HACQUETIA 2/2 ♦ 2003, 139-145 BALTHASAR HACQUET UND DIE UKRAINE Marija VALJO* Izvleček Slavni znanstvenik-enciklopedist in popotnik Balthasar Hacquet je od 1787 do 1805 živel v Lvivu (Lvovu) v Ukrajini. Na lvivski univerzi, ki jo je 1784. ustanovil Habsburžan Jožef II., je poučeval naravoslovje. Njegova predavanja in številna potovanja po Galiciji, severnem Zakarpatju, južni Ukrajini in na Krimskem polotoku so pomembno prispevala k razvoju regionalnih študij, slavistike, geologije, mineralogije in drugih znanstvenih disciplin v Ukrajini na prelomu iz 18. v zgodnje 19. stoleye. Zavzemal seje za to, da ima na svojem etničnem ozemlju zgodovinsko prednost ukrajinsko prebivalstvo. Abstract Famous scientist-encyclopedist and traveller Balthasar Hacquet lived in Lviv in 1787-1805. He taught natural sciences at the Lviv University, founded by the Habsburg Emperor Joseph II in 1784. His lectures and descriptions of numerous trips to Galicia, Northern Carpathians, Southern Ukraine, and Crimea contributed much to the development of regional and Slavic studies, geology, mineralogy and other disciplines in Ukraine between the late 18th and early 19th century. He made endeavours to enable the Ukrainian population to have its historical priority on its own ethnic territories. Ključne besede: Hacquetovo delovanje v Lvivu in Ukrajini 1787-1805 Keywords: Hacquet's activities from 1787 to 1805 in Lviv and Ukraine. 1. HACQUET UND DIE UKRAINE Im Sommer 1787 ist Balthasar Hacquet in Lwiw angekommen, der Hauptstadt von Galizien, das nach der ersten Teilung Polens im Jahre 1772 zum Bestandteil der Habsburger Monarchie und zu ihrem entferntesten Kronland geworden war. Der Gouverneur von Lwiw Graf Josef Brigido kannte Hacquet noch aus der Zeit seiner vorherigen Arbeit in Slowenien und lud ihn daher zum Naturkundeunterrichten ein - an der 1784 von Kaiser Josef II. gegründeten Universität Lwiw und deren „Studium Ruthenum", d.h. dem Institut für die ukrainischen Seminaristen. B. Hacquet ging auf die Einladung ein, er hielt seine Forschungen in den süd-öst-lichen Alpen und den anliegenden, von den Süd- slaven bewohnten Gebieten für abgeschlossen; nun lockten ihn die damals weniger bekannten Nordkarpaten. Die Südkarpaten wurden noch ab 1777 von dem slowakischen Geologen Johann Ehrenreich Fichtel (1732-1795) erforscht, dessen Forschung über die Salzqueller in Siebenbürgen mit der beigelegten Karte der Salzgruben Hacquet sehr hoch geschätzt hat (Hartig 1908: 114). Im Vergleich zu den anderen Professoren an der Universität Lwiw war B. Hacquet mit seiner beträchtlichen Erfahrung als der universale Wissenschaftler und Reisender eine höchst originelle und untypische Persönlichkeit. Er zeichnete sich nicht nur durch seinen rohen Charakter und seine Intoleranz zum wissenschaftlichen Konservatismus aus, sondern auch und vor allem durch sein hohes Aus- * Lvivska naukova biblioteka im. V. Stefanyka Nacionalnoj akademiji nauk Ukrajny, Stefanyka 2, 79000 Lviv-Centr, Ukraine. E-mail: biblgr@lsl.lviv.ua 139 Hacquetia 2/2 • 2003 bildungsniveau, Freidenken und bewundernswerte Arbeitsamkeit sowie durch seine Sprachkenntnisse. Auch slawische Sprachen waren ihm bekannt, so hatte er keine besonderen Schwierigkeiten in der Beherrschung der Sprachen der galizischen Bevölkerung, unter anderem mit Ukrainisch und Polnisch. Laut dem Erforscher von „Studium Ruthe-num"A. Androchowytsch (1879-1942) habe B. Hac-quet die Vorlesungen für seine ukrainischen Studenten in ihrer Sprache bzw. im slawischen Vola-pük, d.h. im Gemisch aus slawischen Sprachen, gehalten (Androchovycz 1918: 43-44). Die Sprachkenntnisse verhalfen ihm auch bei den Gesprächen mit der ansässigen Bevölkerung während seiner Wanderungen. B. Hacquet gilt bekanntlich als Gründer von verschiedenen wissenschaftlichen Bereichen in der slawischen Welt. Wir wollen uns hier dem Beitrag von Hacquet in die ukrainische Wissenschaft Ende des 18. - Anfang des 19. Jahrhunderts wenden. Dieser Beitrag wird von seinen einmaligen, jedoch in der Welt nur wenig bekannten Werken, die er in Lwiw geschrieben hat, bestätigt. Hier (wie auch in Slowenien) hat der Wissenschaftler beinahe 20 Jahre lang gelebt - bis 1805, als die Universität Lwiw in Zusammenhang mit Napoleons Kriegen nach Krakau verlegt und mit Krakauer Universität vereint wurde. In Krakau lebte Hacquet bis 1810. Dort war er an der Universität als Professor für Naturkunde, Chemie und Botanik tätig. Dann, zum Protest gegen die Besatzung von Krakau durch die dem Napoleon treuen polnischen Truppen gab er die Arbeit an der Universität auf, und zog nach Wien, wo er bis 1815 in Einsamkeit lebte und wo er beerdigt ist. Unter den Publikationen von B. Hacquet in der Lwiwer Periode, außer den Arbeiten über die Naturschätze, darunter Salz- und Flintensteinlager in Galizien, Bukowina, Podolien (Hacquet 1789a, 1789b, 1794), zeichnet sich sein außerordentliches vierbändiges Werk mit der Beschreibung seiner Reisen 1788-1795 in die Nordkarpaten aus (Hacquet 1790-1796). Es umfaßt seine Erforschungen von riesigen Flächen - von Nordrumänien, Mol-dauen, Bessarabien, Siebenbürgen, Nordbukowina, Huzulien, Bojkenland, Ostgalizien (das Rote Rusj) im Süden und im Osten - bis Südpolen, Polnischen und Slowakischen Tatren im Westen. Allein durch die Bergrücken hat B. Hacquet bis 1000 Kilometer zu Fuß zurückgelegt. Ahnlich wie in den Werken über die Alpen benutzte er auch in seinem neuen Werk das komplexe Verfahren der Geländeerforschung. Diesem Verfahren lag das Er- forschen der Geographie, Geologie, der Naturschätze, der Pflanzen- und Tierwelt zugrunde sowie Erforschen der Geschichte, des Alltags, der Kultur und Besonderheiten des gesellschaftlichpolitischen Lebens der Völker und ihrer ethnischen Gruppen, die die von Hacquet erforschten Gebiete besiedelten. Mehrere Faktoren bildeten den beständigen, übrigens nicht nur historischen Wert der Werke von diesem Wissenschaftler und Aufklärer, nämlich seine für jene Zeit fortgeschrittene wissenschaftliche Weltanschauung, die Aneignung der neuesten wissenschaftlichen Leistungen des 18. Jh., das Plädoyer für die Reformen von Josef II. und zugleich seine scharfe und hartnäckige Kritik des kolonialen Verwaltungssystems im Lande, seine Abweisung aller Erscheinungen des religiösen Obskurantismus. Das wissenschaftliche Interesse Hacquets für Galizien und dementsprechend für die ukrainischen Karpaten war dermaßen groß, dass schon 1788 fing er an, sie zu erforschen; bis zum Jahre 1795 unternahm er einige größeren Reisen, die entsprechend in dem oben erwähnten vierbändigen Werk beschrieben sind. Seine Karpatenreisen begann der Forscher in Lwiw, so waren auch in seinem Blickwinkel auch immer die ukrainischen Gebiete, deren Beschreibung der Wissenschaftler viel Aufmerksamkeit in den ersten zwei und im vierten Band der Ausgabe geschenkt hatte. Der dritte Band ist vollständig den ukrainischen Karpaten gewidmet, somit kann man seinen Beitrag zur ukrainischen Landeskunde als sehr wertvollen bezeichnen. Wichtig war, dass, im Unterschied zu vielen anderen ausländischen Reisenden und Wissenschaftlern, zeigte B. Hacquet Toleranz gegenüber den Ukrainern und verteidigte die Meinung, die Ukrainer seien ansässig in ihren autochthonen Gebieten; er bekräftigte diese Meinung mit glaubwürdigen historischen Quellen sowie mit eigenen Beobachtungen. Er hat dauernd auf die verheerenden Folgen der jahrhundertelangen Herrschaft des polnischen Adels in dieser Region hingewiesen. Dank seinen Reisen durch Galizien verfügen wir über die vielfältige, meistens zum ersten Mal gelieferte Information zur Bevölkerung und Ge-werbetätigkeit in Bukowina, Huzulien, Bojkenland, teilweise Lemkenland und Transkarpatien. Hacquet hat mehrere Hunderte ukrainische Namen für Orte, Flüsse, Seen, Berge, Täler und Gebirgspässe, Städte und Städllein, Kleidung, Wohn- und Esskultur, Bräuche, Aberglauben, Krankheiten usw. Ein besonderes Kapitel ist bei Hacquet der Stadt Lwiw gewidmet, seinem damaligen Ausse- 140 Marija Valjo: Balthasar Hacquet und die Ukraine hen, den Gebäuden, Kirchen und sogar Bürgerhäusern in der Stadtmitte; er beschreibt Bevölkerungszusammensetzung und -zahl, Alltag, religiöses Leben, Stadtverwaltung, Bildungsanstalten, Freizeit u.v.a. Bis jetzt bleibt das von Hacquet angeschnittene Problem der Wasserversorgung der Stadt aktuell, das durch die fehlenden Flüsse und größere Wasserspeicher erklärt wird. Außerdem hat B. Hacquet den Gedanken von der Unmöglichkeit eines eventuellen Kanalbaus von einem von Lwiw entfernten Fluß wissenschaftlich bewiesen: diesen Schritt machten die Besonderheiten der geologischen Struktur der Region unmöglich. In den Untersuchungen Galiziens und der Karpaten waren die Leistungen von Hacquet als Geogra-fen, Geologen und Mineralogen von Belang. Nach der Erwähnung der Karpaten bei Ptolemäus (90-168) war Hacquet der erste, der eine glaubwürdige Definition des ganzen Karpatenbogens von der Donau bei Bratislava im Nordwesten bis zur Donau bei dem Eisernen Tor im Süden geliefert hat (im 3. Band gibt es entsprechende Karte auf der Titelseite). Außer der Beschreibung der Tschornogora und des Berges Ruski-ju mit dem See Czuriep (heute Schybeny) charakterisierte er genau die geografischen Angaben von vielen gali-zischen Regionen, legte die Karte Galiziens bei (Titelseite im 1. Band) und auch die Karte der Eisenerzlagerstätten in Bojkenland (Anhang zum 3.Band). Als erster hat er außerdem im Bergrücken der Karpaten die Polnischen und Slowakischen Tatren als ein einzigartiges Berggebilde abgesondert, legte im 4.Band ihre Panoramakarte bei und schloß die Arbeit mit einer überaus wertvollen, der ersten in Europa Anweisung für die Bergsteiger, in der er eigene Bergwanderungserfahrungen zusammengefasst hatte. Hacquet als Geologe ging weit über die üblichen geologischen Beschreibungen hinaus und versuchte die Herkunft und Verbreitungsgesetzmäßigkeiten jedes Bodenschatzes zu klären. Er hat als erster die Eisenerzlager und Bernsteinfeld in Bojkenland untersucht, stellte auf und verteidigte die wertvolle Hypothese über das Hinziehen der Salzlager den Nordhang der Karpaten entlang von Moldauen über die Ukrainischen Vorkarpaten bis zur berühmten polnischen Saline in Wiedliczka und Salzgruben in Schlesk. Sehr originell war auch seine Hypothese über die Gesetzmäßigkeit einer Erdöl-Nachbarschaft neben den Salzlagern. Außerdem hat der Wissenschaftler, indem er in Bojkenland, in der Nähe von Misunj, die dort vorkommenden Bitumen und Mineralien (Kalkstein, Bernstein) untersuchte, eine für jene Zeit wertvolle Annahme gemacht, an deren Lagerstätten werde man in der Zukunft große Erdölvorkommen entdecken. Diese Vorhersage verwirklichte sich nach 150 Jahren, als die ukrainische Wissenschaft die Annahmen des begabten Vorgängers bestätigt hat. Beträchtlich sind auch Hacquets Verdienste als Mineralogen. Er hat - neben den obenerwähnten Bodenschätzen und Mineralien - die Mineralwasserquellen, Schwefellager und Schwefelquellen in Galizien gründlich erforscht, indem er seine Forschungen mit Hunderten Laborversuchen überprüft und bekräftigt hat. Er war jedoch vor allem der genaue und engagierte Erforscher des Lebens der Völker und verschiedenen Ethnien im damaligen Galizien, in erster Linie der Ukrainer (Ruthenen), indem er seine Ansichten im Geiste der Aufklärung ausdrückte, auf Grund des Erlernens ihrer Geschichte aus den Beiträgen der besten Wissenschaftler des 18. Jh. Er hielt Galizien für Nachfolger des Galizisch-Volhy-nier-Fürstentums, das mit Kyiver Rusj verwandt war und durch die Mongolen geschwächt wurde und das später durch das adelige Polen erobert worden war. Das hatte verheerende Folgen für die ansässige Bevölkerung, unter anderem für die leibeigenen Bauern, und verursachte den Verfall des politischen Lebens und der Kultur im Lande. B. Hacquet schätzte hoch das ukrainische Kosakentum und Befreiungskriege unter der Leitung von B. Chmelnytzkyj in den Jahren 1648-1657. Er war Zeuge von den grausamen Hinrichtungen in Lwiw von den Teilnehmern des Hajdamakenaufstandes im Jahre 1768. Der Gelehrte hinterließ überaus wertvolle, hauptsächlich erstmals gelieferte Beobachtungen über das Leben der ukrainischen Zeitgenossen in Lwiw, in Lwiwer Region und in ganz Galizien. Ihm gehörte eine interessante Erforschung der Ethymologie des Namens „das Rote Rusj", der Synonym zum Namen „Galizien" gebraucht wurde. Ein besonderes Kapitel hat er Hu-zulien gewidmet, wo er das Freiheitsstreben der Huzulen, ihre Anpassung an das überaus gefährliche Leben im Gebirge und zugleich die Harmonie der Beziehungen der Menschen mit der schönen und rauhen Natur hervorgehoben hat. Er hat detailliert ihren Alltag, Wohnung und Sitten beschrieben. Einmal zur huzulischen Hochzeit eingeladen war er von dem wilden Tanz „Hajduke" fasziniert, dessen graphische Darstellung er im 3. Band seines Werkes angeboten hat. Diesen Band hat er auch mit ganzer Reihe anderer Gra- 141 Hacquetia 2/2 • 2003 phiken illustrieren lassen - das waren das damalige Lwiw, Ruinen von Halytsch, der Hauptstadt des Galizischen Fürstentums, etnographische Skizzen der Huzulen und Huzulinnen, eines Städters und eine Städterin vom Lwiwer Vorort, die schon erwähnten Karten und andere Graphiken. Bei dem beträchtlichen historischen Wert stellen sie nicht nur zusätzliche Informationsquelle über Galizien vom Ende des 18.Jh., sondern auch Basis für die heutigen Landeskunde -, Volkskunde-, Kunst- und Geschichtsforschungen. Wie schon erwähnt hat B. Hacquet den 4. Band seines Werkes der Beschreibung des sogenannten Westgaliziens gewidmet, dessen Teil südpolnische Gebiete bildeten, sowie der Beleuchtung der Geschichte und der modernen Beziehungen in der polnischen Gesellschaft. Er hat den polnischen Adel für die Ausbeutung des eigenen Volkes kritisiert, weil, nach seiner Meinung, gerade dieses ausgebeutete Volk der Träger des echten polnischen Patriotismus war. Der Gelehrte wies auch auf die Mängel der österreichischen Kolonialpolitik im Bereich der Staatsverwaltung, Volkswirtschaft, Gewerbe und Bildungswesen in Galizien hin. Er war auch nicht immer wohlwollend, was die hierher aus Osterreich und Deutschland eingeladenen Vertreter von verschiedenen Berufen betraf. Sie waren dazu berufen, die Wirtschafts- und Kulturlage im Land zu fördern, waren jedoch ihrer Bestimmung nicht immer gewachsen. Für unzweckmäßig hielt er auch die deutsche Kolonisierung der galizischen Dörfer. Der Autor interessierte sich lebhaft auch für das Problem des galizischen Judentums und hat im 3. Band mehrere Seiten der Erforschung der Judengeschichte in Galizien gewidmet - u.z. von der massenhaften Ansiedlung der Juden im polnischen Königreich nach ihrer zwanghaften Extradiktion aus den westeuropäischen Ländern. Der Gelehrte hob die krassen Klassenunterschiede unter ihnen hervor, hat auf das Ubergewicht der reichen Juden im Landeshandel und in der Vermietung der adeligen Gutshöfe und - dementsprechend - auf die protektionistische Stellung gegenüber Juden seitens polnischen Adels und sogar Wiener Hofes hingewiesen, die die finanziellen Dienstleistungen der Judenschaft in Anspruch nahmen. Bei der Darstellung der miserablen Notlage der jüdischen armen Gemeinde hat B. Hacquet mehrere, meistens unrealistische Rettungsprogramme vorgeschlagen. Der Gelehrte ließ auch die anderen ethnischen Gruppen in Galizien nicht außer Acht und hinterließ wertvolle Notizen über das Leben der armenischen Kolonien in Lwiw und Pokutien, außerdem lieferte er Beschreibungen der Karaimen, russischen Altgläubigen, Sinti und Roma sowie anderer. So galt das Karpatenwerk von B. Hacquet, und gilt immerhin auch weiter, als die einzigartige Enzyklopädie über Galizien und daran anliegende Länder vom Ende des 18.Jh. Dieses Werk hat an seiner historischen Bedeutung und teilweise an seiner wissenschaftlichen Aktualität nicht eingebüßt. So möchten wir für die an dieser Arbeit Interessierten auch ein Beispiel für die authentische wissenschaftliche Sprache von dem Gelehrten, seinen Stil und Charakter geben. Mit diesem Zweck wollen wir die Beschreibung von dem bereits erwähnten Tanz „Hajcluk" zitieren. Die folgende Beschreibung widerspiegelt fachkundige Beobachtungen von B. Hacquet auf dem Gebiet der ukrainischen bzw. slawischen Ethnographie im allgemeinen: „...Ihre Tänze sind ein Gemisch von ungarischen und russischen Bocksprüngen oder Kreistanz, bei den Illyriern Kollo genannt. Ein jeder Bursch hat sein Frauenzimmer bei der Hand, drey bis sechs Paar tanzen in einem Kreise herum. Getoöhnlich ist der Aufgeiger oder Dudelsackblaser in der Mitte des Zirkels. Obgleich nun dieses Volk in einem Kreise herumtanzt, so sind sie doch nicht geschlossen, denn wenn der Bursch aufrecht tanzt, so hält er sein Mädchen um den Leib, und dreht sich damit herum, in der rechten Hand hält er aber seine Axt in die Höhe über den Kopf seiner Schönen. Bey allen diesen gewaltigen Sprüngen xuirft er sie öfters in die Luft, und fängt sie wieder, ist er nun ungeschickt damit, so kann, bey einem jeden unglücklichen Fall der Axt, dem Mädchen, oder auf den sie fällt, der Kopf gespalten xoerden, indem sie durch ihre Schärfe und Gewicht das ersetzt, luas die anzuxuendende Kraft bey einer stumpfen zuweg bringen muß. Das allermerkwürdigste bey diesem Tanz ist, xuenn der Kerl beynahe auf der Erde hockt, und wie ein Frosch mit den Tänzerinnen herumhupft, daß er auch alsdann seine Axt, die er am Ende des Stils hält, klaster-hoch in die Luft xuirft, und sie doch xvieder fängt. Indessen die Übung macht viel Geschicklichkeit, man hört doch selten von Unglücke, und xuenn so was geschieht, so ists den Betrunkenen. Um einen bessern Begriff von diesem Tanz zu geben, so habe ich auf den Wignette zu Ende der Vorrede eine Zeichnung davon geliefert. ..." (Hacquet 1790-1796, 3: 34-35). Nicht weniger wertvoll war noch ein ukrainekundiger Beitrag von B. Hacquet aus der Lwiwer Periode, nämlich seine Untersuchungen des Südens der Ukraine, der Krim und Zaporishshja, die 142 Marija Valjo: Balthasar Hacquet und die Ukraine von dem Gelehrten während seiner zwar kurzen, aber überaus resultativen Reise im Sommer 1797 durchgeführt wurden (Hacquet 1798). Da zu jener Zeit (nach der dritten Teilung Polens und nach dem Sieg von Rußland und Osterreich im Krieg mit der Türkei 1787-1791) diese Gebiete Bestandteil des Russischen Reiches waren, so wurden Hac-quets Reisen streng durch die Militärbehörden der Landesgouvernements reglementiert. Dadurch konnte sich der Gelehrte hautnah im Autorita-rismus und oft sinnlosem Bürokratismus jener Behörden vergewissern sowie die tragisch-verheerenden Folgen der russischen Eroberungspolitik in der Ukraine und auf der Krim deutlicher sehen. Der Gelehrte hat auf jeden Fall überaus wichtige, meistens erstmalige Beobachtungen über die Natur des Landes, seine Geologie, Beschreibungen zahlreicher Städte, unter anderem von Kamjanetz-Podilsjkyj, Mogilew-Podilsjkyj, Odessa, Otschakiw, Cherson, Mykolajiw hinterlassen. Er hat auch Berge und Salzseen auf der Krim erforscht, die wichtigsten Städte der Krim - Simferopol, Eupatorija, Sewastopol, Bachtschisaraj, Feodosija, Sudak u.a. beschrieben, hat auf die völlige Vernichtung der tatarischen Kultur und der tatarischen Bevölkerung nach der russischen Eroberung der Krim hingewiesen. Hier hat er sich mit dem bekannten deutschen Wissenschaftler, dem Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften Peter Simon Pallas (1740-1811), dem Erforscher der Krim und anderer Regionen Rußlands bekanntgemacht. Auf der Rückreise nach Lwiw durch die Steppen der Ukraine am rechten Ufer des Dnipro besuchte er die Dnipergebiete, begegnete dort den Menschenzügen der nach dem Ukas von Katharina II leibeigen gewordenen, ehemals freien ukrainischen Bauern, die von den Soldaten nach Tau-rien übersiedelt wurden; bemerkte die Stadtbaukunst, den Alltag, den Handelszustand, das Funktionieren der Krankenhäuser in den Bedingungen der Pestseuche und anderer Krankheiten u.a.m. Mit der letzten Lwiwer Periode ist noch ein Wirkungsbereich von Hacquet verbunden - der sla-wistische, was eine logische Folge seines über 40 Jahre langen Aufenthaltes in der slawischen Welt war. Darüber teilte er in seiner 1801 erschienenen Autobiographie mit. Hier bemerkte er, dass ab Anfang des 19. Jh. er sich einer völlig neuen literarischen Tätigkeit widme, u.z. der Beschreibung der slawischen Völker von der Adria bis zum Schwarzen Meer. Der erste Band dieses slawistischen Werkes von Hacquet erschien in Leipzig 1801 unter dem Titel "Abbildung und Beschreibung der südwest-und östlichen Wenden, Illyrier und Slaven, deren geographische Ausbreitung von dem Adriatischen Meere bis an den Ponto, deren Sitten, Gebräuche, Hanthierung, Gewerbe, Religion u.s.w. nach einer zehnjährigen Reise und vierzigjährigem Aufenthalte in jenen Gegenden ... Erster Theil erstes Heft, Leipzig, im Industrie-Comptoir. " Neben den Einleitungskapiteln umfasste die Ausgabe 5 Hefte, die ausschließlich den Südslawen gewidmet waren; in jedem Heft gibt es je drei oder auch mehr Beschreibungen bestimmter südslawischen Ethnien. Der Umfang des ersten Bandes betrug 246 Seiten, sie wurde durch 35 kolorierte Zeichnungen vervollständigt. Je nach dem Vertrauensgrad des Autors mit entsprechender ethnischen Gruppe werden hier ihre Geschichte, ethnische und anthropologische Besonderheiten, Lebensweise, Sprachebesonderheiten, Hauptbeschäftigungen, Glaubensbekenntnis, Wohn- und Alltagskultur, Kleidung, Hochzeits- und Bestattungbräuche, Krankheiten und Aberglauben u.v.m. beschrieben. Später erschienen noch einige Ausgaben dieses Werkes, darunter die posthume Pariser Ausgabe 1815 auf Französisch vonj. Breton de La Martiniere (1777-1852) verfasst (Breton 1815; Novak 1986: 109-113) sowie die Budapester deutsche Ausgabe 1816, die aus dem Französischen von Janus Pannonius alias Johann Schuster (1777-1838) übersetzt worden war (Schuster 1816; Novak 1986: 113-116). 1996 wurde das Buch auch in Slowenien herausgegeben - ins Slowenische von Rasto Svajgar leider sehr unkritisch übersetzt und bearbeitet (Svajgar 1996). Es fällt schwer die Frage zu beantworten, ob die von B. Hacquet fixierten Struktur und Vielfalt der südslawischen Ethnien bisher noch bestehen, was die wissenschaftliche Aktualität seines Werkes bestätigt. Der historische Wert des Werkes als der ersten gründlichen Erforschung der slawischen (vor allem südslawischen) Welt ist jedenfalls zweifellos. Wollte jedoch B. Hacquet sich lediglich auf die Erforschung der Südslawen begrenzen? Die Antwort dürfte „nein"lauten, was allein das Vorwort zu der Ausgabe bekräftigen könnte, wo der Autor Ansätze zur Geschichte nicht nur südlicher, sondern auch westlicher und östlicher Slawen liefert. Außerdem ließ der Gelehrte für die Ausgabe nicht 35 wie im obenerwähnten Buch, sondern 60 Abbildungen mit den slawischen menschlichen Typen ausfertigen. Für welche Kapitel waren also die 30 nicht veröffentlichten Zeichnungen bestimmt, über die er in seinem Brief an Freiherrn Karl Ehrenbert von Moll (1760-1838) am 25. (14.) Okto- 143 Hacquetia 2/2 • 2003 ber 1802 berichtete. In diesem Brief beklagte Hac-quet die Fahrlässigkeit des Verlegers Baumgarten, wodurch er alle Hoffnung verloren hatte, das Werk in seiner Ganzheit noch zu erleben: "Was habe ich nicht für ein Verdruß wegen meinem Werk über die Slaven mit dem Hof und meinem betriegerischen Verleger in Leipzig gehabt; Sie werden vielleicht meine gemachte Kritik das Tipographische betreffend in der all. Jan.: Lit. Zeit, gelesen haben. Eine Arbeit die mich so viele 1000 gekostet hat, zuo ich alle individua nach ihrem haupt Charakter in Ol habe mahlen lassen, und der Schurke vom Verleger, anstat die gehörige große zu lassen, alles verkleinert und unansehnlich gemacht. Nun hat mir dieser Baumgartner versprochen den 1 Heft umzuarbeiten und alles Besser zu machen. 30 Gemählte mit dem texte hat er in bänden, und ebenso viel liegt noch bey mir; ich zweifle ob ich jemals das ganze der Herausgabe werde erleben" (M. V.) (Hartig 1908: 115). Der unveröffentlichte Rest von den 60 Bildern zum Werk von B. Hacquet sollte also noch irgendwo zu finden sein. Vielleicht auch die anderen Texte, außer den 15 herausgegebenen Heften. Diese These bedarf aber einer dokumentarischen Bestätigung, d.h. der Suche im Baumgartenverlagarchiv in Leipzig sowie im Hacquetarchiv von Anfang des 19. Jh. Ob diese Materialien aber noch bis in unsere Zeit erhaltengeblieben sind? Ungeachtet dessen, dass B. Hacquet so vieles für das Erforschen der ukrainischen Karpaten, Ga-liziens, der Südukraine und der Krim geleistet hat, waren seine Werke in der Ukraine bis zur Mitte des 19. Jh. kaum bekannt, ausgenommen die vereinzelten Erwähnungen. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jh. und im 20. Jh. haben darüber I. Franko, M. Pawlyk, I. Krewetzkyj, I. Krypjakewytsch, D. Do-roschenko und andere ukrainische Schriftsteller und Historiker geschrieben. Eine systematische Lebens- und Werkerforschung des Gelehrten hat allerdings erst in der unabhängigen Ukraine begonnen. Die wissenschaftliche W. Stefanyk-Biblio-thek der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine zu Lwiw hat den Sammelband „Balthasar Hacquet und die Ukraine" herausgegeben, der die ersten Ubersetzungen seiner Werke (seine Autobiographie, seine Briefe an Freiherrn von Moll, Fragmente seines Karpatenwerks, der neuentdeckte Text seiner Reise in die Südukraine und auf die Krim 1797) ins Ukrainische beinhaltet (Valjo 1997). Zum ersten mal wurde hier die bibliographische Liste seiner Werke und der Informationen über Hacquet zusammengestellt, gründliche Beiträge über seine ukrainekundigen Forschungen sind dem Band hinzugefügt. Die Stefanyk-Bibliothek zusammen mit der Nationalen I. Franko-Universität Lwiw hat die erste internationale Konferenz organisiert, die dem Beitrag von Hacquet zu den Erforschungen von Süd-Ost- und Mitteleuropa gewidmet wurde. Im Bibliothekverlag erschien auch der Sammelband mit Konferenzmaterialien (Valjo 8c Kril 2000) in der Hoffnung, dass diese Materialien die Entwicklung der ukrainischen und auch der europäischen Hac-quet-Kunde fördern werden. Die ukrainische Hac-quetiana wird durch neue interessante Publikationen weiter bereichert ... Ubersetzung: Khrystyna Nazarkevych 2. POVZETEK Balthasar Hacquet in Ukrajina Balthasar Hacquet je med 1787 in 1805 bival v Lvivu (Lvovu), glavnem mestu Galicije, kije leta 1772 postala sestavni del Habsburške monarhije. Na lvivski univerzi, ki jo je 1784. ustanovil Jožef II. in tamkajšnjem ukrajinskem institutu »Studium Ru-thenum«,]e predaval naravoslovje. Univerzitetna predavanja znanega enciklopedista in njegova znanstvena potovanja po ogromnem območju Galicije, severnih Karpatov, južne Ukrajine, Krimskega polotoka in območja ob Dnjestru so veliko prispevala k temu, da so se v Galiciji in Ukrajini oblikovale različne znanstvene panoge, kot domoznanstvo, et-nografija, slavistika, geografija, geologija, mineralogija, kemija in druge. Svoja raziskovanja je opiral Hacquet tako na lastna opazovanja s potovanj kot tudi na globoko poznavanje evropske razsvetljenske znanosti 18. stoletja. Za razliko od večine tujih znanstvenikov in popotnikovje zagovaijal mnenje, daje ukrajinsko prebivalstvo na tem območju doma, in dajal prednost zgodovini Ukrajincev, njihovim narodnim interesom in kulturi pred pritiski za-sedbenih sil Poljske in Rusije. Kritiziral je tudi kolonialno politiko Habsburške monarhije, njeno pomanjkljivo upravo, gospodarstvo in šolstvo v tej kronovini. Hacquetov prispevek k naštetim znanstvenim področjem je bistveno obogatil znanstveno kulturo Ukrajine in pripravljal temelj za nadaljnji razvoj znanosti v 19. in 20. stoletju. 144 Marija Valjo: Balthasar Hacquet und die Ukraine 3. LITERATUR Androchovycz, A. (1918): Lvivs'ke „Studium Ru-thenum". Zapysky Naukovoho tovarystva im. Szevczenka. (136-137): 43-44. Breton de La Martinière, J. (1815): L'Illyrie et la Dalmatie, ou moeurs, usages et costumes de leurs habitants et de ceux des contrées voisines. Traduit de l'allemand de M. le docteur Hacquet, par M. Breton. Augmenté d'un Mémoire sur la Croatie militaire; orné de trente-deux planches, dont vingt-quatre d'après les gravures de l'ouvrage allemand, et huit d'après les dessins originaux inédits 1-2. Nepveu, Paris. Hacquet, B. (1789a): Einige Nachrichten über ein mächtiges Lager von Flintenstein in Pokutien und deren Zurichtung. Crell's chemische An-nalen (2): 102-105. Hacquet, B. 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