Alexander von Humboldt's Reise in die Acquinoctial-Gegenden des neuen Continents. In deutscher Bearbeitung von Hermann Hauff. Nach der Anordnung und unter Mitwirkung des Verfassers. Einzige von A, v. Humboldt aneikanntl Ausgabt in deutsch« Sprach«. Zweiter Band. Stuttgart. I. G. Cotta'scher Verlag. 1861. . Buchtlucktret der I. G. Votta'fchtN Buchhandlung ln Stuttgart unt Augsburg. Fünftes Kapitel. Die Halbinsel Nraya. — Salzsümpft. — Die Trümmer des Schlosse« Snntiago. Die ersten Wochen unseres Aufenthalts in Cumana verwendeten wir dazu, unsere Instrumente zu berichtigen, in der Umgegend zu botanisiren und die Spuren des Erdbebens vom 14. December 1797 zu beobachten. Die Mannigfaltigkeit der Gegenstände, die uns zumal in Anspruch nahmen, ließ uns nur schwer den Weg zu geordneten Studien und Beobachtungen finden. Wenn unsere ganze Umgebung den lebhaftesten Reiz für uns hatte, fo machten dagegen unsere Instrumente die Neugier der Einwohnerschaft rege. Wir wurden schr oft durch Besuche von der Arbeit abgezogen, und wollte man nicht Leute vor den Kopf stoßen, die so seelenvergnügt durch einen Dollond die Sonnensiecken betrachteten, oder zwei Gase in der Röhre des Eudiometers sich verzehren, oder auf galvanische Berührung einen Frosch sich bewegen sahen, so mußte man sich wohl herbeilassen, auf oft verworrene Fragen Auskunft zu geben und Stunden lang dieselben Versuche zu wiederholen. So ging es uns fünf ganze Iabre, so oft wir uns an einem Orte aufhielten, wo man in Erfahrung gebracht hatte, daß wir Mikroskope, Fernrohre oder elektromotorische Apparate Humboldt, liiels«. II. 1 besitzen. Dergleichen Auftritte wurden meist desto angreifender, je verworrener die Begriffe waren, wclche die Besucbcr von Astronomie und Physik hatten/welche Wissenschaften in den spanischen Colonicn den sonderbaren Titel: „neue Philosophie," uuevä llwsotia, führen. Die Halbgelehrten sahen mit einer gewissen Geringschätzung auf uns herab, wenn sie hörten, daß sich unter unsern Büchern weder das «peclÄeie 6e !a nature vom Abbe Pluchc, noch der oourg ^6 pk^ihue von Sigaud la Fond, noch das Wörterbuch von Valmont de Vomare befanden. Diese drei Werke und der ti-nite ä'^eonnmio polj. tiqus von Baron Vielfeld sind die bekanntesten und geachtetstcn fremden Bücher im spanischen Amerika von Caracas und Chili vis Guatimala und Nordmcxico. Man gilt nur dann für gelehrt, wenn man die Uebersehungen derselben recht oft citiren tann, und nur in den großen Hauptstädten, in Lima, Sanla Fe de Bogota und Mexico, fangen die Namen Haller, Cavendish und Lavoisier an jene zu verdrängen, deren Nuf seit einem Halden Jahrhundert populär geworden ist. Die Neugierde, mit der die Menschen sich mit den Himmelserscheinungen und verschiedenen naturwissenschaftlichen Gegenständen abgeben, äußert sich ganz anders bei alicivilisirten Völkern als da, wo die Geistesentwicklung noch geringe Fortschritte gemacht hat. In beiden Fällen finden sich in den höchsten Ständen viele Personen, die den Wissenschaften ferne stehen -aber in den Colonien und bei jungen Völkern ist die Wißbegier keineswegs müßig und vorübergehend, sondern entspringt aus dem lebendigen Trieb, sich zu belehren,- sie äußert sich so arglos und naiv, wie sie in Europa nur in früher Jugend auftritt. 2 Erst am 36. Juli konnte ich eine ordentliche Ncihe astronomischer Beobachtungen beginnen, obgleick mir viel daran lag, die Länge, wie sie Louis Verthouds Chronometer angab, kennen zu lernen. Der Zufall wollte, daß in einem Lande, wo der Himmel beständig rein und klar ist, mehrere Nächte sternlos waren. Zwei Stunden nacb dem Durchgang der Sonne durch den Meridian zog jeden Tag ein Gewitter auf und es wurde mir schwer correspondircnde Sonnenhöhen zu erhalten, obgleich ich in verschiedenen Intervallen drei, vier Gruppen aufnahm. Die vom Chronometer angegebene Länge von Cumana differirte nur um 4 Secunden Zeit von der, welche ich durch Himmelsbeobachlungcn gefunden, und doch hatte unsere Ueberfahrt einundvicrzig Tage gewährt und bei der Besteigung des Pic von Teneriffa war der Chronomeler starken Temperatur-wechseln ausgesetzt a/wesen. Aus meinen Beobachtungen in den Jahren 1799 und 1800 ergibt sich als Gesammtrcsultat, das, der große Platz von Cumana unter 10° 27' 52" der Breite und 66" 30' 2" der Länge liegt. Die Bestimmung der Länge gründet sich auf den Uebertrag der Zeit, auf Monddistanzen, auf die Sonnenfinster-mß vom 28. Oktober 17N9 und auf zehn Immersionen der Iupiterstrabanten, verglichen mit in Europa angestellten Beobachtungen. Sie weicht nur um sehr weniges von der ab, die Fidalgo vor mir, aber durch rein chronometrische Mittel gefunden. Unsere älteste Karte des neuen Continents, die von Diego Ribeiro, Geographen Kaiser Carls des Fünften, setzt Cumana unter 9° 30' Breite, was um 56 Minuten von der wahren Breite abweicht und einen halben Grad von der, die Iesserys 3 in seinem im Jahr 1794 herausgegebenen „Amerikanischen Steuermann" angibt. Drcibundert Icchre lang zeichnete man die ganze Küste von Paria zu weit südlich, weil in der Nähe der Insel Trinidad die Strömungen nach Nord gehen und die Schiffer nach der Angabe des Logs weiter gegen Süd zu seyn glauben, als sie wirklich sind. Am 17. August machte ein Hof oder eine Lichtkrone um den Mond den Einwohnern viel zu schassen. Man betrachtete es als Vorboten eines starken Erdstoßes, denn nach der Volksphysik stehen alle ungewöhnlichen Erscheinungen in unmittelbarem Zusammenhang. Die farbigen Kreise um den Mond sind in den nördlichen Ländern weit seltener als in der Provence, jn Italien und Spanien. Sie zeigen sich, und dieß ist auffüllend, besonders bei reinem Himmel, wenn das gute Wetter sehr beständig scheint. In der heißen Zone sieht man fast jede Nacht schöne prismatische Farben, selbst bei der größten Trockenheit» oft verschwinden sie in wenigen Minuten mehrere male, ohne Zweifel, weil obere Luftströmungen den Zustand der feinen Dünste, in denen das Licht sich bricht, verändern. Zuweilen habe ich zwischen dem 15. Grad der Breite und dem Aequator sogar um die Venus kleine Höfe gesehen; man konnte Purpur, Orange und Violette unterscheiden; aber um Sirius, Canopus und Achernar habe ich niemals Farben gesehen. Während der Mondhof in Cumana zu sehen war, zeigte der Hygrometer große Feuchtigkeit an; die Wasserdünste schienen aber so vollkommen aufgelöst, oder vielmehr so elastisch und gleichförmig verbreitet, daß sie der Durchsichtigkeit der Luft deinen Eintrag thaten. Der Mond ging nach einem Gewitter- 4 regen hinter dem Schlosse San Antonio auf. Wie er am Horizont erschien, sah man zwei Kreise, einen großen, weißlichen von 44 Grad Durchmesser und einen kleinen, der in allen Farben des Regenbogens glänzte und 1 Grad 43 Minuten breit war. Der Himmelsraum zwischen beiden Kronen war dunkelblau. Bei 40 Grad Höhe verschwanden sie. ohne daß die meteorologischen Instrumente die geringste Veränderung in den niedern Luftregionen anzeigten. Die Erscheinung hatte nichts Auffallendes außer der großen Lebhaftigkeit der Farben, neben dem Umstand, daß nach Messungen mit einem Rams-den'sch?n Sextanten die Mondscheibe nicht ganz in der Mitte der Höfe stand. Ohne die Messung hätte man glauben tonnen, diese Ercentricität rühre von der Projection der Kreise auf die scheinbare Concavität des Himmels her. Die Form der Höfe und die Farben, welche in der Luft unter den Tropen beim Mondlicht zu Tage kommen, verdienen es, von den Physikern von Neuem in den Knis der Beobachtungen gezogen zu werden. In Mexico habe ich bei vollkommen klarem Himmel breite Streifen in den Farbm des Regenbogens über das Himmelsgewölbe und gegen die Mondscheibe hin zusammenlaufen sehen: dieses merkwürdige Meteor erinnert an das von Cotes im Jahr 1716 beschriebene. Wenn unser Haus in Cumana für die Beobachtung des Himmels und der meteorologischen Vorgänge sehr günstig gelegen war, so mußten wir dagegen zuweilen bei Tage etwas ansehen, was uns empötte. Der große Platz ist zum Theil mit Bogengängen umgebcn, über denen eine lange hölzerne Galerie hinläuft, wie man sie in allen hcißen Ländern sieht. 5 6 Hier wurden die Schwarzcn verkauft, die von der afrikanischen Küste herüber kommen. Unter allen europäischen Neqierungcn war die von Dänemark die erste, und lange die einzige, die den Sklavenhandel abgeschafft bat, und dennoch waren die ersten Sklaven, die wir aufgestellt sahen, auf einem dänischen Sklavenschiff gekommen. Der gemeine Eigennutz, der mit Mcnschen-pflicht, Natioualehre und den Gesetzen des Vaterlandes im Streite liegt, läßt sich durch nichts in seinen Speculationcn stören. Die zum Verkauf ausgesetzten Sklaven waren junge Leute von fünfzehn bis zwanzig Jahren. Man lieferte ihnen jeden Morgen Cocosöl, um sich den Körper damit einzureihen und die Haut glänzend schwarz zu machen. Jeden Augenblick erschienen Käufer und schätzten nach der Beschaffenheit der Zähne Alter und Gesundheitszusland der Sklaven: sie riüen ihnen den Mund auf, ganz wie es auf dem Pferdemarkt geschieht. Dieser entwürdigende Brauch schreibt sich aus Afrika her. wie die getreue Schilderung zeigt, die Cervantes nach langer Gefangm-schaft bei den Mauren in einem seiner Theaterstücke' vom Verkauf der Christensklaven in Algier entwirfi. Es ist ein empörender Gedanke, daß es noch heutigen Tages auf den Antillen spanische Ansiedler gibt, die ihre Sklaven mit dem Glüheiscn zeichnen, um sie wieder zu erkennen, wenn sie entlaufen. So behandelt man Menschen, die andern Menschen die Mühe des Säens, Ackerns und Erntens ersparen. ^ Je tieferen Eindruck der erste Verlauf von Negern in Cumana auf uns gemacht halte, desto mehr wünschten wir uns ' ül llilä« äe .4sßel. ^ I.« Nru?ere. (üiaraetöres. plllli», ausgedrückt. Acht Realen gehen auf einen harte» Piaster oder 105 Sous französische» Gelde«. 16 in den sibirischen Salzseen beobachtet norden sind. Sie nimmt übrigens nur das Rcgenwasser auf, das durch die Tlwnschichten durchsickert und sich am tiefsten Punkte der Halbinsel sammelt. So lange die Lagune den Spaniern und Holländern als Calz-werk diente, stand sie mit der See in leiner Verbindung; neuerdings hat man nun diese Verbindung wieder aufgehoben, indem man an der Stelle, wo das Meer im Jahr 1726 eingebrochen war, einen Faschinendamm anlegte. Nach großer Trockenheit werden noch jetzt vom Boden der Lagune drei bis vier Kubikfuß große Klumpen krystallisirten, schr reinen salz-, sauren Natrons heraufgefördert. Das der brennenden Sonne ausgesetzte Ealzwasser des Sees verdunstet an der Oberfläche; in der gesättigten Lösung bilden sich Salzkrusten, sinken zu Boden, und da Krystalle von derselben Zusammensetzung und der gleichen Gestalt einander anzieben, so wachsen die krystallinischen Massen von Tag zu Tag an. Man beobachtet im Allgemeinen, daß das Wasser überall, wo sich Lachen im Thonboden gebildet haben, salzhaltig ist. Im neuen Salzwerk bei den Batterien von Araya leitet man allerdings das Meerwasser in die Kasten, wie in den Salzsümpfen im mittäglichen Frankreich; aber auf der Insel Margarita bei Pampadar wird das Salz nur dadurch bereitet, daß man süßes Wasser den salzhaltigen Thon auslaugen läßt. Das Salz, das in Thonbildungen enthalten ist, darf nicht verwechselt werden mit dem Salz, das im Sand am Meeresufer vorkommt, und das an den Küsten der Normandie ausgebeutet wird. Diese beiden Erscheinungen haben, aus geologischem Gesichtspunkt betrachtet, so gut wie nichts mit einander 17 gemein. Ich habe salzhaltigen Thon am Meeresspiegel, bei Punta Araya, und in 2000 Toisen Höhe in den Cordilleren von Neugrenada gesehen. Wenn derselbe am erstgenannten Ort unter einer Muschelbreccie von sehr neuer Bildung liegt, so tritt er dagegen bei Ischl in Oesterreich als mächtige Sckncht im Alpenkalk auf, der, obgleich gleichfalls jünger als die Existenz organischer Wesen auf der Erde, doch sehr alt ist, wie die vielen Gebirgsglieder zeigen, die ihm aufgelagert sind. Wir wollen nicht in Zweifel ziehen, daß das reine' oder mit salzhaltigem Thon vermengte Steinsalz' der Niederichlag eines alten Meeres seyn könne: alles weist aber darauf hin, daß es sich unter Naturverhältnissen gebildet hat, die sehr bedeutend abweichen mußten von denen, unter welchen die jetzigen Meere in Folge allmähliger Verdunstung hie und da ein paar Körner salzsauren Natrons im Ufersande niederschlagen. Wie der Schwefel und die Steinkohle sehr weit auseinander liegenden Formationen angehören, kommt auch das Steinsalz bald im Uebergangsgips, bald im Alpenkalk, bald in einem mit sehr neuem Muschel-saudstein bedeckten Salzthon (Punta Araya), bald in einem Gips vor, der jünger ist als die Kreide. Das neue Salzwerk von Araya besteht aus fünf Behältern oder Kasten, von denen die größten eine regelmäßige Form und 2300 Quadrattoisen Oberfläche haben. Die mittlere Tiefe beträgt ackt Zoll. Man bedient sich sowohl des Negenwassers, das sich durch Einsickerung am tiefsten Punkt der Ebene sammelt, als des Meerwassers, das durch Kanäle hereingeleitet wird, l Das von Wicliczfa »ud Peru. ' Das von HaUein, Ischl und Zipaqniva. Humboldt. Reise, II, 2 18 wenn der Wind die See an die Küste treibt. Dieses Ealzwerl ist nicht so günstig gelegen wie die Lagune. Das Wasser, das in die letztere füllt, kommt von stärker geneigten Abhängen und hat ein größeres Bodenstück ausgelaugt. Die Indianer pumpen mit der man in diesen Ländern bei Menschen aller Kasten findet. Von außen war die Hütte, in der wir unsere Hängematten befestigten, sehr sauber: wir fanden daselbst Fische, Bananen u.dgl., und, was im heißen Landstrich über die ausgesuchtesten Speisen geht, vortreffliches Waster. Des andern Tages bei Sonnenaufgang sahen wir, daft die Hütte, in der wir die Nacht zugebracht, zu einem Haufen kleiner Wohnungen am Ufer des Salzsees gehörte. Es sind dies die schwachen Ueberblribscl eines ansehnlichen Dorfes, das sich einst um das Schloß gebildet. Die Trümmer einer Kirche waren halb im Sand begraben und "mit Sttauchwcrk bewachsen. Nachdem im Jahr 1762 das Schloß vun Amna, um die Unterhaltungskosten der Besatzung zu ersparen, gänzlich zerstört worden war, zogen sich die in der Umgegend angesiedelten Indianer und Farbigen allmählich nach Maniquarez, Cariaco und in die indianische Vorstadt von Cmnana. Nur wenige blieben aus Anhänglichkeit an den Hnmathboden am wilden, öden Ort. Diese armen Leute leben vom Fischfang, der an den Küsten und auf den Untiefen in der Nabe äußerst ergiebig ist. Sie schienen mit ihrem Loos zufrieden und fanden die Frage seltsam, warum sie keine Gärten hätten und keine nutzbaren Gewächse bauten. „Unsere Gärten," sagten sie, „sind drüben über der Meerenge: wir bringen Fische nach Cumana und 22 verschaffen uns dafür Bananen, Cocosnüsse und Manioc. Diese Wirthschaft, die der Trägheit zusagt, ist in Maniquarez und auf der ganzen Halbinsel Aiaya Brauch. Der Haupreichtlnim der Einwohner besteht in Ziegen, die sehr groß und schon sind. Sie laufen frei umher, wie die Ziegen auf dem Pic von Teneriffa: sie sind völlig verwildert und man Zeichnet sie wie die Maulthiere, weil sie nach Aussehen, Farbe und Zeichnung nicht zu unterscheiden wären. Die wilden Ziegen sind hellbraun und nicht verschiedenfarbig wie die zahmen. Wenn ein Colonist auf der Jagd eine Ziege schießt, die er nicht als sein Eigenthum erkennt, so dringt er sie sogleich dem Nachbar, dem sie gehört. Zwei Tage lang hörten wir als von einer selten vorkommenden Niederträchtigkeit davon sprechen, daß einem Einwohner von Maniquarez eine Ziege abhanden gekommen, und daß wahrscheinlich eine Familie in der Nachbarschaft sich gütlich damit gethan habe. Dergleichen Züge, die für große Sittenreinheit beim gemeinen Volke sprechen, kommen häusig auch in Neumexico, in Canada und in den Ländern westlich von den Aleghanys vor. Unter den Farbigen, deren Hütten um den Salzsee stehen, befand sich ein Schuhmacher von castilianischem Blute. Er nahm uns mit dem Ernst und der Selbstgefälligkeit auf, die unter diesen Himmelsstrichen fast allen Leuten eigen sind, die sich für besonders begabt halten. Er war eben daran, die Sehne seines Bogens zu spannen und Pfeile zu spitzen, um Vögel zu schießen. Sein Gewerbe als Schuster konnte in einem Lande, wo die meisten Leute barfuß gehen, nicht viel eintragen: er beschwerte sich auch, daß das europäische Pulver 23 so theuer sey und ein Mann wie er zu denselben Waffen greifen müsse wie die Indianer. Der Mann war das gelehrte Orakel des Torfs; er wußte, wie sich das Salz durch den Einfluß der Sonne und des Vollmonds bildet, er kannte die Vorzeichen der Erdbeben, die Merkmale, wo sich Gold und Silber im Boden finden, und die Arzneipflanzen, die er, wie alle Colonisten von Chili bis California, in heiße und kalte ' eintheilte. Er hatte die geschichtlichen Ueberlieferungen des Landes gesammelt, und gab uns interessante Notizen über die Perlen von Cubagua, welchen Luxusartikel er höchst wegwerfend behandelte. Um uns zu zeigen, wie bewandert er in der heiligen Schrift sey, führte er wohlgefällig den Spruch Hiobs an, daß Weisheit höher zu wägen ist denn Perlen. Seine Philosophie ging nicht über den engen Kreis der Lebensbedürfnisse hinaus. Ein derber Esel, der eine tüchtige Ladung Bananen an den Landungsplatz tragen könnte, war das höchste Ziel seiner Wünsche. Nach einer langen Nede über die Eitelkeit menschlicher Herrlichkeit zog er aus einer Ledertasche sehr kleine und trübe Perlen und drang uns dieselben auf. Zugleich hieß er uns es in unsere Echreibtafcl aufzuzeichnen, daß ein armer Schuster von Araya, aber ein weißer Mann und von edlem castilijchem Blute, uns etwas habe schenken können, das drüben über dem Meer für eine große Kostbarkeit gelte. Ich komme dem Versprechen, das ich dem braven Mann gab, etwas spät nach und freue mich, dabei bemerken zu können, daß seine Uneigen- ' Reizende und schwächende, sthenische oder asthrnische nach Browns System. 24 nützigkeit ihm nicht gestattete, irgend eine Vergütung anzunehmen. An der Pellenküste sieht es allerdings so armselig aus, wie im „Gold- und Diamantenland," in Choco und Brasilien: aber mit dem Elend paart sich hier nicht die zügellose Gewinnsucht, wie sie durch Schätze des Mineralreichs erzeugt wird. Die Perlcnmuschel ist auf den Untiefen, die sich vom Cap Paria zum Cap Vela erstrecken, sehr bäusig. Die Insel Margarita, Cubagua, Coche, Punta Araya und die Mündung des Rio la Hacha waren im sechzehnten Jahrhundert berühmt, wie im Alterthum der persische Meerbusen und die Insel Tapro-bane.' Es ist nicht richtig, was mehrere Geschichtschreiber behaupten, daß die Eingeborenen Amerikas die Perlen als Luxusartikel nicht gekannt haben sollen. Die Spanier, die zuerst an Terra Firma landeten, sahen bei den Wilden Hals- und Armbänder, und bei den civilifnten Völkern in Mexico und Peru waren Perlen von schöner Form ungemein gesucht. Ich habe die Basaltbüste einer mcxicanischen Priesterin bekannt gemacht, -deren Kopfputz, der auch sonst mit der Calantica der Isis, köpfe Aehnlichkeit hat, mit Perlen besetzt ist. Las Casas und Benzoni erzählen, und zwar nicht ohne Uebertreibung, wie grausam man mit den Indianern und Negern umging, die man zur Perlenfischerei braucbte. In der ersten Zeit der Eroberung lieferte die Insel Coche allein 1500 Mark Perlen monatlich. Der Quint, den die königlichen Veannen vom ' 8lr«ba, Lid. XV. slinius, I.ib. IX, e. 33., Lid. Xll. e. 48, 8o!inu5. pol^Iiistor. c. 66; besonders ^lktmilous, Deip. nozopl,., Lid. III, c. 43. 2 Humboldt, ^lll»8 plUoi-esque, Tafel l und 2. 25 Ertrag an Perlen erhoben, belief sich auf 15,000 Dukaten, nach dem damaligen Werth der Metalle und in Betracht des starken Schmuggels eine sehr bedeutende Summe. Bis zum Jahr 1530 scheint sich der Werth der nach Europa gesendeten Perlen im Jahresdurchschnitt auf mehr als 800,000 Piaster belaufen zu haben. Um zu ermessen, von welcher Bedeutung dieser Handelszweig in Sevilla, Toledo, Antwerpen und Genua seyn mochte, muß man bedenken, daß zur selben Zeit allc Bergwerke Ameriws nicht zwei Millionen Piaster lieferten und daß die Flotte Ovandos für unermeßlich reich galt, weil sie gegen 2600 Mark Silber führte. Die Perlen waren desto gesuchter, da der asiatische Luxus auf zwei gerade entgegengesetzten Wegen nach Europa gedrungen war, von Constantinopel her, wo die Paläologen reich mit Perlen gestickte Kleider trugen, und von Grenada her, wo die maurischen Könige saßen, an deren Hof der ganze asiatische Prunk herrschte. Die ostindischen Perlen waren geschätzter als die westindischen; indessen kamen doch die letzteren in der ersten Zeit nach der Entdeckung von Amerika in Menge in den Handel. In Italien wie in Spanien wurde die Insel Cubagua das Ziel zahlreicher Handelsunternehmungen. Benzoni erzahlt, was einem gewissen Ludwig Lainpagnano begegnete, dem Karl der Fünfte das Privilegium ertheilt hatte, mit fünf „^aravelen" an die Küste von Cumana zu gehen und Perlen zu fischen. Die Ansiedler schickten ihn mit der kecken Antwort heim, der Kaiser gehe mit etwas, das nicht sein gehöre, allzu freigebig um; es stehe ihm nicht das Necht zu, über Austern zu verfügen, die auf dem Meeresboden leben. 26 Gegen das Ende des sechzehnten Jahrhunderts nahm die Perlenstickerei rasch ab, und nach Laets Angabe' hatte sie im Jahr 1633 längst aufgehört. Durch den Gewerbfleiß der Venediger, welche die ächten Perlen täuschend nachmachten, und den starken Gebrauch der geschnittenen Diamanten' wurden die Fischereien in Cubagua weniger einträglich. Zugleich wurden die Perlenmuscheln seltener, nicht, wie man nach der Volkssage glaubt, weil die Thiere vom Geräusch der Ruder verscheucht wurden, sondern weil man im Unverstand die Muscheln zu Tausenden abgerissen und so ihrer Fortpflanzung Einhalt gethan hatte. Die Perlenmuschel ist noch von zarterer Constitution als die meisten andern kopflosen Weichthiere. Auf der Insel Ceylon, wo in der Bucht von Condeatchy die Perlenfischerei sechshundert Taucher beschäftigt und der jährliche Ertrag über eine halbe Million steigt, hat man das Thier vergeblich auf andere Küstenpunkte zu verpflanzen gesucht. Die Negierung gestattet die Fischerei nur einen Monat lang, während man in Cubagua die Muschelbank das ganze Jahr hindurch ausbeutete. Um sich eine Vorstellung davon zu machen, in welchem Maße die Taucher unter diesem Thiergeschlecht aufräumen, ' »InLuIarum ^ubußuZy et coekes quanäain mgßng luit 6i8nil»5. qnum unionum captura aoreret. nunc, ill» cleLciento. obzcurll »clmlxwin sama.« I^aet. Nov. Ordis, p. K69. Dieser sorgfällige Kompilator sagt, wo er von der Punta Araya svricht, weiter, das Land sey dergestalt in Vergessenheit gerathen, »ut vil u!l3 nil» ^inrricAo ineridinnaliz P»r5 dnciie obscurinr «it,« ^ Das Schneiden der Diamanten wnrde im Jahr lä38 von Ludwig de Verquen erfunden; in allgemeinen Gebrauch kam es aber erst im folgenden Jahrhundert. ^ 27 muh man bedenken, dak manches Fahrzeug in zwei, drei Wochen über 35,000 Muscheln aufnimmt. D.'s Tbier lebt nur neun bis zehn Jahre und die Perlen fangen erst im vierten Jahre an zum Vorschein zu kommen. In 10,000 Muscheln ist oft nicht Eine werthrolle Perle. Nach der Sage öffneten die Fischer auf dor Bank bei der Insel Margarita die Muscheln Stück für Stück.- auf Ceylon schüttet man die Thiere auf und läßt sie faulen, und um die Perlen zu gewinnen, wel.be nicht an den Schalen bangen, wascht man die Haufen thierischen Gewebes aus, gerade wie man i" den Minen den Sand aus-wascht, der Gold- oder Zinngeschiebe oder Diamanten enthält. Gegenwärtig bringt das spanische Amerika nur noch die Perlen in den Handel, die aus dem Meerbusen von Panama und von der Mündung des Rio de la Hacha kommen. Auf den Untiefen um Cubagua, Coche und Margarita ist die Fischerei aufgegeben, wie an der kalifornischen Küste.' Man glaubt in Cumana, die Perlenmuschel habe sich nach zweihundertjähriger Ruhe wieder bedeutend vermehrt, ^ und man fragt sich, warum die Perlen, die man jetzt in Muscheln findet, die an den Fischnetzen hängen bleiben, ^ so klein sind und so wenig ' E« wundert mich. auf unsern Reisen nirgends gehört zu haben, daß in Eüdamertta Perlen in Elißwassermnsct,el» gefunden worden wären, und doch kommen manche Arten der Gattung Unia in den Peruanischen Flüssen in grcßer Menge vor. 2 Im Jahr i6<2 sind bei Margarita einige Versuche gemacht worden, die Perlenfischerei wieder anfzunchmen. ' Die Einwohner von Araya verlaufen zuweilen solche llrine Perlen an die Kaufleute von Vumana. Der gewöhnliche Prei« ist ein Piaster für da« Dutzend. 28 Glanz haben, während man bei der Ankunft der Spanier sehr schöne bei den Indianern fand, die doch schwerlich darnach tauchten. Diese Frage ist desto schwerer zu beantworten, da wir nicht wissen, ob etwa Erdbeben die Beschaffenheit des Seebodens verändert haben, oder ob Richiungsänderungcn in unter-meerischen Strömen auf die Temperatur des Wassers oder auf die Häufigkeit gewisser Weichthiere, von denen sich die Muscheln nähren, Einfluß geäußert haben. Am 20. Morgens führte uns der Sohn unseres Wirths, ein sehr kräftiger Indianer, über den Varigon und Caney ins Dorf Mawquarez. Es waren vier Stunden Wegs. Durch das Nückprallen der Sonnenstrahlen vom Sand stieg der Thermometer auf 31",3. Die Säulencactus, die am Wege stehen, geben der Landschaft einen grünen Schein, ohne Kühle und Schatten zu bieten. Unser Führer setzte sich, ehe er eine Meile weit gegangen war, jeden Augenblick nieder. Im Schatten eines schönen Tamarindenbaums bei den Casas de la Vela wollte er sich gar niederlegen, um den Anbruch der Nacht abzuwarten. Ich hebe diesen Cbarakterzug hervor, da er einem überall entgegentritt, so oft man mit Indianern reist, und zu den irrigsten Vorstellungen von der Körperverfassung der verschiedenen Menschenracen Anlaß gegeben hat. Der kupferfarbige Eingeborene, der besser als der reisende Europäer an die glühende Hitze des Himmelsstrichs gewöhnt ist, beklagt sich nur deßhalb mehr darüber, weil ihn kein Nciz antreibt. Geld ist keine Lockung für ihn, und hat er sich je einmal durch Gewinnsucht verführen lassen, so reut ihn sein Entschluß, so bald er auf dem Wege ist. Derselbe Indianer aber, der sich beklagt, wenn 29 man ihm beim Votanisiren eine Pflanzenbüchse zu tragen gibt, treibt einen Kahn gegen die rascheste Strömung und rudert so vierzehn bis fünfzehn Stunden in Einem fort, weil er sich zu den Seinigen zurücksehnt. Will man die Muskelkraft der Völker richtig schätzen lernen, muß man sie unter Umständen beobachten, wo ihre Handlungen durch einen gleich kräftigen Willen be-stimmt werden. Wir besahen in der Nähe die Trümmer des Schlosses Santiago, das durch seine ausnehmend feste Bauart merkwürdig ist. Die Mauern aus behauenen Steinen sind fünf Fuß dick: man mußte sie mit Minen sprengen; man sieht noch Mauerstücke von sieben-, achthundert Quadratfuß, die kaum einen Riß zeigen. Unser Führer zeigte uns eine Asterue (ei ähibe), die dreißig Fuß tief ist und, obgleich ziemlich schadhaft, den Bewohnern der Halbinsel Araya Wasser liefert. Diese Cisterne wurde im Jahr 1681 vom Statthalter Don Juan Padilla Guardiola vollendet, demselben, der in Cumana das kleine Fort Santa Maria gebaut hat. Da der Behälter mit einem Gewölbe im Rundbogen geschlossen ist, so bleibt das Wasser dann frisch und sehr gut. Conferven, die den Kohlenwasserstoff zersetzen und zugleich Würmern und Insekten zum Aufenthalt dienen, bilden sich nicht darin. Jahrhunderte lang hatte man geglaubt, die Halbinsel Araya habe gar keine Quellen süßen Wassers, aber im Jahr 1797 haben die Einwohner von Mani-qucnez nach langem vergeblichem Suchen doch solches gebunden. Als wir über die kahlen Hügel am Vorgebirge Cirial gingen, spürten wir einen starken Vergölgeruch. Der Wind kam vom Orte her, wo die Vergölaucllen liegen, deren schon die 30 ersten Beschreibungen dieser Lander erwähnen. — Das Töpfergeschirr von Maniauarez ist seit unvordenklicher Zeit berübmt, und dieser Industriezweig ist ganz in den Händen der Indianer-wciber. Es wird noch gerade so fadricirt wie vor der Eroberung. Dieses Verfahren ist einerseits eine Probe vom Zustand der Künste in ihrer Kindheit und andererseits von der Starrheit der Sitten, die allen eingeborenen Völkern Amerikas als ein Charakterzug eigen ist. In dreihundert Jahren konnte die Töpfersche be keinen Eingang auf einer Küste finden, die von Spanien nur dreißig bis vierzig Tagreiscn zur See entfernt ist. Die Eingeborenen haben eine dunkle Vorstellung davon, daß es em solves Werkzeug gibt, und sie würdcn sich desselben bedienen, wenn man ihnen das Muster in die Hand gäbe. Die Thongruben sind eine halbe Meile östlich von Mamquarez. Dieser Thon ist das Zrrsel ungsprodukt eines durch Eisenoryd roth gefärbten Glimmerschiefers. Tie Indianerinnen nehmen vorzugsweise solchen, der v el Glimmer enthält. Sie formen mit großem Gesckick Gefäße von zwei bis drei Fuß Durchmesser mit sehr regelmäßiger Krümmung. Da sie den Brennofen nicht kennen, so säichtcn sie Strauchwerk von Desmanthus, Cassia und baumartiger Capparis um die Töpfe und brennen sie in freier Luft. Weiter westwärts vcn der Thongrube liegt die Schlucht der Mina (Bergwerk). Nicht lange nach der Eroberung sollen vcnetianische Goldschürfer dort Gold aus dein Glimmerschiefer gewonnen haben. Dieses Metall scheint hier nicht auf Quarzgängen vorzukommen, sondern im Gestein eingesprengt zu seyn, wie zuweilen im Granit und Gneiß. Wir trafen in Mauiq.iarez Creolen, dic von einer Jagd- 31 Partie auf Cubagua kamen. Die Hirsche von der kleinen Art sind auf diesem unbewohnten Eiland so häufig, daß man täglich drei und vier schießen kann. Ich weiß nicht, wie die Thiere hinübergekommen sind; denn Laet und andere Chronisten des Landes, die von der Gründung von Neucadir berichten, sprechen nur von der Menge Kaninchen auf der Insel. Der Venado auf Cubagua gehört zu einer der vielen kleinen amerikanischen Hirscharten, die von den Zoologen lange unter dem allgemeinen Namen <Üervu8 ^meriennug zusammengeworfen wurden. Er scheint mir nicht identisch mit der Liok 6 6 6» 8» van 68 von Guadeloupe oder dem Guazuti in Paraguay, der auch in Rudeln lebt. Sein Fell ist aus dem Rücken rothbraun, am Bauche weiß: es ist gefleckt, wie beim Axis. In den Ebenen am Cari zeigte man uns. als eine große Seltenheit in diesen heißen Läncern, eine weiße Spielart. Es war eine Hirschkuh von der Größe des europäischen Reis und von äußerst zierlicher Gestalt. Albinos kommen in der neuen Welt sogar unter den Tigern vor. Azara sah einen Jaguar, auf dessen ganz weißem Fell man nur hie und da gleichsam einen Schatten von den runden Flecken sah. Für den merkwürdigsten, man kann sagen für den wunderbarsten aller Naturkörper auf der Küste von Nraya gilt beim Volk der Augenstein, pistr», äß In« <^08. Dieses Gebilde aus Kalkerde ist in Aller Munde: nach der Voltsphysik ist es ein Stein und ein Thier zugleich. Man findet es im Sande, und da rührt es sich nicht; nimmt man es aber einzeln auf und legt es auf eine ebene Fläche, z. B. auf einen Zinnoder Fayence-Tcller, so bewegt es sich, sobald man es durch 32 Citronsaft reizt. Steckt man es ins Auge, so dreht sich das angebliche Thier um sich selbst und schiebt jeden fremden Körper heraus, der zufällig ins Auge gerathen ist. Auf der neuen Saline und im Torfe Maniquarcz brachte man uns solche Auaenstcine zu Hunderten und die Eingeborenen machten uns den Versuch mit dem Citronsaft eifrig vor. Man wollte uns Sand in die Augen bringen, damit wir uns felbst von der Nirkfamkeit des Mittels überzeugten. Wir sahen alsbald, daß diese Steine die dünnen, porösen Deckel kleiner einschaligcr Muscheln sind. Sie haben 1—4 Linien Durchmesser; die eine Fläcke ist eben, die andere gewölbt. Diese Kalkdeckel brausen mit Citronsaft auf und rücken von der Stelle, indem sich die Kohlensäure entwickelt. In Folge ähnlicher Reaction bewegi sich zuweilen das Vrod im Backofen auf wagcrechter Flüche, was in Europa zum Volksglauben an bezauberte Oefen Anlaß gegeben hat. Die ziietras äe Iu8 Hos wirken, wenn man sie ins Auge schiebt, wie die kleinen Perlen und verschiedene runde Samen, deren sich die Wilden in Amerika bedienen, um den Thränenfluß zu steigern. Diese Erklärungen waren aber gar nicht nach dem Geschmack der Einwohner von Araya. Die Natur erscheint dem Menschen desto größer, je geheimnißvoller sie ist, und die Volksphysik weist alles von sich, was einfach ist. Ostwärts von Maniquarez an der Südküste liegen nahe an einander drei Landzungen, genannt Punta de Soto, Punta de la Vrea und Punta Guaratarito. In dieser Gegend besteht der Meeresboden offenbar aus Glimmerschiefer, und aus dieser Gebirgsart entspringt bei Punta de la Vrea, aber achtzig Fuß vom Ufer, eine Naphthaquelle, deren Geruch sich weit in die 33 Halbinsel hinein verbreitet. Man mußte bis zum halben Leib in's Wasser gehen, um die interessante Erscheinung in der Nähe zu beobachten. Das Wasser ist mit Toswrn bedeckt, und mitten in einer sehr großen Bank dieses Gewächses sieht man einen freien runden Fleck von drei Fuß Durchmesser, auf dem einzelne Massen von Diva laowo» schwimmen. Hier kommen die Quellen zu Tag. Dcr Boden des Meerbusens ist mit Sand bedeckt, und das Bergöl, das, durchsichtig und von gelber Farbe, dem eigentlichen Naphtha nahe kommt, sprudelt stoßweiße unter Entwicklung von Luftblasen hervor. Stampft man den Boden mit den Füßen fest, so ficht man die kleinen Quellen wegrücken. Die Naphtha bedeckt das Meer über tausend Fuß weit. Nimmt man an, daß das Fallen der Schichten sich gleich bleibt, so muh der Glimmerschiefer wenige Toisen unter dem Sande liegen. Der Salzthon von Araya enthält festes, zerreibliches Bergöl. Dieses geologische Verhältniß zwischen falzfaurem Natron und Erdpech tommt in allen Steinsalzgruben und bei allen Salzquellen vor; aber als ein höchst merkwürdiger Fall erscheint das Vorkommen einer Nüphthaquelle in einer Urgebirgsart. Alle bis jetzt bekannten gehören secundären Formationen an, und dieser Umstand schien für die Annahme zu sprechen, daß alles mineralische Harz Produtt der Zersetzung von Pflanzen und Thieren oder des Brandes der Steinkohlen sey. Auf der Halbinsel Araya aber fließt die Naphtha aus dem Urgebirge selbst, und diese Erscheinung wird noch bedeutender, wenn man bedenkt, daß in diesem Urgebirge der Herd des unterirdischen Feuers ist, daß man an: Nande brennender Krater zuweilen Humboldt. 3i«is«. II. I 34 Naphthageruch bemerkt, und daß die meisten heißen Quellen Amerika's aus Gneiß und Glimmerschiefer hervorbrechen. Nachdem wir uns in der Umgegend von Maniquarez um-qesehen, bestiegen wir ein Fischerboot, um nach Cumana zurückzukehren. Nichts zeigt so deutlich, wie ruhig die See in diesen Strichen ist, als die Kleinheit und der schlechte Zustand dieser Kähne, die ein sehr hohes Segel führen. Der Kahn, den wir ausgesucht hatten, weil er noch am wenigsten beschädigt war, zeigte sich so leck, daß der Sohn des Steuermanns fortwährend mit einer Tutuma, der Frucht der OreLosnti«, enjkw, das Wasser ausschöpfen mußte. Es kommt im Meerbusen von Ca-riaco, besonders nordwärts von der Halbinsel Araya, nicht selten vor, daß die mit Cocosnüssen beladenen Pirogue» umschlagen, wenn sie zu nahe am Wind gerade gegen den Wellenschlag steuern. Vor solchen Unfällen fürchten sich aber nur Reisende, die nicht gut schwimmen können: denn wird die Pirogue von einem indianischen Fischer mit seinem Sohn geführt, so dreht der Vater den Kahn wieder um und macht sich daran, das Wasser hinauszuschaffen, während der Sohn schwimmend die Cocosnüsse zusammenholt. In weniger als einer Viertelst linde ist die Pirogue wieder unter Segel, ohne daß der Indianer in seinem unerschöpflichen Gleichmuth eine Klage hätte hören lassen. Die Einwohner von Araya, die wir auf der Rückkehr vom Orinoco noch einmal besuchten, haben nicht vergessen, daß ihre Halbinsel einer der Punkte ist, wo sich am frühesten Ca-stilianer niedergelassen. Sie sprechen gerne von der Perlenfischer«, von den Ruinen des Schlosses Santiago, das, wie sie hoffen, einst wieder aufgebaut wird, überhaupt von dem, was 35 sie den ehemaligen Glanz des Landes nennen. In China und Japan gilt alles, was man erst seit zweitausend Jahren kennt, für neue Erfindung: in den europäischen Niederlassungen erscheint ein Ereigniß, das dreihundert Jahre, bis zur Entdeckung von Amerika hinaufreicht, als ungemein alt. Dieser Mangel an alter Ueberlieferung, der den jungen Völkern in den Vereinigten Staaten wie in dm spanischen und portugiesischen Besitzungen eigen ist, verdient alle Beachtung. Er hat nicht nur etwas Peinliches für den Reisenden, der sich dadurch um den höchsten Genuß der Einbildungskraft gebracht sieht, er äußert auch seinen Einfluß auf die mehr oder minder starken Bande, die den Colonisten an den Boden fesseln, auf dem er wohnt, an die Gestalt der Felsen, die seine Hütte umgeben, an die Bäume, in deren Schatten seine Wiege gestanden. Bei den Alten, z. B. bei Phöniziern und Griechen, gingen Ueberlieferungen und geschichtliches Bewußtseyn des Volts vom Mutterland auf die Colonien über, erbten dort von Geschlecht zu Geschlecht fort und äußerten fortwährend den besten Einfluß auf Geist, Sitten und Politik der Ansiedler. Das Klima in jenen ersten Niederlassungen über dem Meere war vom Klima des Mutterlandes nicht sehr verschieden. Die Griechen in Kleinasien und auf Sicilien entfremdeten sich nicht den Einwohnern von Argos, Athen und Corinlh, von denen abzustammen ihr Stolz war. Große Uebereinstimmung in Sitte und Brauch that das ihrige dazu, eine Verbindung zu befestigen, die sich auf religiöse und politische Interessen gründete. Häufig opferten die Colonien die Erstlinge ihrer Ernten in den Tempeln der Mutterstädte, und wenn durch einen unheilvollen Zufall daH 36 heiliqe Feuer auf den Altären von Hestia erloschen war, so schickte man von hinten in Ionien nach Griechenland und ließ es aus den Prytaneen wieder holen. Ueberall, in Cyrenaica wie an den Ufern des Sees Mäotis, erhielten sich die alten Ueberlieferungen des Mutterlandes. Andere Erinnerungen, die gleich mächtig zur Einbildungstraft sprechen, hafteten an den Colonien selbst. Sie batten ihre heiligen Haine, ihre Schuhgottheiten, ihren localen Mythenkreis: sie hatten, was den Dichtungen der frühesten Zeitalter Leben und Dauer verleiht, ihre Dichter, deren Ruhm selbst über das Mutterland Glanz verbreitete. Dieser und noch mancher andern Vortheile entbehren die heutigen Ansiedlungen. Die meisten wurden in einem Landstrich gegründet, wo Klima, Naturprodukte, der Anblick des Himmels und der Landschaft ganz anders sind als in Europa. Wenn auch der Ansiedler Vergen, Flüssen, Thälern Namen beilegt, die an vaterländische Landschaften erinnern, diese Namen verlieren bald ihren Reiz und sagen den nachkommenden Geschlechtern nichts mehr. In fremdartiger Naturumgebung erwachsen aus neuen Bedürfnissen andere Sitten; die geschichtlichen Erinnerungen verblassen allmählich, und die sich erhalten, knüpfen sich fortan gleich Phantasiegebilden weder an einen bestimmten Ort, noch an eine bestimmte Zeit. Der Ruhm Don Pelagio's und des Cid Campeador ist bis in die Gebirge und Wälder Amerika's gedrungen; dem Volt kommen je zuweilen diese glorreichen Namen auf die Zunge, aber sie schweben seiner Seele vor wie Wesen aus einer idealen Welt, aus dem Dämmer der Fabelzeit. Der neue Himmel, das ganz veränderte Klima, die physische Beschaffenheit des Landes wirken weit stärker auf die 37 gesellschaftlichen Zustünde in den Colonien ein, als die gänzliche Trennung vom Mutterland. Die Schifsfahrt hat in neuerer Zeit solche Fortschritte gemacht, daß die Mündungen des Orinoco und Rio de la Plata näher bei Spanien zu liegen scheinen, als einst der Phasis und Tartessus von den griechischen und phönicischen Küsten. Man kann auch die Bemerkung machen, daß sich in gleich weit von Europa entfernten Ländern Sitten und Ueberlieferungen desselben im gemäßigten Erdstrich und auf dem Rücken der Gebirge unter dem Aequator mehr erhalten haben, als in den Tiefländern der heißen Zone. Die Aehnlichkeit der Naturumgebung trägt in gewissem Grad dazu bei, innigere Beziehungen zwischen den Colonisten und dem Mutterland aufrecht zu erhalten. Dieser Einfluß physischer Ursachen auf die Zustände jugendlicher gesellschaftlicher Vereine tritt besonders auffallend hervor, wenn es sich von Gliedern desselben Volksstammes handelt, die sich noch nicht lange getrennt haben. Durchreist man die neue Welt, so meint man überall da, wo das Klima den Anbau des Getreides gestattet, mehr Ueberlieferungen, einem lebendigeren Andenken an das Mutterland zu begegnen. In dieser Beziehung kommen Pennsylvanien, Neu-Mexico und Chili mit den hochgelegenen Plateaus von Quito und Neu-Spanien überein, die mit Eichen und Fichten bewachsen sind. Bei den Alten waren die Geschichte, die religiösen Vorstellungen und die physische Beschaffenheit des Landes durch unauflösliche Bande verknüpft. Um die Landschaften und die alten bürgerlichen Stürme des Mutterlandes zu vergessen, hätte der Ansiedler auch dem von seinen Voreltern überlieferten Götterglauben entsagen müssen. Bei den neueren Völkern hat 38 die Religion, sozusagen, keine Localfarbe mehr. Das Christenthum hat den Kreis der Vorstellungen erweitert, es hat alle Völker darauf hingewiesen, daß sie Glicder Einer Familie sind. aber eben damit hat es das Nationalgcfühl geschwächt.- es hat in beiden Welten die uralten Ueberlieferungen des Morgenlandes verbreitet, neben denen, die ihm eigenthümlich angehören. Völker von ganz verschiedener Herkunft und völlig abweichender Mundart haben damit gemeinschaftliche Erinnerungen erhalten, und wenn durch die Missionen in eim'm großen Theil des neuen Festlandes die Grundlayen der Cultur gelegt worden sind, so haben eben damit die christlichen kosmogonischen und religiösen Vorstellungen ein merkbares Uebergewicht über die rein nationalen Erinnerungen erhalten. Noch mehr: die amerikanischen Colonien sind fast durchaus in Ländern angelegt, wo die dahingegangenen Geschlechter kaum eine Spur ihres Daseyns hinterlassen haben. Nordwärts vom Rio Gila, an den Ufern des Missouri, auf den Ebenen, die sich im Osten der Anden ausbreiten, geben die Ueberlieferungen nicht über ein Jahrhundert hinauf. In Peru, in Guatlmala und in Mexico sind allerdings Trümmer von Gebäuden, historische Malereien und Bildwerke Zeugen der alten Cultur der Eingeborenen: aber in einer ganzen Provinz findet man kaum ein paar Familien, die einen klaren Begriff von der Geschichte der Incas und der mericanischen Fürsten haben. Der Eingeborene hat seine Sprache, seine Trackt und seinen Volts-charakter behalten: aber mit dem Aufhören des Gebrauchs der Quippus und der symbolischen Malereien, durch die Einführung des Christenthums und andere Umstände, die ich anderswy 39 auseinander gesetzt, sind die geschichtlichen und religiösen Ueberlieferungen allmählich untergegangen. Andererseits sieht der Ansiedler von europäischer Abkunft verächtlich auf Alles herab, was sich auf die unterworfenen Völker bezieht. Er sieht sich in die Mitte gestellt zwischen die frühere Geschichte des Mutterlandes und die seines Geburtslandes, und die eine ist ihm so gleichgültig wie die andere; in einem Klima, wo bei dem geringen Unterschied der Jahreszeiten der Ablauf der Jahre fast unmerklich wird, überläßt er sich ganz dem Genusse der Gegenwart und wirft selten einen Blick in vergangene Zeiten. Aber auch welch ein Abstand zwischen der eintönigen Geschichte neuerer Niederlassungen und dem lebenvollen Bilde, das Gesetzgebung, Sitten und politische Stürme der alten Colonien darbieten! Ihre durch abweichende Regierungsformen verschieden gefärbte geistige Bildung machte nicht selten die Eifersucht der Mutterländer rege. Durch diesen glücklichen Wetteifer gelangten Kunst und Literatur in Ionien, Großgriechenland und Sicilien zur herrlichsten Entwicklung. Heutzutage dagegen haben die Colonien weder eine eigene Geschichte noch eine eigene Literatur. Tie in der neuen Welt haben fast nie mächtige Nachbarn gehabt, und die gesellschaftlichen Zustände haben sich immer nur allgemach umgewandelt. Des politischen Lebens bar, haben diese Handels- und Ackerbaustaaten an den großen Welthändeln immer nur passiven Antheil genommen. Die Geschichte der neuen Colonien hat nur zwei merkwürdige Ereignisse aufzuweifen, ihre Gründung und ihre Trennung vom Mutterlande. Das erstere ist reich an Erinnerungen, die sich wesentlich an die von den Cylonisten bewohnten W Länder knüpfen: aber statt Bilder des friedlichen Fortschritts des Gewerbfleißes und der Entwicklung der Gesetzgebung in den Colonien vorzuführen, erzählt diese Geschichte nur von verübtem Unrecht und von Gewaltthaten. Welchen Reiz können jene außerordentlichen Zeiten l>.ben, wo die Spanier unter Carls V. Negierung mehr Muth als sittliche Kraft entwickelten, und die ritterliche Ehre, wie der kriegerische Ruhm durch Fanatismus und Golddurst befleckt wurden? Die Colonisten sind von sanfter Gemüthsart, sie sind durch ihre Lage den Nationalvorurtheilen enthoben, und so wissen sie die Thaten bei der Eroberung nach ihrem wahren Werthe zu schätzen. Tie Männer, die sich damals ausgezeichnet, sind Europäer, sind Krieger des Mutterlandes. In den Augen des Colonisten sind sie Fremde, denn drei Jahrhunderte haben hingereicht, die Bande des Blutes aufzulösen. Unter den „Conquistadoren" waren sicher rechtschaffene und edle Männer, aber sie verschwinden in der Masse und konnten der allgemeinen Verdammniß nicht entgehen. Ich glaube hiemit die haupsächlichsten Ursachen angegeben zu haben, aus denen in den heutigen Colonien die Nationalerinnerungen sich verlieren, ohne daß andere, auf d'as nunmehr bewohnte Land sich beziehende würdig an ihre Stelle träten. Dieser Unistand, wir können es nicht genug wiederholen, äußert einen bedeutenden Einfluß auf die ganze Lage der Ansiedler. In der stürmevollen Zeit einer staatlichen Wiedergeburt sehen sie sich auf sich selbst gestellt, und es ergeht ihnen wie einem Volke, das es verschmähte, seine Geschichtsbücher zu befragen und aus den Unfällen vergangener Jahrhunderte Lehren der Weisheit zu schöpfen. Sechstes Kapitel. Die Verge voil Neu-Andalusien. — Das Thal von Cumanacoa. — Der Gipfel des Cocollar. — Missionen der Chayma«-Indianer. Unserem ersten Ausflug auf die Halbinsel Araya folgte bald ein zweiter längerer und lehrreicherer ins Innere des Ge-birgs zu den Missionen der Cliaymas-Indicmer. Gegenstände von mannigfaltiger Anziehungskraft sollten uns dort in Anspruch nehmen. Wir betraten jetzt ein mit Wäldern bedecktes Land; wir sollten ein Kloster besuchen, das im Schatten von Palmen und Baumfarn in einem engen Thale liegt, wo man, mitten im hcißen Erdstrich, köstlicher Küble genießt. In den benachbarten Bergen gibt es dort Höhlen, welche von Tausenden von Nachtvögeln bewohnt sind, und wis noch lebendiger zur Einbildungskraft spricht als alle Wunder der Physischen Welt, jenseits dieser Berge lebt ein vor Kurzem noch nomadisches Volk, kaum aus dem Naturzustand getreten, wild, jedoch nicht barbarisch, geistesbeschräntt, nicht weil es lange versunken war, sondern weil es eben nichts weiß. Zu diesen so mächtig anziehenden Gegenständen kamen noch geschichtliche Erinnerungen. Am Vorgebirge Paria sah Columbus zuerst das Festland; hier lawen die Thäler aus, die bald von den kriegerischen, mcnschen-srefsenden Caraiben, bald von den civilisirten Handelsvölkern 42 Europa's verwüstet wurden. Zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts wurden die unglücklichen Einwohner auf den Küsten von Carupano, Macarapan und Caracas behandelt, wie zu unserer Zeit die Einwohner der Küste von Guinea. Bereits wurden die Antillen angebaut und man führte dort die Gewächse der alten Welt ein; aber in Terra Firma kam es lange zu keiner ordentlichen und planmäßigen Niederlassung. Die Spanier besuchten die Küste nur, um sich mit Gewalt odcr im Tauschhandel Sklaven, Perlen, Goldkörner und Farbholz zu verschaffen. Durch den Schein gewaltigen Religionseifers meinte man diese unersättliche Habsucht in eine höhere Sphäre zu heben. So hat jedes Jahrhundert seine eigene geistige und sittliche Farbe. Der Handel mit den kupferfarbigen Cingebornen führte zu denselben Unmenschlichkeiten wie der Negerhandcl: er hatte auch dieselben Folgen, Sieger und Unterworfene verwilderten dadurch. Von Stunde an wurden die Kriege unter den Eingeborenen häufiger: die Gefangenen wurden aus dem innern Lande an die Küste geschleppt und an die Weißen verkauft, die sie auf ihren Schiffen fesselten. Und doch waren die Spanier damals und noch lange nachher eines der civilisirtesten Völker Europa's. Ein Abglanz der Herrlichkeit, in der in Italien Kunst und Literatur blühten, hatte sich über alle Völker verbreitet, deren Sprache dieselbe Quelle hat wie die Sprache Dante's und Petrarca's. Man sollte glauben, in dieser mächtigen geistigen Entwicklung, bei solch erhabenem Schwung der Einbildungskraft hätten sich die Sitten sänftigen müssen. Aber jenseits der Meere, überall, wo der Golddurst zum Mißbrauch der Gewalt 43 führt, haben die europäischen Völker in allen Abschnitten der Geschichte denselben Charakter entwickelt. Das herrliche Jahrhundert Leo's X. trat in der neuen Welt mit einer Grausamkeit auf, wie man sie nur den finstersten Jahrhunderten zutrauen sollte. Man wundert sich aber nicht so sehr über das entsetzliche Viid der Eroberung von Amerika, wenn man daran denkt, was trotz der Segnungen einer menschlicheren Gesetzgebung noch jetzt auf den Westküsten von Afrika vorgeht. Der Sklavenhandel hatte Dank den von Carl V. zur Geltung gebrachten Grundsätzen auf Terra Firma längst aufgehört; aber die Conquistadoren setzten ihre Streifzüge ins Land fort, und damit den kleinen Krieg, der die amerikanische Bevölkerung herabbrachte, dem Nationalhah immer frische Nahrung gab, auf lanqe Zeit die Keime der Cultur erstickte. Endlich ließen Missionäre unter dem Schuhe des weltlichen Arms Worte des Friedens hören. Es war Pflicht der Religion, daß sie der Menschheit einigen Trost brachte für die Greuel, die in ihrem Namen verübt worden; sie führte für die Eingeborenen das Wort vor dem Richterstuhl der Könige, sie widersehte sich den Gewaltthätigkeiten der Pfründeninhaber, sie vereinigte umherziehende Stämme zu den kleinen Gemeinden, die man Missionen nennt und die der Entwicklung des Ackerbaus Vorschub leisten. So haben sich allmählich, aber in gleichförmiger, planmäßiger Entwicklung jene großen mönchischen Niederlassungen gebildet, jenes merkwürdige Regiment, das immer darauf hinausgeht, sich abzuschließen, und Länder, die vier und fünfmal größer sind als Frankreich, den Mönchsorden unterwirft. Einrichtungen, die trefflich dazu dienten, dem Blutvergießen 44 Einhalt zu thun und den ersten Grund zur gesellschaftlichen Entwicklung zu legen, sind in der Folge dem Fortschritt derselben hinderlich geworden. Die Abschließung hatte zur Folge, daß die Indianer so ziemlich blieben, was sie waren, als ihre zerstreuten Hütten noch nicht um das Haus des Missionärs beisammen lagen. Ihre Zahl hat ansehnlich zugenommen, keineswegs aber ihr geistiger Gesichtskreis. Sie haben mehr und mehr von der Charakterstärke und der natürlichen Lebendigkeit eingebüßt, die auf allen Stufen menschlicher Entwicklung die edlen Früchte der Unabhängigkeit sind. Man hat Alles bei ihnen, sogar die unbedeutendsten Verrichtungen des hänslichen Lebens, der unabänderlichen Negel unterworfen, und so hat man sie gehorsam gemacht, zugleich aber auch dumm. Ihr Lebensunterhalt ist meist gesicherter, ihre Sitten sind miloer geworden; aber der Zwang und das trübselige Einerlei des Missionsregiments lastet auf ihnen und ihr düsteres, verschlossenes Wesen verräth wie ungern sie die Freiheit der Ruhe zum Opfer gebracht haben. Die Mönchszucht innerhalb der Klostermauern entzieht zwar dem Staate nützliche Bürger, indessen mag sie immerhin hie und da Leidenschaften zur Ruhe bringen, große Schmerzen lindern, der geistigen Vertiefung förderlich seyn; aber in die Wildnisse der neuen Welt verpflanzt, auf alle Beziehungen des bürgerlichen Lebens angewendet, muß sie desto verderblicher wirken, je länger sie andauert. Sie hält von Geschlecht zu Geschlecht die geistige Entwicklung nieder, sie hemmt den Verkehr unter den Völkern, sie weist Alles ab, was die Seele erhebt und den Vorstellungstreis erweitert. Aus allen diesen Ursachen zusammen verharren 45 die Indianer in den Missionen in einem Zustand von Uncultur, der Stillstand heißen müßte, wenn nicht auch die mensHsichen Vereine denselben Gesehen gehorchten, wie die Entwicklung des menschlichen Geistes überhaupt, wenn sie nicht Rückschritte machten, eben weil sie nicht fortschreiten. Am 4. September um fünf Uhr Morgens brachen wir zu unserem Ausflug zu den Chaymas-Indianern und in die hohe Gebirgsgruftpe von Neu-Andalusien auf. Man hatte uns gerathen, wegen der sehr beschwerlichen Wege unfer Gepäck möglichst zu beschränken. Zwei Lastthiere reichten auch hin, unsern Mundvorrath, unsere Instrumente und das nöthige Papier zum Pflanzentrocknen zu tragen. In derselben Kiste waren ein Sextant, ein Inclination-Zcompaß. ein Apparat zur Ermittlung der magnetischen Declination, Thermometer und ein Saussure'fcher Hygrometer. Auf diese Instrumente beschränkten wir uns bei kleineren Ausflügen immer. Mit dem Barometer mußte noch vorsichtiger umgegangen werden, als mit dem Chronometer, und ich bemerke hier, daß kein Instrument dem Reisenden mehr Last und Sorge macht. Wir ließen ihn in den fünf Jahren von einem Führer tragen, der uns zu Fuß begleitete, aber selbst diese ziemlich kostspielige Vorsicht schützte ihn nicht immer vor Beschädigung. Nachdem wir die Zeiten von Ebbe und Fluth im Luftmeere genau beobachtet, das heißt die Stunden, zu denen der Barometer unter den Tropen täglich regelmüßig steigt und fällt, sahen wir ein, daß wir das Relief des Landes mittelst des Varometcrs würden aufnehmen können, ohne correspondirende Beobachtungen in Cumana zu Hülfe zu nehmen. Die größten Schwankungen im 46 Luftdruck betragen in diesem Klima an der Küste nur 1 —1,3 Linien, und hat man ein einziges mal, an welchem Ort und zu welcher Stunde es sey, die QueSsilberhöhe beobachtet, so lassen sich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit die Abweichungen von diesem Stand das ganze Jahr hindurch und zu allen Stunden des Tages und der Nacht angeben. Es ergibt sich daraus, daß im heißen Erdstrich durch den Mangel an cor-respondirenden Beobachtungen nicht leicht Fehler entstehen können, die mehr als 12 — 15 Toisen ausmachen, was wenig zu bedeuten hat, wenn es sich von geologischen Aufnahmen, oder vom Einfluß der Höhe auf das Klima und die Vertheilung der Gewächse handelt. Der Morgen war köstlich kühl. Der Weg oder vielmehr der Fußpfad nach Cumanacao führt am rechten Ufer des Man-zanares hin über das Kavuzincrhospiz, das in einem kleinen Gehölze von Gayacbäumen und baumartigen Capvaris liegt. Nachdem wir von Cumana aufgebrochen, hatten wir auf dem Hügel von San Francisco in der kurzen Morgendämmerung eine weite Aussicht über die See, über die mit goldgelb blühender Bava l bedeckte Ebene und die Berge des Vrigantin. Es fiel uns auf, wie nahe uns die Cordillere gerückt schien, bevor die Scheibe der aufgehenden Sonne den Horizont erreicht hatte. Das Blau der Berggipfel ist dunkler, ihre Umrisse erscheinen schärfer, ihre Massen treten deutlicher hervor, solange nicht die Durchsichtigkeit der Luft durch die Dünste beeinträchtigt wird, die Nachts in den Thälern lagern und im Maaße, als die Luft sich zu erwärmen beginnt, in die Höhe steigen. H5 Beim Hospiz Dwina Pastora wendet sich der Weg nach Nordost und läuft zwei Meilen über einen baumlosen Landstrich, der früher Seeboden war. Man findet hier nicht nur Cactus, Büsche des cistusblätterigen Tribulus und die schöne purpurfarbige Euphorbie, die in Havana unter dem seltsamen Namen viowinno real gezogen wird, sondern auch ^vioen-nm, ^Nionik, ?6ruvium, 'Ilialinum und die meisten Por-tulaceen, die am Golf von Cariaco vorkommen. Diese geographische Vertheilung der Gewächse weist, wie es scheint, auf den Umriß der alten Küste hin und spricht dafür, daß, wie oben bemerkt worden, die Hügel, an deren Südabhang wir hinzogen, einst eine durch einen Meeresarm vom Festland getrennte Insel bildeten. Nach zwei Stunden Wegs gelangten wir an den Fuß der hohen Bergkette im Innern, die vom Vrigantin bis zum Cerro de San Lorenzo von Ost nach West streicht. Hier beginnen neue Gebirgsarten und damit ein anderer Habitus des Pflanzenwuchses. Alles erhält einen großartigeren, malerischeren Charakter. Der quellenreiche Boden ist nach allen Richtungen von Wasserfaden durchzogen. Bäume von riesiger Höhe, mit Schlinggewächsen bedeckt, steigen aus den Schluchten empor; ihre schwarze, von der Sonnengluth und vom Sauerstoff der Luft verbrannte Rinde sticht ab vom frischen Grün der Pothos und der Dracontien, deren lederartige glänzende Blätter nicht selten mehrere Fuß lang sind. Es ist nicht anders, als ob unter den Tropen die parasitischen Monocotyledonen die Stelle des Mooses und dcr Flechten unserer ndrdlichen Landstriche verträten. Je weiter wir kamen, desto mehr erinnerten uns die 48 Gesteinmassen sowohl nach Gestalt als Gruppirung an Schweizer und Tiroler Landschaften. In diesen amerikanischen Alpen wachsen noch in bedeutenden Höhen Heliconicn, Costus, Ma-ranta und andere Pflanzen aus der Familie der Canna-Arten, die in der Nähe der Küste nur niedrige, feuchte Orte aufsuchen. So kommt es, daß die heiße Erdzone und das nördliche Europa die interessante Eigenthümlichkeit gemein haben, daß in einer beständig mit Wasserdampf erfüllten Luft, wie auf einen« vom schmelzenden Schnee durchfeuchteten Voden die Vegetation in den Gebirgen ganz den Charakter einer Sumpfvegetation zeigt. Wir kamen in der Schlucht los Frailes und zwischen Cuesta de Caneyes und dem Rio Guriental an Hütten vorbei, die von Mestizen bewohnt sind. Icde Hütte liegt mitten in einem Gehege, das Bananenbäume, Melonenbüume, Zuckerrohr und Mais einfriedigt. Man müßte sich wundern, wie klein diese Flecke urbar gemachten Landes sind, wenn man nicht bedächte, daß ein mit Pisang angepflanzter Morgen Landes gegen zwanzig mal mehr Nahrungsstoff liefert, als die gleiche mit Getreide bestellte Fläche. In Europa bedecken unsere nahrhaften Grasarten, Weizen, Gerste, Roggen, weite Land-strecke»:, überall, wo die Völker sich von Eerealien nähren, stoßen diö bebauten Grundstücke nothwendig an einander. Anders in der heißen Zone, wo der Menfch sich Gewächse aneignen tonnte, die ihm weit reichere und frühere Ernten liefern. In diesen gesegneten Landstrichen entspricht die unermeßliche Fruchtbarkeit des Bodens der Gluthhitze und der Feuchtigkeit der Luft. Ein kleines Stück Voden, auf dem Bananenbäume, Manioc, Mms und Mais stehen, ernährt reichlich eine zahlreiche 49 Bevölkerung. Daß die Hütten einsam im Walde zerstreut liegen, wird für den Reisenden ein Merkmal der Ueberfülle der Natur; oft reicht ein ganz kleiner Fleck urbaren Landes für den Bedarf mehrerer Familien hin. Diese Betrachtungen über den Ackerbau in heißen Landstrichen erinnern von selbst daran, welch inniger Verband zwischen dem Umfang des urbar gemachten Landes und dem gesellschaftlichen Fortschritt besteht. So groß die Fülle der Lebensmittel ist, die dieser Ncichthum des Bodens, die strotzende Kraft der organischen Natur hervorbringt, dennoch wird die Culturentwicklung der Völker dadurch niedergehalten. In einem milden, gleichförmigen Klima kennt der Mensch lein anderes dringendes Bedürfniß als das der Nabrung. Nur wenn dieses Bedürfniß sich geltend macht, fühlt er sich zur Arbeit getrieben, und man sieht leicht ein, warum sich im Schooße des Ueberflusses, im Schatten von Bananen- und Brodfruchtbäumen, die Geiftesfähigkeiten nicht so rasch entwickeln als unter einem strengen Himmel, in der Region der Getreidearten, wo unser Geschlecht in ewigem Kampf mit den Elementen liegt. Wirft man einen Blick auf die von ackerbautreibenden Völkern bewohnten Länder, fo sieht man, daß oie bebauten Grundstücke durch Wald von einander getrennt bleiben oder unmittelbar an einander stoßen, und daß solches nicht nur von der Höhe der Bevölkerung, sondern auch von der Wahl der Nahrungsgewächse bedingt wird. In Europa schätzen wir die Zahl der Einwohner nach der Ausdehnung des urbaren Landes, unter den Tropen dagegen, im heißesten und feuchtesten Striche von Südamerika, scheinen sehr start bevölkerte Provinzen beinahe wüste zu liegen, Humboldt, Ntist. II. 4 50 weil der Mensch zu seinem Lebensunterhalt nur wenige Morgen bebaut. Diese Umstände, die alle Aufmerksamkeit verdienen, geben sowohl der physischen Gestaltung des Landes als dem Charakter der Bewohner ein eigenes Gepräge; beide erhalten dadurch in ibrem ganzen Wesen etwas Wildes, Rohes, wie es zu einer Natur paßt, deren ursprüngliche Physiognomie durch die Kunst noch nicht verwischt ist. Ohne Nachbarn, fast ohne allen Verkehr mit Menschen, erscheint jede Ansicdlerfamilie wie ein vereinzelter Volksstamm. Diese Vereinzelung hemmt den Fortschritt der Cultur, die sich nur in dem Maaß entwickeln kann, als der Mcnschenverein zahlreicher wird und die Bande zwischen den Einzelnen sich fester knüpfen und vervielfältigen: die Einsamkeit entwickelt aber auch und stärkt im Menschen das Gefühl der Unabhängigkeit und Frcibeit: sie nährt jenen Stolz, der von jeher die Völker von castilianischem Blute ausgezeichnet hat. Dieselben Ursachen, deren mächtiger Einfluß uns weiterhin noch oft beschäftigen wird, haben zur Folge, daß dem Boden, selbst in den am stärksten bevölkerten Ländern des tropischen Amerika, der Anstrich von Wildheit erhalten bleibt, der in gemäßigten Klimaten sich durch den Getreidebau verliert. Unter den Tropen nehmen die ackerbauenden Völker weniger Naum ein: die Herrschaft des Menschen reichl nicht so weit: er tritt nicht als unumschränkter Gebieter auf, der die Bodenoberfläche nach Gefallen modelt, sondern wie ein flüchtiger Gast, der in Nuhe des Segens der Natur genießt. In der Umgegend der volkreichsten Städte starrt der Boden noch immer von Wäldern oder ist mit einem dichten Pflanzenfilz überzogen, den niemals St eine Pflugschar zerrissen hat. Die wildwachsenden Pflanzen bei herrschen noch durch ihre Masse die angebauten Gewächse und bestimmen allein den Charakter der Landschaft. Allem Vermuthen nach wird dieser Zustand nur äußerst langsam einem andern Platz machsn. Wenn in unsern gemäßigten Landstrichen es besonders der Getreidebau ist, der dem urbaren Lande einen so trübselig eintönigen Anstrich gibt, so erhält sich, allcr Wahrscheinlichkeit nach, in der heißen Zone selbst bei zunehmender Bevölkerung die Großartigkeit der Pflanzengestaltcn. das G^ präge einer jungfräulichen, ungezähmten Natur, wodurch diese so unendlich anziehend und malerisch wird. So werden denn, in Folge einer meilwürdigen Verknüpfung physischer und moralischer Ursachen, durch Wahl und Ertrag der Nahrungsgewächse drei wichtige Momente vorzugsweise bestimmt, das gesellige Beisammenleben der Familien oder ihre Vereinzelung, der raschere oder langsamere Fortschritt der Cultur, und die Physiognomie der Landschaft. Je tiefer wir in den Wald hineinkamen, desto mehr zeigte uns der Barometer, daß der Boden mehr und mehr anstieg. Die Baumstämme boten uns hier einen ganz eigenen Anblick: eine Grasart mit auirlförmigen Zweigen klettert, gleich einer Liane, acht, zehn Fuß hoch und bildet über dem Weg Gewinde, die sich im Luftzug schaukeln. Gegen drei Uhr Nachmittags hielten wir auf einer »einen Hochebene an, Quetepe genannt, die etwa 190 Toisen über dem Mecre liegt. Es stehen hier einige HiMen an einer Quelle, deren Wasser bei den Eingeborenen als sehr kühl und gesund berühmt ist. Wir fanden das Wasser wirtlich ausgezeichnet: es zeigte 22°,5 der 52 hunderttheiligen Scale (18° R.), während der Thermometer an der Luft auf 38°,7 stand. Die Quellen, die von benachbarten höheren Bergen herabkommen, geben häufig eine zu rasche Abnahme der Luftwärme an. Nimmt man als mittlere Temperatur des Wassers an dcr Küste von Cumana 26" an, so folgt daraus, wenn nickt andere locale Ursacben auf die Temperatur der Quellen Einfluß äußern, daß die Quelle von Quetepe sich erst in mebr als 350 Toisen absoluter Höhe so bedeutend abkühlt. Da hier von Quellen die Rede ist, die in der heißen Zone in der Ebene oder in unbedeutender Höhe zu Tage kommen ^ so sey bemerkt, daß nur in Ländern, wo die mittlere Sommertemperatur von der durchschnittlichen des gan;en Jahres bedeutend abweicht, die Einwohner in der heißesten Jahreszeit sehr kaltes Quellwasser trinken können. Die Lappen bei Umeo und Sörsele, unter dem 65. Breitegrad, erfrischen sich an Quellen, deren Temperatur im August kaum 2—3 Grad über dem Frierpunkt steht, während bei Tage die Luftwärme im Schatten auf 26 oder 27 Grad steigt. In unsern gemäßigten Landstrichen, m Frankreich und Deutschland, ist der Abstand zwischen der Luft und den Quellen niemals über 16—1? Grad, und unter den Tropen steigt er selten auf 6—7 Grad. Man gibt sich leicht Rechenschaft von diesen Erscheinungen, wenn man weiß, daß die Temperatur in der Tiefe des Bodens und die der unterirdischen Quellen fast ganz übereinkommt mit der mittleren Jahrestemperatur der Luft, und daß diese von der mittleren Sommerwärme desto mehr abweicht, je mehr man sich vom Ncquator entfernt. — Die magnetische Inclination war in Quetepe 40°, 7 der hunderttheiligen Scale, der 53 Cyanometer gab das Mau des Himmels im Zenith nur zu 14° an, ohne Zweifel weil die Regenzeit seit me.hreren Tagen begonnen und die Luft bereits Wasserdunst aufgenommen hatte. Auf einem Sandsteinhügel über der Quelle hatten wir eine prachtvolle Ausficht auf das Meer, das Vorgebirge Ma-canao und die Halbinsel Maniquarez. Ein ungeheurer Wald breitete sich zu unsern Füßen bis zum Ocean hinab; die Baum-Wipfel, mit Lianen behängen, mit langen Blüthenbüscheln gekrönt, bildeten einen ungeheuren grünen Teppich, dessen tiefdunkle Färbung das Licht in der Luft noch glänzender erscheinen ließ. Dieser Anblick ergriff uns um so mehr, da uns hier zum erstenmal die Vegetation der Tropen in ihrer Massenhaftigkeit entgegentrat. Auf dem Hügel von Quetepe, unter den Stämmen von Nlilpi^iu'll Qoi-oNodoetdlia mit stark lederartigen Blättern, in Gebüschen von ^al^sla monwim, brachen wir die ersten Mclastomen, namentlich die schöne Art, die unter dem Namen NLlaßwma ruf«5»06N8 beschrieben worden. Dieser Aussichtspunkt wird uns lange im Gedächtniß bleiben - der Reisende behält die Orte lieb, wo er zuerst ein Pfianzengeschlecht angetroffen, das er bis dahin nie wild wachsend gesehen. ''^ Weiter gegen Südwest wird der Boden dürr und sandig; wir erstiegen eine ziemlich höbe Berggruppe, welche die Küste von den großen Ebenen oder Savcmen an den Ufern des Orinoco trennt. Der Tkeil dieser Verggruppe, durch den der Neg nach Cumanacoa läuft, ist pflanzenlos und fällt gegen Nord und Süd steil ab. Er führt den Namen Imposible, weil man meint, bei einer feindlichen Landung würden die Einwohner von Cumana auf diesem Gebirgskamm eine Zufluchts- 54 statte finden. Wir kamen kurz vor Sonnenuntergang auf dem Gipfel an, und ich konnte eben noch ein paar Stundenwinlel aufnehmen, um, mittelst des Chronometers die Länge des Orts zu bestimmen. Die Aussicht auf dem Imposible ist noch schöner und weiter als auf der Ebene Quetepe. Deutlich konnten wir mit bloßem Auge den abgestutzten Gipfel des Brigantin, dessen geographische Lage genau zu kennen so wichtig wäre, den Landungsplatz und die Rhede von Cumana sehcn. Die Felsenküste von Araya lag .nach ihrer ganzen Länge vor uns. Besonders siel uns die merkwürdige Bildung eines Hafens auf, den man I^ü^ung Franäs oder I^aßuu», äel 0l)i8po nennt. Ein weites, von hohen Bergen umgebenes Becken steht durch einen schmalen Canal, durch den nur Ein Schiff fahren kann, mit dem Meerbusen von Cariaco in Verbindung. In diesem Hafen, den Fidalgo genau aufgenommen hat, könnten mehrere Geschwader neben einander ankern. Es ist ein völlig einsamer Ort, den nur einmal im Jahr die Fahrzeuge besuchen, welche Maulthiere nach den Antillen bringen. Hinten in der Bucht liegen einige Weiden. Unser Blick verfolgte die Windungen des Meeresarms, der sich wie ein Fluß durch senkrechte, kahle Felsen sein Bett gegraben hat. Dieser merkwürdige Anblick erinnert an die phantastische Landschaft, die Leonardo da Vinci auf dem Hintergrund seines berühmten Bildnisses der Ioconda ' angebracht hat. Wir konnten mit dem Chronometer den Moment beobachten, in dem die Sounenscheibe den Meereshorizont berührte. ' Mona Lisa, Gattin l>e« France«c? del Oiocondo. 55 Die erste Berührung fand statt um 6 Uhr 8 Minuten 13 Secunden, die zweite um 6 Uhr 10 Minuten 26 Secunden mittlere Zeit. Diese Beobachtung, die für die Theorie der irdischen Strahlenbrechung nicht ohne Belang ist, wurde auf dem Gipfel des Berges in 290 Toisen absoluter Höhe angestellt. Mit dem Untergang der Sonne trat eine sehr rasche Abkühlung der Luft ein. Drei Minuten nach der letzten scheinbaren Berührung der Scheibe mit dem Meereshorizont siel der Thermometer plötzlich von 25°,2 auf 21°,3. Wurde diese auffallende Abkühlung etwa durch einen aufsteigenden Strom bewirkt? Die Lust war indessen ruhig und kein wagrechter Luftzug zu bemerken. Die Nacht brachten wir in einem Hause zu, wo ein Militärposten von acht Mann unter einem spanischen Unteroffizier liegt. Es ist ein Hospiz, das neben einem Pulvermagazin liegt und wo der Neisende alle Bequemlichkeit findet. Dasselbe Commando bleibt fünf bis sechs Monate lang auf dem Berg. Man nimmt dazu vorzugsweise Soldaten, die Chacras oder Pflanzungen in der Gegend haben. Als nach der Einnahme der Insel Trinidad durch die Engländer im Jahr 1797 der Stadt Cumana ein Angriff drohte, flüchteten sich viele Einwohner nach Cuma-nacoa und brachten ihre werthvollste Habe in Schuppen unter, die man in der Eile auf dem Gipfel des Imposible aufgeschlagen. Man war entschlossen, bei einem plötzlichen feindlichen Ueberfall nach kurzem Widerstand das Schloß San Antonio aufzugeben und die ganze Kriegsmacht der Provinz um den Berg zusammenzuziehen, der als der Schlüssel der Llanos anzusehen ist. Die kriegerischen Ereignisse, deren Schauplatz nach der seitdem eingetretenen politischen Umwälzung diese 56 Geaend wurde, haben bewiesen, wie richtig jener erste Plan berechnet war. Der Gipfel des Imposible ist, soweit meine Beobachtung reicht, mit einem quarzigen, versteinerungslosen Sandstein bedeckt. Die Schichten desselben streichen hier wie auf dem Rücken der benachbarten Berge ziemlich regelmäßig von Nord-Nord-Ost nach Süd-Süd-West. Diese Richtung ist auch im Urgebirge der Halbinsel Araya und längs der Küste von Venezuela die häufigste. Am nördlichen Abhang des Imposible, bei Penas Negras, kommt aus dem Sandstein, der mit Schieferthon wechscllagert, eine starke Quelle zu Tag. Man sieht an diesem Punkt von Nordwest nach Südost streichende, zerbrochene, fast senkrecht aufgerichtete Schichten. Die Llaneros, das beißt die Bewohner der Ebenen, schicken ihre Produkte, namentlich Mais, Leder und Vieh über den Imposible in den Hafen von Cumana. Wir sahen rasch hinter einander Indianer oder Mulatten mit Maulthieren ankommen. Der einsame Ort erinnerte mich lebhaft an die Nächte, die ich oben auf dem St. Gotthardt zugebracht. Es brannte an mehreren Stellen in den weiten Waldungen um den Berg. Die röthlichen, halb in ungeheure Rauchwolken gehüllten Flammen gewährten das großartigste Schauspiel. Die Einwohner zünden die Wälder an, um die Weiden zu verbessern und das Unterholz zu vertilgen, unter dem das Gras erstickt, das hier zu Lande schon selten genug ist. Häufig entstehen auch ungeheure Waldbrände durch die Unvorsichtigkeit der Indianer, die auf ihren Zügen das Feuer, an denen sie gekocht haben, nicht auslöschen. Durch diese Zufälle sind auf dem Wege von Cumana 57 nach Cumanacoa die alten Bäume seltener geworden, und die Einwohner machen die richtige Bemerkung, daß an verschiedenen Orten der Provinz die Trockenheit zugenommen habe, nicht allem weil der Boden durch die vielen Erdbeben von Jahr zu Jahr mehr zerklüftet wird, sondern auch weil er nicht mehr so stark bewaldet ist als zur Zeit der Eroberung. ^ Ich stand Nachts auf, um die Breite de? Orts nach dem Durchgang Fomahaults durch den Meridian zu bestimmen. Es war Mitternacht: ich starrte vor Kälte, wie unser Führer, und doch stand der Thermometer noch auf 19 ",7 (15° R). In Cumana sah ich ihn nie unter 21° fallen: aber das Haus auf dem Imposible, in dem wir die Nacht zubrachten, lag auch 258 Toisen über dem Meeresspiegel. Bei der Casa de la Pol-vora beobachtete ich die Inclination der Magnetnadel; sie war gleich 40°,5. Die Zahl der Schwingungen in zehn Minuten Zeit betrug 233: die Intensität der magnetischen Kraft hatte somit zwischen der Küste und dem Berg zugenommen, was vielleicht von eisenschüssigem Gestein berrührte, das die auf dem Alpentalt gelagerten Sandsteinschichtcn enthalten mochten. Am 5. September vor Sonnenaufgang brachen wir vom Imposible auf. Der Weg abwärts ist für die Lastthiere schr gefährlich: der Pfad ist meist nur 15 Zoll breit und läuft beiderseits an Abgründen hin. Im Jahr 179? hatte man sehr zweckmäßig beschlossen, von St. Fernando bis an den Berg eine gute Straße anzulegen. Die Straße war sogar zu einem Drittheil bereits fertig: leider hatte man damit m der Ebene am Fuß des Imposible begonnen, und das schwierigste Stück des Wegs wurde gar nicht in Angriff genommen. Die Arbeit 58 gerieth aus einer der Ursachen ins Stocken, aus denen aus allen Fortschrittsprojekten in den spanischen Colonien nichts wird. Verschiedene Civilbehörden nahmen das Recht in Anspruch, die Arbeit mit zu leiten. Das Volk bezahlte geduldig den Zoll für einen Weg, der gar nicht da war, bis der Statthalter von Cumana den Mißbrauch abstellte. Wenn man vom Imposible herabkommt, sieht man den Alpenkalk unter dem Sandstein wieder zum Vorschein kommen. Da die Schichten meist nach Süd und Südost fallen, so kommen am Südabhang des Berges sehr viele Quellen zu Tag. In der Regenzeit werden diese Quellen zu reißenden Verg-strbmen, die im Schatten von Hura, Cuspa und Cecropia mit silberglänzenden Blättern niederstürzen. Die Cuspa, die in der Umgegend von Cumana und Bordones ziemlich häufig vorkommt, ist ein den europäischen Botanikern noch unbekannter Baum. Er diente lange nur als Bauholz und ist seit dem Jahre 1797 unter dem Namen Cas-carilla oder Quinquina von Neu-Andalusien berühmt geworden. Sein Stamm wird kaum 15—20 Fuß hoch: seine Wechsel-ständigen Blätter sind glatt, ganzrandig, eiförmig. Seine sehr dünne, blaßgelbe Rinde ist ein ausgezeichnetes Fiebermittel: dieselbe hat sogar mehr Bitterkeit als die Rinden der ächten Cinchonen, aber diese Bitterkeit ist nicht so unangenehm. Die Cuspa wird mit sehr gutem Erfolg alF weingeistiger Extract und als wässeriger Aufguß sowohl in Wechselfiebern als in bösartigen Fiebern gegeben. Emparan, der Statthalter von Cumana, hat den Aerzten in Cadix einen ansehnlichen Vorrath davon geschickt, und nach den kürzlichen Mittheilungen Don 69 Pedro Francos, Pharmaceuten am Militärspital zu Cnmana, hat man in Europa die Cuspa für fast ebenso wirksam erklärt, als die Quinquina von Santa Fe. Man behauptet, in Pulverform gereicht, habe sie vor letzterer den Vorzug, daß sie bei Kranken mit geschwächtem Unterleib den Magen weniger angreife. ,!il'i Als wir aus der Schlucht, die sich am Imposible hinabzieht, herauskamen, betraten wir einen dichten Wald, durch den eine Menge Heiner Flüsse laufen, die man leicbt durchwatet. Wir machten die Bemerkung, daß die Cecropia, die durch die Stellung ihrer Aeste und den schlanken Stamm an den Palmen-Habitus erinnert, je nachdem der Boden dürr oder sumpfig ist, mehr oder weniger silberfarbige Blätter treibt. Wir sahen Stämme, deren Laub auf beiden Seiten ganz grün war. Die Wurzeln dieser Bäume waren unter Büschen von Dvrstenia versteckt, die nur feuchte, schattige Orte liebt. Mitten im Wald, an den Ufern des Rio Erdeno, findet man, wie am Südabhang des Cocollar, Melonenbäume und Orangenbäume mit großen fußen Früchten wild wachsend. Es sind wahrscheinlich Ueberbleibsel einiger Conucas oder indianischen Pflanzungen: denn auch der Orangenbaum kann in diesen Landstrichen nicht zu den ursprünglich hier heimischen Gewächsen gerechnet werden, so wenig als der Pisang, der Melonenbaum, der Mais, der Manioc und so, viele andere nutzbare Gewächse, deren eigentliche Heimath wir nicht kennen, obgleich sie den Menschen seit uralter Zeit auf seinen Wanderungen begleitet haben. Wenn ein eben au>? Europa angekommener Reisender zum erstenmal die Wälder Südamerika's betritt, so hat er ein ganz 60 unerwartetes Naturbild vor sich. Alles was er sieht, erinnert nur entfernt an die Schilderungen, welche berübmte Schriftsteller an den Ufern des Mississippi, in Florida und in andern gemäßigten Ländern der neuen Welt entworfen haben. Nei jedem Schritt füblt er, daß er sich nicht an den Grenzen der heißen Zone befindet, sondern mitten darin, nicht auf einer der antillischen Inseln, sondern auf einem gewaltigen Continent, wo Alles riesenhaft ist, Berge, Ströme und Pflanzenmassen. Hat er Sinn für landschaftliche Schönheit, so weiß er sich von seinen mannigfaltigen Empfindungen kaum Rechenschaft zu geben. Er weiß nicht zu sagen, was mehr sein Staunen erregt, die feierliche Stille der Einsamkeit, oder die Schönheit der einzelnen Gestalten und ihre Contraste, oder die Kraft und Fülle des vegetabilischen Lebens. Es ist als hätte der mit Gewächsen überladene Boden gar nicht Raum genng zu ihrer Entwicklung. Ueberall verstecken sich die Baumstämme hinter einem grünen Teppich, und wollte man all die Orchideen, die Pfeffer- und Pothosarten, die auf einem einzigen Heuschreckenbaum oder amerikanischen Feigenbaum ' wachsen, sorgsam verpflanzen, so würde ein ganzes Stück Land damit bedeckt. Durch diese verwunderliche Aufeinanderhälifung erweitern die Wäller, wie die Fels- und Gebirgswände, das Bereich der organischen Natur. — Dieselben Lianen, die am Boden kriechen, klettern zu den Baumwipfeln empor und schwingen sich, mehr als hundert Fuß hoch, vom einen zum andern. So kommt es, daß, da die Schmarotzcrgcwächse sich überall durcheinander wirren, der P llFicus gigantea;: fij'J 61 Botaniker Gefahr läuft, Nlütben, Früchte und Laub, die verschiedenen Arten angehören, zu verwechseln. ,.^ Wir wanderten einige Stunden im Scdatten dieser Wölbungen, durch die man kaum hin und wieder den blauen Himmel sieht. Er schien mir um so tiefer indigoblau, da das Grün der tropischen Gewächse meist einen sehr kräftigen, ins Bräunliche spielenden Ton hat. Zerstreute Felsmassen waren mit einem großen Baumfarn bewachsen, der sich vom koi^-pliäium 2rbor6uin der Antillen wesentlich unterscheidet. Hier sahen wir zum erstenmal jene Nester in Gestalt von Flaschen vder kleinen Taschen, die an den Aesten der niedrigsten Bäume ausgehängt sind. Es sind Werke des bewundernswürdigen Bautriebs der Drosseln, deren Gesang sich mit dem heiseren Geschrei der Papageien und Aras mischte. Die letzteren, die wegen der lebhaften Farben ihres Gefieders allgemein bekannt sind, flogen nur paarweise, während die eigentlichen Papageien in Schwärmen von mehreren hundert Stücken umherfliegen. Man muß in diesen Ländern, besonders in den heißen Thälern der Anden gelebt haben, um es für möglich zu halte«, daß zuweilen das Geschrei dieser Vögel das Brausen der Bergstr0me, die von Fels zu Fels stürzen, übertönt. !.? Eine starke Meile vor dem Dorfe San Fernando kamen wir aus dem Walde be raus. Ein schmaler Fußpfad führt auf mchreren Umwcgen in ein offenes, aber ausnehmend feuchtes Land. Unter dem gemäßigten Himmelsstrich hätten unter solchen Umständen Gräser und Riedgräser einen weiten Wicsentcpftich gebildet: hier wimmelte der Boden von Wasserpflanzen mit pfeilförmigen Blättern, besonders von Canna-Arten, unter denen 62 wir die prachtvollen Blüthen derCostus, der Thalien und Heli-conien erkannten. Diese saftigen Gewächse werden acht bis zehn Fuß hoch, und wo sie dicht beisammen stehen, könnten sie in Europa für kleine Wälder gelten. Das herrliche Bild eines Wiesgrundes und eines mit Blumen durchwirkten Rasens ift den niedern Landstrichen der heißen Zone fast ganz fremd und findet sich nur auf den Hochebenen der Anden wieder. Bei Can Fernando war die Verdunstung unter den Strahlen der Sonne so stark, daß wir, da wir sehr leicht gekleidet waren> durchnäßt wurden wie in einem Dampfbad. Am Wege wuchs eine Art Bambusrohr, das die Indianer Iagua oder Guadua nennen und das über vierzig Fuß hoch wird. Nichts kann zierlicher seyn als diese baumartige GraZart. Forin und Siel-lung der Blätter geben ihr ein Ansehen von Leichtigkeit, das mit dem hohen Wuchs angenehm contrastirt. Der glatte, glänzende Stamm der Iagua ist meist den Bachufern zugeneigt und schwankt beim leisesten Luftzug hin und her. So hoch auch das Rohr' im mittäglichen Europa wächst, so gibt es doch keinen Begriff vom Ausschen der baumartigen Gräser, und wollte ich nur meine eigene Erfahrung sprechen lassen, so möchte ich behaupten, daß von allen Pflanzengestalten unter den Tropen keine die Einbildungskraft des Reisenden mehr anregt als der Bambus und der Vaumfarn. Die ostindischen Bambus, die on1umet8 cles kkuw' dtzr Insel Bourbon, der Guaduas Südamerika's, vielleicht sogar die riesenhaften Arundinarien an den Ufern des Mississippi, gehören 1 Arundo Donax. '• "J ""'" 2 Bambusa, ober »{elmefr tyaWtiiö7'iilpiinirl'Jr 63 derselben Pflanzengruppe an. In Amerika sind aber die Bambus-arten nicht so häusig, als man gewöhnlich glaubt. In den Sümpfen und auf den großen unter Wasser stehenden Ebenen am untern Orinoco, am Apure und Atabapo fehlen sie fast ganz, wogegen sie im Nordwesten, in Neugrenada und im Königreich Quito mehrere Meilen lange dichte Wälder bilden. Der westliche Abhang der Anden erscheint als ihre eigentliche Heimath, und was ziemlich auffallend ist, wir haben sie nicht nur in tiefen, kaum über dem Meer gelegenen Landstrichen, sondern auch in den hohen Thälern der Cordilleren bis in 860 Toisen Meereshöhe angetroffen. Der Weg mit dem Vambusgebüsch zu beiden Seiten führte uns zum kleinen Dorfe Sau Fernando, das auf einer schmalen, von sehr steilen Kalksteinwänden um ebenen Ebcne liegt. Es war die erste Mission, die wir in Amerika betraten.' Die Häuser oder vielmehr Hütten der Chaymas-Indianer sind weit auseinander gerückt und nicht von Gärten umgeben. Die breiten geraden Straßen schneiden sich unter rechten Winkeln: die sehr dünnen, unsoliden Wände bestehen aus Letten und Lianen-Zweigen. Die gleichförmige Bauart, das ernste, schweigsame 5,' ,,^ '' >,' ..'-'-' - "^ ' In den spanischen Colonien heißt Mjsion oder I'nebln 6 o Ali8inn eine Anzahl Wohnungen nm eine Kirche hernm. wo ein Missionär, der Ordensa,eisilicher ist. den Gottesdienst versieht. Die indianischcn Dörfer, die unter der Obhnt von Pfarrern stehen, heißen !'u«>d!u8 llo vocti-jnil. Man unterscheidet noch weiter den ^uln tinetrinoro, den Pfarrer einer indianischen Gemeinde, und den ^ur« rector, den Pfarrer eines von Weiße» oder Farbigen bewohnten Dorfe«. 64 Wesen der Einwohner, die ausnehmende Reinlichkeit in den Häusern, Alles erinnert an die Gemeinden der mährischen Brüder. Jede indianische Familie baut draußen vor dem Dorfe außer ihren» eigenen Garten den (üouuoo c>6 In, oammu-N1626. In diesem arbeitcn die Erwachsenen beider Geschlechter Morgens und Abends je eine Stunde. In den Missionen, die der Küste zu liegen, ist der Gememdcgarten meist eine Zucker-oder Indigoplantage, welcher der Missionär vorsteht, und deren Ertrag, wenn das Gesetz streng befolgt wird, nur zur Erhaltung der Kirche und zur Anschaffung von Paramenten verwendet werden darf. Auf dem großen Platze mitten im Dorfe stehen die Kirche, die Wohnung des Missionärs und das bescheidene Gebäude, das pomphaft <Ü»8k>, 6?l lie)', „königliches Haus," betitelt wird. Es ist ein förmliches Caravanserai, wo die Reisenden Obdach finden, und, wie wir oft erfahren, eine wahre Wohlthat in einem Lande, wo das Wort Wirthshaus noch unbekannt ist. Die 0k8ä8 6'l^ Man unterscheidet im Lande den abgerundeten Gipfel des Turimiquiri und die spitzen Pics oder Cucuruchos, die dicht bewaldet sind und wo cs viele Tiger gibt, auf die man wegen des großen und schönen Fells Jagd macht. Den runden begrasten Gipfel fanden wir 707 Toisen hoch. Von diesem Gipfel läuft nun nach West ein steiler Felskamm aus, der eine Seemeile von jenem durch eine ungeheure Spalte unterbrochen ist, die gegen den Meerbusen von Cariaco hinunterläuft. An der Stelle, wo der Kamm hätte weiter laufen sollen, erheben sich zwei Bergspitzen aus Kalkstein, von denen die nördliche die M höhere ist. Dieß ist der eigentliche Cucurucho de Turimiquiri, der für holier gilt als der Vrigantin, der den Schisfern, die der Küste von Cumana zusteuern, so wohl bekannt ist. Nach Hühenwinkrln und einer ziemlich kurzen Standlinie, die wir auf dem abgerundeten kahlen Gipfel zogen, maßen wir den Spitzberg oder Cucurucho und fanden ihn 350 Toisen höher als unsern Standort, so daß seine absolute Höhe über 1050 Toisen beträgt. Man genießt auf dem Turimiquiri einer der weitesten und malerischsten Aussichten. Vom Gipfel bis hinunter zum Meer liegen Bergketten vor einem, die parallel von Ost nach West streichen und Längcnthäler zwischen sich haben. Da in letztere eine Menge kleiner, von den Vergwafsern ausgespülter Thäler unter rechtem Winkel münden, so stellen sich die Seiten-ketten als Reihen gleich vieler bald abgerundeter, bald kegelförmiger Höhen dar. Bis zum Imposible sind die Bcrghänge meist ziemlich sanft; weiterhin werden die Abfälle sehr steil und streichen hinter einander fort bis zum Ufer des Meerbusens von Cariaco. Die Umrisse dieser Gebirgsmassen erinnern an die Ketten des Jura. und die einzige 6bene, die sich darin findet, ist das Thal von Cumanacoa. Es ist als sähe man in einen Trichter hinunter, auf dessen Boden unter zerstreuten Baumgruppen das indianische Dorf Aricagua erscheint. Gegen Nord hob sich eine schmale Landzunge, die Halbinsel Arava, braun vom Meere ab, das, von den ersten Sonnenstrahlen beleuchtet, ein glänzendes Licht zurückwarf. Jenseits der Halbinsel begrenzte den Horizont das Vorgebirge Macanao, dessen schwarzes Gestein gleich einem ungeheuren Bollwerk aus dem Wasser aussteigt.^" :»^ ,ni',.illa»/. 5u« il^«f!s.7,^' i',^ ci 101 Der Hof auf dem Cocollar am Fuße des Turimiauin liegt unter 10" 9' 32" der Breite. Die Inclination der Magnetnadel fand ich gleich 42" 10'. Die Nadel schwang 2Z0mal in zehn Zeitminuten. Die im Kalk liegenden Brauncisenstein-massen mögen die Intensität der magnetischen Kraft um ein Weniges steigern. '^°>?' ^ !».!^ Am 14. September gingen wir vom Cocollar zur Mission San Antonio hinunter. Der Weg führt Anfangs über Sa-vanen, die mit großen Kalksteinblöcken übersäet sind, und dann betritt man dichten Wald. Nachdem man zwei sehr steile Berg' gräte überstiegen, hat man ein schönes Thal vor sich, das fünf Moilen lang fast durchaus von Ost nach Wcst streicht. In diesem Thale liegen die Missionen San Antonio und Guana-guana. Erstcre ist berühmt wegen einer kleinen Kirche aus Backsteinen, in erträglichem Styl, mit zwei Thürmen und dorischen Säulen. Sie gilt in der Umgegend sür ein Wunder. Der Gardian der Kapuziner wurde mit diesem Kirchenbau in nicht ganz zwei Sommern fertig, obgleich er nur Indianer aus seinem Dorfe dabei verwendet hatte. Die Säulencapitäle, die Gesimse und ein mit Sonnen und Arabeskon gezierter Fries wurden aus mit Ziegelmehl vermischtem Thon modcllirt. Wundert man sich, an der Grenze Lapplands Kirchen im reinsten griechischen Styl' anzutreffen, so überraschen einen dergleichen erste Kunstversuche noch mehr in einem Erdstrick, wo noch Alles den Stempel menschlicher Urzustände trägt und von den Europäern erst feit etwa vierzig Jahren der Grund zu ' Iu Skeltftar bei Tol»co. >is pizenn-ml kommt von der Wandertnnbe. s!owmb,i mißrÄlori«. ^ 123 Familie Namens Morocoymas behaupten von den ersten Ansiedlern im Thale abzustammen und als solche rechtmäßige Eigenthümer dec Höhle zu seyn: sie beanspruchen das Monopol des Fetts, aber in Folge der Klosterzucht sind ihre Nechte gegenwärtig nur noch Ehrenrechte. Nach dem System der Missionäre haben die Indianer Guacharoöl für das ewige Kirchenlicht zu liefern: das Uebrige, so behauptet man, wird ihnen abgekauft. Wir erlauben uns kein Urtheil weder über die Rechisansprüche der Morocoymas, noch über den Ursprung der von den Mönchen den Indianern aufcrlegten Verpflichtung. Es erschiene natürlich, daß der Ertrag der Jagd denen gehörte, die sie anstellen: aber in den Wäldern der neuen Welt, wie im Schoosie der europäischen Cultur, bestimmt sich das öffentliche Necht darnach, wie sich das Verhältniß zwischen dem Starken und dem Echwa-chen, zwischen dem Eroberer und dem Unterworfenen gestaltet. Das Geschlecht der Gnachan's wäre längst ausgerottet, wenn nicht mehrere Umstände zur Erhaltung desselben zusammenwirkten. Aus Aberglauben wagen sich die Indianer selten weit in die Höhle hinein. Auch scheint derselbe Vogel in benachbarten, aber dem Menschen unzugänglichen Höhlen zu nisten. Vielleicht beoölkcrt sich d',e groste Höhle nmncr wieder mit Co-lonien, welche aus jenen kleinen Erdlöchcrn ausziehcn: denn die Missionäre versicher.'en uns, bis jetzt habe die Menge der Vögel nicht merkbar abgenommen. Man hat junge Guachaios in den Hafen von Cumaua gebracht: sie lebten da mehrere Tage, ohne zu fressen, da die Körner, die man ihnen gab, ihnen nicht zusagten. Wenn man in der Höhle den jungen Vögeln Kröpf und Magen aufschneidet, findet man mancherlei 124 harte, trockene Samen darin, die unter dem seltsamen Namen Guacharosamen" (semilln. <^6l <3u»«I,gr«) ein virlberufencs Mittel gegen Wechselsieber sind. Die Alten bringen diese Samen den Jungen zu. Man sammelt sie sorgfältig und läßt sie den Kranken in Cariaco und andern tief gelegenen Fieber-strichen zukommen. Wir gingen in die Höhle hinein und am Bache fort, der daraus entspringt. Derselbe ist 28—30 Fuß breit. Man verfolgt das Ufer, so lange die Hügel aus Kallincrustationen dieß gestatten: oft, wenn sich der Bach zwischen sehr hohen Stalaktitenmassen durchschlängelt, muß man in das Vcttc selbst hinunter, das nur zwei Fuß tief ist. Wir hörten zu unserer Ueberraschung, diese unterirdische Wasserader sey die Quelle des Nio Caripe, der wenige Meilen davon, nach seiner Vereinigung mit dem kleinen Nio de Santa Maria, für Piroguen schiffbar wird. Am Ufer des unterirdischen Baches fanden wir eine Menge Palmholz; es sind Ueberbleibsci der Stämme, auf denen die Indianer zu den Vogelnestern an der Decke der Höhle hinaufsteigen. Die von den Narben der alten Blattstiele gebildeten Ringe dienen gleichsam als Sprossen einer aufrecht stehenden Leiter. Die Höhle von Caripe behält, genau gemessen, auf 472 Meter oder 1458 Fuß dieselbe Richtung, dieselbe Breite und die anfängliche Höhe von 60—70 Fuß. Ich kenne auf beiden Continenten keine zweite Hötile von so gleichförmiger, regelmäßiger Gestalt. Wir hatten viele Mühe, die Indianer zu bewegen, daß sie über das vordere Stück hinausgingen, das sie allein jährlich zum Fettsammeln besuchen. Es brauchte das 125 ganze Ansehen der Patres, um sie bis zu der Stelle zu bringen, wo der Boden rasch unter einem Winkel von 60 Grad ansteigt und der Vach einen kleinen unterirdischen Fall bildet. Diese von Nachtvögeln bewohnte Höhle ist für die Indianer ein schauerlich geheimnißvoller Ort: sie glauben, tief hinten wohnen die Seelen ihrer Vorfahren. Ter Mensch, sagen sie, soll Scheu tragen vor Orten, die weder von der Sonne, Zis, noch vom Monde, Nuna, beschienen sind. Zu den Guacharos gehen, heißt so viel, als zu den Vätern versammelt werden, sterben. Daher nahmen auch die Zauberer, Pi aches, und die Giftmischer, I morons, ihre nächtlichen Gaukeleien am Eingang der Höhle vor, um den Obersten der bösen Geister, Ivoro-tiamo, zu beschwören. So gleichen sich unter allen Himmelsstrichen die ältesten Mythen der Völker, vor allen solche, die sich auf zwei die Welt regierende Kräfte, auf den Aufenthalt der Seelen nach dem Tod, auf den Lohn der Gerechten und die Strafe der Bösen beziehen. Die verschiedensten und darunter die ruhesten Sprachen haben gewisse Bilder mit einander gemein, weil diese unmittelbar aus dem Wesen unseres Dent-und Empfindungsvermögens stießen. Finsternist wird aller Orten mit dcr Vorstellung des Todes in Verbindung gebracht. Die Höhle von Caripe ist der Tartarus der Griechen, und die Guacharos, die unter kläglichem Geschrei über dem Wasser flattern, mahnen an die styaischen Vögel. Da wo der Bach den unterirdischen Fall bildet, stellt sich das dem Höhleneingang gegenüber liegende, grün bewachsene Gelände ungemein malerisch dar. Man sieht vom Ende eines geraden, 240 Toisen langen Ganges darauf hinaus. Die 126 Stalaktiten, die von der Decke herabhängen und in der Luft schwebenden Säulen gleichen, heben sich von einem grünen Hintergrunde ab. Die Oessnung der Höhle erscheint um die Mitte des Tages auffallend enger als sonst, und wir sahen sie vor uns im glänzenden Lichte, das Himmel, Gewächse und Gestein zumal widerstrahlen. Das ferne Tageslicht stach grell ab von der Finsterniß, die uns in diesen unterirdischen Räumen umgab. Wir hatten unsere Gewehre fast auf Geratheivohl abgeschossen, so oft wir aus dem Geschrei und dem Flügelschlagen der Nachtvögel schließen konnten, daß irgendwo recht viele Nester beisammen seyen. Nach mehreren fruchtlosen Versuchen gelang es Bonvland, zwei Guacharos zu schießen, die, vom Fackelschein geblendet, uns nachflatterten. Damit fand ich Gelegenheit, den Vogel zu zeichnen, der bis dahin den Zoologen ganz unbekannt gewesen war. Wir erkletterten nicht ohne Beschwerde die Erhöhung, über die der unterirdische Bach herunter kommt. Wir sahen da, daß die Hoble sich weiterhin bedeutend verengert, nur noch 40 Fuß hoch ist und nordostwärts in ihrer ursprünglichen Richtung, parallel mit dem großen Thale des Caripe, fortstreicht. In dieser Gegend der Höhle setzt der Bach eine schwärzlichte Erde ab, die große Aehnlichkeit hat mit dem Stoss, der in der Muggendorfer Höhle in Franken „Opfererde" heißt. Wir konnten nicht ausfindig machen, ob diese feine, schwammigte Erde durch Spalten im Gestein, die mit dem Erdreich außer-balb in Verbindung stehen, hereinfällt, oder ob sie durch das Negenwasser, das in die Höhle dringt, hereingeflötzt wird. Es war ein Gemisch von Kieselerde, Thonerde und vegetabilischem Detritus. Wir gingen in dickem Koth bis zu einer Stelle, wo ims zu unserer Ueberraschung eine unterirdische Vegetation entgegentrat. Die Samen, welche die Vögel zum Futter für ihre Jungen in die Höhle bringen, keimen überall, wo sie auf die Dammerde fallen, welche die Kalkincrustationen bedeckt. Ver-geilte Stengel mit ein paar Blattrudimenten warcn zum Theil zwei Fuß hoch. Es war unmöglich, Gewächse, die sich durch den Mangel an Licht nach Form, Farbe und ganzem Habitus völlig umgewandelt hatten, specifisch zu unterscheiden. Diese Spuren von Organisation im Schoße der Finsterniß reizten gewaltig die Neugier der Angeborenen, die sonst so stumpf und schwer anzuregen sind. Sie betrachteten sie mit stillem, nachdenklichem Ernst, wie er sich an einem Orte ziemte, der für sie solche Schauer hat. Dicse unterirdischen bleichen, formlosen Gewächse mochten ilmen wie Gespenster erscheinen, die vom Erdboden Hieher gebannt waren. Mich aber erinnerten sie an eine der glücklichsten Zeiten meiner frühen Jugend, an einen langen Aufenthalt in den Freiberger Erzgruben, wo ich über das Vergeilen der Pflanzen Versuche anstellte, die sehr verschieden ausfielen, je nachdem die Luft rein war oder viel Wasserstoff und Stickstoff enthielt. Mit aller ihrer Autorität konnten die Missionäre die Indianer nicht vermögen, noch weiter in die Höhle hinein zu gehen. Je mehr die Decke sich senkte, desto gellender wuide das Geschrei der Guacharos. Wir mußten uns der Feigheit unserer Führer gefangen geben und unikehren. Man sah auch überall so ziemlich das Nämliche. Ein Bischof von St. Thomas in Guyana scheint weiter gekommen zu seyn als wir: cr hatte 127 vom Eingang bis zum Punkt, wo cr Halt machte, 2500 Fuß gemessen, und die Höhle lief noch weiter fort. Die Erinnerung an diesen Vorfall hat sick im Kloster Caripe erhalten, nur weiß man den Zeitpunl^nicht genau. Der Bischof hatte sich mit dicken Kerzen aus weißem spanischem Wachs versehen; wir hatten nur Fackeln aus Baumrinde und einheimischem Harz. Der dicke Rauch solcher Fackeln in engem unterirdischem Raum thut den Augen weh und macht das Athmen beschwerlich. Wir gingen dem Bache nach wieder zur Höhle hinaus. Ehe unsere Augen vom Tageslicht geblendet wurden, sahen wir vor der Höhle draußen das Wasser durch das Laub der Bäume glänzcn. Es war, als stünde weit weg ein Gemälde vor uns und die Oeffnung der Höhle wäre der Rahmen dazu. Als wir endlich heraus waren, setzten wir uns am Bache nieder und ruhten von der Anstrengung aus. Wir waren froh, daß wir das heisere Geschrei der Vögel nicht mehr hörten und einen Ort hinter uns hatten, wo sich mit der Dunkclheit nicht der wohlthuende Eindruck der Ruhe und Stille paart. Wir konnten es kaum glauben, daß der Name der Höhle von Caripe bis jetzt in Europa völlig unbekannt gewescn seyn sollte. Schon wegen der Guacharos hätte sie berühmt werden sollen: denn außer den Bergen von Caripe und Cumanacoa hat man diese Nachtvögel bis jetzt nirgends angetroffen. Die Missionäre hatten am Eingang der Höhle ein Mahl zurichten lassen. Pisang- und Vijaoblütter, die seidenartig glänzen, dienten uns nach Landessittc als Tischtuch. Wir wurden trefflich bewirthet, sogar mit geschichtlichen Erinnerungen, die so selten sind in Ländern, wo die Geschlechter einander ablösten, 128 129 ohne eine Spur ihres Daseyns zu hinterlassen. Wohlgefällig erzählten uns unsere Wirthe, die ersten Ordcnsleute, die in diese Berge gekommen, um das kleine Dorf Santa Maria zu gründen, haben einen Monat lang in der Höhle hier gelebt und auf einem Stein bei Fackellicht das heilige Meßopfer gefeiert. Die Missionäre hatten am einsamen Orte Schutz gefunden vor der Verfolgung eines Häuptlings der Tuaftocans, der am Ufer des Rio Caripe sein Lager aufgeschlagen. So vicl wir uns auch bei den Einwohnern von Caripe, Cumanacoa und Cariaco erkundigten, wir hörten nie, daß man in der Höhle des Guacharo je Knochen von Fleischfressern oder Knochenbreccien mit Pflanzenfressern gefunden hätte, wie sie in den Höhlen Deutschlands und Ungarns oder in den Spalten des Kalksteins bei Gibraltar vorkommen. Die fossilen Knochen der Megatherien, Elephanten und Mastodonten, welche Reisende aus Südamerika mitgebracht, gehören sämmtlich dem aufgeschwemmten Land in den Thälern und auf hohen Plateaus an. Mit Ausnahme des Megalonyx, ^ eims Faulthicrs von der Größe eines Ochsen, das Jefferson beschrieben, kenne ich bis jetzt auch nicht Einen Fall, daß in einer Höhle der neuen Welt ein Thierskelett gefunden worden wäre. Daß diese zoologische Erscheinung hier so ausnehmend selten ist, erscheint weniger auffallend, wenn man bedenkt, daß es in Frankreich, England und Italien auch eine Menge Höhlen gibt, in denen man nie eine Spur von fossilen Knochen entdeckt hat. ' Der Megalmn)! wmbe in den Hohlen von Green-Vriar in Virginien gefunden. iZl)N Meilen vom Megatherium, dem er sehr nahe steht und da« so groß war wie ein Nashorn. Humboldt. R«i,'e, II. 9 130 Die interessanteste Beobachtung, welche der Physiker in den Höhlen anstellen kann, ist die genaue Bestimmung ihrer Temperatur. Die Höhle von Caripe liegt ungefähr unter 10° 10" der Breite, also mitten im heißen Erdgürtel, und 506 Tonen über dem Spiegel des Wassers im Meerbusen von Cariaco. Wir fanden im September die Temperatur der Luft im Innern durchaus zwischen 16°,4 und 18°,9 der hunderttheiligen Scale. Tie äußere Luft hatte 16°,3. Beim Eingang der Höhle zeigte der Thermometer an der Luft 17° 6, aber im Wasser des unterirdischen Bachs bis hinten in der Hoble 16",8. Diese Beobachtungen sind von großer Bedeutung, wenn man ins Auge faßt, wie sich zwischen Wasser, Luft und Boden die Wärme ins Gleichgewicht zu setzen strebt. Ebe ich Europa verließ, beklagten sich die Physiker noch, daß man so wenig Anhaltspunkte habe, um zu bestimmen, was man ein wenig hochtrabend die Temperatur des Erdinnern heißt, und erst in neuerer Zeit hat man mit einigem Erfolg an der Lösung dieses großen Problems der unterirdischen Meteorologie gearbeitet. Nur die Steinschichten, welche die Rinde unseres Planeten bilden, sind der unmittelbaren Forschung zugänglich, und man weiß jetzt, daß die mittlere Temperatur dieser Schichten sich nicht nur nach der Breite und der Meereshöhe verändert, sondern daß sie auch je nach der Lage des Orts im Verlauf des Jahrs regelmäßige Schwingungen um die mittlere Temperatur der benachbarten Luft beschreibt. Die Zeit ist schon fern, wo man sich wunderte, wenn man in andern Himmelsstrichen in Höhlen und Brunnen eine andere Temperatur beobachtete, als in den Kellern der Pariser Sternwarte. Dasselbe Instrument, 131 das in diesen Kellern 12 Grad zeigt, steigt in unterirdischen Räumen auf Madera bei Funchal auf 16",2, im St. Iosephsbrunnen in Cairo auf 21°,2, in den Grotten der Insel Cuba auf 22—23 Grad. Diese Zunahme ist ungefähr proportional der Zunahme der mittleren Lufttemperaturen vom 48. Grad der Breite bis zum Wendekreis. Wir haben eben gesehen, daß in der Hoble des Guacharo das Wasser des Baches gegen 2 Grad kühler ist als die umgebende Luft im unterirdischen Raum. Das Wasser, ob es nun durch das Gestein sickert oder über ein stemigtes Bette stießt, nimmt unzweifelhaft die Temperatur des Gesteins oder des Bettes an. Die Luft in der Höhle dagegen steht nicht still, sie communicirt mit der Atmosphäre draußen. Und wenn nun auch in der heißen Zone die Schwankungen in der äußern Temperatur sehr unbedeutend sind, so bilden sich dennoch Etrö» nmngcn, durch welche die Luftwärme im Innern periodische Veränderungen erleidet. Demnach könnte man die Temperatur des Wassers, also 16°,8, als die Bodentempcratur in diesen Bergen betrachten, wenn man sicher wäre, daß das Wasser nicht rasch von benachbarten höheren Bergen herabkommt. Aus diesen Betrachtungen folgt, daß, wenn man auch keine ganz genauen Resultate erhält, sich doch in jeder Zone Grenz zahlen auffinden lassen. In Caripe, unter den Tropen, ist in 500 Toisen Mcereshöhe die mittlere Temperatur der Erde nicht unter 16°,8; dieß geht aus der Messung der Temperatur des unterirdischen Wassers hervor. So läßt sich nun aber auch beweisen, daß diese Temperatur des Bodens nicht höher seyn kann als 19", weil die Luft in der Höhle im September 16°,7 zeigt. Da die mittlere Luftwärme im heißesten Monat 19", 5 nicht übersteigt, so würde man sehr wahrscheinlich zu keiner Zeit des Jahres den Thermometer in der Luft der Höhle über 19° steigen sehen. Diese Ergebnisse, wie so manche andere, die wir in dieser Reisebeschreibung mittheilen, mögen für sich betrachtet von geringem Belang scheinen: vergleicht man sie aber mit den kürzlich von Leopold von Buch und Wahlenberg unter dem Polarcirkel angestellten Beobachtungen, so verbraten sie Licht über den Haushalt der Natur im Großen und über den beständigen Wärmeaustausch zwischen Luft und Boden zu Herstellung des Gleichgewichts. Es ist kein Zweifel mehr, daß in Lapplcmd die feste Erdrinde eine um 3 bis 4 Grad höhere mittlere Temperatur hat als die Luft. Bringt die Kälte, welche in den Tiefen des tropischen Meeres in Folge der Polarströme fortwährend herrscht, im heißen Erdstrich eine merkbare Verminderung der Temperatur des Bodens hervor? Ist diese Temperatur dort niedriger als die der Luft? Das wollen wir in der Folge untersuchen, wenn wir in den hohen Regionen der Cordilleren mehr Beobachtungen zusammengebracht haben werden. 132 Achtes Kapitel. Abreise von Carifte. - Vcrg und Wald Eanta Maria. - Die Mission ssatuaro. — Haftn von ssariaco. Nasch verflossen uns die Tage, die wir im Kapuzinerkloster m den Vergen von Carive zubrachten, und doch war unser Leben so einfach als einförmig. Von Sonnenaufgang bis Einbruch der Nacht streiften wir durch die benachbarten Wälder und Berge, um Pflanzen zu sammeln, deren wir nie genug beisammen haben konnten. Konnten wir des starken Negcns wegen nicht weit hinaus, so besuchten wir die Hütten der Indianer, den Gemeinde-Conuco oder die Versammlungen, in denen die Alcaden jeden Abend die Arbeiten für den folgenden Tag austbeilen. Wir kehrten erst ins Kloster zurück, we:m uns die Glocke ins Nefectorium an den Tisch der Missionare rief. Zuweilen gingen wir mit ilmen früli Morgens in die Kirche, um der »voetrmn" beizuwohnen, das heißt dem Religionsunterricht der Eingeborenen. Es ist ein zum wenigsten sehr gewagtes Unternehmen, mit Neubekehrten über Dogmen zu verhandeln, zumal wenn sie des Spanischen nur in geringem Grade mächtig sind. Andererseits verstehen gegenwärtig die Ordensleute von der Sprache der Chaymas so gut wie nichts, und die Aelmlichkeit gewisser Laute verwirrt den armen 134 Indianern die Köpfe so sehr, daß sie sich die wunderlichsten Vorstellungen machen. Ich gebe nur Ein Beispiel. Wir sahen eines Tags, wie sich der Missionär große Muhe gab, darzu-tbun, daß inÜ6rn0, die Hölle, und invisrno, der Winter, nicht dasselbe Ding seyen, sondern so verschieden wie Hitze und Frost. Die Chaymas kennen keinen andern Winter als die Regenzeit, und unter der „Hölle der Weißen" dachten sie sich einen Ort, wo die Bösen furchtbaren Regengüssen ausgesetzt seyen. Der Missionär verlor die Geduld, aber es half Alles nichts: der erste Eindruck, den zwei ähnliche Consonanten hervorgebracht, war nicht mehr zu verwischen; im Kopfe der Neo-phyten waren die Vorstellungen Regen und Hölle, invi^rno und inliki'no, nicht mehr aus einander zu bringen. Nachdem wir fast den ganzen Tag im Freien Zugebracht, schrieben wir Abends im Kloster unsere Beobachtungen und Bemerkungen nieder, trockneten unsere Pflanzen und zeichneten die, welche nach unserer Ansicht neue Gattungen bildeten. Die Mönche ließen uns volle Freiheit und wir denken mit Vergnügen an einen Aufenthalt zurück, der so angenehm als für unser Unternehmen förderlich war. Leider war der bedeckte Himmel in einem Thal, wo die Wälder ungeheure Wassermassen an die Luft abgeben, astronomischen Beobachtungen nickt günstig. Ich blieb Nachts oft lange auf, um den Augenblick zu benutzen, wo sich ein Stern vor seinem Durchgang durch den Meridian zwischen den Wolken zeigen würde. Oft zitterte ich vor Frost, obgleich oer Tbermometer nie unter 16 Grad fiel. Es ist dieß in unserem Klima die Tagestemfteratur gegen Ende Septembers. Die Instrumente blieben mehrere Stunden 135 im Klosterhof aufgestellt, und fast immer harrte ich vergebens. Ein paar gute Beobachtungen Fomahaults und Denebs im Schwan ergaben für Caripe 10° 10' 14" Breite, wornach es auf der Karte von Caulm um 18', auf der von Arrowsmith um 14' unrichtig eingezeichnet ist. Der Verdruß, daß der bedeckte Himmel uns die Sterne entzog, war der einzige, den wir im Thal von Caripe erlebt. Wildheit und Friedlichkeit, Schwermuth und Lieblichkeit, beides zusammen ist der Charakter der Landschaft. Inmitten einer so gewaltigen Natur herrscht in unserm Innern nur Friede und Ruhe. Ja noch mehr, in der Einsamkeit dieser Berge wundert man sich weniger über die neuen Eindrücke, die man bei jedem Schritte erhält, als darüber, daß die verschiedensten Klimate so viele Züge mit einander gemein haben. Auf den Hügeln, an die das Kloster sich lehnt, stehen Palmen und Baumfarn: Abends, wenn der Himmel auf Regen deutet, schallt das eintönige Geheul der rothen Brüllaffen durch die Luft, das dem fernen Brausen des Windes im Walde gleicht. Aber trotz dieser unbekannten Töne, dieser fremdartigen Gestalten der Gewächse, all dieser Wunder einer neuen Welt, läßt doch die Natur den Menschen aller Orten eine Stimme hören, die in vertrauten Lauten zu ihm spricht. Der Nasen am Boden, das alte Moos und das Farnkraut auf den Vaumwurzeln, der Bach, der über die geneigten Kalksteinschichten niederstürzt, das harmonische Farbenspiel von Wasser, Grün und Himmel, Alles ruft dem Reisenden wohlbekannte Empfindungen zurück. Die Naturschönheiten dieser Berge nahmen uns völlig in Anspruch und so wurden wir erst am Ende gewahr, daß wir 136 den guten gastfreundlichen Mönchen zur Last fielen. Ihr Vorrath von Wein und Weizenbrod war nur gering, und wenn auch der eine wie das andere dort zu Lande bei Tisch nur als Luxusartikel gelten, so machte es uns doch sehr verlegen, daß unsere Wirthe sie sich selbst versagten. Bereits war unsere Brodration auf ein Viertheil herabgekommen, und doch nöthigte uns der furchtbare Regen, unsere Abreise noch einige Tage zu verschieben. Wie unendlich lang kam uns dieser Aufschub vor! wie bange war uns vor der Glocke, die uns ins Nefectorium rief! Das Zartgefühl der Mönche ließ uns recht lebhaft empfinden, wie ganz anders wir hier daran waren als die Reisenden, die darüber zu klagen haben, daß man ihnen in den coptischen Klöstern Ober - Cgyvtcns ihren Mundvorrath entwendet. Endlich am 22. September brachen wir auf mit vier Maultlneren, die unsere Instrumente und Pflanzen trugen. Wir mußten den nordöstlichen Abhang der Kalkalven von Neu-Andalusien, die wir als die große Kette des Brigantin und Cocollar bezeichnet, hinunter. Die mittlere Höhe dieser Kette beträgt nicht leicht über 6—700 Toisen, und sie läßt sich in dieser wie in geologischer Hinsicht mit dem Jura vergleichen. Obgleich die Berge von Cumana nicht sehr hoch sind, so ist der Weg hinunter gegen Cariaco zu doch sehr beschwerlich, ja sogar gefährlich. Besonders berüchtigt ist in dieser Beziehung der Cerro de Santa Maria, an dem die Missionäre hinauf müssen, wenn sie sich von Cumana in ihr Kloster Caripe begeben. Oft, wenn wir diese Berge, die Anden von Peru, die Pyrenäen und die Alpen, die wir nach einander besucht, 137 verglichen, wurden wir inne, daß die Berggipfel von der geringsten Meereshöhe nicht selten die unzugänglichsten sind. Als das Thal von Caripe hinter uns lag, kamen wir zuerst über eine Hügelkette, die nordostwärts vom Kloster liegt. Der Weg führte immer bergan über eine weite Eavane auf die Hochebene Guardia de San Augustin. Hier hielten wir an, um auf den Indianer zu warten, der den Barometer trug; wir befanden uns in 533 Toisen absoluter Höhe, etwas höher als der Hintergrund der Höhle des Guacharo. Die Savanen oder natürlichen Wiesen, die den Klosterkühen eine treffliche Weide bieten, sind völlig ohne Baum und Buschwerk. Es ist dieß das eigentliche Bereich der Monocotyledonen, denn aus dem Grase erhebt sich nur da und dort eine Agave ' (Maguey), deten Blüthenschaft über 26 Fuß hoch wird. Auf der Hochebene von Guardia sahen wir uns wie auf einen alten, rom langen Aufenthalt des Wassers wagrecht geebneten Seeboden versetzt. Man meint noch die Krümmungen des alten Ufers zu erkennen, die vorspringenden Landzungen, die steilen Klippen, welche Eilande gebildet. Auf diesen früheren Zustand scheint selbst die Vcrtheilung der Gewächse hinzudeuten. Der Boden des Beckens ist eine Savane, während die Ränder mit hochstämmigen Bäumen bewachsen sind. Es ist wahrscheinlich das höchst gelegene Thal in den Provinzen Cumana und Venezuela. Man kann bedauern, daß ein Landstrich, wo man eines gemäßigten Klimas genießt, und der sich ohne Zweifel zum Getreidebau eignete, völlig unbewohnt ist. 1 Agave americana. 138 Von dieser Ebene geht es fortwährend abwärts bis zum indianischen Dorf Santa Cruz. Man kommt zuerst über einen iahen, glatten Abbang, den die Missionäre seltsamerweise das Fegefeuer nennen. Er besteht aus verwittertem, mit Tlwn bedecktem Schiefcrsandstein und die Böschung scheint furchtbar steil: denn in Folge einer sehr gewöhnlichen optischen Täuschung scheint der Weg, wenn man oben auf der Anhöbe hinunter sieht, unter einem Winkel von mehr als 60 Grad geneigt. Beim Hinabsteigen nähern die Maulthiere die Hinterbeine den Vorderbeinen, senken das Kreuz und rutschen auf Geratbewobl binab. Der Neiter bat nichts zu befahren, wenn er nur den Zügel fahren läßt und dem Thiere keinerlei Zwang anthut. An diesem Punkte sieht man zur Linken die große Pyramide des Guacharo. Dieser Kalkftcinkegel nimmt sich sehr malerisch aus, man verliert ihn aber bald wieder aus dem Gesicht, wenn man den dicken Wald betritt, der unter dem Namen Montana de Santa Maria bekannt ist. Es geht nun sieben Stunden lang in einem fort abwärts, und kaum kann man sich einen entsetzlicheren Weg denken; es ist ein eigentlicher „«liemin 6^8 6«liell68," eine Art Schlucht, in der während der Regenzeit die wilden Wasser von Fels zu Fels abwärts stürzen. Die Stufen sind zwei bis drei Fuß hock, und die armen Lastthiere messen erst den Raum ab, der erforderlich ist. um die Ladung zwischen den Baumstämmen durchzubringen, und springen dann von einem Felsblock auf den andern. Aus Besorgnis;, einen Fehltritt zu thun, bleiben sie eine Weile steben, als wollten sie die Stelle untersuchen, und schieben die vier Beine zusammen wie die wilden Ziegen. Verfeblt das Thier den nächsten Stein- 139 block, so sinkt es bis zum halben Leib in den weichen, ocker-haltigen Thon, der die Zwischenräume der Steine ausfüllt. Wo diese feblen, finden Menschen- und Thierbeine Halt an ungeheuren Vaumwurzeln. Dieselben sind oft zwanzig Zoll dick und gehen nicht selten hoch über dem Boden vom Stamme ab. Die Creolen vertrauen der Gewandtheit und dem glücklichen Instinkt der Maulthiere so sehr, daß sie auf dem langen, gefährlichen Wege abwärts im Sattel bleiben. Wir stiegen lieber ab, da wir Anstrengung weniger scheuten, als jene, und ge-wölmt waren langsam voiwärts zu kommen, weil wir immer Pflanzen sammelten und die Gebirgsarten untersuchten. Da unser Chronometer so schonend behandelt werden mußte, blieb uns nicht einmal eine Wahl. Der Wald, der den steilen Abhang des Berges von Snnta Maria bedeckt, ist einer der dichtesten, die ich je gesehen. Die Bäume sind wirklich ungeheuer hoch und dick. Unter ibrem dichten, dunkelgrünen Laub herrscht beständig ein Dämmerlicht, ein Dunkel, weit tiefer als in unsern Tannen-, Eichen- und Buchenwäldern. Es ist als könnte die Luft trotz der hohen Temperatur nicht all das Wasser aufnehmen, das der Boden, das Laub der Bäume, ihre mit einem uralten Filz von Orchideen, Peperomien und andern Saftpflanzen bedeckten Stämme ausdünsten. Zu den aromatischen Gerüchen, welche Blüthen, Früchte, sogar das Holz verbreiten, kommt ein anderer, wie man ihn bei uns im Herbst bei nebligtem Wetter spürt. Wie in den Wäldern am Orinoco sieht man auch hier, wenn man die Vaumwipfel ins Auge faßt, bäusig Dunststreifen an den Stellen, wo ein paar Sonnenstrahlen durch die dicke Luft 140 dringen. Unter den majestätischen Bäumen, die 120 bis 130 Fuh hoch werden, machten uns die Führer auf den Curucay von Terecen aufmerksam, der ein weißlicktes, flüssiges, starkriechendes Harz gibt. Die indianischen Völkerschaften der Cumanagotas und Tagires räucherten einst damit vor ihren Götzen. Die jungen Zweige haben einen angenehmen, aber etwas zusammenziehenden Geschmack. Nach dem Curucay und ungeheuren, über 9 und 10 Fuß dicken Hymenäastämmen nahmen unsere Aufmerksamkeit am meisten in Anspruch: das Drachenblut (Oown LkMFuiiluum), dessen purpurbrauner Saft an der weißen Rinde hcrabfließt; der Farn Calahuala, der nicht derselbe ist wie der in Peru, aber fast eben so heilkräftig, und die Irafse-, Maccmilla-, Corozo- und Pragapalmen. Letztere gibt einen sehr schmackhaften „Palmkohl." den wir im Kloster Caripe zuweilen gegessen. Von diesen Palmen mit gefiederten, stach-ligten Blättern stachen die Vaumfarn äußerst angenehm ab. Einer derselben, OMkea special, wird über 35 Fuß hoch, eine ungeheure Größe für ein Gewächs aus dieser Familie. Wir fanden hier und im Thal von Caripe fünf neue Arten Baumfarn; zu Linnes Zeit kannten die Botaniker ihrer nicht vier auf beiden Continenten. Man bemerkt, daß die Vaumfarn im Allgemeinen weit seltener sind als die Palmen. Die Natur hat ihnen gemäßigte, feuchte, schattige Standorte angewiesen. Sie scheuen den unmittelbaren Sonnenstrahl, und während der Pumos, die Co-rypha der Steppen und andere amerikanische Palmenarten die kahlen, glühend heißen Ebenen aufsuchen, bleiben die Farn mit Baumstämmen, die von weitem wie Palmen aussehen, dem 141 ganzen Wesen cryptogamer Gewächse treu. Sie lieben versteckte Plätze, das Dämmerlicht, eine feuchte, gemäßigte, stockende Luft. Wohl gehen sie hie und da bis zur Küste hinab, aber dann nur im Schutze dichten Schattens. Dem Fuße des Berges von Santa Maria zu wurden die Naumfarn immer seltener, die Palmen häusiger. Die schönen Schmetterlinge mit großen Flügeln, die Nymphalen, die ungeheuer hoch fliegen, mehrten sich: Alles deutete darauf, daß wir nicht mehr weit von der Küste und einem Landstrich waren, wo die mittlere Tagestemperatur 28 — 30 Grad der hundert-theiligen Scale beträgt. Der Himmel war bedeckt und drohte mit einem der Güsse, bei denen zuweilen 1 bis 1,3 Zoll Regen an Einem Tage fällt. Die Sonne beschien hin und wieder die Baumwipfel, und obgleich wir vor ihrem Strahl geschützt waren, erstickten wir beinahe vor Hitze. Schon rollte der Donner in der Ferne, die- Wolken hingen am Gipfel des hohen Guacharogebirgs, und das klagliche Geheul der Araguatcs, das wir in Caripe bei Sonnenuntergang so oft gehört hatten, verkündete den nahen Ausbruch des Gewitters. Wir hatten hier zum erstenmal Gelegenheit, diese Heulaffcn in der Nähe zu sehen. Eie gehören zur Gattung ^louäts (Ktentor, Geoffrov), deren verschiedene Arten von den Zoologen lange verwechselt worden sind. Während die kleinen amerikanischen Sapajus, die wie Sperlinge Pfeifen, ein einfaches, dünnes Zungenbein haben, liegt die Zunge bei den großen Affen, den Alouaten und Marimondas, auf einer großen Knochentrommel. Ihr oberer Kehlkopf hat fechs Taschen, in denen sich die Stimme fängt, und wovon zwei, taubennestförmige, große Aehnlichkeit mit dem untern Kehlkopf der Vögel haben. Der den Araguatos eigene klägliche Ton entsteht, wenn die Luft gewaltsam in die knöcherne Trommel einströmt. Ich habe diese den Anatomen nur sehr unvollständig bekannten Organe an Ort und Stelle gezeichnet und die Beschreibung nach meiner Rückkehr nach Europa bekannt gemacht. ^ Bedenkt man, wie groß bei den Alouatos die Knochenschachtel ist und wie viele Heulaffen in den Wäldern von Cumana und Guyana auf einem einzigen Baum beisammensitzen, so wundert man sich nicht mehr so sehr über die Stärke und den Umfang ihrer vereinigten Stimmen. Der Araguato, bei den Tamanacas - Indianern Aravata, bei den Maypurcs Marave genannt, gleicht einem jungen Baren. Er ist vom Scheitel des kleinen, stark zugespitzten Kopfes bis zum Anfang des Wickelschwanzes drei Fuß lang; sein Pelz ist dicht und rothbraun von Farbe: auck Brust und Bauch sind schön behaart, nicht nackt wie beim Nona 00I0 rncio oder Vüffons ^.louaw roux, den wir auf dem Wege von Carthagena nach Santa-Fe de Bogota genau beobachtet haben. Das Gesicht des Araguato ist blauschwarz, die Haut desselben fein und gefaltet. Der Bart ist ziemlich lang, und trotz seines kleinen Gesichtswinkels von nur 30 Grad hat er in Blick und Gesichtsausdruck so viel Menschenähnliches als die Marimonda (Oiinin Zklaebutk) und der Kapuziner am Orinoco (8. «Kirc>p0t66). Bei den Tausenden von Araguatos, die uns in den Provinzen Cumana, Caracas und Guyana zu 1 Observations de zoologie. 1H2 143 Gesicht gekommen, haben wir nie weder an einzelnen Exemplaren, nock an ganzen Banden einen Wechsel im Nothbraun des Pelzes an Rücken und Schultern wahrgenommen. Durch die Farbe unterschiedene Spielarten schienen mir überhaupt bei den Assen nicht so häufig zu seyn, als die Zoologen annehmen, und bei den gesellig lebenden Arten sind sie vollends sehr selten. Der Araguato bei Caripe ist eine neue Art der Gattung 8t6ntor, die ich unter dem Namen ßimig, ui-sina bekannt gemacht habe. Ich habe ihn lieber so benannt als nach der Farbe des Pelzes, und zwar desto mehr, da die Griechen bereits einen stark behaarten Affen unter dem Namen Arcto-pithe kos kannten. Derselbe unterscheidet sich sowohl vom Uarino (6imik> t^umibk».) als vom ^louaw?oux (8. ßenicm-ws). Blick, Stimme, Gang, Alles an ibm ist trübselig. Ich babe ganz junge Araguatos gesehen, die in den Hütten der Indianer aufgezogen wurden: sie spielen nie wie die kleinen Sagoins, und Lopez del Gomara schildert zu Anfang des sech-zehnten Jahrhunderts ihr ernstes Wesen sehr naiv, wenn er sagt: „Der Aranata de los Cumaneses bat cin Menschengesicht , einen Ziegenbart und eine gravitätische Haltung (lion-mäo F68to)." Ich habe anderswo die Bemerkung gemacht, daß die Affen desto trübseliger sind, je mehr Menschenähnlichkeit sie haben. Ihre Munterkeit und Beweglichkeit nimmt ab, je mehr sich die Geisteskräfte bei ihnen zu entwickeln scheinen. Wir hatten Halt gemacht, um den Heulaffen zuzusehen, wie sie zu dreißig, vierzig in einer Reihe von Baum zu Baum auf den verschlungenen wagrechten Aesten über den Wcg zogen. Während dieses neue Schauspiel uns ganz in Anspruch nahm, kam uns ein Trupp Indianer entgegen, die den Bergen von Caripe zuzogen. Sie waren völlig nackt, wie meistens die Eingeborenen hier zu Lande. Die ziemlich schwer beladencn Weiber schlössen den Zug; die Männer, sogar die kleinsten Jungen, warcn alle mit Bogen und Pfeilen bewaffnet. Sie zogen still, die Augen am Boden, ihres Wegs. Wir hätten gern von ihncn erfahren, ob es noch weit nach der Mission Santa Cruz scy, wo wir übernachten wollten. Wir waren völlig erschöpft und der Duist quälte uns furchtbar. Die Hitze wurde drückender, je näher das Gewitter kam, und wir hatten auf unferem Wog keine Quelle gefunden, um den Durst zu löschen. Da die Indianer uns immer ßi kaäre, no kaar? zur Antwort gaben, meinten wir, sie verstehen ein wenig Spanisch. In den Augen der Eingeborenen ist jeder Weiße ein Mönch, ein Pater; denn in dm Missionen zeichnet sich der Geistliche mehr durch die Hautfarbe als durch die Farbe des Gewandes aus. Wie wir auch den Indianern mit Fragen, wie weit es noch sey, zusetzten, sie erwiederten offenbar auf gerathewchl »i oder uo, und wir konnten aus ihren Antworten nicht klug werden. Dieß war uns um so verdrießlicher, da ihr Lächeln und ihr Geberdenspiel verriethen, daß sie uns gerne gefällig gcwefen wären, und dcr Wald immer dichter zu werden schien. Wir mußten uns trennen, die indianischen Führer, welche die Chaymassprache verstanden, waren noch weit zurück, da die beladenen Maulthiere bei jedem Schritt in den Schluchten stürzten. Nach mehreren Stunden beständig abwärts über zerstreute Felsblöcke sahen wir uns unerwartet am Ende des Waldes 144 145 von Santa Maria. So weit das Auge reichte, lag eine Grasflur vor uns, die sich in der Regenzeit frisch begrünt hatte. Links sahen wir in ein enges Thal hinein, das sich dem Gua-charogebirge zuzieht und im Hintergrunde mit dichtem Walde bedeckt ist. Der Blick streifte über die Baumwipfel weg, die 800 Fuß tief unter dem Weg sich wie ein hingebreiteter, dunkelgrüner Teppich ausnahmen. Die Lichtungen im Walde glichen großen Trichtern, in denen wir an der zierlichen Gestalt und den gefiederten Blättern Praga- und Irasseftalmen erkannten. Vollends malerisch wird die Landschaft dadurch, daß die Sierra del Guacharo vor einem liegt. Ihr nördlicher, dem Meerbusen von Cariaco zugekehrter Abhang ist steil und bildet eine Felsmauer, ein fast senkrechtes Profil, über dreitausend Fuß hoch. Diese Wand ist so schwach bewachsen, daß man die Linien der Kalkschichten mit dem Auge verfolgen kann. Der Gipfel der Sierra ist abgeplattet und nur am Ostende erhebt sich, gleich einer geneigten Pyramide, der majestätische Pic Guacharo. Seine Gestalt erinnert an die Aiguilles und Hörner der Schweizer Alpen (Schreckhörner, Finsteraarhorn). Da die meisten Berge mit steilem Abhang höher scheinen, als sie wirklich sind, so ist es nicht zu verwundern, daß man in den Missionen der Meinung ist, der Guacharo überrage den Turi-miquiri und den Brigantin. Die Savane, über die wir zum indianischen Dorfe Santa Cruz zogen, besteht aus mehreren sehr ebenen Plateaus, die wie Stockwerke über einander liegen. Diese geologische Erscheinung, die in allen Erdstrichen vorkommt, scheint darauf hinzudeuten, daß hier lange Zeit Wasserbecken übereinander lagen Humboldt, N«is«. II 10 und sich in einander ergossen. Der Kalkstein geht nicht mehr zu Tage aus; er ist mit einer dicken Schicht Dammcrde bedeckt. Wo wir ihn im Walde von Santa Maria zum letztenmale sahen, fanden wir Nester von Eisenerz darin, und, wenn wir recht gesehen haben, ein Ammonshorn; es gelang uns aber nicht, es loszubrechen. Es maß sieben Zoll im Durchmesser. Diese Beobachtung ist um so interessanter, als wir sonst in diesem Theile von Südamerika nirgends einen Ammomten gesehen haben. Die Mission Santa Cruz liegt mitten in der Ebene. Wir kamen gegen Abend daselbst an, halb verdurstet, da wir fast acht Stunden kein Wasser gehabt haben. Der Thermometer zeigte 26 Grad; wir waren auch nur noch 190 Toisen über dem Meer. Wir brachten die Nacht in einer der Ajupas zu, die man „Häuser des Königs" nennt, und die, wie schon oben bemerkt, den Reisenden als Tömbo oder Caravanserai dienen. Wegen des Regens war an keine Sternbeobachtung zu denken, und wir setzten des andern Tags, 23. September, unsern Weg zum Meerbusen von Cariaco hinunter fort. Jenseits Santa Cruz fängt der dichte Wald von Neuem an. Wir fanden daselbst unter Melastomenbüschen einen schönen Farn mit Blättern gleich denen der Osmunda, die in der Ordnung der Polypodiaceen eine neue Gattung (?o1?-boti-ia) bildet. Von der Mission Catuaro aus wollten wir ostwärts über Santa Rosalia, Casanay, San Josef, Carupano, Rio-Carives und den Berg Paria gehen, erfuhren aber zu unserem großen Verdruß, daß der starke Regen die Wege bereits ungangbar gemacht habe und wir Gefahr laufen, unsere frisch gesammelten 146 147 Pflanzen zu verlieren. Ein reicher Cacaopflanzer sollte uns von Santa Rosalia in den Hafen von Carupano begleiten. Wir hatten noch zu rechter Zeit gehört, daß er in Geschäften nach Cumana müsse. So beschlossen wir denn, uns in Cariaco einzuschiffen und gerade über den Meerbusen, statt zwischen der Insel Margarita und der Landenge Araya durch, nach Cumana zurückzufahren. Die Mission Catuaro liegt in ungemein wilder Umgebung. Hochstämmige Bäume stehen noch um die Kirche her und die Tiger fressen bei Nacht de» Indianern ihre Hühner und Schweine. Wir wohnten beim Geistlichen, einem Mönche von der Con-gregatton der Observünten, dem die Kapuziner die Mission übergeben hatten, weil es ihrem eigenen Orden an Leuten fehlte. Er war ein Doktor der Theologie, ein kleiner, magerer, fast übertrieben lebhafter Mann; er unterhielt uns beständig von dem Proceß, den er mit dem Gardian seines Klosters führte, von der Feiudschaft seiner Ordensbrüder, von der Ungerechtigkeit der Alcaden, die ihn ohne Rücksicht auf seine Standes Vorrechte ins Gefängniß geworfen. Trotz dieser Abenteuer war ihm leider die Liebhaberei geblieben, sich mit metaphysischen Fragen, wic er es nannte, zu befassen. Er wollte meine Ansicht hören über den freien Willen, über die Mittel, die Geister von ihren Köifterbanden frei zu machen, besonders aber über die Thierseclen, lauter Dinge, über die er die seltsamsten Ideen hatte. Wenn man in der Regenzeit sich durch Wälder durchgearbeitet hat, ist man zu Spekulationen der Art wenig aufgelegt. Uebrigens war in der kleinen Mission Ca-tuaro Alles ungewöhnlich, sogar das Pfarrhaus. Es hatte zwei Stockwerke und hatte dadurch zu einem hitzigen Streit zwischen den weltlichen und geistlichen Behörden Anlaß gegeben. Dem Gardian der Kapuziner schien es zu vornehm für einen Missionär und er hatte die Indianer zwingen wollen, es niederzureißen; der Statthalter hatte kräftige Einsprache gethan und auch seinen Willen gegen die Mönche durchgesetzt. Ich erwähne dergleichen an sich unbedeutende Vorfälle nur, weil sie einen Mick in die innere Verwaltung der Missionen werfen lassen, die keineswegs immer so friedlich ist, als man in Europa glaubt. Wir trafen in der Mission Catuaro den Corregidor des Distrikts, einen liebenswürdigen, gebildeten Mann. Er gab uns drei Indianer mit, die mit ihren Machetes vor uns her einen Weg durch den Wald bahnen sollten. In diesem wenig betretenen Lande ist die Vegetation in der Regenzeit so üppig, daß ein Mann zu Pferd auf den schmalen, mit Schlingpflanzen und verschlungenen Baumästen bedeckten Fußsteigen fast nicht durchkommt. Zu unserem großen Verdruß wollte der Missionär von Catuaro uns durchaus nach Cariaco begleiten. Wir konnten es nicht ablehnen; er ließ uns jetzt mit seinen Faseleien über die Thierseelen und den menschlichen freien Willen in Ruhe, er hatte uns aber nunmehr von einem ganz andern, traurigeren Gegenstand zu unterhalten. Den Unabhängigkeitsbestrebungen, die im Jahr 1798 in Caracas beinahe zu einem Ausbruch geführt hätten, war eine große Aufregung unter den Negern zu Coro, Maracaybo und Cariaco vorangegangen und gefolgt. In letzterer Stadt war ein armer Neger zum Tod verurtheilt worden, und unser Wirth, der A48 149 Seelsorger von Catuaro, ging jetzt hin, um ihm seinen geistlichen Beistand anzubieten. Wie lang kam uns der Weg vor, auf dem wir uns in Verhandlungen einlassen mußten „über die Notbwendigkeit des Sklavenhandels, über die angeborene Bösartigkeit der Schwarzen, über die Segnungen, welche der Race daraus erwachsen, daß sie als Sklaven unter Christen leben!" Gegenüber dem „Ooäk noir" der meisten andern Völker, welche Besitzungen in beiden Indien haben, ist die spanische Gesetzgebung unstreitig sehr mild. Aber vereinzelt, auf kaum urbar gemachtem Boden leben die Neger in Verhältnissen, daß die Gerechtigkeit, weit entfernt sie im Leben kräftig schützen zu . können, nicht einmal im Stande ist die Barbareien zu bestrafen, durch die sie ums Leben kommen. Leitet man eine Untersuchung ein, so schreibt man den Tod des Sklaven seiner Kränklichkeit zu, dem heißen, nassen Klima, den Wunden, die man ihm allerdings beigebracht, die aber gar nicht tief und durchaus nicht gefährlich gewesen. Die bürgerliche Behörde ist in Allem, was die Haussklaverei angeht, machtlos, und wenn man rühmt, wie günstig die Gesetze wirken, nach denen die Peitsche die und die Form haben muß und nur so und so viel Streiche auf einmal gegeben werden dürfen, so ist das reine Täuschung. Leute, die nicht in den Colonien oder doch nur auf den Antillen gelebt haben, sind meist der Meinung, da es im Interesse des Herrn liege, daß seine Sklaven ihm erhalten bleiben, müssen sie desto besser behandelt werden, je weniger ihrer seyen. Aber in Cariaco selbst, wenige Wochen bevor ich in die Provinz kam, tödtete ein Pflanzer, der nur acht Neger hatte, ihrer sechs durch unmenschliche Hiebe. Er zerstörte muthwillig den größten Theil feines Vermögens. Zwei der Sklaven blieben auf der Stelle todt, mit den vier andern, die kräftiger schienen, schiffte er sich nach dem Hafen von Cu-mana ein, aber sie starben auf der Ueberfahrt. Vor dieser abscheulichen That war im selben Jahr eine ähnliche unter gleich empörenden Umstünden begangen worden. Solche furchtbare Unthaten blieben so gut w^e unbestraft: der Geist, der die Gesetze macht, und der^ der sie vollzieht, haben nichts mit einander gemein. Der Statthalter von Cumana war ein gerechter, menschenfreundlicher Mann: aber die Rcchtsformen sind streng vorgeschrieben und die Gewalt des Statthalters geht nicht so weit, um Mißbräuche abzustellen, die nun einmal von jedem europäischen Colonisationssystem untrennbar sind. Der Weg durch den Wald von Catuaro ist nicht viel anders als der vom Berge Santa Maria herab: auch sind die schlimmsten Stellen hier eben so sonderbar getauft wie dort. Man geht wie in einer engen, durch die Vergwasser ausgespülten, mit feinem, zähem Thon gefüllten Furche dahin. Bei den jähsten Abhängen senken die Maulchiere das Kreuz und rutschen hinunter: das nennt man nun Saca-Manteca, weil der Koth so weich ist wie Butter. Bei der großen Gewandtheit der einheimischen Maulthiere ist dieses Hinabgleiten ohne alle Gefahr. Der Weg fübrt über die Felsschichten herab, die am Ausgehenden Stufen von verschiedener Höhe bilden, und so ist es auch hier ein wahrer ^oliemiu äs8 öoksiiLg." Weiterhin, wenn man zum Wald heraus ist, kommt man zum Berge Buenavista. Er verdient den Namen, denn von 150 151 bier sieht man die Stadt Cariaco in einer weiten, mit Pflanzungen , Hütten und Gruppen von Cocospalmcn bedeckten Ebene. Westwärts von Cariaco breitet sich der weite Meerbusen aus, den eine Felsmauer vom Ocean trennt- gegen Ost zeigen sich, gleich blauen Wolken, die hohen Gebirge von Areo und Paria, Es ist eine der weitesten, prachtvollsten Aussichten an der Küste von Neu-Andalusien. Wir fanden in Cariaco einen großen Theil der Einwohner in ihren Hängematten krank am Wechselfieber. Diese Fieber werden im Herbst bösartig und gehen in Rühren über. Bedenkt man, wie außerordentlich fruchtbar und feucht die Ebene ist, und welch ungeheure Masse von Pflanzenstoff hier zersetzt wird, so sieht man leicht, warum die Luft hier nicht so gesund seyn kann wie über dem dürren Boden von Cumana. Nicht leicht finden sich in der heißen Zone große Fruchtbarkeit des Bodens, häusige, lang dauernde Wasserniederschläge, eine un-gemein üppige Vegetation beisammen, ohne daß diese Vortheile durch ein Klima aufgewogen würden, das der Gesundheit der Weißen mehr oder weniger gefährlich wird. Aus denselben Ursachen, welche den Boden so fruchtbar machen und die Entwicklung der Gewächse beschleunigen, entwickeln sich auch Gase aus dem Boden, die sich mit der Luft mischen und sie ungesund machen. Wir werden oft Gelegenheit haben, auf die Verknüpfung dieser Erscheinungen zurückzukommen, wenn wir den Cacaobau und die Ufer des Orinoco beschreiben, wo es Flecke gibt, an denen sich sogar die Eingeborenen nur schwer acclima-tisiren. Im Thale von Cariaco hängt übrigens die Ungesundheit der Luft nicht allein von den eben erwähnten allgemeinen 152 Ursachen ab: es machen sich dabei auch lokale Verhältnisse geltend. Es wird nicht ohne Interesse seyn, den Landstrich, der die Meerbusen von Cariaco und von Paria von einander trennt^ näher zu betrachten. Vom Kalkgebirge des Vrigantin und Cocollar läuft ein starker Ast nach Nord und hängt mit dem Urgcbirg an der Küste zusammen. Dieser Ast heißt ßikrrn, 6s Neapir?; der Stadt Cariaco zu führt er den Namen Oevro Francs <^y lüariaoa. Er schien mir im Durchschnitt nicht über 150—200 Toisen hoch; wo ich ihn untersuchen konnte, besteht er aus dem Kalkstein des Uferstrichs. Mergel- und Kalkschichten wechseln mit andern, welche Quarzkörner enthalten. Wer die Reliefbildung des Landes zu seinem besondern Studium macht, muß es auffallend finden, daß ein quergelegter Gebirgskamm unter rechtem Winkel zwei Ketten verbindet, deren eine, südliche, aus secundären Gebirgsbildungen besteht, während die andere, nördliche, Urgelnrge ist. Auf dem Gipfel des Cerro de Meapire sieht man das Gebirge einerseits nach dem Meerbusen von Paria, andererseits nach dem von Cariaco sich abdachen. Ostwärts und westwärts, vom Kamm liegt cin niedriger, sumpfiger Boden, der ohne Unterbrechung fortstreicht, und nimmt man an, daß die beiden Meerbusen dadurch entstanden sind, daß der Boden durch Erdbeben zerrissen worden ist und sich gesenkt hat, so muß man voraussetzen, daß der Cerro de Meapire diesen gewaltsamen Erschütterungen widerstanden hat, so daß der Meerbusen von Paria und der von Cariaco nicht zu Einem verschmelzen konnten. Wäre dieser Felsdamm nicht da, so bestünde wahrscheinlich auch die Landenge nicht. Vom Schlosse 153 Araya bis zum Cap Paria würde die ganze Gebirgsmasse an der Küste eine schmale, Margarita parallel laufende, viermal längere Insel bilden. Diese Ansichten gründen sich nicht nur auf unmittelbare Untersuchung des Bodens und die Schlüsse aus der Reliefbildung desselben; schon cin Blick auf die Umrisse der Küsten und die gcognostische Karte des Landes muß auf dieselben Gedanken bringen. Die Insel Margarita hat, wie es scheint, früher mit der Küstenkette von Araya durch die Halbinsel Chacopata und die caraibischen Inseln Lobo und Coche zusammengehangen, wie die Kette noch jetzt mit den Gebirgen des Cocollar und von Caripe durch den Gebirgskamm Meapire zusammenhängt. Im gegenwärtigen Zustand der Dinge sieht man die feuchten Ebenen, die oft- und westwärts vom Kamm streichen und uneigentlich die Thäler von San Bonifacio und Ca-riaco heißen, sich fortwährend in das Meer hinaus verlängern. Das Meer zieht sich zurück, und diese Verrückung der Küste ist besonders'bei Cumana auffallend. Wenn die Höhenverhältnisse des Bodens darauf hinweisen, daß die Meerbusen von Cariaco und Paria früher einen weit größeren Umfang hatten, so läßt sich auch nicht in Zweifel ziehen, daß gegenwärtig das Land sich allmählich vergrößert. Bei Cumana wurde im Jahr 1791 eine Batterie, die sogenannte Bocca, dicht am Meer gebaut, im Jahr 1799 sahen wir sie weit im Lande liegen. An der Mündung des Rio Nevari, beim Morro de Nueva Barcelona, zieht sich das Meer noch rascher zurück. Diese lokale Erscheinung rührt wahrscheinlich von Anschwemmungen her, deren Zunahmeverhältnisse noch nicht gehörig beobachtet sind. 154 Geht man von der Sierra de Meapire, welche die Land-enae zwischen den Ebenen von San Bonifacio und von Cariaco bildet, herab, so kommt man gegen Ost an den großen See Putacuao, der mit dem Nio Areo in Verbindung steht und 4^5 Meilen breit ist. Das Gebirgsland um dieses Becken ist nur den Eingeborenen bekannt. Hier kommen die großen Voas vor, welche die Chaymas - Indianer Guainas nennen, und denen sie einen Stachel unter dem Schwanz andichten. Geht man von der Sierra Meapire nach West hinunter, so betritt man zuerst einen „hohlen Boden" (tierrg, kueos), der bei dem großen Erdbeben des Iabrcs 1766 in zähes Erdöl gehüllten Asphalt auswarf: weiterhin sieht man eine Unzahl warmer, schwefelwasserstoffhaltiger Quellen aus dem Boden brechen, und endlich kommt man zum See Campoma, dessen Ausdünstungen zum Theil die Ungesundheit des Klimas von Cariaco veranlassen. Die Eingeborenen glauben, der Boden sey deßhalb hohl, weil die warmen Wasser sich hier aufgestaut haben, und nach dem Schall des Hufschlags scheinen sich die unterirdischen Höhlungen von West nach Ost bis Casanay, drei bis viertausend Toisen weit zu erstrecken. Ein Flüßchen, der Rio Azul, läuft durch diese Ebenen. Sie sind zerklüftet in Folge von Erdbeben, die hier einen besondern Herd haben und sich selten bis Cumana fortpflanzen. Das Wasser des Rio Azul ist kalt und hell; er entspringt am westlichen Abhang des Meapire, und man glaubt, er sey deßhalb so stark, weil das Gewässer des Putacuao-Sees auf der andern Seite des Gebirgszugs durchsickere. Das Flüßchen und die schwefelwasserstoffhaltigen Quellen ergießen sich zusammen in die Laguna de Camvoma. 155 So heißt ein weites Sumpfland, das in der trockenen Jahreszeit in drei Becken zerfällt, die nordwestlich von der Stadt Cariaco am Ende des Meerbusens liegen. Uebelriechende Dünste steigen fortwährend vom stehenden Sumpfwasser auf. Sie riechen nach Schwefelwasserstoff und zugleich nach faulen Fischen nnd zersetzten Vegetabilien. Die Miasmen bilden sich im Thale von Cariaco gerade wie in der römischen Campagna; aber durch die tropische Hitze wird ihre verderbliche Kraft gesteigert. Durch die Lage der Laguna von Campoma wird der Nordwest, der sehr oft nach Sonnenuntergang weht, den Einwohnern der kleinen Stadt Cariaco höchst gefährlich. Sein Einfluß unterliegt desto weniger einem Zweifel, da die Wechselsieber dem Sumpfe zu, der der Hauptherd der faulen Miasmen ist, immer häufiger in Nervenfieber übergehen. Ganze Familien freier Neger, die an der Nordküste des Meerbusens von Cariaco kleine Pflanzungen besitzen, liegen mit Eintritt der Regenzeit siech in ihren Hängematten. Diese Fieber nehmen den Charakter remittirender bösartiger Fieber an, wenn man sich, erschöpft von langer Arbeit und starker Hautausdünstung, dem feinen Regen aussetzt, der gegen Abend häusig fällt. Die Farbigen, besonders aber die Creolenneger, widerstehen den klimatischen Einflüssen mehr als irgend ein anderer Menschenschlag. Man behandelt die Kranken mit Limonade, mit dem Aufguß von ßooparia änlois, selten mit Cuspare, das heißt mit der Chinarinde von Angostura. Im Ganzen ist bei den Epidemien in Cariaco die Sterblichkeit geringer, als man erwarten sollte. Wenn das Wechsel- 156 sieber mehrere Jahre hinter einander einen Menschen befällt, so greift es den Körper stark an und bringt ihn herunter: aber dieser Sckwächczustand, der in ungesunden Gegenden so häusig vorkommt, fuhrt nicht zum Tode. Auch ist es merkwürdig, daß hier, wie in der römischen Campagna, der Glaube herrscht, die Luft sey in dem Maße ungesunder geworden, je mehr Morgen Landes man urbar gemacht. Die Miasmen, die diesen Ebenen entsteigen, haoen indessen nichts gemein mit jenen, die sich bilden, wenn man einen Wald niederschlägt und nun die Sonne eine dicke Schicht abgestorbenen Laubs erhitzt: bei Ca-riaco ist das Land kahl und sehr sparsam bewaldet. Soll man glauben, daß frisch aufgewühlte und vom Regen durchfeuchtete Dammerde die Luft mehr verderbt als der dichte Pflanzenfilz, der einen nicht bebauten Voden bedeckt? Zu diesen örtlichen Ursachen kommen andere, weniger zweifelhafte. Das nahe Meeresufcr ist mit Manglebäumen, Avicenmen und andern Baumarten mit adstringirender Rinde bedeckt. Alle Tropenbewohner sind mit den schädlichen Ausdünstungen dieser Gewächse bekannt, und man fürchtet sie desto mehr, wenn Wurzeln und Stamm nicht immer unter Wasser stehen, sondern abwechselnd naß und von der Sonne erhitzt werden. Die Manglebäume erzeugen Miasmen, weil sie, wie ick anderswo gezeigt habe, einen thierisch-vegetabilischen, an Gerbstoss gebundenen Stoss enthalten. Man behauptet, der Kanal, durch den die Laguna de Campoma mit dem Meer zusammenhängt, ließe sich leicht erweitern und so dem stehenden Wasser ein Abfluß verschaffen. Die freien Neger, die das Sumpfland häufig betreten, versichern sogar, der Durchstich brauchte gar nicht tief 157 zu seyn, da das kalte, klare Wasser des Rio Azul sich auf dem Boden des Sees befindet und man beim Nachgraben aus den untern Schichten trinkbares, geruchloses Wasser erhält. Die Stadt Cariaco ist mehreremale von den Caraiben verheert worden. Die Bevölkerung hat rasch zugenommen, seit die Provinzialbehörden, den Verboten des Madrider Hofes zuwider, nicht selten dem Handel mit fremden Colonien Vorschub geleistet haben. Sie hat sich in zehn Jahren verdoppelt und betrug im Jahr 1600 über 6000 Seelen. Die Einwohner treiben sehr fleißig Vaumwollenbau; die Baumwolle ist sehr schön und es werden mehr als 10,000 Centner erzeugt. Die leeren Hülsen der Baumwolle werden sorgsam verbrannt; wirft man sie in den Fluß, wo sie faulen, so erzeugen sie Ausdünstungen, die man für schädlich hält. Der Bau des Cacao-baums hat in letzter Zeit sehr abgenommen. Dieser köstliche Baum trägt erst im achten bis zehnten Jahr. Die Frucht ist schwer in Magazinen aufzubewahren, und nach Jahresfrist „geht sie an," wenn sie noch so sorgfältig getrocknet worden ist. Dieser Nachtheil ist für den Colonisten von großem Belang. Auf diefen Küsten ist je nach der Laune eines Ministeriums und dem mehr oder minder kräftigen Widerstand der Statthalter der Handel mit den Neutralen bald verboten, bald mit gewissen Beschränkungen gestattet. Die Nachfrage nach einer Waare und die Preise, die sich nach der Nachfrage bestimmen, unterliegen daher dem raschesten Wechsel. Der Colonist kann sich diese Schwankungen nicht zu Nutze machen, weil sich der Cacao in den Magazinen nicht hält. Die alten Cacaostämme, die meist nur bis zum vierzigsten Jahre tragen, sind daher nicht durch junge ersetzt worden. Im Jahre 1792 zählte man ihrer noch 254 000 im Thal von Cariaco und am Ufer des Meerbusens. Gegenwärtig zieht man andere Culturzweige vor, welche gleich im ersten Jahr einen Ertrag liefern, und deren Produkte nicht nur nicht so lange auf sich warten lassen, sondern auch leichter aufzubewahren sind. Solche sind Baumwolle und Zucker, die nicht der Verderbniß unterliegen wie der Cacao und sich aufbewahren lassen, so daft man sie im günstigsten Zeitpunkt losschlagen kann. Die Umwandlungen, die in Folge der fortschreitenden Cultur und des Verkehrs mit Fremden Sitten und Charakter der Küstenbewohner erlitten, haben auch bestimmend mitgewirkt, wenn sie jetzt diesem und jenem Culturzweig den Vorzug geben. Jenes Maß in der sinnlichen Begierde, jene Geduld, die lange warten kann, jene Gemüthsruhe, welche die trübselige Eintönigkeit des einsamen Lebens ertragen läßt, verschwinden nach und nach aus dem Charakter der Hispano-Amenkaner. Sie werden unternehmender, leichtsinniger, beweglicher und werfen sich mehr auf Unternehmungen, die einen raschen Ertrag geben. Nur im Innern der Provinz, ostwärts von der Sierra de Meaftire, auf dem unbebauten Boden von Caruvano an durch das Thal San Vonifacio bis zum Meerbusen von Paria entstehen neue Cacaopftanzungen. Sie werden dort desto einträglicher, je mehr die Luft über dem frisch urbar gemachten, von Wäldern umgebenen Lande stockt, je mehr sie mit Wasser und mephitischen Dünsten geschwängert ist. Hier leben Familienväter, welche, treu den alten Sitten der Colonisten, sich und ihren Kindern langsam, aber sicher Wohlstand erarbeiten. Sie 158 159 behelfen sich bei ihrer mühsamen Arbeit mit einem einzigen Sklaven; sie brechen mit eigener Hand den Boden um, ziehen die jungen Cacaobäume im Schatten der Erythrina und der Bananendäume, beschneiden den erwachsenen Baum, vertilgen die Massen von Würmern und Insekten, welche Rinde, Blätter und Blüthen anfallen, legen Abzugsgräben an, und unterziehen sich sieben, acht Jahre lang einem elenden Leben, bis der Cacaobaum anfängt Ernten zu liefern. Dreißig tausend Stämme sichern den Wohlstand einer Familie auf anderthalb Generationen. Wenn durch die Baumwolle und Hen Kaffee der Bau des Cacao in der Provinz Caracas und im kleinen Thale von Cariaco beschränkt worden ist, so hat dagegen letzterer Zweig der Colonialindustrie im Innern der Provinzen Neubarcelona und Cumana zugenommen. Warum die Cacao-pflanzungen sich von West nach Ost mehr und mehr ausbreiten, ist leicht einzusehen. Die Provinz Caracas ist die am frühesten bebaute: je länger aber ein Land urbar gemacht ist, desto baumloser wird es in der heißen Zone, desio dürrer, desto mehr den Winden ausgesetzt. Dieser Wechsel in der äußern Natur ist dem Gedeihen des Cacaobaums hinderlich, und deßhalb gehen die Pflanzungen in der Provinz Caracas ein und häufen sich dafür westwärts auf unberührtem, erst kürzlich urbar gemachtem Boden. Die Provinz Neu-Andalusien allein erzeugte im Jahr 1799 18.000—20,000 Fanegas Cacao (zu 40 Piastern die Fanega in Friedenszeiten), wovon 5000 nach der Insel Trinidad geschmuggelt wurden. Der Cacao von Cumana ist ohne allen Vergleich besser als der von Guayaquil. Die in Cariaco herrschenden Fieber nöthigten uns zu 160 unserem Bedauern, unsern Aufenthalt daselbst abzukürzen. Da wir noch nicht recht acclimatisirt waren, so riethen uns selbst die Colonisten, an die wir empfohlen waren, uns auf den Weg zu machen. Wir lernten in der Stadt viele Leute kennen, die durch eine gewisse Leichtigkeit des Benehmens, durch umfassenderen Ideenkreis und, darf ich hinzusetzen, durch entschiedene Vorliebe für die RegierungZform der Vereinigten Staaten verriethen, daß sie viel mit dem Ausland in Verkehr gestanden. Hier hörten wir zum erstenmal in diesem Himmelsstriche die Namen Franklin unv>Washington mit Begeisterung aussprechen. Neben dem Ausdruck dieser Begeisterung bekamen wir Klagen zu hören über den gegenwärtigen Zustand von Neu-Andalusien, Schilderungen, oft übertriebene, des natürlichen Reichthums des Landes, leidenschaftliche, ungeduldige Wünsche für eine bessere Zukunft. Diese Stimmung mußte einem Reisenden auffallen, der unmittelbarer Zeuge der großen politischen Erschütterungen in Europa gewesen war. Noch gab sich darin nichts Feindseliges, Gewaltsames, keine bestimmte Richtung zu erkennen. Gedanken und Ausdruck hatten die Unsicherheit, die, bei den Völkern wie beim Einzelnen, als ein Merkmal der halben Bildung, der voreilig sich entwickelnden Kultur erscheint. Seit die Insel Trinidad eine englische Colonie geworden ist, hat das ganze östliche Ende der Provinz Cumana, zumal die Küste von Paria und der Meerbusen dieses Namens ein ganz anderes Gesicht bekommen. Fremde haben sich da niedergelassen und den Bau des Kaffeebaums, des Vaumwollenstrauchs, des otaheitischen Zuckerrohrs eingeführt. In Carupano, im schönen Thale des Rio Caribe, in Guire und im neuen Flecken Punta de Pietro gegenüber 161 dem Puerto d'Espana auf Trinidad hat die Bevölkerung sehr stark zugenommen. Im Koltd triste ist der Boden so fruchtbar, daß der Mais jährlich zwei Ernten und das 380ste Korn gibt. Die Vereinzelung der Niederlassungen hat dem Handel mit fremden Colonien Vorschub geleistet, und seit dem Jahre 1797 ist eine geistige Umwälzung eingetreten, die in ihren Folgen dem Mutterlande noch lange nicht verderblich geworden wäre, hätte nicht das Ministerium fort und fort alle Interessen gekränkt, alle Wünsche mißachtet. Es gibt in den Streitigleiten der Colonien mit dem Mutterland, wie fast in allen Volksbewegungen, einen Moment, wo die Negierungen, wenn sie nicht über den Gang der menschlichen Dinge völlig verblendet sind, durch kluge, fürsichtige Mäßigung das Gleichgewicht herstellen und den Sturm beschwören können. Lassen sie diesen Zeitpunkt vorübergehen, glauben sie durch physische Gewalt eine moralische Bewegung niederschlagen zu können, so gehen die Ereignisse unaufhaltsam ihren Gang und die Trennung der Colonien erfolgt mit desto verderblicherer Gewaltsamkeit, wenn das Mutterland während des Streits seine Monopole und seine frühere Gewalt wieder eine Zeitlang hatte aufrecht erhalten können. Wir schifften uns Morgens sehr früh ein, in der Hoffnung, die Ueberfahrt über den Meerbusen von Cariaco in Einem Tage machen zu können. Das Meer ist hier nicht unruhiger als unsere großen Landseen, wenn sie vom Wlnde sanft bewegt werden. Es sind vom Landungsplatz nach Cumana nur zwölf Seemeilen. Als wir die kleine Stadt Cariaco im Rücken hatten, gingen wir westwärts am Flusse Carenicuar hin, der schnurgerade wie ein künstlicher Kanal durch Gärten und Baumwollen-Humboldt, «else. II. 11 162 Pflanzungen läuft. Der ganze, etwas sumpfige Boden ist aufs sorgsamste angebaut. Während unseres Aufenthalts in Peru wurde hier auf trockeneren Stellen dcr Kaffeebau eingeführt. Wir sahen am Flusse indianische Weiber ihr Zeug mit der Frucht des Parapara (8n.pin6u8 ^ponarin,) waschen. Feine Wüsche soll dadurch sehr mitgenommen werden. Die Schale der Frucht gibt einen starken Schaum und die Frucht ist so elastisch, daß sie, wenn man sie auf einen Stein wirft, drei, viermal sieben bis acht Fuß hoch aufspringt. Da sie kugeligt ist, verfertigt man Rosenkränze daraus. Kaum waren wir zu Schiffe, so hatten wir mit widrigen Winden zu kämpfen. Es regnete in Strömen und ein Gewitter brach in der Nähe aus. Schaaren von Flamingos, Reihern und Cormorans zogen dem Ufer zu. Nur der Alcatras, eine große Pelicanart, fischte ruhig mitten im Meerbusen weiter. Wir waren unser achtzehn Passagiere, und auf der engen, mit Rohzucker, Pisangbüscheln und Cocosnüssen überladenen Pirogue (Fancha) konnten wir unsere Instrumente und Sammlungen kaum unterbringen. Der Rand des Fahrzeugs stand kaum über Wasser. Der Meerbusen ist fast überall 45—50 Faden tief, aber am östlichen Ende bei Curaguaca findet das Senkblei fünf Meilen weit nur 3—4 Faden. Hier liegt der Vaxo de la Cotua, eine Sandbank, die bei der Ebbe als Eiland über Wasser kommt. Die Piroguen, die Lebensmittel nach Cumana bringen, stranden manchmal daran, aber immer ohne Gefahr, weil die See hier niemals hoch geht und schollt. Wir fuhren über den Strich des Meerbusens, wo auf dem Boden der See heiße Quellen entspringen. Es war gerade Fluth und 103 daher der Temperaturwechsel weniger merkbar; auch fuhr unsere Pirogue zu nahe an der Südküste hin. Man sieht leicht, daß man Wasserschichten von verschiedener Temperatur antreffen muß, je nachdem die See mehr oder minder tief ist, oder je nachdem die Strömungen und der Wind die Mischung des warmen Quellwassers und des Wassers des Golfs befördern. Diese heißen Quellen, die, wie behauptet wird, auf 10,000 bis 12,000 Quadrattoisen die Temperatur der See erhöhen, sind eine sehr merkwürdige Erscheinung. Geht man vom Vorgebirge Paria westwärts über Irapa, ^ßua8 oalientes, den Meerbusen von Cariaco, den Brigantin und die Thäler von Aragua bis zu den Schneegebirgen von Merida, so findet man auf einer Strecke von mehr als 150 Meilen eine ununterbrochene Reihe von warmen Quellen. Der widrige Wind und der Regen nöthigten uns bei Peri-cantral, einem kleinen Hofe auf der Südküste des Meerbusens zu landen. Diese ganze, schön bewachsene Küste ist fast ganz ungebaut; man zählt kaum 700 Einwohner und außer dem Dorfe Mariguitar sieht man nichts als Pflanzungen von Cocos-bäumen, die die Oelbäume des Landes sind. Diese Palme wächst in beiden Continenten in einer Zone, wo die mittlere Jahrestemperatur nicht unter 20" beträgt. Sie ist, wie der Chamä-rops im Becken des Mittelmcers, eine wahre „Küstenpalme." Sie zieht Salzwasser dem süßen Wasser vor und kommt im Innern des Landes, wo die Luft nicht mit Salztheilchen geschwängert ist, lange nicht so gut fort als auf den Küsten. Wenn man in Terra Firma oder in den Missionen am Orinoco Cocosnußbäume weit von der See pflanzt, wirft man ein sta,kes Quantum Salz, oft einen halben Scheffel, in das Loch, in das die Cocosnüsse gelegt werden. Unter den Culturgewächsen baden nur noch das Zuckerrohr, der Bananenbaum, der Mammei und der Avocatier, gleich dem Cocosnußbaum, die Eigenschaft, daß sie mit süßem oder Salzwasser begossen werden können. Dieser Umstand begünstigt ihre Verpflanzung, und das Zuckerrohr von der Küste gibt zwar einen etwas salzigten Saft, derselbe eignet sich aber, wie man glaubt, besser zur Branntweindestillation als der Saft aus dem Binnenlande. Im übrigen Amerika wird der Cocosnußbaum meist nur um die Höfe gepflanzt, und zwar um der eßbaren Frucht willen; am Meerbusen von Cariaco dagegen sieht man eigentliche Pflanzungen davon. Man spricht in Cumana von einer In-oiknäa 66 oooo, wie von einer kaoienäa, äo oang. oder oacao. Auf fruchtbarem, feuchtem Boden fängt der Cocosbaum im vierten Jahre an reichlich Früchte zu tragen; auf dürrem Lande dagegen erhält man vor dem zehnten Jahre leine Ernte. Der Baum dauert nicht über 60—100 Jahre aus, und er ist dann im Durchschnitt 70—80 Fuß hoch. Dieses rasche Wachsthum ist desto auffallender, da andere Palmen, z. V. der Mönche (Uauritin. ÜLxuosa) und die kalnm 6« sombrero (^oripkg, wotoruin), die sehr lange leben, im sechzigsten Jahre oft erst 14—18 Fuß hoch sind. In den ersten 30—40 Jahren trägt am Meerbusen von Cariaco ein CocoZbaum jeden Monat einen Büschel mit 10—14 Früchten, von denen jedoch nicht alle reif werden. Man kann im Durchschnitt jährlich auf den Baum 100 Nüsse rechnen, die acht Fiascos ' Oel geben. Der Fiasco l Der Flasco zu 70 — 80 Pariser Cubikzoll. 164 165 gilt zwei einen halben Silberrealen oder 32 Sous. In der Provence gibt ein dreißigjähriger Oelbaum zwanzig Pfund oder sieben Flascos Oel, also etwas weniger als der Cocosbaum. Es gibt im Meerbusen von Cariaco Haciendas mit 8000—9000 Cocosbäumen; ihr malerischer Anblick erinnert an die herrlichen Dattelpflanzungen bei Elche in Murcia, wo auf einer Quadratmeile über 70,000 Palmstämme bei einander stehen. Der Cocosbaum trägt nur bis zum dreißigsten bis vierzigsten Jahr reichlich, dann nimmt der Ertrag ab und ein hundertjähriger Stamm ist zwar nicht ganz unfruchtbar, bringt aber sehr wenig mehr ein. In der Stadt Cumana wird sehr viel Cocosnußöl geschlagen: es ist klar, geruchlos und ein gutes Brennmaterial. Der Handel damit ist so lebhaft als auf der Westküste von Afrika der Handel mit Palmöl, das von Nn^8 Zuilluoensis kommt. Dieses ist ein Speiseöl. In Cumana sah ich mehr als einmal Piroguen ankommen, die mit 3000 Cocvsnüssen beladen waren. Ein Baum von gutem Ertrag gibt ein jährliches Einkommen von L^ Piastern (14 Francs 5 Sous), da aber auf den HaoieuäÄL äe O000 Stämme von verschiedenem Alter durch einander stehen, so wird bei Schätzungen durch Sachverständige das Kapital nur zu 4 Piastern angenommen. Wir verließen den Hof Pericantral erst nach Sonnenuntergang. Die Südtüste des Meerbusens in ihrem reichen Wanzen-schmuck bietet den lachendsten Anblick, die Nordküste dagegen ist felsigt, nackt und dürr. Trotz des dürren Bodens und des seltenen Regens, der zuweilen fünfzehn Monate ausbleibt, wachsen auf der Halbinsel Araya (wie in der Wüste Canound in Indien) 30—50 Pfund schwere Patillas oder Wassermelonen. In der heißen Zone ist die Luft etwa zu "/10 mit Wasserdunst aefättigt und die Vegetation erhält sich dadurch, daß die Blätter die wunderbare Eigenschaft haben, das in der Luft aufgelöste Wasser einzusaugen. Wir hatten auf der engen, überladenen Pirogue eine recht fchlechte Nacht und befanden uns um drei Uhr Morgens an der Mündung des Rio Manzanares. Wir waren seit mehreren Wochen an den Anblick der Gebirge, an Gewitterhimmel und finstere Wälder gewöhnt, und so sielen uns jetzt die Naturverhältnisse von Cumana, der ewig heitere Himmel, der kahle Boden, die Masse des überall zurückgeworfenen Lichtes doppelt auf. Bei Sonnenaufgang sahen wir Tamurosgeicr (Vulwr aura) zu Vierzigen und Fünfzigen auf den Cocosnußbäumen sitzen. Diese Vögel hocken zum Schlafen in Reihen zusammen, wie die Hühner, und sie sind so träge, daß sie, lange ehe die Sonne untergeht, aufsitzen, und erst wieder erwachen, wenn ihre Scheibe bereits über dem Horizont steht. Es ist, als ob die Bäume mit gefiederten Blatten, nicht minder träge wären. Die Mimosen und Tamarinden schließen bei heiterem Himmel ihre Blätter 25—30 Minuten vor Sonnenuntergang, und sie öffnen sie am Morgen erst, wenn die Scheibe bereits eben so lang am Himmel steht. Da ich Sonnen-Auf- und Untergang ziemlich regelmäßig beobachtete, um das Spiel der Luftspiegelung und der irdischen Refraction zu verfolgen, so konnte ich auch die Erscheinungen des Pflanzenschlafs fortwährend im Auge behalten. Ich fand sie gerade so in den Steppen, wo der Blick auf den Horizont durch keine Unebenheit des Bodens unterbrochen wird. Die sogenannten Sinnpsianzen und andere 166 167 Schotengewächse mit feinen, zarten Blättern empfinden, scheint es, da sie den Tag über an ein sehr starkes Licht gewöhnt sind, Abends die geringste Abnahme in der Stärke der Lichtstrahlen, so daß für diese Gewächse, dort wie bei uns, die Nacht eintritt, bevor die Sonnenscheibe ganz verschwunden ist. Aber wie kommt es, daß in einem Erdstriche, wo es fast keine Dämmerung gibt, die ersten Sonnenstrahlen die Blätter nicht um so stärker aufregen, da durch die Abwesenheit des Lichts ihre Reizbarkeit gesteigert worden seyn muß? Läßt sich vielleicht annehmen, daß die Feuchtigkeit, die sich durch die Erkaltung der Blätter in Folge der nächtlichen Strahlung auf dem Parenchym niederschlägt, die Wirkung der ersten Sonnenstrahlen hindert? In unsern Himmelsstrichen erwachen die Schotcngewächse mit reizbaren Blättern schon ehe die Sonne sich zeigt, in der Morgendämmerung. Neuntes Kapitel. Klrperbeschaffenheit und Sitten der ChaymaS. — Ihre Sprachen. Der Beschreibung unserer Reise nach den Missionen am Caripe wollte ich keine allgemeinen Betrachtungen über die Stümlne der Eingeborenen, welche Neu-Andalusien bewohnen, über ihre Sitten, ihre Sprache und ihren gemeinsamen Ursprung einstechten. Jetzt, da wir wieder am Orte sind, von dem wir ausgegangen, möchte ich alles dieß, das für die Geschichte des Menschengeschlechts von so großer Bedeutung ist, unter Einem Gesichtspunkt zusammenfassen. Je weiter wir von jetzt an ins Binnenland eindringen, desto mehr wird uns das Interesse für diese Gegenstände, den Erscheinungen der physischen Natur gegenüber, in Anspruch nehmen. Der nordöstliche Theil des tropischen Amerikas, Terra Firma und die Ufer des Orinoco, gleichen hinsichtlich der Mannigfaltigkeit der Völkerschaften, die sie bewohnen, den Thälern des Caucasus, den Bergen des Hindoukho, dem nördlichen Ende Asiens jenseits der Tungusen und Tartaren, die an der Mündung des Lena hausen. Die Barbarei, die in diesen verschiedenen Landstrichen herrscht, ist vielleicht nicht sowohl der Ausdruck ursprünglicher völliger Culturlosigkeit, als vielmehr die Folge langer Versunkenheit. Die meisten der Horden, die wir Wilde nennen, stammen 169 wahrscheinlich von Völkern, die einst auf bedeutend höherer Culturstufe standen, und wie soll man ein Stehenbleiben im Kindesalter der Menschheit (wenn ein solches überhaupt vorkommt) vom Zustand sittlichen Verfalls unterscheiden, in dem Vereinzelung, die Noth des Lebens, gezwungene Wanderungen, oder ein grausames Klima jede Spur von Cultur ausgetilgt haben? Wenn Alles, was sich auf die ursprünglichen Zustände des Menschen und auf die älteste Bevölkerung eines Festlandes bezieht, an und für sich der Geschichte angehörte, so würden wir uns auf die indischen Sagen berufen, auf die Ansicht, die in den Gesetzen Menus und im Ramajan so oft ausgesprochen wird, nach der die Wilden aus der bürgerlichen Gesellschaft ausgestoßene, in die Wälder getriebene Stämme sind. Das Wort Barbar, das wir von Griechen und Römern angenommen, ist vielleicht nur der Name einer solchen versunkenen Horde. Zu Anfang der Eroberung Amerikas bestanden große gesellschaftliche Vereine unter den Eingeborenen nur auf dem Rücken der Cordilleren und auf den Asien gegenüber liegenden Küsten. Auf den mit Wald bedeckten, von Flüssen durchschnittenen Ebenen, auf den endlosen Savanen, die sich ostwärts ausbreiten und den Horizont begrenzen, traf man nur umherziehende Völkerschaften, getrennt durch Verschiedenheit der Sprache und der Sitten, zerstreut gleich den Trümmern eines Schifsbruchs. Wir wollen versuchen, ob uns in Ermangelung aller andern Denkmale die Velwandtschaft der Sprachen und die Beobachtung der Körperbildung dazu dienen können, die verschiedenen Stämme zu gruppiren, die Spuren ihrer weiten 170 Wanderungen zu verfolgen und ein paar jener Familienzüge aufzufinden, durch die sich die ursprüngliche Einheit unseres Geschlechtes verräth. Die Eingeborenen oder Ureinwohner bilden in den Ländern deren Gebirge wir vor Kurzem durchwandert, in den beiden Provinzen Cumana und Nueva Barcelona, beinahe noch die Hälfte der schwachen Bevölkerung. Ihre Kopfzahl läßt sich auf 60,000 schätzen, wovon 24,000 auf Neu-Andalusien kommen. Diese Zahl ist bedeutend gegenüber der Stärke der Iägervölker in Nordamerika: sie erscheint klein, wenn man die Theile von Neuspanien dagegen hält, wo seit mchr als acht Jahrhunderten der Ackerbau besteht, z. V. die Intendanz Oaraca, in der die Mixteca und Tzapoteca des alten mexicanischen Reiches liegen. Diese Intendanz ist um ein Drittheil kleiner als die zwei Provinzen Cumana und Barcelona zusammen, zählt aber über 400,000 Einwohner von der reinen kupferfarbigen Race. Die Indianer in Cumana leben nicht alle in den Missionsdörfern; man findet sie zerstreut in der Umgegend der Städte, auf den Küsten, wohin sie des Fischfangs wegen ziehen, selbst auf den kleinen Höfen in den Llanos oder Savanen. In den Missionen der aragonesischen Kapuziner, die wir besucht, leben allein 15,000 Indianer, die fast sämmtlich dem Chaymas-stamm angehören. Indessen sind die Dörfer dort nicht so stark bevölkert, wie in der Provinz Barcelona. Die mittlere Seelenzahl ist nur fünf- bis sechshundert, während man weiter nach Westen in den Missionen der Franciskaner von Piritu indianische Dörfer mit zwei- bis dreitausend Einwohnern trifft. Wenn ich die Zahl der Eingeborenen in den Provinzen Cumana und 171 Barcelona auf 60,000 schätzte, so meinte ich nur die in Terra Firma lebenden, nicht die Guaiqueries auf der Insel Margarita und die große Masse der Guaraunos, die auf den Inseln im Delta des Orinoco ihre Unabhängigkeit behauptet haben. Diese schützt man gemeiniglich auf 6000 bis 8000; dieß scheint mir aber zu viel. Außer den Guaraunosfamilien, die sich hie und da auf den sumpsigten, mit Morichepalmen bewachsenen Landstrichen (zwischen dem Cano Manamo und dem Rio Gua-rapiche), also auf dem Festlande selbst blicken lassen, gibt es seit dreißig Jahren in Neu - Andalusien keine wilden Indianer mehr. Ungern brauche ich das Wort wild, weil es zwischen dem unterworfenen, in den Missionen lebenden, und dem freien oder unabhängigen Indianer einen Unterschied in der Cultur voraussetzt, dem die Erfahrung häusig widerspricht. In den Wäldern Südamerikas gibt es Stämme Eingeborener, die unter Häuptlingen friedlich in Dörfern leben, auf ziemlich ausgedehntem Gebiet Pisang, Manioc und Baumwolle bauen und aus letzterer ihre Hängematten weben. Sie sind um nichts barbarischer als die nackten Indianer in den Missionen, die man das Kreuz hat schlagen lehren. Die irrige Meinung, als wären sämmtliche nicht unterworfene Eingeborene umherziehende Iägewölker, ist in Europa ziemlich verbreitet. In Terra Firma bestand der Ackerbau lange vor Ankunft der Europäer, er besteht noch jetzt zwischen dem Orinoco und dem Amazonenstrom in den Lichtungen der Wälder, wohin nie ein Missionär den Fuß gesetzt hat. Das verdankt man allerdings dem Regiment der Missionen, daß der Eingeborene Anhänglichkeit an 172 Grund und Boden bekommt, sich an festen Wohnsitz gewöhnt und ein ruhigeres, friedlicheres Leben lieben lernt. Aber der Fortschritt in dieser Beziehung ist langsam, oft unmerklich, weil man die Indianer völlig von aliem Verkehr abschneidet, und man macht sich ganz falsche Vorstellungen vom gegenwartigen Zustand der Völker in Südamerika, wenn man einerseits christlich, unterworfen und civilisirt, andererseits heidnisch, wild und unabhängig für gleichbedeutend hält. Der unterworfene Indianer ist häufig so wenig ein Christ als der unabhängige Götzendiener; beide sind völlig vom augenblicklichen Bedürfniß in Anspruch genommen, und bei beiden zeigt sich in gleichem Maße vollkommene Gleichgültigkeit gegen christliche Vorstellungen und der geheime Hang, die Natur und ihre Kräfte göttlich zu verehren. Ein solcher Gottesdienst gehört dem Kindesalter der Völker an; er kennt noch keine Götzen und keine heiligen Orte außer Höhlen, Schluchten und Forsten. Wenn die unabhängigen Indianer nördlich vom Orinoco und Apure, d. h. von den Schnecbergen von Merida bis zum Vorgebirge Paria, seit einem Jahrhundert fast ganz verschwunden sind, so darf man daraus nicht schließen, daß es jetzt in diesen Ländern weniger Eingeborene gibt, als zur Zeit des Bischofs von Chiapa, Bartholomäus Las Casas. In meinem Werke über Mexico habe ich dargethan, wie sehr man irrt, wenn man die Ausrottung der Indianer oder auch nur die Abnahme ihrer Volkszahl in den spanischen Colonien als eine allgemeine Thatsache hinstellt. Die kupferfarbige Race ist auf beiden Festländern Amerikas noch über sechs Millionen stark, und obgleich unzählige Stämme und Sprachen ausgestorben 173 smd oder sich verschmolzen haben, so unterliegt es doch keinem Zweifel, daß zwischen den Wendekreisen, in dem Theile der neuen Welt, in den die Cultur erst seit Christoph Columbus eingedrungen ist, die Zahl der Eingeborenen bedeutend zugenommen hat. Zwei caraibische Dörfer in den Missionen von Piritu oder am Carony zählen mehr Familien als vier oder fünf Völkerschaften am Orinoco. Die gesellschaftlichen Zustände der unabhängig gebliebenen Caraiben an den Quellen des Es-quibo und südlich von den Bergen von Pacaraimo thun zur Genüge dar, wie sehr auch bei diesem schonen Menschenschlag die Bevölkerung der Missionen die Masse der unabhängigen und verbündeten Caraiben übersteigt. UebrigenZ verhält es sich mit den Wilden im heißen Erdstrich ganz anders als mit denen am Missouri. Diese bedürfen eines weiten Gebiets, weil sie nur von der Jagd leben: die Indianer in spanisch Guyana dagegen bauen Manioc und Bananen, und ein kleines Stück Land reicht zu ihrem Unterhalt hin. Sie scheuen nicht die Berührung mit den Weißen, wie die Wilden in den Vereinigten Staaten, die, nach einander hinter die Akghanis, hinter Ohio und Mississippi zurückgedrängt, sich den Lebensunterhalt in dem Maaße abgeschnitten sehen, in dem man ihr Gebiet beschränkt. In der gemäßigten Zone, in den provin-«28 interims von Mexico so gut wie in Kentucky ist die Verühnlng mit den europäischen Ansiedlern den Eingeborenen verderblich geworden, weil die Berührung dort eine unmittelbare ist. Im größten Theil von Südamerika fallen diese Ursachen weg. Unter den Tropen bedarf der Ackerbau keiner weiten Landstrecken, und die Weißen breiten sich langsam aus. Die Mönchsorden haben ihre Niederlassungen zwischen den Besitzungen der Colonisten und dem Gebiet der freien Indianer gegründet. Die Missionen sind als Zwischenstaaten zu betrachten; sie haben allerdings die Freiheit der Eingeborenen beschränkt, aber fast aller Orten ist durch sie eine Zunahme der Bevölkerung herbeigeführt worden, wie sie beim Nomadenleben der unabhängigen Indianer nicht möglich ist. Im Maaß, als die Ordensgeistlichen gegen die Wälder vorrücken und den Eingeborenen Land abgewinnen, suchen ihrerseits die weißen Ansiedler von der andern Seite her das Gebiet der Missionen in Besitz zu bekommen. Dabei sucht der weltliche Arm fortwährend die unterworfenen Indianer dem Mönchsregiment zu entziehen. Nach einem ungleichen Kampfe treten allmählich Pfarrer an die Stelle der Missionäre. Weiße und Mischlinge lassen sich, begünstigt von den Corregidoren, unter den Indianern nieder. Die Missionen werden zu spanischen Dörfern und die Eingeborenen wissen bald gar nicht mehr, daß sie eine Volkssprache gehabt haben. So rückt die Cultur von der Küste ins Binnenland vor, langsam, durch menschliche Leidenschaften aufgehalten, aber sichern, gleichmäßigen Schrittes. Die Provinzen Neu - Andalusien und Barcelona, die man unter, em Namen Oovisrno 66 Oumana begreift, zählen in ihrer gegenwärtigen Bevölkerung mehr als vierzehn Völkerschaften: es sind in Neu-Andalusien die Chaymas, Guaiqueries, Pariagotos, Quaquas, Aruacas, Caraiben und Guaraunos; in der Provinz Barcelona die Cumanagatos, Palenques, Caraiben, Piritus, Tomuzas, Topocuares, Chacopotas und 174 175 Guarives. Neun oder zehn unter diesen vierzehn Völkerschaften glauben selbst, daß sie ganz verschiedener Abstammung sind. Man weih nicht genau, wie viele Guaraunos es gibt, die ihre Hütten an der Mündung des Orinoco auf Bäumen bauen; dcr Guaiqueries in der Vorstadt von Cumana und auf der Halbinsel Araja sind es 2000 Köpfe. Unter den übrigen Völkerschaften sind die Chaymas in den Bergen von Caripe, die Caraiben auf den südlichen Savanen von Neu-Barcelona und die Cumanagotos in den Missionen von Piritu die zahlreichsten. Einige Familien Guaraunos sind auf dem linken Ufer des Orinoco, da wo das Delta beginnt, der Missionszucht unterworfen worden. Die Sprachen der Guaraunos, Caraiben, Cumanagotos und Chaymas sind die verbreitetsten. Wir werden bald sehen, daß sie demselben Sprachstamm anzugehören scheinen und in ihren grammatischen Formen so nahe verwandt sind, wie, um bekanntere Sprachen zur Ver-gleichung herbeizuziehen, das Griechische, Deutsche, Persische und Sanskrit. Trotz dieser Verwandtschaft sind die Chaymas, Guaraunos, Caraiben, Quaquas, Aruacas und Cumanagotos als verschiedene Völker zu betrachten. Von den Guaiqueries, Pariagotos, Piritus, Tomuzas und Chacopatas wage ich nicht das Gleiche zu behaupten. Die Guaiqucries geben selbst zu, daß ihre Sprache und die der Guaraunos einander nahe stehen. Beide sind Küstenvölker, wie die Malaien in der alten Welt. Was die Stämme betrifft, die gegenwärtig die Mundarten der Cumanagotos, Caraiben und Chaymas haben, so läßt sich über ihre ursprüngliche Abstammung und ihr Verhältniß zu andern, 176 ehemals mächtigeren Völkern schwer etwas aussagen. Die Geschichtschreiber der Eroberung, wie die Geistlichen, welche die Entwicklung der Missionen beschrieben haben, verwechseln, nach der Weise der Alten, immer geographische Bezeichnungen mit Stammnamen. Sie sprechen von Indianern von Cumana und von der Küste von Paria, als ob die Nachbarschaft der Wohnsitze gleiche Abstammung bewiese. Meist benennen sie sogar die Stämme nach ihren Häuptlingen, nach dem Verg oder dem Thal, die sie bewohnen. Dadurch häuft sich die Zahl der Völkerschaften ins Unendliche und werden alle Angaben der Missionäre über die ungleichartigen Elemente in der Bevölkerung ihrer Missionen in hohem Grade schwankend. Wie will man jetzt ausmachen, ob der Tomuza und der Piritu verschiedener Abstammung sind, da beide cumanagotisch sprechen, was im westlichen Theil des Govierno de Cumana die herrschende Sprache ist, wie die der Caraiben und der Chaymas im südlichen und östlichen? Durch die große Uebereinstimmung in der Körperbildung werden Untersuchungen der Art sehr schwierig. Die beiden Con.tinente verhalten sich in dieser Beziehung völlig verschieden: auf dem neuen findet man eine erstaunliche Man-nichfaltigkeit von Sprachen bei Völkern desselben Ursprungs, die der Reisende nach ihrer Körperlichkeit kaum zu unterscheiden vermag; in der alten Welt dagegen sprechen körperlich ungemein verschiedene Völker, Lappen, Finnen und Esthen, die germanischen Völker und die Hindus, die Perser und die Kurden Sprachen, die im Bau und in den Wurzeln die größte Aehnlichkeit mit einander haben. Die Indianer in den Missionen treiben sämmtlich Ackerbau, 177 und mit Ausnahme derer, die in den hohen Gebirgen leben, bauen alle dieselben Gewächse; ihre Hütten stehen am einen Orte in Reihen wie am andern; die Eintheilung ihres Tagewerts, ihre Arbeiten im Gemeindeconuco, ihr Verhältniß zu den Missionären und den aus ihrer Mitte gewählten Beamten, Alles ist nach Vorschriften geordnet, die überall gelten. Und dennoch — und dieß ist eine höchst merkwürdige Beobachtung in der Geschichte der Völker — war diese große Gleichförmigkeit der Lebensweise nicht im Stande, die indivi« duellen Züge, die Schattirungen, durch welche sich die amerikanischen Völkerschaften unterscheiden, zu verwischen. Der Mensch mit kupferfarbiger Haut zeigt eine geistige Starrheit, ein zähes Festhalten an den bei jedem Stamm wieder anders gefärbten Sitten und Gebräuchen, das der ganzen Race recht eigentlich den Stempel aufdrückt. Diesen Charakterzügen begegnet man unter allen Himmelsstrichen vom Aequator bis zur Hudsonsbai und bis zur Magellanschen Meerenge; sie sind bedingt durch die physische Organisation der Eingeborenen, aber die mönchische Zucht leistet ihnen wesentlich Vorschub. Es gibt in den Missionen nur wenige Dörfer, wo die Familien verschiedenen Völkerschaften angehören und nicht dieselbe Sprache reden. Aus so verschiedenartigen Elementen bestehende Gemeinheiten sind schwer zu regieren. Meist haben die Mönche ganze Nationen, oder doch bedeutende Stücke derselben Nation in nahe bei einander gelegenen Dörfern untergebracht. Die Eingeborenen sehen nur Leute ihres eigenen Stammes; denn Hemmung des Verkehrs, Vereinzelung, das ist ein Hauptartilel in der Staatskunst der Missionäre. Bei Humboldt, Reist. II. 12 178 den unterworfenen Chavmas, Caraiben, Tamanacas erhalten sich die nationalen Eigenthümlichkeiten um so mehr, da sie auch noch ihre Sprachen besitzen. Wenn sich die Individualität des Menschen in den Mundarten gleichsam abspiegelt, so wirken diese wieder auf Gedanken und Empfindung zurück. Durch diesen innigen Verband zwischen Sprache, Volkscharakter und Körperbildung erhalten sich die Völker einander gegenüber iu ihrer Verschiedenheit und Eigenthümlichkeit, und dieß ist eine unerschöpfliche Quelle von Bewegung und Leben in der geistigen Welt. Die Missionäre konnten den Indianern gewisse alte Gebräuche bei der Geburt eines Kindes, bcim Mannbarwerden bei der Bestattung der Todten verbieten; sie konnten es dahin bringen, dah sie sich nicht mehr die Haut bemalten oder in Kinn, Nase und Wangen Einschnitte machten: sie konnten beim großen Haufen die abergläubischen Vorstellungen ausrotten, die in manchen Familien, im Geheimen forterben,- aber es war leichter Gebräuche abzustellen und Erinnerungen zu verwischen, als die alten Vorstellungen durch neue zu ersetzen. In den Missionen ist dem Indianer sein Lebensunterhalt gesicherter als zuvor. Er liegt nicht mehr in beständigem Kampfe mit feindlichen Gewalten, mit Menschen und Elementen, und führt so dem wilden, unabhängigen Indianer gegenüber ein einförmigeres, unthätigeres, der Entwicklung der Geistes- und GemüthZ-kraft weniger günstiges Leben. Wenn er gutmüthig ist, so kommt dieß nur daher, weil er die Ruhe liebt, nicht weil er gefühlvoll ist und gemüthlich. Wo er außer Verkehr mit den Weißen auch all den Gegenständen ferne geblieben ist, welche 179 die Cultur der neuen Welt zugebracht, hat sich der Kreis seiner Vorstellungen nicht erweitert. Alle feine Handlungen scheinen nur durch das augenblickliche Bedürfniß bestimmt zu werden. Er ist schweigsam, verdrossen, in sich gekehrt, seine Miene ist ernst, geheimnißvoN. Wer nicht lange in den Missionen gelebt hat und an das Aussehen der Eingeborenen nicht gewöhnt ist, hält ihre Trägheit und geistige Starrheit leicht für den Ausdruck der Schwermuth und des Tiefsinns. Ich habe die Charakterzüge des Indianers und die Veränderungen, die sein Wesen unter der Zucht der Missionäre erleidet, so scharf hervorgehoben, um den einzelnen Beobachtungen, die den Inhalt dieses Abschnittes bilden sollen, mehr Interesse zu geben. Ich beginne mit der Natur der Chaymas, deren über 15,000 in den oben beschriebenen Missionen leben. Diese nicht sehr kriegerische Nation, welche Pater Francisco de Pamplona um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts in Zucht zu nehmen anfing, hat gegen West die Cumanagotos, gegen Ost die Guaraunos, gegen Süd die Caraiben zu Nachbarn. Sie wohnt entlang dem hohen, Gebirge des Cocollar und Gua-charo an den Ufern des Guarapiche, des Rio Colorado, des Areo und des Cano de Caripe. Nach der genauen statistischen Aufnahme des Paters Präfekten zählte man im Jahr 1792 in den Missionen der aragonesischen Kapuziner in Cumana neunzehn Missionsdörfer: das älteste ist von 1728, und sie zählten 6433 Einwohner in 1465 Haushaltungen: sechzehn Dörfer 6s 6ootriun,; das älteste ist von 1660, und sie hatten 8170 Einwohner in 1766 Familien. Diese Missionen hatten in den Jahren 1681, 1697 und 180 1720 viel zu leiden; die damals noch unabhängigen Caraiben machten Einfälle und brannten ganze Dörfer nieder. Zwischen den Jahren 1730 und 1736 ging die Bevölkerung zurück in Folge der Verheerungen durch die Blattern, die der kupfer» farbigen Race immer verderblicher sind als den Weißen. Vicle Guaraunos, die bereits angesiedelt waren, entliefen wieder in ihre Sümpfe. Vierzehn alte Missionen blieben wüste liegen oder wurden nicht wieder aufgebaut. Die Chaymas sind meist von kleinem Wuchs; dieß fällt namentlich auf, wenn man sie nicht mit ihren Nachbarn, den Caraiben, oder den Payaguas und Guayqmlis in Paraguay, die sich alle durch hohen Wuchs auszeichnen, fondern nur mit den Eingeborenen Amerikas im Durchschnitt vergleicht. Die Mittelgröße eines Chaymas beträgt 1 Meter 57 Centimeter oder 4 Fuß 10 Zoll. Ihr Körper ist gedrungen, untersetzt, die Schultern sind sehr breit, die Brust flach, alle Glieder rund und fleischigt. Ihre Hautfarbe ist die der ganzen amcrikani-schen^Racevon den kalten Hochebenen Quitos und Neu-Grenadas bis herab zu den heißen Tiefländern am Amazonenstrom. Die klimatischen Unterschiede äußern keinen Einfluß mehr auf dieselbe; sie ist durch organische Verhältnisse bedingt, die sich seit Jahrhunderten unabänderlich von Geschlecht zu Geschlecht fortpflanzen. Gegen Nord wird die gleichförmige Hautfarbe röther, dem Kupfer ähnlicher; bei den Chaymas dagegen ist sie dunkelbraun und nähert sich dem Lohfarbigen. Der Ausdruck „kupferfarbige Menschen" zur Bezeichnung der Eingeborenen wäre im tropischen Amerika niemals aufgekommen. Der Gesichtsausdruck, der Chaymas ist nicht eben hart und 181 wild, hat aber doch etwas Ernstes, Finsteres. Die Stirne ist klein, wenig gewölbt: daher heißt es auch in mehreren Sprachen dieses Landstrichs von einem schönen Weibe, „sie sey fett und habe eine schmale Stirne." Die Augen der Chaymas sind schwarz, tiefliegend und stark in die Länge gezogen; sie sind weder so schief gestellt noch so klein wie bei den Völkern mongolischer Race, von denen Iornandes sagt, sie haben „vielmehr Punkte als Augen," ma,ßi8 punotg, c>uam lumina. Indessen ist der Augenwinkel den Schlafen zu dennoch merklich in die Höhe» gezogen; die Augbraunen sind schwarz oder dunkelbraun, dünn, wenig geschweift; die Augenlieder haben sehr lange Wimpern, und die Gewohnheit, sie wie schläfrig niederzuschlagen, gibt dem Blick der Weiber etwas Sanftes und läßt das verschleierte Auge kleiner erscheinen, als es wirklich ist. Wenn die Chaymas, wie überhaupt alle Eingeborenen Südamerikas und Neuspaniens, durch die Form der Augen, die vorspringenden Backenknochen, das straffe, glatte Haar, den fast gänzlich mangelnden Bart sich der mongolischen Race nähern, so unterscheiden sie sich von derselben auffallend durch die Form der Nase, die ziemlich lang ist, der ganzen Länge nach vorspringt und bei den Naslöchern dicker wird, welch letztere nach unten gerichtet sind, wie bei den Völkern caucasischer Nace. Der große Mund mit breiten, aber nicht dicken Lippen hat häufig einen gutmüthigen Ausdruck. Zwischen Nase und Mund laufen bei beiden Geschlechtern zwei Furchen von den Naslöchern gegen die Mundwinkel. Das Kinn ist sehr kurz und rund; die Kinnladen sind auffallend stark und breit. Die Zähne sind bei den Chaymas schön und weiß, wie 182 bei allen Menschen von einfacher Lebensweise, aber lange nicht so start wie bei den Negern. Dcn ersten Reisenden war der Brauch aufgefallen, mit gewissen Pflanzensäften und Aetzkalk die Zähne schwarz zu färben; gegenwärtig weiß man nichts mehr davon. Die Völkerstämme in diesem Landstrich sind nanientlich seit den Einfällen der Spanier, welche Sklavenhandel trieben, so hin und her geschoben worden, daß die Einwohner von Paria, die Christoph Columbus und Ojcda gesehen, ohne Zweifel nicht vom selben Stamme waren wie die Chaymas. Ich bezweifle sehr, daß der Brauch des Schwürzens der Zähne, wie Gomara behauptet, mit seltsamen Schönheitsbegriffen' zusammenhängt, odcr daß es ein Mittel gegen Zahnschmerzen seyn sollte. Von diesem Uebel wissen die Indianer so gut wie nichts; auch die Weißen in den spanischen Colonien, wenigstens in den heißen Landstrichen, wo die Temperatur so gleichförmig ist, leiden selten daran. Auf dem Nucken der Cordilleren, in Santa-Fe und Popayan sind sie demselben niehr ausgesetzt. l Die Völker, welche di: Spanlei auf der Küste vvn Paria antrafen, hatten wahrscheinlich den Gebrauch, die Geschmacksorgaue mit Aehlalk zu reizen, wozu andere Tabak, Chimo, Coccablä'tter oder Vetel brauchen. Diese Sitte herrscht noch jetzt llen spanischen Missionen und indianischen Dörfern, die ich besucht, Beinkleider, Schuhe und Hut Luxusartikel sind, von denen die Eingeborenen nichts wissen. Ein Diener, der uns auf der Reise nach Charipe und an den Orinoco begleitet und den ich mit nach Frankreich gebracht, konnte sich, nachdem wir ans Land gestiegen, nicht genug verwundern, als er einen Vauern mit dem Hut auf dem Kopf ackern sah, und er glaubte „in einem armseligen Lande zu seyn, wo sogar die Edelleute (lc>8 mismo» o»d«,I. 1ero8) hinter dem Pfluge gehen." Die Weiber der Chaymas sind nach unsern Schönheits-begriffen nicht hübsch: indessen haben die jungen Mädchen etwas Sanftes und Wehmüthiges im Vlick, das von dem ein wenig harten und wilden Ausdruck des Mundes angenehm absticht. Die Haare tragen sie in zwei lange Zöpfe geflochten. Die Haut bemalen sie sich nicht und kennen in ihrer Armuth keinen andern Schmuck als Hals- und Armbänder aus Muscheln, Vögelknochen und Fruchtkernen. Männer und Weiber sind sehr musculös, aber der Körper ist fleischig! mit runden Formen. Ich brauche kaum zu sagen, daß mir nie ein Individuum mit einer natürlichen Mißbildung aufgestoßen ist; dasselbe gilt von den vielen tausend Caraiben, MuyZcas, Mexicanern und Peruanern, die wir in fünf Jahren gesehen. Dergleichen Mißbildungen sind bei gewissen Racen ungemein selten, besonders aber bei Völkern, deren Hautgewebe stark gefärbt ist. Ich 189 kann nicht glauben, daß sie allein Folgen höherer Cultur, einer weichlicheren Lebensweise und der Eittenverderbniß sind. In Europa heirathet ein buckligtes oder sehr häßliches Mädchen, wenn sie Vermögen hat, und die Kinder erben häusig die Mißbildung der Mutter. Im wilden Zustand, in dem zugleich vollkommene Gleichheit herrscht, kann nichts einen Mann vermögen, eine Mißbildete oder sehr Kränkliche zum Weibe zu nehmen. Hat eine solche das seltene Glück, daß sie das Alter der Reife erreicht, so stirbt sie sicher kinderlos. Man möchte glauben, die Wilden seyen alle so wohlgebildet und so kräftig, weil die schwächlichen Kinder aus Verwahrlosung frühe wegsterben und nur die kräftigen am Leben bleiben; aber dieß kann nicht von den Indianern in den Missionen gelten, welche die Sitten unserer Bauern haben, noch auch von den Mericanern in Cholula und Tlascala, die in einem Wohlstand leben, den sie von civilisirteren Vorfahren ererbt. Wenn bie kupferfarbige Race auf allen Culturstufen dieselbe Starrheit zeigt, dieselbe Unfähigkeit, vom ursprünglichen Typus abzuweichen, so müssen wir darin doch wohl großentheils angeborene Anlage erblicken, das, worin eben der eigenthümliche Racencharakter besteht. Ich sage absichtlich: großentheils, weil ich den Einfluß der Cultur nicht ganz ausschließen möchte. Beim kupferfarbigen Menschen, wie beim Weißen, wird der Körper durch Luxus und Weichlichkeit geschwächt, und aus diesem Grunde waren früher Mißbildungen in Couzco und Tenochtitlan häusiger; aber unter den heutigen Mexicancrn, die alle Landbauern sind und in der größten Sitteneinfalt leben, hätte Montezuma nimmermehr die Zwerge und Bucklichten aufgetrieben, die Vernal Diaz bei seiner Mahlzeit erscheinen sah. Die Sitte des frühzeitigen Heirathens ist, wie die Ordensgeistlichen bezeugen, der Zunahme der Bevölkerung durchaus nicht nachtheilig. Diese srühc Mannbarkeit ist Nacencharalter und keineswegs Folge des heißen Mimas.- sie kommt ja auch auf der Nordwcstküste von Amerika, bei den Eskimos vor, so wie in Asien bei den Kamtschadalen und Koriäten, wo häufig zehnjährige Mädchen Mütter sind. Man kann sich nur wundern, daß die Tragezeit, die Dauer der Schwangerschaft sich ,m gesunden Zustande bei keiner Race und in keinem Klima verändert. Die Chaymas haben beinahe keinen Bart am Kinn, wie die Tongusen und andere Völker mongolischer Nace. Die wenigen Haare, die sprossen, reißen sie aus: aber im Allgemeinen ist es unrichtig, wenn man behauptet, sie haben nur deßhalb keinen Bart, weil sie denselben ausraufen. Auch ohne diesen Brauch wären die Indianer größtentheils ziemlich bartlos. Ich sage glößtentheils, denn es gibt Völkerschaften, die in dieser Beziehung ganz vereinzelt neben den andern stehen und deßhalb um so mehr Aufmerksamkeit verdienen. Hieher gehören i:i Nordamerika die Cyevewyans, die Mackenzie besucht hat, und die Jabipais bei den toltekischen Ruinen von Moqui, beide mit dichtem Bart, in Südamerika die Patagonen und Guaranys. Unter letzteren sieht man Einzelne sogar mit behaarter Brust. Wenn die Chaymas, statt sich den dünnen Kinnbart auszuraufen, sich häufig rasiren, so wächst der Bart stärker. Solches sah ich mit Erfolg junge Indianer thun, die als Meßdiener lebhaft wünschten den Väter Kapuzinern, ihrcn Missionären und Meistern zu gleichen. Beim Volk im Ganzen 191 aber ist und bleibt der Bart in dem Maße verhaßt, in dem er bei den Orientalen in Ehren steht. Dieser Widerwille fließt aus derselben Quelle wie die Vorliebe für abgeflachte Stirnen, die an den Bildnissen aztckischer Gottheiten und Helden in so seltsamer Weise zu Tage kommt. Den Völkern gilt immer für schön, was ihre eigene Körperbildung, ihre Nationalphysiognomie besonders auszeichnet. ' Da ihnen nun die Natur sehr wenig Vart, eine schmale Stirne und eine rothbraune Haut gegeben hat, so hält sich jeder für desto schöner, je weniger sein Körper behaart, je flacher sein Kopf, je lebhafter seine Haut mit Noucou, Chica oder irgend einer tupfen othen Farbe bemalt ist. Die Lebensweise der Chaymas ist höchst einförmig. Sie legen sich regelmäßig um sieben Uhr Abends nieder und stehen lange vor Tag, um halb fünf Uhr Morgens auf. Jeder Indianer hat ein Feuer bei seiner Hängematte. Die Weiber sind so frostig, daß ich sie in der Kirche vor Kälte zittern sah, wenn der hunderttheilige Thermometer noch auf 18 Grad stand. Im Innern sind die Hütten der Indianer äußerst sauber. Ihr Bettzeug, ihre Schilfmatten, ihre Töpfe mit Manioc oder gegohrenem Mais, ihre Bogen und Pfeile, Alles befindet sich in der schönsten Ordnung. Männer und Weiber badsn täglich, und da sie fast immer nackt gehen, fo kann bei ihnen die lln-reinlichkcit nicht auskommen, die beim gemeinen Volk in kalten Ländern vorzugsweise von den Kleidern herrührt. Außer dem Haus im Torfe haben sie meist auf ihren Conucos, an einer l So übertrieben die Griechen bei ihren schönsten Statuen die Stirnbildung, indem sic den Gesichtswinkel zu groß annahmen. 192 Quelle oder am Eingang einer recht einsamen Schlucht, eine mit Palm- und Bananenblättcrn gedeckte Hütte von geringem Umfang. Obgleich sie auf dem Conuco weniger bequem leben, halten sie sich doch dort auf, so oft sie nur können. Schon oben gedachten wir ihres unwiderstehlichen Triebs, die Gesellschaft zu fliehen und zum Leben in der Wildniß zurückzukehren. Die kleinsten Kinder entlaufen nicht selten ihren Eltern und ziehen vier, fünf Tage in den Wäldern herum, von Früchten, von Palmlohl und Wurzeln sich nährend. Wenn man in den Missionen reist, sieht man häusig die Dörfer fast ganz leer stehen, weil die Einwohner in ihren Gürten sind oder auf der Jagd, a! monts. Bei den civilisirten Völkern flieht wM die Iagdlust zum Theil aus denselben moralischen Quellen, aus dem Reiz der Einsamkeit, dem angeborenen Unabhängigkeitstrieb, dem tiefen Eindruck, den die Natur überall auf den Menschen macht, wo er sich ihr allein gegenüber sieht. Entbehrung und Leiden sind auch bei den Chaymas, wie bei allen halbbarbarischen Völkern, das Loos der Weiber. Die schwerste Arbeit fällt ihnen zu. Wenn wir die Chaymas Abends aus ihrem Garten heimkommen sahen, trug der Mann nichts als das Messer (Mokette), mit dem er sich einen Wcg durch das Gesträuch bahnt. Das Weib ging gebückt unter einer gewaltigen Last Bananen und trug ein Kind auf dem Arm, und zwei andere saßen nicht selten oben auf dem Bündel. Trotz dieser gesellschaftlichen Unterordnung schienen mir die Weiber der südamerikanischen Indianer glücklicher als die der Wilden im Norden. Zwischen den Alleghanis und dem Mississippi werden überall, wo die Eingeborenen nicht größtcntheils 193 von der Jagd leben, Mais, Bohnen und Kürbisse nur von den Weibern gebaut: der Mann gibt sich mit dem Ackerbau gar nicht ab. In der Heiken Zone gibt es nur sehr wenige Jäger-Völker, und in den Missionen arbeiten die Männer im Felde so gut wie die Weiber. Man macht sich keinen Begriff davon, wie schwer die Indianer spanisch lernen. Sie haben einen Abscheu davor, so lange sie mit den Weißen nicht in Berührung kommen und ihnen der Ehrgeiz fremd bleibt, civilisirte Indianer zu heißen, oder, wie man sich in den Missionen ausdrückt, latinifirte Indianer, In6i«8 uiu^ latino». Was mir aber nicht allein bei den Chaymas, sondern in allen sehr entlegenen Missionen, die ich später besucht, am meisten aufsiel, das ist, daß es den Indianern so ungemein schwer wird, die einfachsten Gedanken zusamznenzubringen und auf spanisch auszudrücken, selbst wenn sie die Bedeutung der Worte und den Satzbau ganz gut kennen. Man sollte sie für noch einfältiger halten als Kinder, wenn ein Weißer sie über Gegenstände befragt, mit denen sie von Kindesbeinen an vertraut sind. Die Missionäre versichern, dieses Stocken fey nicht Folge der Schüchternheit: bei den Indianern, die täglich ins Haus des Missionärs kommen und bei der öffentlichen Arbeit die Aufsicht führen, sey es keineswegs natürliche Beschränktheit, sondern nur Unvermögen, den Mechanismus einer von ihren Landessprachen abweickenden Sprache zu handhaben.- Je uncultivirter der Mensch ist, desto mehr moralische Starrheit und Unbiegsamkeit kommt ihm zu. Es ist also nicht zu verwundern, wenn der Indianer, der vereinsamt in den Missionen lebt, Hemmnissen begegnet, von Humboldt, Reise. II. 13 denen diejenigen nichts wissen, die nnt Mestizen, Mulatten und Weißen in der Nähe der Städte in Pfarrdürfern wohnen. Ich war oft erstaunt, mit welcher Geläufigkeit in Carifte der Alcade, der Governador, der Sargento mayor stundenlang zu den vor der Kirche versammelten Indianern sprachen; sie vertheilten die Arbeiten für die Woche, schalten die Trägen, drohten den Unanstelligen. Diese Häuptlinge, die selbst Chaymas sind und die Befehle des Missionärs der Gemeinde zur Kenntniß bringen, sprechen dabei alle auf einmal, mit lauter Stimme, mit storker Betonung, fast ohne Geberdenspiel. Ihre Züge bleiben dabei unbeweglich, ihr Vlick ist ernst, gebieterisch. Dieselben Menschen, die so viel Geisteslebendigleit verriethen und ziemlich gut spanisch verstanden, konnten ihre Gedanken nicht mehr zusammen bringen, wenn sie uns auf unsern Ausflügen in der Nähe des Klosters begleiteten und wir durch die Mönche Fragen an sie richten ließen. Man konnte sie Ja oder Nein sagen lassen, je nachdem man die Frage stellte; und ihre Trägheit und nebenbei auch jene schlaue Höflichkeit, die auch dem rohesten Indianer nicht ganz fremd ist, ließ sie nicht selten ihren Antworten die Wendung geben, auf die unsere Fragen zu deuten schienen. Wenn sich Reisende auf die Aus« sagen von Eingeborenen berufen wollen, können sie vor diesem gefälligen Jasagen sich nicht genug in Acht nehmen. Ich wollte einmal einen indianischen Alcaden auf die Probe stellen und fragte ihn, ob er nicht meine, der Bach Caripe, der aus der Höhle des Guacharo herauskommt, laufe auf der andern Seite den Berg herauf und durch eine unbekannte Oeffnung herein. 194 195 Er schien sich eine Weile zu besinnen und sagte dann zur Unterstützung meiner Annahme: „Freilich, wie wäre auch sonst vorne in der Höhle immer Wasser im Bett?" Alle Zahlenverhältnisse fassen die Chaymas außerordentlich schwer. Ich habe nicht Einen gesehen, den man nicht sagen lassen konnte, er sey achtzehn oder aber sechzig Jahre alt. Marsden hat dieselbe Beobachtung an den Malaien auf Sumatra gemacht, die doch seit mehr als fünfhundert Jahren civilisirt sind. Die Chaymassftrache hat Worte, die ziemlich große Zahlen ausdrücken, aber wenige Indianer wissen damit umzugehen, und da sie im Verkehr mit den Missionären dazu genöthigt sind, so zählen die fähigsten spanisch, aber so, daß man ihnen die geistige Anstrengung ansieht, bis auf 30 oder 50. In der Chaymassprache zählen dieselben Menschen nicht über 5 oder 6. Es ist natürlich, daß sie sich vorzugsweise der Worte einer Sprache bedienen, in der sie die Reihen der Einer und der Zehner kennen gelernt haben. Seit die europäischen Gelehrten es der Mühe werth halten, den Bau der amerikanischen Sprachen zu studiren, wie man den Bau der semitischen Sprachen, des Griechischen und des Lateinischen studirt, schreibt man nicht mehr der Mangelhaftigkeit der Sprachen zn, was nur auf Rechnung der Rohheit der Völker kommt. Man erkennt an, daß fast überall die Mundarten reicher sind und feinere Wendungen aufzuweisen haben, als man nach der Culturlosigkeit der Völker, die sie sprechen, vermuthen sollte. Ich bin weit entfernt, die Sprachen der neuen Welt den schönsten Sprachen Asiens und Europas gleichstellen zu wollen; aber keine von diesen hat ein klareres, regelmäßigeres und 196 einfacheres Zahlsystem als das Qauichua und das Aztekische, die in den großen Reichen Couzco und Anahuac gesprochen wurden. Dürfte man nun sagen, in diesen Sprachen zähle man nicht über vier, weil es in den Dörfern, wo sich dieselben unter den armen Bauern von peruanischem oder mexi-camschem Stamm erhalten haben, Menschen gibt, die nicht weiter zählen können? Die seltsame Ansicht, nach der so viele Völker Amerikas nur bis zu fünf, zehn oder zwanzig sollen zählen können, ist durch Reisende aufgekommen, die nicht wußten, daß die Menschen, je nach dem Geist der verschiedenen Mundarten, in allen Himmelsstrichen nach 5, 10 oder 20 Einheiten.(das heißt nach den Fingern Einer Hand, beider Hände, der Hände und Füße zusammen) einen Abschnitt machen, und daß 6, 13 oder 20 auf verschiedene Weise durch fünf eins, zehn drei „Fuß zehn" ausgedrückt werden. Kaun man sagen, die Zahlen der Europäer gehen nicht über zehn, weil wir Halt machen, wenn eine Gruppe von zehn Einheiten beisammen ist? Die amerikanischen Sprachen sind so ganz anders gebaut, als die Tochtersprachen des Lateinischen, daß die Jesuiten, welche Alles, was ihre Anstalten fördern konnte, aufs sorgfältigste in Betracht zogen, bei den Neubekehrten statt des Spanifchen einige indianische sehr reiche, sehr regelmäßige und weitverbreitete Sprachen, namentlich das Qquichua und das Guaraui, einführten. Sie suchten durch diese Sprachen die ärmeren, plumperen, im Satzbau nicht so regelmäßigen Mundarten zu verdrängen. Und der Tausch gelaug ohne alle Schwierigkeit; die Indianer verschiedener Stämme ließen sich ganz gelehrig dazu herbei, und 19? so wurden diese verallgemeinerten amerikanischen Sprachen zu einem bequemen Verkehrsmittel zwischen den Missionären und den Neubekehrten. Mit Unrecht würde man glauben, der Sprache der Incas sey nur darum der Vorzug vor dem Spanischen gegeben worden, um die Missionen zu isoliren und sie dem Einfluß zweier auf einander eifersüchtiger Gewalten, der Bischöfe und der Statthalter, zu entziehen: abgesehen von ihrer Politik hatten die Jesuiten noch andere Gründe, wenn sie ge« wisse indianische Sprachen zu verbreiten suchten. Diese Sprachen boten ihnen ein bequemes Mittel, um ein Band um zahlreiche Horden zu schlingen, die bis jetzt vereinzelt, einander feindlich gesinnt, durch die Sprachvcrschiedenheit geschieden waren; denn in uncultivirtcn Ländern bekommen die Dialekte nach mehreren Jahrhunderten nicht selten die Form oder doch das Aussehen von Ursprachen. Wenn es heißt, ein Düne lerne leichter Deutsch, ein Spanier leichter Italienisch oder Lateinisch als jede andere Sprache, so meint man zunächst, dieß rühre daher, daß alle germanischen Sprachen oder alle Sprachen des lateinischen Europas eine Menge Wurzeln mit einander gemein haben: man vergißt, daß es neben dieser Aehnlichkeit der Laute eine andere gibt, die Völker von gemeinsamem Ursprung noch ungleich tiefer anregt. Die Sprache ist keineswegs ein Ergebniß willkürlicher Ucbereintunft: der Mechanismus der Flexionen, die grammatischen Formen, die Möglichkeit der Inversionen, Alles ist ein Ausfluß unseres Innern, unserer eigenthümlichen Organisation. Im Menschen lebt ein unbewußt thätiges und ordnendes Princip, das bei Völkern von verschiedener Nace 198 auch verschieden angelegt ist. Das mehr oder weniger rauhe Klima, der Aufenthalt im Hochgebirg oder am Meeresufer, die ganze Lebensweise mögen die Laute umwandeln, die Gemeinsamkeit der Wurzeln unkenntlich machen und ihrer neue erzeugen: aber alle diese Ursachen lassen den Bau und das innere Getriebe der Sprachen unberührt. Die Einflüsse des Klimas und aller äußern Verhältnisse sind ein verschwindendes Moment dem gegenüber, was der Racencharakter wirkt, die Gesammtheit der dem Menschen eigenthümlichen, sich vererbenden Anlagen. In Amerika nun — und dieses Ergebniß der neuesten Forschungen ist für die Geschichte unserer Gattung von der höchsten Bedeutung — in Amerika haben vom Lande der Eskimos bis zum Orinoco, und von den heißen Ufern dieses Flusses bis zum Eis der Magellanschen Meerenge den Wurzeln nach ganz verschiedene Stammsprachen so zu sagen dieselbe Physiognomie. Nicht allein ausgebildete Sprachen, wie die der Incas, das Aymare, Guarani, Cora und das Mericanische, sondern auch sehr rohe Sprachen zeigen in ihrem grammatischen Bau die überraschendsten Aehnlichteiten. Idiome, deren Wurzeln einander um nichts ähnlicher sind als die Wurzeln des Slavischen und des Baskischen, gleichen einander im inneren Mechanismus wie Sanskrit, Persisch, Griechisch und die germanischen Sprachen. So findet man fast überall in der neuen Welt, daß die Zeitwörter eine ganze Menge Formen und Tempora haben, ein künstliches, sehr verwickeltes Verfahren , um entweder durch Flexion der persönlichen Fürwörter, welche die Wortendungen bilden, oder durch Einschieben eines 199 Suffixes zum voraus Wesen und Verhältnisse des Subjekts zu bezeichnen, um anzugeben, ob dasselbe lebendig ist oder leblos, männlichen oder weiblichen Geschlechts, einfach oder in vielfacher Zahl. Eben wegen dieser allgemeinen Aehnlichkeit im Bau, und weil amerikanische Sprachen, die auch nicht ein Wort mit einander gemein haben (z. B. das Mericanische und das Qquichua), in ihrer inneren Gliederung übereinkommen und von den Töchtersprachen des Lateinischen durchaus ab» weichen, lernt der Indianer in den Missionen viel leichter eine amerikanische Sprache als die des europäischen Mutterlandes. In den Wäldern am Orinoco habe ich die rohesten Indianer zwei, drei Sprachen sprechen hören. Häusig verkehren Wilde verschiedener Nationen in einem andern als ihrem eigenen Idiom mit einander. Hätte man das System der Jesuiten befolgt, so wären bereits weit verbreitete Sprachen fast allgemein geworden. Auf Terra Firma und am Orinoco spräche man jetzt nur Carai-bisch oder Tamanatisch, im Süden und Südwesten Qquichua, Guarani, Omagua und Araucanisch. Die Missionäre könnten sich diese Sprachen zu eigen machen, deren grammatische Formen höchst regelmäßig und fast so fest sind wie im Griechischen und Sanskrit, und würden so den Eingeborenen, über die sie herrschen, weit näher kommen. Die zahllosen Schwierigkeiten in der Verwaltung von Missionen, die aus einem Dutzend Völkerschaften bestehen, verschwänden mit der Sprachverwirrung. Die wenig verbreiteten Mundarten würden todte Sprachen,-aber der Amerikaner behielte mit einer amerikanischen Sprache auch seine Individualität und seine nationale Physiognomie. Man erreichte so auf friedlichem Wege, was die allzu selir gepriesenen Incas, die den Fanatismus in die neue Welt eingeführt, mit Waffengewalt durchzuführen begonnen. Wie mag man sich auch wundern, daß die Chaymas, die Caraiben, die Saliven oder Otomakcn im Spanischen so geringe Fortschritte machen, wenn man bedenkt, daß fünf-, sechshundert Indianern Ein Weiher, Ein Missionär gegenübersteht, und baß dieser alle Mühe hat, einen Governador, Nl-caden oder Fiscal zum Dolmetscher heranzubilden! Könnte man statt der Zucht der Missionäre die Indianer auf anderem Wege civilisiren, oder vielmehr ihre Sitten sünftigen (denn der unterworfene Indianer hat weniger rohe Sitten, ohne deßhalb gebildeter zu seyn), tonnte man die Weihen, statt sie ferne m hallen, in neu gebildeten Gemeinden unter den Eingeborenen leben lassen, so wären die amerikanischen Sprachen bald von den europäischen verdrängt, und die Eingeborenen überkämen mit den letzteren die gewaltige Masse neuer Vorstellungen, welche die Früchte der Cultur sind. Dann brauchte man allerdings keine allgemeinen Sprachen, wie die der Incas oder das Guarany, einzuführen. Aber nachdem ich mich in den Missionen des südlichen Amerikas so lange aufgehalten, nachdem ich die Vorzüge und die Mißbrauche des Regiments der Missionäre kennen gelernt, darf ich wohl die Ansicht aus-sprechen, daß dieses Regiment nicht so leicht abzuschaffen seyn wird, ein System, das sich gar wohl bedeutend verbessern läßt und das als Vorbereitung und Uebergang zu einem unsern Begriffen von bürgerlicher Freiheit entsprechenderen erscheint. Man wird mir einwenden, die Römer haben in 200 201 Gallien, in Bätica, in der Provinz Afrika mit ihrer Herrschaft schnell auch ihre Sprache eingeführt; aber die eingeborenen Völker dieser Länder waren keine Wilde. Sie wohnten in Städten, sie kannten den Gebrauch des Geldes, sie hatten bürgerliche Einrichtungen, die eine ziemlich hohe Stufe der Cultur voraussetzen. Durch die Lockungen des Waarentausches und den langen Aufenthalt der Legionen waren sie mit den Eroberern in unmittelbare Berührung gekommen. Dagegen sehen wir der Einführung der Sprachen der Mutterländer überall fast unüberwindliche Hindernisse entgegentreten, wo carthagi-nensische, griechische oder römische Colonien auf wirklich barbarischen Küsten angelegt wurden. Zu allen Zeiten und unter allen Himmelsstrichen ist Flucht der erste Gedanke des Wilden dem civilisirten Menschen gegenüber. Die Sprache der Chaymas schien mir nicht so wohlklingend wie das Caraibische, das Salivische und andere Orinvcosprachen. Namentlich hat sie weniger in accentuirten Vocalen ausklingende Endungen. Sylben wie ßuä2, 62, puio, pur kommen auffallend oft vor. Wir werden bald sehen, daß diese Endungen zum Theil Flexionen des Zeitworts seyn sind, oder aber Post-Positionen, die nach dem Wesen der amerikanischen Sprachen den Worten selbst einverleibt sind. Mil Unrecht würde man diese Rauheit des Sprachtons dem Leben der Chaymas im Gebirge zuschreiben, denn sie sind ursprünglich diesem gemäßigten Klima fremd. Sie sind erst durch die Missionäre dorthin versetzt worden, und bekanntlich war den Chaymas, wie allen Bewohnern heißer Landstriche, die Kälte in Carifte, wie sie cs nennen, Anfangs sehr zuwider. Während unseres Aufenthalls 202 im Kapuzinerkloster haben Bonpland und ich ein kleines Ver-zeichmß von Chaymasworten angelegt. Ich weiß wohl, daß der Bau und die grammatischen Formen für die Sprachen weit bezeichnender sind als die Analogie der Laute und der Wurzeln, und daß diese Analogie der Laute nicht selten in verschiedenen Dialekten derselben Sprache völlig unkenntlich wird: denn die Stämme, in welche eine Nation zerfällt, haben häufig für dieselben Gegenstände völlig verschiedene Benennungen. So kommt es, daß man sehr leicht irre geht, wenn man, die Flexionen außer Auge lassend, nur nach den Wurzeln, z. B. nach den Worten für Mond. Himmel, Wasser, Erde, zwei Idiome allein wegen der Unähnlichkeit der Laute für völlig verschieden erklirrt. Trotz dieser Quelle des Irrthums thun, denke ich, die Reisenden gut, wenn s,e immer alles Material sammeln, das ihnen zugänglich ist. Machen sie auch nicht mit der inneren Gliederung und dem allgemeinen Plane des Baus bekannt, so lehren sie doch wichtige Theile desselben für sich kennen. Die Wörterverzeichnisse sind nicht zu vernachlässigen: sie geben sogar über den wesentlichen Charakter einer Sprach« einigen Auffchluß, wenn der Reisende Sätze sammelt, aus denen man ersieht, wie das Zeitwort fiektirt wird und, was in den verschiedenen Sprachen in so abweichender Weise geschieht, die persönlichen und possessiven Fürwörter bezeichnet werden. Die drei verbreitetsten Sprachen in den Provinzen Cumana und Barcelona sind gegenwärtig die der Chaymas, das Cu-managotischo und das Caraibische. Sie haben im Lande von jeher als verschiedene Idiome gegolten; jede hat ihr Wörterbuch, zum Gebrauch der Missionen verfaßt von den Patres Taufte, 203 Ruiz-Blanco und Breton. Das Vooadulario ^ »rts äe I». leuFu» 66 los In6io6 Oktt^mkls ist sehr selten geworden. Die wenigen Exemplare der meist im siebzehnten Jahrhundert gedruckten amerikanischen Sprachlehren sind in die Missionen gekommen und in den Wäldern zu Grunde gegangen. Wegen der großen Feuchtigkeit und der Gefräßigkeit der Insekten lassen sich in diesen heißen Ländern Bücher fast gar nicht aufbewahren. Trotz aller Vorsichtsmaßregeln sind sie in kurzer Zeit gänzlich verdorben. Nur mit großer Mühe'konnte ich in den Missionen und Klöstern die Grammatiken amerikanischer Sprachen zusammenbringen, da ich gleich nach meiner Rückkehr nach Europa dem Professor und Bibliothekar Severin Vater zu Königsberg Übermacht habe; sie lieferten ihm gutes Material zu seinem schönen großen Wert über die Sprachen der neuen Welt. Ich hatte damals versäumt meine Notizen über die Chaymassprache uus meinem Tagebuch abzuschreiben und diesem Gelehrten mitzutheilen. Da weder Pater Gili, noch der Abt Hervas dieser Sprache erwähnen, gebe ich hier kurz das Ergebniß meiner Untersuchungen. Auf dem rechten Ufer des Orinoco, südöstlich von der Mission Encaramada, über hundert Meilen von den Chaymas, wohnen die Tamanacu, deren Sprache in mehrere Dialekte zerfällt. Diese einst sehr mächtige Nation ist auf wenige Köpfe zusammengeschmolzen; sie ist von den Bergen von Caripe durch den Orinoco, durch die großen Steppen von Caracas und Cu-mana, und durch eine noch schwerer zu übersteigende Schranke, durch Völker von caraibischem Stamme getrennt. Trotz dieser Entfernung und der vielfachen örtlichen Hindernisse erkennt man 204 in der Sprache der Chaymas einen Zweig der Tamcmacusprache. Die ältesten Missionäre wissen nichts von dieser interessanten Beobachtung, weil die aragonesischen Kapuziner fast nie an das südliche Ufer des Orinoco kommen und von der Existenz der Tamanacu so gut wie nichts wissen. Die Verwandtschaft zwischen der Sprache dieses Volks und der der Chaymas habe ich erst lange nach meiner Rückkehr nach Europa aufgefunden, als ich meine gesammelten Notizen mit einer Grammatik verglich, die ein alter Missionär am Orinoco in Ilalien drucken lassen. Ohne die Sprache der Chaymas zu kennen, hatte schon der Abt' Gili vermuthet, daß die Sprache der Einwohner von Paria mit dem Tamanacu verwandt seyn müsse. Ich thue diese Verwandtschaft auf dem doppelten Wege dar, auf dem man die Analogie der Sprachen erkennt, durch den grammatischen Bau und durch die Uebereinstimmung der Worte oder Wurzeln. — Hier sind zuerst die persönlichen Fürwörter der Chaymas, die zugleich Possessiva sind: u-i-6, ich, ou-re, du, tsu-re, er. Im Tamanacu: u-rs, ich, «mlllL oder »n-i», du, itsu^«., er. Die Wurzel der ersten und der dritten Person ist im Chaymas u und teu; dieselben Wurzeln finden sich im Tamanacu. "ia .v4«iNl.l, Ure, id ure. Tuna, Sßaffer. Tuna. Canopo , Siegen. Canepo. Poturu, SEBifTen- Puturo. Apoto, $euer. U-apto. Nunu, SDlonb, 2Ronat. Nuna. Chaymas. Tamanacu. 205 Seyn heißt im Chaymas 22; setzt man vor das Zeitwort das persönliche Fürwort ich (u von u-re), so laßt man des Wohlklangs wegen vor dem u ein ß hören, also FUK2, ich bin, eigentlich z-u-ax. Wie die erste Person durch ein u, so wird die zweite durch ein m, die dritte durch ein i bezeichnet: du bist, ma?; 5,mu6r6puex om p9x) noch heutzutage in 212 Indien ertönen. Ich will nicht glauben, daß die Völker des lateinischen Europa Alles hebräisch oder baskisch nennen, was ein fremdartiges Aussehen hat, wie man lange Alles, was nicht im griechischen oder römischen Styl gehalten war, egypti-sche Denkmäler nannte. Ich glaube vielmehr, daß das grammatische System der amerikanischen Sprachen die Missionäre dcs sechzehnten Jahrhunderts in ihrer Annahme von der asiatischen Herkunft der Völker der neuen Welt bestärkt hat. Einen Beweis hiefür liefert die langweilige Compilation des Paters Garcia: ^r»w6 dsl nri^en äft log Inäios." Daß die possessiven und persönlichen Fürwörter hinter Substantiven und Zeitwörtern stehen, und daß letztere so viele Tempora haben, das sind Eigenthümlichkeiten des Hebräischen und der andern semitischen Sprachen. Manche Missionäre fanden es nun sehr merkwürdig, daß die amerikanischen Sprachen dieselben Formen aufzuweisen haben. Sie wußten nicht, daß die Uebereinstimmung in verschiedenen einzelnen Zügen für die gemeinsame Abstammung der Sprachen nichts beweist. Weniger zu verwundern ist, wenn Leute, die nur zwei von einander sehr verschiedene Sprachen, spanisch und baskisch, verstehen, an letzterer eine Familienähnlichkeit mit den amerikanischen Sprachen fanden. Die Wortbildung, die Leichtigkeit, mit der sich die einzelnen Elemente auffinden lassen, die Formen dcs Zeitworts und die mannichfaltigen Gestalten, die es je nach dem Wesen des regierten Worts annimmt, alles dieß konnte die Täuschung erzeugen und unterhalten. Aber, wir wiederholen es, mit der gleichen Neigung zur Aggregation und Incorporation ist noch keineswegs gleiche Abstammung gegeben. 213 Ich gebe einige Beispiele dieser physiognomischen Verwandtschaft zwischen den amerikanischen Sprachen und dem Vaskischen, die in den Wurzeln durchgängig von einander abweichen. Chaymas: quenpowprn, yuoFua-z, ich kenne nicht, wörtlich: wissend nicht ich bin. Tamanacu: M6r-u8oui-6, tragend bin ich, ich trage; ankrepna aiolü, er wird nicht tragen, wörtlich: tragend nicht wird seyn; patourbe, gut, pllt^uwri, sich gut machen: Ikmanaou, ein Tamanacu: 'l2MÄu»cmt8.rl, sich zum Tamanacu machen: lou^keme, Spanier: ponFliemtari, sich hispanisiren: tsnsotsolü, ich werde sehen: tendiere, ich werde wiedersehen; teosolm, ich gehe; wosoliäre, ich kehre zurück; Na^pur dutkö, ein kleiner Maypure-Indianer; aioadutkö, ein keines Weib; ^ m»^-pui-it^L, ein böser Maypure-Indianer; aioaw^L, ein böses Weib. Baskisch; inkitstutsuäot, ich liebe ihn, wörtlich; ich liebend ihn bin; deFuia, Auge, und beFwtsk, sehen; ail^-FNug., zum Vater; durch den Zusatz von tu entsteht das Wort lliwggnatu, zum Vater gehen; umS-wauua, sanftes, lindlich offenes Benehmen; umk-yueria, widriges kindisches Benehmen. ^ Diesen Beispielen mögen einige beschreibende Composita folgen, die an die Kindheit des Menschengeschlechts mahnen ' Das Diminutiv von Frau oder von Maypure-Indlanel wird dadurch gebildet, daß man bulkö, das End« des Worte« eujupulkö, klein, beisetzt, luje entspricht dem Italienischen uccin. ^ Die Endung lacuna bedeutet eine gute Eigenschaft, queri» eine schlimme und lommt her von oria, Krankheit. und in den amerikanischen Sprachen wie im Baslischen durch eine gewisse Naivetät des Ausdrucks überraschen. Tunia-nacu: Wespe, imne-imu, wörtlich: Vater (im-äo) des Honigs (uau6)- die Zehen, ptkri - inuoliru, wörtlich: die Söhne des Fußes: die Finger, amZna-muouru, dic Söhne der Hand; die Schwämme, ^ejL-^iaimi-i, wörtlich: die Ohren des VaumZ! die Adern der Hand, »mAua-mitU, wörtlich: verästele Wurzeln; die Blätter, prutpL^areri, wörtlich: die Haare des Baumwipfclü; puiiene-v^ju, wörtlich: gerade over senkrechte Sonne; Vlitz, liweniSiu - ugptoi-i, wörtlich: das Feuer des Donners oder des Gewitters. Vaskisch: d^oo ljuia, Stirne, wörtlich: was zum Auge gehört: oäotsa,, das Getöse der Wolke, der Donner: ariibioig,, das Echo, wörtlich: der lebendige Stein. Im Chaymas und Tamanacu haben die Zeitwörter eine Unzahl Tempora, ein doppeltes Präsens, vier Präterita, drei Futura. Diese Häufung ist selbst den rohcsten amerikanischen Sprachen eigen. In der Grammatik des Vastischen zählt Astarloa gleichfalls zweihundert sechs Formen des Zeitworts auf. Die Sprachen, welche vorherrschende Neigung zur Flexion haben, reizen die gemeine Neugier weniger als solche, die durch bloße Nebeneinanderstellimg von Elementen gebildet erscheinen. In den ersteren sind die Elemente, aus dcnen die Worte zusammengesetzt siüd und die meist aus wenigen Buchstaben bestehen, nicht mehr kenntlich. Für sich geben diese Bestandtheile keinen Sinn: alles ist verschlungen und verschmolzen. Die amerikanischen Sprachen dagegen gleichen einem verwickelten Mechanismus mit offen zu Tage liegendem Nädcr- 214 werk. Man erkennt die Künstlichteit, man kann sage» den ausgearbeiteten Mechanismus des Baus. Es ist, als bildeten sie sich erst unter unsern Augen, und man könnte sie für sehr neuen Ursprungs halten, wenn man nicht bedächte, daß der menschliche Geist unvcnückt einem einmal erhaltenen Anstoß folgt, daß die Völker nach einem ursprünglich angelegten Pla« den grammatischen Bau ihrer Sprachen erweitern, vervollkommnen oder ausbessern, und daß es Länder gibt, wo Sprache, Verfassung, Sitten und Künste seit vielen Jahrhunderten wie festgebannt sind. Die höchste geistige Entwicklung hat bis jetzt bei den Völkern stattgefunden, welche dem indischen und pelasgischen Stamm angehören. Die hauptsächlich dmch Aggregation gebildeten Sprachen erscheinen als ein natürliches Hinderniß der Cultur? entwicklung; es geht ihnen großentheils die rasche Bewegung ab, das innerliche Leben, die die Flexion der Wurzeln mit sich bringt und die den Werken der Einbildungskraft den H7.upt-reiz geben. Wir dürfen indessen nicht vergessen, daß ein schon im hohen Alterthum hochberühmtcs Volt, dem selbst die Gncchen einen Theil ihrer Bildung entlehnten, vielleicht eine Sprache hatte, die in ihrem Bau unwillkürlich an die amerikanischen Sprachen erinnert. Welche'Masse ein- oder zweisylbiger Partikeln werden im Coptischen dem Zeilwort oder Hauptwort angehängt! Das Chaymas und Tamanacn, halb barbarische Sprachen, haben ziemlich kurze abstrakte Benennungen für Größe, Neid, Leichtsinn, clioictivate, uoite, uonät:; aber im Coptischen ist das Wort Bosheit, m<3tr«pli-L!pewn, aus fünf leicht zu unterscheidenden Elementen zusammengesetzt, und 215 bedeutet: die Eigenschaft (met) eines Subjektes (repii), das thut (er) das Ding (pet), (das ist) böse (on). Und dennoch hatte die coptische Sprache ihre Literatur, so gut wie die chinesische, in der die Wurzeln nicht einmal aggregirt, sondern kaum an einander gerückt sind und sich gar nicht unmittelbar berühren. So viel ist gewiß, sind einmal die Völker aus ihrem Schlummer aufgerüttelt und auf die Bahn der Cultur geworfen, so bietet ihnen die seltsamste Sprache das Werkzeug, um Gedanken bestimmt auszudrücken und Seelenregungen zu schildern. Ein achtungswerther Mann, der in der blutigen Revolution von Quito das Leben verloren, Don Juan de la Rea, hat ein paar Idyllen Theokrits in die Sprache der Incas einfach und zierlich übertragen, und man hat mich versichert, mit Ausnahme naturwissenschaftlicher und philosophischer Werke, lasse sich so ziemlich jedes neuere Literaturprodukt ins Peruanische übersetzen. Der starke Verkehr zwischen den Eingeborenen und den Spamern seit der Eroberung hat zur natürlichen Folge gehabt, daß nicht wenige amerikanische Worte in die spanische Sprache übergegangen sind. Manche dieser Worte bezeichnen meist Dinge, die vor der Entdeckung der neuen Welt unbekannt waren, und wir denken jetzt kaum mehr an ihren barbarischen Ursprung (z. B. Savane, Canibale). Fast alle gehören der Sprache der großen Antillen an, die früher die Sprache von Haiti, Quizqueja oder Itis hieß. Ich nenne nur die Worte Mais, Tabak, Canoe, Batata, Cazike, Balsa, Conuco u. s. w. Als die Spanier mit dem Jahr 1493 ansingen Terra Firma zu besuchen, hatten sie bereits Worte für die nutzbarsten Gewächse, 216 217 'die auf den Antillen, wie auf den Küsten von Cumana und Paria vorkommen. Sie behielten nicht nur diese von den Haitiern entlehnten Benennungen bei, durch sie wurden dieselben über ganz Amerika verbreitet, zu einer Zeit, wo die Sprache von Haiti bereits eine todte Sprache war, und bei Völkern, die von der Existenz der Antillen gar nichts wußten. Manchen Worten, die in den spanischen Colonien in täglichem Gebrauche sind, schreibt man indessen mit Unrecht haitischen Ursprung zu. Länklna ist aus der Chacosprache, H.r6p» (Maniocbrod von ^atropka N»niot) und (^ua^uoo (Schürze, pLrixom»,) sind caraibisch, Ouriao», (sehr langes Canoe) ist tamanatisch, Olünokorro (Hängematte) und 'lutumg, (die Frucht der OkLoeutm iüujew, oder ein Gefäß für Flüssigkeiten) sind Cyaymaswörter. Ich habe lange bei Betrachtungen über die amerikanischen Sprachen verweilt; ich glaubte, wenn ich sie zum erstenmal in diesem Werke bespräche, anschaulich zu machen, von welcher Bedeutung Untersuchungen der Art sind. Es verhält sich damit wie mit der Bedeutung, die den Denkmälern halb barbarischer Völker zukommt. Man beschäftigt sich mit ihnen nicht, weil sie für sich auf den Rang von Kunstwerken Anspruch machen können, sondern weil die Untersuchung für die Geschichte unseres Geschlechts und den Entwicklungsgang unserer Geisteskräfte nicht ohne Belang ist. Ehe Cortes nach der Landung an der Küste von Mexico srine Schisse verbrannte, ehe er im Jahr 1521 in die Hauptstadt Montezumas einzog, war Europa auf die Länder, die wir bisher durchzogen, aufmerksam geworden. Mit der 218 Beschreibung der Sitten der Einwohner von Cunicma und Paria glaubte man die Eitlen aller Eingeborenen der neuen Welt zu schildern. Dieß fällt alsbald auf, wenn man die Geschichtschreiber der Eroberung liest, namentlich die Briefe Peter Martyrs von Anghiera, die er am Hofe Ferdinands des Katholischen geschrieben, die reich sind an geistreichen Bemerkungen über Christoph Columbus, Leo X. und Luther, und aus denen edle Begeisterung für die großen Entdeckungen eines an außerordentlichen Ereignissen so reichen Jahrhunderts spricht. Eine nähere Beschreibung der Sitten der Völker, die man lange unter der Gesammtbenennung Cumanier ((^umansLc») zusammengeworfen hat, liegt nicht in meiner Absicht,- dagegen scheint es mir von Belang, einen Punkt aufzuklären, den ich im spanischen Amerika häusig habe besprechen hören. Die heutigen Pariagotes oder Parias sind rothbraun, wie die Caraiben, die Chaymas und fast alle Eingeborenen der neuen Welt. Wie kommt es nun, daß die Geschichtschreiber des sechzehnten Jahrhunderts behaupten, die ersten Besucher haben am Vorgebirge Paria weiße Menschen mit blonden Haaren gesehen? Waren dieß Indianer mit weniger dunkler Haut, wie Bonpland und ich in Esmeralda an den Quellen des Orinoco gesehen? Aber diese Indianer hatten so schwarzes Haar wie die Otomacas und andere Stämme mit dunklerer Hautfarbe. Waren es Albinos, dergleichen man srüher auf der Landenge von Panama gefunden? Aber Fälle dieser Mißbildung sind bei der tupferartigen Nace ungemein selten, und Anghiera, wie auch Gomara sprachen von den Einwohnern von Paria überhaupt, nicht von einzelnen Individuen. colas oinnes, gcnu lenus marcs, foeminas surarum tenus, gos-sampinis vostibus amictussimplicibusrepererunt, sod viros, more Tnrcurura, insuto minutim eossipio ad belli usum, duplicibus. dahin gesehen." Damit ist doch wohl nicht gesagt, daß die Pariagotos weiß gewesen. In der helleren Haut der Eingeborenen und in den sehr kühlen Morgen sah der große Mann eine Bestätigung seiner seltsamen Hypothese von der unregelmäßigen Krümmung der Erde und der hohen Lage der Ebenen in diesem Erdstrich in Folge einer gewaltigen Anschwellung der Erdkugel in der Richtung der Parallelen. Amerigo Vespucci (wenn man sich auf seine angebliche erste Reise berufen darf, die vielleicht nach den Berichten anderer Reisenden zusammengetragen ist) vergleicht die Eingeborenen mit den tartarischen Völkern, nicht wegen der Hautfarbe, sondern wegen des breiten Gesichts und wegen des ganzen Ausdrucks desselben. Gab es aber zu Ende des fünfzehnten Jahrhunderts auf den Küsten von Cumana so wenig als jetzt Menschen mit weiß-lichter Haut, so darf man daraus deßhalb nicht schließen, daß bei den Eingeborenen der neuen Welt das Hautsystem durchgängig gleichförmig organisirt sey. Wenn man sagt, sie seyen alle kupferfarbig, so ist dieß so unrichtig, als wenn man behauptet, sie wären nicht so dunkel gefärbt, wenn sie sich nicht der Sonnengluth aussetzten oder nicht von der Luft gebräunt würden. Man kann die Eingeborenen in zwei, der Zahl nach sehr ungleiche Gruppen theilen. Zur einen gehören die EZ-kimoZ in Grönland, in Labrador und auf der Nordküste der Hudsonsbai, die Bewohner der Vehringsstraße, der Halbinsel Alaska und des Prinz-Williams«SundZ. Der östliche und der westliche Zweig dieser Polarrace, die Eskimos und die Tschu-gasen, sind trotz der ungeheuern Strecke von 800 Meilen, die zwischen ihnen liegt, durch sehr nahe Sprachverwandtschaft eng 220 221 verbunden. Diese Verwandtschaft erstreckt sich sogar, wie in neuerer Zeit außer Zweifel gesetzt worden ist, noch weiter, zu den Bewohnern des nordöstlichen Asiens: denn die Mundart der Tschuktschen an der Mündung des Anadyr hat dieselben Wurzeln, wie die Sprache der Eskimos auf der Europa gegenüberliegenden Küste von Amerika. Die Tschultschen sind die asiatischen Eskimos. Gleich den Malayen wohnt diese hyper-boräische Nace nur am Meresufer. Sie nähren sich von Fischen, sind fast durchgängig von kleinerer Statur als die andern Amerikaner, sind lebhaft, beweglich, geschwätzig. Ihre Haare sind schlicht, glatt und schwarz: aber (und dieß zeichnet die Race, die ich die Eskimo - Tschugasische nennen will, ganz besonders aus) ihre Haut ist ursprünglich weißlicht. Es ist gewiß, daß die Kinder der Grönländer weiß zur Welt kommen: bei manchen erhält sich diese Farbe, und auch bei den dunkelsten (den von der Luft am meisten gebräunten) sieht man nicht selten das Blut auf den Wangen roth durchschimmern. Die zweite Gruppe der Eingeborenen Amerikas umfaßt alle Völker außer den Eskimo-Tschugasen, vom Cooksfluß bis zur Magcllanschen Meerenge, von den Ugaljachmusen und Ki-nais am St. Eliasberg bis zu den Puelchen und Tehuelhets in der südlichen Halbkugel. Die Völker dieses zweiten Zweiges sind größer, stärker, kriegerischer und schweigsamer. Auch sie weichen hinsichtlich der Hautfarbe auffallend von einander ad. In Mexico, in Peru, in Neu-Grenada, in Quito, an den Ufern des Orinoco und des Amazonenstroms, im ganzen Strich von Südamerika, den ich gesehen, im Tiefland wie auf den sehr kalten Hochebenen, sind die indianischen Kinoer im Alter 222 von zwei, drei Monaten ebenso broncefarbig als die Erwachsenen. Daß die Eingeborenen nur von Luft und Sonne gebräunte Weißü seyn möchten, ist einem Spanier in Quito odcr an den Ufern des Orinoco nie in den Sinn gekommen. Ii„ nordwestlichen Amerika dagegen gibt es Stämme, bei denen die Kinder weiß sind und erst mit der Mannbarkeit so bronce-farbig werden wie die Eingeborenen von Peru und Mexico. Hei dem Häuptling der Miamis Michikinakua waren die Anne und die der Sonne nicht ausgesetzten Körperthcilc fast weiß. Dieser Unterschied in der Farbe der bedeckten und nicht bedeckten Theile wird bci den Eingeborenen von Peru und Mexico niemals beobachtet, selbst nicht bei sehr wohlhabenden Familien, die sich fast beständig in ihren Häusern aufhalten. Westwärts von den Miamis, auf der gegenüberliegenden asiatischen Küste, bei den Koluschen und Tschinkitanen in der Norfolk-bai, erscheinen die erwachsenen Mädchen, wenn sie angehalten werden sich zu waschen, so weiß wie Europäer. Diese weifte Hautfarbe soll, nach einigen Reiseberichten, auch den Gebirgs-völkcrn in Chili zukommen. ^ Dieß sind sehr bemertenswerthc Thatsachen, die der nur zu sehr verbreiteten Ansicht von der außerordentlichen Gleichförmigkeit der Körperbildung bci den Eingeborenen Amerikas widersprechen. Wenn wir dieselben in Eskimos und NichtEskimos theilen, so geben wir gerne zu, daß die Emthci-lung um nichts philosophische ist, als wenn dic Alten in der ' Darf man an die blauen Nugen der Vm-roas in 6hili und der Guayanas am Uriignny glauben, die wie Völker vom Stamme Odins geschildert wcrdeu? (Azzara, Ncise.) 223 ganzen bewohnten Welt nur Celten und Scythrn, Griechen und Barbaren sahen. Handelt es sich indessen davon, zahllose Volksstämme zu gruppircn, so gewinnt man immer doch etwas, wenn man ausschließend zu Werke geht. Wir wollten hier darthun, daß, wenn man die Eskimo-Tschugascn ausscheidet, mitten unter den kupferbraunen Amerikanern Stämme vorkommen, bei denen die Kinder weiß zur Welt kommen, ohne daß sich, bis zur Zeit der Eroberung zurück, darthun ließe, daß sie sich mit Europäern vermischt hätten. Dieser Umstand verdient genauere Untersuchung durch Reisende, die bei physio« logischen Kenntnissen Gelegenheit finden, die braunen Kinder der Mericancr und die weißen der Miamis im Alter von zwei Jahren zu beobachten, sowie die Horden am Orinoco, die im heißesten Erdstrich ihr Leben lang und bei voller Kraft die wcißlichte Hautfarbe der Mestizen behalten. Der geringe Verkehr, der bis jcht zwischen Nordamerika und den spanischen Colonien stattfinde!, hat alle derartigen Untersuchungen unmöglich gemacht. Beim Menschen betreffen die Abweichungen vom ganzen gemeinsamen NacentypuZ mehr den Wuchs, den Gesichtsausdruck, den Köchcrbau, als die Farbe. Bei den Thieren ist es anders; bci diesen sind Spielarten nach der Farbe häusiger als solche nach dem Körperbau. Das Haar der Säugethicre, die Federn der Vögel, selbst die Schuppen der Fische wechseln die Favbc je nach dem vorherrschenden Einflüsse von Licht oder von Dunkelheit, je nach den Hitze- und Kältegraden. Ncim Menschen scheint sich der Farbstoss im Hautsystem durch die Haarwurzeln oder Zwiebeln abzulagern, und aus allen guten 224 Beobachtungen geht hervor, daß sich die Hautfarbe wohl beim Einzelnen in Folge von Hautreizen, aber nicht erblich bei einer ganzen Nace ändert. Die Eskimos in Grönland und die Lappen sind gebräunt durch den Einfluß der Luft, aber ihre Kinder kommen weiß zur Welt. Ob und welche Veränderungen die Natur in Zeiträumen hervorbringen mag, gegen welche alle geschichtliche Ueberlieferung verschwindet, darüber haben wir nichts zu sagen. Vei Untersuchungen der Art macht der forschende Gedanke Halt, sobald er Erfahrung und Analogie nicht mehr zu Führern hat. Die Völker mit weißer Haut beginnen ihre Kosmogonie mit weißen Menschen: nach ihnen sind die Neger und alle dunkelfarbigen Völker durch die übermäßige Sonnengluth geschwärzt oder gebräunt worden. Diese Ansicht, die schon bei den Griechen herrschte, l wenn auch nicht ohne Widerspruch, hat sich bis auf unsere Zeit erhalten. Busson wiederholt in Prosa, was Theodectes zweitausend Jahre früher poetisch ausgesprochen: „die Nationen tragen die Livree der Erdstriche, die sie bewohnen." Wäre die Geschichte von schwarzen Völkern geschrieben worden, sie hätten behauptet, was neuerdings sogar von Europäern angenommen worden ist, der Mensch sey ur-sprünglich schwarz oder doch sehr dunkelfarbig, und in Folge ' Onesicritus, bei Strabo. I.il). XV. Die Züge Alexander« scheinen viel dazu beigetragen zu haben, die Grieche» auf die große Frag« nach dem Einfluß de« Klimas aufmerksam zu machen. Sie hatten von Neisenden vernommen, daß in Hindoftan die Voller im Süden dunlelfarbiger seyen, als im Norden in der Nähe der Gebirge und sie setzten voraus, daß beide derselben Race angehören. 225 der Civilisation und fortschreitenden Verweichlichung haben sich manche Racen gebleicht, wie ja auch bei den Thieren im zahmen Zustand die dunkle Färbung in eine hellere übergeht. Bei Pflanzen und Thieren sind Spielarten, die sich durch Zufall unter unsern Augen gebildet, beständig geworden und haben sich unverändert fortgepflanzt; aber nichts weist darauf bin, daß, unter den gegenwärtigen Verhältnissen der menschlichen Organisation, die verschiedenen Mcnschenracen, die schwarze, gelbe, kupferfarbige und weiße, so lange sie sich unvcrmischt erhalten, durch den Einfluß des Klimas, der Nahrung und anderer äußerer Umstände vom ursprünglichen Typus bedeutend abweichen. Ich werde Gelegenheit haben auf diese allgemeinen Betrachtungen zurückzukommen, wenn wir die weiten Hochebenen der Cordilleren besteigen, die vier- und fünfmal höher liegen als das Thal von Caripe. Ich berufe mich hier vorläufig nur auf das Zeugniß Ulloas. ^ Dieser Gelehrte sah die Indianer ' „Die Indianer sind lupferroth, und diesc Farbe wird durch den Einfluß von Sonne und Luft dunller. Ich muß darauf aufmerksam machen, daß weder die Hitze noch ein kaltes Klima die Farbe merklich uerändern, so daß man die Indianer auf den Cordilleren von Peru und die auf den. heißesten Ebenen leicht verwechselt, und man diejenigen, die unter der Linie leben, und die unter dem vierzigsten nördlichen und südlichen Vr:itegradc nicht unterscheiden kann." wo-l>ciil8 .imci-icanaz. ('ap- 17. — Kein alter Schriftsteller hat die beiden AnschaunngZweisen, nach denen man sich noch gegenwärtig von der Verschiedenheit benachbarter Völker nach Fa.be und Gcfichtsziig?» Rechenschaft gibt, klarer angedeutet, als Tacitus im Leben des Agri-cola. Er unterscheidet zwischen der erblichen Anlage und dem Einfluß Humboldt, Rcis«. 1l. 15 226 in Chili, auf den Anden von Peru, an den heißen Küsten von Panama, und wiederum in Louisiana, im nördlichen gemäßigten Erdstrich. Er hatte den Vortheil, daß er in einer Zeit lebte, wu der Ansichten noch nicht so vielerlei waren, und es fiel ihm auf, wie mir, daß der Eingeborene unter der Linie im kalten Klima der Cordilleren so broncefarbig, so braun ist als auf den Ebenen. Bemerkt .^an Abweichungen in der Farbe, so sind es feste Stammunterschiede. Wir wevdm bald an den heißen Ufern des Orinoco Indianern mit wcißlichter Haut begegnen: 68t clur«,n8 oi'ißini's vis. des Klima, und thut feinen Ausspruch, al« ein Philosoph, d?r gewiß weiß, daß wir von den erste» Ursachen der Dinge nichts wissen. „NiibltU8 corporum vurii ntque kli eospolil)u8 kabitum cledit." ^ßi^isol». c»p. 4<. Zehntes Kapitel. Zweiter Aufenthalt in ssumaua. — Erdbeben. — Ungewöhnliche Meteore. Wir blieben wieder einen Monat in Cumana. Die beschlossene Fahrt auf dem Orinoco und Rio Negro erforderte Zurüstungen aller Art. Wir mußten die Instrumente auswählen, die sich auf engen Canoes am leichtesten fortbringen ließen: wir mußten uns für eine zehnmonatliche Reise im Binnenlande, das in keinem Verkehr mit den Küsten steht, mit Geldmitteln versehen. Da astronomische Ortsbestimmung der Hauptzweck dieser Reise war, so war es mir von großem Belang, daß mir die Beobachtung einer Sonnensinsterniß nicht entging, die Ende Oktobers eintreten sollte. Ich blieb lieber bis dahin in Cumana, wo der Himmel meist schön und heiter ist. An den Orinoco konnten wir nicht mehr kommen, und das hohe Thal von Caracas war für meinen Zweck minder günstig wegen der Dünste, welche die nahen Gebirge umziehen. Wenn ich die Länge von Cumana genau bestimmte, so hatte ich einen Ausgangspunkt für die chronometrischen Bestimmungen, auf die ich allein rechnen konnte, wenn ich mich nicht lange genug aufhielt, um Mondsdistanzen zu nehmen oder die Iuftiterstrabanten zu beobachten. 228 Fast hätte ein Unfall mich genöthigt, die Reise an den Orinoco aufzugeben oder doch lange hinauszuschieben. An, 27. October, den Tag vor der Sonnenfinsterniß, gingen wir wie gewöhnlich, am Ufer des Meerbusens, um dcr Kühle zu genießen und das Eintreten der Fluth zu beobachten, die an diesem Seestrich nicht mehr als 12—13 Zoll beträgt. Es war acht Uhr Abends und der Seewind hatte sich noch nicht aufgemacht. Der Himmel war bedeckt lwd bci der Windstille war es unerträglich heiß. Wir gingen über den Strand zwischen dem Landungsplatz und der Vorstadt der Guaiquerics. Ich hörte hinter mir gehen, und wie ich mich umwandte, sah ich einen hochgewachsenen Mann von der Farbe derZambos, nackt bis zum Gürtel. Er hielt fast über meinem Kopf eine Mac ana, einen dicken, unten keulenförmig dicker werdenden Stock aus Palmholz. Ich wich dem Schlage aus, indem ich links zur Seite sprang. Bonpland, der mir zur Rechten ging, war nicht so glücklich: er hatte den Zambo später bemerkt als ich, und erhielt übcr der Schläfe einen Schlag, der ihn zu Boden streckte. Wir waren allein, unbewasfnet, eine halbe Meile von jeder Wohnung auf einer weiten Ebene an der See. Der Zambo kümmerte sich nicht mehr um mich, sondern ging langsam davon und nahm Vonplands Hut auf, der die Gewalt des Schlags etwas gebrochen hatte und weit weggeflogen war. Aufs Aeußerste erschrocken, da ich meinen Reisegefährten zu Boden stürzen und eine Weile bewußtlos daliegen sah, dachte ich nur an ihn. Ich half ihm aufstehen; der Schmerz und der Zorn gaben ihm doppelte Kraft. Wir stürzten auf den Zambo zu, der, sey es aus Feigheit, die bei diesem Menschen- 229 schlag gemein ist, oder weil er von weitem Leute am Strande sah, nicht auf uns wartete und dem Tunal zulief, einem kleineu Buschwerk aus Fackeldisteln und baumartigen Avicen-nien. Zufällig fiel er unterwegs: Vonftland, der zunächst an ihm war, rang mit ihm und setzte sich dadurch der äußersten Gefahr aus. Der Zambo zog ein langes Messer aus seinem Beinkleid, und im ungleichen Kampfe wären wir sicher verwundet worden, wären nicht biscayische Handelsleute, die auf dem Strande Kühlung suchten, uns zu Hülfe gekommen. Als der Zambo sich umringt sah, gab er die Gegenwehr auf; er entsprang wieder, und nachdem wir ihm lange durch die stach-ligten Cactus nachgelaufen, schlüpfte er in einen Viehstall, aus dem er sich ruhig herausholen und ins Gefängniß führen ließ. Bonpland hatte in der Nacht Fieber: aber als ein kräftiger Mann, voll der Munterkeit, die eine der kostbarsten Gaben ist, welche die Natur einem Reisenden verleihen kann, ging er schon des andern Tags wieder seiner Arbeit nach. Der Schlag der Macana hatte bis zum Scheitel die Haut gequctscht und er spürte die Nachwehen mehrere Monate während unseres Aufenthaltes in Caracas. Beim Bücken, um Pflanzen aufzunehmen, wurde er mehreremale von einem Schwindel befallen, der uns befürchten ließ, daß im Schädel etwas ausgetreten seyn möchte. Zum Glück war diese Vesorgniß ungegründet, und die Symptome, die uns Anfangs beunruhigt, verschwanden nach und nach. Die Einwohner von Cumana bcwiesen uns die rührendste Theilnahme. Wir hörten, der Zambo sey aus einem der indianischen Dörfer gebürtig, die um den großen See 230 Maracaybo liegen. Er hatte auf einem Caverschiff von St. Domingo gedient und war in Folge eines Streits mit dem Capitän, als das Schiff aus dem Hafen von Cumana auslief, an der Küste zurückgelassen worden. Er hatte das Signal bemerkt, das wir aufstellen lassen, um die Höhe dcr Fluth zu beobachten, und hatte gelauert, um uns auf dem Strande anzufallen. Aber wie kam es, daß er, nachdem er einen von uns niedergeschlagen, sich mit dem Raub eines Hutes zu begnügen schien? Im Verhör waren seine Antworten so verworren und albern, daß wir nicht klug aus der Sache werden konnten: meist behauptete er, seine Absicht sey nicht gewesen, uns zu berauben: aber in der Erbitterung über die schlechte Behandlung am Nord des Capers von St. Domingo, habe er dem Drang, uns eines zu versehen, nicht widerstehen können, sobald er uns habe französifch sprechen hören. Da der Rechts-gang hier zu Lande so langsam ist, daß die Verhafteten, von denen die Gefängnisse wimmeln, sieben, acht Jahre auf ihr Urtheil warten müssen, fo hörten wir wenige Tage nach unserer Abreise von Cumana nicht ohne Befriedigung, der Zambo sey aus dem Schlosse San Antonio entsprungen. Troh des Unfalls, der Bonpland betroffen, war ich andern Tags, am 28. October um fünf Uhr Morgens auf dem Dach unseres Hauses, um mich zur Beobachtung der Sonnensinsterniß zu rüsten. Der Himmel war klar und rein. Die Sichel der Venus und das Sternbild des Schiffes, das durch seine gewaltigen Nebelflecke nahe aneinander so stark hervortritt, verschwanden in den Strahlen der aufgehenden Sonne. Ich hatte mir zu einem so schönen Tag um so mehr Glück zu wünschen, 231 als ich seit mehreren Wochen wegen der Gewitter, die regelmäßig zwei, drei Stunden nach dem Durchgang der Sonne durch den Meridian in Süd- und Südost aufzogen, die Uhren nicht nach correspondirenden Höhen hatte richten können. Ein röthlicher Dunst, der in den tiefen Luftschichten auf den Hygrometer fast gar nicht wirkt, verschleierte bei Nacht die Sterne. Diese Erscheinung war sehr ungewöhnlich, da man in andern Jahren oft drei, vier Monate lang keine Spur von Wolken und Nebel sieht. Ich konnte den Verlauf und das Ende der Sonnenfinsterniß vollständig beobachten. Das Ende der Finsterniß war um 2 Uhr 14 Minuten 23,4 Secunden mittlerer Zeit in Cumana. Das Ergebniß meiner Beobachtung wurde nach den alten Tafeln von Ciccolini in Bologna und Triesnecker in Wien berechnet und in der <üonnm88an<:6 6^8 tempg (im neunten Jahrgang) veröffentlicht. Dieses Ergebniß wich um nicht weniger als um 1 Minute 9 Secunden Zeit von der Länge ab, die der Chronometer mir ergeben; dasselbe wurde aber von Oltmanns nach den neuen Mondtafeln von Burg und den Sonmntafeln von Delambre noch einmal berechnet, und jetzt stimmten Sonnenfinsterniß und Chronometer bis auf 10 Secunden überein. Ich führe diesen merkwürdigen Fall, wo ein Fehler durch die neuen Tafeln auf V? reducirt wurde, an, um die Reisenden darauf aufmerksam zu machen, wie sehr es in ihrem Interesse liegt, die kleinsten Umstände bei ihren einzelnen Beobachtungen aufzuzeichnen und bekannt zu machen. Die vollkommene Uebereinstimmung zwischen den Iupiters-trabanten und den Angaben des Chronometers, von der ich mich an Ort und Stelle überzeugt, hatten mir großes Zutrauen 232 zu Louis Berthouds Uhr gegeben, so oft sie nicht auf den Maulthieren starken Stößen ausgesetzt war. Die Tage vor und nach der Sonnensinsterniß boten sehr auffallende atmosphärische Erscheinungen. Wir waren im hiesigen sogenannten Winter, das heißt in der Jahreszeit des bewölkten Himmels und der kurzen Gewitterregen. Vom 10. October bis 3. November stieg mit Einbruch der Nacht ein röth-licher Nebel am Horizont auf und zog in wenigen Minuten einen mehr oder minder dichten Schleier über das blaue Himmelsgewölbe. Der Saussuresche Hygrometer zeigte keineswegs größere Feuchtigkeit an, fondern ging vielmehr oft von 90<> auf 83« zurück. Die Hitze bei Tag war 26—32", alfo für diesen Strich der heißen Zone sehr stark. Zuweilen verschwand der Nebel mitten in der Nacht auf einmal, und im Augenblick, wo ich die Instrumente aufstellte, bildeten sich blendend weiße Wolken im Zenith und dehnten sich bis zum Horizont aus. Am 16. October waren diese Wolken so auffallend durchsichtig, daß man noch Sterne der vierten Größe dadurch sehen konnte. Die Mondflecken sah ich'so deutlich, daß es war, als stünde die Scheibe vor den Wolken. Diese standen ausnehmend hoch und bildeten Streifen, die, wie durch elektrische Abstoßung, in gleichen Abständen fortliefen. Es sind dieß dieselben kleinen weißen Dunstmassen, die ich auf den Gipfeln der höchsten Anden über mir gesehen, und die in mehreren Sprachen Schäfchen, M0uton8 heißen. Wenn der röthliche Nebel den, Himmel leicht überzog, so behielten die Sterne der ersten Größen, die in Cumana über 20 — 25 Grad hoch fast nie flimmern, nicht einmal im Zenith ihr ruhiges, planetarisches Licht. Sie 233 flimmerten in allen Höhen, wie nach einem starken Gewitterregen. Diese Wirkung eines Nebels, der auf den Hygrometer an der Erdoberfläche nicht wirkte, erschien mir auffallend. Ich blieb einen Theil der Nacht auf einem Balkon sitzen, wo ich einen großen Theil des Horizonts übersah. Unter allen Himmelsstrichen hat es viel Anziehendes für mich, bei heiterem Himmel ein großes Sternbild ins Auge zu fassen und zuzusehen, wie Haufen von Dunstbläschen sich bilden, wie um einen Kern anschließen, verschwinden und sich von neuem bilden. Zwischen dem 28. October und 3. November war der röthliche Nebel dicker als je bisher; bei Nacht war die Hitze erstickend, obgleich der Thermometer nur auf 26° stand. Der Seewind, der meist von acht oder neun Uhr Abends die Luft abkühlt, ließ sich gar nicht spüren. Die Luft war wie in Gluth; der staubigte, ausgedörrte Boden bekam überall Risse. Am 4. November gegen zwei Uhr Nachmittags hüllten dicke, sehr schwarze Wolken die hohen Berge Brigantin und Tataraqual ein. Sie rückten allmählich bis ins Zenith. Gegen vier Uhr fmg es an übc. uns zu donnern, aber ungemein hoch, ohne Rollen, trockene, oft kurz abgebrochene Schläge. Im Moment, wo die stärkste elektrische Entladung stattfand, um 4 Uhr 12 Minuten, erfolgten zwei Erdstöße, 15 Secunden hinter einander. Das Volk schrie laut auf der Straße. Bonpland, der über einen Tisch gebeugt Pflanzen untersuchte, wurde beinahe zu Boden geworfen. Ich selbst spürte den Stoß sehr stark, obgleich ich in einer Hängematte lag. Die Richtung des Stoßes war, was in Cumana ziemlich selten vorkommt, von Nord nach Süd. Sklaven, die aus einem 18—20 Fuß tiefen 234 Brunnen am Manzanares Wasser schöpften, hörten ein Getöse wie einen starken Kanonenschuß. Das Getöse schien aus dem Brunnen herauf zu kommen, eine auffallende Erscheinung, die übrigens in allen Ländern Amerikas, die den Erdbeben ausgesetzt sind, häusig vorkommt. Einige Minuten vor dem ersten Sioß trat ein heftiger Sturm ein, dem ein elektrischer Regen mit großen Tropfen folgte. Ich beobachtete sogleich die Elektricität der Luft mit dem Voltaschen Elektrometer. Die Kügelchen wichen vier Linien auseinander,' die Elektricität wechselte oft zwischen positiv und negativ, wie immer bei Gewittern und im nördlichen Europa zuweilen selbst bei Schneefall. Der Himmel blieb bedeckt und auf den Sturm folgte eine Windstille, welche die ganze Nacht anhielt. Der Sonnenuntergang bot ein Schauspiel von seltener Pracht. Der dicke Wolkenschleier zerriß dicht am Horizont wie zu Fetzen, und die Sonne erschien 12 Grad hoch auf indigoblauem Grunde. Ihre Scheibe war ungemein stark in die Breite gezogen, verschoben und am Rande ausgeschweift. Die Wolken waren vergoldet und Strahlenbündel in den schönsten Regenbogenfarben liefen bis zur Mitte des Himmels auseinander. Auf dem großen Platze war viel Volk versammelt. Letztere Erscheinung, das Erdbeben, der Donnerschlag während desselben, der rothe Nebel seit so vielen Tagen, Alles wurde der Svnnensinstermß zugeschrieben. Gegen neun Uhr Abends erfolgte 'ein dritter Erdstoß, weit schwächer als die ersten, aber begleitet von einem deutlich vernehmbaren unterirdischen Geräusch. Der Barometer stand ein klein wenig tiefer als gewöhnlich, aber der Gang der 235 stündlichen Schwankungen oder der kleinen atmosphärischen Ebbe und Fluth wurde durchaus nicht unterbrochen. Das Quecksilber stand im Moment, wo der Erdstoß eintrat, eben auf dem Minimum der Höhe; es stieg wieder bis eilf Uhr Abends und siel dann wieder bis vier ein halb Uhr Morgens, vollkommen entsprechend dem Gesetze der barometrischen Schwankungen. In der Nacht vom 3. zum 4. November war der röthliche Nebel so dick, daß ich den Ort, wo der Mond stand, nur an einem schönen Hof von 12 Grad Durchmesser erkennen konnte. Es waren kaum zweiundzwanzig Monate verflossen, seit die Stadt Cumana durch ein Erdbeben fast gänzlich zerstört worden. Das Volk sieht die Nebel, welche den Horizont umziehen , und das Ausbleiben drs Seewindes bei Nacht für sichere schlimme Vorzeichen an. Wir erhielten viele Besuche, die sich erkundigten, ob unsere Instrumente neue Stoße für den andern Tag anzeigten. Besonders groß und allgemein wurde die Unruhe, als am 5. November, zur selben Stunde wie Tags zuvor, ein heftiger Sturm eintrat, dem ein Donnerschlag und ein paar Tropfen Regen folgten; aber es ließ sich kein Stoß spüren. Sturm und Gewitter kamen fünf oder fechs Tage zur selbigen Stunde, ja fast zur selben Minute wieder. Schon seit langer Zeit haben die Einwohner von Cumana und so vieler Orte unter den Tropen die Beobachtung gemacht, daß scheinbar ganz zufällige atmosphärische Veränderungen wochenlang mit erstaunlicher Regelmäßigkeit nach einem gewissen Typus eintreten. Dieselbe Erscheinung kommt Sommers auch im gemäßigten Erdstrich vor und ist dem Scharfblick der Astronomen nicht entgangen. Häufig sieht man nämlich bei heiterem 236 Himmel drei, vier Tage hinter einander an derselben Stelle des Himmels sich Wolken bilden, nach derselben Richtung fortziehen und sich in derselben Höhe wieder auflösen, bald vor, bald nach dem Durchgang eines Sterns durch den Meridian, also bis auf wenige Minuten zur selben wahren Zeit. Das Erdbeben vom 4. November, das erste, das ich erlebt, machte einen um so stärkern Eindruck auf mich, da es vielleicht zufällig, von so auffallenden meteorischen Erscheinungen begleitet war. Auch war es eine wirkliche Hebung von unten nach oben, kcin wellenförmiger Stoß. Ich Hütte damals nicht geglaubt, daß ich nach langem Aufenthalt auf den Hochebenen von Quito und an uen Küsten von Peru mich selbst an ziemlich starke Bewegungen des Bodens so sehr gewöhnen würde, wie wir in Europa an das Tonnern gewöhnt sind. In der Stadt Quito dachten wir gar nicht mehr daran, bei Nacht aufzustehen, wenn ein unterirdisches Gebrülle (dramiaos), das immer vom Vultan Pichincha herzukommen scheint (2—3, zuweilen 7—6 Minuten vorher) einen Stoß ankündigte, dessen Stärke nur selten mit dem Grad des Getöses im Verhältniß steht. Die Sorglosigkeit der Einwohner, die wissen, daß in dreihundert Jahren ihre Stadt nicht zerstört worden ist, theilt sich bald selbst dem ängstlichen Fremden mit. Ueberhauftt ist es nicht sowohl die Vesorgniß vor Gefahr, als die eigenthümliche Empfindung, was einen so sehr aufregt, wenn man zum erstenmal auch nur einen ganz leichten Erdstoß empfindet. Von Kindheit auf prägen sich unferer Vorstellung gewisse Contraste ein; das Wasser gilt uns für ein bewegliches Element, die Erde für eine unbewegliche, träge Masse. Diese 237 Begriffe sind das Produkt der täglichen Erfahrung und hängen mit allen unsern Sinnesoindrücken zusammen. Läßt sich ein Erdstoß spüren, wankt die Erde in ihren alten Grundfesten, die wir für unerschütterlich gehalten, so ist eine langjährige Täuschung in einem Augenblick zerstört. Es ist als erwachte man, aber es ist kein angenehmes Erwachen; man fühlt, die vorausgesetzte Ruhe der Natur war nur eine scheinbare, man lauscht hinfort auf das leiseste Geräusch, man mißtraut zum erstenmal einem Voden, auf den man so lange zuversichtlich den Fuß gesetzt. Wiederholen sich die Stöße, treten sie mehrere Tage hinter einander häusig ein, so nimmt dieses Zagen bald ein Ende. Im Jahr 1784 waren die Einwohner von Mexico so sehr daran gewöhnt, unter ihren Füßen donnern zu hören, wie wir an den Donner in der Lust. Der Mensch faßt sehr schnell wieder Zutrauen, und an den Küsten von Peru gewöhnt man sich am Ende an die Schwankungen des Bodens, wie der Schiffer an die Stöße, die das Fahrzeug von den Wellen erhält. Der röthlichto Dunst, der kurz nach Sonnenuntergang den Horizont umzog, hatte seit dem 7. November aufgehört. Die Luft war wieder so rein wie sonst und das Himmelsgewölbe zeigte im Zenith das Dunkelblau, das den Klimaten eigen ist, wo die Wärme, das Licht und große Gleichförmigkeit der elektrischen Spannung mit einander die vollständigste Auflösung des Wassers in der Luft zu bewirken scheinen. In oer Nacht vom siebten zum achten beobachtete ich die Immersion des zweiten Iupiterstrabanten. Die Streifen des Planeten waren deutlicher, als ich sie je zuvor gesehen. 238 Einen Theil der Nacht verwendete ich dazu, die Lichtstärke der schönen Sterne am südlichen Himmel zu vergleichen. Ich hatte schon zur See sorgfältige Beobachtungen der Art angestellt und setzte sie später bei nieinem Aufenthalt in Lima, Guayaquil und Mexico in beiden Hemisphären fort. Es war über ein halbes Jahrhundert verflossen, seit Lacaille den Strich des Himmels, der in Europa unsichtbar ist, untersucht hatte. Die Sterne nahe am Südpol werden meist so oberflächlich und so wenig anhaltend beobachtet, daß in ihrer Lichtstärke und in ihrer eigenen Vcwegung die größten Veränderungen eintreten können, ohne daß die Astronomen das Geringste davon erfahren. Ich glaube Veränderungen der Art in den Sternbildern des Kranichs und des Schiffes wahrgenommen zu haben. Nach einem Mittel aus sehr vielen Schätzungen habe ich die relative Lichtstärke der großen Sterne in nachstehender Reihenfolge abnehmen sehen: Sirius, Canopus, « des Centauren, Achernar, /5 des Centauren, Fomahault, Rigel, Pro-cyon, Beteigeuze, e des großen Hundes, 6 des großen Hundes, « des Kranichs, « des Pfauen. Diese Arbeit, deren numerische Ergebnisse ich anderswo veröffentlicht habe, wird an Vedeutung gewinnen, wenn nach je 50 — 60 Jahren Reisende die Lichtstärke der Sterne von Neuem beobachten und darin Wechsel wahrnehmen, die entweder von Vorgängen an der Oberfläche der Himmelskörper oder von ihrem veränderten Abstand von unserem Planetensystem herrühren. Hat man in unsern nördlichen Himmelsstrichen und in der heißen Zone lange mit denselben Fernröhren beobachtet, so ist man überrascht, wie deutlich in letzterer, in Folge der 239 Durchsichtigkeit der Luft und der geringeren Schwächung des Lichts, die Doppelsterne, die Trabanten des Jupiters und gewisse Nebelsterne erscheinen. Bei gleich heiterem Himmel glaubt man bessere Instrumente unter den Händen zu haben, so viel deutlicher, so viel schärfer begrenzt zeigen sich diese Gegenstände unter den Tropen. So viel ist sicher, wird einst Südamerika der Mittelpunkt einer ausgebreiteten Cultur, so muß die physische Astronomie ungemeine Fortschritte machen, sobald man- einmal anfängt im trockenen, heißen Klima von Cumana, Coro und der Insel Margarita den Himmel mit vorzüglichen Werkzeugen zu beobachten. Des Rückens der Cordilleren erwähne ich dabei nicht, weil, einigo ziemlich dürre Hochebenen in Mexico und Peru ausgenommen, auf sehr hohen Plateaus, auf solchen, wo der Luftdruck um 10—11 Zoll geringer ist als an der Meeresfläche, die Luft nebligt und die Witterung sehr veränderlich ist. Sehr reine Luft, wie sie in den Niederungen in der trockenen Jahreszeit fast beständig vorkommt, bietet vollen Ersatz für die hohe Lage und die verdünnte Luft auf den Plateaus. Die Nacht vom 11. zum 12. November war kühl und ausnehmend schön. Gegen Morgen, von halb drei Uhr an, sah man gegen Ost höchst merkwürdige Fcuermetcore. Bonpiano, der aufgestanden war, um auf der Galerie der Kühle zu genießen, bemerkte sie zuerst. Tausende von Feuerkugeln und Sternschnuppen fielen hinter einander, vier Stunden lang. Ihre Richtung war sehr regelmäßig von Nord nach Süd; sie füllten ein Stück des Himmels, das vom wahren Ostpunkt 30 Grad nach Nord und nach Süd reichte. Auf einer 240 Strecke von 60 Graden sah man die Meteore in Ostnordost und Ost ilber den Horizont aufsteigen, größere oder kleinere Bogen beschreiben und, nachdem sie in der Richtung des Meridians fortgelaufen, gegen Süd niederfallen. Manche stieg-n 40 Grad hoch, alle höher als 25 — 30 Grad. Der Wind war in der niedern Luftregion sehr schwach und blies aus Ost; von Wolken war keine Spur zu sehcn. Nach Bonplands Aus. sage war gleich zu Anfang der Erscheinung kein Stück am Himmel so groß als drei Monddurchmesser, das nicht jeden Augenblick von Feuerkugeln und Sternschnupften gewimmelt hätte. Der ersteren waren wenigere i da man ihrer aber von verschiedeneu Größen sah, so war zwischen diesen beiden Classen von Erscheinungen unmöglich eine Grenze zu ziehen. Alle Meteore ließen 8—10 Grad lange Lichtstreifen hinter sich zurück, was zwischen den Wendekreisen häusig vorkommt. Die Phosphorescenz dieser Lichtstreifen hielt 7—8 Secunden an. Manche Sternschnuppen hatten einen sehr deutlichen Kern von der Größe der Iupiterscheibe, von dem sehr stark leuchtende Lichtfunken ausführen. Die Feuerkugeln schienen wie durch Explosion zu platzen; aber die größten, von 1—1" 13' Durchmesser, verschwanden ohne Funkenwerfen und ließen leuchtende, 15—20 Minuten breite Streifen (trades) hinter sich. Das Licht der Meteore war weiß, nicht röthlicht, wahrscheinlich weil die Luft ganz dunstfrei und sehr durchsichtig war. Aus demselben Grunde haben unter den Tropen die Sterne erster Größe beim Aufgehen ein auffallend weißeres Licht als in Europa. Fast alle Einwohner von Cumana sahen die Erscheinung 241 mit an, weil sie vor vier Uhr aus den Häusern gehen, um die Frühmesse zu hören. Der Anblick der Feuerkugeln war ihnen keineswegs gleichgültig; die ältesten erinnerten sich, daß dem großen Erdbeben des Jahres 1766 ein ganz ähnliches Phänomen vorausgegangen war. In der indianischen Vorstadt waren die Guaiqueries auf den Beinen: sie behaupteten, „das Feuerwerk habe um ein Uhr Nachts begonnen, und als sie vom Fischfang im Meerbusen zurückgekommen, haben sie schon Sternschnuppen, aber ganz kleine, im Osten aufsteigen sehen." Sie versicherten zugleich, auf dieser Küste seyen nach zwei Uhr Morgens Feuermeteore sehr selten. Von vier Uhr an hörte die Erscheinung allmählich auf: Feuerkugeln und Sternschnuppen wurden seltener; indessen konnte man noch eine Viertelstunde nach Sonnenaufgang mehrere an ihrem weißen Licht und dem raschen Hinfahren er« kennen. Dies; erscheint nicht so auffallend, wenn ich daran erinnere, daß im Jahr 1788 in der Stadt Popayan am hellen Tage das Innere der Häuser durch einen ungeheuer großen Meteorstein stark erleuchtet wurde; er ging um ein Uhr Nachmittags bei hellem Sonnenschein über die Stadt weg. Am 26. September 1800, während unseres zweiten Aufenthalts in Cumcma, gelang es Vonpland nnd mir, nachdem wir die Immersion des ersten Iupiterstrabanten beobachtet, 18 Minuten nachdem sich die Sonnenscheibe über den Horizont erhoben, den Planeten mit bloßem Auge deutlich zu sehen. Gegen Ost war sehr leichtes Gewölk, aber Jupiter stand auf blauem Grunde. Diese Fälle beweisen, wie rein und durchsichtig die Luft zwischen den Wendekreisen ist. Die Masse des zerstreuten Lichts ist Humboldt, '»icift. II. 16 242 desto kleiner, je vollständiger der Wasserdunst aufgelöst ist. Dieselbe Ursache, welche der Zerstreuung des Sonnenlichts ent-qegenwirkt, vermindert auch die Schwächung des Lichts, das von den Feuerkugeln, vom Jupiter, vom Mond am zweiten Tag nach der Conjunction ausgeht. Der 12. November war wieder ein sehr heißer Tag und der Hygrometer zeigte eine für dieses Klima sehr starke Trockenheit an. Auch zeigte sick der röthlichte, den Horizont um-schieiernde Dunst wieder und stieg 14 Grad hoch herauf. Es war das letztemal, daß man ihn in diesem Jahre sah. Ich bemerke hier, daß derselbe unter dem schönen Himmel von Cumana im Allgemeinen so selten ist, als er in Acapulco auf der Westküste von Mexico häufig vorkommt. Da bei meinem Abgang von Europa die Physiker durch Chladnis Untersuchungen auf Feuerkugeln und Sternschnuppen besonders aufmerksam geworden waren, so versäumten wir, auf unserer Reise von Caracas nach dem Rio Negro nicht, uns überall zu erkundigen, ob am 12. November hie Meteore gesehen worden seyen. In einem wilden Lande, wo die Einwohner größtentheils im Freien schlafen, konnte eine so außerordentliche Erscheinung nur da unbemerkt bleiben, wo sie sich durch bewölkten Himmel der Beobachtung entzog. Der Kapuziner in der Mission San Fernando de Apure, die mitten in den Savancn der Provinz Varinas liegt, die Franciskaner an den Füllen des Orinoco und in Maroa am Rio Negro hatten zahllose Sternschnuppen und Feuerkugeln das Himmelsgewölbe beleuchten sehen. Marsa liegt 174 Meilen südwestlich von Cumana. Alle diese Beobachter verglichen das Phänomen mit 243 einem schönen Feuerwerk, das von drei bis sechs Uhr Morgens gewährt. Einige Geistliche hatten diesen Tag in ihrem Ritual angemerkt, andere bezeichneten denselben nach den nächsten Kirchenfesten, leider aber erinnerte sich keiner der Richtung der Meteore oder ihrer scheinbaren Höhe. Nach der Lage der Berge und dichten Wälder, welche um die Missionen an den Katarakten und um das kleine Dorf Maroa liegen, mögen die Feuerkugeln noch 20 Grad über dem Horizont sichtbar gewesen seyn. Am Eüdende von spanisch Guyana, im kleinen Fort San Carlos, traf ich Portugiesen, die von der Mission San Jose dos Maravitanos den Rio Negro herauf gefahren waren. Sie versicherten mich, in diesem Theile Brasiliens sey die Erscheinung zum wenigsten bis San Gabriel das Cachoeiras, also bis zum Aequator sichtbar gewesen. ^ Ich wunderte mich sehr über die ungeheure Höhe, in der die Feuerkugeln gestanden haben mußten, um zu gleicher Zeit in Cumana und an der Grenze von Brasilien, auf einer Strecke von 230 Meilen gesehen zu werden. Wie staunte ich aber, als ich bei meiner Rückkehr nach Europa erfuhr, dieselbe Erscheinung sey auf einem 64 Breite- und 91 Längegrade großen Stück des Erdballs, unter dem Aequator, in Südamerika, in Labrador und in Deutschland gesehen worden! Auf der Ueberfahrt von Philadelphia nach Bordeaux fand ich ' In Santa-Fe be Bogota, lu Popayan und in der südlichen Halbkugel in Quito und Peru habe ich Niemand getroffen, der die Meteore gesehen halle. Vielleicht war nur der Zustand der Atmosphäre, her in diesen westlichen Ländern sehr veränderlich ist, daran Vchnld. 244 zufällig in deli Verhandlung« der pennsylvanischen Gesellschaft die betreffende Beobachtung des Astronomen der Vereinigten Staaten, Ellicot (unter 30 Grad 42 Minuten), und als ich von Neapel wieder nach Berlin ging, auf der Göttingcr Bibliothek den Bericht der mährischen Missionäre bei den Eskimos. Bereits war damals von mehreren Physikern die Frage besprochen worden, ob die Beobachtungen in, Norden und die in Cumana, die Nonpland lind ich schon im Jahr 1800 bekannt gemacht, denselben Gegenstand betreffen. Ich gebe im Folgenden eine gedrängte Zusammenstellung der Beobachtungen: I) Die Feuermeteore wurden gegen Ost und Osl-Nord.Ost, bis zu 40 Grad über dem Horizont, von 2—6 Uhr Morgens gesehen in Cumaua (Breite 10" 27' 52", Länge 60° 30'), in Porto-Cabello (Breite 10« 6' 52", Länge 07" 5') und an der Grenze von Brasilien in der Nähe des Aeauawrs unter 70" der Länge vom Pariser Meridian. 2) In französisch Guyana (Breite 40" 50', Länge 54" 35') „scch man den Himmel gegen Norden wie in Flammen stehen. Anderthalb Stunden lang schössen unzählige Sternschnuppen dnrch den Himmel und verbreitelen ein so starkes Licht, das; mau die Meteore mit den sprühenden Funkengarbcn bei einem Feuerwerk vergleichen konnte." Für diese Thatsache liegt ein höchst achtungswerthcs Zeugniß vor, das des Grafen Marbois, der damals als ein Opfer seines Nechtssmns und seiner Anhänglichkeit an verfassungsmäsiige Freiheit als De-portirter in Cayenne lebte. 3) Der Astronom der Vereinigten Staaten, Micot, befand sich, nachdem er trigonometrische Vermessungen zur Grenzberichtigung an» Ohio vollendet hatte, am 245 13. November im Kanal von Bahama unter 25" der Vreitc und 81" 50' der Länge. Er sah am ganzen Himmel „so viel Meteore als Sterne; sie fuhren nach allen Richtungen dahin; manche schienen senkrecht niederzufallen und man glaubte jeden Augenblick, sie werden aufs Schiff hcrabkommcn." Dasselbe wurde auf dem Festland von Amerika bis zum 30" 43' der Vreitc beobachtet. 4) In Labrador zu Nain (Breite 56 ° 55') und Hoffenthai (Breite 58 ",4'), in Grönland zu Lichtenau (Äreite 61« 5') und Neu - Herrnhut (Breite 64" 14', Länge 52" 20') erschraken die Eskimos über die ungeheure Menge Feuerkugeln, die in der Dämmerung nach allen Himmelsgegenden niederfielen, „und von denen manche einen Schuh breit waren." 5) In Deutschland sah der Pfarrer von Ilter-städt bei Weimar, Zeising (Breite 50 " 59^ östliche Länge 9" 1'), am 12. November Zwischen 0 und 7 Uhr Morgens (als es in Cum ana zwei ein halb Uhr war) einige Sternschnupften mit sehr weißem Licht. „Kurz darauf erschienen gegen Süd und Südwest 4—6 Fuß lange, röthlichte Lichtstreifen, ähnlich denen einer Rakete. In der Morgendämmerung zwischen ? und 8 Uhr sah man von Zeit zu Zeit den Himmel durch weißlichte, in Schlangenlinien am Horizont hinfahrende Blitze stark beleuchtet. In der Nacht war es kälter geworden und der Barometer war gestiegen." Sehr wahrscheinlich hätte das Meteor noch weiter ostwärts in Polen und Rußland gesehen werden können. Ohne die umständliche Angabe, die Ritter den Papieren des Pfarrers von Itterstädt entnommen, hätten wir auch geglaubt, die Feuerkugeln seyen außerhalb der Grenzen der neuen Welt nicht gesehen worden. 246 Von Weimar an den Nio Negro sind es 1800 Seemeilen, vom Nio Negro nach Herrnhut in Grönland 1300 Lieues. Sind an so weit auseinander gelegenen Punkten dieselben Meteore gesehen worden, so setzt dieß für dieselben eine Höhe von 411 Meilen voraus. Bei Weimar zeigten sich die Lichtstreifen gegen Süd und Südwest, in Cumana gegen Ost und Ost-Nord-Ost. Man könnte deßhalb glauben, zahllose Aerolithen müßten zwischen Afrika und Südamerika westwärts von den Inseln des grünen Borgebirges ins Meer gefallen seyn. Wie kommt es aber, daß die Feuerkugeln, die i» Labrador und Cumana verschiedene Richtungen hatten, am letzteren Orte nicht gegen Nord gesehen wurden, wie in Cayenne? Man kann nicht vorsichtig genug seyn mit einer Annahme, zu der es noch an guten, an weit aus einander gelegenen Orten angestellten Beobachtungen fehlt. Ich möchte fast glauben, daß die Chay-mas in Cumana nicht dieselben Feuerkugeln gesehen haben, wie die Portugiesen in Brasilien und die Missionäre in Labrador: immer aber bleibt es unzweifelhaft (und diese Thatsache scheint mir höchst merkwürdig), daß in der neuen Welt zwischen 46" und 82" der Länge, vom Acquator bis zu 64« der Breite in denselben Stunden eine ungeheure Menge Feuerkugeln und Sternschnuppen gesehen worden ist. Auf einem Flüchenraum von 921,000 Quadratmeilen erschienen die Meteore überall gleich glänzend. Die Physiker (Benzenberg und Brandes), welche in neuerer Zeit über die Sternschnuppen und ihre Parallaxen so mühsame Untersuchungen angestellt haben, betrachten sie als Meteore, die der äußersten Grenze unseres Luftkreifes, dem 247 Raum zwischen der Region des Nordlichts und der der leichtesten Wolken l angehören. Es sind welche beobachtet worden, die nur 14,000 Toisen, etwa 5 Meilen hoch waren, und die höchsten scheinen nicht über 30 Meilen hoch zu seyn. Sie haben häusig über 100 Fuß Durchmesser und ihre Geschwindigkeit ist so bedeutend, daß sie in wenigen Secunden zwei Meisen zurücklegen. Man hat welche gemessen, die fast senkrecht oder in einem Winkel von 50 Grad von unten nach oben liefen. Aus diesem sehr merkwürdigen Umstand hat man geschlossen, daß die Sternschnuppen keine Meteorsteine sind, die, nachdem sie lange gleich Himmelslöipern durch den Raum gezogen, sich entzünden, wenn sie zufällig in unsere Atmosphäre gerathen, und zur Erde fallen. Wachen Ursprung nun auch diese Feuermeteore haben mögen, so hält es schwer, sich in einer Region, wo die Luft verdünnter ist als im luftleeren Raum unserer Luftpumpen, wo (in 25,000 Toisen Höhe) das Quecksilber im Barometer nicht ^ Linie hoch stünde, sich eine plötzliche Entzündung zu denken. Allerdings kennen wir das bis auf — gleichförmige Gemisch der atmosphärischen Luft nur bis zu 3000 Toisen Höhe, folglich nicht über die höchste Schichte der flockigten Wolken hinauf. Man könnte annehmen, bei den frühesten Umwälzungen des Erdballs seyen Gase, die uns bis jetzt ganz unbekannt geblieben, in die Luftregion aufgestiegen, in der sich ' Nach meinen Beobachtungen auf dem Nucken der Anden em Vulkan Cayambc, Sternschnuppen in solcher Menge aufsteigen, daß man meinte, der ganze Berg stehe in Feuer. Dieses außerordentliche Schauspiel dauerte über eine Stunde; das Voll lief auf der Ebene von Erido zusammen, wo man eine herrliche Aussicht a»tf die höchsten Gipfel der Cor-dilleren hat. Schon war eine Procession im Begriffe vom Kloster San Francisco aufzubrechen, als man gewahr wurde, daß das Feuer am Horizont von Fenermeteoren herrührte, die bis zur Höhe von 12 bis 15 Grad nach allen Richtungen durch den Himmel schoßen. Eilstes Kapitel. Ntise von Cumana i.ach Gnayra. — Morr? de Nueva Barcelona. — Da« Vorgeblrg Codera. — Weg von Guayra nach Caracas. Am 18. November um acht Uhr Abends waren wir unter Segel, um längs der Küste von Cumana nach dem Hafen von Guayra zu fahren, aus dem die Einwohner von Venezuela den größten Theil ihrer Produkte ausführen. Es sind nur 60 Meilen und die Ueberfahrt währt meist nur 36 — 40 Stunden. Ten kleinen Küstenfahrzeugen kommen Wind nnd Strömungen zumal zu gut; letztere streichen mehr oder minder stark von Ost nach West längs den Küsten von Terra Firma hin, besonders zwischen den Vorgebirgen Paria und Chichibacoa. Der Landweg von Cumana nach Neu - Barcelona und von da nach Caracas ist so ziemlich im selben Zustand wie vor der Entdeckung von Amerika. Man hat mit allen Hindernissen eines morastigen Bodens, zerstreuter Felsblöcke und eincr wuchernden Vegetation zu kämpfen; man muß unter freiem Himmel schlafen, die Thäler des Unare, Tuy und Capaya durchziehen und über, Ströme setzen, die w?gen der Nähe des Gebirgs rasch anschwellen. Zu diesen Hindernissen kommt die Gefahr, die der Reisende läuft, weil das Land sehr ungesund ist, besonders die Niederungen zwischen der Küstenkette und dem Meeresufer, von 252 der Bucht von Mochima M Coro. Letztere Stadt aber, die von einem ungeheuren Gehölz von Fackeldisteln und stachlichtcn Cactus umgeben ist, verdankt, gleich Cumana, ihr gesundes Klima dem dürren Boden und dem Mangel an Regen. Man zieht zuweilen den Weg zu Land deni zur See vor, wenn man von Caracas nach Cumana zurückgeht und nicht gerne gegen die Strömung fährt. Der Courier von Caracas braucht dazu neun Tage: wir sahen häusig Leute, die sich ihm angeschlossen, in Cumana krank an Typhus und miasmatischen Fiebern ankommen. Der Baum, dessen Rinde i ein treffliches Heilmittel gegen diese Fieber ist, wäclM in denselben Thälern, am Saume derselben Wälder, deren Ausdünstungen so gefähr^ lich sind. T>er kranke Reisende macht Halt in einer Hütte, deren Bewohner nichts davon wissen, dasi die Bäume, welche die Thalgründe umher beschatten^ das Fieber vertreiben. Als wir zur See von Cumaua nach Guayra gingen, war unser Plan der: wir wollten bis> zum Ende der Regenzeit in Caracas bleiben, von dort über die großen Ebenen oder Ll linos in die Missionen am Orinoco reisen, diesen ungeheuren Strom südlich von den Katarakten bis zum Rio Negro und zur Grenze von Brasilien hinauffahren und über die Hauptstadt des spanischen Guyana, gemeiniglich wegen ihrer Lage Angostura, d. h. Engpaß geheißen,, nach Cumana zurückkehren. Wie lange wir zu dieser Reise von 700 Meilen, wovon wir über zwei Drittheile im Canoe zu machen hatten, brauchen würden, ließ sich unmöglich bestimmen. Auf den Küsten kennt ' Dic roNex ^nßtt5U>ri!6 unserer Pharnmkopöen, dic Nindc der ltoni»!llnl1i1ii!!,i. 253 man nur das Stück des Orinoco nahe an seiner Mündung: mit den Missionen besteht lediglich kein Handelsverkehr. Was jenseits der Llanos liegt, ist für die Einwohner von Cumana und Caracas unbekanntes Land. Die einen glauben, die mit Nasen bedeckten Ebenen von Ealabozo ziehen sich achthundert Meilen gegen Süd fort und stehen mit den Steppen oder Pampas von Buenos Ayres in Verbindung: andere halten wegen der großen Sterblichkeit unter den Truppen Iturriagas und Solanos auf ibrem Zug an den Orinoeo alles Land südlich von den Katarakten von Atures für äußerst ungcsnnd. In einem Lande, wo man so wenig reist, findet man Gefallen daran, den Fremden gegenüber die Gefahren, die vom Klima, von wilden Thieren und Menschen drohen. ;u übertreiben. Wir waren an diese Abschreckungsmittel, welche die Kolonisten mit naiver und gutgemeinter Offenheit in Anwendung bringen, noch nicht acwöbnt: trotzdem hielten wir an dem einmal gefaßten Entschlüsse fest. Wir konnten auf die Theilnahme uud Unterstützung des Stattbalters der Provinz, Don Vicente Em-paran, nns verlassen, so wie auf die Empfehlungen der Fran-ciskanermönche, welche an den Ufern des Orinoco die eigentlichen Herren sind. Zum Glück für uns war eiuer dieser Geistlichen. Juan Gonzales, eben in Eumana. Dieser junge Mönch war nur ein Laienbruder, aber sehr verständig, gebildet, voll Leben und Muth. Kurz nach seiner Ankunft auf der Küste hatte er sich bei Gelegenheit der Wahl eines neuen Gardians der Missionen von Piritu, wobei im Kloster zu Nuera Barcelona immer grosic Aufregung herrscht, das Mißfallen seiner Obern 254 zugezogen. Die siegende Partei übte eine durchgreifende Reaction, welcher der Laienbruder nicht entgehen konnte. Er wurde nach Esmeralda geschickt, in die letzte Mission am obern Orinoco, berüchtigt durch die Unzahl bösartiger Insekten, welche Jahr aus Jahr ein die Luft erfüllen. Fray Juan Gonzales war mit den Wäldern zwischen den Katarakten und den Quellen des Orinoco vollkommen bekannt. Eine andere Umwälzung im republikanischen Regiment der Mönche hatt-e ihn seit einiM Jahren wieder an die Küste gebracht und er stand bei seinen Obem in verdienter Achtung. Er bestärkte uns in unserem Verlangen, die vielbestrittene Gabelung des Orinoco zu untersuchen; er ertheilte uns guten Rath für die Erhaltung der Gesundheit in einem Klima, in dem er selbst so lange an Wechselsiebern gelitten. Wir hatten das Vergnügen auf der Rückreise vom Rio Negro Frater Juan in Nueva Barcelona wieder anzutreffen. Da er sich in der Havana nach Cadix einschiffen wollte, übernahm er es gefällig, einen Theil unserer Pflanzensammlungen und unserer Infekten vom Orinoco nach Europa zu bringen, aber die Sammlungen gingen leider mit ihm zur See zu Grunde. Der vortreffliche junge Mann, der uns sehr zugethan war, und dessen muthvoller Eifer den Missionen seines Ordens große Dienste hatte leisten können, kam im Jahr 1801 in einem Sturm an der afrikanischen Küste ums Leben. Das Fahrzeug, in dem wir von Cumana nach Guayra ^ fuhren, war eines vo» denen, die zum Handel an den Küsten ' Man bezahlt 12« Piaster für die Ueberfahrt, wenn man da« ganze Voot zur Verfügung hat. 255 und mit den Antillen gebraucht werden. Sie sind dreißig Fuß lang und haben nicht mehr als drei Fuß Bord über Wasser; sie sind ohne Verdeck und laden gewöhnlich 200 bis 250 Centner. Obgleich die See vom Vorgebirge Codera bis Guayra sehr unruhig ist und sie ein ungeheures dreieckiges Segel führen, was bei den Windstößen, die aus den Verg-schluchten herauskommen, nicht ohne Gefahr ist, hat man seit dreißig Jahren kein Beispiel, daß eines dieser Fahrzeuge auf der Ueberfahrt von Cumana an die Küste von Caracas gesunken wäre. Die indianischen Schiffer sind so gewandt, daß selbst bei ihren häufigen Fahrten von Cumana nach Guadeloupe oder den dänischen Inseln, die mit Klippen umgeben sind, ein Schissbruch zu den Seltenheiten gehört. Diese 120 bis 150 Meilen weiten Fahrten auf offener See, wo man keine Küste mehr sieht, werden auf offenen Fahrzeugen, nach der Weise der Alten, ohne Beobachtung der Sonnenhöhe, ohne Seekarten, fast immer ohne Compaß unternommen. Der indianische Steuermann richtet sich bei Nacht nach dem Polarstern, bei Tag nach dem Sonnenlauf und dem Wind, der, wie er voraussetzt, selten wechselt. Ich habe Guayqueries und Steuerleute vom Schlage der Zambos gesehen, die den Polarstern nach der Linie zwischen « und /? des großen Bären zu finden wußten, und es kam mir vor, als steuerten sie nicht sowohl nach dem Polarstern selbst als nach jener Linie. Man wundert sich, wie sie, so bald Land zu Geficht kommt, richtig die Insel Guadeloupe oder Santa Cruz oder Portorico finden; aber im Ausgleichen der Abweichungen vom Curs find sie nicht immer eben so glücklich. Wenn sich die Fahrzeuge unter dem 256 Wind dcm Lande nähern, kommen sie gegen Oft gegen Wind und Strömung nur sehr schwer weiter. In Kriegsbeilen haben nun die Schiffer ihre Unwissenheit und ihre Unbekanntschaft mit dem Gebrauch des Octanten schwer zu büßen: denn die Caper kreuzen eben an den Vorgebirgen, welche die Fahrzeuge von Terra Firma, wenn sie von ihrem Curs abgekommen, in Sicht bekommen müssen, nm ihres Weges gewiß zu seyn. Wir fuhren rasch dc„ tleiucn Fluß Manzanares hinab, dessen Krümmungen Cocosbäume bezeichnen, wie Pappeln und alte Neiden in unsern Klimate«. Auf dcm anstoßenden dürren Strande schimmerten auf den Dornbüsche», die bei Tag nur staubigte Matter zeigen, da es noch Nacht war, viele tausend Lichtfunken. Tie leuchtenden Insekten vermehren sich in der Regenzeit. Man wird unter den Tropen des Schaufpicls nicht müde, wenn diese hin und her zuckenden röthlichcn Lichter sich im klaren Wasser wiederspiegeln u,ld ihre Bilder und die der Sterne am Himmelsgewölbe unter einander wimmeln. Wir schieden vom Küstenlande von Cumana, als hätten wir lange da gelebt. Es war das erste Land, das wir unter einem Himmelsstrich betreten, nach dcm ich mich seit meiner frühesten Jugend geselmt hatte. Der Eindruck der Natur im indischen Klima ist so mächtig und großartig, daß man schon nach wenigen Monaten Aufenthalt lange Jahre darin verbracht zu habeu meint. In Europa hat der Nordländer und der Bewohner der Niederung selbst nach kurzem Besuch eine ähnliche Empfindung, wenn er vom Golf von Neapel, von der köstlichen Landschaft zwischen Tivoli und dem See von Nemi, oder von der wilden, großartigen Scenerie der 257 Hochalftcn und Pyrenäen scheidet. Ucberall in der gemäßigten Zone zeigt die Physiognomie der Pflanzenwelt nur wenige Contraste. Die Fichten und Eichen auf den Gebirgen Schwedens haben Familienähnlichkeit mii denen, die unter dem schönen Himmel Griechenlands und Italiens wachsen. Unter den Tropen dagegen, in den Tiefländern beider Indien erscheint Allcs neu und wunderbar in der Natur. Auf freiem Feld, im Waldesdickicht fast nirgends ein Bild, das an Europa mahnt; denn von der Vegetation hängt der Charakter einer Landschaft ab: sie wirkt auf unsere Einbildungskraft durch ihre Masse, durch den Contrast zwischen ihren Gebilden und den Glanz ihrer Farben. Je neuer und mächtiger die Eindrücke sind, desto mehr löschen sie frühere Eindrücke aus, und durch die Stärke erhalten sie den Anschein der Zeitdauer. Ich berufe mich auf alle, die mit mehr Sinn für die Schönheiten der Natur als für die Neize des geselligen Lebens lange in der heißen Zone gelebt haben. Das erste Land, das ihr Fuß betreten, wie theuer und denkwürdig bleibt es ihnen ihr Lebenlang! Oft, und bis ins höchste Alter, regt sich in ihnen ein dunkles Sehnsuchtsgefühl, es noch einmal zu sehen. Cumana und sein staubigter Boden stehen noch jcht weit öfter vor meinen inneren Augen als alle Wunder der Kordilleren. Unter dem jckönen südlichen Himmel wird selbst ein Land fast ohne Pflanzenwuchs reizend durch das Licht und die Magie der in der Luft spielenden Farben. Die Sonne beleuchtet nicht allein, sie färbt die Gegenstände, sie umgibt sie mit einem leichten Duft der, ohne die Durchsichtigkeit der Luft zu mindern, die Farben harnionischer machl, die Lichteffekte mildert und über die Natur Humboldt. Rch'c. II. 17 258 eine Ruhe ausgießt, die sich in unserer Seele wiedersftiegelt. Um den gewaltigen Eindruck der Landschaften beider Indien, selbst kärglich bewaldeter Küstenstriche zu begreifen, bedenke man nur, daß von Neapel dem Aequator zu der Himmel in dem Verhältniß immer schöner wird, wie von der Provence nach Unteritalicn. Wir liefen während der Fluth über die Barre, welche der kleine Manzanares an seiner Mündung gebildet hat. Der abendliche Seewind schwellte sanft die Gewässer des Meerbusens von Cariaco. Der Mond war noch nicht aufgegangen, aber der Theil der Milchstraße zwischen den Füßen des Centauren und dem Sternbild des Schützen jchien einen Silberschimmer auf die Meeresfläche zu werfen. Der weifte Fels, auf dem das Schloß San Antonio steht, tauchte zuweilen zwischen den hohen Wipfeln der Cocospalmcn am Ufer auf. Nicht lange, so erkannten wir die Küste nur noch an den zerstreuten Lichtern fischender Guayqueries: da empfanden wir doppelt den Reiz des Landes und das schmerzliche Gefühl, scheiden zu müssen. Vor fünf Monaten hatten wir dieses Ufer betreten, wie ein neu entdecktes Land, Fremdlinge in der ganzen Umgebung, in jeden Busch, an jeden feuchten, schattigen Ort nur mit Zagen den Fuß setzend. Jetzt, da diese Küste unsern Blicken entschwand, lebten Erinnerungen daran in uns, die uns uralt dünkten. Boden, Gebirgsart, Gewächse, Bewohner, mit Allem waren wir vertraut geworden. Wir steuerten zuerst nach Nord-Nord-West, indem wir auf die Halbinsel Araya zuhielten; dann fuhren wir dreißig Meilen nach West und West-Süd-West. In der Nähe der Bank, die 259 das Vorgebirge Arenas umgibt und bis zu den Vergölquellen von Mamquarez fortstreicht, hatten wir ein belebtes Schauspiel, dergleichen die starke Phosphorescenz der See in diesem Klima so häufig bietet. Schwärme von Tummlern zogen unserem Fahrzeug nach. Ihrer fünfzehn oder sechzehn schwammen in gleichem Abstand von einander. Wenn sie nun bei der Wendung mit ihren breiten Flossen auf die Wasserfläche schlugen, so gab es einen starken Lichtschimmer; es war, als bräche Feuer aus der Meerestiefe. Jeder Schwärm ließ beim Durchschneiden der Wellen einen Lichtstreif hinter sich zurück. Dieß siel uns um so mehr auf, da außerdem die Wellen nicht leuchteten. Da der Schlag eines Ruders und der Stoß des Schiffes in dieser Nacht nur schwache Funken gaben, so muß man wohl annehmen, daß der starke Lichtschein, der von den Tummlern ausging, nicht allein vom Schlag ihrer Flossen herrührte, sondern auch von der gallertartigen Materie, die ihren Körper überzieht und vom Stoß der Wellen abgerieben wird. Um Mitternacht befanden wir uns zwischen nackten Felseninseln, die wie Vollwerke aus dem Meere steigen; es ist die Gruppe der Caracas- und Chimanaseilande. Der Mond war aufgegangen und beschien die zerklüfteten, kahlen, seltsam gestalteten Felsmassen. Zwischen Cumana und Cap Codera bildet das Meer jetzt eine Art Bucht, eine leichte Einbiegung in das Land. Die Eilande Picua, Picuita, Caracas und Voracha erscheinen als Trümmer der alten Küste, die von Vordones in der gleichen Richtung von Ost nach West lief. Hinter diesen Inseln liegen die Vusen Mochima und Santa Fe, die sicher eines Tages stark besuchte Häfen werden. Das zerrissene Land, 260 die zerbrochenen, stark fallenden Schichten, alles deutet hier auf eine große Umwälzung hin, vielleicht dieselbe, welche die Kette der Urgebirge gesprengt und die Glimmerschiefer von Araya und der Insel Margarita vom Gneiß des Vorgebirges Codera losgerissen hat. Mehrere dieser Inseln sieht man in Cumana von den stachen Dächern, und dort zeigen sich an ihnen in Folge der verschiedenen Temperatur der über einander gelagerten Luftschichten die sonderbarsten Verrückungen und Luftspiegelungen. Diese Felsen sind schwerlich über 150 Toisen hoch, aber Nachts bei Mondlicht scheinen sie von sehr bedeutender Höhe. Man mag sich wundern, Inseln, die Caracas heißen, so weit von der Stadt dieses Namens, der Küste der Cumana-gotos gegenüber zu finden; aber Caracas bedeutete in der ersten Zeit nach der Eroberung keinen Ort, sondern einen Indianerstamm. Die Gruppen der sehr gebirgigten Eilande, an denen wir nahe hinfuhren, entzog uns den Wiitd, und mit Sonnenaufgang trieben uns schmale Wasserfäden in der Strömung auf Boracha zu, das größte der Eilande. Da die Felsen fast senkrecht aufsteigen, so fällt der Meeresgrund steil ab und auf einer andern Fahrt habe ich Fregatten hier so nahe ankern sehen, daß sie beinahe ans Land stießen. Die Lufttemperatur war bedeutend gestiegen, srit wir zwischen den Inseln des kleinen Archipels hinfuhren. Das Gestein erhitzt sich am Tage und gibt bei Nacht die abforbirte Warme durch Strahlung zum Theil wieder ab. Je mehr die Sonne über den Horizont stieg, desto weiter warfen die zerrissenen Berge ihre gewaltigen Schatten auf die Mecresflüche. Die Flamingos begannen ihren 261 Fischfang allenthalben, wo nur in einer Bucht vor dem Kal^ Mein ein schmaler Strand hinlief. Alle diese Eilande sind jetzt ganz unbewohnt: aber auf einer der Caracas leben wilde, braune, sehr große, schnellfüßige Ziegen mit — wie unser Steuermann versicherte — sehr wohlschmeckendem Fleisch. Vor dreißig Jahren hatte sich eine weiße Familie daselbst niedergelassen und Mais und Manioc gebaut. Der Vater überlebte allein alle seine Kinder. Da sich sein Wohlstand gehoben hatte, taufte er zwei schwarze Sklaven, und dieß ward sein Verderben: er wurde von seinen Sklaven erschlagen. Die Ziegen verwilderten, nicht so die Kulwrgewächse. Der Mais in Amerika, wie der Weizen in Europa, scheinen sich nur durch die Pflege des Menschen zu erhalten, an den sie seit seinen frühesten Wanderungen gekettet sind. Wohl wachsen diese nährenden Gräser hin und wieder aus verstreuten Samen auf; wenn sie sich aber selbst überlassen bleiben, so gehen sie ein, weil die Vögel die Samen aufzehren. Die beiden Sklaven von der Insel Caracas entgingen lange dem Arm der Gerechtigkeit; für ein an so einsamem Ort begangenes Verbrechen war es schwer Beweise aufzudringen. Der eine dieser Schwarzen ist jetzt in Cumana der Henker. Er hatte seinen Genossen angegeben, und da es an einem Nachrichter fehlte, so begnadigte man nach dem barbarischen Landesbrauch den Sklaven unter der Bedingung, daß er alle Verhafteten aufknüpfte, gegen die längst das Todesurtheil gefällt war. Man sollte kaum glauben, daß es Menschen gibt, die roh genug sind, um ihr Leben um solchen Preis zu erkaufen und mit ihren Händen diejenigen abzuthun, die sie Tags zuvor verrathen haben. 262 Wir verließen den Ort, an den sich so traurige Erinnerungen knüpfen, und ankerten ein paar Stunden auf der Nhede von Nucva Barcelona an der Mündung des Flusses Neveri, dessen indianischer (cumanagotischer) Namen Impiricuar lautet. Der Fluß wimmelt von Krokodilen, die sich zuweilen bis auf die hohe See hinaus wagen, besonders bei Windstille. Sie gehören zu der Art, die im Orinoco so häusig vorkommt und dem egyptischen Krokodil so sehr gleicht, daß man sie lange zusammengeworfen hat. Man sieht leicht ein, daß ein Thier, dessen Körper in einer Art Panzer steckt, für die Schärfe des Salzwasseis nicht sehr empfindlich seyn kann. Schon Pigafetta sah, wie er in seinem kürzlich in Mailand erschienenen Tagebuch erzählt, auf der Küste der Insel Borneo Krokodile, die so gut in der See wie am Lande leben. Diese Beobachtungen werden für die Geologie von Bedeutung, seit man jn dieser Wissenschaft die Süßwasserbildungen näher ins Auge faßt, so wie das auffallende Durcheinanderliegen von versteinerten See- und Süßwasserthieren in manchen sehr neuen Ablagerungen. Der Hafen von Barcelona, der auf unsem Karten kaum angegeben ist, treibt seit 1795 einen sehr lebhaften Handel. Aus diesem Haftn werden größtcntheils die Produkte der weiten Steppen ausgeführt, die sich vom Südabhang der Küstenkette bis zum Orinoco ausbreiten und sehr reich sind an Vieh aller Art, fast so reich wie die Pampas von Buenos-Nvres. Die Handelsindustrie dieser Länder gründet sich auf den Bedarf der großen und kleinen Antillen an gesalzenem Fleisch, Rindvieh, Maulthieren und Pferden. Da die Küsten von Terra Firma 2K3 der Insel Cuba in einer Entfernung von 15—18 Tagereisen gegenüber liegen, so beziehen die Handelsleute in der Havana, zumal im Frieden, ihren Bedarf lieber aus dem Hafen von Barcelona, als daß sie das Wagniß einer langen Seefahrt in die andere Halbkugel zur Mündung des Rio de la Plata übernähmen. Von der schwarzen Bevölkerung von 1,300,000 Köpfen, die der Archipel der Antillen schon jetzt zählt, kommen auf Cuba allein über 230,000 Sklaven, deren Nahrung aus Gemüsen, gesalzenem Fleisch und getrockneten Fischen besteht. Jedes Fahrzeug, das gesalzenes Fleisch oder Tasajo von Terra Firma führt, ladet 20 bis 30.000 Aromas, deren Handelswerth über 45,000 Piaster beträgt. Barcelona ist besonders für den Viehhandel gut gelegen. Die Thiere kommen in diei Tagen aus den Llanos in den Hafen, wahrend sie wegen der Gebirgskette des Vergantin und des Imposible nach Cumana acht bis neun brauchen. Nach den Angaben, die ich mir verschaffen konnte, wurden in den Jahren 1799 und 1800 in Barcelona 8000, in Porto-Cabello 6000, in Carupano 3000 Maulthiere nach den spanischen, englischen und französischen Inseln eingeschifft. Wie viele aus Burburata, Coro und aus den Mündungen des Guarapiche und Orinoco ausgeführt werden, weiß ich nicht genau; aber trotz der Einflüsse, durch welche die Zahl der Thiere in den Llanos von Cumana, Barcelona und Caracas heradgebracht worden ist, müssen, nach meiner Schätzung, diese unermeßlichen Steppen damals nicht unter 30,000 Maulthieren jährlich in den Handel mit den Antillen gebracht haben. Jedes Maulthier zu 26 Piaster (Kaufpreis) gerechnet, bringt also dieser Handelszweig allein 264 gegen 3,700,000 Franten ein, abgesehen vom Gewinn durch die Schiffsfracht. De Pons, der sonst in seinen statistischen Angaben sehr genau ist, gibt kleinere Zahlen an. Da er nicht selbst die Llanos besuchen konnte, und da er als Agent der französischen Regierung sich fortwährend in der Stadt Caracas aufhalten mußte, so mögen die Besitzer der Ha tos bei den Schätzungen, die sie ihm mittheilten, zu niedrig gegriffen haben. Wir gingen am rechten Ufer des Neveri ans Land und bestiegen ein kleines Fort, el Morro de Barcelona, das 60 bis 70 Toisen über dem Meere liegt. Es ist ein erst seit Kurzem befestigter Kaltfels. Er wird gegen Süd von einem weit höheren Berge beherrscht, und Sachverständige behaupten, es tonnte dem Feind, nachdem er zwischen der Mündung des Flusses und dem Morro gelandet, nicht schwer werden, diesen zu limgehen und auf den umliegenden Höhen Batterien zu errichten. Vergebens warteten wir auf Nachricht über die englischen Kreuzer, die längs der Küsten stationirt waren. Zwei unserer Reisegefährten, Brüder des Marquis del Toro in Caracas, kamen aus Spanien, wo sie in der königlichen Garde gedient hatten. Es waren sehr gebildete Osficiere, und sie kehrten jetzt nach langer Abwesenheit mit den« Brigade-general de Caxigal und dem Grafen Tovar in ihr Heimath land zurück. Ihnen mußte noch mehr als uns davor bangen, aufgebracht und nach Jamaica geführt zu werden. Ich hatte keine Pässe von der Admiralität; aber im Vertrauen auf den Schutz, den die großbritannische Regierung Reisenden gewährt, die bloß wissenschaftliche Zwecke verfolgen, hatte ich gleich nach 265 meiner Ankunft in Cumana an den Gouverneur der Insel Trinidad geschrieben und ihm mitgetheilt, was ich in diesen Ländern suchte. Die Antwort, die mir über den Meerbusen von Paria zukam, was sehr befriedigend. Kurz bevor wir am 19. November Mittags unter Segel gingen, nahm ich Mondshöhen auf, um die Länge des Morro zu bestimmen. Die Meridiane von Cumana und von Barcelona, in welch letzterer Stadt ich im Jahr 1800 sehr viele astronomische Beobachtungen anstellte, liegen 34 Minuten 48 Secunden aus einander. Ich habe mich über diese Entfernung, über die damals viele Zweifel herrschten, anderswo ausgesprochen. Die Inclination der Magnetnadel fand ich gleich 42^,20; 224 Schwingungen gaben die Intensität der magnetischen Kraft an. Vom Morro de Barcelona bis zum Vorgebirge Codera senkc sich das Land und zicht sich gegen Süden zurück; es streicht mit gleicher Wassertiefe drei Seemeilen weit in das Meer hinaus. Jenseits dieser Linie ist das Wasser 25—30 Faden tief. Die Temperatur des Meeres an der Oberfläche war 25^,9, als wir aber d'.irch den fchmalen Kanal zwischen den beiden Infeln Pnitu mit drei Faden Tiefe liefen, zeigte der Thermometer nur noch 24^,5. Der Unterschied zeigte sich beständig; er wäre vielleicht bedeutender, wenn die Strömung, die rasch nach West zieht, tieferes Wasser heraufbrächte, und wenn nicht in einer so engen Durchfahrt das Land zur Erhöhung der Meerestemperatur mitwirkte. Die Inseln Piritu gleichen dcn Bänken, die bei der Ebbe über Wasser kommen. Sie erheben sich nur 8—9 Zoll übcc den mittleren Wasser- 266 stand. Ihre Oberfläche ist völlig eben und mit Gras bewachsen, und man meint eine unserer nordischen Wiesen vor sich zu haben. Die Scheibe der untergehenden Sonne schien wie ein Feuerball über der Grasflur zu hängen. Ihre letzten, die Erde streifenden Strahlen beleuchteten die Grasspihen, die der Abendwind stark hin und her wiegte. Wenn aber auch in der heißen Zone an tiefen, feuchten Orten Gräser und Riedgräser sich wie eine Wiese oder ein Rasen ausnehmen, so fehlt den» Bilde doch immer eine Hauptzierde, ich meine die mancherlei Wiesenblumen, die nur eben über die Gräser emporragen und sich vom ebenen grünen Grunde erheben. Vei der Kraft und Ueppigkeit der ganzen Vegetation ist unter den Tropen ein solcher Trieb in den Gewächsen, daß die kleinsten dicotyledonischen Pflanzen gleich zu Sträuchern werden. Man könnte sagen, die Liliengewächse, die unter den Gräsern wachsen, vertreten unsere Wiesenblumen. Sie fallen allerdings durch ihre Bildung stark ins Auge, sie nehmen sich durch die Mannigfaltigkeit und den Glanz ihrer Farben sehr gut aus, aber sie wachsen zu hoch und lassen so das harmonische Verhältniß nicht aufkommen, das zwischen den Gewächsen besteht, die bei uns den Rasen und die Wiese bilden. Die gütige Natur verleiht unter allen Zonen der Landschaft einen ihr eigenthümlichen Reiz des Schönen. Man darf sich nicht wundern, daß fruchtbare Inseln so nahe der Küste gegenwärtig unbewohnt sind. Nur in der ersten Zeit der Eroberung, als die Caraiben, die Chaymas und Cumanagotos noch Herrn der Küsten waren, gründeten die Spanier auf Cubagua und Margarita Niederlassungen. 267 Sobald die Eingeborenen unterworfen oder südwärts den Sa-vancn zu gedrängt waren, ließ man sich lieber auf dem Fest-landc nieder, wo man die Wahl hatte unter Ländereien und Indianern, die man wie Lastthiere behandeln konnte. Lägen die kleinen Eilande Tortuga, Blanauilla und Orchilla mitten im Archipel der Antillen, so wären sie nicht unangebaut geblieben. Schiffe mit bedeutendem Tiefgang fahren zwischen Terra Firma und der südlichsten der Piritu - Inseln. Da dieselben sehr niedrig sind, so ist ihre Nordspitze von den Schissern, die in diesen Strichen dem Lande zufahren, sehr gefürchtet. AIs wir uns westlich vom Morro von Barcelona und der Mündung des Rio Unare befanden, wurde das Meer, das bisher sehr still gewesen, immer unruhiger, je näher wir Cap Codera kamen. Der Einfluß dieses großen Vorgebirges ist in diesem Striche des Meeres der Antillen weithin fühlbar. Die Dauer der Ueberfahrt von Cumana nach Guayra hängt davon ab, ob man mehr oder weniger leicht um Cabo Codera herum« kommt. Jenseits dieses Caps ist die See beständig so unruhig, daß man nicht mehr an der Küste zu seyn glaubt, wo man (von der Spitze von Paria bis zum Vorgebirge San Romano) gar nichts von Stürmen weiß. Der Stoß der Wellen wurde auf unserem Fahrzeug schwer empfunden. Meine Reisegefährten litten sehr; ich aber schlief ganz ruhig, da ich, ein ziemlich seltenes Glück, nie seekrank werde. Es windete stait die Nacht über. Bei Sonnenaufgang am 20. November waren wir so weit, daß wir hoffen konnten das Cap in wenigen Stunden zu umschiffen, und wir gedachten noch am selben Tage nach 268 Guayra zu kommen: aber unser Schiffer bekam wieder Angst vor den Cavern, die dort vor dem Hafen lagen. Es schien ihm gerathen, sich ans Land zu machen, im kleinen Hafen Higuerote, über den wir schon hinaus waren, vor Anker zu gehen und die Nacht abzuwarten, um die Ueberfahrt fortzusetzen. Wenn man Leuten, die seekrank sind, vom Landen spricht, so weiß man zum voraus, wofür sie stimmen. Alle Vorstellungen halfen nichts, man mußte nachgeben, und schon um neun Uhr Morgens am 20. November lagen wir auf der Rhede in der Bucht von Higuerote, westwärts von der Mündung des Rio Capaya. Wir fanden daselbst weder Torf noch Hof, nur zwei oder drei von armen Fischern, Mestizen, bewohnte Hütten. Ihre gelbe Gesichtsfarbe und die auffallende Magerkeit der Kinder mahnten daran, daß diese Gegend eine der ungesundesten, den Fiebern am meisten unterworfenen auf der ganzen Küste ist. Die See ist hier so seicht, daß man in der kleinsten Barke nicht landen kann, ohne durch das Wasser zu gehen. Die Wälder ziehen sich bis zum Strande herunter, und diesen überzieht ein dichtes Buschwerk von sogenannten Wurzelträgern, Avicennien, Manschenillbäumen und der neuen Art der Gattung Suriana, die bei den Eingeborenen lioinero 6s 1a mg,r heißt. Diesem Buschwerk, besonders aber dcn Ausdünstungen der Wurzelträger oder Manglebäume, schreibt man es hier, wie überall in beiden Indien, zu, daß die Luft so ungesund ist. Beim Landen kam uns auf 15—ä0 Klafter ein fader, süßlicher Geruch entgegen, ähnlich dem, den in verlassenen Vergwerksstollen, wo die Lichter zu verlöschen anfangen, das mit Schimmel überzogene Zimmer- 269 werk verbreitet. Die Lufttemperatur stieg auf 34 Grad in Folge der Reverberation des weißen Sandes, der sich zwischen dem Buschwerk und den hrchgipfligten Waldbäumen hinzog. Da der Boden einen ganz unbedeutenden Fall hat, so werden, so schwach auch Ebbe und Fluth hier sind, dennoch die Wurzeln und ein Theil des Stammes der Manglebäume bald unter Wasser gesetzt, bald trocken gelegt. Wenn nun die Sonne das nasse Holz erhitzt und den schlammigten Boden, die abgefallenen zersetzten Blätter und die im angeschwemmten Seetang hängenden Weichthiere gleichsam in Gährung versetzt, da bilden sich wahrscheinlich die schädlichen Gase, die sich der chemischen Untersuchung entziehen. Auf der ganzen Küste zeigt das Seewasser da, wo es mit den Manglebäumen in Berührung kommt, eine braungelbe Färbung. Dieser Umstand siel mir auf und ich sammelte daher in Higuerote ein ziemliches Quantum Wurzeln und Zweige, um gleich nach der Ankunft in Caracas mit dem Aufguß des Mangle-Holzes einige Versuche anzustellen. Der Aufguß mit heißem Wasser war braun, hatte einen zusammenziehenden Geschmack und enthielt ein Gemisch von Extractivstoff und Gerbstoff. Die Rhizophora, der Guy, der Kornelkirschbaum, alle Pflanzen aus den natürlichen Familien der Lorantheen und Capnfoliaceen haben dieselben Eigenschaften. Der Aufguß des Manglebaums wurde unter einer Glocke zwölf Tage lang mit atmosphärischer Luft in Berührung gebracht; die Reinheit derselben ward dadurch nicht merkbar vermindert. Es bildete sich ein kleiner flockigter, fchwärz-lichter Bodensatz, aber eine merkbare Absorption von Sauerstoff fand nicht statt. Holz und Wurzeln des Manglebaums wurden 270 unter Wasser der Sonne ausgesetzt; ich wollte dabei nachahmen, was in der Natur auf der Küste bei steigender Fluch täglich vorgeht. Es entwickelten sich Luftblasen, die nach Verlauf von zehn Tagen ein Volumen von 33 Cubikzoll bildeten. EZ war ein Gemisch von Stickstoff und Kohlensäure: Salpetergas zeigte kaum eine Spur von Sauerstoff an. Endlich ließ ich in einer Flasche mit eingeriebenem Stöpsel eine bestimmte Menge stark benetzter Manglewurzeln auf atmosphärische Luft einwirken. Aller Sauerstoff verschwand, und derselbe war keineswegs durch kohlensaures Gas ersetzt, denn das Kalkwasser zeigte von diesem nur 0,02 an. Ja die Verminderung des Volumens war bedeutender, als dem absorbirten Sauerstoff entsprach. Nach dieser nur noch flüchtigen Untersuchung war ich der Ansicht, daß die Luft in den Manglegebüschen durch das nasse Holz und die Ninde zersetzt wird, nicht durch die stark gelb gefärbte Schichte Seewasser, die längs der Küste einen deutlichen Streif bildet. In allen Graden der Zersetzung der Holzfafer habe ich nie, auch nur in Spuren, Schwefelwasserstoff sich entwickeln sehen, dem manche Reisende den eigenthümlichen Geruch unter den Manglebäumen zuschreiben. Nurch die Zersetzung der schwefelsauren Erden und Alkalien und ihren Uebergang in schwefligtsaure Verbindungen wird ohne Zweifel aus manchen Strand- und Seegewächsen, wie aus den Tangen, Schwefelwasserstoff entbunden; ich glaube aber vielmehr, daß Rhizophora, Avicennia und Conocarftus die Luft besonders durch den thierischen Stoff verderben, den sie neben dem Gerbstoff enthalten. Diese Sträucher gehören zu den drei natürlichen Familien der Loranthecn, Combretaceen und Pyrenaceen, die reich sind an adstringirendem Stoff, und ich habe schon oben 271 bemerkt, daß dieser Stoff selbst in der Rinde unserer Buchen, Erlen und Nußbäume mit Gallerte verbunden ist. Uebrigens würde dichtes Buschwerk auf schlammigtem Voden schädliche Ausdünstungen verbreiten, wenn es auch aus Bäumen bestände, die an sich keine der Gesundheit nachtheiligen Eigenschaften haben. Ueberall wo Manglebäume am Meeresufer wachsen, ziehen sich zahllose Weichthiere und Insekten an den Strand. Diese Thiere lieben Beschattung und Zwielicht, und im dicken, verschlungenen Wurzelwerk, das wie ein Gitter über dem Wasser steht, finden sie Schutz gegen den Wellenschlag. Die Schaalthiere heften sich an das Gitter, die Crabben verkriechen sich in die hohlen Stämme, der Tang, den Wind und Fluth an die Küsten treiben, bleibt an den sich zum Boden nieder-neigenden Zweigen hängen. Auf diese Weise, indem sich der Schlamm zwischen den Wurzeln anhäuft, wird durch die Küstenwälder das feste Land allgemach vergrößert; aber während sie so der See Boden abgewinnen, nimmt dennoch ihre Breite fast nicht zu. Im Maaß, als sie vorrücken, gehen sie auch zu Grunde. Die Manglebäume und die andern Gewächse, die immer neben ihnen vorkommen, gehen ein, sobald der Boden trocken wird und sie nicht mehr im Salzwasscr stehen. Ihre alten, mit Schaalthieren bedeckten, halb im Sand begrabenen Stämme bezeichnen nach Jahrhunderten den Weg, den sie bei ihrer Wanderung eingeschlagen, und die Grenze des Landstrichs, den sie dem Meere abgewonnen. Die Bucht von Higuerote ist sehr günstig gelegen, um das Vorgebirge Codera, das sechs Seemeilen weit in seiner ganzen Breite vor einem daliegt, genau zu betrachten. Es imponirt 272 mchr durck seme Masse als durch seine Höhe, die mir nach Höhenwinkeln, die ich am Strande gemessen, nicht über 200 Toisen zu betragen schien. Nach Nord, O^t und West fällt es steil ab und man meint an diesen großen Profilen die fallenden Schichten zu unterscheiden. Die Schichten zunächst bei der Vucht strichen Nord 60° West und fielen unter 80° nach Nordwest. Am großen Verge Silla «nd östlich von Maniquarez auf der Landenge von Araya sind Streichung und Fall dieselben, und daraus scheint hervorzugehen, daß die Urgebirgskette dieser Landenge, die auf eine Strecke von 35 Meilen (zwischen den Meridianen von Maniquarez und Higuercte) vom Meere zerrissen oder verschlungen worden, im Cap Codera wicder auftritt und gegen West als Küstenkette fortstreicht. Meinen Reisegefährten war bei der hochgehenden See vor dem Schlingern unseres kleinen Schiffes so bange, daß sie beschlossen, den Landweg von Higuerote nach Caracas einzuschlagen: derselbe führt durch ein wildes, feuchte? Land, durch die Montana de Capaja nordlich von Caugagua, durch das Thal des Rio Gliatire und des Guarenas. Es war mir licb, daß auch Vonpland diesen Weg wählte, auf dem er trotz des beständigen Regens und der ausgetretenen Flüsse viele neue Pflanzen zusammenbrachte. Ich selbst ging mit dem indianischen Steuermann allein zur See weiter: ^ schien mir zu gewagt, die Instrumente, die uns an den Orinoco begleiten sollten, aus den Augen zu lassen. Wir gingen mit Einbruch der Nacht unter Segel. Der Wind war nicht sehr günstig und wir hatten viele Mühe, um Cap Codera herum zu kommen; die Wellen waren kurz und 273 brachen sich häusig in einander: es gehörte die Erschöpfung durch einen furchtbar heißen Tag dazu, um in einem kleinen, dicht am Wind segelnden Fahrzeug schlafen zu können. Die See ging um so höher, als der Wind bis nach Mitternacht der Strömung entgegen blies. 3er zwischen den Wendekreisen überall bemerkliche Zug des Wassers gcgen Westen ist an diesen Küsten nur während zwei Dritcheilen des Jahrs deutlich zu spüren; in den Monaten September, October und November kommt es oft vor, daß die Strömung vierzehn Tage, drei Wochen lang nach Osten geht. Schon öftcr konnten Schiffe auf der Fahrt nack Guayra oder Porto Cabello die Strömung, die von West nach Ost ging, nicht bewältigen, obgleick sie den Wind von hinten hatten. Die Ursache dieser Unregelmäßigkeiten ist bis jetzt nicht bekannt: die Schiffer schreiben sie Stürmen aus Nordwest im Golf von Mexico zu, aber diese Stürme sind im Frühjahr weit stärker als im Herbst. Bemerkenswert!) ist dabei auch, daß die Strömung nach Osten geht, bevor der Seewind sich ändert; sie tritt bei Windstille ein, und erst nach einigen Tagen geht auch der Wind der Strömung nach und blast beständig aus West. Während dieser Vorgänge bleiben die kleinen Schwankungen des Barometers auf und ab in ihrer Regelmäßigkeit durchaus ungestört. Mit Sonnenaufgang am 2l. November befanden wir uns westwärts vom Cap Codera dem Curuao gegenüber. Der indianische Steuermann erschrack nicht wenig, als sich nordwärts in der Entfernung einer Seemeile eine englische Fregatte blicken licß. Sie hielt uns wahrscheinlich für eines der Fahrzeuge, die n»it den Antillen Schleichhandel trieb?n und — denn Alles organisirt sich mit der Zeit — vom Gouverneur von Tnnidad Humboldt, Reist. II. lg 274 unterzeichnete Licenzscheine führten. Sie ließ uns durch das Boot, das auf uns zuzukommen schien, nicht einmal anrufen. Vom Cap Codera an ist die Küste felsigt und sehr hoch, und die Ansichten, die sie bietet, sind zugleich wild und malerisch. Wir waren so nahe am Land, daß wir die zerstreuten von Cocospalmen umgebenen Hütten unterschieden und die Massen von Grün sich vom braunen Grunde des Gesteins abheben sahen. Ueberall fallen die Berge drei, viertausend Fuß hoch steil ab; ihre Flanken werfen breite Schlagschatten über das feuchte Land, das sich bis zur See ausbreitet und geschmückt mit frischem Grün daliegt. Auf diesem Uferstrich wachsen großentheils die tropischen Früchte, die man auf den Märkten von Caracas in so großer Menge sieht. Zwischen dem Camburi und Niguatar ziehen sich mit Zuckerrohr und Mais bestellte Felder in enge Thäler hinauf, die Felsspalten gleichen. Die Strahlen der noch nicht hoch siebenden Sonne fielen hinein und bildeten die anziehendsten Contraste von Licht und Schatten. Der Niguatar und die Eilla bei Caracas sind die höchsten Gipfel dieser Küstenkette. Ersterer ist fast so hoch als der Camgu in den Pyrenäen: es ist als stiegen die Pyrenäen oder die Alpen, von ihrem Schnee entblöst, gerade aus dem Wasser empor, so gewaltig erscheinen einem die Gebirgsmassen, wenn man sie zum erstenmal von der See aus erblickt. Bei Caravalleda wird das bebaute Land breiter, Hügel mit sanftem Abhang erscheinen und die Vegetation reicht sehr weit hinauf. Man baut hier viel Zuckerrohr und die barmherzigen Vrüder haben daselbst eine Pflanzung und 200 Sklaven. Die Gegend war früher den Fiebern sehr ausgesetzt, und man behauptet, die Luft sey gesünder 275 geworden, seit man um einen Teich, dessen Ausdünstungen man besonders fürchtete, Väume gepflanzt hat, so daß das Wasser weniger dem Sonnenstrahl ausgesetzt ist. Westlich von Caravalleda läuft wieder eine nackte Felsmauer bis an die See vor, sie ist aber von geringer Ausdehnung. Nachdem wir dieselbe umsegelt, lag das hübsch gelegene Dorf Macuto vor uns, weiterhin die schwarzen Felsen von Guayra mit ihren Batterien in mehreren Stockwerken über einander und in duftiger Ferne ein langes Vorgebirge mit kegelförmigen, blendend weißen Bergspitzen, Ollda dlanoo. Cocosnußbäume säumen das Ufer und geben ihm unter dem glühenden Himmel den Anschein von Fruchtbarkeit. Nach der Landung im Hafen von Guayra traf ich noch am Abend Anstalt, um meine Instrumente nach Caracas schaffen zu lassen. Die Personen, denen ich empfohlen war, riechen mir, nicht in der Stadt zu schlafen, wo das gelbe Fieber erst seit wenigen Wochen aufgehört hatte, sondern über dem Dorfe Maiquetia in einem Haufe auf einer kleinen Anhöbe, das dem kühlen Luftzug mehr ausgesetzt war als Guayra. Am 21. Abends kam ich in Caracas an, vier Tage früher als meine Reisegefährten, die auf dem Landweg zwischen Capaya und Curirpe durch die starken Regengüsse und die ausgetretenen Bergwasser viel auszustehen gehabt hatten. Um nicht öfters auf dieselben Gegenstände zurückzukommen, schließe ich der Beschreibung der Stadt Guayra und des merkwürdigen Wcges, der von diesem Hafen nach Caracas führt, alle Beobachtungen an, die Vonpland und ich auf einem Ausflug nach Cabo Blanco zu Ende Januars 1800 gemacht. Da Devons die Gegend nach mir besucht hat, 276 sein lehrreiches Werk aber vor dem meinen erschienen ist, so lasse ich mich auf eine nähere Beschreibung der Gegenstände, die er ausführlich behandelt hat, nicht ein. Guayra ist vielmehr eine Nhede als ein Hafens das Meer ist immer unruhig lind die Schiffe werden vom Wind, von den Sandbänken, vom schlechten Ankergrund und den Bohrwürmern' zumal gefährdet. Das Laden ist mit aroßen Schwierigkeiten verbunden und wegen des starken Wellenschlags kann man hier nicht, wie in Nueva Barcelona und Porto Cabello, Maulthiere einschiffen. Die freien Neger und Mulatten, welche den Cacao an Bord der Schiffe bringen, sind ein Menschenschlag von un-gemeincr Muskelkraft. Sie waten bis zu halbem Leibe durch das Wasser, und was sehr merkwürdig ist, sie haben von den Haisischen, die in diesem Hafen so häusig sind, nichts zu fürchten. Dieser Umstand scheint auf denselben Momenten zu beruhen, wie die Beobachtung, die ich unter den Tropen häusig an Thieren aus andern Klassen, die in Rudeln leben, wie an Affen und Krokodilen, gemacht habe. In den Missionen am Orinoco und am Amazonenstromc wissen die Indianer, die Affen zum Verkauf fangen, ganz gut, daß die von gewissm Inseln leicht zu zähmen sind, während Affen derselben Art, die auf dem benachbarten Festland gefangen weiden, aus Zorn oder Angst zu Grunde gehen, sobald sie sich in der Gewalt des Menschen sehen. Die Krokodile aus der einen Zache in den Llanos sind feig und ergreifen sogar im Wasser die Flucht, während die aus einer andern Lache äußerst unerschrocken angreifen. Aus 1 La broma; teredo navalis, gtnnč. 277 dm äußern Verhältnissen der Oertlichkeiten wäre diese Verschieden-beit in Gemüthsart und Sitten nicht leicht zu erklären. Mit den Haisischen im Hafen von Guayra scheint es sich ähnlich zu verhalten. Bei den Inseln gegenüber der Küste von Caracas, bei Roqucs, Bonayre und Cnrayao, sind sie gefährlich und blutgierig, während sie Badende in den Häfen von Guayra und Santa Marta nicht anfallen. Das Volk greift, um die Erklärung der Naturerscheinungen zu vereinfachen, überall zum Wunderbaren, und so glaubt es denn, an den genannten zwei Orten habe ein Bischof den Haien den Segen ertheilt. Guayra ist ganz eigenthümlich gelegen; es läsit sich nnr mit Santa Cruz auf Teneriffa vergleichen. Die Bergkette zwischen den« Hafen und dem hochgelegenen Thal von Caracas stürzt fast unmittelbar in die See ab und die Häuser der Stadt lehNlM sich an eine schroffe Felswand. Zwischen dieser Wand und der See bleibt kaum ein 100 —140 Toisen breiter ebener Raum. Die Sladt hat 6—8000 Einwohner und besteht nur aus zwei Straßen, die neben einander von Ost nach West laufen. Sie wird von der Batterie auf dem Cerro Colorado beherrscht und die Werke an der See sind gut angelegt und wohl erhalten. Der Anblick des Orts hat etwas Vereinsamtes, Trübseliges; man meint nicht auf einem mit ungeheuren Wäldern bedeckten Festland zu seyn, sondern auf einer felsigten Insel ohne Dammerde und Pflanzenwuchs. Außer Cabo Blanco und den Cocosnußbäumen von Maiqnetia besteht die ganze Landschaft aus dem Mecreshorizont und dem blauen Himmelsgewölbe. Bei Tag ist die Hitze erstickend, und meistens auch bei Nacht. Das Klima von Guayra gilt mit Recht 278 für heißer als das von Cumcma, Porto Cabello und Coro weil dcr Seewind schwächer ist und durch die Wärme, welche nach Sonnenuntergang von den senkrechten Felsen ausstrahlt, die Luft erhitzt wird. Man machte sich übrigens von der Luftbeschaffenheit dieses Ortes und des ganzen benachbarten Küstenlandes eine unrichtige Vorstellung, wenn man nur die Temperaturen, wie der Thermometer sie angibt, vergleichen wollte. Eine stockende, in einer Vergschlucht eingeschlossene, ntit nackten FelZmassen in Berührung stehende Luft wirkt auf unsere Organe ganz anders als eine gleich warme Luft in offener Gegend. Ich bin weit entfernt, die physische Ursache dieses Unterschieds nur in der verschiedenen elektrischen Ladung der Luft zu suchen, muß aber doch bemerken, daß ich etwas westlich von Guayra gegen Macuto zu, weit weg von den Häusern und über 300 Toisen von den Gneißfelsen, mehrere Tage lang kaum schwache Spuren von positiver Elektricität bemerken konnte, während in Cumana in denselben Nachmittagsstunden und am selben mit rauchendem Docht versehenen Voltaschen Elektrometer die Fliedermarkkügelchen 1 — 2 Linien auseinander gegangen waren. Ich verbreite mich weiter unten über die regelmäßigen täglichen Schwankungen in der elektrischen Spannung der Luft unter den Tropen, ein Verhältniß, das mit den Schwankungen in der Temperatur und mit dem Sonnenstand in auffallendem Zusammenhang steht. Die von einem ausgezeichneten Arzt in Guayra neun Monate lang angestellten thermometrischen Beobachtungen, von denen ich Einsicht bekam, setzten mich in Stand, das Klima dieses Hafens mit dem von Cumana, Havana und Vera Cruz 279 zu vergleichen. Diese Vergleichung erscheint um so interessanter, als der Gegenstand in den spanischen Colonien und unter den Seeleuten, die diese Länder besuchen, ein unerschöpflicher Stoss der Unterhaltung ist. Da in diesem Falle das Zeugniß der Sinne ungemein leicht täuscht, so läßt sich über die Verschiedenheit von Klimaten nur nach Zahlenverhältnisscn urtheilen. Die vier eben genannten Orte gelten für die heißesten auf dem Küstenstrich der neuen Welt; ihre Vergleichung mag dazu dienen, die schon öfters von uns gemachte Bemerkung zu bestätigen, daß im Allgemeinen nur das lange Anhalten einer hohen Temperatur, nicht die übermüßige Hitze oder die absolute Wärmemenge den Bewohnern der heißen Zone lästig wird. Das Mittel aus den Beobachtungen um Mittag vom 27. Juni bis 16. November war in Guayra 31^,6 des Hundert-theiligen Thermometers, in Cumana 29",3, in Vera Cruz 28«,7, in der Havana 29^,5. Die täglichen Abweichungen betrugen zur selben Stunde nicht leicht über 0^,6—1",4. Während diescr ganzen Zeit regnete es nur viermal, und nur 7 — 8 Minuten lang. Dieß ist der Zeitpunkt, wo das gelbe Fieber herrscht, das in Guayra, wie in Vera Cruz und auf der Insel St. Vincent, gemeiniglich aufhört, sobald die Tages-temperatur auf 24 — 25 Grad herabgeht. Die mittlere Temperatur des heißesten Monats war in Guayra etwa 29" 3, in Cumana 29",1, in Vera Cruz 27",?, in Cairo, nach Nouet, 29<>,9, in Rom 25",0. Vom 16. November bis 19. December war die mittlere Temperatur in Guayra um Mittag nur 24^,3, bei Nacht 21",6. Um diese Zeit leidet man immer am wenigsten von der Hitze. Ich glaube übrigens, daß man 280 den Thermometer (kurz vor Sonnenaufgang) nicht unter 21« fallen sieht: in Cmnana fällt er zuweilen auf 21^,2, in Vera Cruz auf 16", in der Havana (immer nur bei Nordwind) auf 6° und selbst darunter. Die mittlere Temperatur des kältesten Monats ist an diesen vier Orten: 23^,2, 26",6, 21«, 21« 0-in Cairo 13^,4. Das Mittel der ganzen Jahrestemperatur ist, nach guten, sorgfältig berechneten Beobachtungen, in Guayra ungefähr 28^1, in Cumana 27",7, in Vera Cruz 25^,4, in der Havana 25",6, in Rio Janeiro 23",5, in Santa Cruz auf Teneriffa, unter 28" 28' der Breite, abcr wie Guayra an eine Felswand gelehnt, 21^,9, in Cairo 22",4, in Rom 15<>,8. l Aus diesen Beobachtungen geht hervor, daß Guayra einer der heißesten Orte der Erde ist, daß die Summe der Wärme, welche derselbe im Laufe eines Jahres erhält, etwas größer ist als in Cumana, daß sich aber in den Monaten November, December und Januar (bei gleichem Abstand von den zwei Durchgängen der Sonne durch das Zenith der Stadt) die Luft in Guayra stärker abkühlt. Sollte diese Abkühlung, die weit unbedeutender ist, als die fast zur selbm Zeit in Vera Cruz und m der Havana eintretende, nicht oon der westlicheren Lage von Guayra herrühren? Das Luftmeer, das für den oberflächlichen Blick nur Eine Masse bildet, wird durch Strömungen bewegt, deren Grenzen durch unabänderliche Gesetze bestimmt sind. Die Temperatur desselben ändert sich in mannigfacher ' In Paris ist das Mittel des heißesten Monate l9 —2N", demnach um I — 4 Grade niedriger als die mittlere Temperatur des kältesten Monats in Guayra. 281 Weise nach der Gestalt der Länder und der Meere, auf denen es ruht. Man kann es in verschiedene Becken abtheilen, die sich in einander ergießen, und wovon die unruhigsten (wie das über dem Golf von Mexico oder zwischen der Sierra Santa Martha und dem Meerbusen von Darien) merkbaren Einfluß auf Erkältung und Bewegung der benachbarten Luftsäulen äußern. Die Nordwinde verursachen zuweilen im südwestlichen Strich des Meeres der Antillen Stauungen und Gegenströmungen, die in gewissen Monaten die Temperatur bis zur Terra Firma hin herabdrücken. Während meines Aufenthalts in Guayra kannte man die Geißel des gelben Fiebers, der oalknturg. »m^rilla, erst seit zwei Jahren; auch war die Sterblichkeit nicht bedeutend gewesen, da die Küste von Caracas weit weniger von Fremden besucht war als die Havana und Vera Cruz. Man hatte hie und da Leute, selbst Creole» und Farbige, plötzlich an gewissen unregelmäßig remittirenden Fiebern sterben sehen, die durch galligte Complication, durch Blutungen und andere gleich bedenkliche Symptome einige Aehnlichkeit mit dem gelben Fieber zu haben schienen. Es waren meist Menschen, die das anstrengende Geschäft des Holzfällens trieben, zun» Beispiel in den Wäldern bei dem kleinen Hafen von Capurano oder am Meerbusen von Santa Fe, westlich von Cumana. Ihr Tod setzte häusig in Städten, die für sehr gesund galten, nicht ac-climatisirte Europäer in Schrecken, aber die Keime der Krankheit, von denen sie sporadisch befallen worden, pflanzten sich nicht fort. Auf den Küsten von Terra Firma war der eigentliche amerikanische Typhus, vomito prieto (schwarzes Erbrechen) 282 und gelbes Fieber genannt, der als eine Krankheitsform 8ui Fkuerig zu betrachten ist, nur in Porto Cabello, in Cartagena das Indias und in Eanta Martha bekannt, wo ihn Castelbondo schon im Jahr 1729 beobachtet und beschrieben hat. Die kürzlich gelandeten Spanier und die Bewohner des Thales von Caracas scheuten damals den Aufenthalt in Guayra nicht; man beklagte sich nur über die drückende Hitze, die einen großen Theil des Jahres herrschte. Setzte man sich unmittelbar der Sonne aus, so hatte man höchstens die Haut- und Augenentzündungen zu befürchten, die fast überall in der heißen Zone vorkommen und die häusig von Fieberbewegungen und Conge-stionen gegen den Kopf begleitet sind. Viele zogen dem kühlen, aber äußerst veränderlichen Klima von Caracas das heiße, aber beständige von Guayra vor; von ungesunder Luft in diesem Hafen war fast gar nicht die Rede. Seit dem Jahr 1797 ist Alles anders geworden. Der Hafen wurde auch andern Handelsfahrzeugen als denen des Mutterlandes geöffnet. Matrosen aus kälteren Ländern als Spanien, und daher empfindlicher für die klimatischen Einflüsse der heißen Zone, singen an mit Guayra zu verkehren. Da brach das gelbe Fieber aus; vom Typhus befallene Nordamen-kaner wurden in den spanischen Spitälern aufgenommen; man war rasch bei der Hand mit der Behauptung, sie haben die Seuche eingeschleppt und sie sey an Bord einer aus Philadelphia kommenden Brigantine ausgebrochen gewesen, ehe diese auf die Rhede gekommen. Der Capitän der Brigantine stellte solches in Abrede und behauptete, seine Matrosen haben die Krankheit keineswegs eingeschleppt, sondern erst im Hafen 283 bekommen. Nach den Vorgängen in Cadir im Jahr 1800 weiß man, wie schwer es ist, über Fälle ins Reine zu kommen, die in ihrer Zweideutigkeit den entgegengesetztesten Theorien das Wort zu sprechen schienen. Die gebildetsten Einwohner von -Caracas und Guayra waren über das Wesen der Ansteckung beim gelben Fieber getheilter Meinung, so gut wie die Aerzte in Europa und in den Vereinigten Staaten, und beriefen sich auf dasselbe amerikanifche Schiff, die einen, um zu beweifen, daß der Typhus von außen gekommen, die andern, daß er im Lande felbst entstanden. Die der letzteren Ansicht waren, nahmen an, daß das Austreten des Rio de la Guayra eine Veränderung der Luftbefchaffenheit herbeigeführt habe. Dieses Wasser, das meist nicht zehn Zoll tief ist, schwoll nach sechzigstündigem Regen im Gebirge so furchtbar an, daß es Baumstämme und ansehnliche Felsblöcke mit sich fortriß. Das Wasser wurde 30 bis 40 Fuß breit und 10 bis 12 tief. Man meinte, dasselbe sey aus einem unterirdischen Becken ausgebrochen, das sich mittelst Einsickerung des Wassers durch loses, neu urbar gemachtes Erdreich gebildet. Mehrere Häuser wurden von der Fluth weggerissen und die Ueberschwemmung drohte den Magazinen um so mehr Gefahr, als das Stadtthor, durch welches das Wasser allein abfließen konnte, sich zufällig geschlossen hatte. Man mußte in die Mauer der See zu ein Loch schießen; mehr als dreißig Menschen kamen ums Leben und der Schaden wurde auf eine halbe Million Piaster angeschlagen. Das stehende Wasser in den Magazinen, den Kellern und den Gewölben des Gefängnisses mochte immerhin Miasmen in der Luft verbreiten, die als prädisponirende Ursachen den Ausbruch des gelben 284 Fiebers beschleunigt haben können; indessen glaube ich, daß das Austroten des Nio de la Guayra so wenig die erste Ursache desselben war, als die Überschwemmungen dcs Guadalquivir, des Aenil und des Gual-Medina in den Jahren 1800 und 1804 die furchtbaren Epidemien in Sevilla, Ecija und Malaga herbeigeführt haben. Ich habe das Vett des Baches von Guayra genau untersucht und nichts gefunden als dürren Voden und Blöcke von Glimmerschiefer und Gneiß mit eingesprengtem Schwefelkies, die von der Sierra de Avila herunter lommen, aber nichts, was die Luft hätte verunreinigen können. Seit den Jahren 1797 und 1796 (denselben, in denen in Philadelphia, Santa Lucia und St. Domingo die Sterblichkeit so ungemein groß war) hat das gelbe Fieber seine Verheerungen in Guayra fortgesetzt: es wüthete nicht allein unter den frisch aus Spanien angekommenen Truppen, sondern auch unter denen, die fern von der Küste in den Llanos zwischen Calabozo und Uritucu ausgehoben worden, also in einem Lande, das fast so heiß als Gnayra, aber gesund ist. Letzterer Umstand würde uns noch mehr auffallen, wenn wir nicht wüßten, daß sogar Eingeborene von Vera Cruz, die zu Hause den Typhus nicht bekommen, nicht selten in Epidemien in der Havana oder in den Vereinigten Staaten Opfer desselben werden. Wie das schwarze Erbrechen am Abhang der mericanischen Gebirge auf dem Wege nach Xalapa beim Encaro (in 476 Toiscn Meereshöhe), wo mit den Eichen ein kühles, köstliches Klima beginnt, eine unübersteigliche Grenze findet, so geht das gelbe Fieber nicht leicht über den Verqkamm zwischen Guayra und dem Thale von Caracas hinüber. Dieses Thal ist lange Zeit davon 285 verschont geblieben, denn man darf den vomiw, das gelbe Fieber, nicht mit den atactischen «nd den Gallenfiebern verwechseln. Der Cumbre und der Cerw de Avila find eine treffliche Schichwehr für die Stadt Caracas, die etwas höher liegt als der Encaro, die aber eine höhere mittlere Temperatur hat als Xalapa. Bonplands und meine Beobachtungen über die physischen Verhältnisse der Städte, welche periodisch von der Geißel des gelben Fiebers heimgesucht werden, sind anderswo niedergelegt, und es ist hier nicht der Ort, neue Vermuthungen über die Veränderungen in der pathogonischen Constitution mancher Städte zu äußern. Je mehr ich über diesen Gegenstand nachdenke, desto räthselhafter erscheint mir alles, was auf die gasförmigen C'ffluvien Bezug hat, die man mit einem so vielsagenden Wort „Keime der Ansteckung" nennt, und die sich in verdorbener Luft entwickeln, die durch die Kälte zerstört werden, sich durch Kleider verschleppen und an den Wänden der Häuser haften sollen. Wie will man erklären, daß in den achtzehn Jahren vor 1794 in Vera Cruz nicht ein einziger Fall von „Vomito" vorkam, obgleich der Verkehr mit nicht acclimati-sirten Europäern und Mezicanern aus dem Innern sehr stark war, die Matrosen sich denselben Ausschweifungen überließen, über die man noch jetzt klagt, und die Stadt weniger reinlich war, als sie seit dem Jahr 1600 ist? Die Reihenfolge pathologischer Thatsachen, auf ihren einfachsten Ausdruck gebracht, ist folgende. Wenn in einem Hafen des heißen Erdstrichs, der bis jetzt bei den Seeleuten nicht als besonders ungesund verrufen war, viele in kälterem Klima 286 geborene Menschen zugleich ankommen, so tritt der amerikanische Typhus auf. Diese Menschen wurden nicht auf der Ueberfahrt vom Typhus befallen, er bricht erst an Ort und Stelle unter ihnen aus. Ist hier eine Veränderung in der Luftconstitution eingetreten, oder hat sich in Individuen mit sehr gesteigerter Reizbarkeit eine neue Krankheitsform entwickelt? Nicht lailge, so fordert der Typhus seine Opfer auch unter andern, in südlicheren Ländern geborenen Europäern. Theilt er sich durch Ansteckung mit, so ist es zu verwundern, daß er in den Städten des tropischen Festlandes keineswegs sich an gewisse Straßen hält, und daß die unmittelbare Berührung der Kranken die Gefahr so wenig steigert, als Absperrung sie vermindert. Kranke, welche weiter ins Land hinein, namentlich an kühlere, höhere Orte geschasst weiden, z. B. nach Xafapa, stecken die Vewohner dieser Orte nicht an, sey es nun, weil die Krankheit an sich nicht ansteckend ist, sey es, weil die prä-disponirenden Ursachen, die sich an der Küste geltend machen, hier wegfallen. Nimmt die Temperatur bedeutend ab, so hört die Seuche am Ölte, wo sic ausgebrochen, gewöhnlich auf. Mit Eintritt der heißen Jahreszeit, zuweilen weit früher, fängt sie wieder an, obgleich seit mehreren Monaten im Hafen lein Kranker gewesen und kein Schiff eingelaufen ist. Der amerikanische Typhus scheint auf den Küstenstrich beschränkt, sey es nun, weil die, welche ihn einschleppen, hier ans Land kommen und weil hier die Waaren aufgehäuft werden, an denen, wie man meint, giftige Miasmen haften, oder weil sich am Mceresufer eigenthümliche gasförmige Effluvien bilden. Das äußere Ansehen der Orte, wo der Typhus wüthet, 287 scheint oft die Annahme eines örtlichen oder endemischen Ursprungs völlig auszuschließen. Man hat ihn auf den «manschen Inseln, auf den Bermudas, auf den kleinen Antillen herrschen sehen, auf trockenem Boden, in Ländern, deren Klima früher für sehr gesund galt. Die Fälle von Verschleppung des gelben Fiebers ins Binnenland sind in der heißen Zone sehr zweideutig ; die Krankheit kann leicht mit den remittirenden Gallenfiebern verwechselt worden seyn. In der gemäßigten Zone dagegen, wo der amerikanische Typhus entschiedener ansteckend auftritt, hat sich die Seuche unzweifelhaft weit vom Uferland weg, sogar an sehr hochgelegene, frischen, trosenen Winden ausgesetzte Orte verbreitet, so in Spanien nach Medina Si-oonia, nach Carlotta und in die Stadt Murcia. Diese Viel-gcstaltigkeit derselben Seuche räch den verschiedenen Klimaten, nach der Gesammtheit der prädisponirenden Ursachen, nach der längeren oder kürzerm Dauer, nach den Graden der Bösartigkeit muß uns sehr vorsichtig machen, wenn es sich davon handelt, den geheimen Ursachen des amerikanischen Typhus nachzugehen. Ein einsichtsvoller Beobachter, der in den schrecklichen Epidemien der Jahre 1802 und 1803 Oberarzt in der Colonie St. Do-mjngo war und die Krankheit auf Cuba, in den vereinigten Staaten und in Spanien kennen gelernt hat, ist mit mir der Ansicht, daß der Typhus sehr oft ansteckend ist, aber nicht immer. Seit das gelbe Fieber in Guayra so furchtbare Verheerungen angerichtet, hat man nicht verfehlt, die Unreinlich-keit des kleinen Orts zu übertreiben, wie man mit Vera Cruz und den Kais oder warts von Philadelphia gethan. An einem 288 Ort, der auf einem sehr trockenen Voden liegt, fast leinen Pflanzenwuchs hat, und wo in 7—8 Monaten kaum cin paar Tropfen Regen fallen, können der Ursachen der sogenannten schädlichen Miasmen nicht eben sehr viele seyn. Die Straßen von Guayra schienen mir im Allgemeinen zicmlich reinlich, ausgenommen den Stadttheil, wo die Schlachtbänke sind. Auf der Rhede ist nirgends eine Strandstrecke, wo sich zersetzte Tange und Weichthiere anhäufe:,, aber die benachbarte Küste nach Osten, dem Cap Codera zu, also unter dem Winde von Guayra, ist äußerst ungesund. Wechselfieber, Faul- und Gallen-sieber kommen in Macuto und Camvalleda häufig vor, und wenn von Zeit zu Zeit der Seewind dem Westwind Platz macht so kommt aus der kleinen Bucht Catia, deren wir in der Folge oft zu gedenken haben werden, trotz der Schutzwehr dcs Cabo Blanco, eins mit faulen Dünsten geschwängerte Luft auf die Küste von Guayra. Da die Reizbarkeit der Organe bei den nördlichen Völkern so viel stärker ist als bei den südlichen, so ist nicht zu bezweifeln, daß bei größerer Handelsfreiheit und stärkerem und innigerem Verkehr zwischen Ländern mit verschiedenen Klimaten das gelbe Fieber sich über die neue Wclt verbreiten wird. Da hier so viele erregcnde Ursachen zusammenwirken, und Individuen von so verschiedener Organisation denselben ausgesetzt werden, können möglicherweise sogar neue Krankhcitsformen, neue Verstimmungen der Lebenskräfte sich ausbilden. Es ist dieß eines der nothwendigen Uebel im Gefolge fortschreitender Cultur; wer darauf hinweist, wünscht darum keineswegs die Barbarei zurück; ebensowenig theilt er die Ansicht der Leute, die dem 289 Verkehr unter den Völkern gerne eine Ende machten, n-cht um die Häfen in den Colonien vom Seuchengift zu reinigen, sondern um dem Eindringen der Aufklärung zu wehren und die Geistesentwicklung aufzuhalten. Die Nordwinde, welche die kalte Luft von Canada her in den mexikanischen Meerbusen führen, machen periodisch den gelben Fieber und schwarzen Erbrechen in der Havana und in Vera Cruz ein Ende. Aber bei der großen Beständigkeit der Temperatur, wie sie in Porto Cabello, Guayra, Nueva Barcelona und Cumana herrscht, ist zu befürchten, der Typhus möchte dort einheimisch werden, wenn er einmal in Folge des starken Fremdenverkehrs sehr bösartig aufgetreten ist. Glücklicher Weise hat sich die Sterblichkeit vermindert, seit man sich in der Behandlung nach dem Charakter der Epidemien in verschiedenen Jahren richtet, und seit man die verschiedenen Stadien der Krankheit, die Periode der entzündlichen Erscheinungen, und die der Ataxis oder Schwäche, besser kennt und auseinander hält. Es wäre sicher unrecht, in Abrede zu ziehen, daß die neuere Medicin gegen dieses schresliche Uebel schon Bc-deutendes geleistet: aber der Glauben an diese Leistungen ist in den Colonien gar nicht weit verbreitet. Man hört ziemlich allgemein die Aeußerung, „die Aerzte wissen jetzt den Hergang der Krankheit befriedigender zu erklären als früher, sie heilen sie aber keineswegs besser; früher sey man langsam hingestorben, ohne alle Arznei, außer einem Tamarindenaufguß; gegenwärtig führe ein eingreifenderes Heilverfahren rascher und unmittelbarer zum Tode." Wer so spricht, weiß nicht ganz, wie man früher auf Humboldt. Reist. II. 19 290 den Antillen zu Werke ging. Aus der Reise des Paters Lambat kann man ersehen, daß zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts die Aerzte auf den Antillen den Kranken nicht so ruhig sterben ließen, als man meint. Man lödtete damals nisst durch übertriebene und unzeitige Anwendung von Brechmitteln von China und Opium, wohl aber durch wiederholte Aderlässe und übermäßiges Purgiren. Die Aerzte schienen auch mit der Wirkung ihres Verfahrens so gut bekannt, daß sie, sehr treuherzig, „gleich beim ersten Besuch mit Beichtvater und Notar am Krankenbett erschienen." Gegenwärtig bringt man es in reinlichen, gut gehaltenen Spitälern dahin, daß von 100 Kranken nur 15 — 20 und selbst etwas weniger sterben; aber überall, wo die Kranken zu sehr auf einander gehaust sind, steigt die Sterblichkeit auf die Hälfte, wohl gar (wie im Jahr 1802 bei der französischen Armee auf St. Domingo) auf drei Viertheile der Kranken. Ich fand die Breite von Guayra 10" 36' 19", die Länge 69 o 26' 13". Die Inclination der Magnetnadel war am 24. Januar 1600 42« 20, die Declination nach Nordost 4« 30'35"; die Intensität der magnetischen Kraft — 237 Schwingungen. Geht man an der aus Granit gebauten Küste von Guayra gegen West, so kommt man zwischen diesem Hafen, der nur eine schlecht geschützte Nhede ist, und dem Hafen von Porto Cabello an mehrere Ginbuchtungen des Landes, wo die Schisse vortrefflich ankern können. Es sind die kleinen Buchten Catia, los Arecifes, Puerto la Cruz, Choroni, Sienega de Ocumare, Turiamo, Burburata und Patanebo. Alle diese Häfen, mit Ausnahme des von Burburata, aus dem man Maulthiere nach 291 Jamaica ausführt, werden gegenwärtig nur von kleinen Küstenfahrzeugen besucht, die Lebensmittel und Cacao von den benachbarten Pflanzungen laden. Die Einwohner von Caracas, wenigstens die weiter Blickenden, legen einen großen Werth auf den Ankerplatz Catia, westlich von Cabo Blanco. Diesen Kiisten-punkt untersuchten Bonpland und ich während unseres zweiten Aufenthalts in Guayra. Eine Schlucht, unter dem Namen Quebreda de Tipe bekannt, von der weiterhin die Rede seyn wird, zieht sich von der Hochebene von Caracas gegen Catia herunter. Längst geht man mit dem Plane um, durch diese Schlucht einen Fahrweg anzulegen und die alte Straße von Guayra, die beinahe dem Uebergang über den St. Gotthard gleicht, aufzugeben. Nach diesem Plan könnte der Hafen von Catia, der so geräumig als sicher ist, an die Stelle des von Guayra treten. Leider ist dieser ganze Küstenstrich unter dem Winde von Cabo Blanco mit Wurzelbaumen bewachsen und höchst ungesund. Fast nirgends auf der Küste ist es so heiß als in der Nähe von Cabo Blanco. Wir litten sehr durch die Hitze, die durch die Reverberation des dunen, staubigen Bodens noch gesteigert wurde,' die übermäßige Einwirkung des Sonnenlichts hatte indessen keine nachtheiligen Folgen für uns. In Guayra fürchtet man die Insolation und ihren Einfluß auf die Gehirnfunktionen ungemein, besonders zu einer Zeit, wo das gelbe Fieber sich zu zeigen anfängt. Ich stand eines Tages auf dem Dache unseres Hauses, um den Mittagspunkt und dcn Unterschied zwischen dem Thermometerstand in der Sonne und im Schatten zu beobachten, da kam hinter mir ein Mann gelaufen und wollte mir einen Trank aufdrängen, den er 292 fertig in der Hand trug. Es war ein Arzt, der mich von seinem Fenster aus seit einer halben Stunde in bloßem Kopf hatte in der Sonne stehen sehen. Er versicherte mich, da ich ein hoher Nordländer sey, müsse ich nach der Unvorsichtigkeit, die ich eben begangen, unfehlbar noch diesen Abend einen Anfall vom gelben Fieber bekommen, wenn ich kein Präservativ nehme. Diese Prophezeiung, so ernstlich sie gemeint war, beunruhigte mich nicht, da ich mich längst für acclimatisirt hielt; wie konnte ich aber eine Zumuthung ablehnen, die aus so herzlicher Theilnahme entsprang? Ich verschluckte den Trank, und der Arzt mag mich zu den Kranken geschrieben haben, denen er im Laufe des Jahres das Leben gerettet. Nachdem wir Lage und Luftbeschaffenheit von Guayra beschrieben, verlassen wir die Küste des antillischm Meers, um sie bis zu unserer Rückkehr von den Missionen am Orinoco so gut wie nicht wieder zu sehen. Der Weg aus dem Hafen nach Caracas, der Hauptstadt einer Statthalter« von 900,000 Einwohnern, gleicht, wie schon oben bemerkt, den Pässen in den Alpen, dem Weg über den St. Gotthard oder den großen St. Bernhard. Vor meiner Ankunft in der Provinz Venezuela war derselbe nie vermessen worden, und man hatte nicht einmal eine bestimmte Vorstellung davon, wie hoch das Thal von Caracas liegen möge. Man hatte längst bemerkt, daß es von der Cumbre und las Vueltas, dem höchsten Punkt der Straße, nach Pastora am Eingang des Thals von Caracas nicht so weit hinab geht, als zum Hafen von Guayra; .da aber der Avila eine bedeutende Gebirgsmasse ist, so sieht man die zu vergleichenden Punkte nicht zumal. Auch nach dem Klima des 293 Thals von Caracas kann man sich von der Höhe desselben unmöglich einen richtigen Begriff machen. Die Luft daselbst wird durch niedergehende Luftströme abgekühlt, sowie einen großen Theil des Jahrs hindurch durch die Nebel, welche den hohen Gipfel der Silla einhüllen. Ich habe den Weg von Guayra nach Caracas mehrere male zu Fuß gemacht und nach zwölf Punkten, deren Höhe mit dem Barometer bestimmt wrnde, ein Profil desselben entworfen. Ich hätte gerne gesehen, daß meine Vermessung durch einen unterrichteten Reisenden, der nach mir dieses malerische und für den Naturforscher so interessante Land besuchte, wiederholt und verbessert worden wäre: mein Wunsch ist aber bis jetzt nicht in Erfüllung gegangen. Wenn man zur Zeit der stärksten Hitze die glühende Luft Guayras athmet und den Blick auf das Gebirge richtet, so scheint es einem unbegreiflich, daß in gerader Entfernung von 5—6000 To'.sen in einem engen Thal eine Bevölkerung von 40,000 Seelen einer Frühlingskühle genießen soll, einer Temperatur, die bei Nacht auf 12 Grad heruntergeht. Daß auf diese Weise verschiedene Klimate einander nahe gerückt sind, kommt in den ganzen Cordilleren der Anden häufig vor; aber überall, in Mexico, in Quito, in Peru, in Neu-Grenada muh man weit ins Binnenland reisen, entweder über die Ebenen oder auf Strömen hinauf, bis man in die Heerde der Cultur, in die großen Städte, gelangt. Caracas liegt nur ein Dritttheil so hoch als Mexico, Quito und Santa Fe de Bogota-. aber von allen Hauptstädten des spanischen Amerika, die mitten in der heißen Zone ein köstlich kühles Klima haben, liegt Caracas am nächsten an der Küste. Nur drei Meilen in einen 294 Seehafen zu haben und im Gebirge zu liegen, auf einer Hochebene, wo der Weizen gediehe, wenn man nicht lieber Kaffee baute, das sind bedeutende Vortheile. Der Weg von Guayra in das Thal von Caracas ist weit fchöner als der von Honda nach Santa Fe und von Guayaquil nach Quito: er ist fogar besser unterhalten als die alte Straße, die aus dem Hafen von Vera Cruz am Südabhang der Gebirge von Neuspanien nach Perote führt. Man braucht mit guten Maulthieren nur drei Stunden aus dem Hafen von Guayra nach Caracas und zum Rückweg nur zwei, mit Lastthieren oder zu Fuß vier bis fünf Stunden. Man kommt zuerst über einen sehr steilen Felsabhang und über die Stationen Torre Quemada, Curucuti und Salto zu einem großen Wirthshaus (1a veuta), das 600 Toisen über dem Meere liegt. Der Name „verbrannter Thurm" bezieht sich auf den starken Eindruck, den man erhält, wenn man nach Guayra hinuntergeht. Die Hitze, welche die Felswände und vollends die dürre Ebene zu den Füßen ausstrahlen, ist drückend zum Ersticken. Auf diesem Wege und überall/ wo man auf starken Abhängen in ein anderes Klima gelangt, schien mir das Gefühl von gesteigerter Muskelkraft und von Wohlbehagen, das beim Eintritt in kühlere Luftschichten über einen kommt, nicht so stark als umgekehrt die lästige Mattigkeit und Erschlaffung, die einen befällt, wenn man in die heißen Küstenebenen hinuntergeht. Der Mensch ist einmal so geschaffen, daß der Genuß, wenn uns irgendwie leichter wird, nicht so lebhaft ist, als der Eindruck eines neuen Ungemachs, und in der moralischen Welt ist es ja ebenso. 295 Von Curucuti zum Salto ist der Weg etwas weniger steil: durch die Windungen, die er macht, wird die Steigung geringer, wie auf der alten Straße über den Mont Ccnis. Der Salto, „der Sprung," ist eine Spalte, über die eine Zugbrücke führt. Auf der Höhe des Bergs sind förmliche Werke angelegt. Nei der Venta stand der Thermometer um Mittag auf 19«, 3, in Guayra zur selben Zeit auf 36 «2. Da, seit die Neutralen von Zeit zu Zeit in den spanischen Häfen zugelassen wurden, Fremde häufiger nach Caracas gehen durften als nach Mexico, so ist die Venta in Europa und in den Vereinigten Staaten bereits wegen ihrer schönen 3age berühmt. Und allerdings hat man hier bei unbewölktem Himmel e!ne prachtvolle Aussicht über die See und die nahen Küsten. Man hat einen Horizont von mehr als zwciundzwanzig Meilen Halbmesser vor sich; man wird geblendet von der Masse Licht, die der weiße, dürre Strand zurückwirft: zu den Füßen liegen Cabo Blanco, das Dorf Maiquetia mit seinen Cocos-palmen, Guayra und die Schisse, die in den Hafen einlaufen. Ich fand diesen Anblick noch weit überraschender, wenn der Himmel nicht ganz rein ist und Wolkenstreifen, die oben staik beleuchtet sind, gleich schwimmenden Eilanden sich von der unermeßlichen Meeresfläche abheben. Nebelschichten in verschiedenen Höhen bilden Mittelgründe zwischen dem Auge des Beobachters und den Niederungen, und durch eine leicht erklärliche Täuschung wird dadurch die Scenerie großartiger, imposanter. Von Zeit zu Zeit kommen in den Rissen der vom Winde gejagten und sich ballenden Wolken Väume und Wohnungen zum Vorschein, und die Gegenstünde scheinen dann 296 ungleich tiefer unten zu liegen als bei reiner, nach allen Seiten durchsichtiger Luft. Wenn man sich am Abhang der mexicanischen Gebirge (zwischen las Trancas und Xalafta) in derselben Höhe befindet, ist man noch zwölf Meilen von der See entfernt: man sieht die Küste nur undeutlich, während man auf dem Wege von Guayra nach Caracas das Tiefland (die lierrk orients) wie auf cinem Thurme beherrscht. Man denke sich, welchen Eindruck dieser Anblick auf einen machen muß, der im Binnenlands zu Hause ist und an dieser Stelle zum erstenmal das Meer und Schiffe sieht. Ich habe durch unmittelbare Beobachtungen die Breite der Venta ermittelt, um die Entfernung derselben von der Küste genauer angeben zu können. Die Breite ist 10o 33"9"; die Länge des Orts schien mir nach dem Chronometer etwa 2'47" im Bogen westlich von der Stadt Caracas. Ich fand in dieser Höhe die Inclination der Magnetnadel 41", 75, die Intensität der magnetischen Kraft -- 234 Schwingungen. Von der Venta, auch Vsntn, ßlau^L genannt zum Unterschied von drei oder vier andern kleinen Wirthshäusern am Wege, i geht es noch über 150 Toisen hinauf zum Guayavo. Dieß ist beinahe der höchste Punkt der Sttaße, ich ging aber mit dem Barometer noch weiter, etwas über die Cumbre (Gipfel) hinauf, in die Schanze Cuchilla. Da ich keinen Paß hatte (in fünf Jahren bedürfte ich desselben nur bei der Landung), so wäre ich beinahe von einem Artillerieposten verhaftet worden. Um die alten Soldaten zu besänftigen, über- ' Damals, jetzt find fast alle zerstört. 297 setzte ich ihnen in spanische Vares, wie viel Toisen der Posten über dem Meere liegt. Daran schien ihnen sehr wenig gelegen und wenn sie mich gehen ließen, so verdanke ich es einem Andalusier, der gar freundlich wurde, als ich ihm sagte, die Berge seines Heimatblandes, die Sierra Nevada de Grenada, seyen viel höher als alle Berge in der Provinz Caracas. Die Schanze Cuchilla liegt so hoch wie der Gipfel des Puy de Dome und etwa 150 Toisen niedriger als die Post auf dem Mont Cenis. Da die Stadt Caracas, die Venta del Guayavo und der Hafen von Guayra so nahe bei einander liegen, hätten Bonpland und ich gerne ein paar Tage hinter einander die kleinen Schwankungen des Barometers gleichzeitig in einem schmalen Thale, auf einer dem Wind ausgesetzten Hochebene und an der Meereslüste beobachtet: aber die Luft war während unseres Aufenthaltes an diesen Orten nicht ruhig genug dazu. Ueberdem besah ich auch nicht den dreifachen meteorologischen Apparat, der zu dieser Beobachtung erforderlich ist, die ich Naturforschern, die nach mir das Land be-suchcn, empfehlen möchte. Als ich zum erstenmal über diese Hochebene nach der Hauptstadt von Venezuela ging, traf ich vor dem kleinen Wirthshaus auf dem Guayavo viele Reisende, die ihre Maulthiere ausruhen ließen. Es waren Einwohner von Caracas; sie stritten über den Aufstand zur Befreiung des Landes, der kurz zuvor stattgefunden. Joseph Espana hatte auf dem Schassot geendet: sein Weib schmachtete im Gefängniß, weil sie ihren Mann auf der Flucht bei sich aufgenommen und nicht der Regierung angegeben hatte. Die Aufregung der Humboldt. Reise. II. If) 298 Gemüther, die Bitterkeit, mit der man über Fragen stritt, üder die Landsleute nie verschiedener Mcinung seyn sollten" sielen mir ungemcin auf. Während man ein Langes und Breites über den Has; der Mulatten gegen die freien Neger und die Weißen, über den Reichthum der Mönche uüd die Mühe, die man habe, die Sklaven in der Zucht zu halten verhandelte, hüllte uns ein kalter Wind, dcr vom hohen Gipf/l der Silla herab zu kommen schien, in einen dicken Nebel und machte der lebhaften Unterhaltung ein Ende; man suchte Schutz in der Venta. In der Wirthsstube machte ein bejahrter Mann, der vorhin am ruhigsten gesprochen hatte, die andern darauf aufmerksam, wie unvorsichtig es sey, zu einer Zeit wo überall Angeber lauern, sey es auf dem Berge oder in der Stadt, über politische Gegenstände zu verhandeln. Diese in der Bergcinöde gesprochenen Worte machten einen tiefen Eindruck auf mich, und ich sollte denselben auf unsern Reisen durch die Anden von Neu-Grcnada und Peru noch oft erhalten. Ili Europa, wo die Völker ihre Streitigkeiten in den Ebenen schlichten, steigt man auf dle Berge, um Einsamkeit und Freiheit zu suchen; m der neuen Welt aber sind die Cor-dill.ren bis zu zwölftaufend Fuß Meereshöhe bewohnt. Die Menschen tragen ihre bürgerlichen Zwiste, wie ihre kleinlichen, gehässigen Leidenschaften mit hinauf. Aus dem Rücken der Anden, wo die Entdeckung von Erzgängen zur Gründung von Slädten geführt hat, stehen Spielhäuser, und in diesen weiten Einöden, fast über der Region der Wolken, in eincr Natur-umgcbung, die dem Geiste höheren Schwung geben sollte, wird gar oft durch die Kunde, baß der Hof ein Ordenözeichen 299 oder einen Titel nicht bewilligt habe, das Glück der Familien gestört. ^ Ob man auf den weiten Meercshorizont hinausblickt oder nach Südost, nach dem gezacktcn Felskamm, der scheinbar die Cumbre mit der Silla verbindet, wahrend die Schlucht (Quebrada) Tocume dazwischen liegt, überall bewundert man den großartigen Charakter der Landschaft. Von Guayavo an gebt man einc halbe Stunde über ein ebenes mit Alppflanzen bewachsenes Plateau. Dieses Stück des Wegs heißt der vielen Krümmungen wegen las Vueltas. Etwas weiter oben liegen die Mehlmagazine, welche die Gesellschaft von Guipuzcoa, während der Handel und die Versorgung von Caracas mit Lcbensmitteln ihr ausschließliches Monopol war, an einem schr kühlen Ort hatte errichten lassen. Auf dem Wege der Vueltas sieht man zum erstenmal die Hauptstadt dreihundert Toisen tiVfcr in einem mit Kaffeebäumen und europäischen Obstdäumcn üppig bepflanzten Thale liegen. Die Reisenden machen gewöhnlich Halt bei einer schönen Quelle, genannt Fuenle de Canchorquiz, die auf fallenden Gneißschichtcn von d.r Sierra herabkommt. Ich fand die Temperatur derselben 16 ",4, was für eine Höhe von 726 Toisen bedeutend kühl ist. Dieses klare Wasser mü^te denen, die davon trinken, noch kälter vorkommen, wenn die Quelle, statt zwischen der Cumbre und dem gemäßigten Thale von Caracas, auf dem AbHange geM Guayra hin entspränge. Ich habe aber die Bemerkung gemacht, daß an diesem, dem Nordabhang des Vergs die Schichten (cine in diesem Lande seltene Ausnahme) nicht nach Nordwest, sondern nach Südost fallen, was Schuld daran seyn 300 mag, daß die unterirdischen Gewässer dort keine Quellen bilden können. Von der kleinen Schlucht Sanchorquiz an geht es beständig abwärts bis zum Kreuz von Guayra, das auf einem offenen Platze 632 Toisen über dem Meere steht und von da an, bei den Zollhäusern vorbei und durch das Quartier Pastora, in die Stadt Caracas. NRRODNR IN UNIUERZITETNR KNJI2NICR 2222236122I