Ein Tag in Tunis. Von Dr. Emil Bock. Rach einem Vortrag in der Sektion Kram des Deutschen und Österreichischen Mpenvereinrs. Gin Hcrg in Tunis. Von Dr. Emil Bock.* Wenn man für eine verhältnismäßig so lange Reisestrecke wie Laibachs-Tunis nur kurze Zeit zur Verfügung hat, so muß man nicht nur an Len kür¬ zesten Verbindungsweg, sondern auch an ein Ver¬ kehrsmittel denken, das eine gewisse Bequemlichkeit gewährleistet, so daß man, nicht gleich vom ersten Anlauf ermüdet, für die folgenden Genüsse genügend aufnahmsfähig ist. Ich wählte daher den Eildampfer, der allwöchentlich am Donnerstag mittags von Triest nach Alexandrien fährt und am Freitag mittags in Brindisi hält, wo ein großer Teil der mitteleuro¬ päischen Post für ihn bereit gehalten wird. Wir konn¬ ten mit dieser Wahl sehr zufrieden sein, denn unser Schiff, die „Semiramis", war durch Gröhe und innere Einrichtung von vorneherein vertrauen¬ erweckend. Die herrliche Bucht von Triest war von vollem Sonnenschein beleuchtet und ein kräftiger Nordost blies vom Karste herunter; er war aber so liebens¬ würdig, die Ruhe des Meeres nicht zu stören. Die letzte Stunde vor unserer Abreise verging uns rasch * Nach einem Vortrage in der Sektion Krain des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins. — 2 in der Betrachtung des fieberhaften Lebens, das sich am Hafendamm und am Schiffe abspielte. Ein Wagen nach dem anderen kam Heraugeroüt. Eine ununter¬ brochene, sich immer wieder erneuernde Kette von Menschen bildete die Verbindung zwischen Schiff und Land. Der Dampskrahn hob große Kisten und Ballen auf das Verdeck, von wo aus sie in dem schwarzen Leibe des Schiffes verschwanden. Zum Schlüsse rasselten noch mehrere Postwagen heran, der letzte von ihnen enthielt die Wertsendungen, die mit besonderer Sorgfalt dem Schiffe übergeben wurden. Das Nebel¬ horn hatte bereits dreimal sein ohrenbetäubendes Getute ertönen lassen, als noch eine Schar Reisender auf das Schiff stürzte. Sie blieben mir dadurch be¬ sonders im Gedächtnis, daß sie ihre Sitzgelegenheiten mitbrachten, aber eine recht unbequeme, nämlich für jeden einen schmalen Sessel mit hoher Lehne. Als der Kapitän den Befehl zur Abreise gab, setzte der Dampskrahn den schweren Landungssteg auf den Hafendamm, unter lautem Gerassel wurde die Anker¬ kette aufgerollt, und ein kleiner Schleppdampfer brachte die „Semiramis" aus dem inneren Hafen ins offene Fahrwasser. Die klare Luft des Herbstnachmittages gestattete uns, die Westküste Istriens deutlich zu sehen. Mit freiem Auge konnte man in Parenzo und Rovigno nicht nur die Kirchen mit ihren bekannten Türmen, sondern auch die Häusergruppen unterscheiden. Die leichte Bewegung des Meeres war das einzige Zeichen des Lebens in dieser Unendlichkeit, denn man sah kein einziges Schiff, nur weit in der Ferne bewegte sich langsam eine schwarze Masse, die uns von be¬ rufener Seite als ein Torpedozerstörer der italie¬ nischen Flotte bezeichnet wurde. Als die Dämmerung des herannahenden Abends hereingebrochen war, erhob sich ein so starker Wind, 3 daß wir selbst in geschützter Nische des Verdeckes nicht mehr ruhig sitzen konnten und im Lesezimmer Schutz suchen mußten. Der Helle Klang der Glocke des Ober¬ kellners rief uns zur Hauptmahlzeit, die uns sehr erwünscht kam, denn die scharfe Seeluft hatte uns Hunger gemacht, den wir an der überreich besetzten Tafel gründlich stillten. Im großen Speisesaale hatten nahe an 100 Reifende der ersten Klasse Platz genommen, alle Stände und alle Altersstufen waren vertreten, alle Weltsprachen konnte man hören. Eng¬ länder auf der Reise nach Ostindien bildeten mit ihren Damen eine Tafelrunde für sich; Franzosen und Niederländer unterhielten sich in ihren beiden Sprachen abwechselnd; einem Sudan-Prinzen mit seinen: Gefolge schlossen sich zwei äußerst lebhafte Japanesen an; unser bedeutendster Reisegenosse aber war mein Nachbar zur Linken, der den Ehrenplatz zur Rechten des Kapitäns hatte, der Marschall Mouktar Pascha Ghazi, der siegreiche Feldherr in manchen Schlachten der Türkei, jetzt Vertrauensmann der Pforte in Ägypten. Nach einer in der gemütlichen Kabine trefflich verschlafenen Nacht war uns am anderen Morgen ein etwas hoher Seegang nicht ganz angenehm. Pünktlich um 1 Uhr nachmittags landeten wir in Brindisi und verließen das Schiff, auf welchem für die Reisenden mit der größten Aufmerksamkeit ge¬ sorgt worden war, so daß man einem solchen Aus- enthalt nur die angenehmste Erinnerung bewahren kann. Der Hafen von Brindisi ist so tief, daß auch große Schiffe unmittelbar am Hafendamm anlegen können, daher einem das lästige Fahren mit einer Barke erspart bleibt. Bei prachtvollem Wetter be¬ traten wir den Boden Italiens. Im Hafen wimmelte es von Menschen, welche den aussteigenden Reisenden i* 4 ihre Dienste, Früchte und andere Dinge anboten. Eine ganze Reihe der bekannten grünen italienischen Post¬ wagen war aufgefahren. Am auffallendsten war die ungeheure Menge von Weinfässern, die überall auf¬ gestapelt lagen und uns daran erinnerten, daß Brin¬ disi der Hauptort für die Ausfuhr italienischer Weine ist. Brindisi ist reich an geschichtlichen Erinnerungen, hier endete die Via Appia, auf welcher Horaz als Begleiter des Maecenas von Rom nach Unteritalien reiste; hier starb Vergil auf seiner Heimreise von Griechenland und im unscheinbaren Dome von Brin¬ disi wurde Friedrich II., der leuchtende Hohenstaufe, im Jahre 1225 mit Jolanthe von Jerusalem getraut. An seine Zeit erinnert noch eine mauerumgürtete und turmbewehrte Burg, die heute ein Gefängnis für Galeeren-Sträflinge ist. Auf der Fahrt durch die Stadt wird der Blick des Reisenden durch manches absonderlich gebaute oder verzierte Haus gefesselt. Das ist aber auch das einzig Bemerkenswerte!, denn im ganzen sieht man in Brindisi nur Verwahrlosung und Wohl auch Armut der Bewohner, eine unter- italische Stadt, die nur Schattenseiten zu besitzen scheint, neben denen nur die Landschaft allein als Lichtseite den Fremden umfangen hält. Wir fuhren noch am selben Nachmittag mit einem Bummelzüge, dem einzigen, der uns noch zur Ver¬ fügung stand, nach Tarent. Der Schienenstrang ver¬ läuft hier in weiter Ebene, die init niedrigen Reben dicht bepflanzt ist; an ihnen hingen die großen Trauben so iippig, daß man die Weinblätter fast gar nicht zu sehen bekam. Dies bestätigte uns, was wir in Brindisi gehört hatten: daß 1906 ein besonders fruchtbares Weinjahr gewesen sei, so daß Tausende und Tausende von Arbeitern nicht imstande gewesen waren, die Lese zu bewältigen. s In vorgerückter Abendstunde in Tarent ange- komimen, sanden wir die Fahrt vom Bahnhofe nach dem weit entlegenen Gasthause durch die mannig¬ faltige Beleuchtung der zahlreichen Schiffe, die in dem schon den Kreuzfahrern bekannten Hafen vor Anker lagen, sehr kurzweilig. Als wir am anderen Tag schon sehr zeitig von Tarent abreisten, machte uns die Düne mit ihren wellenförmigen, niedrigen und hohen Sandhügeln im fahlen Lichte des Morgens einen trostlosen Eindruck, der in lebhaftem Wider¬ spruche mit der Erinnerung an die fruchtbare Küste Unteritaliens stand. Überall nur niederes Gestrüpp und Gesträuch, dazwischen Tümpel von Seewasfer, nur hier und da ein Baum — meist Nadelhölzer — aber nicht aufrechtstehend, sondern durch die Wucht des Südwindes gebeugt weisen sie alle nach Norden. Die ausgehende Sonne verwandelte das Meer in flüssiges Gold, als wir in Metaponto, dem Sterbe¬ orte des Pythagoras, ankamen. Hier stiegen wir in den Eilzug, der uns nach Nordwest, in das Innere des Landes bringen sollte. Die Landschaft wird nun immer anmutiger und abwechslungsreicher, was Wohl darin seinen Grund hat, daß zahlreiche Flüsse und Bäche den Boden beleben, ein in Unteritalien un¬ gewohnter Anblick, wo der Reisende nur nach mehr¬ tägigem Regen oder heftigen Gewittergüssen die Wasserläuse Halbwegs gefüllt findet. Dementsprechend gedeihen in dieser Gegend Baumwolle und kostbarer Safran. Niedrige, mit immergrünen Eichenwäldern bedeckte kuppenförmige Hügel liegen vor hohen Bergen, durch welche wir in unzähligen Tunnels und gedeckten Bogengängen fuhren. Wir durchqueren noch die von schäumenden Wassern durchtoste Platano- Schlucht und erreichen nun wieder offenes Gelände, an dessen nordwestlichem Hange das Städtchen Eboli - das alte Eburum — anmutig liegt. Wälder von 6 Eichen und Oliven sind die Begleiter bis nach Batti- Paglia, einem bedeutenden Eisenbahn-Knotenpunkt. Hier verlassen wir den Zug, weil wir den Tempeln von Paestum einen Besuch abstatten wollen. Die Fahrt geht nun geradeaus nach Süden durch eine nur von Büffeln belebte Niederung, welche ihrer verderblichen Sumpffieber wegen mit Recht berüchtigt ist. Es ist ein« wahre Freude zu sehen, in welchem Umfange und mit welchem Erfolge die Waffen gegen die Malaria geschwungen werden: überall Haine von hochstämmigem Eucalyptus, überall regelmäßig am gelegte Wassergräben; für die Bahnbediensteten — die einzigen Bewohner dieser Gegend — ist in ver¬ schiedenster Weise gesorgt, daß die mit den Plas¬ modien des Sumpffiebers gefüllten Mücken mit ihren Stacheln die Haut des Menschen nicht erreichen kön¬ nen, u. zw. eine besondere Kleidung, an der der Stroh¬ hut mit dem am Rock befestigten Schleier und die hohen Stulp-Handschuhe besonders zu bemerken sind. In den Fenstern und Türen vermissen wir überall Glasscheiben; sie sind durch engmaschige Drahtgitter ersetzt. Knapp vor der Haltestelle Pesto sieht man für einen Augenblick alle drei Tempel. Von dem mit einer bescheidenen Gastwirtschaft versehenen Eisen¬ bahnhäuschen kommt man nach wenig Schritten zum Sirenen-Tor, so genannt, weil es im Altertum mit dem Bildnis einer märchenhaften Meeresbewohnerin geziert war. Wir betreten nun das Gebiet der alten Stadt, das von einer größtenteils wohlerhaltenen Mauer eingeschlossen ist. Auf guter Straße längs eines für italienische Verhältnisse auffallend gut und reinlich anssehenden Landbesitzes kommen wir zu dem Haupttempel von Paestum, der dem Neptun, dem Schutzgotte der alten Griechen-Ansiedlung, gewidmet war. Sie hieß ursprünglich Poseidonia, was dann 7 später erst in Paestum umgewandelt wurde. Der Tempel gehört zu den besterhaltenen von den Alten auf uns überkommenen Bauwerken und stammt aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. Er ist aus braunem Tuffstein erbaut, die glatte Oberfläche seiner Säulen ist dem Anstürme des Windes und der nagenden Einwirkung der Meeresluft zum Opfer gefallen; die versteinerten Muscheln und Gräser liegen so an der rauhen Oberfläche frei zutage. Dieser Tempel besitzt in baulicher Beziehung eine hervorragende Bedeu¬ tung, weil auf die hohen Säulen seines Innern noch kleine Säulen als ein Stockwerk aufgesetzt sind. Bei diesem großen, ich möchte sagen mächtigen Bauwerk, zeigt sich so recht der unerreichte Sinn der Griechen für Schönheit der Form und für richtiges Verhältnis der Teile untereinander, auch in den größten Massen. Auch von anderen Völkern des Altertums sind uns Bauwerke solcher Art überkommen, auch Inder, Assyrer, Ägypter haben ihrem Kraftbewußtsein und ihrem tiefen Gefühle durch Tempel- und dergleichen Bauten Ausdruck gegeben. Es sind die größten Massen, die Menschenhände je in Bewegung gesetzt haben, sie wirken aber auch nur durch diese. Die Griechen allein haben es verstanden, die Massen und Linien so zu wählen, daß auch die mächtigsten Bauten niemals der Anmut entbehren, denn niemals unter¬ liegt die Schönheit dem Drucke der Masse. Wenige Schritte zur Linken befindet sich der zweite Tempel, welcher Basilika genannt wird. Wieso die unrichtige Anwendung dieses Namens hier entstanden ist, ent¬ zieht sich meiner Kenntnis. Zweifellos war es ein einer Doppel-Gottheit geweihtes Haus, denn seine Cella ist durch eine Mauer in zwei Abteilungen ge¬ sondert. Neben dem tadellosen Neptun-Tempel macht die Basilika keinen so formvollendeten Eindruck. Es ist daher anzimehmcn, daß sie noch älter ist als jener, 8 denn es ist wohl kaum denkbar. Laß man neben fehlerloses Bauwerk ein minder hochwertiges gesetzt hätte. Wir gehen noch zum Tempel der Ceres, der durch seinen hochragenden Giebel auffällt. Und nun heißt es, zur Eisenbahn eilen, wollen wir noch den Tageszug erreichen und nicht erst den des Abends, der uns in vorgerückter Stunde durch die verrufenen Sumpsniederungen getragen hätte. Auf dem Rück¬ wege gibt es noch manchen günstigen Punkt, auf dem wir noch einmal den prächtigen, unvergeßlich schönen Gesamteindruck der Tempel genießen können. Wir erfreuen uns an den zahlreichen Blumen, meist Thy¬ mian und Wohlverleih, die, beinahe zu stark riechend, zwischen den mit hellweißen kleinen Schneckenhäuschen bedeckten vertrockneten Gräsern sprießen. Wir be¬ wundern die ebenso anmutige als kräftige Form des Akanthus, welcher dem Kalymachos Vorbild für sein korinthisches Kapitäl gewesen ist. Zur Linken vom Tor der Sirene ist die von Brombeerstauden überwucherte Stadtmauer teilweise eingestürzt; die stufenförmig übereinander gelagerten Quadern, auf denen große grüne Eidechsen geschäftig hin und her schießen, machen es leicht, die obere Mauerlinie zu erklimmen, von wo man trunkenen Auges die klassische Land¬ schaft überschauen kann. Von Hellem Sonnenschein begleitet, fahren wir um die Bucht von Salerno und sehen die sanft ge¬ schwungenen Linien der Berge von Amalfi und Ra- vello. Die untergehende Sonne beleuchtet uns schon die Umgebung von Neapel, deren ewige Schönheit sie den stolzen Formen ihrer Höhen und der reichen Bepflanzung ihrer Niederung verdankt. Wahrhaft ein Garten seliger Götter! — Das allbekannte Bild von Pompeji, mit dem Vesuv im Hintergründe, hat sich ganz geändert, denn sein letzter Ausbruch hat ihn seinen früheren schönen Kopf gekostet und hinter ihm 9 - macht sich die steile Wand des Monte Somma um so mehr bemerkbar. Den folgenden Tag verwendeten wir fast aus¬ schließlich für die Betrachtung der einzig dastehenden Schätze des Museo Nazionale in Neapel, die durch neue Aufstellung und Anordnung wesentlich gewon¬ nen haben. Am Nachmittag machten wir eine Spazier¬ fahrt nach Puzzuoli und erfreuten uns an der kindlich harmlosen Fröhlichkeit der Landbevölkerung, welche alle Gasthäuser dicht besetzt hielt, um sich bei mäßigem Genüsse von Wein zu unterhalten. Der Abend fand uns schon auf dem Schiffe, welches nach Palermo fährt. Diesmal war es eine hohe, gekrönte Dame der neuesten Zeit, welche uns gastliches Obdach bot: die „Regina Margherita", ein sehr großer Post¬ dampfer, mit dessen Fahrleistung, innerer Einrichtung und Abendtafel man sehr zufrieden sein konnte. Der Liebenswürdigkeit eines jungen Schiffsoffiziers, der uns ansprach und sich nach unseren Reiseplänen er¬ kundigte, verdankten wir die Ausstellung einer be¬ quemen Bank auf der ganz freien Fläche des Vorder¬ deckes, wo wir in vollen Zügen die Herrlichkeit eines klaren Mondabendes genießen konnten. Die letzte Erinnerung dieses Abends ist noch der Anblick Don Capri, welches mit seinen scharfen Umrissen als eine dunkle Masse aus dem Meere aufstieg, da mittler¬ weile eine fast undurchdringliche Wolkenwand den Mond verhüllte. In dieser tiefen Dunkelheit war es uns vergönnt, die feurige Beleuchtung des Vesuv zu sehen, aus dessen Krater stoßweise grellrote Blitze Rauch und Nebel beleuchteten. Am anderen Morgen war ich schon um 5 Uhr auf dem Verdeck. Der Himmel war leicht bewölkt, man sah aber schon Sizilien als eine grau-blaue Masse aus der Ferne. Überall zahlreiche kleine In¬ seln, über dem Ätna ein großes bleigraues Wolken- L 10 dach wie bei schwerem Gewitter. Das Häusermeer von Palermo ließ nach und nach Türme und Kup¬ peln erkennen, und wir landeten in der Hauptstadt Siziliens, welche in der mit unerschöpflicher Frucht¬ barkeit begnadeten Concha d' oro wie eine kostbare Perle in farbenprächtiger Muschel liegt. Die herr¬ liche Stadt bietet als solche und mit ihren gro߬ artigen Kunstschätzen sowie Bauwerken denkbar größten Genuß, der sich in ihrer engeren rind weiteren Umgebung zu hoheitsvoller Größe steigert. So ins¬ besondere bei dem Ausfluge zum Tempel von Segesta. Nach einer entzückenden Eisenbahnreise und einer geradezu aufregenden Wagenfahrt auf kühner Berges¬ straße steigt man über eine steile Schutthalde bis zu jener hochgelegenen Bergesmulde, wo die Griechen ihre Stadt Egesta erbaut hatten. Als einziger Über¬ rest aus großer Vergangenheit steht hier in tiefer Einsamkeit der unvollendet gebliebene Tempel, um¬ geben von himmelanstrebenden Felswänden, aus deren Spalten die Fächerpalme ihre starren Blätter schickt, umgeben von dem leuchtenden Rot lieblich duftender Alpenveilchen. Am 2. Oktober um 1 Uhr fuhren wir von Pa¬ lermo nach Tunis. Die Zeit vor der Abreise belästig¬ ten uns Straßensänger, welche zu dem nerven¬ tötenden Geklimper eines Straßenklavieres krächzten und schrien. Unser Schiff „Elettrico" machte seinem Namm alle Ehre, denn schlank gebaut, mit zwei Ma¬ schinen und zwei Schrauben ausgerüstet, sauste es über die Oberfläche des Meeres, so daß man weder seine Bewegung noch die der Wellen zu spüren bekam. Es war ein Herbstnachmittag von seltener Schönheit; die Nordküste von Sizilien geizte nicht, uns in vollem Sonnenschein all ihre Pracht zu zeigen. Die Luft war so klar, daß man mit unbewaffnetem Auge auf dem Monte Pellegrino das vom Blitz enthauptete Stand- 11 bild der hl. Rosalia, der Schützerin von Palermo, wahrnehmen konnte. Eine fast ununterbrochene Reihe von Ortschaften liegt hart am Meeresrande, alle in malerischer Umgebung; als Hintergrund mäßig hohe, scharflinige, zackige Berge mit den den Erhebungen vulkanischen Ursprungs eigenen Formen. Schon uni 4 Uhr nachmittags kamen wir nach Trapani, also überraschend schnell. Wären wir abergläubisch ge¬ wesen, so hätten wir unsere Reise von ungünstigem Geschicke beschieden erachtet, denn hier wurde mit vielem Gepränge eine Leiche, die mit uns von Pa¬ lermo gefahren war, ans Land gebracht; ein Schau¬ spiel, welches ein dichtes Gewimmel von Menschen heranlockte. Wir benützten den mehrstündigen Auf¬ enthalt, um die Stadt zu besichtigen. Von diesem Bummel in den auffallend stillen Straßen ist nichts besonders erwähnenswert. Trapani liegt auf sichel¬ förmiger Halbinsel — daher der Name, von Oie panon, die Sichel. Salinen und eine große Wind¬ mühle begrenzen das südliche, eine alte, weit hinaus ins Meer ragende Befestigung aus der Bourbonen- Zeit das nördliche Ende des Hafens; den Hinter¬ grund bildet der mäßig hohe, kuppenförmige Monte Giuliano, der Mons Eryx der Alten, berühmt ge¬ wesen durch seinen Venus-Tempel und die schön¬ sten Frauen Siziliens. Als wir aus dem Hafen fuhren, war es trotz vorgerückter Stunde noch so weit hell, daß man die zahlreichen Inseln, welche der Nordwestecke Siziliens vorgelagert sind, sehen konnte. Die plötzlich ein¬ gebrochene Dunkelheit wurde ebenso schnell von deni strahlenden Lichte des Vollmondes durchdrungen. Die nun folgenden Stunden gehören zu den großartigsten und eindrucksvollsten meines Lebens, und wenn ich auch zugeben muß, daß Stimmung und außerordent¬ liches Reiseziel eine begeisterte Aufnahme jeden Er- s* - 12 eignisses sichern, so mutz ich doch den bezaubernden Farben des südlichen Himmels und des südlichen Meeres besondere Wirkung zuschreiben. Ein gütiges Geschick hat mir auf manchen Wanderungen und Reisen viel des Schönen und Erhabenen vergönnt. Ich bin, vom Lichte des Vollmondes geleitet, zwischen den Riesen des Triglav gestiegen; eine stille Voll¬ mondnacht hat mein Freilager in einem Hochtale der Karpathen behütet; der Vollmond hat einmal meinen Weg taghell gemacht, als ich vom Vesuv herunter¬ ritt; die roten Felsen von Helgoland haben im Silberlichte des Mondes geschimmert, als mich ein kleines Segelboot Um die Insel fuhr; und die volle Scheibe des treuen Erdbegleiters durchbrach sieghaft die Gewitterwolken, als ich auf sturmgepeitschtem Meer von Dänemarks Küste nach Kiel reiste: aber alle verschwanden hinter der märchenhaften Pracht und der zauberischen Schönheit dieser Stunden auf dem „Elettrico". Die Luft war tadellos klar; am tief dunkelblauen Himmel flimmerten und funkelten die Sterne, das Meer lag regungslos als unendliche Fläche vor uns und das schäumende Kielwasser bil¬ dete im Lichte des Vollmondes einen langen silber¬ glitzernden Streifen. Die Stille der Nacht wurde nur durch das eintönige Geräusch der Maschinen und durch das Brausen der Wellen am Buge des Schiffes unterbrochen. Es war auffallend kühl und wir mutzten uns ebenso in unsere Mäntel hüllen, wie der wach¬ habende Matrose, der sich mit seiner Kapuze im vollen Mondlicht geradezu gespensterhaft vom dunkelblauen Himmel abhob, während er seine regelmäßigen Schritte auf der Wachtbrücke auf und ab zurücklegte. Als er mit der Schiffsglocke das Zeichen gab, daß es 11 Uhr sei, ging ich in meine Kabine, wo ich prächtig traumlos Afrika entgegenschlies; meine Reisebeglei¬ terinnen, Frau und Tochter, zogen es auch diesmal 13 vor, die Nacht auf dem Verdecke zuzubringen, und als ich ain anderen Morgen um 5 Uhr wieder sicht¬ bar wurde, konnten sie mir die unbeschreibliche Pracht der Nachtfahrt nicht genug preisen. Luft und Wasser schienen unverändert, nur die Farben waren etwas matter geworden, und man merkte deutlich, daß der werdende Tag die sterbende Nacht mit kraftvoller Hand verdränge. Im Grau des Morgens befanden wir uns vor La Goulette, Goletta, dem Hafsnvor- orte von Tunis. Auf der Marina brannten noch die Straßenlaternen, welche, aus der Ferne gesehen, eine aus leuchtenden Punkten zusammengesetzte feurige Linie bildeten. Von hier aus kommt man auf den See von Tunis, genannt El Bahira; irr ihm be¬ grenzen zwei aus roh übereinander geworfenen Steinen gefügte Mauern eine Wasserstraße. Vor uns tanzte eine mit zahlreichen Arabern dicht besetzte Segelbarke, über die niedrigen Wellen des Meeres flogen kreischende Möven und Sumpfvögel. Die Fahrgeschwindigkeit unseres Schiffes wurde zusehends geringer; immer deutlicher hoben sich zur Linken und geradeaus hinter den Häusern von Tunis niedrige Berge, und plötzlich befanden wir uns in einem dichten Gewimmel von Ruderbarken und- Segel¬ booten, aus denen Araber und Neger mit affenartiger Geschwindigkeit auf das Verdeck des Schiffes kletter¬ ten, um den Reisenden als Lastträger zu dienen. Obwohl dieser erste Gruß des Morgenlandes, dar¬ gebracht durch seine malerischen Söhne, eins Menge lebendigen Reizes enthielt, so wurde das viele Schreien und Treiben doch etwas ungemütlich und es war mir sehr angenehm, daß sich ein ortskundiger Herr in liebenswürdiger Weise uns zur Verfügung stellte. Er war ein Gasthofbesitzer in Tunis, der den Sommer in seiner Heimat, der deutschen Schweiz, zugebracht hatte und nun zur Reisezeit wieder zurück- 14 kehrte, um sein mir schon in Palermo bestempfohlenes Haus zu sichren. Vor Verlassen des Schiffes bekommt jeder Reisende vom Oberkellner ein achteckiges blaues Kartenblatt, auf welchem bestätigt wird, daß man gesund sei; dann noch eine kurze Besichtigung unseres Gepäckes durch französische Zollwächter und wir be¬ treten Afrika auf dem lebensvollen Hafendamm von Tunis. Der Wagen unseres Wirtes wartete auf diesen; er überließ ihn uns, und als wir einstiegen, grüßte uns ein mit Burnus und Fez bekleideter alter Araber voni Kutschbocke mit leichter Handbewe¬ gung. Unter vielem Geschimpfe und Geschrei der Kutscher und Lastträger löste sich der Knäuel von in¬ einander gefahrenen Wagen. Wir waren so glücklich, uns an der Spitze der den Hafen verlassenden Ge¬ fährte zu befinden, und fuhren über die nichts Auf¬ fallendes bietende Hafenstraße in das europäische Viertel, dessen zwei Hauptstraßen gut gepflastert, breit, mit Bäumen bepflanzt und von hohen, neuen Häusern begrenzt sind. Gegen die schlechten Miet¬ wagen Siziliens stechen die zahlreichen zweispännigen Fiaker durch ihre Nettigkeit vorteilhaft ab. Die elek¬ trische Straßenbahn vermittelt auch schon in früher Morgenstunde lebhaften Verkehr nach europäischer Art. Allein auch schon hier sieht man ein malerisches Beispiel morgenländischen Verkehres: eine Herde von Dromedaren, mit Lebensmitteln und Holzkohle be- ."aden, kreuzt unseren Weg, von der Umgebung der Stadt in diese des Morgens hereingetrieben. Unser Hotel St. George liegt an der Nordgrenze der Stadt in einem großen Garten und macht einen einladenden Eindruck. Als wir nach dem Frühstück vor dem Haus auf den Wagen warteten, genossen wir den Prächtigen Anblick von einigen Chasseurs d'Afrique, welche mit fliegendem Weißen Mantel und langer Flinte auf dem Rücken auf edlen Pferden 15 in kurzem Galopp vorübersprengten. Als nun der Wagen unseres Gasthofes vorfuhr, saß auf seinem Bocke nicht mehr der alte Araber, sondern ein junger, europäisch gekleideter Mann, der uns in der gemütlich breiten Mundart des deutschen Südens begrüßte; er war ein Elsässer von der badischen Grenze und schon seit mehreren Jahren in Tunis bedienstet, so daß er, des Arabischen gut mächtig, auf der Straße die Leute des öfteren in ihrer Muttersprache anrief, was für unser Gehör ein eigentümlicher Eindruck war, da das Arabische nicht im geringsten an irgend eine uns bekannte Sprache anklingt. Wir fuhren nun wieder dem europäischen Viertel zu. Auf der Place de la Rssidence sahen wir den Palast des französischen Gouverneurs; Tunis steht seit 1881 unter französischer Oberherrschaft, wie ich meine, nur zu seinem Vorteile, besonders für den Fremden, da alle Straßentafeln und öffentlichen Auf¬ schriften die französische Bezeichnung aufweisen. Aus dem europäischen Viertel führt eine breite, volkreiche Straße, die Rue de la Kasba, in die tunesische Alt¬ stadt. Diese hat sich alle morgenländischen Eigenheiten so treu und unverändert bewahrt, daß wir uns plötz¬ lich in eine gänzlich fremde Welt versetzt sahen, welche uns geradezu märchenhaft anmutete. Die Gassen sind meist schmal und weisen nur selten eine platzartige Erweiterung auf; sie sind gut gepflastert, auch ziem¬ lich rein gehalten, zu beiden Seiten befinden sich niedrige, kleine, hellweiß getünchte Häuser, nur selten ein erstes Stockwerk, dann aber fast immer der Straße zugekehrte kleine Fenster, die durch ihre zierliche Holzvergitterung verraten, daß sie den Frauen¬ gemächern angehören. Die Dächer sind alle flach; auf ihnen erfreuen sich die Eingeborenen der kühlen Abendluft. Tore und Türen sind weit offen, so daß man, ins Innere der Häuser sehend, auch das Leben 16 der Morgenländer beobachten kann. Überall kleine Verkaufsladen von Lebensmitteln und dergleichen, auch Handwerksstätten, sehr viele Barbierstuben und ein Kaffeehaus neben den: anderen. Knaben und halberwachsene junge Männer füllen an zahlreichen Wasserausläufen aus Ziegenfell genähte Behälter, tvelche sie dann rucksackartig weiter tragen, mit dem klaren Bergwasser von Tunis. In allen Straßen und Gassen herrscht dichtes Gedränge von Arabern, Mauren, Berbern und Negern. Die meisten sind in weiße Kleider gehüllt, die Araber besonders durch ihre anmutigen und schwebenden Schritte ausgezeich¬ net. Auch die Frauen sind weiß gekleidet, nicht wenige unter ihnen in schwere Seide; die unverheirateten tragen ihre Gesichter mit einem undurchdringlichen schwarzen Schleier bedeckt, welcher weit herunter¬ reicht, die verheirateten ein grobmaschiges schwarzes Gewebe mit großem, wagrechtem Schlitz, aus dem man sprechende schwarze Augen funkeln sieht. In dem durch die helleuchtende Sonne doppelt gleißenden Weiß der Gewänder ist die Vielfarbigkeit der Kopf¬ bedeckung der Männer — Turban oder Fez — geradezu ein Ruhepunkt. An den Straßenrändern sitzen alte und junge Frauen und verkaufen Früchte und andere Lebensmittel. Der Wagenverkehr ist sehr gering; auch Reiter oder Esel sieht man nur wenig. In einer Straße fällt uns die große Zahl europäisch gekleideter Männer auf. Der Kutscher sagt uns, daß wir uns nun im Judenviertel von Tunis befinden. Die Jüdinnen sind auch weiß gekleidet, aber nicht verschleiert; die jungen Fräulein scheinen schon viel¬ fach europäische Kleidung zu bevorzugen. Die bezeich¬ nende Kopfbedeckung der tunesischen Jüdin, eine zuckerhutförmige, etwas nach rückwärts aufgesetzte Haube, die der der niederdeutschen Frau des Mittel¬ alters gleicht, sahen wir nur bei einer alten Frau. 17 Auffallend ist es, daß die Juden von Tunis keines¬ wegs die uns bekannten jüdischen Gesichtszüge tragen. Unter den jungen Mädchen sieht man manche Schön¬ heit; ebenso bemerkenswert scheint es mir zu sein, daß im tunesischen Ghetto, auf Arabisch Hara genannt, keine Trödelladen zu sehen sind, sondern außer we¬ nigen Handlungen für Lebensmittel nur Handwerks¬ stätten, meist Tischler und Schlosser. Nach Durchquerung des Judenviertels kamen wir nun in die nördliche arabische Stadt von Tunis und sahen hier zuerst die größte Moschee der Stadt, Sidi Mahrez. Sie stammt aus dem 17. Jahrhundert und ist mit ihren fünf Kuppeln besonders hervor¬ tretend. Den Mittelpunkt der nördlichen Stadt bildet die Place Halfouine. Sie ist von fast lauter Kaffee¬ häusern eingesäumt. Hier sitzen die Eingeborenen auf notdürftig gepolsterten Bänken mit übergeschlagenen Beinen und rauchen und schlürfen Kaffee. Aber nir¬ gends sieht man jemanden arbeiten. Das Leben fordert eben in Tunis nur den geringen Aufwand von wenigen Sous; mit diesen kann sich der Ein¬ geborene leicht den Hunger stillen; mehr will er nicht, und sie verdient er leicht als Lastträger im Hafen oder Handlanger in der Stadt. Die übrige Zeit des Tages verbringt er im Kaffeehaus; gegen Abend lauscht er an den Mauern der Stadt den Worten eines Märchenerzählers oder ergötzt sich an den Gliederverrenkungen üppiger Tänzerinnen. Hart bei der Place Halfouine befinden sich zwei Moscheen, von denen wir die eine umfuhren. Zahlreiche Tore und Türen führen in das Innere des Gebäudes, für uns war es leider unzugänglich, denn überall hängen Tafeln, auf denen in mehreren Weltsprachen die Ungläubigen bei Androhung schwerer Strafen ge¬ warnt werden, das Gotteshaus zu betreten; und als ein alter, offenbar armer Araber sich eine der Türen 18 aufmachte und dabei scheu nach uns blickte, so war das für uns wie ein Bild aus 1001 Nacht, wie Ali Baba vor seiner Höhle. Bis jetzt waren wir Schritt gefahren, damit uns ja nichts von den wunderbaren und zauberhaften Bildern entgehe. Als wir aber durch ein Stadttor, an den Resten einer alten Maner vorbei, das Gebiet der eigentlichen Stadt verlassen hatten, griffen unsere vortrefflichen Pferde zu einem frischen Trab aus und wir fuhren auf wohlgepflegter, breiter Landstraße fort. Wir befanden uns offenbar in einem Villen¬ viertel, denn zur Linken lagen in lieblichen Gärten, in denen Dromedare Wasser aus Brunnen pumpten, schöne Landhäuser. Das Straßenbild war auch anders geworden; flinke Pferde vor kleinen zweirädrigen Wagen brachten europäisch gekleidete Damen und Herren der Stadt zu; ein Offizier des Bey tummelte in goldstrotzendem Rocke seinen feurigen Berberhengst; mit Reisig beladene Esel wurden der Stadt zuge¬ trieben; dort liefen Männer, die auf dem Kopfe Bretter mit Ölkuchen trugen; da wanderte ein mit Palmzweigen bepackter Neger; hier saßen einige Beduinenweiber mit ihren Kindern, armselige Waren feilbietend. Auf der eintönig graubraunen Ebene reitet eine Gruppe von Spahis und längs der Trümmer der Bogen einer eingeftürzten alten Wasserleitung machen eingeborene Zuaven ihre Übungen. Noch ein kurzes Stück geht es auf der schönen Straße weiter und wir befinden uns in einem wohlgepflegten großen Parke, in dessen Mitte ein Lustschloß des Bey, genannt der Bardo, und ein Mu¬ seum tunesischer Altertümer stehen. Das Schloß ist nicht bewohnt, der Bey verbringt den Sommer in einem nahe gelegenen Landhanse. Wenn man, die mit steinernen Löwen geschmückte Treppe hinan¬ steigend, den Vorraum des Schlosses betritt, so nm- 19 fängt einen die ganze Pracht des Morgenlandes mit ihren glänzenden Marmorsäulen, dem vielfarbigen Steinboden und dem elfenbeingelben Gipsstuck, wel¬ cher mit einem unerschöpflichen Reichtum von ara¬ bischen Ornamenten Wände und Decken schmückt. Blickt man nun noch hinaus in den sonnenbeschiene¬ nen Park, wo ein ebenso farbenprächtiger Kiosk steht, so erwartet man feden Augenblick, daß sich Las Tor des Palastes öffnen und in goldstrotzendem Gewände nnd mit kostbaren Waffen behangen die Großen des Reiches heraustreten werden, um uns mit er¬ gebenem Salem-Gruße zum Eintritt in das Haus des Beherrschers der Gläubigen einzuladen. Es kam aber ganz anders. Denn es öffnete sich nur die kleine Tür einer armseligen, dunklen Steinkammer und schlürfenden Pantoffelschrittes kam uns ein alter Mann in halb militärischer Kleidung entgegen, an welcher Fadenscheinigkeit und Unreinlichkeit wett¬ eiferten. Er war der Führer durch den einen Teil Les Schlosses; er übergab uns dann einem Amts¬ genossen, der ebenso reinlich und nett gekleidet war. Dieser zeichnete sich wenigstens durch große Dienst¬ fertigkeit den Damen gegenüber aus, denn als ich einmal als erster einen Saal betreten wollte, zog er mich unwillig beim Ärmel zurück und forderte die Damen mit höflicher Handbewegung auf, sich den Vor¬ tritt zu sichern. Die Säle und Zimmer des Bardo sind reich an morgenländischen Teppichen von un¬ glaublicher Große und Farbenpracht, die Wände sind aus Marmor, mit Gold und Silber bedeckt, überall edelsteingeschmückte Kostbarkeiten und eine große An¬ zahl von Bildern, meist ganz tüchtig gemalt, welche die Geschichte von Tunis erzählen und die Gesichts¬ züge aller Herrscher der Erde vorführen; aber auch mancher Gschnas, verschiedene kleine Gegenstände, wie 20 man sie in Basaren Europas um wenige Kreuzer kaufen kann. Beim Rückwege fuhren wir an der Kaserne der Leibwache des Bey vorbei, 600 Mann Fußtruppen, Reiterei und Artillerie, die ihm dis Franzosen gelassen haben. Es mutet den Europäer ganz eigentümlich an, daß sich die Übungen dieser schwarzen Soldaten unter lautem Geschrei vollziehen, was darauf zu¬ rückzuführen ist, Laß jeder einzelne das Befehlswort des Unteroffiziers wiederholen muß. In unmittel¬ barer Nähe befindet sich auch der Richtplatz von Tunis, wo auf einem großen, roh behauenen Felsblock die verurteilten Verbrecher enthauptet werden. An einer Straßenkreuzung fesselte unsere Aufmerksamkeit ein blühender Johannisbrotbaum, der uns mit dem süßen Duft seiner in reicher Fülle niederhängenden gelbgrünen Blütentrauben entzückte. Indem wir uns nun südlich wendeten, fuhren wir längs des West¬ randes der Stadt durch ein unfruchtbares, eintöniges Gelände, aus dem sich nur hie und da ein mit arm¬ seligem Feigenkaktus bepflanzter Hügel erhob. In einer Niederung zur Rechten der nicht besonders guten Straße liegt ein kleines Araberdorf, dessen Mittel¬ punkt ein niedriges Minaret bildet. In der Nähe der Stadt wird die Straße wieder besser, die Häuser- netter, und wir fahren durch ein dichtes Gewühl von Menschen unter einem Tor auf einer von der Pferde¬ bahn benützten breiten Straße. Das französische Krankenhaus in der Mitte eines an Palmen reichen Gartens macht einen freundlichen Eindruck; ein großes, im maurischen Stile aus weißen und schwar¬ zen Steinen ausgefiihrtes Gebäude wird uns als Gerichtspalast bezeichnet. Hart am Rande eines aus¬ gedehnten, baumreichen Gartens steht ein Häuserblock, auf dessen Rundgang die inneren Räume durch offene Türen münden; in diesem Haus sowie im Garten 21 sieht man viele junge und alte Männer mit Büchern und Schriften teils sitzen, teils auf und ab gehen: es ist die berühmte mohammedanische Schule von Tunis. Die Straße steigt nun steil an, und wir halten auf deni höchsten Punkte der Stadt, der Place de la Kasba genannt nach einer Befestigung, einer Zita¬ delle aus der Zeit Karls V., welche jetzt das fran¬ zösische Besatzungsheer beherbergt. Auf der anderen Seite befindet sich der Dar el Bey, der Palast des Bey. Als wir aussteigen, eilt ein junger Sudanneger auf uns zu, der uns zu unserer größten Über¬ raschung in der besten Berliner Mundart meldet, er fei aus dem Hotel St. George geschickt, um uns den Tag über als Führer zu begleiten. Hier auf dem Hauptplatze von Tunis berlinerisch angeredet zu wer¬ den, und noch dazu von den wulstigen Lippen eines Negers, konnte seinen großen Eindruck nicht ver¬ fehlen und unter fröhlichem Lachen folgten wir Mo¬ hammed, der sich als vortrefflich kundiger Führer bewährte. Er beherrschte außer seiner Muttersprache und allen Weltsprachen auch Russisch und Polnisch, welche Kenntnis er einem langjährigen Aufenthalte in Berlin und Warschau als Diener eines preußischen Adeligen zu verdanken hatte. Mohammed führte uns zuerst in den Dar el Bey, in das Haus des Herrn von Tunis, der hier all¬ wöchentlich zu Gericht sitzt und Empfänge abhält, um¬ geben von seinen Ministern, die alle Franzosen sind, mit Ausnahme des Ministerpräsidenten, den er sich aus dem Kreise vornehmer Tunesen wählt. Das Innere des ebenso weitläufigen wie an Winkelgängen reichen Gebäudes ist kaum der Besichtigung wert; großartig ist nur die entzückende Aussicht von den Zinnen dieser Burg: ganz Tunis liegt zu unseren Füßen, die weißen Dächer der Häuser gehen ununter- 22 brache» ineinander über und bilden eine endlose Fläche, die nur hie und da mit kleinen Gärtchen durchwoben ist; nach links ein anmutiger Übergang der Häuser in reiche Baumgruppen, in der Ferne das blaue Meer und die grauen Berge von Karthago. Hier sieht man so recht, wie groß Tunis ist; es zählt heute 176.000 Einwohner, davon 100.000 Araber, Mauren und Berber, 50.000 eingeborene Juden und das übrige Europäer, am meisten Ita¬ liener und Franzosen, denen sich in der neue¬ sten Zeit auch Deutsche — darunter manche aus Österreich — angeschlossen haben. Bezüglich der Aus¬ breitung und Kenntnis der deutschen Sprache haben sich im Süden die Verhältnisse ganz gewaltig ge¬ ändert. Vor zehn Jahren fand man allerdings südlich von Neapel, wenn man es sich angelegen sein ließ, deutsche Bedienstete, so daß man zur Not auch ohne Italienisch oder Englisch fortkommen konnte, man war aber auch in großen Städten gezwungen, sich einer fremden Sprache zu bedienen, wollte man seinen Wünschen gehörigen Ausdruck verleihen. Heute sind die Dampfer, welche den Verkehr in der Um¬ gebung von Neapel vermitteln, in den Händen einer deutschen Gesellschaft — nicht zum Nachteile der früher recht einfachen Schiffe. Aus allen großen Dampfern der südlichen Linien findet man immer einen oder den anderen deutschsprechenden Bedien¬ steten, in den Gasthöfen aller, auch der kleineren Städte Siziliens Deutsche, in der Regel die soge¬ nannten Geschäftsleiter, nicht nur Schweizer, sondern auch besonders Deutsche aus Österreich. In Tunis beherrscht nahezu vollkommen den Fremdenverkehr eine deutsche Gesellschaft, welche, von höflich entgegen¬ kommenden Männern geführt, den Fremden freund¬ lich an die Hand geht. Bei dieser Gesellschaft war auch unser Mohammed bedienstet. In der Amtsstube 23 Spatz kann man alles erhalten und erfahren, sei es Geld oder Briefmarken, oder Fahrscheine, oder Jäger, um im Innern des Landes dem Wilde in Afrikas Bergen oder Sumpfniederungen nachzujagen. Wir hatten es diesmal ohne Mühe niemals notwendig, italienisch, englisch oder französisch zu sprechen; wenn wir es taten, so geschah es nur, weil wir nicht selten von den Hergehrachten Pfaden der Reisenden ab¬ wichen, um auch im Innern des Landes seine Schön¬ heiten aufzusuchen. Doch die Zeit, welche wir der Aussicht von Tunis widmen konnten, war gemessen, denn Mohammed drängte zur Eile, wollten wir noch das volle Leven in dem Basar mitmachen. Dieser liegt in unmittel¬ barer Nähe und besteht aus einem nm zwei Mo¬ scheen gelegenen Gewirre von Gäßchen, Souks ge¬ heißen. Zu beiden Seiten dieser befinden sich kleine, niedrige Häuser, in denen die Verkaufsladen und Handwerksstuben untergebracht sind; außerdem nur wenige Lebensmittelhandlungen, viele Barbier¬ stuben und Kaffeehäuser. Da die Gassen gnt gepfla¬ stert, rein gehalten und mit einer Überdachung, durch deren Luken sanft gedämpftes Tageslicht eindringt, versehen sind, so empfängt den Besucher angenehme Kühle, welche desto behaglicher wird, da überall wohl¬ tuende Ruhe herrscht: kein Schreien, kein den Rei¬ senden belästigendes Anpreisen der Waren und Rufen. Hier kann man alles kaufen, was das Herz begehrt, vom einfachen Schuh und schmucklosen Kleide bis zum reichgestickten Pantoffel sowie gold- und edelsteingeschmückten Gewände. Die einzelnen Zünfte sind in besonderen Gassen untergebracht. So sieht man in der einen den Zwirner seine Spule drehen und den Posamentierer aus vielfarbiger Seide bunte Quasten verfertigen. Hier nähen Schneider Weiße Flanellröcke und verzieren farbige Tuchwesten - 24 mit Gold- und Silberschnüren. Der Schuhmacher klopft die Absätze und Sohlen zierlicher Pantoffel. Mit trockenen Disteln kratzt ein alter Araber rote Fez, der Drechsler steht hinter seiner Drehbank und ver¬ fertigt niedliche Figuren aus Holz und Elfenbein. Da klingt hell der Hammer des Goldarbeiters und aus offener Ladentür quillt uns der Duft echten Rosenöls und aller Wohlgerüche Arabiens betäubend entgegen. In einer aus mehreren Kaufläden bestehen¬ den kleinen Halle sind Teppiche von wunderbarer morgenländischer Farbenpracht aufgestapelt; dies ist auch das einzige Haus mit einem Stockwerk, worin ein zungenfertiger Franzose Seidenwaren von be¬ rückendem Glanz und Schimmer den Damen an¬ preist. Da er sieht, daß wir nicht abgeneigt sind, uns mit seinen Waren etwas näher zu befassen, schickt er seinen jungen Neger gleich schwarzen Kaffee holen, den er uns in niedlichen Täßchen anbietet. In der Gasse der Lederarbeiter und Sattler liegt mitten in der Pflasterung ein behauener Stein — das Grab¬ mal des Schützers dieser Zunft — den zu berühren uns Mohammed warnt, weil dies für die Gläubigen ein Schimpf wäre. Ich weiß mich nicht zu erinnern, irgendwo auf kleinem Orte eine so große Menge von schönen jungen Männern gesehen zu haben, wie hier in den Werkstätten der Lederarbeiter; in ihren tadel¬ los reinen Gewändern, mit ihren glattrasierten, nur von einem kleinen schwarzen Schnurrbart gezierten Gesichtern und ihren tadellosen Zähnen machen sie einen geradezu malerischen Eindruck, wie sie mit kunstfertigen Händen das feine Leder von Marokko zerschneiden und mit ebenso vornehmen wie zierlichen Seidenstickereien versehen. Die Ruhe und Stille der Souks wird plötzlich durch lautes Lärmen und Schreien unterbrochen, Mohammed teilt uns mit, daß nun die Zeit der Beduinenbörse gekommen sei. 25 Die Beduinen aus der Umgebung von Tunis kommen in die Souks, um ihre Wolle entweder zu verkaufen oder umzutauschen. Wir ließen uns dies natürlich auch nicht entgehen, und unter dem warnenden Zm rufe Mohammeds, wir mögen uns vor Taschendieben in acht nehmen, begaben wir uns in das volle Ge¬ tümmel des Marktes, das sich an einer erweiterten Kreuzungsstelle mehrerer Gäßchen abspielte. Die Be¬ duinen machen bei weitem keinen so vornehmen Ein¬ druck als die Araber; ihre Weiber dagegen, welche sie mit ihren Kindern an der Hand oder auf dem Rücken begleiten, zeichnen sich durch eine gewisse Anmut der Bewegung aus, welche nicht wenig da¬ durch gehoben wird, daß ihre blassen Gesichter einen sinnenden, fast traurigen Ausdruck haben. Wir mach¬ ten nun rasch noch einen Gang durch die hervor¬ ragendsten Teile des Basars, doch auch dieser märchen¬ hafte Traum ging zu Ende, wir standen wieder auf der sonnenbeschienenen Place de la Kasba, zum elsässischen Kutscher schwang sich der berlinerisch redende Neger, und in flinkem Laufe eilte unser rasches Gefährte durch die Stadt unserer gastlichen Wohnstätte zu. Auf dem Wege dahin erblickten wir noch manches eigenartige Straßenbild; trotz der vor¬ gerückten Stunde sahen wir noch reges Marktleben, aus großen europäischen Verkaufsladen strömte un¬ unterbrochen eine große Menschenmenge, ein Zeichen der reichen Einfuhr europäischer Erzeugnisse. Gehoben durch alle Erlebnisse und Bilder der letzten Stunden spürten wir keine Müdigkeit, er¬ freuten uns aber doch mit einem gewissen Verständ¬ nis an der ausgezeichneten Tafel, die für uns im Gasthose bereits gedeckt war, nicht nur mit den ge¬ wöhnlichen Gerichten, sondern auch mit auserlesenen Gemüsen und Früchten afrikanischer Erde. Köstlich 26 erfrischte uns ein Tafelwasser, das in der Umgebung von Tunis dem vulkanischen Boden entquillt. Nach dem Essen brachen wir zum Nordbahnhofe auf, von wo die Eisenbahn nach Karthago führt. Wir waren mit der Zeitrechnung nicht ganz im klaren, und da die Uhr von Tunis um eine ganze Stunde später zeigt als die mitteleuropäische, so kamen wir zu früh zum Bahnhofe. Merkwürdigerweise gibt es hier, trotz der sonst tadellosen Bahneinrichtungen, keine Wartesäle. Das Bahnhofgitter war gesperrt, so daß wir auf freier Straße in vollem Sonnenschein zu warten uns anschickten. Im Anfänge machte es uns viel Vergnügen, das reiche Straßenleben zu be¬ trachten, welches sich desto abwechslungsreicher gestal¬ tete, als alle Häuser in der Nachbarschaft des Bahn¬ hofes von größeren und kleineren Verkaufsladen ein¬ genommen waren, wo Alte und Junge, Weiße und Farbige den Bedarf des Lebens durch Einkauf deckten. Als es uns aber anfing, etwas zu warm zu werden, entdeckten wir in unmittelbarer Nähe große Bäume, welche die kleinen Tischchen eines Kaffeehauses be¬ schatteten. Dort ließen wir uns behaglich nieder und tranken einen duftenden schwarzen Kaffee um den Preis von einem Sou. Demselben Vergnügen gaben sich eine erhebliche Anzahl von Männern verschiedenen Alters und Standes hin. Mohammed, den wir zum Bahnhof bestellt hatten, fand uns ganz gut hier im Kaffeehaus, unterstützt von der Spürnase des Natur¬ menschen, dem aber die Mitteilung einiger arabischer Frauen zu Hilfe gekommen war, die uns, vor dem Bahnhofe wartend, beguckt hatten. Unser braver Führer ging nun voran, um uns Eintritt auf den Bahnsteig zu verschaffen, und während er damit be¬ schäftigt war, genossen wir mit voller Aufmerksamkeit das überraschende und eigenartige Schauspiel eines arabischen Leichenbegängnisses. Es war die Leiche 27 eines Mannes, welche, wie eine Mumie in dünne Bastmatten gehüllt, auf einer Tragbahre lag, die auf den Schultern von sechs jungen Arabern ruhte. Hin¬ ter dem Leichnam trippelte, rannte und lief, in eine dichte Staubwolke gehüllt, wirr durcheinander eine Menge von Arabern; vornehmlich alte Leute, alle schreiend und singend, aber kein Klagelied, sondern eine ganz lustig klingende Marschweise. Als wir den freien und luftigen Bahnsteig betraten — der Torwart wies ein ihm von mir ge¬ reichtes Trinkgeld mit einer gewissen Entrüstung zurück — saß bereits eine Gesellschaft von Frauen auf einer der großen und bequemen Bänke. Moham¬ med sagte uns, daß es vornehme Frauen aus Tunis seien, welche nun in die benachbarten Villen-Orte fahren. Sie waren in schwere, weißseidene Gewänder gekleidet; man hätte aber nicht gerade behaupten können, daß diese die Formen ihrer fetten Körper allzustark verhüllt hätten. Die Fingernägel hatten sie mit Henna rot gefärbt; die schwarz gemalten Augenbrauen und Wimpern konnte man in ihrer vollen „Natürlichkeit" sehen, weil die schwarzen Schleier nur lose übergeworfen waren. Man konnte es uns gewiß nicht Übelnehmen, daß wir die Ge¬ legenheit benützten, ein solches Schauspiel in der Nähe zu genießen, was aber offenbar nicht den Bei¬ fall der Männer fand, von denen einer die ganze Gesellschaft, nachdem sie sich sorgfältig verschleiert hatte, in einen entlegenen Winkel des Bahnsteiges führte. Mittlerweile war ein Zug aus der Gegend von Karthago angekommen. Da gab es genug ab¬ sonderliche Volksgestalten zu sehen. Nun ertönte auch das Zeichen zur Abfahrt unseres Zuges, den wir rasch bestiegen, was hier in Afrika ohne Klettern über hohe Stufen möglich ist, weil der Bahnsteig sich in gleicher Höhe mit dem Bode der Eisenbahnwagen befindet 28 Diese sind sehr nett ausgestattet, bequeme Sitze im Innern, an der einen Außenseite ein breiter Gang, so daß man die ganze Fahrt im Freien zubringen kann. In unserem Abteil nahmen zwei junge Damen Platz, die, als sie uns deutsch sprechen hörten, uns anredeten. Es bedurfte nicht erst ihrer Mitteilung, daß sie aus Württemberg seien, denn ihre Mundart konnte die Verwandtschaft mit „Barfüßele" nicht ver¬ leugnen. Allem Anscheine nach in den besten Verhält¬ nissen schon mehrere Jahre in Tunis lebend, sprach aus wenigen Bemerkungen doch ihre Sehnsucht nach der deutschen Heimat. Mohammed war ein aufmerksamer Führer, er¬ wies uns alles, was sehenswert war: hier ein um¬ fassender Rückblick auf die Stadt, dort die reiche Villa des englischen Konsuls; hier ein arabischer Kirchhof mit seinen flachen Grabsteinen, dort eine aufgelassene jüdische Begräbnisstätte, auf den teils noch aufrecht stehenden, teils schon umgestürzten Steinplatten eine Unmasse von Scherben und Steinchen als Zeichen des Besuches frommer Glaubensgenossen. Dann geht die Fahrt durch unbebautes Gelände, dessen Eintönigkeit nur durch kleine Strecken Sumpfniederungen und durch zahlreiche Schwärme von Sumpfvögeln unter¬ brochen wird. Mehrere kleine Haltestellen werden, kaum angefahren, auch gleich wieder verlassen. Unser Ziel heißt La Marsa, wo wir aussteigen und eine zweispännige, etwas wackelige Kutsche mieten, die uns unter schwerfälligem Gerumpel Karthago zuführen soll. Zuerst machen wir bei den Zisternen des alten Karthago Halt, in deren großen Höhlungen und Wölbungen jetzt Menschen und Tiere ihre Wohnungen aufgeschlagen haben, so daß der heutige Zustand sich Wohl in grellem Gegensätze zu dem vergangener Zeiten befindet. Als wir wieder einsteig-en wollten, fuhr ein fescher Fiaker mit drei ebenso flott aus- 29 sehenden, fezgeschmückten jungen Herren vorüber, denen in einiger Entfernung eine große Kutsche Mit rotseidenen Vorhängen folgte. Es waren die drei Söhne des Bey, darunter der Kronprinz, gefolgt von seinem Harem. Nach einer großen Straßenbiegung winkt von der Höhe die weißglänzende Kathedrale von Karthago, welche unter dem Schutze Les Kar¬ dinals Lavigerie aus Geldbeiträgen sämtlicher Glaubensbekenntnisse Nordafrikas aufgeführt wurde. Daneben liegt in einem mauerumschlossenen Parke einsam ein Kloster, in dem sich die Geistlichen der ganzen Welt Stelldichein geben. Sein Dach behütet auch eine reiche Menge panischer und römischer Alter¬ tümer, die aber gerade an diesem Tage nicht zugäng¬ lich waren. In unmittelbarer Nähe befindet sich das Gelände, auf dem das alte Karthago stand. Pustend und stinkend fuhr ein großer Kraftwagen an uns vorüber, als wir die durch geschichtliche Erinnerung erhabene, geweihte Trümmerstätte betraten. Es gehört aber auch die ganze Begeisterung einer erinnerungs¬ reichen Seele dazu, um hier sich einer gewissen Ent¬ täuschung erwehren zu können; ein großer Plan, eine öde Trümmerstätte, nur hie und da wild und unruhig durcheinander geworfene Reste von Mauern und Säulen. Nichts mahnt mehr daran, daß hier ein großes, hoch entwickeltes Volk seine Heimstätte fand, ein Volk, welches imstande war, dem mächtigen Rom nicht nur Trotz zu bieten, sondern es auch zu beherrschen, um dann allzubald ein todtrauriges Ende zu finden. Glücklicherweise ist hier die ganze Natur so leuchtend und glänzend, daß trübe Gedanken gar nicht aufkommen können: zur Linken auf mächtiger, breiter Bergeskuppe das Araberdorf Sidi Bou Said, zu seinen Füßen die Badeanstalten der vornehmen Welt von Tunis, vor uns der heute noch sicheren Schutz gebende Haßen von Karthago, in der Ferne 30 die schimmernde Fläche von El Bahira, dem See von Tunis. — Wir besuchten nun noch eine Aus¬ grabung aus der jüngsten Zeit: ein umfangreiches griechisches Theater, dessen Sitzreihen sich in einem weiten Bogen an einen Bergesabhang anlehnen. Große Säulen aus grünem Marmor mit glänzend weißen korinthischen Kapitälen können uns nur eine geringe Vorstellung von der Pracht der damaligen Zeit geben, welche es so großartig verstanden hat, alles in das Gewand unbesiegbarer Schönheit zu kleiden. — Von hier aus fuhren wir dem Bahnhofe von Karthago entgegen, zwischen niedrigen Hügeln auf tief eingeschnittener Straße, zwischen Oliven¬ hainen, Weizenanpflanzungen und Weingärten. In einem der letzteren fiel uns ein nettes Haus auf, gebaut nach der Art der Winzerhäuser in deutschen Weingegenden. Im Schatten des vorspringenden Daches saßen eine alteDame und ein junges Mädchen, beide mit Handarbeit beschäftigt, gewiß Deutsche, die hier ihre Wohnstätte gefunden hatten. Als wir zuni Bahnhaus Carthago kamen, führte uns Mohammed noch zu einem keinen Amphitheater in unmittelbarer Nähe, offenbar aus römischer Zeit, in dem sich Tier- Hetzen und dergleichen abgespielt hatten. Ein Altar und ein großes Kreuz mit Inschrift belehren uns, daß zur Erinnerung an zwei Märtyrer frühchrist¬ licher Zeit hier Gottesdienste abgehalten werden. Das Haus der Eisenbahnhaltestelle Karthago liegt in offenemFelde, die Mauern der benachbartenGrund- stücke reichen scheidend bis hart an das Gebiet des Bahnsteiges. Als wir auf diesem, die Ankunft des Zuges erwartend, auf und ab schritten, schwang sich auf einmal ein bildhübscher Araberknabe von viel¬ leicht zwölf Jahren auf die Mauer und rief uns einige arabische Worte zu. Als wir näher traten, wies er uns einige schöne Münzen, wie uns Mo- 31 hammed dann erklärte, nicht zum Verkaufe anbietend, sondern um sie ihrer Schönheit wegen uns mit einem gewissen Stolze zu zeigen. Übrigens war auch das ganze Aussehen des Knaben, seine gute Kleidung und sein gewandtes Benehmen ein Zeichen, daß er keines¬ wegs der auch hier vielvertretenen Gilde der Straßen¬ jungen angehörte. Wir versuchten vergebens, uns mit ihm in einer Weltsprache zu unterhalten, er ant¬ wortete uns immer in dem uns unverständlichen Arabisch und blickte uns dabei recht spitzbübisch an. Daß er ein wirklicher Schelm war, bewies der letzte Augenblick unseres Zusammenseins, denn als der Zug einfuhr, da schwang unser Junge seinen Turban, und im Weingarten seines Vaters davonlaufend, rief er uns laut zu: „Heil Germania, Deutschland, Deutschland über alles!" Die Strahlen der untergehenden Sonne beleuch¬ teten das fruchtbare, ebene Gelände, durch welches uns der Zug Tunis zuführte. Rasch brach die Däm¬ merung herein und tauchte die ganze Landschaft in eigentümliches graublaues Licht. Raubvögel in un¬ geheurer Anzahl flogen hoch und nieder, Beduinen schlugen ihre Zelte auf, um nach der Wanderung des Tages die Abendruhe zu genießen, und als wir die Straßen von Tunis mit unserem elsässischen Kutscher in raschem Trabe durchfuhren, brannten in den großen Verkaufsladen schon die elektrischen Lampen. Wir erreichten gerade noch im letzten Schimmer der Dämmerung das Hotel St. George, nahmen herz¬ lichen Abschied von unseren zuvorkommenden Gast- freunden und unseren: braven Führer Mohammed, und dann ging es durch die plötzlich eingebrochene tiefe Dunkelheit in rasendem Trabe zum Hafen, wo wir im „Elettrico" wieder unsere Kabinen bereit fanden. In vorgeschrittener Abendstunde grüßten uns 32 noch die Lampen von Goletta und dann umfing uns wohltuende, erquickende Ruhe. Am anderen Tage kam uns der vergangene wie ein Traum vor. In Trapani kurzer Aufenthalt, dann wieder die Nordküfte Siziliens in der glanzvollen Beleuchtung der Mittagssonne, und fröhliche Ankunft in Palermo. Von hier aus besuchten wir nicht nur die verschiedenen hervorragenden Städte der Insel, wie Girgenti, Syrakus, Catania, Taormina und Messina, sondern machten auch manchen Ausflug, der uns so recht die unbeschreibliche Schönheit dieses natur- und kunstbegnadeten Landes zeigte. Ein gut ausgestatteter Dampfer, „Marco Polo", brachte uns von Messina nach Neapel; die Fahrt ist dadurch aus¬ gezeichnet, daß man das letzte Stück Weges in der Nähe der Westküste Italiens fährt und dann erst zwischen der Landzunge von Sorrent und Capri in den Busen von Neapel hineinlenkt, so daß man alle die vielgepriesenen Orte vom Meer aus in ent¬ sprechender Nähe bewundern kann. Nach so hervor¬ ragenden naturschönen Eindrücken versagte diesmal beinahe die sonst mit hoher Freude begrüßte Eisen¬ bahnfahrt von Neapel nach Rom durch fruchtbare Gefilde und abwechslungsreiche Berglandschast. Nach einem Tage hohen Genusses in Rom fuhren wir quer durch die Halbinsel nach Ancona, wo wir nach kurzer Reisezeit willkommenen Anschluß an einen Dampfer fanden, der in neun Stunden Fiume er¬ reicht, so daß wir hier gerade noch zu rechter Zeit ankamen, um den Eilzug nach Laibach benützen zu können. miwrnst in unicMriicnno