Älelünder »«» Humboldt'« Reise in dir AeMnoctial-Gegenden des neuen Continents. In deutscher Bearbeitung Hermann Hauff. Nach der Anordnung und unter Mitwirkung deb Verfassers. Einzige von A. e. Humboldt anelfanut« Ausgabt in dlulscher Spracht. Fünfter Band. Stuttgart. I. G. C o t t a ' s ch e r Verlag. 1862. OHIX3O^Z5? Vllchdruckllti d«l I. ss'. Vc'tla'schcn Vuchhnr.blung in Stuttgart und Tliigsl'xrss. EinundMllnziglies Kapitel. Der Raudal von Garcita. — MaypurcS. — Die Katarakten von Qulttuna. — Der Einfluß des Vichada und Zama. — Dcr Fcls Aricagua. — Siquita. Unsere Pirogue lag im Puerto 6s »rrida, ol'crliald des Kataralts von Atures. dem Einfluß des Rio Cataniapo gegenüber: wir bracben dahin auf. Auf dcm schmalen Wege. der zum Landungsplatze fuhrt, sahcn wir den Pic Uuiana zum letztenmal. Er erschien wie eine über dem Horizont dcr Ebenen aufsteigende Wolke. Die Guahibos-Indianer zichen am Fuß dieser Gebirge umher und gehen bis zum Rio Vicbada. Man zeigte uns von weitem rechts vom Fluß die Felsen bei der Höhle von Ataruive; wir hatten aber nicht Zeit, diese Gral?« statte dcs ausgestoibenen Stammes der Atures zu besuchen. Wir bedauerten dieß um so mehr, da Pater Zea nicht müd.: wurde, uns von den mit Onoto bemalten Skeletten in der Höhle, von den großen Gefäßen aus gebrannter Erde, in wclä-cn je die Gebeine einer Familie zu liegen scheinen, und vvn viclcn andern merkwürdigen Dingen zu erzählen, so daß wir uns vcr» nahmen, dieselben auf der Rückreise vom Nio Negro in Augen« schein zu nebmen. „Sie werden es kaum glauben," sagte dcr Humbplbt, Rtlse. V. 1 Missionär, „daß diese Gerippe, diele bemalte» Töpfe, diese Dinge, von denen wir meinten, lein Mensch in der Welt wisse davon, mir und meinem Nachbar, dem Missionär von Carichana, Unglück gebracht haben. Sie haben geseben, wie elend ich in den Naudales lebe, von den Moskitos gefressen, oft nicht einmal Vananen und Manioc im Hause! Und dcn.ioch tiabe ich Neider in diesem Lande gefunden. Ein Weißer, der auf drn Weiden zwischen dem Mcta und dem Afture lebt, hat kürzlich der Audiencia in Caracas die Anzeige gemacht, ich habe einen Schatz, den ich mit dem Missionär vo:i Carichana gefunden, unter den Gräbern der Indianer versteckt. Man behauptet, die Jesuiten in Santa Fe de Bogota haben zum voraus gewußt, daß die Gesellschaft werde aufgehoben werden: da haben sie ihr Geld und ihre kostbaren Gefäße bei Seite schaffen wollen und dieselben auf dem Nio Meta oder auf dem Vichada an den Orinoco geschickt, mit dem Befehl, sie auf den Inseln mitten in den Naudales zu verstecken. Diesen Schatz nun soll ich ohne Wissen meiner Obern mir zugeeignet haben. Die Au-dicncia von Caracas führte beim Statthalter von Guyana Klage, und wir erhielten Vefehl, persönlich zu erscheinen. Wir muh» ten ganz umsonst eine Neise von hundert fünfzig Meilen machen, und es half nichts, daß wir erklärten, wir haben in den Höhlen nichts gefunden als Menschengcbeine, Marder und vertrocknete Fledermäuse: man ernannte mit großer Wichtigkeit Commissure, die. sich Hieher begeben und an Ort und Stelle inspicircu sollen, was noch vom Schatze der Jesuiten vorhanden sey. Aber wir können lange auf die Commissure warten. Wenn sie auf dem Orinoco bis Sau Vorja hercmfkommcn, wcrdcn sie vor 2 den Moskitos Angst betommen und nicht weiter gehen. In der Mückenwolke (nubo 6e mo8cu8), in der wir in den Raudales stecken, ist man gut geborgen." Diese Geschichte des Missionärs wurde uns später in Angostura aus dem Munde dcs Statthalters vollkommen bestätigt. Zufällige Umstände geben zu den seltsamsten Vermuthungen Anlaß. In den Höhlen, wo die Mumien und Skelette der Atures liegen, ja mitten in den Katarakten, auf den unzugänglichsten Inseln fanden die Indianer vor langer Zeit eisenbeschlagene Kisten mit verschiedenen europäischen Werkzeugen, Resten von Kleidungsstücken, Rosenkränzen und Glaswaaren. Man vermuthete, die Gegenstände haben portugiesischen Handelsleuten vom Rio Negro und Gran-Para angehört, die vor der Niederlassung der Jesuiten am Orinoco über Trageplätze und die Flußverbindungen im Innern nach Atures heraufkamen und mit den Eingeborenen Handel trieben. Die Portugiesen, glaubte man, seyen den Seuchen. die in den Raudalcs so häufig sind, erlegen und ihre Kisten den Indianern in die Hände gefallen, die, wenn sie wohlhabend sind, sich mit dem Kostbarsten, was sie im Leben besaßen, beerdigen lassen. Nach diesen zweifelhaften Geschichten wurde das Mährchen ron einem versteckten Schatze geschmiedet. Wie in den Anden von Quito jedes in Trümmern liegende Banwerk, sogar die Grundmauern der Pyramide», welche die französischen Akademiker bei der Messung des Meridians errichtet, für cin Ine», pilln, das heißt für ein Wcrk des Iiica gilt, so kann am Orinoco jeder verborgene Schatz nur einem Orden gehört haben, der ohne Zweifel die Missionen besser verwaltet hat, als Kapuziner und 3 Observanten, dessen Reichthum und dessen Verdienste um die Civilisation der Indianer aber sehr übertrieben worden sind. Als die Jesuiten in Santa Fe verhaftet wurden, fand man bei ihnen keineswegs die Haufen von Piastern, die Smaragde von Muzo, die Goldbarren von Choco, die sie den Widersachern der Gesellschaft zufolge besitzen sollten. Man zog daraus den falschen Schluß, die Schätze seyen allerdings vorhanden gewesen, aber treuen Indianern überantwortet und in den Katarakten des Orinoco bis zur einstigen Wiederherstellung des Ordens versteckt worden. Ich kann ein achtbares Zeugniß beibringen, aus dem unzweifelhaft hervorgeht, daß der Viceköm'g von Neu-Grenada die Jesuiten vor der ihnen drohenden Gefahr nicht gewarnt hatte. Don Vicente Orosco, ein spanischer Genieofficier, erzählte mir in Angostura, er habe mit Don Manuel Centurion den Auftrag gehabt, die Missionäre in Carichana zu verhaften, und dabei sey ihnen eine indianische Pirogue begegnet, die den Rio Meta herabkam. Da dieses Fahrzeug mit Indianern bemannt war, die keine der Landessprachen verstanden, so erregte sein Erscheinen Verdacht. Nach langem fruchtlosem Suchen fand man eine Flasche mit einem Briefe, in dem der in Santa Fe residirende Superior der Gesellschaft die Missionäre am Orinoco von den Verfolgungen benachrichtigte, welche die Jesuiten in Neu-Grenada zu erleiden gehabt. Der Brief forderte zu keinerlei Vorsichtsmaßregeln auf; er war kurz, unzweideutig und voll Respekt vor der Regierung, deren Befehle mit unnöthiger, unvernünftiger Strenge vollzogen wurven. Acht Indianer von Atures hatten unsere Pirogue durch die Naudales geschasst- sie schienen mit dem mäßigen Lohne, der 4 ihnen gereicht wurde,' gar wohl zufrieden. Das Geschäft bringt ihnen wenig ein, und um einen richtigen Begriff von den jämmerlichen Zuständen und dem Darnieder liegen des Handels in den Missionen am Orinoco zu geben, merke ich hier an, daß der Missionär in drei Jahren, außer den Fahrzeugen, welche der Commandant von San Carlos am Nio Negro jährlich nach Angostura schickt, um die Löhnung der Truppen zu holen, nicht mehr als fünf Piroguen vom obern Orinoco, die zur Schild-kröteneierernte fuhren, und acht mit Handelsgut beladene Ca-noes sah. Am 17. April. Nach dreistündigem Marsch kamen wir gegen eilf Uhr Morgens bei unserem Fahrzeug an. Pater Zea ließ mit unsern Instrumenten den wenigen Mundvorrath einschiffen, den man für die Neise, die er mit uns fortsetzen sollte, hatte auftreiben können: cm paar Bananenbüschel, Manioc und Hühner. Dicht am Landungsplatz fuhren wir am Einfluß die Cataniafto vorbei, eines kleinen Flusses, an dessen Ufern, drei Tagereisen weit, die Macos oder Piaroas hausen, die zur großen Familie der Salivas-Völker gehören. Wir haben oben Gelegenheit gehabt , ihre Gutmüthigfeit und ihre Neigung zur Landwirthschaft zu rühmen. Im Weiterfahren fanden wir den Orinoco frei von Klippen, und nach einigen Stunden gingen wir über den Raudal von Garcita, dessen Stromschnellen bei Hochwasser leicht zu überwinden sind. Im Osten kommt die kleine Bergkette Cu-madaminari zum Vorschein, die aus Gneiß, nicht aus geschichtetem Granit besteht. Auffallend war uns eine Reihe großer ' Kaum 3N Sons der Mann. 5 6 Löcher mchr als 180 Fuß l'iber dem jetzigen Spiegel des Orinoco, die dennoch vom Wasser ausgewaschen scheinen. Wir werden später sehen, daß diese Erscheinung beinabe in derselben Höhe an den Felsen neben den Katarakten von May< pures und 50 Meilen gegen Ost beim Einfluß des Rio Iao vorkommt. Wir übernachteten im Freien am linken Stromufer unterhalb der Insel Tomo. Die Nacht war schön und hell, aber die Moskitoschicht nahe am Boden so dick, daß ich mit dem Nivellement des künstlichen Horizonts nicht sertig werden konnte und um die Eternbeobachtung kam. Ein Queck-silberhorizont wäre mir auf dicser Reise von großem Nutzen gewesen. '" Am 18. April. Wir brachen um drei Uhr Morgens auf, um desto sicherer vor Einbruch der Nacht den unter dem Namen K»u6»l 6ß 6ualn'l)<>8 bekannten Katarakt zu erreichen. Wir legten am Einfluß des Rio Tomo an- die Indianer lagerten sich am Ufer, um ihr Esscn zu bereiten und ein wenig zu ruhen. Es war gegen füuf Uh? Abends, als wir vor dem Raudal ankamen. Es war keine geringe Aufgabe, die Strömung hinaufzukommen und eine Wasscrmasse zu überwinden, die sich von einer mehrere Fuß hohen Gneißbank stürzt. Ein Indianer schwamm auf den Fels zu, der den Fall in zwei Hälften theilt,-man band ein Seil an die Spitze desselben, und nachdem man die Pirogue nahe genug hingezogen, schiffte man mitten im Raudal unsere Instrumente, unsere getrockneten Pflanzen und die wenigen Lebensmittel, die wir in Atures halten auftreiben können, aus. Zu unserer Ueberrafchung sahen wir, daß auf dem natürlichen Wehr, über das sich der Strom stürzt, ein beträchtliches Stück Boden trocken liegt. Hier blieben wir stehen und sahen unsere Pirogue heraufschaffen. Der Gneißfels hat kreisrunde Löcher, von denen die größten 4 Fuß tief und 18 Zoll weit sind. In diesen Trichtern liegen Quarzkiesel und sie scheinen durch die Reibung vom Wasser umhergerollter Körper entstanden zu seyn. Unser Standpunkt mitten im Katarakt war sonderbar, aber durchaus nicht gefährlich. Unser Begleiter, der Missionär, bekam feinen Fieberanfall. Um ihm den quälenden Durst zu löschen, kamen wir auf den Einfall, ihm in einem der Felslöcher einen kühlenden Trank zu bereiten. Wir hatten von Atures einen Mapire (im dianischen Korb) mit Zucker, Citronen und Grenadillen oder Früchten der Passionsblumen, von den Spaniern Parchas genannt, mitgenommen. Da wir gar kein großes Gefäß hatten, in dem man Flüssigkeiten mischen konnte, so goß man mit einer Tut uma (Frucht der Or^oenti» Outete) Flußwasser in eines der Löcher und that den Zucker und den Saft der sau reu Früchte dazu. In wenigen Augenblicken hatten wir ein treffliches Getränke: es war das fast eine Schwelgerei am unwirth-baren Ort: aber der Drang des Bedürfnisses machte uns von Tag zu Tag erfinderischer. Nachdem wir unsern Durst gelöscht, hatten wir große Lust zu baden. Wir untersuchten genau den schmalen Felsdamm, auf dem wir standen, und bemerkten, daß er in seinem ober» Theile kleine Buchten bildete, in denen das Wasser ruhig und klar war, und so badeten wir denn ganz behaglich beim Getöse des Katarakts und dem Geschrei unserer Indianer. Ich erwähne dieser kleinen Umstände, einmal weil sie unsere Art 7 8 zu reiscn lebendig schildern, und dann weil sie allen, die große Reisen zu unternehmen gedenken, augenscheinlich zeigen, wie man unter allen Umständen im Leben sich Genuß verschaffen kaun. Nach ciuer Stunde Harrens sahen wir endlich die Pirogue über den Nauval herauskommen. Man lud die Instrumente und Vorrülhe wieder ein und wir eilten vom Felsen der Gua-hibos wegzukommen. Es begann jcht eine Fahrt, die nicht ganz gefahrlos war. Der Fluß ist 800 Toisen breit, und wir wußten oberhalb des Katarakts schief darüber fahren, an einem Punkt, wo das Wasser, weil das Vett stärker fällt, dem Wehr zu. über das eI sich stürzt, mit großer Gewalt hinunterzicht. Wir wurden von einem Gewitter überrascht, bei dem zum Glück lein starker Wind ging, aber der Negen goß in Strömen nicdcr. Man ruderte bereits seit zwanzig Minuten und der Steuermann behauptete immer, statt stroman kommen wir wieder dein Nau-dal näher. Diese Augenblicke der Spannung kamen uns gewaltig la:ig ror. Die Indianer sprachen nur leise, wie immer, wen» sie in einer verfänglichen Lage zu seyn glauben. In-dcssc» verdoppelten sie ihre Anstrengungen, und wir langten chne Unfall mit Einbruch der Nacht im Hafen von Maypurcö an. Die Gewitter unter den Tropen sind eben so kurz als heftig. Zwei Blitzschläge waren ganz nahe an unserer Pirogue gefallen, und der Vlitz hatte dabei unzweifelhaft ins Wasser geschlagen. Ich führe diesen Fall an, weil man in diesen Ländern ziemlich allgemein glaubt, die Wolken, die auf ihrer Oberfläche clcknisch geladen sind, stehen so hoch, daß der Blitz seltener in den Acdcn schlage als in Europa. Die Nacht war schr finster. Wir hatten noch zwei Stunden Wegs zum Torfe Maypures, und wir waren bis auf die Haut durchnäßt. Wie der Regen nachließ, kamen auch die Zancudos wieder mit dem Heißhunger, den die Schnaken nach einem Gewitter immer zeigen. Meine Gefährten waren unschlüssig, ob wir im H^fen im Freien lagern oder troh der dui.leln Nacht unsern We,, zu Fuß fortsetzen sollten. Pater Iea, der in beiden Naudales Missionär ist, wollte durch« aus noch nach Hause kommen. Er hatte angefangen sich durch die Indianer in der Mission ein großes Haus von zwei Stockwerten bauen zu lassen. „Sie finden dort," meinte er naiv, „dieselbe Bequemlichkeit wie im Freien. Freilich habe ich weder Tisch noch Äank, aber sie hatten nicht so viel von den Mücken zu leiden: denn so unverschämt sind sie in der Mission doch nicht wie am Fluß." Wir folgt.n dem Nalh tcs Missicr.ars und er ließ Ccval-fackeln anzünden, vcn denen oben die Ncde war, drei Zoll dicke, mit Harz gefüllte Nöhrcn von Baumwurzeln. Wir gingen anfangs über kahle, glatte Felobante, und dann kamen wir in sehr dichtes Palmgehölz. Zweimal mußten wir auf Baumstämmen über einen Bach gehen. Bereits waren die Fackeln erloschen; dieselben sind wunderlich zusammengesetzt (oer hölzerne Docht umgibt das Har), geben mehr Nauch als Licht und gehen leicht aus. Unser Geführte, Ton Nicolaus Solo, verlor das Gleichgewicht, als er auf cincm runden Stamm über den Sumpf ging. Wir waren anfangs sehr besorgt um ihn, da wir nicht wußten, wie hoch er hinunlergcfalle» war. Zum Glück war der Grund nicht lief und er hatte sich nicht verletzt. Der indianische Steuermann, der sich ziemlich fertig auf spanisch 9 10 ausdrückte, ermangelte nicht, davon M sprechen, daß wir leicht von Ottern, Wasserschlangci: und Tigern angegriffen werden könnten. Solches ist eigentlich die obligate Unterhaltung, wenn man Nachts mit den Eingeborenen unterwegs ist. Die Indianer glauben, wenn sie dem europäischen Reisenden Angst einjagen, sich nothwendiger zu machen und das Vertrauen des Fremden zu gewinnen. Der plumpste Vursche in den Missionen ist mit den Kniffen bekannt, wie sie überall im Schwange sind, wo Menschen von sehr verschiedenem Stand und Bildungsgrad mit einander verkehren. Unter dem absoluten und hie und da etwas quälerischen Regiment der Möncke sucht er seine Lage durch die kleinen Kunstgriffe zu verbessern, welche die Waffen der Kindheit und jeder physischen und geistigen Schwäche sind. Da wir in der Mission San Jose de Maypures in der Nacht ankamen, fiel uns der Anblick und die Verödung des Orts doppell auf. Die Indianer lagen im tiefsten Schlaf: man hörte nichts als das Geschrei der Nachtvögel und das serne Tosen des Katarakts. In der Stille der Nacht, in dieser tiefen Ruhe der Natur hat das eintönige Brausen eines Wasserfalls etwas Niederschlagendes, Drohendes. Wir blieben drei Tage in Maypures, einem kleinen Dorfe, das von Don Jose Solano bei der Grenzexpedition gegründet wurde, und das noch malerischer, man kann wohl sagen wundervoller liegt als Atures. Der Raudal von Maypures, von den Indianern Quit« tuna genannt, entsteht, wie alle Wasserfälle, durch den Widerstand den der Fluß findet, indem er sich durch einen Felsgrat oder eine Bergkette Bahn bricht. Wer den Charakter des Orts kennen lernen will, den verweise ich auf den Plan, den ich an 11 Ort und Stelle aufgenommen, um dem Generalgouverneur von Caracas den Beweis zu liefern, daß sich der Raudal umgehen und die Schifffahrt bedeutend erleichtern ließe, wenn man zwischen zwei Nebenflüssen des Orinoco, in einem Thal, das früher das Strombett gewesen zu seyn scheint, einen Canal anlegte. Die hohen Verge Cunavami und Calitamini, zwischen den Quellen der Flüsse Cataniapo und Ventuari, laufen gegen West in eine Kette von Granithügeln aus. Von dieser Kette kommen drei Flüßchen herab, die den Katarakt von Maypures gleichsam umfassen, nämlich am östlichen Ufer der Sanariapo, am westlichen der Cameji und der Toparo. Dem Dorfe Maypures gegenüber ziehen sich die Verge in einem Bogen zurück und'bilden, wie eine felsigte Küste, eine nach Südwest offene Bucht. Zwischen dem Einfluß des Toparo und dem des Sanariapo, am westlichen Ende dieses großartigen Amphitheaters, ist der Durchbruch des Stromes erfolgt. Gegenwärtig fließt der Orinoco am Fuß der östlichen Bergkette. Vom westlichen Landstrich hat er sich ganz weggezogen, und dort, in einem tiefen Grunde, erkennt man noch leicht das alte Ufer. Eine Grasflur, kaum dreißig Fuß über dem mittleren Wasserstand, breitet sich von diesem trockenen Grunde bis zu den Katarakten aus. Hier steht aus Palmstümmen die lleine Kirche von Maypures und umher sieben oder acht Hütten. Im trockenen Grund, der in gerader Linie von Süd nach Nord läuft, vom Cameji zum Toparo, liegen eine Menge einzeln stehender Granithügel, ganz ähnlich denen, die als Inseln und Klippen im jetzigen Strombett stehen. Diese ganz ähnliche Gestaltung fiel mir auf, als ich die Felsen Keri und Oco in. 12 verlassenen Strombett westlich von Mayvures mit den Inseln Ouvitari und Camanitamini verglich, die östlich von der Mission gleich alten Vurgcn mitlcn aus den Katarakten ragen. Der geologische Charakter der Gcgcnd, das iuselhafte Ansehen auch der vom gegenwärtigen Stromuscr entlegensten Hügel, die Lücher, welche das Nasser in, Fclscn Oco ausgespült zu haben scheint, und die genau im selben Niveau liegen (23—39 Toisen hoch) wie die Höhlungen an der Insel Ouvitari gegenüber — alle diese Umstände zusammen belrcisen, daß diese ganze, jetzt trcckene Bucht ehemals unter Wasser stan^. Das Wasser bil« dete hier wahrscheinlich eine» See, da es wegen des Dammes gegen Nord nicht abfließen konnte; als aber dieser Damm durchbrechen wurde, erschien die Graeflur um die Mission zuerst als eine ganz niedrige, von zwei Armen desselben Flusses um» gcbene Insel. Man kann annehmen, der Orinoco habe noch eine Zci:lang den Grund ausgefüllt, den wir nach dem Fels, der darin steht, den Kcri-Giund nennen wolle«: erst als das Wasser allmählig siel, zog es sich ganz gegen die östliche Kctte und keß den westlichen Stromarm trocken liegen. Streifen, deren schwarze Farbe ohne Zweifel von Eisen- und Manganorydcn he» rührt, scheinen die Nichtigkeit dieser Ansicht zu beweisen. Man findet dieselben auf allem Gestein, weit weg von der Mission und sie weifen darauf hin, daß hier einst das Wasser gestanden. Geht man den Fluß hinauf, so ladet man die Fahrzeuge am Einfluß des Tcparo in den Orinoco aus und übergibt sie den Eingeborenen, die den Raudal so genau kennen, daß sie für jede Staffel einen besondern Namen haben. Sie bringen die Canoes bis zum Einfluß des Cameju, wo die Gefahr für überstanden gilt. 13 Der Katarakt von Quilluna oder Maypures stellt sich in den zwei Zeitpunkten, in dcnen ich denselben beim Hinab- und beim Hinauffahren beobachten konnte, unter folgendem Vilde dar. Er besteht, wie der von Mapara oder Nturcs, aus einem Archipel von Inseln, die auf einer Strecke von 3000 Toisen das Strombett verstopfen, und aus Fclsdämmen zwischen diesen Inseln. Die berufensten unter diesen Dämmen cdcr natürlichen Wehren sind: Purimarimi, Manimi und dcr 8klto äe Ia 8är6in» (dcr Eardcllensprung). Ich nenne sie in der Ordnung, wie ich sie von Süd nach Nord auf einander folgen sah. Die letztere dieser drei Slasfcln ist gegen neun Fuß hoch und bildet, ihrer Breite wegen, einen prachtvollen Fall. Aber, ich muß das wiederholen, das Getöse, mit dem die Wasser niederstürzen, gegen einander stoßen und zerstäuben, hängt nicht sowohl von der absoluten Höbe jeder Staffel, jcdcs Querdammes ab, als vielmehr von der Menge der Stvudcl, von der Stellung der Inseln und Klippen am F»s; dcr Naudalilos oder partiellen Mlle, von dcr größeren oder geringeren Weite dcr Kanüle, in denen das Fahrwasser oft nur 30—30 Fuh breit ist. Die östliche Hälfte der Katarakten von Maypures ist weit gefährlicher als die wcstlicke, wcßhalb auch die indianischen Steuerleute die Canoes vorzugsweise am linken Ufer hinauf- und hinabschaffen. Leider liegt bei niedrigem Wasser dieses Ufer zum Theil trocken, und dann muß man die Piroqucn tragen, das heißt auf Walzen oder runden Baumstämmen schleppen. Wir habcn schon oben bemerkt, das; bci Hochwasscr (aber nur dann) der Raudal von Maypurcs leichter zu Passiren ist als der von Atures. 14 Um diese wilde Landschaft in ihrer ganzen Großartigkeit mit Einem Blicke zu umfassen, muh man sich auf den Hügel Manimi stellen, cinen Granitgrat, der nördlich von der Missionskirche aus der Savane aufsteigt und nichts ist als eine Fortsetzung der Staffeln, aus denen der Raudalito Manimi besteht. Wir waren oft auf diesem Berge, denn man sieht sich nicht satt an diesem außerordentlichen Schauspiel in einem der entlegensten Erdwintel. Hat man den Gipfel des Felsen erreicht, so liegt auf einmal, eine Meile weit, eine Schaumfläche vor einem da, aus der ungeheure Cteinmassen eisenschwarz aufragen. Die einen sind, je zwci und zwei beisammen, abgerundete Massen, Basallhügeln ähnlich i andere gleichen Thürmen, Castellcn, zerfallenen ^Gebäuden. Ihre düstere Färbung hebt sich scharf vom Silberglanze des Wafserschaums ab. Jeder Fels, jede Insel ist mit Gruppen kräftiger Bäume bewachsen. Vom Fuß dieser Felsen an schwebt, so weit das Auge reicht, eine dichte Dunstmasse über dem Strom, und über dem weißlichen Nebel schießt der Wipfel der hohen Palmen empor. Diese großartigen Gewächse — wie nennt man sie? Ich glaube es ist der Vadgiai, eine neue Art der Gattung Orsoäox»,, deren Stamm über 60 Fuß hoch ist. Die cinen Fcderbusch bildenden Blätter dieser Palme sind sehr glänzend und steigen fast gerade himmelan. Zu jeder Tagesstunde nimmt sich die Schaumfläche wie« der anders aus. Bald werfen die hohen Eilande und die Palmen ihre gewaltigen Schalten darüber, bald bricht sich der Strahl der untergehenden Sonne in der feuchten Volte, die den Katarakt einhüllt. Farbige Voaen bilden sich, verschwinden und erscheinen wieder, und im Epicl der Lüfte schwebt ihr Vild übcv der Fläche. . 15 Solches ist der Charakter der Landschaft, wie sie auf dem Hügel Manimi vor einem liegt, und die noch kein Reisender beschrieben hat. Ich wiederhole, was ich schon einmal geäußert: weder die Zeit, noch der Anblick der Cordilleren und der Aufenthalt in den gemäßigten Thälern v?n Mexico haben den tiefen Eindruck verwischt, den das Schauspiel der Katarakten auf mich gemacht. Lese ich eine Beschreibung indischer Landschaften, deren Hauptreize strömende Wasser und ein kräftiger Pflanzenwuchs sind, so schwebt mir ein Schaummeer vor, und Palmen, deren Kronen über einer Dunftschicht emporragen. Es ist mit den großartigen Natursccnen, wie mit dem Höchsten in Poesie und Kunst: sie lassen Erinnerungen zurück, die immer wieder wach werden und sich unser Lebcnlang in unsere Empfindung mischen, so oft etwas Großes und Schönes uns die Seele bewegt. Die Stille in der Luft und das Toben der Wasser bilden einen Gegensatz, wie er diesem Himmelsstriche eigenthümlich ist. Nie bewegt hier ein Windhauch das Laub der Väume, nie trübt eine Wolke den Glanz des blauen Himmelsgewölbes: eine gewaltige Lichtmasse ist durch die Luft verbreitet, über dem Boden, den Gewächse mit glänzenden Blättern bedecken, über dem Strom, der sich unabsehbar hinbreitet. Dieser Anblick hat für den Reisenden, der im Norden von Europa zu Hause ist, etwas ganz Befremdendes. Stellt er sich eine wilde Landschaft vor, einen Strom, der von Fcls zu Fels niederstürzt, so denkt er sich auch cm Klima dazu, in dem gar oft der Donner aus dem Gewölk mit dcm Donner der Wasserfälle sich mischt, wo am düstetn, nebligten Tage dir Wolken in das Tha! herunter steigen 16 und in dm Wipfeln der Tannen h'wgcn. In dcn Niederungen der Festländer unter den Trrpen wt die Landschaft eine ganz eigene Physiognomie, eine Großartigkeit und eine Nuhe. die selbst da sich nicht verlaugnct. wo eines der Elemente mit unuber. windlichen Hindernissen zu ttmpfen hat. In der Nähe des Ae« quators kommen befliß S:ü^me nnd Ungewitter nur auf dcn Inseln, in pflan;cnloscn Misten, kurz überall da vor. wo die Luft auf Flacden mit sehr abdickender Strahlung ruht. Der Hügel Manimi bildet die östliche Grenze einer Ebene, auf der man dieselben, für die Geschichte der Vegetation, das heißt ihrer allmähligen Entwicklung auf nackten, kahlen Boden, strecken wichtigen C'rschei:,u»gen beobachtet, wie wir sie oben beim Naud.I von Aturcs beschrieben. In der N^nze.t schwemmt das Wasser Dammerde auf den, Granitgeslein zusammen, dchen kahle Vä.ke wagerecht daliegen. Diese mit rcn schönsten, wohl« riechendstcn Gewächsen gescwi'.ckten Landeilande gleichen den mit Blumen bedeckten Granitblöckcn. welche die Aspenbewohner I.rdins oder Courtils nennen, «"d die in Savoyen mitten aus den Gletschern emporragen. Mitten in dcn Katarakten auf ziemlich schwer zugänglichen Klippe» wächst die Vamlle. Bonpland hat ungemein gcwürzrciche und außerordentlich lange Schoten gebrochen. 3In einein Pl^y, wo wir Tag-3 znvor gebadet batten, am Fuß des Felscn Manimi. s^lugen d-'c Indi.mcr eine sieben und einen halben Fuß lange Solange tcdt, die wir mit Muße untersuchen konnten. Die M.iccs nannten sie Camudu; der Rücken hatte auf schön gelbem Grunde theils schwarze, theils braungrüne Qucrstrcifcn, am Äauch waren die Streifen blau 17 und bildeten rautenförmige Flecken. Es war ein schönes, nicht giftiges Thier, das, wie die Eingeborenen behaupten, über 15 Fuß lang wird. Ich hielt den Camudu Anfangs für eine Boa, fah aber zu meiner Ueberraschung, daß bei ihm die Platten unter dem Schwänze in zwei Reihen getheilt waren. Es war also eine Natter, vielleicht ein Python des neuen Continents,- ich sage vielleicht, denn große Naturforscher (Cuvier) scheinen anzunehmen, daß alle Pythons der alten, alle Boas der neuen Welt angehören. Da die Boa des Plinius ^ eine afnkanijche und südenroftäische Schlange war, so hätte Daudin wohl die amerikanischen Boas Pythons und die indischen Pythons Boas nennen sollen. Die erste Kunde von einem ungeheuern Reptil, das Menschen, sogar große Viersüßer packt, sich um sie schlingt und ihnen so die Knochen zerbricht, das Ziegen und Rehe verschlingt, kam uns zuerst aus Indien und von der Küste von Guinea zu. So wen^g an Namen gelegen ist, so gewöhnt man sich doch ,mr schwer daran, daß es in der Halb« tllgel, in der Virgil die Qualen Laokoons besungen hat (die asiatischen Griechen hatten die Sage weit südlicheren Völkern entlehnt) keine Üna «0N5triotor geben soll. Ich will die Verwirrung in der zoologischen Nomenklatur nicht durch neue Vorschlüge zur Abänderung vermehren, und bemerke nur, daß, wo nicht der große Haufen der Colonisten in Guyana, doch die Missionäre und die latinisirten Indianer in den Missionen'^ ganz gut die Trag a Vena das (Zauberschlangen, ' War es coluber lll«,>l,i5, oder ^uwber.^eseulllliii, oder ein Python, ähnlich dem. der vom Heere des Reguluö gttödtet wrrden? - S. Vand II. S. 193. Humboldt, ilitise. V. 2 19 ächte Vcas mit einfachen Aftcrschuppen) von den Oulebrns clo «Full, den, dem Canmdu ähnlichen Wasserottern (Pythons n,it doppelten Astcrschuppen), unterscheiden. Die Traga Ve« naras haben auf dem Nucken leine Querstteifen. sondern eine Kette rautenförmiger oder sechseäigcr Flccken. Manche Arten leben vorzugsweise an ganz trcckenen Otten, andere lieben das Wasser, wie die Pythons oder Nulebrag öe ngu». Geht nlan nach Wcstcn, fo sieht man die runden Hügel oder Mande im verlassenen Orinocoarm mit denselben Palmen l-ewachscn, die auf den Felsen in den Katarakten stehen. Emer dieser Felsen, der sogenannte Kerl, i»t im Lande berühmt wegen lines weihn, weithin glänzendcn Flecks, in dem die Angeborenen ein Wo des Vollmonds sehen wollen. Ich tonnte die steile Felswand nicht erklimmen, wahrscheinlich aber ist der weiße Fleck ein mächtiger Quarztnoten, wie zusammenscharende Gänge sie im Granit, der m Gneiß übergeht, häusig b.lden. Gegenüber dem Keri oder Mondfelsen, am Zwillingshügel Ouivilari, der ein Eiland mitten in den Katarakten ist, zeigen einem die Indianer mit gcheimnihvoller Wichtigkeit einen ähn« lichen weißen Fleck. Derselbe ist scheibenförmig, und sie sagen, es sey das Bild der Sonne, Camosi. Vielleicht hat die geo« graphische Lage dieser beiden Dinge Veranlassung gegeben, sie so zu benennen; Keri liegt gegen Untergang, Camcsi gegen Aufgang. Da die Sprachen die ältesten geschichtlichen Denk» mäler der Völker sind, so haben die Sprachforscher die Achn-lichtcit des amerikanischen Wortes Camosi mit dem Worte Lamosch, das in einem semitischen Dialekt ursprünglich Sonne bedeutet zu haben scheint, sehr auffallend gefunden. Diese 19 Aehnlichkeit hat zu Hypothesen Anlaß gegeben, die mir zum wenigsten sehr gewagt scheinen. ^ Der Gott der Moabiter, Chamos oder Camosch, der den Gelehrten so viel zu schaffen gemacht hat, der Apollo Chomeus, von dem Strabo und Am-mianus Marcellinus fprechen, Beelphegor, Amun oder Hamon und Adonis bedeuten ohne Zweifel alle die Sonne im Winter-solstitium; was will man aber aus eincr einzelnen, zufälligen Lautähnlichkeit in Sprachen schließen, die sonst nichts mit einander gemein haben? Betrachtet man die Namen der von den spanischen Mönchen gestifteten Missionen, fo irrt man sich leicht hinsichtlich der Vevölterungselemente, mit denen sie gegründet worden. Nach Encaramada und Atures brachten die Jesuiten, als sie diese Dörfer erbauten, Maypures-Indianer, aber die Mission May-pures selbst wurde nicht mit Indianern dieses Namens gegründet, vielmehr mit Guipunabis-Indianern, die von den Ufern des Irinida stammen und nach der Sprachverwandtschaft, sammt den Maypures, Cabres, Avani und vielleicht den Pareni, demselben Zweig der Orinocovölker angehören. Zur Zeit der Jesuiten war die Mission am Naudal von Maypures sehr ansehnlich: sie zählte 600 Einwohner, darunter mehrere weiße Familien. Unter der Verwaltung der Observanten ist die Bevölkerung auf weniger als 60 herabgesunten. Man kann überhaupt annehmen, daß in diesem Theile von Südamerika die Cultur seit einem halben Jahrhundert zurückgegangen ist, während wir jenseits ' Im Jahr l806 erschien in Leipzig ein Vuch unter dem Titel: »Untersuchungen über die von Humboldt am Orinoco entdeckte« Spuren der phöniclschtll Sprache." 2ft der Wälder, in den Provinzen in der Nähe der See, Dörfer mit 2000 — 3000 Indianern finden. Die Einwohner von Mayvures sind ein sanftmüthiges, mäßiges Voll, das sich auch durch große Reinlichkeit auszeichnet. Die meisten Wilden am Orinoco haben nicht den wüsten Hang zu geistigen Getränken, dem man in Nordamerika begegnet. Die Otomacos, Iaruros, Achaguas und Caraiben berauschen sich allerdings oft durch den übermäßigen Genuß der Chiza und so mancher andern gegohrencn Getränke, die sie aus Manioc, Mais und zuckerhaltigen Palmfrüchten zu bereiten wissen: die Reisenden haben aber, wie gewöhnlich, für allgemeine Sitte ausgegeben, was , nur einzelnen Stämmen zukommt. Sehr oft konnten wlr Gua-hibos oder Macos-Piaroas, die für uns arbeiteten und sehr erschöpft schienen, nicht vermögen, auch nur ein wenig Branntwein zu trinken. Die Europäer müssen erst länger m Wesen Ländern gesessen haben, ehe sich die Laster ausbretten, die unter den Indianern an den Küsten bereits so gemein sind. In Maypures fanden wir in den Hütten der Eingeborenen eine Ordnung und eine Reinlichkeit, wie man denselben in den Häusern der Missionäre selten begegnet. Siebauen Bananen und Manioc, aber keinen Mais. Siebzig bis achtzig Pfund Manioc in Kuchen oder dünnen Scheiben, das landesübliche Brod, kosten sechs Silberrealen, ungefähr vier Franken. Wie die meisten Indianer am Orinoco haben auch die in Maypures Getränke, die man nahrhafte nennen kann. Eines dieser Getränke, das im Lande schr berühmt ist, wird von einer Palme gewonnen, die in der Nähe der Mission, am Ufer des Auvana wild wächst. Dieser Baum ist der Seje; 21 ich habe an Einer Vlüthentraube 44,000 Blüthen geschätzt-der Früchte, die meist unreif abfallen, waren 8000. Es ist eine kleine fieischigte Steinfrucht. Man wirft sie ein paar Minuten lang in kochendes Wasser, damit sich der Kern vrm Fleische trennt, das zuckersüß ist, und sofort in einem großen Gefäß mit Wasser zerstampft und zerrieben wird. Der kalte Aufguß gibt eine gelblichte Flüssigkeit, die wie Mandelmilch schmeckt. Man seht manchmal Paftelon oder Rohzucker zu. Der Missionär versichert, die Eingeborenen werden in den zwei bis drei Monaten, wo sie Seje-Saft trinken, sichtlich fetter: sie brocken Cassavekuchen hinein. Die Piaches, oder indianischen Gaukler, gehen in die Wälder und blasen unter der Sejepalme auf dem Botuto (der heiligen Trompete). „Dadurch," sagen sie, „wird der Baum gezwungen im folgenden Jahr reichen Ertrag zu geben." Das Volk bezahlt für diese Ceremonie, wie man bei den Mongolen, Mauren, und manchen Völkern noch naher bei uns, Schamanen, Marabouts und andere Artcn von Priestern dafür bezahlt, daß sie mit Zaubersprüchen oder Gebeten die weißen Ameisen und die Heuschrecken vertreiben, oder lang anhaltendem Regen ein Ende machen und die Ordnung der Jahreszeiten verkehren. n^nFo 6n mi pueblo la tgdrica cl« loxn." (ich habe in meinem Dorfe eine Steingutfabrik), sprach Pater Zea und führte uns zu einer indianischen Familie, die beschäftigt war, unter freiem Himmel an einem Feuer von Strauchwerk große, zwei und einen halben Fuß hohe Thongefäße zu brennen. Dieses Gewerbe ist den verschiedenen Zweigen des großcn Volksstamms der Maypures eigenthümlich und sie scheinen dasselbe seit 22 unvordenklicher Zeit zu treiben. Ueberall in den Wäldern, weit von jedem menschlichen Wohnsitz, stößt man, wenn man den Voden aufgräbt, auf Scherben von Töpfen und bemaltem Steingut. Die Liebhaberei für diese Arbeit scheint früher unter den Ureinwohnern Nord- und Südamerikas gleich verbreitet gewesen zu seyn. Im Norden von Mexico, am Rio Gila, in den Trümmern einer aztekischen Stadt, in den vereinigten Staaten bei den Grabhügeln der Miamis, in Florida und überall, wo sich Spuren einer alten Cultur finden, birgt der Boden Scherben von bemalten Geschirren. Und höchst auffallend ist die durchgängige große Aehnlichkeit der Verzierungen. Die wilden und solche civilisirten Völker, die durch ihre staatlichen und religiösen Einrichtungen dazu verurtheilt sind, immer nur sich selbst zu copiren, ^ treibt ein gewisser Instinkt, immer dieselben Formen zu wiederholen, an einem eigenthümlichen Typus oder Styl festzuhalten, immer nach denselben Handgriffen und Methoden zu arbaiten. wie schon die Vorfahren sie gekannt. In Nordamerika wurden Eteingutscherben an den Befestigungslinien und in den Ringwällen gefunden, die von einem unbekannten, gänzlich ausgestorbenen Volke herrühren. Die Malereien auf diesen Scherben haben die auffallendste Aehnlichkeit mit denen, welche die Eingeborenen von Louisiana und Florida noch jetzt auf gebranntem Thon anbringen. So malten denn auch die Indianer in Maypures unter unsern Augen Verzierungen, ganz wie wir sie in der Höhle von Ataruipe auf den Gefäßen ' Die Hindus, die Tibetaner, die Chinesen, die alten Ggypter, die Azteke», die Peruaner, bei denen der Trieb zur Massencultnr die freie Entwicklung der Geiste«thätiglcit in den Individuen niederhielt. 23 gesehen, in denen menschliche Gebeine aufbewahrt sind. EZ sind wahre ^6reoque8," Mäanderlinicn, Figuren von Krokodilen, von Assen, und von einem großen vierfüßigen Thier, von dem ich nicht wußte, was es vorstellen soll, das aber immer die, selbe plumpe Gestalt hat. Ich könnte bei dieser Gelegenheit eines Kopfes mit einem Elephantenrüssel gedenken, den ich im Museum zu Velletri auf einem alten mexikanischen Gemälde gefunden: ich könnte keck die Hypothese aufstellen, das grosie vierfüßige Thier auf den Töpfen der Maypurcs gehöre einem andern Lande an und der Typus desselben habe sich auf der großen Wanderung der amerikanischen Völker von Nordwest nach Süd und Sudost in der Erinnerung erhalten; wer wollte sich aber bei so schwankenden, auf nichts sich stützenden Vermuthungen aufhalten? Ich möchte vielmehr glauben, die Indianer am Orinoco haben einen Tapir vorstellen wollen, und die vcrzcich» nete Figur eincs einheimischen Thiers sey einer der Type» gc» worden, die sich forterben. Oft hat nur Ungeschick und Zufall Figuren erzeugt, über deren Herkunft wir gar crnstliast verhandeln, weil wir nicht anders glauben, als es liege ihnen eine Gedankenverbindung, eine absichtliche Nachahmung zu Grundr. Am geschicktesten führen die Maypurcs Verzierungen aus geraden, mannigfach combinirten Linien aus, wie wir sie auf den großgriechischen Vasen, auf den mericanischcn Gebäuden in Mitla und auf den Werken so vieler Völker sehen, die, ohne daß sie mit einander in Verkehr gestanden, eben gleiches Vcr» gnügen daran finden, symmetrisch dieselben Formen zu wieder» holen. Die Arabesken, die Mäander vergnügen unser Auge, weil die Elemente, aus denen die Bänder bestehen, in rhylh- M Mischer Folge an einander gereiht sind. Das Auge «rhült sich zu dieser Anordnung zu dieser periodischen Wiederkehr der« selben Formen wie das Ohr zur tattmäßigen Aufeinanderfolge von Tönen und Accorden. Kann man aber in Abrede ziehen, daß beim Menschen das Gefühl für den Rhythmus schon beim ersten Morgenroth der Cultur, in den rohesten Anfängen von Gesang und Poesie zum Ausdruck kommt? Die Eingeborenen in Maypures (und besonders die Weiber verfertigen das Geschirr) reinigen den Ton durch wiederholtes Schlemmen, kneten ihn zu Cylindern und arbeiten m,t den Händen die größten Gefäße aus. Der amerikanische Indlaner weiß nichts von der Töpferscheibe, die sich bei den Völkern des Orients aus dem frühesten Alterlhum horschreibt. Man kann sich nicht wundern, daß die Missionäre die Eingeborenen am Orinoco nicht mit diesem einfachen nützlichen Wertzeug bekannt gemacht haben, wenn man bedenkt, daß es nach dre» Jahrhunderten noch nicht zu den Indianern auf der Halbinsel Araya, dem Hafen von Cumana gegenüber, gedrungen ist. Dls Farben der Maypures sind Eisen- und Manganoxyde, besonders gelber und rother Ocker, der in Höhlungen des Sandsteins vorkommt. Zuweilen wendet man das Satzmehl der Liznonin Okie» an, nachdem das Geschirr einem ganz schwachen Feuer ausgesetzt worden. Man überzieht die Malerei mit einem Firniß von Algarobo, dem durchsichtigen Harz der N?M6N26» Ooul-baril. Die großen Gefäße zur Ausbewahrung der Chiza heißen Ciamacu, die kleineren Mucra, ' S. Vanb II. Seite 30. 23 woraus die Spanier an der Küste Murcura gemacht haben. Uebrigens weiß man am Orinoco nicht allein von den May-ftures, fondern auch von den Guaypunabis, Caraiben, Oto-macos und selbst von den Guamos, daß sie Geschirr mit Malereien verfertigen. Früher war dieses Gewerbe bis zum Amazonenstrom hin verbreitet. Schon Orellana sielen die gemalten Verzierungen auf dem Geschirr der Omaguas auf, die zu seiner Zeit ein zahlreiches, handeltreibendes Volk waren. Ehe ich von diesen Spuren eines keimenden Gewerbfieißes bei Völkern, die wir ohne Unterschied als Wilde bezeichnen, zu etwas Anderem übergehe, mache ich nrch eine Bemerkung, die über die Geschichte der amerikanischen Civilisation einiges Licht verbreiten kann. In den Vereinigten Staaten, ostwärts von den Alleghanis, besonders zwischen dem Ohio und den großen kanadischen Seen, findet man im Boden fast überall bemalte Topfscherben und daneben kupferne Werkzeuge. Dieß erfcheint auffallend in einem Lande, wo die Eingeborenen bei der An-tunft der Europäer mit dem Gebrauch der Metalle unbekannt waren. In den Wäldern von Südamerika, die sich vom Aequator bis zum achten Grad nördlicher Breite, das heißt vom Fuße der Anden bis zum atlantischen Meer ausdehnen, findet man dasselbe bemalte Töpfergeschirr an den einsamsten Orten; aber es kommen damit nur künstlich durchbohrte Aexte aus Nephrit und anderem hartem Stein vor. Niemals hat man dort im Boden Werkzeug/ oder Schmucksachen aus Metall gefunden, obgleich man in den Gebirgen an der Küste und auf dem Rücken der Corvilleren Gold und Kupfer zu schmelzen und letzteres mit Zinn zur Verfertigung von schneidenden Wert- 26 zeugen zu le,-,i>cn verstand. Woher rührt dieser scharfe Gegensatz zwischen dcr gemäßigten und der heißen Zone? Die perua« nischcn Incas hatten ihre Crol'crlingcn und Religionskriege bis an den Navo und den Nma'onenstrcm ausgedehnt und dort hatte sich auch ihre Tvraebe auf einem beschränkten Landstrich verbreitet: aber nicmals scheint die Cultur dcr Peruaner, der Bewohner von Quito und der Muyscas in Neu-Grcnada auf den moraliscken Zustand der Völker von Guyana irgend einen merklichen Einfluß geäußert zu haben. Noch mehr: in Nord' amerika, zwischen dem Ohio, dem Miami und den Seen, hat ein unbekanntes Volk, das die Systcmatitcr von den Toltelen und Azteken abstammen lassen möchten, aus 6rde, zuweilen sogar aus Steinen < ohne Mörtcl zehn bis fünfzehn Fuß höbe und sieben bis achttausend Fuß lange Mauern gebaut. Diese räthselhaftc» Ningwalle und Ningmauern umschließen oft gegen 150 Morgen Land. Vci den Niederungen am Orinoco, wie bei den Niederungen an dcr Marietta, am Miami und Ohio liegt der Mittespunkt cmer alten Cultur westwärts auf dem Rücken der Gebirge: aber dcr Orinoco und die Länder zwischen diesem großen Fluß und dem 3lmaz?ncnstrom scheinen niemals von Völkern bewohnt gewesen zu seyn, deren Bauten dem Zahn de^r Zeit widerstanden l'ätlen. Eicbt man dort auch symbolische Figuren ins härteste Fllsgest.'in eingeladen, so hat man doch südlich vom achten Breitengrade bis jcht nie wcdcr einen Grab« Hügel, noch einen Ringivall, noch Ciddämme gcfundcn, wie ' Au« lirseshaltlgrm Kalsssssn l» Pique am ssloßtn Miami, au« Eandsttiil am Point Prrrs zch» Mcileil roil yhillicolhe. wo die Mauer lZov Toiscn lang ist. 27 sie weiter nordwärts auf den Ebenen von Varinas und.Cana-gua vorkommen. Solches ist dcr Gegensatz zwischen den östlichen Stücken der beiden Amerika, zwischen denen, die sich von der Hochebene von Cundinamarca und den Gebirgen von Cayenne gegen das atlantische Mccr ausbreiten, und denen, die von den Anden von Neu»Spanien gcgcn die Allcgbanis hinstreichen. In der Cultur vorgeschrittene Völker, deren Spuren uns am Ufer des Sees Teguyo und in den O»838 Frnnäeg am Rio Gila entgegen treten, mochten einzelne Stämme gegen Ost in die offenen Fluren am Missouri und Ohio vorschieben, wo das Klima nicht viel anders ist als in Neu-Merico; aber in Südamerika, wo die große Völkerstromung von Nord nach Süd ging, konnten Menschen, die schon so lange auf dem Rücken der tropischen Cordilleren einer milden Temperatur genossen, keine Lust haben, in die glühend heißen, mit Urwald bedeckten, periodisch von den Flüssen überschwemmten Ebenen niederzusteigen. Man sieht kicht, wie in der heißen Zone die Ueberfülle des Pflanzenwuchscs, die Beschaffenheit von Boden und Klima die Wanderungen dcr Eingeborenen in starken Haufen beschränkten, Niederlassungen, die eines weiten freien Raumes bedürfen, nicht aufkommen ließen, das Elend und die Versunkenheit der vereinzelten Horden verewigten. Heutzutage geht die schwache Cultur, wie die spanischen Mönche sie eingeführt, wieder rückwärts. Pater Gili berichtet, zur Zeit der Grenzerpedition habe der Ackerbau am Orinoco angefangen Fortschritte zu machen: das Vieh, besonders die Ziegen hatten sich in Maypurcs bedeutend vermehrt. Wir haben weder in dieser Mission, noch sonst in einem Dorfe am 28 Orinoco mehr welche angetroffen; die Tiger haben die Ziegen gefressen. Nur die schwarzen und weißen Schweine (letztere heißen französische Schweine, puerens Iwnoeses, weil man glaubt, sie seyen von den Antillen gekommen) haben trotz der reißenden Thiere ausgedauert. Mit großem Interesse sahen wir um die Hütten der Indianer Guacamayas oder zahme Aras, die auf den Feldern herumflogen, wie bei uns die Tauben. Es ist dieß die größte und prächtigste Papagaienart mit nicht befiederten Wangen, die wir auf unsern Reisen angetroffen. Sie mißt mit dem Schwanz 2 Fuß 3 Zoll, und wir haben sie auch am Atabapo, Temi und Nio Negro gefunden. Das Fleisch des Cahu ei — so heißt hier der Vogel - das häufig gegessen wird, ist schwarz und etwas hart. Diese Aras, deren Gesieder in den brennendsten Farben, purpurroth, blau und gelb, schimmert, sind eine große Zierde der indianischen Hühner-Höfe. Sie stehen an Pracht den Pfauen, Goldfasanen, Paucis und Alectors nicht nach. Die Sitte, Papagaien, Vögel aus einer dem Hühnergeschlecht so ferne stehenden Familie aufzuziehen, war schon Christoph Columbus aufgefallen. Gleich bei der Entdeckung Amerikas hatte er beobachtet, daß die Eingeborenen auf den Antillen statt Hühner Aras oder große Papagaien aßen. Beim kleinen Dorfe Maypures wächst ein prächtiger, über 60 Fuß hoher Baum, den die Colonisten 5rutw öe Vui-ro nennen. Es ist eine neue Gattung Ilnona,, die den Habitus von Aublets Ilvllria 26^Ign6io» hat und die ich früher IIvn,ri» lsbrikuF» benannt hatte. Ihre Zweige sind gerade und stehen Pyramidalisch aufwärts, fast wie bei der Pappel vom Missisippi, 29 fälschlich italienische Pappel genannt. Der Baum ist berühmt, weil seine aromatischen Früchte, als Aufguß gebraucht, ein wirksames Fiebermittel sind. Die armen Missionäre am Orinoco, die den größten Theil des Jahres am dreitägigen Fieber leiben, reisen nicht leicht, ohne ein Säckchen mit flut-tag 66 Lurro bei sich zu führen. Unter den Tropen braucht man meist lieber aromatische Mittel, z. B. sehr starken Kaffee, (^oton Og.30Äi-iII» oder die Fruchthülle unserer Unona, als die adstringirenden Rinden der (Änokon^ und der Lonpiauäia trifoliata, welch letztere die China von Angostura ist. Das amerikanische Volk hat ein tief wurzelndes Vorurtheil gegen den Gebrauch der verschiedenen Chinaarten, und in dem Lande, wo dieses herrliche Heilmittel wächst, sucht man die Fieber durch Aufgüsse von ßcoparia 6ul«8 abzuschneiden, oder auch durch warme Limonade aus Zucker und der kleinen wilden Citrone, deren Rinde öligt und aromatisch zugleich ist. Das Wetter war astronomischen Beobachtungen nicht günstig: indessen erhielt ich doch an, 20. April eine gute Reihe correspon« dirender Sonnenhöhen, nach denen der Chronometer für die Mission Maypures 70" 37' 33" Länge ergab: die Breite wurde durch Beobachtung eines Sterns gegen Norden gleich 5" 13' 57" gefunden. Die neuesten Karten sind in der Länge um '/2 Grad, in der Breite um 1/4 Grad unrichtig. Wie mühsam und qualvoll diese nächtlichen Beobachtungen waren, vermöchte ich kaum zu beschreiben. Nirgends war die Mostitowolke so dick wie hier. Sie bildete ein paar Fuß über dem Boden gleichsam eine eigene Schicht und wurde immer dichter, je näher man gegen den künstlichen Horizont hinlouchtete. Die meisten Einwohner von 30 Maypures gehen aus dem Dorf und schlafen auf den Inseln mitten in den Katarakten, wo cs weniger Inselten gibt; andere machen aus Strauchwerk Feuer in ihren Hütten an und hängen ihre Matten mitten in den Nauch. Der Thermometer stand bei Nacht auf 2? und 29«, bei Tag auf 30°. Am 19. April fand ich um zwei Uhr Nachmittags einen loscn, grobkörnigen Granitsand 60",3,' einen gleichfalls weißen, aber feinkörnigen und dichteren Granilsand 52« 5 heiß: die Temperatur eines kahlen GranitfcliVn war 47",6. Zu derselben Stunde zeigte der Thermometer 8 Fuß über dem Voden im Schatten 29 ,6, in der Sonne 36",2. E.ne Stunde nach Sonnenuntergang zeigte der grobe Sand 32", der Granitfels 36>',6, die Luft 28«,6, das Wasser des Orinoco im 3laudal, an der Oberfläche, 27« 6, das Wasser einer schön.n Quelle, die hinter dem Haus der Missionäre aus dem Grani: kommt, 270,8. Es ist dietz vielleicht etwas weniger als die mittlere Jahrestemperatur der Luft in Maypures. Die Inclination dcr Magnetnadel in Maypures betrug 31",10, also 1",I5 weniger als im Dorfe Atures, das um 25 Minuten der Vrcite weiter nach Nord.n liegt. Am 21. April. — Nach einem Ausenihalt von zwei und einem halben Tage im kleinen Dorfe Maypures neben dem vbern großen Katarakt schifften wir uns um zwei Uhr Nachmittags in derielden Pircgue wieder ein, die dcr Missionär von Carichana uns überlassen: sie war vom Schlagen an die Klippen und durch die Unvorsichtigkeit der indianischen Echlffsleute ' 48",2 Neaumur. Gräser vom frischesten Grün wuchsen in diesem Sand. 31 ziemlich beschädigt: atcr ihrcr wartcttn noch größere Fährlich« keilen. Sie mußte v^n, Nio Tuamini zum Rio Negro über eine Landenge 36.000 Fuß wcit geschleppt melden, sie mußte über den Cassiauiare wieder in den Orinoco herauf und zum zweitenmal durch die beiden Naudales. Man untersuchte Vodcn und Eeitenwände der Pirogue und meinte, sic sey stark genug, die lange Neise ausschalt?,,. ' Sobald man über die grcßm Katarakten weg ist, besindet man sich in einer neuen Welt; man fühlt es, man hat die Schranke hinter sich, welche die Natur selbst zwischen den cul-tivirten Küstenstrichen und den wilden unbekannten Landern im Innern gezogen zu haben schcint. Gegen Ost in blauer Ferne zeigte sich zum letztenmale die hohe Verglctle des Cuna« vami; ihr lauger wagcrcchler Kamm erinnert ait die Gcstalt der Mesa in Vergantin bci Cumana, nur endigt sie mit einem abgestutzten Kegel. Der Pic Cali:amini (so heißt dieser Gipfel) ist bei Sonnenuntergang wie vcn röthlichcm Feuer bestrahlt, und zwar einen Tag wie den andern. Kein Mensch ist je diesem Verge nahe gekommen, der nicht über C0U Toiscn Hoch ist.l Ich glaube dic>>r gewöhnlich röchliche, zuweilen silberweiße Schimmer ist ein N flcx von grcß.'n Talgblattern oder von Gnciß, der in Glimmerschiefer übergeht. Das ganze L^nd besteht hier aus Granitgestein, dem da und dort, auf kleinen tzbenen, unmiitclbar ein thrnig er Sandstein mit Quarztrüm» mern und Brauneisenstein aufgelagert ist. Auf dem Wege zum Landungsplatz singen wir auf einem * Or erscheint s Magdalenenstromes an. Derselbe behält, wie der Amazonenstrom, immer dieselbe Richtung, aber sie ist ungünst.g, we,l sie nicht mit der des Seewinds zusammenfällt, sondern von Süd nach Nord geht. Obgleich im Striche der Passatwinde gelegen, hat der Magdalenenstrom eine so stockende Luft wie der obere Orinoco. Vom Eanal Mahates bis Honda, namentlich südlich von der Stadt Momvox. spürten wir niemals etwas von Wind, außer beim Anzug nächtlicher Gewitter. Kommt man dagegen auf dem Fluß über Honda hinauf, so findet man die Luft ziemlich oft in Bewegung. Die fchr starken Winde, die sich im Thale des Neiva verfangen, sind als ungemcin heiß weit berufen. Man mag es anfangs auffallend finden, daß die Windstille aufhört, wenn man im »bern Stromlauf dem Gebirge näher kommt; aber es erscheint erklärlich, wenn man bedenkt, daß die trockenen heißen Winde in den Llanos am Neiva von niedergehenden Luftströmungen herrühren. Kalte Luftfäulen stürzen von den Neva das von Quindiu und 37 Guanacas ^in das Thal nieder und jagen die unlern Luftschichten vor sich her. Ueberall unter den Tropen, wie in der gemäßigten Zone, entstehen durch die ungleiche Erwärmung des Vodcns und durch die Nähe schneebedeckter Gebirge örtliche Luftströmungen. Jene sehr starkcn Winde am Neiva kommen nicht daher, daß die Passatwinde zurückgeworfen würden; sie entstehen vielmehr da, wohin der Seewind nicht gelangen kann, und wenn die meist ganz mit Bäumen bewachsenen Berge am obern Orinoco höher wären, so würden sie in der Luft dieselben raschen Gleichgewichtsstörungen hervorbringen, wie wir sie in den Gebirgen von Peru, Abyssinien und Tibet beobachten. Dieser ge« naue ursachliche Zusammenhang zwischen der Richtung der Ströme, der Höhe und Stellung der anliegenden Gebirge, den Bewegungen der Atmosphäre und der Salubrität des Klima verdient die größte Aufmerksamkeit. Wie ermüdend und unfruchtbar wäre doch das Studium der Erdoberfläche und ihrer Unebenheiten, wenn es nicht aus allgemeinen Gesichtspunkten aufgefaßt würde! ^5 ni Sechs Meilen von der Insel Piedra Rato» kam zuerst ostwärts die Mündung des Rio Sipapo, dcn die Indianer Ti-papu nennen, dann westwärts die Mündung des Rio Vichada. In der Nähe der letzteren bilden Felsen ganz unter Wasser einen kleinen Fall, einen Raudalito. Der Rio Sipapo, den Pater Gili im Jahr 1757 hinauffuhr und der nach ihm zweimal breiter ist als der Tiber, kommt aus einer ziemlich bedeutenden Bergkette. Im südlichen Theil trägt dieselbe den Namen des Flusses und verbindet sich mit dem Bergstock des Calitamini und Cunavami. Nach dem Pit von Duida, der 38 über der Mission EZmeralda aufsteigt, schienen mir die Cerros de Sipapo die höchsten in der ganzen Cordilleie der Parime. Sie bilden eine ungeheure Felsmauer, die schroff aus der Ebene aufsteigt und deren von Süd Süd Ost „ach Nord Nord West gerichteter Kamm ausgezackt ist. Ich denke, aufgethürmte Granitblöcke bringen diese Einschnitte, diese Auszackung hervor, die man auch am Sandstein des Montserrat in Catalonien beobachtet. Jede Stunde war der Anblick der Cerros de Sipapo wieder ein anderer. Bei Sonnenaufgang gibt der dichte Pflanzen-Wuchs den Bergen die dunkelgrüne, ins Brännlichte spielende Farbe, wie sie Landstrichen eigen ist, wo Bäume mit lederartigen Blättern vorherrschen. Breite, scharfe Schatten fallen über die anstoßende Ebene und stechen ab vom glänzenden Licht, das aus dem Boden, in der Luft und auf der Wasserfläche verbreitet ist. Aber um die Mitte des Tages, wenn die Soune das Zenith erreicht, verschwinden diese kräftigen Schatten allmählig und die ganze Kette hüllt sich in einen leisen Duft, der weit satter blau ist als der niedrige Strich des Himmelsgewölbes. In diesem um den Felskamm schwebenden Duft verschwimmen halb die Umrisse, werden die Lichteffekte gedämpft, und so erhält die Landschaft das Gepräge der Ruhe und des Friedens, das in der Natur, wie in den Werken Claude Lorrains und Poussins, aus der Harmonie zwischen Form und Farbe entspringt. Hinter diesen Bergen am Sipapo lebte lange Cruzero, der mächtige Häuptling der Guavpunabis, nachdem er mit feiner kriegerischen Horde von den Ebenen zwischen dem Rio Irinida und dem Chamochiquini abgezogen war. Die Indianer versicherten uns, in den Wäldern am Sipapo wachse in Menge der Vehuco oe Maimnre. Diescs Schlinggewächs ist den Indianern sehr wichtig, weil sie Körbe und Matten daraus verfertigen. Die Wälder am Sipapo sind völlig unbekannt, und die Missionäre versetzen Hieher das Volt der Nayas, ' „die den Mund am Nabel haben." Ein alter Indianer, den wir in Carichana antrafen und der sich rühmte, oft Menschen-fteisch gegessen zu haben, hatte diese kopflosen Menschen „mit eigenen Augen" gesehen. Diese abgeschmackten Mährchen haben sich auch in den Llanos verbreitet, und dort ist es nicht immer gerathen, die Existenz der Rayas-Indianer in Zweifel zu ziehen. In allen Himmelsstrichen ist Unduldsamkeit die Gefährtin der Leichlgläubigteit, und man könnte meinen, die Hirngespinnste der alten Erdbeschreiber seyen aus der einen Halbkugel in die andere gewandert, wenn man nicht wüßte, daß die seltsamsten Ausgeburten der Phantasie, gerade wie die Nalurbildungen, überall in Aussehen und Gestaltung eine gewisse Aehnlichkeit zeigen. Bei der Mündung des Rio Vichada oder Visata stiegen wir aus, um die Pflanzen des Landstrichs zu untersuchen. Die Gegend ist höchst merkwürdig: der Wald ist nicht sehr dicht und eine Unzahl kleiner Felsen steht frei auf der Ebene. Es Nnd prismatische Stemm assen und sie sehen wie verfallene Pfeiler, wie einzeln stehende fünfzehn bis zwanzig Fuß hohe Thürmchen aus. Die einen sind von den Bäumen dcs Waldes beschattet, bei andern ist der Gipfel von Palmen gekrönt. ! Rochen, wegen der angeblichen Aehnlichleit mit dem Fisch dieses Namen«, bei dem der Mund, am Körper herabgcrückt scheint. 39 40 Die Felsen sind Granit, der in Gneiß übergeht. Befände man sich hier nicht im Bereich des Urgebirgs, man glaubte sich in die Felsen von Adeisbach in Böhmen oder von Streilberg und Fantasie in Franken verseht. Sandstein und secundärer Kalkstein können keine groteskeren Formen annehmen. An der Mündung des Vichada sind die Granitfelsen, und was noch weit auffallender ist, der Boden selbst mit Moosen und Flechten bedeckt. Letztere haben den Habitus von tül^onitt p.yxioat» und I.ie!,6u länßiterinug, die im nördlichen Europa so häufig vorkommen. Wir konnten kaum glauben, daß wir uns leine hundert Toifcn über dem Meer, unter dem fünften Breitegrad mitten in der heißen Zone befanden, von der man fo lange glaubte, daß keine kryptogamischen Gewächse in ihr vorkommen. Die mittlere Temperatur dieses schattigen feuchten Ortes beträgt wahrscheinlich über 26 Grad dcs hunderttheiligen Thermometers. In Betracht des wenigen Negens, der bis jcht gefallen war, wunderten wir uns über das schöne Grün der Wälder. Dieser Umstand ist für das obere Orinocothal charakteristisch; au der Küste von Caracas und in den Llanos werfen die Bäume ihr Laub im Winter ^ ab und man sieht am Boden nur gelbes, vertrocknetes Gras. Zwischen den eben beschriebenen freistehenden Felsen wuchsen mehrere große Stämme Säulen-cactus (Oaotu8 ssptsmanzuini-ig), was südlich von den Kataralten von Aturcs und Maypures eine große Seltenheit ist. Am selben malerifchen Ort hatte Bonpland das Glück, mehrere Stämme von I^urus oinngmomolöeL anzutreffen, ' I» der Jahreszeit, die man in Südamerila nördlich vom Aequa-tor Sommer heißt. HI eines sehr gewürzreichen Zimmtbaumcs, der am Orinoco unter dem Namen Varimacu und Caneli lla bekannt ist.' Dieses kostbare Produkt kommt auch im Thale des Rio Caura, wie bei Esmeralda und östlich von den großen Katarakten vor. Der Jesuit Francisco de Olma scheint die Canelilla im Lande der Piaroas bei den Quellen des Cataniavo entdeckt zu haben. Der Missionär Gili, der nicht bis in die Gegend kam, von der hier die Rede ist, scheint den Varimacu oder Guari-macu mit der Mynstica oder dem amerikanischen Muskatbaum zu verwechseln. Diese gewürzhaften Rinden und Früchte, der Zimmt, die Muskatnuß, Ill^ituL kimenw und I.»uru8 pu-0^61-i wären wichtige Handclsartitel geworden, wenn nicht Europa bei der Entdeckung von Amerika bereits an die Gewürze und Wohlgerüche Ostindiens gewöhnt gewesen wäre. Der Zimmt vom Orinoco und der aus den Missionen der An-daquies, dessen Anbau Mutis in Mariquita in Neu-Grenada eingeführt hat, sind übrigens weniger gewürzhaft als der Ceylonzimmt, und wären solches selbst dann, wenn sie ganz so getrocknet und zubereitet würden. Jede Halbkugel hat ihre eigenen Arten von Gewächsen, und es erklärt sich keineswegs aus der Verschiedenheit der Klimate, warum das tropische Afrika keine Laurineen, die neue Welt keine Heidekräuter hervorbringt, warum'es in der südlichen l Diminutiv des spanischen Worts . Vand II. Srite 61. 44 Vertheilung der Arten in der heißen Zone ist aNein aus dem Einfluß dcs Klimas, aus der Verthcilung der Wärme, wie sie im gegenwärtigen Zustand unseres Planelen stattfindet, nicht zu erklären, aber diese Verschiedenheit der Klimate »nacht es uns begreiflich, warum ein gegebener organischer Typus sich an der einen Oerilichkcit kräftiger entwickelt, als an der andern. Wir begreifen von einigen wenigen Pflanzenfamilien, wie von den Musen und Palmen, daß sie wegen ihres innern Vaus und der Wichtigkeit gewisser Organe unmöglich sehr kalten Landstrichen angehören können; wir vermögen aber mcht zu erklären, warum keine Art aus der Familie der Melastomeen nördlich vom dreißigsten Vreitegrad wachst, warum keme emzige Nosenart der südlichen Halbkugel angehört. Häusig sind auf beiden Continenten die Klimate analog, ohr.e daß dle Erzeugnisse gleichartig wären. Der Rio Vichada (Bichada), der bei seinem Zusammenfluß mit dem Orinoco einen kleinen Raudal hat, schien mir nach dem Meta und dem Guaviare der bedeutendste unter den aus Westen kommenden Flüssen. Seit vierzig Jahren hat kein Europäer den Vichada befahren. Ueber seine Quellen habe ich nichts in Erfahrung bringen können: ich vermuthe sie mit denen des Tomo auf den Ebenen südwärts von Casimena. Wenigstens ist wohl nicht zweifelhaft, daß die frühesten Missionen an den Ufern des Vichada von Jesuiten aus den Missionen am Ca-sanare gegründet worden sind. Noch in neuester Zeit sah man flüchtige Indianer von Santa Rosalia de Cabavuna, einem Dorf am Meta, über den Rio Vichada an den Katarakt von Maupures kommen, was darauf hinweist, daß die Quellen 45 desselben nicht sehr weit vom Meta seyn können. Pater Gu-milla hat uns die Namen mehrerer deutscher und spanischer Jesuiten aufbewabrt, die im Jahr 1734 an den jetzt öden Ufern des Vichada von der Hand der Caraiben als Opfer ihres religiösen Eifers sielen. Nachdem wir zuerst gegen Ost am Cano Pirajavi, sodann gegen West an einem kleinen Fluß vorübergekommen, der nach der Aussage der Indianer aus einem See Namens Nao entspringt, übernachteten wir am Ufer des Orinoco, beim Einfluß des Zama, eines sehr ansehnlichen Flusses, der so unbekannt ist als der Rio Vichada. Trotz des schwarzen Wassers des Zama hatten wir viel von den Insekten auszustehen. Die Nacht war schön; in den niedern Luftregionen wehte kein Lüftchen, aber gegen zwei Uhr sahen wir dicke Wolken rasch von Oft nach West durch das Zenith gehen. Als sie beim Nieder-gehen gegen den Horizont vor die großen Nebelflecken im Schützen oder im Schiff traten, erschienen sie schwarzblau. Die Nebelflecken sind nie lichtstärker, als wenn sie zum Theil von Wolkenstreifen bedeckt sind. Wir beobachten in Europa dieselbe Erscheinung an der Milchstraße, beim Nordlicht, wenn es im Silberlicht strahlt, endlich bei Sonnenauf- und Untergang an dem Stück des Himmels, das weiß wird aus Ursachen, welche die Physik noch nicht gehörig ermittelt hat. Kein Mensch kennt den weiten Landstrich zwischen Meta, Vichada und Guaviare weiter als auf eine Meile vom Ufer. Man glaubt, daß hier wilde Indianer vom Stamm der Chiri-coas hausen, die glücklicherweise keine Canoes bauen. Früher, als noch die Caraiben und ihre Feinde, die Cabres, mit 46 ihren Geschwadern von Flößen lind Pirogue» hier umherzogen, wäre es unvorsichtig gewesen, an dcr Mündung eines Flusses zu übernachten, der aus Westen kommt. Gegenwärtig, da d,e kleinen Niederlassungen der Europäer die unabhängigen Indianer von dcn Ufern des obern Orinoco verdrängt haben, ist dieser Landstrich so öde, daß uns von Carichana bis Iavita und von Esmeralda bis San Fernando de Atabapo auf einer Stromfahrt von 180 Meilen nicht ein einziges Fahrzeug begegnete. Mit der Mündung des Rio Zama betraten w.r ein Ml; system, das große Aufmerksamkeit verdient. Der Zama, der Mataveni, der Atabapo, der Tuamini, der Temi, d" Guam.a haben schwarzes Wasser (^ua« ne^), das heißt ihr Wasser in großen Massen gesehen, erscheint kaffeebraun odergnmlich schwarz, und doch sind es die schönsten, klarsten, wohlschmeckendsten Wasser. Ich habe schon oben erwähnt, daß d.e Krolod. und, wenn auch nicht die Zancudos. doch d,e Moskitos fast überall die schwarzen Wasser meiden. Das Volt behauptet ferner, diese Wasser bräunen das Gestein nicht, und die weißen Flüsse haben schwarze, die schwarzen Flüsse weiße Ufer. Und allerdings sieht man am Gestade des Guainia, den die Europaer unter dem Namen Rio Negro kennen, häusig blendend weiße Quarzmasscn aus dem Granit hervorstehen. Im Glase ist das Wasser des Mataveni ziemlich weiß, das des Atabapo aber behält einen braungelblichen Schein. Wenn ein gelinder Wind den Spiegel dieser schwarzen Flüsse kräuselt, so erscheinen sie schön wiesengrün wie die Schweizer Seen. Im Schatten sind der Zama, der Atabapo, der Guainia schwarz wie Kaffeesatz. Dies? Erscheinungen sind so auffallend, daß die Indianer 47 aller Orten He Gewässer in schwarze und weiße eintheilen. Erstere haben mir hiiusig als künstlicher Horizont gedient: sie werfen die Sternbilder wunderbar scharf zurück. Die Farbe des Quellwassers, Flußwassers und Seewassers ssehört zu den physikalischen Problemen, die durch unmittelbare Versuche schwer oder gar nicht zu lösen sind. Die Farben bei refiektirtem Licht sind meist ganz andere als bei durchgehendem, besonders wenn es durch eine große Masse Flüssigkeit durchgeht. Fände keine Absorption der Strahlen statt, so hätte das durchgehende Licht immer Kie Farbe, welche die complementäre des rrflektirten Lichtes wäre, und meist beurtheilt man bei einem Wasser in einem nicht tiefen Glase mit enger Ocssnung das durchgehende Licht falsch. Bei eincni Flusse gelangt das re-flektirte farbige Licht immer von den innern Schichten der Flüssigkeit zu uns, nicht von der obersten Schicht derselben. Berühmte Physiker, welche das reinste Gletscherwasser untersucht baben, sowie das, welches aus mit ewigem Schnee be-deckten Bergen entspringt, wo keine vegetabilischen Reste sich in der Erde finden, sind der Meinung, die eigenthümliche Farbe des Wassers möchte blau oder grün seyn. In der That ist durch nichts erwiesen, daß das Wasser von Natur weiß ist und immer ein Farbstoss im Spiele seyn muß, wenn dasselbe, bei reflektirtem Licht gesehen, eine Färbung zeigt. Wo Flüsse wirklich einen färbenden Stoff enthalten, ist derselbe meist in so geringer Menge, daß er sich jeder chemischen Untersuchung entzieht. Die Färbung des Meeres scheint häusig weder von der Beschaffenheit des Grundes, noch vom Reflex des Himmels und der Wolken abzuhängen. Ein großer Physiker, Davy, 48 soll der Ansicht seyn, die verschiedene Färbung der Meere tonnte daher rühren, daß das Jod in verschiedenen Verhältnissen darin enthalten ist. Aus den alten Erdbeschreibern ersehen wir, daß bereits den Griechen die blauen Wasser der Thermovylen, die rothen bei Joppe, die schwarzen der heißen Bäder von Astyra, Lesbos gegenüber, aufgefallen waren. Manche Flüsse, z. B. die Nhone bei Genf haben eine entschieden blaue Farbe. Das Schneewasser in den Schweizeralpen soll zuweilen smaragdgrün seyn, in Wiesengrun übergehend. Mehrere Seen in Savoyen und Peru sind bräunlich, ja fast schwarz. Die meisten dergleichen Farbenerscheinungen kommen bei Gewässern vor, welche für d,e reinsten gelten, und man wird sich vielmehr an auf Analogien gegründete Schlüsse als an die unmittelbare Analyse halten müssen, um über diesen noch sehr dunkeln Punkt einiges Licht zu verbreiten. In dem weit ausgedehnten Flußsystem, das wir bereist — und dieser Umstand scheint mir sehr auffallend — kommen die schwarzen Wasser vorzugsweise nur indem Strich in der Nähe des Aequators vor. Um den fünften Grad nördlicher Breite fängt man an sie anzutreffen, und sie sind über den Acquator hinaus bis gegen den zweiten Grad südlicher Breite sehr häufig. Die Mündung des Nio Negro liegt sogar unter dem 3° 9' der Breite; aber auf diesem ganzen Landstrich kommen in den Wäldern und auf den Grasflurcn weiße und schwarze Wasser dergestalt unter einander vor, daß man nicht weiß, welcher Ursache man die Färbung des Wassers zuschreiben soll. Der Cassiquiare, der sich in den Rio Negro ergießt, hat weißes Wasser, wie der Orinoco, aus dem ex 49 entspringt. Von zwei Nebenflüssen des Cassiquiare nahe bei einander, Siapa und Pacimony, ist der eine weiß, der andere schwarz. Fragt man die Indianer nach den Ursachen dieser sonderbaren Färbung, so lautet ihre Antwort, wie nicht selten auch in Europa, wenn es sich von physischen und physiologischen Fragen handelt: sie wiederholen das Faktum nut andern Worten. Wendet man sich an die Missionäre, so sprechen sie, als hätten sie die strengsten Beweise für ihre Behauptung, „das Wasser färbe sich, wenn es über Sarsaparillewurzeln laufe." Die Smilaceen sind allerdings am Rio Negro, Pacimony und Ca-babury sehr häusig, und ihre Wurzeln geben in Wasser eingeweicht einen braunen, bittern, schleimig ten Ertractiustoff: aber wie viele Smilaxbüsche haben wir an Orten gesehen, wo die Wasser ganz weiß sind' Wie kommt es, daß wir im sumpsig-ten Wald, durch den wir unsere Pirogue vom Rio Tuamini zum Cano Pimichin und an den Rio Negro schleppen mußten, auf demselben Landstrich jetzt durch Bäche mit weißem, jetzt durch andere mit schwarzem Wasser wateten? Warum hat man niemals einen Fluß gefunden, der seiner Quelle zu weiß und im untern Stück seines Lallfes schwarz war? Ich weiß nicht, ob der Rio Negro seine braungelbe Farbe bis zur Mündung behält, obgleich ihm durch den Cassiquiare und den Rio Blanco sehr viel weißes Wasser zufließt. Da La Condamine den Fluß nordwärts vom Aequator nicht sah, konnte er vom Unterschied in der Farbe nicht urtheilen. Die Vegetation ist wegen der Regenfülle ganz in der Nähe des Acquators allerdings kräftiger als 8—10 Grad gegen Humboldt. Reise. V. 4 50 Nord und gegen Süd; es läßt sich aber keineswegs behaupten, daß die Flüsse mit schwarzem Wasser vorzugsweise in den dichicstcn schattigsten Wäldern entspringen. Im Gegentheil tommcn sehr viele LFuas nsßi-aZ aus den offenen Grasfluren, die sich vom Meta jenseits des Guaviare gegen den Caqueta hinziehen. Auf einer Neise, die ich zur Zeit der Ueberschwem-mung mit Herrn von Montufar vom Hafen von Guayaaml nach den Bodegas de Babaojo machte, fiel es m,r auf, daß die weiten Savawn am Invernadero del Carzal und am Lagartero ganz ähnlich gefärbt waren, wie der Xw Negro und der Atabapo. Diese zum Theil seit drei Monaten unter Wasser stehenden Grasfluren bestehen ausPaspalum, Enochloa und mehreren Cyperaceen. Wir fuhren in vier bis fünf Fuß tiefem Wasser, dasselbe war bei Tag 33-34 Grad warm: es roch stark nach Schwefelwasserstoff, was ohne Zwelfel zum Theil von den faulenden Arum- und Heliconienstauden herrührte, die auf den Lachen schwammen. Das Wasser des Lagartero sah bei durchgehendem Licht goldgelb, bei refleknrtem kaffeebraun aus. Die Farbe rührt ohne Zweifel von gekohwm Wasserstoff her. Man sieht etwas Aehnliches am Düngerwasser, das unsere Gärtner bereiten, und am Wasser, das aus Torfgruben abfließt. Läßt sich demnach nicht annehmen, daß auch die schwarzen Flüsse, der Atabapo, der Zama, der Mata-veni, der Guainia, von einer Kohlen- und Wasserswffverbm-dung, von einem Pflanzenextractivstoss gefärbt weiden? Der starke Negen unter dem Aequator trägt ohne Zweifel zur Färbung bei, indem das Wasser durch einen dichten Grassilz sickert. Ich gebe diese Gedanken nur als Vermuthung. Die färbende 51 Substanz scheint in sehr geringer Menge im Wasser enthalten: denn wenn man Wasser aus dem Guainia oder Rio Negro sieden läßt. sah ich es nicht braun werden wie andere Flüssigkeiten, welche viel Kohlenwasserstoff enthalten. Es erscheint übrigens sehr merkwürdig, daß diese schwarzen Wasser, von denen man glauben sollte, sie seyen auf die Niederungen der heißen Zone beschränkt, gleichfalls, wenn auch sehr selten, auf den Hochebenen der Anden vorkommen. Wir fanden die Stadt Cuenca im Königreich Quito von drei Bächen unigeben, dem Machangara, dem Rio del Matadero und dem Januncai. Die zwei ersteren sind weiß, letzterer hat schwarzes Wasser. Dasselbe ist, wie das des Atabapo, kaffeebraun bei reflektirtem, blaßgelb bei durchgehendem Licht. Es ist sehr schön, und die Einwohner von Cuenca, die es vorzugsweise trinken, schreiben die Farbe ohne weiteres der Sarsaparille zu, die am Rio Yanuncai sehr häusig wachsen soll. Am 23. April. Wir brachen von der Mündung des Zama um drei Uhr Morgens auf. Auf beiden Seiten lief fortwährend dicker Wald am Strom hin. Die Verge im Osten schienen immer weiter wegzurücken. Wir kamen zuerst am Einfluß des Rio Mataveni, und dann an einer merkwürdig gestalteten Insel vorbei. Ein viereckigter Granitfels steigt wie eine Küste gerade aus dem Wasser empor; die Missionäre nennen ihn el Castillito. Aus schwarzen Streifen daran sollte man schließen, daß der Orinoco, wenn er anschwillt, an dieser Stelle nicht über 8 Fuß steigt, und daß die hohen Wasserstände, die wir weiter unten beobachtet, von den Nebenflüssen herrühren, die nördlich von den Katarakten von Atures und Maypu»-es herein- 52 kommen. Wir übernachteten am rechten Ufer, der Mündung des Rio Eiucurivapu gegenüber, bei einem Felsen, der Aricagua heißt. In der Nacht kamen zahllose Fledermäuse aus den Felsspalten und schwirrten um unsere Hängematten. Ich habe früher von dem Schaden gesprochen, den diese Thiere unter den Heerden anrichten. Sie vermehren sich besonders stark in sehr trockenen Jahren. Am 34. April. Ein starker Negen zwang uns, schon sehr früh Morgens die Pirogue wieder zu besteigen. Wir fuhren um zwei Uhr ab und mußten einige Bücher zurücklassen, die wir in der finstern Nacht aus dem Felsen Aricagua nicht finden konnten. Der Strom läuft ganz gerade von Süd nach Nord; die Ufer sind niedrig und zu beiden Seiten von dichten Wäldern beschattet. Wir kamen an den Mündungen des Ucata, des Arapa und des Caranaveni vorüber. Gegen vier Uhr Abends stiegen wir bei den Conucos de Siquita aus, Pflanzungen von Indianern aus der Mission San Fernando. Die guten Leute hätten uns gern behalten, aber wir fuhren Weiler gegen den Strom, der in der Secunde fünf Fuß zurücklegt. Dieß ist das Ergebniß einer Messung, bei der ich die Zeit schätzte, die ein schwimmender Körper braucht, um eine gegebene Strecke zurückzulegen. Wir liefen bei finsterer Nacht in die Mündung des Guaviare ein, fuhren über den Zusammen» fluß des Atabapo mit dem Guaviare hinauf und langten nach Mitternacht in der Mission an. Wir erhielten unsere Wohnung, wie immer, im Kloster, das heißt im Hause des Missionärs, der von unserem unerwarteten Besuch höchlich überrascht war, uns aber nichts desto weniger mit der liebenswürdigsten Gastlichkeit aufnahm. Zweumdzwanzigstes Kapitel. San Fernando de Atabapo. — San Baltasar. — Die Flüsse Temi und Tuamini. — Iavita. — Trageplatz zwischen dem Tuamini und dem Rio Negro. Wir hatten in der Nacht fast unvermerkt die Gewässer des Orinoco verlassen und sahen uns bei Sonnenaufgang wie in ein anderes Land versetzt, am Ufer eines Flusses, dessen Namen wir fast noch nie hatten ausfprechen hören, und auf dem wir über den Trageplatz am Pimichin zum Nio Negro an der Grenze Brasiliens gelangen sollten. „Sie müssen," sagte uns der Präsident der Missionen, der in San Fernando seinen Sitz hat, „zuerst den Atabapo, dann den Temi, endlich den Tuci-mini hinauffahren. Können Sie bei der starken Strömung der schwarzen Wasser nicht mehr weiter kommen, so führt man Sie vom Flußbett weg durch die Wälder, die Sie unter Wasser finden werden. Auf diesem wüsten Landstrich zwischen Orinoco und Rio Negro leben nur zwei Mönche, aber in Iavita finden Sie die Mittel, um Ihre Pirogue vier Tagereisen weit über Land zum Cano Pimichin ziehen zu lassen. Zerbricht sie nicht, so fahren Sie ohne Anstand den Rio Negro (von Nordwest nach Südost) hinunter bis zur Schanze San Carlos, sodann 54 den Cassiquiare (von Süd nach Nord) herauf und kommen in Monatsfrist über den obern Orinoco (von Ost nach West) wieder nach San Fernando." Diefen Plan entwarf man uns für unsere Flußfahrt und wir führten ihn, nicht ohne Beschwerden, aber immer leicht und ohne Gefahr in drei und dreißig Tagen aus. Die Krümmungen in diesem FluHlabyrintb sind so stark, daß man sich ohne die Reisekarte, die ich entworfen, vom Wege, auf dem wir von der Küste von Caracas durch das innere Land an die Grenzen der Caftitania General von Gran-Para gelangt sind, so gut als keine Vorstellung machen könnte. Für diejenigen, welche nicht gerne in Karten blicken, auf denen viele schwer zu behaltende Namen stehen, bemerke ich nochmals, daß der Orinoco von seinen Quellen, oder doch von Esmeralda an von Ost nach West, von San Fernando, also vom Zusammenfluß des Atabavo und des Guaviare an bis zum Einfluß des Apure von Süd nach Nord flieht und auf dieser Strecke die großen Katarakten bildet, daß er endlich vom Einfluß des Apure bis Angostura und zur Seelüfte von West nach Ost läuft. Auf der ersten Strecke, auf dem Lauf von Ost nach West, bildet er die berühmte Gabelung, welche die Geographen so oft in Abrede ssezogen und deren Lage ich zuerst durch astronomische Beobachtungen bestimmen konnte. Ein Arm des Orinoco, der Cassiquiare, der von Nord nach Süd fließt, ergießt sich in den Guainia oder Rio Negro, der seinerseits in den Maragnon oder Hmazonenstrom fällt. Der natürlichste Weg zu Wasser von Angostura nach Gran-Para wäre also den Orinoco hinauf bis -Meralda. und dann den Cassiquiare, Rio Negro und An:a-zonenstrom hinunter, da aber der Rio Negro auf seinem oberen 55 Lauf sich sehr den Quellen einiger Flüsse nähert, die sich bei San Fernando de Awbafto in den Orinoco ergießen (am Punkte, wo der Orinoco aus der Richtung von Ost nach West rasch in die von Süd nach Nord umbiegt), so kann man in den Rio Negro gelangen, ohne die Flußstrecke zwischen San Fernando und Esmeralda hinaufzufahren. Man geht bei der Mission San Fernando vom Orinoco ab, fährt die zusammenhängenden kleinen schwarzen Flüsse (Atabapo, Temi und Tuamini) hinauf, und läßt die Pirogue über eine 6000 Toisen breite Landenge an das Ufer eines Baches (Cano Pimichin) tragen, der in den Rio Negro fällt. Dieser Weg, den wir einschlugen, und der besonders seit der Zeit, da Don Manuel Centurion Statthalter von Guyana war, gebräuchlich geworden, ist so kurz, daß jetzt ein Bote von San Carlos am Rio Negro nach Angostura Briefschaften in 24 Tagen bringt, während er früher über den Cassiquiare herauf 50—60 brauchte. Man kann also über den Atabapo aus dem Amazonenstrom in den Orinoco kommen, ohne den Cassiquiare herauf zu fahren, der wegen der starken Strömung, dcs Mangels an Lebensmitteln und der Moskitos gemieden wird. Für französische Leser führe ich hier ein Beispiel aus der hydrographischen Karte Frankreichs an. Wer von Nevers an der Loire nach Montereau an der Seine will, könnte, statt auf dem Canal von Orleans zu fahren, der, wie der Cassiquiare, zwei Flußsysteme verbindet, von den Zuflüssen der Loire zu denen der Seine sein Fahrzeug tragen lassen; er könnte die Niövre hinauffahren, über eine Landenge beim Dorfe Menou gehen und sofort die Yonne hinab in die Seine gelangen. 56 Wir werden bald sehen, welche Vortheile es hätte, wenn man über den sumpfigten Landstrich zwischen dem Tuamini und dem Pimichin einen Canal zöge. Käme dieser Plan einmal zur Ausführung, so hätte die Fahrt vom Fort San Carlos nach Angostura, der Hauptstadt von Guyana, nur noch den Rio Negro herauf bis zur Mission Maroa einige Schwierigkeit: von da ginge es auf dem Tuamini, dem Temi, Atabapo und Orinoco abwärts. Ueber den Cassiquiare ist der Weg von San Carlos nach San Fernando am Atabapo weit unangenehmer und um die Hälfte länger als über Iavita und den Cano Pimichin. Auf diesem Landstrich, in den zur Zeit der Grenzexpedition kein astronomisches Werkzeug gekommen war, habe ich mit Louis Berthouds Chronometer und durch Meridianhöhen von Gestirnen Länge und Breite von San Balthasar am Atabapo, Iavita, San Carlos am Nio Negro, des Felsen Culi-macari und der Mission Esmeralda bestimmt: die von mir entworfene Karte hat somit die Zweifel über die gegenseitigen Entfernungen der christlichen Niederlassungen gehoben. Wenn es keinen andern Weg gibt, als auf vielgekrümmten, verschlungenen Gewässern, wenn in dichten Wäldern nur kleine Dörfer stecken, wenn auf völlig ebenem Lande kein Berg, kein erhabener Gegenstand von zwei Punkten zugleich sichtbar ist, kann man nur am Himmel lesen, wo man sich auf Erden befindet. In den wildesten Ländern der heißen Zone fühlt man mehr als anderswo das Bedürfniß astronomischer Beobachtungen. Dieselben sind dort nicht allein nützliche Hülfsmittel, um Karten zu vollenden und zu verbessern: sie sind vielmehr zur Aufnahme des Terrains von vorne herein unerläßlich.) 57 Der Missionär von San Fernando, bei dem wir zwei Tage verweilten, führt den Titel eines Präsidenten der Missionen am Orinoco. Die sechs und zwanzig Ordensgcist-lichen, die am Rio Negro, Cassiauiare, Atabapo, Caura und Orinoco leben, stehen unter ihm und er seinerseits steht unter dem Garoian des Klosters in Nueva Barcelona, oder, wie man hier sagt, des OolkFia äe I» kurisÄM» Oonoeption 2< 48": Pater Caulin gibt auf der Karte, die Solanos Beobachtungen im Jahr 1756 zu Grunde liegt, 4" 4' an. Diese Uebereinstimmung spricht für die Richtigkeit meiner Beobachtung, obgleich sich dieselbe nur auf Höhen ziemlich weit vom Meridian gründet. Eine gute Stcrnbeobachtung in Guapasoso ergibt mir für San Fernando 4" 2>. (Gumilla setzte den Zusammenstuß 74 des Atabapo und Guaviare unter 0"30', d'Anville unter 2<> 51'). Die Länge tonnte ick auf der Fahrt zum Rio Negro und auf dcm Rückweg von diesem Fluß sehr genau bestimmen: sie ist 70" 30' 46" (oder 4" 0^ weftlick vom Meridian vc>n Cumana). Der Gang des Chronometers war während der Fahrt im Canoe so regelmäßig, daß er vom 16. 3lpril bis 9. ,Iuli nur um 27,9 bis 28,5 Secunden abwich. In San Fernando fand ich die sehr sorgfältig rectificirte Inclination der Magnetnabel gleich 29" 70, die Intensität der Kraft 219. Der Winkel und die Schwingungen waren also seit Mavpures bei einem Breiten-unterschied von 1° 11< beträchtlich kleiner und weniger geworden. Das anstehende Gestein war nicht melir eisenschüssiger Sandstein, sondern Granit, in Giiciß übergehend. Am 26. April. Wir legten nur zwei oder drei Meilen zurück und lagerten zur Nackt auf einem Felsen in der Näl,e der indianischen Pflanzungen oder Conucos von Guapasoso. Da man das eigentlicbe Ufer nicht sieht, und der Fluß, wenn er anschwillt, sich in die Wälder verläuft, kann man nur da landen, wo ein Fels oder ein kleines Plateau sich über das Wasser «hebt. D.»r Atabavo hat überall ein eigenthümliches Ansehen: das eigenlliche Ufer, das aus einer acht bis zehn Fuß hohen Vaut besteht, sieht man nirgends: es versteckt sich hinter einer Reihe von Palmen und kleinen Bäumrn mit 'ehr dünnen Stämmen, deren Wurzeln vom Wasser bespült werden. Vom Punkt, wo man vom Orinoco abgebt, bis zur Mission San Fernando gibt es viele Krokodile, und dieser Umstand beweist, wie oben bemerkt, daß dieses Flußstück zum Guavian', nicht zum Atabapo gehört. Im eigentlichen Vett des letzteren 75 oberhalb San Fernando gibt es keine Krokodile mehr: man trifft hie und da einen Vava an und viele Süßwasfer-Telfthine, aber keine Seekühe. Man sucht hier auch vergeblich den Chiguire, die Araguatos oder gioßcn Brüllaffen, den Zamuro oder Vultur »ur» und den Fasanen mit der Haube, den sogenannten Guacharaca. Ungeheure Wassernattern, im Habitus der Boa gleich, sind leider sehr häufig und werden den Indianern beim Baden gefährlich. Gleich in den ersten Tagen sahen wir welche neben unserer Pirogue herschwimmen, die 12—14 Fuß lang waren. Die Jaguars am Atabapo und Temi sind groh und gut genährt, sie sollen aber lange nicht so keck seyn als die an, Orinoco. Am 27. April. Die Nacht war schön, schwürzlichte Wolken liefen von Zeit zu Zeit ungemein rasch durch das Zenitl). In den untern Schichten der Atmosphäre regte sich lein Lüftchen, der allgemeine Ostwind wehte erst in tausend Toisen Höhe. Ich betone diesen Umstand: die Bewegung, die wir bemerkten, war keine Folge von Gegenströmungen (von West nach Ost), wie man sie zuweilen in der heißen Zone auf den höchsten Gebirgen der Cordilleren wahrzunehmen glaubt, sie rührte vielmehr von einer eigentlichen Brise, vom Ostwind her. Ich konnte die Meridianhöhe von « im südlichen Kreuz gut beobachten: die einzelnen Resultate schwankten nur um 8—10 Secunden um das Mittel. Die Breite von Guapasoso ist 3" 53' 55". Das schwarze Wasser des Flusses diente mir als Horizont, und diese Beobachtungen machten mir desto mehr Vergnügen, als wir auf den Flüssen mit weißem Wasser, auf dem Apure und Orinoco von den Insekten furchtbar zerstochen 76 worden waren, während Bonpland die Zeit am Chronometer beobachtete und ich den Horizont richtete. Wir brachen um zwei Uhr von den Conucos von Guapasoso auf. Wir fuhren immer nach Süden hinauf und sahen den Fluß oder vielmehr den von Bäumen freien Theil seines Bettes immer schmaler werden. Gegen Sonnenaufgang fing es an zu regnen. Wir waren an diese Wälder, in denen es weniger Thiere gibt als am Orinoco, noch nicht gewöhnt, und so wunderten wir uns beinahe, daß wir die Araguatos nicht mehr brüllen hörtcn. Die Delphine oder Toninas spielten um unser Canoe. Nach Colebrooke begleitet der ve^plünug ^uußEÜouL, der Süßwasscr-Delphin der alten Welt, gleichfalls die Fahrzeuge, die nach Benares hinaufgehen; aber von Ncnares bis zum Punkt, wo Salzwasser in den Ganges kommt, sind es nur 200 Meilen, von Atabapo aber an die Mündung des Orinoco über 320. Gegen Mittag lag gegen Ost die Mündung des kleinen Flusses Ipurichapano, und später kamen wir am Granithügel vorbei, der unter dem Namen pi^r» clel ^liFi-6 bekannt ist. Dieser einzeln stehende Fels ist nur 60 Fuß hoch und doch im Lande weit berufen. Zwischen dem vierten und fünften Grad der Breite, etwas südlich von den Bergen von Sivapo, erreicht man das südliche Ende der Kette der Katarakten, für die ich in einer im Jahr 1800 veröffentlichten Abhandlung den N-amen Kette der Parime in Vorschlag gebracht habe. Unter 4° 2O streicht sie vom rechten Orinocoufer gegen Ost und Ost-Süd-Ost. Der ganze Landstrich zwischen den Bergen der Panme und dem Amazonenstrom, über den der Atabapo, Casslqmare und Rio Negro ziehen, ist eine ungeheure, zum 77 Theil mit Wald, zum Theil mit Gras bewachsene Ebene. Kleine Felsen erheben sich da und dort, wie feste Schlösser. Wir bereuten es, unser Nachtlager nicht beim Tigerfelsen aufgeschlagen zu haben; denn wir fanden dcn Atabapo hinauf nur sehr schwer ein trockenes freies Slück Land, groß genug, um unser Feuer anzünden und unsere Instrumente und Hängematten unterbringen zu können. Am 28. April. Der Negen goß seit Sonnenuntergang in Strömen: wir fürchteten unsere Sammlungen möckten beschädigt werden. Der arme Missionär bekam seinen Anfall von Tertiaüfieber und bewog uns, bald nach Mitternacht weiter zu fahren. Wir kamen mit Tagesanbruch an die Piedra und den Raudalito von Guarinuma. Der Fels, auf dem östlichen Ufer, ist eine kahle, mit Psora, Cladonia und andern Flechten bedeckte Granitbank. Ich glaubte mich in das nördliche Europa versetzt, auf den Kamm der Gneih- und Granitbcrge zwischen Freiberg und Marienberg in Sachsen. Die Cladonien schienen mir identisch mit dem dicken i-lmziterinus, dem 1^. pixi-6ktu8 und L. polymoipkus Linn6s. Als wir die Strom-schnellen von Guarinuma hinter uus batten, zeigten uns die Indianer mitten im Wald zu unserer Nechten die Trümmer der seit lange verlassenen Mission Mendarari. Auf dem andern, östlichen Ufer, beim kleinen Felsen Kemarumo, wurden wir «ms einen riesenhaften Käsebaum (Vomdgx Oeib») aufmerksam, der mitten in den Pflanzungen der Indianer stand. Wir stiegen aus, um ihn zu messen: er war gegen 120 Fuß hoch und hatte 14—15 Fuß Durchmesser. Ein so außerordentliches Wachsthum siel uns um so mehr auf, da wir bisher 78 am Atabapo nur Neine Bäume mit dünnem Stamm, von weitem jungen Kirschbänmen ähnlich, gesehen hatten. Nach den Aussagen der Indianer bilden diese kleinen Bäume eme nur wenig verbreitete GewäHsgruppe. Sie werden durch das Austreten des Flusses im Wachsthum gehemmt i auf den trockenen Strichen am Atabapo, Temi und Tuamini wächst dagegen vortreffliches Bauholz. Diese Wäldec (und d.eser Umstand ist wichtig, wenn man sich von den Ebenen unter dem Aequator am Nio Negro und Amazonenstrom eine richtige Vorstellung macken will), dicse Wälder erstrecken sich nicht ohne Unterbrechung ostwärts und westwärts bis zum Cassiquiare und Guaviare: es liegen vielmehr die kahlen Sa-vanen von Manuteso und am Rio Inirida dazwischen. Am Abend kamen wir nur mit Mühe gegen die Strömung vorwärts, und wir übernachteten in einem Gehölz etwas obechalb Mendaxari. Hier ist wieder ein Granitfels, durch den eine Quarzfchicht läuft; wir fanden eine Gruppe fchöner schwarzer Schörlkrystalle darin. Am 29. April. Die Luft war kühler: keine Zancudos, aber der Himmel fortwährend bedeckt und sternlos. Ich sing an mich wieder auf den untern Orinoco zu wünschen. Bei der starken Strömung kamen wir wieder nur langsam vorwärts. Einen großen Theil des Tages hielten wir an, um Pflanzen zu suchen, und es war Nacht, als wir in der Mission San Valthasar ankamen, oder, wie die Mönche sagcn (oa Valthafar nur der Name eines indianischen Häuptlings ist), in der Mission Ia ckvma ?»storä 6e Laltkag»!- 6« ^.ta-b»po. Wir wohnten bei einem catalomschen Missionär, ei»cm 7s muntern liebenswürdigen Mann, der hier in der Wildniß ganz die seinem Volksstamm eigenthümliche Thätigkeit entwickelte. Er hatte einen schönen Garten angelegt, wo der europäische Feigenbaum der Pcrsea, der Citronenbaum dem Mamei zur Seite stand. Das Dorf war nach einem regelmäßigen Plan gebaut, wie man es in Norddeutschland und im protestantischen Amerika bei den Gemeinden der mährischen Brüder sieht. Tie Pflanzungen der Indianer schienen uns besser gehalten als anderswo. Hier sahen wir zum erstenmal den weißen, schwam-migten Stoff; den ich unter dem Namen Dap icho und Za-ftis bekannt gemacht habe. Wir sahen gleich, daß derselbe mit dem „elastischen Harz" Nehnlichkeit hat; da uns aber die Indianer durch Zeichen bedeuteten, man finde denselben in der Erde, so vermutheten wir, bis wir in die Mission Iavita kamen, das Dapicho möchte ein fossiles Cautschuc seyn, wenn auch abweichend vom elastischen Bitumen in Derbyshire. In der Hütte des Missionärs saß "ein Poimifano-Indianer an einem Feuer und verwandelte das Dapicho in schwarzes Cautschuc. Er halte mehrere Stücke auf ein dünnes Holz gespießt und briet dieselben wie Fleisch. Je weicher und elastischer das Dapicho wird, desto mehr schwärzt es sich. Nach dem harzigen aromatischen Geruch, der die Hütte erfüllte, rührt die,es Schwarzwerden wahrscheinlich davon her, daß eine Verbindung von Kohlenstoff und Wasserstoff zersetzt und der Kohlenstoff frci wird, während der Wasserstoff bei gelinder Hitze verbrennt. Der Indianer klopfte die erweichte schwarze Masse mit einem vorne keulenfömigen Stück Brasilholz, knetete dann den Dapicho zu Kugeln von 3—4 Zoll Durchmesser und ließ ihn erkalten. Diese Kugeln gleichen vollkommen dem Cautschuc, wie es in den Handel kommt, sie bleiben jedoch außen meist etwas liebrig. Man braucht sie in San Valtbasar nickt zum indianischen Ballspiel, das bei den Einwohnern von Uruana und Encaramada in so hobem Ansehen steht: man schneidet sie cylindrisch zu. um sie, als Slöpkl zu gebrauchen, die noch weit besser sind als Korkstüpsel. Diese Anwendung des Cautschuc war uns desto interessanter, da uns der Mangel europäischer Stöpsel oft in große Verlegen bei t geledt batte. Wie ungemein nützlich der Kork ist, fühlt man erst in Ländern, wohin er durch den Handel nicht kommt. In Südamerika kommt nirgends, selbst nicht auf dem Nucken dcr Anden, eine Eichenart vor, die dem Hu6rou8 suder nahe stände, und weder das leichte Holz dcr Bcmoax- und Ochroma-?lrten und ander, r Malvaccen, noch die Maisspindeln, dcren sich die Indianer bedienen, ersehen unsere Stöpsel vollkommen. Dcr Missionär zeigte uns vor der 0n82 6y In« 8o1t,6?a8 (Haus, wo sich die jungen, nicht ver-heiratheten Leute versammeln) eine Trommel, die aus einem zwei Fuß langen und achtzehn Zoll dicken hohlen Cylinder bestand. Man schlug dieselbe mit großen Stücken Daviedo, wie mit TrommelsckMgeln: sie hatte Locher, die man mit der Hand schließen konnte, um höhere oder liefere Töne hervorzubringen, und hing an zwei leichten Stützen. Wilde Völker lieben rauschende Musik. Die Trommel und die Votutos oder Trom-veten aus gebrannter Erde, 3—4 Fuß lange Röhren, die sich an mehreren Stellen zu Hohlk.igcln erweitern, sind bei den Planern unentbehrliche Instrumente, wenn es sich davon handelt, mit Musik Effekt zu machen. 81 Am 30 April. Die Nacht war ziemlich schön, so daß ich die Meridianhöhen des « im südlichen Kreuz und der zwei großen Sterne in den Füßen des Centauren beobachten konnte. Ich fand für San Valthasar eine Breite vm 3« 14' 23". AIs Länge ergab sich aus Stundenwinkeln der Sonne nach dem Chronometer 70" 14' 21". Die Inclination der Magnetnadel war 27< 80. Wir verließen die Mission Morgens ziemlich spät und fuhren den Atabapo noch fünf Meilen hinauf; statt ihm aber weiter seiner Quelle zu gegen Osten, wo er Ata-> cavi heißt, zu folgen, liefen wir jetzt in den Rio Temi ein. Ehe wir an die Mündung desselben kamen, beim Einftuß des Guasacavi, wurden wir auf eine Granitkuppe am westlichen Ufer aufmerksam. Dieselbe heißt der Fels der Guahiba-Indianerin, oder der Fels der Mutter, kie^ra äe I», maärs. Wir fragten nach dem Grund einer so sonderbaren Benennung. Pater Zea konnte unsere Neugier nicht befriedigen, aber einige Wochen später erzählte uns ein anderer Missionär einen Vorfall, den ich in meinem Tagebuch aufgezeichnet und der den schmerzlichsten Eindruck auf uns machte. Wenn der Mensch in diesen Einöden kaum eine Spur seines Daseyns hinter sich läßt, so ist es für den Europäer doppelt demüthigend, daß durch den Namen eines Felsen, durch eines der unvergänglichen Denkmale der Natur, das Andenken an die sittliche Verworfenheit unseres Geschlechts, an den Gegensatz zwischen der Tugend des Wilden und der Barbarei des civilismen Menschen vcrewigt wird. Der Missionär von San Fernando^ war mit seinm In- ' Einer der Vorgänger des Geistlichen, d?n wir in Tan Fernando als Präsidenten der Missionen fanden Hum d oldl, Reisen v. h 82 dianern an den Guauiare gezogen, um einen jener feindlichen Einfälle zu machen, welche fowohl die Religion als die spanischen Gesetze verbieten. Man fand in einer Hütte eine Mutter vom Stamme der GuahiboZ mit drei Kindern, von denen zwel noch nicht erwachsen waren. Sie bereiteten Maniocmehl. An Widerstand war nicht zu denken: der Vater war auf dem F.sch-fang, und so suchte die Mutter mit ihren Kindern sich durch die Flucht zu retten. Kaum hatte sie die Savane erre.cht, so wurde sie von den Indianern aus der Mission eingeholt d,e auf die Menschenjagd gehen, wie die Weißen und d.e Neger in Afrika. Mutter und Kinder wurden gebunden und an den Mtz geschleppt. Der Ordensmann saß in seinem Boot, des Ausgangs der Expedition harrend, die für ihn sehr gefahrlos war. Hätte sich die Mutter zu stark gewehrt, so wäre sie von den Indianern umgebracht worden; Alles ist erlaubt, wenn man auf die oon^uista spiritual auszieht, und man will besonders der Kinder habhaft werden, die man dann in der Mission als Poitos oder Sklaven der Christen behandelt. Man brachte die Gefangenen nach San Fernando und meinte, die Mutter könnte zu Land sich nicht wieder in ihre Heimath zurückfinden. Durch die Trennung von den Kindern, die am Tage ihrer Entführung den Vater begleitet hatten, gerieth das Weib in die höchste Verzweiflung. Sie beschloß, die Kinder, die in der Gewalt des Missionärs waren, zur Familie zurückzubringen: sie lief mit ihnen mehrere male von San Fernando fort, wurde aber immer wieder von den Indianern gepackt, und nachdem der Missionär sie unbarmherzig hatte peitschen lassen, faßte er den grausamen Entschluß, die Mutter von den beiden Kindern, 83 die mit ihr gefangen worden, zu trennen. Man führte sie allein den Atabapo hinauf, den Missionen am Nio Negro zu. Leicht gebunden saß sie auf dem Vordertheil des Fahrzeugs. Man hatte ihr nicht gesagt, welches Loos ihrer wartete, aber nach der Richtung der Sonne sah sie wohl, daß sie immer weiter von ihrer Hütte und ihrer Heimath wegkam. Es gelang ihr, sich ihrer Bande zu entledigen, sie sprang in den Fluß und schwamm dem linken Ufer des Atabapo zu. Die Strömung trug sie an eine Fclsbant, die noch heute ihren Namen trägt. Sie ging hicr ans Land und lief ins Holz; aber der Präsident der Missionen befahl den Indianern, ans Ufer zu fahren und den Spuren der Guahiba zu folgen. Am Abend wurde sie zurückgebracht, auf den Fels (kieöra äe 1a maöre) gelegt und nlit einem Seekuhriemcn, die hier zu Lande als Peitschen dienen und mit denen die Alcaden immer versehen sind, unbarmherzig gepeitscht. Man band dem unglücklichen Weibe mit starken Mavacurcranken die Hände auf den Rücken und brachte sie in die Mission Iavita. Man sperrte sie hier in eines der Caravanserais, die man <^ä3äü ä«1 k^v nennt. Es war in der Regenzeit und die Nacht ganz finster. Wälder, die man bis da für undurchdringlich gehalten, liegen, 25 Meilen in gerader Linie breit, zwischen Iavita und San Fernando. Man kennt keinen andern Weg als die Flüsse. Niemals hat ein Mensch versucht zu Land von einem Dorf zum andern zu gehen, und lägen sie auch nur ein paar Meilen aus einander. Aber solche Schwierigkeiten halten eine Mutter, die man von ihren Kindern getrennt, nicht auf. Ihre Kinder sind in San Fernando am 84 Atabapo; sie muß zu ihnen; sie muß sie aus den Händen der Christen befreien, sie muß sie dem Vater am Guaviare wieder bringen. Die Guahiba ist im Caravanserai nachlässig bewacht, und da ihre Arme ganz blutig waren, hatten ihr die Indianer von Iavita ohne Vorwissen des Missionars und des Al-cadon die Bande gelockert. Es gelingt ihr, sie mit den Zähnen vollends loszumachen, und sie verschwindet in der Nacht. Und als die Sonne zum viertenmal aufgeht, sieht man sie in der Mission San Fernando um die Hütte schleichen, wo ihre Kinder eingesperrt sind. „Was dieses Weib ausgeführt," sagte der Missionär, d».r uns diese traurige Geschichte erzählte, „der kräftigste Indianer hätte sich nicht getraut es zu unternehmen." Sie ging durch die Wälder in einer Jahreszeit, wo der Himmel immer mit Wolken bedeckt ist und die Sonne Tage lang nur auf wenige Minuten zum Vorschein kommt. Hatte sie sich nach dem Lauf dcr Wasser gerichtet? Aber da Alles überschwemmt war, mußte sie sich weit von den Flußufern, mitten in den Wäldern halten, wo man das Wasser fast gar nicht laufen sieht. Nie oft mochte sie von den stachligtcn Lianen aufgehalten worden seyn, welche um die von ihnen umschlungenen Slämme ein Gitterwerk bilden! Wie oft mußte sie über die Bäche schwimmen, die sich in den Atabapo ergießen! Man fragte das unglückliche Weib, von was sie sich vier Tage lang genährt: sie sagte, völlig erschöpft habe sie sich keine andere Nahrung verschaffen können als die großen schwarzen Ameisen, Vachacos genannt, die in langen Zügen an den Bäumen binauftriechen, um ihre barzigtcn Nester daran zu hängen. Wir wollten Durchaus vom Missionär wissen, ob jetzt die 85 Guahiba in Ruhe des Glückes habe genießen können, um ihre Kinder zu seyn, ob man docb endlich bereut habe, daß man sich so maßlos vergangen? Er fand nicht für gut, unsere Neugierde zu befriedigen; aber auf der Rückreise vom Rio Negro hörten wir, man habe der Indianerin nicht Zeit gelassm, von ihren Wunden zu genesen, sondern lie wieder von ihren Kindern getrennt und in eine Mission am obern Orinoco gebracht. Tort wies sic alle Nahrung von sich und starb, wie die Indianer in großem Jammer thun. Dieß ist die Geschichte, deren Andenken an diesem unseligen Gestein, an der ?ie6i-2 60 1a mgöre, haftet. Es ist mir in dieser meiner Reiscbeschreibung nicht darum zu thun, bei der Schilderung einzelner Unglücksscenen zu verweilen. Dergleichen Jammer kommt überall vor, wo es Heircn und Sllavcn gibt, wo civilisirte Europäer unter versunkenen Vollern leben, wo Priester mit unumschränkter Gewalt über unwissende, wehrlose Menschen herrschen. Als Geschichtschreiber der Länder, die ich bereist, beschränke ich mich meist darauf, anzudeuten, was in den bürgeilichen und religiösen Einrichtungen mangelhaft oder der Menschheit verderblich erscheint. Wenn ich beim Fels der Guahiba länger verweilt liabe, geschah es nur, um ein rührendes Beispiel von Mutterliebe bei einer Menschenart beizubringen, die man so lange verleumdet hat, und weil es mir nicht ohne Nutzen schien, einen Vorfall zu veröffentlichen, den ich aus dem Munde von Franciskanern habe, und der beweist, wie nothwendig es ist, daß das Auge des Gesetzgebers über dem Regiment der Missionäre wacht. Oberhalb dem Einfluß des Guasacavi liefen wir in den 86 Rio Temi ein, der von Süd nach Nord läuft. Wären wir den Atabapo weiter hinaufgefahren, so wären wir gegen Ost-Süd-Ost vom Gualnia oder Rio Negro abgekommen. Der Temi ist nur 60—90 Toisen breit, und in jedem andern Lande als Guyana wäre dieß noch immer ein bedeutender Fluß. Das Land ist äußerst einförmig, nichts als Wald auf völlig ebenem Boden. Die schöne Pirijaopalme mit Früchten wie Pfirsiche, und eine neue Art Bache oder Mauritia mit stachligtem Stamm ragen hoch über den kleineren Bäumen, deren Wachsthum, wie es scheint, durch das lange Stehen unter Wasser niedergehalten wird. Diese Näuritm Louleata heißt bei den Indianern Juria oder Cauvaja. Sie hat fächerförmige, gegen den Boden gesenkte Blätter: auf jedem Blatte sieht man gegen d:e Mitte, wahrscheinlich in Folge einer Krankheit dcs Parenchyms, concentrische, abwechselnd gelbe imd blaue Kreise; gegen d,e Mitte herrscht das Gelb vor. Diese Erscheinung siel uns sehr auf. Diese wie ein Pfauenschwelf gefärbten Blätter sitzen auf kurzen, sehr dicken Stämmen. Die Stacheln sind nicht lang und dünn, wie beim Corozo und andern stachligten Palmen; sie sind »m Gegentheil stark holzigt, kurz, gegen die Basis breiter, w,e die Stacheln der «ura orepitnns. An den Ufern des Atabapo und Temi steht diese Palme in Gruppen von zwölf bis fünfzehn Stämmen, die sich so nah an emander drängen, als kämen sie aus Einer Wurzel. Im Habitus, in der Form und der geringen Zahl der Blätter gleichen diese V.iume den Fächerpalmen und Chamärops der alten Welt. Wir bemerkten, daß einige Iuriastämme gar keine Früchte trugen, während andere davon ganz voll hingen: dieß scheint auf eine Palme mit getrennten Geschlechtern zu deuten. 87 Ueberall wo der Temi Schlingen bildet, steht der Wald über eine halbe Quadratmeile weit unter Wasser. Um die Krümmungen zu vermeiden und schneller vorwärts zu kommen, wird die Schifffahrt hier ganz seltfam betrieben. Die Indianer bogen aus dem Flußbett ab, und wir fuhren südwärts durch den Wald auf sogenannten Sen das, das heißt vier bis fünf Fuß breiten, offenen Canälen. Das Wasser ist selten über einen halben Faden tief. Diese Sen das bilden sich im überschwemmten Wald, wie auf trockenem Boden die Fußsteige. Die Indianer schlagen von einer Mission zur andern mit ihren Canoes wo möglich immer denselben Weg ein; da aber der Verkehr gering ist, so stößt man bei der üppigen Vegetation zuweilen unerwartet auf Hindernisse. Deßhalb stand ein Indianer mit einem Machette (ein großes Messer mit vierzehn Zoll langer Klinge) vorne auf unserem Fahrzeug und hieb fortwährend die Zweige ab, die sich von beiden Seiten des Canals kreuzten. Im dicksten Walde vernahmen wir mit Ueberraschung ' einen sonderbaren Lärm. Wir schlugen an die Büsche, und da kam ein Schwärm vier Fuß langer Toninas (Süßwasserdelphine) zum Vorschein und umgab unser Fahrzeug. Die Thiere waren unter den Aesten eines Käsebaums oder Lomdkx Oeik» versteckt gewesen. Sie machten sich durch den Wald davon und warfen dabei die Strahlen Wasser und comprimirter Luft, nach denen sie in allen Sprachen Blasesische oder Spritzsische, souMsulL u. s. w. heißen. Ein sonderbarer Anblick mitten im Lande, drei- und vierhundert Meilen von den Mündungen des Orinoco und des Amazonenstroms! Ich weiß wohl, daß Fische von der Familie 88 Aeuronectes l aus dem atlantischen Meer in der Loire bis Orleans heraufgehen; aber ich bin immer noch der Ansicht, daß die Delphine im Temi, wie die im Ganges und wie die Rochen im Orinoco, von den Seerochen und Scedelphinen ganz verschiedene Arten sind. In den ungeheuren Strömen Südamerikas und in den großen Seen Nordamerikas scheint die Natur mehrere Typen von Seethieren zu wiederholen. Der Nil hat keine Delpine; 2 sie gehen aus dem Meer im Delta nicht über Biana und Metonbis, Selamoun zu, hinauf. , Gegen fünf Uhr Abends gingen wir nicht ohne Mühe in das eigentliche Flußbett zurück. Unsere Pirogue blieb ein paar Minuten lang zwischen zwei Baumstämmen stecken. Kaum war sie wieder losgemacht, kamen wir an eine Stelle, wo mehrere Wasserpfade oder kleine Canäle sich Geuzten, und der Steuermann wußte nicht gleich, welches der befahrenste Weg war. Wir haben oben gesehen, daß man in der Provinz Varinas im Canoe über die ofienen Savanen von San Fernando am Apure bis an den Arauca fährt: hier fuhren wir durch einen Wald, der so dicht ist, daß man sich weder nach der Sonne noch nach den Sternen orientiren kann. Heute siel es uns wieder recht aus, daß es in diesem Landstrich keine daumariigen Farn mehr gibt. Sie nehmen vom sechsten Grad nördlicher Breite an sichtbar ab, wogegen die Palmen dem Aeauator zu ungeheuer zunehmen. Die eigentliche Hcimath der 2 Die Delphine, welche in die Nilmündnng lommen, fielen indessen den Alten so anf. daß sie auf einer Vüste des Flußgottes au« Syenit im Pariser Museum halb versteckt im wallenden Varte dargestellt find. 89 baumartigen Farn ist ein nicht so heißes Klima, ein etwas bergigter Boden, Plateaus von 300 Toisen Höhe. Nur wo Berge sind, gehen diese prachtvollen Gewächse gegen die Niederungen herab; ganz ebenes Land, wie das, über welches der Cassiquiare, der Tcmi, der Inirida und der Rio Negro ziehen, scheinen sie zu meiden. Wir übernachteten an einem Felsen, den die Missionäre Piedra de Astor nennen. Von der Mündung des Guaviare an ist der geologische Charakter des Bodens derselbe. Es ist eine weite aus Granit bestehende Ebene, auf der jede Meile einmal das Gestein zu Tage kommt und keine Hügel, sondern kleine, senkrechte Massen bildet, die Pfeilern oder zerfallenen Gebäuden gleichen. Am ersten Mai. Die Indianer wollten lange vor Sonnenaufgang aufbrechen. Wir waren vor ihnen auf den Beinen, weil ich vergeblich auf einen Stern wartete, der im Begriff war durch den Meridian zu gehen. Auf diesem nassen, dicht be« waldeten Landstrich wurden die Nächte immer finsterer, je näher wir dem Rio Negro und dem innern Brasilien kamen. Wir blieben im Flußbett, bis der Tag anbrach: man hätte besorgen müssen, sich unter den Bäumen zu verirren. Sobald die Sonne aufgegange-. war, ging es wieder, um der starken Strömung auszuweichen, durch den, überschwemmten Wald. So kamen wir an den Zusammenfluß des Tcmi mit einem andern kleinen Fluß, dem Tuamini, dessen Wasser gleichfalls, schwarz ist, und gingen den letzteren gegen Südwest hinauf. Damit kamen wir auf die Mission Iavita zu, die am Tuamini liegt. In dieser christlichen Niederlassung sollten wir die erforderlichen Mitte! finden, um unsere Pirogue zu Land an den Nio Negro schassen 90 zu lassen. Wir lamen in San Antonio de Iavita erst um elf Uhr Vormittags an. Ein an sich unbedeutender Vorfall, der aber zeigt, wie ungemein furchtsam die kleinen Sa-goins sind, hatte uns an der Mündung des Tuamini eine Zeit lang aufgehalten. Der Lärm, den die Spritzfische machen, hatte unsere Affen erschreckt, und einer war ins Wasser gefallen. Da diese Affenart, vielleicht weil sie ungemein mager ist, sehr schlecht schwimmt, so kostete es Mühe, ihn zu retten. Zu unserer Freude trafen wir in Iavita einen sehr geisteslebendigen, vernünftigen und gefälligen Mönch. Wir mußten uns vier bis fünf Tage in seinem Hause aufhalten, da so lange zmn Transport unseres Fahrzeugs über den Trage platz am Pimickin erforderlich war; wir benutzten diese Zeit nicht allein, um uns in der Gegend umzusehen, sondern auch um uns von einem Uebel zu befreien, an dem wir seit zwei Tagen litten. Wir hatten sehr starkes Jucken in den Fingergelenken und auf dem Handrücken. Der Missionär sagte uns, das seyen ^rääoi-68 (Ackerer), die sich in die Haut gegraben. Mit der Loupe sahen wir nur Streifen, parallele weißlichte Furchen. Wegen der Form dieser Furchen heißt das Insekt der Ackerer. Man ließ eine Mulattin kommen, die sich rühmte, all die kleinen Thiere, welche sich in die Haut des Menschen graben, die Nigua, den Nuche, die Coya und den Ackcrer, aus dem Fundament zu kennen,- es war die Curandera, der Dorf« arzt. Sie versprach uns, die Insekten, die uns so schreckliches Jucken verursachten, eines um das andere herauszuholen. Sie erhitzte an der Lampe die Spitze eines kleinen Splitters sehr harten Holzes und bohrte damit in den Furchen, die auf der 91 Haut sichtbar waren. Nach langem Suchen verkündete sie mit dem pedantischen Ernst, der den Farbigen eigen ist, da sey bereits ein Arador. Ich sah einen kleinen runden Sack, der mir das Ei einer Milbe schien. Wenn die Mulattin einmal drei, vier solche Aradores heraus hätte, sollte ich mich erleichtert- fühlen. Da ich an beiden Händen die Haut voll Aca-nden hatte, ging mir die Geduld über der Operation aus, die bereits bis tief in die Nacht gedauert hatte. Am andern Tag heilte uns ein Indianer aus Iavita radical und überraschend schnell. Er brachte uns einen Zweig von einem Strauch, genannt Uzao, mit kleinen, denen der Cassia ähnlichen, stark lcderartigen, glänzenden Blättern. Er machte von der Rinde einen kalten Aufguß, der bläulich aussah und wie Süßholz (6I^o?rlKl23) schmeckte und geschlagen starken Schaum gab. Auf einfaches Waschen mit dem Uzaowasser hörte das Jucken von den Aradores auf. Wir konnten vom Uzao weder Blüthe noch Frucht auftreiben. Der Strauch scheint der Familie der Schotengewächse anzugehören, deren chemische Eigenschaften so auffallend ungleichartig sind. Der Schmerz, den wir auszustehen gehabt, hatte uns so ängstlich gemacht, daß wir bis San Carlos immer ein paar Uzaozweige im Canoe mitführten; der Strauch wächst am Pimichin in Menge. Warum hat man kein Mittel gegen das Jucken entdeckt, das von den Stichen der Zancudos herrührt, wie man eines gegen das Jucken hat, das die Aradores oder mikroskopischen Acariden verursachen? Im Jahr 1755, vor der Grenzerpcdition, gewöhnlich So« lanos Expedition genannt, wurde dieser Landstrich zwischen den Missionen Iavita und San Balthasar als zu Brasilien gehörig 92 betrachtet. Die Portugiesen waren vom Nio Negro über den Tragcplatz beim Cano Pimicbin bis an den Temi vorgedrungen. Ein indianischer Häuptling, Iavita, berühmt wegen seines Muthes und seines Unternehmungsgeistes, war mit den Portugiesen verbündet. Seine Streifzüge gingen vom Nio Iupura oder Caqueta, einem der großen Nebenflüsse des Amazonen-stromes, über den Rio Uaupe und Xie, bis zu den schwarzen Gewässern des Temi und Tuamini, über hundert Meilen we,t. Er war mit einem Patent versehen, das ilm ermächtigte, „In« dianer aus dem Wald zu holen, zur Eroberung der Seelen." Er machte von dieser Vefugniß reichlichen Gebrauch: aber er bezweckte mit seinen Einfällen etwas, das nicht so ganz ge,stl,ch war, Sklaven (poiws) zu machen und sie an die Portugiesen zu verkaufen. Als Solano, der zweite Befehlshaber bei ter Grenzerpedition, nack San Fernando de Atabapo kam, ließ er Capitän Iavita auf einem seiner Strcifzüae am Tcmi festnehmen. Er behandelte ihn freundlich und es gelang ihm, ihn durch Versprechungen, die nicht gehalten wurden, für die spanische Regierung zu gewinnen. Tie Portugiesen, die bcrcits einige feste Niederlassungen im Lande gegründet litten, wurden bis an den untern Rio Negro zurückgedrängt, und die Mission San Antonio, die gewöhnlich nach ihrem indianischen Gründer Iavita heißt, weiter nördlich von den Quellen des Tuamini, dahin verlegt, wo sie jetzt liegt. Der alte Capitän Iavita lebte noch, als wir an den Rio Negro gingen. Er ist ein Indianer von bedeutender Geistes- und Körperkraft. Er sprickt geläufig spanisch und hat einen gewissen Einfluß auf die benachbarten Völker behalten. Er begleitete uns immer beim 93 Votanisiren und ertheilte uns mancherlei Auskunft, die wir desto mehr schätzten, da die Missionäre ihn für sehr zuverlässig halten. Er versichert, er habe in seiner Jugend fast alle Indianerstämme, welche auf dem großen Landstrich zwischen dem obern Orinoco, dem Rio Negro, dem Irinida und Iupura wohnen, Menschenfleisch essen sehen. Er hält die Daricavanas, Puchinnavis und Manitibitanos für die stärksten Anthropophagen. Er hält diesen abscheulichen Brauch bei ibnen nur für ein Stück systematischer Nachsucht: sie essen nur Feinde, die im Gefecht in ihre Hände gefallen. Die Beispiele, wo der Indianer in der Grausamkeit so weit gcht, daß er seine Nächsten, fein Weib, eine ungetreue Geliebte verzehrt, sind, wie wir weiter unten sehen werden, sehr selten. Auch weiß man am Orinoco nichts von der seltsamen Sitte der scythischen und massagetischen Völker, der Ca-panaguas am Rio Ucayale und der alten Bewohner der Antillen, welche dem Todten zu Ehren die Leiche zum Theil aßen. Auf beiden Continenten kommt dieser Brauch nur bei Völkern vor, welche das Fleisch eines Gefangenen verabscheuen. Der Indianer auf Haiti (St. Domingo) hätte geglaubt dem Andenken eines Angehörigen die Achtung zu versagen, wenn er nicht ein wenig von der gleich einer Guanchennuimie getrockneten und gepulverten Leiche in sein Getränk geworfen hätte. Da kann man wohl mit einem orientalischen Dichter sagen, „am seltsamsten in seinen Sitten, am ausschweifendsten in feinen Trieben sey von allen Tliieren der Mensch." Das Klima in San Antonio de Iauita ist ungemein regnerisch. Sobald man über den dritten Vreitcgrad hinunter dem Aequator zu kommt, findet man selten Gelegenheit Sonne und 94 Gestirne zu beobackten. Es regnet fast das ganze Jahr und der Himmel ist beständig bedeckt. Da in diesem unermeßlichen Urwald von Guyana der Ostwind nicht zu spüren ist und die Polarströme nicht Hieher reichen, so wird die Luftsäule, die auf dieser Waldregion liegt, nicht durch trockenere Schichten ersetzt. Der Wasserdunst, mit dem sie gesättigt ist, verdichtet sich zu äquatorialen Regengüssen. Der Missionär versicherte uns, er habe hier oft vier, fünf Monate ohne Unterbrechung regnen sehen. Ich maß den Regen, der am ersten Mai innerhalb fünf Stunden fiel: er stand 21 Linien hoch, und am dritten Mai bekam ich sogar 14 Linien in drei Stunden. Und zwar, was wohl zu beachten, wurden diese Beobachtungen mcht bei ' starkem, sondern bei ganz gewöhnlichem Regen angestellt. Bekanntlich fallen in Paris in ganzen Monaten, selbst in den nassesten, März, Juli und September, nur 28 bis 30 Linien Wasser. Allerdings kommen auch bei uns Regengüsse vor, bei denen in der Stunde über einen Zoll Wasser fällt, man darf aber nur den mittleren Zustand der Atmosphäre in der gemäßigten und in der heißen Zone vergleichen. Aus den Beobachtungen, die ich hinter einander im Hafen von Guayaquil an der Südsee und in der Stadt Quito in 1492 Toisen Meereshöhe angestellt, scheint hervorzugehen, daß gewöhnlich auf dem Rücken der Anden in der Stunde zwei- bis dreimal weniger Wasser fällt als im Niveau des Meeres. Es regnet im Gebirge öfter, dabei fällt aber in einer gegebenen Zeit weniger Wasser. Am Rio Negro in Maroa und San Carlos ist der Himmel bedeutend heiterer als in Iavita und am Temi. Dieser Unterschied rührt nach meiner Ansicht daher, daß dort die Savaxen a»l 95 untern Rio Negro in der Nähe liegen, über die der Ostwind frei wehen kann, und die durch ihre Strahlung einen stärkeren aufsteigenden Luflstrom verursachen als bewaldetes Land. Es ist in Iavita kühler als in Maypures, aber bedeutend heißer als am Rio Negro. Der hunderttheilige Thermometer stand bei Tag auf 26—27«, bei Nacht auf 21": nördlich von den Katarakten, besonders nördlich von der Mündung des Meta, war die Temperatur bei Tag meist 28—30", bei Nacht 25—26«. Diese Abnahme der Wärme am Atabapo, Tuamini und Rio Negro rührt ohne Zweifel davon her, daß bei dem beständig bedeckten Himmel die Sonne so wenig scheint und die Verdunstung auf dem nassen Boden so stark ist. Ich spreche nicht vom erkältenden Einfluß der Wälder, wo die zahllosen Blätter eben so viele dünne Flächen sind, die sich durch Strahlung gegen den Himmel abkühlen. Bei dem mit Wolken umzogenen Himmel kann dieses Moment nicht viel ausmachen. Auch scheint die Mcereshöhe von Iavita etwas dazu beizutragen, daß die Temperatur niedriger ist. Maypures liegt wahrscheinlich 60—70, San Fernando de Atabapo 122, Iavita 166 Toifen über dem Meer. Da die kleine atmosphärische Ebbe und Fluth an der Küste (in Cumana) von einem Tag zum andern um 0,6 bis 2 Linien variirt, und ich das Unglück hatte, das Instrument zu zerbrechen, ehe ich wieder an die See kam, so sind diese Resultate nicht ganz zuverlässig. Als ich in Iavita die stündlichen Variationen des Luftdrucks beobachtete, bemerkte ich, daß eine kleine Luftblase die Quecksilbersäule zum Theil sperrte i und durch ihre thermo- l Ich fühle diesen geringfügigen Umstand hier an, um die Reisende» darauf aufmerksam zu machen, wie »Vthig e« ist, nur solche 96 metrische Ausdehnung auf das Steigen und Fallen Einfluß äußerte. Auf den elenden Fahrzeugen, in die wir eingezwängt waren, lilß sich der Barometer fast unmöglich senkrecht oder doch stavt aufwärts geneigt halten. Ich benutzte unftrn Aufenthalt in Iavita, um das Instrument auszubessern und zu berichtigen. Nachdem ich das Niveau gehörig rectificirt, stand der Thermometer bei 23", 4 Temperatur Morgens 11^ Uhr 325,4 Linien hoch. Ich lege einiges Gewicht auf diese Beobachtung, da es für die Kenntniß der Vodonbildung eines Continents von größerem Belang ist, die Meereshöhe dcr Ebenen zwei- bis dreihundert Meilen von der Küste zu bestimmen, als die Gipfel der Cordilleren zu messen. Barometrische Beobachtungen in Sego am Niger, in Bornou oder auf den Hochebenen von Khoten und Hami wären für die Geologie wichtiger als die Bestimmung der Höhe der Gebirge in Abyssinien und im Musart. Die stündlichen Variationen des Barometers treten in Iavita zu denselben Stunden ein wie an den Küsten und im Hof Antisana, wo mein Instrument in 2104 Toifen Meereshöhe hing. Sie betrugen von 9 Uhr Morgens bis 4 Uhr Abends 1,6 Linien, am vierten Mai fogar fast 2 Linien. Der Deluc'sche auf den Saussure'schen reducirte Hygrometer stand fortwährend im Schatten zwischen 64 und 92", wobei nur die Beobachtungen gerechnet sind, die gemacht wurden, fo lange es nicht regnete. Die Feuchtigkeit hatte somit feit den großen Barometer zu haben, bei denen die Ztthre der ganze« Länge nach sichtbar ift. Eine ganz kleine Luftblase kann das Quecksilber zum Theil oder ganz sperren, ohne daß der Ton beim Anschlagen deZ Quecksilbers am Ende der Ziöhre sich velä'ndcrte. 9? Katarakten bedeutend zugenommen: sie war mitten in einem stark beschatteten, von Aequatorialregen überflutheten Lande fast so groß wie auf !>er See. Vom 29. April bis 4. Mai konnte ich keines Sterns im Meridian ansichtig werden, um die Länge zu bestimmen. Ich blieb ganze Nächte wach, um die Methode der doppelten Höhen anzuwenden: all mein Bemühen war vergeblich. Die Nebel im nördlichen Europa sind nicht anhaltender, als hier in Guyana in der Nähe des Acquators. Am 4. Mai kam die Sonne auf einige Minuten zum Vorschein. Ich fand mit dem Chronometer und mittelst Stundcnwinkcln die Länge von Iavita gleich 70° 22' oder 1« 1' 5" weiter nach Wcst als die Längender Einmündung des Apure in den Orinoco. Dieses Ergebniß ist von Bedeutung, weil wir damit auf unsern Karten die Lage des gänzlich unbekannten Landes Zwischen dem Ne und den Quellen des Issana angeben können, die auf demselben Meridian wie die Mission Iavita liegen. Die Inclination der Magnetnadel war in der Mission 26",40; sie hatte demnach seit dem großen nördlichen Katarakt, bei einem Vrcitenunterschied von 3" 50', lim 50,65 abgenommen. Die Abnahme der Intensität der magnetischen Kraft war ebenso bedeutend. Die Kraft entsprach in Atures 223, in Iavita nur 218 Schwingungen in 10 Zeitminuten. Die Indianer in Iavita, 160 an der Zahl, sind gegenwärtig größtenthcils Poimisanos, Echinavis und Paraginis, und treiben Schiffbau. Man nimmt dazu Stämme einer groben Lorbeerart, von den Missionären Sassafras' genannt, die ' Ocatea c^mdnrum, sehr verschiede« vom Naurus 8ü58alr2F in Nordamerika. Humboldt, Neiscn. V. 7 man mit Feuer und Axt zugleich aushöhlt. Diese Vmimc sind Über hundert Fuß hoch; das Holz ist gelb, harzigt, verdirbt fast nie im Wasser und hat einen sehr angenehmen Geruch. Wir sahen es in San Fernando, in Iavita, besonders aber in Esmeralda, wo die meisten Piroguen für den Orinoco gebaut werden, weil die benachbarten Walder die dicksten Sassafrasstämme liefern. Man bezahlt den Indianern für die halbe Toise oder Varavom Boden der Pirogue, das heißt für den untern, hauptsächlichen Theil (der aus einem ausgehöhlten Stamm besteht), einen harten Piaster, so daß ein 16 Varas langes Canoe, Holz und Arbeitslohn des Zimmerers, nur 16 Piaster lostet: aber mit den Nägeln und den Seitenwänden, durch die man das Fahrzeug geräumiger macht, kommt es doppelt w hoch. Auf dem obern Orinoco sah ich 40 Piaster oder 200 Franken für eine 48 Fuß lange Pirogue bezahlen. Im Walde zwischen Iavita und dem Cano Pimichi» wächst eine erstaunliche Menge riesenhafter Baumarten, Ocotcen und ächte Lorbeeren (die dritte Gruppe der Laurineen, die Persea, ist wild nur in mehr als 1000 Toisen Meereshöhe gefunden worden), die ^masonm nrbore», das Letmipl^IIum 8t> Quuckilorum, der Curvana, der Iacio, der Iacifate, de„en Holz roth ist wie Vrasilholz, der Guamufate mit schönen, 7—8 Zoll langen, denen des Calophyllum ähnlichen Blattern, die ^m^ris (üaraniin und der Mani. Alle diese Bäume (mit Ausnahme unserer neuen Gattung ketinipl^IIum) waren hundert bis hundert zehn Fuß hoch. Da die Aeste erst in der Nähe des Wipfels vom Stamme abgehen, so kostete es Mühe, sich Blätter und Blüthen zu verschaffen. Letztere lagen häufig 99 unter den Bäumen am Boden: da aber in diesen Wäldern Arten verschiedener Familien durch einander wachsen und jeder Baum mit Schlingpflanzen bedeckt ist, so schien es bedenklich, sich allein auf die Aussage der Indianer zu verlassen, wenn diese uns versicherten, die Blüthen gehören diesem oder jenem Baum an. In der Fülle der Naturschätze machte uns das Botamsircn mehr Verdruß als Vergnügen. Was wir uns aneignen konnten, schien uns von wenig Belang gegen das, was wir nicht zu erreichen vermochten. Es regnete seit mehreren Monaten unaufhörlich und Bonpland gingen die Exemplare, die er mit künftlichcr Wärme zu trocknen suchte, größtentheils zu Grunde. Unsere Indianer kauten erst, wie sie gewöhnlich thun, das Holz, und nannten dann den Baum. Die Blätter wußten sie besser zu unterscheiden als Blüthen und Früchte. Da sie nur Bauholz (Stämme zu Piroguen) suchen, kümmern sie sich wenig um den Blüthenftand. „Alle diese großen Bäume tragen weder Blüthen noch Früchte," so lautete fortwährend ihr Bescheid. Gleich den Kräuterk'inern im Alterthum ziehen sie in Abrede, was sie nicht der Mühe werth gefunden zu untersuchen. Wenn unsere Fragen sie langweilten, so machten sie ihrerseits uns ärgerlich. Wir haben schon oben die Bemerkung gemacht, daß zuweilen dieselben chemischen Eigenschaften denselben Organen in verschiedenen Pfianze„familien zukommen, so daß diese Familien in verschiedenen Klimaten einander ersetzen. Die Einwohner des tropischen Amerika und Afrika gewinnen von mehreren Palmenarten das Oel, das uns der Olivenbaum gibt. Was di? Nadelhölzer für die gemäßigte Zone, das sind die 100 Terebenthaceen und Guttiferen für die heiße. In diesen Wäldern des heißen Erdstrichs, wo es keine Fichte, keine Tuya, tein Taxodium, nicht einmal eincn Podocarpus gibt, kommen Harze, Balsame, aromatisches Gummi von den Maronobea«, Icica-, Amyrisarten. Das Einsammeln dieser Gummi und Harze ist ein Erwerbszweig für das Dorf Iavita. Das berühmteste Harz heißt Mani: wir sahen mehrere Centner schwere Klumpen desselben, die Colophonium oder Mastir glichen. Der Vaum, den die Paraginis-Indianer Mani nennen, und den Nonpland für die Uoronode» ooooin^ hält, liefert nur emen sehr kleinen Theil der Masse, die in den Handel von Angostura kommt. Das meiste kommt vom Mararo oder Caragna, der eine Amyris ist. Es ist ziemlich auffallend, daß der Name Mani, den Aublet aus dem Munde der Galibis-Ind.aner in Cayenne gehört hat, uns in Iavita. 300 Meilen von französisch Guyana, wieder begegnete. Die Moronobea oder Sym-phonia bei Iavita gibt ein gelbes Harz, der Caragna em stark riechendes, schneeweißes Harz, das gelb wird, wo es mnen an alter Rinde sitzt. Wir gingen jeden Tag in den Wald, um zu sehen, ob es mit dem Transport unseres Fahrzeugs zu Land vorwärts ging. Drei und zwanzig Indianer waren angestellt, dasselbe zu schleppen, wobei sie nach einander Baumäste als Walzen unterlegten. Ein kleines Canoe gelangt in einem oder anderthalb Tagen aus dem Tuamini in den Cano Pimichin, der in den Rio Negro füllt: aber unsere Pirogue war sehr groß, und da sie noch einmal durch die Katarakten mußte, bedürfte es besonderer Vorsichtsmaßregeln, um die Reibung am Boden zu vermindern. 10t Der Transport währte auch über vier Tage. Erst seit dem Jahr 1795 ist ein Weg durch den Wald angelegt. Die Indianer in Iavita haben denselben zur Hälfte vollendet, dic andere Hälfte haben die Indianer in Maroa, Davip.' und San Carlos herzustellen. Pater Eugenio Cereso maß den Weg mit einem hundert Varas ^ langen Strick und fand denselben 17,180 Varas lang. Legte man statt des „Trageplatzes" einen Canal an, wie ich dem Ministerium König Karls IV. vorgeschlagen, so würde die Verbindung zwischen dem Rio Negro und Angostura, zwischen dem spanischen Orinoco und den portugiesischen Besitzungen am Amazonenstrom ungemein erleichtert. Die Fahr« zeuge gingen dann von San Carlos nicht mehr über den Cas-siauiare, der eine Menge Krümmungen hat und wegen der starken Strömung gerne gemieden wird: sie gingen nicht mehr den Orinoco von seiner Gabeltheilung bis San Fernando de Atabapo hinunter. Die Vergsahrt wäre über den Rio Negro und den Cano Pimichin um die Hälfte kürzer. Vom neuen Canal bei Iavita an ginge es über den Tuamini, Temi, Atabapo und Orinoco abwärts bis Angostura. Ich glaube, man könnte auf diese Weise von der brasilianischen Grenze in die Hauptstadt von Guyana leicht in 24—26 Tagen gelangen; man brauchte unter gewöhnlichen Umstünden 10 Tage weniger und der Weg wäre für die Ruderer (Bogas) weniger beschwerlich, weil man nur halb so lang gegen die Strömung anfahren muß, als auf dem Cassiauiare. Fährt man aber den Orinoco herauf, geht man von Angostura an den Rio Negro, so beträgt l Eine Vara ist gleich 0.83 Meler. 102 dcr Unterschied in der Zeit kaum ein paar Tage: denn über den Pimichin muß man dann dic kleinen Flusse hinauf, während man auf dem alten Wege den Cassiquiare hinunter fährt. W,e lange die Fahrt von dcr Mündung des Orinoco nach San Carlos dauert, hängt begreiflich von mehreren wechselnden Umständen ab, ob die Brise zwischen Angostura und Canchana starter oder schwächer weht, wie in den Katarakten von Atures und Maypmes und in den Flüssen überhaupt der Wasserstand ist. Im November und December ist die Brise zlemllch lrastia, und die Strömung des Orinoco nicht stark, aber d.e klemen Flüsse haben dann so w.nig Wasser, daß man joden Augenblick Gefahr läuft aufzufahren. Die Missionäre re.sen am liebsten im April, zur Zeit der Schildklöteneicrernte, durch d.e an ein paar Ufcrsttiche des Orinoco einiges Leben kommt Man fürchtet dann auch die Moskitos weniger, der Strom ,st IM' voll, die Brise kommt einem noch zu g"te und man kommt leicht durch die großen Katarakten. Aus den Barometerhöhen, die ich in Iavita und be,m Landungsplatz am Pimickin beobachtet, geht hervor, daß der Canal im Durchschnitt von Nord nach Süd einen Fall von 30—40 Toifen hätte. Daher laufen auch die vielen Bäche, über die man die Piroguen schleppen muß, alle dem Pimichin zu. Wir bemerkten mit Ueberraschung, daß unter diesen Bächen mit schwarzem Wasser sich einige befanden, deren Wasser bei reflektirtem Licbt so weiß war als das Orii.ocowasser. Woher mag dieser Unterschied rühren? Alle diese Quellen entspringen auf denselben Savanen, aus denselben Sümpfen im Walde. Pater Cereso hat bei seiner Messung nicht die gerade Linie ,103 eingehalten und ist zu weit nach Ost gekommen, der Canal würde daher nicht 6000 Toisen lang. Ich steckte den kürzesten Weg mittelst des Compasses ad und man hieb hie und da in die ältesten Waldbäume Marken. Der Boden ist völlig eben: auf fünf Meilen in der Runde findet sich nicht die kleinste Erhöhung. Wie die Verhältnisse jetzt sind, sollte man das „Tragen" wenigstens dadurch erleichtern, daß man den Weg besserte, die Pirogue« auf Wagen führte und Brücken über die Bäche schlüge, durch welche die Indianer oft Tage lang aufgehalten werden. In diesem Walde erhielten wir endlich auch genaue Aus» kunft über das vermeintliche fossile Cautschuc, das die Indianer Dapicho nennen. Der alte Kapitän Iavita führte uns an einen Bach, d?r in den Tuamini fällt. Er zeigte uns, wie man, um diese Substanz zu bekommen, im sumpfig ten Erdreich zwei, drei Fuß zwischen den Wurzeln zweier Bäume, des Iacio und des Curvana graben muß. Ersterer ist Aublets Hevea oder die Siphonia der neueren Botaniker, von der, wie man weiß, das Cautschuc kommt, das in Cayenne und Gran Para im Handel ist: der zweite hat gefiederte Blätter; sein Saft ist milchigt, aber sehr dünn und fast gar nicht tlebrigt. Das Dapicho scheint sich nun dadurch zu bilden, daß der Saft aus den Wurzeln austritt, und dieß geschieht besonders, wenn die Bäume sehr alt sind und der Stamm hohl zu werden anfängt. Rinde und Splint bekommen Risse, und so erfolgt auf natürlichem Wege, was der Mensch künstlich thut, um den Milchsaft der Hevea, der Castilloa und der Cautschuc gebenden Feigenbäume in Menge zu sammeln. Nach Aublets Bericht 104 machen die Galibis und Ganpons in Cayenne zuerst unten am Stamm einen tiefen Schnitt bis ins Holz: bald darauf machen sie senkrechte und schiefe Einschnitte, so daß diese von oben am Etamm bis nahe über der Wurzel in jenen horizontalen Einschnitt zusammenlaufen. Alle diese Rinr.cn leilen den Milchsaft der Stelle zu, wo das Thongefäß steht, in dem das Cautschuc aufgefangen wird. Die Indianer in Carichana sahen wir ungefähr cben so verfahren. Wcnn, wie ich vermuthe, die Anhäufung und das Aus-trctcn der Milch bcim Iacio und Curvana eine patholo, gische Erscheinung ist, so muß der Proceß zuweilen durch die Spitzen der längsten Wurzeln vor sich gehen; denn wir fanden zwei Fuß breite und vier Zoll dicke Massen Dapicho acht Fuß vom Stamm entfernt. Ost sucdt man unter abgestorbenen Bäumen vergebens, andere male findet man Dapicho unter noch grünenden Hevea- rdcr Iaciostämmen. Die Substanz ist weiß, korkartig, zerbrechlich und gleicht durch die aufeinander liegenden Blüttcr und die gewellten Ränder dcm L«Iew8 i^nia-nu3. Vielleicht ist zur Bildung des Dapicho lange Zeit er. forderlich : der Hergang dabei ist wahrscheinlich der, daß in Folge eines eigenthümlichen Zustandes dcs vegetabilischen Gewebes der Saft sich verdickt, austritt und im feuchten Boden ohne Zutritt von Licht gerinnt; es ist ein eigenthümlich beschaffenes, ich möchte fast sagen „vergeiltcs" Cautschuc. Aus der Feuchtigkeit des Bodens scheint sich das welligte Ansehen der,Ränder des Dapicho und seine Blätterung zu erklären. Ich habe in Peru oft beobachtet, daß, wenn man den Milchsaft der Hevea oder den Saft der Carica langsam in vieles 105 Wasser gicßl, das Gerinnsel wellenförmige Umrisse zeigt. Das Dapicho tommt sicher nicht lloß in dem Walde zwischen Iavita und demPimichin vor, odgk-ich cs bis jctzt nur hier gefunden worden ist. Ich zweifle nickt, daß man iu französisch Guyana, wenn man unter dcn Wurzeln und alten Stämmen der Hevea nachsuchte, zuweilen gleichfalls solche ungeheure Klumpen von lovkartigem Camschuc fände, wie wir sie ebkn beschrieben. In Europa macht man die Vcobachtung, daß, wenn die Blätter fallen, der East sich gegen die Wurzeln zieht; es wäre inlcrlssant zu untersuchen, ob etwa unter den Tropen die Milchsäfte der Urticcen, der Eup^orbien, und der Apocyneen in geirAn Jahreszeiten gleich!alls abwärts gche,:. Trch der großen Gleich» förmigkcit der Temperatur durchlaufen die Bäume in de: heißen Zone einen Vegetationecyclus, uniellicgcn Veränderungen mit periodischer Wiederkehr. Das Dapicho ist wichtiger für die Pflanzenphysirlogie als für die organische Chemie. Wir haben eine Abhandlung Allen's über den Unterschied zwischen dem Caulschuc in seinem gewöhnlichen Zustande und der dei Iavita gefundenen Substanz, von der ich Sir Joseph Banks gesendet hatte. Gegenwärtig kommt im Handcl ein gelblich weißes Cautschuc vor, das man leicht vom Dapicho untcrfcheidet, da es weder trocken wie Kork, noch zerreiblich ist, sondern sehr elastisch, glänzend und seifenartig. Ich sah kürzlich in Lonvon anfehn« liche Massen, die zwischen 6 und 15 Francs das Psund im Preise standen. Dieses weiße, fett anzufühlende Lautschuc kommt aus Ostindien. Es hat den thierischen, nauscosen Geruch, den ich weiter oben von einer Mischung von Käsestoff und Eiweißstoff abgeleitet habe. Wenn man bedenkt, wie unendlich viele 106 und mannigfaltige tropische Gewächse Cautschuc geben, so muß man bedauern, daß dieser so nützliche Stoff bei uns nicht wohlfeiler ist. Man brauchte die Bäume mit Milchsaft gar nicht künstlich zu pflanzen: all.in in den Missionen am Orinoco ließe sich so viel Cautschuc gewinnen, als das civilisirte Europa immer bedürfcn mag. Im Königreich Neu-Grenada ist hie und da mit Glück versucht worden, aus dieser Substanz Stiefeln und Schuhe ohne Nath zu machen. Unter den amerikanischen Völkern verstehen sich die Omaguas am Amazonenstrom am besten auf die Verarbeitung des Cautschuc. Bereits waren vier Tage verflossen und unsere Pirogue hatte den Landungsplatz am Rio Pimichin immer noch nicht erreicht. „Es fehlt Ihnen an nichts in meiner Mission," sagte Pater Cereso; „Sie haben Bananen und Fische, bei Nacht werden sie nicht von den Moskitos gestochen, und je länger Sie bleiben, desto wahrscheinlicher ist es, daß Ihnen auch noch die Gestirne meines Landes zu Gesicht kommen. Zerbricht Ihr Fahrzeug beim „Tragen," so geben wir Ihnen ein anderes, und mir wird es so gut, daß ich ein paar Wochen eon ßents blauoa ^ 66 rznan lebe." ^ Trotz unserer Ungeduld hörten wir die Schilderungen des guten Missionärs mit großem Interesse an. Er bestätigte Alles, was wir bereits über die sittlichen Zustände der Eingeborenen dieser Landstriche vernommen hatten. Sie leben in einzelnen Horden von 40—50 Köpfen unter einem Familienhaupte,- einen gemeinsamen Häuptling ' »Mit weißen und vernünftigen Menschen." Dic europäische Eigenliebe stellt gemeiniglich die ß«nte <1e> r«/on und die eenl? liurck, einander gegenüber. H 10? (llpow, ßlbißrsny) erkennen sie nur an, sobald sie mit ihren Nachbarn in Fehde gerathen. Das gegenseitige Mißtrauen ist bei diesen Horden um so stärker, da selbst die, welche einander zunächst hausen, gänzlich verschiedene Sprachen sprechen. Auf offenen Ebenen oder in Ländern mit Grasfluren halten sich die Völkerschaften gerne nach der Stammveiwandtschaft, nach der Achnlichteit der Gebräuche und Mundarten zusammen. Auf dem tartarischen Hochland wie in Nordamerika sah man große Völkerfamilien in mehreren Marschkolonnen über schwach bewaldete, leicht zugängliche Länder fortziehen. Der Art waren die Züge der toltekischcn und aztekischen Race über die Hochebenen von Mexico vom sechsten bis zum eilftcn Jahrhundert unserer Zeitrechnung: der Art war vermuthlich auch die Völker-strömung, in der sich dir lleinen Stämme in Canada, die Mengwe (Irokesen) oder fünf Nationen, die AlgvnkinZ oder Lenni-Lenapes, die Chikesaws und die Muskohgees vereinigten. 2a aber der unermeßliche Landstrich zwischen dem Acquator und dem achten Breitengrad nur Ein Wald ist, so zerstreuten sich darin die Horden, indem sie den Flußverzweigunaen nachzogen, und die Beschaffenheit des Bodens nöthigte sie mehr oder weniger Ackerbauer zu werden. So wirr ist das Labyrinth der Flüsse, daß die Familien sich niederließen, ohne zu wissen, welche Menschenart Zunächst neben ihnen wohnte. In spanisch Guyana trennt zuweilen ein Berg, ein eine halbe Meile breiter Forst Horden, die zwei Tage zu Wasser fahren müßten, um zusammenzukommen. So wirken denn in offenen oder in der Cultur schon vorgeschiitlenen Ländern Flußverbindungen mächtig auf Verschmelzung dcr Sprachen, dOl Sitten und der politischen 108 Einrichtungen; dagegen in den undurchdringlichen Wäldern des heißen Landstrichs, wie im rohen Urzustand unseres Geschlechts, zerschlagen sie große Völker in Vruchstücke, lassen sie Dialekte zu Sprachen werden, die wie grnndvcrschieden aussehen, nähren sie das Mißtrauen und den Haß unter den Völkern. Zwischen dem Caura und dem Padamo trägt Alles den Stempel der Zwietracht und der Schwäche. Die Menschen fliehen einander, weil sie einander nicht verstehen: sie haM» sich, weil sie einander fürchten. Velrachtet man dieses wilde Gcbiet Amenta's mit Auf« mertsamkeit, so glaubt man sich in die Urzeit versctzt, wo die Erde sich allmählig bevölkerte: man meint die frühesten gesellschaftlichen Bildungen vor semen Augen entstehen zu sehen. In der alten Welt sehcn wir, wie das Hirlenleben die Jäger-Völker zum Leben des Ackerbauers erzieht. In der neuen sehen wir uns vergeblich nach dieser allmähligen Culturentwicklung um, nach diesen Ruhe- und Hallpuntten im Leben der Völker. Der üppige Pflanzcnwuchs ist den Indianern bei ihren Jagden hinderlich; da die Ströme Meeresarmen gleichen, so hört des liefen Wassers wegen der Fischfang Monale lang auf. Die Arten von Wiederkäuern, die der tvstbarste Vesiv der Völker der alten Welt siud, fchlen in der neuen: der Vifon und der Moschusochfe sind niemals Hausthiere geworden. Die Vermehrung der Llamas und Guanacos führte nicht zu den Sitten des HirtenlebenZ. In der gemäßigten Zone, an den Ufern des Missouri wie auf dem Hochland von Ncu-Mexico, ist der Amerikaner ein Jäger: in der heißen Zone dagegen, in den Wäldern von Guyana pflanzt er Manioc, Bananen, zuweilen 1W Mais. Die Natur ist so überschwenglich freigebig, daß die Ackcrflur des Eingeborenen ein Fleckchen Boden ist, daß das Urbarmachen darin besteht, daß man die Straucher wegbrennt, das Ackern darin, daß man ein paar Samen oder Steckreiser dem Äoden anvertraut. So weit man sich in Gedanken in der Zeit zurückversetzt, nie kann man in diesen dicken Wäldern die Völker anders denken als so, daß ihnen der Boden vorzugsweise die Nahrung lieferte; da aber dieser Voden auf der kleinsten Fläche fast ohne Arbeit so reichlich trügt, so hat man sich wiederum vorzustellen, daß diese Völker immereinem und demselben Gewässer entlang häufig ihre Wohnplätze wechselten. Und der Eingeborene am Orinoco wandert ja mit seinem Saatkorn noch beute, und legt wandernd seine Pflanzung (eonuoo) an, wie der Araber sein Zelt aufschlägt und die Weide wechselt. Die Menge von Culturgewächsen, die man mitten im Walde wild findet, weisen deutlich auf ein ackerbauendes Volk mit nomadischer Lebenswnss hin. Kann man sich wundern, daß bei solchen Sitten vom Segen der festen Niederlassung, des Getreidebaus, der weite Flächen und viel mehr Arbeit erfordert, so gut wie nichts übrig bleibt? Die Völker am obern Orinoco, am Atabapo und Inirida verehren, gleich den alten Germanen und Persern, leine andern Gottheiten als die Naturlräfte. Das gute Princip nennen sie Cachimana: das ist der Manitu, der große Geist, der die Jahreszeiten regiert und die Flüchten reifen läßt. Neben-dem Cachimana steht ein böses Princip, der Iolokiamo, der nicht so mächtig ist, aber schlauer und besonders rühriger. Die Indianer aus den Wäldern, wenn sie zuweilen in die Missionen <10 kommen, können sich von einem Tempel oder einem Bilde sehr schwer einen Vcgriss machen. „Die guten Leute," sagte der Missionär, „lieben Proccssionen nur im Freien. Jüngst beim Fest meines Dorfpatrons, des heiligen Antonius, wohnten die Indianer voil Innida der Messe bei. Da sagten sie zu mir: „Euer Gott schließt sich in ein Haus ein, als wäre er alt und krank, der unsrige ist im Wald, auf dem Feld, auf den Sipapubergen, woher der Regen kommt." Vei zahlreicheren und eben debhalb weniger barbarischen Völkerschaften bilden sich seltsame religiöse Vereine. Ein paar alte Indianer wollen in dic göttlichen Dinge tiefer eingeweiht seyn als die andern, und diese haben das berühmte Botuto in Verwahrung, von dem obcn die Rede war, und das unter den Palmen geblasen wird, damit sie reichlich Fruchte tragen. An den Ufern des Orinoco gibt es kein Götzenbild, wie bei allen Völkern, die beim ursprünglichen Naturgottesdienst stehen geblieben sind; aber der Votuto, die heilige Trompete, ist zum Gegenstand der Verehrung geworden. Um in die Mysterien des Botuto eingeweiht zu werden, muß man rein von Sitten und unbeweibt seyn. Die Eingeweihten unterziehen sich der Geißelung, dem Fasten und andern angreifenden Andachtsübungen. Dieser heiligen Trompeten sind nur ganz wenige und die altberühmteste befindet sich auf einem Hügel beim Zusammenfluß des Tomo mit dem Rio Negro, Sie soll zugleich am Tuamini und in der Mission San Miguel de Davipe, zchn Meilen weit, gehört werden. Nach Pater Ceresos Bericht sprachen die Indianer von diesem Votulo am Rio Tomo sr, als wäre derselbe für mehrere Völkerschaften in der Nahe ein Ill Gegenstand der Verehrung. Man stellt Früchte und berauschende Getränke neben die heilige Trompete. Bald bläst der große Geist (Cachimana) selbst die Trompete, bald läßt er nur seinen Willen durch den kund thun, der das heilige Werkzeug in Verwahrung hat. Da diese Gaukeleien sehr alt find (von den Vätern unserer Väter her, sagen die Indianer), so ist es nicht zu verwundern, daß es bereits Menschen gibt, die nicht mehr daran glauben; aber diese Ungläubigen äußern nur ganz leise, was sie von den Mysterien des Botuto halten. Die Weiber dürfen das wunderbare Instrument gar nicht sehen; sie sind überhaupt von jedem Gottesdienste ausgeschlossen. Hat eine das Unglück, die Trompete zu erblicken, so wird sie ohne Gnade umgebracht. Der Missionär erzählte uns, im Jahr 1798 habe er das Glück gehabt, ein junges Mädchen zu retten, der ein eifersüchtiger, rachsüchtiger Liebhaber Schuld gegeben, sie sey aus Vorwitz den Indianern nachgeschlichen, die in den Pflanzungen den Votuto bliesm. „Oesscntlich hätte man sie , nicht umgebracht," sagte Pater Cereso, „aber wie sollte man sie vor dem Fanatismus der Eingebornen schützen, da es hier zu Lande so leicht ist, einem Gist beizubringen? Das Mädchen äußerte solche Bcsoraniß gegen mich und ich schickte sie in eine Mission am untern Orinoco." Wären die Völker in Guyana Herren dieses großen Landes geblieben, könnten sie, ungehindert von den christlichen Niederlassungen, ihre barbarischen Gc-brauche frci entwickeln, so erhielte der Botutodienst ohne Zweifel eine politische Bedeutung. Dieser geheimnißvolle Verein von Eingeweihten, diese Hüter der heiligen Trompete würden zu einer mächtigen Pnesterkaste und das Orakel am Nio Tomo 112 schlänge nach und nach ein Band um benachbarte Völker. Auf diese Weise sind durch gemeinsame Gottesvcrehrung (oommu-ni» saera), durch religiöse Gebräuche und Mysterien so viele Völker der alten Welt einander näher gebracht, mit einander versöhnt und vielleicht der Gesittung zugeführt worden. Am vierten Mai Abends meldete man uns, ein Indianer, der beim Schleppen unserer Pirogue an den Pimichin beschäftigt war, sey von einer Natter gebissen worden. Der große starke Mann wurde in sehr bedenklichem Zustand in die Mission gebracht. Er war bewußtlos rücklings zu Voden gestürzt, und auf die Ohnmacht waren UebliaM, Schwindel, Con-gestionen gegen den Kopf gefolgt. Die Liane Vejuco de Guaco, die durch Mutis so berühmt geworden, und die das sicherste Miltel gegen den Viß giftiger Schlangen ist, war hier zu Lande noch nicht bekannt. Viele Indianer liefen zur Hütte des Kranken und man heilte ihn mit dem Ausguß von Naiz de Mato. Wir können nicht mit Bestimmtheit angeben, von welcher Pflanze dieses Gegengift kommt. Der reisende Bo, taniter hat uur zu oft den Verdruß, daß er von den nutzbarsten Gewächsen weder Vlüthe noch Frucht zu Gcsicht bekommt, während er so viele Arten, die sich durch keine besondern Eigenschaften auszeichnen, täglich mit allen Fructincationsorganen vor Augen hat. Die Raiz de Mato ist vermuthlich eine Apocynee, vielleicht die (^rdei-a tlievetia, welche die Einwohner von Cu-mana I^nZu» cie Aata oder Oontla-Culebra nennen und gleichfalls gegen Schlangenbiß brauchen. Eine der Cerbcra sehr nahe stehende Gattung (Ojiliiax^Ion Zer^entinum) leistet in Indien denselben Dienst. Ziemlich häusig findet man in derselben 113 Pflanzenfamilie vegetabilische Gifte und Gegengifte gegen den Biß der Reptilien. Da viele tonische und narkotische Mittel mebr oder minder wirksame Gegengifte sind, so lommen diese in ^veit auseinanderstehenden Familien vor. bei den Aristolochien, Apocyneen, Gentiane», Polygalen, Solaneen, Malvaceen, Drymyrhizeen, bei den Pflanzen mit zusammengesetzten Blüthen, und was noch auffallender ist, sogar bei- den Palmen. In der Hütte des Indianers, der von einer Natter gebissen worden, fanden wir 2—3 Zoll große Kugeln eines etdigten, unreinen Salzes, Chivi genannt, das von den Eingeborenen sehr sorgfältig zubereitet wird. In Maupures verbrennt man eine Conserve, die der Orinoco, wenn er nach dem Hochgewüsser in sein Bett zurücklehrt, auf dem Gestein sitzen läßt. In Iaulta bereitet man Salz durch Einäscherung des Vlüthenkolbens und der Früchte der Seje oder Chimu» Palme. Diese schöne Palme, die am Ufer des Äuvena beim Katarakt Guaiinuma und zwischen Iavita und dem Pimichin sehr Häufig vorkommt, scheint eine neue Art Cocospalmc zu seyn. Bekanntlich ist das in der gemeinen Cocusnuß eingeschlossene Wasser häufig salzigl, selbst wenn der Baum weit von der Meeresküste wächst. Auf Madagascar gewinnt man Salz aus dem Saft einer Palme Namens Cira. Außer den Blüthenlolben und den Früchten der Sejepalme laugen die Indianer in Iavita auch die Asche des vielberufenen Schlinggewächses Cup ana aus. Es ist dieß eine neue Art der Gattung Paullinia, also eine von Li»m6s Cupania sehr ver« schiedene Pflanze. Ich bemerke bei dieser Gelegenheit, daß ein Missionär selten auf die Reise geht, ohne, den zubereitetem Hum dole t, Rels«. V. g 114 Samen der Liane Cupana mitzunehmen. Diese Zubereitung erfordert große Sorgfalt. Tie Indianer zerreiben den Samen, mifchen ihn mit Maniocmehl, wickeln die Masse in Banancn-blätter und lassen sie im Wasser Bb«n, bis sie safrangelb wird. Dieser gelbe Teig wird an der Sonne getrocknet und mit Wasser angegossen genießt man ihn Morgens statt Thee. Das Getränk ist bitter und magcnstärkcnd. ich fand aber den Geschmack sehr widrig. . .. Am Niger und in einem großen Theile des mnern Afnka, wo das Salz sehr selten ist, heißt es von einem reichen Mann: Es geht ihm so gut, daß er Salz zu seinen Spe.sen ch. Dieses Wohlergehen ist auch im Innern Guyanas n'cht allzu häusig. Nur die Weißen, besonders die Soldaten .m Fort San Carlos, wissen sich «ins Salz zu verschaffen entweder von der Küste von Caracas oder von Chita, am Ostabhang der Cordilleren von Neu-Grenada, auf dem 3iw Mcta. Hier, wie in ganz Amerika, essen die Indianer wenig Flasch und verbrauchen fast kcin Salz. Daher trägt auch die Salzsteuer aller Orten, wo die Zahl der Eingeborenen bedeutend vorschlägt, wie in Mexico und Guatimala, der Staatskasse Ivemg ein. Der Chivi in Iavita ist ein Gemenge von salzsaurem Kali und salzsaurem Natron, Aetzkalk und verschiedenen er-digten Salzen. Man löst ein ganz llein wenig davon m Wasser auf, füllt mit der Auflösung ein düteniörmig aufgewickeltes Helicunienblatt und läßt wie aus det Spitze eines FiltrumZ ein paar Tropfen auf die Speisen fallen. Am 5. Mai machten wir uns zu Fuß auf den Weg, um unsere Pirogue einzuholen, die endlich über den Trageplah 115 im Cano Pimichin angelangt war. Wir mußten über einc Menge Vüche waten, und es ist dabei wegen der Nattern, von denen die Sümpfe wimmeln, einige Vorsicht nöthig. Tie Indianer zeigten uns auf dem nassen Thon die Fährte der kleinen schwarzen Bären, die am Temi so häufig vortcmmcn. Sie unterscheiden sich wenigstens in der Größe vom Hl-Lu« llM6lit:llnu8; die Missionär,.' nennen sie Oe«« «truicero zum Unterschied vom 08»o i)kln»^rc, (U) i-m^oupIlUFn iudntn) und dem 0880 liormi^ero oder Tamandua Ameisenfresser. Diese Thiere sind nicht übel zu essen; die deidcn erstgenannten setzen sich zur Wehr und stellen sich dabei auf die Hinterbeine. Nuffons Tamanoir heißt bei den Indianern Uaraca: er ist reizbar und beherzt, was bei einem zahnlosen Thier ziemlich auffallend erscheint. Im Weitergehen kamen wir auf einige Lichtungen im Wald, der uns desto reicher erschien, je zugänglicher er wurde. Wir fanden neue Arten von Coffea (die amerikanische Gruppe mit Blüthen in .Rispen bildet wahrscheinlich eine Gattung für sich), die 6»le«;u piscntol-ul»«, deren, sowie der Iacauinia und einer Pflanze mit zusammengesetzter Alüthe vom Rio Temi, ' die Indianer sich als Bardasco bedienen, um die Fische zu betäuben, endlich dic hier Vcjuco de Ma-vacure genannte Liane, von der das vielberufene Gift Cu-rare kommt. Es ist weder ein kl^linutlms, noch eine (^ariai-in, die Wildenow gemeint, sondern «ach ttunths Untersuchungen sehr wahrscheinlich ein ötr^diuos. Wir werden unten Gelegenheit haben, von dieser giftigen Substanz zu 1 liaillieia Harbusco. 116 sprechen, die bei den Wilden ein wichtiger Handelsartikel ist. Wenn ein Reisender, der s,ch gleich uns durch die Gastfreundschaft der Missionäre gefördert sähe, ein Jahr am Atabapo, Tuamini und Rio Negro, und ein wcitcrcs Jahr in den Bergen bei Mmeralda und am obern Orinoco zubrächte, könnte er gewiß die Zahl der von Aublet und Richard beschriebenen Gattungen verdreifachen. Auch im Walde am Pimichin haben die Bäume d,e nesige Höhe von L0-120 Fuß. Es sind dieß die Laurmeen und Amyns, die in diesen heißen Himmelsstrichen das schöne Bauholz liefern, das man an der Nordwestküste von Amenka m den Bergen, wo im Winter der Thermometer auf 20 Grad unter Null fällt, in der Familie der Nadelhölzer findet. In Amerika ist unter allen Himmelsstrichen und ,n allen Wanzen-familicn die Vegetationskraft so ausnehmend stark, daß unter dem 57. G.ad nördlicher Breite, auf derselben I'otherme w.e Petersburg und die Orknsvinscln, ?mu8 oanaöei,«'« 150 Fuß hohe und 6 Fuß dicke Stämme hat. > Wir kamen gegen Nacht in einem kleinen Hofe an, dem Puerto oder Landungsplatz am Pimichin. Man zeigte uns ein Kreuz am Wege, das die Stelle bezeichnet, „wo ein armer Missionär, em Kapuziner, von den Wespen umgebracht worden." Ich sp'echc dieß dem Mönch in Iavita und den Indianern nach. Man spricht hier zu Lande viel von giftwn Wespen und Ameisen: wlr ' Langsdorf sah bei den Bewohne«! der Norfoikbucht Canoes an« Oiuem Stück 5« Fuß lang, 4'/, breit und an den Näudein 3 F»ß hoch; sie faßte« 30 Menschen. Auch Vopulu» billünmiseril wird auf d«.l Bergen um siorfollbucht ungeheuer hoch. 117 konnten aber keines von diesen beiden Insekten abtreiben. Bekanntlich verursachen in beißen Erdstrich unbedeutende Stiche nicht selten Fieberanfälle fast so heftig wie die, welche bei uns bei sehr bedeutenden organischen Verletzungen eintreten. Der Tod des armen Mönchs wird wohl eher eine Folge der Er. schovfung und der Feuchtigkeit gewesen seyn, als des Giftes im Stachel der Wespen, vcr deren Stich die nackten Indianer große Furcht haben. Diese Wcspcn bei Iavita sind nicht mit den Honigbienen zu verwechseln, welche die Spanier Engel» chen nennen l und die sich auf dem Gipfel der Silla bei Caracas uns haufenweise auf Gesicht und Hände sehten. Der Landungsplatz am Pimichin liegt in einer kleinen Pflanzung von Cacaobäume«. Die Bäume sind sehr kräftig und hier wie am Atabapo und Rio Negro in allen Jahreszeiten mit Blüthen und Früchten bedeckt. Sie fangen im vierten Jahr an zu tragen, auf der Küste von Caracas erst im sechsten bis achten. Der Boden ist am Tuamini und Pimichin überall, wo er nicht sumpsigt ist, leichter Sandboden, aber ungemein fruchtbar. Bedenkt man, daß der Cacaobaum in diesen Wäldern der Parime, südlich vom sechsten Breitengrad, eigentlich zu Hause ist, und dah das nasse Klima am obern Orinoco diesem kostbaren Baume weil besser zusagt als die Luft in den Provinzen Caracas und Barcelona, die von Jahr zu Jahr trockener wird, so muß man bedauern, daß dieses schöne Stück Erde in den Händen von Mönchen ist, von denen keinerlei Cultur befördert wird. Die Missionen der Observanten ' V. Vand lll. Heitr ?0. 118 allein könnten 50.000 Fanegas i Cacao m den Handel bringen, dessen Werth sich in Europa auf mehr als sechs Millionen Franken beliefe. Um die Conugos am Pimichin wachst wild der Igua, ein Baum, ähnlich dem Oar^ttenr nuoiterum, den man in holländisch und französisch Guyana baut, und von dem neben dem Almendron von Mariquita (OLi-^nenr »m^ß-6ä1iferum), dem Iuvia von Esmeralda (Lertliailetm exoel«») und der 6ec,finen vom Amazonenstrom die gesuchtesten Mandeln in Südamerika kommen. Die Früchte des Igua kommen hier gar nicht in. den Handel; dagegen sah ich an den Küsten von Terra Firma Fahrzeuge, die aus Demerary die Früchte des Okli^ocnr wmentosum, Aublets ?6ken tuberoulog», einführten. Diese Bäume werden hundert Fuß hoch und neh, men sich mit ihrer schönen Blumenkrone und ihren vielen Staubfäden prachtvoll aus. Ich müßte den Leser ermüden, wollte ich die Wunder der Pflanzenwelt, welche diefe großen Wälder aufzuweisen haben, noch weiter herzählen. Ihre erstaunliche Mannigfaltigkeit rührt daher, daß hier auf kleiner Vodenflgche so viele Pssanzenfamilien neben einander vorkommen, und daß bei dem mächtigen Reiz von Licht und Wärme die Säfte, die in diesen riesenhaften Gewächsen circuliren, so vollkommen ausgearbeitet werden. Wir übernachteten in einer Hütte, welche erst seit kurzem verlassen stand. Eine indianische Familie hatte darin Fischergeräthe zurückgelassen, irdenes Geschirr, aus Palmblattstielen geflochtene Matten, den ganzen Hausrath dieser sorglosen, um ' Die Fanega wiegt il0 spanische Pfund. 119 Eigenthum wenig bekümmerten Menschenart. Große Vorräthe von Mani (eine Mischung vom Harz der Uoronodßk und der ^m^ri8 Oai-anä) lagen um die Hütte. Die Indianer bedienen sich desselben hier wie in Cayenne zum Theeren der Piroauen und zum Befestigen des knöchernen Stachels der Rochen an die Pfeile. Wir fanden ferner Näpfe voll vegetabilischer Milch, die zum Firnissen dient und in den Missionen als leokk pnra piu6ar viel genannt wird. Man bestreicht mit diesem klebrichten Saft das Geräthe, dem man eine schöne weiße Farbe geben will. An der Luft verdickt er sich, ohne gelb zu werden, und nimmt einen bedeutenden Glanz an. Wie oben bemerkt worden, < ist das Cautschuc der fette Theil, die Butter in jeder Pfianzenmilch. Dieses Gerinnsel nun, diese weiße Haut, die glänzt, als wäre sie mit Covalfirniß überzogen, ist ohne Zweifel eine eigene Form des Cautschuc. Könnte man diesem milchigten Firniß verschiedene Farben geben, so hätte man damit, sollte ich meinen, ein Mittel, um unsere Kutschenkasten rasch, in Einer Handlung zu bemalen und zu firnissen. Je genauer man die chemischen Verhältnisse der Gewächse der heißen Zone kennen lernt, desto mehr wird man hie und da an abgelegenen, aber dem europäischen Handel zugänglichen Orten in den Organen gewisser Gewächse halbfertige Stoffe entdecken, die nach der bisherigen Ansicht nur dem Thierreich angehören, oder die wir auf künstlichem, zwar sicherem, oft aber langem und mühsamem Wege hervorbringen. So hat man bereits das Wachs gefunden, das den Palmbaum ' S. Band III. Seite 222. 120 der Anden von Quindiu überzieht, die Seide der Mocoa-palme, die nahrhafte Milch des Palo de Vaca, den afrikanischen Vutterbaum, den käseartigen Stoss im fast animalischen Safte der Oarioa käpa^a. Dergleichen Entdeckungen werden sich häufen, wenn, wie nach den gegenwärtigen politischen Verhältnissen in der Welt wahrscheinlich ist, die europäische Cultur großentheils in die Aequinoctialländer des neucn Con. tinents überflieht. Wie ich oben erwähnt, ist die sumpsigte Ebene zwischen Iavita und dem Landungsplatz am Pimichin wegen ihrer vielen Nattern im Lande berüchtigt. Bevor wir von der verlassenen Hütte Besitz nahmen, schlugen die Indianer zwei große, 4—5 Fuß lange M a pan are-Schlangen todt. Sie schienen nur von derselben Art wie die vom Rio Magdalena, die ich beschrieben habe. Es ist ein schönes, aber sehr giftiges Thier, am Bauch weiß, auf dem Rücken braun und roth gefleckt. Da in der Hütte eine Menge Kraut lag und wir am Boden schliefen (die Hängematten ließen sich nicht befestigen), fo war man in der Nacht nicht ohne Vesorgniß: auch fand man Mor« gens. als man das Iaguarfell aufhob, unter dem einer unserer Diener am Boden gelegen, eine große Natter. Wie die In« dianer sagen, sind diese Reptilien langsam in ihren Bewegungen, wenn sie nicht verfolgt werden, und machen sich an den Menschen, weil sie der Warme nachgehen. Am Magdalenen-ström kam wirklich eine Schlange zu einen» unserer Reisebegleiter ins Bett und brachte einen Theil der Nacht darin zu, ohne ihm etwas zu Leide zu thun. Ich will bier keineswegs Nat. tern und Klapperschlangen das Wort reden, aber das läßt sich 121 behaupten, wären diese giftigen Thiere so angriffslustig, als man glaubt, so hätte in manchen Strichen Amerika's, z. B. am Orinoco und in den feuchten Bergen von Choco, der Mensch ihrer Unzahl erliegen müssen. Am 6. Mai. Wir schifften uns bei Sonnenaufgang ein, nachdem wir den Boden unserer Pirogue genau untersucht hatten. Er war beim „Tragen" wohl dünner geworden, aber nicht gesprungen. Wir dachten, das Fahrzeug könne die dreihundert Meilen, die wir den Rio Negro hinab, den Cassiquiare hinauf und den Orinoco wieder hinab bis Angostura noch zu machen hatten, wohl aushalten. Der Pimichin, der hier ein Bach (Cano) heißt, ist so breit wie die Seine, der Galerie der Tuilerien gegenüber, aber kleine, gerne im Wasser wachsende Bäume, Corossols (Anona) und Achras, engen sein Bett so ein, daß nur ein 15—20 Toisen breites Fahrwasser offen bleibt. Er gehört mit dem Rio Chagre zu den Gewässern, die in Amerika wegen ihrer Krümmungen berüchtigt sind. Man zählt deren 85, wodurch die Fahrt bedeutend verlängert wird. Sie bilden oft rechte Winkel und liegen auf einer Strecke von 2—3 Meilen hinter einander. Um den Längen unterschied zwischen dem Landungsplatz und dem Punkt, wo wir in den Rio Negro einliefen, zu bestimmen, nahm ich mit dem Compaß den Lauf des Cano Pimichin auf und bemerkte, wic lange wir in derselben Richtung fuhren. Die Strömung war nur 2,4 Fuß in der Sekunde, aber unsire Pirogue legte beim Rudern 4,6 Fuß zurück. Meiner Schätzung nach liegt der Landungsplatz am Pimichin 1100 Toiscn westwärts von seiner Mündung und 0«2' westwärts von der Mission Iavita. Der Cano ist 122 das ganze Jahr schiffbar; er hat nur einen einzigen Raudal, über den ziemlich schwer heraufzukommen ist: seine Ufer sind niedrig, aber felsigt. Nachdem wir fünftehalb Stunden lang deu Krümmungen d?s schmalen Fahrwassers gefolgt waren, liefen wir endlich in den Rio Negro ein. Der Morgen war kühl und fchön. Sechs und dreißig Tage waren wir in einem schmalen Canoe eingesperrt gewesen, das so unstet war, daß es umgeschlagen hätte, wäre man unvorsichtig aufgestanden, ohne den Ruderern am andern -Uord zuzurufen, sich überzulehnen und das Gleichgewicht herzultellen. Wir hatten vom Infektenstich furchtbar gelitten, aber das ungesunde Klima hatte uns nichts angehabt; wir waren, ohne umzuschlagen, über eine ganze Menge Wasserfälle und 5l>.ß-dämme gekommen, welche dic Siromfahrt sehr beschweruch und oft gefährlicher machen als lange Seereisen. Nach allem, was wir bis jetzt durchgemacht, wird es mir hoffentlich gestattet seyn auszusprechen, wie herzlich froh wir waren, daß wir die Nebenflüsse des Amazonenstroms erreicbt, daß wir die Landenge zwischen zwei großen Flußsystemen hinter uns hatten und nunmehr mit Zuversicht der Erreichung des Hauptzwecks unserer Reise entgegensehen konnten, der astronomischen Aufnahme jenes Arms des Orinoco, der sich in den Rio Negro ergießt, und dessen Existenz seit einem halben Jahrhundert bald bewiesen, bald wieder in Abrede gezogen worden. Ein Gegenstand, den man lange vor dem innern Auge gehabt, wächst uns an Bedeutung, je näher wir ihm kommen. Jene unbewohnten, mit Wald bedeckten, geschichtslosen Ufer des Cassiauiare beschäftigten damals meine Einbildungskraft, wie die in der Geschichte 123 der Culturvölker hochberühmten Ufer des Euphrat und des Oxus. Hier, inmitten des neuen Continents, gewöhnt man sich beinahe daran, den Menschen als etwas zu betrachten, das nicht nothwendig zur Naturordnung gehört. Der Boden ist dicht bedeckt mit Gewächsen, und ihre freie Entwicklung findet nirgends ein Hinderniß. Eine mächtige Schicht Damm« erde weist darauf hin, daß die organischen Kräfte hier ohne Unterbrechung fort und fort gewaltet haben. Krokodile und Boas sind die Herren des Stroms; der Jaguar, der Pecari, der Tapir und die Assen streifen durch den Wald, ohne Furcht und ohne Gefährde; sie hausen hier wie auf ihrem angestamnu ten Erbe. Dieser Anblick der lebendigen Natur, in der der Mensch nichts ist, hat etwas Befremdendes und Niederschlagendes. Selbst auf dem Ocean und im Sande Afrika's gcwöhnt man sich nur schwer daran, wenn einem auch da, wo nichts an unsere Felder, unsere Gehölze und Bäche erinnert, die weite Einöde, durch die man sich bewegt, nicht so stark auffällt. Hier, in einen, fruchtbaren Lande, geschmückt mit unvergänglichem Grün, sieht man sich umsonst nach einer Spur von der Wirksamkeit des Menschen um; man glaubt sich in eine andere Welt versetzt, als die uns geboren. Ein Soldat, der sein ganzes Leben in den Missionen am obern Orinoco zugebracht hatte, war einmal mit uns am Strome gelagert. Es war ein gescheiter Mensch, und in der ruhigen, heitern Nacht richtete er an mich Frage um Frage üb/r die Größe der Sterne, über die Mondsbewohner, über tausend Dinge, von denen ich sv viel wußte als er. Meine Antworten konnten seiner Neugier ^ nicht genügen, und so sagte er in zuversichtlichem Tone: „Was 124 die Menschen anlangt, so glaube ich, es gibt da oben nicht mehr, als ihr angetroffen hattet, wenn ihr zu Land von Iavita an den Cafsiquiare gegangen wäret. In den Sternen, meine ich, ist eben wie bier eine weite Ebene mit hohem Gras und ein Wald (inuoko mcmte), durch den ein Strom fließt." Mit diesen Worten ist ganz der Eindruck geschildert, den der eintönige Anblick dieser Einöde hervorbringt. Möchte diese Cin-tönigleit nicht auch auf das Tagebuch unserer Flußfahrt übergehen! Möchten Leser, die an die Beschreibung der Land» schaften und an die geschichtlichen Erinnerungen des alten Con» tinents gewöhnt sind, es nicht ermüdend finden! DreiundzwanzigjkS Kapitel. Der Rio Negro. — Die brasilianische Grenze. Der Rio Negro ist dem Amazonenstrom, dem Rio de la Plata und dem Orinoco gegenüber nur ein Fluß zweiten Ranges. Der Besitz desselben war aber seit Jahrhunderten für die spanische Regierung von großer politischer Wichtigkeit, weil er für einen eifersüchtigen Nacbbar, für Portugal, eine offene Straße ist, um sich in die Missionen in Guyana einzudrängen und die südlichen Grenzen der <^!«pjt»ni» ßtmerg,! von Caracas zu beunruhigen. Dreihundert Jahre verflossen über zu nichts führenden Grenzstreitigkciten. Je nach dem Geist der Zeiten und dem Culturgrad der Völker hielt man sich bald an die Autorität des heiligen Vaters, bald an die Hülfsmittel der Astronomie. Da man es meist vortheilhafter fand, den Streit zu verschleppen, als ihm ein Ende zu machen, so haben nur die Nautik und die Geographie des neuen Continents bei diesem endlosen Proceß gewonnen. Es ist bekannt, daß durch die Nullen der Päpste Nicolaus V. u.id Alexander VI., durch den Vertrag von Tordcsillas und die Nothwendigkeit, eine feste Grenzlinie zu ziehen, der Eifer, das Problem der Längen zu lösen, die Ephemeriden zu verbessern und die Instrumente zu 126 vervollkommnen, bedeutend gestachelt worden ist. Als die Hände! in Paraguay und der Besitz der Colonie am Sacramento für die beiden Höfe zu Madrid und Lissabon Sachen von großem Belang wurden, schickte man Grenzcommissäre an den Orinoco, an den Amazonenstrom und an den Rio de la Plata. Unter den Müßiggängern, welche die Archive mit Verrechnungen und Protokollen füllten, fand sich hie und da auch ein unterrichteter Ingenieur, ein Marineossicier, der mit den Methoden, nach denen man weit von den Küsten Ortsbestimmungen vornehmen kann, Bescheid wußte. Das Wenige, was wir am Schluß des vorigen Jahrhunderts von der astronomischen Geographie des neuen Continents wußten, verdankt man diesen achtbaren, fleißigen Männern, den französischen und spanischen Akademikern, die in Quito den Meridian gemessen, und Offi-cieren, welche von Valparaiso nach Buenos Ayres gegangen warm, um sich Malaspinas Erpedition anzuschließen. Mit Befriedigung gedenkt man, wie sehr die Wissenschaften fast zufällig durch jene „Grenzcommissionen" gefördert worden sind, die für den Staat eine große Last waren und von denen, die sie ins Leben gerufen, noch öfter vergessen als aufgelöst wurden. Weiß man, wie unzuverlässig die Karten von Amerika sind, kennt man aus eigener Anschauung die unbewohnten Landstriche zwischen dem Iupura und Rio Negro, dem Madeira und Ucayale, dem Rio Nranco und der Küste von Cayenne, die man sich in Europa bis auf diesen Tag allen Ernstes streitig gemacht, so kann man sich über die Beharrlichkeit, mit der man sich um ein paar Quadratmeilen zankte, nicht genug wundern. Zwischen diesem streitigen Gebiet und den angebauten Strichen 127 der Colomen liegen meist Wüsten, deren Ausdehnung ganz unbekannt ist. Auf den berühmten Conferenzen in Puente de Caya (vom 4. November 1681 bis 22. Januar 1682) wurde die Frage verhandelt, ob der Papst, als er die Demarcations-linie 370 spanische Meilen l westwärts von den Inseln des grünen Vorgebirges zog, gemeint habe, der erste Meridian solle vom Mittelpunkt der Insel St, Nic^laus aus, oder aber (wie der portugiesische Hof behauptete) vom westlichen Ende der kleinen Insel San Antonio gezählt werden. Im Ic>hr 1754, zur Zeit von Ituriagas und Solauos Expedition, unterhandelte man über den Besitz der damals völlig unbewohnten Ufer des Tuamini und um ein Stück Sumpflcmd, über das wir zwischen Iavila und dem Pimichin an Einem Abend gegangen. Noch in neuester Zeit ^wollten die spanischen Commissure die Scheidungslinie an die Einmündung des Apoporis in den Iupura legen, während die portugiesischen Astronomen sie bis zum Salto Grande zurückschoben. Die Missionäre und das Publikum überhaupt betheiligtcn sich sehr lebhaft an diesen Grenzstreitigteilen. In den spanischen wie in den portugiesischen Colonien beschuldigt man die Regierung der Gleichgültigkeit und Lässigkeit. Ueberall wo die Völker keine Verfassung haben, deren Grundlage die Freiheit ist, gerathen die Gemüther nur dann in Aufregung, wenn es sich davon handelt, die Grenzen dcs Landes weiter oder enger zu machen. Der Rio Negro und der Iupura sind zwei Nebenflüsse des Amazonenstromes, die in Länge der Donau wenig nachgeben, - ' Oder 22 Grad ll Minute», auf dem Aequato«- gezählt. 128 und deren oberer Lauf den Spaniern gehört, während der untere in den Händen der Portugiesen ist. An diesen zwei majestätischen Strömen hat sich die Bevölkerung nur in der Nähe des ältesten Mittelpunktes der Cultur bedeutend vermehrt. Die Ufer des obern Iupura oder Caaueta wurden von Missionären cultivirt, die aus den Cordilleren von Popayan und Neiva gekommen waren. Von Macoa bis zum Einfluß des Caguan gibt es sehr viele christliche Niederlassungen, während am untern Iupura die Portugiesen kaum ein paar Dörfer gegründet haben. Am Rio Negro dagegen konnten es die Spanier ihren Nachbarn nicht gleich thun. Wie kann man sich auf eine Bevölkerung stützen, wenn sie so weit abliegt als die in der Provinz Caracas? Fast völlig unbewohnte Steppen und Wälder liegen, 160 Meilen breit, zwischen dem angebauten Küstenstrich und den vier Missionen Macoa, Tomo, Davipe und San Carlos, den einzigen, welche die spanischen Francis-caner längs des Rio Negro zu Stande gebracht. Bei den Portugiesen in Brasilien hat das militärische Regiment, das System der kresi^eV und <^apitn,U68 pc>l)It>,äc>l'68 dem Mif-sionsregiment gegenüber die Oberhand gewonnen. Von Gran-Para ist es allerdings sehr weit zur Einmündung des Rio Negro i; aber bei der bequemen Echifffahrt auf dem Amazonenstrom, der wie ein ungeheurer Canal von West nach Oft gerade fortläuft, konnte sich die portugiesische Bevölkerung längs des Stromes rasch ausbreiten. Die Ufer des untern Amazonenstromes von Vistoza bis Serpa, so wie die des Rio Negro ' In gerader Linie l5U Meilen. 129 von Forte da Vara bis San Jose de Marabitanos sind geschmückt mit reichem Anbau und mit zahlreichen Städten und ansehnlichen Dörfern bedeckt. An diese Betrachtungen übcr die örtlichen Verhällnisse reihen sich andere an, die sich auf die moralische Verfassung der Völker beziehen. Auf der Nordwestküste Amerikas sind bis auf diesen Tag keine festen Niederlassungen außer den russischen und den spanischen Colonien. Noch ehe die Bevölkerung der Vereinigten Staaten auf ihrem Zuge von Ost nach West den Küstenstrich eneicht hatte, der zwischen dem 41. bis 50. Breitengrad lange die castilianischcn Mönche und die sibi« rischen Jäger l getrennt, ließen sich letztere südlich vom Nio Colombia nieder. So waren denn in Neucalifornicn die Missionäre vom Orden des heiligen Franz, deren Lebenswandel und deren Eifer für den Ackerbau alle Achtung verdienen, nicht wenig erstaunt, als sie hörten, in ihrer Nachbarschaft scyen griechische Priester eingetroffen, so daß die beiden Völker, welche das Ost- und das Westende von Europa bewohnen, auf den Küsten Amerikas, China gegenüber, Nachbarn gcwordcn waren. Anders wiederum gestalteten sich die Verhältnisse in Guyana. Hier fanden die Spanier an ihren Grenzen dicse.ben Portugiesen wieder, di? mit ihncn durch Sprache und Gcmeindcversassung einen der edelsten Neste des römischen Europa bilden, die aber durch das Mißtrauen, wie es aus Ungleichheit der Kräfte und ' Diese Jäger gehören zu Militärposten m:d hänsten von der russischen Gesellschaft nb. deren Haiiptactionärt in Irkutsk sind. Im Jahr <8N4 war die kleine Festung (Crcpost) in der Vucht von I.,f»,tal noch 6UU Meilen von den nördlichsten, nifxicafllschl» Besitzung?» cntfssnt, Humbelpt. Zilist. V. 9 t30 allzu naher Berührung geflossen, zu einer nicht'selten feindseligen, immer aber eisersüchtigen Macht geword?n waren. Geht man von der Küste von Venezuela (wo, wie in der Havana und auf den Antillen überhaupt, die europäische HandelsvolMk der tägliche Gegenstand des Inttresses ist) nach Süd, sosulM man sich mit jedem Tage mehr und mit wachsender Geschwindigkeit Allem entrückt, was mit dem Mutterlande zusammen-hänat. Mitten in den Steppen oder Llanos, in den nut Och,en-häuten gedeckten Hütten inmitten wilder Heerden unterhält man sich von nichts als von der Pflege des Viehs, von der Trockenheit des Landes, die dm Weiden Eintrag thut, vom Schaden, den die Fledermäuse cm Färsen und Füllen angerichtet Kommt man auf dem Orinoco in die Missionen in den Wäldern so findet man die Einwohnerschaft wieder mit andern Nmgen beschäftigt, mit der Unzuverlässigkeit der Indianer, die aus den Dörfern fortlaufen, mit der mehr oder minder rechen Ernte der Schildkröteneier, mit den Beschwerden emes hechen, ungesunden Klimas. Kommen die Mönche über der Plage der Moskitos noch zu einem andern Gedanken, so beklagt man sich leise über den Präsidenten der Missionen, so seufzt man über die Verblendung der Leute, die im nächsten Capitel den Gardian des Klosters in Nueva Barcelona wieder wählen wollen. Alles hat hier ein rein örtliches Interesse, ' und zwar beschränkt sich dasselbe auf die Angelegenheiten des Ordens, „auf diese Wälder, wie die Mönche sagen, estas seivag, die Gott uns zum Wohnsitz angewiesen." Dieser etwas enge, aber ziemlich trüb« selige Idcenkrcis erweitert sich, wenn man vom obern Orinoco au yen Nio Negro kommt und sich der Grenze Brasiliens nähert. 131 Hier scheinen alle Köpfe vom Dämon europäischer Politik besessen. Das Nachbarland jenseits des Amazonenstroms heißt in der Sprache der spanischen Missionen weder Brasilien, noch O«pit»uiN ß6N6i'»I von Gran-Para, sondern Portugal: die kupferfarbigen Indianer, die halbschwarzen Mulatten, die ich von Varcelos zur spanischen Schanze San Carlos heraufkommen sah, sindPortugiesen. Diese Namen sind im Munde des Volkes bis an die Küste von Cumana, und mit Behagen erzählt man ocn Reisenden, welche Verwirrung sie im Kopfe eines alten, aus den Bergen von Bierzo gebürtigen Commandanten von Vieja Guayana angerichtet hatten. Der alte Kriegsmann beschwerte sich, daß er zur See habe an den Orinoco kommen müssen. „Ist es wahr," sprach er, „wie ich hier höre, daß spanisch Guyana, diese große Provinz, sich bis nach Portugal erstreckt (zu Io8 kortuZueseg), so möchte ich wissen, warum der Hof mich in Caoir sich hat einschiffen lassen? Ich Hütte gerne ein paar Meilen weiter zu Lande gemacht." Diese Aeußerung von naiver Unwissenheit erinnert an eine verwunderliche Meinung des Cardinals Lorenzana. Dieser Prälat, der übrigens in der Geschichte ganz zu Hause ist, sagt in einem in neuerer Zeit in Mexico gedruckten Vuche, die Besitzungen des Königs von Spanien in Neu-Californien und Neu-Mexico (ihr nördliches Ende liegt unter 37° 46' der Breite) „hängen über Land mit Sibirien zusammen." Wenn zwei Völker, die in Europa neben einander wohnen, Spanier und Portugiesen, auch auf dem neuen Continent Nachbarn geworden sind, so verdanken sie dieses Verhältniß, um nicht zu sagen diesen Usbelftand, dem Unternehmungsgeist, dem 132 kecken Thatendrang, den beide zur Zeit ihres kriegerischen Ruhmes und ihrer politischen Größe entwickelt. Die castilianische Sprache wird gegenwärtig in Süd- und Nordamerika auf einer 1900 Meilen langen Strecke gesprochen: betrachtet man aber Südamerika für sich, so zeigt sich, daß das Portugiesische über einen größeren Flächenraum verbreitet ist, aber von nicht so vielen Menschen gesprochen wird, als das Castilianische. Das mmge Band, das die schönen Sprachen eines Camoens und Lope de Vega verknüpft, hat, sollte man meinen. Voller, d.e w.der-willig Nachbarn geworden, nur noch weiter auseinander gebracht. Der Nationalhaß richtet sich keineswegs nur nach der Verschiedenheit in Abstammung, Sitten und Culturstufe: überall, wo er sehr stark ausgesprochen ist, erscheint er als die Folge geographischer Verhältnisse und der damit gegebenen widerstreitenden Interessen. Man verabscheut sich etwas weniger, wenn man weit auseinander ist und bei wesentlich verschiedenen Sprachen gar nicht iu Versuchung kommt, mit einander zu verkehren. Diese Abstufungen in der gegenseitigen Stimmung neben einanderlebender Völker fallen Jedem auf, der Neucali-fornien, die innern Provinzen von Mexico und die Nordgrenzen Brasiliens bereist. Als ich mich am spanischen Rio Negro befand, war, in Folge der auseinander gehenden Politik der beiden Höfe von Lissabon und Madrid, das systematische Mißtrauen, dem die Commandanten der benachbarten kleinen Forts auch in den ruhigsten Zeiten gerne Nahrung geben, noch stärker als gewöhnlich. Die Canoes kamen von Varcelos bis zu den spanischen Missionen herauf, aber der Verkehr war gering. Der 133 Befehlshaber einer Trupftenabtheilung von 16 bis 16 Mann Plagte „die Garnison" mit Sicherheitsmaßregeln, welche „der Ernst der Lage" erforderlich machte, und im Fall eines Angriffs hoffte er „den Feind zu umzingeln." Sprachen wir davon, daß die portugiesische Regierung in Europa die vier kleinen Dörfer, welche die Franciscaner am obern Rio Negro angelegt, ohne Zweifel fehr wenig beachte, so fühlten sich die Leute durch die Gründe, mit denen wir sie beruhigen wollten, nur verletzt. Völkern, die durch alle Wechfel im Lauf von Jahrhunderten ihren Nationalhaß ungeschwächt erhalten haben, ist jede Gelegenheit erwünscht, die demselben neue Nahrung gibt. Dem Menschen ist bei Allem wohl, was sein Gemüth aufregt, was ihm eine lebhafte Empfindung zum Bewußtseyn bringt, sey es nun ein Gefühl der Zuneigung, oder jener eifersüchtige Neid, wie er aus althergebrachten Vorurtheilen entspringt. Die ganze Persönlichkeit der Völker ist aus dem Mutterlande in die entlegensten Colonien übergegangen, und der gegenseitige Widerwille der Nationen hat nicht einmal da ein Ende, wo der Einfluß der gleichen Sprache wegfällt. Wir wissen aus Krusensterns anziehendem Reisebericht, daß der Haß zweier flüchtigen Matrosen, eines Franzosen und eines Engländers, zu einem langen Krieg zwischen den Bewohnern der Marquesasinseln Anlaß gab. Am Amazonenstrom und Rio Negro können die Indianer in den benachbarten portugiesischen und spanischen Dörfern einander nicht ausstehen. Diese armen Menschen sprechen nur amerikanische Sprachen, sie wissen gar nicht, was „am andern Ufer des Oceans, drüben über der großen Salzlache" vorgeht: aber die Kutten ihrer Missionäre 134 sind von verschiedener Farbe, und dieß mißfällt ihnen im höchsten Grade. Ich habe bei der Schilderung der Folgen des Nationalhasses verweilt, den kluge Beamte zu mildern suchten, ohne ihn ganz beschwichtigen zu können. Diese Eifersucht ist nicht ohne Einfluß auf den Umstand gewesen, daß unsere geogra Phische Kunde von den Nebenflüssen des Amazonenstromes bis jetzt so mangelhaft ist. Wenn der Verkehr unter den Eingeborenen gehemmt ist, und die eine Nation an der Mündung, die andere im obern Flußgebiet sitzt, so fällt es dcn Kartenzeichnern sehr schwer, genaue Erlundigungen einzuziehen. Die periodischen Ueberschwemmungen, besonders aber die Tragc-ftlätze, über die man die Canoes von einem Nebenfluß zum andern schafft, dessen Quellen in der Nähe liegen, verleiten zur Annahme von Gabelungen und Verzweigungen der Flüsse, die in Wahrheit nicht bestehen. Die Indianer in den portugiesischen Missionen zum Beispiel schleichen sich (wie ich an Ort und Stelle erfahren) einerseits auf dem Rio Guaicia und Rio Tomo in den spanischen Rio Negro, andererseits über die Trageftlätze zwischen dem Cababuri, dem Pasimoni, dem Idapa und dem Mavaca in den obern Orinoco, um hinter Esme-ralda den aromatischen Samen des Pucherylorbeers zu sammeln. Die Eingeborenen, ich wiederhole es, sind vortreffliche Geographen- sie umgehen den Feind trotz der Grenzen, wie sie auf den Karten gezogen sind, trotz der Schanzen und Efta-camentos, und wenn die Missionäre sie von so weither, und zwar in verschiedenen Jahreszeiten kommen sehen, so machen sie sich daran, Hypothesen über vermeintliche Flußverbindungen 135 zu schmieden. Jeder Theil hat ein Interesse dabei, nicht zu sagen, was er ganz gut weiß, und der Hang zu allem Geheimnißvollen, der bei rohen Menschen so gemein und so lebendig ist, thut das Seinige dazu, um die Sache im Dunkeln zu lassen. Noch mehr, die verschiedenen Indianerstämme, welche dieses Wasserlabyrinth befahren, geben den Flüssen ganz verschiedene Namen, und diese Namen werden durch Endungen, welche „Wasser, großes Wasser, Strömung" bedeuten, un° kenntlich gemacht und verlängert. Wie ost bin ich beim nothwendigen Geschäft, die Synonymic der Flüsse ins Reine zu bringen, in größter Verlegenheit gewesen, wenn ich die gescheitesten Indianer vor mir hatte und sie mittelst eines Dolmetschers über die Zahl dcr Nebenflüsse, die Quellen und die Trage-Plätze befragte! Da in derselben Mission drei, vier Sprachen gesprochen werden, so hält es sehr schwer, die Aussagen in Uebereinstimmung zu bringen. Unsere Karten wimmeln von willkürlich abgekürzten oder entstellten Namen. Um herauszubringen, was darauf richtig ist, muß man sich von der geographischen Lage der Nebenflüsse, fast möchte ich sagen von einem gewissen etymologischen Takt leiten lassen. Der Rio Uaupe oder Uapes der portugiesischen Karten ist der Guapue der spanischen und der Ucayari der Eingeborenen. Der Anava der älteren Geographen ist Arrowsmiths Anauahu, und der Unauauhau oder Guanauhu der Indianer. Man ließ nicht gerne einen leeren Raum auf den Karten, damit sie recht genau aussehen möchten, und so erschuf man Flüsse und legte ihnen Namen bei, ohne zu wissen, daß dieselben nur Synonyme waren. Erst in der neuesten Zeit haben die Reisenden in 136 Amerika, in Persien und Indien eingesehen, wie viel darauf ankommt, daß man in der Namengebung correkt ist. Liest man die Reise des berühmten Nalrigh, so ist es eben nicht leicht, im See Mrccabo den See Maracaybo und im Marquis Paraco den Namen Pizarros, des Zerstörers desRrichs derIncas, zu erkennen. Die großen Nebenflüsse des Amazonenstroms heißen, selbst, bei den Missionären von europäischer Abstammung, in ihrem obern Lauf anders als im untern. Der I?a hcißt weiter oben Putumayo: der Iupura führt seinen Quellen zu den Namen Caqueta. Wenn man in den Missionen der Andaauies sich nach dem wahren Ursprung des Nio Negro umsah, so konnte dieß um so weniger zu «etwas führen, da man den indianischen Namen des Flusses nicht kannte. In Iavita, Mar?a und Ean Carlos hörte ich ihn Guainia nennen. Southey, der gelehrte Geschichtschreiber Brasiliens, den ich überall sehr ge» nau fand, wo ich seine geographischen Angaben mit dem, was ich selbst auf meinen Reisen gesammelt, vergleichen konnte, sagt ausdrücklich, der Rio Negro heiße auf seinem untern Laufe bei den Eingeborenen Guiari oder Curana, auf seinem obern Lauf Ueneya. Das ist soviel wie Gueneya statt Guainia: denn die Indianer in diesen Landstrichen sprechen ohne Unterschied Guanaracua und Uanaracua, Guarapo und Uarapo. Aus dem letzteren haben Hondius ' und alle alten Geographen durch ein komisches Mißverständniß ihren Lurop» kluvius gemacht. Es ist hier der Ort, von den Quellen des Rio Negro zu sprechen, über welche die Geographen schon so lange im Streit ' Auf sein« Karte zu Ralelghs Reise. 137 liegen. Diese Frage «scheint nicht allein darum wichtig, weil es sich vom Ursprung eines mächtigen Siromes handelt, was ja immer von Interesse ist- sie hängt mit einer Menge anderer Fragen zusammen, mit den angeblichen Gabelungen des Caqueta, mit den Verbindungen zwischen dem Nio Negro und dem Orinoco, und mit dem örtlichen Mythus vom Dorado, früher Enim oder das Reich des Großen Paytiti ge» heißen. Studirt man die alten Karten dieser Länder und die Geschichte der geographischen Irrthümer genau, so sieht man, wie der Mylhus vom Dorado mit den Quellen des Orinoco allmählig nach Westen rückt. Er entstand auf dem Ostabhang der Anden und schte sich zuerst, wie ich später nachweisen werde, im Südwcstcn vom Nio Negro fest. Der tapfere Mlipp de Urre ging, um die große Stadt Manoa zu entdecken, über den Guaviare. Noch jetzt erzählen die Indianer in San Jose de Maravitanos, „fahre man vierzehn Tage lang auf dem Guape oder Uaupc nach Nordost, so komme man zu einer berühmten Laguna de Oro, die von Bergen umgeben und so groß sey, daß man das Ufer gegenüber nicht sehen könne. Ein wildes Volk, die Guanes, leide nicht, daß man im Sandboden um den See Gold samlnle." Pater Acuna fetzt den See Manoa oder Icncfiti zwischen den Iaftura und dm Nio Negro. Manaos-Indianer (dieß ist das Wort Manoa mit Verschiebung der Volale, was bci so vielen amerik mischen Völkern vorkommt) brachten dem Pater Fritz im Jahr 1687 viele Blätter geschlagenen Goldes. Diese Nation, deren Namen noch heute am Urarira zwischen Lamalonga und Moreira bekannt ist, saß am Iurubesh (Yurubech, Ymubets). 138 La Condaminc sagt mit Necht dieses Mesopotamien zwischen dem Caaueta, dem Rio Negro, dem Iurubcsh und dem Iauiare sey der erste Schauplatz des Dorado. Wo soll man aber die Namen Iurubcsh und Iquiare der Patres Acuiia und Fritz suchen? Ich glaube sie in den Flüssen Urubari und Iguari der handschriftlichen portugiesischen Karten wieder zu finden, die ich besitze und die im hydrographischen Depot zu Nio Janeiro gezeichnet wurden. Seit vielen Jahren habe ich nach den ältesten Karten und einem ansehnlichen, von mir gesammelten, nicht veröffentlichten Material mit anhaltendem Eifer Untersuchungen über die Geographie Südamerikas nördlich vom Amazmicnstrom angestellt. Da ich meinem Werke den Charakter eines wissenschaftlichen Werkes bewahren möchte, darf ich' mich nicht scheuen, von Gegenständen zu handelu, über die ich hoffen kann einiges Licht zu verbreiten, nämlich von den Quellen des Nio Negro und des Orinoco, von der Verbindung dieser Flüsse mit dem Amazonenstrom, und vom Problem vom Goldlande, das den Bewohnern der neuen Welt so viel Blut und so viel Thränen gekostet hat. Ich werde diese Fragen n^ch einander behandeln, wie ich in meinem Reisetage-buche an die Orte komme, wo sie von den Einwohnern selbst am lebhaftesten besprochen werden. Da ich aber sehr ins Einzelne gehen müßte, wenn ich alle Beweise für meine Aufstellungen beibringen wollte, so beschränke ich mich hier darauf, die hauptsächlichsten Ergebnisse mitzutheilen, und verschiebe die weilere Ausführung auf die „^ngl^e äos <ün,rt68" und den „L8Lsi sur lg, ^o^i-apkis g«ti-onomiqu6 6u Nnuvsau-Kontinent," welche den geographischen Atlas eröffnen sollen. 1I9 Diese meine Untersuchungen führen zum allgemeinen Schluß, daß die Natur bei der Vertheilung der fließenden Gewässer auf der Erdoderfläche, wie beim Bau der organischen Körper, lange nicht nach einem so verwickelten Plane verfahren ist, als man unter dem Einfluß unbestimmter Anschauungen und deß Hangs zum Wunderbaren geglaubt hat. Es geht auch daraus hervor, daß alle jene Anomalien, alle jene Ausnahmen von den Gesetzen der Hydrographie, die im Innern Amerikas vorkommen, nur scheinbar sind: daß in der alten Welt beim 2auf fließender Gewässer gleich außerordentliche Erscheinungen vorkommen, daß aber diese Erscheinungen vermöge ihres unbedeutenden Umfangs den Reisenden weniger aufgefallen sind. Wenn ungeheure Ströme betrachtet werden könnm als aus mehreren, unter einander parallelen, aber ungleich tiefen Rinnen bestehend, wenn diese Ströme nicht in Thäler eingeschlossen sind, und wenn das Innere eines großen Festlandes so eben ist als bei uns das Mceresufer, so müssen die Verzweigungen, die Gabelungen, die netzförmigen Verschlingungcn sich ins Unendliche häufen. Nach Allem, was wir vom Gleichgewicht der Meere wissen, kann ich nicht glauben, daß die neue Welt später als pie alte dem Schooß des Wassers entstiegen, daß das organische Leben in ihr jünger, frischer seyn sullte; wenn man aber auch keine Gegensätze zwischen dcn zwei Halbkugeln desselben Planeten gelten läßt, so begreift sich doch, daß auf derjenigen, welche die größte Wasserfülle hat, die verschiedenen Ilußsysteme längere Zeit gebraucht babrn, sich von einander zu scheiden, sich gegenseitig völlig unabhängigen machen. Die Anschwemmungen, die sich überall bilden, wo fließendes Wasser 140 an Geschwindigkeit abnimmt, tragen allerdings dazu bei, die großen Strombetten zu erhöhen und die Überschwemmungen stärker zu machen: aber auf die Länge werden die Flußarme und schmalen Kanäle, welche benachbarte Flüsse mit einander verbinden, durch diese Anschwemmungen ganz verstopft. Was das Regenwasser zusammcnspült, bildet, indcm es sich aufhäuft, Schwellen, iMmes ö'att6ris56ment, Wasserscheiden, die zuvor nicht vorhanden waren. Die Folge davon ist, dah die natürlichen, ursprünglichen Verbindungscanälc nach und nach in zwei Wasserläufe zerfallen, und durch die Aufhöhung des Bodens in der Quere zwei Gefalle nach entgegengesetzten Richtungen erhalten. Ein Theil ihres Wassei-s fällt in den Hauptwasserbehälter zurück, und zwiscben zwei parallelen Becken erhebt sich eine Böschung, so daß die ehemalige Verbindung spurlos verschwindet. Sofort bestehen zwischen verschiedenen Flußsystemen keine Gabelungen mehr, und wo sie zur Zeit der groften Ueberschwemmungcn noch immer vorhanden sind, tritt das Wasser v^m Hauptbehälter nur weg, um nach größeren oder kleineren Umwegen wieder dahin zurückzukehren. Die Gebiete, deren Grenzen anfangs schwankend durcheinander liefen, schließen sich nach und nach ab, und im Laufe der Jahrhunderte wirkt Alles, was an der Erdoberfläche beweglich ist, Wasser, Schwemmung und Sand, zusammen, um die Flußbetten zu trennen, wie die großen Seen in mehrere zerfallen und die Binnenmeere ihre alten Verbindungen verlieren.' ' Die geologische Vodenbesch.isseiiheit scheint, troh der gegenwär-tigen Verschiedenheit in der Hohe de« Wasserspiegels, darauf hinzudeuten, daß in vorgeschichtlicher Zeit das schwarze Meer, da« caspifche 141 Da die Geographen schon im sechzehnten Jahrhundert die Ueberzeugung gewonnen hatten, daß in Südamerika zwischen verschiedenen Flußsystemen Gabeltheilungen bestehen, die sie gegenseitig von einander abhängig machen, so nahmen sie an, daß die fünf großen Nebenflüsse dcs Orinoco und des AmaZonen-stromes, Guaviare, Inirida, Nio Negro, Caqueta oder Hya-Pura, und Putumayo oder Iya unter einander zusammenhängen. Diese Hypothesen, welche auf unsern Karten in verschiedenen Gestalten dargestellt sind, entstanden zum Theil in den Missionen in den Ebenen, zum Theil auf dem Rücken der Cordilleren der Anden. Neist man von Santa Fe de Bogota über Fusagasuga nach Popayan und Pasto, so hört man die Gebirgsbewohner behaupten, am Ostabhang der Dramas clo In, Zum». ?22 (des ewigen Friedens), des Iscancö und Aponte entspringen alle Flüsse, die zwischen dem Meta und dem Putumayo durch die Wälder von Guyana ziehen. Da man die Nebenflüsse für den Hauptstrom hält und man alle Flüsse rückwärts bis zur Bergkette reichen läßt, so wirft man dort die Quellen des Orinoco, des Nio Negro und des Guaviare zusammen. Am steilen Ostabhang der Anden ist sehr schwer herunterzukommen, eine engherzige Politik har dem Handel mit den Llanos am Mela, am San Juan und Caguan Fesseln angelegt, man hat wenig Interesse, die Flüsse zu Meer und der Aralsee mit einander in Verbindung gestanden haben. Der Ausfluß des Aral« in das caspische Meer scheint zum Theil sogar jünger und unabhängig von der Gabcltheilung des Gihon (On's). über die einer der gelehrtesten Geographen unserer Zeit, Ritter, neues Licht verbreitet hat. t42 verfolgen, um ihre Verzweigungen tennen zu lernen: durch alle diese Umstünde ist die geographische Verwirrung «och größer geworden. Als ich in Santa Fe de Bogota war,.kannte man kaum den Weg, der über die Dörfer Usme. Ubaque und Ca-queza nach Apiay und zum Landungsplatz am Rio Meta f«hrt. Erst in neuester Zeit konnte ich die Karte dieses Flusses nach den Reifet agcbüchern des Canonicus Corlcs Madaric-ga lind nach den Ermittlungen während des Unabhängigkeitskriegs in Venezuela berichtigen. Ueber die Lage der Quellen am Fusi der Kordilleren M-schen dem 4° 20" und 1° 10' nördlicher Breite wissen w,r zuverlässig, was folgt. Hinter dem Paramo do la Suma Paz, den ich von Pandi an aufnehmen konnte, entspringt der ^tw de Aguas Blancas, dcr mit dem Pachaquiaro oder Nio Negro von Apiay den Meta bildet; weiter nach Süden kommt der Rio Ariari, ein Nebenfluß des Guaviare, dessen Mündung ich bei San Fernando de Atabapo gesehen. Geht man auf dem Rücken der Cordillere weiter gegen Ceja und den Paramo von Aponte zu, so kommt man an den Nio Guayavcro, dcr am Dorfe Aramo vorbeiläuft und sich mit dem Ariari verbindet: unlerhalb ihrer Vereinigung bekommen die Flüsse den Namen Guaviare. Südwestlich vom Paramo de Aponte entspringen am Fuß der Berge bei Santa Rosa der Nio Caqucta, und auf der Cordillere selbst der Rio de Mocoa, der in der Ge-schichte der Eroberung eine große Rolle spielt. Diese beiden Flüsse, die sich etwas oberhalb der Mission San Augustin de Nicto vereinigen, bilden den Ja pura oder Caqueta. Der Cerro del Portachuelo, ein Berg, der sich auf der Hochebene 143 dcr Cordilleren selbst - erhebt, liegt zwischen dm QueNen des Mocoa und dem See Sebondoy, aus dem dcr Rio Putu-mayo oder Iya entsprmgt. Dcr Meta, der Guaviare, der Caqueta und dcr Putumayo sind also die einzigen großen Flusse, die unmittelbar am Ostabhang der Anden von Santa Je, Poftayan und Pasto entspringen. Tcr Vichada, der Zama, der Inirida, der Rio Negro, der Uanpc und der Apopons, die unsere Karten gleichfalls westwärts bis zum Gebirge fortführen, entspringen weit weg von demselben entweder in den S.wanen zwischen Meta und Guaviare oder im bergigten Land, das, nach den Aussagen der Eingeborenen, fünf, sechs Tagereisen westwärts von den Missionen am Iavita und Marua anfängt und sich als Sierra Tumchy jenseits des Xiö dem Ifsana zu erstreckt. Es erscheint ziemlich auffallend, daß dieser Kamm der Cor-dillere, dem so viele majestätische Flüsse entspringen (Meta, Guaviare, Caqueta, Piituniayo), so wenig mit Schnee bedeckt ist als die abyssinischen Gebirge, aus denen der blaue Ml komnit; dagegen trifft man, wenn man die Gewässer, die über die Ebenen ziehen, hinaufgeht, bevor man an die Cordillere dcr Anden kommt, einen noch thätigen Vulkan. Derselbe wurde erst in neuester Zeit von dcn Franciscanern entdeckt, die von Ceja über dcn Nio Iragua an den Caqueta herunterkommen. Nordöstlich von dcr Mission Santa Nosa, wcstlich vom Puerto del Pescado, liegt ein einzeln stehender Hügel, der Tag und Nacht Nauch ausstößt. Es rührt dicß von einem Sciten-ausbruch der Vulkane von Povayan' und Pafto her, wic der Gllacamayo und der Eangay, die gleichfalls am Fuß des 144 Ostabhangs der Anden lieben, von Scitenausbrüchen des Vulkan» systems von Quito herrühren. Ist man mit dcn Ufern des Orinoco und des Nio Negro bekannt, wo überall das Granit« grstein zu Tage lommt, bcdcnkt man, daß in Brasilien, in Guyana, auf dem Küstenland von Venezuela, vielleicht auf dem ganzen Continent ostwärts von dcn Anden, sich gar kein Feuerschlund fmdct, so erscheinen die drei thätigen Vulkane an den Quellen dcs Caqueta, des Napo und des Rio Macas oder Morona sehr interessant. Die imposante Große dcs Nio Negro fiel schon OreNana auf, der ihn im Jahr 1539 bei seinem Cinfluß in den A.na« zoncnstrom sah, unän« niZws 8parF6U5; aber erst em Jahrhundert später suchten die Geographen seine Quellen am Ab. hang der Cortilleren auf. «as Reise gab Anlast zu Hypothesen, die sich bis auf unsere Zeit erhalten haben und von La Condamine und d'Nnville maßlos gehäuft wurden. Acuna hatte im Jahr 1638 an dcr Einmündung des Nio Negro gehört, einer seiner Zweige stehe mit einem andern großen Strom in Verbindung, an dem die Holländer sich niedergelassen. Southcy bemerkt scharfsinnig, daß man so etwas in so ungeheurer Entfernung von dcr Küste gewußt, beweise, wie stark und viclfach damals der Verkehr unter den barbarischen Völkern dieser Länder (besonders unter dencn von caraibischem Stamme) gewesen. EZ bleibt unentschieden, ob die Indianer, die Acuna Nede standen, dcn Cassi'aniare meinten, den natürlichen^. Canal zwischen Orincco und Nio Negro, den ich von San Carlos nach Esmeralda hinalifgefalnen bin, oder ob sie ihm nur unbestimmt die Tragcplätze zwischen den Quellen des 145 Rio Vranco l und des Rio Essequebo andeuten wollten. Acuna selbst dachte nicht daran, daß der große Strom, dessen Mim-dung die Holländer besaßen, der Orinoco sey: er nahm vielmehr eine Verbindung mit dem Rio San Felipe an, der westlich vom Cap Nord ins Meer fällt, und auf dem nach seiner Ansicht der Tyrann Lopez de Aguirre seine lange Flußfahrt beschlossen hatte. Letztere Annahme scheint mir sehr gewagt, wenn auch der Tyrann in seinem närrischen Briefe an Philipp II. selbst gesteht, „er wisse nicht, wie er und die Seinigen aus der großen Wassermasse herausgekommen." 2 Bis zu Acunas Reise und den schwankenden Angaben, die er über Verbindungen mit einem andern großen Fluß nordwärts vom Amazonenstrom erhielt, sahen die unterrichtetsten Missionäre den Orinoco für eine Fortsetzung des Caqueta (Ka-queta, Caketa) an. „Dieser Strom," sagte Fray Pedro Simon im Jahre 1625, „entspringt am Wcstabhang des Paramo d'Iscancö. Er nimmt den Papamene auf, der von den Anden von Neiva herkommt, und heißt nach einander Rio Ikcancö, Tama (wegen des angrenzenden Gebiets der Tamas-Indiauer), Guayare, Varaguan und Orinoco." Nach der Lage des Paramo d'Iscancö, eines hohen Kegelbergs, den ich auf der Hochebene von Mamendoy und an den schönen Usern des Mayo gesehen, muß in dieser Beschreibung der Caqueta gemeint seyn. Der Rio Papamene ist der Rio de la Fragua, der mit dem Rio Mocoa ein Hauptzweig des Caqueta ist; wir kennen ' Dieß ist der Nio Parime, Rio Vlaxco, Rio de Aguas Vlancas userer Karte«, der unterhalb Varcrllos in den 3iio Negro fäNt. ' S. Band I. Seite 2^6. Humboldt Reisen, V. 1() 146 denselben von den ritterlichen Zügen Georgs von Speier und Philipps von Hütten her.' Die beiden Kriegsmünner kamen an den Papamene erst, nachdem sie über den Ariari und den Guayavero gegangen. Die Tamas-Indianer sind noch jetzt am nördlichen Ufer des Caqueta eine der stärksten Nationen; es ist also nicht zu verwundern, daß, wie Fray Pedro Simon sagt, dieser Fluß Nio Tama genannt wurde. Da die Quellen der Nebenflüsse des Caqueta und die Nebenflüsse des Guaviare nahe beisammen liegen, und da dieser einer der großen Flüsse ist, die in den Orinoco fallen, so bildete sich mit dem Anfang des siebzehnten Jahrhunderts die irrige Ansicht, Caqueta (Rio de Iscancö und Papamene), Guaviare (Guayare) und Orinoco seyen ein und derselbe Fluß. Niemand war den Caqueta dem Amazonenstrom zu hinabgefahren, sonst hätte man gesehen, daß der Fluß, der weiter unten Iupupa heißt, eb.'N der Ca-auew ist. Eine Sage, die sich bis jetzt unter der Bevölkerung dieses Landstrichs erhalten hat, derzufolge ein Arm des Caqueta oberhalb deZ Einflusses des Caguan und des Payoya zum Irinida und Rio Negro geht, muß auch zu der Meinung beigetragen haben, daß der Orinoco am Abhang der Gebirge von Pasto entspringe. Wie wir gesehen, setzte man in Neu-Grenada voraus, die Wasser des Caqueta laufen, wie die des Ariari, Meta und Apure, dem großen Orinocobecken zu. Hätte man genauer auf die Richtung dieser Nebenflüsse geachtet, so wäre man ' Den berühmte» Namen Hütte» erkennt man in den spanischen Geschichtschreibern kaum wieder. Sie nennen Philipp vo» Hütten, mit Wegwerfuug des »spirirte» H, Felipe de Uten, de Urre, oder de Utre. 147 gewahr geworden, daß allerdings das ganze Land im Großen nach Osten abfällt, daß aber die Vodenpolyeder, aus denen die Niederungen bestehen, schiefe Flächen zweiter Ordnung bilden, die nach Nordost und Südost geneigt sind. Eine fast unmertliche Wasserscheide läuft unter dem zweiten Breitengrad von den Anden von Timana zu der Landenge zwischen Iavita und dem Cano Pimichin, über die unsere Pirogue geschafft worden. Nördlich vom Parallel von Timana laufen die Gewässer l nach Nordost und Ost: es sind die Nebenflüsse des Orinoco oder die Nebenflüsse seiner Nebenflüsse. Aber südlich vom Parallel von Timana, auf den Ebenen, welche denen von San Juan vollkommen zu gleichen scheinen, laufen der Caqueta oder Iupura, der Putumayo oder Iya, der Napo, der Pastaya und der Morona nach Südost und Süd-Südost und ergießen sich ins Becken des Amazonenstroms. Dabei ist sehr merkwürdig, daß diese Wasserscheide selbst nur als eine Fortsetzung derjenigen erscheint, die ich in den Cordilleren auf dem Wege von Popayan nach Pasto gefunden. Zieht man den Landhöhen nach eine Linie über Ceja (etwas südlich von Timana) und den Paramo de las Papas zum Alto del Roble, zwischen 1« 45 „„d 2° 20' der Breite, in 970 Toisen Meereshöhe, fo findet man die 6ivortia ayuärum zwischen dem Meere der Antillen und dem stillen Ocean. Vor Acunas Neise herrschte bei den Missionären die Ansicht, Caqueta, Guaviare und Orinoco seyen nur verschiedene Benennungen desselben Flusses; aber der Geograph Sanson ließ ' Inirlda, Guaviare. Vichada, Zama, Meta, Casanare. Apure. 148 auf den Karten, die er nach Acunas Beobachtungen entwarf, den Caqueta sich in zwei Arme theilen, deren einer der Orinoco, der andere der Rio Negro oder Curiguacuru seyn sollte. Diese Gabeltheilung unter rechtem Winkel erscheint auf allen Karten von Eanson, Coronelli, du Val und de l'Isle von 1656 bis 1730. Man glaubte auf diese Weise die Verbindungen zwischen den großen Strömen zu erklären, von denen Acuna die erste Kunde von der Mündung des Rio Negro mitgebracht, und man ahnte nicht, daß der Iupura die Fortsetzung des Caqueta sey. Zuweilen ließ man den Namen Caqueta ganz weg und nannte den Fluß, der sich gabelt, Rio Paria oder Yuvapari, wie der Orinoco ehemals hieß. De l'Isle ließ in seiner letzten Zeit den Caqueta sich nicht mehr gabeln, zum großen Verdruß La Con-damines; cr machte den Putumayo, den Iupura und Rio Negro zu völlig unabhängigen Flüssen, und als wollte er alle Aussicht auf eine Verbindung zwischen Orinoco und Rio Negro abschneiden, zeichnete er zwischen beiden Strömen eine hohe Bergkette. Bereits Pater Fritz hatte dasselbe Snst?m und zur Zeit des Hondius galt es für das wahrscheinlichste. La Condamines Reise, die über verschiedene Striche Amerikas so viel Licht verbreitet, hat in die ganze Angelegenheit vom Laufe Caqueta, Orinoco und Rio Negro mir noch mehr Verwirrung gebracht. Der berühmte Gelelirte sah allerdings wohl, daß der Caqueta (bei Mocoa) der Fluß ist, der am Amazonenstrom Iupura heißt: dennoch nahm er nicht allein Sansvns Hypothese an, er brachte die Zahl der Gabeltheilungen des Caqueta sogar auf drei. Durch die erste gibt der Caaueta einen Arm (den Iaoya) an den Putumayo ab,- eine zweite 149 bildet den Rio Iupura und den Rio Paraguay in einer dritten theilt sich der Rio Paragua wiederum in zwei Flüsse, den Orinoco und den Rio Negro. Dieses rein ersonnene System sieht man in der ersten Ausgabe von d'Anvilles schöner Karte von Amerika dargestellt. Es ergibt sich daraus, daß der Rio Negro vom Orinoco unterhalb der großen Katarakten abgeht, und daß man, unl an die Mündung des Guaviare zu kommen, den Caqueta über die Gabelung, aus der der Rio Iupura entspringt, hin» auf muß. Als la Condamine erfuhr, daß der Orinoco keineswegs am Fuß der Anden von Pasto, sondern auf der Rückseite der Berge von Cayenne entspringe, änderte er seine Vorstellungen auf sehr sinnreiche Weise ab. Der Rio Negro geht jetzt nicht mehr vom Orinoco ab: Guaviare, Atabapo, Cassiquiare und die Mündung des Inirida (unter dem Namen Iniricha) erschienen auf d'Anvilles zweiter Karte ungefähr in ihrer wahren Gestalt, aber aus der dritten Gabelung des Caqueta entstehen der Inirida und der Rio Negro. Dieses System wurde von Pater Caulin gut geheißen, auf der Karte von La Cruz dargestellt und auf allen Karten bis zum Anfang des neunzehnten Jahrhunderts copirt. Diese Namen: Caaueta, Orinoco, Ini« nda, haben allerdings nicht so viel Anziehendes, wie die Flüsse , im Innern Nigritiens; es knüpfen sich eben keine geschichtlichen Erinnerungen daran: aber die mannigfaltigen Combinationen der Geographen der neuen Welt erinnern an die krausen Zeichnun» gen vom Laufe des Niger, des weißen Nil, des Gambaro, des Ioliba und des Zaire. Von Jahr zu Jahr nimmt das Bereich der Hypothesen an Umfang ab; die Probleme sind bündiger gefaßt und das alte Stück Geographic, das man speculative, 150 um nicht zu sagen divinatorische Geographie nennen könnte, zieht sich in immer engere Grenzen zusammen. Also nicht am Caaueta, sondern am Guainia oder Rio Negro kann man genaue Auskunft über die Quellen des letzteren Flusses erhalten. Die Indianer in den Missionen Maroa, Tomo und San Carlos wissen nickts von einer oberen Verbindung des Guainia mit dem Iupura. Ich habe seine Breite bei der Schanze San Agostino gemessen: cs ergaben sich 292 Toisen:' die mittlere Breite war 200—250 Toifen. La Con-damine schätzt dieselbe in der Nähe der Ausmündung in den Amazoncnstrom an der fchmalsten Stelle auf 1200Tolsen: der Fluß wäre also auf einem Lauf von 10 Grad in gerader Linie unl 1000 Toisen breiter geworden. Obgleich die Wassermasse, wie wir sie zwischen Marva und San Carlos gesehen, schon ziemlich bedeutend ist, versichern die Indianer dennoch, der Guainia entspringe fünf Tagereisen zu Wasser nordwestwärts von der Mündung des Pimichin in einem bergigten Landstrich, wo auch die Quellen des Inirida liegen. Da man den Cassi-auiare von San Carlos bis zum Punkt der Gabeltheilung am Orinoco in 10—11 Tagen hinauffährt, so kann man fünf Tage Bergfahrt gegen eine lange nicht so starke Strömung zu etwas über einen Grad 20 Minuten in gerader Richtung annehmen, womit die Quellen des Guainia, nach meinen Längenbeobachtungen in Iavita und San Carlos unter 71" 35' westlich vom Meridian von Paris zu liegen kämen. Obgleich die Aussagen der Eingeborenen vollkommen überstimmten, liegen ' Dieß ist d«imal die Vreite der Seine beim laröin äes plante«. 151 die Quellen wohl noch weiter nach Westen, da die Canoes nur so weit hinaufkommen, als das Flußbett es gestattet. Nach der Analogie der europäischen Flüsse läßt sich das Verhältniß zwischen der Breite und Länge des obern Flußstücks i nicht bestimmt beurtheilen. In Amerika nimmt häusig die Wassermasse in den Flüssen auf kurzen Strecken sehr auffallend zu. Der Guainia ist in seinem obern Lauf vorzüglich dadurch ausgezeichnet, daß er keine Krümmungen hat; er erscheint wie ein breiter Kanal, der durch einen dichten Wald gezogen ist. So oft der Fluß die Richtung verändert, liegt eine gleich lange Wasserstrecke vor dem Auge. Die Ufer sind hoch, aber ebcn und selten felsigt. Der Granit, den ungeheure Quarzgänge durchsetzen, kommt meist nur mitten im Bett zu Tage. Fährt man den Guainia nach Nordwest hinauf, so wird die Strömung mit jeder Tagreise reißender. Die Flußufer sind unbewohnt; erst in der Nähe der Quellen (Ig8 o2,v626ras), im bergigten Land, hausen die Manivas- oder Poignaves-Indianer. Die Quellen des Inirida (Iniricha) liegen, nach der Aussage der Indianer, nur 2—3 Meilen von denen des Guainia und es ließe sich dort ein Trageplatz anlegen. Pater Caulin hörte in Cabruta aus dem Munde eines indianischen Häuptlings Namens Tapo, der Inirida scy sehr nahe beim Patavita (Paddavida auf der Karte von lc> Cruz), der ein Nebenstuß dcs Rio Negro ist. Die Eingeborenen am obern Guainia kennen diesen Namen nicht, so wenig als den eines Sees (lacuna äel IUo NkZi-o), der auf alten portugiesischen Karten vorkommt. Dieser angebliche ' Vei Seine und Marne z. B. sind e« von Pari« bi« zu den Quellen in geiadei Richtung mehr als zwei Grade. 152 Nio Patavita ist wahrscheinlich nichts als der Guainia der Indianer in Maroa; denn so lange die Geographen an die Gabeltheilung des Caqueta glaubten, ließen sie den Nio Negro aus diesem Arm und einem Flusse entstehen, den sie Patavita nannten. Nach dem Bericht der Eingeborenen sind die Verge bei den Quellen des Inirida und Guainia nicht höher als der Varaguan, der nach meiner Messung 120 Toisen hoch ist. Portugiesische handschriftliche Karten, die in neuester Zelt im hydrographischen Depot zu Rio Janeiro entworfen worden sind, bestätigen, was ich an Ort und Stelle in Erfahrung gebracht. Sie geben keine der vier Verbindungen des Caqueta oder Iapura mit dem Guainia (Rio Negro), dem Inmda, dem Uaupes (Guapue) und dem Putumayo an: sie stellen jeden dieser Nebenflüsse als einen unabhängigen Strom dar: sie lassen den Rio Patavita weg und setzen die Quellen des Guainia nur H o 7.5' Mw" Ormoco M und in sein Vett zurücktritt, ziehen die Enten, ob sie nun der Nuf der erfahrensten Zugvögel dazu antreibt, oder zenes mnere Gefühl, das man Instinkt nennt, weil es n.cht zu erklären ist, vom Amazoncnstrom und Nio Branco wieder nach Norden. Sie sind zu mager, als daß die Indianer am N,o Negro lüstern darnach wären, und sie entgehen ihren Nachstellungen um so eher, da eine Reiherart (Gavanes) mit ihnen wandert, die ein vortreffliches Nahrungsmittel abgibt. So essen dcnn die Eingeborenen im März Enten, im September Reiher. Sie konnten uns nicht sagen, was aus den Gavanes wird, wenn der Orinoco ausgetreten ist, und warum sie die ?9tos enre-tews auf ihrer Wanderung vom Orinoco an den Nio Vranco nicht begleiten. Dieses regelmäßige Ziehen der Vögel aus einem Striche der Tropen in den andern, in einer Zone, die das ganze Jahr über dieselbe Temperatur hat, sind eine ziemlich auffallende Erscheinung. So kommen auch jedes Jahr, wenn 163 in Terra Firma die großen Flüsse austreten, viele Schwärme von Wasservögeln vom Orinoco und seinen Nebenflüssen an die Südküsten der Antillen. Man muß annehmen, daß unter den Tropen der Wechsel von Trockenheit und Nässe auf die Sitten der Thiere denselben Einfluß hat, wie in unserem Himmelsstrich bedeutende Temfteraturwechsel. Die Sonnenwärme und die Insektenjagd locken in den nördlichen Ländern der Vereinigten Staaten und in Canada die Colibris bis zur Breite von Paris und Berlin herauf; gleicherweise zieht der leichtere Fischfang die Schwimmvögel und die Stelzenläufer von Nord nach Süd, vom Orinoco zum Amazonenstrom. Nichts ist wunderbarer, und in geographischer Beziehung noch so dunkel als die Wanderungen der Vögel nach ihrer Richtung, ihrer Ausdehnung und ihrem Endziel. Sobald wir aus dem Pimichin in den Rio Negro gelangt und durch den kleinen Katarakt am Zusammenfluß gegangen waren, lag auf eine Viertelmeile die Mission Maroa vor uns. Dieses Dorf mit 150 Indianern sieht so sauber und wohlhabend aus, daß es angenehm auffüllt. Wir lauften daselbst schöne lebende Exemplare einiger Tucanarten (kiapooo), muthiger Vögel, bei denen sich die Intelligenz wie bei unsern zahmen Naben entwickelt. Oberhalb Maroa kamen wir zuerst rechts am Einfluß des Aquio, dann an dem des Tomo vorbei; an letzterem Flusse wohnen die Cheruvichahenas-Indianer, von denen ich in San Francisco Solano ein paar Familien gesehen habe. Derselbe ist ferner dadurch interessant, daß er den heimlichen Verkehr mit den Portugiesischen Besitzungen vermitteln hilft. Der Tomao kommt auf seinem Lauf dem Rio Guaicia 164 (Hie) schr nahe, und auf diesem Wege gelangen zuweilen flüchtige Indianer vom untern Nio Negro in die Mission Tomo. Wir betraten die Mission nicht, Pater Zea erzählte uns aber lächelnd, dio Indianer in Tomo und in Maroa seyen einmal ill vollem Aufruhr gewesen, weil man sie zwingen wollte, den vielberufenen „Teufelstanz" zu tanzen. Der Missionär hatte den Einfall gehabt, die Ceremonien, womit die Pi aches, die Priester, Aerzte und Zauberer zugleich sind, den bösen Geist Iolokiamo beschwören, in burleskem Styl darstellen zu lassen. Er hielt den „Teufelstanz" für ein tressliches Mittel, seinen Neubekehrten darzuthun, daß Iolokiamo keine Gewalt mehr über sie habe. Einige junge Indianer ließen sich durch die Versprechungen des Missionärs bewegen, die Teufel vorzustellen, und sie hatten sich bereits mit schwarzen und gelben Federn geputzt und die Iaguarfelle mit lang nachschleppenden Schwänzen umgenommen. Die Soldaten, die in den Missionen liegen, um die Ermahnungen der Ordensleute eindringlicher zu machen, stellte man um den Platz vor der Kirche auf lind führte die Iudianer zur Festlichkeit herbei, die aber hinsichtlich der Folgen des Tanzes und der Ohnmacht des bösen Geistes nicht so ganz beruhigt waren. Die Partei der Alten und Furchtsamen gewann die Oberhand: eine abergläubische Angst kam über sie, alle wollten al inonts laufen, und der Missionär legte feinen Plan, den Teufel der Eingeborenen lächerlich zu machen, zurück. Was für wunderliche Einfälle doch einem müßigen Mönche kommen, der sein Leben in den Wäldern zubringt, fern von Allem, Was ihn an menschliche Cultur mahnen könnte! Daß man in Tomo den geheimnißvollcn Teufelstanz 165 mit aller Gewalt öffentlich wollte aufführen lassen, ist u.n so auffallender, da in allen von Missionären geschriebenen Büchern davon die Rede ist, wie sie sich bemüht, daß keine Tänze aufgeführt werdm, keine „Tvdtentänze," keine „Tänze der heiligen Trompete," auch nicht der alte „Schlangentanz," der Queti, bei dem vorgestellt wird, wie diese listigen Thiere aus dem Wald kommen und mit den Menschen trinken, um sie zu hintergehen und ihnen die Weiber zu entführen. Nach zweistündiger Fahrt kamen wir von der Mündung des Tomo zu der kleinen Mission San Miguel de Davipe, die im Jahr 1775 nicht von Mönchen, sondern von einem Milizlieutenant, Don Francisco Vobadilla, gegründet worden. Der Missionär Pater Morillo, bei dem wir ein paar Stunden verweilten, nahm uns sehr gastfreundlich auf und setzte uns so-> gar Maderawein vor. Als Tafelluxus wäre uns Weizenbrod lieber gewefeu. Auf die Länge fällt es einem weit schwerer, das Brod zu entbehren, als geistige Gelränke. Durch die Portugiesen am Amazonenstrom kommt hie und da etwas Maderawein an den Rio Negro, und da Mad era auf Spanisch Holz bedeutet, so hatten schon arme, in der Geographie nicht sehr bewanderte Missionäre Bedenken, ob sie mit Maderawein das Meßopfer verrichten dürften; sie hielten denselben für ein irgend einem Baume abgezapftes gcgohrenes Getränt, wie Palmwein, und forderten den Gardian dcr Missionen auf, sich darüber auszusprechen, ob der vino cl<3 Uacwi-a Wein aus Trauben (cls UVU8) sey oder aber der Saft eines Baumes (vino do »^un pa!«). Schon zu Anfang der Eroberung war die Frage ausgeworfen worden, ob es den Priestern gestattet sey, mit einem 166 gegohrenen, dem Traubenwein ähnlichen Saft das Meßopfer zu verrichten. Wie vorauszusehen, wurde die Frage verneint. Wir kauften in Davipe einigen Mundvorrath, namentlich Hühner und ein Schwein. Dieser Einkauf war unsern Indianern sehr wichtig, da sie schon lange kein Fleisch mehr gegessen hatten. Sie drängten zum Aufbruch, damit wir zeitig auf die Insel Dapa kämen, wo das Schwein geschlachtet und in der Nacht gebraten werden sollte. Kaum hatten wir Zeit, im Kloster (oonvento) große Haufen Maniharz zu betrachten, sowie Eeilwerk aus der Chiquichiqui-Palme, das in Europa besser bekannt zu seyn verdiente. Dasselbe ist ausnehmend leicht, schwimmt auf dem Wasser und ist auf der Flußfahrt dauerhafter als Tauwerk aus Hanf. Zur See muß man es, wenn es halten soll, öfter anfeuchten und es nicht oft der tropischen Sonne aussetzen. Don Antonio Santos, der im Lande wegen seiner Reise zur Aufsindung des Parimesees vkl genannt wird, lehrte die Indianer am spanischen Rio Negro die Blattstiele des Chiquichiqui benutzen, einer Palme mit gefiederten Blättern, von der wir weder Blüthen noch Früchte zu Gesicht bekommen haben. Dieser Ossicier ist der einzige weiße Mensch, der, um von Angostura nach Gran-Para zu kommen, von den Quellen des Rio Carony zu denen des Rio Branco den Landweg gemacht hat. Er hatte sich in den portugiesischen Colonien mit der Fabrikation der Chiquichiqui-Taue bekannt gemacht und führte, als er vom Amazonenstrom zurückkam, den Gewerbszweig in den Missionen in Guyana ein. Es wäre zu wünschen, daß am Rio Negro und Cassiquiare große Seilbahnen angelegt werden könnten, um diese Taue in den europäischen Handel 167 zu bringen. Etwas Weniges wird bereits von Angostura auf die Antillen ausgeführt. Sie kosten dort 50 bis 60 Procent weniger als Hanftaue. ^ Da man nur junge Palmen benützt, müßten sie angepflanzt und cultivirt werden. Etwas oberhalb der Mission Davipe nimmt der Rio Negro einen Arm des Cassiquiare auf, der in der Geschichte der Flußverzweigungen eine merkwürdige Erscheinung ist. Dieser Arm geht nördlich von Vasiva unter dem Namen Itinivini vom Cassiquiare ab, läuft 25 Meilen lang durch ein ebenes, fast ganz unbewohntes Land und fällt unter dem Namen Co« norichite in den Rio Negro. Er fchien mir an der Mündung über 120 Toisen breit und bringt eine bedeutende Masse weißen Wassers in das schwarze Gewässer. Obgleich die Strömung im Conorichite sehr stark ist, kürzt dieser natürliche Kanal dennoch die Fahrt von Davipe nach Esmeralda um drei Tage ab. Eine doppelte Verbindung zwischen Cassiquiare und Nio Negro kann nicht auffallen, wenn man weiß, wie viele Flüsse in Amerika beim Zusammenfluß mit andern Delta's bilden. So ergießen sich der Rio Vranco und der Iupura mit zahlreichen Armen in den Rio Negro und in den Amazonenstrom. Beim Einfluß des Iupura kommt noch etwas weit Auffallenderes vor. Ehe dieser Fluß sich mit dem Amazonenstrom vereinigt, schickt dieser, der Haufttwasserbchälter, drei Arme, ' Ein Chiquichiqui-Tau, ßß Varas (17l Fuß) lang und 5 Zoll 4 Linien im Durchmesser, lostet den Missionar 12 harte Piaster und e« wird in Angostura für 25 Piaster verkauft. Gin Stück von einem Zoll Durchmesser. 70 Varas (182 Fuß) lang, wird in den Missionen für 3 Piaster, an der Küste für 5 verkauft. 168 genannt Uaranapu, Manhama und Avateperana, zum Iupura, also zum Nebenfluß. Der portugiesische Astronom Nibeiro hat diesen Umstand außer Zweifel gesetzt. Der Amazonenstrom gibt Wasser an den Iupura ab, ehe er diesen seinen Nebenfluß selbst aufnimmt. Der Nio Conorichite oder Itinivini spielte früher im Sklavenhandel, den die Portugiesen auf spanischem Gebiet trieben, eine bedeutende Nolle. Die Sklavenhändler fuhren auf dem Cassiquiare und dem Cano Mee in den Cononchite hinauf, schleppten von da ihre Piroguen über einen Trageplatz zu den Rochelas von Manuteso und kamen so in den Atabapo. Ich habe diesen Weg auf meiner Reisekarte des Orinoco angegeben. Dieser schändliche Handel dauerte bis um das Jahr 1756. Solanos Expedition und die Errichtung der Missionen am Nio Negro machten demselben ein Ende. Alte Gesetze von Carl V. und Philipp HI. verboten unter Androhung der schwersten Strafen (wie Verlust bürgerlicher Aemter und 2000 Piaster . Geldbuße) „Eingeborene durch gewaltsame Mittel zu bekehren und Bewaffnete gegen sie zu schicken;" aber diesen weisen, menschenfreundlichen Gesetzen zum Trotz hatte der Nio Negro noch in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, wie sich La Con-damine ausdrückt, für die europäische Politik nur in sofern Interesse, als er die Entradas oder feindlichen Einfälle erleichterte und dem Sklavenhandel Vorschub that. Die Caraiben, ein kriegerisches Handelsvolk, erhielten von den Portugiesen und den Holländern Messer, Iischangeln, kleine Spiegel und Glaswaaren aller Art. Dafür hetzten sie die indianischen Häuptlinge gegen einander auf, so daß es zum Kriege kam; 169 sie kauften ihnen die Gefangenen ab und schleppten selbst mit List oder mit Gewalt Alles fort, was ihnen in den Weg kam. Diese Stteifzüge der Caraiben erstreckten sich über ein ungeheures Gebiet. Dieselben gingen vom Esscquebo und Carony aus auf dem Rupunuri und dem Paraguamuzi einerseits gerade nach Süd dem Rio Vranco zu, andererseits nach Südwest über die Trageplätze zwischen dem Rio Paragua, dem Caura und dem Ventucnio. Waren sie einmal bei den zahlreichen Völkerschaften am obern Orinoco, fo theilten sie sich in mehrere Banden und kamen über den Cassiquiare, Caba-bury, Itinivini und Atabapo an vielen Punkten zugleich an den Guainia oder Rio Negro und trieben mit den Portugiesen Sklavenhandel. So empfanden die unglücklichen Eingeborenen die Nachbarschaft der Europäer schwer, lange ehe sie mit diesen selbst in Berührung kamen. Dieselben Ursachen haben überall dieselben Folgen. Der barbarische Handel, den die civilisirten Völker an der afrikanischen Küste trieben und zum Theil noch treiben, wirkt Verderben bringend bis in Länder zurück, wo man vom Daseyn weißer Menschen gar nichts weiß. Nachdem wir von der Mündung des Conorichite und der Mission Davipe aufgebrochen, langten wir bei Sonnenuntergang bei der Insel Dapa an, die ungemein malerisch mitten im Strome liegt. Wir fanden daselbst zu unserer nicht geringen Verwunderung einige angebaute Grundstücke und auf einem kleinen Hügel eine indianische Hütte. Vier Eingeborene sahen um ein Feucr von Buschwerk und aßen eine Art weißen, schwarz gefleckten Teigs, der unsere Neugierde nicht wenig reizte. Es waren Vachacos, grohe Ameisen, deren Hintertheil einem 170 Fettknopf gleicht. Sie waren am Feuer getrocknet und vom Rauch geschwärzt. Wir sahen mehrere Säcke voll über dem Feuer hängen. Die guten Leute achteten wenig auf uns, und doch lagen in der engen Hütte mehr als vierzehn Menschen ganz nackt in Hängematten über einander. Als aber Pater Zea erschkn, wurde er mit großen Freudenbezeugungen empfangen. Am Rio Negro stehen wegen der Grenzwache mehr Soldaten als am Orinoco, und überall, wo Soldaten und Mönche sich die Herrschaft über die Indianer streitig machen, haben diese mehr Zuneigung zu den Mönchen. Zwei junge Weiber stiegen aus den Hängematten, um uns Casavekuchen zu bereiten. Man fragte sie durch einen Dolmetscher, ob der Boden der Insel fruchtbar sey; sie erwiederten, der Manioc gerathe schlecht, dagegen sey es ein gutes Ameisenland, man habe gut zu leben. Diese Vachacos dienen den Indianern am Rio Negro wirklich zur Nahrung. Man ißt die Ameisen nicht aus Leckerei, sondern weil, wie die Missionäre sagen, das Am eisen fett (der weiße Theil des Unterleibs) sehr nahrhaft ist. Als die Casavekuchen fertig waren, ließ sich Pater Zea, bei dem Las Fieber die Eßlust vielmehr zu reizen als zu schwächen schien, einen kleinen Sack voll geräucherter Vachacos geben. Er mischte die zerdrückten Insekten mit Manioc-mehl und ließ nicht nach, bis wir davon kosteten. Es schmeckte ungefähr wie ranzige Butter, mit Brodkrumen geknetet. Der Manioc schmeckte nicht sauer, es klebte uns aber noch soviel europäisches Vorurtheil an, daß wir mit dem guten Missionar, wenn er das Ding eine vortreffliche Am ei sen Paste nannte, nicht einverstanden seyn konnten. 171 Z^ 5et- F?egen m Strömen ßerabgoß, mußten wir m der überfüllten Hütte übernachten. Die Indianer schliefen nur von acht bis zwei Uhr; die übrige Zeit schwatzten sie in ihren Hängematten, bereiteten ihr bitteres Getränk Cupana, schürten das Feuer und klagten über die Kälte, obgleich die Lusttemperatur 21 Grad war. Diese Sitte, vier, fünf Stunden vor Sonnenaufgang wach, ja auf den Beinen zu seyn, herrscht bei den Indianern in Guyana allgemein. Wenn man daher bei den „Entradas" die Eingeborenen überraschen will, wählt man dazu die Zeit, wo sie im ersten Schlafe liegen, von neun Uhr bis Mitternacht. Wir verließen die Insel Dapa lange vor der Morgen« dämmerung und kamen trotz der starken Strömung und des Fleißes unserer Ruderer erst nach zwölsstündiger Fahrt bei der Schanze San Carlos del Rio Negro an. Links liehen wir die Einmündung des Cassiquiare, rechts die kleine Insel Cu»' marai. Man glaubt im Lande, die Schanze liege gerade unter dem Acquator; aber nach meinen Bcobachtun>M am Felsen Culimacari liegt sie unter 1^ 54< 11". Jede Nation hat die Neigung, den Flächenraum ihrer Besitzungen auf den Karten zu vergrößern und die Grenzen hinauszurückm. Da man es versäumt, die Reiseentfermmgen auf Entfernungen in gerader Linie zu reduciren, so sind immer die Grenzen am meisten verunstaltet. Die Portugiesen setzen, vom Amazonenstrom ausgehend, San Carlos und San Jose de Maravitanos zu weit nach Nord, wogegen die Spanier, die von der Küste von Caracas aus rechnen, die Orte zu weit nach Süd schieben. Dieß gilt von allen Karten der Colonien. Weiß man, wo sie 572 gezeichnet worden und in welcher Richtung man an die Grenzen gekommen, so weiß man zum voraus, nach welcher Seite hin die Irrthümer in Länge und Vrcite laufen. In San Carlos fanden wir Quartier beim Commandanten des Forts, einem Milizlieutenant. Von einer Galerie des Hauses hatte man eine sehr hübsche Aussicht auf drei sehr lange, dichtbewachsene Inseln. Der Strom läuft geradeaus von Nord nach Süd, als wäre sein Vctt von Menschenhand gegraben. Der beständig bedeckte Himmel gibt den Landschaften hier einen ernsten, finstern Charakter. Wir fanden im Dorfe ein Paar Iu-viaftämme,- es ist dich das majestätische Gewächs, von dem die dreieckigten Mandeln kommen, die man in Europa Mandeln vom Amazonenstrom nennt. Wir haben dasselbe unter dem Namen Lertlioltitia excels», bekannt gemacht. Die Väumc werden in acht Iahreu dreißig Fuß hoch. Die bewaffnete Macht an der Grenze hier bestand aus siebzehn Mann, wovon zehn zum Schutz der Missionäre in der Nachbarschaft detachirt waren. Die Luft ist so feucht, daß nicht vier Gewehre schußfertig sind. Die Portugiesen haben fünf und zwanzig bis dreißig besser gekleidete und bewaffnete Leute in der Schanze San Jose de Maravilanos. In der Mission San Carlos fanden wir nur eine Garita, ein vier-eckigtes Gebäude aus ungebranutcn Backsteinen, in dem sechs Feldstücke standen. Die Schanze, oder, wie man hier gerne sagt, das Castillo de San Felipe licgt San Carlos gegenüber am westlichen Ufer des Nio Negro. Der Commandant trug Bedenken, Bonftland und mich die Fortalezza sehen zu lassen; m unfern Pässen stand wohl, daß ich sollte Berge 173 messen und Hberall im Lande, wo es mir gefiele, trigonometrische Operationen vornehmen dürfen, aber vom Besehen fester Plätze stand nichts darin. Unser Reisebegleiter, Don Nicolas Soto, war als spanischer Offizier glücklicher als wir. Man erlaubte ihm, über den Fluß zu gehen, und er fand auf einer kleinen abgeholzten Ebene die Anfänge eines Erdwerkes, das, wenn cs vollendet wäre, zur Vertheidigung 500 Mann erforderte. Es ist eine viereckigte Verschanzung mit kaum sichtbarem Graben. Die Brustwehr ist fünf Fuß hoch und mit gtoßen Steinen verstärkt. Dem Flusse zu liegen zwei Bastionen, in denen man vier bis fünf Stücke aufstellen könnte. Im ganzen Werk sind 14—15 Geschütze, meist ohne Lafetten und von zwei Mann bewacht. Um die Schanze her stehen drei oder vier indianische Hütten. Dieß heißt das Dorf San Felipe, und damit das Ministerium in Madrid Wunder meine, wie sehr diese christlichen Niederlassungen gedeihen, führt man für das angebliche Dorf ein eigenes Kirchenbuch. Abends nach dem Angelus wurde dem Commandanten Rapport erstattet und sehr ernsthaft gemeldet, daß es überall um die Festung ruhig scheine; dieß erinnerte mich an die Schanzen an der Küste von Guinea, von denen man in Reisebcschreibungen liest, die zum Schutz der europäischen Faktoreien dienen sollen und in denen vier bis fünf Mann Garnison liegen. Die Soldaten in San Carlos sind nicht besser daran als die in den afrikanischen Faktoreien, denn überall an so entlegenen Punkten herrschen dieselben Mißbrauche in der Militärverwaltung. Nach einem Brauche, der schon sehr lange geduldet wird, bezahlen die Commandanten die Truppen nicht in Geld, sondern liefern ihnen 174 zu hohen Preisen Kleidung (Ropa), Salz und Lebensmittel. In Angostura fürchtet man sich so sehr davor, in die Missionen am Carony, Caura und Nio Negro detachirt oder vielmehr verbannt zu werden, daß die Truppen sehr schwer zu relrutiren sind. Die Lebensmittel sind am Nio Negro sehr theuer, weil man nur wenig Manioc und Bananen baut und der Strom (wie alle schwarzen, klaren Gewässer) wenig Fische hat. Die beste Zufuhr kommt von den portugiesischen Niederlassungen am Nio Negro, wo die Indianer regsamer und wohlhabender sind. Indessen werden bei diesem Handel mit den Portugiesen jährlich kaum für 3000 Piaster Waaren, eingeführt. Die Ufer des obern Nio Ncgro werden mehr ertragen, wenn einmal mit Ausrodung der Walder die übermäßige Feuchtigkeit der Luft und des Bodens abnimmt und die Insekten, welche Wurzeln und Blätter der krautartigen Gewächse vev-zehren, sich vermindern. Beim gegenwärtigen Zustand des Aäcrbaus lommt der Mais fast gar nicht fort; der Tabak, der auf den Küsten von Caracas von ausgezeichneter Güte und sehr gesucht ist, kann eigentlich nur auf alten Vaustütten, bei zerfallenen Hütten, bei pue-blo vie^o, gebaut werden. In Folge der nomadischen Lebensweise der Eingeborenen fehlt es nun nicht an solchen Baustätten, wo der Boden umgebrochen worden und der Luft ausgesetzt gewesen, ohne daß etwas darauf wuchs. Der Tabak, der in frisch ausgerodeten Wäldern gepflanzt wird, ist wässrigt und ohne Arom. Bei den Dörfern Maroa, Davipe und Tomo ist der Indigo verwildert. Unter einer andern Verwaltung, als wir sie im Lande getroffen, wird der Rio Negro eines 175 Tags Indigo, Kaffee, Cacao, Mais und Reis im Ueberfluß erzeugen. Da man von der Mündung des Rio Negro nach Gran-Para in 20—25 Tagen fährt, fo hätten wir den Amazonenstrom hinab bis zur Küsie von Brasilien nicht viel mehr Zeit gebraucht, als um über den Cassiquiare und den Orincco an die Nordküste von Caracas zurückzukehren. Wir hörten in San Carlos, der politischen Verhältnisse wegen sey im Augenblick alls den spanischen Besitzungen schwer in die portugiesischen zu kommen; aber erst nach unserer Rückkehr nach Europa sahen wir in vollem Umfang, welcher Gefahr wir uns ausgesetzt hätten, wenn wir bis Barcellos hinabgegangen wären. Man hatte, in Brasilien, vielleicht aus den Zeitungen, deren wohlwollender, unüberlegter Eifer schon manchem Reisenden Unheil gebrachthat, erfahren, ich werde in die Missionen am Rio Negro kommen und den natürlichen Canal untersuchen, der zwei große Stromsyst?me verbindet. In diesen öden Wäldern hatte man Instrumente nie anders als in den Händen der Grenzcommission gesehen, und die Unterbeamten der portugiesischen Regierung hatten bis dahin so wenig als der gute Missionär, von dem in einem früheren Capitel die Rede war, einen Begriff davon, wie ein vernünftiger Mensch eine lange beschwerliche Reise unternehmen kann, „um Land zu vermessen, das nicht sein gehört." Es war der Befehl ergangen, sich meiner Person und meiner Instrumente zu versichern, ganz besonders aber der Verzeichnisse astronomischer Beobachtungen, welche die Sicherheit der Staaten so schwer gefährden tonnten. Man hätte uns auf dem Amazonenfüch nach Gran-Para 176 geführt und uns von dort nach Lissabon geschickt. Diese Absichten, die, wären sie in Erfüllung gegangen, eine auf fünf Jahre berechnete Reise stark gefährdet hätten, erwähne ich hier nur, um zu zeigen, wie in den Colonialregicrungen meist ein ganz anderer Geist herrscht als an der Spitze der Verwaltung im Mutterland. Sobald das Ministerium in Lissabon vom Diensteifer seiner Untergebenen Kunde erhielt, erließ es den Befehl, mich in meinen Arbeiten nicht zu stören, im Gegentheil sollte man mir hilfreich an die Hand gehen, wenn ich durch einen Theil der portugiesischen Besitzungen käme. Von diesem aufgeklärten Ministerium felbst wurde mir kundgethan, welch freundliche Rücksicht man mir zugedacht, um die ich nuch in so großer Entfernung nicht hatte bewerben können. Unter den Portugiesen, die wir in San Carlos trafen, befanden sich mehrere Ossiziere, welche die Reise von Varcellos nach Gran-Para gemacht hatten. Ich stelle hier Alles zusammen, was ich über den Lauf des Rio Negro in Erfahrung bringen konnte. Selten kommt man aus dem Amazonenstrom über den Einfluß des Cababuri herauf, der wegen der Sarsa, parill-Ernte weitberufen ist, und so ist Alles, was in neuerer Zeit über die Geographie dieser Länder veröffentlicht worden, selbst was von Rio Janeiro ausgeht, in hohem Grade ver« worren. Weiter den Rio Negro hinab läßt man rechts den-Cano Maliapo, links die Canos Dariba und Eny. Fünf Meilen weiter, also etwa unter 1« 38' nördlicher Breite, liegt die Insel San Josef, die provisorisch (denn in diesem endlosen Grenzproceß ist Alles provisorisch) als südlicher Endpunkt der 177 spanischen Besitzungen gilt. Etwas unterhalb dieser Insel, an einem Ort, wo es viele verwilderte Orangebäume gibt, zeigt man einen kleinen, 300 Fuß hohen Felsen mit einer Höhle, welche bei den Missionären „Cocuys Glorieta" heißt. Dieser 2 ustört, denn solches bedeutet das Wort Glorieta im Spam» schen, weät nicht die angenehmsten Erinnerungen. Hier hatte Cocuy, der Häuptling der Manitivitanos, von dem oben die Rede war,l sein Harem, und hier verspeiste er — um Alles zu sagen — aus besonderer Vorliebe die schönsten und fettesten seiner Weiber. Ich zweifle nicht, daß Cocuy allerdings ein wenig ein Menschenfresser war: „es ist dieß," sagt Pater Gili mit der Naivität eines amerikanischen Missionärs, „eine üble Gewohnheit dieser Völker in Guyana, die sonst so sanft und gutmüthig sind,-" aber zur Steuer der Wahrheit muß ich hinzufügen, daß die Sage vom Harem und den abscheulichen Ausschweifungen Cocuys am untern Orinoco weit verbreiteter ist als am Rio Negro. Ja in San Carlos läßt man nicht einmal den Verdacht gelten, als Hütte er eine die Menschheit entehrende Handlung begangen; geschieht solches vielleicht, weil Cocuys Sohn, der Christ geworden und der mir ein verständiger, civilisirter Mensch schien, gegenwärtig Hauptmann der Indianer in San Carlos ist? Unterhalb der Glorieta kommen auf portugiesischem Gebiet das Fort Son Josef de Maravitanos, die Dörfer Ioam Baptista de Mabbe, San Marcellino (beim Einfluß des Guaisia oder Uerie, von dem oben die Rede war), Nossa Senhora da Guya, ' S. Vand V. Seite s<. Humboldt, Rtis«. V. 12 178 Boavista am Rio Iyanna, San Felipe, San Ioaquin de Coanne beim Einfluß des vielberufenen Rio Guape, ^ Calderon, San Miguel de Iparanna mit einer Schanze, San Francisco de las Caculbaes, und endlich die Festung San Gabriel de Cachoeiras. Ich zähle dicse Ortsnamen absichtlich auf, um zu zeigen, wie viele Niederlassungen die portugiesische Regierung sogar in diesem abgelegenen Winkel von Brasilien gegründet hat. Auf einer Strecke von 35 Meilen liegen eilf Dörfer, und bis zum Ausfluß des Rio Negro könne ich noch neunzehn weitere, außer den sechs Dörfern Thomare, Moreira (am Rio Demenene oder Uaraca, wo ehemals die Guayannas-Indianer wohnten), Barcellos, San Miguel del Rio Branco, am Flusse desselben Namens, der in den Fabeln vom Dowoo eine so große Rolle spielt, Moura und Villa de Rio Negro. Die Ufer dieses Nebenflusses des Amazonenstroms allein sind daher zehnmal bevölkerter als die Ufer des obern und des untern Orinoco, des Cassiquiare, des Atabapo und des spanischen Rio Negro zusammen. Dieser Gegensatz beruht keineswegs bloß auf dem Unterschied in der Fruchtbarkeit des Bodens, noch darauf, daß der Rio Negro, weil er fortwährend von Nordwcst nach Südost läuft, leichter zu befahren ist; er ist vielmehr Folge der politischen Einrichtungen. Nach der Colonialverfassung der Portugiesen stehen die Indianer unter Civil-- und Militärbehörden und unter den Mönchen vom Berge Carmel zumal. Es ist eine gemischte Regierung, wobei die weltliche Gewalt sich unabhängig erhält. Die Observanten dagegen, unter denen die ' S. Vand V. Seite l26—4SS. 179 Missionen am Orinoco stehen, vereinigen alle Gewalten in Einer Hand. Die eine wie die andere dieser Negierungsweisen ist drückend in mehr als Einer Beziehung: aber in den portugiesischen Colonien wird für den Verlust der Freiheit wenigstens durch etwas mehr Wohlstand und Cultur Ersatz geleistet. Unter den Zuflüssen, die der Rio Negro von Norden her erhalt, nehmen drei besonders unsere Aufmerksamkeit in Anspruch, weil sie wegen ihrer Verzweigungen, ihrer Trageplätze und der Lage ihrer Quellen bei der so oft verhandelten Frage nach dem Ursprung des Orinoco stark in Betracht kommen. Die am weitesten südwärts gelegenen dieser Nebenflüsse sind der Rio Vranco, von dem man lange glaubte, er entspringe mit dem Orinoco aus dem Parimesee, und der Rio Padaviri, der mittelst eines Trageplahes mit dem Mavaca und somit mit dem obern Orinoco ostwärts von der Mission Esmeralda in Verbindung steht. Wir werden Gelegenheit haben, vom Rio Branco und dem Padaviri zu sprechen, wenn wir in der letztgenannten Mission angelangt sind; hier brauchen wir nur beim dritten Nebenstuß des Rio Negro, dem Cababuri, zu verweilen, dessen Verzweigungen mit dem Cassiquiare in hydrographischer Beziehung und für den Sarsaparillehandel gleich wichtig sind. Von den hohen Gebirgen der Parime, die am Nordufer des Orinoco in feinem obern Lauf oberhalb Esmeralda hinstreichen, geht ein Zug nach Süden ab, in dem der Cerro de Unturan einer der Haufttgipfel ist. Diefer gebirgigte Landstrich ist nicht sehr groß, aber reich an vegetabilischen Produkten, besonders an Mavacure-Lianen, die zur Bereitung des Curaregiftes dienen, an Mandelbäumcn (Iuvia oder LertdoIIotm exeelsn), 180 aromatischem Puchery und wildem Cacao, und bildet eine Wasserscheide zwischen dm Gewässern, die in den Orinoco, in den Cassiauiare und in den Rio Negro gehen. Gegen Norden oder dem Orinoco zu stießen der Mavaca und der Daracapo, nach Westen oder zum Cassiauiare der Idapa und der Pac.-moni, nach Süden oder zum Rio Negro der Padav.r, und der Cababuri. Der letztere theilt sich in der Nähe seiner Quelle in zwei Arme, von denen der westlichste unter dem Namen Varia bekannt ist. In der Mission San Francisco Solano gaben uns die Indianer die umständlichsten Nachrichten über seinen Lauf. Er verzweigt sich, was sehr selten vorkommt, so, daß zu einem untern Zufluß das Wasser eines obern n.cht herunterkommt, sondern daß im Gegentheil jener die,em emen Theil seines Wassers in einer der Richtung oes Hauptwasserbehälters entgegengesetzten Richtung zusendet. Ich habe mehrere Beispiele dieser Verzweigungen mit Gegenströmungen, dieses scheinbaren Wasserlaufs bergan, dieser Flußgabelungen, deren Kenntniß für die Hydrographen von Interesse ist, auf Einer Tafel meines Atlas zusammengestellt. Dieselbe mag ihnen zeigen, daß man nicht geradezu Alles für Fabel erklären darf, was von dem TyMs abweicht, den wir uns nach Beobachtungen gebildet, die einen zu unbedeutenden Theil der Erdoberfläche umfassen. Der Cababuri fällt bei der Mission Nossa Senhora das Caldas in den Rio Negro; aber die Flüsse Ya und Dimity, die weiter oben hereinkommen, stehen auch mit dem Cababuri in Verbindung, fo daß von der Schanze San Gabriel de Ca« choeiras an bis San Antonio de Castanheira die Indianer aus den portugiesischen Besitzungen auf dem Baria und dem Pacimoni 181 auf das Gebiet der spanischen Missionen sich einschleichen können. Wenn ich sage Gebiet, so brauche ich den gewöhnlichen Ausdruck der Observanten. Es ist schwer zu sagen, auf was sich das Eigenthumsrecht in unbewohnten Ländern gründet, deren naturliche Grenzen man nicht kennt, und die man nicht zu cultiviren versucht hat. In den portugiesischen Missionen behaupten die Leute, ihr Gebiet erstrecke sich überall so weit, als sie im Canoe auf einem Fluß, dessen Mündung in Portugiesischem Besitz ist, gelangen können. Aber Besitzergreifung ist eine Handlung, die durchaus nicht immer ein Eigenthumsrecht begründet, und nach den obigen Bemerkungen über die vielfachen Verzweigungen der Flüsse dürfte es für die Höfe von Madrid und Lissabon gleich gefährlich seyn, diesen seltsamen Satz der Missions-Iurisprudenz gelten zu lassen. Der Hauptzweck bei den Einfällen auf dem Nio Cababuri ist, Sarsaparille und die aromatischen Samen des Puchery-Lorbeers (I^urus kiokurim) zu sammeln. Man geht dieser kostbaren Produkte wegen bis auf zwei Tagereisen von Es-meralda an einen See nördlich vom Cerro Unturan hinauf, und zwar über die Trageplähe zwischen dem Pacimom und Idapa, und dem Idapa und dem Mavaca, nicht weit vom See desselben Namens. Die Sarsaparille von diesem Landstrich steht in Gran-Para, in Angostura, Cumana, Nueva, Barcelona und andern Orten von Terra Firma unter dem Namen Aarxa del liio AeFro in hohem Ruf. Es ist die wirksamste von allen, die man kennt; man zieht sie der Zarza aus der Provinz Caracas und von dcn Bergen von Merida weit vor. Sie wird sehr sorgfältig getrocknet und absichtlich dem Rauch aus- 182 geseht, damit sie schwärzer wird. Diese Schlingpflanze wächst in Menge an den feuchten Abhängen der Berge Unturan und Achivaquery. De Candolle vermuthet mit ^echt, daß verschiedene Arten von Smilar unter dem Namen Sarsaparille gesammelt werden. Wir fanden zwölf neue Artcn, von denen smilax 8)pkilitioll vom Cafsiquiare und 8mil»x ossioinnlis vom Magdalenenstrom wcgcn ihrer harntreibenden Eigenschaften die gesuchtesten sind. Da syphilitische Uebel hier zu Lande unter Weißen und Farbigen so gemein als gutartig sind, so wird in den spanischen Colonien eine sehr bedeutende Menge Sarsaparille als Hausmittel verbraucht. Wir ersehen aus den Werken des Clusius, daß Europa in den ersten Zeiten der Eroberung diese heilsame Arznei von der mericanischen Küste bei Honduras und aus dem Hafen von Guayaquil bezog. Gegenwärtig ist der Handel mit Zarza lebhafter in den Häfen, die mit dem Orinoco, Rio Negro und Amazonenstrom Verbindungen haben. Versuche, die in mehreren botanischen Gärten in Europa angestellt worden, thun dar, daß 8miwx ßlauoa aus Virgi-nien, die man für Linn6s Smilax Sai-snpnlill» erklärt, überall im Freien gebaut werden lann, wo die mittlere Temperatur des Winters mehr als 6 bis 7 Grad des hunderttheiligen Thermometers beträgt; l aber die wirtsamsten Arten gehören ' Wintertemperatur in London und Paris ä°.2 und 3".?. iu Montpellier ?°.7. in Rom ?°,7. in dem Theile vo« Meiico und Terra Firma, wo wir die wirksamsten Tarsaparille-Nrteil (diejenigen welche aus den spanischen und portugiesischen Colonien in den Handel kommen) haben wachsen sehen, 2N—26°. 183 ausschließlich der heißen Zone an und verlangen einen weit höheren Wärmegrad. Wenn man des Clusius Werke liest, begreift man nicht, warum in unsern Handbüchern der materm meäie». ein Gewächs der Vereinigten Staaten für den ältesten Typus der officinellen Smilararten gilt. Wir fanden bei den Indianern am Rio Negro einige der grünen Steine, die unter dem Namen Amazonen st eine bekannt sind, weil die Indianer nach einer alten Sage behaupten, sie kommen aus dem Lande der „Weiber ohne Männer" ((^ouANkntäinseoouima oder ^.ikeämIiLUkmo — Weiber, die allein leben). In San Carlos und den benachbarten Dörfern nannte man uns die Quellen des Orinoco östlich von Esmeralda, in den Missionen am Carony und in Angostura die Quellen des Rio Branco als die natürlichen Lagerstätten der grünen Steine. Diese Angaben bestätigen den Bericht eines alten Soldaten von der Garnison von Cayenne, von dem La Condamine spricht, und demzufolge diese Mineralien aus dem Lande der Weiber westwärts von den Stromschnellen des Oyapoc kommen. Die Indianer im Fort Topayos am Amazonenstrom, 5 Grad ostwärts vom Einfluß des Nio Negro, besaßen früher ziemlich viele Steine der Art. Hatten sie dieselben von Norden her bekommen, das heißt aus dem Lande, das die Indianer am Rio Negro angeben, und das sich von den Vergen von Cayenne bis an die Quellen des Cssequebo, des Carony, des Orinoco, des Parime und des Rio Trombetas erstreckt, oder sind diese Steine aus dem Süden gekommen, über den Nio Topayos, der von der großen Hochebene der Campos Parecis herablommt? Der Aberglaube legt diesen 184 Steinen große Wichtigkeit bei; man trägt sie als Amulette am Hals, denn sie schützen nach dem Volksglauben vor Nervenleiden, Fiebern und dem Biß giftiger Schlangen/ Sie waren daher auch seit Jahrhunderten bei den Eingeborenen nördlich und südlich vom Orinoco ein Handelsartikel. Durch die Ca-raiben, die für die Bolharen der neuen Welt gelten können, lernte man sie an der Küste von Guyana kennen, und da dieselben Steine, gleich dem umlaufenden Geld, in entgegengesetzten Richtungen von Nation zu Nation gewandert sind, so kann es wohl seyn, daß sie sich nicht vermehren und daß man ihre Lagerstätte nicht verheimlicht, fondern gar nicht kennt. Vor wenigen Jahren wurden mitten im hochgebildeten Europa, aus Anlaß eines lebhaften Streites über die einheimische China, aNen Ernstes die grünen Steine vom Orinoco als ein kräftiges Fiebermittel in Vorschlag gebracht; wenn man der Leichtgläubigkeit der Europäer so viel zutraut, kann es nicht Wunder nehmen, wenn die spanischen Colonistcn auf diese Amulette so viel halten als die Indianer, und sie zu sehr bedeutenden Preisen verkauft weiden. i Gewöhnlich gibt man ihnen die Form der der Länge nach durchbohrten und mit Inschriften und Bildwerk bedeckten persepolitanischen Cylinder. Aber nicht die heutigen Indianer, nicht diese so tief versunkenen Eingeborenen am Orinoco und Amazonenstrom haben so harte Körper durchbohrt und Figuren von Thieren und Früchten daraus geschnitten. Dergleichen Arbeiten, wie auch die durchbohrten und geschnittenen Smaragde, die in den Cordilleren von Neu-Grenada und ' Ein zwei Zoll lang« Vylludei lostet l2—<5 Piaster. 185 Quito vorkommen, weisen auf eine frühere Cultur zurück. Die gegenwärtigen Bewohner dieser Länder, besonders der heißen Zone, haben so wenig einen Begriff davon, wie man harte Steine (Smaragd, Nephrit, dichten Feldspath und Bergkryftall) schneiden kann, daß sie sich vorstellen, der „grüne Stem" komme ursprünglich weich aus dem Voden und werde erst hart, nachdem er bearbeitet worden. Aus dem hier Angeführten erhellt, daß der Amazonenstein nicht im Thale des Amazonenstrom^s selbst vorkommt, und daß er keineswegs von diesem Flusse den Namen hat, sondern, wie dieser selbst, von einem Volke kriegerischer Weiber, welche Pater Acuna und Oviedo in seinem Brief an den Cardinal Nembo mit den Amazonen der alten Welt vergleichen. Was man in unsern Sammlungen unter dem falschen Namen „Amazonenstein" sieht, ist weder Nephrit noch dichter Feldspath, sondern gemeiner apfelgrüner Feldspath, der vom Ural am Onegasee in Nußland kommt und den ich im Granitgebirg von. Guyana niemals gesehen habe. Zuweilen verwechselt man auch mit dem so seltenen und so harten Amazonenstein Werners Veilstein, ! der lange nicht so zäh ist. Das Mineral, das ich aus der Hand der Indianer habe, ist zum Saussurit 2 zu stellen, zum eigentlichen Nephrit, der sich oryktognostisch dem ' Punamuftein, 5»cle axinien. Die Steinärte, die man in Amerika, z. B. in Men'co findet, sind kein Veilsteln, sonder» dichter Feldspath. ' ^ncie 6e 8«u55ure. nach Vrongniarts System, 5«6e tonnoa und ?«I! 3ire1i) bei manchen arabischen Geographen der grüne Nil heißt, und daß die persischen Dichter zuweilen den Himmel grün lakwgi-), sowie den Neryll blau (xark) nennen. Man lann doch nicht annehmen, daß die Volker vom semitischen Stamm in ihren Sinnrseindrückeil grün und blau verwechseln, wie nicht selten ihr Ohr die Vokale 0 und u. e und i verwechselt. Das Wort axiell wird von jedem sehr klaren, nicht milchigten Wasser gebraucht, und uliirgnk (wasserfarbig), Humboldt, 3l«isc. V. 14 210 Ehe wir in die Mission Mandavaca kamen, liefen wir durch ziemlich ungestüme Stromschnellen. Das Dorf, das auch Qui-rabuena heißt, zahlt nur 60 Eingeborene. Diese christlichen Niederlassungen befinden sich meist in fo kläglichem Zustande, dah längs des ganzen Cassiquiare auf einer Strecke von 50 Meilen keine 200 Menschen leben. Ja die Ufer dieses Flusses waren bevölkerter, ehe die Missionäre ins Land kamen. Die Indianer zogen sich in die Wälder gegen Ost, denn die Ebenen gegen West sind fast menschenleer. Die Eingeborenen leben einen Theil des Jahrs von den großen Ameisen, von denen oben die Rede war. Diese Insekten sind hier zu Lande so stark gesucht, wie in der südlichen Halbkugel die Spinnen der Sippe Epeira, die für die Wilden auf Neuholland ein Leckerbissen sind. In Mandavaca fanden wir den guten alten Missionär, der bereits „seine zwanzig Mostitojahre in den Lag-queg 6el (^iquiai-e" zugebracht hatte, und dessen Beine von den Stichen der Insekten so gefleckt waren, daß man kaum sah, daß er eine weiße Haut hatte. Er sprach uns von seiner Verlassenheit, und wie er sich in der traurigen Nothwendigkeit sehe, in den beiden Missionen Mandavaca und Vasiva häufig die abscheulichsten Verbrechen straflos zu lassen. Vor bedeutet blau. Abd-Allatif. wo er vom llaven grünen Arm be« Nils spricht, der aus einem See im Gebirge südöstlich von Senuaar eilt-springt, schreibt bereits die grüne Farbe dieses Alpsee« „vegetabi« lischen Substanzen zu, die sich in den stehenden Wassern in Menge finden." Weiter oben (Vand Hl. Seite 2««) habe ich die gefärbten, unrichtig »ßuag n«^«« genannten Wasser ebenso erklärt. UeberaU sind die klarsten, dulchsichtigstfn Wasser gerade solche, die nicht weiß sind. 211 wenigen Jahren hatte im letzteren Ort ein indianischer Alcade eines seiner Weiber verzehrt, die cr in seinen Conuco ' hin-ausgenommen und gut genälirt hatte, um sie fett zu machen. Wenn die Völker in Guyana Mcnschenfieisch essen, so werden sie nie durch Mangel oder durch gottesdienstlichen Aberglauben dazu getrieben, wie die Menschen auf den Südseeinseln: es beruht meist auf Rachsucht des Siegers und — wie die Missionäre sagen — auf „Verirrung des Appetits." Der Sieg über eine feindliche Horde wird durch ein Mahl gefeiert, wobei der Leichnam eines Gefangenen zum Theil verzehrt wird. Ein andermal überfällt man bei Nacht eine wehrlose Familie oder tödtct einen Feind, auf den man zufällig im Walde stößt, mit einem vergifteten Pfeil. Der Leichnam wird zerstückt und als Trophäe nach Hause getragen. Erst die Cultur hat dem Menschen die Einheit des Menschengeschlechts zum Bewußtseyn gebracht und ihm offenbart, daß ihn auch mit Wefen, deren Sprache und Sitten ihm fremd sind, ein Band der Blutsverwandtschaft verbindet. Die Wilden kennen nur ihre Familie, und ein Stamm erscheint ihnen nur als eiu größerer Verwandtschaftskreis. Kommen Indianer, die sie nicht kennen, aus dem Walde in die Mission, so brauchen sie einen Ausdruck, dessen naive Einfalt mir oft aufgefallen ist: „Gewiß sind dieß Verwandte von mir, denn ich verstehe sie, wenn sie mit mir sprechen." Die Wilden verabscheuen Alles, was nicht zu ihrer Familie oder ihrem Stamme gehört, und Indianer einer benachbarten Völkerschaft, mit der sie im Kriege leben, jagen sie, wie wir das Wild. Die Pflichten ' Gine Hütte auf riiiem angebauten Grundstück, eine Alt Land-Hau«, wo sich die Eingeborenen lieber aufhalten als in den Missionen. 212 gegen Familie und Verwandtschaft sind ihnen wohl bekannt, keineswegs aber die Pflichten der Menschlichkeit, die auf dem Bewußtseyn beruhen, daß alle Wesen, die geschaffen sind wie wir, Ein Band umschlingt. Keine Regung von Mitleid hält sie ab, Weiber oder Kinder eines feindlichen Stammes ums Leben zu bringen. Letztere werden bei den Mahlzeiten nach einem Gefecht oder einem Ueberfall vorzugsweise verzehrt. Der Haß der Wilden fast gegen alle Menschen, die eine andere Sprache reden und ihnen als Barbaren von niedrigerer Race als sie selbst erscheinen, bricht in den Missionen nicht selten wieder zu Tage, nachdem er lange geschlummert. Wenige Monate vor unserer Ankunft in Esmeralda war ein im Walde l hinter dem Duida geborener Indianer allein unterwegs mit einem andern, der von den Spaniern am Ventuario gefangen worden war und ruhig im Dorfe, oder, wie man hier sagt, „unter der Glocke," „äkdaxo 6e la eampana/ lebte. Letzterer konnte nur langsam gehen, weil er an einem Fieber litt, wie sie die Eingeborenen häusig befallen, wenn sie in die Missionen kommen und rasch die Lebensweise ändern. Sein Reisegeführte, ärgerlich über den Aufenthalt, schlug ihn todt und versteckte den Leichnam in dichtem Gebüsch in der Nähe von Esmeralda. Dieses Verbrechen, wie so manches ' Ln el monte. Man unterscheidet zwischen Indianern, die in den Missionen, und solchen, die in den Wäldern geboren sind. Da« Wort Monte wird in den Golonien hanfiger für Wald (dnsqup) gebraucht al« für Nerg. und dieser Umstand hat auf unsern Karte» große Irrthum« veranlaßt, indem man Bergketten (5iei-s«8) einzeichnete, wo nicht« als dicker Wald, nwnlo e»pl>8o, ist. 213 dergleichen, was unter den Indianern vorfällt, wäre unentdeät geblieben, hätte nicht der Mörder Anstalt gemacht, Tags darauf eine Mahlzeit zu halten. Er wollte seine Kinder, die in der Mission geboren und Christen geworden waren, bereden, mit ihm einige Stücke des Leichnams zu holen. Mit Mühe brachten ihn die Kinder davon ab, und durch den Zank, zu dem die Sache in der Familie führte, erfuhr der Soldat, der in Es-mcralda lag, was die Indianer ihm gerne verborgen hätten. Anthropophagie und Menschenopfer, die so oft damit verknüpft sind, kommen bekanntlich überall auf dem Erdball und bei Völkern der verschiedensten Racen vor; l aber besonders auffallend erscheint in der Geschichte der Zug, daß die Menschenopfer sich auch bei bedeutendem Culturfortschritt erhalten, und daß die Völker, die eine Chre darin suchen, ihre Gefangenen zu verzehren, keineswegs immer die versunkensten und wildesten sind. Diefe Bemerkung hat etwas peinlich Ergreifendes, Niederschlagendes: sie entging auch nicht den Missionären, die gebildet genug sind, um über die Sitten der Völkerschaften, unter denen sie leben, nachzudenken. Die Cables, die Guipu-navis und die Caraiben waren von jeher mächtiger und civili-sirter als die andern Horden am Orinoco, und doch sind die ' Einige Fälle, wo von Negern anf Cuba Kinder geraubt wurden, gaben in den spanischen Cvlouien Anlaß zum Glauben, als gebe c« uuter den afrikanischen Völkerschaften Anlhropophagcn. Einige Reisende behaupten solches, es wird aber durch Barrow's Verbachtungen im inner» Afrika widerlegt. Abergläubische Gebräuche möge» Anlaß zu Beschuldigungen gegeben haben, die wohl so ungerecht sind al« die. unter denen iu den Zeiten der Intoleranz und der Ver-folguiigssucht die Juden zu leide» hatten. 214 beiden ersteren Menschenfresser, während es die letzteren niemals waren. Man muß zwischen den verschiedenen Zweige», in welche die große Familie der caraibischen Völker zerfällt, genau unterscheiden. Diese Zweige sind so zahlreich wie die Stämme der Mongolen und westlichen Tartaren oder Turco-manncn. Die Caraiben auf dem Festlante, auf den Ebenen zwischen dem untern Orinoco, dem Nio Branco, dem Essequebo und den Quellen des Oyapoc verabscheuen die Sitte, die Gefangenen zu verzehren. Diese barbarische Sitte l bestand bei der Entdeckung von Amerika nur bei den Caraiben auf den antillischen Inseln. Durch sie sind die Worte Cannibalen, Caraiben und Menschenfresser gleichbedeutend geworden, und die von ihnen verübten Grausamkeiten veranlaßten das im Jahr 1504 erlassene Gcsctz, das den Spaniern gestattet, jeden Amerikaner, der erweislich caraibischcn Stammes ist, zum Sklaven zu machen. Ich glaube übrigens, daß die MenschenfreMrei der Bewohner der Antillen in den Berichten der ersten See-' Cardinal Vembo sagt: „lnsulliruln ,,i,rtem lwmines inhale-Kant, lei-i llucl>LquIil5 in il,8u!i8 bello uut lülrocinii» cnel'issenl. vr8«dil«lu, ; i, somini8 iibslincbilnl. ciinidiiles Äl'p^»«l>." Ist das Woit Kannibale, das hier von den ssaraiben auf den Antillen gebraucht wird. au« einer der Sprachen dieses Archipels (der haitischen) oder hat man es in einer Mundart zu suchen, die in Florida zu Hause ist. das nach einigen Tage» die ursprüngliche Heimath der Caraibeu seyn soll? Hat das Wort überhaupt eincn Ein«, so scheint es vielmehr „starlc, tapfere Fremde" als Menschenfresser zu bedeuten. Garcia in seinen etymologischen Phantasieen erklärt es geradezu für phömlisch. .^nnid.'il und <^ui,i,ilial können »ach ihm nur von derselben semitische» Wurzel herkommen. 215 fahrer stark übertrieben ist. Ein ernster, scharfsinniger Geschichtschreiber, Herera, hat sich nicht gescheut, diese Geschichten in die Decays Ki8toiiou,8 aufzunehmen,' er glaubt sogar an den merkwürdigen Fall, der die Caraiben veranlaßt haben soll, ihrer barbarischen Sitte zu entsagen. „Die Eingeborenen einer kleinen Insel hatten einen Dominikanermönch verzehrt, den sie von der Küste von Portorico fortgeschleppt. Sie wurden alle krank, und mochten fortan weder Mönch noch Laien verzehren. Wenn die Caraiben am Orinoco schon zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts andere Sitten hatten als die auf den Antillen, wenn sie immer mit Unrecht der Anthropophagie be» schuldigt worden sind, so ist dieser Unterschied nicht wohl daher zu erklären, daß sie gesellschaftlich höher standen. Man begegnet den seltsamsten Contrasten in diesem Völkergewirre, wo die einen nur von Fischen, Affen und Ameisen leben, andere mehr oder weniger Acterbauer sind, mehr oder weniger das Verfertigen und Bemalen von Geschirren, die Weberei von Hängematten und Baumwollenzeug als Gewerbe treiben. Manche der letzteren halten an unmenschlichen Gebräuchen fest, von denen die ersteren gar nichts wissen. Im Charakter und in den Sitten eines Volks wie in feiner Sprache fpiegeln sich sowohl seine vergangenen Zustände als die gegenwärtigen: man müßte die ganze Geschichte der Gesittung oder der Verwilderung einer Horde kennen, man müßte den menschlichen Vereinen in ihrer ganzen Entwicklung und auf ihren verschiedenen Lebensstufen nachgehen können, wollte man Probleme lösen, die ewig Räthsel bleiben werden, wenn man nur die gegenwärtigen Verhältnisse ins Auge fassen kann. 216 „Sie machen sich keinc Vorstellung davon," sagte der alte Missionär in. Mandavaca, „wie verdorben diese famißlik ä« Inäwä ist. Man nimmt Leute von einem neuen Stamm im Dorfe auf; sie scheinen sanftmüthig, redlick, gute Arbeiter: man erlaubt ihnen einen Streifzug (entr^a) mitzumachen, um Eingeborene einzubringen, und hat genug zu thun, zu verhindern, daß sie nickt alles, was-ihnen in die Hände kommt, umbringen und Stücke der Leichname verstecken." Denkt man über die Sitten dieser Indianer nach, so erschrickt man ordentlich über diese Verschmelzung von Gefühlen, die sich auszuschließen scheinen, über die Unfähigkeit dieser Völker, sich anders als nur theilweise zu Humanisiren, über diese Uebeimacht der Bräuche, Vorurtheile und Ueberlieferungen über dk naturllchen Regungen des Gemüths. Wir hatten in unserer Pnogue einen Indianer, der vom Rio Guaisia entlaufen war und sich m wenigen Wochen so weit civilisirt hatte, daß er uns beim Ausstellen der Instrumente zu den nächtlichen Beobachtungen gute Dienste leisten konnte. Er schien so gutmüthig als gescheit und wir hatten nicht übel Lust, ihn in unsern Dienst zu nehmen. Wie groß war unser Verdruß, als wir im Gespräch mittelst eines Dolmetschers von ihm hören mußten, „das Fleisch der Manimondas-Assen sey allerdings schwärzer, er meine aber doch, es schmecke wie Menschenfleisch." Er versicherte, „seine Verwandten (das heißt seine Stammverwandten) essen vom Menschen wie vom Bären die Handflächen am liebsten." Und bei diesem Ausspruch äußerte er durch Geberden seine rohe Lust. Wir ließen den sonst sehr ruhigen und bei den kleinen Diensten, die er uns leistete, sehr gefälligen jungen Mann fragen, 21? ob er hie und da noch Lust spüre, „Cheruvichahena-Fleisch zu essen:" er erwiederte ganz unbefangen, in der Mission werde er nur essen, was er los pkär68 essen sehe. Den Eingeborenen wegen des abscheulichen Brauchs, von dem hier die Rede ist, Vorwürfe zu machen, hilft rein zu nichts: es ist gerade als ob ein Bramme vom Ganges, der in Europa reiste, uns darüber anließe, daß wir das Fleisch der Thiere essen. In den Augen des Indianers vom Rio Guaisia war der Cheru-vichahena ein von ihm selbst völlig verschiedenes Wesen: ihn umzubringen war ihm kein größeres Unrecht, als die Jaguars im Walde umzubringen. Es war nur Gefühl für Anstand, wenn er, so lange er in der Mission war, nur essen wollte, was los Mlii'68 genossen. Entlaufen die Eingeborenen zu den Ihrigen (al manw), oder treibt sie der Hunger, so werden sie alsbald wieder Menschenfresser wie zuvor. Und wie sollten wir uns über diesen Unbestand der Völker am Orinoco wun« dern, da uns aufs glaubwürdigste bezeugt ist, was sich in Hungersnoth bei civilisirten Völkern schon Gräßliches ereignet hat? In Egypten griff im dreizehnten Jahrhundert die Sucht, Menschenfleisch zu essen, unter allen Ständen um sich; besonders aber stellte man den Aerzten nach. Hatte einer Hunger, so gab er sich für krank aus und ließ einen Arzt rufen, aber nicht um sich bei ihm Raths zu erholen, sondern um ihn zu verzehren. Ein sehr glaubwürdiger Schriftsteller, Abd-Allatif, erzählt uns, „wie eine Sitte, die Anfangs Abfcheu und Entsetzen einflößte, bald gar nicht mehr auffiel." i 1 Abd-Allatis, Medecin de Bagdad, Relation de I'Egyple, trad, par Silvestre de Sacy. — „ Als die Armen anfingen Menschen- Ms So leicht die Indianer am Cassiquiare in ihre barbarischen Gewohnheiten zurückfallen, so zeigen sie doch in den Missionen Verstand und einige Lust zur Arbeit, besonders aber große Fertigkeit, sich spanisch auszudrücken. Ta in den Dörfern meist drei, vier Nationen beisammen leben, die einander nicht verstehen, so hat eine fremde Sprache, die zugleich die Sprache der bürgerlichen Behörde, des Missionärs ist, den Vortheil, daß sie als allgemeines Verkehrsmittel dient. Ich sah einen Poignave-Indianer sich spanisch mit einem Guahibo«Indianer fleisch zu esse«, war der Abscheu und das Entsetzen über so gräßliche Gerichte so groß, daß von »ichts als von diesen Gleucln gesprochen wurde; man gewöhnte sich aber in der Folge dergestalt daran und man faitd so großen Geschmack an der entsetzlichen Speise, daß man reiche und ganz ehrbare Leute sie für gewöhulich genießen, zum Festessen machen, ja Vorräthe davon anlegen sah. Es famen verschiedene Zubereitungsartcu deö Fleisches auf, und da der Vrauch einmal bestand, verbreitete er sich auch über die Provinzen, so daß aller Orte» in Egyptrn Fälle vorkamen. Und da verwunderte mau sich gar nichl mehr darüber; da« Entsetzen, da« man zu Anfang darob empfunden, schwand ganz und gar, und man sprach davon und hörte davon sprechen als von etwas ganz Gleichgültigem und Alltäglichem. Die Sucht, einander aufzuessen, griff unter den Armen dergestalt «m sich, daß die meisten auf diese Weise umlamen. Die Elenden brauchten alle möglichen Listen, um Menschen zu überfallen oder sie unter falschem Vorgeben zu sich ins Hans zu locken. Von den Aerzten, die zu mir kamen, verfielen drei diesem Loos. und ein Buchhändler, der Bücher au mich verkaufte, eiu alter. sehr feiler Man», siel in ihre Netze und kam nur mit knapper Noth davon. Alle Vorfalle, von denen wir als Augenzeugen berichten, sind unö zufällig vor Augen gekommen, denn meist gingen wir einem Anblick aus dem Wege, der uns mit solchem Entsetze» erfüllte." 219 unterhalten, und doch hatten beide erst seit drei Monaten ihre Wälder verlassen. Alle Viertelstunden brachten sie einen mühselig zusammengestoppelten Satz zu Tage, und dabei war das Zeitwort, ohne Zweifel nach der Syntax ihrer eigenen Sprachen, immer im Gerundium gesetzt. (Huauäo io miranclo ?aäre, ?ääre me äioienäo, statt: als ich den Pater sah, sagte er mir.) Ich habe oben erwähnt, wie verständig mir die Idee der Jesuiten schien, eine der cultioirten amerikanischen Sprachen, etwa das Peruanische, die lingua del InA», zur allgemeinen Sprache zu machen und die Indianer in einer Mundart zu unterrichten, die wohl in den Wurzeln, aber nicht im Vau und in den grammatischen Formen von den ihrigen abweicht. Man that damit nur, was die Incas oder priesterlichen Könige von Peru seit Jahrhunderten zur Ausführung gebracht, um die barbarischen Völkerschaften am obern Amazonenstrom unter ihrer Gewalt zu behalten und zu humanisiren, und solch ein System ist doch nicht ganz so seltsam als der Vorschlag, der auf einem Provincialconcil in Mexico alles Ernstes gemacht worden, man solle die Eingeborenen Amerikas lateinisch sprechen lehren. Wie man uns sagte, zicht man am untern Orinoco, besonders in Angostura, die Indianer vom Cassiauiare und Rio Negro wegen ihres Verstandrs und ihrer Rührigkeit den Bewohnern der andern Missionen vor. Die in Mandavaca sind bei den Völkern ihrer Nace berühmt, weil sie ein Curare-Gift bereiten, das in der Stärke dem von Esmeralda nicht «achsteht. Leider geben sich die Eingeborenen damit weit mehr ab als mit dem Ackerbau, und doch ist an den Ufern des 220 Cassiquiare der Boden ausgezeichnet. Es findet sich daselbst ein schwarzbrauner Granitsand, der in den Wäldern mit dicken Humusschichten, am Ufer mit einem Thon bedeckt ist, der fast kein Wasser durchläßt. Am Cassiquiare scheint der Boden fruchtbarer als im Thal des Rio Negro, wo der Mais ziemlich schlecht geräth. Reis, Bohnen, Baumwolle, Zucker und Indigo geben reichen Ertrag, wo man sie nur anzubauen versucht hat. Bei den Missionen San Miguel de Davipe, San Carlos und Mandavaca sahen wir Indigo wild wachsen. Es läßt sich nicht in Abrede ziehen, daß mehrere amenkamfche Völker, namentlich die Mexican«, sich lange vor der Eroberung zu ihren hieroglyfthischen Malereien eines w.rkl.chen Indigo bedienten, und daß dieser Farbstoff in kleinen Broden auf dem großen Markt von Tenochtitlan verkauft wurde. Aber ein chemisch identischer Farbstoff kann aus Pflanzen gezogen werden, die einander nahe stehenden Gattungen angehören, und so möchte ich jetzt nicht entscheiden, ob die in Amerika einheimischen Inöi^f«^ sich nicht genetisch von InäiFokra anil und IntliZotera argute», der alten Welt unterscheiden. Bei den Kaffeebäumen der beiden Welten ist ein solcher Unterschied wirklich beobachtet. Die feuchte Luft und, als natürliche Folge davon, die Masse von Insekten lassen hier wie am Rio Negro neue Culturen fast gar nicht aufkommen. Selbst bei hellem, blauem Himmel sahen wir das Delucsche Hygrometer niemals unter 52 Grad stehen. Ueberall trifft man jene großen Ameisen, die in gedrängten Haufen einherziehen und sich desto eifriger über die Culturpflanzen hermachen, da dieselben krautartig und 221 saftreich sind, während in den Wäldern nur Gewächse mit holzigten Stengeln stehen. Will ein Missionär versuchen, Salat oder irgend ein europäisches Küchenkraut zu ziehen, so muß er seinen Garten gleichsam in die Luft hängen. Er füllt ein altes Canoe mit gutem Boden und hängt es vier Fuß über dem Boden an Chiquichiquistricken auf: meist aber stellt er es auf ein leichtes Gerüste. Die jungen Pflanzen sind dabei vor Unkraut, vor Erdwürmern und vor den Ameisen geschützt, die immer geradeaus ziehen, und da sie nicht wissen, was über ihnen wächst, nicht kicht von ihrem Wege ablenken, um an Pfählen ohne Rinde hinaufzukriechen. Ich erwähne dieses Umstandes zum Beweis, wie schwer es unter den Tropen, an den Ufern der großen Ströme dem Menschen Anfangs wird, wenn er es versucht, in diesem unermeßlichen Naturgebiete, wo die Thiere herrschen und der wilde Pflanzen« wuchs den Boden überwuchert, einen kleinen Erdwinkel sich zu eigen zu machen. Am 13. Mai. Ich hatte in der Nacht einige gute Sternbeobachtungen machen können, leider die letzten am Cassia uiare. Mandavaca liegt unter 2« 47' der Breite und, nach dem Chronometer, 69" 27'der Länge. Die Inclination der Magnet« nadcl fand ich gleich 25" 25. Dieselbe hatte also seit der Schanze San Carlos bedeutend zugenommen. Das anstehende Gestein war indessen derselbe, etwas hornblendehaltige Granit, den wir in Iavita getroffen, und der syenitartig aussieht. Wir brachen von Mandavaca um zwei ein halb Uhr in der Nacht auf. Wir hatten noch acht ganze Tage mit der Strömung des Cassiquiare zu kämpfen, und das Land, durch das 222 wir zu fahren hatten, bis wir wieder nach San Fernando de Atabapo kamen, ist so menschenleer, daß wir eist nach dreizehn Tagen hoffen durften wieder zu einem Observantcn, zum Missionär von Santa Barbara zu gelangen. Nach sechsstündiger Fahrt liefen wir am Einfluß des Rio Idapa oder Ciava vorbei, der ostwärts auf dem Verg Unturan entspringt und zwischen dessen Quellen und dem Rio Mavaca, der in den Orinoco läuft, ein Trageplatz ist. Dieser Fluß hat weißes Wasser: er ist nur halb so breit als der Pacimoni, dessen Wasser schwarz ist. Sein oberer Lauf ist auf den Karten von La Cruz und Surville, die allen späteren als Vorbild gedient haben, seltsam entstellt. Ich werde, wenn von den Quellen des Orinoco die Rede ist, Gelegenheit finden, von den Voraussetzungen zu sprechen, die zu diesen Irrthümern Anlaß gegeben haben. Hätte Pater Caulin die Karte sehen können, die man feinem Werke beigegeben, fo hätte er sich wohl nicht wenig gewundert, daß man darin die Fictionen wieder aufgenommen, die er mit zuverlässigen an Ort und Stelle eingezogenen Nachrichten widerlegt hat. Dieser Missionär sagt lediglich, der Idapa entspringe in einem bergigten Land, bei dem die Amuisanas-Indianer Haufen. Aus diefen Indianern wurden Amoizanas oder Amazonas gemacht, und den Rio Idapa ließ man aus einer Quelle entspringen, die am Flecke selbst, wo sie aus der Erde sprudelt, sich in zwei Zweige theilt, die nach gerade entgegengesetzten Seiten laufen. Eine solche Gabelung einer Quelle ist ein reines Phantafiebild. Wir übernachteten unter freiem Himmel beim Raudal des Cunuri. Das Getöfe des kleinen Katarakts wurde in der 223 Nacht auffallend stärker. Unsere Indianer behaupteten, dieß sey ein sicheres Vorzeichen des Regens. Ich erinnerte mich, daß auch die Bewohner der Alpen auf dieses Wetterzeichcn l sehr viel halten. Wirklich regnete es lange vor Sonnenaufgang. Uebrigens hatte uns das lange anhaltende Geheul der Araguatos, lange bevor der Wasserfall lauter wurde, verkündet, daß ein Regenguß im Anzug sey. Am 14. Mai. Die Moskitos und mehr noch die Ameisen jagten uns vor zwei Uhr in der Nacht vom Ufer. Wir hatten bisher geglaubt, die letzteren kriechen nicht an den Stricken der Hängematten hinauf; ob dieß nun aber unbegründet ist, oder ob die Ameisen aus den Vaumgipfeln auf uns herabsielen, wir hatten vollauf zu thun, uns dieser lästigen Insekten zu entledigen. Je weiter wir fuhren, desto schmaler wurde der ' „Es gibt Regen, weil man die Gießbäche näher rauschen hört," heißt es in den Alpen wie in den Nnoen. Dcluc hat die Erscheinung dadurch zu erklären versucht, daß in Folge eine« Wechsele im barometrischen Druck mehr Luftblasen an der Wasserfläche platzen. Diese Erklärung ist so gezwungen als unbefriedigend. Ich will ihr keine andere Hypothese entgegenstellen, ich mache nur darauf aufmerksam, daß die Erscheinung auf einer Modifikation der Luft beruht, welche auf die Schallwellen und auf die Lichtwellen zumal Einfluß äußert. Wenn die Verstärkung des Schalls als Wetterzeichen gilt, so hängt dieß ganz genau damit zusammen, daß man der geringeren Schwächung des Lichts dieselbe Bedeutung beilegt. Die Nrlpler behaupten mit Zuversicht, da« Wetter ändere sich. wenn bei ruhiger Luft die mit ewigem Schnee bedeckten Alpen dem Beobachter auf einmal nahe gerückt scheinen und sich ihre Umrisse ungewöhnlich scharf vom Himmelsblau abheben. Was ist die Ursache, daß iu den vertikalen Luftschichten der Mangel an Homogeneität so rasch aufgehoben wird? 224 Fluß und die Ufer waren so fumftfigt, daß Vonpland sich nur mit großer Mühe an den Fuß einer mit großen purpurrothen Blüthen bedeckten Oarolinsa, pnno6p8 durcharbeiten konnte. Dieser Baum ist die herrlichste Zierde der Wälder hier und am Rio Negro. Wir untersuchten mehrmals am Tage die Temperatur des Cassiquiare. Das Wasser zeigte an der Oberfläche nur 24° (in der Luft stand der Thermometer auf 25^,6), also ungefähr so viel als der Rio Negro, aber 4—5" weniger als der Orinoco. Nachdem wir westwärts die Mündung des Cano Caterico, der schwarzes, ungemein durchsichtiges Wasser hat, hinter uns gelassen, verließen wir das Flußbett und landeten an einer Insel, auf der die Mission Vasiva liegt. Der See, der die Mission umgibt, ist eine Meile breit und hängt durch drei Canäle mit dem Cassiquiare zusammen. Das Land umher ist sehr sumftsigt und siebererzeugend. Der Sec, dessen Wasser bei durchgehendem Lichte gelb ist, trocknet in der heißen Jahreszeit aus und dann können es selbst die Indianer in den Miasmen, welche sich aus dem Schlamm entwickeln, nicht aushalten. Daß gar kein Wind weht, trägt viel dazu bei, daß diese Landstriche so ungemein ungesund sind. Ich habe die Zeichnung des Grundrisses von Vasiva, den ich am Tage unserer Ankunft aufgenommen, stechen lassen. Das Dorf wurde zum Theil an einen trockeneren Platz gegen Nord verlegt und daraus entspann sich ein langer Streit zwischen dem Statthalter von Guyana und den Mönchen. Der Statthalter behauptete, letzteren stehe nicht das Recht zu, ohne Genehmigung der bürgerlichen Behörde ihre Dörfer zu verlegen: da er aber gar nicht wußte, wo der Cassiquiare liegt, richtete er seine ' 225 Beschwerde an den Missionär von Carichana, der 150 Meilen von Vasiva haust und nicht begriff, von was es sich handelte. Dergleichen geographische Mißverständnisse kommen sehr häusig vor, wo die Leute fast nie im Besitz einer Karte der Länder sind, die sie zu regieren haben. Im Jahr 1785 übertrug man die Mission Padamo dem Pater Valor mit der Weisung, „sich unverzüglich zu den Indianern zu verfügen, die ohne Seelenhirten seyen." Und seit länger als fünfzehn Jahren gab es kein Dorf Padamo mehr und die Indianer waren al mouto gelaufen. Vom 14. bis 21. Mai brachten wir die Nacht immer unter freiem Himmel zu, ich kann aber die Orte, wo wir unser Nachtlager aufschlugen, nicht angeben. Dieser Landstrich ist so wild und so wenig von Menschen betreten, daß die Indianer, ein paar Flüsse ausgenommen, keinen der Punkte, die ich mit dem Compaß aufnahm, mit Namen zu nennen wußten. Einen ganzen Grad weit konnte ich durch keine Sternbeobachtung die Breite bestimmen. Oberhalb des Punktes, wo der Itinivini vom Cassiquiare abgeht und westwärts dm Granithügeln von Dari' pabo zuläuft, sahen wir die sumpsigten Ufer des Stroms mit Bambusrohr bewachsen. Diese baumartigen Gräser werden 20 Fuß hoch; ihr Halm ist gegen die Spitze immer umgebogen. Es ist eine n?ue Art Zambusa, mit sehr breiten Blättern. Vonpland war so glücklich, ein blühendes Exemplar zu finden. Ich erwähne dieses Umstandes, weil die Gattungen Naslug und Lamdusk bis jetzt sehr schlecht auseinander gehalten waren, und man in der neuen Welt diese gewaltigen Gräser ungemein selten blühend antrifft. Mutis totanisirte zwanzig Jahre in Humboldt, Vleisl. V. 1Z 226 einem Land, wo die Lamdusn, 6un,6u». mehrere Meilen breiie sumpfigtc Wilder bildet, und war nie im Stande einer Blüthe habhaft zu werden. Wir schickten diesem Gelehrten die ersten Bambusa-Aehren aus den gemäßigten Thälern von Popayan. Wie lommt es, daß sich die BefruchtungZorgane so selten bei ciner Pflanze entwickeln, die im Lande zu Hause ist und vom Meeresspiegel bis in 900 Toisen Höhe äußerst kräftig wächst, also in eine subalpinischc Region hinaufreicht, wo unter den Tropen das Klima dem des mittägigen Spaniens gleicht? Die Nämbu8N. Illtisoli» scheint den Becken des obern Orinoco, des Cassiamare und des Amazonenstroms eigenthümlich zu seyn: es ist ein geselliges Gewächs, wie alle Gräser aus der Familie der Nastoiden: aber in dem Striche von spanisch Guyana, durch den wir gekommen, tritt sie nicht in den gewaltigen Massen auf, welche die Hispano-Amerikaner Guaduales oder Vambuswälder nennen. Unser erstes Nachtlager oberhalb Vasiva war bald aufgeschlagen. Wir trafen einen kleinen trockenen, von Büschen freien Fleck südlich vom Cano Curamuni, an einem Ort, wo wir Kapuzineraffe, l kenntlich am schwarzen Bart und der trübseligen, scheuen Miene, langsam auf den horizontalen Aesten einer Genipa hin und her gehen sahen. Die fünf folgenden Nächte wurden immer beschwerlicher, je näher wir der Gabeltheilung des Orinoco kamen. Die Ueppigkeit des Pflanzenwuchses steigerte sich in einem Grade, von dcm man sich keinen Begriff macht, selbst wenn man mit dem Anblick der tropischen 1 Simia chiropoles, «ine neue Alt. 227 Wälder vertraut ist. Ein Gelände ist gar nicht mehr vorhanden; ein Pfahlwerk aus dicht belaubten Bäumen bildet das Flußufer. Man hat einen 200 Toiftn breiten Canal vor sich, den zwei ungeheure mit Laub und Lianen bedeckte Wände einfassen. Wir versuchten öfters zu landen, konnten aber nicht aus dem Canoe kommen. Gegen Sonnenuntergang fuhren wir zuweilen eine Stunde lang am Ufer hin, um, nicht eine Lich-tung (dergleichen gibt es gar nicht), fondcrn nur einen weniger dicht bewachsenen Fleck zu entdecken, wo unsere Indianer mit der Axt so weit aufräumen tonnten, um für 12 bis 13 Personen ein Lager aufzuschlagen. In der Pirogue konnten wir die Nacht unmöglich zubringen. Die Moskitos, die uns den Tag über plagten, setzten sich gegen Abend haufenweise unter den Toldo, d. h. unter das Dach aus Palmblättern, das uns vor dem Regen schützte. Nie waren uns Hände und Gesicht so stark geschwollen gewesen. Pater Zca, der sich bis dahin immer gerühmt, er habe in seinen Missionen an den Katarakten die größten und wildesten (Ins mn8 forooeZ) Moskitos, gab nach und nach zu, nie haben ihn die Insektenstiche ärger geschmerzt, als hier am Cafsiauiare. Mitten im dicken Walde konnten wir uus nur mit schwerer Mühe Brennholz verschaffen, denn in diesen Ländern am Aequator, wo es bestündig regnet, sind die Vaumzweige so saftreich, daß sie fast gar nicht brennen. Wo es keine trockenen Ufer gibt, findet man auch fo gut wie kein altes Holz, das, wie die Indier sagen, an der Sonne gekocht ist. Feuer bedurften wir übrigens nur als Schutzwehr gegen die Thiere des Waldes; unser Vorrath an Lebensmittcln war so gering, daß wir zur 228 Zubereitung der Speisen des Feuers ziemlich hätten entbehren können. Am 18. Mai gegen Abend kamen wir an einen Ort, wo wilde Cacaobäume das Ufer säumen. Die Vohne derselben ist klein und bitter; die Indianer in den Wäldern saugen das Mark aus und werfen die Bohnen weg, und diese werden von den Indianern in den Missionen aufgelesen und an solche verkauft, die es bei der Bereitung ihrer Chokolate nicht genau nehmen. „Hier ist der Puerto del Cacao," sagte der Steuermann, „hier übernachten los laäns, wenn sie nach Esmeralda fahren, um Blaseröhren und Iuvia (die wohlschmeckenden Mandeln der VeltkoIIeti») zu kaufen." Indessen befahren im Jahre nicht fünf Canoes den Cassiquiare, und seit Maypures, also feit einem Monat, war uns auf den Flüssen, die wir hinauffuhren, keine Seele begegnet, außer in der nächsten Nähe der Missionen. Südwärts vom See Tu-ractumini übernachteten wir in einem Palmenwalde. Der Regen goß in Strömen herab: aber die Pothos, die Arum und die Schlinggewächse bildeten eine natürliche, so dichte Laube, daß wir darunter Schutz fanden, wie unter dichtbelaubten Bau« men. Die Indianer, die am Ufer lagen, hatten Heliconien und Musaceen in einander verschlungen und damit über ihren Hängematten eine Art Dach gebildet. Unsere Feuer beleuchteten auf 50, 60 Fuß Höhe die Palmstämme, die mit Blüthen bedeckten Schlinggewächse und die weißlichten Rauchsäulen, die gerade gen Himmel stiegen: ein prachtvoller Anblick, aber um desselben mit Ruhe zu genießen, Hütte man eine Luft athmen müssen, die nicht von Insekten wimmelte. 229 Unter allen körperlichen Leiden wirken diejenigen am niedcr-schlagendsten, die in ihrer Dauer immer dieselben sind, und gegen die es kein Mittel gibt als Geduld. Die Ausdünstungen in den Wäldern am Cassiquiare haben wahrscheinlich bei Bonpland den Keim zu vcr schweren Krankheit gelegt, der er bei unserer Ankunft in Angostura beinahe erlegen wäre. Zu unserem Glück ahnte er so wenig als ich die Gefahr, die ihm drohte. Der Anblick des Flusscs und das Summen der Moskitos kamen uns allerdings etwas einförmig vor; aber unser natürlicher Frohsinn war nicht ganz gebrochen und half uns über die lange Oede weg. Wir machten die Bemerkung, daß wir uns den Hunger auf mehrere Stunden vertrieben, wenn wir etwas trockenen geriebenen Cacao ohne Zucker aßen. Die Ameisen und die Moskitos machten uns mehr zu schassen als die Nässe und der Mangel an Nahrung. So großen Entbehrungen wir auch auf unsern Ziigen in den Cordilleren ausgesetzt gewesen, die Flußfahrt von Mandavaca nach Esmeralda erschien uns immer als das beschwcldereichste Stück unseres Aufenthalts in Amerika. Ich rathe den Reisenden, den Weg über den Cassiquiare dem über dcn Atabavo nicht vorzuziehen, sie müßten denn sehr großos Verlangen haben, die große Gabeltheilung des Orinoco mit eigenen Augen zu sehen. Oberhalb des Cano Duractumini läuft der Cassia mare ge-radeaus von Nordost nach Südwest. Hier hat man am rechten Ufer mit dem Bau des neuen Dorfes Vasiva begonnen. Die Missionen Pacimona, Capivan, Buenaguardia, so wie die angebliche Schanze am See bei Vasiva auf unsern Karten sind lauter Fictionen. Es siel uns auf, wie start durch die raschen 230 Anschwellungen des Cassiquiare die beiderseitigen Uferabhänge unterhöhlt waren. Entwurzelte Bäume bilden wie natürliche Flöße: sie stecken halb im Schlamm und können den Piroguen sehr gefährlich werden. Hätte man das Unglück, in diesen unbewohnten Strichen zu scheitern, so verschwände man ohne Zweifel, ohne daß eine Spur des Schissbruchs verriethe, wo und wie man untergegangen. Man erführe nur an der Küste, und das sehr spät, ein Canoe, das von Vafiva abgegangen, sey hundert Meilen weiterhin, in den Missionen Santa Barbara und San Fernando de Atabavo nicht gesehen worden. Die Nacht des 30. Mai, die letzte unserer Fahrt auf dem Cassiquiare, brachten wir an der Stelle zu, wo der Orinoco sich gabelt. Wir hatten einige Aussicht, eine astronomische Beobachtung machen zu können; denn ungewöhnlich große Sternschnuppen schimmerten durch die Dunsthülle, die den Himmel umzog. Wir schlössen daraus, die Dunstschicht müsse sehr dünn seyn, da man solche Meteore fast nicmals unter dem Gewölk sieht. Die uns zu Gesicht kamen, liefen nach Nord und folgten auf einander fast in gleichen Pausen. D!e Indianer, welche die Zerrbilder ihrer Phantasie nicht leicht durch den Ausdruck veredeln, nennen die Sternschnuppen den Urin und den Thau den Speichel der Sterne. Aber das Gewölk wurde wieder dicker und wir sahen weder die Meteore mehr noch die wahren Sterne, deren wir seit mehreren Tagen mit so großer Ungeduld harrten. Man hatte uns gesagt, in Esmeralda werden wir die Infekten „noch grausamer und gieriger" sinden, als auf dem Arm des Orinoco, den wir jetzt hinauffuhren,- trotz dieser 23t Aussicht erheiterte uns die Hoffnung, endlich einmal wieder an einem bewohnten Orte schlafen und uns beim Votanisiren einige Bewegung machen zu können. Beim letzten Nachtlager am Cassiquiare wurde unsere Freude getrübt. Ich nehme keinen Anstand, hier einen Vorfall zu erzählen, der für den Leser von keinem großen Belang ist, der aber in einem Tagebuch, das die Begebnisse auf der Fahrt durch ein so wildcs Land schildert, immerhin eine Stelle sindm mag. Wir lager« ten am Waldsaum. Mitten in der Nacht meldeten uns die Indianer, man höre den Jaguar ganz in der Nähe brüllen, und zwar von den nahestehenden Bäumen herab. Die Wälder sind hier so dicht, daß fast keine andern Thiere darin vorkommen, als solche, die auf die Bäume klettern, VierhÜnder, Cercolcptcn, Viverren und verschiedene Katzenarten. Da unsere Feuer hell brannten, und da man durch lange Gewöhnung Gefahren, die durchaus nicht eingebildet sind, ich möchte sagcn, systematisch nicht achten lernt, so machten wir uns aus dein Brüllen der Jaguars nicht viel. Der Geruch und die Stimme unseres Hundes hatten sie hergelockt. Der Hund (eine große Dogge) bellte Anfangs; als aber der Tiger näher kam, fing er an zu heulen und kroch unter unsere Hängematten, als wollte er beim Menschen Schlitz suchen. Seit unsern Nachtlagern am Rio Apure waren wir daran gewöhnt, bei dem Thier, das jung, sanftmüthig und sehr einschmeichelnd war, in dieser Weise Muth und Schüchternheit wechseln zu sehen. Wie groß war unser Verdruß, als uns am Morgen, da wir eben das Fahrzeug besteigen wollten, die Indianer meldeten, der Hund sey verschwunden! EZ war kein Zweifel, die Jaguars 232 hatten ihn fortgeschleppt. Vielleicht war er, da er sie nicht mehr brüllen hörte, von den Feuern weg dem Ufer zu gegangen; vielleicht aber auch hatten wir den Hnnd nicht winseln hören, da wir im tiefsten Schlafe lagen. Am Orinoco und am Magdalenenstrom versicherte man uns oft, die ältesten Jaguars (also solche, die viele Jahre bei Nacht gejagt haben) seyen so verschlagen, daß sie mitten aus einem Nachtlager Thiere herausholen, indem sie ihnen den Hals zudrücken, damit sie nicht schreien können. Wir warteten am Morgen lange, in der Hoffnung, der Hund möchte sich nur verlaufe» haben. Drei Tage später kamen wir an denselben Platz zurück. Auch jetzt hörten wir die Jaguars wieder brüllen, denn diese Thiere haben eine Vorliebe füi gewisse Orte; aber all unser Suchen war vergeblich. Die Dogge, die seit Caracas unser Begleiter gewesen und so oft schwimmend den Krokodilen entgangen war, ' war im Walde zerrissen worden. Ich erwähne dieses Vorfalls nur, weil er einiges Licht auf die Kunstgriffe dieser großen Katzen mit geflecktem Fell wirft. Am 21. Mai liefen wir drei Meilen unterhalb der Mission Esmeralda wieder in das Bett des Orinoco ein. Vor cinem Monat hatten wir diesen Fluß bei der Einmündung des Gua-viare verlassen. Wir hatten nun noch 750 Seemeilen 2 nach Angostura, aber es ging den Strom abwärts, und dieser Gedanke war geeignet, uns unsere Leiden erträglicher zu machen. Führt man die großen Ströme hinab, so bleibt ma» im Thalweg, wo es nur wenige Moskitos gibt: stromaufwärts dagegen < S. Vand IV. Eelte 81. ' Zu 950 Tolsen. 233 muß man sich, um die Wirbel und Gegenströmungen zu benutzen, nahe am Ufer halten, wo es wegen dcr Nähe der Wälder und'des organischen Detritus, der aufs Ufer geworfen wird, von Mücken wimmelt.' Der Punkt, wo die viclberufene Gabeltheilung des Orinoco stattfindet, gewährt einen ungemein großartigen Anblick. Am nördlichen Ufer erheben sich hohe Granitberge; in der Ferne erkennt man unter denselben den Maraguaca und d?n Duida. Auf dem linken Ufer des Orinoco, westlich und südlich von der Gabelung, sind keine Berge bis dem Einfluß des Tamatama gegenüber. Hier liegt der Fels Gliaraco, der in der Regenzeit zuweilen Feuer speien soll. Da wo der Orinoco gegen Süd nicht mehr von Bergen umgeben ist und er die Oeffnung eines Thals oder vielmehr einer Senkung erreicht, welche sich nach dem Nio Negro hinunter-zieht, theilt er sich in zwei Aestc. Der Hauptast (der Nio Pa-ragua der Indianer) setzt seinen Lauf west-nord-westwärts um die Bergaruvpe der Parime herum fort; der Arm, der die Verbindung mit dem Amazonenstrom herstellt, läuft über Ebenen, die im Ganzen ihr Gefall gegen Süd haben, wobei aber die einzelnen Gehänge im Cassiquiare gegen Cüdwest, im Becken des Rio Negro gegen Südost fallen. Eine fcheinbar so auffallende Erscheinung, die ich an Ort und Stelle untersucht habe, verdient ganz besondere Aufmerksamkeit, um so mehr, als sie über ähnliche Fälle, die man im innern Afrika beobachtet zu haben glaubt, einigen Ausschluß geben kann. Ich beschließe dieses Capitel mit allgemeinen Betrachtungen über ' Orellana hat auf dem Ninazcnensirom dieselbe Beobachtung gemacht. 234 das hydraulische System von spanisch Guyana, und versuche es, durch Auführung von Fällen auf dem alten Continent darzuthun, daß diese Gabeltheilung, die für die Geographen, welche Karten von Amerika entwarfen, so lange ein Schreckbild war, immerhin etwas Seltenes ist, aber in beiden Halbkugeln vorkommt. Wir sind gewöhnt, die europäischen Flüsse nur in dem Theil ihres Laufs zu betrachten, wo sie zwischen zwei Wasser» scheiden liegen, somit in Thäler eingeschlossen sind: wir beachten nicht, daß die V?denhindernisse, welche Nebenflüsse und Hauptwasserbehälter ablenken, gar nicht so oft Bergketten sind, als vielmehr sanfte Böschungen von Gegenhängen; und so fällt es uns schwer, uns eine Votstellung davon zu machen, wie jn der neuen Welt die Ströme sich so stark krümmen, sich gabelig theilen und in einander münden sollen. An diesem ungeheuern Continent fällt die weite Erstreckung und Einförmig« keit seiner Ebenen noch mehr auf als die riesenhafte Höhe seiner Coidilleren. Erscheinungen, wie wir sie in unserer Halbkugel an den Meeresküsten oder in den Steppen von Vactriana um Binnenmeere, um den Aral und das caspische Meer beobachten, kommen in Amerika drei-, vierhundert Meilen von den Stromn'.ündungm vor. Die klrinen Bäche, die sich durch unsere Wiesengründe (die vollkommensten Ebenen bei uns) schlangeln, geben im Klcincn ein Bild jener Verzweigungen und Gabeltheilungen: man hält cs aber nicht der Mühe werth, bei solchen Kleinigkeiten zu verweilen, und so fallt einem bei den hydraulischen Systemen der beiden Welten mehr der Contrast auf als die Analogie. Die Vorstellung, der Rhein könnte an 235 die Donau, die Weichsel an die Oder, die Seine an die Loire einen Arm abgeben, erscheint uns auf den ersten Vlick so ausschweifend, daß wir, wenn wir auch nicht daran zweifeln, daß Orinoco und Amazonenstrom in Verbindung stehen, den Beweis verlangen, daß was wirklich ist, auch möglich ist. Fährt man über das Delta des Orinoco nach Angostura und zum Einfluß des Rio Apure hinauf, so hat mcm die hohe Gebirgskette der Parime fortwährend zur Linken. Diese Kette bildet nun keineswegs, wie mehrere berühmte Geographen angenommen haben, eine Wasserscheide zwischen drm Becken des Orinoco und dem des Amazonenstroms, vielmehr entspringen am Südabhang derselben die Quellen des ersteren Stroms. Der Orinoco beschreibt (ganz wie der Arno in der bekannten Voltata zwischen Bibieno und Ponta Sieve) drei Viertheile eines Ovals, dlssm große Achsc m der Richtung eines Parallels liegt. Er läuft um einen Bergstock herum, von dessen beiden entgegengesetzten Abhängen die Gewässer ihm zulaufen. Von den Alventhälcrn des Maraguaca an laust der Fluß zuerst gegen West oder West-Nord-Wcst, als sollte er sich in die Südsee ergießen,- darauf, beim Einfluß des Guaviare, fängt cr an nach Nord umzubiegen und läuft in der Richtung eines Meridians bis zur Mündung des Apure, wo ein zweiter „Wieder-tehrungspunkt" liegt. Auf diesem Stücke feines Laufs füllt der Orinoco eine Art Rinne, die durch das sanfte Gefalle, das sich von der sehr fernen Andenkette von Neu-Grenada herunterzieht, und durch den ganz kurzen Gegenhang, der ostwärts zur steilen Gebirgswand der Parime hinaufläuft, gebildet wird. In Folge dieser Bodenbildung kommen die 236 bedeutendsten Zuflüsse dem Orinoco von Westen her zu. Da der Hauptbehälter ganz nahe an den Gebirgen der Parime liegt, um die er sich von Süd nach Nord herumbiegt (als sollte er Porlocabello an der Nordküste von Venezuela zu laufen), so ist sein Bett von Felsmassen verstopft. Dies; ist der Strich der großen Katarakten, der Strom bricht sich brüllend Nahn durch die Ausläufer, die gegen West fortstreichen, so daß auf der großen „Land-Meerenge" ' (Mtrmt, terrestre) zwischen den Cordillcren von Neu-Grenada und dcr Sierra Parime die Felsen am westlichen Ufer des Stroms noch dieser Sierra angehören. Beim Einfluß des Rio Avure sieht man nun den Orinoco zum zweitenmal, und fast plötzlich, aus seiner Richtung von Süd nach Nord in die von West nach Ost umbiegen, wie weiter oben der Einfluß des Guaviare den Punkt bezeichnet, wo der westliche Lanf rasch zum nördlichen wird. Bei diesen beiden Biegungen wird die Richtung des Hauptbehälters nicht allein durch den Stoß der Gewässer des Nebenflusses bestimmt, sondern auch durch die eigenthümliche Lage der Hänge ' Es ist dieß eine 80 Meilen breite Oeffnung, die einzige, durch welche die vereinigten Becken des obern Orinoco und de« Amazonenstrom« mit dem Becken des untern Orinoco oder den Llanos von Venezuela in Verbindung stehen. Wir betrachten diese Ocffnnng geologisch al« ein ^trnil terro8tre. al« eine Land-Meerenge, weil sie macht, daß aus einem dieser Necken in da« andere Gewässer strömen, und weil ohne sie die Bergkette der Parlme, die, gleich den Ketten des Küstenlandes von Caracas und denen von Mato-Grosso oder Ghiaintos, von Ost nach West streicht, unmittelbar mit den Anden von Neu-Grenada zusammenhinge. (S. Band IV. Seile 24.) 23? und Gegenhänge, die sowohl auf die Richtung der Nebenflüsse als auf die des Orinoco selbst ihren Einfluß äußern. Umsonst sieht man sich bei diesen geographisch so wichtigen „Wiederkehrungspunkten" nach Bergen oder Hügeln um, die den Strom seinen bisherigen Lauf nicht fortsetzen ließen. Beim Einfluß des Guaviare sind keine vorhanden, und bei der Mündung des Apure konnte der niedrige Hügel von Cabruta auf die Richtung des Orinoco sicher keinen Einfluß äußern. Diese Veränderungen der Richtung sind Folgen allgemeinerer Ursachen: sie rühren her von der Lage der großen geneigten Ebenen, aus denen die polyedrische Fläche der Niederungen besteht. Die Bergketten steigen nicht wie Mauern auf wagrechten Grundflächen empor: ihre mehr oder weniger prismatischen Stöcke stehen immer auf Plateaux, und diese Plateaux streichen mit stärkerer oder geringerer Abdachung dem Thalweg des Stromes zu. Der Umstand, daß die Ebenen gegen die Berge ansteigen, ist somit die Ursache, daß sich die Flüsse so selten an den Bergen selbst brechen und den Einfluß dieser Wasserscheiden, so zu sagen, in bedeutender Entfernung fühlen. Geographen, welche Topographie nach der Natur studirt und selbst Bodenvermessungen vorgenommen haben, können sich nicht wundern, daß auf Karten, auf denen wegen ihres Maßstabes ein Gefalle von 3—5 Grad sich nicht angeben läßt, die Ursachen der großen Flußkrümmungen materiell gar nicht ersichtlich sind. Der Orinoco läuft von der Mündung des Apure bis zu seinem Ausfluß an der Ostküste von Amerika parallel mit seiner anfänglichen Richtung, aber derselben entgegen: sein Thalweg wird dort gegen Norden durch eine fast unmerlliche Abdachung, 238 die sich gegen die Küstenkette von Venezuela hinaufzieht, gegen Süden duvch den kmzen steilen Gegenhang an der Sierra Pa-rinie gebildet. In Folge dieser eigenthümlichen Tcrraiubildung umgibt der Orinoco denselben granitischen Gebirgsstock in Süd, West und Nord, und befindet sich nach einem Lauf von 1350 Seemeilen (zu 950 Tmsen) 300 Seemeilen von seinem Ursprung. Es ist ein Fluß, dessen Mündung bis auf zwei Grad im Meridian seiner Quellen liegt. Der Lauf des Orinoco, wie wir ihn hier flüchtig geschildert, zeigt drei sehr bemerkenswerthe Eigenthümlichkeiten: 1) daß er dem Bergstock, um den er in Süd, West und Nord herläuft, immer so nahe bleibt.- 2) daß seine Quellen in einem Landstrich liegen, dcr, wie man glauben sollte, dem Becken des Rio Ncgro und des Amazonenstroms angehört; 3) daß er sich gabelt und einem andern Ilußsystem einen Arm zusendet. Nach bloß theoretischen Vorstellungen sollte man annehmen, die Flüsse, wenn sie einmal aus den Alpenthälern heraus sind, in deren obern Endek sie entsprungen, müßten rasch von den Bergen weg auf einer mehr oder weniger geneigten Erene fortziehen, deren stärkster Fall senkrecht ist auf die große Achse der Kette oder die Hauptwasserscheide. Eine solche Voraussetzung widerspräche aber dem Verhalten der großartigsten Ströme Indiens und Chinas. Es ist eine Eigenthümlichkeit dieser Flüsse, daß sie nach ihrem Austritt aus dem Gebilge mit der Kette parallel laufen. Die Ebenen, deren Gehänge gegen die Gebirge ansteigen, sind am Fuße derselben unregelmäßig gestaltet. Nicht selten mag die Erscheinung, von der hier die Rede ist, von dcr Beschaffenheit des geschichteten Gesteins und daher rühren, 239 daß die Schichten den großen Ketten parallel streichen; da aber der Granit der Sierra Parime fast durchaus massig, nicht geschichtet ist, so deutet der Umstand, daß der Orinoco sich so nahe um diesen Gebirgsstock herumschlingt, auf eine Telrain-senkung hin, die mit einer allgemeineren geologischen Erscheinung zusammenhängt, auf eine Ursache, die vielleicht bei der Bildung der Cordilleren selbst im Spiele war. In den Meeren und den Binnenseen finden sich die tiefsten Stellen da, wo die Ufer am höchsten und steilsten sind. Fährt man von Esmeralda nach Anao» stura den Orinoco hinab, so ficht man (ob die Richtung West, Nord oder Ost ist) 250 Meilen weit am rechten Ufer beständig sehr hohe Berge, am linken dagegen Ebenen, so weit das Auge reicht. Die Linie der größten Tiefen, die Maxima der Senkung liegen also am Fuß der Cordillere selbst, am Umriß der Sierra Parime. Eine andere Eigenthümlichkeit, dic uns auf de:, ersten Anblick am Laufe des Orinoco auffällig erscheint, ist, daß das Becken dieses Stroms ursprünglich mit dem Becken eines andern, des Amazonenstroms, zusammenzufallen scheint. Wirft man einen Blick auf die Karte, so sieht man, daß der obere Omwco von Ost nach West über dieselbe Ebene läuft, durch die der Amazonenstrom parallel mit ihm, aber in entgegengesetzter Richtung, von West nach Ost zieht. Aber das Vcckcn ist nur scheinbar ein gemeinschaftliches: man darf nicht vergessen, daß die großen Vodenflächcn, die wir Ebenen nennen, ihre Thäler haben, so gut wie die Berge. Icde Ebene besteht aus verschiedenen Systemen alternativer Hänge, l und diese Systeme ' Hange, die in entgegengesetzter Richtung gegen den Horizont geneigt sind. 240 sind von einander durch secundäre Wasserscheiden von so geringer Höhe getrennt, daß das Auge sie fast nicht bemerkt. Eine ununterbrochene, waldbedeckte Ebene füllt den ungeheuern Raum zwischen dem 3^ Grad nördlicher und dem 14. Grad südlicher Breite, zwischen der Eordillere der Parime und der Cor-dillere von Chiquitos und der brasilianischen. Vis zum Parallel der Quellen des Rio Temi (2" 45' nördlicher Breite), auf einer Oberfläche von 204,000 Quadraimeilen, l laufen alle Gewässer dem Amazonensirom als Hauptbchältcr zu; aber weiter gegen Norden hat in Folge eigenthümlicher Terrainbildung auf einer Fläche von nicht 1500 Quadratmeilen ein anderer großer Strom, der Orinoco, sein eigenes hydraulisches System. Die Central-ebene von Südamerika umfaßt also zwei Strom becken, denn ein Becken ist die Gesammtheit aller umliegenden Bodenflächen, dercn stärkste Falllinicn dem Thalweg, das heißt der Längenvertiefung, welche das Bett des Hauptbehülters bildet, zulaufen. Auf dem kurzen Strich zwischen dem 08. und 70. Grad der Länge nimmt der Orinoco die Gewässer auf, die vom Südabhcmg der Cordillere der Parime herabkommen; aber die Nebenflüsse, die am selben Abhang östlich vom Meridian von 68 o zwischen dem Berge Maraguaca und den Bergen des portugiesischen Guyana entspringen, gehen in den Amazonenstrom. Also nur auf einer 50 Meilen langen Strecke haben in diesem ungeheuern Thal unter dem Aequator die Boden-flachcn zunächst am Fuß der Cordillere der Parime ihren stärksten Fall in einer Richtung, dieausdemThalhinaus zuerst ' Vine Oberfläche zehnmal größer als Frankreich. 241 nordwärts, dann ostwärts weist. In Ungarn sehen wir einen ähnlichen, sehr merkwürdigen Fall, wo Flüsse, die südwärts von einer Bergkette entspringen, dem hydraulischen System des Nordhangs angehören. Die Wasserscheide zwischen dem ballischen und dein schwarzen Meer liegt südlich vom Tatra, einem Ausläufer der Carpathen, zwischen Teplicz und Ganocz. auf einem nur 300 Toisen hohen Plateau. Waag und Hernad laufen südwärts der Donau zu, während der Poprad um das Tatragebirge gegen West herumläuft und mit dem Duuajetz nordwärts der Weichsel zuflieht. Der Poftrad, der seiner Lage nach zu den Gewässern zu gehören scheint, die dem schwarzen Meer zufließen, trennt sich scheinbar vom Becken derselben los und wendet sich dem baltischen Meere zu. In Südamerika enthält eine ungeheure Ebene das Becken des Amazonenstroms und einen Theil des Beckens de^ Orinoco: aber in Deutschland, zwischen Melle und Osnabrück, haben wir den seltenen Fall, daß ein sehr enges Thal die Becken zweier kleiner, von einander unabhängiger Flüsse verbindet. Die Else und die Haase laufen Anfangs nahe bei einander und parallel von Süd nach Nord; wo sie aber in die Ebene treten, weichen sie nach Ost und West auseinander und schließen sich zwei ganz gesonderten Flußsystemen, dem der Werra und dem der Ems, an. Ich komme zur dritten Eigenthümlichkeit im Lause des Orinoco, zu jener Gabcltheilung, die man im Momcm, da ich nach Amvrita alneiüte, wieder in Zweifel gezogen halte. Diese Gabellheilung (äiv^r^ium »mm«) liegt nach meinen astronomischen Beobachtungen in der Mission EZmeralda uutcr dem Hu mV old«, Ättis«. V. 16 242 3° 10' nördlicher Breite und dem 68" 37' westlicher Länge vom Meridian von Paris. Im Innern von Südamerika erfolgt dasselbe, was wir unter allen Landstrichln an den Küsten vorkommen sehen. Nach den einfachsten geometrischen Grundsähen haben wir anzunehmen, daß die Vodenbildung und der Stoß der Zuflüsse die Richtung der strömenden Gewässer nach festen, gleichförmigen Geschen bestimmen. Die Deltas ent. stehen dadurch, daß auf der Ebene eincs Küstenlandes eine Gabcltheilung erfolgt, und bei näherer Betrachtung zeigen sich zuweilen in der Nähe dieser oceanischen Gabelung Verzweigungen mit andern Flüssen, von denen Arme nicht weit adlk'gen. Kommen nun aber Vodenfiächen, so eben wie das Küstenland, im Innern der Festländer gleichfalls vor, so müssen sich dort auch dieselben Erscheinungen wiederholen. Aus denselben Ursachen, welche an der Mündung eincs grrßcn Stroms Gabel-thcilungen herbeiführen, können dergleichen auch an seinen Quellen und in seinem obern Laufe entstehen. Drei Umstände tragen vorzugsweise dazu bei: die höchst unbedeutenden wellenförmigen Steigungen und Senkungen einer Ebene, die zwei Strombccken zugleich umfaßt, die Breite des einen der Hauptbchäller, und die Lage des Thalwegs am Nande selbst, der beide Becken scheidet. Wenn die Linie des stärksten Falls durch einen gegebenen Punkt läuft, und wenn sie, noch so weit verlängert, nicht auf dcn Fluß trifft, so kann dieser Punkt, er mag noch so nahe am Thalweg liegen, nicht wohl dcmselben Bcckcn angehören. In anstoßenden Becken sehen wir häusig die Zuflüsse des einen Behaliers ganz nahe bei dem andern zwischen zwei Zuflüssen 243 des letztrrn entspringen. In Folge dieser eigenthümlichen Coor-dinationsverhältnisse zwischen den alternativen Gehängen werden die Grenzen der Becken mehr oder weniger gekrümmt. Die Längenfurche oder der Thalweg ist keineswegs nothwendig in der Mitte des Beckens: er befindet sich nicht einmal immer an den tiefsten Stellen, denn diese können von Kämmen umgeben seyn, so daß die Linien des stärksten Falls nicht hinlaufen. Nach der ungleichen Länge der Zuflüsse an beiden Ufern eines Flusses schätzen wir ziemlich sicher, welche Lage der Thalweg den Grenzen des Bcckens gegenüber hat. Am leichtesten erfolgt nun eine Gabeltheilung, wenn der Hauptbehälter einer diefer Grenzen nahe gerückt ist, wenn er längs dem Kamm hinläuft, der die Wasserscheide zwischen beiden Becken bildet. Die geringste Erniedrigung dieses Kammes kann dann die Erscheinung herbeiführen, von der hier die Rede ist, wenn nicht der Fluß, vermöge der einmal angenommenen Geschwindigkeit, ganz in seinem Bette zurückbleibt. Erfolgt aber die Gabeltheilung, so läuft die Grenze zwischen beiden Becken der Länge nach durch das Bett des Haufttbehülters, und ein Theil des Tbalwegs von 2 enthält Punkte, von denen die Linien des stärksten Falls zum Thalweg von d weisen. Der Arm, der sich absondert, kann nicht mehr zu ». zurückkommen, denn ein Wasserfaden, der einmal in ein Becken gelangt ist, kann diesem nicht mehr entweichen, vhne durch das Bett des Flusses, der alle Gewässer desselben vereinigt, hindurchzugehen. Es ist min noch zu betrachten, in wie fern die Breite eines Flusses unter sonst gleichen Umständen die Bildung solcher Gabeltheilungen begünstigt, welche, gleich den Kanülen mit 244 Theilungspunkten, in Folge der natürlichen Bodc-nbildung eine schissbare Linie zwischen zwei benachbarten Strombecken herstellen. Sondirt man einen Fluß nach dem Q>.:erdurchschnitt, so zeigt sich, dan sein Bett gewöhnlich aus mehreren Rinnen von ungleicher Tiefe besteht. Je breiter der Strom ist, desto mehr smd dieser Rinnen.- sie laufen sogar große Strecken weit mehr oder weniger einander parallel. EZ folgt daraus, daß die meisten Flüsse betrachtet werden können als aus mehreren dicht an einander gerückten Kanälen bestehend, und daß eine Gabelung sich bildet, wenn ein kleiner Vodenabschnitt am Ufer niedriger liegt, als der Grund einer Seitenrinne. Den hier auseinandergesetzten Verhältnissen zufolge bilden sich Fllißgabelungen entweder im selben Becken oder auf der Wasserscheide zwischen zweien. Im ersteren Fall sind es entweder Arme, die in den Thalweg, von dem sie sich abgezweigt, früher oder später wieder einmünden, oder aber Arme, die sich mit weiter abwärts gelegenen Nebenflüssen vereinigen. Zuweilen sind es auch Deltas, l die sich entweder nahe der Mündung der Flüsse ins Meer oder beim Zusammenstuß mit einem andern ' V« gibt 1) oceanische Delta«, wie a» den Mündungen des Orinoco, des Nio Magdalena. des Gange«; 2) Deltas an den Ufern von Vinuenmeeren, wie die des Orus mid Sihon; 3)Delta« von Nebenflüssen, wie an de» Mündungen des Apure, de« Arauca und des Nio Vranco. Fließen mehrere untcrgcordnete Gewässer in der Nähe der Deltas von Nebenflüsse», so wiederholt sich im Vinuenland ganz. waS im Küstenland an de» oceanischen Deltas vorgeht. Die einander zunächst gelegenen Zweige theilen sich ihre Gewässer mit und bilden ein Flußixh, da« z»r Zeit der große» Ueberschwemimmgen fast unfeuntlich wird. 245 Strom bilden. Erfolgt die Gabelung an der Grenze zweier Becken, und läuft diese Grenze durch das Bett des Hauptbehälters selbst, so stellt der sich abzweigende Arm eine hydraulische Verbindung zwischen zwei Flußsystemen her und verdient desto mehr unsere Aufmerksamkeit, je breiter und schiffbarer er ist. Nun ist aber der Cassiauiare zwei- bis dreimal breiter als die Seine beim ^»rckn äs8 plsnteg in Paris, und zum Veweis, wie merkwürdig dieser Fluß ist, bemerke ich, daß eine sorgfältige Forschung nach Fällen von Gabellheilungen im Innern der Länder, selbst zwischen wcit weniger bedeutenden Flüssen, ihrer bis jetzt nur drei bis vier unzweifelhaft zu Tage gefördert hat. Ich spreche nicht von den Verzweigungen der großen indisch-chinesischen Flüsse, von den natürlichen Canülen, durch welche die Flüsse in Ava und Pegu, wie in Siam und Camdrdja zusammenzuhängen scheinen; die Art dieser Verbindungen ist noch nicht gehörig aufgeklärt. Ich beschränke mich darauf, eincr hydraulischen Erscheinung zu erwähnen, welche durch Baron Hermelins schöne Karten von Norwegen nach allen Theilen bekannt geworden ist. In Lappland sendet der Torneofluß einen Arm (den TärendoMf) zum Calix-Elf, der ein kleines hydraulisches System für sich bildet. Dieser Cassiquiare der nördlichen Zone ist nur 10—12 Meilen lang, er macht aber alles Land am bothnischen Busen zu einer wahren Flußinsel. Durch Leopold von Buch wissen wir, daß die Existenz dieses natürlichen Canals lange so hartnäckig geläugnet wurde, wie die eines Arms des Orinoco, der in das Becken des Amazouen-stroms läuft. Eine andere Gabelthcilung, die wegen des alten Verkehrs zwischen den Völkern Laiiums und Clruriens noch 246 mehr Interesse hat, scheint ehemals am Thrasimenischen See stattgefunden zu haben. Auf seiner vielberufencn Voltata von Süd nach West und Nord zwischen Bibieno und Ponta Sieve theilte sich der Arno bei Arezzo in zwei Arme, deren einer, wie jcht, über Florenz und Pisa dem Meere zulief, während der andere durch das Thal von Cbiana flop und sich mit dem Tiber vereinigte, entweder unmittelbar oder durch die Paglia als Zwischenglied. Fossombrom hat dargethcln, wie sich im Mittelalter durch Anschwemmungen im Thal von Chiana eine Wasserscheide bildete, und wie jetzt das nördliche Stück des Arno Teverino von Süd nach Nord (auf dem Gegenhang) aus dem tleinen See von Montcpulciano in den Arno fließt. So hatte denn der klassische Voden Italiens neben so vielen Wundern der Natur und der Kunst auch eine Gabeltheilung aufzuweisen, wie sie in den Waldern der neuen Welt in ungleich größerem Maßstab auftritt. Ich bin nach meiner Rückkehr vom Orinoco oft gefragt worden, ob ich glaube, daß der Canal des Cassiquiare all-mählig durch Anschwemmungen verstopft werden möchte, ob ich nicht der Ansicht sey, daß die zwei größten Flußsysteme Amerikas unter den Tropen im Laufe der Jahrhunderte sich ganz von einander trennen werden. Da ich es mir zum Gesetz gemach habe, nur Thatsächliches zu beschreiben und ^e Verhältnisse, die in verschiedenen Ländern zwischen der Vodenbildung und dem Laufe der Gewässer bestehen, zu vergleichen, so habe ich alles bloß Hypothetische zu vermeiden. Zunächst bemerke ich, daß der Cassiquiare in feinem gegenwärtigen Zustande keineswegs plaoidus et miti38imu8 »llmis ist, wie es bei den Poeten 247 Latiüms heißt; er gleicht durchaus nicht dem errang lanßuiäo liumme Oc»o^tu8, da er im größten Theile seines Laufs die unaemeine Geschwindigkeit von 6—8 Fuß in dcr Sekunde hat. Es ist also wohl nicht zu fürchten, daß cr ein mehrere hundert Toisen breites Vett ganz verstopft. Dieser Arm des obern Orinoco ist eine zu großartige Erscheinung, als daß die kleinen Umwandlungen, die wir an der Erdoberfläche vorgehen sehen, demselben ein Ende machen oder auch nur viel daran verändern könnten. Wir bestreiten nicht, vollends wenn es sich von minder breiten und sehr langsam strömenden Gewässern handelt, daß alle Flüsse eine Neigung haben, ihre Verzweigungen zu vermindern und ihre Veckn zu isoliren. Die majestätischsten Ströme erscheinen, wenn man die steilen Hänge der alten weitab liegenden Ufer betrachtet, nur als Wasserfäden, die sich durch Thäler winden, die sie selbst sich nicht haben graben können. Der heutige Zustand ihrcs Veltcs weist deutlich darauf hin, daß die strömenden Gewässer allmählig abgenommen haben. Ucbcrall treffen wir die Spuren alter ausgetrockneter Arme und Gabelungen, für die kaum ein historisches Zeugniß vorliegt. Tie verschiedenen, mehr oder weniger parallelen Rinnen, aus denen die Betten dcr amerikanischen Flüsse bestehen, und die sie weit wasserreicher erscheinen lassen, als sie wirklich sind, verändern allgemach ihre Richtung; sie weiden breiter und verschmelzen dadurch, daß die Längsgrätcn zwischen denselben abbröckeln. Was anfangs nur ein Arm war, wird bald dcr einzige Wasserbehälter, und bei Strömen, die langsam zichcn, verschwinden die Gabellheilungen cdcr Verzweigungen zwischen zwei hydraulischen Systcmcn auf dreierlei Wegen: entweder der 243 Perbindungscanal zieht den ganzen gegabelten Strom in sein Becken hinüber, oder der Canal verstopft sich durch Anschwemmungen an der Stelle, wo er vom Strome abgeht, oder endlich in der Mitte seines Laufs bildet' sich ein Querkamm, eine Wasserscheide, wodurch das obere Stück einen Gegenhang erhält und das Waffer in umgekehrter Richtung zurückfließt. Sehr niedrige und großen periodischen Überschwemmungen ausgesetzte Länder, wie Guyana in Amerika und Dar-Saley oder Baghermi in Afrika, l geben uns ein Bild davon, wie viel häusiger dergleichen Verbindungen durch natürliche Canäle früher gewesen seyn mögen al5 jetzt. Nachdem ich die Gabettheilunss des Orinoco au5 dem Ge» sichtspunkt der vergleichenden Hydrographie betrachtet, habe ich noch kurz die Geschichte .der Entdeckung dieses' merkwürdigen Phänomens zu besprechen. Gs ging mit der Verbindung zwischen zwei großen Flußsystemen wie mit dem Lauf des Nigers gegen Ost. Man mußte mehreremalö cntdecken> was' auf den ersten Anblick der Analogie und angenommenen Hypothesen widersprach. AIs bereits durch Reisende alisgemacht war, auf welche Weise Orinoco und Amazonenstrom zusammenhängen , wurde noch, und zwar zu wiederholtenmalen bezweifelt» ob die Sache überhaupt möglich sey. Eine Bergkette, die der Geograph Hondius zu Ende des' sechzehnten Jahrhunderts als Grenzscheide beider Flüsse gefabelt hatte, wurde bald ' Südöstlich von Vornou und d«m See Nou. in den, Theile von Soudau. wo, nach den letzten Ermittelungen meines unglücklichen freundes Ritchie, der Niger den Shnry aufnimmt und sich in den weißen Nil ergießt. 249 angenommen, bald geläugnet. Man dachte nicht daran, daß selbst wenn diese Berge vorhanden wären, deßhalb die beiden hydraulischen Systeme nicht nothwendig getrennt seyn müßten, da ja die Gewässer durch die Cordillere der Anden und die Hima-layatette,i die höchste bekannte der Welt, sich Bahn gebrochen haben. Man behauptete, und nicht ohne Grund, Fahrten, die mit demselben Canoe sollten gemacht worden seyn, schließen die Möglichkeit nicht aus, daß die Wasserstraße durch Trageplähe unterbrochen gewesen. Ich habe diese so lange bestrittene Gabeltheilung nach ihreni ganzen Verhalten selbst beobachtet, bin aber deßhalb weit entfernt, Gelehrte zu tadeln, die, gerade weil es ihnen nur um die Wahrheit zu thun war, Bedenken trugen, als wirklich gelten zu lassen, was' ihnen noch nicht genau genug untersucht zu seyn schien. Da der Amazonenstrom von den Portugiesen und den Spaniern schon la,^? befahren wurde, ehe die beiden Nebenbuhler den obern Orinoco kennen lernten, so kam die erste unsichere Kimde von der Verzweigung zweier Ströme von der Mündung des Rio Negro nach Europa. Die Conquistadoren und mehrere Geschichtschreiber, wie Herera, Fray Pedro Simon und der Pater Garcia, verwechselten unter den Namen liio Aran^L und Nkr 6u1o6 den Orinoco und den Ma-ragnon. Der Name des ersteren Flusses kommt noch nicht ' Der Tutlebge, der Oogra. der Gundnl. der Anm, des Tresla »nd der Vuramputer laufen durch Querthäler, d. h. senkrecht auf die große Achfe der Himalaylikette. Alle diese Flüsse durchbrechen also die Kette, wie der Amazonerst^m, der Paute und der Pastaza die Corbillere der Anden. 250 einmal auf Diego Niberos vielberufcner Karte von Amerika aus dem Jahr 1529 vor. Durch die Expeditionen des Orellana (1540) und des Lope de Aguirre (1560) erfuhr man nichts über die Gabeltheilung des Orinoco; da aber Aguirre so auffallend schnell die Insel Margarita erreicht hatte, glaubte man lange, derselbe sey nicht durch eine der großen Mündungen des Amazonenstromes, sondern durch eine Flußverbindung im In, nern auf die See gelangt. Tcr Jesuit Acuiia hat solches als Behauptung aufgestellt: aber das Ergebniß meiner Nachfor« schlingen in den Schriften der frühesten Geschichtschreiber der Eroberung spricht nicht dafür. „Wie kann man glauben," sagt dieser Missionär, „das; Gott es zugelassen, daß ein Tyrann cö hinausführe und die schöne Entdeckung der Mündung des Ma» ragnon mache?" Acuiia seht voraus, Aguirre sey durch den Rio Felipe an die See gelangt, und dieser Fluß „sey nur wenige Meilen von Eabo del Norte entfernt." Nalegh brachte auf verschiedenen Fahrten, die er selbst gemacht oder die auf seine Kosten unternommen worden, nichts über eine hydraulische Verbindung zwischen Orinoco und Ama zonenstrom in Erfahrung; aber sein Unterbcfehlshabcr Kcymis, der aus Schmeichelei (besonders aber wegen des Vorgangs, daß der Maragnon nach Orcllana benannt worden) dem Orinoco den Namen Nale ana beigelegt, bekam zuerst eine unbestimmte Vorstellung von den Trageplätzen zwischen dem Esscquebo, dem Earony und dem Nio Vranco oder Parime. Aus diesen Tragc-plähcn machte er einen großen Salzsee, und in dieser Gestalt erschienen sie auf der Karte, die 1599 nach Naleghs Berichten entworfen wurde. Zwischen Orincco und Amazonenstrom zeichnet 251 man eine Cordillere ein, und statt der wirklichen Gabelung gibt Hondius eine andere, völlig eingebildete an: er läßt den Amazonenstrom (mittelst des Rio Tocantines) mit dem Parana ^ und dem San Francisco in Verbindung treten. Diese Verbindung blieb über ein Jahrhundert auf den Karten stehen, wie auch eine angebliche Gabeltheilung des Magdalenenstroms, von dem ein Arm zum Golf von Maracaybo laufen sollte. Im Jahr 1639 machten die Jesuiten Christoval de Acuiia und Andres de Artedia, im Gefolge des Capitäns Tereira, die Fahrt von Quito nach Gran-Para. Am Einfluß des Rio Negro in den Amazonenstrom erfuhren sie, „ersterer Fluß, von den Eingeborenen wegen der braunen Farbe seines sehr hellen Wassers Curiguacura oder Uruna genannt, gebe einen Arm an den Rio Grande ab, der sich in die nördliche See ergießt und an dessen Mündung sich holländische Niederlassungen befinden." Acuiia gibt den Rath, „nicht am Einfluß des Rio Negro in den Amazonenstrom, sondern am Punkt, wo der Verbindungsast abgeht," eine Festung zu bauen. Er bespricht die Frage, was wohl dieser Rio Grande seyn möge, und kommt zum Schluß, der Orinoco sey es sicher nicht, vielleicht aber der Rio D ulce oder der Rio de Felipe, derselbe, durch den Aguirre zur See gekommen. Letztere dieser Annahmen scheint ihm die wahrscheinlichste. Man muß bei dergleichen Angaben unterscheiden zwischen dem, was die Reisenden an der Mündung des Rio Negro von den Indianern erfahren, und dem, was. jene nach den Vorstellungen, die ihnen der Zustand der Geographie zu ihrer Zeit an die Hand gab, selbst hinzusetzten. Ein Fluß« arm, der vom Rio Negro abgeht, soll sich in einen sehr großen 252 Fluß ergießen, der in das nördliche Meer läuft an einer Küste, auf der Menschen mit rothen Haaren wohnen: so bezeichneten die Indianer die Holländer, da sie gewöhnt waren, nur Weiße mit schwarzen oder braunen Haaren, Spanier oder Portugiesen, zu sehen. Wir kennen nun aber jetzt, vom Einfluß des Rio Negro in den Amazonenstrom bis zum Cano Pimichin, auf dein ich in den ersteren Fluß gekommen, alle Nebenflüsse von Nord und Ost her. Nur ein einziger darunter, der Cassiquiare, steht mit einem andern Fluß in Verbindung. Die Quellen des Rio Branco sind auf den neuen Karten des brasilianischen hydrographischen Depots sehr genau aufgenommen, und wir wissen, daß dieser Fluß keineswegs durch einen See mit dem Carony, dem Cssequebo oder irgend einem andern Gewässer der Küste von Surinam und Cayenne in Verbindung steht. Eine hohe Bergkette, die von Pacaraymo, liegt zwischen den Quellen des Paraguamusi (eines Nebenflusses des Carony) und denen des Rio Vrcmco, wie es von Don Antonio Santos auf seiner Reise von Angostura nach Gran-Para im Icchr 1775 ausgemacht worden. Si'dwärts von der Bergkette Pacaraymo und Quimiropaca befindet sich ein Trageplaß von drei Tagereisen zwischen dem Sarauri (einem Arm des Rio Vranco) und dem Rupunuri (einem Arm des Csseauebo). Ueber diesen Tragcplatz kam im Jahr 1759 der Chirurg Nicolaus Hortsmann, ein Hildesheimer, dessen Tagebuch ich in Händen gehabt; es ist dieß derselbe Weg, auf dem Ton Francisco Jose Rodrigues Varctta, Obristlieutcnant des-ersten Linicnregiments in Para, im Jahr 1793 im Auftrag snner Regierung zweimal vom Amazonenstrom nach Surinam 253 ging. In noch neuerer Zeit, im Februar 1.611, lamen englische und holländische Colonisten zum Trageplatz am Rupunuri und ließen den Befehlshaber am Rio Negro um die Erlaubniß bitten, zum Rio Vranco sich begeben zu dürfen; dcr Commandant willfahrte dem Gesuch und so kamen die Colonisten in ihren Canoes zum Fort San Ioaquin am Rio Vranco. Wir werden in der Folge noch einmal auf diese Landenge zurückkommen, einen theils bergigten, theils sumpfigten Landstrich, auf den Kaymis <^der Verfasser des Berichts von Naleghs zweiter Reise) den Dorado und die große Stadt Manoa verlegt, der aber, wie wir jetzt bestimmt wissen, die Quellen des Carony, des Nupunuri und des Rio Vranco trennt, die drei verschiedenen Flußsystemen angehören, dem Orinoco, dem Essequebo und dem Rio Negro oder Amazonenstrom. Aus dem Bisherigen geht hervor, daß die Eingeborenen, die Tereira und Acuna von der Verbindung zweier großen Ströme sprachen, vielleicht selbst über die Richtung des Cast siquiare im Irrthum waren, oder daß Acuüa ihre Aeußerungen mißverstanden hat. Letzteres ist um fo wahrscheinlicher, da ich, wenn ich mich, gleich dem spanischen Reisenden, eines Dolmetschers bediente, oft selbst die Erfahrung gemacht habe, wie leicht man etwas falsch auffaßt, wenn davon die Rede ist, ob ein Fluß Arme abgibt oder aufnimmt, ob ein Nebenfluß mit der Sonne geht oder „gegen die Sonne" läuft. Ich bezweifle, daß die Indianer mit dem, was sie gegen Acuua geäußert, die Verbindung mit den hullä lidischen Besitzmi^en über die Trageplatze zwischen dem Rio Branco und dem Rio Essequebo gemeint haben. Die Earaibcn kamen an den Rio Negro auf 254 beiden Wegen, über die Landenge beim Rupunuri und auf dem Cassiquiare: aber eine ununterbrochene Wasserstraße mußte den Indianern als etwas erscheinen, das für die Fremden ungleich mehr Belang habe, und der Orinoco mündet allerdings nicht in den holländischen Besitzungen aus, liegt aber doch denselben sehr nahe. Acunas Aufenthalt an der Mündung des Rio Negro verdankt Europa nicht nur die erste Kunde von der Verbindung zwischen Amazonenstrom und Orinoco, derselbe hatte auch aus dem Gesichtspunkte der Humanität gute Folgen. Tereiras Mannschaft wollte den Befehlshaber zwingen, in den 3tio Negro einzulaufen, um Sklaven zu holen. Die beiden Geistlichen, Acuna und Artcdia, legten schriftliche Verwahrung gegen ein solch ungerechtes und politisch unkluges Unternehmen ein. Sie behaupteten dabei (und der Satz ist sonderbar genug), „das Gewissen gestatte den Christen nicht, Eingeborene zu Sklaven zu machen, solche ausgenommen, die als Dolmetscher zu dienen hätten." Was man auch von diesem Satze halten mag, auf die hochherzige, muthvolle Verwahrung der beiden Geistlichen unterblieb der beabsichtigte Raubzug. Im Jahr 1680 entwarf der Geograph Sanson nach Acunas Reisebericht eine Karte vom Orinoco und dem Amazonenstrom. Sie ist für den Amazonenstrom, was Guniillas Karte so lange für den untern Orinoco gewesen. Im ganzen Strich nördlich vom Aequator ist sie rein hypothetisch, und der Caqueta, wie schon oben bemerkt, gabelt sich darauf unter einem rechten Winkel. Der eine Arm des Caqueta ist dcr Orinoco, der andere der Nio Negro. In dieser Weise glaubte Sanson auf der erwähnten Karte, und auf einer andern von ganz 255 Südamerika aus dem Jahr 1656, die unbestimmten Nachrichten, welche Acuua im Jahr 1639 über die Verzweigungen des Caqueta und über die Verbindungen zwischen Amazonenstrom und Orinoco erhalten, vereinigen zu können. Die irrige Vorstellung, der Rio Negro entspringe aus dem Orinoco oder aus dem Caqueta, von dcm der Orinoco nur ein Zweig wäre, hat sich bis in die Mitte des achtzehnten Ial'rhunderts erhal« ten, wo der Cassiquiare entdeckt wurde. Pater Fritz war mit einem andern deutschen Jesuiten, dem Pater Nichler, nach Quito gekommen; er entwarf im Jahr 1690 eine Karte des Amazonenstroms, die beste, die man vor La Condamincs Neise besaß. Nach dieser Karte richtete sich der französische Akademiker auf seiner Flußfahrt, wie ich auf dem Orinoco nach den Karten von La Cruz und Caulin. Es ist ausfallend, daß Pater Fritz bei seinem langen Aufenthalt am Amazonenstrom (der Commandant eines portugiesischen Forts hielt ihn zwei Jahre gefangen) keine Kunde vom Cassiquiare erhalte« haben soll." Die geschichtlichen Notizen, die er auf dem Nand seiner handschriftlichen Karte beigesetzt und die ich in neuester Zeit sorgfältig untersucht habe, sind sehr mangel» haft; auch sind ihrcr nicht viele. Er läßt eine Bergkette zwi» schcn den beiden Flußsystemen streichen und rückt nur einen der Zweige, die den Nio Negro bilden, nahe an einen Nebenfluß des Orinoco, der, der Lage nach, der Nio Caura zu seyn scheint. In den hundert Jahren zwischen Acunas Neise und der Entdeckung des Cassiquiare durch Pater Romcm blieb Alles im Ungewissen. Die Verzweigung des Orinoco und des Amazonenstroms 256 durch den Rio Negro und eine Gabeltheilung des Caqueta, die Sanson aufgebracht und die Pater Fritz und Blaeuw verwarfen, erschienen auf de l'Isles ersten Karten wieder; aber gegen das Ende seines Lebens gab der berühmte Geograph sie wieder auf. ' Ta man sich hinsichtlich der Art und Weise der Verbindung geirrt, war man schnell bei der Hand und zog die Verbindung selbst in Abrede. Es ist wirklich sehr merkwürdig, daß zur Zeit, wo die Portugiesen am häusigsten den Amazonenstrom, den Nio Negro und den Cassiquiare hinauffuhren, und wo Pater Gumillas Briefe (durch die natürliche Flußverzweigung) vom untern Orinoco nach Gran-Para gelangten, dieser selbe Missionär sich alle Mühe gab, in Europa die Meinung zu verbreiten, daß die Becken des Orinoco und des Ninazonenstroms völlig von einander geschieden seyen. Er versichert, ,/er sey öfters ersteren Fluß bis zum Raudal von Tabaje, unter 1"4' der Breite, hinaufgefahren und habe niemals einen Fluß, den man für den Rio Negro hätte halten können, abgehen oder hereinkommen sehen." „Zudem," fährt er fort, „läuft eine große Cordillere? von Ost und West und ' S. Vand V. Seite l^8. 'Pater Caulin, der im Jahr 175» schrieb, obgleich sein wahr-heilgetieucs sehr .werthuolles Buch (Uisturi» ca^l-asica äe lu >uevil .4nll«!u8ii» 7 verlienleL lie! «in Ormlica) erst l77u erschien bestleitct mit vielem Echarfsiün die Vorstellung, daß eine Bergkette jede Verbindung zwischen den Nocken des Orinoco und des Amazonen-stroms mieschließe. „ P.itrr Gumillas Irrthum'." s.igt er. „besteht darin, dnß er sich vorstellt, von den Grenzen von Ne«-Ore,lada bis Ccyrnoe müsse sich eine Cordillere »nilütelbroche», wie eine ungeheure Mauer fortziehen. Er beachtet nicht, daß AerMtcn hänsig von tiefen 25? läßt die Gewässer nicht in einander münden, wie sie auch alle Erörterung über die angebliche Verbindung beider Ströme ganz überflüssig macht." Pater Gumillas Irrthümer entspringen daher, daß er der festen Ueberzeugung war, auf dem Orinoco bis zum Parallel von 1"4' gekommen zu seyn. Er irrte sich um mehr als fünf Grad zehn Minuten in der Breite; denn in der Mission Atures, 13 Meilen südwärts von den Stromschnellen von Tabaje, fand ich die Breite 5° 37" 31". Da Pater Gumilla nicht weit über den Einfluß des Meta hinaufgekommen, fo ist es nicht zu verwundern, daß er die Gabeltheilung des Orinoco nicht gekannt hat, die, den Krümmungen des Flusses nach, 120 Meilen vom Naudal von Tabaje liegt. Dieser Missionär, der drei Jahre am untern Orinoco gelebt hat (nicht dreißig, wie durch seine Uebersetzer in Umlauf gekommen), hätte sich darauf beschränken sollen, zu berichten, was er bei seinen Fahrten auf dem Apure, dem Meta und Orinoco von Guayana Vieja bis in die Nähe des ersten großen Katarakts mit eigenen Augen gesehen. Sein Werk (das erste über diese Länder vor Caulins und Gilis Schriften) wurde Anfangs gewaltig erhoben, und später in den spanischen Colonien um so weiter und zu weit herabgesetzt. Allerdings begegnet man im Orinouo iliu8ti2än nicht der genauen Kenntniß der Oertlichkeiten, der naiven Einfalt, wodurch die Berichte der Missionäre einen gewissen Reiz erhalten; der Styl ist gekünstelt und die Sucht zu übertreiben gibt sich überall kund; trotz dieser Fehler finden sich in Pater Gumillas Buch sehr richtige Ansichten über (Quer-) Thäler» durchschnitten sind, während sie. aus der Ferne gesehen, sich al« contißuils c> in6lvi5«>5 darstellen." Humboldt, »ielse. V. 17 258 die Sitten und die natürlichen Anlagen der verschiedenen Völkerschaften am untern Orinoco und in den Llanos am Cascmare. Auf seiner denkwürdigen Fahrt auf dem Amazonenstrom im Jahr 1743 hatte La Condamine zahlreiche Belege für die vom spanischen Jesuiten geläugnete Verbindung zwischen beiden Strömen gesammelt. Als den bündigsten derselben sah er damals die nicht verdächtige Aussage einer Cauriacani-Indicmc-rin an, mit der er gesprochen und die vom Orinoco (von der Mission Pararuma <) im Canoe nach Gran-Para gelangt war. Ehe La Condamine in das Vaterland zurückkam, setzten die Fahrt des Pater Manuel Roman und der Umstand, daß Missionäre vom Orinoco und vom Amazonenstrom jjch zufällig begegneten, die Thatsache, die zuerst Acuna kund geworden, außer allen Zweifel. Auf den Streifzügen zur Sklavenjagd, welche seit der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts unternommen wurden, waren die Portugiesen nach und nach aus dem Rio Negro über den Cafsi-quiare in das Bett eines großen Stromes gekommen, von dem sie nicht wußten, daß es der Orinoco sey. Ein fliegendes Lager der 1>opa äs i-tiLcate 2 leistete diesem unmenschlichen Handel Vorschub. Man hetzte die Eingeborenen, sich zu bekriegen, und kaufte dann die Gefangenen los; und um dem Sklavenhandel einen Anstrich von Rechtmäßigkeit zu geben, gingen Geistliche mit der I'ropa 6s i-ssoate, die untersuchten, „ob diejenigen, welche Sklaven verkauften, auch dazu berechtigt seyen, weil sie dieselben in offenem Kampfe zu Gefangenen ' S. Vanb IV. Seite l53. ' Von re8c«l3s, loslaufen. 259 gemacht." Vom Jahr 1737 an wiederholten sich diese Züge der Portugiesen an den obern Orinoco sehr oft. Die Gier, Sklaven (poitos) gegen Beile, Fischangcln und Glaswaaren zu vertauschen, trieb die indianischen Völkerschaften zum blutigen Streit gegen einander. Die Quipunaves, unter ihrem tapfern und grausamen Häuptling Macapu, waren vom Ini-rida zum Zusammenfluß d:s Atabapo und des Orinoco herabgekommen. „Sie verkauften," sagt der Missionär Gili, „die Gefangenen, die sie nicht verzehrten." Ueber diesem Treiben wurden die Jesuiten an» unteru Orinoco unruhig, und der Superior der spanischen Missionen, Pater Roman, ein vertrauter Freund Gumillas, faßte muthig den EntWuß, ohne Begleitung von spanischen Soldaten über die großen Katarakten hinaufzugehen und die Quipunaves heimzusuchen. Er ging am 4. Februar 1744 von Carichana ab; angelangt am Zu' sammenfluß des Guaviare, des Atabapo und des Orinoco, an der Stelle, wo letzterer Fluß aus seiner Richtung von Ost nach West rasch in die von Süd nach Nord übergeht, sah er von weitem eine Pirogue, so groß wie die seinige, voll von europäisch gekleideten Leuten. Er ließ, gemäß der Sitte der Missionäre, wenn sie in unbekanntem Land auf dem Wasser sind, als Friedenszeichen das Crucifix am Vordertheil seines Fahrzeugs aufpflanzen. Die Weißen (es waren portugiesische Sklavenhändler vom Rio Negro) erkannten mit Jubel das Ordenskleid des heiligen Ignatius. Sie verwunderten sich, als sie hörten, der Fluß, auf dem diese Begegnung stattgefunden, sey der Orinoco, und sie nahmen Pater Roman über den Cassiquiare in die Niederlassungen am Rio Negro mit sich. Der 260 Superior der spanischen Missionen sah sich genöthigt beim fliegenden Lager der Impk ci« i-68ont<; zu verweilen, bis der portugiesische Jesuit Avogadri, der in Geschäften nach Gran-Para gegangen, zurück war. Auf demselben Wege, über den Cassiquiare und den obern Orinoco, fuhr Pater Roman mit seinen Ealivas-Indianern nach Pararuma, etwas nördlich von Carichana, zurück, nachdem er sieben Monate ausgewesen. Er ist der erste Weiße, der vom Nio Negro, und somit aus dem Becken des Amazoncnstroms (ohne seine Canoes über einen Trageplatz schaffen zu lassen) in das Becken des Orinoco gelangt ist. Die Kunde dieser merkwürdigen Fahrt verbreitete sich so rasch, daß La Condamine in einer öffentlichen Sitzung der Akademie sieben Monate nach Pater Romans Rückkehr nach Pararuma Mittheilung davon machen konnte. Er sagt: „Die nunmehr beglaubigte Verbindung des Orinoco nnd des Amazonenstroms kann um so mehr für eine geographische Ent deckung gelten, als zwar diese Verbindung auf den alten Kar. ten (nach Acunas Berichten) angegeben ist, aber von den heutigen Geographen auf den neuen Karten, wie auf Vcrab-redung, weggelassen wird. Es ist dieß nicht das erstemal, daß etwas für fabelhaft gegolten hat, was doch vollkommen richtig war, daß man die Kritik zu weit trieb, und daß diese Verbindung von Leuten für chimärisch erklärt wurde, die am besten davon hätten wissen sollen." Eeit Pater Romans Fahrt im Jahr 1744 hat in spanisch Guyana und an den Küsten von Cumana und Caracas kein Mensch mehr die Existenz des Cassiquiare und die Gabcltheilung des Orinoco in Zweifel gezogen. 261 Sogar Pater Gumilla, den Vouguer in Carthagena de In-dias getroffen hatte, gestand, daß er sich geirrt, und kurz vor feinem Tode las er Pater Gili ein für eine neue Ausgabe feiner Geschichte des Orinoco bestimmtes Supplement vor, in dem er munter ^ erzählte, in welcher Weife er enttäufcht worden. Durch Ituriagas und Solanos Grenzexpedition wurden die geographischen Verhältnisse des obern Orinoco und die Verzweigung diefes Flusses mit dem Rio Negro vollends genau bekannt. Solano ließ sich im Jahr 1756 an der Mündung des Atabapo nieder, und von nun an fuhren spanische und portugiesische Commissure mit ihren Piroguen oft über den Cassiquiare vom untern Orinoco an den Rio Negro, um sich in ihren Hauptquartieren Cabruta 2 und Mariva zu besuchen. Seit 1767 kamen regelmäßig jedes Jahr zwei bis drei Piro-Huen von der Schanze San Carlos über die Gabeltheilung des Orinoco nach Angostura, um Salz und den Sold für die Truppen zu holen. Diese Fahrten von einem Flußbecken in das andere durch den natürlichen Canal des Cassiquiare machen ' I.e!pi0 vom portugiesischen ObriNe:, Ton Gabriel de Eousa y Figueira besucht, der von Graü-Par.i aus gegen 9«N Meilen im stanoe zurückgelegt halte. Der schwedische Botaniker Lofling, der dazu ausersehe» war, die Grenzerpcdition auf Kosten der spanischen Regierung zu begleiten, häufte in seiner lebhaften Phantasie die Verzweigungen der großen Ströme Südamerikas dergestalt, daß er überzeugt war, er könnte au« dem Nio Ncgr? und dem Am.izouenstrom in den Nio de la Plata fahren. 262 jetzt bei den Colonisten so wenig Aufsehen mehr, als wenn Schiffe die Loire herab auf dem Canal von Orleans in die Seine kommen. Seit Pater Romans Fahrt im Jahr 1744 war man in den spanischen Besitzungen in Amerika von der Richtung des obern Orinoco von Ost nach West und von der Art seiner Verbindung mit dem Rio Negro genau unterrichtet, aber in Europa wurde letztere erst weit später bekannt. Noch im Jahr 1750 nahmen La Condamine und d'Anville an, der Orinoco sey ein Arm des Caqueta, der von Südost herkomme, und der Rio Negro entspringe unmittelbar daraus. Erst in einer zweiten Ausgabe seines „Südamerika" läßt d'Anville, ohne gleichwohl eine Verzweigung des Caqueta vermittelst des Iniricha (Inirida) mit dem Orinoco und dem Rio Negro aufzugeben, den Orinoco im Osten in der Nähe der Quellen des Rio Branco entspringen und gibt er den Rio Cassiquiare an, der vom obern Orinoco zum Rio Negro läuft. Wahrscheinlich hatte sich der unermüdliche Forscher durch seinen starken Verkehr mn den Missionären, die damals, wie noch jetzt, für das eigentliche Herz der Festländer die einzigen geographischen Autoritäten waren, Nachweisungcn über die Art der Gabeltheilung verschafft. Hinsichtlich des Zusammenflusses des Cassiquiare mit dem Rio Negro irrte er sich um 3^ Vreitegrade, aber die Lage des Atabapo und der bewaldeten Landenge, über die ich von Iavita an den Rio Negro gekommen, gibt er schon ziemlich richtig an. Durch die in den Jahren 1775 und 1778 veröffentlichten Kartcn von la Cruz Olmedilla ^ und Surville Dir Karte von l