Markus Schmalzl1 NEW CHALLENGES FOR THE PRINCIPLE OF PROVENANCE IN THE DIGITAL WORLD? ABSTRACT Provenance has been accepted and adopted by most archives, as it allows research and interpre-tation of data in their genuine context of origin. However new types of inter- connected data ma-nagement systems used in science, administration and by govern- ment agencies can transcend the principle of provenance both vertically and horizontal- ly. Digital data pertaining to certain issues may be generated by several agencies and/or on different levels while being combined in a certain data management system. Archi- val science has to repsond to this new challenge. Keywords: provenance principle, archives, digital data, archival science NUOVE SFIDE PER IL PRINCIPIO DI PROVENIENZA NEL MONDO DIGITALE? SINTESI La provenienza è stata accettata e adottata dalla maggior parte degli archivi, in quan- to consente la ricerca e l’interpretazione dei dati nel loro vero contesto di origine. Tuttavia, nuovi tipi di sistemi di gestione dei dati interconnessi utilizzati nella scienza, nell’amministrazione e nelle agenzie governative possono trascendere il principio di provenienza sia in senso verticale che orizzonta-le. I dati digitali relativi a determinati problemi possono essere generati da diverse agenzie e / o a diversi livelli mentre ven- gono combinati in un particolare sistema di gestione dei dati. La scienza archivistica ha la risposta a questa nuova sfida. Parole chiave: principio di provenienza, archivi, dati digitali, scienza archivistica NOVI IZZIVI GLEDE NAČELA PROVENIENCE V DIGITALNEM SVETU? IZVLEČEK Načelo provenience je sprejela večina arhivov, saj omogoča raziskovanje in interpreta- cijo podat-kov v pristnem kontekstu izvora. Vendar nove vrste medsebojno povezanih sistemov za upravl-janje podatkov, ki se uporabljajo v znanosti, upravi in vladnih agen- cijah, lahko presežejo načelo porekla tako navpično kot vodoravno. Digitalne podatke v zvezi z določenimi vprašanji lahko ustvari več agencij in/ali na različnih ravneh, med- tem ko se združijo v določenem sistemu za upravljanje podatkov. Arhivska znanost se mora odzvati na nov izziv. Ključne besede: načelo provenience, arhivi, digitalni podatki, arhivska znanost 1 Dr. Markus Schmalzl, Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns, Archivoberrat, Schönfeldstr. 5, 80539 München, Deutschland, email: markus.schmalzl@gda.bayern.de 125NEW CHALLENGES FOR THE PRINCIPLE OF PROVENANCE IN THE DIGITAL WORLD? Dr. Markus Schmalzl NEUE HERAUSFORDERUNGEN FÜR DAS PROVENIENZPRINZIP IM DIGITALEN RAUM? ABSTRACT Das Provenienzprinzip wilt als das Grundprinzip der Archivwissenschaft und wird von Archi-var*innen angewandt und akzeptiert. Allerdings stellen neue Arten von Daten- banken und Da-tenmanagementsystem mit einem hohen Grad von Datenvernetzung, die in Wissenschaft, Ver-waltung und bei Regierungsbehörden im Einsatz sind unser Verständnis von Provenienz und dessen künftige praktische Umsetzbarkeit im Archivbe- trieb in Frage. Denn digitale Teilinforma-tionen, die bei verschiedenen Abgabestellen entstanden sind, werden virtuell zu neuen Kontex-ten kombiniert. Die Archivwissen- schaft muss diese neue Herausforderung annehmen und sich vor diesem Hintergrund erneut mit dem Provenienzprinzip beschäftigen. Stichwörter: Herkunftsprinzip, Archive, digitale Daten, Archivwissenschaft Im gesamtgesellschaftlichen Diskurs der letzten beiden Jahrzehnte gewann der schil- lernde Be-griff der „Digitalisierung“ und die damit einhergehenden möglichen Impli- kationen für alle Fa-cetten der Arbeits- und Lebenswelten international und auch in Deutschland an großer Bedeu-tung. Auch die Archive widmeten sich in diesem Zeit- raum dem Thema, freilich aus einer be-rufsspezifischen Perspektive. In besonderem Maße gilt dies für die klassischen Archive, die als Behörden in die Digitalisierungsstra- tegien auf Ebene der Bundes-, Landes- und Kommunalver-waltung einbezogen sind. Dabei gilt es nicht nur die eigenen Geschäftsprozesse im Sinne des eGovernments mit Hilfe von DMS/VBS und modernen Archivinformationssystemen in die digitale Welt zu überführen und durch Tools und elektronische Fachanwendungen für die ver-schie- denen archivischen Arbeitsbereiche zu unterstützen. Vielmehr sind auch die Archive nach Maßgabe der in den letzten Jahren auf Ebene des Bundes und der Länder ver- abschiedeten eGovernment-Gesetze und Onlinezugangsgesetze gehalten, ihren Nut- zer*innen ihre Dienstleis-tungen auf elektronischem Wege und über entsprechende Onlineportale zur Verfügung zu stel-len. (EGovG, 2013) Dies korreliert mit schon seit längerem von Seiten der Wissenschaft geäu-ßerten Forderungen, Forschungsdaten über das Internet zugänglich zu machen. D.h. Archivali-en und die zugehörigen Er- schließungsinformationen sollen als archivische Regelaufgabe in möglichst umfas- sender Weise und orientiert am Nutzerinteresse online einsehbar, recherchierbar und auswertbar gemacht werden. (Hollman, 2017) Nutzer*innen sollen zudem die Mög- lichkeit haben, hochauflösende Reproduktionen oder Originale zur Vorlage im Lese- saal on demand auf elektronischem Wege zu bestellen und für ihre Bedürfnisse auch die Beratungsleistungen der Facharchivar*innen in Anspruch nehmen können. Die 2019 gestartete Initiative zum Aufbau einer Nationalen Forschungsdateninfrastruk- tur wird in den kommenden Jahren den Druck ar-chivische Forschungsdaten online bereitzustellen und diese in verschiedenen Kontexten ver-knüpfen, auswerten und weiter verarbeiten zu können, deutlich erhöhen. 126 NEW CHALLENGES FOR THE PRINCIPLE OF PROVENANCE IN THE DIGITAL WORLD? Dr. Markus Schmalzl Aber auch jenseits der Bereitstellung von Digitalisaten analoger Informationen und zu- gehöriger Metadaten sind die Archive in zunehmendem Maße mit den Errungenschaf- ten der Digitalen Wende konfrontiert. Gilt es doch Informationen, die bei den Abgabe- stellen teilweise oder voll-ständig nur mehr elektronisch entstanden sind und nun zur Löschung anstehen zu bewerten, zu übernehmen, dauerhaft aufzubewahren und les- bar zu halten sowie sie für die verschiedenen Nutzungszwecke verfügbar zu machen. Die Notwendigkeit sich mit dieser Thematik zu be-schäftigen bestand für die Archive natürlich bereits schon sehr viel länger. Gerade in der Sozial-, Arbeits-, Finanz- und Landwirtschaftsverwaltung sowie in der behördlichen Statistik entstan-den bereits seit den 1950er Jahren umfangreiche Daten in Großrechnersystemen. Mit dem Ein-satz zunächst einzelner Rechner auf Abteilungsebene begann Mitte der 1970er Jahre die Di- gita-lisierung der Schriftgutverwaltung der öffentlichen Verwaltung in der Breite, die Mitte der 1990er Jahre mit der weitgehend flächendeckenden Versorgung und Vernet- zung der Sachbear-beiterarbeitsplätze ihren Abschluss erreichte. (Mechlich, 2002) Mit grundsätzlich archivwürdige Informationen, die nicht mehr papiergebunden, sondern nur mehr auf elektronischen Datenträ-gern gespeichert wurden, sahen sich die Archive in Deutschland also bereits seit Jahrzehnten konfrontiert, auch wenn ihnen diese Daten nicht oder nur selten im Rahmen üblicher Aussonde-rungen angeboten wurden. Seit vielen Jahren sind deshalb elektronische Informationen und die Herausforde- rungen, die sich bei ihrer Archivierung stellen, wichtiges Thema archivwissenschaft- licher Tagungen in Deutschland. Alleine die 20 Archivwissenschaftlichen Kolloquien, die die Archivschule Mar-burg zwischen 1994 und 2019 veranstaltete, beleuchteten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, stets dieses Thema in mindestens einem Teil der Beiträge.2 Ähnliches gilt für die Tagesordnun-gen der Deutschen Archivtage und der jährlichen regionalen Tagungen der Archivcommunity in den letzten beiden Jahr- zehnten, wie etwa des Bayerischen Archivtages.3 Auch hier spielte die Archivierung elektronischer Informationen eine gewichtige Rolle. Dabei wurden in verdienst-vol- ler Art und Weise Veränderungsprozesse im records management der Abgabestellen be-schrieben, Einzellösungen für die Archivierung bestimmter Unterlagengruppen, neue Anforde-rungen an die Bereitstellung von Informationen im Rahmen der Archiv- benützung – zusammen-gefasst also – insbesondere best practices für die Bewälti- gung der mit dem digitalen Wandel einhergehenden Herausforderungen vorgestellt. Eine grundlegende Diskussion zentraler Begrifflichkeiten und die Prüfung, inwieweit diese an-gesichts der mit dem Medienwechsel einhergehenden fundamentalen Ver- änderungen ihre Gül-tigkeit behielten, blieben jedoch weitgehend aus.4 Deutlich wird dies etwa am Provenienzprin-zip. Seit seiner Durchsetzung im deutschsprachi- gen Raum am Ende des 19. Jahrhunderts5 hat sich die Provenienz zur essentiellen Richtschnur für die Ordnung von Informationen in klassi-schen Archiven, zum „Grund- 2 vgl. https://www.archivschule.de/DE/forschung/archivwissenschaftliche-kolloquien (zuletzt abge- rufen: 18.07.2019) 3 Vgl. die Tagungsdokumentation die für die Deutschen Archivtage seit 1994 als Beibände zum Archivar erschei-nen zuletzt VdA - Verband deutscher Archivarinnen und Archivare (Hg.), Massenakten – Massen- daten. Rationa-lisierung und Automatisierung im Archiv. 87. Deutscher Archivtag in Wolfsburg (= Ta- gungsdokumentationen zum Deutschen Archivtag, Band 22), Fulda 2018. 4 Vgl. als erfreuliches Gegenbeispiel die Tagungsbeiträge zum Fachgespräch Archive in Zeiten digitaler Transfor-mation der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns vom 22.11.2018, in: Archivalische Zeitschrift 97 (2020), in press. 5 Zur Durchsetzung des Provenienzprinzips im Laufe des 19. Jahrhunderts, vgl. Bodo Uhl, Die Bedeutung des Provenienzprinzips für Archivwissenschaft und Geschichtsforschung, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 61 (1998) S.97-121, hier S. 98-107. 127NEW CHALLENGES FOR THE PRINCIPLE OF PROVENANCE IN THE DIGITAL WORLD? Dr. Markus Schmalzl gesetz des Denkens und Leitprinzip des Handelns“ (Leidel, 2004) der Archivar*innen entwickelt. Generationen von Kolleg*Innen haben sich v.a. in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert bei den staatlichen Archiven in Deutschland mit der Analyse und pro- venienzreinen Wiederherstellung ehemaliger Pertinenzbestände beschäftigt. Noch bis wenige Jahrzehnte zuvor waren die Urkunden und Akten von Klöstern, Ämtern und Herrschaftsträgern des Mittelalters und des Alten Reichs nach Orts-, Sach- und Personenbetreffen geordnet wor-den, um deren Auffindbarkeit und Benützung zu er- leichtern. Nun erfolgte die auch bis heute nur für wenige Bereiche abgeschlossene, bei vielen Landesarchiven in Deutschland bereits aufgege-bene Rückordnung von Einzeldokumenten in ihren Entstehungskontext. Die auf Papier oder Pergament ge- bundenen Informationen sollen in den Archiven möglichst so vorliegen, wie sie in den Amtsstuben komponiert wurden. Dem lag die Erkenntnis zugrunde, dass nur aus der Zu-sammenschau aller zu einem Sachverhalt bei einer Stelle erwachsenen Inhalte der ursprüngliche Entstehungszweck, die „Gezieltheit“ (Leidel, 1992) der Informati- on sowie die einzelnen Schritte des Geschäftsgangs der Verwaltung nachvollziehbar sind. Damit bietet die monohierarchische Zuordnung der Informationen zu ihrem Ur- sprungs- und Bearbeitungskontext bei einem Prove-nienzbildner ein eindeutiges Kri- terium für die Recherche. Bei Zugrundelegung des Registratur-prinzips besteht damit eine logische Verbindung zwischen der Entstehung der Information in der Registra- tur zum heutigen Archivbestand, der über entsprechende verwaltungsgeschichtliche Kenntnisse eindeutig ermittelt werden kann. V.a. aber bietet das Provenienzprinzip die Grundla-ge für einen Mehrwert an wissenschaftlicher Erkenntnis. Die Wiederher- stellung einst nach Per-tinenzen verunordneter Informationen zu provenienzreinen Beständen kann damit zweifellos als historische Grundlagenforschung sui generis be- zeichnet werden. Es mag deshalb nicht verwundern, dass kaum eine Archivar*in an der grundsätzlichen Bedeu-tung des Provenienzprinzips als Erschließung und- Ordnungskriterium zur Bestandsbildung zweifeln würde. Kritik wurde lediglich hinsichtlich der behörden- geschichtlichen Vorkenntnisse geäußert, die für Recherchen bei einer Ordnung archi- vischer Informationen nach Provenienzen notwendig sind. (Beck, 2005) Als Ordnungs- prinzip hat die Provienienz dagegen seine Stellung bis heute bewahrt. Der Einstellung der Arbeiten zur Analyse und Rückordnung der Altbestände lagen folgerichtig keine grundsätzlichen Bedenken an der Sinnhaftigkeit und dem Nutzen des Provenienz- prinzips zugrunde, sondern vielmehr ökonomische Zwänge und Priorisierungen an- gesichts schwindender oder stagnierender Personalstände. Für die Beständeformie- rung aktu-eller Behördenabgaben scheint seine Anwendung schon aus Gründen der Arbeitsökonomie alternativlos. Mit der zunehmenden Digitalisierung der öffentlichen Verwaltungsprozesse stellt sich aller-dings die Frage, inwieweit eine monohierarchische Zuordnung der Infor- mationen zu einem Provenienzbildner noch geeignet ist, die Verwaltungswirklich- keit abzubilden und den oben skizzierten Mehrwert für künftige Forschungen auch zu realisieren. Elektronische Fachverfah-ren, die heute in vielen Bereichen der öf- fentlichen Verwaltung zum Einsatz kommen, werden verstärkt zu Verbundsystemen ausgebaut. Die den Systemen zugrundeliegenden Datenbanken erlauben behörden- übergreifende Rückgriffe und Auswertungen gemeinsamer Datenpools. In Bayern etwa sind Systeme dieser Art jeweils für den ganzen Verwaltungszweig bei der Le- bens- und Futtermittelüberwachung oder der Gewerbeaufsicht im Einsatz. In der Ar- beits- und Fi-nanzverwaltung sowie bei den Sicherheitsbehörden aber auch z.B. bei auf den ersten Blick we-niger naheliegenden Bereichen wie etwa der Ausstellung von Pflanzengesundheitszeugnissen für den Im- und Export hat die gemeinsame Daten- 128 NEW CHALLENGES FOR THE PRINCIPLE OF PROVENANCE IN THE DIGITAL WORLD? Dr. Markus Schmalzl haltung auch die Landesebene bereits längst verlassen. Vielmehr werden die im Zuge der Erledigung der Verwaltungsaufgaben entstehenden Informationen bundesweit bei einer beauftragten Stelle gehostet, wobei die Verantwortung für die Pflege der Einzelinformationen bis zu ihrer Löschung über eine differenzierte Verwaltung der Zugriffsrechte meist bei der einspeichernden Stelle verbleibt. Die Informationen las- sen sich zudem meist dem jeweiligen Einzelfall, etwa dem kontrollierten Betrieb, dem Antragsteller oder Ermittlungsfall zuordnen. Auf den ersten Blick scheint damit weiterhin eine Archivierung der Daten nach dem bewährten Gleichklang von Fallbe- arbeitung und Provenienzbildner plausibel. Allerdings ermöglicht die gemeinsame Datenhaltung auch eine differenzierte Rege- lung von Zu-ständigkeiten und Arbeitsprozessen. So sind etwa in Bayern zwar grund- sätzlich die Gewerbe-aufsichtsämter bei den Bezirksregierungen für die Betriebe im jeweiligen Regierungsbezirk zu-ständig. Für einzelne Sonderbereiche, wie dem On- linehandel von Chemikalien ist aber für ganz Bayern die Regierung von Unterfranken verantwortlich. Eine monohierarchische Zuordnung der Daten im Archiv zum jeweils verantwortlichen Provenienzbildner führt damit zu einer zu-nehmenden Zersplitte- rung in Teilinformationen. Noch deutlicher wird diese Problematik bei sogenannten bundesweiten Wissensnetzen und Verbunddateien, bei denen jeweils Einzelinfor-ma- tionen, d.h. im Extremfall Inhalte einzelner Datenfelder, der Datenverantwortung verschiede-ner Abgabestellen unterliegen. Für die Bewertung und Übernahme die- ser Splitterinformationen sind in Deutschland die jeweiligen Landesarchive bzw. das Bundesarchiv zuständig, in dessen Sprengel die jeweilige Behörde fällt. Dort wäre der Einzeldatensatz dann dem entsprechenden Provenienzbildner zuzuordnen. Die Folge wäre eine völlige Fragmentierung der zur Bearbei-tung eines Sachverhalts, also in „funktionalem Anfall“ (Zimmermann,1966), virtuell zusam-mengeführten Informa- tionen und damit ein Verlust des gemeinsamen Entstehungskontextes. Die Möglich- keiten die „Realität des Registraturbildners“ (Leidel, 1992:266) nachzuvollziehen und wie durch die Anwendung des Provenienzprinzips intendiert, mit der „Realität des darge-stellten Welt“ (Leidel, 1992:266) zusammenzuführen, lösen sich damit weitge- hend auf. Die Al-ternative wird künftig freilich die Archivierung der Daten auf über- geordneter Ebene einer Sup-raprovenienz sein, was allerdings dem föderalen Aufbau der staatlichen Archivverwaltungen in Deutschland zuwiderliefe und bei anhaltender Zentralisierungstendenzen zu einem Schwinden der Überlieferung in den Landesar- chiven und resp. der Regionalarchive in den Ländern führen wird. Was aber tun, wenn nicht nur die Entstehungsbezüge der Einzelinformationen untereinan-der dem her- kömmlichen Verständnis von Provenienz zuwiderlaufen, sondern die Verbindung der Information zu einem klar zu bestimmenden Registraturbildner sich noch weiter ent- koppelt? In der bayerischen Landwirtschaftsverwaltung ist bereits ein Fachverfahren im Einsatz, bei dem eingehende Förderanträge bereits ohne Mitwirkung eines Sach- bearbeiters von einer KI beschie-den werden. Weitere werden sicherlich bald folgen. Auch die bloße Identifikation der für die Entstehung von Informationen zuständigen Stellen, also der Produzenten der abzubildenden Geschäftstätigkeiten wird sich da- durch weiter erschweren. In vielen Fällen dürften dann die Verfahrenspflegestellen als postulierte Provenienzbildner sekundieren müssen. Sofern das Provenienzprinzip weiterhin die entscheidende Richtschnur für ihr Han- deln und Denken bilden soll, werden sich die Archivar*innen künftig intensiver mit dessen Bedeutung, Gültigkeit und Anwendbarkeit unter den Bedingungen einer im- mer stärker vernetzten und virtu-ellen Behördenwirklichkeit beschäftigen müssen. Auf internationaler Ebene wurde bereits 2001 von verschiedenen Kollegen ein Ver- 129NEW CHALLENGES FOR THE PRINCIPLE OF PROVENANCE IN THE DIGITAL WORLD? Dr. Markus Schmalzl ständnis von Provenienz diskutiert, dass verschiedene Kon-texte berücksichtigt.6 Mit dem von internationalen Archivrat anerkannten Erschließungsstandard ISAAR (CPF) wurde die Möglichkeit der polyhierarchischen Beschreibung einzelner Archiva-lien gegeben, indem Inhalt und Kontext getrennt voneinander beschrieben werden kön- nen.7 In den folgenden Jahren wurde mit den Standards ISDF und ISDIAH auch auf eine gesonderte Beschreibung von Funktionen ausgedehnt.8 Inwieweit damit auch die grundsätzlichen Werk-zeuge bereitstehen, elektronische Archivalien mit Teildaten verschiedener Abgabestellen im Ent-stehungskontext hinreichend zu beschreiben und losgelöst vom jeweiligen Inhalt miteinander in Verbindung zu setzen, bleibt zu prüfen. Von Seiten der deutschen Archivar*innen wurden diese Entwicklungen aber bislang kaum rezipiert und dringen erst langsam in die Archivwissenschaft vor.9 Ange- sichts der komplexen Datenstrukturen und Entstehungskontexte der Informationen, die bereits heute zur Archivierung anstehen, ist es höchste Zeit diese Herausforderun- gen zu reflektieren. REFERENCES Beck, S. (2005). Möglichkeiten benutzerorientierter Erschließung in Archiven. Diplo- marbeit an der Fachhochschule Potsdam, Potsdam 2005 (https://www.augias. net/doc/Beck_FHP2005.pdf, zuletzt abgerufen 12.07.2019). Cook T./ Schwartz J. (2002). Archives, Records an Power: The Making of Modern Memory, in: Archival Science 2 (2002), S. 1-19. Hollmann, M. (2017). Archivgut im Zeitalter seiner digitalen Verfügbarkeit. AZ 95 (2017), pp. 9-26. Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns, Tagungsbeiträge zum Fachgespräch Archi-ve in Zeiten digitaler Transformation der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns vom 22.11.2018. Archivalische Zeitschrift 97 (2020), in press. ICA - International Council on Archives, ISAAR (CPF): International Standard Archival Au-thority Record for Corporate Bodies, Persons and Families, 2nd Edition https:// www.ica.org/en/isaar-cpf-international-standard-archival-authority-record-cor- porate-bodies-persons-and-families-2nd (zuletzt abgerufen: 18.07.2019). ICA - International Council on Archives, ISDF: International Standard for Describing Func- tions https://www.ica.org/en/isdf-international-standard-describing-functions (zuletzt abgerufen: 18.07.2019). 6 Vgl. Eric Ketelaar, Tacit Narratives. The Meanings of Archives, in: Archival Science 1 (2001), S. 131-141 so-wie Terry Cook, / Joan M. Schwartz, Archives, Records an Power: The Making of Modern Memory, in: Archi-val Science 2 (2002), S. 1-19. 7 Vgl. ISAAR (CPF): International Standard Archival Authority Record for Corporate Bodies, Persons and Fami-lies, 2nd Edition https://www.ica.org/en/isaar-cpf-international-standard-archival-authori- ty-record-corporate-bodies-persons-and-families-2nd (zuletzt abgerufen: 18.07.2019) 8 Vgl. ISDF: International Standard for Describing Functions https://www.ica.org/en/isdf-internation- al-standard-describing-functions sowie ISDIAH: International Standard for Describing Institutions with Archival Holdings https://www.ica.org/en/isdiah-international-standard-describing-institutions-ar- chival-holdings (zuletzt abgerufen: 18.07.2019). 9 Ausnahmen bilden der Beitrag von Karsten Kühnel auf dem 85. Deutschen Archivtag in Karlsruhe, vgl. Karsten Kühnel, Funktionen als Räume für institutionelle Episoden – Normdateien nach ISDF, in: VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V., Transformation ins Digitale. 85. Deutscher Ar- chivtag in Karlsruhe, Fulda 2017 sowie der kurze Abschnitt in der archivwissenschaftlichen Arbeit von Christian Keitel, Zwölf Wege ins Archiv. Umrisse einer offenen und praktischen Archivwissenschaft, Stuttgart 2018, S. 183-185. 130 NEW CHALLENGES FOR THE PRINCIPLE OF PROVENANCE IN THE DIGITAL WORLD? Dr. Markus Schmalzl ICA - International Council on Archives, ISDIAH: International Standard for Describing Insti-tutions with Archival Holdings https://www.ica.org/en/isdiah-interna- tional-standard-describing-institutions-archival-holdings (zuletzt abgerufen: 18.07.2019). Christian Keitel, Zwölf Wege ins Archiv. Umrisse einer offenen und praktischen Ar- chivwissen-schaft, Stuttgart 2018. Ketelaar E. (2001). Tacit Narratives. The Meanings of Archives. Archival Science 1, pp. 131-141. Kühnel, K. (2017). Funktionen als Räume für institutionelle Episoden – Normdateien nach ISDF, in: VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V., Transfor- mation ins Digitale. 85. Deutscher Archivtag in Karlsruhe, Fulda 2017, pp. 135-152. Leidel, G. (2004). Über die Prinzipien der Herkunft und des Zusammenhangs von Archiv- gut,. Archivalische Zeitschrift 86. pp. 91-130. Leidel, G. (1992). Entstehung, Verwahrung und Erschließung des Archivguts, in: Rum- schöttel, Hermann/Stahleder, Erich (Hg.), Bewahren und Umgestalten. Aus der Ar- beit der Staatlichen Archive Bayerns. Walter Jaroschka zum 60. Geburtstag (=Mit- teilungen für die Archivpflege, Sonderheft 9), München 1992, pp. 253-274. Mehlich, H. (2002). Electronic Government. Die elektronische Verwaltungsreform Grun- dlagen – Entwicklungsstand – Zukunftsperspektiven, Wiesbaden. https://www. archivschule.de/DE/forschung/archivwissenschaftliche-kolloquien (zuletzt abge- ru-fen: 18.07.2019). Uhl, b. (1998). Die Bedeutung des Provenienzprinzips für Archivwissenschaft und Geschichts-forschung. Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 61 (1998), pp. 97-121. 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This prin-ciple has been accepted and adopted by most archives, as it allows research and interpretation of data in their genuine context of or- igin. However new types of interconnected data management systems used in science, administration and by government agencies can transcend the principle of provenance both vertically and horizontally. Digital data pertaining to certain issues may be gener- ated by several agencies and/or on different levels while being combined in a certain data management system. This precludes a straightforward, monohierarchical identi- fication of any one particular generator of data as provided by the principle of prove- nance and poses multiple questions, i.e. whether it is possible and expedient to attrib- ute data thus generated to any one of the generators or a superordinate generating agency. While on the one hand this might solve the administrative (and political) ques- tion which archive should be responsible for the data thus attributed, this could lead to a fragmentation of data and, in a German federal context, might diminish the data stored and accessible through non-central federal archives. Moreover, while research might benefit from clearly attributed sets of data from these management systems, open disclosure of the diverse generating agencies is also necessary in a kind of reverse application of the principle of provenance. Responding to this new challenge posed by digital data systems, the international council of archives (internationaler Archivrat) has already implemented a mode of separate specification of content and context with the ISAAR (CPF) standard, while ISDF and IS-DIAH standards are projected to provide speci- fication of functions as well. Whether these standards will enable archives to properly describe, analyze and attribute digital data from diverse generators remains to be seen. Acceptance date: 11.08.2019 Typology: 1.02 Review Article 132 NEW CHALLENGES FOR THE PRINCIPLE OF PROVENANCE IN THE DIGITAL WORLD? Dr. Markus Schmalzl