Das Felsenschloss Lneg III Innerkrain. .iE Das ^elsenschloß Lues. Felsenschloss Lneg iir Innerkram. Nebst der Geschichte des Erasmus Lueger. Aus Dr. Franz S artori's »Pantheon denk¬ würdiger Wunderthaten volksthümlicher Heroen" rc. i. Land.) gedruckt bei Joseph Ltasnir. M--/ orw ort. /^llcn Freunde» vaterländischer Natnrschönheiten, wel¬ che das Fesenschloß Lu eg besuche» wollen, glaube ich diesen Wegweiser empfehlen zu können. In Jnnerkrain ün adelsberger Kreise, >v Meilen von der Hauptstadt Laibach, r Meile von der Kreis¬ stadt Adclsberg, und 8 Meilen von der Handels¬ stadt Triest entfernt, liegt Lu eg. Nachdem man von Adelsberg eine halbe Meile gefahren ist, verläßt man ob Dielze die triester Com- mcrcialstrasse, und fährt dann rechts über das Dorf Landoll, Lueg zu, welches man nicht früher erblickt, als bis man an den Rand des Schmidberges kommt. Beim imposanten Anblicke dieses alten Felsenschloßes, welches in einer riesenhaften Felsenhöhle erbaut, von mächtigen, himmelanstrebenden Urgranit überdeckt, sich dem staunenden Auge darstellt, wird jeder Fremde überrascht. Hinsichtlich der Bewirthung und Besichtigung alles Merkwürdigen des neuen und alten Schlosses, der Tropfsteingrotten w. ist bestens gesorgt, kein Fremder VI wird ohne Genuß das schauerlich schöne Lu eg ver¬ lassen, und mit geringen Unkosten die Naturschönheiten zu bewundern Gelegenheit haben, welche selbst vielen Krainer» noch ganz sremd sind. Der Städter, welchen seine Geschäfte zwischen den Mauern zurückhaltcn, wird durch eine kleine Reise von einigen 2 oder 3 Tagen Erholung und Aufheiterung finden, wenn er sich die kurze Zeit nimmt, um die Natnrmerkwürdigkeiten seines schönen Vaterlandes an Ort und Stelle kennen zu ler¬ nen, was Jedem eine angenehme für die Gesundheit ebenfalls zuträgliche Unterhaltung verschaffen wird. Jenen Naturfreunden, welche eine Fußreise machen wollen, erlaube ich mir auf eine weniger bekannte Ge¬ gend und den Weg aufmerksam zu machen, welcher der kürzeste, und auf welchem man das meiste Schcns- würdige von Jnnerkrain besuchen könnte. Von Laibach fährt man nach dem Laibachflnsse bis zum Orte Podpetsch, vom Marga aus iu '/2 Meile Weges gelangt mau durch ein schönes Thal nach Franzdorf, (mreoulli^a) daselbst miethet man sich Saumpferde, dafür bezahlt jede Person r fl.; von hieran erreicht man die Höhe in */4 Meile, im Rücken des Krimberges, wo die kleine Anstrengung sich genü¬ gend lohnt, mit der herrlichen Fernsicht sowohl nach dem schöne» Franzdorfthale, wie auch über den Laiba¬ cher Moor bis nach de» Hochgebirge» von Kärnten und Steiermark. VH Nachdem man hier in etwas geruht, gelangt man stets auf der Hochebene die Reise fortsetzcnd, durch eine wild romantische Gegend in i */? Meile in den Markt Zirknitz, welcher aus 2^0 Häusern besteht, und in einer sehr reizend angenehmen Gegend liegt, dortselbst findet jeder Fremde eine prompte Bedienung und gute Kost, so wie auch auf Verlangen einen Führer, um nach Seedorf, dem Zirknitzer See, der unweit da¬ von befindlichen merkwürdigen Grotte St. Canzian, und nach der im Berge Javornig liegenden, dem Herrn Sigmund von Pagliarucci gehörigen Glasfabrik zu gelangen. Von Zirknitz über die Ortschaften Rakek und M a unitz, dann Maunitzerwald kommt man nach einem zurückgelegten Wege von r */2 Meile in die Kreisstadt Adelsberg, allwo unweit davon sich die berühmte adelsberger Grotte befindet, von wo aus man nach einem Fußsteige über die Ortschaften Großottok und S a g 0 n in einer Meile L n e g erreicht. Wenn man Adelsberg nicht paßieren will, so kann man von dem Orte Maunitz aus in 1 Meile nach Planina gelangen, dortselbst die Ruine von Klein Häusel, die unweit davon befindliche maje¬ stätische Planiner Grotte und das schöne Mühlthal be¬ sichtigen, welch' alles eine angenehme Rückerinnerung verschaffen wird. Von dem Markte Planina ge¬ langt man nach einem Fußsteige in einer Meile über die Ortschaften K a lt e n sc l d , W e l s ku nach L ueg. VIII Um dem Wunsche mehrerer das Schloß L u e g be¬ suchenden Fremden (wo auch ein Fremdenbuch vorliegt) zu entsprechen, um die Geschichte des merkwürdigen Helden der Vorzeit Erasmus Lueger im Werkchen zn besitzen, lege ich Nachstehendes als Auszug aus v--. Fr. S a rtory's »Pantheon denkwürdiger Wunder- thatcn volkstümlicher Heroen-- rc. i. Band vor. Lueg am I Jänner L84L Der Herausgeber HjAjcht fern von den Küsten des adriatischen Meeres liegt ein Gebirgsland, merkwürdig durch seine Ge¬ schichte, merkwürdiger noch durch Boden, Clima, phy¬ sische Beschaffenheit, und vor allem durch die Seltsam¬ keit seines Thier-, Pflanzen- und Steinreiches. Obschon sich das Land im Ganzen merklich zudem wärmern Clima des nachbarlichen Italien neigt, so ent¬ deckt das forschende Auge doch Alpengipfel und Berge, die hoch über die andern Gebirge hervorragend, den nachbarlich-befreundeten Gebirgen in den nahegelegenen Alpcnläuderu nichts nachgeben. Während hier Rhodo¬ dendron , Alpenrosen, Gentianen, Speik und Alpen- nelkcn in der belebenden Frische höherer Regionen lieb¬ lich-duftend athmen, Wohlgerüche verbreitend, den mühevollen Bergsteiger erquickend, wuchern in den süd¬ lichen Gegenden die Pfirsiche, Äpfel, Birnen, Pflau¬ men, der Weinstock, der Lorbcrbaum und tausend an¬ dere Früchte milderer Himmelsstriche. Aber merkwürdiger ist das Steinreich/ merkwür¬ diger das Pflanzenreich,?) noch merkwürdiger das Thier¬ reich, das selbstThiere') enthält, die kein Linnö noch bestimintund gereihet, keinBlumenbach beschrieben hat. Und wenn ich erst von den Naturwundern des ge¬ bahnten Loibels, von den schrecklichen Orkanen des Karstes, von der Seltsamkeit des Zirknitzer Sees/) 1) Siehe Hacgucts Reisen, vor allem das Ouccksilberbergwerk in Zdria. 2) Seo boli' s und Host'S Werke sind bekannt genug. s) Den problematischen kroleuv nnguinug, von dem in meinen Natur¬ wundern, 3 Thcil S. 6o, Erwähnung geschieht. 4) Siehe Steinsberg über den Zirknitzer See. 10 auf dem man in einem Jahre ackern, säen, fischen und ernten kann, von den außerordentlichen Gebilden der Berge und Hohlen, Klüfte, Flüsse und Seen spre¬ chen sollte, o wie viele Gegenstände des Verstandes und der Phantasie, wie vieles Große und Außerordent¬ liche, das die Natur auf einen Flächenranm von 253 Quadratmeilen verschwenderisch aufgehäuft hat. Nur die adelsberger- und Magdalena-Grotte kann ich nicht übergehen, da die Dichtcrhand eines unserer gewandte¬ sten und kenntnißreichsten Gelehrten, des Orientalers Edlen von Hammer/) meines verehrten Landsman¬ nes, sie so anziehend geschildert hat. »Um Mitternacht kamen wir in Adelsberg an. Wir schliefen wenig; schon in der Frühe eilten wir, längs dem Fuße eines unfruchtbaren Gebirges zu der ersten Grotte, die nahe am Flecken liegt. Auf dem Berge neben uns stehen die Trümmer des alten Schlos¬ ses von Adelsberg. Ein langer herabgerollter Schutt¬ haufe zeichnet die Straße hinan. Zerschütterte Gewöl¬ be drohen einznstürzcn; alles zeigt ein Bild der Ver¬ wüstung. Noch vorgestern hat ein Blitz in den Thurm geschlagen, ihn zerrissen, den Felsen, auf dem er stand, zersplittert, und einen Stein hcrabgeschleudert, der zehn Häuser hätte zertrümmern können. Weiler hin schäumt der Poik, der sich durch die Ebene wähle¬ risch fortschlängelt. Er windet sich durch die Räder einer ansehnlichen Mühle, und durch eine Brücke, die in einer geringen Höhe von einem Felsen zum andern gespannt ist, und stürzt sich endlich mit Brausen in den Abgrund hinun¬ ter, an dessen Seite man zu der Grotte eingeht. Zeichnungen auf einer Reise von Wien über Triest nach Venedig u. s. w. Berlin leoo. 11 Sonst fallen die Flüsse von den Bergen, hier fällt der Fluß in den Berg. Ein hohes gothisches Felsengewöl¬ be ist sein Eingang. In der Höhe hangen Schwalben¬ nester und in der Tiefe ragen schäumende Banmgerippe und moosige Steine hervor. Eine Schar von Vögeln fliegt oben und unten ans und ein. -Varirrs circuinc^ue Zupracsue ripis voIuereZ sd üuluiriis rrlveo Oetkers uiuleedud cuatu, luco^us voludrink Vil^il. —-Oatliörscl Iks 8vv3llovv xeople; sncl toss'ä ^vicle srouncl O'er tke crrlin 3l^, in convolution s^vikt teutliereä üo.lts. 'I'komsou. Ist dieß der Eingang in die Tänarischen Schlün¬ de? — Sind dieß die Seelen, die zur Unterwelt stie¬ gen, die leichten Schaarcn der Schatten? Sind cs die heiligen Vögel Proserpinens, der Königin der Unter¬ welt? — Ranch und Dampf dringt aus dem Eingän¬ ge der Höhlen: an den geschwärzten Felsen lecken ro- the Flammen. — Es sind die brennenden Banmäste un¬ serer Führer, die uns damit, anstatt mit Fackeln, durch die Regionen der Finsternisse leuchten wollten. Gleich am Eingänge links ist der Felsen durchgeschlagen; man erblickt noch einmal im dürftigen Dunkel des schwin¬ denden Tageslichtes die hereinstürzenden Wasser'", und man vernimmt noch einmal ihr Getöse, dann verliert es sich allgemach, so wie man weiter fortschreitet, bis eine feierliche Stille ringsum zu herrschen anfängt. So wandeln wir hier auf den Pfaden der Nacht und durch das Grauen des erstorbenen Lebens? — Sind diese Wände ans dem Eise der Mitternacht oder mit dem grauen Mörtel zerschlagener Gebeine aufgeführt? Hat sich hier die Ewigkeit mit dem Tode, oder nur 12 die Nacht mit dem Stillschweigen vermählt ? — Nein! denn ein dumpfes Brausen schallt zu uns herauf, iu- deß wir mit wankenden Knien abwärts steigen. — Im¬ mer weiter steigen wir hinunter, und immer lauter brauset die Tiefe — 8een6! Leliolä! ttis §Iom3 ä'k5e1o36 I 866 tk6 riv6r3 in tk6ir Inkund I6Ü8 ! 1)66^), ä66p , i k6rrr Ui6ui Utb'rinA to §r6k fr66 ! Hier ist das Reich des Avernus! — Hört ihr den Phle- geton sich über die Felsen wälzen? Seht ihr die Fackeln von den Erynnien geschwungen? Hört ihr ihre Schlan¬ gen emporzischen? — Sprühend fallen die Funken in den Schlund der Nacht: Dieß sind die Sterne des Ere¬ bus ; so schwammen einst Sonnen im Grausen des Chaos. — Zur Rechten und zur Linken toset der Ab¬ grund , die Fackeln leuchten hinunter, daß die Finstcr- uiß sichtbarer werde. — Umsonst! — Das Ange schweifet umher auf luftigen Schattenbildern, die steigend und sinkend in einander zerrinnen; das Ohr horcht den Tönen der Geister. IVluItA inoäl8 8llnuluera viä6b volitaniü.'r nimls Lt V9rk35 uuäik voc63, kruitur^^ ä6oruui OolloHlüo, clthU6 üno ^.ck6ronta sätatur ^Vv6rni8. Von hier aus ist den kühnsten Sterblichen nicht vergönnt, weiter zu dringen. Steil stürzet der Felsen hinab in die Fluthen, die zu seinen Füßen zürnen. Wir haben blutigen Fackelschein in die Tiefe gesendet; aber der Schimmer zitterte zurück: wir haben Steine in den Abgrund geworfen; aber erst spät vernahmen wir das Aufrauschen der Fluthen. So haben wir denn, wie Aoung sagt, die Geheimnisse der Natur durch¬ forschet, und an die innerste Kammer des Todes ge- klopfct; allein wir konnten sie nicht ergründen, und die Pforten des Todes blieben verschlossen. 13 Von hier ging der Weg zu der, eine Stunde da¬ von entlegene» M a g d a l c n e n-G r o t te. Er war steinig, rauh und öde. Die Plätze, wo sich hin und wieder etwas Gras zwischen den Felsen hervorgedrängt hatte, waren mit Kreisen ans zusammengeschichteten Steinen eingeschlossen. Längs solchen Zauberkrcisen gingen wir einen stei¬ nigen Pfad, an dessen Seiten hier und da niedriges Gebüsch die Felsstücke zum Thcil verdeckt. Wir bogen in einen unermeßlichen Wald ein, worin nur Stürme und Bären Hausen. Ein enger halbverwachscner Fu߬ steig war die Spur, der wir zur zweiten Grotte folg¬ ten- Wir kamen zu einem dunklen, auf allen Seiten mit dichten Baumwänden geschlossenen Platze. »—-Hüne tszit omiüs I.ticus et odscuris clsuUunt eoiivollidus uinbrae.» Unsere Führer zogen auf einer Seite die verwor¬ renen Ranken der Gesträuche auseinander, und bahn¬ ten uns den Pfad über einen engen, mit niedrigem Ge¬ büsche bewachsenen Abhang, von dem wir bald den wahren Eingang zu der Höhle sahen. Er ist furchtbar erhaben. Wir befanden uns, wie wir jetzt bemerkten, in einem kleinen Felsenkessel, den wir noch weiter hin- absteigen mußten. Den Boden decken Disteln, Dornen und Nesseln, die unserem Wege entgegengesetzte Fels¬ wand ist unbekleidet bis auf den Gipfel, den ein Wald krönet; auf der andern Seite stehen Bäume auf Bäu¬ men , wie senkrecht über einander. Dieser vorbereiten¬ de Anblick erstarrt den Kommenden. Es ist unmöglich in der ersten Minute einen Schritt weiter zu thun. End¬ lich wanken die Füße mechanisch fort. Und nun gäh¬ net in der tiefsten Tiefe des Kessels die Erde, als wollte sie alle ihre Kinder und das ganze Leben des Himmels auf einmal verschlingen. 14 Nur die Annäherung zu diesem Schlunde des Schrec¬ kens kann mit dem Gedanken hinein zu treten, ver¬ traut machen. »Auf einmal gähnt im tiefsten Fclsengrund Uns eine Höhle an, vor derem finstern Schlund Ein prasselnd Feuer stammt. In wunderbaren Gestalten Ragt aus der dunkeln Nacht das angestrahlte Gestein Mik wildem Gebüsche versetzt, das aus den schwarzen Spalten Herab nickt, und im Wiedersehen, Als grünes Feuer brennt.« Oberon. Hier brauset kein Fluß, hier fliegt kein Vogel; am Eingänge verstummet das Leben, erblindet der Tag. Aber einige Schritte weiter hin wird das Wir¬ ken und Leben der Natnr'in diesen einsamen Werk¬ stätten den menschlichen Sinnen vernehmbar. Von al¬ len Wänden fallen dicke, breite, schwere mit Erde geschwängerte Tropfen plätschernd nieder- Man glaubt das Picken der großen Zeitenuhr zu hören, die Puls¬ schläge der Gebirgöadern, oder die Fußtritte der Gno¬ men zu vernehmen. Ist hier nicht der Pallast, sind hier nicht die Zaubergärten ihres mächtigen Königs? Säulen streben empor in mancherlei Ordnungen mit wundersamen Knäufen und Stühlen; sie tragen selt¬ same Gewölbe und prächtige Hallen. Bald vereinzelt und bald in Schaaren znsammengedrängt, bilden sie Gänge, Säle und Bogen; Festonen, Blumenkränze und mäandrische Gewinde verzieren sie. Hier und da scheinen gewaltige Umwälzungen und fürchterliche Erdbeben den Pallast und seine Grundfe¬ ste erschüttert zu haben. Gewölbe sind eingestürzt und Mauern zerspalten. An der Decke hangen Knäufe von Säulen, deren Schäfte nicht senkrecht unter dem Kopfe derselben, sondern einen Schritt weit, und noch mehr seitwärts, darüber hinaushangen. Zwischen den Pallä- sten scheinen weite Gartenanlage» durch die Zeit in 15 t > » t t e e > ) r e c i Verfall gerathcn zu seyn; große Cascade», die, im Augenblick des heftigsten Sturzes und der schäumend¬ sten Brandung ergriffen, und in Stein verwandelt worden sind; Bienenkörbe, groß wie weite Säle der Menschen, und Zimmer klein wie gewöhnliche Bienen¬ körbe; Tropfquellen, rieselnde Fäden von Wasser und kleine Bäche, die sich in Weiher und Teiche sammeln; ein Heilbrunnen, dessen Wasser den Fieberkranken au¬ genblickliche Genesung gewährt; steigende und sinken¬ de Parterre; Alleen und Irrgärten — Alles sagt: dieß sind die Palläste, die Zaubcrgärten des Königs der Gnomen. In dieser Ueberzeuguug kehrten wir an das Tageslicht zurück. Als wir wieder eine Weile die freie Luft geathmet hatten, schien es uns freilich, daß der Vers des Ovid: viclenL oculi 8erridro penllenLla toko« auf diese Grotten weit anwendbarer sey, als Alles, dessen wir aus Thomson und Virgil uns erinnerten; doch fanden wir auch die Vorstellung von dem Pal- laste des Gnomenkouigs weit natürlicher als die hier zu Lande gangbare Idee, daß die Natur diese Grotte zu einer Capelle für die heilige Magdalena geweiht habe.« Obschon Wied em an') im Jahre 1801 und der geniale Sen m e im Jahre i8o3 nicht von der Heerstraße abgewichcn sind, so lassen sie diesem inte¬ ressanten Lande (so viel sie nämlich davon sahen, den¬ noch vollkommen Gerechtigkeit wiederfahren; das blei¬ bendste Verdienst nm Bekanntmachung der natürlichen Beschaffenheit erwarb sich aber H a cquet,^) der durch i) Streifziigc durch Jnncrüsterrcich, Triest, Venedig und einen Theil der terra kerm» etc. L) Spaziergang nach Syrakus im Jahre tuns !c. s) Or^ctoxraplria carnioliae und Beschreibung und Abbildung der südwestlichen Wenden, SlaVcn und Jllirier ,e, 16 unermüdete Thätigkcit in einem Zeiträume von mehr als zwanzig Jahren die Naturwerkwürdigkeiten dieses so reich begabten Landes kennen zu lernen suchte. Man muß die zahlreichen Schriften dieses Mannes lesen, weim man das Außerordentliche in der Natur dieser Provinz kennen lernen will; aber einen kleinen Vor¬ geschmack gibt die Schilderung des Berges Karst, der die Oberfläche der Erde in ihrer Zerstörung darstellt. »Der Karst, über den man von Adelsberg nach Triest fahrt, ist das lebhafteste Bild der Verwüstung das alle Vorstellung übertrifft. Eine Fläche von we¬ nigstens zwei bis drei Meilen im Umkreise, mit den nacktesten Kalkfelsen begränzt, enthält nichts, als Mi¬ llionen Steine, als die Überbleibsel der zurückgebliebe¬ nen Fluth. Viele Taufende derselben sind von der See auf die verschiedenste Art gestaltet worden; einige sehen aus, als ob sie einst als Steinmörser gebraucht worden wären; andere haben die Fignr von großen Baum¬ wurzeln, und wieder andere sind so durchlöchert, daß man sie für die gewesenen Wohnungen ungeheurer Pho- laden halten möchte. Überall, wo man hinblickt, ist Zerstörung; nur hier und da hat der Fleiß des armen Landmannes mit großer Mühe ein Plätzchen ausgeräumt, um Weitzen oder Roggen darauf zu bauen, den er mit den näm¬ lichen Steinen, wie mit Bollwerken umzäunt hat. Der stürmende Nordwind weht hier oft so außeror¬ dentlich heftig, daß man zu Zeiten in Gefahr steht, sammt dem Fuhrwerke durch ihn fortgeschleudert zu werden. Ungefähr drei oder vier Stunden kommt man in ein kleines Dorf, St. Cäcilia genannt, das einige hübsche, mit Weinranken bekränzte Felsen besitzt. Nahe an diesem Dorfe liegt ein sehr hoher Hügel, auf dem 17 noch die Ruinen eines großen, der gräflich P et ta z i scheu Familie gehörigen Schloßes zu sehen sind. Wenn man diese Anhöhe besteigt, genießt man eine der prächtig¬ sten Aussichten; denn man kann von da aus den gan¬ zen wilden Karst und einen großen Thcil der angrän- zenden Gegend übersehen. Obschon wenigstens drei Viertheile dieses Berges noch ganz öde liegen, so hat er doch seine Vorzüge. Das ans dem äußerst steinigen Boden sparsam hervor¬ keimende kurze Gras wird durch Pferde, meistens aber durch Schafe und Ziegen abgcweidet. Die erstern werden sowohl wegen ihres guten dauerhaften Baues, noch mehr aber wegen ihres sichern Trittes, sehr gesucht. Selbst zum Dienste des kaiser¬ lichen Hofes sind zu Lipizza und Prostianik Stutereien davon angelegt. Die Hammel und Ziegen des Karstes haben ein besonders schmackhaftes Fleisch, welches sie aus dem Genüsse so vieler tausend Alpenpflanzen erhalten; die Lämmer davon werden fast alle nach Venedig geschickt, und dort um einen erstaunlich hohen Preis bezahlt. Anch das wenige Getreide, welches der Karst lie¬ fert, hat seine Vorzüge; es ist dünnschaliger und mehl- reicher, als das übrige, und wird folglich auch theu- rcr verkauft. Dicß ist eine Erscheinung, die in mehre¬ ren sandigen oder steinigen Gegenden bemerkt wird. Wenn man gegen das Ende des Karstes kommt, liegt auf einmal der Golfo von Triest vor unfern Au¬ gen. Welcher Anblick! Man fühlt sich in Entzücken ver¬ loren, jede Feder ist zu schwach, diese herrliche Ueber- raschung würdig zu schildern!—« H a c g uet sagt, dieses Land gleicht einem Schwam¬ me, der durch seine Löcher häufig Wasser eiusauge, und wieder von sich gebe, und führt zum Beispiele 18 den Zirknitzcr See an; ich glaube, daß eine Schilde¬ rung des Wocheincr Wasserfalles den ungewöhnlichen Wasserreichthum Krains am besten bewähre. »Das Thal von Woche!» liegt in Oberkrain in der Nähe der Gränzcn von Görz. Ein einzelner Fels, der sich einst von der nahen Alpenkette abgelös't ha¬ ben mag, und in das Thal herabgestürzt ist, theilt dasselbe in zwei Theile, wovon das obere, welches fast anderthalb Stunden laug ist, gegen Abend, und das untere, das völlig zwei Stunden lang und eine halbe breit ist, gegen Morgen liegt. Wenn schon bei¬ de Thäler, besonders im Sommer, reich an ländlichen Reizen und abwechselnden Naturschönheitcn sind, so ist doch das erstere das merkwürdigste; denn es schließt einen schönen See ein, der eine Stunde lang ist, und der mit dem Thale gleiche Breite hat. Wenn man sich nun satt gesehen hat an seinen arkadischen Ufern, und beiläufig eine Stunde weit vom See gegen West ge¬ gangen ist, kommt man bald in die Schlucht eines kahlen Kalkfelfens, wo man einen Theil jenes ursprüng¬ lichen Wassers autrifft, das dem Wocheincr See seinen Zufluß gibt. Hier ist aber auch das u»u plus ultra, denn eine Felsenwaud, wenn schon nicht so groß und mäch¬ tig wie die herkulischen Säulen, doch eben so undurch¬ dringlich wie jene, vereiteln das weitere Fortschreite». Über vierzig Klafter hoch in dieser senkrechten Felsen¬ waud sicht man ein Loch, woraus sich gewöhnlich im Sommer (oft auch im Winter) das Wasser in einem heftigen Strome mit der größten Gewalt heransstürzt, so, daß man das Rasseln und Rauschen desselben über die Felsblöcke und über das Stcingcrölle auf zwei Stun¬ den weit hört. Wenn inan nun ferner nachspiirt, woher dieser Wasserfall seinen Ursprung nehme, und ob nicht selbst 19 andere höher liegende Seen durch das Gebirge einen gewaltsamen Durchbruch gemacht hätten, so trifft man, auf diesem Wege fort, nach mehreren Stunden ein kahles Felsenthal in der Höhe der Alpcnkette, welches ganz dazu gemacht ist, die irdische Vergänglichkeit in einem treuen Bilde darzustellen. Herabgestürzte Felsen¬ stücke , die noch jetzt all' den Graus und das Schreck¬ liche ihres Sturzes versinnlichen, mit zerschmetterten Bäumen und abgerissenen Wurzeln, die nun in Moder übergehen, liegen unordentlich und wild umher. Hier und da stehen noch einzelne Bäume, aber kahl und ohne Gipfel wie trauernde Greise, die einzigen, welche von der Verwüstung die ihre Generation hinwegrafftc, noch einsam und verlassen, zurückblicben. Selbst Thiereu ist diese Gegend fürchterlich, nur selten betritt ein vierfüßiger Waldbcwohuer, der sich in jenen öden Grün¬ den verirrte, diese grauenvolle Stätte; einige Meer¬ vögel allein lassen sich bei stürmischem Wetter an den dort gelegenen Seen erblicken. Rings um das Thal stehen die nackten hohen Kalkfelsen, welche dem Wan¬ derer jeden Augenblick den Einsturz drohen, und nicht selten sieht und hört man, besonders im Frühlinge, die mächtigsten Steinkolosse mit unsäglichem Krachen und Geschmetter von den senkrechten Höhen stürzen. Wie dort, so ist auch hier der Eingang ins Thal mit einer senkrechten Wand gesperrt, welche einen Spalt hat, um auf den eingerammelten Holzsprosse» ein Paar hundert Klafter hinab zu steigen. In diesem Thale nun liegen acht, jedoch nicht sehr beträchtliche Seen; vier davon gegen Mitternacht welche die kleinsten sind, die andern vier beträchtlichen: gegen Abend. Einige dieser Seen haben Gemeinschaft über der Erde miteinander, die andern hängen unter¬ irdisch zusammen. Da nun das Wasser dort seinen 20 Lauf von Norden gegen Osten hat, so geschieht cs, daß aus dem achten oder letzten See, der unter den übrigen der größte ist, dasselbe unter der Erde hinein läuft, seinen Lauf in diesem unterirdischen Gauge einige Zeit fortsetzt, und endlich bei dem oben erwähnten Loche (Saviza genannt) heraus kommt, um in den Wochci- ner See zu fließen. Wenn sich nun große Kälte einftellt, so friert dieses Loch zu, und zwar so lange, bis die Bäume wieder anfangcn Laub zu fassen; dann springt in demselben das Eis mit solch' einem Knalle auf, als wenn man eine Kanone los ließe, und das Wasser drängt und schäumt und stürzt sich mit unsäglicher Ge¬ walt in die Tiefe. Da sieht man, wie es geschwellt vom Eise tosend aus der schwarzen Schlucht hervor¬ bricht, und die hohe Felswand in zahllosen Fällen in Len See hinabstürzt, an dessen Ufern die Erde zittert von dem Donner des Wasserfalles. Man hört da mit Schauer sein brausendes Getöse, und das Rasseln der los gewordenen Steine in den wogenden Abgrund. Wer Las Wagestück einzig in seiner Art, unternähme, auf den Zacken der Kalkfelscn, auf wankenden Steinblöckcn, mit welchen der wüthcnde Bach sein Spiel treibt, die schroffen Wände hinan zu klettern und wieder zurück sich zu wagen auf den glatten Spitzen dieses Gesteines die hinter dem Schaume des sprudelnden Gießbaches hervorstchen; der sähe das tobende Gewässer hervor¬ donnern aus der nächtlichen Grotte, der wäre an der Quelle des Averuns gewesen. Schauderhaft zwar ist diese Beschreibung, schau¬ erlicher noch diese und tausend andere Gegenden dieses seltsamen Binnenlandes, aber eine Kleinigkeit nur ist diese Wildheit einzelner Gegenden, "gegen das Wüste und Gräßliche der Natur in den vorigen Jahrhunder¬ ten, wo das Land mit Pfützen, unfruchtbaren Heiden 21 und finstern Waldungen angefüllt, die Lust ungleich rauher und kälter war als sie jetzt ist, und ein wol- kichter, immer zum regnen und schneien geneigter Him¬ mel diese düstere Wildniß deckte. Da waren gesell¬ schaftliche Verhältnisse und Begriffe des Rechtes und Eigenthumes nur an den Höfen der Fürsten geltend, die im Lande zerstreuten Edeln (ein fehlerhafter Aus¬ druck) schalteten nach Belieben, und wie viele Beispiele solcher Dynasten zeigt Jnnerösterreich, welche die Heer¬ straßen unsicher machten, und den friedlichen Bürger und Bauer, den sie beschützen sollten in seiner Hütte überfielen. Die Sitte der Zeit entschuldigt diese Art der Er¬ werbung , die Erwerbung selbst mag immer noch ge¬ blieben seyn. Sclbstcrhaltnng, Eigennutz, Habsucht, Streitgicrde waren die gewöhnlichsten Triebfedern der Raubzüge, die von unersteiglichen Felsennestern herab den unbcwahrten Wanderer zu plündern kamen, und die daher kein anderes Handwerk trichen, als die Wegelagerer an den Straßen von Abruzzo; aber höchst merkwürdig wird ein Mann, der, obschon er seinen Namen mit dem Scheltworte eines Raubritters befleck¬ te, dennoch aus psychologischen Gründen ganz verschie¬ den beurtheilt werden muß, der nicht Raubritter aus Habsucht war, dessen Schicksale so widerlich und ver¬ worren ihn zu einem Hasser des Menschengeschlechtes umbildeten— es war Erasmus Lueger in Krain. Schon KotzebueH hat dessen Schicksale in einer sei¬ ner Schriften berührt, aber die ganze sehr kurze Ge¬ schichte dieses Schriftstellers ist in dem trockenen Chro- nikcn-Ton Valvasors") vorgetragcn, der die Le- 1) Chroniken. Wiener Ausgabe. S. t»?. 2) Valvasor, Ehre des Herzoglhunis Krain. 4, S. L2S bis arg. 22 ser wahrlich nicht zur Lektüre einladet. Indessen hat Kotzebue doch dadurch das volksthümliche Interesse der Schicksale L u e g e r s anerkannt, und auch der hoch¬ verdiente vaterländische Dichter Ritter Joh. Nep. Edler v. Kalchberg hat dieselbe nach Valvasor mit Erweiterungen bearbeitet. Er sagte folgendes Merk¬ würdige: Die Geschichte des Mittelalters oder der sogenann¬ ten Ritterzeiten gleicht einer grotesken Landschaft, wo die große Werkmeisterin Natur einen besonderen gigan¬ tischen Maßstab befolgte; wo schauerliche Größe mit romantischer Aumuth sich gattet; zwischen himmelanra- geuden Felsengebirgen fruchtbare Thälcr grünen, brau¬ sende Ströme von schwindelnder Höhe senkrecht herab- stürzcn, und murmelnde Quellen, lachende Wiesen be¬ fruchten; wo Felsen auf Felsen gethürmet sich über unermeßliche Abgründe neigen, dunkle Grotten den Ein¬ sturz drohen, und tausendjährige Eichen dem müden mit Staunen und Grauen erfüllten Wanderer ihren küh¬ lenden Schatten anbiethcn. Solche furchtbare schöne Gefilde stellt die Geschich¬ te in den dunkeln Fernen entwichener Jahrhunderte un¬ seren staunenden Blicken, wie in einem magischen Spie¬ gel dar. Erhabene Gestalten und gräßliche Schreckbil- dcr, unersteigliche Felseuburgcn und fröhliche Prunkge¬ lage, schauervolle Burgverlicße uud edle Gastfreiheit, tobendes Schlachtgetümmel und jauchzende Bankette, jammerndes Elend und prachtvolle Turniere, felsenfe¬ ste Freundschaft und blutgierige Rachsucht, seltene Groß- muth uud unbarmherzige Raubsucht, hoher Biedersinn, deutsche Redlichkeit und Thränen beraubter Witwen und Waisen, stolzes Ehrgefühl und empörende Schand- thaten, kühner Freiheitssinn uud viehische Knechtschaft, erhabene Tugenden und große Laster erschienen in bun- 23 ter Vermischung. — Wir danken bei diesem Anblicke der Allmacht, daß sic uns in besseren Zeiten geboren werden ließ, wo Vernunft, Menschlichkeit und Mora¬ lität die Sitten verfeinert, diese rohe Barbarei, wenn gleich nicht ganz von Europa vertilgt, doch wenig¬ stens gemildert haben; aber zugleich müssen wir ge¬ stehen, daß, wie jetzt das Laster gewöhnlich die Maske der Tugend trägt, auch der Glanz der Letzteren einem blassen Mondlichte gleichet, daß wir in Beidem Schwäch¬ linge geworden sind, und eben darum mitten unter den Greueln der Vorzeit manchem Bürger derselben den Zoll unserer Bewunderung nicht versagen können. Ein vorzüglich interessanter Gegenstand der Beob¬ achtung für den philosophischen Forscher in der Men- schengeschichte ist die vom Geiste jener thatcnreichen Zei¬ ten hervorgebrachte, nicht seltene Erscheinung so man¬ cher außerordentlicher Menschen, bei welchen sich Tu¬ gend und Laster in großen Massen in einem Wesen ver¬ einigen. Besonders war es der kriegerische Adel, der viele solche Männer hervorbrachte, in deren Charakter Patriotismus, Tapferkeit, Großmuth, feines Ehrge¬ fühl, Redlichkeit und Biedersinn sich mit Härte, Grau, samkeit und Raubsucht wunderbar auf das Innigste vermengten, und bei deren Geschichte man mit Bedau¬ ern unschlüssig bleibt, ob an ihnen mehr die edeln Ei¬ genschaften der Bewunderung, oder die Laster des Ab¬ scheues würdig sind. Außerordentliche Menschen, wie sic die Natur nicht nach Dutzenden als gemeine Fabrikswaare in die Welt schleudert, haben nicht selten auch außerordentliche Schick¬ sale. Nur ihre Geschichte ist lehrreich und interessant, weil nur das Große und Seltene eben durch seine Sel¬ tenheit einen besonder» Eindruck bewirkt; indem die nimmer müde Fabrikantin gewöhnlich — besonders bei 24 der Hervorbringung der Menschen — die Extremen, im Bösen wie im Guten, nur selten erreicht. Ale¬ xander, Ta merlan und C a rt o uche sind daher in mancher Hinsicht eben so unvergeßlich, als Le o- nidas, Phocion und Socrates. Es durfte also nicht ohne Interesse sepn, das Andenken eines Mannes zu erneuern, in dem Natur, Zeitalter und Erziehung eine seltene Mischung des Guten und Bö¬ sen hcrvorbrachten, dessen Leben und Tod von sonder¬ baren Verhängnissen begleitet waren. Zn Jnuerkrain ist das Schloß L u e g eine Meile von Adelsberg an der Poik, in einer Gegend , wel¬ che die Schöpfung zürnend über die künftigen Laster und Ausartungen ihrer Geschöpfe in einer ihrer böse¬ sten Launen hingeworfen zn haben scheint; deren Anblick die Vorstellung erweckt, es sei hier der Ort, wo all' die Felsenmassen, welche die hiinmelstürmenden Gigan¬ ten zum Wohnsitze der Götter hinanschleuderten, wie¬ der auf die Erde hcrabstürzten. Eine fürchterliche Ein¬ öde! von der stiefmütterlichen Natur alles Schmuckes beraubt, überhäuft mit all' den schauerlichen Spuren ihres Hasses! Rings umher, wohin das Auge sich wen¬ det, thürmen sich —kahl und todt — Felsen auf Felsen in deren Mitte einer derselben, wie ein Riese unter Zwergen, senkrecht in schwindelnder Höhe bis zu den Wolken empor starret. Ein unermeßlicher Abgrund öff¬ net am Fuße dieser Steinmaffen seinen weiten Rachen, in den sich ein unferne entspringender Bach brau¬ send mit hohlem Getönc hinab stürzet, einige Meilen im Erdenschooße fortströmt, und endlich unter der Benennung des Flußes Wipbach, bei dem Orte die¬ ses Namens, wieder auf der Oberwelt erscheint. Ei¬ nige Klafter über diesen Abgrund führt ein schmaler, in Felsen gehauener Fußsteig über eine schauerlich tiefe, 25 mit einer Brücke überlegten Kluft, zum Eingänge einer meilenlangen Grotte, in welcher die Natur der Men- schcnwerke spottend die Kunst nachzuäffen scheint, indem sie selbe mit schönen Gängen und Sälen, mit pracht¬ vollen alabastergleichen Säulen und vielen abenteuer¬ lichen Gestalten und Darstellungen ausschmückte. Ober der Grotte, in der Mitte dieses sich senkrecht erheben¬ den ungeheuren Felsengebirges befindet sich eine zwei¬ te ausnehmend weite und tiefe Höhle, die schon im Plaue der Schöpfung, zum Wohnsitze eines Menschen¬ feindes bestimmt geworden zu seyn scheint; denn wahr¬ lich ein Wesen solcher Art mußte der Mann gewesen seyn, dessen kühner Geist den Entschluß faßte, in die¬ ser fürchterlichen Höhle seinen Aufenthalt zu wählen, und darin eine Ritterburg zu bauen. Dieses Schloß, welches noch jetzt besteht, ist in der That eines der sehcuswürdigsten Denkmale des barbarischen Faustrechtes. Es liegt so tief in der Höh¬ le , das es keines Daches bedürfen würde, wäre es nicht, um die von dem darüber ausgespannten Unge¬ heuern Fclsengewölbe herabträufclnde Nässe von den Mauern und Gemächern abzuhalten. Der Weg hinan ist schmal und schroff, er führt über zwei Zugbrücken, welche, wenn sie aufgezogen sind, die Burg gänzlich unzugänglich machen. Eine noch größere — in den Zei¬ ten des Faustrechtcs beinahe unüberwindliche Festigkeit aber hatte das ältere, dessen Spuren gleichsam ober dem Dache des neuern, im Hintergründe dieser Höhle, auf einer höhcrn Stelle in einer besondern kleineren Grot¬ te zu sehen sind, und wozu man nur über einen ein¬ zigen, schmal in Felsen gehauenen Fußsteig, wie über eine Leiter, viele Klafter hoch, beinahe senkrecht hiu- auklcttern muß. Die Natur selbst scheint die Erbau¬ erin dieses Gebäudes, an welchem nur wenig Menschen- 26 arbeit entdeckt wird, gewesen zu seyn; denn sie hatte diese Grotte in mehrere Kammern mit natürlichen Fel¬ senwänden abgetheilt, und besorgt für die Bedürfnisse ihrer Bewohner, sie mit einem viele Klafter tiefen, aus dem Felsen regelmäßig ausgehöhlten Brunnen ver¬ sehen, der eine nie versiegende Quelle des reinsten und kältesten Wassers enthält. Diesen Platz nun erwählte sich der erste Erbauer, ein Deutscher, zur Zeit als Carl der Große die Wenden unterjochte, zu seinem Wohnsitze, nannte ihn Lueg (von dem alten Worte Lugen, welches den Begriff des Schauens oder Späh¬ ens ausdrückte) und seine Nachkommen wurden davon die Herren von Lueg genannt. Von diesem ältesten Stammschloße aus verbreite¬ te sich das Edelgeschlecht der Lu eg er in Zweigen nach andern Ländern. Sie waren in Kärnten begütert, wur¬ den erbliche Burggrafen zu Lienz in Tirol, und einer aus ihnen besaß auch in der Steiermark eine Herr¬ schaft, zu welcher er sich — ganz in dem Geiste seines ersten Ahnherrn — in einer schauerlichen Wildniß nahe am Scheckel, zwischen Peckan und St. Stephan, eine Veste erbaute, und ihr den Namen: Lueg i n's Land, gab. Roh und kühn — ähnlich dem Ort ihrer Entsteh¬ ung, — waren alle Abkömmlinge dieses Geschlechtes. Gleich Raben und Adlern in einer dunklen Felsenkluft geboren, in dieser grauenvollen Wüstenei erzogen, von kahlen Felsenmassen eingeschränkt, umtoset von heulen¬ den Stürmen, erhielt der Geist der ersten Generation dieses Stammes einen kühnen Phantasienschwung, eine gewisse Wildheit, und dieß Seelenerbe pflanzte sich durch alle spätern Nachkommen fort. Bei Hundegebell und Waffcngcrasscl herangewachsen , abgehärtet zu allen kör¬ perlichen Beschwerden, von einem glühenden Freiheits¬ sinne erfüllt, haßten und verachteten sie die Pflichten 27 und Bequemlichkeiten des bürgerlichen und häuslichen Lebens; sie kannten keine Furcht, trotzten der Gefahr — und suchten sic. Wenn Kraft, Muth und Tapfer¬ keit noch in unfern erleuchteten Zeiten die sichersten Stufen zum Tempel des Ruhmes sind, wenn noch jetzt Ehre und Bewunderung fast allein dem tollkühnen Er¬ oberer gezollt wird, dessen Schwert Tausende schlach¬ tete und Welttheile verwüstet, indeß der Name des friedfertigen Wohlthätcrs der Menschheit an seinem Gra¬ be verhallet: wieviel mehr mußte also jeder Edle in jenen finstern Zeiten der Selbstvertheidigung sich dem Dienste der Waffen weihen, weil er nur allein mit Lanze und Schwert sein Habe sichern, vermehren. Glück, Ruhm und Würden erringen konnte. Krieg war daher auch dieses Geschlechtes einzige Bestimmung. Bei allen Turnieren, Fehden und Schlachten kämpften die Lue¬ ger, und es gelang ihnen, den Ruhm einer vorzüg¬ lichen Tapferkeit durch Jahrhunderte zu behaupten. Man¬ cher derselben hatte den mühsam errungenen Lorber mit seinem eigenen Blute gcweihet; mancher fiel im edlen Kampfe für Fürsten und Vaterland; nur wenige er¬ reichten das natürliche Ziel ihres Daseyns. Mehrere derselben machten sich durch Thaten des Muthes bei ihren Zeitgenossen hochberühmt, aberdenletzten Spröß- ling dieses edlen Stammes wählte das feindselige Schick¬ sal — wie es oft bei dem Letzten eines Geschlechtes ge¬ schieht, die gleichsam für die Sünden ihrer Väter bü¬ ßen müssen — zum Spielball sonderbarer Launen. Erasmus Lueger, der von dem Söller seines einsamen Schlosses am Fuße des Scheckels öfters nach Hirschen, Wölfen und Bären als nach Menschen hin¬ auslugte, war, da zwei seiner Vetter im Kampfe für das Vaterland gegen die grausamen Söhne Muhamcdö ohne Nachkommen ihr Leben geopfert hatten, der ein- 28 zige Erbe aller Güter seines Geschlechtes. Der ganze Adel Jnnerösterrcichs schätzte ihn als einen der tapfer¬ sten Krieger des fünfzehnten Jahrhnndertes. Aber dü¬ ster war sein Geist, spartanisch waren seine Sitten. Nie hatte die sonst allgewaltige Minne sein Gemüth zn sanfteren Empfindungen gestimmt, und die zarten Gefühle des Gatten und Vaters blieben ewig fremd in seinem Herzen. Zwar wurde ihm Katharina von Ungnad von den Verwandten als Gattin, wegen Erhaltung des Stammes aufgedrungen, allein er lieb¬ te sie nicht, diese Ehe blieb kinderlos und ihr Tod löste sie nach wenigen Jahren. Nur einen Menschen hatte Erasmus in der Welt gefunden, den sein Herz wahrhaft liebte, den seine Seele desto glühender um¬ faßte, weil es der Einzige war. Sein Freund, sein Vater, sein Lehrer in der Kriegskunst, sein Ideal ei¬ nes vollkommenen Helden, war Andreas Baumkir- cher, dessen Geist, Heldenmuts) und kühne Denkungs¬ art sich ganz auf ihn vererbt zu haben schien. Lueger kämpfte an Baumkirchers Seite bei der zweimali¬ gen Rettung Kaiser Friedrich des Dritten, und würde vermuthlich mit ihm einen gleich blutigen Tod zwischen den Murthoren zn Grätz gefunden haben, wäre er nicht zufällig zn dieser Zeit in Geschäften des Kaisers entfernt gewesen. Bei seiner Zurückkunst erfuhr er den tragischen Untergang des größten Hel¬ den jener Zeit, seines einzigen Freundes; Schmerz und Entsetzen bemächtigten sich seiner, vor der noch nie gebeugten Seele. Die ersten Thränen seit der Kindeswiege benetzten jetzt die bräunlichen Wangen des Mannes, der sonst so kalt bei jedem Ereignisse blieb- und besonders für jeden physischen Schmerz fühllos schien. Zu heftig war der Unmuth seines Herzens, ihn schwei¬ gend im tobenden Busen zu verschließen. Er schrie laut 29 über Undank und Ungerechtigkeit, behauptete die Un¬ schuld seines gemordeten Freundes, und verlangte den Abschied. Friedrich, welcher B a u m k irch e rs blu¬ tigen Schatten durch Erbauung eines Franciskanerklo- sters zu Lankowitz versöhnte, kannte Luegers Ta¬ pferkeit und nützliche Dienste, er wollte also einen so brauchbaren Diener nicht von sich lassen. Seiner Her¬ ablassung, seinen freundschaftlichen Vorstellungen —vor¬ züglich aber dem tapfern, edlen Kronerben Mari¬ ini lian — gelang es endlich mit vieler Mühe, des¬ sen stürmische Seele etwas zu beruhigen. Erasmus blreb und schwieg, sammelte sich durch seinen Helden¬ arm neue Verdienste um Fürsten und Vaterland; aber nie mehr kam ein Lächeln auf seine Wangen. Er hat¬ te keinen Freund mehr; leer war es in seinem zusam¬ mengeschrumpften Herzen, öde lag die Welt vor ihm da, wie eine unabsehbare Wüste. Die einzigen Wesen, die er noch liebte, waren sein schnobender Streithengst, aus dessen Augen Flammen sprühten, der noch nie ei¬ nen andern Reiter auf seinem Rücken geduldet hatte, und zwei große Rüden, berühmt in der Kunst, Wölfe und Bären zu fangen, die ihn überall begleiteten, und auch seine Schlafgefährten waren. Nie mehr sprach Lueger von seinem geschiedenen Freunde; aber auch nie wich dessen Andenken aus seiner düstern Seele. Sein Bild umschwebte ihn immer im tobenden Schlachtge- wühle, wie auf dem einsamen, oft schlummerlosen La¬ ger, eine ahnende Stimme seines inner» Jchs sagte ihm oft, er werde eines ähnlichen Todes sterben. Sorg¬ fältig vermieden am Hoflager alle, die ihn kannten, B a u m k i r ch e r s Namen in seiner Gegenwart zu nen¬ nen , weil sic, seine Heftigkeit fürchtend, aus Erfah¬ rung wußten, in welche stürmische Gemnhsrcgnng ihn dieß jedesmal zu versetzen vermochte. 50 Einst mußte Lueger den Kaiser als Hauptmann der Leibwache nach Fraukfurr begleiten, wo sehr viele Fürsten und Grafen persönlich erschienen, dem Beherr¬ scher Deutschlands ihre Ehrfurcht und Achtung zu be¬ zeigen. Glänzende Feste, zahlreiche Prunkgelage, Fei¬ erlichkeiten und Belustigungen aller Art wechselten da mit jedem Tage, und man erschöpfte sich an Erfindun¬ gen des mannigfaltigen Vergnügens. Vorzüglich ver¬ gaß man nicht, nach altdeutscher Lieblingssitte, dem frohen Weingotte unmäßige Opfer zu bringen, und sich dabei einer an Unsittlichkeit gränzenden Fröhlich¬ keit zu überlassen. Besonders die Nächte wurden zu die¬ sen Bacchanalien verwendet, wobei man sich um so un¬ gebundener allen Anwandlungen einer tollen Laune über¬ ließ, weil die Nichtgegcnwart des Kaisers gewöhnlich einen freieren Spielraum gewährte. Bei einem dieser Gelage, welchen auch Erasmus beiwohnte, kam zu¬ fällig das Gespräch auf Krieg und Tapferkeit, und man nannte die Namen derjenigen, die sich vorzüglichen Ruhm durch kriegerischen Muth und kühne Thaten er¬ warben. Ein alter Ritter, aus dem Geschlechte der Saurauer, erhob jetzt seine Stimme und sprach: »-An der Spitze aller Heroen unserer Zeit glänzet An¬ dreas V au m k i r ch er, keiner von uns wird ihn errei¬ chen.« Die meisten stimmten ihm bei und bedauerten das tragische Ende eines Mannes, dessen sein Zeitalter nicht würdig war. Lueger horchte schweigend zu, und zer¬ drückte verstohlen ein Paar Thränen, die sich unwill- kührlich in seine Augen drängten. Aber nun erhob der stolze Hofmarschall Graf von Pappcnhcim, ein alter Feind und Neider B a u m k i r ch e r s, seine trotzi¬ ge Stimme; er nannte ihn einen Rebellen, der den Tod durch Henkcrshand verdient habe, und erklärt sei¬ ne Thaten sür nichts mehr als tolle Wagestücke, die 31 cin blindes Glück begünstigte. Wie der Wetterstrahl eine Pulvertonne zündet, fuhren diese Worte in Lue¬ gers hochaufflammende Seele. Feuerröthe und Todten- blässe überflogen wechselnd sein Antlitz; seine Lippen bebten, seine Muskeln zuckten, Funken sprühten aus seinen rollenden Augen. »Widerrufe deine Lästerung oder ich morde dich!« brüllte er jetzt dem Grafen zu, und riß das Schwert aus der Scheide. »Ich wider¬ rufe nicht!« entgegnete der Graf mit stolzer Verachtung und zog. Sie fochten. Ehe es die Anwesenden zu hin¬ dern vermochten, hatte Luegers Klinge schon den Kopf des Hofmarschalls gespalten, der in seinem Blute zu Boden stürzte, nach wenigen Minuten eine Beute des Todes ward. Schrecken und Verwirrung hatte sich aller Gemüther bemeistert. »Fliehe, rette dich!« rie¬ fen Luegern seine wenigen Freunde zu. Aber der Furchtlose floh nicht! Er verließ den Saal, eilte nach Hause und legte sich sorglos zu Bette. Schon brachte er eine langsam dahin schleichende Stunde, unwillkühr- lich von gräßlichen Bildern umschwebt, auf seinem ein¬ samen Lager zu. Er wollte schlafen; konnte cs nicht, und kämpfte mit einer ahnenden Stimme seines Herzens, welche ihm in seinem Innern immer die Worte: »ret¬ te dich!« znlispclte. Plötzlich sprang die Thüre seiner Kammer krachend entzwei, und eine zahlreiche Schaar bewaffneter Reichskncchte strömte herein. Lueger raffte sich auf, nach einem Schwerte haschend; doch augen¬ blicklich ward er umrungen und rücklings zu Boden ge¬ rissen. »Bindet ihn, schleppt ihn fort in das tiefste Verließ! Durch Henkershände versöhne sein Blut den Geist meines gemordeten Bruders!« kreischte jetzt ein vom Kopf bis zu den Füßen geharnischter Mann aus dem Helmgitter hervor. Dieser Befehl wurde auf das schnellste vollzogen. Nach wenigen Minuten sah sich der 52 Unglückliche, mit schweren Ketten belegt, in einem schan- erlichen Gefängnisse. Stumm und wild starrte er die Wände dieser wüsten Wohnung des Jammers au; kein Seufzer, keine Klage entfuhr seinen Lippen; aber Groll und Meuschenhaß nagten wie giftige Schlangen in sei¬ nem Busen. Acht Tage — lang wie acht trauervolle Jahre, brachte er in diesem dumpfen Kerker zu, den nur ein schwacher Lichtstrahl dämmernd erhellte. Wasser und Brot waren seine einzige Nahrung, die er nur durch eine Öffnung an einer der Wände von unsichtbarer Hand empfing. Am Morgen des neunten Tages hörte er ein Geräusch vor den eisernen Pforten seines Ge¬ fängnisses und bald hernach thaten sich die Riegel derselben knarrend auf. Bewaffnete Männer erschienen, nahmen ihm die Fesseln ab, und befahlen ihm, ihnen zu folgen. Man führte ihn über eine breite Treppe hinan in einen großen Saal, wo bei einer zahlreichen Volksversammlung zwölf schwarzgekleidete Männer an einem schwarzbedeckten Tische saßen. Als man ihm die gewöhnlichen Fragen über Namen, Stand, und Her¬ kunft stellen wollte, erwicderte er mit Hoheit: »Ganz Deutschland kennt meinen Namen! Ihr alle kennt mich — zur Sache.« Jetzt erschienen die Verwandten des Grafen von Pappenheim in tiefen Trauergewän¬ dern, und klagten Luegern als dessen Mörder, als einen Störer des Landfriedens an. »Er hat das An¬ denken meines Busenfreundes gelästert, und da er nicht widerrufen wollte, so gebothen Freundschaft und Ehre, mit dem Schwerte Genugthuung zu fordern, wie es dem Krieger und Ritter geziemt,« erwicderte der Be¬ klagte mit männlicher Gelassenheit. »»Aber doch bekennt Ihr, dessen Mörder zu seyn?«« fragte ihn der älteste Richter. »Ja! doch nicht durch Meuchelmord, sondern 55 im redlichen Zweikampfe.« »»Waren Euch die Gesetze des Landfriedens bekannt?«« »Ehre ist des Kriegers und Edelmanncs heiligstes Gesetz. Ich kenne keines, das ihm gebiethet, seine oder seiner Freunde Beschimpfung ungerochen zu erdulden.« »»Gibt es keine Gerichte in Deutschland, wo man sein Recht zu suchen vermag?«« »Was? — ein mit Wunden bedeckter Krieger soll seine Genugthuung erst bei Euch, Ihr Federhelden, erbetteln? soll seine Ehre und sein Recht den Launen Eurer stock- blinden Gerechtigkeit zur Puppe hingebcn? — Weh unserem Vatcrlande! wenn seine Edlen einst zu so fei¬ gen Memmen hcrabsinken. — Gebt mir den Tod! ich mag diesen Zeitpunkt nicht erleben.« Jetzt befahl ihm der älteste Richter mit scharfen Blicken, die Gesichter derjenigen anzusehen, die nun über ihn das Urtheil sprechen würden. Er kannte nur wenige; aber diese We¬ nigen waren seine Feinde. Man führte ihn in ein Sei¬ tengemach, und indessen loseten die Richter. Der Topf wurde geöffnet; fünf weiße — sieben schwarze Kugeln rollten hervor. Nun brachte man ihn zurück, und das Urtheil wurde gesprochen: er sollte nach drei Tagen enthauptet werden. »Ich appelire an den Kaiser. Nicht um ein Leben zu erbetteln, das keinen Werth mehr für mich hat; sterben will ich, aber nicht durch des Nach¬ richters Hand.« »»Der Kaiser ist abgereiset, Ihr habt keine Milderung des Urtheils zu erwarten,«« antwortete der älteste Richter, und warf ihm das zerbrochene Stäb¬ chen vor die Füße. »So sep es denn! ich habe in den Kämpfen für das Vaterland dem Tode zn oft in das Auge gesehen, als das ich mich jetzt vor ihm entsetzen sollte. Das Schwert des Nachrichters entehrt nimmer, seit es durch B a u m k irch e rs Heldenblut gereinigct ward.« Nach dieser Rede wandte sich Lueger und ging, erblickte gelassen die Menge des versammelten 5 äi4 Volkes, von dem ihm manche Mitlcidsthrane entgegen blickte. Sein edles Betragen machte einen großen Ein¬ druck ans alle Gemüther der Anwesenden, denen er wie ein höheres Wesen erschien. Er ward jetzt in ein anderes Gefängniß gebracht, welches, obschon etwas geräumiger und milder, doch darum nicht minder schrecklich war, weil alle, die es bewohnten, von dort zur Todesstättc wandeln mußten. Auch ward er mit geringeren Fesseln belastet. Mit männ¬ licher Standhaftigkeit erwartete nun Erasmus die Erscheinung der ernsten Stunde, wo ein Schwertschlag das Posseuspiel seines Lebens enden, den dichten Vor¬ hang vor der Zukunft Tiefen seinen Blicken offnen sollte. Viele Besuche von neugierigen Gaffern belästigten ihn; aber er empfing sie alle mit Sauftmuth, besprach sich mit ihnen, und scherzte sogar, voll der erhabenen See¬ lenruhe. Angenehm war ihm das öftere Wiederkommen eines in der Seelsorge ergrauten Weltpriesters, mit dem er sich gern über Zukunft und Unsterblichkeit besprach. So vergingen die zwei— so war schon der dritte und letzte seiner Tage der Vollendung nahe, Lueger war gefaßt; er verachtete die Welt, ihren Undank — ihre schönen Seifenblasen alle—und seine Seele schweb¬ te schon über dem Sarge, athmcte reinere Himmelsluft; sah schon in bessern Gefilden so manchen seiner Jugend- gefährten, der im Kampfe für's Vaterland an seiner Seite fiel. Er unterhielt sich im Geiste mit seinem Lehrer und Waffenbruder B a n m k ircher, der ihm freundlich entgegen eilte, im Lande der Liebe. Ohne Gattin, ohne Kinder, von seinen Waffenbrüdern getrennt und ver¬ lassen , band ihn nichts mehr an die Erde. In solche Betrachtungen versunken, saß er einsam in der Abend¬ dämmerung des dritten Tages, indeß seine Wächter, von ihm reichlich beschenkt, im Vorgemache weidlich zech- 35 ten , und auf die Gesundheit des Verurtheilten manchen Humpen leerten — als plötzlich die Thür sich öffnete, und ein langer Franciskaner-Mönch herein trat. Lue¬ ger, der diese Erscheinung für einen bloß geistlichen Besuch hielt, stand auf, ging dem Kommenden entge¬ gen, und sprach mit sanftem Ernst: »Ich dank' Euch, ehrwürdiger Vater! für Eure fromme Sorgfalt! Meine Rechnung mit dem Himmel ist geschlossen, ich wünschte die letzten Stunden meines Dasepns mir selbst zu leben.-« Der Mönch schlug schweigend die Kapuze zurück, und Lueger erkannte jetzt in ihm den Hofmeister des Kai¬ sers , Wilhelm von Bär en eck. Dieser edle, biedere Steiermärker, ein würdiger Abkömmling der alten Gra¬ fen von Steier, welche der Steiermark ihren Namen gaben, und sie zuerst zu einer Markgrafschaft, endlich zu einem Herzogthume erhoben, stand wie ein guter Genius am Throne Friedrich des Dritten. Er glaubte die Treue gegen seinen Kaiser am Besten dadurch zu beweisen, wenn er, ferne von jedem Eigennütze, nur das wahre Gute beförderte und seinen Monarchen ab¬ hielt, falschen Einrathungen zu folgen, die ihm und den Völkern seiner Herrschaft nachtheilig waren. Ver¬ gebens hatte Wilhelm einst für Baumkirchers Begnadigung mit allem Nachdrucke gesprochen; ihn konn¬ te er nicht retten, wohl aber seinen Schwiegersohn Hansen von Stube »berg, der späterhin als Lan¬ deshauptmann dem Vaterlande und Monarchen rühmlich diente. Bäreneck, den es empörte, daß wiedereiner der ersten Helden Österreichs durch das Henkerschwert sterben sollte, beschloß Luegern beizustehen, und da er wußte, daß eine öffentliche Begnadigung desselben die mächtige Familie der Pappenheimer und viele mit ihr verwandten Grafen und Fürsten des Reiches zu Be¬ schwerden über verweigerte Geuugthuung verleiten wür- 3 * 56 de, so wählte er das Mittel, den Gefangenen durch die Flucht zu retten. Unter einem schicklichen Vorwande verließ er den Kaiser auf der Reise, eilte unerkannt nach Frankfurt zurück, und kam in jener Verkleidung zu dem Verurtheilten. Lueger war erstaunt, einen Günstling des Kaisers in dieser Lage vor sich zu sehen; doch Wilhelm wollte die kostbaren Momente nicht zu unnützen Erklärungen verschwenden. Vorsichtig zog er eine Feile und ein Schwert aus den Falten seines Kleides hervor, leise lispelnd: »Hier übergib ich Euch die Werkzeuge zur Rettung. Um die Mitteruachtsstunde werden Eure Wächter — ich habe dafür gesorgt — im tiefen Schlafe liegen. Jenseits des Maines erwartet Euch Euer Leibknappe mit Pferden, doch müßt Ihr den Fluß durchschwimmen; denn auf der Brücke stehen Wachen. Haltet Euch verborgen, bis cs mir vielleicht einst gelingt, Eure Begnadigung zu erwirken.« Eras¬ mus wollte seinem Retter um denHals fallen; doch die¬ ser zog wieder die Kapuze über den Kopf und verschwand. Lueger wußte nicht, wie ihm geschah, er fragte sich selbst ob er geträumt habe? Nur der Anblick der Feile und des Schwertes überzeugte ihn von der Wahr¬ heit der Erscheinung, und regte mit einer magischen Kraft die süßen Lebcnshoffnungen wieder in seinem Bu¬ sen auf. Indem er sich mit dem Plane seiner Flucht beschäftigte, uud die rege Phantasie ihn schon in die heimischen Fluren versetzte, breitete die Nacht ihr schwar¬ zes Gewand immer dichter über die schlummernden Ge¬ filde aus; aber auch immer unruhiger lechzte seine Seele nach Rettung uud Freiheit. Er erblickte den Abend¬ stern, der freundlich durch das schmale Fenster des Ge¬ fängnisses auf ihn herabblickte, und cs war ihm, als strahlte sein mildes Licht tröstenden Balsam in das po¬ chende Herz. Er sah schon im Geiste das unermeßliche 57 Himmelsgewölbe mit all' den schimmernden Gestirnen über sich; atbmete wieder die freie Gotteslnft, und es ward ibm so leicht — so wohl! — Nicht mehr ferne war jetzt die Mittcrnachtsstnnde. Leise schlich er zur Thür seines Kerkers und horchte. Freudig vernahm er das Schnarchen der schlummern¬ den Wächter, denen durch Bären ecks Veranstaltung, der mit Opium vermengte Rebensaft alle Sinne schwer gefesselt hielt. Nun begann Lueger sein Werk, und die gefällige Feile entledigte ihn bald seiner Ketten. Kaum fühlte er die Freiheit seiner Glieder, so zog er das Schwert und drückte einen Kuß darauf, so feurig und innig, wie der Jüngling auf die Lippen des nach langer Trennung wiederkchrenden Liebchens. »Komm, theures Werkzeug des Muthes! Freiheit oder Heldentod selbst sollst du mir verschaffen!« Leise diese Worte mur¬ melnd öffnete er entschlossen die Kerkcrthür; er schlich unbemerkt durch die schnarchenden Wachen, mußte noch mehrere menschenleere Gemächer durchwaudclu, und tapp? te sich endlich über eine Wendelsticge hinab in den Vor¬ hof. Das Thor war offen, aber er horte vor selbem den Fußritt einer Schildwache. Unbemerkt wollte er sich der Pforte nahen, und dann, wenn der Wächter abwärts sich wendet, durch die Dunkelheit begünstiget, schnell hinausschlüpfen. Schon war er von den Grän¬ zen der Freiheit nur mehr drei Schritte entfernt, als plötzlich ein ungeheurer Bullenbeißer mit lautem Gebelle auf ihn losrauntc. Lueger wollte ihn mit dem Schwerte «iederstoßen, als seine getreuen zwei Hunde, welche von dem Hause seiner Gefangenschaft nie gewichen wa¬ ren, durch das Thor herein auf die Bestie hiustürzten, und sie mit vielen Bissen zerzausten. Lueger, den Augenblick benützend, wollte eben einen raschen Satz durch das Thor machen, als ihm eine tiefe Baßstimme: 38 »Wer da?« entgegcnbrüllte. Jetzt galt es Besinnung! Ehe di,e Dache ihr schwerfälliges Luntengewehr los- drucken konnte, war es ihr schon entrissen, und der ent¬ waffnete Spießbürger nahm erschrocken das Fersengeld. Ohne einen Augenblick zu säumen, eilte nun Erasmus den Ufern des Maines zu, stürzte sich rasch iu die rau¬ schenden Wogen, und schwamm, begleitet von seinen getreuen Rüden, die schnell ihm nachfolgten, an's jen¬ seitige Gestade, wo es ihm bald gelang, seinen mit den Rossen harrenden Knappen zu finden. Hastig ging es jetzt fort dem Vaterlande zu. Bä¬ renecks weise Vorsicht hatte für Geld, Lebensmittel und Kleider gesorgt. Als der Tag anbrach, versteckten sie sich in einem Walde, und hatten das Vergnügen, ihre Verfolger auf der Heerstraße vorbeisprengen zu sehen, ohne hinter den Gebüschen bemerkt zu werden. Vorsichtig verwechselten sie da ihre Kleider, machten ihre Gesichter unkenntlich, und traten erst mit wicder- kehrenden Nacht ihre weitere Wanderschaft an. Glück¬ lich entgingen sie den Gefahren der Entdeckung, hörten in mancher Stadt von Luegers Flucht und Achtser¬ klärung , und erreichten endlich die Gränze der österrei¬ chischen Staaten. Wehmüthig-süße Empfindungen durch¬ wallten Luegern bei dem Anblicke der heimischen Ber¬ ge. Er freute sich, diese bekannten Gegenden, die so vertraulich ihn ansprachen, wieder zu sehen; aber es schmerzte ihn tief, als ein Geächteter wiederzukehren, und in den Ländern, wo einst sein Heldenruhm selbst in den Hütten der Landleute nicht unbekannt war, jetzt gleich einem Diebe und Mörder sich verbergen zu müs¬ sen. Gern hätte er seinen Lieblingswohnsitz am Fuße des Scheckels zum Aufenthalte gewählt; doch! dort war keine Sicherheit für ihn, und so entschloß er sich, nach Lu eg, dem alten Stammschloße seines Geschlechtes zu 59 wandern, obschon eine gewisse innere Stimme ihm dieß abzurathen schien. Die Lage dieses Ortes, welche so ganz mit seinem gegenwärtigen Schicksale übcreinstimmte, die Festigkeit, die ihn vor jedem Überfalle schlitzte, und endlich das Bcwnßtseyn, das dieser Erdenwinkel selbst wenigen der Eingeborenen, und zwar nur in einem engen Kreise umher bekannt seh, bestimmten ihn nach Vcrnunftschlüssen zu dieser Wahl, obschon das Herz widersprach. Damals hatte Krain noch eine sehr dürf¬ tige Bevölkerung, und war mit vielen Wäldern und großen Wüsteneien erfüllt, unter welchen die Gegend um Lu eg den ersten Rang behauptete. Noch beinahe ein Jahrhundert später gab es in diesem Lande der wil¬ den Thiere so viele, das eine Edelfrau das Unglück hatte, inner den Manern ihres Schloßes im Hofe von einem durch das offene Schloßthor herein gekommenen Bären zerrissen zu werden, woraus man sich eine Vor¬ stellung von dem damaligen wüsten Zustande dieses Lan¬ des machen kann. Was aber zur Verborgenheit dieses Stammschloßes der Lueger am meisten beitrug, war, daß es im Lande noch ein zweites Schloß dieses Na¬ mens gibt, welches von später» Zweigen dieses Ge¬ schlechtes in einer angenehmen Gegend erbant, und zu ihrem gewöhnlichen Wohnsitze erwählet war, welches dann das erstere allgemach in Vergessenheit brachte. Es war Sitte der Edelgeschlechter des Mittelalters, meh¬ reren Schlossern, die sie erbauten, ihren Familienna¬ men zu geben. Es war eine fürchterliche — grauenvolle Nacht, der Donner rollte, die Blitze schmetterten, heulende Stürme rissen hundertjährige Bäume aus ihren Wur¬ zeln, Regen und Schlossen strömten von dem schwarz- bcschleierten Himmel herab, als Erasmus und sein Knappe, nach langem Umhcrirren in den Ungeheuern 40 Wäldern, und steter Gefahr, von einem Blitzstrahle getroffen oder von den krachend niederstürzenden Bäu¬ men erschlagen zu werden, am Fuße der Felsenhöhle ihres künftigen Wohnortes anlangten. Sie banden die Rosse an einen Baum, wozu ihnen die Blitze leuchte¬ ten, und kletterten mühsam auf Händen und Füßen den schmalen Fußsteig hinan, voll Besorgniß, jeden Augen¬ blick durch einen Fehltritt in den Abgrund zu stürzen, bis sie endlich, von Nässe träufelnd, matt und kraft¬ los, das Ziel ihrer Wanderschaft erreichten. Die klei¬ nere Pforte des Schlosses war unverschlossen; sie schli¬ chen die Treppe hinan, und kamen endlich in das erste, zweite und dritte Gemach, ohne die Spur eines Be¬ wohners zu entdecken. Schon wollten sie auf hartem Boden ihren müden Gliedern eine Lagcrstclle gewähren, als es ihnen däuchte, sie hörten Menschenstimmen. Schnell tappten sie, so viel es die Fiusterniß gestattete, dem Laute nach, und entdeckten bald durch die Thürspalte des hintersten Gemaches den Schimmer eines Lichees. Lueger öffnete rasch; aber wie groß war sein Erstau¬ nen, als er zwölf bewaffnete Männer um einen run¬ den Tisch zechend erblickte, die bei seinem Anblicke so¬ gleich von ihren Sitzen auffuhren, ihre Schwerter aus den Scheiden rissen, und gegen ihn losbrachcn. »Halt!« schrie Lueger mit einer Donnerstimme, und hielt ihnen die Pistole drohend vor. Sie wichen etwas zurück, und der Unerschrockene fragte gebietherisch: wer sie seyen, was sie hier wollten? »»Was gibt dir ein Recht zu die¬ sen Fragen?«« erwiederte einer dieser Männer. »Ich bin Herr dieses Schloßes, und will wissen, wer mei¬ ne Einwohner sind,« antwortete Lueger. Die Män¬ ner waren erstaunt über die Äußerung, sie sahen ihn forschend an, und riefen endlich frendig aus: »»Er ist's! cs ist Lueger, unser Herr und Gebieter!«« Jetzt 41 erkannte Erasmus ebenfalls, daß cs seine Reisige waren, denen er scheu vor mehreren Jahren die Be¬ wachung dieses Schloßes auvcrtraute, wohin er jedoch seit einiger Zeit nicht mehr gekommen war. Als er sie näher über ihre bisherige Lebensweise befragte, ge¬ standen sie ihm freimüthig, es sei die Nachricht von seiner Hinrichtung zu Frankfurt bis zu ihnen gelangt, und da hätten sie sich entschlossen, vom Sattel und Steg¬ reife zu leben. »Vielleicht werde auch ich gezwungen seyn, diese Lebensweise zu ergreifen,« dachte sich Lue¬ ger, verzieh ihnen, und behielt sie in seinen Dien¬ sten. Er und Franz, der Gefährte seiner Flucht, ließen sich jetzt den Wein und die Speisen, womit sie von den Reisigen bewirthet wurden, herrlich munden, und streckten dann, gesättigt, die müden Glieder auf den Boden hin, wo sie bald ein wohlthätigcr Schlaf besuchte, so fest und süß, als lägen sie auf Eiderdunnen. Am folgenden Tage wurden Anstalten zur neuen Haushaltung getroffen. Erasmus theilte die Nollen zum künftigen Lebcnsschauspiel aus. Er untersuchte das Schloß, und fand es so kärglich mit Hausgeräth ver¬ sehen, daß er kaum ein Paar wankende Tische, und die Fragmente eines Bettes für sein eigenes Lager auf¬ finden konnte. Zum Glücke kannte man damals all' die zahllosen Bedürfnisse der Weichlichkeit unserer Zeiten noch nicht, und die zu allen Beschwerden abgehärteten Krieger begnügten sich leicht. Lueger sann jetzt auf Mittel, sich und den Scinigen einen anständigen Lebens¬ unterhalt zu verschaffen, und beschloß daher, seine übri¬ gen Besitzungen im Lande in Geheim zu besuchen. Auf die Treue seiner Vögte konnte er sich verlassen, und die Unfruchtbarkeit der Gegend seines Wohnortes nö- thigte ihn, die Nahrungsmittel von andern Orten zu beziehen. In das Gewand eines wendischen Bauers ver- 42 mummt, von einem einzigen Diener begleitet, machte er sich am dritten Tage nach seiner Ankunft auf den Weg, und wollte zuerst das untere Lueg besuchen, des¬ sen Bogt ein würdiger Greis, das schönste lebende Ideal eines treuen Untergebenen war. Schon erblickten sie des Schloßes Thürme, als sie einen alten tiefgebeugten Mann mit eisgrauen Haaren, langsam, gleich einem Schat¬ ten, daherwanken sahen. Sie kamen ihm näher. Lue¬ ger faßte ihn in's Auge, und plötzlich rief er: »Con¬ rad! mein alter, lieber Conrad!« und faßte die Hand des Greises. Dieser erhob sein Antlitz, wischte sich ein Paar Thronen von seinen grauen Wimpern, und starrte mit seinen erloschenen Augen den Ritter an; aber jetzt fing er an zu zittern, seine Knie brachen, und er wäre zu Boden gesunken, hätten ihn die Bei¬ den nicht unterstützt. Nach einigen Minuten erholte er sich wieder, sank in Luegers Arme, und weinte Freudenthränen über die uuvermuthete Erscheinung sei¬ nes lieben Zögliuges in den Knabenjahren. Nachdem sich der Alte gefaßt hatte, verlangte Erasmus, er sollte ihn in das Schloß begleiten, aber Conrad er¬ widerte mit bebender Stimme: »»Ich kann — darf Euch nicht hiuführcu. Sie haben mich ausgetriebcn, mich weggejagt — ließen mir nichts als diesen Bettel¬ stab.« Indem er dieß sprach, zog er einen Brief aus dem Busen, und übergab ihn Luegern. Dieser las: »Unglücklicher Freund! alle meine Mühen, dein Schick¬ sal zu bessern, waren fruchtlos. Mehr als Pappen¬ heims Mord vergrößert dein Unglück die lügenhafte Anklage deiner Feinde, als sehest du ein Landesverrä- thcr und Anhänger des so fürchterlichen Königes der Ungarn, Mathias C o r v i n u s. Du bist geächtet; deine Güter sind eingezogcn; man hat einen Preis auf dei¬ nen Kopf gesetzt — fliehe — fliehe in ein fernes Land!« 45 Obschon der Brief ohne Unterschrift war, so konnte doch Erasmus leicht errathen, daß er von seinem Lebensretter kam, der ihm durch einen vertranten Knecht dem alten Conrad zur Bestellung überschickte. Der Eindruck, welchen dieses Schreiben auf Lueger mach¬ te, ist mit kalten Worten nicht zu beschreiben. Stumm und bewegungslos stand er lange da, wie eine steinerne Bildsäule; aber in seinem Innern stürmte es mächtig. Es ging eine heftige Gährnng in seinem Charakter vor, und der bitterste Menschenhaß zerriß endlich die letzten Bande, die ihn noch an eine Welt schloßen, von der er gleichsam verstoßen — ausgeworfen ward. »In der Wiege meines Geschlechtes will ich sterben. Undank¬ bares Vaterland, für das ich so oft gekämpft und ge¬ blutet habe! Ist das der Lohn meiner Verdienste? Du verstoßest mich ans deinem Schooße, dn raubst mir all' meine Habe, meine Ansprüche; lechzest sogar nach mei¬ nem Blute! Wohlan! so habe auch ich keine Pflichten gegen dich, grausame, herzlose Stiefmutter! Komm, Alter! folge mir in meine Felsenhöhle. Naben und Eu¬ len sollen uns ein Morgen- und Abendlied singen, Bä¬ ren und Wölfe unsere Gesellschafter seyn. Ich will dich zu Tode füttern; und sollte ich jeden Bissen, den ich dir reiche, in Menschenblut tauchen müssen.« Erasmus und sein Gefährte nahmen jetzt den Alten in ihre Mitte, und brachten ihn endlich nach einer langsamen Wanderschaft nach ihrem Felscnwohn- sitze. Kaum waren sie dort angelangt, so rief Lueger seine Reisige zusammen, verkündete ihnen sein Schick¬ sal, und erklärte, er sey jetzt genöthiget, vom Sattel und Stegreife zu leben. Die rohen Knechte, au dieses Ränbcrhandwcrk schon gewöhnt, schwuren, mit ihm zu leben und zu sterben. Eine neue Lebensweise begann er jetzt mit seinen Gefährten, wodurch in den kriegen- 44 scheu finstern Zeiten des Mittelalters so viele Glieder der edelsten Geschlechter Deutschlands zur Geißel und zum Schrecken ihres Vaterlandes wurden. Erasmus war nun einer der sogenannten Raubritter, welcher fürchterliche Orden, erst lange nach ihm, im folgenden sechzehnten Jahrhunderte mit einem Berlichingen und Sicking en erlosch. Der erste Gegenstand, welchen Lueger zu sei¬ nen Überfällen wählte, war Hans von Steg berg, sein und seines Geschlechtes vieljähriger geschworner Feind, der ihm stets am Hofe des Kaisers zu scha¬ den suchte, so viel er vermochte. Stürmend erstieg Erasmus mit seinen Reisigen die Veste Stegberg. Ihr unglücklicher Besitzer rettete sich unter das Dach, um sich dort zu verbergen; allein der mürbe Breter- boden brach durch, und er blieb mit dem Halse zwi¬ schen zwei Bretern hängen, wo er elend erstickte, und mit ihm das alte Geschlecht der Herren von Steg¬ berg erlosch. Binnen wenigen Wochen hatte Lueger mit sei¬ nen Reisigen schon Furcht und Schrecken weit umher im Lande verbreitet. Eine Unternehmung folgte der andern; eine kühne That drängte die andere. Schlag auf Schlag trieb er es fort sonder Ruhe, sonder Rast. Reiche Mönche, raubsüchtige Vormünder, tyrannische Vögte und geldstolze Bürger waren die vorzüglichsten Gegenstände seiner Überfälle und Plünderungen. Aber indeß diese den Namen Lueger mit Entsetzen nann¬ ten, war er Wohllaut dem Dürftigen, dem Unterdrück¬ ten und Verfolgten, der in ihm einen thätigcn Freund und Vertheidigcr fand. Von romantischen Grundsätzen durchglüht, von innigem Hasse gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung erfüllt, warf er sich gleichsam zum Oberrichtcr der Menschcnhandlungen auf. Gesetze und 45 Moralität sprechen laut das Vcrdammungsurtheil über diesen Sonderling, und doch kann man von ihm sagen, daß er sein unedles Geschäft edel behandelte. Nie wa¬ ren seine Unternehmungen nach gemeiner Räubcrsitte von Grausamkeit und Unmcnschlichkeit begleitet; sorg¬ fältig vermied er jede Mißhandlung, und vergoß kein Blut, außer wenn Selbsterhaltung ihn dazu zwang. So war Lueger schon im zweiten Jahre der Ge¬ genstand des Schreckens und der Bewunderung. Über¬ all war er in mancherlei Gestalten und Verkleidungen zugegen, wußte von Allem, und entging immer nicht nur allen Nachstellungen, sondern man konnte selbst seinen Aufenthalt nicht erforschen, weil er seine Räu¬ bereien nie in der Nähe desselben trieb. Die Klagen und Beschwerden der Beraubten drangen so häufig zu des Kaisers Thron, daß wiederholte verschärfte Be¬ fehle zu Luegers Vernichtung ergingen. Es wurde vorzüglich dem Hauptmanne von Triest, Kaspar Frei¬ herr von Räuber, das Geschäft aufgetragcn, alle Mühe anzuwenden, denselben lebend oder todt den Hän¬ den der Gerechtigkeit zu überliefern. Erasmus er¬ fuhr diese Verfügungen noch bei Zeiten durch seine Kund¬ schafter. Er war Augenzeuge von den Zubereitungen die zu seinem Untergange gemacht wurden, und wählte nun tollkühn den gedachten Freiherrn selbst zum Ge¬ genstände seiner Neckereien und Überfälle. Räuber, mit einem kleinen Heere von kaiserlichen Söldnern ver¬ sehen , bot alle Kräfte auf, sich seines Auftrages zu entledigen; er unternahm Streifzüge nach allen Gegen¬ den , setzte dem Geächteten und seinem Anhänge überall nach — aber alle sein Anstrengungen waren vergebens. Immer sah er sich getäuscht, immer entwischte der schlaue Fuchs den Nachstellungen des Jägers. 46 Die Götti» des Glückes ist nur zu ost des Un¬ glücks Kupplerin. Sie macht ihre Günstlinge übermü- thig, blind und vermessen, und führt sie endlich von dem Pfade der Klugheit ab, dem Abgrunde des Ver¬ derbens zu. Dieses Loos war schon so vielen Sterb¬ lichen, den mächtigsten Eroberern und stolzesten Erden¬ götter» — cs wurde auch Luegern zu Theil, dessen Muth und Entschlossenheit, von einem tiefen Menschen- hasse genährt, endlich in eine tolle Verwegenheit aus¬ artete. Einst befand sich der Freiherr von Räuber mit seinen Waffengefährten auf seinem Schloße Klein¬ häusel, und saß eben ander Mittagstafel, als Lue¬ ger ohne Begleitung vor das Schloßthor geritten kam, sich mit einem dort stehenden Knechte in eine Unterre¬ dung einließ, und diesen den Auftrag gab: »Geh' hin zu deinem Herrn, und sage ihm nebst meinem Gruß, ich vernahm, daß er schon so lange mich gesucht, aber nicht gefunden habe; ich sei) nun bereit, ihm den Weg zu meinem Schloße zu zeigen. Ich verspreche, ihn dort ehrlicher zu bewirthen, als er mich vielleicht hier em¬ pfangen würde.» »»Wie ist denn Euer Name?»« fragte der Knecht, ihn mit dummer Verwunderung anstarrend. »Ich bin ein Herzensfreund deines Herrn, und heiße Erasmus Lueger,« crwiederte dieser, wandte sein Pferd, schoß zwei Pistolen in die Luft, und jagte da¬ von; Räuber und seine Gefährten eilten sogleich hin¬ ab, setzten sich auf ihre Rosse, und sprengten ihm nach. Sie erblickten ihn in der Ferne, gleich einem nahe an der Erde hinschwebenden Vogel, und in wenigen Au¬ genblicken verschwand er so plötzlich, als hätte ihn ein Geist der Hölle ihren haschenden Händen entrückt. Die Vermessenheit belebte den zürnenden Freiherrn mit neu¬ er Thätigkeit. Er schickte Kundschafter nach allen Rich¬ tungen aus. Endlich gelang es einem derselben den 47 Hufschlag des Pferdes zu entdecken, und auf dieser Spur durch Wälder nud Umwege mit vielen Anstren¬ gungen und Mühe die Gegend von Lu eg zu errei¬ chen, wo er mit spähendem Blicke die Felsenhöhle und das darin befindliche Schloß entdeckte. Kaum hatte Räuber hievou Nachricht erhalten, so brach er mit all' seinen Reisigen dahin auf. Doch sein Erstaunen war eben so groß wie sein Unmuth, als ihn der erste Anblick überzeugte, daß die Festigkeit dieser in einer Felsenhöhle erbauten Burg unüberwindlich, und nur durch Hunger mittelst einer langwierigen Belagerung zu bezwingen sey. Ungern entschloß er sich hiezu, al¬ lein da sich ihm sonst kein anderes Mittel zur Errei- chuud seines Zweckes zeigte, so mußte er sich dieß ge¬ fallen lassen. Lueger und seine Gefährten spotteten iudcß ihrer Feinde. Sie sahen den Bemühungen derselben hohnla- cheud zu, und ließen sich's wohlergehen in ihrem Felsen- ncste. Schon zwei Monate wurde die Belagerung fort¬ gesetzt, und die Belagerer, deren viele ein Opfer der Krankheiten und des Todes wurden, mußten bei einem dürftigen Unterhalte alle Qualen des strengen Winters erdulden. Als nun der letzte Tag des Faschings erschien, zeigte sich Erasmus oben vor seinem Schloße, und rief ihnen zu: daß er sie auf ein Fastnachtsmal beim warmen Ofen zu sich bitte. Da er aber sah, wie seine erstarrten Gegner die¬ sen Spott keiner Antwort würdigten, ließ er den vier¬ ten Theil eines Ochsen an ein Seil binden, und so in die Tiefe, ihnen zum Geschenke, hinabrollen. Räu¬ ber hielt dieß für eine List der Belagerten, die dadurch nur ihren Mangel zu verbergen suchten, und schöpfte neue Hoffnung; doch vergebens! Die Ostern kamen; Lueger erschien wieder, rind machte seinen Feinden 48 ein zweites Geschenk mit einigen fetten Lämmern. Die Zeit verfloß. Der Frühling erweckte die schlummernde Natur. Erasmus setzte öfters seine Erscheinung fort, und ließ sich mit seinen Feinden in Unterredungen ein. Er wiederholte dem Freiherrn seine freundschaftliche Ein¬ ladung , ihn auf Ritterwort, Treu und Glauben auf seinem Schloße zu besuchen, um sich selbst zu überzeu¬ gen, daß alle seine Hoffnung, ihn ausznhungern, frucht¬ los sey. Weil jedoch Räuber, aus Mißtrauen sich hierauf nicht einlassen wollte, so verlangte L u e g e r sicheres Geleit für seinen Leibknappen, um ihn manch¬ mal mit einigen Seltenheiten bewirthcn zu können, da die Mittheilung mittelst langen Stricken zu viele Un¬ bequemlichkeiten hatte. Räuber bewilligte dicß, und verwunderte sich nicht wenig, als er sich so freigebig mit einem Körbchen voll Erdbeeren, Kirschen u. dgl. in einer Jahreszeit beschenkt sah, wo diese.Früchte im Lande nur erst in der Blüte waren. Bald hernach erfolgte ein Geschenk von kostbaren Fischen, und so verging fast kein Tag, wo der Knappe nicht vom Felseuloche herab¬ kletterte, und mit einer neuen Gabe im Lager erschien. Der Freiherr erkannte nun klar, das er seinen Zweck nimmer erreichen würde, und beschloß, müde des fruchtlosen Harrens, dem ungestümen Anhalten seiner überdrüßigen Krieger um Aufhebung der Belagerung uachzngeben. Der Freiherr dachte schon daran, in sei¬ nem Berichte nach Hofe einen Vorschlag zu E r a s m u s Begnadigung zu machen, als ihm ein listiger Friauler aus seinem Heere den unedlen Rath gab, seinen durch Waffen unbezwinglichen Gegner durch List zu vernichten und dazu L u e g e r s Knappen, Franz zum Verräther seines Herrn zu machen. Räuber, denn die Vereitlung seiner Hoffnungen erbitterte, horchte mehr der Stimme der Rache, als der Ehre, indem er den Antrag benützte. 49 Als nun Franz wieder mit einem neuen Geschenke herab kam, empfing er ihn sehr freundschaftlich, ließ ihn an seiner Tafel speisen, und beschenkte ihn reichlich. Die Herablassung der Gebietenden hat eine fast unwider¬ stehliche Kraft auf die Gemüthcr der Gehorchenden; diese Wirkung zeigte fich auch bei dem getäuschten Knappen, der von der scheinenden Güte des Freiherrn ganz bezau¬ bert ward. Er verdoppelte seine Gefälligkeit gegen Franzen bei jeder wiederholten Sendung, und bald hatte er ihn so sehr gewonnen, das er ungescheut mit seinem Anträge zur Sprache kommen durste. Freiheit, Begnadigung, glänzende Versprechungen reichlicher Be¬ lohnungen waren die Sirenen, die mit ihren Zauber¬ gesängen den armen Jungen in das Netz der Verrätherek lockten, und sein empörtes Gewissen zur Ruhe lullten. Sein Innerstes schauderte zwar vor einer so Ungeheuern Treulosigkeit zurück; aber Überredung mahlte ihm das Laster minder gräßlich, machte es zu einem Verdienste um das Vaterland, und zeigte ihm die günstigsten Bil¬ der und Aussichten. Immer leiser, immer schwächer ward die widersprechende Stimme seines Herzens, bis end¬ lich sein guter Schutzgeist weinend von ihm entfloh. — Traurige Schwächen der Menschheit, die uns so leicht auf die Irrwege des Verbrechens lenken, und uns die Rückkehr auf die Tugeudbahn so schwer machen! Gold und Liebe sind dieses Erdballs mächtigste Beherrscher; Mächtige und Bettler tragen ihre Ketten, und wider¬ stehen ihrer Allmacht nur selten. Das erste blendete mit seinem zauberischen Schimmer Franzens Tu¬ gend; die zweite machte sie vollends erblinden. Er hatte zu Wipbach ein Mädchen, das erglühend liebte, dessen Besitz der sehnlichste seiner Wünsche war. Das Laster zeigte ihm den Pfad in ihre nach ihm ausgebrcitcten Arme zum Wonnegenuß des höchsten Erdenglückes; die 4 50 Tugend aber stellte ihm in der Treue gegen seinen Herrn das traurigste Bild einer ewigen Trennung von dem geliebten Gegenstände, und im Hintergründe den schmählichen Tod dar.— Er fiel! Franz entdeckte dem Freiherr», daß Lueger sich täglich des Abends auf ein bestimmtes Plätzchen begebe, dort einem allgemeinen Bedürfniße der Natur Genüge zu leisten; daß dort der Fels von keinem beson¬ der» Umfange sey , und folglich einige Schüsse ans gro¬ ßem Geschütze ihre Wirkung nicht verfehlen würden. Zu¬ fällig hatte man im Lager einige Donnerbüchsen aus dem Zeughause zu Laibach, welche jedoch, da man sie gegen den harten Felsen für unbrauchbar hielt, bisher unbe- uützt blieben. Die Verabredung ward also dahin ge¬ troffen, daß Franz mit Aushängnng eines weißen Lappen bei dem dort angebrachten Fensterchen den Be¬ lagerern das Ziel zur Richtung der Stücke genau be¬ zeichne, und wenn dann Abends Erasmus sich auf den angezeigten Ort begeben würde, so sollte ein an ein Fenster gestelltes brennendes Licht zur Losung dienen. Der verrätherische Bube kehrte zurück, und erfüllte sein Versprechen, leider! nur zu genau. Bald entdeckten die Belagerer das oben flatternde Zeichen, und säumten nicht, alle ihre Donnerbüchsen mit großer Genauigkeit darnach zu richten. Mit pochendem Herzen harrten sie nun der Nacht, und erwarteten mit Sehnsucht die Losung. Lueger war an diesem Tage mürrisch und trau¬ rig, geheime Ahnungen drückten seine Brust; ihm war in vergangener Nacht B a u m k irch e rs Geist im Trau¬ me erschienen, hatte ihm düster die Hand gereicht, und ihn mit dem Finger drohend vor einer Schlange gewar- net, welche er plötzlich an seinem Busen sich windend und zischend entdeckte, worüber er erwachte. Nachdcn- kend schlich Erasmus den ganzen Tag in seiner Fel- 51 senhöhle umher; er sprach, aß und trank sehr wenig, und als endlich der Abend herbei kam, leiteten ihn Na¬ tur und Verhängniß zur Stätte seines Verderbens. Das Todtenlicht leuchtete am Fenster; die vier Donnerbüch¬ sen knallten schrecklich, auf einmal losgebrannt, und der unglückliche Verrathene, von zwei losgesprengten Felscnstücken am Kopfe und Schenkel getroffen, stürzte todt zu Boden. Alle Reisige des Schlosses, vom Schrecken und Verwirrung erfüllt, eilten ihrem unglücklichen Ge¬ bieter zu Hülfe, und diesen Augenblick benützte der Ver- räther, den Belagerern den Eingang zu verschaffen. Mit blanken Klingen drangen sie hinan; die getreuen zwölf Anhänger des Gefallenen setzten sich sogleich zur Gegenwehr, und fochten so lange den Kampf der Ver¬ zweiflung, bis auch der Letzte von ihnen todt an die Seite ihres verblichenen Gebieters hinsank. Jetzt er¬ hoben die Sieger ein gellendes Freudengeschrei, und überhäuften Franzen mit Lobfprüchen und Verhei¬ ßungen. Er mußte ihnen alle Gemächer des Schloßes, besonders jenen, von der Natur selbst gebauten heim¬ lichen Gang auzeigen, welcher in Felsen ausgehvhlet, vier deutsche Meilen laug in die Gegend von Wipbach, die mit Recht Kraius Paradies genannt wird, führet, und woher die Belagerten all' ihre Bedürfnisse auf das reichlichste sich zu verschaffen wußten. Als die Eroberer zur Mordstätte, wo die Erschlagenen sich befanden, zurückkehrten, fanden sie den alten Conrad über Luegers Leiche hiugescnket, in einem Zustande der an Verzweiflung grunzte. Lange sahen sie ihm zu, selbst ihre rohen Herzen fühlten einiges Mitleid für den Grei¬ sen, als er endlich sein Haupt erhob, und seine strafen¬ den Blicke nach Franzen richtete, der seine Augen crrvthend zu Boden schlug. Langsam erhob er sich jetzt, und wandelte gleich einem Schatten der Unterwelt auf 52 ihn zu. Mit feierlichem, richtendem Tone erhob er nun seine Stimme: »Jüngling! du hast deinen Herrn und Meister vcrrathen; zittere, Judas Jskarioti Ich bin sein Rächer.« Mit diesen Worten riß er plötzlich einen Dolch aus dem Gürtel, und stieß ihn mit Jugcndkraft in des Verräthers Herz. Einen Augenblick hernach sank auch der Greis von vielen Hieben und Stichen getrof¬ fen, entseelt auf die Leiche seines Gebieters nieder. Mit reicher Beute beladen, nahmen am folgenden Tage die Sieger ihren Abzug, und überließen die Lei¬ chen der Erschlagenen ihrem Schicksale. Kein lebend Wesen blieb im Schlosse, als Luegers beide Hunde die ihren Herrn auch im Tode nicht verließen. Einige arme fromme Leute aus der Nachbarschaft, entschlossen sich endlich, die Todten zu begraben, und ihrem ehema¬ ligen Wohlthäter im nächsten Kirchhofe ein geweihtes Plätzchen der Ruhe zu gewähren. Kein Verwandter, kein Freund folgte der Leiche des Lueger; nur seine zwei Rüden schlichen ihr traurig nach, legten sich auf sein Grab — und starben bald. — Dicß war im Jahre 1484 das tragische Ende des letzten Sprößlings eines edlen deutschen Stammes. Noch sind von ihm in jenem Schlosse mehrere Denkmale vorhanden; noch zeigt und erkennt man den Platz, von welchem, durch die Gewalt der Kugeln, das Felsenstück absprang, welches den Unglücklichen zerschmetterte.