UDK 821.112.2'04.09-992 KULTURKONFLIKTE ALS MACHTKONFLIKTE AM BEISPIEL SPÄTMITTELALTERLICHER REISEBERICHTE Marija Javor Briški Abstract Vor dem Hintergrund der Kreuzzüge, die im Laufe der Zeit sowohl bei den Christen als auch Muslimen immer mehr von weltlichen Faktoren beeinflusst wurden, soll anhand von Hans Schiltbergers Reisebuch und Bernhards von Breidenbach Bericht über die Fahrt ins Heilige Land untersucht werden, inwiefern die existentielle Bedrohtheit des Autors oder Erzählers die Darstellung des ,Anderen' beeinflusst, welche Rolle die Zweckgebundenheit des Textes in einer konkreten historischen Gebrauchssituation dabei spielt und welche Abbildungsstrategien bei der Vermittlung des ,Fremden' benutzt werden. Die in diesem Rahmen nur skizzenhafte Analyse des ,Anderen' oder ,Fremden' ist auf die Wahrnehmung und Darstellung der Muslime und des Islam fokussiert. Dass der Kontakt zwischen fremden Kulturen konfliktreich sein kann, davon zeugen bekanntlich vor allem solche Beziehungen, bei denen die Kulturträger politisch und religiös verfeindeten Mächten angehören.1 Zu solchen Gegenparteien gehörten im Mittelalter u. a. die Muslime und die Christen, deren Begegnungen im Zeichen der Kreuzzüge standen. Sie wurden wohl, wie Aziz Atiya (1964: 19) schreibt, „auf beiden Seiten als ein Krieg des Glaubens und der Glaubensüberzeugung begonnen". Doch geriet der ,heilige Krieg' im Laufe der Zeit immer mehr „unter den Einfluß zahlreicher politischer, militärischer und wirtschaftlicher, also weltlicher Faktoren" (Atiya 1964: 142). Das Besorgnis erregende Vordringen der osmanischen Türken auf europäischem Boden im 14. Jahrhundert (Morrall 1985: 155, Melville 1997: 79) bewirkte infolge vermehrter Propagandaschriften ein Erstarken der Kreuzzugsidee im Abendland (Atiya 1964: 91). Nach dem großen Desaster, das die Kreuzzugsritter 1396 in der Schlacht bei Nikopolis erlitten hatten, wurden die Stimmen, die zum Kampf gegen die türkische Herrschaft aufriefen, angesichts der geringen Erfolgsaussichten zwar leiser, aber von einem gänzlichen Verstummen der Befürworter kriegerischer Auseinandersetzungen, die die Expansionsbestrebungen der Osmanen und den Machtbereich des Islam eindämmen sollten, kann keine Rede sein (Atiya 1964: 100f.). Einer der späteren lautstärksten Propagandisten des sogenannten heiligen Krieges war Papst Pius II. (1458- 1 Vgl. Osterhammel 2001: 224: „Kulturkontakt ist kaum von den harten Realitäten des Machtkonflikts, in den er in aller Regel eingebettet ist, zu isolieren." 1464), der Mitte des 15. Jahrhunderts die europäischen Monarchen aufrief, gemeinsam gegen die türkische Gefahr zu rüsten (Atiya 1964: 106, Morrall 1985: 159). Für einen Feldzug gegen die Türken warben u. a., wenn auch ohne Erfolg, die Päpste Innozenz VIII. (1484-1492) und Leo X. (1513-1521) sowie der ,letzte Ritter', Kaiser Maximilian I. (1493-1519) (Atiya 1964: 106f.). Vor diesem historischen Hintergrund soll im Folgenden anhand zweier, gewöhnlich als Reiseliteratur2 klassifizierter Werke aus dem Spätmittelalter untersucht werden, inwiefern die existentielle Bedrohtheit des Autors oder Erzählers die Darstellung des ,Anderen' beeinflusst3, welche Rolle die Zweckgebundenheit des Textes in einer konkreten historischen Gebrauchssituation (Zrenner 1981: 14, Wolf 1989: 85) dabei spielt und welche Abbildungsstrategien (Deeg 1992) bei der Vermittlung des ,Fremden' benutzt werden. Die in diesem Rahmen nur skizzenhafte Analyse des ,Anderen' oder ,Fremden' ist auf die Wahrnehmung und Darstellung der Muslime und des Islam fokussiert. Beim ersten Text handelt es sich um Hans Schiltbergers Reisebuch, beim zweiten hingegen um Bernhards von Breidenbach „werck der fart vber mer zu de heiligen grab vnfers herren ihesu cristi gen Jerusalem"4. Hans Schiltberger, dessen Lebensweg im Wesentlichen aus seinem Reisebuch zu erschließen ist, stammt aus einem altbayrischen Adelsgeschlecht und folgte im Alter von sechzehn Jahren vermutlich aus wirtschaftlichen Gründen dem Aufruf König Sigismunds von Ungarn zum Kreuzzug gegen die Türken. Nach der verheerenden Niederlage bei Nikopolis geriet er in türkische, später in tartarische Gefangenschaft und verbrachte 31 Jahre in der Heidenschaft. Im Jahre 1427 kehrte er nach einer Flucht in seine Heimat zurück und trat in die Dienste Herzog Albrechts III., der vermutlich auch den Münchner Arzt Matheus Brätzl beauftragte, einen Codex mit Schiltbergers Werk und anderen verschiedenen Reiseberichten zusammenzustellen. (Langmantel 1885: 160ff., Wolf 1989: 105f., Wolf 1992: 37f., Deeg 1992: 179, Schiewer 1992: 160ff.) Es wäre falsch, Schiltbergers Reisebuch eindeutig der Reiseliteratur zuzuordnen. Es ist vielmehr ein heterogenes Gebilde verschiedener Textsorten, das man in zwei größere Abschnitte gliedern kann. Der erste Teil (Kap. 1-30) besteht aus einem chronikalischen Bericht über die historischen Ereignisse unter der Herrschaft Bajasids I. und Timurs sowie Schiltbergers späterer Herren. Diese zum Teil aus anderen Quellen (Schiltberger 1885: 9, Anm. 3) entlehnten chronikalischen Nachrichten umrahmen und durchbrechen autobiographische Erzählungen über die Teilnahme am Kreuzzug, die Gefangennahme, seinen missglückten Fluchtversuch und seine Flucht nach Konstantinopel. Der zweite Teil (Kap. 31-67), der den Darstellungskonventionen von Pilgerführern und Reiseberichten eher entspicht, ist eine Kompilation verschiedener Quellen, insbesondere der Voyages Jeans de Mandeville. In einem stereotypen Bericht spricht Schiltberger rückblickend über die Völker und Länder, die er als Gefangener kennenlernte. Er befasst sich mit religionsgeschichtlichen, geographischen, historio-graphischen, literarischen, naturkundlichen und anderen Themen. Kennzeichnend für 2 Zu ihrem hybriden Charakter siehe unten. 3 Zur Erzählerperspektive vgl. Schiewer 1992: 162. 4 So lautet der Titel seines Werks in der Vorrede auf f. 7r. diesen enzyklopädischen' (Wolf 1991: 199) Abschnitt, der mit Schiltbergers Heimkehr nach Bayern abschließt, ist der ständige Wechsel zwischen der Ich-Form, die das Berichtete als Selbsterlebtes präsentiert, und der sachlich-distanzierten Beschreibung.5 Wie oben angekündigt, werde ich mich in meiner abrisshaften Untersuchung dem Bild der Mohammedaner und des Islam widmen. Angesichts des offensichtlich feindseligen ersten Kontaktes mit den osmanischen Gegnern und seines ,unfreiwilligen' Aufenthaltes unter den Heiden erscheint es seltsam, dass Schiltberger im autobiographischen und chronikalischen Teil über die Schlacht, seine heidnischen Herren und ihre Gewalttaten unkommentiert6 aus einer enthobenen Position berichtet, ohne jegliche Rachegefühle zu äußern. Die historiographischen ,Fakten' sprechen für sich, und obwohl Schiltberger als Militärsklave an vielen Unternehmungen7 teilgenommen haben muss, verschweigt er seine Rolle in den türkischen und tartarischen Kriegshandlungen. Viele Indizien, wie seine Beförderung vom einfachen Fußsoldaten zum Berittenen und seine detailreichen Kenntnisse islamischer Konversionsrituale (Schiltberger 1885: 93f.), sprechen dafür, dass er seinen Glauben verleugnet hat (Schiewer 1992: 169, Reichert 2001: 132). Ein Glaubensübertritt erscheint um so wahrscheinlicher, als Schiltberger selbst an einer Stelle erwähnt, ein Herzogssohn, dessen Land Bajasid erobert hat, „kerett sich zu haydenischem glauben, darumb das man in leben ließ" (9, 10f.). Wie dieser Besiegte mag auch Schiltberger gehandelt haben, um sein Leben zu retten. So zählt ihn auch Folker Reichert (2001: 132) zu den „kulturellen Grenzgängern und Überläufern", die „[t]eils aus Notwendigkeit, teils aus Anziehung [...] einen Modus vivendi in einer zunächst feindlichen, dann aber zunehmend vertrauten Umgebung [suchten und fanden]."8 In seiner Position als Kämmerer Herzog Albrechts III. war es in der Tat pragmatischer, dass er die heiklen Abschnitte seines Lebens nicht offen legte, denn Renegaten hatten in der christlichen Gesellschaft bekanntlich einen üblen Leumund. Bei der Beschreibung der Heiden verzichtet Schiltberger nicht nur auf Diffamierungen, er erwähnt sogar auch ihre positiven Seiten, wie den Umstand, dass in den acht Spitälern der damaligen türkischen Hauptstadt Bursa alle armen Leute aufgenommen werden, ungeachtet ihrer Konfession (53), woraus der Leser auf ihre hier zu Tage tretende Barmherzigkeit schließen kann, die die kulturelle Grenze überschreitet. Im Zusammenhang mit seinem missglückten Fluchtversuch führt Schiltberger sogar einen „Beweis osmanischen Ehrgefühls und Gerechtigkeitsinns" (Melville 1997: 91) 5 Zur Struktur von Schiltbergers Reisebuch vgl. Wolf 1989: 105f., Schiewer 1992: 165ff. - Zu Unrecht nennt Melville (1997: 90) Schiltbergers Text einen „augenfällig subjektiven Erlebnisbericht". 6 Wie Khattab (1982: 204) feststellt, gibt es in Schiltbergers Werk über seine abenteuerliche Reise nur „wenig persönliche Äußerungen". 7 Er bekundet seine Teilnahme mit Formulierungen, wie 19, 31; 22, 13: „pei/in dem zug was ich auch"; 37, 27: „do cham ich selb V zu im und zugen mitt im in die grossen Thartaria"; 42, 7: „do ich pei was". Die Beteiligung Schiltbergers an einigen geschilderten Begebenheiten ist allerdings nicht möglich, weil sie vor seiner Zeit liegen, vgl. z. B. Schiltberger 1885: 9ff.: „Bajasid erobert Karaman. (1392)", 12f.: „Bajasid vertreibt den beherrscher von Siwas aus dem gebiet von Marsvani. (1395)", 14f.: „Bajasid erobert Dschanik. (1393)". 8 Eine Assimilation vermutet Ritter (1993: 191) auch bei Balthasar Sturmer, der als deutscher Sklave die Eroberung von Tunis im Jahr 1535 mit eigenen Augen erlebt. Die Kapitel 49 bis 59 (84-97) widmen sich der Religionsgeschichte, sie handeln u. a. von Mohammeds Leben und Wirken, den Religionsvorschriften, dem Fastengebot und den Moralgesetzen des Islam sowie dem mohammedanischen Urteil über die Christen. Von einer Polemik gegen Mohammed, wie sie Stefan Deeg (1992: 179) Schiltberger in seiner Biographie des Religionsstifters unterstellt, kann jedoch keine Rede sein. Das wird um so deutlicher, wenn man sie mit der Darstellung Bernhards von Breidenbach9 konfrontiert. Schiltberger mag im Vergleich zur Schilderung einer Episode aus Mohammeds Leben, wie sie in muslimischen Quellen dargeboten wird, zwar einige Details10 zugefügt haben, die der Leser der mittelalterlichen Tradition zufolge negativ auslegen kann, aber ob ein bewusster Angriff auf den Propheten von Schiltberger intendiert war, ist fraglich. Der Verfasser könnte die besagten Details vielmehr aus einer Vorlage kritiklos übernommen haben. Eine Polemik stünde auch im Widerspruch zu der ansonsten eher sachlichen Beschreibung mohammedanischer Riten und Bräuche, die sich jeglicher negativer Wertung entziehen. Kennzeichnend für Schiltbergers Vermittlung des Islam, der Mohammedaner und ihrer Sichtweisen ist die Übernahme der fremden' Perspektive, die sich in Formulierungen wie „als ich gehört han von den haiden" (84, 17) oder „das han ich nur von den haiden vernommen" (95, 1f.) kundtut. Es wäre falsch zu behaupten, dass für Schiltbergers Darstellung das Christentum die maßgebende Folie sei11. Wenn Schiltberger zum besseren Verständnis der Sachlage als neutralen Vergleich Deutungsmuster des Christentums heranzieht, dann geschieht dies in erster Linie um des besseren Verständnisses der fremden Religion willen und nicht aufgrund eines christlichen Superioritätsbewusstseins oder einer gezielten Herabsetzung des Islam und seiner Bräuche. In diesem Zusammenhang möchte ich zwei Beispiele aus der Beschreibung islamischer Religionsvorschriften anführen, der rituellen Waschung und der Begehung des Freitags: [...] und wann ainer mitt seinem leyb sündt, so tar er nicht in den tempell gen piß er sich überal an dem leyb wescht; und das thun sie in ainer solchen maynung, sam wir uns peichten, wann der haiden maynt wann er sich wasch, so sey er als reyn als ein Christ, der sich mit andacht und mitt rechter reu peicht ainem priester; [...] (86, 31-33 - 87, 1-3)12 Es ist auch zu mercken, das sie den freytag feyern als wir den suntag [...] (87, 31f.)13 Nach Jürgen Osterhammel (2001: 60) könnte man diese Art von Vergleich als symmetrischen Vergleich' bezeichnen, der ,gerechter' ist als der ,asymmetrische 9 Siehe unten. 10 Die mittellose Herkunft des Propheten soll auf seine geistige Armut hinweisen, die schwarze Wolke soll ein „drohendes Vorzeichen der blutrünstigen Gewaltherrschaft des Islam und der Unterdrückung des Christentums" bedeuten, die Bezugsetzung von Mohammeds tausendjähriger Herrschaft zur Apk. 20, 7-10 soll auf seine Verbindung zu Satan anspielen (Deeg 1992: 182). 11 Das behauptet Deeg (1992, 182) hinsichtlich Mohammeds Biographie. 12 Hervorhebungen von der Verf. 13 Hervorhebungen von der Verf. Vergleich'; denn „er zielt auf die gleichmäßige Erfassung beider Fälle, von denen keiner logisch oder normativ privilegiert wird." Im Vergleich zur generell positiven Darstellung der Mohammedaner und ihrer ethischen Grundsätze dringt in Schiltbergers Reisebericht an manchen Stellen sogar christliche Sittenkritik (Schiewer 1992: 169) durch. So wird beispielsweise anhand des Bartscherens das islamische Demutsgebot der Hoffart der Christen gegenübergestellt. Christen und Heiden bilden hier im Sinne von Reinhart Koselleck „asymmetrische Gegenbegriffe"14, wobei sich entgegen der spätmittelalterlichen Tradition die Heiden in „wertender Absicht" über die Christen erheben und nicht umgekehrt. Allerdings distanziert sich hier der Autor in gewisser Hinsicht von der Aussage über die moralische Unterlegenheit der Christen, indem er die Kritik in den Mund der Heiden legt: „Das thun die Cristen und dynen iren frauen domitt und ist ein grosse widerwärtigkaitt an den Cristen, das sie die gestalt vercheren, da sie Gott inn beschaffen hat." (91, 16-19) Schiltbergers neutrale, wenn nicht gar positive Darstellung der Muslime und ihrer Religion lässt sich nicht nur mit seiner mutmaßlichen Assimilation an die fremde Kultur erklären, die ihn vor einer existentiellen Bedrohung durch die ,Heiden' bewahrte. Ein anderer wichtiger Aspekt, den man bei der Konstruktion des Fremdenbildes beachten sollte, ist auch die Funktion des Werkes in einem konkreten Gebrauchszusammenhang (Wolf 1991: 207, 214). Wie oben angedeutet, war die Sammelhandschrift, in der Schiltbergers Reisebuch zu finden ist, für die Rezeption am herzoglichen Hof Albrechts III. gedacht, der u. a. vor allem an Sachinformationen über fremde Völker und Länder interessiert war (Wolf 1989: 106, Wolf 1992, 38). Schiltbergers Bericht sollte vornehmlich der Belehrung und der Unterhaltung dienen und nicht als Hetzkampagne gegen die Heiden fungieren. Einen ganz anderen Zweck verfolgte indes das militante Werk von Breidenbachs Pilgerfahrt ins Heilige Land, zu dessen weiter Verbreitung zweifellos die Illustrationen des Utrechter Malers Erhard Reuwich beitrugen.15 Der aus einem oberhessischen Adelsgeschlecht stammende Bernhard von Breidenbach, Kämmerer und späterer Dekan des Mainzer Doms, (Falk 1879: 48, Ganz-Blättler 1990, 78) begann seine Reise, die der üblichen Wallfahrtsroute folgte, im April 1483 in Begleitung des Grafen Johannes von Solms und des Ritters Philipp von Bicken. Im Januar 1484 kehrte er, allerdings ohne den Grafen, der in Ägypten der Ruhr zum Opfer gefallen war, nach Venedig zurück (Weinmayer 1982: 166ff.). Bernhard von Breidenbach gilt nicht als alleiniger Autor der Schrift. Seiner Selbstbenennung als „auctor principalis" in der lateinischen Version kann man entnehmen, dass noch andere Verfasser am Entstehen des Werkes beteiligt waren. Felix Fabri nennt in seinem Bericht den Mainzer Theologieprofessor und Dominikanermönch Martin Roth aus Pforzheim, der wenn nicht als Verfasser, dann zumindest als Bearbeiter einiger historisch-theologischer Kapitel und dreier rhetorisch 14 Zit. n. Münkler / Ladwig 1997: 18. 15 Der Aufstellung von Falk (1879: 104f.) zufolge erschienen in der Zeit von 1486 bis 1522 16 Editionen in sieben Sprachen. - Zur Beliebtheit und weiten Verbreitung des Werkes vgl. u. a. auch Moritz (1970: 70), Khattab (1982: 35f.) u. Ganz-Blättler (1990: 79). gefeilter Klagen angesehen werden kann.16 Dem Usus mittelalterlicher Pilgerschriften gemäß, enthält das vorliegende Buch nur wenige Angaben über die persönlichen Erlebnisse des Ich-Erzählers oder eigene Beobachtungen. Bei der Schilderung der fremden Völker und Länder wird vielmehr auf die theologische und zum Teil literarische Tradition zurückgegriffen. Es ist vor allem die Bibel, die als unantastbare Deutungsfolie bei der Beschreibung der heiligen Stätten verwendet wurde (Simon 1989: 175). Andere Quellen, die dem Werk zu Grunde liegen, sind vornehmlich die Schriften kirchlicher Autoritäten und Historiographen. Zu nennen wären u. a. Isidor von Sevilla, Burchardus de Monte Sion, Vincent de Beauvais, Jacques de Vitry, Hugues de Fleury, Petrus Alphonsus und Bartholomaeus von Luca. Nicht wenigen Passagen diente als Vorlage das Werk des Franziskaners Paul Walther von Guglingen, der zusammen mit Felix Fabri und Bernhard von Breidenbach von Jerusalem zum Katharinenkloster auf dem Sinai reiste und mit ihnen in die Heimat zurückkehrte (Moritz 1970: 81ff., Ganz-Blättler 1990: 78f.). Wie bei Schiltbergers Reisebericht, so handelt es sich auch beim vorliegenden Buch, das aus zwei Teilen besteht, um eine ,hybride Konstruktion' verschiedener literarischer Formen, „nämlich die des Städtelobs, des Itinerars, des Pilgerführers, des gerichtlichen Disputs, der Predigt, [...] der Historiographie und des Reisetagebuchs" (Zrenner 1981: 60). Nach einer Widmung (f. 2r-4r) an Breidenbachs Dienstherrn, den Mainzer Erzbischof Berthold von Henneberg, der als Gönner und Auftraggeber (Wolf 1989: 96, Wolf 1992: 35) der Schrift betrachtet wird, folgen das Inhaltsverzeichnis (f. 4r-6r) und das von Breidenbach wohl selbst verfasste Vorwort (f. 7r-10v). Nach dem eigentlichen Pilgerbericht nach Jerusalem (f. 11r-45r) stehen Kapitel mit geographischer Thematik (f. 45r-67v), denen sich ein Bericht über die „sytten gewonheyten vnyrtümen" (f. 67v) der Einwohner des Heiligen Landes (f. 67v-106r) und drei Klagen (f. 106r-113r) anschließen. Der erste Teil endet mit einer Vision Karls des Kahlen (f. 113r-114v). Der zweite Teil umfasst u. a. eine Vorrede (f. 117r-121r), den Bericht über die Reise von Jerusalem zum Katharinenkloster und die Rückfahrt über Ägypten nach Venedig (f. 121r-148v), eine Liste mit den Inseln von Venedig nach Rhodos (f. 149r-149v) und ein arabisch-deutsches Wörterverzeichnis (f. 150r-150v). Der Anhang enthält ein Vorwort (f. 151r), das die christlichen Herrscher zum Widerstand gegen die türkische Expansion ermahnt, und drei Berichte über den Verlust Konstantinopels (f.151r-153v), Nigroponts (f. 154r-156r) und Otrantos (f. 163v-164r), die das Ausmaß der Türkengefahr im Mittelmeer illustrieren sollen. Die Schilderung der erfolgreichen Abwehr der Eindringlinge auf Rhodos (f. 156v-163v) soll dagegen die Christenheit zum Kampf ermutigen (Zrenner 1981: 117, Wolf 1989, 96f.). Eine der schon im Vorwort des ersten Teils formulierten Intentionen des Werks ist die Befreiung des Heiligen Landes (Wolf 1989: 95): Züjungft begere ich eyns güthertzigen lefers • vnd bitte den allmechtigen got daz er allen Jyne waren glaubigen nit allein de weg zu difen landen öffenner mach funder auch ynen großer lieb vnd begird zu den JeIben yngyße • da mitt Jye ettwan wyder vmb vnd er geweilt vnd gebiet der 16 Zur Autorschaft vgl. u. a. Moritz (1970: 87) u. Weinmayer (1982: 168ff.). criftenheit komme • yme gott zu lob vnd zu eer allem criftenlichem volck Amen • (f. 10v) Wie sich diese Zielsetzung auf das im Werk präsentierte Bild des Islam und seiner Anhänger auswirkte, möchte ich im Folgenden skizzieren. Die für einen Machtkonflikt typische Ausgangsbasis bei der Beschreibung des Gegners ist, wie allgemein bekannt, die Dichotomisierung (Osterhammel 2001: 61). Bei der Gegenüberstellung von Christentum vs. Islam wird die Überlegenheit des christlichen Glaubens17 von vornherein als gegeben angesehen, er gilt als unantastbare Wahrheit, der gegenüber sich andere Religionen nur als verurteilungswürdige Irrtümer erweisen können. In der Vorrede zu den Sitten und Gebräuchen im Heiligen Land wird die moralische Superiorität klar zum Ausdruck gebracht: ZU lobe vnd ere vnferem eynigen waren criftenlichen glauben vnd der heiligen gemeynen Römfchen kyrchen • welche on mackel vnd runtzel eyn fchone fponfa oder brutt yrem crifto dem waren brutkemmer getrulichen belybet vereiniget • [...] • Aber zu fchande vnd lafter der vngleubigen hoffertigen vnnd verf top ften fcirrcicen die deß falfchen vn verfluchten machometi vngottlich vnd ytel gefatz ia fabel nachuolgende • (f. 68r)ls Um die vermeintliche Überlegenheit des Christentums zu demonstrieren, bedient sich der Autor der sog. ,invertierenden' Darstellung des Islam, der, vermischt mit dem jüdischen Glauben,19 als Abspaltung oder Derivat des Christentums erscheint und dadurch automatisch als eine verfälschte Variante der Offenbarung betrachtet wird.20 Gert Melville (1997: 83) spricht in solchen Fällen von einer „ideellen Hegemonisierung", die u. a. das Gefühl der Überlegenheit affirmiert. Im asymmetrischen Vergleich' werden die christlichen Gebote nicht nur als moralisch überlegen präsentiert, die islamischen Religionsvorschriften werden zusätzlich noch verzerrt. Als Beispiel sei die Bedeutung des Freitags für die Moslem erwähnt, der in Anspielung auf die Unterstellung der Lustbegierde mit dem ,Tag der Venus' in Zusammenhang gebracht wird: [Mohammed] auch gebotten hatt den fynen dazfie den tag veneris den wir frvtag nenen fölten fyren vnd eren zu ewigen zyten als dan die farraceni noch halten eben als wir den fontag • (f. 76r) Der Autor geizt nicht mit abfälligen Urteilen über den Islam und seine Anhänger. An kaum einer Stelle wird Mohammed nicht mit einem abschätzigen Namen etikettiert. Voller Hass sind insbesondere die Schilderungen der Türken, „die der römfchen kirchen 17 Die Überlegenheit des Christentums äußert sich auch im Brief Pius' II. an den türkischen Sultan Mechmed II. Vgl. Morrall 1985: 155f. 18 Hervorhebungen von der Verf. 19 Bernhard von Breidenbach 1486: f. 69v: ,,[...]doch lyfct man auch da- er [...] offt vnd dick mit juden vn criften gewandelet • vil von dem alten vn nuwen teftament von yrtert habe gelernet • vnd dar zu ein großer zauberer Jy gewe/en •" Vgl. auch f. 71v. 20 Vgl. Deeg 1992: 175f.: Inversion im Sinne von "Abwandlung oder Verkehrung des Eigenen" u. Melville 1997: 83. vnd den criften luthenfo offt vndick groffenSchaden zufügen" (f. 78r). Die Bedrohung durch die ,Fremden' führt zu einer Abwehrreaktion (Münkler/Ladwig 1997: 26, Zrenner 1981: 136, 146, Palm 1982: 171), die sich in der Anhäufung von Invektiven und Mängeln des Eindringlings manifestiert. Diese hat die Funktion ,Feindbilder' zu schaffen (Deeg 1992: 174), die zweierlei bezwecken: zum einen die Einigung (Münkler/ Ladwig 1997: 17) der einander bekämpfenden Christen (f. 112v), zum anderen die Rechtfertigung eines neuen Kreuzzugs (Wolf 1992: 35): Welchem allem nach ich all criftgleubig menfchen bytte vnd vermane durch das fyegfam crutz crifti das edel zeychen vnfer erlöfung • dazfie wyderfollich fchwere vynd gottes vnd alles gottes dienftß vnd criftenlicher er/amikeyt • fich felber wollen wappenen • befunder mit ynbrunftiger liebe deß glaubens • criftenliche fryheit vnnd heiltkeyt zu befchyrmen vn zu behalten • Darvmb erftlich vn anfenglich hyn legende alle zwytracht • krieg • vnfryd vnd vneynikeyt vmb criftus willen ye eyner dem andern nachlajfende als auch criftus vns allen hatt ncichgelcijfen vnd thut noch teglich damitt wir vereynet vnd deßhalb ftercker gemacht den vnfeligen turcken ja fathanä mitfampt aller fyner macht vnder vnfer fuß mögen bringen ja vertretten • (f. 153v) Diese Intention fügt sich auch in den Erwartungshorizont des Rezipientenkreises. Der Mainzer Erzbischof Berthold von Henneberg, dem das Werk gewidmet ist, setzte sich engagiert für die Einheit des Reiches ein, und Kaiser Maximilian I. (1493-1519), der wohl auch zur Leserschaft21 dieses repräsentativen Werkes gehörte, war einer der späten Verfechter des Kreuzzuggedankens (Atiya 1964: 107, Wolf 1989: 96f., Wolf 1992: 35). Ich komme nun zum Schluss meiner Ausführungen. Ob das erstellte Bild des ,Fremden' den ,wahren' Sachverhalt mitteilt, ist nicht von Bedeutung. Wichtig ist vielmehr, ob die Darstellung den Funktionen des Textes und den Rezeptionserwartungen in einem konkreten historischen Kontext entspricht. Einen beträchtlichen Einfluss auf die Vermittlung der fremden Kultur haben, wie man den behandelten Werken entnehmen kann, insbesondere die Machtkonstellationen zwischen den Trägern der ,eigenen' und denen der fremden' Kultur. Toleranz gegenüber dem ,Anderen' erscheint im wesentlichen nur dann möglich, wenn das Vordringen des ,Fremden' den eigenen Herrschaftsbereich nicht beeinträchtigt oder wenn, wie bei Hans Schiltberger, eine Assimilation an die fremde Kultur erfolgt ist. Der Kulturkonflikt ist letztlich nichts anderes als ein Machtkonflikt. Universität Ljubljana, Slowenien 21 1486 fuhr Bernhard von Breidenbach mit dem Kurfürsten, Erzbischof Berthold von Henneberg, nach Aachen, wo Maximilian zum römischen König gewählt wurde. Vgl. Strachan 1975: 25. QUELLEN UND FORSCHUNGSLITERATUR Bernhard von Breidenbach. Fan vbermerzu de heiligen grab vir/ers herren ihesu cristi gen Jerusalem,... Mainz: Erhard Reuwich 1486 (GW 5077). Schiltberger, Hans. Reisebuch. Nach der Nürnberger Handschrift hrsg. von Valentin Langmantel. Tübingen: Litterarischer Verein in Stuttgart 1885. Atiya, Aziz S. Kreuzfahrer und Kaufleute. Die Begegnung von Christentum und Islam. Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag 1964. 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