Sonderabdruck aus der Monatsschrift «Die Erdbebenwarte», Nr. i, 2, 3, 4, V. Jahrg., 1905/6. Die Hauptstation fiir Erdbebenforschung in Miinchen. Von Dr. J. B. Messerschmitt in Miinchen. Im Jahre 1840 wurde von J. Lamont bel der Munchner Sternwarte ein erdmagnetisches Observatorium eingerichtet, das fast ein halbes Jahr- hundert in Tatigkeit blieb. Aufiere Umstande zwangen dann den Direktor der Sternwarte, die Beobachtungen einzustellen, allerdings in der Hoffnung, sie bald wieder aufnehmen zu konnen. Dieser Wunsch wurde nicht so rasch erfiillt, indem erst nach einer zwolfjahrigen Pause, dann aber auch auf vollig neuer Grundlage, der erdmagnetische Dienst in Bayern \vieder erstanden ist, und zwar derart, daC nunmehr dessen Fortbestand gesichert ist. Das neue Observatorium wurde mit registrierenden Instrumenten aus- gestattet. Damit war nun die Moglichkeit gegeben, auch den Erdbeben- erscheinungen mehr Aufrnerksamkeit zu widmen, in einem Lande, das sonst nur selten und dann auch nur in geringem Grade von diesem Naturereignisse beriihrt wird. Die magnetischen Variationsapparate zur fortlaufenden Aufzeichnung der drei Komponenten des Erdmagnetismus sind in einem besonderen unter- irdischen Raume auf isolierten, festen, eisenfreien Steinpfeilern aufgestellt, so dafi sie gegen aufiere Erschiitterungen vollig gesichert sind. Da nun die Magnete bei diesen Instrumenten an langen feinen Drahten aufgehangt und daher sehr leicht beweglich sind, so konnen damit schon recht schwache Erdstofie angezeigt werden. Beispielsweise hangt bei dem Deklinations- variometer die 30 Gramm schwere Nadel an einem 70 cm langen, auflerst diinnen Draht. Die Hohe des Steinpfeilers mit seinem Fundament betragt fast zwei Meter, so dafi sich der Aufhangepunkt des Fadens gegen drei Meter iiber dem festen Boden befindet. Es miissen also bereits sowohl kleine Neigungsanderungen, die ja allerdings nur bei lokalen Beben starker auf- treten, als auch besonders die horizontalen Wellenbewegungen von Fernbeben deutlichc Ausschlage der Nadel hervorrufen. Noch empfindlicher ist das 2 Variometer fiir die Horizontalintensitat, da durch die bifilare Aufhangung eine Art labilen Gleichgewichtes hergestellt ist. Aber auch die magnetische VVage zeigt eine grofie Empfindlichkeit gegen Erschiitterungen des Erdbodens In der Tat sind auch seit der Aufstellung dieser Instrumente alle bekannteren grofieren Fernbeben damit aufgezeichnet worden. 1 Das Erkennen schvvacherer Beben hingegen wird teilweise durch den EinfluG des elektrischen Betriebes untertags erschwert, teilweise auch durch die Unsicherheit, sie von kleinen magnetischen Erzitterungen zu trennen, unmoglich gemacht. 2 Diese und ahnliche Erwagungen liefien es mir erwiinscht erscheinen, die neu zu errichtende Erdbebenstation mit dem erdmagnetischen Observatorium vereinigt zu sehen, welchem Wunsche auch die mafigebenden Behorden Folge gaben. Da fiir die Aufstellung von Seismometern ein vollig geeigneter Ort in den vorhandenen Gebaulichkeiten des Observatoriums und der Sternvvarte nicht vorhanden war, mufite ein Neubau errichtet werden, der neben dem Instrumentenraume auch noch ein Bureau erhalten solite. Um das Gebaude moglichst vor au( 3 eren Storungen zu sichern, wurde es im Westen der Sternwarte moglichst weit von der Strafie, von der es gegen 70 m entfernt bleibt, erbaut. Das Terrain der Sternwarte, in der Vorstadt Bogenhausen gelegen, ist noch aufierhalb des allgemeinen Verkehrs, auch endet der dahinfiihrende Fahrweg dort. Es ist daher der Wagenverkehr daselbst ganz unbedeutend. Die westlich gelegene Hauptstrafle, zugleich die Landstrafie, am rechten Ufer der Isar entlang von Miinchen iiber Fohring nach Ismaning fiihrend, bleibt vom Erdbebenhause noch 200 m entfernt. Der Verkehr ist auf dieser Strafie ziemlich lebhaft, besonders zu gewissen Tageszeiten fahren hier sowohl viele leichtere Landfuhmerke, hauptsachlich Milchwagen, als auch besonders schwerer beladene Ziegelfuhrwerke mit den Backsteinen der benachbarten Ziegeleien nach der Stadt. Die elektrische Strafienbahn endet in 217 m Entfernung siidwestlich von dem Observatorium. Die Eisenbahn nahert sich im Siidosten bis auf nicht ganz 1500 m. Grofiere Fabriksetablissements mit schweren Maschinen sind ebenfalls nicht in der Nahe. Der Betrieb der benachbarten Ziegeleien gibt zu starkeren Erschiitterungen keine Veranlassung. Die nachsten Fabriken mit grofieren maschinellen Anlagen bleiben mehr als 1 km von der Erdbebemvarte entfernt. Aus allen diesen Griinden ist die Warte fiir eine Grofistadt aufier- ordentlich giinstig gelegen und haben auch die Registrierungen bisher keinen besonderen Einflufi des Stadtgebietes erkennen lassen. Dieses Ergebnis war 1 Schon Lamont hat gelegentlich Fernbeben auf diese Weise beobacbtet und darauf basierend einen Erdbebenmesser angegeben. 2 Die hieher gehorigen Erfahrungen habe ich in einer Untersuchung: «Beeinflussung der Magnetographen-Aufzeichnungen durch Erdbeben und einige andere terrestrische Erschei- nungen* (Sitzungsbericht der matbemalisch-physikalischen Klasse der bayrischen Akademie der Wissenscbaften, Bd. 35, 1905, Seite 135 bis 168) eingehend behandelt. 3 auch zu erwarten, da der so iiberaus empfindliche Quecksilberhorizont bei den astronomischen Beobachtungen der Sternwarte bisher keine Unruhe zeigte. Zum Teil darf dieses befriedigende Resultat der Bodenbeschaffenheit von Munchen zugeschrieben werden. Die Sternwarte liegt namlich auf einer kleinen welligen Erhohung aus rotem Lehm , der ja auch die Anlage von Ziegeleien in dieser Gegend schon frtiher veranlaCte. In der nachsten Nahe der Sternwarte ist deshalb auch bereits fast aller Lehm abgebaut. Unterhalb dieser Lehmschicht liegt der sogenannte Flysch. Es ist anzunehmen, dalj der elastische Lehm alle oberflachlichen Erschiitterungen rasch erstickt und damit ist auch zu erklaren, dafi vom stadtischen Getriebe nicht einmal Bewegungen von wenigen f.i , wie sie unser Seismometer noch anzuzeigen vermag, hervorgerufen werden. Freilich ist wegen der Nahe der Stadt auf die Dauer eine solche ungestorte Lage wohl nicht zu erhalten, aber sie ist ja auch, wie die Er- gebnisse von Leipzig zeigen, nicht unbedingt notvvendig. Als Instrumentarium wurde zunachst ein Wiechertsches Pendelseismo- meter in Aussicht genommen, wonach sich auch der Neubau zu richten hatte. Um dasselbe vollig sicher aufzustellen, wurde das Fundament des Instrumentenpfeilers direkt auf den festen Boden, den Flysch, 3 m unter¬ halb der Oberflache, gebaut. Der Pfeiler, ganz aus Zementbeton hergestellt, hat eine treppenformige Gestalt mit drei Stufen. Seine unterste Bodenplatte miCt 3• 50 m auf 3 m, wahrend die Oberflache noch i' 7 S m auf i ‘35 m hat. Um den Pfeiler ist aus Beton ein fiir sich bestehender Raum geschafifen, dessen Mauern mit ihrem Fundament ebenfalls bis zum Flysch gehen, aber mit dem Pfeilerfundament nicht in direkter Verbindung stehen. Seine Dečke, aus leichtem Gebalk, befindet sich 2 ■ 30 m liber der Pfeileroberflache. Der FulJboden des Innenraumes liegt in gleicher Hohe mit der Pfeilerflache, ist aber vollig davon isoliert. Die etwa 1 cm breite Zvvischenfuge deckt ein leicht aufliegender dicker Filzstreifen, der zugleich das Aufsteigen der Keller- luft verhindert. Die Isolierung ist gut gelungen, so dalj der Aufenthalt des Beobachters im Instrumentenraume das Seismometer nicht stort. Die Breite des Fuflbodens um den Pfeiler betragt iiber I m und erlaubt daher sowohl das, Aufstellen kleiner Hilfsgegenstande als auch das Aufbewahren der Dia- gramme in einem grolJerejj Schranke. Der eigentliche Erdbebenraum ist von einem schmalen Gange umgeben, der an der einen Seite, wo sich der Eingang des Hauses befindet, einen fast 2 m breiten Flur bildet. Flier werden die Diagramme fixiert. (Das Beruflen des Registrierpapieres findet auBerhalb dieses Gebiiudes statt.) Die Kanten des Instrumentenpfeilers sind nach den vier Flimmelsrich- tungen orientiert. Der Hauseingang, geschiitzt durch einen kleinen Vor- bau, liegt im NE., wahrend die Tiire zum Bebenraum im SE. liegt. Auf der gleichen Seite liegt auch das Bureau, mit einer Bodenflache von 5 -g m auf 5 m. 4 Der Fufiboden des Flures und des Ganges liegt auf einem Gebalk, das nur auf den auCeren Mauern des Hauses ruht und vollig von dem oben angegebenen Mauer- werke des Erdbebenraumes isoliert ist. Er ist mit Bret- tern belegt und am Ein- gang mit Linoleum be- deckt. Das Fundament der Aufienmauern des Hauses ist nur 2 m tief, ruht also noch auf dem Lehm. Es bleibt daher unterhalb des Fufibodens ein etwas iiber 1 1 / 2 m hoher Kellerraum iibrig, der gegebenenfalls zur Aufstellung von Instru¬ menten und dergleichen dienen kann. Der Fufiboden des Bureaus ist auf folgende Art hergestellt: Zwischen die Bodenbalken, die etwa je einen halben Meter von- einander entfernt liegen, sind Hohlziegel eingelegt, dann ist der ganze Boden mit einem sogenannten Korkestrich (kleine Kork- stiicke mit Zement ge- mischt) bedeckt worden. Auf diesem ist ein starker Linoleumbelag ausgebrei- tet. Dadurch werden die Erschiitterungen, welche beim Gehen oder auch beim starkeren Auftreten entstehen, so gedampft, daB das Seismometer keine 1 ' Špur davon zeigt. Wie gut 1 die Isolierung des Instru- j' '1 mentenpfeilers durch alle diese Mafiregeln gelungen ist, erkennt man daraus, daB der allerdings geringe Verkehr im Hause in den Kurven nicht bemerkt wird. Sehr heftiges Tiir- s zuschlagen erzeugt einen kleinen senkrechten Strich von etwa I mm Lange, was einer Bodenbewegung von 5 /t entspricht. Bei einem starkeren Besuche von mehr als 50 Personen, die sich allerdings nur in dem auGeren Korridor aufhielten, wurde nur eine geringe Nullpunktsverlegung bemerkt, entsprechend der starken einseitigen Belastung des Hausfundamentes auf der NE.-Seite (dem Eingang). Der Instrumentenraum hat zwei Fenster, je eines im SW. und NW., denen Doppelfenster in der AuGenmauer entsprechen. Ebenso ist die Ture ver- glast. Man kann sich so stets von auGen iiberzeugen, ob das Seismometer richtig arbeitet. Durch zwei elektrische Gliihlampen an der Dečke, die von aufien eingeschaltet werden konnen, ist auch bei Nacht fur gute Beleuch- tung gesorgt. Ein Steckkontakt erlaubt mit einer Handlampe iiberall Licht hinzubringen, wenn allfallige Reparaturen etc. am Apparate notwendig sind. Der Flur wird durch ein zweites Fenster im Nordwesten gut beleuchtet; das Bureau hat deren zwei. Der geraumige Bodenraum, durch eine Leiter erreichbar, dient zur Aufbevvahrung weniger notwendiger Gegenstande. Der Bau ist von dem k. Landbauamte entworfen und in Regie aus- gefiihrt worden. Es darf hier noch besonders hervorgehoben werden, da !3 diese Behorde auf alle meine VViinsche bereitwilligst einging, obwohl liie- durch die ursprunglich fiir das Gebaude bewilligte Summe nicht unbetracht- lich tiberschritten wurde. Allerdings wurde aber auch dadurch nicht nur eine erhohte Sicherheit in der Aufstellung des Erdbebenapparates erreicht, sondern es wurde auch die ganze Anlage geraumiger und damit fiir langere Zeit zweck- entsprechend hergestellt. Auch auGerlich reprasentiert sich das Erdbebenhaus, obwohl keine kostspielige Architektonik angewendet wurde, ganz hiibsch. Das Pendelseismometer ist von der Firma G. Bartels in Gottingen unter der besonderen Aufsicht von Prof. E. Wiechert gebaut worden. Es unterscheidet sich von den alteren Instrumenten in mancher Beziehung, so sind die Dampfer weiter nach auGen gestellt, statt der Glasnadeln sind feine Platindrahte an den Schreibarmen u. dgl. m. Die Seismogramme werden auf beruGtes Papier geschrieben, das mit einer Geschwindigkeit von 12 mm in der Minute bevvegt wird. Die Zeitmarken werden durch eine Sekunden-Pendeluhr mit Holzpendel in derWeise hergestellt, dafi die beiden Schreibarme jede Minute 3. Sekunden lang und jede volle Stunde 10 Sekunden lang abgehoben werden. Die Uhr wird taglich mit den Normaluhren der Stern- warte vefglichen und durch kleine Auflegegewichte auf einem am Pendel ange- brachten Teller so reguliert, daG sie stets nur einen sehr kleinen Stand und Gang hat. Ihr Gang ist seit ihrer Aufstellung immer sehr befriedigend gewesen und hielten sich die taglichen Gangschwankungen innerhalb weniger Zehntelsekunden. Die Uhr hangt an der inneren Zwischenmauer im Bureau und ist dadurch gut vor starkeren Erschiitterungen und auch vor raschen Temperatur- schwankungen geschiitzt. Der Erdbebenapparat ist so aufgestellt, daG die Komponenten in N.-S.- und E.-W.-Richtung aufgezeichnet werden. Die Schwingungsdauer des ungedampften Pendels ist auf 14 Sekunden gebracht worden, damit wird die aquivalente Pendellange 49 Meter. Das Gewicht der Pendelmasse betragt IOOO kg. Die Empfindlichkeitsbestimmung ergab die folgenden Werte nach der Bezeichnung von Wiechert: 1 Aquivalente Indikatorlange . . I — 9500 Meter, Ausschlag fiir 1 Bogensekunde E — 47 Millimeter, Indikatorvergrofierung ... V — 200fach. Das Seismometer ist Ende Juli 1905 abgeliefert und Anfang August aufgestellt worden. In der ersten Zeit fehlte noch die Uhr fiir die Zeitmarkierung, die erst im September abgeliefert wurde. Der Apparat funktionierte von Anfang an, abgesehen von einigen kleinen Unter- brechungen, die bald behoben vvaren, immer befriedigend. Wie die Ver- gleichungen mit den Wochenberichten der Strafiburger und Gottinger Erdbebenstationen zeigen, werden alle dort angegebenen Erdbeben auch bei uns erhalten. Es ist daher bereits ein recht schones Material vorhanden, das in nicht zu grofien Zwischenraumen veroffentlicht und an alle Interessenten abgegeben werden soli. Am erdmagnetischen Observatorium werden jetzt neben den speziellen magnetischen Untersuchungen auch luftelektrische Arbeiten ausgefiihrt, wozu nunmehr auch der Erdbebendienst in Rayern gekommen ist. In diese Auf- gaben teilen sich zwei Beamte, was nur dadurch moglich ist, daft eine Ati- zahl laufender Dienstgeschafte, wie das tagliche Bedienen der Registrier- instrumente u. dgl., von dem Mechaniker der Sternwarte besorgt wird. Die taglichen Uhrvergleichungen besorgt der Offiziant der Sternwarte, dem auch dort der Zeitdienst obliegt. Kleinmayr &. Bamberg, Laibach.