oder hatten sie vielleicht bis dahin unbekannte giftige Blumen gefunden, deren Saft ihnen schädlich war, die Bienenzüchter mußten abcr ihve Stöcke —-viele auf den dritten und vierten Theil — redu-ciren, um diese nur durchzubringen, nnd Honig gehörte von da an zu den Seltenheiten. Es giebt hier in Brasilien die nämlichen kleinen schwarzen und gelben wilden Vienenarten, die ich auch iu Ecuador und Peru gefunden habe. Sie führen keinen Stachel, und kneipen sich, wenn 265 zu sehr gereizt, nur in die Haare des Angreifers ein. Sie haben ein dunkles Wachs, das erst ausgekocht werden muß, ehe es brennbar wird, und einen völlig flüssigen Honig, bauen auch nicht solche flache Waben, wie unsere Bienen, sondern Mehr kleine Wachssäcke in der Form und Größe eines Hornissennestes, zu dem ein wächserner Canal den Eingang bildet. Der Honig ist nicht unschmackhaft, und findet man einmal einen solchen Baum mit wilden Bienen im Walde, so kann es auch geschehen, daß man zwei und drei solcher Nester voll Honig in einem hohlen Stamme antrifft. Gartengemüse gedeihen auch recht gut in diesen Colonien, haben aber meist alle die Eigenthümlichkeit, daß sie keinen Samen bringen. Guter Samen muß also, etwas eigentlich sehr Umständliches, jedes Jahr frisch von Europa herübergeschafft werden. Uebngcns treiben sie rasch, und swd schmackhaft. Wir ritten an dem Morgen durch viele Colo-Nien und hielten bei mehreren an. Nahrhaft wunderbar war der Reichthum an Orangen, den wir auf allen fanden. Ganze Wälder dieser herrlichen Bäume umgaben die Wohnungen, und der Boden, da es stark auf das Frühjahr zuging, wo 266 die Bäume schon wieder ansingen Blüthen zu treiben, war mit den goldenen, saftigen Früchten ordentlich bedeckt — ein gefundenes Fressen für die Schweine, die es sich außerordentlich woh! dabei sein ließen. Die Pinie, von denen es weiter im Innern ganze Wälder giebt, wird ebenfalls gern in der unmittelbaren Nähe der Wohnungen als Zierbaum angepflanzt, und ich kenne wirklich keine reizendere Zusammenstellung von Bäumen, als einige hochstämmige Palmen mit ihren lichtgrnnen wehenden Federkronen, durch das dunkle Grün der wunderlich geformten Pinien ganz besonders hervorgehoben, während ein Orangenwald wie ein golddurchwirkter Teppich darunter ausgebreitet liegt. — Es läßt sich nicht leugnen, das Colo-, nistenleben hat auch seine Poesie, und wer da seine freundliche .Heimath weiß und im Kreise seiner Familie leben kann, mag sich wohl auch recht wohl und glücklich fühlen — besonders wenn er zu jenen leichtherzigen Menschen gehört, die sich mit ihrem Wahlspruch — udi doi^ idi i>^tria den Henker um die alte verlassene Heimath scheeren. — Ich kann das nicht — an dem langen Band, das mir die Polizei daheim an's Bein gebunden, und das sie meinen Pah nennt, flattere ich wohl 267 eine Weile in der Welt herum, aber wenn er abgelaufen ist — und vielleicht auch ein wenig später — kehre ich duch immer dorthin zurück und — soll ich aufrichtig sein — so zieht das Herz noch viel stärker als der Paß. Einen Nachtheil hat die Colonie, und das sind die grundlosen Wege im Winter, auf denen es nur mit den größten Mühen möglich ist, die nächsten Picaden zu erreichen. Die Regierung thut etwas, aber sehr wenig für die Wege, die Colo-nisten thun wenig, oder nicht einmal etwas dafür, und so bleibt es von Jahr zu Jahr. Pferde und Lastthiere bleiben stecken, Wagen schlagen um, Menschen quälen sich nno- ruimren Geschirr und Lastthiere, und die Products der entfernter gelegenen Districte sinken im Werthe zu: Null herab, denn es ist nicht möglich, an irgend einem Hafen-Platz auch nur die Kosten der Fracht dafür herauszubringen. Aber was thut's? — Die Deutschen haben noch gerade genug Bauer mit von Deutschland herübergebracht, Nichts anzurühren, wo nur ein Verdacht darauf haftet, daß dieMegierung etwa dazu verpflichtet sein könne. Daß sie nur selber darunter leiden, kommt gar nicht in Bedacht, und wenn Giner seinen Wagen zerbricht ^ ob er ihn auch selber muß wieder machen 268 lassen — denkt er doch sicher: das geschieht der Negierung ganz recht. Uebrigens befolgt die brasilianische Negierung, meiner Meinung nach, kein richtiges Princip mit Anlegung ihrer Colonien, indem sie, in dem weiten Land zerstreut, überall kleine Stellen in Angriff nimmt. Geht man der Sache auf den Grund, so könnte man die Ursache wahrscheinlich in der alten, aber sehr ungegründeten Furcht finden, zu viele Deutsche auf einen Punkt zusammenzubringen. Du lieber Gott, die Leute haben viel zu viel angeborenen Respekt vor der Polizei, sich irgend einem Beamten zu widersetzen, und wenn sie zu so vielen Tausenden zusammen wären, wie sie jetzt zu Hunderten sind. Durch dieses System leidet aber der Verkehr ungemein, denn wo eine neue Colonie nur drei oder vier Leguas abseits in den Urwald gelegt wird, sind die Wege dorthin nach drei Monaten grundlos, und können nicht einmal mehr mit Packthieren begangen werden. Junge Colonisten aber (selbst wenn sie so willig dafür wären, als sie es nicht sind) können einen solchen Wegbau aus eigenen Kräften nicht übernehmen, die Negierung thut es nicht, weil sie kein Interesse mehr dabei hat, jenen Landstrich zu sehr M bevölkern, und' der traurige Zustand solcher, 269 mitten im Wald angelegten, neuen Colonien ist die unansbleibliche Folge davon. St. Leopoldo selber ist jedoch schun lange von der Regierung als Colonie aufgegeben; das heißt, es werden keine neuen Colonisten mehr dorthin geschafft, und man bewilligt dem Ort, oder der Gegend keine weiteren Vortheile. Sie ist, mit einem Wort, mündig gesprochen, und muß nun zusehen, wie sie sich ihr eigenes Fortkommen in der Welt selber in anständiger Weise gründet. Natürlich hat sie auch keinen Direktor, den eigentlichen Vormund der jungen Colonien, mehr, und nur einen brasilianischen Magistrat, wie in allen übrigen Städten. Aus dem Dampfer von Rio Grande bis Porto Alegre war ich, wie früher erwähnt, mit einer deutschen Familie zusammengefahren, die eben von Deutschland kam und nach St. Leopoldo wollte. Es war ein alter Mann mit seiner Frau und Tochter und Enkeln. Einige von seinen Kindern lebten schon lange, lange Jahre in Brasilien, und er war auch schon früher hier gewesen, seine Frau aber, die etwa 56 Jahr alt sein konnte, war zum ersten Male hier und wollte die seit 25 Jahren nicht gesehene Mutter besuchen, der sie die Enkel brachte. Der armen jungen Frau aber, die ein 270 gar so gutes und selbst edles Gesicht hatte, stand eine schwere Stunde beim Empfang bevor. Sie hatte kürzlich daheim ihren Mann verloren, dessen Familie ebenfalls hier wohnte, und deren Begegnen mußte ja alle die alten, kaum verharrschten Wunden wieder aufreißen. In Porto Alegre verließ ich die Leute; da sie aber vier Tage auf den Dampfer nach St. Leo-poldo warten mußten und ich hinaus geritten war, traf ich sie dort wieder, als der Dampfer ankam, und war Zeuge dieser ersten Begrüßung. — Ich habe kaum je etwas Ergreifenderes gesehen. Die alte Frau, hoch in den Achtzigen, war zu Fuß nach der Stadt hereingekommen, ihre Urenkel Zu begrüßen, und Mutter und Tochter, von ihren Enkeln und Urenkeln umdrängt, hatten sich fest, fest umfaßt und sprachen lange kein Wort. Was kümmerte es sie, daß sie gerade auf der Planke des Dampfers standen, und rastlose, ungeduldige Menschenkinder, bei vollkommen versperrter Passage, weder aus noch ein konnten. Die Leute, welche die Verhältnisse nicht genauer kannten, sahen auch nichts Außergewöhnliches darin, daß sich ein paar alte Frauen umarmten, und wollten sie nur von der Planke weghaben, und lachten und schrieen. Die beiden Frauen hörten aber nicht, 271 Was um sie her vorging, sie hatten die ganze Welt in dem einen Gefühl vergessen, sich einander wiederzuhaben. Die junge Frau war die Besonnenste von Allen; ihre Augen sahen freilich auch roth aus, und ein paar Verrätherische Tropfen glänzten noch daran, aber sie dachte für Alle, und ihre Großmutter leise umfassend, zog sie dieselbe von der Planke auf festen Boden. Der Menschenstrom konnte jetzt aus- und einrauschen, und seitwärts bildete sich daneben eine der eigenthümlichen Er-kennungssceuen, die sich auf der Welt nur denken läßt. Beide alte Frauen zeigten einander ihre Sprößlinge und gegenseitigen Enkel und Urenkel, lauter nahe Verwandte, von denen die eine Hälfte in Deutschland, die andere in Brasilien geboren war. "-Da — das da ist der Marie ihr Junge — der älteste — und wie verschämt der dicke Bengel dabei stand und sich mit dem Aermel die Nase wischte — „nnd das da," sagte die alte Großmutter, die sich kaum Zeit nahm, den Urenkel an sich heranzuziehen — „das ist dem Gottlieb sein Mädchen — und da noch eines — und der ist dem Hannes" — und so ging das herüber und hinüber; keine konnte vor Thränen ordentlich aus den 272 Augen sehen, nnd die vielen Namen schwammen ihnen wie eben so viele Sternschnuppen in einem Chaos von Leuchtkugeln umher, so daß keine einzige, nach der Vorstellung, im Stande gewesen wäre, ein einziges von den Kindern beim rechten Namen zu nennen. Aber das schadet Nichts — das Alles fand sich später, und jetzt fühlten sie und begriffen sie nur das Glück, einander wieder anzugehören, ob ihr Fuß in Deutschland oder in Brasilien stand. Es ist eine gar wunderliche Sache um so ein Wiedersehen, und wo ich Zeuge davon bin, und wenn es auch selbst bei ganz stockfremden Menschen wäre, packt es mich immer auf eine eigene Art — es mag sein, weil ich mich so recht in ihre Lage hinemdenken kann. Ich war auch nicht so leicht im Stande, mich von den verschiedenen Gruppen zu trennen, wenn ich mich auch natürlich fern von ihnen hielt. So lange ich ihnen mit den Augen folgen konnte, that ich es, und sah noch eine ganze Weile, wie sie einander herzten und drückten und vor lauter Fragen gar nicht zum Reden kommen konnten. Jetzt stellte sich nämlich schon heraus, daß die erste Vorführung dieses Kinderschwarms in der That tauben Ohren gepredigt gewesen, denn — „ja, wo ist denn nM 273 eigentlich dein Hannes sein Mädchen," und „welches ist der Marie ihr Innge — und die Marie — was für ein hübsch Mädchen die Maric geworden ist!" rief die Alte laut und erstaunt aus. Hübsches Mädchen! — arme Marie — sie dachte wohl an den Mann daheim, der jetzt in seinem stillen, kalten Grabe lag, und lehnte ihr Haupt an die Schulter der Großmutter. Die Straße herunter kam lustige Musik — deutsche Musikanten unverkennbar, mit den wunderlich geformten mysteriösen Mützen (ich habe noch nie zwei Deutsche gesehen, die genau ein und dieselbe Mützenart getragen hätten — ist das vielleicht die Ursache, daß wir es auch nicht dahin dingen, unter einen Hut zu kommen?) und ihren schief getretenen Hacken und phantastisch kattunenen Beinkleidern. Selbst die große Trommel schlug ein Deutscher — das erste Mal in Süd-Amerika, wo sich ein Neger hatte die Gelegenheit entgehen lassen, dies Instrument Zu bearbeiten — und alle Melodieen, die sie spielten, Waren natürlich deutsch, nicht wahr? — Gott bewahre, eine Arie aus irgend einer Verdi'schen Dudelei hackten sie herunter, und die Straßenlungen tanzten den Aact dazu. Die Melodie klang übrigens ungemeiu lustig, und es war jeden- H'l'' Gcrst^H^ NchtzchnMonciic u, Süd Amn'ila m. 18 ^74^ falls die Arie, wo die im dritten Act wahnsinnig gewordene Primadonna im fünften Act sich endlich erstochen hat, und nun dem ersten Tenor im Sterben noch einmal weitläufig auseinander fetzt, wie sie ihn geliebt habe und mit wie großem Vergnügen sie für ihn sterbe. St. Leopoldo liegt wirklich reizend, und die Wahl dieser Colonie macht der Negierung alle Ehre. Dicht am Ufer eines kleinen Flusses, der allerdings nicht sehr weit hinauf schiffbar ist, aber den Verkehr mit dieser Colonie doch bedeutend erleichtert, an die Hügel geschmiegt, die von da aus ihre fruchtbaren Thäler und Hänge weit in das Land hineindehnen, ist, mitten in Brasilien, eine ächt deutsche Stadt — mit allen ihren Tugenden und Fehlern, emporgewachsen, und deutscher Fleiß hat das weite Land wirklich in einen Garten verwandelt. Es giebt in der That wenig Nationen, die sich so vortrefflich zur Colonisirung eines fremden Landes eignen, wie die deutsche, und doch hat eben diese von allen anderen keine eigene Colonie, und wird nur dazu benutzt, anderen Völkern ihre Ländereien werthvoll zu machen. Armer deutscher Michel, wirst Du denn nie einmal anfangen auf Deine alten Tage zu denken und für Dich selber zu arbeiten, denn Dein Vormund, der deutsche 275 Bund, sorgt, weiß es Gott, nicht für Dich, wenn Dn erst nicht mehr für Dich selber die Hände rühren kannst. Als die ersten Coloniften hierhergekommen, erhielten sie, wie gesagt, von der brasilianischen Negierung ihre 160,000 Quadrat-Brassen und hatten da eine nicht unbedeutende Colonie zu bearbeiten. Aber ihre Familien vermehrten sich stark (es ist ganz erstaunlich, was für eine Anzahl von flachs-köpfigen, oickbackigen Kindern in diesen Colonien herumläuft, und ich habe einzelne Häuser gesehen, die wie eine Schule aussahen), eine Menge von Söhnen wuchs heran und verheirathete sich, Und das Land, das bis jetzt groß genug gewesen,, und einem Brasilianer, ohne Sclavenarbeit, für zwanzig Familien ausgereicht hätte, wurde für die Deutschen bald zu klein. Der deutsche Bauer, der sich indessen schon einen recht hübschen Thaler Geld verdickt, und sei-uen guten Viehstand, wie seine wohlbestellten Felder und seine bequeme Wohnung hatte, blieb nicht etwa darin sitzen und kaufte seinen Kindern ueues Land in der Nachbarschaft, Gott bewahre ^ er theilte unter sie die eigene Colonie und zog dann selber wieder auf frisches Land, die alte Arbeit won vorn zu beginnen. Das verstanden 18* 276 doch die Jungen nicht so gut wie er, uud waren auch hier „in dem Brasilien" lange nicht an so harte Arbeit gewöhnt worden, wie die Alten es gar nicht anders von Deutschland her kannten. Mir sagte selber einmal ein alter Colonist: „Unsere Jungen mögen das jetzt nicht einmal mehr auf dem Pferde führen, was wir sonst auf dem Nucken getragen haben," und der Mann hatte vollkommen recht. Es ist das aber auch kein gar so böses Zeichen, und spricht für die Colonicn, wenn die Söhne jetzt mit weniger Arbeit auskommen, als die Väter brauchten, um sich festzusetzen. Die jungen Burschen sind aber trotzdem fleißig, und es geht ihnen fast Allen gut. In der frühern Revolution Brasiliens, in der Garibaldi eine so bedeutende Nolle gespielt, und wo die „Männer der Freiheit" die Regierung stürzen und Brasilien zu einer Republik machen wollten, war St. Leopoloo leider auch der Schauplatz vieler Gewaltthätigkeiten, da sich ein Theil der Colonisten verleiten ließ, an der Bewegung Theil zu nehmen. Die Regierung hatte sehr vernünftiger Weise den fremden Colonisten vollkommene Neutralität gelassen, sobald aber ein Theil zu den „Rebellen" überging, nahm der andere für die Negierung Partei, und Deutsche kämpf- 277 ten da — wie das von Wer gewesen, gegen Deutsche. Zehn Jahre dauerte dieser traurige Zustand, bis endlich die Führer der Freiheitsmänner einsahen, daß sie die eigentlichen Brasilianer wohl zu einer Revolution aufstacheln, aber keineswegs für die Sache der Freiheit begeistern konnten, und sich zurückzogen. Damit hatte die Negierung gesiegt und Brasilien blieb die einzige Monarchie in Süd-Amerika. Was mich betrifft, so halte ich dies für'das größte Glück, das Brasilien widerfahren konnte; ja, ich gehe sogar noch weiter und bin der festen Ueberzeugung, daß es sich selbst ohne Constitutwn wohler befinden würde, als mit den jetzigen, aus Sclavenhaltern und Pfaffen zusammengesetzten Kammern. Die Negierung ist wirklich liberal und will — nach Allein, was ich davon sehen konnte und darüber hörte, das Beste des Landes, die Kammern aber arbeiten ihr nur zu oft entgegen. Es war genau so wieder mit dem erst kürzlich durchgegangenen, vollkommen unbrauchbaren Ehe-gesctz, bei dem die Negierung die besten Absichten hatte, und Alles that, nm den Protestanten, denen sie „Duldung ihrer Neligion" versprochen, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die Geistlichkeit 278 aber warf sich mit ihren Phrasen und Dogmen dagegen, die Eifersucht gegen die Fremden that bei dem Andern das Uebrige, und es herrscht mit den protestantischen Ehen vor der Hand ein^.Zustand in Brasilien, der es für jeden Protestanten gefährlich macht, dorthin auszuwandern. Trotzdem befindet sich Brasilien als Monarchie noch unendlich wohler, als seine Nachbarn, die übrigen Republiken, denn es herrscht im Lande doch wenigstens ein gesicherter Zustand; diese ewigen Revolutionen und Regierungswechsel, sammt dem Naubsystem der verschiedenen Parteien von Stellenjägern können hier nicht vorfallen. Wer emmal im Amte ist, bleibt darin und hat Zeit, sein Schäfchen in's Trockene zu bringen, braucht sich also nicht zu überstürzen und das Land völlig aussaugen zu helfen, nur um in vier oder sechs Jahren gerade das Nämliche Zu erreichen. Die zweit bedeutendeste Colonie in Rio Grande ist Santa Cruz, und nach Porto Alegre zurückgekehrt, beschloß ich auch diese zu besuchen. Die Fahrt dorthin, da man gleich von Porto Alegre aus mit dem Dampfer den Rio Pardo bis zu der kleinen Stadt gleiches Namens hinauffährt, ist sehr angenehm und bequem zu macheu. Von der Stadt Rio Pardo aus nimmtman dann ein 279 Pferd und reitet in die etwa sechs Legoas entfernte Colonie auf einem ziemlich guten Wege. Eine traurige Sammlung von kleinen lebensgefährlichen Dampfern hält Brasilien auf diesen Lagunen, und so sicher ich mich sonst auf dem Wasser fühle, konnte ich doch nicht umhin, diese wackelig ausgearbeiteten Maschinen immer etwas mißtrauisch zu betrachten. Es ist eine Art Lotteriespiel, dort an Bord zu gehen, und das Beste, was man dafür sagen könnte, wäre etwa: es kann gut ablaufen. Sie sind überdies sehr theuer, und die Kost ist keineswegs besonders, auf allen aber habe ich sehr anständige und freundliche Capi-taine getroffen, mit denen es sich vortrefflich verkehren ließ. Auf diesem Dampfer hatten wir übrigens einen sehr wunderlichen Passagier, aus dem ich nicht recht klug werden kounte. Es war ein kleiner Mann mit dunkelgebräunter Haut — aber jedenfalls von weißer Abstammung, mit schwarzen Haaren und lebhaften Augen, der sich in einem fortwährenden Zustande der Aufregung befand. Schon wie ich an Bord kam, hatte er einen ganzen Kreis von Zuhörern um sich versammelt, und sah so bös aus, und gesticulirte dabei so heftig mit den Händen, daß es gerade so aussah, als ob er eben 280 von irgend Jemandem persönlich beleidigt worden sei, und sich nun gegen die Anderen darüber beklage. Dieser Znstand der Anfregung dauerte aber fort; er stritt und wüthete über Alles, was vorkam, und hatte dabei ein Mundwerk, daß ich ihn für einen Geistlichen gehalten hätte, wenn dem nicht seine Tracht widersprochen. Er trug einen großen dunkelblauen Tuchponcho, wie sie besonders in der weit kältern argentinischen Republik Mode sind, diesen Poncho aber im Schlitz mit einer breiten goldenen Tresse uniformartig besetzt, und außerdem einen Pallasch. Jetzt aber nahm er seinen Hut ab, und ich entdeckte auf seinem Kopfe den geschorenen kleinen Mond, das ganz sichere Zeichen des geistlichen Standes. Natürlich wurde ich aus dieser Zusammenstellung nicht klug und wandte mich an den Capitain, um etwas Näheres über diesen modernen Maltheser Ritter — halb Priester, halb Soldat, zu erfahren. Der Capitain schüttelte aber den Kopf nnd sagte: „Mit dem Herrn ist es Nichts — oder eigentlich zu vicl, vorerst ist er einmal Oui'a, dann Ooloußi in der militia, außerdem hat er einen Vranntwemschank und — eins Frau mit vier Kindern — mehr kann man nicht verlangen." 281 In Rio Pardo, der kleinen Stadt, kamen wir Morgens mit Tagesanbruch an. Nio Pardo war früher, so wie mir gesagt wurde, die Hauptstadt dieses Districts, kam aber durch die Revolution total herunter, und hob sich erst wieder, als die deutschen Colonien von Santa Cruz an zu blühen singen, so daß es jetzt ein nicht unbedeutender Platz geworden ist. ' Von Nio Pardo aus hatte ich, durch die Freundlichkeit eines Landsmanns, ein Pferd geliehen bekommen, uud es frent mich überhaupt herzlich, meinen Landsleuten in Amerika gegenüber anerkennen zu müssen, daß sie mich überall auf das Freundlichste und Liebevollste aufgenommen haben. Meine ganze Reise aber, alle die Beschwerden und Mühseligkeiten, die ich diesmal ertragen, galten ja anch nnr den Deutschen, und ich darf ehrlich gestehen, daß ich diese ganze Neise weit mehr für andere Leute, als für mich gemacht habe — wenigstens mehr zum Nutzen für Andere. Das kann aber der Einzelne nicht wissen, und weiß es nicht, und um so dankenswerther ist es dann, nm so wohlthuender, wenn man sich wenigstens frennd-lich aufgenommen sieht. Die Schriftstellern ist in Deutschland nnr in seltenen Fällen ein dankbares Brod, aber tausendfach muh sich auch der Schrift- 282 steller selber belohnt fühlen, wenn er, wohin er kommt, ein freundliches Erkennen und einen warmen Händedruck findet. Das macht Vieles, Vieles gut. Der Ritt von Rio Paroo nach der Colonie Santa Cruz war ein sehr angenehmer, und die Straße viel besser, als man es eigentlich in dieser Jahreszeit erwarten konnte. Die Kunst hatte allerdings außerordentlich wenig dafür gethan, die Natur Nlles, aber sie war eben gut, und wenn man auf einem muntern Pferde, an einem sonnigen Tage und durch eine ziemlich freundliche Scenerie dahintrabt, wird Einem das Herz noch einmal so froh und leicht. Unterwegs traf ich verschiedene deutsche Colo-nien und hielt dort an. Die Leute wohnten hier alle schon eine sehr lange Zeit — stets zwischen 25 und 34 Jahr im Lande, aber sie schienen alle zufrieden, und selbst die Frauen — was nicht immer der Fall ist — versicherten mich, das Land sei gut und das Klima gesund. Die Frau hängt sonst immer am zähsten und längsten an der alten Heimath und gesteht der neuen nur unfreiwillig Etwas zu. Auf dem Nege lagen diese deutschen Colonim aber doch immer nur sehr vereinzelt, bis ich am 283 Nachmittag die wirkliche deutsche Ansiedelung erreichte. Bis dahin hatte der Weg fast nur über tNuipo oder Pampas oder Prairien — wie man das ziemlich baumlose, wellenförmige Land nun nennen will, geführt. Hier kam ich zuerst wieder in den Wald, und zugleich in grundlosen Boden, wo ich eine Partie deutscher Nagen feststecken fand. Der eine von diesen, der eine Anzahl Fässer mit Branntwein geladen, stak mit den rechten Rädern bis unter die Achsen im Schlamme, und die verschiedenen Fuhrleute versuchten ihre vereinten Kräfte, den Wagen, ohne ihn umzuwerfen, Wieder herauszuarbeiten. Wie er stand, schien mir das unmöglich, ich hütete mich aber wohl, ein Wort hinein zu reden, denn man kann bei solchen Gelegenheiten mit noch so gut gemeinten Rathschlägen nie Etwas bezwecken, und höchstens Grobheiten bekommen. Ich ritt vorbei, erfuhr aber noch an demselben Abend, daß jenes erste Geschirr wirklich umgeworfen habe, was die Leute jetzt zwang, die Ladung doch herabzunehmen, um den Nagen wieder aufzurichten. Dieser Weg führt aus den belebtesten deutschen Colonien nach der Hafenstadt, und die schlechte Strecke davon ist verhältniftmäßig sehr kurz. Leider hat die Negierung selber noch einige Striche Wald- 284 land daran liegen und benntzt die Straße auch zu Zeiten als einen Verbindungsweg mit Ou^ alta; natürlich liegt es ihr deßhalb ob, den ganzen Weg zu bauen, nnd die Deutschen ruiniren sich lieber Geschirr und Pferde, ehe sie eine Hand anlegen. Ich will nicht etwa die brasilianische Regierung, was den Wegbau betrifft, in Schutz nehmen, wenn das Neich auch wirklich so ungeheuer groß ist, irgend eine Negiernng schon zu entschuldigen, nicht eben alle Wege im Stande zu halten. Die brasilianische Negierung geht aber nicht praktisch genug zu Werke uud fällt dabei in den Fehler vieler anderer nener Staaten, wenn sie glaubt, sie hat damit genug gethan, daß sie eine genügende Summe Geldes für einen beabsichtigten Wegbau bewilligt. Die Hauptsache dabei ist, die Arbeiten nicht allein zu überwachen (denn alle die unteren Beamten der südamerikanischen Staaten betrachten irgend eine von der Negieruug flüssig gemachte Summe wie eine Kuh, die gemolken werden mnß, so lange sie noch Milch giebt, und was irgend an der Quelle ist, sucht einen Theil des Stroms in seine eigene Tasche zu lenken), sondern auch.Anordnungen zutreffen, daß der Weg erhalten wird. Gewöhnlich baut man den Weg mit nnverhält- 285 nißmäßig hohen Kosten, und übergiebt ihn dann dem Verkehr, unbekümmert, was weiter daraus wird. In einigen Jahren ist er dann so Zerfahren und ruiuirt, daß es wieder Tausende nnd aber Tausende kostet, ihn nur einigermaßen herzustellen. Hätte ich in den Colonien Etwas zu sagen, so würde ich- mit den Colonisten als Negierung so reden: „Ich baue Euch den Weg und übergebe ihn fertig dem Verkehr, ich bewillige anch jährlich eine (kleine mäßige) Summe, nm ihn im Stand zu erhalten; das Uebrige aber thut Ihr daran, die Ihr ihn hauptsächlich benutzt, und Euch macheich dafür verantwortlich, wenn Klagen darüber einlausen." Ich glaube, daß einem großen Uebel Brasiliens damit abgeholfen würde. Die Colonie Santa Cruz liegt etwa 5—6Le-goas von der Stadt Nio Pardo entfernt, aber der Fluß Rio Pardo „durchschneidet nicht zum Theil die Grundstücke nnd bildet bis zur Stadt Nio Pardo eine Wasserstraße, die von dort auf dem Iacuhy nach Porto Alegre und den Seehafen Mo Grande weiter führt" — wie Herr Peter Kleudgen, der frühere Auswanderungsagent für Santa Cruz, in seiner Broschüre behauptet. Der kleine Rio Pardin go durchschneidet allerdings die Colonien, und die Negierung wollte ihn früher 286 einmal auch schiffbar machen, fiel aber einem Betrüger in die Hände, und der Fluß ist jetzt, so gut wie immer, für den Handel und Verkehr vollkommen nutzlos: Alles, was die Colonie deßhalb erzieht, muß erst per Achse nach Rio Pardo und von da nach Porto Alegre verschifft werden. Ein kleines Städtchen, das taclünai gcnannt, bildet auch in dieser Colonie, wenn nicht den Mittelpunkt, doch den Ccntral-Ausgangspunkt der Colonio, und liegt recht freundlich auf einer von bewaldeten Hängen umschlossenen Höhe. In einem weiten Halbkreis darum her liegen die Colonien, und was ich darüber an Ort und Stelle hörte, mit welchen Leuten ich auch darüber sprach, alle die Berichte lauteten sehr günstig, und die Colonisten selber schienen sich außerordentlich wohl zu befinden. Der Boden selber ist allerdings nicht überall gleich gut, an den meisten Stellm aber recht fruchtbar, und an einigen sogar vorzüglich, so daß es den dort wohnenden Colonisten im Durchschnitt ganz vortrefflich geht. Das Einzige, worüber sie klagten, waren die wirklich erbärmlichen Wege, die in die weiter gelegenen Colonien führten; wir selber blieben fast mit den Pferden stecken und rissen uns, wo wir den 287 tiefsten Schlammlöchern ausweichen mußten, Kleider und Hüte in Stucken. Herr Kleudgen übertreibt in seiner Broschüre die Fruchtbarkeit natürlich über die Maßen, ein sehr verdannnliches System, weil es die Leute in ein fremdes Land lockt, wo sie, das Einzige, was sie darüber zu wissen glauben, gleich von vorn herein nicht bestätigt finden. Auch die Preiscou-rante, die er giebt, mögen einmal zu Anfang wahr gewesen sein, aber es ist gefährlich, in ein für Auswanderer geschriebenes Buch mit voller Bestimmtheit Preise von Producten und Vieh einzurücken, die nicht einmal mehr wahr sind, ehe der Brief nur nach Deutschlaud kommen kann. Im Ganzen wird sich aber kein in diese Co-lonie kommender Auswanderer, wenn er nur mit mäßigen Ansprüchen eintrifft, getäuscht sehen und -^ mit harter Arbeit zwar, aber doch auch mit vieler Sicherheit sein Vrod finden. Die Colonie besteht, glaub' ich, seit Ende 1849 oder Anfang 1850, und es ist wirklich erstaunlich, was für enorme Strecken Wald unsere fleißigen Landsleute schon in der Zeit gelichtet, und wie viel Grund und Boden sie urbar und ertragfähig gemacht haben. Das Klima ist dabei ebenfalls gesund; nicht zu heiß im Sommer, und im Winter 288 doch kalt genug, die Nerven nach der erschlaffenden Sommerzeit wieder zu kräftigen nnd zn stärken. Es ist deßhalb auch ebenfalls nicht wahr, daß das Zuckerrohr so vortrefflich in Santa Cruz gedeiht, wie seine Broschüre sagt. Es erfriert im Gegentheil sehr häusig, nnd als ich durch die Colonien ritt, sahen die Znckerrohrfelder alle so gelb aus, wie ein Feld mit reifem Weizen, so hatte sie der Frost bis auf den Stamm hinunter getödtct. Auf den Bau des Zuckerrohrs siud die Colo-nisten aber freilich auch gar nicht angewiesen, denn diese Provinz gehört, wie vorher gesagt, gar nicht der tropischen oder heißen Zone an. Die Hauvtprodu in Silber da^en ist die kleinste Münze 200 rc>i5. Ein Ocmw du ixii«, eine iu großen Rechnungen oft genannte Summe, ist 1 Million reiZ oder 500 Dollar. 305 Sehr freundlich zeigte sich darin die Regierung, der ich überhaupt nur nachrühmen kann, daß sie mir, als sie erfuhr, ich sei nach Brasilien gekommen, um die Colonien zu besuchen, auf das Zuvorkommendste entgegenkam. Jede Auskunft, die ich erbat, wurde mir sowohl durch Herrn Philipo Neri, unter dessen Leitung das Colonialwefm der Provinz Nio Grande steht, wie durch den Präsidenten der Provinz selber, auf das Willigste gegeben, und hätte ich für mich selber irgend eine Vergünstigung erbeten, so bin ich überzeugt, daß sie Mir augenblicklich bewilligt worden wäre. Der Präsident hörte, daß ich um einen Führer verlegen sei, und bot mir in sehr freundlicher Weise einen Polizeifuldaten an, der mit der Gegend vollkommen bekannt war, und mich bis an die Grenze der Provinz, also bis Torres, begleiten sollte. Natürlich nahm ich das mit Dank an, und am nächsten Tage schon stellte sich mein ßuia, ein brauner Brasilianer, der die halb indianische Abkunft nicht verleugnen konnte, auf einem allerdings etwas marode aussehenden Maulthier, ein, und wir trabten, bei schönstem Sonnenschein, lustig in die wundervolle Welt hinein. Die „wundervolle Welt" änderte sich übrigens sehr bald, so wie wir nur erst einmal die unmittel- F l. W cr stäH c r, Achlzehn Monatc ül Sud-Amcrikll. III. 20 306 bare Nähe von Porto Alegre verließen, denn wir geriethen hier in einen etwas sandigen District, der aber doch, seiner Vegetation wegen, viel des Interessanten bot. Besonders war er mit einzeln stehenden Palmen ziemlich dicht überstreut, nnd mit fast gar keinen: Unterholz, sah es wunderlich genug aus, die von nicht sehr hohen, aber starken Stämmen getragenen Blattkroncn so vereinzelt über den sonst ziemlich nackten, oder doch nur mit dürftigem Gras bewachsenen Buden zn finden. Ganz sonderbare Bildungen nahmen hier ebenfalls'verschiedene Cactus-Arten an, die sich als Schmarotzerpflanzen nicht allein gestürzten, sondern hier und da noch gesunden, aufrecht stehenden Bäumen angehängt hatten, und ihre phantastischen Aeste nach allen möglichen Richtungen hin aus-trieben. Wo aber ein Baum durch Sturm oder Alter zu Boden geworfen war, da kauerte ihm auch gewiß ein schwammiger Cactus auf der nackten Brust, und sog die noch gebliebenen Kräfte des Gestürzten gierig ein. Welch ein Bild unseres eigenen bewußten Lebens, und wie finden wir nicht Alles in dem Treiben einer uns doch nur erst theilweise er- 307 schlosfenen Welt um uns her wiederholt — wenn wir nur eben Augen dafür haben! Ein Baum besonders fiel mir auf, und. ich zügelte unwillkürlich mein Pferd ein, ihu mit Muße betrachten zu können. Es war einer jeuer immergrünen lorbeerartigen Laubholzbaume, der iu seiner, Ninde ciuige Aehnlichkeit mit unserer Buche hatte. Die Wurzel unten war ziemlich breit und mußle in früherer Zeit zwei Schößlinge getrageu habcn, von d^ncn der eine mit den Jahren unten, vielleicht durch einen Sturm, abgebrochen, oder durch einen Wurm angefressen — auch hierin geht es ja den Bäumen wie den Menschen — herausgcfault war< Der Zwillingsbruder war fort, aber sein Platz blieb bei dem Ueberlebendcn — der jetzt alt und runzelig geworden, und vielleicht 15 bis 18 Zoll im Durchmesser halten mochte, so lange unausgefüllt, bis sich dieser, an der Stelle des Hingeschiedenen, einen Adoptivb ruder nahm. Eine der benachbarten Palmen hatte wahrscheinlich einen Samenkern in den weichen und augefaulten Ausbruch der Wurzel geworfen, und jetzt war au-statt des frühern Laubholzstammes eine stattliche Palme aus der weit über dem Bodeu vorragenden, und gewissermaßen ein Piedcstal bil- 20* 308 den Wurzel des alten Baumes emporgeschossen, und stieg schlank und' gerade neben dem andern Stamm, der sie wie im Schoohe hielt, empor. Es war ein gar eigener, wunderlicher Anblick, und ich konnte mich lange nicht davon losreißen, wenn auch mein Polizeisoldat kopsschüttelnd voraustrabte, was ich wohl an dem „alten Holz" so Merkwürdiges zu sehen fände. Sein Maulthier machte ihm freilich mehr zu schaffen, denn es stellte sich bald heraus, daß es zum Tod ermüdet, kaum noch von der Stelle konnte. Allerdings hatte er ein Schreiben der Polizeibehörde in Porto Alegre mit, wonach er auf irgend einer Polizeistation sein ermüdetes Pferd gegen ein frisches eintauschen durfte. Auf der Station aber, die wir an dem Abend erreichten, waren gar keine Pferde m haben, und ein anderer verlorener Tag lag vor uns, an dem wir mit dem müden Thiere, bis zur völligen Dunkelheit, nur fünf Legoas*) zurücklegen konnten. Diese Polizeistationen sind ganz eigener Art, und bestehen aus ziemlich geräumigen Gebäuden, ") Die brasilianischen 1^,6^03,8 sind übrigens bedeutend länger als die I^oKua.« der spanischen Provinzen. Sie haben allerdings dieselbe Anzahl dra^os, aber die bi^a» sind so viel größer. 309 gewöhnlich mit einem großen Weidegnmd, um einer bestimmten kleinen Abtheilnng von Polizei zum Standquartier zu dienen. Diese Leute durchstreifen dann beritten und gut bewaffnet (auch mein Begleiter trug einen Cavalleriesäbel und im Gurt eine Pistole) das Land, wo es nöthig sein sollte, Hülfe zu leisten, oder den dortigen Amtsgewalten zur Verfügung zu stehen. Was ich übrigens von diesen Polizeisoldaten hörte, und was ich selber davon sah, stimmt mit dem allgemeinen Gerücht überein, daß man, wie man einen ächten Wilderer zum angestellten Jäger macht, auch die größten Spitzbuben in Brasilien zu Polizcisoldaten genommen habe. In der Polizeistation, in der wir die erste Nacht campirten, denn ich kann es kaum anders nennen, schien irgend ein würdiger Sergeant als „td6 last ro86 ol «uinm^i " übrig geblieben zu sein, der in seiner blaucu Uniform mit rothem Kragen, als ich den Ort betrat, gerad' hinter feinem Ladentisch, in dem kleinen Kramladen stand, und einem ruppigen Jungen für einen Bruchthcil bra-silianifcher Münze Zucker abwog. Zu essen war wenig genug da, aber er hielt doch ein gutes Glas Lisboa-Wein, und das mußte Mich für das Uebrige entschädigen. Das einzige 310 Vett, welches wir bekamen, war natürlich eine Holz-britsche. Den dritten Abend erst kamen wir nach St. Antonio, einem kleinen Neste, mitten in den Bergen, wo eine deutsche „vonäa" alle möglichen Materialwaarcn zu möglichst theueren Preisen verkaufte. Der Besitzer war eigentlich kein Deutscher, sondern ein Franzose, hatte aber eine deutsche Frau, und ich bekam dort wenigstens eine gute Mahlzeit, um mich in Etwas wieder zu erholen. Hier kam ich aber auch auf die Spuren eines deutschen Malers, dessen Fährten ich später noch öfters kreuzte, und der mit vier Farbentöpfen, blau, gclb, roth und weiß, die ganze Nachbarschaft unsicher gemacht und die weiß gttünchü n Wände derselben mit ganz unglaublichen Gemälden verschen hatte. In dem Zimmer, in dem ich meine Mahlzeit hielt, waren wundervolle Wandgemälde. Ueber das Ganze zog sich eine Draperie von blauge-maltcm Zcug mit großen gelben Ouasten hin, an der es aussah, als ob an der ganzen Verzierung einige Ellen gefehlt hätten, wcßhalb der Faltenwurf sehr straf gezogen werden mußte. Darnnter war auf der einen Wand König David abgemalt, mit einer Harfe im Arm, die rechte Hand vor- 311 streckend, genau als ob er sagen wollte: „Na, was krieg' ich, wenn ich spiele." Die andere Wand sollte wahrscheinlich eine Allegorie des Frühlings darstellen. Der Frühling, mit dem üblich verkehrten Füllhorn, wurde von zwei sehr nackten Jungen getragen, und vor ihm her ging ein anderer Engel mit umgekehrter Fackel, hinter ihm her kam Cupido, aber nach einer neneren Auffassnng. Er war nicht völlig blind, sondern schielte nur. Die dritte Wand war die hübscheste, und zeigte eine junge, sehr elegant und nach der neuesten Mode gekleidete Dame, nur mit einem etwas sehr kurzen Rock, die sich scherzhaft damit beschäftigte, in einem Sumpf, in dem ihr der Schlamm bis an die Knöchel ging, einen vor ihr herflatternden Schmetterling zu fangen. Der Künstler war, wie ich erfuhr, ein Berliner gewesen. Von hier ab hatten wir einen bitterbösen Weg durch Sumpf und Wasser; da mein Begleiter aber jetzt ein frisches Pferd bekommen, so rückten wir doch wenigstens etwas rascher vorwärts. Nur blieben die Thiere oft in dem Sumpfe mit den Hufen in den zähen Wassergewächscn hängen, die d^reu Boden bedeckten, und wir mußten sie scharf im Zügel haltm, daß sie nicht stürzten.- 312 Von hier ab rückten wir aber auch dem Meere näher, von dem wir nur noch durch einen schmalen Küstenstreifen getrennt waren, und der Boden wurde, als wir erst den wirtlichen Sumpf verlassen, reiner Sand. Ein kleines Städtchen, Arrozo de Concepciao, erreichten wir noch, wo ich gar viele Deutsche, aber Alle hier im Lande geboren, traf. Es waren meist Abkömmlinge der Colonie St. Leopoldo, auch zum Theil wieder unter einander verheirathet, und ein prachtiger, kräftiger und gesunder Menschenschlag. Die Meisten triebe', ein Handwerk, und der Eine, ein Schuhmacher, bekleidete zugleich den Posten eines Lieutenants bei der brasilianischen Nation älgarde. Von hier aus fand ich bessern Weg, meist harten Sand, und zwar am Ufer einer Lagune hin, die sich von diesem Orte bis hinauf nach Torres, zwischen dem Meere und den Gebirgen hinzieht. Dicht vor Torres, und erst nach Sonnenuntergang, erreichten wir den Strand des Atlantischen Meeres selber, das seine Brandungswellen wild gegen die flache, glatt geschlagene Küste schleudert. EZ ist ein ganz eigenthümliches Gefühl, bei 313 Nacht so dicht an der weißschäumenden, donnernden Brandung hinzmeiten, und da Einem die See, wenn man darauf hinaussieht, vorkommt, als ob sie viel höher läge, als man sich selbst befindet, so schwebt man in einer fortwährenden Täuschung, als ob die Wogen jetzt mit jedem Moment über den Reiter hereinbrechen müßten. Und wie das Meer leuchtet und wühlt uud glüht uud zischt, zurückweicht uud wieder vorspringt, und seine züngelnden Arme den schreckenden Thieren oft bis unter die Hufen wirft. Mein Pferd muß.? noch nie so dicht am Meere gewesen sein, denn es scheute fortwährend vor den heranrollenden Wellen, und erreichte uus ja einmal eine mit ihrer äußersten Spitze — eine ganz gefahrlose Spielerei des Wassers, so warf es sich aufbäumend auf den Hinterbeinen herum, und sprang ohne Weiteres links hinein in den weißen, lockern Sand. Torres, ein kleines, elendes Städtchen, von dem man eigentlich gar nicht begreift, zu welchem Zweck es hier in diese Einöde gebaut sei, erreichten wir in der Nacht. Ich hatte aber einen Brief für einen deutfchen Händler mit, der mich auch auf das Freundlichste aufnahm, und wo wir uns Beide durch Speise und Trank stärken konnten. 314 Hier nahm am nächsten Morgen mein Polizeisoldat von mir Abschied, und als ich ihm ein gntes Trinkgeld gegeben hatte, stahl er mir noch aus polizeilicher Dankbarkeit meinen Lasso. Glücklicherweise bemerkte ich es aber noch bei Zeiten, und schickte ihm, auf frischem Pferde, einen Boten nach, der ihm denselben wieder abjagte. Der Bursche hatte ebenfalls unterwegs schon von einem weidenden Pferde einen Halfter gestohlen und ich ihn außerdem in vollkommen gegründeten Verdacht, mir auch meinen guten Genickfänger ausgeführt zu haben Brasilianische Polizei! In der Nähe von Torres mußte ich aber jedenfalls kurze Zeit aushalten (wenn auch meinem Pferde eine kurze Nastzeit nicht so nöthig gewesen wäre), um etwas Näheres von der benachbarten deutschen Colonie zu sehen, über die ich die verschiedenartigsten Urtheile schon gehört. Ich ritt in die Colonie hinüber, fand aber das leider bestätigt, was ich schon früher Ungünstiges darüber gehört, und daß sie namentlich die ärmste aller brasilianischen Colouien sei. Die Ursache liegt aber keineswegs in etwa schlechtem Lande, der Boden ist so ertragsfähig und gut, wie er nur irgend zu sem braucht, sondern einzig und allein in dem gänzlichen Mangel 315 irgend welcher Verbindungswege, durch den die Colonie fast einzig und allein auf sich selbst beschränkt bleibt. Solche Producte deßhalb, die überall einen Markt haben und den besten Gewinn abwerfen, aber freilich keinen kostspieligen Transport vertragen, wie z. B. Mais uud Bohnen, können die Colonisten allein für den eigenen Bedarf und vielleicht für das kleine unbedeutende und nur drei Legoas entfernte Städtchen Torres selber ziehen, an einen weiteren Absatz ist gar nicht zu denken, denn überall lassen sich diese Artikel billiger Herstelleu, als sie dieselben, mit theueren Transportmitteln, liefern tonnten. Um aber doch Etwas zu haben, was sie verkaufen können, und dafür wenigstens die nöthigen Kleider nnd Schuhe anzuschaffen, hat sich die ganze Colonie auf den Bau des hier gut gedeihenden Zuckerrohrs gelegt, und jedes einzelne Haus fast eine rohe Branntweinbrennerei etablirt. Der Branntwein verträgt den Transport nocy am Besten, aber auch ocssen Verkauf wirft nur einen sehr geringen Gewinn ab, denn die Fässer müssen, besonders im Winter, auf entsetzlichen Wegen, alle per Achse nach Porto Alegre geschasst werden, während die Regierung von Rio Grande gerade auf das Brcmntwcinbrennen cinc nicht uubedeu- 316 tends Steuer gelegt hat, die diese arme Colonie am allerschwersten trifft. Ich wäre der Letzte, der eine solche Steuer tadelte, denn gerade der Branntwein verträgt sie im Allgemeinen am Besten, da er recht gut als Luxusartikel betrachtet werden kann. Das ist er freilich nicht für diese armen Leute, denn sie brennen ihn eben nur ihres dringenden Lebensunterhaltes wegen. Die ganze Colonie hat auf mich einen recht wehmüthigen EindrnÄ gemacht, und überdies kam ich zu einer Zeit dorthin — für die Colonisten vielleicht zur rechten — wo sie gerade durch ein paar lumpige brasilianische Unterbeamte m Angst und Schrecken versetzt wurden. Wie eben erwähnt, hatte die Regierung von Rio Grande eine Steuer auf die Branntweinbrennerei gelegt, die in einer Abgabe von 12^ inili-Li« jährlich für die Brennerei selbst, und dann noch in anderen Abgaben für jede Pipe bestand. Ieyt gerade war nun von der camei-a munioipalo ein Steuercollector nach Torrres gesandt, diese Steuern einzutreiben, und da alle dies Gesiudel den Staat und ihre Mitmenschen so oft betrügt, wie es nur irgend Gelegenheit dazu findet, so hatte auch dieser Patron ein ganz eigenes System 317 eingeschlagen, indem er die auferlegten Taxen nach eigenem Gutdünken um gerade hundert Procent erhöhte, und doch nur für die eigentlich rechtlich zu erhebende Summe Quittung geben wollte. Er erhob solcher Art anstatt 12^ uiilrei» 25, und stellte trotzdem nur für 12^ Quittung aus. No sich aber die Leute weigerten, ihm diese doppelte Zahlung zu machen, trieb er Pferde oder Kühe, oder was er gerade fand, mit fort. Dieser Bursche, einer jener grünen, vorreifen Jungen, aus denen fast das ganze untere brasilianische Veamtenthum besteht, hieß Jose Iguazio da Silva Netto. Die Leute geben Etwas auf einen hübschen langen Namen, und können denselben auch höchst eigenthümlicher Weise so oft verändern, wie es ihnen beliebt. — Wenn mir z. B< der Name Netto gefiele, was aber nicht der Fall ist, so brauchte ich es nur, als Brasilianer, in einer der Zeitungen bekannt zu machen, daß ich von heute an den Namen angenommen oder dem Meinigen zugefügt hätte, und die Sache wäre damit vollständig erledigt. Jose Iguazio da Silva Netto wußte aber recht gut, daß er allein kei-Nen Eindruck auf die Colouistcu machen könne; er hatte deßhalb seinen Fiscal, einen Mulatten, und noch drei ausgehobene Nationalgardisten 318 bei sich. Diese letzteren trugen ihre gewöhnlichen Waffen, der Stenercollector aber und sein Mulatte waren mit einem Säbel behängen und trugen den Gürtel mit Dolchen und Pistolen gespickt. Die ganze Gesellschaft glich auf's Haar einer im Lande umherziehenden Räuberbande, und war auch, bei Lichte betrachtet, eigentlich nicht viel weniger. Die friedlichen Colonistcn aber, durch das freche Benehmen der Brasilianer eingeschüchtert, zahlten meist, oder flüchteten auch aus der Colo-nie, ihnen gar nicht zu begegnen; nur Einzelne weigerten sich, der unverschämten Forderung Genüge zu leisten, und einem armen Deutschen, der schon seit zehn Jahren an einem entsetzlichen Beingeschwür leidet, wurde sogar sein letztes Pferd ohne Weiteres fortgetrieben. Diesem Zug, von dem ich schon Viel erzählen gehört, begegnete ich gerade, als ich durch die Colonie ritt, in einem schmalen Pfade. Mein Pferd einzügelnd, stellte ich es quer über den Weg, und zwang dadurch die über solche Frechheit wohl etwas erstaunte Cavalcade zn halten. Ich frug jetzt den jungen Bengcl, wer ihm das Recht gegeben habe, den doppelten Betrag der Steuern einzucassiren und für den einfachen 319 zu quittiren — und wer ihn ferner antorisirt habe, ohne Nichtcrsprnch das Gesetz selber in die Hand zu nehmen, und den Leuten ihre letzte Kuh, ihr letztes Pferd wegzutreiben? So verdutzt war er dabei über die eben nicht höflich gehaltene Frage, daß er mir ganz artig darauf antwortete: die (Hmm-a municipals. Ich versicherte ihm abcr, daß die eanlLra municipal« zu solchen Handlungen nie ihre Einwilligung geben würde, oder, wenn sie dieselbegeben würde, kein Recht dazu habe. Jedenfalls würde ich mich aber direkt an den Präsidenten der Provinz wenden, und ihn von diesem gesetzloseil Treiben in der Provinz in Kenntniß setzen. Damit lenkte ich mein Pferd herum und ritt ruhig zwischen dem mich unschlüssig anschauenden Trupp hindurch, der nächsten kleinen Colonie zu, die dicht am Wege lag. Dort blieb ich vor dem Fenster halten, einen Augenblick mit den Leuten zu plaudern. Es konnte mir dabei nicht entgehen, daß die fünf Bewaffneten sich angelegentlich mit einander unterhielten, auf einmal Kehrt machten, und mir nachgcsprengt kamen. Der Stenercollcctor hatte sich, wie es sich herausstellte, vor den Anderen geschämt, sich von einem Fremden einschüchtern zu lassen, und kam mir jetzt nach, um mich 320 wahrscheinlich einzuschüchtern und zu fragen, wer mir das Necht gegeben habe, ihn, einen kaiserlichen Beamten, auf offener Straße anzuhalten und zur Rede zu stellen. Die eine große Sattelpistole, die er vorher an der Seite stecken gehabt, stak jetzt ganz vorn im Gürtel, und er sah mich mit einem Blick an, als ob er mir mit Vergnügen eine Kugel durch den Kops jagen würde. Ich ließ mich aber auf keine weitere Unterhandlung, die auch zu Nichts führen konnte, ein, sagte ihm nur: ich wisse jetzt Alles, was ich wolle, und er würde sich nächstens darüber zu rechtfertigen haben, wie er hier sein übertragenes Amt verwaltet, nnd ritt wieder ruhig zwischen den Herreu durch, meinem Nachtquartier zu. Am nächsten Abend schon schrieb ich abcr meinen Bericht an den preußischen Consul in Porto Alegre, mit der Bitte, meinen Brief dem Präsidenten zu übersetzen, uud entwarf ebenfalls eine Eingabe der Coloniften für den Präsidenten, worin sie diesen von dem ungesetzlichen Verfahren des Collectors in Kenntniß setzten, und um Abhülfe und Untersuchung baten. Die Coloniften hatte ich vorher aufgefordert, sich auf das Entschiedenste zu weigern, etwas Anderes zu zahlen, als wofür sie Quittung bekommen, und ^321 sich ruhig von dem Collector pfänden zu lassen, ^ bis das Gericht entschieden habe. Hätte ich es mit Anderen als mit Deutschen zu thun gehabt, so würde ich ihnen den Nath gegeben haben, Gewalt mit Gewalt zu begegnen; jedenfalls hätte ich das selber gethan. Meine Landsleute sind aber, wie bekannt, dazu viel zu gute Unterthanen, und haben noch keinen rechten Begriff von dem, was es heißt, „sich selbst zu schützen." In wilden Ländern besonders hat dcr immer Necht, der sich selber Recht zu verschaffen weiß, und wird der immer getreten, der sich eben treten läßt. Nach allem Vorhergesagten scheint sich also herauszustellen, daß diese Colonie in einer sehr traurigen Lage sei, und eine höchst dunkle Zukunft habe. Das Erste ist zum Theil der Fall, das Zweite dagegen nicht. Es fehlt, wie schon gesagt, den Colonisten keineswegs an gutem und brauchbarem Land, sondern nur einzig und allein an Verbindungswegen, um das, was sie ziehen, auch zu verwerthen. Die sind aber zu beschaffen, und werden auch in der That im Laufe der Zeit für Torres und seine Colonie beschasst werden. Man geht nämlich damit um, aus Torres eine Hafenstadt zu machen, da die Barre von Rio Fr. Gerstäckcr, Nchtzchn Monate in Süd-Ameiila. III. 21 322 Grande, oder jene Sandbank, die sich vor den Hasen von Rio Grande legt, mit jedem Jahre unsicherer wird, und mehr nnd mehr Schiffe kostet. In der That ist es nicht selten mit Lebensgefahr für die Passagiere verknüpft, an Bord eines Dampfers auf der Barre zu kommen, und schon deßhalb wäre es wünschmswerth, einen neucn und besser gelegenen Hafen in der Provinz zu haben, der jene gefährliche Ein- und Ausfahrt umgehen könnte. Dann würde auch natürlich eine Eisenbahn zwischen Torres und Porto Alegre nöthig werden, und eine Unmasse der herrlichsten Ländereien, die jetzt vollkommen nutzlos in der Wildniß liegen, könnten auf eine reiche Zukunft rechnen. Dieser Hafen wird nun, meiner Meinung nach, allerdings nie in Torres gebaut werden, obgleich die Negierung ihn neulich hat durch Kriegsdampfer untersuchen lassen, und obgleich er von diesen für tauglich dazu befunden ist, aber dafür wird desto sicherer eine Eisenbahn zwischen Porto Alegre und dem vortrefflichen Hafen von Santa Catharina in's Leben gerufen werden, und dem Lande nicht die Hälfte des Geldes kosten, wie die Anlegung eines Hafens in Torres, sondern den beiden Provinzen am Nio Grande und Santa Catharina noch ungleich mehr Segen bringen. 323^ Es existirt dabei kein Terrain in der Wett, das glänzender für eine Eisenbahn wäre, als gerade diese Strecke, und mit Ausnahme einiger Flüsse, die überbrückt werden müssen, giebt es fast gar keine Schwierigkeiten, während jene ganze, der Bahn folgende Hügelkette die schönsten und fruchtbarsten Distriete brach liegen hat, die nie bearbeitet werden können, wenn ihnen nicht eine solche Abzugsquelle verschafft wird. In Tones ließe sich allerdings ein Hafen schaffen, ja, aber nur mit ganz enormen Kosten, über welche die Negierung nicht einmal eine ordentliche Controle führen könnte, da Tausende von Steinlasten eben nur in das Meer geworfen werden müssen, um einen Damm herzustellen, welcher der ganzen Wucht des Atlantischen Oceans trotzen könnte. Wer solche Arbeiten schon an einer Küste gesehen hat, die dem Damm nicht den geringsten Schutz selber bietet und ihre Brandung auf Hunderte von Meilen ungehindert gegen den Strand schleudert, der weiß, was das zu bedeuten hat, und wie es wahrlich nicht mit kleinen Mitteln auszuführen ist. Wäre es freilich unumgänglich nöthig und bliebe kein anderer Ausweg, gut, dann frisch an's Werk, und auch das Schwierigste mit frischem Muthe begonnen. Wo aber Brasilien, nur 21^ 324 etwas weiter im Norden, schon einen so vortrefflichen Hafen, wie den von Santa Catharina, hat, und einige zwanzig Legoas Eisenbahn das nicht allein umgehen, sondern noch dazu eine um so größere Strecke Land dem Verkehr eröffnen können, da wäre es eine große Thorheit, die sehr unsichere Arbeit dieses Hafens vorzunehmen, und ich hoffe, im Interesse Brasiliens, daß sich die Regierung auch in diesem Sinne entscheiden wird. Oeffentliche Arbeiten in Brasilien, wie überhaupt in Süd-Amerika, kosten stets sehr große Summen, denn erstlich ist der Arbeitslohn sehr hoch, und dann wollen zu viele Leute (Angestellte und Beamte) jede solche Gelegenheit benutzen, um ihre gewisse Anzahl von lüouwl, ät; 1i0i8 bei Seite zu bringen. Auch eine Eisenbahn von Santa Catharina nach Porto Alegre würde viel Geld kosten, deren Auslagen wären jedoch möglich zu überwachen, und sie würde sich dafür auch ganz vortrefflich, und zwar mit jedem Jahre besser, rentiren. Allein das Steigen der benachbarten Re-gierungsländereien müßte fast den vollen Betrag decken. Die Stadt Rio Grande verlöre allerdings dadurch einen großen Theil ihres Handels, ein großer Theil der Kaufleute zöge sich aber jeden- 325 falls nach Porto Alegre hinüber, während Anderen doch noch immer der enorme Export der Saladeros in getrocknetem Fleisch, Häuten, Hörnern und Knochen gesichert bliebe. Brasilien ist ein reiches Land, ihm fehlen jedoch überhaupt gute Verbindungswege; die aber erst einmal eröffnet, so muß es die natürliche Kornkammer für alle seine Nachbarn casti lianischer Abstammung werden. Mit ihren ewigen Revolutionen kommen diese nie dazu, das friedliche und Frieden brauchende Gewerbe des Ackerbaues zu treiben, und, mit selber fruchtbarem Boden, müssen sie Jahr für Jahr ihr Geld außer Land schicken, um Lebensmittel aufzukaufen. Der Ritt nach Torres und zurück war außerdem — ganz abgesehen davon, daß ich manche Erfahrung im Colouialwesen sammelte — gar nicht so uninteressant, denn ich konnte besonders sehr deutlich die Bodenbeschaffenheit des hiesigen Küstenstriches beobachten, die sich fast an dem ganzen Ufer vollkommen gleich bleibt. Reitet man von dem Strand ab, in das innere Land hinein, so überschreitet man zuerst den noch flachen Nferstreifen, der an seinem äußersten Rande von der Fluth bewaschen wird, und nur weiter zurück anfängt höhere Haufen lockeren weißge- ^26^ bleichien Sandes zu zeigen. Je weiter man sich vom Meere entfernt, desto größer werden diese Haufen, die schon beginnen zu Hügeln anzuschwellen, und hier und da einen kleinen, mit hartgrünem Laub bedeckten Busch auf ihren Gipfeln tragen — das erste dürftige Zeichen beginnender Vegetation. Noch weiter hin sind diese Hügel, die jedenfalls durch, aus dem Meere herausgewaschenen und durch den Wind aufgewehten Sand gebildet wurden, mehr bewachsen, und in den da-zwischanliegenden Niederungen oder stachen Stellen haben sich Pflanzenfasern angeworfen, und bildet sich ein noch sehr spärlicher GraZwuchs, der aber an Kraft zunimmt, je häusiger die benachbarten Büsche werden. Noch weiter hin liegt eine lange Neihe noch immer nicht sehr hoher, aber an dem Westhange schon dicht bewachsener Hügel, deren Grund zwar. vollkommen aus weißem Sande besteht, aber jetzt schon an ein tragfähiges, mit der üppigsten Vegetation gefülltes Thal anstößt, und hat man auch dieses gekreuzt, dann findet man, daß sich der Boden anfängt Zu gelbem oder rothem Lehm zu bilden, bis noch weiter hin das eigentliche Urgestein, Granit und Porphyr, zu Tage tritt. Kalkgestein findet sich in diesen Strichen fast gar nicht, 327 und die Bewohner sind genöthigt Muschelkalk zu brennen. EZ kann dabei keinem Zweifel unterworfen sein, daß das Meer in früheren Jahrtausenden bis an die Serra oder den hohen Nucken des eigentlichen Gebirgsstockes stieß und nur durch sein eigenes Wüthen und Toben sein Ufer mehr und mehr auffüllte und sich selber dadurch auch natürlich mehr und mehr beschränkte. Noch am heutigen Tage können wir ja ganz das Nämliche dicht am Strande beobachten, wie dort die Hügel durch den angewehten Sand langsam wachsen, und haben sich diese nur erst einmal so viel Zwi-schenranm erobert, daß eine aufkeimende Vegetation nicht mehr von neuen Sandschichten bedeckt und zerstört werden kann, so bildet sich eben ein neuer, mit Grün bewachsener Hügelstreifen. Wo der Boden rein sandig war, und ich habe das von Porto Alegre bis hierher bestätigt gefunden, wuchs fast ausschließlich eine kleine Art wilder Dattelpalme, die im Herbst auch eine der Dattel nicht unähnliche, nur geringere und runde Frucht tragen soll. Die Brasilianer nennen sie die kutm-Palme. Weiter in den Hügeln drinnen steht aber eine wundervolle Vegetation von allen Arten von Pal- 328 men durchstreut, denn hier endlich hatte ich doch ein etwas milderes Klima erreicht, und fand wenigstens Morgens kein Eis mehr. Mit dieser Vegetation machte ich aber viel nähere Bekanntschaft, als mir eigentlich lieb war, denn mein Mhrer, jener Deutsche aus Torres, beschrieb mir die verschiedenen Vaumarten, und zeigte mir, unter anderen, auch einen Stamm, den er nmw olio nannte (Augentödter) und der eine sehr ätzende Milch haben sollte. „Die Milch" sagte er, „schmecke bitter und unangemehm." Ich ritt an den Bauin hinan, mitten zwischen die Dornen und Schlinggewächse hinein, hieb mit meinem Jagdmesser in den Stamm, und als eine flüssige Milch heraustropfte, netzte ich den Finger damit und kostete die Masse. — Ich sollte es schwer büßen. — Zuerst brannte es mich wie Feuer in der Kehle, — ich blieb auch in der That drei oder vier Tage heiser danach ^ und während wir weiter ritten und mir der Deutsche sagte, daß ein Tropfen der Milch, in das Auge eines Menschen gespritzt, die Sehkraft todte, wurde mir so übel uud schwindlich zu Muthe, daß ich an einen, nicht weit vom Wege stehenden Orangenbaum hinritt und eine Frucht pflückte und aussog. Es war eine „sauere" Orange, 329 und wenn mir die auch für einen Moment Linderung schaffte, gewann das genossene Gift bald wieder die Oberhand. Ich war übrigens vollkommen unbesorgt, denn meine gesunde Natnr hilft mir bei allen solchen Gelegenheiten, und ließ mich denn auch diesmal nicht im Stiche. Das Schwerste warf mein Magen wieder über Bord, und nachträglich half der Körper wacker nach, aber ich war an dem Abend so matt, daß ich kaum auf den Füßen stehen konnte, und mußte in der That die Kraft dieses BanmsafteZ bewundern, von dem ich nicht einmal einen halben Tropfen verschluckt haben konnte. Ordentlich fabelhaft ist die OrangMmasse, die überall, wo nur eine Hütte steht, die menschlichen Wohnungen mit einem wahren Fruchtwald umgiebt, und überall bedecken sie den Voden und werden von Schweinen und Kühen, ja selbst von Pferden und Hunden gefressen. Das Blatt einer Fächerpalme (weun^) liefert außerdem noch, in großem Ueberfluß wachfend, eine ganz vortrefflich hanfähnliche Pflanzenfaser, die fast gar nicht zu zerreißen ist, wird aber, außer M sehr geringen Quantitäten zum eigenen Be-barf Einzelner, gar nicht benutzt und verwerthet. Von Torres aus, wo ich mir noch ein Pferd kaufte, um das bisher gerittene, das sich jedoch 330 vortrefflich gehalten hatte, mehr zu schonen, bekam ich durch die Freundlichkeit eines Brasilianers einen Führer bis zu einem kaowuäei'0, der, nicht weit vom Meeresufer entfernt, eine sehr große und blühende Besitzung haben sollte. Ich erreichte dessen Wohnung am 22. August Abends — Gott hat es recht gut mit dem Menschen gemeint, daß er ihm nur den engen, ihn umgebenden Gesichtskreis zu überschauen gestattet — und fand den Eigengenthümer selber nicht zu Haus. Er wurde aber auf den Abend erwartet, und der maM- äomo des Platzes lud mich freundlich ein, näher zu treten. Ich glaubte, er machte erst Scherz, denn der Ort, in den er mich hineinnöthigte, war eine große Maniokmühle, in der auf der einen Seite ein Ochse im Kreis um einen aufrecht-stehenden Schaft spazieren ging und dabei die Wurzeln auspreßte, während auf der andern Seite etwa zwölf oder vierzehn Neger und Negerinnen, mit auch ein paar jungen weißen Mädchen saßen, und die auf einem Haufen liegenden Wurzeln abschabten und dadurch zum Auspressen zurichteten. Er war aber in vollem Ernst; das schien in der That das Empfangszimmer der Familie, und ich mnßte lachen, als nur ein paar W1 Negermädchen einen Tisch und einen Stuhl brachten und Beides dicht neben den Ochsen hinsetzten. Gleich darauf brachten sie mir aber auch, als erste Erfrischung, ehe das Abendbrod fertig war, Kaffee und Gebackenes, und eine alte würdige Dame, die Mutter des Eigenthümers, begrüßte mich jetzt, ließ sich eine Tasse bringen und setzte sich zu mir, um mir, wie sie freundlich sagte, Gesellschaft zu leisten. Als wir getrunken hatten und sie wieder aufstand, hätte ich recht gut ein Unglück haben können, denn ich trat zur Seite, um ihr Raum zu geben, und nicht an den verwünschten Ochsen denkend, der dicht neben uns, mit verbundenen Augen sein Lebensziel verfolgte, gerieth ich in den Zauberkreis und fühlte mich auf einmal zwischen den Hörnern der Bestie. Die alte Dame schrie laut auf, ich sprang aber mit einem Satz aus dem Vereich des Thieres, sehr zur Freude der darum-hersitzenden Schwarzen, mitten ill einen Korb geschabter Wurzeln hinein, und kam diesmal mit dem Schreck davon. Um acht Uhr wurde das Abendbrod, ebenfalls M der Maniokmühle, die auch zum Speisesaal zu dielten schien, hereiugebraHt, und drei junge Damen 332 mit zwei Verwandten oder Männern kamen jetzt ebenfalls herbei, um daran Theil zu nehmen. Die vorhandenen Wurzeln waren indessen alle geschabt und gepreßt worden, der Ochse wurde ausgespannt und hinausqelassen, und ich glaubte gegründete Hoffnung zu haben, mein Bett bald suchen zu können, denn ich war von dem scharfen Tagesritt etwas müde geworden. Da knarrten und ächzten draußen die Näder eines der schweren uttbehülflichen Wagen, der große Thorweg flog auf, und herein in den Speisesaal kam: ein paar Ochsen mit einem Wagen voll frischer Wurzeln hinter sich. Die Ochsen wurden ausgespannt und wieder hinausgeführt, den Wagen kippten die Neger auf, daß die Last von selber herausfiel, und dann begann die ganze Arbeit von Neuem. Frischer Vorrath wurde geschabt, der Drehochse kam wieder herein — man wurde ganz schwindlich, wenn man ihm nur zusah — und es dauerte wohl bis zehn Uhr, ehe der neue Vorrath erschöpft und beseitigt war. Und ich saß dabei, den Kopf auf meinen hinter mir liegenden Sattel gestutzt, und hielt jetzt, einsam und allem, in dem halben Licht der Hütte, eine lange, recht trübe Dämmerstunde—und da- 333 heim? — Gott hat es recht gut mit dem Menschen gemeint, daß er ihm nur den engen, ihn umgebenden Gesichtskreis zu überschauen gestattet. Endlich schlug die Zeit, wo wir schlafen gehen konnten, und es ist eine ganz vortreffliche brasilianische Sitte, daß dem Reisenden, wo er auch sei, vor dem Niederlegen ein warmes Fußbad gebracht wird. Die Negerin lieferte ebenfalls ein paar Pantoffeln und dann noch eine Tasse Kaffee, und ich schlief die Nacht vortrefflich. Am nächsten Morgen kam der Eigenthümer der Facienda früh zurück, begrüßte mich sehr freundlich und versprach mir, direkt nach dem Frühstück einen Führer für mich bereit zu haben, der mich wenigstens auf die nächste Facienda bringen konnte, um dort einen andern bis zur Lagune zu bekommen. Mit dem herrlichsten Sonnenschein ritt ich, etwa acht Uhr Morgens, aus, und blieb die Nacht in einer sogenannten v«näa (ein kleiner Kramladen), dicht am Strande des Meeres. Am nächsten Tage sollten wir aber die „Stadt der Lagune" erreichen, und es war vorher eine sehr häßliche Passage durchzumachen, die Pferde nämlich durch den breiten Arm einer sehr großen La- 334 gune schwimmen zu lassen, die ihre Wasser hier in den Atlantischen Ocean mündete. Das sind die Freuden und Leiden eines Reisenden; denn mit erschöpften Thieren eine so weite Wasserpartie zu machen, ist immer keine Kleinigkeit, und man riskirt, das Wenigste dabei, die Pferde. An dem Nachmittag erhob sich außerdem, wo wir bis jetzt fast Windstille gehabt, ein scharfer Südwind, und mein Führer, ein junger Mulatte, schüttelte sehr bedenklich mit dem Kopfe und meinte: wir würdet! wohl heute nicht hinüberkommen. An dem Nachmittag traf ich, an einer kleinen Binnenlagune, einen Alligator, den ersten, den ich bis dahin in Brasilien gesehen hatte. Ich stieg ab, schoß ihn durch den Kopf, und schnitt ihm dann, sehr zum Erstaunen meines Führers, den Schwanz ab, um ihn mir heute Abend, als lang-entbehrten Leckerbissen, braten zu lassen. Nachmittags um drei Uhr etwa erreichten wir die Lagune, und was ich befürchtet, sah ich bestätigt, das Wasser derselben nämlich von dem heftigen Winde so wild aufgeregt, daß sich die kleinen kurzen Wellen mit ihren weißen Kämmen überstürzten. Am Ufer wohnte der Fährmann, der Reisende 335 in einem Canoe überfetzt, und als wir ihn vor sein Haus riefen, meinte er kopfschüttelnd: „Heute ginge es nicht, ausgenommen, ich wollte die Pferde riskiren." „Und was wird morgen für Wetter?" „Noch mehr Südwind; der Himmel sieht gerade danach aus." „Also hinüber!" Ich konnte dort nicht zwei Tage liegen bleiben, denn auf mir unerklärliche Weise hatte mich in diesen Tagen eine ganz eigene Umruhe erfaßt, die mich nur immer weiter und weiter trieb. Ich glaubte aber nicht lange nach einem Grunde suchen zu müssen, denn das Heimweh ist ein scharfer Sporn, und wen es einmal gefaßt hat, dem gönnt es keine Ruhe mehr. Der Fährmann ließ sich auch endlich bereit finden. Wir ritten nach dem Landungsplatz hinunter, legten unser Gepäck in's Canoe und nah-Men die Pferde dann an die Halfter, um sie an denen durchschwimmen zu lassen. Der Platz gefiel mir aber nicht im Mindesten, denn die Passage war sehr breit und die See ging sehr hoch, was die Thiere natürlich um so viel rascher ermüdet. Es blieb aber keine Wahl: entweder zwei, drei Tage hier liegenbleiben, oder durch, und durch! war die Losung. 336 Im Anfang ging die Sache gut; mein Brauner (mein Führer hatte sein Pferd zurückgelassen) schwamm vortrefflich, und wenu ihm auch einmal eine Welle über den Kopf schlug, schüttelte er sich das Salzwasser aus den Ohren und arbeitete weiter. Der in Torres gekaufte Graue aber, der mir in der letzten Zeit auch nicht ordentlich gefressen hatte, fing schon an, wie wir kaum ein Drittheil des Weges hinter uns hatten, langsamer zu schwimmen und wurde augenscheinlich marode. Der Fährmann und ich ruderten indessen, während der Mulatte die Pferde hielt, wacker zu, und kamen glücklich bis zu etwa zwei Drittheilen des Weges, als der Graue plötzlich ausgab und anfing sich auf die Seite zu legen. Er sank dabei unter und schluckte Wasser, kam wieder herauf und schlug mit den Vorderbeinen so wild um sich, daß ich fürchtete, er könne das Canoe treffen.- Glücklicherweise hatte er, bei seinem Nmherwerfen, dem Braunen eins versetzt. Dieser, um ihm aus dem Wege zu kommen, warf sich zwar Anfangs quer vor das Canoe, als ich ihm aber mit dem andern Ende des Lassos eins au den Kopf gab, schwamm er nach vorn zu, und ich sah, daß cr tüchtig dem Lande zuarbeitete. 337 „Bindet den Lasso fest!" schrie mir der Fährmann zu. Das war schon, während er sprach, geschehen, und indeß der Braune jetzt das Canoe und den Grauen dmch's Wasser zog, erwischte ich diesen beim linken Ohr und hielt ihm wenigstens den Kopf in die Höhe. — Näher und näher kamen wir dem Lande, unruhiger und höher ging aber auch auf dieser Seite die See, und der Hintertheil des Grauen sank schon — er konnte nicht mehr schwimmen, und hätte ich ihn losgelassen, wäre er rettungslos gesunken. Ich ließ aber nicht los, und nach etwa zehn Minuten, die ich sobald nicht wieder durchleben möchte, näherten wir uns endlich der hohen sandigen Nferbank, der andern Seite. Der Graue fühlte plötzlich mit den herunterhängenden Hinterbeinen festen Grund und richtete sich, neu belebt, empor. Der Braune hatte schon das Ufer erreicht und zog uns am Lasso hinan, und wenige Minuten später standen wir Alle sicher, die beiden Thiere aber am ganzen Leibe zitternd, auf festem Boden. Dort ließ ich sie auch'etwa eine halbe Stunde ausruhen, um sich nur in Etwas zu erholen, gab dem Fährmann ein sehr gutes Fährgeld, wie er es woh! seit langer Zeit nicht gehabt, und ritt Nr. Geistäcker, Achtzehn Monate in Süd-Anicrila. III. 22 338 dann langsam der „Stadt der Lagune" zu, die ich etwa eine Stunde vor Dunkelwerden erreichte. Die „Stadt der Lagune" liegt wirklich reizend, an einem weiten Binnensee, durch den sie auch eine ziemlich rege Verbindung mit dem Innern erhält. Außerdem hat sie einen recht guten und sichern Hafen für kleine Seeschiffe, aber eine eben so schlechte Ginfahrt, wenn auch nicht solche Barre, wie Nio Grande. Der Canal eignet sich aber, wie es scheint, nur für die Vinnenschiff-fahrt, also für kleine Schooner, und könnte blos dann sich verwerthen, wenn sich das Fahrwasser eben vertiefen und sichern ließe. Ob darüber schon Untersuchungen angestellt sind, weiß ich nicht; der Platz wird aber jedenfalls weit größere Bedeutung erlangen, wenn erst einmal eine ordentliche Verbindung zwifchen den Provinzen von Rio Grande und Santa Catharina hergestellt ist. Jetzt scheint es nur ein trauriges Nest zu sein, m dem ich nicht einmal LandZleute fand, und mich mit meinem Portugiesisch auf sehr bösartige Weise abquäleu mußte. Und dennoch hatte ich hier einen ganzen Tag bleiben wollen, um meinen Thieren nach der gestrigen Wasserpartie Nuhe zu gönnen, als ich zufällig von einem deutschen Ingenieur 339 hörte, der sich einige Zeit hier in der Nähe aufgehalten habe, um verschiedene Ländcreien zu vermessen, heute aber gerade im Begriff stehe, nach Santa Catharina aufzubrechen, wo er seinen Wohnsitz habe. Da ich selber in der Lagunenstadt gar keinen Führer bekommen konnte, wäre mir Nichts erwünschter gewesen, als in seiner Begleitung meine Reise fortzusetzen. Es blieb nur die einzige Schwierigkeit, ihn, wenn er noch da war, aufzufinden, da er sein Logis schon verlassen hatte. Doch auch das gelang mir. Es war ein junger Deutscher aus guter Familie, ein Herr von Brause, der mich als Reisegefährten eben so freudig begrüßte, Wie ich ihn, und wir brachen noch an dem nämlichen Nachmittag auf, um von hier ab, bei ziemlich gutem Wege, unsere Thiere für heute auf einem kleinen Tagesmarsch nicht zu sehr anzustrengen. Unser Nitt bis Santa Catharina, zu dem wir aber noch immer fast drei Tage gebrauchten, bot Nichts besonders Merkwürdiges, nur daß sich die Scenerie hier sehr zu ihrem Vortheil veränderte, und wir besonders den letzten Tag einen ganz wundervollen Nitt durch ein dicht besiedeltes, mit den reizendsten cbaFrg.8 bedecktes Land hatten. Wenn auch noch nicht innerhalb der Wendekreise, 340 denn selbst die Insel Santa Catharina liegt noch 27 Grad Süder Breite, fand ich doch hier schon eine ausschließlich tropische Vegetation, nnd jede Ansiedelung hatte Hr kleines Zuckerfeld, ihr Kaffeewäldchen, ziemlich stämmige Bananen nnd einen wahren Garten von blühenden und fruchttragenden Orangen. An den Häufern wuchsen außerdem eine Masse wunderhübscher Blumen, unter ihnen besonders eine alte Bekannte, die ro^a 8üi«i8i8 oder die Schuhblume der Malaven, welche die Stiefeln der Europäer damit wichfen. So wohlthuend diese Umgebung für mich war, so unterrichtend zeigte sich zu gleicher Zeit mein Neisegefährte, der schon seit längeren Jahren als Landvermesser der Negierung in dieser Provinz lebte und, mit keinem eigenen Interesse, da er sich nirgends selber angesiedelt hatte, mir die genaueste Auskunft über das geben konnte, was mir gerade am Meisten am Herzen lag: der Zustand der deutschen Colonien der Provinz. Er kannte besonders Vlumenau, Donna Fran-cisca und Brusque genau, wie er denn vorzüglich am Itachahy vermessen hatte, und sagte mir außerdem, daß ich noch in Santa Catharina Andere finden würde, die im Stande wären, aus 341 eigener Anschauung jede gewünschte Aufklärung zu geben. Zudem wollte ich ja die Colonien selber besuchen, und konnte mir deßhalb bessere Vorarbeiten nicht wünschen. Neberall hier im Lande fanden wir zerstreute Deutsche wohnen; größtentheils Leute, die auf Regierungskosteu herübergekommen waren, und die Colonien dann verlassen hatten, um sich auf eigene Hand anzusiedeln. > . Es wird immer, und, wie ich glaube, mit vollem Necht, ein nicht unbedeutendes Geschrei erhoben, wenn den Auswanderern von den Ncgie-rungen irgend ein Punkt in ihren abgeschlossenen Contracten nicht gehalten werden sollte. Ebenso verdient aber auch die andere Seite eine Erwähnung und Rüge, und das ist die, daß sich die deutschen Auswanderer auch verwünscht wenig an den Wortlaut ihrer Contracte halten, wenn ihnen eine passende Gelegenheit erscheint, sich zu verbessern. Ich habe das nicht allein in Peru, Chile und den La Plata-Staaten, ja selbst in Ecuador bestätigt gesunden, und Brasilien lieferte nur wieder den nämlichen Beweis, und zwar in Masse. Eine Menge von Auswanderern, die auf Staatskosten herübergeschafft waren, und daheim mit gro- 342 her Freude und Dankbarkeit das Erbieten annahmen, hier im Lande auf eine bestimmte Co-lonie zu ziehen und die ihnen vorgestreckten Gelder nach und nach wieder abzuzahlen, brachen diese eingegangenen Contracte ohne die geringsten Gewissensbisse, sobald sie nur das fremde Land kostenfrei erreicht hatten und eine Aussicht für sich eröffnet sahen, mit ihrem Handwert Geld zu verdienen. Daß bei einem solchen Contract ihr eigenes Rechtlichkcitsgefühl und ihre Ehre auch mit betheiligt sein könnte, fiel ihnen nicht im Traum ein, und noch von Deutschland her gewohnt — wie das leider nur zu oft der Fall ist — die Regierung selber als eine Art von unnahbarem Feind zu betrachten, mit dem man ewig auf Kriegsfuß steht, tragen sie diese gute Meinung auch auf die fremde Negierung über, die ihnen doch bis dahin nur Gutes erwiesen und sie zur Dankbarkeit verpflichtet hat. Ich übertreibe darin gar nicht, denn ich habe den Beweis dafür in Deutschland nur zu oft bis auf Kleinigkeiten hcrab gesehen. Ein deutscher Häusler oder Bauer wird sich z. B. nicht die gering-stm Gewissensbisse machen — wo es ihm auf Pri- 343 natland nie einfallen würde — aus einem herrschaftlichen Walde Holz zu stehlen. Er gehört ja „blos der Negierung, und die kann's missen." Daß die Sache selber, auch auf Negierungsland, ein gemeiner Diebstahl ist, fällt ihm nicht ein, oder er würde sich sonst doch vor seiner eigenen Familie, vor seinen Kindern scheuen, ihn zu begehen. So rechnet er denn auch nicht die eingegangene Verpflichtung, durch seiner eigenen Hände Arbeit — und zwar nur durch Arbeit für sich selber—das ganze Land mit helfen werthvoll zu machen, was doch fremde Negierungen bei dem kostenfreien Neberfahren von Colonisten allein im Auge haben, und sobald die Wagschale seines eigenen Nutzens nach einer andern Seite überwiegt, läuft er wie Quecksilber davon ab, und der neuen Richtung zu. Daß es die Negierung wirklich gut auch mit ihm meinen könnte, will ihm nicht in den Kopf, denn er hat darin eben zu wenig Erfahrung. Santa Catharina gegenüber 'liegt ebenfalls eine kleine deutsche Colome, die einen regen Verkehr mit dieser Infel sowohl wie mit dem Festland unterhält. Ueberhaupt scheint von hier an, nach Nord und Nord-West hinein, der Deutsche überall vertreten und überall vortrefflich zu gedeihen, denn 344 wo ich ein deutsches Haus betrat, war ein gewisser Wohlstand nicht zu verkennen; jedenfalls lebten die Leute sorgenfrei, und wohin ich auch hörte, fand ich das selbst Gesehene bestätigt. 4. M Znsel Santa Oathanna und die benachbarten deutschen Kolonien Die Insel Santa Catharina liegt wahrhaft wundervoll, und schon auf dem Nitt dahin, wenn wir einmal wieder das Meeresufer erreichten, oder von einer Höhe aus einen freien Blick gewannen, boten selbst nach See zu die vielen kleinen zerstreuten Inseln, über denen Santa Catharina mit seinen bewaldeten und mit dem üppigsten Grün bedeckten Gebirgen lag, einen gar so freundlichen und lieblichen Anblick. Santa Catharina war dabei, sonderbarer Weise, seit meiner frühesten Jugendzeit das eigentliche Hauptziel meiner Fahrttn gewesen, ohne daß ich es bis jetzt je erreichen konnte. Ich hatte nämlich einmal, in einem alten Buche — von wem? weiß ich jetzt selber nicht mehr — eine glühende Be- 346 schreibung dieses Eilandes gelesen, nach der es mit Cocospalmen bedeckt sein sollte — und die Cocospalme war früher ein Hauptmagnet für mich, weil sie Alles in sich begriff, was ich nur unter tropischer Seenerie dachte. In späteren Jahren, und nachdem ich schon etwas in der Welt herumgekommen, überlegte ich mir die Sache freilich etwas genauer, daß nämlich Santa Catharina noch ein ganzes Stück außer den Tropen draußen liege, und ein solches Klima, wenn es anch gewiß warm da wäre, doch nicht eigentlich die Heimath der Cocospalme sein könne. Das schadete aber Nichts, Santa Cathanina lag mir schon zu lange im Herzen, um mit einer solchen Thatsache den ganzen Neiz Hinausphilosophiren zu können, und als ich sie endlich, nach langem, mühsamem Nitt, in duftiger Ferne vor mir liegen sah, war es ordentlich, als ob irgend ein altes Märchen meiner Jugend Gestalt und Leben gewonnen hätte. Die Insel übrigens, die sich viele Leguas lang an der Küste hinabzieht, und früher, aller Wahrscheinlichkeit nach, mit dem festen Lande zusammengehangen hat, ist selbst jetzt nur noch durch einen ganz schmalen, aber ziemlich tiefen Seearm von ihr getrennt, so schmal in der That, daß 347 gute Pferde hinüberschwimmen können, und auch ziemlich oft diese Neise machen müssen. Meinen ermüdeten Thieren wollte ich das aber nicht zu-muthen, und ließ sie vor der Hand auf dem festen Lande, um sie später auf einer sogenannten balsa (zwei mit Vretern überlegte Canoes) hinüber-schaffen zu lassen und dort zu verkaufen, denn wenn ich auch die Neise von hier aus noch hätte zu Lande verfolgen wollen, mußte ich dazu doch jedenfalls frische Thiere haben, oder diese wenigstens ein paar Wochen rasten lassen. Nach Santa Catharina brachte uns jetzt eines der reizend und ganz vortrefflich gearbeiteten brasilianischen Canoes, die ich wirtlich nirgends in der ganzen Welt zierlicher und auch praktischer gearbeitet gefunden habe. Eine frische Brise jagte uns dem freundlichen Land entgegen, und vor uns ausgebreitet lag indessen die kleine Stadt, dicht in eine Bucht hineingeschmiegt und von ziemlich hohen bewaldeten Bergen überragt. Die Insel hat übrigens eine ganz vortreffliche geographische Lage, und in der Straße, die sie zwischen sich nnd dem Continent bildet, auch einen recht guten Hafen, und zwar von hier bis zur Südgrenze des ganzen Reiches hinunter den einzig brauchbaren. Alle Fahrzeuge können dabei mit 348 , jedem Winde ein- und auslaufen, indem sie entweder nach Süden oder nach Norden segeln, und die kleine Stadt bildet schon jetzt den Hauptaus-gar gspunkt sür die sämmtlichen, in der Provinz, Santa Catharina liegenden, sehr bedeutenden Co-lonien. Eben so Irgen die von Nio Grande wie Rio de Janeiro kommenden Dampfer hier an, und winde oder wird erst einmal eine Eisenbahn vom Festland aus nach dem Süden hinuntergebaut, dann kann dies einer der bedeutendsten Handelsplätze Brasiliens werden. Anch hier fand ich eine Anzahl von Deutschen, die überall geachtet und gern gesehen waren, und zwar Aerzte, Kaufleute und die verschiedensten Handwerker. Die Letzteren waren meistens von den verschiedenen benachbarten Colonien herübergekommen, und Manchen gefiel es und sie gedachten hier zu bleiben; Andere kehrten zu den Colonien zurück. Auch ein deutscher Maler lebte hier, ein junger Mann, der sein Atelier in Dresden verlassen hatte, um in Brasilien Natmstudien zu-machcn, und einen tessein Flcck dafür sände er wohl auf der Welt nicht. Meine Erkundigungen, die ich aber einzog, 349 auf welche Art und Weise nämlich ich am Besten die von hier nicht mehr so weit entfernten Colo-nien Vlumenan und Donna Francisca besuchen könne, brachten mir nicht den gewünschten Erfolg. Es besteht allerdings zwischen Santa Catharina und St. Francisca — die der Colonie Donna Francisca gegenüberliegende Insel, eine Dampfschiff-Verbindung, die, dem Namen nach, regelmäßig war. Der Himmel bewahre aber einen Jeden vor der brasilianischen.Dampfschifffahrt, die ihre Fahrzeuge dazu verpflichtet zu haben scheint, eine ordentliche regelmäßige Verbindung unter keinen Umständen einzuhalten. Gegen den Wind können diese schwachen Boote kaum von der Stelle rücken, und mit dem Winde, wenn er sehr stark ist, riskiren sie eben so wenig auszulaufen So sind sie stets wochenlang hinter ihrer Zeit, und obgleich monatlich in Santa Catharina sechs Dampfer von Norden und Süden eintreffen sollen, versicherten mich doch die Bewohner der Insel, daß schon Zeiten gewesen wären, in denen in 28 Tagen kein einziges eingetroffen sei. Erwartete ich also wirklich eines der Boote, das eben so gut uoch vierzehn Tage wie vier Wochen ausbleiben konnte, so war ich dann gerade so unsicher, ob mich das nächste 350 innerhalb eines Monats wieder abholen würde, und ich hätte jedenfalls den Besuch dieser Colonie auf mindestens zwei Monate Zeit anschlagen müssen. Allerdings fuhren-auch zu Zeiten Segelschiffe dorthin ab, diese aber boten womöglich noch größere Unsicherheit, da die Brasilianer traurige Seeleute sind, uud gegen den Wind schon gar nicht aufkreuzen. Haben sie nicht ganz günstigen und dabei nicht zu starken Wind, so laufen sie irgendwo hinter ein Vorgebirge und gehen da ruhig vor Anker. Was Zeitverlust ist, wissen alle Süd-Amerikaner nicht. Zwei Monate länger von daheim; ich war nicht im Stande, mich zu dcm Gedanken zu zwingen, und nur noch ein Ausweg war mir geblieben, die Reise eben zu Lande zu machen, wo ich die ganze Tyur hätte in etwa drei Wochen erzwingen können, aber dazu — gehörte Geld, und meine Neisekasse war durch die übermäßigen Anstrengungen schon gefährlich erschöpft. Eine eigene Unruhe überkam mich dabei, ich wußte selber nicht weßhalb; ich war schon über fünf Viertel-Jahr wieder von daheim, und die letzten Briefe datirten von gar so langer Zeit Muck. In NW de Ianeno lagen neuere; ich sah mit Sehnsucht meiner Ankunft in Rio de Janeiro 351 entgegen. Lauteten die Briefe dann günstig, so mußte ich gerade das dort zurück nach St. Francisco gehende Boot treffen, uud vielleicht ließ es sich dann doch noch möglich machen. Das nächste Boot nach Nio de Janeiro wurde in etwa acht oder zehn Tagen erwartet, legte aber nirgends unterwegs an, und die Zeit benutzte ich denn nach besten Kräften, in Santa Catha-rina fo viel als irgend möglich von deutschem Leben in Brasilien zu hören und zu sehen. Einen bessern Platz dafür hätte ich mir auch nirgends aussuchen können, denn es gab fast keine Colonie in ganz Brasilien, die nicht hier ihre Vertreter hatte, und über die mir nicht fünf, sechs verschiedene Menschen hätten Auskunft geben können. Außerdem bestand hier, in einer Art Castell, in See hinausgebaut, und mit der Insel durch eine Brücke verbunden, das Hauvt-Auswanderungs-— oder vielmehr Einwanderungshaus, in dem alle die vowNio de Janeiro für die Provinz geschickten Co-lonisten untergebracht wurd«n, bis sie nach dem Orte ihrer Bestimmung mit einem oder dem andern Segelschiff oder Dampfer befördert werden konnten. Das „Auswanderungshaus," wie es gewöhnlich genannt wird, war gerade in dieser Zeit von Deutschen angefüllt, da lange tein ordentlicher 352 Süd-Wind geweht hatte, sie einzuschiffen, und eben so wenig in den verschiedenen Colonien gleich Land genug vermessen schien, sie ohne weitere Schwierigkeiten unterzubringen. Die drei Hauptcolonien in der Nachbarschaft waren, wie schon vorher erwähnt, Vlumenau Donna Francisca und Brusque — die Letztere nach einem frühern Präsidenten so genannt. Merkwürdig übereinstimmend lauteten dabei alle Berichte über diese Colonien, und zwar sprachen sich fast alle sehr günstig über Vlumenau aus, wohin auch von den in Santa Catharina an^ gesiedelten Deutschen sämmtliche Colonisten gewiesen wurden, die eine selbstständige Wahl hatten und noch unentschieden waren. Ein Blick auf eine etwas ausführliche Karte Zeigt die Lage Blumenaus. Es liegt an dem Fluß Itachahy, so daß die Colonisten ihre Producte mit Leichtigkeit den Strom hinabschissen können. Kleine Fahrzeuge sind sogar im Stande, den Strom hinauszulaufen, um dart an Ort und Stelle gleich Zu laden, und mit gutem, fruchtbarem Boden haben also die Colonisten Producte und — Absatz dafür. Die Colonie gehörte früher dem Doctor Vlu-menau, nach dem sie auch benannt ist, privatim. Er hat sie aber, seit nicht langer Zeit, an die 353 Regierung abgetreten, und ist jetzt nur von dieser eingesetzter und besoldeter Direktor darauf. Auf der Colonie soll aber eine recht gute Ordnung herrschen, und die Colonisten schienen etwas Ordentliches vorwärts gebracht zu haben. Arbeiten müssen sie freilich dort so gut, wie an jedem andern Orte, wo aber der Lohn mit der Arbeit im Verhältniß steht, kann man sich das schon gefallen lassen. Blumenau schienen auch die wenigsten wirklichen Colonisten wieder verlassen zu haben, und Alle, die sich nach Santa Catharina gewandt, waren uur, wie das gewöhnlich der Fall ist, Handwerker, die in Deutschland in einer großen Stadt gelebt hatten, und sich nun nicht auf dem Lande und unter lauter Landsleuten, denen sie keine brasilianischen Preise abverlangen konnten, wohl fühlten. Lange nicht so viel Gutes hörte ich über die, von Hamburger Agenten stets mit so glühenden Farben herausgestrichene Colonie Donna Francisca. Die Verbindungen mit dem innern Lande wie mit der See sind dort allerdings noch leichter als in Blumenau, aber das Land selber ist dürftig, und lohnt nur zu häufig die Arbeit nicht. Diese Colonie wurde vom Prinzen Ioinville gegründet, und von der Negierung außerordentlich protegirt, denn man soll viele Tausende darauf verwandt haben. Die Lage Fr. Gerstäckei, AchtzchnMonate in Tüd-Amnitll. III. 23 354 dieser Colonie ist außerordentlich günstig, und bei der Wahl des Platzes wurde darauf jedenfalls besonders Rücksicht genommen. Gute Communications-Wege sind auch allerdings einer Colonie unumgänglich nöthig, aber — sie dürfen nicht den alleinigen Maßstab abgeben, denn wenn auch der beste Boden einer Colonie Nichts ohne Absatzwege hilft, so helfen auch ihrerseits die Absatzwege Nichts, wenn die Colouie eben Nichts, oder nur Wenig produciren kann. Am Besten charakterisirt die Thatsache beide Colonien, daß Blum enauProducte und Lebensmittel ausführt, daß aber in Donna Francisca Vohnen sowohl wie karmria (Maniokmehl) noch jedes Jahr müssen eingeführt werden. Die Uebersiedelung nach der Colonie Donna Francisca ist sehr leicht und am wenigsten kostspielig, dennoch wurde, während ich in Santa Catharina war, allen Einwanderern von den dort lebenden Deutschen angerathen, lieber die Colonie Blumenau zu ihrem nächsten Ziele zu wäh'len, und nur Einige gingen nach Donna Francisca ab, die schon zu Haus dahin bindende Con-tracte gemacht hatten. Urbrigens sollen die Deutschen, nach allcn Berichten, die ich darüber gehört, auf beiden Colo- 355 men sehr flott und gemüthlich leben, und mit Liebhabertheatern und geselligen Zusammenkünften dem Colonisten-Dasein auch andere, als rein praktische Seiten abzugewinnen suchen. Ob das Urtheil, was ich darüber vernahm, ein gegründetes ist, weiß ich nicht, die Leute behaupten aber, in Donna Francisca sei es mehr ein „glänzendes Elend" und viele der dort lebenden Colomsten, die meist den gebildeten Ständen angehörten, stäken in tiefen Schulden! Hoffentlich ist das nicht der Fall, und ich erwähne es hier nur, weil ich es von Männern mitgetheilt bekam, die eigentlich die Verhältnisse dort sehr genau kennen müßten. Höher als Blumenau, ebenfalls am Itachahy, liegt die neuere Colonie Brusque, mit ebenfalls recht gutem Boden und im Stande, ihreProducte zu verwerthen. Die Colouien sind dort aber auf höchst ungeschickte Weise in regelmäßige Quadrate, und ohne die geringste Rücksicht auf Höhen und Bäche zu nehmen, vermessen, so daß ein Colonist in den Fall kommen kann, seine Colonie mitten auf einem Hügelrücken zu finden, ohne einen Tropfen Wasser, während ein Anderer die seine von zwei, drei Bächen Zugleich durchschnitten und zerstückelt sieht. Man ist jetzt übrigens von diesem System der Vermessung zurückgekommen, da 23* 356 man das vollkommen Unpraktische und Verderbliche derselben eingesehen. Außerdem liefen Klagen über Klagen gegen den dortigen Direktor, einen deutschen Baron, ein, der sich, wenn nur die Halste von dem Erzählten wahr sein mochte, sehr große Parteilichkeiten und Unregelmäßigkeiten hatte zu Schulden kommen lassen. Die Klagen sind übrigens schon der Negierung übergeben, und werden jedenfalls genau untersucht werden, so daß die Colonic nicht weiter davon zu leiden hat. Ueberdies wird in Brasilien zuviel regiert, und ich habe es schon an vielen Orten gefunden, daß gerade die Deutschen, sobald sie eine gewisse Gewalt in die Hand bekommen, am allermeisten tyrannisiren und am Kleinlichsten dabei verfahrm. Allerdings mag das zu ihrer Rechtfertigung dienen, daß sie dafür zu Haus in einer guten Schule waren, aber cs bleibt doch immer traurig, daß dem so ist. Daß der Präsident von Santa Catharina — sonst ein anerkannt braver Mann — zur Zeit sehr leidend war, und seine Frau an feiner Statt domi-nirte, gerade wie ich dort war, zur Entrüstung aller Vessergesinnten, cinen anerkannten Lumpen mit bedeutendem Gehalt anstellte, und einen rechtlichen Mann, dcr ihr eben nicht schmeichelte, aus seinem Amte zu bringen suchte, ist gar nichts Au- 357 ßergewöhuliches, und kommt au allen anderen Orten ebenfalls vor. In Brusque kam aber noch außerdem dazu, daß von dem Direktorium eine gewisse Zahl Soldaten, angeblich zum Schutz der Colonie gegen Indianer, verlangt war. Wunderbarer Weise lagerten aber diese brasilianischen Krieger — zu denen die größten Halunken des ganzen Landes verwandt werden — nicht etwa an der Grenze der Colonie, wie man das natürlich finden würde, sondern am Flusse, in der Nähe des Direktionsgebäudes. Die Indianer hätten also erst durch die ganze Colonie gemußt, um zu ihnm zu gelangen, und mau benutzte sie auch nur gegen die Colouisten selber, mit denen sie einige recht häßliche Scenen hatten. Der Direktor hat nämlich auch zugleich Pal-donygcwalt, indem ihn die Regierung mit zum Delegado oder Subdelegado ernennt, ünd welche nachtheilige Folgen das auf eine Colonie haben kann, hat sich an vielen Stellen in Brasilien gezeigt. So viel muß mau aber freilich auch bestätigen, daß der Posten eines solchen Colonw Direktors, wenn der Mann wirklich seine Schuldigkeit thun will, keine Kleinigkeit ist. Aerger und Arbeit hat er dabei 358 genug, und macht sich gewöhnlich noch viel mehr, als nöthig ist. Ich selber sehe dazu nicht einmal die Nothwen-digkeit'eines' Direktors für solche eine Colonie ein — wobei ich jedoch cingchehen muß, daß darin sämmtliche Direktoren anderer Meinung sind. Die peruanische deutsche Colonie hat keinen Direktor, sondern einen selbstgewählten Bürgermeister, und die Leute lebten in Frieden mit einander — mehr als sich vielleicht von irgend einer der diri-girtcn brasilianischen Colonien sagen läßt. Jedenfalls kommt es einmal auf cinen Versuch an, es ohne Direktor mit einer neuen Colonie zu Probiren, und wenn sich das dann unter Halbwege günstigen Aussichten bewährt, so tonnte die Negierung selber viel Geld und viel Acrger ersparen, und hätte — so viel Beamten weniger. Ich wilf aber auch nicht leugnen, daß in manchen Colonien gerade die Direktoren sehr viel Gutes gestiftet haben, wenn eben „der rechte Mann an die rechte Stelle" kam. Solche Beispiele sind aber doch immer zu zahlen, und mau darf sie nicht für maßgebend halten. Von den weiter nördlich gelegenen Colonicn weiß ich Wenig oder gar Nichts. Die Meinung Solcher aber, die mit jenen Stellen bekannt sind, 359 geht dahin, daß selbst bis in die Breite von Rio de Janeiro hinauf, also bis zur Grenze der heißen Zone, in den Hochebenen Deutsche recht gut und bei voller Gesundheit aushalten können. Donna Isabel z. B. in der Provinz St. Paulo heißt > bei vielen Deutschen die „Mustercolonie," weil sich der dortige Direktor ebenfalls sehr viel Mühe mit der Colonie gegeben, und ein tüchtiger Mann seinsoll. Das Klima ist dort vollkommen gesund, und man darf es sich keineswegs übermäßig heiß denken. Selbst in Nio de Janeiro steigt der Thermometer nie über 28 Grad, das aber wäre allein keineswegs ein Beispiel für ein gemäßigtes Klima, denn 28 Grad das ganze Jahr hielt bei harter Arbeit der gesündeste und stärkste Körper nicht aus, und müßte solcher anhaltenden Hitze erliegen. In den Hochebenen Brasiliens hat man sich aber über zu unmäßige Hitze wahrlich nicht zu beklagen, denn als ich später Morgens von dem über Nio de Janeiro liegenden Petrovolis wegfnhr, fror mich ganz anständig, und ich war froh, als wir das niedere uud dadurch weit wärmere Land wieder erreichten. Man muß immer denken, daß man, selbst in Rio de Janeiro, noch an der unmittelbaren Grenze der gemäßigten Zone liegt, und nur mit drei, 360 vier tausend Fuß Höhe schon in eine so gemäßigte Temperatur hinaufkommt, daß Einem an kalten Wintermorgen die Zähne klappern. Trotzdem würde ich aber keinem Auswanderer rathen, in Brasilien sich nördlich von Nio de Janeiro hinauszuwagen. Dort ist kein Aufenthalt mehr für den Colonisten; er kann da nicht mehr mit der Sclavenarbeit concurriren. Er ist von dem eingebildeten Brasilianer, der Arbeit für eine Schande und das Geschäft der schwarzen Race halt, nicht mehr geachtet, und fällt er jenen Facenderos gar in die Hände, so muß er daK mit langen Jahren recht schweren und sauren Schweißes büßen. Nicht genug kann man es deßhalb unseren deutschen Landsleuten zurufen: geht keine Con-tracte in Deutschland ein, deren Tragweite Ihr daheim nicht verstehen könnt, mögen sie noch so lockend und ehrlich klingen. Alles hängt dann immer davon ab, ob Ihr es mit einem ehrlichen Contrahenten zu thun habt, was, wie ich nicht leugnen will, möglich fein kann, aber immer unwahrscheinlich — jedenfalls eine Seltenheit bleibt. Will er Euch aber betrügen, so giebt ihm der unverfänglichste Paragraph dazu Gelegenheit, und der arme, der Sprache nicht einmal ordentlich 361 mächtige Deutsche ist in dem fremden Lande im wahren Sinne des Worts verrathen und verkauft, und nie im Stande, die Gesetze zu seinem Schutz anzurufen. Die Auswanoerungs-Agenten daheim arbeiten dazu nur Zu gern jenen Facenderos in die Hände, denn Beide haben ja nur ein Interesse, und der „dumme Bauer" wird mit einer wahren Grausamkeit von dem ^inen erst gepflückt und dann dem Andern zugeworfen. Der „dumme Bauer" ist eigentlich eine sehr unpassende Benennung, denn unser Bauer ist im Ganzen gar nicht so dumm, und hat sogar einen gewissen Grad von Schlauheit, der ihn mit einem ziemlich richtigen Instinct dorthin leitet, wohin sein eigener Vortheil liegt. Nur was die Auswanderung betrifft, so scheint er manchmal wie ordentlich vor den Kopf geschlagen, und das ihm überhaupt eigenthümliche Mißtrauen gegen Jeden, der einen anständigen Nock trägt, liefert ihn selber in die Hände der Agenten, und giebt diesen die für ihn gefährlichste Waffe in die Hand. Geh'dort oder dort nicht hin, rufen ihm Alle zu, die es ehrlich mit ihm meinen, „warum nicht?" — frägt er den Agenten, der die Sache verstehen muß, denn er hat ja ein großes Schiff vor der 362 Thür, und spricht über Amerika, als ob er dort geboren und nur einmal auf Besuch nach Europa gekommen wäre. — „Warum?" sagt dieser, „weil sie Euch hier behalten wollen, weil sie Euern Schweiß und Euere Taxen brauchen und Euch Euer Glück da drüben in Amerika nicht gönnen. Darum — die Negierungen lasseu das selber in die Zeitungen setzen, damit Ihr so dumm sein sollt und das glauben, und nachher haben sie Euch fest." - So unwahrscheinlich das auch klingen mag, dem Bauern leuchtet das vollkommen ein. Die Regierungen haben ein Interesse, daß er dableibt, die wollen ihn hier behalten; der Agent hat ganz recht, wenn er sagt, „was hätte ich denn dabei, wenn ich Euch sagen wollte, da drüben ist's gut, wenn es nicht wäre, ich verliere oder gewinne doch Nichts, ob Ihr da oder dort hin geht" — das ist also ein ehrlicher Mensch, denn der hat kein Interesse, und wohin der ihn schickt, da geht er jetzt ruhig hin, und wenn es in einen Parcerie-vertrag nach Brasilien wäre. Wir Anderen dürfen uns die Finger wund schreiben, und wenn es auch eine Art Trost ist, sich sagen zu können — nicht etwa: „Du hast Deine Schuldigkeit gethan, -sondern vielmehr: was dumm ist, muß geprügelt 363 werden," so thut es Einem doch leid, so viele Landsleute in überall gestellte Schlingen fallen und den Unschuldigen so oft mit dem Schuldigen leiden zu sehen, denn was haben die armen Frauen gethan, die solcher Art nur zu oft mit in eine wahre und offene Sclaverei geschleppt werden? In Santa Catharina sprach ich auch eine Anzahl armer Deutscher, die aus ihren Parcerie-verträgcn — Vielen durch das energische Auftreten H. v. Mäusebach's dazu verholfen — erlöst waren und jetzt auf Regierungskostm nach solchen Co-lonien, die sie selber bestimmten, hinübergcschafft wurden. Die Schilderung, die sie mir von ihrer fast zehnjährigen Gefangenschaft gaben — denn ich kann es kaum anders nennen, war recht traurig, und der beste Beweis für das Erzählte das dürftige und elende Aussehen der Unglücklichen. In Santa Cruz hatte ich auch Colonisten getroffen, die kaum oder eben zehn Jahre im Lande waren, und härter hatten diese anch nicht gearbeitet, als ihre armen, in solche Verträge gelockten Landsleute, und wie gut und behaglich befanden sich jene auf ihren eigenen Colonien, in bequemen Häusern, mit weiten Strecken Land urbar gemacht, mit Vieh und Pferden und außerdem einer gesunden Familie, und welche Jammerbilder waren 36^ dies, hohlwangig, krank, abgemagert und abgerissen, und nicht einmal Geld genug in den langen Jahren erspart, ihre eigene Passage nach einem andern Nohnplatze zahlen zu können, ja selbst ohne alle Mittel, auch nur Brod für die Ihrigen zu kaufen. Es war das die sprechendste Illustration zu allen Parccricvcrträgen, die ich je in der Welt hätte finden können, und nie werde ich die Resignation vergessen, mit der die arme Frau mir * sagte. „Nun, wir haben doch wenigstens die langen Jahre in Brasilien etwas gelernt, und werden uns jetzt doch- wohl so viel verdienen, daß wir leben können." Diese Leute wurden ebenfalls von den dort wohnenden Deutschen nach Vlumenau gewiesen, wohin sie mit deni nächsten Schiffe abgehen sollten. Die Negierung giebt ihnen dort Land, und es wird ihnen hoffentlich da besser gehen, als in den so romantisch geschilderten Kaffeewäldern, in denen sie fast zehn Jahre ihrcs Lebens als halbe Sclaven ihr Leben hinschleppen mußten. Santa Catharina hat selber besonders Kaffeebau, und der von dieser Insel gewonnene, ziemlich großbohnige Kaffee wird als der beste aller benachbarten Distrikte gehalten. 365^ Früher fand ebenfalls ein großer Export von Hölzern aus diesem Hafen statt. Wunderbarer Weise hat aber die Regierung, die oft ganz fabelhafte Finanzexperimente macht, einen solchen Ausfuhrzoll darauf gelegt, daß sie gar nicht mehr ausgeführt werden können, und mir mehrere Kaufleute genannt wurden, die verschissbares Holz in ihren Lagern hätten und es dort ruhig verfaulen ließen, denn sie hätten bei einem Export nur Geld zugesetzt. Die natürliche Folge davon ist, daß die ganze Insel jetzt gar keine Einnahmen hat, und gerade bei meiner Anwesenheit stand der Kassenbestand der Negierung so, daß nicht einmal die Beamten bezahlt werden konnten. Santa Catharina ist aber auch in Brasilien einer eigenen Art von Industrie wegen berühmt, und zwar der der künstlichen Blumen, die hier Mit fabelhafter Geschicklichkeit, und zwar aus dem verschiedenartigsten Material fabricirt werden. Die eigenthümlichsten sind die aus Fischschuppen gefertigten; dann die aus Federn, womit jedoch auch Nio de Janeiro und Bahia concurriren, und dann sogar aus Hobelspänen, und die Leute haben es zu einer Fertigkeit gebracht, die wirklich erstaunlich ist. Auch die Preise, um welche man 366 diese Sachen kauft, sind äußerst mäßig, weil der Arbeitslohn, besonders für Frauen, ein so geringer ist. Neberhaupt lebt man in Santa Catha-rina, bei einem wundervollen Klima, am Billigsten in ganz Brasilien, und Kranken, die einer Luftveränderung wegen bis jetzt Madeira besucht haben, und nicht gesonnen sind, die Madeira-Prellereien über sich ergehen zu lassen, würden meiner Meinung nach in dieser Insel einen vollen und reichen Ersatz für jene finden. Nur auf Cocospalmen dürfen sie sich keine Hoffnung machen, wenn mir auch jene alte Neisebeschreibung derartige Bilder vorgespiegelt hatte. Es steht auf der ganzen Insel keine einzige wirkliche Cocospalme, und nur die Palme real. ist in der Stadt angepflanzt, und wächst auch, mit anderen Blumen desselben Geschlechts, zahlreich genug in den Bergen. Wundervoll ist die landschaftliche Schönheit Santa Catharinas, und ich weiß mir die Zeit nicht zu erinnern, wo ich einen größern Genuß gehabt hätte, als dort bei einem Sonnenuntergang, niit dem stillen Meeresarm im Vordergrund, die wirklich malerischen Hügel der Insel selber, mit der allerliebsten Stadt um mich her, und die großartige Formation der Gebirge auf dem gegenüber- 367 liegenden Continent, mit fünf scharf abgeschiedenen Schichten in ihren verschiedenfarbigen Tinten. Oh, die Welt ist so schön I so wunderbar reich hat Gottes Güte seine herrliche Erde ausgestattet, und nur des Menschen Leidenschaften stören, nicht die Harmonie des Ganzen — aber doch sein eigenes Glück, das er so leicht und mit so wenig Mitteln finden könnte. 5. Mo de Janeiro. Mein Aufenthalt in Santa Catharina, der mir durch viele dort gefundene Freunde ein recht angenehmer wurde, nahte sich feinem Ende, denn das lange und sehnlich erwartete Dampfboot kam zuletzt doch vom Rio Grande herauf, und setzte seine Reise noch an dem nämlichen Abend wieder fort. Der Aufenthalt an Bord bot nichts Besonderes und war fo unangenehm wie möglich, denn in Santa Catharina, wo ich meine Pferde wieder verkaufen mußte, bekam ich für die ermüdeten Thiere einen fehr geringen Preis, und überhaupt knapp an Geld, hatte ich, um nicht neue Schulden zu machen, Zwischendecks- oder vielmehr Deck-Passage genommen, denn ein Zwischendeck gab es gar nicht an Bord. Drei Nächte blieben wir unterwegs; drei Nächte 369 mußte ich auf dem offenen, nicht einmal durch eine Leinwand geschützten Vorderdeck schlafen, und drei Nächte regnete es natürlich, was vom Himmel herunterwollte. Meine gute Natur half mir aber auch hier durch, unter meinen Satteldecken schlief ich vortrefflich, und das Fatalste bei der ganzen Sache war, daß ich die dritte Nacht hätte recht bequem im Hotel zubringen können. Denn wir liefen schon um 8 Uhr Abends (das zweite Mal, daß ich diesen Hafen in dcr Nacht anfuhr) in die Bay ein; lagen aber die ganze Nacht dort ruhig vor Anker, weil — keine Passagiere mehr gelandet werden durften, und dabei regnete es von 10 Uhr Abend bis Sonnenaufgang. Aber ein wundervolles Schauspiel hatten wir trotzdem, denn der 7. September war das eigentliche Freiheitsfest der Brasilianer, das am 8., dem Tag unserer Ankunft, noch nachgefeiert wurde, und während die weite Stadt, an der wundervollsten Bay der Welt, vollständig illuminirt war, stiegen fortwährend Leuchtkugeln und Raketen darüber auf, und boten, bei dem düstern Nachthimmel, einen prächtigen Anblick. Am nächsten Morgm um 9 Uhr würd m wir endlich erlöst, und durften, ohne weitere Revision Fr. <Ä cr stä 6 cr, Achtzehn Monate in Hüb-Amerila. III. ^4 370 unseres Gepäcks, da wir aus einem brasilianischen Hafen, kamen, an Land gehen. Mir stand aber noch Schreckliches mit meinem Koffer bevor, den ich direkt von Buenos Ayres nach Nio de Janeiro geschickt hatte, und der Nichts in der Welt als getragene Sachen und Wäsche enthielt. Zwei volle Tage mußte ich in der Al-fandega, dem Steuergebäude, liegen, und zwar mit einem Commis des Hauses Stockmeyer, der sich freundlich meiner annahm, und einem besonderen Desvotchanten, bis ich mein Gepäck endlich mit mir nehmen durfte. Wie viele Male die betreffenden Papiere unterschrieben werden mußten, weiß , ich gar nicht genau, zwei Mal wurde der Koffer aber in zwei verschiedenen Lokalen geöffnet und visitirt, und die Kaufleute in Nio versicherten mich, daß' die Umstände auf dieser Steuer in das Unglaubliche gingen und den ruhigsten Menschen zur Verzweiflung bringen könnten. Die Kanflcute müssen freilich darunter leiden, aber jede Sache hat zwei Seiten, und für den Staat ist wahrscheinlich dieses nach allen Seiten bindende, vollständig complicate System der Versteuerung das einzige Mittel, dem rasenden Unterschleif der Beamten entgegenzutreten und ihn un- 371 möglich zu machen, oder doch wenigstens, so viel das angeht, zu erschweren. Früher soll die Veruntreuung auf der Steuer auf das Großartigste und Frechste betrieben worden sein, was zugleich dem Staat eine seiner Haupteinnahmen auf gefährliche Weise untergrub, und es wird überhaupt wenig Länder in der Welt geben, wo die unteren Beamten so vollständig corrumpirt sind wie, nicht allein in Brasilien, sondern in allen südamerikanischen Provinzen. Wirkliche Arbeit wollen die jungen Burschen der ganzen eingeborenen Bevölkerung nicht thun; es denkt kaum einer daran, ein Handwerk zu erlernen, der nicht in ganz niederen Verhältnissen geboren ist; Geld haben sie auch nicht genug, ihr faules Leben auf Lebenszeit zu fristen, und das Einzige, was ihnen jetzt übrig bleibt, ist eine Anstellung vom Staate, die beliebte Stallfüttcrung zu erhalten. Diese aber genügt ihnen eben so wenig mit ihrem geringen Gchalt, und während sie sich selber von den übernommenen Arbeiten so fern als möglich halten, suchen sie unter jeder Bedingung Nebenverdienste, bei denen ihnen ihre Ehrlichkeit selten im Wege steht. Welche traurige Wirthschaft unter diesen Beamten, meist ganz junge grüne Burschen, herrscht, 24" 372 davon hörte ich während meines Aufenthalts in Rio die wirklich haarsträubendsten Berichte, und sah selber genug davon auf der Post, um völlig, was mich betraf, befriedigt zu sein. Eine größere Confusion, als auf der Rio-Post, kann nicht gut auf der Welt herrschen, und die Paar jungen Laffen, die sich dort herumräkelten, schienen dem wartenden Publicum nur dann und wann einmal einen Brief aus Gefälligkeit abzuliefern. Im Nebengebäude hängen die Tafeln mit den Namen der in der Post liegenden, noch nicht abgeholten Briefe, 30 oder 35 Bretter beklext, verschmiert, halb abgerissen. Ich fano dort meinen Namen mit der daranstehenden Nummer und ging wieder in die Expedition, um ihn abzufordern. — Er war nicht da. — Ich ging wieder über die Straße in die andere Abtheilung, und nahm eins der Bretter von der Wand und mit mir, ohne daß mich der Posten nur im Mindesten daran verhindert hätte, und zeigte jetzt dem jungen Laffen — jedenfalls eine Kreuzung von Mulatte und Indianer, den Namen und die dahinterstehende Nummer. Es half Nichts, der Brief war nicht da, und kam erst, als ich gar nicht abließ und wieder und wieder hinging, Nachmittags unter einer ganz andern Nummer zum Vorschein. 373 Eben so wenig fordern sie dem, der einen Brief abholt, und was ihnen doch die Gesetze vorschreiben, die geringste Legitimation ab. Ich kann hingehen und jeden Brief verlangen; wenn er überhaupt zu finden ist, bekomme ich ihn — Legitimation abfordern — das wäre zu viel Mühe. Dabei spricht nicht ein Einziger der jungen Vengel Englisch oder Französisch, bei den Tausenden von Fremden in Nio, sondern Nichts weiter, als seine Muttersprache — das Einzige, was er überhaupt auf der Welt gelernt hat. Nnd nur der einzige Brief fand sich, während zwei andere, die dorthin für mich gesandt waren, nie wieder zum Vorschein kamen. Nio de Janeiro ist denn auch der einzige Platz auf dieser Neise, wo ein Brief an mich verloren gegangen ist. In Guajaquil bis Quito, in Lima, in Buenos-Ayres habe ich alle meine Briefe erhalten, vier und fünf auf einmal, die fünf und sechs Monate dort gelegen hatten. Hier, wo die Briefe erst konnten vor frühestens zwei Monaten angekommen sein, waren sie spurlos unter den Händen dieses Personals verschwunden. Mein Plan, den ich mir früher gestellt, war gewesen, erst die wichtigsten brasilianischen Colo-nien zu besuchen, und dann von hier aus nach 374 Nord-Amerika hinaufzufahren, was allerdings nicht so rafch geschehen konnte, da eigenthümlicher Weise zwischen Brasilien und den Vereinigten Staaten keine Dampfschifffahrt besteht, ja nicht einmal zwischen Rio und Westindien, Panama oder nur der englischen Colonie Demarrara im Norden, wo sie sich an andere Dampfbootc anschließen könnte. Ein Brief nach New-Iork oder St. Franzisko in Ca-lifornien muß deßhalb, um möglichst rasch an den Ort seiner Bestimmung zu kommen, vorher die Neise nach Bordeaux oder Southampton machen. Die unerklärliche Unruhe, die ich aber die letzte Zeit gehabt, fand in dem einen vorgefundenen Briefe noch mehr Grund. Die Zeit, die ich mir diesmal zn meiner Neise gestellt, war überhaupt schon abgelaufen, und ich faßte, unmittelbar nachdem ich ihn gelesen, den festen Entschluß, mit dem ersten Dampfer nach Europa zurückzukehren, und lieber ein anderes Jahr noch einmal den Atlantischen Ocean zu kreuzen, obgleich ich gehofft hatte, daß dies das letzte Mal sein sollte. Mit dem Entschluß fühlte ich mich aber auch vollkommen ruhig, ja herzfreudig, denn cs ging ja nun der Heimath auf dem schnellsten Wege wieder zu, und die Zeit, die mir jetzt noch bis zum 25sten, zur Abfahrt des Dampfers, blieb, 375 konnte ich mit voller Ruhe benutzen, um so viel als möglich von Rio de Janeiro und dessen Umgegend kennen zu lernen. Und wie rasch verging mir diese Zeit; denn von allen Deutschen dort auf das Herzlichste aufgenommen, mußte ich nicht allein noch einige Abstecher in die Nachbarschaft machen, sondern auch eine Audienz beim Kaiser suchen, um ihm einen kurzen Bericht über sein Land, wie seine Colonien und deren Zustände zu geben. Ich war nicht anmaßend genug, zu glauben, daß ich irgend etwas Neues und Besonderes entdeckt habe, aber ich konnte mir recht gut denken, daß der Kaiser, wenn auch Berichte in Masse, doch dieselben selten von einem Manne bekäme, der, mit mancher frühern Erfahrung auf seiner Seite, vollkommen ohne eigenes Interesse, aber auch vollkommen unabhängig zu ihm kam, und keine einzige Rücksicht zu nehmen hatte, ihm in allen Dingen die reine uud unverfälschte Wahrheit zu sagen. Es war da möglich, manches gute Samenkorn auszustreuen, und was ich indeß von dem liebenswürdigen Charakter des Kaisers selber gehört hatte, bestärkte mich nur noch mehr darin. Herr Linde (der jetzige Geschäftsträger Preu- 376 ßens in Brasilien, seit Herr v. Mmsebach geisteskrank nach Deutschland eingeschifft werden mußte) nahm sich überhaupt sehr freundlich meiner an, und führte mich auch bei dem Kaifer selber ein, der mich auf das Wohlwollendste empfing und sich für das, was ich zu sagen hatte, lebhaft zu interessiren schien. Er ging auf Alles lebendig ein, billigte oder entgegnete, und bewies deutlich, daß er sich große Mühe gegeben hatte, die Verhältnisse seines Reiches genau kennen zu lernen. Eigenthümlich war unsere Unterhaltung der Sprache wegen, in der sie geführt wurde. Ich selber war natürlich nicht im Stande, Portugiesisch zu sprechen, und der französischen wie der spanischen Sprache nicht so mächtig, das Alles, was ich zu sagen hatte, klar und deutlich und ohne Gefahr von Mißverständniß auseinander zu setzen. Ich sagte das auch dem Kaiser aufrichtig gleich bei meinem Eintreten in französifcher Sprache, und bat ihn, mir zu erlauben, Englisch oder Deutsch zu reden. Er lächelte dabei, und versicherte mich, es ginge ihm mit der englischen und deutschen Sprache gerade so, wie mir mit dem Französischen und Spanischen, aber er verstände sie vollkommen; ich möge also deßhalb getrost Englisch sprechen, und er würde mir Französisch antworten, was denn 377 auch die ganze Zeit, in der mir vergönnt wurde, bei ihm zu bleiben, geschah. Der Kaiser ist ein großer, schöner Mann, mit einem unendlich gutmütigen Ausdruck, doch lebendigem Blick, hat aber in seiner Gesichtsbildung nicht das geringste Brasilianische, sondern blonde Haare und blaue Augen. Leider bekam ich die Kaiserin und die beiden Prinzessinnen nicht zu sehen, aber mein Zweck war ja auch nicht gewesen, eine neugierige Visite zu machen, sondern dem Mann Alles zu sagen, was mir über Brasilien auf dem Herzen lag, den es am Meisten interessiren mußte, sich die Verhältnisse seines schönen und gewaltigen Reiches bessern zu sehen, und darüber Alles zu hören, was darauf Bezug hatte. Das gethan, machte ich in den nächsten Tagen einen Abstecher nach Petrovolis, der sogenannten deutschen Colonie. Die Fahrt dorthin war wundervoll und von dem schönsten Wetter begünstigt, zuerst über die reizende, inselbesäete Bay, dann eine Strecke mit der Eisenbahn durch den Wald, und dann mit, schon an der Station wartenden Omnibus oder Droschken den steilen Berg, vermittelst einer trefflichen Chaussee hinauf, bis in die eigentliche Colonie oder Stadt hinein. ^ 378 üua Kodier — an der ersten Straßenecke las ich gleich den Namen, und es hätte dessen nicht bedurft, mich zu überzeugen, daß ich uuter reinen Deutschen sei. Alles war Deutsch, und ich stieg natürlich im H6tel Meier ab. Und den Abend war Ball. Es dämmerte überdies schon so, daß sich weiter nicht viel anfangen ließ, und ich beschloß, jedenfalls den Ball zu besuchen, was ich für einen nüirei» Entree auch ohne Frack ermöglichte. Lauter deutsche Mädchen in urdeutscher Toilette, viele von ihren Müttern oder Tanten in Umschlagetüchern bewacht, und nach dem Tact im Walzer und Nutscher dahin fliegend, oder gräuliche Confusion m eine Fran^aise bringend. Ich fetzte mich, als beobachtender deutscher Schriftsteller, auf eine der Bänke, ließ mir von einem langweiligen Kerl, der in einem schauerlichen Frack und einer weißen Halsbinde herumlief und eine Art von Factotum zu fein schien, seine Lebensgeschichte erzählen, in der viel von einem gewonnenen Lotte-rieloos vorkam, und dabei die eben nicht ätherischen Paare an mir vorüberschweben. Es thut mir leid; ich bin von den Deutschen überall auf das Herzlichste aufgenommen worden, aber — der Wahrheit die Ehre — wenn ich doch auch nur 379 ein einzig hübsches — ich will gar nicht von hübsch reden — nur ein leidliches Gesicht in der ganzen Versammlung deutscher Jungfrauen gesehen hätte. Es war ordentlich merkwürdig, welche wunderliche Sammlung sich hier eingcfnnden, und doch fehlt es in den deutschen Colonien warhaftig nicht an wunderhübschen Mädchen. Ich schüttelte in aller Verwnnderung mit dem Kopfe, und mein gesprächiger Nachbar, der mir wahrscheinlich eben irgend eine überhörte Thatsache mitgetheilt hatte, versicherte mich auf sein Ehrenwort, daß es wahr sei. Natürlich entschuldigte ich mich, trank eine Tasse Chocolade, ging nach Hause, aß zu Abend und legte mich zu Bett. Am nächsten Tage machte ich mit mehreren Deutschen einen Nitt in die Nachbarschaft, und zwar auf der vortrefflichen Chaussee hinaus, die der Staat von hier ab in das innere Land mit ungeheueren Kosten schon einige zwanzig Legoas weit angelegt hat, und noch beabsichtigt ganz in's Innere hineinzuführen. Die Straße selber ist wirklich ein Musterwerk; nirgends kann es aber auch dafür besseres Material geben, als in dem Urgestein dieser Gebirge, aber Millionen wird sie tosten, bis sie erst einmal fertig ift. 380 Die Gegend um PetropoliZ ist reizend, aber nur nicht für eine Colonie geeignet, denn in den kleinen engen Thälern läßt sich kein einziges ordentliches Feld anlegen. Petropolis ist auch in der That Nichts, als ein kleines betriebsames Städtchen mit Milch- und Gartenwirthschaft und der fashionable Sommeraufenthalt der iiauw volue von Rio de Janeiro. Trotzdem hatte Petropolis bis vor Kurzem die einzige deutsche Zeitung im ganzen Reiche, die I5ra-!>Ma, deren Redacteur, Herr Vusch, indem er die Interessen der Deutschen in Brasilien eifrig verficht, dem Blatte doch mit der Zeit Geltung verschafft hat. Kein leichtes Unternehmen zwischen unseren Deutschen im Auslande, die — sie mögen mit dem Gelde sonst noch so locker umgehen, doch nur entsetzlich schwer dahin gebracht werden können, eine Zeitung wirklich zu halten, und dafür zu bezahlen. Daß ein deutsches Organ auch noch einen andern Werth für sie haben könnte, als den, den sie allwöchentlich im Stande sind, herauszulesen, fällt ihnen felten ein. Von Nio de Janeiro geht ebenfalls eine Telegraphenleitung nach Petropolis, oder ging vielmehr, denn die Drahte kamen mir nicht so vor, als ob sie einen lebendigen Verkehr unterhalten 381 könnten. Ueberall hingen sie zwischen den Stangen zerrissen ans das Gras und in die Büsche hinab, und würden jedenfalls, ehe sie wieder gebraucht werden könnten, eine nicht unbedentende Reparatur nöthig machen. Auch der berühmte „botanische Garten" auf der andern Seite von Nio, mit seiner weltbekannten Palmenallee, liegt in einem desolaten Zustande und ist in der letzten Zeit von einem brasilianischen Gärtner auf eine wirklich unverantwortliche Weise verwahrlost worden. Es ist in der That nichts weniger, als ein botanischer Garten, der in dieser Lage alle Gewächse des Erdbodens hegen könnte, und jetzt nicht einmal die Hälfte der bekannten brasilianischen Bäume und Pflanzen enthält. Dem will die Negierung aber ebenfalls jetzt begegnen, und hat in neuester Zeit einen tüchtigen deutschen Gärtner, Herrn Herbst, die Oberaufsicht und Leitung des Ganzen übergeben. Der Herr wird aber ein tüchtiges Stück Arbeit haben, das aus dem Garten erst zu machen, für was er doch eigentlich bestimmt war, und was wahrlich einer so günstig gelegenen Stadt, wie Rio de Janeiro, nicht fehlen darf. Eine Einrichtung hat aber Nio de Janeiro, oder vielmehr die Negierung getroffen, die — mir 382 wenigstens — außerordentlich gefiel und die sich auch als vollkommen praktisch bewährte. Die Regierung verkauft nämlich Orden für Geld, und es hat sich da zwar, wenn auch kein gesetzlicher, doch durch den Gebrauch angenommener Preis festgestellt, nach dem ein gewöhnlicher Orden ein bis zwei Contos — der Officiersorden mehr, und höhere bis vier, fechs und acht Contos steigen. Und wozu wurde das Geld verwandt? wozu erfüllt es noch heute seinen Zweck? — Zu der großen wundervollen Irrenanstalt, die DoH Pedro II. an der Bay von Nio do Janeiro bauen ließ, und die noch bis auf den heutigen Tag ihre Zuschüsse aus dem für Orden eingegangenen Geld erhält. Wer denn einmal sv wahnsinnig ist, daß er sich nicht mehr mit einem reinen Knopfloch glücklich fühlt, der darf sich auch nicht beklagen, wenn sein Geld für eine Anstalt verwandt wird, als deren Actionair er gewissermaßen damit auftritt, und auf dessen Verwendung zu seinen eigenen Gunsten er der Meinung aller vernünftigen Menschen nach jedenfalls ein Anrecht hat. Während ich in Nio war, wurde auch ein neuer 617 clock eingeweiht, der auf der Insel 6a5> Oodra«, der Stadt gerade gegenüber, in den 383 Felsen ausgehauen und mit einer eigenen Vorrichtung von Gummi verschlossen war. Es ist dies nämlich ein mit Gummiplatteü überzogenes Schiff, das, wenn kein Wasser im Innern ist, durch die von außen dagegcnpressende Fluth sich dicht an die Mündung schmiegt und dagegen von selber losläßt, wenn das Bassin gefüllt wird. Der Dock dient vor der Hand nur dazu, die brasilianischen Kriegsschiffe auszubessern, soll aber später auch der Privatbenutzung übergeben werden, und wenn er für den Bedarf nicht ausreicht, — was sich schon jctzt'herausstcllt, noch einen Nachbar zur Seite bekommen. Nio de Janeiro hat sich überhaupt in der letzten Zeit ungemcin vergrößert; es wird sehr viel gebaut, die Stadt ist mit Gas, die Straßen sind mit Trottoirs versehen, und gar viele große und selbst prächtige Gebäude entstanden. Das drängt und treibt Alles nach vorwärts, aber den Eingeborenen verdanken die Brasilianer das nicht, sondern nur dem regen Fremdenverkehr, der sich nach diesem bedeutenden Handelsplatz mehr und mehr hergezogen. Allerdings sind die Brasilianer zumeist die Producirenden, denn die Hauptausfuhr bleibt doch immer Kaffee und Zucker, und Alles, was die deutschen Colonisten ziehen — 384 jene unglückseligen Opfer der Parcerieverträge ausgenommen — sind lauter im Inlande bleibende Prodncte, wie Weizen, Mais und Bohnen. Fast den ganzen Import, oder wenigstens den unver-hältnißmäßig größten Theil desselben, haben aber die Fremden in Händen, und da, außer eßbaren Gegenständen, Alles importirt werden muß, was nun einmal zum Leben gehört, von der Stecknadel an bis zum Bronze-Candelaber, so läßt sich denken, daß das Geschäft kein unbedeutendes sein kann. Deutsche und Engländer haben, wie überall im Auslande, besonders bedeutende Import-Häuser, während sich die Franzosen mehr auf den Detailhandel werfen. Die Hauptstraße von Nio, die wenigstens, welche die brillantesten Läden aufzuweisen hat, und in der es zum guten Ton gehört, Abends spazieren zu gehen, die rua ü'Oviäm-, ist fast ausschließlich von Franzosen in Beschlag genommen, und man kann getrost in jeden Laden gehen und Französisch sprechen. Man erzählt sich hier eine Anekdote vom Prinzen Ioinville, der einst mit seinem Adjutanten durch diese Straße ging und erstaunt zu ihm sagte: „Aber sollte man nicht glauben hier in Frankreich zu sein?" „Dafür ist auch alle Ursache, Kömgl. 385 Hoheit," erwiederte der Adjutant, „denn rechts haben Sie Toulon und links Brest." In dieser Straße sind auch die großen Läden Rios, in denen jene reizenden Federblumen Brasiliens, und meist von jungen Französinnen, angefertigt und verkauft werden. Aber auch reges deutsches Leben herrscht in Nio, eine große deutsche Gesellschaft hat sich dort gebildet, die Germania, die mit nicht unbedeutendem Aufwand ein recht wackeres sogenanntes Museum gegründet hat. Bibliothek, Villard, Gesellschaftslocal fehlen da nicht, und eine reiche Auswahl deutscher Zeitungen liegen auf. Natürlich ist dort auch ein sehr gutes deutsches Bier zu bekommen, das aber nicht in Nio selber gebraut, sondern mit reichen Lieferungen ächten Rheinweins von Deutschland importirt wird. Die Kunst hat außerdem fast an allen Orten dnrch Deutsche ihre Vertreter, und Photographie, wie vorzüglich Lithographie werden von einigen unternehmenden Dcntschen hier betrieben, die auch ein brasilianisches Witzblatt in portugiesischer Sprache gegründet haben und sich eines bedeutenden Erfolgs erfreuen — die Gebrüder Fleiuß, denen ein tüchtiger Maler, Herr Linde, zur Seite steht. Fr. Gerstäckcr, Achtzehn Monate in SUd-Amerila III. 25 386 Die deutsche Einigkeit will freilich auch selbst nicht in dem üppigen Klima von Rio de Janeiro grünen und blühen, weil sie von dem giftigen Unkraut der Zwietracht nie hinlänglich frei gehalten wird. Es ist die alte Geschichte, aber man kann nicht sagen, daß es die Deutschen hier ärger trieben, als irgend wo anders oder daheim. Gegen einen Naturfehler kann Niemand. Nichtsdestoweniger lag mir daran, meinen deutschen Lands-leuten einmal zum Herzen zu reden, denn hat uns, daheim und draußen, je Einigkeit Noth gethan, so ist es jetzt, und wenn man durch ein freundliches Nort Versöhnung und Frieden stiften kann, warum soll man's nicht wenigstens versuchen. Von der Gesellschaft Germania wurde mir das Local freundlich zur Verfügung gestellt, aber es gab auch noch andere Vereine in Nio, und um keinem zu nahe zu treten, erbat ich mir einen öffentlichen Saal der Militärakademie, der mir von dem Direktor derselben, Hrn. Dr. Campanema — der Sohn eines Deutschen, der sich nach dem Orte, wo er geboren wurde, so genannt hat—auf das Bereitwilligste abgetreten wurde. Dcr Doktor, der übrigens vortrefflich Deutsch spricht und sich schon manches Verdienst um Brasilien erworben 387 hat, unterstützte mich dabei überhaupt in der freundlichsten Weise, und ich hatte wenigstens die Genugthuung, am Abend der Vorlesung den ziemlich großen Saal dicht gedrängt von Landsleuten zu sehen. Man sagt: was vom Herzkn kommt, geht zum Herzen! gebe Gott, daß das der Fall war, und daß wir Deutschen endlich einmal einsehen wer-dm, wie wenig wir Einer des Andern Haß verdienen, — und aus Sympathie für Louis Napoleon sollen wir uns doch wahrhaftig nicht die Augen aushacken. Dr. Campanemaist auch Einer von Denen, gegen den jetzt ein Anonymus in Deutschland — aber kein Anonymus für die Deutschen in Brasilien, die seinen Namen recht gnt kennen — scine Pfeile abschießt, und überhaupt in einer wahren Unmasse von Flugblättern das Gift feines Hasses gegen Brasilien über die Welt ausstreut. Das Urtheil, was ich in Nio de Janeiro über diesen Autor hörte, war: getäuschte Erwartungen; gekränkter Ehrgeiz! In dem Falle sollte der Haß aber doch vernünftiger Weise mehr vernünftig und systematisch zu Werke gehen, und nicht in übertollem Eifer nur spucken und sprudeln. „Ruhig Vlut, Anton!" sagt, glaub' ich, der alte Ober- 25« 388 förster in den „Jägern" — mit Verleumdungen hat noch Niemand einen ehrlichen Kampf gewonnen, und wer wirklich etwas Gutes ausrichten will, muß keine schlechten Mittel dazu wählen, oder sich nachher, wenn ihm das überhaupt noch möglich ist, vor sich" selber schämen. Der Autor jener Schriften*), die jetzt gesammelt erschienen sind, hat sich darin auch nicht entblödet, den Brasilianern mit ziemlich deutlichen Worten die (zu Wahnsinn treibende) Vergifwng des Herrn von Meuftbach vorzuwerfen. Die Deutschen in Brasilien waren entrüstet darüber, wie über den ganzen Ton dieser Blätter. Allerdings enthalten dieselben sehr viel Wahres, aber selbst ein Geschenk kann unangenehm werden, wenn man es sich mit roher Faust an den Kopf geworfen fühlt. Was den Vorschlag zur Entfernung der Schwarzen .aus Nord-Amerika betrifft, der dem „Werke" angehangen ist, fo scheint er mir viel zu naiv und kindlich, auch nur ein weiteres Wort der Erwähnung zu verdienen. *) Brasilianische Zustände und Aussichten im Jahre 1861, mit Belegen nebst einem Vorschlag zur Aufhebung der Sclaverei und Entfernung der Schwarzen aus Nord-Amerika — natürlich anonym. 389 Die Brasilianer verdienen wahrlich — wenigstens nach Allcm, was ich über sic gehört — nicht sehr viel Lob, aber es darf auch Jemand, der doch die Verhältnisse näher kennen sollte, der Re-giernng nicht Alles in die Schuhe schütten, die in einem, aus solchen Bestandtheilen zusammengesetzten constitutionellen Staate in vielen Fällen machtlos ist, und bei dem besten Willen nicht so eingreifen kann, wie sie es sür das Land am Besten hält. Meine eigene Meinung über die brasilianische Race ist übrigens anch keine günstige, und wollte ich das Alles glauben, was mir über die Familien-Verhältnisse und die Moralität der Leute und zwar nur zu oft ans recht glaubwürdiger Quelle erzählt wurde, so stände es mit der allerdings entsctzlich arg. Dinge schienen da zu den Alltäglichkeiten zu gehören, die man nicht einmal im Stande wäre wiederzuerzählen. Leider liegt es aber nun einmal in unserer Men-schennatnr, daß wir vom Nachbar immer — nach alten Polizeigrundsätzen — das Schlechteste am Liebsten glauben, und uns für Nichts mehr in-teressiren, als Unglücksfällc und Verbrechen. Ist ein Hans eingestürzt und sind zwei Menschen dabei umgekommen, so zählt das Gerücht Nach- 390 mittags vier, Abends sechs und am andern Morgen zwölf. Hat Jemand das große Loos gewonnen, so heißt es: „der hat Glück gehabt!" und man spricht nicht weiter davon — ist aber Jemand bankerott geworden, so liefert das Stoff für eine unbestimmte Anzahl von Abendgesellschaften. S'ist eine wunderliche Welt; ich will aber davon keine Ausnahme machen, und auch ein Bischen auf die Brasilianer schimpfen. Mir haben sie, was wenigstens ihr Aeußeres betrifft, nicht im Mindesten gefallen, denn es ist eine kleine, unansehnliche Race, von der man unter zehn Menschen immer sechs scrophulüse findet. Sieht man junge Leute auf den Straßen oder in ihren Bureaux sitzen — denn alle jungen Brasilianer, die einen anständigen Rock tragen, sind entweder Ladendiener oder Beamte — so hat Einer eine blaue Brille, ein Anderer Baumwolle in den Ohren, ein Dritter Drüsen und ein schmales schwarzes Tuch hinter den Ohren durchgebunden, ein Vierter sieht hektisch oder grün aus, und ein Fünfter geht breitbeinig und sehr vorsichtig vorüber. Weiß der liebe Gott, woher es kommt, aber die ganze Race scheint ungesund und entartet,, und die Deutschen haben bis jetzt auch 391 nur sehr wenig Lust gezeigt, nähere Verbindungen mit ihnen einzugehen; wenigstens fällt essehr selten vor, daß ein deutsches Mädchen einen Brasilianer heirathet. Selbst die Frauen —„Gott verzeih' mirs, wenn ich ihnen Unrecht thue" — haben mir nicht gefallen, und der Unterschied zwischen dem schönen Geschlecht mit Buenos Ayres und Montevideo sowohl, wie mit Chile und Peru, war auffallend. In Buenos Ayres und Montevideo, wo ich die elegante Welt versammelt sah, hab' ich mich wirklich an den lieben, und oft untadelhaft schönen Gesichtern der Frauen kaum satt sehen können — denn wer sieht nicht gern ein hübsches Frauenbild — und in Nio muß ich gestehen, daß ich weder in der Rua d'Ovidor, noch in der Rua dereita, noch in irgend einer andern Nua auch nur ein einzig wirtlich schönes Mädchen gesehen habe, und doch fand ich oft ganze Trupps von jungen Damen zusammen. Möglich, daß ich darin keinen besondern Geschmack habe; die Brasilianerinnen würden jedenfalls der Meinung sein, wenn sie diese Zeilen läsen — möglich aber auch, daß die Schuld nicht an mir liegt, und dann thun mir die Brasilianerinnen wieder leid. Aber ich habe mich jetzt lange genug in Rio 392 aufgehalten — vielleicht eine Seite zu lang, und es wird Zeit, daß ich an die Abreise denke, wozu vor allen Dingen ein Paß gehört. Der Reisende im innern Lande wird nicht im Geringsten mit Pässen behelligt. An der südlichen Grenze, in Iaguaron, selbst in Santa Catharina frug mich kein Mensch danach. So wie man aber ein Segelschiff oder einen Dampfer besteigt, kommt man in den Verdacht, daß man Jemandem durchbrennen will, muß sich drei Mal in die Zeitung setzen lassen und dann einen ziemlich theuern Ne-gierungspaß haben, um ungehindert reisen zu können. Ich selber kann aber darüber wahrlich nicht klagen, denn die brasilianische Regierung stellte mir, auf einfaches Ersuchen des preußischen Geschäftsträgers, sehr freundlich und ungesäumt einen selbst stcmpelfreien Reisepaß aus. Am Tage meiner Abfahrt regnete es natürlich, was vom Himmel herunterwolltc, und ich bekam dadurch noch einmal die Straßen von Nio— wovon mir fchon so viel erzählt worden— als schäumende Sturzbäche zu sehen. Menschen ohne Wasserstiefeln mußten eine Droschke nehmen oder einer ganz eigenen Industrie in die Hände fallen, 393 die sich,.mit dieser augenblicklichen Ueberschwem-mung o5l allen Straßenecken etablirte. Es waren dies nämlich kleine Trupps von Negern, die mit ihren bloßen Beinen der schmutzigen Fluth schon lachen konnten, und für eine Kupfermünze — für W oder 40 rei8— die Fußgänger über die überschwemmte Passage hinübertrugen. Ich hatte an dem Morgen noch viel zu besorgen, und da es um neun Uhr aufgehört hatte zu regnen, machte ich mich auf den Weg, und sah mich, als ich die i-ua äereitg, erreicht und jetzt vier oder fünf Querstraßen kreuzen mußte, eben so vielen Wasserstürzcn gegenüber. Noch war ich unschlüssig, ob ich die Hülfe der Schwarzen, mit meinen kalbsledermn Stiefeln, ebenfalls in Anspruch nehmen sollte, als ich ein abschreckendes Beispiel gleich an der ersten Straßenecke erlebte. Ein junger Brasilianer, sehr geschniegelt angezogen und natürlich scrophulös, kam an die Ecke, und einer der dienstbereiten Ncger nahm ihn ohne Weiteres wie ein Kind auf den Arm und watete in die Fluth hinein. In dem Moment schoß ein einspänniges Cabriolet wie ein Wetter um die Ecke, und der Schwarze gerieth mit seiner Last dicht vor das Nad. Unwillkürlich schrieen wir Alle laut auf, und der Kutscher riß in demselben Mo- 394 ment sein bäumendes Pferd am Zügel zurück, als sich der Neger mit seinem jungen Gentleman auf dem Absatz herumdrehte und zurückwollte. Auf den schlüpfrigen Pflastersteinen rutschte er aber aus, kam auf cin Knie nieder und legte den jungen scrophulösen Menschen sauber in den dunkelbraunen Wassersturz hinein, mit dem Kopf nach oben und das Gesicht in die Höhe, so daß ihm die Fluth oben in den Rockkragen hinein und unten jedenfalls wieder hinausschoß. Wahrhaft fabelhaft war die Ruhe, mit der sich der junge, in feinen Mantel eingewickelte Brasilianer benahm. Er rührte kein Glied, bis ihn der Neger wieder aufhob und auf die Füße stellte, und dann watete er — was er gleich hätte thun sollen — ruhig durch die Fluth. Ich war nicht gesonnen, mich einer ähnlichen Calamität auszusetzen, und da diese Straßen alle sehr schmal sind und das Wasser höchstens die Breite eines guten Sprunges einnimmt, so faßte ich einen Entschluß, nahm einen Anlauf und sprang hinüber. Feixend sahen mir die Neger zu, denn ihre einzige Hoffnung und ihr stilles Gebet war, daß ich ausrutschen und rücklings hineinfallen sollte. Meine Glieder lietzen mich aber nicht im Stich, 395 und ich kam glücklich und mit trockenen Füßen über diese, wie die benachbarten Straßen. Eine Stunde später war aber das Wasser schon so weit abgelaufen, daß man die „Nmnen" überschreiten konnte. Am 25sten, Nachmittags vier Uhr, ging der Dampfer. Um drei Uhr war ich an Bord, das Gepäck wurde weggestaut, ich bezog meinen num-merirten Platz— glücklicher Weise war ein deutscher Steward an Bord, der mich dem Namen nach kannte und mich vortrefflich bettete — und behielt jetzt noch Zeit, mich ein Wenig umzusehen. 6. lunbung Verfügung treffen, sowohl dieser Ehen, als der Geburten und Todesfälle von Personen, welche sich nicht zur katholischen Religion bekennen, wie auch iibcr die nöthigen Bedingungen, unter denen die Geistlichen tolerirter Religionen Alte vornehmen können, welche bürgerliche Wirkungen zur Folge haben. Artikel 3. Die dieftm entgegenstehenden Bestimmungen werden aufgehoben. Dies Alles klingt nun, wenn man es so obenr hin liest, ganz leidlich, und man könnte dadurch zu dem Glauben veranlaßt werden, daß mit diesem Gesetz alle die früher bestandenen Schwierig- 440 leiten aus dem Wege geräumt wären. Gleich bei der Verhandlung über dieses Gesetz in den Kammern aber griff es ein ausgezeichneter Nechtsge-lehrter, Dr. Carlos Kornis de Totrarad, auf das Entschiedenste an, und warf eigentlich die ganze mögliche Wirksamkeit desselben über den Haufen, indem er frug, ob ihm ein Einziger der Anwesenden in dem Codex des Gesetzes die Bedeutung derWorte „«Mito» civi^" oder die bürgerliche Wirkung, die demnach gar nicht in den brasilianischen Gesetzen besteht, und auf welche doch dieses ganze Gesetz einzig und allein fußt — erklären könne. Aber wäre das selbst nicht der Fall, Wäre die Meinung dieser oftdiw» civi^ in der That ganz klar und unverfänglich, so würde der 4te Paragraph doch wieder die meisten der den protestantischen Ehen zugestandenen Rechte über den Hausen werfen und es allein der Willkür brasilianischer Nichter und Bischöfe anheimgeben, das ganze Gesetz nach eigenem Gutdünken auszulegen. Ganz unmöglich und eben so ungesetzlich, als bisher, wären diesem. Paragraphen nach a) Ehen in besonderen Verwandtschaftsgraden, z. B. mit der Schwester der verstorbenen Frau oder umgekehrt; 441 d) Ehen nach Scheidung; c) gemischte Ehen zwischen Protestanten und Katholiken, (llnd wer steht selbst den rein protestantischen Ehen dafür, daß, wenn eines der Theile zum Katholicismus übertritt, um die Ehe zu lösen, die Priester cin solches Vorhaben nicht unterstützen würden — was jedenfalls geschähe.) Die nachtheiligen Folgen dieses schwankenden Gesetzes werden sich auch sicherlich nur zu bald herausstellen, denn die durch „Gottes Erbarmen" eingesetzte Geistlichkeit giebt einmal keinen Frieden, und es bleibt den Protestanten weiter Nichts übrig, als eben wieder uud wieder gegen eine solche Vorenthaltung ihrer heiligsten und auch zugesagten Ncchte zu Protestiren. Leider verhindert sie die Unwissenheit und dadurch Gleichgültigkeit der großen Masse, und die Uneinigkeit Pllcr, einen gemeinsamen und energischen Schritt zu thun, und dieser traurige Zustand wird so lange fortdauern, bis es den Brasilianern selber einmal gefällig ist, das Gesetz zu Gunsten ihrer protestantischen Unterthanen abzuändern. Die deutschen Protestanten in Rio de Janeiro haben übrigens dem wackern Dr. Carlos Kornis de Totrarao, der sich so kräftig ihrer augenom- 442 men, eine mit vielen Unterschriften bedeckte Dankadresse zugesandt. Eine andere Sache, über welche sich die bra^ Manischen Colonisten der südlichen Provinzen mit Necht noch beklagen, ist das Vorenthalten der längst versprochenen Besitztitel, und zwar nicht etwa in böswilliger Absicht, sie um erworbene Rechte zu betrügen, sondern einzig und allein in Folge brasilianischer Indolenz, Faulheit und Unwissenheit der unteren Beamten, die mit der, durch die Länge der Zeit verwickelten Arbeit nicht mehr fertig werden. In St. Leovoldo z. B., einer der ältesten Co-lonien Brasiliens, die schon einige dreißig Jahre besteht, wurde mir von vielen, mit den Verhältnissen genau bekannten Leuten die feste Versicherung ggeebeu, daß sie cs für vollständig unmöglich für die Negierung hielten, den Colonisten die Besitztitel über das versprochene Terrain einzuhändigen. Die Vermessung der Colonien ist nämlich in früherer Zeit so fabelhaft leichtsinnig betrieben worden, daß die eigentlichen Grenzen, dort besonders, wo sie im Rücken zusammenstoßen, alle ineinander laufen sollen, und man versicherte mich, daß jedenfalls immer die sechste oder siebente Co-lonie vollständig ausfallen müßte, wenn Jeder die 443 ihm zugesprochene Quantität Land auch wirlich an derselben Stelle haben solle. Trotz einem dagegen erlassenen Gesetz verkaufen die Colonisten nun schon wieder ihr Land an Andere, und manche Colonien (jedes einzelne Gut wird Colonie genannt) befindet sich bereits in dritter oder vierter Hand, ohne daß eine derselben ein rechtsgültiges Papier besitzt. Die Leute konnten aber auch nicht warten, bis es der Negierung einmal gefiele, die längst versprochenen Besitztitel auszugeben, denn die älteren Coloniften sind schon 34 Jahre im Lande, ihre Kinder wuchsen heran und verheirateten sich wieder, und das kleine Gut, was für die Familie des ersten Einwanderers genügend war, reicht natürlich für die zahlreich herangewachsene Nachkommenschaft nicht mehr aus. Die Söhne mußten sich endlich nach anderen, in der Nachbarschaft gelegenen Colonien umsehen. Daß durch die Verzögerung der Vesitztitel der Negierung selber ein großer Schaden erwächst, kümmert jene unteren Beamten wenig. Den Co-lonisten kann nämlich nicht gut die in Subsidien vorgestreckte Summe wieder abgefordert werden, ehe sie die Besitztitel ausgeliefert bekommen, und so lange Jahre sind diese nun schon zinsfrei vor- 444 gestreckt worden, daß es selbst mit den Gesitztiteln jetzt große Schwierigkeiten haben wird, sie einzu-kassiren. Viele von denen, welche die Subsidien erhalten, sind gestorben oder in andere Gegenden gezogen, nnd wo sie jetzt finden! Und wollte man die Echnld anf dem Lande haften lassen, so würde der jetzige Besitzer über Ungerechtigkeit schreien. Das ist übrigens nicht Zu fürchten, denn bis jetzt ist die Regierung selber in Allem, was Geldsachen betras, ungemcin liberal und freigebig mit den Einwanderern verfahren. Diese nämlichen Subsidien-Gelder bilden aber noch einen andern Grund von Mißverständnissen, an denen hauptsächlich unsere liebenswürdigen Auswanderungsagenien in Deutschland die Schuld tragen. Diese würdigen Leute wissen nämlich in merkwürdig leichter Weise alle Schwierigkeiten und Scrupel zu beseitigen, die dem Auswanderer etwa noch aufsteigen sollten, und so berufen sich denn auch jetzt eine Menge Colonisten — und ich zweifle gar nicht etwa, mit vollem Recht — darauf, daß ihnen die Agenten in Deutschland gesagt hätten, die vorgestreckten Subsidien-Gelder würden ihnen nie wieder abgefordert werden. Das geschah natürlich nur allein in der guten Absicht, die Auswanderer mit ihren ewigen Sedenklichkeiten 445 endlich loszuwerden und ihre Kopfzahl an Bord, laut eingegangenem Contract, voll zu bekommen. Sie konnten nicht wissen, ob die brasilianische Regierung den Colonisten später die Subsidien-Gelder schenken würde, aber sie mußten wissen, daß die Rückzahlung, einige wenige Fälle ausgenommen, sogar festgestellt war, und dennoch hefteten sie den armen Auswanderern eine neue Täuschung auf, die sie, wenn erkannt, mit bitterem Unmuth erfüllen mußte. Lasse sich deßhalb Keiner, der nach Brasilien auswandert, durch gewissenlose Menschen über die Verhältnisse dieser Rückzahlung täuschen. Die Subsidien-Gelder müssen, wo man sie den Colonisten nicht gutwillig aus irgend einer Ursache schenkt, zurückgezahlt werden, und der Colonist bekommt sogar ein Buch von der Regierung, worin die ihm vorgestreckten Summeil eingezeichnet stehen, und in dem es wörtlich lautet: 1) Die Provinz gewährt den Colonisten Land, Geförderung und Unterstützung im Wege des Darlehns, ohne Zinsen. 2) Alle Auslagen, welche für den Colonisten und dessen Familie gemacht werden, laufen auf seine Nechnung, und müssen von demselben unfehlbar innerhalb fünf 446 Jahren an die Provinzialkasse zurückgezahlt werden. — (Ich denke das ist deutlich genug.) Für deutsche Protestanten möchten, alle dem vorstehenden nach, die völlig ungesicherten Verhältnisse protestantischer Ehen, von denen man nicht einmal überzeugt ist, ob sie selbst unter dem Schutz des neuen Gesetzes Gültigkeit haben, allerdings abschreckend auf die Auswanderer wirken, und, ganz aufrichtig gesprochen, möchte ich ihnen nicht empfehlen, Brasilien zu ihrer neuen Heimath zu wählen, bis sich nicht diese Verhältnisse geändert — das heißt gebessert haben. Deutsche Katholiken werden aber schon jetzt nicht die geringsten Schwierigkeiten finden — wenn sie denn einmal auswandern wollen, ein neues, erfolgreiches Leben in Brasilien zu beginnen, denn trotz aller Schreier und Pessimisten bleibe ich dabei, daß dcr Süden des Landcs, bis selbst in die Hochebenen in der Nähe von Rio de Janeiro, dem deutschen Ackerbauer die größten uud wichtigst,, u Vortheile bietet, die er in keinem andern kande der Welt günstiger erwarten darf. Ganz entschieden bin ich aber dafür gegen eine Auswanderung in den Norden Brasiliens, wenn auch hier viele Hochebenen gesunde und 447 fruchtbare Landstriche dem europäischen Fleiß eröffnen würden. Während im Süden der deutsche Arbeiter geachtet ist, versteht man im Norden unter einem Arbeiter nur einen Sclaven, und meine deutschen Landsleute mögen sich wohl davor hüten, selbst die am Günstigsten lautenden Contracte nach jenen Ländern einzugehen. Sie werden sich nie wohl dort fühlen, und wir haben zahlreiche Beweise, daß alle Solche, die sich verleiten ließen, dorthin auszuwandern, ihr Möglichstes thaten, um wieder von dort wegzukommen und nach dem Süden zu gelangen. Dev Süden ist auch wahrlich groß genug, und Tausende von Quadratmeilen harren noch der fleißigen Hand dcs Landbauers, den wilden Wald in einen fruchttragenden Garten zu verwandeln. Währcnd ich aber einer vernünftigen deutschen Auswanderung nach Brasilien mit recht fester Ueberzeugung das Wort rede, möchte ich alle Deutschen auch zugleich wohlmeinend ermähnen, nicht jener Unmasse von übertriebenen und gewissermaßen vergoldeten Berichten zu glauben, die besonders von den verschiedenen Auswanderungsagenten ausgehen, oder doch durch ihre Vermittelung in kleinen Brochuren und größeren Beschreibungen Brasiliens und der verschiedenen deutschen Colonien dieses Landes in die Welt gesandt sind, und eigentlich nur den Zweck haben, den Auswanderungslustigen auswanderungstoll zu machen. Wer sein Auskommen in Deutschland hat, wer sich noch irgend in der Heimath regen und bewegen kann und dort noch genug verdient, um zu leben und seine Kinder zu erziehen, wandere überhaupt nicht aus, wenn er meinem Nathe folgen will. Es ist ein schwerer Schritt, das völlige Losreißen von Allem, was uns bis dahin lieb und theuer war, ein schwerer, bedeutsamer Schritt, und — das Schlimmste von Allem — nicht wieder zurückzuthun. Sage mir Keiner — ei, ich habe Geld genug, und wenn es mir drüben nicht gefallt, kann ich ja jeden Augenblick wiederkommen. — Es ist nicht wahr, und mit diesem scheinbaren Troste hat sich schon gar Mancher betrogen. Der einmal Ausgewanderte mag Geld genug übrig behalten haben; er mag auch selber im Stande sein — und gewiß ein sehr seltener Fall — wieder in die alten Verhältnisse der Heimath, denen er sich entrissen hat, einzutreteu; aber er thut es doch nicht, denn eine falsche Scham verhindert ihn daran. Er denkt an die spöttisch lächelnden Blicke ihm sonst ganz gleichgültiger Menschen, denen er bei 449 seiner Rückkunft begegnen müßte, und die ihn alle fragen würden: „Nun, war es hübsch in Amerika? — Das ist ja geschwind gegangen." Viele Menschen scheuen sich leider weit weniger davor, selbst eine schlechte Handlung, als Etwas zu begehm, durch das sie sich lächerlich machen, oder von dem sie wenigstens fürchten, daß sie verspottet werden könnten, und einmal erst auf amerikanischem Boden, zögern sie, wenn es irgend möglich ist, so lange mit dem Rückschritt, bis er ihnen abgeschnitten wurde. Es mag sich auch Niemand täuschen, wenn er, glänzenden Beschreibungen nach, in Brasilien ein leichteres Fortkommen zu ftnden erwartet, als in anderen fremden Ländern und Welttheilen. Ein fruchtbares tropisches Land giebt allerdings reiche Ernten, erfordert aber auch dafür so viel mehr Arbeit, denn die Bäume, die gefällt werden müssen, stehen um so viel dichter und dicker, und so viel Mehr Schwierigkeiten hat es, das wuchernde Unkraut zu entfernen, oder nur wenigstens niederzuhalten, daß es nicht in wenigen Wochen die Mühen vieler Monate vernichtet. Die leidigen Palmen, die ebenfalls so Viele veranlassen, ihr Bündel zu schnüren, um sich ein- Fr. Gerstäcker, Achtzehn Monate inSüd-Amentü. III. 29 450 mal m ihrem Schatten von Mosquitos zerstechen zu lassen, sind — besonders in Süd-Brasilien— das Zeichen keines guten Bodens, und der Landbaner vermeidet sich dort anzubauen, wo er viele Palmen findet. Ist es also nicht unumgänglich nöthig, zwingen den Deutschen nicht die Noth oder die Verhältnisse allen Ernstes dazu, sein Vaterland zu verlassen, so soll er sich um Gotteswillen nicht durch lügenhafte Berichte und seine eigene Phantasie verleiten lassen, in einen fremden Welttheil auszuwandern. Es ist höchst unbequem und kostet sehr viel Geld, eine Unmasse nutzloses Gepäck und altes Geschirr in Kisten und Kasten mit auf Reisen zu nehmen; da aber lieber noch immer die unförmlichsten Kisten und Kasten, ganze Schränke voll alten Eisens und irdenen Geschirrs, als eine einzige kleine Gehirnkammer voll Phantasie; denn das ist das gefährlichste Gepäck, das der Auswanderer nur bei sich führen kann. Der Bauer und Arbeiter hat Nichts, gar Nichts mit der Phantasie zu thun, und wer denn doch einmal sein Vaterland verlassen will, um sein „Glück" in einem fernen Welttheil zu versuchen, wer doch einmal fest entschlossen ist, der alten, lieben Hcimath — die er wahrscheinlich nie 451 wiedersieht — den Rücken zu kehren, der mache sich vor allen Dingen auf recht harte und schwere Arbeit gefaßt; der bedenke, daß er, wenigstens die ersten Jahre, in einem wilden Lande alle die Genüsse und Bequemlichkeiten entbehren muß, an die er — und wenn sein Leben das bescheidenste in Deutschland war — gewöhnt gewesen, und daß ihn in fremden Welttheilen nicht Kopf oder Phantasie, sondern nur seine Arme und Fäuste über Wasser halten müssen. Wer dann aber unter solchen Bedingungen und mit solchem Entschluß die Heimath verläßt und sich als Protestant nicht an die katholische Willkür dieses Landes stößt, der wandere getrost nach dem Südcn von Brasilien aus, wenn er überhaupt Vertrauen zu diesem Lande hat, und lasse sich nicht durch ein paar alberne Menschen, die Mord und Zeter über Brasilien schreien und die Verhältnisse gerade so schildern, als ob man gleich nach seiner Ankunft geschunden und gebraten würde, abschrecken, brasilianischen Boden zu betreten. Er glaube aber auch nicht den dabei interes-snten Menschen, die ihm goldene Berge und diamantene Aussichten versprechen. Die Auswanderungsagenten sind wie die Ausschreier an einer 29* 452 Thierbude auf der Messe. Sie interessiren sich nur für die Menschen, die noch draußen stehen und die sie aus vollem Halse dem Nachbar zu entziehen und in die eigene Vude hineinzubringen suchen. Sind sie erst einmal drin und haben ihr Entree oder Kopfgeld bezahlt, dann bekümmern sie sich nicht im Geringsten mehr um sie, und ob sie sich darinnen befriedigt fühlen, oder schimpfen und über Betrug schreien, bleibt sich vollständig gleich — die Budc giebt Nichts wieder heraus. Um Gotteswillen lasse sich aber kein Deutscher, und lebe er in noch so drückenden Verhältnissen, bewegen, in Deutschland irgend einen, noch so günstig lautenden Contract mit brasilianischen Pflanzern oder Privatpersonen zu unterzeichnen, denn nur ein Schurke und Seelenverkäufer kann dem armen Arbeiter dazu rathen. Der Deutsche kennt die brasilianischen Verhältnisse nicht — er kann sie nicht kennen, und alle solche Contracte lassen eine verschiedene Deutung zu, der gegenüber der Verpflichtete stets verrathen und verkauft ist, und sich nur zu oft gebunden in den Händen eines gewissenlosen Herrn findet. Wo der Staat selber dem Auswanderer eine Garantie bietet, darf er ihm glauben, denn Brasilien ist nicht mit den übrigen südamerikanischen 453 Republiken zu verwechseln, in denen über Nacht eine andere Negierung am Ruder sein kann, die sich nicht im Geringsten an das gebunden glaubt, was ihre Vorgänger versprochen. Der brasilianische Staat hat auch ein allgemeines Interesse an den Einwanderern, durch die sich das ganze Land hebt und einen höhern Werth bekommt. Der Privatmann dagegen, besonders der brasilianische Pflanzer, schiert sich den Henker um den Nutzen, den er dem ganzen Lande bringt, indem er deutsche Arbeiter auf seine Kosten herüberkommen läßt. Er will auch von dem Arbeiter selber wieder Nutzen ziehen, und was aus einem solchen armen Teufel dann herauszupressen ist, das wird herausgepreßt, ob er und seine Familie auch darüber zu Grunde geht. Nur der freie Arbeiter kann in Brasilien, mit Fleiß und Ausdauer, sein Glück machen; der durch Contracte gebundene ist von vornherein ein Sclave, und es kann unseren deutschen Landsleuten nicht laut und oft genug zugerufen werden: Bindet Euch nicht — unterzeichnet keinen Contract mit fremden Landeigenthümcrn und wenn sie Euch auf dem Papier auch goldene Berge versprechen. Es ist Alles Lüge und Hinterlist, 454 und laßt Ihr Euch dennoch bethören, so habt Ihr Euch Euer späteres Unglück auch selber zuzuschreiben, und könnt keinem Menschen darüber Vorwürfe machen. 7. Heimfahrt von Mo de Janeiro nach Mrdeam. Wieder an Bord! wieder einmal anf einer Heimfahrt nach langer, langer Zeit der Trennung von allen meinen Lieben, und zwar an Bord eines großen Dampfers, von allen Bequemlichkeiten der civilisirten Welt umgeben, allen Beschwerden und Entbehrungen der wilden Länder, die ich durchstrichen, enthoben. Alle Gefahren sind freilich noch nicht überstanden, denn das Meer hat ebenfalls seine Tücken, und erst neulich wicder einmal bewiesen, was es vermag, als es selbst den Great Eastern wie einen Spielball durcheinander schüttelte. Hat man sich aber erst einmal eine Meile auf See herumgetrieben, so sind Gefahren unterwegs gerade das Letzte, an das man überhaupt denkt, bis sie wirklich 456 heranrücken, und dann ist es auch noch vollkommen Zeit, um sich mit ihnen zu beschäftigen. Was für ein wonniges Gefühl das ist, so Alles hinter sich zu haben, was für ein wonniges Gefühl, den Bug des guten Schiffes dem Vaterland zugewendet zu sehen und mit Sicherheit schon den Tag bestimmen Zu können, an dem man hoffen darf,, den Fuß an Land zu setzen. Der französische Dampfer Guienne war übrigens ein ganz ansehnliches und sehr hübsches Fahrzeug, und die Räumlichkeit schien vollständig genügend, selbst für eine so lange Fahrt, die man in dieser Jahreszeit auf 22—24 Tage von Nio de Janeiro nach Bordeaux schätzte. Auf Deck selber drängten sich indessen alle Stände der menschlichen Gesellschaft bunt und rücksichtslos durcheinander, Officicre, Beamte; Damen mit Crinolinen und barmherzige Schwestern ohne; Matrosen, Auswärter, Kammerfrauen, Bootsleute und Herren mit Reisetaschen und gelben Koffern. Keiner schien einen bestimmten Platz zu haben oder haben zu wollen, und die Verwirrung wurde noch größer, als ein kleiner Dampfer vom Lande abkam, den letzten Besuch zu bringen. Jetzt schienen alle Bande der Ordnung gelöst, und während ganze Sammlungen 457 von durch den Negen aufgeweichten Hutschachteln, mit Koffern, Kisten und Mantrlsäcken, von den Leuten des Dampfers gefaßt und, ohne viel zu fragen, in den untern Naum gestaut wurden, schienen immer nur noch mehr Menschen an Bord zu strömen. Da ertönte plötzlich das Zeichen der Glocke, baldige Abfahrt versprechend, und Alle, die kein gutes Gewissen hatten und der Ueberzeugung lebten, daß sie nicht an Bord gehörten, schreckten viel eifriger aus ihrer bisherigen Nuhe auf, als es nöthig gewesen wäre. Der kleine Dampfer nahm die meisten an Bord; Andere hatten selber kleine Boote mitgebracht, und noch waren nicht zehn Minuten vergangen, als unsere Schiffsgesellschaft zu dem richtigen Maß herabgeschwunden schien. Jetzt läuteten auch die Glocken der Kellner, zum Mittagsessen rufend, und während ich noch am Deck blieb, der schören Vay von Nio de Janeiro ein letztes Lebewohl zuzurufen, fanden sich unten sämmtliche Passagiere zu dem willkommenen Mahl ein. War es doch der erste Schritt zu voller Nuhe, zu vollem Frieden nach aller der Aufregung der letzten Tage, und wurde deßhalb auch von sämmtlichen Passagieren als eine Art von Taube mit dem Oelzweig betrachtet. 458 Es ist in der That ein nicht unbedeutender Lebensabschnitt für alle Passagiere, und sehr bedeutend war er für mich selber, der ich ja mit dem Einschlagen der Räder das fremde Land wahrscheinlich für immer hinter mir ließ, und meiner eigenen Heimath wieder entgegenfloh. An Bord konnte ich mich dabei von den gehabten Strapazen ordentlich ausruhen, und auch zugleich meine in den letzten Monaten bös versäumten Arbeiten wieder aufnehmen. Der französische Dampfer war außerordentlich hübsch und bequem gebaut, die Cajüte sogar sehr elegant eingerichtet, mit einer Anzahl auf Holz gemalter wunderhübscher und interessanter Landschaften. Außerdem hatte er noch eine ungemein große Bequemlichkeit vor dem englischen voraus, und zwar die Ueberdachung der Seiten, unter der es erlaubt war zu rauchen, während man auf den englischen Stmmern bei Regenwetter ret-rungslos nach dem heißen und nicht einmal ordentlich geschützten Maschinenraum flüchten muß, wenn man es wagen will, cine Cigarre anzuzünden. Eben so ist, ganz thörichter Weise, auf den großen englischen Steamern sogar das Rauchen 459 auf dem Quarterdeck, adat't tks mammgZt oder hinter dem großen Mast, verboten, der einzige Platz nämlich auf dem ganzen Dampfer, wo einer Dame, die selbst das Rauchen in freier Luft nicht vertragen kann, der Dampf nicht beschwerlich fallen könnte, da er hinten abzieht. Eine merkwürdige Verschiedenheit herrscht dabei in dem ganzen Charakter der englischen und französischen Seeleute auf diesen Dampfern. Die englischen Capitaine und Officiere sind allerdings eben so freundlich und anständig gegen die Passagiere, wie die französischen, und zwischen diesen wäre kein so großer Unterschied zu finden, wenn man die etwas größere Lebhaftigkeit der letzteren abrechnet. Desto auffälliger ist es aber bei den Seeleuten, die an Bord des französischen Schiffes von dem geschäftigen Ernst des englischen Matrosen gar Nichts wissen, sondern an Allem, was auf dem Schiffe vorgeht, den lebendigsten Antheil nehmen, und ununterbrochen lachen und ihre Späße mitsammen haben. Selbst beim Essen halten sie keinen Frieden, und während Einer von ihnen eine komische Rede hält und ganz ernsthaft mit feinem Löffel dazu gesticulirt, trommelt ein Anderer den Tact dazu auf einem zinnerneu Teller, 460 oder trompetet auf den beiden zusammengehaltenen Händen. Wo Einer den Andern dabei necken, oder ihm einen kleinen unschuldigen Streich spielen kann, thut er es mit dem größten Vergnügen, und wenn es die Officiere, selbst im Dienst, sehen sollten, so amüsiren sie sich eben so darüber, und es fällt ihnen nicht ein, die Leute durch höchst unnöthige Strenge zu quälen. Am Steuer hinten — wo allerdings kein Offt-cier die Leute im Auge behalten, aber vorn an seinem eigenen Kompaß im Moment sehen kann, sobald sie ihre Pflicht versäumen, stehen zwei Matrosen. Neulich hatte sich ein Affe losgerissen und verkroch sich bei ihnen; im Nu waren Beide dahinter her, den Dampfer so lange sich selber überlassend, denn der Affe interessirte sie natürlich bedeutend mehr, und der Dampfer steuerte sich so ausgezeichnet, daß man ihn recht gut sich einmal ein paar Minuten selber überlassen kouute. Jede Arbeit wird mit Lachen und Erzählen gethan, aber darum nicht minder rasch und ordentlich- Doch nun wieder auf unser erstes Mittagsessen zurückzukommen, so nahm das für viele der Passagiere ein ganz anderes Ende, als sie gehofft hatten. Draußen blies nämlich ein ganz tüchtiger 461 Südwind, den wir in der Bay natürlich nicht spüren konnten, so lange wir noch von dem hohen Südufer geschützt waren. Kaum hatten wir aber den Zuckerhut passirt, so fühlte das überdies etwas lange und schmale Boot die Macht der Wellen, und fing ganz wacker an zu schlimpern. Die Damen standen fast augenblicklich vom Tisch auf und zogen sich in ihre Cajüten zurück, und selbst von den Herren folgten viele dem Beispiel — vielleicht nur aus Galanterie, vielleicht aus anderen, mehr egoistischen Rücksichten. Je weiter wir hinauskamen, je schärfer wurde das Schaukeln, oder eigentlich mehr Schwanken von einer Seite zur andern, und die Seekrankheit brach jetzt in voller Wuth aus. Am furchtbarsten war eine Anzahl von Portugiesen damit behaftet, vor deren Gesellschaft ich mich überhaupt schon lange gefürchtet hatte, und von den Thaten dieser Leute kann man sich wirklich keinen Begriff machen. Ein Seekranker nimmt überhaupt weder auf einen Menschen, noch auf die Gesetze der Reinlichkeit Rücksicht, und nun gar noch ein portugiesischer Seekranker. Es ist für diese Nation übrigens bezeichnend, daß auf englischen Schiffen, besonders auf ^awr-oiosLts, die Gesetze der Nein- 462 lichkeit nur in portugiesischer Sprache angeschlagen sind — keineswegs ein Compliment für die Vertreter derselben. Die ganze spanische Nacc Süd-Amerikas, obgleich sic auch sehr viel Gutes hat, sagt im Umgang dem Europäer nicht besonders zu, und wenn er sich nicht vollkommen bei ihnen einbürgert, wird er sich nie wohl bei ihnen fühlen. Eben so geht es mit den Brasilianern, die so ganz andere Sitten nnd Lebensweise haben, daß es dem Fremden un-gemein schwer wird, sich dahinein zu finden. Zehntausend Mal lieber will ich aber mit einem Brasilianer verkehren, als mit einem Portugiesen, obgleich auch die Letzteren im Ganzen einen gutmüthigen und harmlosen Charakter haben und immer freundlich und gefällig gegen den Fremden sind. Ist es aber mein Schicksal gewesen, daß ich blos mit solchen Portugiesen zusammengekommen bin, von denen es mir stets das größte Vergnügen machte mich wieder zu trennen, oder ist es ein allgemeiner Fehler, aber ich fand sie im Durchschnitt roh, schmutzig und überlaut, und kann zu meiner Bekräftigung hinzufügen, daß sämmtliche Nicht-Portugiesen an Bord vollkommen meiner Meinung waren. Um gerecht zu sein, muß ich aber auch geste- 463 hen, daß es nicht an Ausnahmen fehlte, und wir hatten unter dem Schwärm ein paar recht nette und ordentliche Passagiere. Nichtsdestoweniger zählten wir die Stunden, wo wir sie in Lissabon an Land setzen konnten. Der französische Dampfer legt auf seiner Tour zwischen Nio de Janeiro und Bordeaux in Bahia, Pernambuko, St. Vincent und Lissabon an, und unser erstes Ziel Bahia erreichten wir am Sonntag den 29., wo wir die Stadt in der Nacht erreichten und am nächsten Tage Kohlen einnehmen sollten. Den Passagieren war es indessen frei gestellt, an Land zu gehen, nnd ich benutzte natürlich die Gelegenheit, mir Bahia etwas mehr in der Nähe zu betrachten. Aber lieber Gott, was kann man von so kurzem und flüchtigem Aufenthalt Profitiren — höchstens einen allgemeinen Eindruck, der noch dazu an einem Sonntage gar nicht so besonders ausfallen kann. Die Stadt liegt an einer ziemlich hohen und steilen Uferbank und ist jedenfalls zu einer Zeit angelegt, wo man nicht die geringste Ahnung hatte, daß sie sich je vergrößern würde, man hätte sonst die hohen und schroffen Ufer sicherlich anders und besser benutzt. Schon in Rio de Janeiro war es mir dabei 464 aufgefallen, daß man die Häuser in diesen doch eigentlich tropischen Ländern nichts weniger als dem Klima angemessen baut. Da sieht man keine Verandahs und hohe offene Portale, durch welche die Luft nach Willkür ab- und zuströmm kann. Fast irgend eines der Häuser in Nio könnte recht gut in Hamburg oder Hannover stehen, und würde sich dann eben so leicht zur Ofenheizung einrichten lassen, und so warm im Winter sein, wie es in Rio de Janeiro selber heiß und schwül im Sommer ist. Noch auffallender war mir dkse, für ein heißes Mma völlig unpraktische Bauart der Häuser in Vahia, das auch nicht im Entferntesten einer tropischen Stadt gleicht. Bei dcm sehr ungünstigen Terrain sich auszubreiten, und dem Werth, den der Grundbesitz mit der Bedeutung der Stadt gewann, thürmte man die Häuser nur höher und höher auf, und jetzt stehen dort festgeschlossene und gelb angestrichene Gebäude mit fünf und sechs Stockwerk hoch, ja oft eines über dem andern an dem steilen Bergcshang hinauf. Wenn hier einmal ein Erdbeben den Boden schüttelte, oder der Nachbarschaft nur einen einzigen gelinden Stoß versetzte, wie da die hohen, steil aufgebauten Häuser übereinander poltern und stürzen und die Leute in den engen Straßen zer- 465 schmettert und begraben würden! Da wäre keiue Rettung mehr, weder aus noch ein, und das Verderben müßte furchtbar sein. Ich stieg die steilen Straßen in die Höhe, und bin überzeugt, daß es für den, frifch von Europa kommenden Fremden kaum einen interessanteren Platz in Amerika geben könnte, Zum ersten Mal den Fuß an Land zu setzen, als hier, und sich in einer andern neuen Welt zu finden. Es war, wie schon gesagt, ein Sonntag, und die Geistlichen, von denen es in Vahia eine Legion geben muß, schienen alle unterwegs. Da man aber in den steilen Straßen Vahias keine Droschken oder Fuhrwerke haben kann, so bedient sich, wer ein Beförderungsmittel braucht, dcr Sänften, die auf höchst eigenthümliche Weise getragen werden. Die Sänfte ist sehr leicht gebaut, mit einem Nohrstuhl darin. Unter dem Boden hin gehen aber Zwei eiserne Träger, die sich an der Sänfte vorn und hinten hinaufbiegen und zu einem einzelnen Griff auslaufen, den sich der Neger auf die Schulter legt. Immer zwei tragen diese Sänften, indem sie sich mit der Schulter unter diesen ausstehenden Griff bücken, und sich aufrichtend, damit abmar-schiren. Allerdings ist die Sänfte mit Gardinen Fr. Gerstä l (H. Pah in Raumvurss, Im Verlage von Hermann CostimMe in Leipzig erschienen ferner folgende neue Werte: Bibra, Ernst Freiherr von, Erinnerungen aus S ü d - A m erika. 3 Bde. 6. broch. 3 Thlr. 15 Ngr. Brachvogel, A. E., Narciß. Ein Trauerspiel. Min.-Äusgabe. 2. Aufl. broch. 24 Ngr. Prachtvoll geb. mit Goldschnitt 1 Thlr. 2 Ngr. BrachVMl, A. E., Vcnoni. Ein Roman. 3 Bde. 6. bröch. 4 Thlr. 27 Ngr. Brachvogel, A. E., Adelbert vom Baban-berge. Ein Tranerspicl. Min.-Ausgabe. broch. 24 Ngr. Prachtvoll geb. mit Goldschnitt 1 Thlr. 2 Ngr. Brachvogel, A. E., Der Trödler. Ein Roman ans dem Alltagsleben. 8. 2 Bde. broch. 2^ Thlr. Brachvogel, A. E., Der Usurpator. Ein dramatisches Gedicht. Min.-Ausg. broch. 27 Ngr. Eleg. geb. mit Goldschnitt 1 Thlr. 5 Ngr. VullyllU, Johann, Die Pilgerreise aus dieser Welt in die zukünftige. Aus dem Englische» mit Einleitung und Anmerkungen von v,. Friedrich Ahlfeld, Pastor an der St. Nicolaikirche zu Leipzig. P racht - Ausgabe mit 12 Holzschnitten, ^wei Theile in Einem Baude. 8. broch. 1"/, Thlr. In elegantestem englischen Einbande mit reich vergoldeten Dcckcnverziernngcn und Goldschn. 2^ Thlr. Bnrow, Julie (Frau Pfanncnschmidt). Des Kindes Wartung und Pflege nnd die Erziehung der Töchter in Haus und Schule. Eiu Handbuch sür Mütter und Erzieher. (Das B u ch der Erziehung in Hauö undSchule. Erste Abtheilung.) 8. broch. 27 Ngr. Körner, Friedrich, Professor an der höhern Handelsakademie in Pesth. Die Erziehung der Knaben in Haus und Schule. Ein Handbuch für Eltern und Erzieher. (Das Buch der Erziehung in Haus und Schule. Zweite Abtheilung.) 8. broch. 27 Ngr. Blirow, Julie (Frau Pfannenschmidt). Aus dem Frauenlebe n. Zweite Auflage der Novellen. 2 Vde. 8. broch. 2'^ Thlr. Burton Und Spclc's Reifen in Arabien nud Ost-Afrika. Nach den nenesten Entdeckungen bearbeitet von Dr. Karl Andree. Mit 8 Tonbildern und sehr zahlreichen eingedruckten Holzschnitten. Nebst einer Karte von Afrika. 2 Vde. broch. ft Thlr. Werth, Dr. F., Die Sterne nnd die Er d e. Gedanken über Namn, Zeit und Ewigkeit. Nach der 6. Auflage der engl. Uebersctznng des Werkes.- „Die Gestirne und die Weltgeschichte." - In's Deutsche zurückübersetzt von W. von Boigts-Nhetz. 8. broch. 10 Ngr. Eruesti, Louise, Geld und Talent. Ein Roman. 3 Bde. 8. broch. 4 Thlr. Gnndling, Jill., Deutsche Hiebe. Ocsterr. und Prenß. Soldatengeschichten. 2 Bde. 8. broch. 1V2 Thlr. Gusect, Bernd V., Giraudo la. Novellen. 4 Bde. Zweite Auflage. 8. broch. 3 Thlr. Guseck, Bernd v., Die Hand des Fremden. Historischer Roman. 2 Bde. 8. broch. 2^ Thlr. Gnscck, Bernd V., Der ersteRanb a n D entsch. land. Historischer Roman. 4 Bde. 8. broch. 5'/2 Thlr. Haan, Dr. Wilhelm, Königl. Sächs. Superintendent und Pastor an der Stadtkirchc St. Matthäi zu Leisnig. Das Gebet vermag viel! Stunden religiöser Erbauung für alle Lebensverhältnisse evangelischer Christen. Mit 1 Titelkupfer, gr. 8. broch/ 1V3 Thlr. Cleg. geb. niit vergold. Dcckenvcrzienmgen 1^/^ Thlr. Hamilton, Anthony Graf, (Supplement zu Thomas Babington Macanlay's Geschichte von England.) Memoiren des Grafen Gram-mont. Der englische Hof unter Karl dem Zweiten. In deutscher Uebertragung nebst ge-schichtlichcn Erläntcrnngcil nach englischen Quellen. Octav-Ausgabe, broch. 1^ Thlr. Se-dez-Aus gäbe, broch. 1 Thlr. Hcmc, Wilhelm, Expedition in die Seen von China, Japan und Ochotsk nnter Conimando von Commodore C. Ninggold und Commodore I. Nodgers, im Auftrage der Regierung der Vereinigten Staaten unternommen in dcn Jahren 185A bis 1856. Deutsche Original-Ausgabe. Mit 28 vom Verfasser nach der Natur aufgenommenen Ansichten, Portraits lc. in Tondrnck, ausgeführt in Holzschnitt in der F. A. Vrockhans'schen geogr. artist. Anstalt. 3 Vde. Lex.-8. broch. 9^' Thlr. Heine, Will)., Wandcrbilder ans Central-A m er i k a. Skizzen eines deutschen Malers. Mit einem Vorwort von Friedrich Ger stacker. Zweite Auflage. 8. broch. 1'/^ Thlr. Heine, Wilh., Japan und seine Bewohner. Geschichtliche Nnäblickc und ethnographische Schilderungen von Land und Leuten, gr. 8. broch. 1 Thlr. 26 Ngr. Heine, Wilh., Reise »m die Erde nach Japan an Bord der Expeditions-Escadrc unter Commodore M. C. Perry in den Jahren 1853, 1854 und 1855, unternommen im Auftrage der Regierung der Vereinigten Staaten. Deutsche Original-Ausgabe. Mit 10 vom Verfasser aufgenommenen Ansichten in Tondrnck, ausgeführt in Holzschnitt von Eduard Kretzschmar. 2 Bde. Lex.-8. broch. 6 Thlr. Himichs, Dr. H. F. W., ordentlicher Professor an der Königl. Universität zu Halle. Die Könige. Entwickelnngsgescbichtc des Königthums von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Zweite Austage. (Unveränderter Abdruck.) gr. 8. broch. 2^ Thlr. Horn, Uffo, Aus drei Jahrhunderten. 1690. 1756. 1844. Historische Novellen. Zweite veränderte Auflage. 8. broch. 2 Thlr. Klenlte, Dr. H., Swammerdam oder die Offenbarung der Natur. An kulturhistorischer Roman. :! Bde. 8. broch. 4^ Thlr. Lippard, Georq, Die Quäkerstadt und ihre Geheimnisse. Amerikanische Nachtseiten. Fünfte Anflage. 8. broch. 2 Thlr. Milestone, Dr. David, Missionsreiscn und Forschnngcn in Süd-Afrika während eines sechzehnjährigen Aufeuthalts im Innern des Continents. Autorisirte vollständige Ausgabe für Deutschland. Aus dem Englischen von Dr. H. Lotze. Nebst 23 Ansichten in Tondruck und zahlreichen Holzschnitten, 2 Karten und 1 Portrait, gr. tt. 2 Bde. broch. 5^ Thlr. Mökern, Philipp van, Ostindien, seine Geschichte, Cultur u n d f e i n e B e w o h n e r. Resultate eigener Forschungen und Beobachtungen an Ort und Stelle. Deutsche Original-Ausgabe, gr. 8. 2 Bde. broch. 4^ Thlr. MöllhllUscu, Vlllduill, Reisen in die Felsen-gebirge Nurd-Amerikas bis zmn Huchpla-teau von Neu-Mexico. Mit 12 vom Verf. aufgenommenen Landschaften und Abbildnngen in Farbendruck. 2 starke Bde. Lex.-6. broch. 6 Thlr. 24 Ngr. , Möllhllllsen, B., Der Halbindianer. Erzählung. 4 Vde. 8. broch. 5 Thlr. 22^ Ngr. Neigebaur, I. F., Die Süd flauen und deren Länder in Beziehung auf Geschichte, Cultur uud Verfassung, gr. 8. broch. 2^ Thlr. NeNMlllM,H., Jürgen Wullenweber, der kühne Demagogc. Gedicht. 8. broch. 25 Ngr. Opitz, Theodor, Nikolaus Lenau. Eine ausführliche Charakteristik des Dichters nach seinen Werten. 8. broch. 8 Ngr. NoßMiißler, E. A., Professor, Flora im Win-terkleide. Mit 150 Abbildnngen in Holzschnitt und einem Titelbilde in Toudrnck gezeichnet von C. Mertel. Zweite Auflage. 8. In Umschlag cartonnirt. 1^/4 Thlr. Roßmäßlcr, E. A., Neiseerinnerungen aus Spanien. Mit Landschaften in Tondruck und Abbildungen in Holzschnitt, nebst ciner Karte. Zweite unveränderte Auflage. 8. Zwei Bände, broch. 2°/« Thlr. Roßmäßler, G. A., Die Verstcinerungen, deren ^escha>fenl)^!l, Entstchungöweise und Vedentnng für die Entwickelungsgeschichte des Erdkörpcrs, mit Her-vorhebuug von Repräsentanten der geologischen Eyo^ chen. Mit 7 lithogr. Tafeln und eingedruckten Holzschnitte». 8. broch. 1^ Thlr. Schmid, III-. G. P., Historisches Taschenbuch oder chronologische Uebersicht der Welt- nnd Cultur-gcschichte. Zweite vermehrte Anfl. tt. broch. l» ^ligr. SigiSMMid, Carl, Natur nud ^and bau im innigen Zusammenhange. Praktische Winke für den den deutschen Landwirt!). Mit einem Vorwort von E. A. Roßmäßler. Zweite Anflagc. 8. broch. 16 ^Ic'gr. ' Slllwcslrc, Emilc, Der Philosoph in der Dachstube. Tagebuch eines Glücklichen. Deutsch von Ul-. A. Diezm a n n. Bon der Akademie der Wissenschaften zn Paris gekrönte Preiöfchrift. Dritte Auflage. Ausgewählte Schriften. Erster Band. «. broch. 15 Ngr. Zonvestre, Cmilr, A usde Ul ^ eben eine s H a n d werkcrö. Deutsch von P. H. Sillig. Zweite Auflage. Ausgewählte Schriften. Zweiter Band. tt. broch. 15 Ngr. Stcrubcrg, A. Von, Künstlerbilder. 3 Bde. 8. broch. 3 Thlr. 15 Ngr. Stcrilbcrg, A. V«IY Elisabeth Charl 0 t 1 e, Her -zog in von Orleans. Ein biographischer Roman. 3 Bde. 8. broch. 4 Thlr. 27 Ngr. Verena, Sophie, Ein Sohn des Südens, tt. 2 Bde. broch. 2^ Thlr. Wallace, SigiöMMld, Licht- und Schattenbilder aus Asieu, Afrika und Europa. Zweite Auflage. 8. 3 Bde. broch. 3 Thlr. trefflichsten Holzschnitte fesselt zunächst den Beschauer, der dann m . Befriedigung die interessanten Aufsätze lieset. Wir können das Unternehmen a '•'•in sehr glück lieh es begrüssen nnd den „Globus" sowohl Familien als Lesi, zirkeln, zumal bei dem niedrig gestellten Preise, aufrichtig empfehlen. ! [IX Allgern. Zeitimg.] Der „Globus" srhcirit die nicht, leichte Aufgab' richtig gefasst zu haben, und ist in demselben ein reiches Material in lebendige Schilderungen verarbeitet. Einer bei derartigen Werken unerlässliehon Zugabe, de Illustrationen, ist eine besondere Sorgfalt gewidmet, und ist auch ihre Zal im Verluiltniss zum Texte eine sehr reichliche. Das Werk wird sich einen sicher: Boden gewinnen. [Deutsche Blätter.] „Globus" etc., den wir unsern Lesern mit voller üe bfirz eugung empfehlen können. Es finden sich in ihm über alle Länder dc Erdballs näher eingehende Beschreibungen, Neuigkeiten und Notizen, welche durc treffliche Holzschnitte und Karten anschaulich gemacht werden und dem Leser d;: 'Studium dicker Bücher und fremder Journale erspareu. Der Preis ist überaus billi zu nennen, namentlich bei der schönen äusseren Ausstattung. [Hesonn.] Von dem, ohne Zweifel sehr z ei tge mässe n, neu begründete Unternehmen ist das erste Quartal complet versendet worden. Lieferte selbst dr Werk nichts weiter als die bewunderungswürdig schönen bildlichen Dai Stellungen, die zunächst in's Auge fallen, so würde schon, um ihres seltenen artist tischen Werthes willen, diese Sammlung für Wissenschaft und Unterricht hoch ar zuschlagen sein. Jene ausgezeichneten Producte der Xylographie, die an Schärft Weichheit, Reinheit, Lichtwirkung kaum dem Stahlstich nachstehen, dienen indes hier nur als ülustrirende Beigabe zu besserer Veranschaulichung der wichtigere Mittheilungen, welche der Text bringt, etc. [Dresdener Journal.] Der „Globus" verdient die Beachtung der wei testen Leserkreise im Publikum. Unsere Zeit ist mehr als irgendeine früher von dem Verlangen durchdrungen nach Kenntniss der Völker, ihrer Lebensweis lJüd Gesittung, der neuesten Erforschungen fremder Gebiete unserer Erde, wichtige Resultate in der Wissenschaft der Erdbeschreibung: die Kunde davon wird durc ''iese Zeitschrift als „Chronik der Reisen" vermittelt. Die bildliche, Ausstattiiri ('l>s „Globus" ist nicht allein reich in Zahl und Mannigfaltigkeit, sondern auc sehr gut in der Ausführung der Holzschnitte. Die Zeichnung und technisch Ausarbeitung derselben entspricht den gesteigerten Anforderungen unserer Zeit durcli aiJs, und empfiehlt die Zeitschrift mit Rücksicht auf den billigen Preis um so meli z'1 allgemeinster Verbreitung. [Coblenzer Zeitung.] Im Verlag des Bibliographischen Instituts z I' il dburgh au sen, welches durch manche lobenswerthe und nützliche literarisch Untcrnehuiung sich in Deutschland einen guten Ruf erworben, erscheint jetzt ei "r'"k, dem eine grosse Theilnahme nicht fehlen kann; es ist die illustrirt "L'itsehrift „Globus" etc. Dieselbe ist bereits mehrfach aufs Günstigste beurtheil ^orilen und wird nicht verfehlen, eine weite Verbreitung zu erlangen. . [ElberfVlder Zeitung.] Wir haben die Nummern dieser an interessanten un V'sseiisvverthen Mittheilungen sehr reichhaltigen Zeitschrift aufmerksam durchgeseher r'd uns überzeugt, dass dieselbe vollkommen erfüllt, was im Prospec! ,.^rsprochcn worden ist. Die trefflichen Illustrationen vervollständigen de oc* iu sofern, indem sie den Augen das im Bilde vorführen, was in Worten Ix s_- »rieben worden ist. Wir empfehlen daher Allen, die sich für Erdkunde interes z l' ßicn durch eigene Anschauung von den Vorzügen dieser Zeitschrift zu über ß^n, die sicher Niemand unbefriedigt aus den Händen legen wird. s»t'lit Uin0VCrscllcr (-l°"r'l!r-] ^s ist "ns in jüngster Zeit keine Zeitschrift zu Gq und 1^e'tomnien) die- in gleicher Weise durch den Glanz ihrer Ausstattun j eiOu-j u ^eicl'tlnim ihres interessanten Inhalts blendete und für sie] der Ti"10' ."■r)««t.iH.J ieitige Text zeichnet sich durch Gediegenheit und treffliche Darstellung nicht minier aus, als die beigefügten sehr zahlreichen Illustrationen durch ihre künstlerisch gelungene Ausführung, Wahrheit und Genauigkeit. Wir sind überzeugt, dass die ieitschrift hei so hervorstechenden guten Eigenschaften sich bald eines bedeutenden Lieserkreises erfreuen wird, und wir empfehlen dieselbe unseren Freunden aufs iVännste. [Prutz1 Deutsches Museum.] „Globus" etc. Unter diesem Titel lässt die durch hre grossartigen Unternehmungen hinlänglich bekannte Firma seit einiger Zeit ein Slatt erscheinen, welches bestimmt ist, etc. Soweit die vorliegenden Nummern sin Urtheil gestatten, ist die Auswahl mit Geschmack und Umsicht ge* ;roffen und namentlich für eine zweckmässige Mannigfaltigkeit der Gegenstände ^orge getragen. Was dem Unternehmen aber zur besondern Empfehlung gereicht', das sind die sehr zahlreichen und recht gut ausgeführten Holzschnitt«, jvelche dem Texte beigegeben sind. l)a auch der Preis ein verhiittuissmässig sehr billiger ist, so wird der „Globus" sich voraussichtlich recht bald in den wei" iesten Kreisen einbürgern. [Neue Würzburger Zeitung.] „Globus" etc. Wenn wir die uns vorliegenden Ersten sechs Hefte betrachten, so müssen wir sagen, dass der Herausgeber sich be-nüht hat, den Verheissungen des.Prospect us zu entsprechen, und iü Anbetracht des allgemein bildenden Einflusses, den die weitere Verbreitung ge°" graphischer und ethnographischer Kenntnisse unter dem Volke hat, wünschen wir lern neuen Unternehmen einen gedeihlichen Erfolg. [Frankfurter Journal.] „Globus" etc. Eine neue, schon durch ihren Hildes' ■eichthum anziehende Unternehmung jenes thätigen Instituts, die unserer Zeit voll nachsenden Völkerverkehrs höchst erwünscht kommt. Hoffentlich wird die Vuswahl mit sorgfältiger Kritik und deutscher Gründlichkeit fortgesetzt, und wir yerden dann Näheres berichten. [Arbeitgeber.] „Globus" etc. Wio diese Verlagshandlung schon seit Jahren bu-niiht ist, durch umfassende Werke über Länder und Völker in Schilderungen uu(* Zeichnungen das Wissen zu bereichern, hat sie auch hier wieder eine neuo Schatz' iammer des Wissens eröffnet. [Neues Stuttgarter Tageblatt.] Kaum ein Gebiet wissenschaftlicher Thätig^61' A'ird jetzt mit so viel Eifer und Erfolg angebaut, wie die Erforschung etc. Der io talentvolle und thätige Herr H. J. Meyer hat es daher an der Zeit gehalten» sine Zeitschrift, den Globus, zu diesem Zwecke herauszugeben. Die erschienene üefte geben Zeugniss von der Mannigfaltigkeit und Gediegenheit larin enthaltenen Schilderungen, die noch überdies ilurch sehr zahlreiche Wustr Ionen, wie wir sie in solcher Menge und Schönheit noch in keinem ^el ;efunden haben, gehoben und bereichert werden etc., wesshalb wir diese Zeitscbn federn, der nach Wissen und Bildung strebt, auf das Beste empfehlen können. [Bayrischer Courier.] „Globus" etc. Diesem Prospect werden die ersten se Lieferungen vollkommen gerecht; die Schilderung von Land und Leuten 1» gewissenhaft, reich, geschmackvoll und von frischem Tone, und die L^ Texte beigegebenen, ihn erläuternden und versinulichenden Illustrationen sn^ ,ron prachtvoller Schönheit. Der Globus ist jedem Gebildeten ein an ^ ;ender Unterricht, eine ebon so genussvolle als nützliche Bereicherung sel Kenntnisse.