Handbuch für österreichische Geschworne Laibach 1876. l// , Ä) MW § Inhalts-AelierW. Seite Vorwort .III Erstes Kapitel. Vorkcnntnissc aus -cm Strafgesetze. Einleitung .. 1 2. Einthcilung der strafbaren Handlungen. 8 8. Unterschied von Verbrechen, Vergehen und Ueber- tretuugcn. 3 4. Vom bösen Vorsatze. 6 5. Von den Entschuldigungsgründen. 12 6. Unmittelbare Thäterschast, Mitschuld oder Thciluahme 19 7. Vom strafbaren Versuche .26 8. Eintheiluug und Aufzahlung der Verbrechen ... 32 9. Eintheiluug der Vergehen und -Übertretungen . . 34 10. Störung der öffentlichen Ruhe .38 11. Mord.42 12. Todtschlag . 55 13. Schwere körperliche Beschädigung.59 14. Brandlegung. 71 15. Diebstahl. 75 16. Veruntreuung. 88 17. Theilnehmung am Diebstahle und an der Veruntreuung 92 18. Raub . .. 94 19. Betrug.98 20. Aufwieglung . ..107 VIII Zweites Kapitel. Dir wichligsten ans das Gcschworncmicrichl Äeziig hahcndcn Üe- stiannniigcil der Zlrasprozcfiarduniig. 21. Das Wesen und die historische Entwicklung des Schwur gerichtes.IIl 22. Die Grundprincipieu der Strafprozeßordnung vom 28. Mai 1878 121 28 Die Competcnz der Schwurgerichte. 130 24. Von der Bildung der Gcschwvrncnlistcu .... 135 25. Die Zusammensetzung des Geschwornengerichtcs . 137 26. Uebcrsicht des Ganges der Hauptvcrhandluug . . 140 27. Bild einer Hauptverhandlung vor den Geschwornen 147 Drittes Kapitel. Vic Änsgntn der Geschwornen und die Mittel ihrer richtigen Läsinig. 28 Die Fragestellung au die Geschwvrneu .... 186 29. Präcisirung der Aufgabe der Geschwornen nnd des Schwnrgerichtshofes. . 209 30 Die Beweismittel nnd die darauf gegründete richter¬ liche Ueberzcugung. . 215 31 Von den Mitteln zur Lösung der den Geschwornen gegebenen Aufgabe . 245 32. Die Pflichten der Geschwornen. 261 33. Die Rechte der Geschwornen.269 84. Die Bedeutung der Jury (Schlußwort) ..... 271 Anhang. 1. Vorschrift über die Bildung der Geschwornenlisten . 278 2. Vorschriften der Strafprozeßorduung a) über die Bildung der Geschworncnbank ... 291 b) über Beraihung und Beschlußfassung der Ge schwornen -.294 ch über den Ausspruch der Geschwornen .... 297 Erstes Raxiiek. VorkenntnM aus dem Strafgesetze. Einleitung. Die Kenntniß des Strafgesetzes ist für die Ge- schwornen nicht unbedingt nothwendig. Die Hauptaufgabe der Geschwornen besteht nem- lich, wie wir später ausführlich erörtern werden, in der richtigen Beantwortung der ihnen vorgelegten Fragen. Diese Aufgabe werden die Geschwornen ohne juri¬ dische Fachbildung bei gewöhnlichen Verstandeskräften lösen können, wenn sie mit der nöthigen Gewissenhaf¬ tigkeit an deren Erfüllung gehen, die für und wider den Angeklagten vorgebrachten Beweismittel sorgfältig prüfen und insbesondere dem objectiv gehaltenen Re- smnö des Vorsitzenden die ungetheilteste Aufmerksam¬ keit schenken. Die Kenntniß des positiven Gesetzes ist also für die Geschwornen nicht absolut nothwendig, allein dem- ungeachtet kann denselben nicht genug empfohlen wer¬ den, sich mit den wichtigsten Grundsätzen unserer Straf¬ gesetzgebung vertraut zu machen. Der mit den wichtigsten Vorkenntnissen aus dem Strafgesetze ausgestattete Geschworne nemlich wird mit viel größerer Sicherheit zur Lösung seiner erhabenen l. 2 Aufgabe schreiten. Schon nach der Verlesung der An¬ klageschrift wird er im Gegenstände klarer sehen, als sein im Gesetze unbewanderter College; er wird wissen, worauf es bei der fraglichen Verhandlung insbeson¬ dere ankommt, wird aus den Antworten des Beschul¬ digten, aus den Aussagen der Zeugen und Sachver¬ ständigen das Entscheidende herauszufinden wissen; wird die Bedeutung der vom Vorsitzenden, von den Richtern, vom Staatsanwalte und Vertheidiger an den Ange¬ klagten, die Zeugen und Sachverständigen gerichteten Fragen wohl auffassen; sich bereits im Laufe der Ver¬ handlung die richtige Ansicht bilden; die Parteien¬ vorträge, besonders die Plaidoyers des Staatsanwaltes oder Privatanklägers und des Vertheidigers als Prüf¬ stein für die Richtigkeit der bereits begründeten An¬ schauung benützen und schließlich das Resums des Vor¬ sitzenden selbständig zu beurtheilen und zu beherzigen vermögen. Bei der Berathung der Geschwornen wird ein solcher Geschworener durch Bekämpfung offenbar gesetz¬ widriger Anschauungen, durch Belehrung seiner Col- legeu über den Sinn und die Bedeutung der ihnen gegebenen Fragen und durch sachgemäße Aufklärungen nicht selten die Gefahr eines falschen Verdictes bannen und dadurch unendlich wohlthätig wirken, besonders wenn er zum Obmanne gewählt wird und als solcher die Berathung und Abstimmung zu leiten hat. Wir wollen daher in diesem Kapitel dm wichtig¬ sten Rcchtsgrundsätze des Strafgesetzes in populärer Form behandeln. Selbstverständlich kann die folgende Darstellung keinen Anspruch auf Vollständigkeit machen, da es sich ja nicht darum handelt, das Strafgesetz zu commentiren, sondern der Zweck dieser Zeilen darin besteht, den Geschwornen einen Leitfaden zu geben, 3 sich im Strafgesetze zurecht zu finden, wenn sie daran gehen, einen gegebenen Fall unter das Gesetz zu sub- summiren. 2. Eintheilung der strafbaren Handlungen in Verbrechen, Vergehen und Übertretungen. Das gegenwärtig zu Recht bestehende Strafgesetz vom 27. Mai 1852, R. G.Bl. Nr. 117, kennt dreierlei Klassen von strafbaren Handlungen, nemlich Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen. Eine reelle Definition des Begriffes „Verbrechen" enthält unser Strafgesetz ebensowenig wie eine De¬ finition der Begriffe „Vergehen" und „Uebertretung," dagegen gibt es uns im Artikel IV des Kundmachungs- Patentes die nominelle Begriffsbestimmung dieser drei Klaffen von Gesetzübertretungen mit den Worten: „Nach Maßgabe dieses Strafgesetzes kann vom Tage seiner Wirksamkeit angefangen nur dasjenige als Verbrechen, Vergehen oder Uebertretung behandelt oder bestraft werden, was in demselben ausdrücklich als Verbrechen, Vergehen oder Uebertretung erklärt wird. Die Frage also, was ist Verbrechen, Vergehen, Uebertretung? ist dahin zu beantworten: Verbrechen ist das, was unser Strafgesetz vom 27. Mai 1852 als Verbrechen, — Vergehen das, was es als Vergehen, — und Uebertretung das, was es als Uebertretung erklärt. 3. Unterschied von Verbrechen, Vergehe» und Uebertretungen. Eine scharfe Grenzlinie läßt sich zwischen den ge¬ nannten Klassen der Gesetzübertretungen nicht ziehen, wol aber lassen sich gewisse Kriterien herausfinden, welche den Unterschied dieser Klaffen deutlich kennzeichnen. . 1* 4 Die Verbrechen sind die schwersten, die Vergehen die nächst schweren und die Übertretungen die leichte¬ sten Gesetzübertretungen. Der Grund aber, warum eine bestimmte strafbare Handlung in die Kategorie der schwersten strafbaren Handlungen eingereiht wird, liegt theils in der Wich¬ tigkeit des verletzten Rechtes, theils in der Größe der Rechtsverletzung, theils in der gefährlichen Beschaffen¬ heit der Umstände, unter welchen sie verübt wurde, theils in der Gefährlichkeit des Thäters. So beispiels¬ weise begründet eine thätliche Beleidigung des Kaisers das mit der Todesstrafe bedrohte Verbrechen des Hoch¬ verrates, während die thätliche Jnsultirung einer Privatperson nur eine Uebertretung involvirt, da ini ersten Falle das Staatsiuteresse im höchsten Grade ge¬ fährdet erscheint, während im letzten Falle zunächst nur ein Eingriff in die Rechtssphäre des Einzelnen ge¬ schehen ist. So begründet die absichtliche oder auch nur in feindseliger Absicht unternommene Tödtung oder schwere Beschädigung eines Menschen ein Verbrechen, während die absichtlich oder im Raufhandel beigebrachte leichte Beschädigung eines Menschen nur den That- bestand einer Uebertretung bildet. Ein Diebstahl von Gegenständen im Werthe bis 25 fl. begründet an und für sich, d. h. ohne Hinzu¬ treten eines besonderen Qualificationsumstandes, unr¬ eine Uebertretung, während er ohne Rücksicht auf den Betrag zum Verbrechen wird, wenn der Thäter bei Verübung der That mit Mordwaffen versehen war; wenn er bei seiner Betretung gegen eine Person Gewalt angewendet hat, um sich im Besitze der gestohlenen Sache zu erhalten; wenn er sich das Stehlen zur Ge¬ wohnheit gemacht hat, u. s. w. 5 So wird der Diebstahl von Gegenständen im Werthe von mehr als 5 fl. zum Verbrechen, wenn er beispielsweise in Gesellschaft, an versperrten Sachen, während einer Feuersbrunst u. s. w. verübt wurde. Ein weiterer Unterscheidungsgrund zwischen Ver¬ brechen einerseits und Vergehen und Übertretungen anderseits liegt darin, daß zu jedem Verbrechen böser Vorsatz erforderlich ist, während Vergehen und Ueber- tretungen auch aus bloßer Fahrlässigkeit, aus bloßem Verschulden, demnach ohne bösen Vorsatz verübt wer¬ den können. Böser Vorsatz (äolus) ist also ein wesent¬ liches Kriterium jedes Verbrechens, dagegen nicht des Vergehens und der Uebertretung, da diese nicht noth- wendig dolose sein müssen, im Gegentheile bei manchen Vergehen und Uebertretungen der böse Vorsatz geradezu ausgeschlossen ist. Weiters unterscheiden sich Verbrechen einerseits von Vergehen und Uebertretungen anderseits dadurch, daß erstere mit Kerkerstrafen, letztere nur mit Arreststrafen bedroht sind, daß die mit der Verurtheilung wegen eines Verbrechens verbundenen Folgen viel weitgreifen¬ der und nachtheiliger sind, als jene bei Vergehen und Uebertretungen, u. s. w. In Bezug auf das Strafverfahren unterscheiden sich Verbrechen und Vergehen einerseits von Ueber¬ tretungen anderseits, daß erstere (nemlich Verbrechen und Vergehen) in der Regel nach vorausgegangenen Vorerhebungen, oft auch nach abgeführter Vorunter¬ suchung immer vor einem Richtercollegium (vier Fach¬ richter, in gewissen Fällen Geschworne) zur Schlu߬ behandlung und Entscheidung kommen, während über Uebertretungen in der Regel ohne vorausgegangene Er¬ hebungen unmittelbar bei der Hauptverhandlung ein Eiuzelrichter entscheidet. 6 Die vorangeführten Unterscheidungsmomente dürf¬ ten zur Klarstellung des Unterschiedes der drei Klassen von Gesetzverletzungen genügt haben. 4. Vom böse» Vorsätze. Wir haben bereits früher gesagt, daß zu jedem Verbrechen böser Vorsatz gehöre, daß es demnach ein Verbrechen ohne bösen Vorsatz nicht gebe. Was ist nun aber der böse Vorsatz? Der böse Vorsatz ist das Beschließen, daher Wollen eines eine Gesetzverletzung begrün¬ denden Uebels. Was für ein Uebel der Verbrecher beschließen, d. i. wollen müsse, damit der böse Vorsatz vorhanden sei, ist nach dem bestimmten, ihm zur Last gelegten Verbrechen zu benrtheilen, weil jedes Verbrechen einen bestimmten, hie und da mit anderen Verbrechen gemein¬ schaftlichen bösen Vorsatz voraussetzt. Die Frage also, ob der zu einem bestimmten Ver¬ brechen erforderliche böse Vorsatz vorhanden sei, wird nach dem Gesetze beantwortet werden müssen, d. h. man wird, wenn es sich beispielsweise um den bösen Vorsatz beim Morde handelt, fragen müssen, welches Uebel muß der Handelnde nach dem Gesetze beschlossen, gewollt oder beabsichtiget haben, damit ihm der zum Morde noth- wendige böse Vorsatz zur Last falle? Das Gesetz fagt nun im 8 134 St. G.: „Wer gegen einen Menschen in der Absicht ihn zu tödten auf eine solche Art handelt, daß daraus dessen oder eines andern Menschen Tod erfolgt, macht sich des Verbre¬ chens des Mordes schuldig" u. s. w. Wir werden daher obige Frage dahin beantworten müssen: Der böse Vor- 7 satz beim Morde hesteht in dem Beschließen, daher Wol¬ len des Todes eines Menschen, d. h. der Mörder muß die Handlung, aus welcher der Tod eines Menschen hervorging, in der Absicht einen Menschen zu tödten unternommen, er muß also den Tod eines Menschen beschlossen, gewollt, beabsichtigt haben. Beim Verbrechen des Todtschlages G 140 St. G.) und jenem der schweren körperlichen Beschädigung (Z 152 St. G.) ist die Absicht jemanden zu tödten geradezu ausgeschlossen, da bei diesen Verbrechen eine andere feindselige Absicht verlangt wird. Es muß also auch bei diesen Verbrechen ein Nebel beabsichtiget werden, dieses Nebel darf jedoch nicht der Tod eines Mitmenschen, sondern nur ein geringeres, seine körperliche Integrität bedrohendes Nebel, z. B. eine körperliche Verletzung.desselben sein. Beim Todtschlage und der schweren körperlichen Beschädigung besteht also der böse Vorsatz in dem Be¬ schließen, daher Wollen eines die körperliche Integrität eines Mitmenschen bedrohenden Nebels, den Tod des¬ selben ausgenommen. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die böse Ab¬ sicht beim Morde nur immer eine und dieselbe, d. i. das Tödtenwollen sein könne, während die böse Absicht beim Todtschlage und der schweren körperlichen Beschädigung verschiedengestaltig sein kann, da diese alle die körper¬ liche Integrität berührenden Nebel — mit Ausnahme des Todes, — also eine Mißhandlung, eine leichte, schwere, lebensgefährliche, mit bleibenden Folgen verbundene Be¬ schädigung u. s. w. in sich schließt. Es wird also demjenigen, der einem Menschen in der Absicht ihn zu mißhandeln, also allerdings in feind¬ licher Absicht einen Schlag ins Gesicht versetzt und ihn dadurch tödtet, der zum Verbrechen des Todtschlages 8 erforderliche böse Vorsatz ebenso imputirt werden müssen, als demjenigen, der die gleiche That in der Absicht, seinen Gegner schwer, ja selbst lebensgefährlich zu ver¬ letzen, vollbracht hat. Demnach kann derjenige, der die Handlung, durch welche ein Mensch ums Leben gekommen ist, nicht ab¬ sichtlich, d. h. nicht zu dem Zwecke, um einen Menschen zu tödten oder zu verletzen, begangen hat — z. B. ein Jäger, der im Jagdeifer den Kuhhirten auf der Weide übersehend nach einem Hasen schießt und dadurch den Kuhhirten erschießt, — weder des Mordes noch des Todt- schlages beschuldiget werden, da ihm die zu diesen Ver¬ brechen erforderliche böse Absicht zu tödten, rücksicht¬ lich ein die körperliche Integrität bedrohendes Uebel zuzufügen, fremd war. Hat der Handelnde in einem solchen Falle über¬ haupt ohne bösen Vorsatz gehandelt, so kann ihm die That nie als Verbrechen, dagegen wol als das Ver¬ gehen gegen die Sicherheit des Lebens (H 335 St. G.) imputirt werden, wenn er — wie der Jäger im obigen Beispiele — die That aus strafbarer Unachtsamkeit be¬ gangen hat. Hat aber der Handelnde anch den Vorwurf einer Unachtsamkeit, einer Außerachtlassung der für jedermann selbstverständlichen, oder für ihn nach seinen besonderen Verhältnissen gebotenen Vorsicht nicht auf sich geladen, demnach nicht nur ohne bösen Vorsatz, sondern auch ohne Verschulden gehandelt, so ist er ganz straflos, wie z. B. ein Scheibenschütze, der nach gegebenem Glocken¬ zeichen vorschriftsmäßig abschießt und den Zieler, der aus eigenem Verschulden im Momente des Abfeuerns vor die unrechte Scheibe getreten war, niederschießt. Aus obigen Beispielen dürfte der Unterschied zwi¬ schen Handlungen, die aus bösem Vorsatze verübt wur- 9 den, sogenannten dolosen Handlungen, und den culposen Handlungen, die nemlich aus strafbarem Verschulden, aber ohne böse Absicht begangen wurden, klar hervor¬ gehen. Aus dem bisher Gesagten ergeben sich noch fol¬ gende wichtige Grundsätze: 1. Wenn das Gesetz zum Thatbestande eines be¬ stimmten Verbrechens einen mehrfachen bösen Vorsatz verlangt, so muß der Thäter die bestimmten mehreren Uebel beabsichtiget haben, damit ihm der zu diesem Ver¬ brechen erforderliche böse Vorsatz imputirt werden könne. So ist z. B. beim Verbrechen des Raubmordes die Ab¬ sicht, einen Menschen zu tödten, und die weitere Absicht, sich einer fremden beweglichen Sache zu bemächtigen, erforderlich. Fehlt also die eine oder die andere dieser beiden Absichten, so ist der Thatbestand des Raubmordes nicht gegeben. Wenn daher den L, nicht in der Ab¬ sicht ihn zu tödten, sondern nur in der Absicht, sich seiner Barschaft zu bemächtigen und ihn zu diesem Be- hufe wehrlos zu machen, in die Magen- oder Brust¬ gegend stößt und dadurch tödtet, so ist nicht Raubmord, sondern räuberischer Todtschlag vorhanden, weil die zum Morde erforderliche böse Absicht jemanden zu tödten fehlt, und wenn den L nur in der Absicht, sich seiner beweglichen Sachen zu bemächtigen, überfällt, ohne ihn tödten zu wollen, dann aber, weil er von L erkannt wird, aus Furcht vor der Anzeige den Beschluß faßt ihn zu tödten, und diesen Vorsatz auch ausführt, so ist nicht Raubmord, sondern Raub und gemeiner Mord vorhanden. 2. Der Thäter muß ein bestimmtes Uebel wollen. Ob nun die Absicht vor der Thathandlung (Unter¬ lassung) oder bei derselben gefaßt wurde, ob also der Thäter das Uebel überlegt oder erst im Momente der 10 That beschlossen hat — der erstere Vorsatz wird in der Theorie überlegter Vorsatz (äolus prminackiiutms), letzterer der plötzliche Vorsatz (äotu8 repentinus) ge¬ nannt, — ist, soweit es sich um die Zurechnung des bösen Vorsatzes, d. h. um die Frage handelt, ob böser Vorsatz anzunehmen sei, gleichgiltig, da nach unserem Strafgesetze die reifliche Ueberlegung, d. i. der über¬ dachte Vorsatz nur einen Erschwerungsumstand begrün¬ det, der eine strengere Strafe zur Folge haben kann. Dagegen kann vom bösen Vorsatze mcht mehr die Rede sein, wenn das Uebel erst nach vollendeter äußerer That- handlung beschlossen wurde, weil dann ja die That- handluug oder Unterlassung nicht in böser Absicht unter¬ nommen wurde. Ein Beispiel wird dies klar machen. Ein oft ab¬ gestrafter Dieb beschließt bei X einen Gelddiebstahl zn begehen. Er erforscht in dieser Absicht den Ort, wo X sein Geld anfbewahrt hat, die Zeit, um welche X nicht in seiner Wohnung ist, macht sich Abdrücke vom Schlosse der Zimmerthüre, versieht sich mit Dietrichen und führt endlich den Diebstahl aus. Der Dieb hat mit reiflicher Ueberlegung gehandelt, er hat das Uebel überdacht, sein böser Vorsatz war daher ein überlegter. Der Handwerksbursche 2 betritt ein Zimmer in der Absicht ein Almosen zu erflehen. Im Zimmer ist niemand, am Tische aber liegt eine Rolle Dukaten. Geblendet vom Glanze des Geldes, faßt der bislang ehrliche Bursche momentan den Entschluß, die Dukaten zu stehlen, und führt diesen Entschluß aus. Hier haben wir den Fall des Plötzlich gefaßten bösen Vorsatzes. In den: einen wie in dem andern Falle ist der zum Diebstahle erforderliche böse Vorsatz vvrhauden, wenn¬ gleich es einleuchtend ist, daß der erstbezeichnete Dieb strafwürdiger sei als der zweite. Wenn aber die 11 Thüre des Kastens des 1> mittels des ihm von diesem gegebenen Schlüssels öffnet, um ihm ein Buch zu bringen, und erst nach Aufsperrung der Thüre beim Anblicke der im Kasten befindlichen Brieftasche den Entschluß faßt zu stehlen, so ist allerdings Diebstahl, aber nicht Dieb¬ stahl an versperrtem Gute vorhanden, weil das Auf¬ sperren des Kastens ohne böse Absicht geschah. 3. Der Verbrecher muß bei der Unternehmung oder Unterlassung ein bestimmtes Uebel wollen. Der Wille muß daher auf ein bestimmtes Uebel gerichtet sein, es muß ein bestimmtes Uebel gewollt, beabsichtigt werden. Daraus ergibt sich, daß die in der Theorie ge¬ bräuchliche Eintheilung in bestimmten und unbestimmten Vorsatz überflüssig, für den Laien verwirrend sei; denn hat der Thäter das bestimmte Uebel nicht gewollt, so fehlt der böse Vorsatz, hat er es gewollt, so ist der böse Vorsatz vorhanden, ein Mittelding zwischen Wol¬ len und Nichtwollen, etwa ein halbes Wollen ist un¬ denkbar. Damit will aber keineswegs in Abrede gestellt werden, daß die Stärke, die Intensität des Wollens eine höchst verschiedene sein könne. 4. Hat der Thäter ein geringeres Uebel gewollt und ist ein größeres Uebel aus seiner Handlungsweise entstanden, so kann ihm böser Vorsatz nur bezüglich des gewollten Uebels zugerechnet werden, wogegen der nicht beabsichtigte Erfolg als lediglich durch sein Ver¬ schulden herbeigeführt anzusehen ist. z. B. stiehlt des Nachts ans einer Scheune Getreide, läßt das Licht ins Stroh fallen und ver¬ ursacht dadurch eine Feuersbrunst. Es dürfte dem Leser bereits klar sein, daß hier allerdings Diebstahl, aber nicht Brandlegung vorhanden sei, weil der zu dem letzteren Verbrechen erforderliche böse Vorsatz, am frem¬ den Eigenthume eine Feuersbrunst zu erzeugen, nicht 12 vorliegt. Immerhin aber wird der Thäter wegen feuer¬ gefährlicher Handlung, d. i. wegen der Uebertretung gegen die Sicherheit des Eigenthums zu bestrafen fein. 5. Der beabsichtigte Enderfolg alterirt den zu¬ nächst bestehenden bösen Vorsatz nicht, d. h. es hebt den bösen Vorsatz nicht auf, wenn der Thäter zwar zunächst eine Rechtsverletzung beabsichtiget, damit aber einen straflosen, ja selbst löblichen Endzweck verbindet. Wenn z. B. dem 8 1000 fl. in der Absicht stiehlt, damit die Armen zu beschenken, so hat er dem 8 gegenüber nichtsdestoweniger den zum Verbrechen des Diebstahls erforderlichen bösen Vorsatz gehabt. 3. Boi! den Entschuldiguugsgründen. Eine Konsequenz des oben besprochenen Grund¬ satzes, daß zu jedem Verbrechen böser Vorsatz gehört, ist die, daß eine That nicht als Verbrechen angerech¬ net werden kann, wenn der Thäter zur Zeit ihrer Ver¬ übung ein eine Rechtsverletzung begründendes Uebel gar nicht bedenken und beschließen konnte. Derlei den bösen Vorsatz ausschließende Umstände nennt man Ent¬ schuldigungsgründe. Das Gesetz führt im tz 2 sieben solche Umstände auf, und zwar: 1. setzt es obenan den Fall, wo der Thäter des Gebrauches der Vernunft ganz beraubt ist, wie z. B. bei einem Wahnsinnigen, Narren, vollständigen Cretin re. Derlei Personen find ja nicht imstande zu bedenken und zu beschließen, weil die zu diesen Seelenfunetionen erforderlichen Vorbedingungen: „Verstand, Urteils¬ kraft und freier Wille," fehlen. Selbstverständlich ist die That daher auch dann kein Verbrechen, wenn dieselbe 13 2. bei abwechselnder Sinnenverrückung zu der Zeit, da die Verrückung dauerte, verübt wurde, z. B. von Personen, die vorübergehend geisteskrank sind, zur Zeit des Anfalles u. s. w. Gleichbedeutend mit der gänzlichen Beraubung der Vernunft ist 3. die volle Berauschung oder eine andere Sinnen¬ verwirrung, in welcher der Thäter sich seiner Hand¬ lung nicht bewußt war. Die Berauschung muß eine volle, d. h. eine solche sein, die den Gebrauch der Ver¬ nunft vollkommen ausschließt, denn eine andere Be¬ rauschung begründet keinen Entschuldigungsgrund, son¬ dern nur einen Milderungsumstand. Der Thäter darf sich aber die Berauschung nicht in Absicht auf das begangene Verbrechen zugezogen haben, z. B. um sich mehr Muth zu machen oder die Stimme des Gewissens zu betäuben, denn in diesem Falle würde ihm böser Vorsatz zur Last fallen. Der Fall einer Sinnenverwirrung wäre z. B. vor¬ handen, wenn ein im Delirium befindlicher Kranker eine Handlung begeht, die sonst ein Verbrechen be¬ gründen würde. Einen weiteren Entschuldigungsgrund nimmt 4. das Gesetz dann an, wenn der Thäter zur Zeit der That das 14. Lebensjahr noch nicht zurückgelegt hat, weil es voraussetzt, daß derlei Personen (Unmün¬ dige) noch nicht den zur Imputation des bösen Vor¬ satzes erforderlichen Grad von Denkkraft, Urtheils- fähigkeit und Willensstärke haben. Wenn daher z. B. ein Unmündiger einen Mord begeht, so kann ihm die That nicht als Verbrechen angerechnet werden, sondern er wird, wenn er das t v. Jahr bereits überschritten hat, nur wegen Ueber- tretung bestraft, wogegen Unmündige unter 10 Jahren 14 wegen verübter strafbarer Handlungen der häuslichen Correction zu überlassen sind. Besteht eine That aus mehreren Theilaeten, die erst in ihrer Ganzheit ein Verbrechen begründen, so können, wenn einzelne Arte vor, einzelne nach erreichter Mündigkeit begangen wurden, selbstverständlich jene Theilacte, die der Thäter vor erreichter Mündigkeit begangen hat, bei der Beurtheilung, ob ein Verbrechen vorliege, nicht in Anschlag kommen, weil — wie wir bei Behandlung des bösen Vorsatzes erörtert haben — das Uebel vor oder bei der Thathandlung beschlossen werden muß, damit die That eine dolose sei, bei Un¬ mündigen aber böser Vorsatz nicht angenommen werden darf. Wenn daher jemand vor erreichter Mündigkeit 24 fl. und nach erreichter Mündigkeit 2 fl. gestohlen hat, so kann aus dem 25 fl. übersteigenden Werthe der gestohlenen Sachen nicht die Criminalität des Dieb¬ stahls gefolgert werden, weil bezüglich der erstgestohlenen 24 fl. böser Vorsatz nicht angenommen und daher dieser Betrag nicht mitgerechnet werden darf. Ein weiterer Entschuldignngsgrund ist vorhanden, wenn 5. der Thäter sich in einem solchen Jrrthume be¬ fand, der ein Verbrechen in der Handlung nicht er¬ kennen ließ. Der Jrrthum darf aber kein Rechtsirrthum fein, d. h. der Verbrecher wird nicht entschuldiget, wenn er glaubte, daß die von ihm begangene That durch das Strafgesetz nicht verpönt fei, weil sich mit der Unwis¬ senheit des Strafgesetzes über Verbrechen niemand ent¬ schuldigen kann, sondern der Jrrthum muß ein That- irrthum sein. Z. B. wenn jemand in einem fremden Waldterrain, das er aus Unkenntniß der Grenzen für sein Eigenthum hält, Holz fällt, oder wenn ein Gatte auf Grund eines irrig ausgestellten Todtenscheines der IS Meinung ist, daß seine Gattin gestorben sei, und in diesem Jrrthume befangen zur zweiten Ehe schreitet. Ebenso liegt ein Entschuldigungsgrund vor, wenn 6. das Uebel aus Zufall, Nachlässigkeit oder Un¬ wissenheit der Folgen der Handlung entstanden ist. Ein Fall, in welchem das Uebel aus Zufall entstanden ist, wäre beispielsweise vorhanden, wenn ein auf einem Gerüste arbeitender Mann, plötzlich vom Schwindel befallen, herabstürzt und einen unten gehenden Men¬ schen erschlägt. Wer wollte einen solchen Arbeiter, wenngleich er den Tod eines Menschen verursacht hat, des Mordes oder überhaupt eines Verbrechens an¬ klagen? Im Gegentheile wird er, wenn in diesem Falle der Zufall nicht durch ein Verschulden herbeigeführt wurde, vollkommen straflos sein. Ein Fall, in dem das Uebel aus Nachlässigkeit entstanden ist, wäre vor¬ handen, wenn ein an der Hand verwundeter Hand¬ arbeiter die an und für sich leichte Wunde nicht achtet, sondern fortarbeitet, dadurch sich einen Rothlauf zu- zieht, der schließlich die Amputation des Armes noth- wendig macht. In diesem Falle wird der Thäter wol für die vorsätzlich beigebrachte leichte Verletzung, keines¬ wegs aber für den Verlust der Hand verantwortlich sein, weil dieser nicht eine nothwendige Folge der Thal, sondern eine Folge des zweckwidrigen Verhaltens war, das dem Jnculpaten nicht zur Last gelegt werden darf. Ein Fall endlich, in welchem das Uebel aus Un¬ wissenheit der Folgen der Handlung entstanden ist, wäre gegeben, wenn z. B. ein Afterarzt einem Kranken in guter Absicht ein ganz falsches Heilmittel eingibt und dadurch den Tod des Patienten verursacht. Wenngleich nun ein solcher Kurpfuscher strafbar ist — die vor¬ liegende That würde ein Vergehen gegen die Sicher¬ heit des Lebens begründen, — kann er nicht eines Ver- 16 brechens und speciell nicht des Mordes angeklagt wer¬ den, weil seiner That keine böse Absicht zugrunde lag. Endlich sührt das Gesetz als Entschuldigungsgrund den Umstand an, wenn 7. die That durch unwiderstehlichen Zwang oder in Ausübung gerechter Nothwehr erfolgte. Der Zwang kann ein physischer sein, wenn nem- lich jemand durch Physische Mittel genöthigt wird eine That zu begehen, — oder ein psychologischer, wenn mit einem bedeutenden, sogleich und leicht vollziehbaren Uebel, z. B. mit dem Erschlagen, mit Brandlegung rc. gedroht wird, und zwar gleichgiltig, ob die Drohung gegen den Thäter selbst oder gegen andere, ihm nahe¬ stehende Personen, z. B. gegen den Ehegatten, die Kinder oder Eltern gerichtet ist. Hieher gehört auch der Fall, weun jemand zur Rettung des eigenen Lebens bei einer durch äußere Umstände herbeigeführten Gefahr fremdes Leben preis¬ gibt, z. B. wenn die eine von zwei schiffbrüchigen, auf einem Balken im Ozean schwimmenden Personen die andere hinabstößt, um das eigene Leben zu retten, oder wenn eine dem Hungertode nahe Person sich an fremdem Eigenthume vergreift, um ihr Leben zu retten. Gerechte Nothwehr aber kann nach dem Ge¬ setze nur dann angenommen werden, wenn sich aus der Beschaffenheit der Personen, der Zeit, des Ortes, der Art des Angriffes oder ans anderen Umständen mit Grund schließen läßt, daß sich der Thäter nur der nöthigen Vertheidigung bedient habe, um einen rechts¬ widrigen Angriff auf Leben, Freiheit oder Vermögen von sich oder anderen abzuwehren, oder daß er nur aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken die Grenzen einer solchen Vertheidigung überschritten habe. 17 Beide hier angeführte Arten der Nothwehr schlie¬ ßen den bösen Vorsatz aus und sind daher Entschul¬ digungsgründe, dagegen unterscheiden sie sich dadurch, daß bei der ersten Art der Thäter vollkommen straflos bleibt, während er bei der zweiten Art unter Umständen wegen Vergehen oder Uebertretung gegen die Sicher¬ heit des Lebens oder wegen Uebertretung gegen die körperliche Sicherheit zur Verantwortung gezogen wer¬ den kann. Damit überhaupt gerechte Nothwehr Platzgreife, ist erforderlich, daß der Angriff 1. ein rechtswidri¬ ger sei. Wenn der Angriff ein gerechter ist, z. B. wenn Gendarmen einen entwichenen Verbrecher aufgreifen, oder ein Vater sein ungerathenes Kind züchtigen will, so kann der Angegriffene keine gerechte Nothwehr gel¬ tend machen. Der Angriff muß 2. ein wirklicher, nicht blos ein eingebildeter oder befürchteter, und er muß 3. gegen das Leben, die körperliche Integrität, das Vermögen oder die Freiheit eines Anderen gerichtet sein. Es kann also beispielsweise von einer gerechten Nothwehr außer dem bereits oben angeführten Falle keine Rede sein, wenn jemand, weil er gehört hat, ein Dritter habe gedroht, ihm bei nächster Gelegenheit ein Uebel zuzufügen, hmgeht und diesen Dritten erschlägt, da hier kein wirklicher Angriff vorausging. Ebensowenig ist eine gerechte Nothwehr vorhanden, wenn den L deshalb, weil L ihm mit einer Ehrenbeleidigung droht, niederschlägt, da ein Angriff auf die Ehre nicht zur physischen Gegenwehr berechtiget, dagegen würde ein Angriff auf die Sittlichkeit (Nothzucht, Schändung) allerdings zur Nothwehr berechtigen, weil ein solcher auch gegen die körperliche Integrität und Freiheit ge¬ richtet ist. 2 18 Endlich würde zwar allerdings gerechte Nothwehr vorhanden sein, wenn den L, weil dieser ihn auf eineni abgelegenen Wege überfällt, mit der Faust zu Bodeu schlägt. Wenn aber eine Stunde später den wehrlos am Boden liegenden L abermals schlägt und dadurch tödtet, kaun von einer Nothwehr keine Rede sein, weil die letztbezeichnete Handlung nicht mehr zur Abwehr eines Angriffes vollbracht wurde. Damit die gerechte Nothwehr straflos sei, darf der Thäter sich nur der nach Gestalt der Umstünde nöthigen Vertheidi- gung bedient haben, d. h. es darf nur das unumgäng¬ lich nothwendige Mittel zur Abwehr des Angriffes an¬ gewendet worden sein. Was speeiell die Art der Vertheidiguug anbelangt, so kann wol nur im gegebenen Falle aus den Um¬ ständen, unter welchen der Angriff geschah, gefolgert werden, ob der Thäter sich nur der nöthigen Verthei- digung bedient habe. Wenn beispielsweise um Mitter¬ nacht ein bewaffnetes Individuum das Fenster einbricht, ins Zimmer springt und mit geschwungener Hacke sich gegen das Bett des Bewohners bewegt, und dieser, ohne das Näherkommen des Eindringlings abzuwarten, sofort Feuer gibt und den Einbrecher erschießt, so wird wol niemand daran zweifeln, daß er sich nur der nöthigen Vertheidiguug bedient habe. — Ein Beispiel der zweiten Art der Nothwehr wäre das, wenn unter minder gefährlichen Umständen, als es die oben an¬ geführten waren, etwa zur Tageszeit ein verdächtig aussehender Bettler in das Gemach eines furchtsamen Menschen käme, unter gefährlichen Drohungen Geld begehrte und dieser in der Augst und Bestürzung den Bettler ohne weiters uiederschöffe, vbwol es ihm leicht möglich gewesen wäre, den Angriff auf andere Art abzuwehren. Auch in diesem Falle kann der Thäter 19 nicht als Mörder oder Todtschläger angesehen werden, denn er hat aus Bestürzung und Furcht die Thal ver¬ übt j aber niemand wird behaupten wollen, daß er straf¬ los sein könne. Seine That wird, wenn daraus der Tod des Verwundeten hervorging, als Vergehen gegen die Sicherheit des Lebens, nnd wenn daraus eine schwere Beschädigung erfolgte, als Uebertretung gegen die Sicher¬ heit des Lebens, bei einer leichten Verletzung aber als Uebertretung gegen die körperliche Sicherheit zu behan¬ deln sein. 6. Unmittelbare Thiiterschaft, Mitschuld mid Theilnahmc. Nach § 5 des Strafgesetzes wird nicht allein der unmittelbare Thäter des Verbrechens schuldig, sondern auch jeder, der durch Befehl, Anrathen, Unterricht, Lob die Uebelthat eingeleitet, vorsätzlich veranlaßt, zu ihrer Ausübung durch absichtliche Herbeischaffung der Mittel, Hintanhaltung der Hindernisse, oder ans was immer für eine Art Vorschub gegeben, Hilfe geleistet, zu ihrer sicheren Vollstreckung ' beigetragen; auch wer nur vorläufig sich mit dem Thäter über die nach voll¬ brachter That ihm zu leistende Hilfe und Beistand oder über einen Antheil an Gewinn und Vortheil ein¬ verstanden hat. Aus dieser gesetzlichen Bestimmung ergibt sich eine dreifache Art der Mitwirkung bei einem Ver¬ brechen, n. z.: 1. die unmittelbare Thäterschaft, 2. die Mitschuld und 3. die Theilnahme, letztere wol zu unter¬ scheiden von der Theilnehmung. Demnach sind die bei einem Verbrechen mitwirkendcn Personen: a) der unmittelbare Thäter, auch physischer Urheber genannt, d. i. diejenige Person, welche die zum Thatbestande des Verbrechens erforderliche 2* 20 Thathandlung, den Thatact selbst vollführt, rücksichtlich die Unterlassung begeht; z. B. beim Morde derjenige, der einen Andern in mörderischer Absicht erschießt,'er¬ sticht, vergiftet, d. i. den Schuß abfeuert, das Messer ins Herz stößt, das Gift in die Nahrung streut, u. s. w. Wird die Thathandlung von mehreren Personen begangen — z. B. L, 0 und v erbrechen ein Fenster, steigen in das Zimmer und nehmen gemeinschaftlich die darin befindlichen Gegenstände, — so sind alle diese Personen, die bei der Thathandlung unmittelbar mit¬ wirkten, unmittelbare Thäter; b) der Mitschuldige. Hiebei ist wieder zu unterscheiden: «. der intellectuelle Urheber, d. i. derjenige, der durch Befehl (z. B. ein Vorgesetzter heißt einen Untergegebenen einen Dritten erschießen), Anrathen (z. B. schildert dem Ü die Vortheile, welche daraus erwüchsen, wenn er seinen reichen Onkel ums Leben brächte), Unterricht (z. B. zeigt dem L, auf welche Weise sich taugliche Platten zur Erzeugung von Falsi- ficaten bereiten lassen), Lob (z. B. billiget, daß L den 0 mit einem Prügel schlägt, und reizt ihn dadurch noch mehr gegen 0 auf), die Uebelthat eingeleitet, vor¬ sätzlich veranlaßt hat. Diese Mittel zur vorsätzlichen Einleitung und Veranlassung, als Befehl, Anrathen, Unterricht oc., sind jedoch im Gesetze nicht taxative, sondern nur beispiels¬ weise angeführt. Die Hauptsache bleibt nur, daß der Urheber die That vorsätzlich einleitet, veranlaßt, und es ist gleichgiltig, ob dies auf die angegebene Weise oder auf andere Art, z. B. durch Bitten, Beschwören, Zureden, Drohen, ja selbst durch physischen oder psy¬ chologischen Zwang geschieht. Unter allen Umständen aber muß die Einleitung und Veranlassung eine absichtliche sein, d. h. der 21 Urheber muß den Vorsatz haben, eine bestimmte Person zu einem bestimmten Verbrechen zu verleiten. Daraus ergibt sich, daß der bei dieser Art der Mitschuld erforderliche böse Vorsatz ein anderer sein könne, als jener des unmittelbaren Thäters, da beim intelleetuellen Urheber die Absicht, eine bestimmte Per¬ son zu einem bestimmten Verbrechen zu verleiten, ge¬ nügt, ohne daß derselbe den bösen Vorsatz, den der unmittelbare Thäter hat, theilen müßte. Beim Dieb¬ stahle z. B. muß der unmittelbare Thäter eine fremde Sache aus dem Besitze eines andern ohne dessen Ein¬ willigung um seines (des Thäters) Vortheiles willen entziehen. Seine Absicht muß demnach auf die rechts¬ widrige Zueignung eines Vortheiles gerichtet, d. h. sie muß eine gewinnsüchtige sein. Nehmen wir nun an, daß den L aus Haß gegen 0, nur in der Absicht, dem 0 einen Schaden zuzufügen, durch ein Geschenk von 1000 Gulden verleitet, dem 6 500 Gulden zu stehlen, so hat^ sicher nicht aus gewinnsüchtiger Ab¬ sicht, d. h. nicht um seines Vortheiles willen gehandelt, seiner Handlungsweise fehlt also der zum Diebstahle erforderliche böse Vorsatz; und doch kann es keinem Zweifel unterliegen, daß wenn L den Diebstahl wirk¬ lich ausgeführt hat, der Mitschuld an diesem Dieb¬ stahle als intellectueller Urheber schuldig sei, weil er eine bestimmte Person (L) zu einem bestimmten Ver¬ brechen (Diebstahl) verleitet hat. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß der Urheber zur Uebelthat, d. h. zu jenem Verbrechen vorsätzlich ver¬ leitet haben mußte, das der unmittelbare Thäter infolge der Einwirkung des Urhebers begeht. Hat daher der Thäter die Grenzen des ihm vom Urheber gegebenen Auftrages überschritten, z. B. einen Dritten erschlagen, obgleich ihm nur der Auftrag gegeben wurde, denselben 22 ein wenig zu prügeln, oder hat er gar ein Verbrechen begangen, zu dem er nicht aufgefordert wurde — z. B. befiehlt dem L, dem 0 50 Gulden zu stehlen; L geht zu 6 und beraubt ihn, d. h. er thut ihm Gewalt an, um sich seines Geldes zu bemächtigen, — so wird der Urheber nicht jenes Verbrechens mitschuldig sein, das der Thäter begangen hat; also in den gegebenen Fällen wird er nicht des Todtschlages, rücksichtlich Raubes mitschuldig sein, weil er zu diesen Verbrechen nicht verleitet hat, wol aber wird er selbstverständlich innerhalb der Grenzen des von ihm gegebenen Auf¬ trages strafrechtlich verantwortlich bleiben. Hat dagegen der Urheber einen allgemeinen Auf¬ trag gegeben — z. B. L befiehlt dem L, den 6 zu be¬ stehlen, bei v anzuzünden, — so wird er für den ganzen vom Thäter verübten Schaden verantwortlich sein, d. h. es wird ihn die Mitschuld rücksichtlich der ganzen vom Thäter ausgeführten That treffen. Hat also L bei 6 eingebrochen und über 300 Gulden gestohlen, oder bei v das Haus angezündet, und ist dabei jemand ums Leben gekommen, so verwirkt der Urheber jene Strafe, welche den Thäter mit Rücksicht auf die an¬ geführten Erschwerungsumstände trifft. Wenn jemand einen Dritten zu einem bestimmten Verbrechen auffordert, aneifert oder zu verleiten sucht, seine Einwirkung dagegen ohne Erfolg geblieben ist, so kann er natürlich nicht als Mitschuldiger des Ver¬ brechens, zu dem er aufgefordert, angeeifert oder zu verleiten gesucht hat, angesehen werden, weil dieses Verbrechen nicht verübt worden ist, der Mitschuldige aber sich nur der Mitschuld an jenem Verbrechen schuldig macht, das der unmittelbare Thäter begangen hat, oder mit anderen Worten, weil Mitschuld einen Thäter voraussetzt, hier aber kein Thäter vorhanden 23 ist. Eine solche Einwirkung ist deshalb keineswegs straflos, sondern als versuchte Verleitung zu jenem Verbrechen, zu welchem aufgefordert, angeeifert oder zu verleiten gesucht wurde, anzusehen und mit jener Strafe zu ahnden, welche auf den Versuch dieses Ver¬ brechens zu verhängen wäre (Z 9 St. G.); /?. der Gehilfe, auch Mitschuldiger im engeren Sinne, d. i. derjenige, der zur Ausübung der Uebelthat durch absichtliche Herbeischaf¬ fung der Mittel (z. B. des Kastenschlüssels zum Kasten, in dem das zu stehlende Geld aufbewahrt ist, des Revolvers, mit dem der Mord verübt werden soll, u. s. w.), Hintanhaltung der Hindernisse (z. B. Offenlassen der Hausthüre, damit der Dieb des Nachts hinein könne; listiges oder gewaltsames Abhal¬ ten von Personen, welche dem Bedrohten zu Hilfe kommen wollen, u. s. w.), oder auf was immer für eine Art Vorschub gegeben (z. B. das Geld zur Anschaffung der Mordwerkzeuge hergeben; die echte Banknote zur Abzeichnung des Falsifikates bei¬ stellen; die Platte für das Fabriciren der Falsificate anschaffen n. s. w.), Hilfe geleistet (z. B. das Licht halten, während der Dieb die Kasse aufsprengt), zu ihrer sicheren Vollstreckung beigetra¬ gen hat (z. B. Beistellung des Wagens, auf dem die zu stehlenden Effecten rasch in Sicherheit gebracht wer- oen sollen). Bei dieser Art von Mitschuld ist die böse Absicht darauf gerichtet, die Vollbringung eines bestimmten Verbrechens zu fördern, es muß daher die Mitwir¬ kung mit dem Bewußtsein des verbrecherischen Zweckes geschehen sein. So z. B. muß derjenige, der den Wa¬ gen beistellt, auf dem die gestohlenen Sachen trans- portirt werden sollen, wissen, daß ein Diebstahl be- 24 absichtiget wird und am Wagen die zu stehlenden Sachen weggeschafft werden sollen, wenn ihm Mit¬ schuld am Diebstahle imputirt werden soll; denn nur dann war seine Absicht auf die Förderung des Ver¬ brechens, auf die Ermöglichung der Vollführung des¬ selben gerichtet. Hat er dagegen den Wagen erst nach vollbrachtem Diebstahle beigestellt und um den Dieb¬ stahl erst in diesem Momente gewußt, so kann ihm Mitschuld nicht zur Last gelegt werden, weil die Beistellung des Wagens, d. i. die Hilfeleistung, erst nach vollendetem Verbrechen, demnach nicht in der Ab¬ sicht, die Vollziehung des Verbrechens zu fördern, geschah. Daraus ergibt sich der wichtige Grundsatz, daß das Einverftändniß des Mitschuldigen mit dem Thäter der That vor ausgehen müsse. Ein späteres Ein- verständniß würde eine der obangeführten Unterstützun¬ gen zwar nicht straflos machen, wie wir später sehen werden, aber Mitschuld im Sinne des tz 5 St. G. wäre nicht vorhanden; o) der Theilnehmer (Teilnahme im Ge¬ gensätze zu Theilnehmung), d. i. derjenige, der sich vorläufig mit dem Thäter über die nach'vollbrachter That ihm zu leistende Hilfe und Beistand, oder über einen Antheil an Gewinn und Vortheil einverstanden hat. Auch in diesem Falle muß das Einverstäudniß der That vorausgehen, und gerade darin liegt der Unterschied zwischen der Theilnahme, welche nach H 5 St. G. das gleiche Verbrechen wie die unmittelbare Thäterschaft begründet, und der Theilnehmung, welche ein anderes Verbrechen bildet. Wenn beispielsweise zu U kommt und ihm erzählt, er werde in der kommenden Nacht dem 6 ein Faß Wein stehlen, L möge den gestohlenen Wein in seinem Keller verstecken, und L dies dem zusichert, 25 so hat sich L der Theilnahme ain Diebstahl im Sinne des 5 St. G. schuldig gemacht und ist mit derselben Strafe wie X zu belegen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob der gestohlene Wein nach der That wirk¬ lich in seinen Keller gebracht wurde oder nicht. Hat jedoch L vom Diebstahle vor dessen Vollführung nichts gewußt, sondern erst nach der That erfahren, daß der Wein gestohlen wurde, und sohin den gestohlenen Wein verhehlt oder an sich gebracht, so ist er zwar nicht der Theilnahme am Diebstahle, sondern der Dieb- stahlstheilnehmung schuldig, weil in diesem Falle das Einverständnis^ mit dem Thäter der That nachfolgte. Zum Schlüsse dieses Absatzes noch einige Worte über das sogenannte Complot. Unter Complot versteht man die Verabredung mehrerer Personen zur Verübung eines bestimmten Verbrechens. Derjenige, von dem die Anregung aus¬ geht, wird Anstifter, und derjenige, der bei der Aus¬ führung des verabredeten Verbrechens die Oberleitung hat, Rädelsführer genannt. Bei einem Complote gilt die Regel, daß sämmtliche Complotanten, die sich bei der Ausführung des Verbrechens unmittelbar betheiligt haben, ohne Rücksicht auf das größere oder geringere Maß ihrer Betheiligung als Thäter angesehen und demnach des gleichen Verbrechens schuldig gesprochen werden, was jedoch nicht ausschließt, daß sie uach Maß ihrer Betheiligung gestraft und daß insbesondere der Rädelsführer einer strengeren Strafe unterzogen werde. Ein Beispiel eines Complotes wäre folgendes: X, L, O, I) und L verabredeten sich über Anschlag des X, den in der Nacht von X nach X verkehrenden Postwagen zu überfallen und auszurauben. Sämmtliche Complotanten nehmen an der Ausführung des Ver- 26 brechens theil. übernimmt die Leitung und ertheilt den übrigen die Verhaltungsmaßregeln. Auf ein ge¬ gebenes Zeichen stürzen die Complotanten aus dem Hinterhalte. L faßt die Pferde beim Zaume, 0 springt auf den Bock und hält den Kutscher bei der Gurgel, I) hält dem Passagier eine Pistole vor die Brust, und L erbrechen den Verschluß, in dem sich das Fell¬ eisen befindet, und nehmen es mit den darin befindli¬ chen Geld- und Werthsendungen. Hierauf ziehen sich sämmtliche Complotanten in den Wald zurück, ohne daß eine Person beim Verfalle körperlich beschädigt worden wäre. Im gegebenen Falle sind alle Complo¬ tanten des Verbrechens des Raubes als unmittelbare Thäter schuldig zu sprechen. Daß die übrigen Complotanten, welche die das Delict begründende Handlung nicht setzten, als Mit¬ schuldige anzusehen sind, dürfte aus dem oben Gesagten ebenso klar geworden sein, als daß der rechtzeitige, den übrigen Genossen bekannt gegebene Rücktritt eines der Complotanten dessen Mitschuld ausschließt. 7. Vom strafbaren Versuche. Ein Verbrechen ist vollbracht, wenn alle zum Thatbestande desselben gehörigen Kriterien vorhanden sind, daher insbesondere der vom Gesetze geforderte Erfolg eingetreten ist. So ist das Verbrechen des Mordes vollbracht, wenn aus der in der Absicht, jemanden zu tödten, unternommenen Handlung wirk¬ lich der Tod eines Menschen erfolgt ist. Das Ver¬ brechen der schweren körperlichen Beschädigung ist voll¬ bracht, wenn aus der in feindseliger Absicht gegen einen Menschen unternommenen Handlung eine Ge- 27 sundheitsstörung oder Berufsunfähigkeit von mindestens 20tägiger Dauer, eine Geisteszerrüttung oder eine schwere Verletzung desselben erfolgte. Das Verbrechen der Bigamie ist vollbracht, sobald eine verehelichte Person mit einer andern Person eine Ehe geschlossen hat, d. h. sobald die nach dem Gesetze zum giltigen Abschlüsse erforderliche feierliche Erklärung vor dem eigenen Seelsorger und zwei Zeugen, eventuell vor dem zum Abschlüsse der Civilehe bestimmten politischen Funetionär abgegeben ist, u. s. w. Ist jedoch der vom Gesetze geforderte Erfolg nicht eingetreten, so liegt nur der Versuch des Ver¬ brechens vor, wenn der Bösgesinnte eine zur wirkli¬ chen Ausübung führende Handlung unternommen hat, die Vollbringung des Verbrechens aber nur wegen Unvermögenheit, wegen Dazwischenkunft eines fremden Hindernisses oder durch Zufall unterblieben ist. Damit also ein strafbarer Versuch vorhanden sei, muß a) der Thäter bösgesinnt sein, d. h. er muß den bösen Vorsatz haben, welcher zum bestimmten Verbrechen gehört, z. B. beim Mordversuche die Ab¬ sicht, jemanden zu tödten; bei der versuchten schwe¬ ren körperlichen Beschädigung die Absicht, jemanden schwer zu beschädigen; beim Diebstahlsversuche die Ab¬ sicht, eine fremde bewegliche Sache um seines Vor- theiles willen aus dem Besitze eines Anderen ohne dessen Einwilligung zu entziehen, u. s. w. b) Der Thäter muß eine Handlung unter¬ nehmen. Daraus ergibt sich, daß auch zum Versuche das Hinaustreten des bösen Vorsatzes in die Außen¬ welt, d. h. eine Bethätigung desselben erforderlich ist, ohne welche überhaupt eine strafbare Handlung nicht denkbar ist. 11 St. G.) .28 e) Die Handlung muß zur wirklicher: Ausübung des Verbrechens führen, d. h. sie muß ihrer Natur nach geeignet sein, das beabsichtigte Uebel herbeizu¬ führen. Wenn daher jemand in der Absicht, einen Dritten zu tödten, einen ganz unschuldigen Stoff, den er irriger Weise für Gift hält, in die Nahrung die¬ ses Dritten streut, so ist kein Mordversuch vorhanden, weil diese Handlung unmöglich zur Vollbringung des Verbrechens, d. i. zur Tödtung eines Menschen sühren könnte. Eben so wenig wird der Versuch des Verbre¬ chens der öffentlichen Gewaltthätigkeit V. Falles durch boshafte Beschädigung fremden Eigenthums vorhanden sein, wenn jemand in der bösen Absicht, das Vieh seines Nachbars zu vernichten, Zauberformeln aufsagt, dabei Kreuze schlügt, Gräben zieht re., weil alle diese Handlungen ihrer Natur nach ungeeignet sind, den beabsichtigten Erfolg herbeizuführen. ck) Die Vollbringung des Verbrechens darf nur wegen Unvermögenheit, wegen Dazwischenkunft eines fremden Hindernisses, oder durch Zufall unterblieben sein, d. h. es muß der Erfolg nur infolge äußerer, vom Thäter unabhängiger Umstände nicht eingetreten sein. So wird z. B. Mordversuch allerdings vorhan¬ den sein, wenn in der Absicht, den L zu tödten, mit einem Prügel auf dessen Kopf schlägt, jedoch we¬ gen Mangels physischer Stärke nicht imstande war, eine tödtliche Verletzung beizubringen; denn hier un¬ terblieb der beabsichtigte Erfolg wegen der Unver¬ mögenheit des Thäters. Ebenso wäre versuchter Dieb¬ stahl vorhanden, wenn jemand in diebischer Absicht eine Geldlade aufsprengt und in dem Momente, in welchem er seine Hand nach dem Geldbeutel streckt, vom Eigenthümer überrascht und an der Vollführung 29 des Diebstahls gehindert wird; denn hier trat der beabsichtigte Erfolg, d. i. die Entziehung des Geldes aus dem Besitze eines Andern lediglich deshalb nicht ein, weil ein fremdes Hinderniß dazwischen trat. End¬ lich liegt Mordversuch vor, wenn z. B. in die für L bestimmte Milch Gift streut, um L zu tödten, eine Katze aber die vergiftete Milch austrinkt, wodurch L, der sonst die Milch unzweifelhaft gegesfen hätte, ge¬ rettet wird; denn hier ist die Vollbringung des Ver¬ brechens durch Zufall unterblieben. Dagegen ist kein strafbarer Versuch vorhanden, wenn der Thäter vom Verbrechen vor dessen Voll¬ bringung freiwillig absteht, aus welchen Motiven dies auch immer geschehen mag, z. B. wenn bereits nach L mit einem scharf geladenen Gewehre zielt, in dem Momente aber durch eiu Meteor, durch das Zucken eines Blitzes, durch Musik oder irgend einen anderen Umstand bewogen wird, das Gewehr abzusetzen, vor¬ ausgesetzt, daßdies ein Act seines freien Willens war. Aus dem bereits Gesagten ergeben sich noch fol¬ gende in der Praxis äußerst wichtige Consequenzen: 1. Bloße Vorbereitungshandlungen sind, wenn sie nicht, wie z. B. beim Hochverrathe, bei der Cre- ditspapier- und Münzverfälschung, für sich den That- bestand des Verbrechens begründen, kein Versuch. So z. B. ist das Schleifen eines Dolches in der Absicht, jemanden zu tödten, kein Mordversuch, der Ankagf eines Hauptschlüssels in der Absicht zu stehlen, kein Diebstahlsversuch, u. s. w., weil diese Handlungen mit dem Verbrechen in keinem unmittelbaren Zusammen¬ hänge stehen. 2. In der Regel ist zum Versuche eine Hand¬ lung erforderlich, doch ist die Möglichkeit eines Ver- 30 suches bei solchen Verbrechen, welche durch Unterlassung begangen werden, nicht ausgeschlossen. So z. B. ist in dem Falle, wenn eine Mutter bei der Geburt eines Kindes in der Absicht, daß das Kind umkomme, den bei der Geburt nöthigen Beistand unterläßt, z. B. die Nabelschnur nicht unterbindet, versuchter Kindsmord durch Unterlassung vorhanden, wenn noch rechtzeitig fremde Hilfe kommt und dadurch bewirkt wird, daß die Mutter ihren verbrecherischen Vorsatz nicht er¬ reicht hat. 3. Wenngleich ein absolut ungeeignetes Mittel, wie wir gesehen haben, den strafbaren Versuch aus¬ schließt, so steht doch nichts entgegen, einen Versuch zu imputiren, wenn das in Anwendung gebrachte Mittel qualitativ geeignet, jedoch quantitativ zu schwach war, z. B. wenn Gift, jedoch in zu geringer Menge verabfolgt wurde; denn in diesem Falle ist der beab¬ sichtigte Erfolg durch vom Willen des Thäters unab¬ hängige Umstände vereitelt worden. 4. Fehlt das Object einer strafbaren Handlung, so kann natürlich von einem strafbaren Versuche keine Rede sein, z. B. wenn jemand in mörderifcher Absicht einem Leichname mehrere Dolchstiche versetzt, oder wenn ein Wilddieb in einen Wald jagen geht, in welchem kein Wild ist, u. s. w. 5. Ist dagegen das Object vorhanden, jedoch im Augenblicke der Thatverübung durch einen Zufall oder ein fremdes Hiuderniß dem Thäter entrückt, so ist allerdings strafbarer Versuch vorhanden, z. B. steigt auf einer Leiter um Mitternacht zum Fenster des L, zielt mit seinem Gewehre nach dem Kopfkissen des L und schießt das mit einer Kugel geladene Ge¬ wehr in mörderischer Absicht ab, ohne den U zu tref¬ fen, weil dieser infolge eines glücklichen Zufalles ge- 31 rade einige Minuten vorher auf den Abort gegangen war. Auch hier wurde eine zur wirklichen Ausübung des Mordes führende Handlung unternommen, die Vollbringung des Verbrechens aber nur durch Zufall vereitelt. 6. Bei denjenigen Verbrechen, die nur durch ge¬ sprochene Worte verübt werden, ist mit Ausnahme der versuchten Verleitung zu einem Verbrechen (§ 9 St. G.) ein Versuch nicht denkbar; denn so lange die den Thatbestand des Verbrechens bildenden Worte nicht ausgesprochen sind, liegt keine strafbare Handlung vor; sind sie aber ausgesprochen, so ist das Verbrechen bereits vollbracht. So z. B. ist ein Versuch der Ma¬ jestätsbeleidigung durch ausgesprochene Worte nicht denkbar. 7. Selbstverständlich ist auch bei jenen Verbrechen der Versuch ausgeschlossen, bei welchen der Versuch schon als das vollbrachte Verbrechen erklärt wird, z. B. bei der Störung der öffentlichen Ruhe u. s. w. 8. Auch bei jenen Verbrechen, bei welchen zum Begriffe der Vollendung ein Erfolg nicht gehört, wie z. B. beim Raube, ist eiu Versuch nicht möglich; denn sobald z. B. beim letztgenannten Verbrechen der Thä- ter einer Person mit thätlicher Beleidigung oder mit Drohung Gewalt angethan hat, um sich einer fremden beweglichen Sache zu bemächtigen, ist das Verbrechen bereits vollbracht, ohne Rücksicht darauf, ob das Gut wirklich geraubt wurde oder nicht. 9. Endlich ist bei jenen Verbrechen der Versuch ausgeschlossen, bei welchen der Erfolg über die Absicht hinausgehen muß, bei welchen also der eingetretene Erfolg gar nicht in der Absicht des Thäters gelegen sein durfte. So z. B. ist versuchter Todtschlag nicht möglich, weil bei diesem Verbrechen der Thäter 32 gar nicht die Absicht haben darf, jemanden zu tödten, daher dieses Verbrechen auch nicht versuchen kann. Schließlich sei noch erwähnt, daß der Versuch in der Regel, d. h. wenn das Gesetz bei den einzelnen Verbrechen nicht etwas besonderes bestimmt, mit der¬ selben Strafe zu ahnden ist, wie das vollbrachte Ver¬ brechen, nur ist der Umstand, daß es beim Versuche geblieben ist, als ein Milderungsumstand anzusehen. 8. Eintheilimg und Aufzählung der Verbrechen. Verbrechen, welche die gemeinschaftliche Sicher¬ heit unmittelbar in dem Bande des Staates angreifen, sind: 1. Hochverrats»; 2. Beleidigung der Majestät und der Mitglieder des kaiserlichen Hauses; 3. Störung der öffentlichen Ruhe. Verbrechen, welche die gemeinschaftliche Sicherheit in den öffentlichen Vorkehrungen angreifen, sind: 1. Aufstand; 2. Aufruhr; 3. öffentliche Gewaltthätigkeit durch gewaltsames Handeln gegen eine von der Re¬ gierung zur Verhandlung öffentlicher Angelegenheiten berufene Versammlung, gegen ein Gericht oder eine öffentliche Behörde; 4. öffentliche Gewaltthätigkeit durch gewaltsames Handeln gegen gesetzlich anerkannte Körperschaften oder gegen Versammlungen, die unter Mitwirkung oder Aufsicht einer öffentlichen Behörde gehalten werden; 5. öffentliche Gewaltthätigkeit durch gewaltsame Handanlegnng oder gefährliche Drohung gegen obrigkeitliche Personen in Amtssachen; 6. öf¬ fentliche Gewaltthätigkeit durch gewaltsamen Einfall in fremdes unbewegliches Gut; 7. öffentliche Ge¬ waltthätigkeit durch boshafte Handlungen oder Unter¬ lassungen unter besonders gefährlichen Verhältnissen; 33 8. öffentliche Gewaltthätigkeit durch boshafte Be¬ schädigungen oder Störungen am Staats telegraphen; 9. öffentliche Gewaltthätigkeit durch gefährliche Dro¬ hung; 10. Mißbrauch der Amtsgewalt; I I. Religions¬ störung; 12. den Verbrechen geleisteter Vorschub. Verbrechen, welche die gemeinschaftliche Sicher¬ heit in dem öffentlichen Zutrauen angreifen, sind: 1. Verfälschung öffentlicher Creditspapiere; 2. Münz¬ verfälschung. Verbrechen, welche die Sicherheit einzelner Men¬ schen an der Person verletzen, sind: I. Nothzucht; 2. Schändung; 3. andere Verbrechen der Unzucht; 4. Mord; 5. Todtschlag; 6. Abtreibung der Leibes¬ frucht; 7. Weglegung eines Kindes; 8. schwere kör¬ perliche Beschädigung; 9. Zweikamps. Nachstehende Verbrechen verletzen die Sicherheit einzelner Menschen am Vermögen: 1. öffentliche Ge¬ waltthätigkeit durch boshafte Beschädigung fremden Eigenthums; 2. Brandlegung; 3. Diebstahl; 4. Ver¬ untreuung; 5. Raub; 6. Betrug. Verbrechen gegen die Freiheit sind: 1. öffentliche Gewaltthätigkeit durch Menschenraub; 2. öffentliche Gewaltthätigkeit durch unbefugte Einschränkung der persönlichen Freiheit eines Menschen; 3. öffentliche Gewaltthätigkeit durch Behandlung eures Menschen als Sklaven; 4. öffentliche Gewaltthätigkeit durch Er¬ pressung. Verbrechen endlich, welche die Sicherheit einzelner Menschen an anderen Rechten verletzen, sind: 1. der Betrug; 2. die zweifache Ehe; 3. die Verleumdung. 3 34 9. Eiiitheilniiji der Vergehen und Ucbcrtrctnngcu. Die strafbaren Handlungen (oder Unterlassungen), welche nach Verhältniß ihrer Wichtigkeit und ihres nachtheiligen Einflusses vom Gesetze als Vergehen oder Uebertretungen erklärt werden, theilen sich in folgende Gattungen: I. Strafbare Handlungen gegen die öffentliche Sicherheit; II. strafbare Handlungen gegen die Sicher¬ heit einzelner Menschen; III. strafbare Handlungen gegen die öffentliche Sittlichkeit. I. Die strafbaren Handlungen gegen die öffentliche Sicherheit zerfallen wieder: 1. In Vergehen gegen die öffentliche Ruhe und Ordnung. Hieher gehören z. B. das Vergehen des Auflaufes, 8 279 St. G.; das Vergehen der Herabwürdigung der Verfügungen der Behörden und Aufwieglung gegen Staats- und Gemeindebehörden, 8 300 St. G.; das Vergehen der Aufreizung zu Feind¬ seligkeiten gegen Nationalitäten, Religionsgenvssen- schaften oc., 8 302 St. G. ; das Vergehen der Belei¬ digung einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Reli- gionsgescllschaft, 8 303 St. G., u. s. W. 2. In Uebertretungen gegen die öffent¬ lichen Anstalten und Vorkehrungen, welche zur gemeinschaftlichen Sicherheit gehören. Hieher gehören die Uebertretungen der Wachebeleidi¬ gung, 8 312 St. G.; der Einmengung in die Voll¬ ziehung öffentlicher Dienste, 8 314 St. G.; der Be¬ schädigung der öffentlichen Beleuchtung, 8 317 St. G., u. s. w. 3. In Uebertretungen gegen die Pflich¬ ten eines öffentlichen Amtes, z. B. die Ueber- 35 tretung der thätlichen Beleidigung bei Amts- oder Dienstverrichtungen, § 331 St. G., u. s. w. II. Die strafbaren Handlungen gegen die Sicher¬ heit einzelner Menschen zerfallen wieder: 1. In die Vergehen und Uebertr et uri¬ gen gegen die Sicherheit des Lebens. Hieher gehören das Vergehen der schuldbaren Tödtung und die Uebertretung der schuldbaren schweren Beschädigung eines Menschen nach der allgemeinen Begriffsbestim¬ mung des H 335 St. G. und die besonderen Fälle dieses Vergehens, rücksichtlich dieser Uebertretung; die Uebertretung der Geburtsverheimlichung, tz 339 St. G.; die Uebertretung des unbefugten Handels mit Gift, K 361 St. G., u. s. w. 2. In die Vergehen und Uebertretungen gegen die Gesundheit. Hieher gehören das Ver¬ gehen gegen die Pestanstalten, Z 393 St. G.; die Uebertretung der Verunreinigung von Brunnen, ß 398 St. G.; die Uebertretung der bei einer Viehseuche ge¬ gebenen Vorschriften, H 400 St. G.; die Uebertretung der Fälschung des Zinngeschirres, K 406 St. G., u. s. w. 3. In die Uebertretungen gegen die körperliche Sicherheit. Hieher gehören die Uebertretungen der Selbstverstümmelung, Z 409 St. G.; der vorsätzlichen und der bei Raufhändeln vorkommen¬ den körperlichen Beschädigung, 8 411 St. G.; der Mißhandlung bei häuslicher Zucht, tzß 413 bis 421 St. G.; der Handlungen und Unterlassungen gegen die körperliche Sicherheit überhaupt, ß 431 St. G. 4. In die Vergehen und Uebertretungen gegen die Sicherheit des Eigenthums. Hie¬ her gehören die Uebertretungen durch feuergefährliche Handlungen und Unterlassungen, N 434 bis 459 St. G.; des Diebstahls, § 460 St. G.; der Verun- 3* 36 treuung und des Betruges, ß 461 St. G.; der Theil- nehmuiig an Diebstählen, 8 464 St. G.; das Vergehen gegen das literarische und artistische Eigenthum, 8 467 St. G.; die Übertretung der boshaften Beschädigung fremden Eigenthums, 8 468 St. G.; das Vergehen der schuldbaren Crida, 8 486 St. G., u. s. w. 5. In die Vergehen und Übertretungen gegen die Sicherheit der Ehre, z. B. die Ue- bertretung der Ehrenbeleidigung, 88 487 bis 496 St. G. III. Zu den Vergehen und Uebertretungen gegen die öffentliche Sittlichkeit gehören z. B. die Uebertre- tung der Unzucht zwischen Verwandten und Verschwä¬ gerten, 8 501 St. G.; die Uebertretung des Ehebruches, 8 502 St. G.; die Uebertretung der Entehrung unter der Zusage der Ehe, 8 506 St. G.; die Uebertretung der Kuppelei, 8 512 St. G.; die Uebertretung (bei Druckschriften das Vergehen) der gröblichen und öffentliches Aergerniß verursachenden Verletzung der Sittlichkeit oder Schamhaftigkeit, 8 516 St. G.; die Uebertretung des verbotenen Spieles, 8 522 St. G.; der Trunkenheit, 8 523 St. G., u. s. w. Wir haben bisher die wichtigsten allgemeinen Nechtsgrundsätze aus dem Strafgesetze erörtert und den Lesern einen Ueberblick über die strafbaren Hand¬ lungen gegeben, und schreiten nunmehr zur Anwendung der oben besprochenen Prinzipien auf einzelne Delicte. Allerdings sind wir nicht in der Lage, alle oder auch nur die Mehrzahl der strafbaren Handlungen der Besprechung zu unterziehen, indessen hegen wir die Ueberzeugung, daß der Geschworne, der die bisher entwickelten Theorien richtig aufgefaßt hat, an der 37 Hand der nachfolgenden Ausführungen auch bei den nicht zur Sprache kommenden Delicten mit Zuhilfe¬ nahme des Strafgesetzes die zu deren Thatbestande gehörigen Kriterien mit Leichtigkeit herausfinden und demnach einen gegebenen Fall richtig unter das Gesetz zu subsummiren wissen wird. Bei Beantwortung der Frage , nun, ob eine be¬ stimmte strafbare Handlung vorliege, d. h. ob in einem gegebenen Falle der Thatbestand eines bestimmten Verbrechens, Vergehens oder einer Uebertretung vor¬ handen sei, dürften nachstehende Regeln die richtige Lösung sehr erleichtern: 1. Die Frage, ob eine bestimmte Thal ein Ver¬ brechen, ein Vergehen oder eine Uebertretung begründe, läßt sich nur nach dem Strafgesetze beantworten, da — wie wir schon oben gesehen haben — nach Artikel IV des Kundmachungspatentes zum Strafgesetze nur das als Verbrechen, Vergehen oder Uebertretung behandelt werden kann, was in dem Strafgesetze ausdrücklich als Verbrechen, Vergehen oder Uebertretung erklärt wird. Ist also jemand eines bestimmten Verbrechens, rücksichtlich Vergehens, oder einer bestimmten Ueber¬ tretung beschuldiget, so wird man den von diesen! Dekrete sprechenden Paragraph des Strafgesetzes anf- schlagen, sohin sich fragen müssen: welche besondere Merkmale fordert das Gesetz zum Thatbestande dieses Delietes, und schließlich die weitere Frage zu beantwor¬ ten haben: hat die vorliegende That alle vom Gesetze verlangten Merkmale oder nicht? Es ist also die Analyse einer bestimmten That an der Hand des positiven Gesetzes, d. i. des Straf¬ gesetzes vorzunehmen, und jede Analogie, d. h. jede Schlußfolgerung aus ähnlichen Fällen auszuschließen. 38 2. Weiters ist zu untersuchen, ob es sich um ein vollbrachtes oder versuchtes Delict handelt, so wie ob der Beschuldigte unmittelbarer Thäter, Mit¬ schuldiger oder Theilnehmer sei. 3. ist sohin die Frage zu beantworten: welches ist im vorliegenden Falle das Object der strafbaren Handlung, d. h. an wem wird die Rechtsverletzung begangen? 4. Weiters ist zu prüfen, welche That Hand¬ lung oder Unterlassung, d. h. welche äußere Bethätigung des Vorsatzes das Gesetz zum Thatbestande des fraglichen Deliktes verlangt. 5. Sohin ist zu untersuchen, welcher böse Vorsatz zum Thatbestande der gegebenen strafbaren Handlung gefordert wird? 6. Endlich ist bei jenen Delikten, welche zu ihrer Vollendung einen bestimmten Erfolg erheischen, zu fragen: ist dieser Erfolg im gegebenen Falle wirklich eingetreten? Diese Grundsätze wollen wir nun an ein¬ zelnen strafbaren Handlungen erläutern und beginnen mit dem 10. Verbrechen der Störung der öffentlichen Ruhe. Nach Z 65 St. G. macht sich des Verbrechens der Störung der öffentlichen Ruhe schuldig, wer öffent¬ lich oder vor mehreren Leuten oder in Druckwerken, verbreiteten Schriften oder bildlichen Darstellungen n) zur Verachtung oder zum Hasse wider die Person des Kaisers, wider den einheitlichen Staats¬ verband des Kaiserthums, wider die Regierungsform oder Staatsverwaltung aufzureizen sucht, oder 39 d) zum Ungehorsam, zur Auflehnung oder zum Widerstande gegen Gesetze, Verordnungen, Erkenntnisse oder Verfügungen der Gerichte oder anderer öffent¬ licher Behörden, oder zur Verweigerung von Steuern oder für öffentliche Zwecke ungeordneten Abgaben auf¬ fordert, aneifert oder zu verleiten sucht; e) Verbindungen zu stiften oder andere zur Theilnahme an solchen zu verleiten sucht oder selbst in was immer für einer Weise daran theilnimmt, die sich eine der unter lit. u und k bezeichneten straf¬ baren Zwecke zur Aufgabe setzen. Des gleichen Verbrechens macht sich nach Artikel II des Gesetzes vom 17. Dezember 1862, Nr. 8 R. G. B., auch derjenige schuldig, der auffordert, den 0 zu er¬ schießen, zu vergiften oder zu erstechen, wenn L den L wirklich todtet, Mitschuldiger (intellectueller Urheber) am vollbrachten Verbrechen des Mordes ist; daß ihm die Mitschuld am versuchten Verbrechen des Mordes zur Last fällt, wenn II den 0 zu tvdten versucht, der beabsichtigte Erfolg aber nicht eintritt; daß er endlich des Verbrechens der versuchten Verleitung zum Morde schuldig ist, wenn seine Einwirkung auf L erfolglos geblieben ist. Es erübrigt noch, die verschiedenen Arten des Mordes aufzuzählen und daran einige sachgemäße Be¬ merkungen zu knüpfen. Das Gesetz unterscheidet: 1. den Meuchelmord, welcher durch Gift oder sonst tückischer Weise, d. h. auf eine Art ausgeführt wird, die es dem Angefallenen unmöglich macht, die ihm drohende Gefahr wahrzunebmen und zu deren Abwendung die geeigneten Mittet ins Werk zu setzen. Dieses Moment ist beim Meuchelmorde wesentlich, daher z. B. ein Meuchelmord nicht vorhanden wäre, 51 Wenn den 8 zwingen würde, ein Glas Gift zu leeren, oder wenn dem 8 das Gift gewaltsam bei¬ bringen würde. Ein Fall des Meuchelmordes wäre dagegen vorhanden, wenn der Mord an einem Schla¬ fenden verübt wird, oder wenn zum Fenster schleicht und durch dasselbe auf den im Zimmer mit dem Rücken gegen ihn gekehrten 8 schießt, u. s. w.; 2. den Raubmord, welcher in der Absicht, eine fremde bewegliche Sache mit Gewaltthütigkeiten gegen die Person an sich zu bringen, begangen wird. Bei dieser Art des Mordes ist eine doppelte böse Absicht erforderlich, nemlich n) einen Menschen zu tödten und b) durch den Mord eine fremde bewegliche Sache an sich zu bringen. Hier ist also der Mord das Mittel zur Erreichung des Endzweckes, sich einer fremden Sache zu bemächtigen. Der Thäter muß dein Gesagten nach ein doppeltes Uebel wollen: den Tod eines Menschen nemlich und die rechtswidrige Bereicherung; seine Absicht ist dem¬ nach sowol gegen die Sicherheit des Lebens, als gegen jene des Eigenthums gerichtet. Der Raubmord be¬ gründet somit auch eine doppelte Rechtsverletzung, da er das Leben und das Eigenthum trifft. Fehlt die eine oder die andere Absicht, so liegt kein Raubmord vor; z. B. ä. schlügt den 8 mit einem Prügel, nicht in der Absicht ihn zu tödten, sondern in der Absicht ihn zu betäuben und sich sohin seines Geldes zu bemächtigen, und erschlägt ihn. Hier liegt nicht Raubmord, sondern räuberischer Todtschlag vor. Wenn dagegen den 8 bestiehlt, beim Diebstahle aber von 8 betreten wird und nur aus Furcht, von 8 ver- rathen zu werden, diesen ermordet, so liegt auch kein Raubmord, sondern nur Diebstahl in Concurrenz mit gemeinem Morde vor, weil der Mord nicht in der 52 Absicht, sich einer fremden beweglichen Sache zu be¬ mächtigen, sondern in der Absicht, die Entdeckung des Diebstahls zu verhindern, begangen wurde u. s. w.; 3. den bestellten Mord, wozu jemand ge¬ dungen oder auf andere Art von einem Dritten bewo¬ gen worden ist; z. B. besticht den L durch 1000 Gulden, damit er den 0 ermorde, und U führt die That richtig aus. In diesem Falle ist L des Verbre¬ chens des bestellten Mordes als unmittelbarer Thäter und als Mitschuldiger (intellectueller Urheber) schuldig. Das Gesetz kennt ferners: 4. den Gatten- und Verwandtenmord, in¬ dem es auf den Versuch und die Mitschuld bei dieser Art des Mordes strengere Strafen verhängt. Die Ver¬ wandtschaft ist jedoch auf die aufsteigende und abstei¬ gende Linie, d. h. auf jene Verwandten beschränkt, die von einander abstammen, z. B. Vater und Sohn, Gro߬ vater und Enkel, Urgroßmutter und Urenkelin u. s. w. Weiters nennt das Gesetz 5. den gemeinen Mord, der zu keiner der angeführten schweren Gattungen gehört, und endlich 6. den Kindsmvrd, den wir ausführlicher be¬ handeln wollen. Das Gesetz (Z 139 St. G.) nimmt Kindsmord dann an, wenn eine Mutter ihr Kind bei der Geburt tödtet oder durch absichtliche Unterlassung des bei der Geburt nöthigen Beistandes umkommen läßt. Es muß hier vor allem bemerkt werden, daß das Gesetz mit dieser Art des Mordes kein besonderes Ver¬ brechen normirt wissen will, wie sich schon daraus ergibt, daß das Gesetz nicht von einem besonderen Verbrechen des Kindsmordes, sondern beim Verbrechen des Mordes von der Strafe des Kindsmordes spricht und den Kiudsmord ausdrücklich als Mord bezeichnet. 53 Daraus ergibt sich, daß auch beim Kindsmorde keines der Kriterien des Mordes fehlen dürfe, daß somit auch bei dieser Art des Mordes eine Handlung oder Unterlassung, mit welcher der Tod eines Menschen in ursächlicher Verbindung ist, in der Absicht, ein menschliches Wesen zu tödten, begangen worden sein müsse. Es ist jedoch hier das Object der Rechtsverletzung ein beschränkteres, d. h. es muß wol ein Mensch das Object der Handlung oder Unterlassung sein; allein dieser Mensch ist ein neugebornes Kind. Ebenso ist auch das Subject, d. i. die handelnde Person beschränkt, denn nur eine Mutter kann sich des Verbrechens des Kindsmordes in Ansehung ihres neugeborenen Kindes schuldig machen. Daraus ergibt sich folgerichtig, daß eine andere Person als die Mutter sich des Kindsmordes weder als Thäterin noch als Mitschul¬ dige oder Theilnehmerin schuldig machen könne, sondern daß deren That als gemeiner, nach Umständen Ver¬ wandtenmord (z. B. wenn der Vater des Kindes der Thäter ist), rücksichtlich als Mitschuld oder Theilnahme daran zu behandeln ist. Wenn also z. B. der unehe¬ liche Vater die Mutter während des Geburtsactes verleitet, ihr Kind zu tödten, so ist die Mutter, wenn sie das Kind getödtet hat, des Verbrechens des voll¬ brachten Kindsmordes, der Vater aber des Verbrechens der Mitschuld am Verwandtenmorde schuldig. Eben so wenig kann dem Gesagten nach von einen: Kindsmorde die Rede sein, wenn die Mutter ihr Kiud erst einige Zeit nach der Geburt tödtet oder durch absichtliche Unterlassung des nöthigen Beistandes umkomiueu läßt, eine solche That wäre vielmehr voll¬ brachter Verwandtenmord. Die Handlung oder Unter¬ lassung muß nemlich bei der Geburt, d. h. während 54 des Geburtsactes oder unmittelbar darnach, also zu einer Zeit geschehen, zu welcher bei der Thäterin in¬ folge der durch den Geburtsact herbeigeführten hoch¬ gradigen Aufregung des ganzen Nervensystems nur eine geringere Intensität des bösen Vorsatzes möglich ist, dieselbe daher auf eine mildere Behand¬ lung Anspruch hat, als wenn die That unter normalen Verhältnissen verübt worden wäre. Was speciell die äußere Bethätigung des bösen Vorsatzes beim Kindsmorde anbelangt, so unterscheidet das Gesetz hier ausdrücklich die Tödtung als positive Handlung von der Unterlassung des bei der Geburt nöthigen Beistandes, woraus also gefolgert werden muß, daß der Mord überhaupt auch durch Unterlassung begangen werden könne. Ein Fall des Kindsmordes durch Unterlassung wäre vorhanden, wenn die Mutter bei der Geburt die Nabelschnur in der Absicht nicht unterbindet, daß das Kind verblute, und wenn infolge dessen das Kind nmkvmmt; oder wenn die Mutter in der gleichen Ab¬ sicht es unterläßt, dem Kinde den Schleim vom Munde zu entfernen und dadurch den Erstickungstod herbei¬ führt, oder wenn sie in der gleichen Absicht das mit dem Munde auf den Boden zu liegen kommende Kind umzukehren unterläßt und dasselbe infolge dessen er¬ sticken muß. Hat jedoch die Mutter hiebei eine positive Handlung unternommen, um den Tod des Kindes zu beschleunigen oder sicherer herbeizuführen, z. B. sich auf das am Gesichte liegende Kind gelegt, dasselbe in den Boden gedrückt oder ihm den Mund zugehalten, dann wäre natürlich Kindsmvrd durch Tödtüng vor¬ handen. Daß in dem einen wie in dem andern Falle ein Versuch möglich ist, haben wir schon oben bei der 55 Lehre vom Versuche gesehen. In den obigen Beispielen braucht man die Sachlage nur dahin zu ändern, daß rechtzeitig, also vor der Ausführung des Verbrechens fremde Hilfe kommt und den Eintritt des beabsichtigten Erfolges, d. i. des Todes verhindert. 12. Das Verbrechen des Todtschlages. Der H 140 St. G. sagt: Wird die Handlung, wodurch ein Mensch um das Leben kommt (Z 134 St. G.), zwar nicht in der Absicht ihn zu tödten, aber doch in anderer feindseliger Absicht ausgeübt, so ist das Verbrechen ein Todtschlag. Da der § 134 St. G., welcher vom Morde Han¬ delt, im Contexte des das Verbrechen des Todtschlages uvrmirenden Paragraphs citirt ist, muß obige Gesetzes¬ stelle dahin ergänzt werden, daß sich derjenige des Todtschlages schuldig macht, der gegen einen Menschen zwar nicht in der Absicht ihn zu tödten, aber doch in anderer feindseliger Absicht auf eine solche Art handelt, daß daraus dessen Tod erfolgte, wenn auch dieser Erfolg nur vermöge der persönlichen Beschaffen¬ heit des Verletzten, oder blos vermöge der zufälligen Umstände, unter welchen die Handlung verübt wurde, oder nur vermöge der zufällig hinzugekommenen Zwi¬ schenursachen eingetreten ist, insoferne diese letztem durch die Handlung selbst veranlaßt worden sind. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß f das Ver¬ brechen des Todtschlages mit jenem des Mordes in Bezug auf das Object und die Handlungsweise^(posi- tive Handlung oder Unterlassung) vollkommen, und in Bezug aus den Erfolg insoweit zusammenfällt, als auch beim Todtschlage ein tödtlicher Ausgang vorhanden 56 sein muß, der mit der Handlung oder Unterlassung im ursächlichen Zusammenhang steht. Dagegen ist be¬ züglich des Erfolges zwischen Todtschlag und Mord der Unterschied, daß bei ersterem der Erfolg bei jenem Menschen eintreten muß, gegen den die feindliche Ab¬ sicht gerichtet war, während cs beim Morde gleich- giltig ist, ob jener Mensch ums Leben kommt, den der Thäter tödten wollte, oder ein anderer. Wenn z. B. gegen U, nicht in der Absicht ihn zu tödten, sondern nur in der Absicht ihn schwer zu verletzen, mit einem Prügel einen Streich in die Richtung des Kopfes führt, 8 aber ausweicht und 0 derart getroffen wird, daß er todt zu Boden fällt, so liegt nicht Todt¬ schlag, sondern versuchte schwere körperliche Beschädi¬ gung in Coneurrenz mit fahrlässiger Tödtung (M 155 lit. a, 335 St. G.) vor, denn 8, gegen den die feind¬ selige Absicht gerichtet war, kam nicht ums Leben und die Tödtung des 0 geschah nicht mit Willen des Thäters und auch nicht in feindseliger Absicht, kann daher ob Abgang des bösen Vorsatzes kein Verbrechen begründen. Dagegen wäre dieselbe Handlung, in der Absicht den 8 zu tödten begangen, das Verbrechen des vollbrachten Mordes, weil es beim Morde gleicbgiltig ist, ob der¬ jenige, gegen den die mörderische Absicht gerichtet war (hier 8), oder ein anderer (hier 0) durch die Hand¬ lung um's Leben kommt. Mit der letztbezeichneten Be¬ schränkung gilt also alles, was wir beim Morde über das Object, die Handlung (Unterlassung) und den Erfolg gesagt haben, auch vom Todtschlage. Dagegen ist beim Todtschlage der böse Vorsatz ein wesentlich anderer als beim Morde. Bei letzterem besteht nemlich die Ab¬ sicht des Thäters darin, einen Menschen zn tödten, wogegen beim Todtschlage diese Absicht geradezu aus¬ geschlossen ist und nur eine andere feindselige, d. h. 57 auf die Zufügung irgend eines die körperliche Inte¬ grität des Objectes bedrohenden Uebels (mit Ausnahme des Todes) gerichtete Absicht gefordert wird. Daß diese feindselige Absicht auf eine bloße Mißhandlung oder leichte körperliche Verletzung, oder auf eiue schwere Verletzung gerichtet sein könne, haben wir bereits oben bei der Lehre vom bösen Vorsatze ausführlich erörtert. Demnach besteht der wesentliche Unterschied zwischen Mord und Todtschlag im bösen Vorsatze. In Bezug auf die Frage, ob es beim Todtschlage einen Versuch gebe, haben wir bereits bei der Lehre über den Versuch nachgewiesen, daß diese Frage ver¬ neint werden müsse, da der tödtliche Erfolg beim Todt¬ schlage nicht in! der Absicht des Thäters liegen darf, er daher dieses Verbrechen nicht versuchen kann. Dagegen muß die Frage, ob es beim Todtschlage eine Mitschuld gebe, allerdings bejaht werden, wenn¬ gleich es auf den ersten Anblick scheint, daß eine Mit¬ schuld am Todtschlage nicht möglich sei. Nehmen wir z. B. den Fall an, befiehlt dem L, dem 0 eine Maulschelle zu geben. L führt den Auftrag aus und schlägt den 0 mit solcher Gewalt, daß dieser infolge des Schlages an einer Gehirnentzündung erkrankt, die einen tödtlichen Ausgang nimmt. In diesem Falle wird es wol schwer angehen, den der Mitschuld am Verbrechen des Todtschlages schuldig zu sprechen, da sein Auftrag ein ganz bestimmter, auf die Herbei¬ führung eines begrenzten, geringen Uebels ge¬ richteter war. Nehmen wir dagegen an, hätte dem L einen schweren Prügel in die Hand gegeben und ihm zugerufen: „Schlage dem 0 tüchtig über den Schädel," und U hätte in Ausführung dieser Auffor¬ derung den Schlag mit dein Prügel geführt und den 58 0 getödtet, sv kann es wvl keinem Zweifel unter¬ liegen, daß L, wenngleich er nur in feindseliger und nicht in der Absicht, den 0 zu tödten, die besagte Auf¬ forderung an 8 ergehen ließ, den schwereren Er¬ folg ebenso zu vertreten hat, wie der unmittelbare Thäter. rp wäre demnach als Mitschuldiger am Ver¬ brechen des Todtschlages zu behandeln. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die Frage, ob Mitschuld am Todtschlage vorhanden sei, im con- creten Falle mit genauer Erwägung aller die That begleitenden Umstände zu lösen sein wird. Das Gesetz kennt mehrere Arten des Todtschlages, und zwar: den gemeinen Todtschlag, den räuberischen Todtschlag, den Todtschlag von nahen Verwandten oder von Personen, zu welchen der Thäter in beson¬ derer Verpflichtung gestanden ist. Räuberischer Todtschlag ist nach dein Gesetze dann vorhanden, wenn bei der Unternehmung eines Raubes ein Mensch auf eine so gewaltsame Art behandelt worden, daß daraus dessen Tod erfolgt ist (tz 134 St. G.) Selbstverständlich darf der Thäter nicht in der Absicht zu tödten, sondern nur in feindseliger Ab¬ sicht gehandelt haben, da im ersteren Falle Raubmord vorhanden wäre. Der Unterschied zwischen Raubmord und räube¬ rischem Todtschlag liegt also lediglich darin, daß bei ersterem die Absicht ans Tödtung gerichtet ist, während beim Todtschlage eine andere feindselige Absicht vorhanden ist. Der Todtschlag an nahen Verwandten, d. i. an Verwandten der auf- und absteigenden Linie (Z 137 St. G.), und an Personen, zu welchen der Thäter in besonderer Verpflichtung gestanden ist, z. B. vom Ehe¬ gatten, Mündel, Pflegesvhne, Schüler — am Ehegatten, 59 Vormunde, Pflegevater, Lehrer u. s. w., unterscheidet sich vom gemeinen Todtschlage nur darin, daß der Er¬ schlagene (Getödtete) ein naher Verwandter, rücksichtlich eine Person sein muß, gegen welche der Thäter eine besondere Verpflichtung hat, und bezüglich der Strafe dadurch, daß er strenger als der gemeine Todtschlag geahndet wird. 13. Das Verbreche» der schwere» körperliche» Beschädigung. Nach Z 152 St. G. macht sich des Verbrechens der schweren körperlichen Verletzung schuldig, wer gegen einen Menschen, zwar nicht in der Absicht ihn zu tödten, aber doch in anderer feindseliger Absicht auf eine solche Art handelt, daß daraus G 134) eine Ge¬ sundheitsstörung oder Berufsunfähigkeit von mindestens zwanzigtägiger Dauer, eine Geisteszerrüttung oder eine schwere Verletzung desselben erfolgt; und nach 8 153 St. G. derjenige, der seine leiblichen Eltern, oder wer einen öffentlichen Beamten, einen Geistlichen, einen Zeugen oder Sachverständigen, während sie in der Ausübung ihres Berufes begriffen sind, oder wegen derselben vorsätzlich an ihrem Körper beschädigt, wenn auch die Beschädigung nicht die im 8 152 St. G. vorausgesetzte Beschaffenheit hat. Das Object des vorliegenden Verbrechens ist dem¬ nach im Falle des 8 152 St. G. ein Mensch über¬ haupt, im Falle des 8 153 St. G. eine der obange¬ führten, wegen ihres öffentlichen Charakters oder ihrer Mission im Dienste der Gerechtigkeit unter den besonderen Schutz des Gesetzes gestellten Personen. In der ersten Richtung stimmt daher das Verbrechen der schweren körperlichen Beschädigung mit jenem des 60 Mordes und Todtschlages überein, daher das bei diesen Verbrechen bezüglich des Objectes Gesagte auch hier sinngemäße Anwendung findet. Im Falle des ß 153 St. G. sind das Object die leiblichen Eltern des Thäters, und zwar svwol die ehelichen als auch die unehelichen, dagegen nicht die Adoptiv-, Pflege- oder sogenannten Stiefeltern; em öf¬ fentlicher Beamter bei einer Amtshandlung oder wegen derselben; ein Geistlicher von was immer für einer vom Staate anerkannten Kirche oder Religionsgenossenschaft in Ausübung seines Berufes oder wegen derselben, und ein Zeuge oder Sachverständiger während der Ab¬ legung fernes Zeugnisses, rücksichtlich Abgabe seines Gutachtens oder wegen desselben. Die äußere Bethätigung des bösen Vorsatzes, d. i. die zum Thatbestande des vorliegenden Verbrechens nothwendige Handlung oder Unterlassung, ist ebenso mannigfach und vielgestaltig wie beim Morde und Todtschlage. Es werden also alle Handlungen und Unterlassungen hieher gehören, durch welche die kör¬ perliche Integrität in irgend einer Weise gefährdet wird. Daß insbesondere auch eine Unterlassung, die spä¬ ter zu besprechende böse Absicht vorausgesetzt, das gegenständliche Verbrechen begründen könne, dürfte bereits aus dem klar geworden sein, was oben über den Mord durch Unterlassung gesagt wurde. In allen jenen Fällen nemlich, in welchen eine Unterlassung als Uebertretung gegen die Sicherheit des Lebens nach ß 335 St. G. geahndet wird, d. i. in jenen Fällen, m welchen jemand etwas aus Unachtsamkeit, Mangel gehöriger Sorgfalt u. s. w., kurz aus Verschulden zu thuu unterläßt, was er infolge natürlicher oder übernoimyeuer Pflicht hätte thun sollen, wird sich der 61 Charakter der strafbaren Handlung sofort verändern, wenn die Unterlassung aus dem unten zu erörternden bösen Vorsatze geschehen ist; denn in diesem Falle ist das Verbrechen der schweren körperlichen Beschädigung vorhanden. Wenn z. B. ein Krankenwärter beim Bette des ihm zur Aufsicht zugewiesenen Kranken, der sich im Delirium befindet, einschläft und mittlerweile der Kranke in seinem Fieberwahne das Zimmer verläßt, sich in der naßkalten Luft verkühlt und infolge dessen eine Lungenentzündung zuzieht, so wird der pflicht¬ vergessene Krankenwärter, wenn nicht der Tod des Kranken infolge der durch sein Verschulden herbeige¬ führten Krankheit eintritt, nach Z 335 St. G. wegen Uebertretung gegen die Sicherheit des Lebens zu be¬ strafen sein; hat aber der Krankenwärter es in der Absicht, daß der Kranke sich eine neue Krankheit zu¬ ziehe, also in feindseliger Absicht unterlassen, den¬ selben im Bette zurückznhalten, fv wird man ihn un¬ möglich in eine Reihe mit dem blos pflichtvergessenen, aber nicht bösgesiunten Berufsgenossen des früheren Falles setzen können, sondern ihn des Verbrechens der fchweren körperlichen Beschädigung schuldig halten müs¬ sen, so gut er sich des Verbrechens des Todtschlages, rücksichtlich des Mordes schuldig gemacht hätte, wenn nur infolge dieser Unterlassung der Tod des Kranken eingetreten wäre und rücksichtlich der Verbrecher nicht aus blos feindseliger, sondern in mörderischer Absicht die Unterlassung begangen hätte. Was den bösen Vorsatz anbelangt, so ist der¬ selbe beim Verbrechen der schweren körperlichen Be¬ schädigung derselbe, wie beim Verbrechen des Tvdt- schlages, also nicht die Absicht, einen Menschen zu tödten, sondern eine andere feindselige Absicht, d. i. die Absicht, jemanden ein die körperliche Integrität 62 gefährdendes Uebel beizubringen. Es wird also auch hier wie beim Todtschlage die Absicht lediglich auf eine Mißhandlung, oder auf eine leichte, oder auf eine schwere körperliche Beschädigung gerichtet sein können. Ist die letztere Absicht vorhanden, dann ist die That nach Z 155 lit. a St. G. strenger zu bestrafen, selbst in dem Falle, als es nur beim Versuche geblieben, d. h. wenn der beabsichtigte schwere Erfolg nicht eingetreten wäre. Die Absicht des Thäters, einen der im Z 152 St. G. erwähnten schweren Erfolge herbeizuführeu, wird sich aus den Umständen, unter welchen die That geschehen ist, und namentlich aus dem zur Anwendung gebrachten Jnstrnmente und aus der Art und Weise, in welcher die Verletzung beigebracht wurde, folgern lassen. Insbesondere wird diese Absicht nach § 155 lit. a St. G. dann anzunehmen sein, wenn die obgleich an und für sich leichte Verletzung mit einem solchen Werkzeuge und auf solche Art unternommen wurde, womit gemeiniglich Lebensgefahr verbunden ist. Wenn also z. B. dem L mit einer schweren eisernen Stange über die Stirne schlägt, wird man mit Rücksicht auf das gebrauchte Werkzeug und die Art der Zufügung der Verletzung, mit welcher gemei¬ niglich der Bruch des Stirnbeins oder eine hochgradige Gehirnerschütterung, demnach Lebensgefahr verbunden ist, behaupten müssen, daß nicht blos die Absicht, den bl zu verletzen, sondern geradezu die Absicht, ihn schwer zu verletzen, gehabt habe, wenn U thatsächlich auch gar nicht oder nur leicht verletzt wurde. Die Absicht, schwer zu verletzen, wird sich übri¬ gens auch auf andere Art erweisen lassen, z. B. durch das Geständniß des Thäters selbst oder durch Umstünde, welche auf diese Absicht schließen lassen; 63 z. B. L sticht dem L mit einem spitzigen scharfen Mes¬ ser in die Brust, trifft aber zufällig jene Rockstelle, an welcher L seine Brieftasche verwahrt hat, wodurch die Gewalt des Stoßes gebrochen und das Eindringen der Klinge in die Brusthöhle verhindert wird. In diesem Falle wird man, wenn nicht eine mörderi¬ sche Absicht vorliegt, mindestens auf die Absicht des X, den L schwer zu verletzen, schließen müssen, wenn¬ gleich die Verletzung unter den gegebenen Umständen nicht auf eine Art (wenngleich mit einem Werkzeuge) unternommen wurde, womit gemeiniglich Lebensgefahr verbunden ist. Es ist wol selbstverständlich, daß die Absicht, einen der im 8 152 St. G. erwähnten schweren Er¬ folge herbeiznführen, auch dann vorhanden sein kann, wenn der beabsichtigte schwere Erfolg auch wirklich eingetreten ist, das Verbrechen also vollbracht wurde. Bezüglich des zum vollbrachten Verbrechen der schweren körperlichen Beschädigung nothwendigen Er¬ folges muß ein Unterschied nach den verschiedenen, bezüglich dieses Verbrechens normirten Strafsätzen ge¬ macht werden. Diese Strassätze sind: Kerker zwischen sechs Monaten und einem Jahre, bei erschwerenden Umständen zwischen I und 5 Jahren (tz 154 St. G.); schwerer und verschärfter Kerker zwischen 1 und 5 Jahren (8 155 St. G.) und schwerer Kerker von 5 bis 10 Jahren (8 156 St. G.) Soll der erste Strafsatz nach § 154 St. G. zur Anwendung kommen, so ist nach dem bereits oben Gesagten die Absicht des Thäters nur auf die Zufü¬ gung einer leichten Verletzung oder eine bloße Mi߬ handlung, keineswegs aber auf die Herbeiführung eines der schwereren Erfolge des 8 152 St. G. gerichtet, denn im letzteren Falle käme der höhere Strafsatz 64 des Z 155 St. G. zur Anwendung. Der Erfolg ist in den Fällen des ß 154 St. G. entweder a) eine Gesundheitsstörung oder Berufsunfähigkeit von minde¬ stens 20tägiger Dauer, oder d) eine Geisteszerrüttung, oder e) eine schwere Verletzung. Der Ausdruck „Gesundheitsstörung" ist gleich¬ bedeutend mit „Störung des Allgemeinbefindens" oder Krankheit. Es wird also von einer Gesundheitsstörung keine Rede sein, wenn jemand einen Hautritzer erlitten hat, dabei aber sich ganz wohl befindet, wie gewöhn¬ lich ißt und schläft u. s. w. Stellen sich dagegen in¬ folge der Verletzungen Fiebererscheinungen, als Mattig¬ keit, unregelmäßiger oder erhöhter Puls u. s. w. ein, so ist allerdings eine Störung des Allgemeinbefindens, somit eine Gesundheitsstörung vorhanden. Die Berufsunfähigkeit besteht in der Unmöglich¬ keit, den gewohnten Beruf zu erfüllen. Demnach ist bei Beantwortung der Frage, ob eine Berufsunfähig¬ keit vorhanden sei, der Beruf des Verletzten ma߬ gebend. Wenn also z. B. ein Maler oder Zeichner am Zeigefinger derart verwundet wird, daß er den Pinsel, rücksichtlich den Stift nicht zu führen vermag, so ist er berufsunfähig, während ein Sänger, Dichter, Lehrer u. s. w. unter gleichen Umständen seinem Berufe ganz gilt nachkommen könnte. Die Geisteszerrüttung darf im Falle des Z 154 St. G. keine solche sein, die die Wahrscheinlichkeit der Wiederherstellung ausschließt, denn in diesem Falle würde der höchste Strafsatz nach 8 156 St. G. zur Anwendung kommen. Was endlich eine schwere Verletzung sei, ist im Gesetze nirgends gesagt. Auch der Medizin ist der Begriff der schweren Verletzung fremd, weshalb in der Praxis ein und derselbe Fall von verschiedenen Ge- 65 richtsärzten verschieden beurtheilt wird. In dieser Rich¬ tung nun wird der Ausspruch der Sachverständigen maßgebend sein, und man wird daher jene Verletzung als eine an und für sich schwere ansehen müssen, welche von den Experten (Gerichtsärzten) als solche erklärt wird. In der Gerichtspraxis pflegt man z. B. Knochenbrüche, Eindrücke des Schädelknochens, Ent¬ blößungen von der Beinhaut, Oeffnungen der Lungen oder Bauchhöhle, Zerschneidung einer Schlagader, Wunden, die eine hochgradige Gehirnerschütterung oder eine Entzündung der Lungen, des Brust-, Bauch- oder Rippenfelles u. s. w. im Gefolge haben, überhaupt Wunden, die mit dem Verluste oder der Verunstaltung irgend eines nothwendigen Körpertheils oder mit der Functionsstörung eines für das Leben wichtigen Or¬ ganes oder organischen Systemes verbunden sind, als an und für sich schwere körperliche Beschädigungen anzusehen. Im Falle des Z 153 St. G. genügt auch eine leichte Beschädigung, d. i. eine sowol an und für sich als auch in Rücksicht auf die Dauer der Gesund¬ heitsstörung und Berufsunfühigkeit leichte Verletzung, vorausgesetzt, daß sie äußerlich sichtbare Merkmale und Folgen nach sich gezogen hat. Daß der höhere Strafsatz des ß 155 St. G. in jenen Fällen zur An¬ wendung zu kommen habe, in welchen dem Thäter die Absicht, einen der im 152 St. G. erwähnten schwe¬ ren Erfolge herbeizuführen, nachgewiesen wird, insbe¬ sondere wenn die Verletzung mit einem solchen Werk¬ zeuge nnd auf eine solche Art unternommen wurde, woinit gemeiniglich Lebensgefahr verbunden ist, und zwar ohne Rücksicht auf den eingetretenen Erfolg, haben wir schon oben gesagt. Der in Rede stehende höhere Strafsatz wird aber auch in jenen Fällen, in weichen der Thäter den gerade erwähnten Vorsatz nicht S 66 hat, sondern in anderer feindseliger Absicht handelt, durch den Erfolg begründet, wenn nemlich a) aus der Verletzung eine Gesundheitsstörung oder Berufsunfähigkeit von mindestens 30tägiger Dauer erfolgt ist, oder d) die Handlung mit besonderen Qualen für den Verletzten verbunden war, oder ch der Angriff in verabredeter Verbindung mit Anderen oder tückischer Weise geschehen und daraus eine der im § 1ö2 St. G. erwähnten Folgen entstan¬ den ist, oder ä) die schwere Verletzung lebensgefährlich wurde. Hat der Thäter in den sub a bis ä angeführten Fällen außerdem die Absicht, einen der im Z 152 St. G. angeführten schweren Erfolge herbeizuführen, so ist die That auch nach tz 155 Ut. u St. G. quali- fieirt, und es wird die Strafe innerhalb des höheren Strafsatzes von 1 bis 5 Jahren schweren und ver¬ schärften Kerker strenger auszumessen sein. Damit endlich der höchste Strafsatz des H 156 St. G. zur Anwendung komme, ist ein noch schwererer Erfolg als in den Fällen des 8 155 St. G. noth- wendig, nemlich a) der Verlust oder eine bleibende Schwächung der Sprache, des Gesichtes oder Gehörs; der Verlust der Zeugungsfähigkeit, eines Auges, Armes oder einer Hand, oder eine andere auffallende Verstümmlung oder Verunstaltung; d) immerwährendes Siechthum, eine unheilbare Krankheit oder eine Geisteszerrüttung ohne Wahrschein¬ lichkeit der Wiederherstellung, oder c) eine immerwährende Berufsunfähigkeit des Ver¬ letzten. 67 Auch in den hier angeführten Fällen kann der Thäter die Absicht haben, einen der im 8 152 St. G. angeführten schweren Erfolge herbeizuführen oder blos eine geringere Verletzung beizubringen. Im ersteren Falle würde die Strafe zwar auch nach 8 156 St. G., aber höher auszumefsen sein als im zweiten Falle. Da im 8 152 St. G. neben dem Worte „daraus" der vom Morde handelnde 8 134 St. G. eingeschaltet ist, muß auch beim Verbrechen der schweren körper¬ lichen Beschädigung, gerade so wie beim Morde und Todtschlage, der Erfolg mit der Handlung oder Un¬ terlassung in einem ursächlichen Zusammenhänge stehen, in welcher Beziehung wir auf das oben beim Morde und Todtschlag Gesagte verweisen. Es erübriget noch, zwei besondere Arten des Ver¬ brechens der schweren körperlichen Beschädigung auf¬ zuführen, welche in den 88 143 und 157, Abs. 2, St. G. behandelt sind. Wenn nemlich bei einer zwischen mehreren Leuten entstandenen Schlägerei, oder bei einer gegen eine oder mehrere Personen unternommenen Mißhandlung jemand getödtet wurde und der Tod nur durch alle Verletzun¬ gen oder Mißhandlungen zusammen verursacht worden ist, oder sich nicht bestimmen läßt, wer die tödtliche Verletzung zugefügt habe, so sind alle, welche an den Getödteten Hand angelegt haben, des Verbrechens der schweren körperlichen Beschädigung schuldig uud zu schwerem Kerker von 1 bis 5 Jahren zu verurtheilen. Wenn dagegen bei einem solchen Anlasse jemand an seinem Körper schwer beschädiget wurde (8 152 St. G.), die schwere körperliche Beschädigung aber nur durch das Zusammenwirken der Verletzungen oder Mißhandlungen von mehreren erfolgt ist, oder sich nicht erweisen läßt, wer eine schwere Verletzung zugefügt habe, so sind alle, 5* 68 welche an den Mißhandelten Hand angelegt haben, zwar auch des Verbrechens der schweren körperlichen Beschädigung schuldig, jedoch nur mit Kerker von sechs Monaten bis zu einem Jahre zu bestrafen. Nehmen wir z. B. folgenden Fall an: Bei einem Zechgelage entsteht zwischen L und 6 einerseits und I), L, k? und (4 andererseits eine Rauferei, bei welcher L drei Verletzungen am Kopfe erhält, die von den Gerichtsärzten einzeln genommen als leicht, in ihrem Zusammenhänge aber als eine an und für sich schwere körperliche Beschädigung erklärt werden. Er¬ wiesen ist, daß v, L, I? und 6 an L Hand angelegt haben, indem v den L mit der Faust, L mit einem Steine, I? mit einem Prügel, 6t mit dem Stiele einer Erdhane schlug. In diesem Falle werden v, L, I' und Li¬ des Verbrechens der schweren körperlichen Beschädigung nach Z 157, Abs. 2, St. G. schuldig sein, weil die schwere Beschädigung durch das Zusammenwirken der Verletzungen von mehreren erfolgte und sämmtliche Genannte an den Mißhandelten Hand angelegt haben. Nehmen wir aber den Fall so an, daß L nur eine schwere Verletzung am Kopfe erlitten habe und sich nicht nachweisen läßt, welcher von den Thätern ihm diese Verletzung beigebracht habe, so werden gleich¬ falls I), L, und 6, welche an ihn Hand angelegt hatten, des bezeichneten Verbrechens schuldig zu sprechen sein. Hätte L in obigem Falle mehrere an und für sich schwere, in ihrem Zusammenwirken tödtliche Ver¬ letzungen erlitten, so wären v, L, und 0- zwar auch des Verbrechens der schweren körperlichen Beschädigung, jedoch nach ß 143, Abs. 2, St. G. schuldig zu sprechen, gerade so wie in dem Falle, wenn L nur eine tödt¬ liche Wunde erhalten hätte und sich nicht erweisen ließe, 69 wer ihm dieselbe beigebracht habe. Daß dageben in dem Falle, wenn erwiesen wäre, wer dem L die schwere, rücksichtlich tödtliche Verletzung beigebracht habe, der Betreffende für die Folgen seiner Handlung allein verantwortlich gemacht werden müßte, ist wol selbst¬ verständlich, übrigens auch im ersten Absätze des Z 157, rücksichtlich 143 St. G. ausgesprochen. Wenn also z. B. erwiesen wäre, daß L dem L die schwere, rücksichtlich tödtliche Verletzung zugefügt habe, so müßte L des Ver¬ brechens der schweren körperlichen Beschädigung, und zwar je nach der Art der Verletzung, rücksichtlich nach ihren Folgen, nach Z 152, 155 oder 156 St. G. (nach letz¬ terem Paragraphe z. B-, wenn er dem L das Auge ganz ausgeschlagen hätte), beziehungsweise des Verbrechens des Todtschlages schuldig gesprochen werden. Was die Frage desVersuches anbelangt, so ist bei der schweren körperlichen Beschädigung ein solcher in jenen Fällen, in welchen der Thäter die Absicht hat, einen der im 8152 St. G. erwähnten schweren Erfolge herbeizuführen, allerdings möglich, dagegen ist er in jenen Fällen, wo der Thäter diese Absicht nicht hat, sondern der schlim¬ mere Erfolg gegen seinen Willen eingetreten ist, aus¬ geschlossen, weil es unmöglich ist, daß der Thäter etwas versucht haben konnte, was er gar nicht beabsichtigte. Wir haben auch bereits oben gehört, daß der Versuch der schweren körperlichen Beschädigung nach § 155 lit. u St. G. strenger bestraft wird als das vollbrachte Ver¬ brechen des 8 152 St. G., wenn bei diesem der Thäter nicht die Absicht hatte, seinen Gegner schwer zu ver¬ letzen. Wenn z. B. dem L in der Absicht, ihm eine schwere Verletzung beizubringen, mit einer Haue einen Schlag auf den Kopf versetzt, L ausweicht und gar nicht getroffen wird, so ist wegen des versuchten Ver- 70 brechens der schweren körperlichen Beschädigung nach dem höheren Strafsatze des H 155 St. G. zu bestrafen, während er in dem Falle, als er ohne obige Absicht gehandelt, dagegen den Ü thatsächlich schwer (Z 152 St. G.) verwundet hätte, nur nach dem minderen Straf¬ satze des 8 154 St. G. zu behandeln wäre. Nach den bisherigen Erörterungen wird sich der Leser die Frage der Mitschuld am Verbrechen der schwe¬ ren körperlichen Beschädigung leicht selbst beantworten können. Handelt es sich um die Herbeiführung eines bestimmten Erfolges, z. B. jemanden ein Auge auszu¬ stechen, einen Arm abzuschlagen u. s. w., so wird es wol außer allem Zweifel sein, daß derjenige, der dazu auf¬ reizt, auffordert, anleitet, sowie der, der wissentlich die zur Ausführung nöthigen Werkzeuge herbeischafft u. s. f., Mitschuldiger ist, sobald die beabsichtigte That wirklich ausgeführt wurde. Schwieriger wird die Beantwortung der Frage in jenen Fällen sein, in welchen der ein¬ getretene Erfolg außer der Absicht des Thüters lag. Da wird das sinngemäße Anwendung finden, was wir oben über die Mitschuld am Todtschlage gesagt haben, d. h. man wird die Frage im concreten Falle nur mit genauer Berücksichtigung der Umstände, unter welchen die That geschah, zu lösen imstande sein. Wenn beispielsweise dem L befiehlt, dem 0 eine Ohrfeige zu geben, L aber dem 0 einen Faustschlag ins Ange versetzt und ihm das Auge ausschlägt, wird es sich wol nicht rechtfertigen lassen, den der Mit¬ schuld mn Verbrechen der schweren körperlichen Be¬ schädigung, nach den ZH 152 und 156 St. G. strafbar mit schwerem Kerker zwischen 5—10 Jahren, zu zeihen, wogegen es selbstverständlich ist, daß sich der Mit¬ schuld am bezeichneten Verbrechen schuldig macht, wenn 71 er dem L einen Stein in die Hand drückt und zuruft: „Schlag dem 0 das Auge aus", und sohin L die Auf¬ forderung mit dem bezeichneten Erfolge befolgt. 14. Das Verbrechen der Brandlegung. Nach tz 166 St. G. begeht das Verbrechen der Brandlegung derjenige, der eine Handlung unternimmt, aus welcher nach seinem Anschläge am fremden Eigen- thume eine Feuersbrunst entstehen soll, wenngleich das Feuer nicht ausgebrochen ist oder keinen Schaden ver¬ ursacht hat, und nach §169 St. G. derjenige, der aus was immer für einer bösen Absicht sein Eigenthnm in Brand steckt und dadurch auch fremdes Eigenthum der Feuersgefahr aussetzt. Bei Besprechung der Merkmale der Brandlegung müssen wir die beiden Fälle der W 166 und 169 St. G. von einander trennen. Im ersten Falle ist das Object fremdes Eigen¬ thum, uud zwar sowol bewegliches als unbewegliches, jedoch in größerem Umfange, weil sonst eine Feuers¬ brunst, d. i. ein Brand, wol nicht entstehen könnte. Es ist also allerdings ein Haus, ein Stall, eine Ge¬ treidekammer, ein Wald, ein Holzlager Gegenstand der Brandlegung, wogegen ein Faß, ein Kasten, eine im Freien aufgeschichtete Klafter Holz, ein Heuschober re. an sich nicht das Object des bezeichneten Verbrechens sein kann, weil die Ansteckung dieser Gegenstände eine Feuersbrunst nicht verursachen könnte. Eine derartige Handlung wäre im Falle des bösen Vorsatzes, d. h. wenn der Thäter dadurch dem Eigenthümer einen Schaden zufügen will, als boshafte Beschädigung fremden Eigen- thums zu behandeln. 72 Wären dagegen die letztbezeichneten Gegenstände in unmittelbarer Nähe eines größeren Objectes und geschähe ihre Ansteckung in der Absicht, an diesem größeren Objecte, z. B. an einem Hause eine Feuers¬ brunst zu verursachen, dann wäre allerdings Brand¬ legung vorhanden, allein der Gegenstand derselben wäre das größere Object und die Anzündung des Heuschobers z. B. wäre nur das Mittel zur Ausfüh¬ rung der beabsichtigten Brandlegung. Die Handlung besteht bei dieser Art der Brand¬ legung in irgend einer positiven Thätigkeit—eine Brandlegung durch Unterlassung ist nicht denkbar, — durch welche nach dem Anschläge des Thäters eine Feuersbrunst entstehen soll. Selbstverständlich muß die Handlung an sich geeignet sein, einen Brand hervor¬ zurufen; denn wird ein durchaus ungeeignetes Mittel angewendet, so ist, wie wir oben bei der Lehre vom Versuche gesehen haben, selbst der strafbare Versuch des Verbrechens ausgeschlossen. Wenn also z. B. in der Absicht, das Haus des U in Brand zn stecken, Scheidewasser auf das Strohdach gießt, weil er glaubt, daß sogleich die Flammen aufloderu werden, so kann von einer Brandlegung keine Rede sein. Dagegen ist allerdings Brandlegung vorhanden, wenn eine zur Herbeiführung eines Brandes an und für sich geeignete Handlung unternommen wurde, die¬ selbe aber wegen der besonderen Umstände, unter wel¬ chen die That geschah, den beabsichtigten Erfolg gar nicht nach sich ziehen konnte; z. B. wenn jemand durch ein Fenster ein brennendes Strohbündel in ein mit feuerfangenden Gegenständen gefülltes Magazin wirft, das Stroh aber zufällig in ein offenes, mit Wasser gefülltes Gefäß fällt und die Flamme im Wasser erstickt. 73 Die Absicht des Thäters muß bei dieser Art der Brandlegung darauf gerichtet sein, an fremdem Eigenthum eine Feuersbrunst hervorzurufen. Ein Erfolg ist zum vollbrachten Verbrechen der Brandlegung nicht nothwendig; denn dieses Verbrechen ist vollbracht, sobald die Handlung unternommen ist, aus welcher die Feuersbrunst entstehen soll, sobald also der brennende Zündstoff mit dem anzuzündenden Gegen¬ stände in Berührung gebracht wurde, wenngleich das Feuer nicht ausgebrochen ist oder das ausgebrochene Feuer keinen Schaden verursacht hat. Wenn also z. B. ä. in der Absicht, das Haus des ö in Brand zu stecken, ein Zündhölzel anzündet und das brennende Holzel in das Strohdach hineinsteckt, so hat er das Verbrechen der Brandlegung vollbracht, wenn auch das Stroh nicht Feuer gefangen hat. Es ist also der Erfolg gleichgiltig in Bezug auf die Frage, ob die Brandlegung vollbracht wurde, da¬ gegen maßgebend in Bezug auf die Bestrafung. So z. B. ist die Brandlegung, wenn dadurch ein Mensch, da es vom Thäter vorhergesehen werden konnte, ge- tödtet wird, mit dem Tode, —- wenn ein für den Ver¬ unglückten erheblicher Schade entstanden ist, mit lebens¬ langem schweren Kerker zu bestrafen, u. s. w. Dem Gesagten nach wird ein Versuch bei der Brandlegung wol nur in den seltensten Fällen, nem- lich nur dann möglich sein, wenn der Thäter in dem Momente, in welchem er den brennenden Zündstoff mit dem anzuzündenden Gegenstände in Verbindung bringen will, durch ein außer seinem Willen liegendes Vorkommniß an der Ausführung verhindert wird; z. B. wenn in dem Momente, in dem L das bereits ange¬ zündete Zündhölzel gegen das Strohdach emporhebt, 74 ein Dritter ihm von rückwärts einen Schlag auf die Hand gibt. In Bezug auf die Mitfchuld gelten hier die all¬ gemeinen Regeln, deren Anwendung in der Praxis gar keine Schwierigkeiten verursachen dürfte. Bei der zweiten Art der Brandlegung (ß 169 St. G.) ist das unmittelbare Object eine dem Dhäter eigeuthümlich gehörige Sache, welche jedoch mit einer fremden Sache in einem derartigen lokalen Verhältnisse steht, daß durch ihre Ansteckung auch diese fremde Sache der Feuersgefahr ausgesetzt wird. Die Hand¬ lung ist die gleiche wie bei der ersten Art der Brand¬ legung, dagegen ist der Vorsatz ein wesentlich verschie¬ dener. Der Thäter darf nemlich in diesem Falle nicht die Absicht haben, an fremdem Eigenthume eine Feuers¬ brunst hervorzubringen, denn da wäre ja die Ansteckung seines Eigenthums die Handlung, aus welcher nach seinem Anschläge die Feuersbrunst an fremdem Eigen¬ thume entstehen soll, somit Brandlegung der ersten Art (Z 166) vorhanden; vielmehr muß die Ansteckung seines Eigenthums in einer andern, z. B. in betrügeri¬ scher, diebischer, kurz in einer andern bösen Absicht bestehen. Z. B. zündet sein in einer geschlossenen, aus strohgedeckten Häusern bestehenden Ortschaft lie¬ gendes Haus in der Absicht an, die Asfeeuranzgesell- schaft uni die Versicherungssumme zu betrügen. Da er durch die Ansteckung seines Eigenthums das ganze Dorf der Feuersgefahr aussetzt, und die Ansteckung in be¬ trügerischer, somit böser Absicht geschehen ist, so be¬ gründet seine That das Verbrechen der Brandlegung. Setzen wir jedoch den Fall so, daß in der obenangeführten Absicht sein einzeln stehendes, vom nächsten Nachbar eine Viertelstunde entferntes Haus anzündet, daher fremdes Eigeuthum keiner Gefahr aus- 75 setzt. In diesem Falle ist keine Brandlegung, sondern Betrug im Sinne des Z 170 St. G. vorhanden. Wie aber, wenn jemand sein Eigenthum ohne böse Absicht in Brand steckt und dadurch freindes Eigen¬ thum der Feuersgefahr aussetzt? In diesem Falle wird er wegen Uebertretung gegen die Sicherheit des Eigen- thums nach Z 459 St. G. zu bestrafen sein. Ist endlich auch keine Gefahr für fremdes Eigen¬ thum vorhanden, so wird der Eigenthümer, der seine eigene Sache ohne bösen Vorsatz angesteckt hat, straflos sein, weil er nur von seinem Eigenthumsrechte inner¬ halb der gesetzlichen Schranken Gebrauch gemacht hat. 19. Vom Diebstähle. Nach ß 171 St. G. begeht derjenige einen Dieb¬ stahl, der um seines Vortheiles willen eine fremde bewegliche Sache aus eines andern Besitz vhne dessen Einwilligung entzieht. Das Object des Diebstahls ist also eine fremde, bewegliche Sache. Sache aber ist alles, was von Per¬ son verschieden ist, doch muß es, da die Kriminalität des Diebstahls vom Betrage abhängig gemacht ist und das Gesetz im ß 188 voin gestohlenen Gute spricht, irgend einen Werth haben, um das Object des Diebstahles bilden zu können. Werth lose Sachen oder solche Sachen, die der Eigenthümer selbst zum Zugrundegehen bestimmt hat, eignen sich also nicht zum Diebstahle. Daher wird es niemanden eiufallen, jemanden eines Diebstahles zu beschuldigen, der auf fremdem Grunde einen kleinen Kieselstein nimmt, nm ihn zu Hause zum Aufklopfen von Nüssen zu benützen; oder der ein Stück einer verdorbenen Mehlspeise, das — 76 — der Eigentümer zum Fenster hinausgeworfen hast auf- klaubt und verzehrt. Aus dem angeführten Grunde werden auch Schuld¬ scheine, die nicht auf den Ueberbringer lauten, vin- culirte Sparkasfebüchcl und andere Privaturkunden, die nur für bestimmte Personen einen »Werth haben, nicht das Object eines Diebstahles sein, wenn es sich nicht etwa um die Verwerthung des Stoffes, aus dem sie bestehen, handelt. Dagegen kann die rechtswidrige Zu¬ eignung von derlei Urkunden zum Zwecke ihrer Vor¬ enthaltung oder Vernichtung das Verbrechen oder die Uebertretung des Betruges, der boshaften Beschädigung fremden Eigenthums u. s. w. begründen. Z. B. der Bruder des Ist nimmt aus dem Kasten des U dessen Testament, in dem 6 zum Erben eingesetzt ist, und verbrennt es. L stirbt und sein bedeutender Nachlaß wird dem als seinem alleinigen Jntestaterben ein¬ geantwortet, weil das Testament nicht vorgefunden wurde, in dem 0 zum Erben eingesetzt war. Hier hätten wir es nicht mit einem Diebstahle, sondern mit einen: Betrüge zu thun. Eine Sache ist beweglich, wenn sie sich ohne Verletzung ihrer Substanz von einem Orte an einen andern übertragen läßt. An Häusern oder anderen Gebäuden, Grundstücken als solchen u. s. w., kann also kein Diebstahl begangen werden. Wol aber können Sachen von einer unbeweglichen Sache losgetrennt werden und eignen sich dann zum Diebstähle; z. B. wenn jemand aus eiuer Mauer Ziegel ausbricht und sohin wegträgt, in einem Walde Bäume abstockt, von einem Acker die Früchte lostrennt und die so abge¬ trennten und dadurch zu beweglichen Sachen gemachten Bäume, rücksichtlich Früchte, sich zugeeignet, oder wenn — 77 - er die Jalousien eines Hauses aushängt und fort¬ trägt, u. s. w. Fremd ist die Sache dann, wenn sie dem Thäter nicht gehört. Gleichgiltig ist es also, ob sie demjenigen, der sie im Besitze hat, oder einem anderen, der nicht der Thäter ist, gehört. Es kann also niemand seine eigene Sache stehlen, wenn er sie auch für eiue fremde hält; z. B. will in einer Garderobe einen fremden Ueberrock stehlen, erwischt aber seinen eigenen. In diesem Falle liegt ungeachtet der bösen Absicht kein Diebstahl vor, weil das Objeet zu einem solchen fehlt. Eben so wenig Ware ein Diebstahl vorhanden, wenn jemand aus einer Verlassenschaft eine goldene Uhr, die er für eine fremde Sache hält, entwendet, und sich später zeigt, daß ihm diese Uhr vermacht war. Dagegen ist ein Diebstahl an den zum Gemeinde¬ vermögen gehörigen Sachen durch ein Gemeiudemitglied ganz gut möglich, weil das Gemeindevermögen der Gesammtheit der Gemeindeglieder gehört und daher nicht als Eigenthum der einzelnen Gemeindeglieder angesehen werden kann. Die Handlung — ein Diebstahl durch Unter¬ lassung ist ausgeschlossen — besteht beim Diebstahle darin, daß der Thäter die Sache aus eines an- derenBesitz ohne dessen Einwilligung ent¬ zieht. Die Sache muß also vorerst in dem Besitze eines andern, d. h. einer vom Thäter verschiedenen Person sein. Der Ausdruck „Besitz" ist aber nicht im Sinne des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches zu nehmen, son¬ dern bedeutet so viel als Jnnehabung oder Detention, worunter jenes Verhältniß zwischen einer Person und Sache zu verstehen ist, infolge dessen es jener möglich ist, ausschließlich auf diese e'inzuwirken. Es kanu also 78 eine Sache nicht nur dem Eigeuthümer, sondern auch dem Entlehnen Verwahrer, ja selbst einem unredlichen und unrechtmäßigen Besitzer entwendet werden. Die Entziehung muß ohne Einwilligung desjenigen geschehen sein, der im Besitze der Sache ist. Hat der Besitzer kein Recht gehabt, die Sache herzugeben, so wird derjenige, der sie an sich bringt, sich zwar keines Diebstahls, aber unter Umständen einer andern straf¬ baren Handlung schuldig machen. Z. B. X übergibt dem ö eine Uhr zu dem Zwecke, sie zum Uhrmacher nach X zu tragen. Unterwegs begegnet 6 dem ö und überredet ihn, vbwol ihm dieser die Ueberkommungs- art der Uhr mittheilt, ihm die Uhr auszufvlgen, und verkauft sie zu seinem Vortheile. In diesem Falle hätte sich U einer Veruntreuung und 6 der Mitschuld daran schuldig gemacht. Hätte dagegen 0 nicht die Veranlassung zur Veruntreuung gegeben, sondern ledig¬ lich die Uhr an sich gebracht, obwol er wußte, daß dieselbe veruntreut sei, so würde er sich nicht der Mit¬ schuld, sondern der Theilnehmung an der Veruntreu¬ ung schuldig gemacht haben. Die Entziehung aus dem Besitze ist jener Act, durch welchen die Sache aus der Jnnehabung des Besitzers in jene des Thäters gebracht wird. Z. B. X bemerkt, daß U seine Brieftasche in den rück¬ wärtigen Rocksack gesteckt habe, schleicht ihm nach, zieht die Brieftasche leise aus dem Rocksacke des L und steckt sie in seinen Sack. Der Act der Entziehung besteht hier in dem Hineingreifen in den Rocksack, Er¬ fassen, Heraüsziehen und Einstecken der Brieftasche. Der Erfolg beim Diebstahle besteht also in dem Ansichnehmen der Sache, d. h. der Diebstahl ist voll¬ bracht, sobald der Thäter die Sache von dem Orte, 79 wo sie der Besitzer verwahrt hatte, an sich gebracht, zn sich gesteckt oder an einen von ihm bestimmten Ort gelegt hat. Daraus ergibt sich, daß zum Begriffe des voll¬ brachten Diebstahles nicht gehöre, daß die gestohlene Sache bereits in Sicherheit gebracht sei. Wenn also z. B. die Schatulle des 8 erbricht, eine Rolle Du¬ katen herausnimmt und zu sich steckt, so ist der Dieb¬ stahl vollbracht, wenn auch in diesem Momente der Eigenthümer zur Thüre hereintritt, beim Anblick der erbrochenen Schatulle sofort den Diebstahl benierkt und dem Thäter das gestohlene Gut abnimmt. Der Diebstahl wird sich demnach dann im Sta¬ dium des strafbaren Versuches befinden, wenn zwar eine zur Besitzentziehung führende Handlung bereits geschehen, die Ansichbringung aber infolge des außer dem Willen des Thäters gelegenen Hindernisses (ß 8 St. G.) noch nicht erfolgt ist. Wenn also z. B. in der Absicht, den Kasten des L zu erbrechen und daraus Geld zu stehlen, auf eiuer Leiter zum Feuster des kl hinaufsteigt, vbeu aber ansrutscht, herabfäüt und sich den Fuß bricht (Zufall); oder bereits beim Fenster eingestiegen ist, jedoch während des Aufbrechens des Kastens verscheucht wird (fremdes Hindernis); oder den mit einem Wertheimer Schlöffe versehenen Kasten ungeachtet der größten Anstrengung nicht aufbringt (Unvermögenheit), so ist in allen diesen Fallen ver¬ suchter Diebstahl vorhanden, da der Thäter eine zur wirklichen Ausübung führende Handlung unternommen hat, die Vollbringung des Verbrechens aber aus obigen Gründen unterblieben ist. Die böse Absicht endlich ist beim Diebstahle auf die Zuziehung eines Vorteiles am Vermögen gerichtet, wird demnach auch gewinnsüchtig ge- 80 nannt. Fehlt die Absicht, sich durch die Besitzent¬ ziehung einen Gewinn am Vermögen zu verschaffen, sv fehlt auch der Thatbestand des Diebstahls. Z. B. ä. nimmt aus dem Stalle des U eine Kuh, weil L ihm schon lange Zeit Geld schuldet und er sich aus diese Art ein Pfand verschaffen will. Hier wäre aller¬ dings ein Act unerlaubter Selbsthilfe, aber kein Dieb¬ stahl vorhanden, weil der Thäter nur einen Nachtheil abwenden, keineswegs aber sich einen rechtswidrigen Vortheil zuwenden will. Wenn z. B. L dem U einen Diamantring nimmt und ihn in die Lade des 0 gibt, damit 6 wegen Diebstahls in die Untersuchung und Strafe komme, so wäre auch nicht Diebstahl vorhanden, weil die gewinnsüchtige Absicht fehlt, sondern würde sich des Verbrechens der Verleumdung schuldig machen, wenn seine That zum Anlasse obrigkeitlicher Unter¬ suchung oder doch zur Nachforschung gegen den Be¬ schuldigten dienen konnte. Die Anwendung der oben erklärten Grundsätze über Mitschuld und Theilnahme auf das Verbrechen des Diebstahles dürfte in der Praxis keine Schwierig¬ keiten machen. Doch muß man sich vor Augen halten, daß die Absicht bei Mitschuldigen und Theilnehmern überhaupt nur auf die Beförderung des verbrecherischen Unternehmens des Thäters gerichtet zu sein braucht, weshalb z. B. beim Diebstahle der Mitschuldige nicht gerade in gewinnsüchtiger Absicht handeln muß. Wenn z. B. den L in der Absicht, seinem Feinde 6 einen Schaden znzufügen, verleitet, dem 0 eine Kuh zu stehlen, so ist er unstreitig intellectueller Urheber des Diebstahles, wenn er auch gar nicht die Absicht gehabt hat, sich durch den Diebstahl irgend einen Vor¬ theil zuzuwenden. 81 Die Th eilnah m e am Diebstahle unterscheidet sich von der Diebstahlstheilnehmung, welche ein eige¬ nes Verbrechen begründet, dadurch, daß bei ersterer das Einverständnis; mit dem Thäter der That vor¬ ausgeht, bei letzterer aber nach folgt. Wenn also z. B. dem L verspricht, die Sachen, welche dieser am nächsten Tage dem 0 zu stehlen Willens ist, in seinem Keller zu verstecken, so ist er Teilnehmer nach Z 5 St. G., wogegen er sich der Diebstahlstheilnehmung im Sinne der ZH 185 oder 464 St. G. schuldig macht, wenn er erst nach der That die gestohlenen Sachen zu verhehlen zusagt und sohiu verhehlt oder an sich bringt. Der Diebstahl wird zu einem Verbrechen entwe¬ der aus dem Betrage, oder aus der Beschaffenheit der That, oder aus der Eigenschaft der entzogenen Sache, oder aus der Eigenschaft des Thäters. Der Betrag macht den Diebstahl zum Verbrechen, wenn derselbe oder der Werth desjenigen, was ge¬ stohlen worden, mehr als fünfundzwanzig Gulden aus¬ macht. Dabei macht es keinen Unterschied, ob dieser Betrag oder Werth aus eurem oder mehreren gleich¬ zeitigen oder wiederholten Angriffen hervorgehe, ob er einem oder mehreren Eigenthümern entwendet, ob der Diebstahl an einem oder an verschiedener! Gegenständen vollbracht worden ist. Der Werth aber ist nicht nach dem Vortheile des Diebes, sondern nach dem Schaden des Bestohlenen zu berechnen, (tz 173 St. G.) Die soeben eitirte gesetzliche Vorschrift über die Zusammenrechnnng der Beträge beim Diebstahle ist nicht nur auf den Diebstahl, sondern auf alle Fälle anwendbar, in welchen die Criminalität oder die Hohe des Strafsatzes von einem Betrage abhängig gemacht wird, gilt daher insbesondere auch von der Verun- 6 82 treuung und vom Betrüge. So z. B. ist eine Amts- veruntreuung ein Verbrechen, wenn der veruntreute Betrag mehr als 5 st. beträgt. Nach obigem Principe wird sich daher ein Beamter, der von den ihm anver¬ trauten Amtsgeldern einmal 3 fl. und ein zweites mal wieder 3 fl. veruntreut, eines Verbrechens schuldig machen. Wie wir später hören werden, begründet der Diebstahl in Gesellschaft, an versperrten Sachen, an Früchten vom Felde u. s. w. bei einem Betrage von mehr als 5 fl. ein Verbrechen. Da obiges Princip auch dann Anwendung findet, wenn der Diebstahl mit Rücksicht auf einen bestimmten Betrag criminell wird, so werden die zu verschiedenen malen in Gesellschaft oder an versperrten Sachen, an Feldfrüchten u. s. w. verübten Diebstähle zusammengerechnet werden müssen. Der Diebstahl ist also ein Verbrechen, wenn L. einmal aus einem versperrten Zimmer 4 fl. und dann aus einem versperrten Koffer 2 fl. entwendet u. s. w. Ebenso werden die Beträge zusammengerechnet werden müssen, wenn jemand sich an verschiedenen Diebstählen theils als unmittelbarer Thäter, theils als Mitschuldiger oder Teilnehmer betheiliget hat; ja selbst die Beträge der vollbrachten und versuchten Diebstähle sind zu summiren, weil die Mitschuld, Theilnahme und der Versuch dasselbe Verbrechen begründen, dessen sich der Thäter, rücksichtlich derjenige schuldig macht, der das Verbrechen nur versucht hat. Wenn also z. B. 20 fl. selbst stiehlt und 6 fl. dem L zu stehlen anf- trägt, so fallen ihm 26 fl. zur Last, und er ist dem¬ nach des vollbrachten Verbrechens des Diebstahls theils als unmittelbarer Thäter, theils als Mitschuldiger (unter der Voraussetzung, daß L die 6 fl. gestohlen hat) nach den 88 lll, 173 und rücksichtlich 5 St. G. schuldig. 83 Ebenso wäre des Verbrechens des Diebstahls schul¬ dig, wenn er z. B. 20 fl. gestohlen und 10 fl. zu stehlen versucht hat, weil der Betrag des vollbrachten und des versuchten Diebstahls zusammen 25 fl. über¬ steigt. Da im tz 9 St. G. auf die versuchte Verleitung zu einem Verbrechen die gleiche Strafe wie auf den Versuch gesetzt ist, müßte im obigen Falle gleich¬ falls des Verbrechens des Diebstahls nach den W 171, 173 und 9 St. G. schuldig gesprochen werden, wenn er 20 fl. selbst stiehlt und 6 fl. dem L zu stehlen auf¬ trägt, dieser aber den Auftrag nicht ausführt. Dagegen geht es nicht an, in jenen Fällen, in welchen Diebstähle infolge eines bestimmten Quali- fieationsgrundes, z. B. des Gesellschafts- oder Sperr- verhältnisses, bei einem Betrage von mehr als 5 fl. zum Verbrechen werden, die Kriminalität anzunehmen, weil die Beträge verschieden qualificirter Diebstähle zusammen 5 fl. übersteigen; z. B. stiehlt an ver¬ sperrtem Gute 3 fl. und in Gesellschaft 3 fl. Hier liegt kein Verbrechen, sondern nur eine Uebertretung vor, weil weder an versperrtem Gute noch in Ge¬ sellschaft mehr als 5 fl. gestohlen hat. Eben so wenig kann der Betrag eines unter kei¬ nerlei Umständen als Verbrechen zu bestrafenden Dieb¬ stahls, z. B. des Diebstahles vonseite eines Unmün¬ digen oder eines Familieudiebstahles (ß 189 St. G.), mit Beträgen von anderen Diebstählen zur Begrün¬ dung der Criminalitätzusammengerechnet werden. Z. B. L stiehlt in seinem 13. Lebensjahre 20 fl. und in seinem 15. Lebensjahre abermals 20 fl. Derselbe ist demnach nur wegen Uebertretung des Diebstahls zu bestrafen, weil die Zusammenrechnung beider Beträge nicht stattfinden darf. 6* 84 Aus der Beschaffenheit der That ist der Diebstahl nach H 174 St. G. ein Verbrechen: 1. ohne alle Rücksicht auf den Betrag, wenn der Dieb niit Gewehr oder andern der persönlichen Sicher¬ heit gefährlichen Werkzeugen versehen gewesen; oder wenn er bei seiner Betretung am Diebstahle wirkliche Gewalt oder gefährliche Drohung gegen eine Person angewendet hat, um sich im Besitze der gestohlenen Sachen zu erhalten; 2. wenn der Diebstahl mehr als fünf Gulden beträgt und zugleich n) während einer Feuersbrunst, Wasfersnoth oder eines andern gemeinen oder dem Bestohlenen inson¬ derheit zugestoßenen Bedrängnisses, b) in Gesellschaft eines oder mehrerer Diebs- genosfen, e) an einem zum Gottesdienste geweihten Orte, ck) an versperrten Sachen, o) an Holz in eingefriedeten Waldungen oder mit beträchtlicher Beschädigung der Waldung, k) an Fischen in Teichen, §) an Wild in eingefriedeten Waldungen, oder mit besonderer Kühnheit, oder von einem gleichsam ein ordentliches Gewerbe damit treibenden Thäter verübt worden ist. Die hier aufgezählten Qualisicationsgründe sind allgemein verständlich. Es erübriget daher nur hervor¬ zuheben, daß im Falle des H 174 I St. G. die Ge¬ waltanwendung oder gefährliche Drohung nach voll¬ brachtem Diebstahle und in der Absicht, sich im Be¬ sitze der gestohlenen Sache zu erhalten, geschieht, während beim Raube der Gewaltact gegen eine Person der Entziehung der Sache vorausgeht und in der 85 Absicht geschieht, um sich in den Besitz einer Sache zu setzen. Belangend den Qualificationsgrund des Sperr¬ verhältnisses (Z 174 II ä St. G.) sind als versperrte Sachen diejenigen anzusehen, die durch irgend ein ab¬ sichtlich angebrachtes Hinderniß dritten Personen nicht frei zugänglich sind, wo also der Thäter dieses Hin¬ derniß erst entfernen muß, um den Gegenstand ergreifen zu können. Dieses Hinderniß braucht also nicht gerade in Schloß und Riegel zu bestehen, auch ein Bretter¬ verschlag ohne Thür, ja selbst das Plombieren oder Versiegeln kann das Sperrverhältniß begründen. Auf welche Art der Thäter das, das Sperrver¬ hältniß begründende Hinderniß beseitiget, ob er z. B. das Schloß anfsprengt, mit einem Nachschlüssel auf¬ sperrt, ein Brett vom Verschlage wegreißt, ein Loch in die Mauer schlägt, das Fenstergitter auswiegt, oder durch das offene Fenster einsteigt, ist in Bezug auf die Frage, ob der in Rede stehende Qualifications¬ grund vorliege, gleichgiltig, weil es sich hiebei ledig¬ lich darum handelt, daß die fragliche Sache ver¬ sperrt sei. Wenn also z. B. ein Dieb die Bretterwand eines hölzernen versperrten Kellers und die Wand des im Keller stehenden Fasses durchbohrt, durch die Keller¬ wand und die Oeffnung im Fasse ein Rohr steckt und auf diese Weise Wein aus dem Fasse herausleitet, so ist Diebstahl eines versperrten Gutes vorhanden, wenngleich der Dieb gar nicht in den Keller gekommen ist und das Schloß der Kellerthür ganz unberührt gelassen hat. Aus der Eigenschaft der gestohlenen Sache wird der Diebstahl zum Verbrechen; 86 1. ohne Rücksicht auf den Betrag, wenn solcher n) an einer unmittelbar zum Gottesdienste ge¬ widmeten Sache mit einer den Religionsdienst belei¬ digenden Verunehrung, b) an den in den ZZ 85 lit. e und 89 genannten Gegenständen begangen wird; 2. wenn er mehr als fünf Gulden beträgt und n) an Früchten auf dem Felde oder von Bäumen, und in Ländern, in welchen die Zucht der Seiden¬ würmer einen Zweig der Industrie und der Land- wirthschaft bildet, auch am Laub der Maulbeerbäume, welches zur Fütterung der Seidenwürmer dient, b) ani Viehe auf der Weide oder vom Triebe, e) an Ackergeräthschaften auf dem Felde, ä) an Mineralien, Werkzeugen oder Geräthschaf- ten im Innern der Bergwerke, auf Tagbauen, auf Halden oder in Aufbereitungswerkstätten — verübt worden ist. (ß 175 St. G.) Die im Z 85 lit. e St. G. genannten Gegen¬ stände find Eisenbahnen nebst den dazu gehörigen An¬ lagen, Beförderungsmitteln, Maschinen und Geräth- schaften, dann Dampfschiffe, Dampfmaschinen, Dampf¬ kessel, Wasserwerke, Brücken, Vorrichtungen in Berg¬ werken, und der Z 89 St. G. hat den Staatstelegraphen und seine Bestandtheile zum Gegenstände. Endlich ist der Diebstahl nach Z 176 St. G. aus der Eigenschaft des Thäters ein Verbrechen: 1. ohne alle Rücksicht auf den Betrag, wenn der Thäter sich das Stehlen zur Gewohnheit gemacht hat; 2. mit Rücksicht auf einen Betrag von mehr als fünf Gulden: n) wenn der Thäter schon zweimal, sei es des Verbrechens oder der Übertretung des Diebstahls wegen gestraft worden, 87 b) der Diebstahl von Dienstleuten an ihren Dienst¬ gebern oder anderen Hausgenossen, e) von Gewerbsleuten, Lehrjungen oder Tag¬ löhnern an ihrem Meister oder denjenigen, welche die Arbeit bedungen haben, — verübt wird. Belangend den Gewohnheitsdiebstahl, muß hervor¬ gehoben werden, daß nicht die oftmalige Abstrafung wegen Diebstahls zur Annahme eines Gewohnheits¬ diebstahls hinreicht, sondern daß ein solcher nur dann angenommen werden darf, wenn der Thäter bei jeder Gelegenheit ohne einen speciellen Bestimmungsgrund stiehlt, wenn er also nur stiehlt, um zu stehlen;'denu nur dann kann man sagen, er habe sich das Stehlen zur Gewohnheit gemacht. Wenn also z. B. durch drei Monate hindurch täglich Brod oder andere Eßwaren stiehlt, um seinen Hunger zu stillen, so wird von einem Gewohnheitsdiebstahle nicht die Rede sein können: wenn er dagegen durch die angeführte Zeit täglich Diebstähle von Gegenständen ausgeführt hat, die ihm von keinem Nutzen waren, also nicht um ein Bedürf- niß zu befriedigen, sondern lediglich um seinem diebischen Hange zu fröhnen, wird er insbesondere dann als Ge¬ wohnheitsdieb anzusehen sein, wenn vorausgegangene wiederholte Abstrafungen sich fruchtlos erwiesen haben. Was den Qualificationsgrund nach ß 176 II a an¬ belangt, so ist zu berücksichtigen, daß das Gesetz eine zweimalige Abstrafung verlangt, d. h. der Thäter muß nicht nur zweimal wegen Diebstahls abgeurtheilt worden sein, sondern er muß auch die Strafe über¬ standen haben. In Bezug auf die Qualificationsgründe des 8 176 II d und e St. G. sei bemerkt, daß unter Dienstleuten nur die zur häuslichen Dienstleistung u. z. zu Diensten gemeinerer Art bestimmten Personen, alfo z. B. nicht 88 Hofmeister, Erzieher, Secretäre u. s. w., sondern Knechte, Mägde, Stubenmädchen, Bediente u. st w. zu verstehen sind, wogegen zu den Personen des Z 176 II o St. G. auch die Handlungsdiener (Commis) zählen. Schließlich sei noch erwähnt, daß nach §177 St. G. weder die Mitschuld noch die Theilnahme am Diebstahle als Verbrechen zu bestrafen ist, wenn dieser lediglich aus der Eigenschaft des Thäters dem Thäter als Verbrechen zu imputieren ist. Z. B. ä. fordert den Bedienten des II auf, diesem einen Ring im Werthe von 20 Gulden zu stehlen. Wenn nun der Bediente den Ring wirklich stiehlt, so ist er des Verbrechens des Diebstahls nach den HZ 171, 176 II b St. G., der intellektuelle Urheber dagegen, der nicht im Dienste des L ist und auch nicht schon zweimal wegen Diebstahls abgestraft wurde, der Uebertretung des Diebstahls als Mitschuldiger nach den ZZ 5 und 460 St. G. schuldig. 16. Boi, der Veruntreuung. Nach Z 181 St. G. ist als ein Verbrechen die¬ jenige Veruntreuung zu behandeln, wenn jemand ein vermöge seines öffentlichen (Staats- oder Gemeinde-) Amtes oder besonderen obrigkeitlichen oder Gemeinde¬ auftrages ihm anvertrautes Gut im Betrage von mehr als fünf Gulden vorenthält oder sich zueignet, so wie nach Z 183 St. G. sich auch derjenige des Verbrechens der Veruntreuung schuldig macht, der außer dem im Z 181 enthaltenen Falle ein ihm anvertrautes Gut iu einem Betrage von mehr als fünfzig Gulden vor¬ enthält oder sich zueignet. 89 Die erste Art der Veruntreuung wird zum Unter¬ schiede von der zweiten Art, die schlechtweg Ver¬ untreuung heißt, Amtsveruntreuung genannt. Beide Arten unterscheiden sich nur durch die Per¬ son des Thäters, indem bei der ersten der Thäter die Sache entweder infolge seines Amtes (z. B. als Richter, Kassier, Steuereinnehmer, Depositenverwahrer u. s. w.) oder infolge eines besonderen obrigkeitlichen Auftrages (z. B. als Vormund, Curator, Sequester) anvertraut erhalten hat, während bei der zweiten die öffentliche Eigenschaft des Thäters wegfällt, sowie durch die Höhe des zur Criminalität erforderlichen Betrages, der bei der ersten Art nur fünf Gulden, bei der zweiten aber fünfzig Gulden übersteigen muß. Das Object der Veruntreuung ist also ein frem¬ des, anvertrantes, daher bewegliches Gut, stimmt dem¬ nach ganz mit dem Objecte des Diebstahls überein, wes¬ halb wir uns in dieser Richtung lediglich auf das dort Gesagte beziehen. Die Thathandlung — eine Unterlassung kann keine Veruntreuung begründen — besteht entweder in der Vorenthaltung oder in der Zueignung des anvertrauten Gutes. Ein Fall der Vorenthaltung wäre vorhanden, wenn jemand die Herausgabe des ihm anvertrauten Gutes widerrechtlich verweigert, und ein Fall der Zueignung, wenn jemand die ihm anvertraute Sache für sich verwendet, z. B. verzehrt, verkauft, ver¬ tauscht, verarbeitet u. s. w. Bei der Veruntreuung findet also keine Besitz¬ entziehung wie beim Diebstahle statt, und darin liegt der wesentliche Unterschied zwischen Veruntreuung und Diebstahl. Beim Diebstahle nemlich befindet sich die Sache im Besitze eines Anderen und der Thäter muß daher 90 dieselbe aus dem fremden Besitze entziehen, um in deren Besitz zu gelangen, wogegen bei der Veruntreuung der Thäter bereits im Besitze der Sache ist, da ihm dieselbe in die Gewahrsame übergeben wurde. Bei der Veruntreuung muß daher immer ein Act der Uebergabe, d.i. des Anvertrauens vorausgesetzt wer¬ den, infolge dessen die fragliche Sache aus dein Besitze des Anvertrauenden in jenen des Thäters gelangt ist. Nehmen wir z. B. den Fall an, daß ein Dienst¬ bote die Silberlvffel seiner Herrschaft sich zueignet. Hier war die Herrschaft im Besitze der Silberlöffel, wenngleich der Dienstbote infolge seines Dienstes die Gelegenheit hatte, sich jederzeit derselben zu bemächtigen. Es mußte der Thäter also vorerst die Löffel aus dem Besitze der Herrschaft entziehen und in seinen Besitz bringen, wonach seine Handlungweise als Diebstahl auf¬ zufassen ist. Wenn dagegen der Dienstherr dem Dienst¬ boten die Silberlöffel mit dem Auftrage übergibt, die¬ selben zum Graveur zu tragen, und der Dienstbote statt dem die Löffel verkauft und den Kaufpreis einsteckt, so ist Veruntreuung vorhanden, weil hier keine Besitz¬ entziehung stattgefunden hat, vielmehr der Thäter infolge des ihm vom Dienstherrn geschenkten Vertrauens, in den Besitz der Silberlöffel gesetzt wurde. Ebenso wird sich ein Handlungsdiener des Diebstahls schuldig machen, wenn er aus dem Kaufgewölbe Waren entzieht, um die¬ selben für sich zu verwenden; denn in diesem Falle ist der Handlungsherr im Besitze der Waren und der Diener mußte dieselben erst aus dem Besitze seines Brvdherrn entziehen. Wenn dagegen der Handlungsherr seinem Diener eine Ware mit dem Auftrage übergibt, selbe an einen bestimmten Ort zu bringen und dort einer be¬ stimmten Person zu übergeben, so liegt Veruntreuung 91 vor, wenn der Diener die Ware vorenthält oder sich zueignet. Ebenso liegt Diebstahl vor, wenn der Handlungs¬ diener aus der Geldlade im Geschäftslokale um seines Vortheiles willen ohne Einwilligung seines Dienstherrn Geld nimmt, weil in dem Momente, in welchem das im Geschäfte eingehende Geld in die Geldlade kommt, der Dienstherr Besitzer desselben ist, der Thäter demnach wieder eine Besitzentziehung vornehmen muß, um sich das Geld anzueignen. Dagegen wäre Veruntreuung vorhanden, wenn dem Handlungsdiener vom Dienst¬ herrn ein bestimmter Geldbetrag vorgezählt und über¬ geben wird und er sich nur das ihm übergebene, also anvertraute Gut oder einen Theil desselben aneiguet, oder wenn er das Geld, das ein Käufer im Geschäfte zu seinen Händen einzahlt, nicht in die Geldlade ab¬ gibt, sondern unmittelbar zu sich steckt. Der Vorsatz muß bei der Veruntreuung auf die Gewinnung eines Vortheiles am Vermögen gerichtet sein. Dies ist zwar in Zß 181 und 183 St. G. nicht ausdrücklich gesagt, ergibt sich aber daraus, daß die Veruntreuung ebenso wie der Diebstahl und Betrug zu den strafbaren Handlungen aus Gewinnsucht gezählt werden und daß Diebstahl und Veruntreuung in ein und demselben Hauptstücke des Strafgesetzes behandelt werden. Es kann daher z. B. von einer Veruntreuung nicht die Rede sein, wenn jemand eine ihm anvertraute Sache deshalb vorenthält oder sich zneignet, weil ihm der Anvertrauende eine Geldsumme schuldig ist und er diese Gelegenheit benutzt, sich ein Pfand zu ver¬ schaffen oder bezüglich seiner Forderung zahlhaft zu machen. In Bezug auf den Versuch und die Mitschuld bei der Veruntreuung gelten die allgemeinen Grund- 92 sätze, deren Anwendung auf einen gegebenen Fall keine Schwierigkeit bereiten dürfte. 17. Von der Theilnehimmg am Diebstähle oder der Veruntreuung. Daß in dem Falle, als die Hilfeleistung oder Zu¬ wendung eines Nutzens auf Grund eines nach der That init dem Thäter getroffenen Einverständnisses beim Diebstahle und der Veruntreuung nicht Mitschuld oder Theilnahme, sondern eine besondere strafbare Hand¬ lung, nemlich Theilnehmung am Diebstahle, rück¬ sichtlich der Veruntreuung begründe, wurde bereits oben gesagt. Das Gesetz heißt im Z 185 St. G. denjenigen der Theilnehmung am Diebstahle oder einer Verun¬ treuung schuldig, der eine gestohlene oder veruntreute Sache verhehlt, an sich bringt oder verhandelt, und erklärt eine solche Theilnehmung im ß 186 St. G. als Verbrechen, wenn dem Theilnehmer u) aus dem Betrage oder Werthe der Sache oder aus dein Vorgänge bekannt ist, daß der Diebstahl oder die Veruntreuung auf eine Art, die sie zum Verbrechen eignet — insoferne dieselbe nicht blos in der persön¬ lichen Eigenschaft des Thäters liegt, — begangen worden sei, oder d) wenn die zu mehreren malen verhehlten, an sich gebrachten oder verhandelten Sachen zusammen beim Diebstahle den Betrag oder Werth von 25 fl., bei der Veruntreuung aber von 50 fl. übersteigen. Wie gesagt, darf die Verhehlung, Ansichbringung, Verhandlung (Weiterveräußerung) nicht ans Grund eines mit dem Thäter vor der That geschehenen Ein¬ verständnisses erfolgen, weil in diesem Falle Theil¬ nahme im Sinne des Z 5 St. G. vorhanden wäre. 93 Geschah dagegen das Einverständmß nach der That, oder erfolgte gar kein Einverständmß mit dem Thäter, sondern wurde dem Verhehler, Ansichbringer oder Weiterveräußerer aus was immer für eine Weise bekannt, daß die zu verhehlende, an sich zu bringende oder zu verhandelnde Sache gestohlen oder ver¬ untreut worden sei, so liegt Theilnehmung vor. In diesem Falle handelt es sich also lediglich darum, ob der Thäter bestimmt wußte, daß die bezüg¬ liche Sache gestohlen oder veruntreut sei. War dem Thäter bekannt, daß der Diebstahl oder die Veruntreuung auf eine Weise begangen wurde, die sie zum Verbrechen gualificirt (mit Ausnahme des ß 176 St. G.), oder beträgt der Betrag oder Werth der an sich gebrachten Sachen beim Diebstahle mehr als 25 fl. und bei der Veruntreuung mehr als 50 fl., so ist die Theilnehmung eiu Verbrechen, während sie sonst nur eine Uebertretung nach ß 464 St. G. begründet. Im ersten der zuletzt angeführten zwei Fälle ist der Betrag oder Werth der verhehlten, an sich ge¬ brachten oder verhandelten Gegenstände gleichgiltig, da das Gesetz nur verlangt, daß dem Thäter die ver¬ brecherische Provenienz bekannt sei. Z. B. X und L kommen in eiu Wirthshaus und bringen ein geschossenes Reh im Werthe von 8 fl. mit sich. Die Gäste kennen die beiden als gefürchtete Wilddiebe, zudem prahlen sich beide laut damit, daß sie in dem Jagdreviere des Fürsten X gejagt und den Rehbock geschossen haben. Der Wirth sowol als die anwesenden Gäste wissen also, daß das fragliche Reh in Gesellschaft, somit auf eine Weise entwendet wurde, welche den Diebstahl zum Verbrechen gualificirt. Wenn nun der Wirth das Reh bereiten läßt und die Gäste vom Rehbraten essen, so ist der Wirth sowol wie der Gast, der davon ißt, des 94 Verbrechens der Theilnehmung am Diebstahle schul¬ dig, weil sie gewußt haben, daß das Reh auf eine verbrecherische Weise entwendet worden sei. Nehmen wir dagegen an, wäre mit dem Reh¬ bocke allein ins Gasthaus gekommen und hätte erzählt, daß er allein den Bock geschossen habe. Wenn nun in diesem Falle dem Wirthe und den Gästen auch be¬ kannt war, daß L bereits zweimal wegen Wilddieb¬ stahls abgestraft war, so wird obige Thathandlung ihnen doch nur als die Uebertretung der Veruntreuung zugerechuet werden können, weil hier der Diebstahl nur aus der persönlichen Eigenschaft des Thäters, d. i. wegen seiner vorausgegangeneu zweimaligen Abstrafung ob Diebstahls criminell ist, d. h. dem Thäter als Ver¬ brechen angerechnet werden muß. Daß die zu verschiedenen malen verhehlten, au sich gebrachten oder verhandelten Sachen, rücksichtlich deren Beträge oder Werthe zusammen zu rechnen sind, ist eine Eonsequenz des im § 173 St. G. aufgestellten, oben ausführlich erörterten Grundsatzes. 18. Das Verbrechen des Raubes. Nach 8 190 St. G. macht sich eines Raubes schul¬ dig, wer einer Person Gewalt anthut, um sich ihrer oder sonst einer fremden beweglichen Sache zu bemäch¬ tigen, die Gewalt mag mit thätlicher Beleidigung oder nur mit Drohung geschehen. Aus dieser Begriffsbestimmung ergibt sich, daß wir es beim Raube mit einer doppelten Rechtsver¬ letzung, nemlich einer Verletzung der Person und des Eigenthums zu thun haben. 95 Demnach haben wir beim Raube ein doppeltes Object, eine Person nemlich und eine fremde beweg¬ liche Sache. In Bezug auf die Sache stimmt daher der Raub mit dem Diebstahle überein, weshalb das in dieser Beziehung beim Diebstahle Gesagte auch hier Anwen¬ dung findet. Es kann also keine Rede vom Raube sein, wenn jemand z. B. seine eigene Sache einem Dritten mit Gewalt abnimmt. Was die äußere Handlung aubclangt, so besteht dieselbe entweder in einer thätlichen Beleidigung, d. i. in einer gewaltsamen Handanlegung, oder aber in einer Drohung gegen eine Person. Das Gesetz verlangt nicht eine „gefährliche" Drohung, allein die Drohung muß doch mit Rücksicht auf die Größe des angedrohten Nebels und die bevorstehende Gefahr als ein Gewalt¬ act erscheinen. Die Drohung braucht übrigens nicht in Worten zu bestehen, auch Handlungen, Zeichen, Geberden sind unter Uniständen als Drohung anzu¬ sehen, z. B. wenn auf den in einem Walde gehenden L plötzlich losspringt, ihm eine Pistole vor die Brust hält und ruft: „Geld her!" Hier besteht die Drohung in dem Vorhalten der Pistole. Was die böse Absicht beim Raube anbelangt, so ist dieselbe dahin gerichtet, durch die angethane Gewalt sich einer fremden beweglichen Sache zu bemächtigten. Es ist demnach auch der Raub ebenso wie der Dieb¬ stahl, die Veruntreuung und der Betrug ein Verbrechen aus Gewinnsucht, d. h. der Thäter muß es auf eine rechtswidrige Bereicherung seines Vermögens abge¬ sehen haben. Es liegt also kein Raub vor, wenn der Gläubiger seinem Schuldner Geld mit Gewalt ab¬ nimmt, um sich zahlhaft zu machen; wol aber könnte eine solche Handlungsweise unter Umständen das Ver- 96 brechen der öffentlichen Gewaltthätigkeit XII. Falles durch Erpressung begründen. Auch liegt kein Raub vor, wenn sich jemand einer fremden beweglichen Sache mit Gewalt gegen eine Person in der Absicht bemäch¬ tiget, die Sache zu vernichten, weil in diesem Falle die gewinnsüchtige Absicht fehlt; doch wird auch eine solche Handlung unter Umständen das oben bezeichnete Verbrechen der öffentlichen Gewaltthätigkeit begründen. Geschieht dagegen die gewaltsame Entziehung einer Sache in einer löblichen Absicht, so kann sie unter Umständen straflos sein; z. B. nimmt dem L niit ge- waltthätiger Handanlegung oder Drohung das Schie߬ gewehr in der Absicht weg, daß dieser seinen kurz zu¬ vor geäußerten Vorsatz, den 0 zu erschießen, nicht ausführen könne. Ans dem bisher Gesagten ergibt sich, daß der Raub sich vom Diebstahle lediglich durch die Gewalt¬ anwendung gegen eine Person zum Zwecke der Ent¬ ziehung einer Sache unterscheidet und daß soinit in allen jenen Fällen, in welchen die ohne vorherige Ge- waltthat gegen eine Person geschehene Entziehung einer Sache keinen Diebstahl begründet, die mit vorher¬ gegangener Gewaltanwendung gegen eine Person er¬ folgte Bemächtigung einer Sache auch nicht als Raub angesehen werden könne. Was den Erfolg beim Verbrechen des Raubes anbelangt, so ist nach dem Gesetze ein solcher zur Voll¬ endung des Verbrechens nicht nothwendig, da der Raub vollbracht ist, sobald in der obbezeichneten Absicht einer Person Gewalt angethan wird, ohne Rücksicht darauf, ob sich der Thäter der fremden beweglichen Sache wirklich bemächtiget hat oder nicht. Aus diesem Grunde dürfte auch die Frage, ob es beim Raube einen Versuch gebe, richtiger zu ver- 97 neinen sein, wenngleich gediegene Rechtslehrer die Mög¬ lichkeit eines Versuches in dem Falle zugeben, als bereits die nächsten Vorbereitungshandlungen zur Ge¬ waltanwendung ins Werk gesetzt wurden, die wirkliche Anwendung der beabsichtigten Gewalt aber durch ein vom Willen des Thäters unabhängiges Ereigniß unter¬ blieben ist. Es darf jedoch nicht übersehen werden, daß bloße Vorbereitungshandlungen zur Begründung des strafbaren Versuches nicht genügen, die Handlung sich vielmehr bereits im Stadium der Ausführung be¬ finden müsse, in einem solchen Stadium aber, in dem bereits der Zusammenhang zwischen Handlung und Object gegeben ist, die zum Thatbestande des Raubes erforderlichen Kriterien bereits gegeben fein dürften. Wenn z. B. L auf den an einem abgelegenen Orte allein gehenden ö in der Absicht ihn zu berauben, jedoch ohne ein Wort zu reden, ohne eine Waffe zu schwingen oder sonst zu drohen, zugeht und durch einen Zufall strauchelt und zu Baden fällt, so wird ungeachtet seiner räuberischen Absicht und ungeachtet des der Ausführung seines Vorsatzes entgegengetretenen Hindernisses von einem versuchten Raube wol keine Rede sein können, weil das bloße Zugehen weder eine gewaltsame Handanlegung noch eine Drohung ist, so¬ mit keine zur wirklichen Ausübung des Verbrechens führende Handlung vorliegt. In dem Momente aber, in welchem der Thäter eine Hacke oder eine Keule schwingt, oder eine Drohung ausstößt, ist der Raub bereits vollbracht. Daß es eine Mitschuld und Theilnahme am Raube gebe, folgt aus den oben bei der Lehre von der Mit¬ schuld und Theilnahme entwickelten Grundsätzen. Die Theilnehmung am Raube (8 196 St. G.) stimmt mit der Theilnehmung am Diebstahle und der 7 98 Veruntreuung bis auf den Punkt überein, daß es sich bei der ersten um eine geraubte Sache handelt, weshalb die bei der Theilnehmung am Diebstahle und der Veruntreuung entwickelten Grundsätze auch auf die Theilnehmung am Raube sinngemäße Anwendung finden. Vom Raubmorde und räuberischen Todtschlage war bereits im Abschnitte vom Morde die Rede. 19. Vom Betrüge. Nach Z 197 St. G. begeht einen Betrug, wer durch listige Vorstellungen oder Handlungen einen andern in Jrrthum führt, durch welchen jemand — sei es der Staat, eine Geineinde oder andere Person — an seinen: Eigenthum oder andern Rechten Schaden leiden soll, oder wer in dieser Absicht und auf die eben er¬ wähnte Art eines andern Jrrthum oder Unwissenheit benutzt, er mag sich hiezu durch Eigennutz, Leiden¬ schaft, durch die Absicht, jemanden gesetzwidrig zu be¬ günstigen, oder sonst durch was immer für eine Ne¬ benabsicht haben verleiten lassen. Das Object des Betruges ist das fremde Eigen¬ thum oder fremde Rechte, gleichgiltig ob eine physische oder moralische Persönlichkeit Eigenthümer, rücksichtlich Berechtigter ist. So z. B. ist beim Betrüge durch fal¬ sches gerichtliches Zeugniß 199 lit. a St. G.) der Staat in seinem Rechte auf Erforschung der Wahrheit in Ausübung der Gerechtigkeitspflege, beim Betrüge durch Fälschung einer öffentlichen Urkunde G 199 lit. ä St. G.) die bürgerliche Gesellschaft in ihrer Gesammtheit, also der Staat in seinem Rechte auf das öffentliche Vertrauen geschädiget, u. s. w. 99 Die Handlung besteht beim Betrüge entweder in der Irreführung einer Person, oder in der Benützung eines^schon vorhandenen Jrrthums oder der Unwissenheit einer Person. Beides mnß durch listige Vorstellungen oder Handlungen geschehen. Eine Vorstellung oder Hand¬ lung kann jedoch nur dann als eine listige angesehen werden, wenn sie an und für sich zur Täuschung ge¬ eignet war, d. h. wenn durch dieselbe ein Mensch von gewöhnlichen Verstandeskräften trotz der Anwendung der gewöhnlichen Aufmerksamkeit irregeführt wer¬ den konnte. Daher werden insbesondere die zahllosen Irreführungen im tagtäglichen Verkehre, im Handel, im Gewerbeleben nicht als ein Betrug im Sinne des Strafgesetzes aufzufassen sein, wenn es dem Beschädig¬ ten bei gewöhnlicher Aufmerksamkeit ein leichtes ge¬ wesen wäre, das Wahre zu erforschen und sich vor Nachtheil zu hüten. Wenn also z. B. ein Kaufmann seiner Kundschaft eine Ware unter Erdichtung mannig¬ facher Vorzüge und mit Verschweigung der vorhande¬ nen Mängel anpreist und der Käufer seinen falschen Worten Glauben schenkt, so liegt allerdings eine Irre¬ führung vor, allein es fehlt das Merkmal der List, da es dem Käufer ja leicht möglich gewesen wäre, die Ware selbst oder durch einen Sachkundigen genau zu prüfen. Aus dem Gesagten ergibt sich insbesondere, daß das bloße Lügen nicht als eine listige Irreführung angesehen werden könne, sondern es muß der Lügner seine Angaben auf andere Art in einer Weise glaub¬ würdig gemacht haben, daß selbst ein verständiger Mensch in Jrrthum geführt werden konnte; z. B. wenn ein Goldschmied einer Partei vorspiegelt, daß die vor¬ gewiesenen Löffel von echtem Silber seien, und sich 7* 100 dabei auf das Punzirungszeichen beruft, die Löffel aber durch Einlötheu eines geringschätzigen Metalles vorher eines Theiles ihres Werthes beraubt hat. Eben so wenig wird eine Prozeßpartei einen Be¬ trug begehen, wenn sie in einer Rede oder Satzschrift wissentlich und absichtlich einen falschen Umstand behauptet oder einen ihr bekannten wahren Um¬ stand in Abrede stellt, weil es ja dem Gegentheile möglich ist, sich im ersten Falle durch die bloße Wider- sprechung und im letzteren Falle durch die prozessu¬ alische Erweisung des in Abrede gestellten Factums vor jedem Nachtheile zu schützen. Es wird ferners beispielsweise von keinem Be¬ trüge die Rede sein können, wenn der Verkäufer einer Realität dem Käufer vorschwatzt, daß die Waldungen sehr gut bestockt, die Wiesen gut bewässert, die Aecker reich an Humus sind, und gerade das Gegentheil der Fall ist, weil es ja dem Käufer leicht möglich war, durch genaue Besichtigung der Realität sich vom wah¬ ren Sachverhalte zu überzeugen. Eben so wenig liegt Betrug vor, wenn der Verkäufer behauptet, daß eine auf der Realität intabulirt gewesene Forderung nicht mehr hafte, weil es den: Käufer durch Einsichtnahme des Grundbuches leicht möglich ist, sich vom wahren Tabularstande zu überzeugen. Würde jedoch in diesem Falle der Verkäufer zur Bekräftigung seiner Angabe eine gefälschte Extabulationsquittung oder Löschungs- erklarung vorweisen, so wäre allerdings eine listige Irreführung und somit Betrug vorhanden. Die Absicht ist beim Betrüge darauf gerichtet, daß jemand Schaden leide. Es ist nach dem klaren Wortlaute des Gesetzes gleichgiltig, ob derjenige, der Schaden leiden soll, der Jrregeführte oder ein anderer, ob es eine physische oder juristische Persönlichkeit (z. B. 101 eine Gesellschaft, ein Verein, der Staat u. s. w.) sei. Ebenso gleichgiltig ist es, ob dieser Dritte an seinem Vermögen oder an anderen Rechten verkürzt werden soll. So z. B. begeht ein Zeuge, der vor Ge¬ richt wissentlich ein falsches Zeugnis; ablegt, das Ver¬ brechen des Betruges auch dann, wenn er die Schä¬ digung einer Privatperson gar nicht beabsichtiget hat, weil die bloße Absicht, den Staat in seinem Rechte auf Erforschung der Wahrheit zu schädigen, genügt. Gleichgiltig ist endlich auch die Endabsicht, mag diese in Gewinnsucht, Schadenfreude, Mißgunst oder in einer andern Leidenschaft bestehen. Aus dem Satze, daß die Absicht auf die Zufü¬ gung eines Schadens (wohl zu unterscheiden von der Entziehung eines Gewinnes) gerichtet sein müsse, er¬ gibt sich weiters, daß die bloße gewinnsüchtige Absicht, d. i. die Absicht sich einen Vortheil zuzuwen¬ den, wie wir sie beim Diebstahle und der Veruntreuung gesehen haben, beim Betrüge nicht hinreicht, sondern auf die Herbeiführung eines wirklichen Nachtheiles im Gegensätze zu dein bloßen entgangenen Gewinn gerichtet sein muß. Z. B. X hat dem l> 100 fl. dargeliehen. Weil L den richtigen Empfang der Valuta in Abrede stellt, sinnt X über die Möglichkeit nach, sich ein Be¬ weismittel über seine Forderung zu verschaffen, und verfällt auf folgendes Mittel: Er weist dem L ein von zwei Zeugen in biuneo unterschriebenes Blatt Papier vor und fordert ihn auf, über die Zeugenunterfchristen seinen Namen zu unterschreiben, und zwar unter der listigen Vorspiegelung, daß er auf das in kianao un¬ terschriebene Papier den Context einer Vollmacht setzen werde, um für ihn ein verabredetes Geschäft in X abzuschließen. 8 unterschreibt, X aber füllt das Papier nicht — wie verabredet — mit einer Vollmacht aus, 102 sondern setzt eine Schulderklärung über die lOO fl. oberhalb der Unterschriften. Hier fehlt die Absicht, den L wirklich zu be¬ schädigen, weil L die fraglichen 100 fl. thatsächlich schuldig ist. Es liegt daher ein Betrug nicht vor. Der Eintritt des beabsichtigten Erfolges ist kein Erforderniß des Thatbestandes beim Betrüge; denn der Betrug ist vollbracht, sobald die Irreführung oder Be¬ nützung des Jrrthums stattgefunden hat, wenn auch daraus kein Schade entstanden ist. Ein Versuch ist demnach beim Betrüge nur insoferne möglich, als es sich um die Irreführung oder Benützung eines bestehen¬ den Jrrthumes handelt, d. h. ein Versuch wird dann anzunehmen sein, wenn der Thäter in der obbezeich¬ neten bösen Absicht eine zur Irreführung eines Andern, rückfichtlich zur Benützung eines bestehenden Jrrthums taugliche Handlung unternimmt, die Irreführung, rück¬ sichtlich Ausnützung des vorhandenen Jrrthums aus einem der im 8 angeführten Gründe unterblieben, rück¬ fichtlich mißlungen ist. Z. B. schickt den L mit einer gefälschten Geldanweisung des 0 zum Bankier v. Zufällig ist 0 im Comptoir des I) anwesend, wodurch es geschieht, daß die Fälschung sogleich entdeckt und die Irreführung des Bankiers verhindert wird. In Bezug auf die Mitschuld und Theilnahme am Betrüge gelten die allgemeinen Grundsätze, dagegen gibt es eine Theilnehmung am Betrüge nicht. Aus dem bisher Gesagten dürfte zur Genüge klar geworden sein!, daß die Fälle des Betruges außer¬ ordentlich mannigfach' und vielgestaltig sein können. Eben deshalb war es dem Gesetzgeber geradezu un¬ möglich, drese unendlich mannigfachen Fälle in die engen Rahmen einer Begriffsbestimmung einzuengen, wodurch 103 es geschehen mußte, daß die Definition das zn be¬ stimmende Delict nicht erschöpfte. Aus diesem Grunde ist auch die Anwendung der gesetzlichen Begriffsbestimmung des Betruges auf ein¬ zelne Fälle oft mit großen Schwierigkeiten verbunden. Man wird jedoch über diese Schwierigkeiten leichter Hinwegkommen, wenn man sich im gegebenen Falle die oben entwickelten Kriterien: li st ige Irreführung oder listige Benützung eines vorhandenenJrrthums, um jemanden an seinem Eigenthume oder an was immer für einem anderen Rechte einen widerrechtlichen Schaden, d. i. einen wirklichen Nachtheil zuzufügen, — genau vor Augen hält und dabei prüft, ob der be¬ treffende Fall nicht eine andere, nach dem allgemeinen oder einem besonderen Strafgesetze (z. B. Gefällen-Straf- gesetz) zn behandelnde strafbare Handlung begründe, wie z. B. falsche Steuerfassionen, Gefüllsverkürzungen u. s. w., oder ob derselbe nicht lediglich civilrechtlicher Natur sei, wohin z. B. die zahlreichen Fülle der Gewährleistung gehören. Der Betrug wird nach Z 198 St. G. entweder aus der Beschaffenheit der That oder aus dem Be¬ trage des Schadens zum Verbrechen. Die Fälle, in welchen der Betrug aus der Be¬ schaffenheit der That zum Verbrechen wird, hat das Gesetz im § 199 taxative, d. h. nicht beispielsweise aus¬ gezählt. Diese Fälle sind folgende: u) Wenn sich in eigener Sache bei Gericht zu einem falschen Eide erboten oder wirklich ein falscher Eid geschworen wird; oder wenn sich um ein falsches Zeugniß, so vor Gericht abgelegt werden soll, beworben, oder wenn ein falsches Zeugniß vor Gericht abgelegt oder gerichtlich angeboten wurde, wenn dasselbe auch — 104 — nicht zugleich die Ablegung oder Anerbietung eines Eides in sich begreift; l>) wenn jemand den Charakter eines öffentlichen Beamten fälschlich annimmt, oder einen obrigkeitlichen Auftrag oder ein besonderes, von einer öffentlichen Be¬ hörde erhaltenes Befugniß lügt; e) wenn in einem öffentlichen Gewerbe unechtes oder geringhaltiges, sei es cimentirtes oder nicht cimen- tirtes Maß oder Gewicht gebraucht wird; ä) wenn jemand eine öffentliche Urkunde oder eine durch öffentliche Anstalt eingeführte Bezeichnung mit Stempel, Siegel oder Probe nachmacht oder ver¬ fälscht: s) wenn die zur Bestimmung der Grenzen ge¬ setzten Markungen weggeräumt oder versetzt werden; k) wenn jemand durch Verschwendung sich in das Unvermögen zu zahlen gestürzt oder durch Ränke den Credit zu verlängern gesucht hat, oder durch Aufstel¬ lung erdichteter Gläubiger oder sonst durch betrügliches Eiuverstäudniß oder Verhehlung eines Theiles von seinem Vermögen den wahren Stand der Masse ver¬ dreht. Die hier anfgezählten Handlungen sind nur dann ein Betrug, wenn die Bedingungen des tz 197 St. G. zutreffen, wonach also die obaugeführten Kriterien des Betruges in jedem einzelnen der angeführten Fülle vorhanden sein müssen. Wenn also z. B. ein Privater eine Staatsuniform anzöge und sich als Polizeicom- missär gerirte, um einen in einem Gasthause bevor¬ stehenden Exceß zu verhindern, so kann ungeachtet der listigen Irreführung von einen: Betrüge keine Rede sein', weil der Betreffende nicht die Absicht gehabt hat, jemanden am Vermögen oder anderen Rechten zu schädigen, wenngleich in einem solchen Falle die Ueber- 105 tretung gegen die Pflichten eines öffentlichen Aintes nach tz 333 St. G. vorhanden wäre. Ebenso liegt kein Betrug vor, wenn jemand die Grenzmarken in den eigenen Grund und Boden hineinrückt, weil auch in diesem Falle die Absicht, jemanden einen Schaden zu¬ zufügen, fehlt, u. s. w. Aus dem Betrage des Schadens wird ein Betrug nach Z 200 St. G. zum Verbrechen, wenn der Schade, der verursacht oder auf welchen die böse Absicht ge¬ richtet worden, sich höher als auf 25 fl. beläuft. Für die Zusammenrechnung der zu verschiedenen malen durch Betrug verursachten Schadensbeträge gilt die oben beim Diebstähle (8 173 St. G.) aufgestellte und erläuterte Regel. Das Gesetz selbst erklärt im § 201 St. G., daß sich die Arten des Betruges wegen ihrer zu großen Mannigfaltigkeit nicht alle aufzählen lassen, und führt daher nur einige Arten beispielsweise an, bei welchen jedoch gleichfalls die Bedingungen des Betruges nach ß 197 St. G. vorhanden sein müssen. Diese Betrugs¬ arten begründen jedoch nur dann ein Verbrechen, wenn der Schade, der verursacht oder auf welchen die böse Absicht gerichtet worden, sich höher als auf 25 fl. be¬ lauft, wogegen sie in dem Falle, als der Schade ein geringerer ist, als Uebertretung gegen die Sicherheit des Eigenthums nach 8 461 St. G. zu ahnden find. Eines Betruges macht sich nach H 201 St. G. schuldig: u) wer falsche Privaturkunden verfertiget oder echte verfälscht: wer Urkunden, welche ihm gar nicht oder nicht ausschließlich gehören, zum Nachtheile eines Andern vernichtet, beschädiget oder unterdrückt; wer r.achgemachte oder verfälschte öffentliche Creditspapiere, wie auch iver verfälschte Münze ohne Einverständniß 106 mit den Verfälschern oder Teilnehmern wissentlich weiter verbreitet; b) wer den Schwachsinn eines Andern durch abergläubische oder sonst hinterlistige Verblendung zu dessen oder eines Dritten Schaden mißbraucht; v) wer gefundene oder ihm irrthümlich zugekom- mene Sachen geflissentlich verhehlt und sich zueignet, was jedoch auf die Verheimlichung eines aufgefundenen Schatzes nicht anwendbar ist; ck) wer sich einen falschen Namen, Stand oder Charakter beilegt, sich für den Eigenthümer fremden Vermögens ausgibt oder sonst hinter einem falschen Scheine verbirgt, nm sich unrechtmäßigen Gewinn zu¬ zueignen, jemanden an Vermögen oder Rechten Scha¬ den zn thnn, oder jemanden zu nachtheiligen Hand¬ lungen zu verleiten, zu denen er sich ohne den ihin mitgespielten Betrug nicht würde verstanden haben; o) wer sich in einem Spiele falscher Würfel, falscher Karten, eines hinterlistigen Einverständnisses oder anderer listiger Ränke bedient. Einen weiteren Fall des Betruges hat das Gesetz im 8 170 St. G. aufgezählt, wenn nemlich k) jemand sein Eigenthum in Brand steckt, ohne daß dabei fremdes Eigenthum Gefahr läuft, von dem Feuer ergriffen zu werden, insoferne er dadurch Rechte eines Dritten zu verkürzen oder jemanden Verdacht zu¬ zuziehen sucht. Wie bereits gesagt, sind die hier von a bis k an¬ geführten Fälle nur Beispiele und behandeln die in der Praxis zumeist vorkommenden Betrügereien. Eine ausführliche Besprechung der vom Gesetze aufgeführten Betrugsarten würde die uns gesteckten Grenzen weitaus überschreiten, daher wir den Abschnitt über den Betrug mit der nochmaligen Hinweisung auf 107 die Nvthwendigkeit schließen, in jedem gegebenen Falle sich die oben auseinandergesetzten Grundsätze genau gegenwärtig zu halten, insbesondere vorerst zu prüfen, ob nicht die Merkmale eines specielleren Verbrechens oder einer anderen strafbaren Handlung vorliegen, ob der Fall nicht unter ein Particular-Srafgesetz passe, zur Disciplinarbehandlung oder lediglich vor das Forum des Civilrichters gehöre- im verneinenden Falle end¬ lich, ob die Kriterien des Z 197 St. G., eventuell auch die Merkmale, die in den ZZ 199 und 201 bei den besonderen Betrugsarten aufgeführt wurden, vorhan¬ den sind. 20. Das Vergehen gegen die öffentliche Rnhe »nd Ordnung durch Aufwieglung. Nach Z 300 St. G. macht sich des Vergehens der Aufwieglung schuldig, wer öffentlich oder vor mehreren Leuten, oder in Druckwerken, verbreiteten bildlichen Darstellungen und Schriften durch Schmähungen, Ver¬ spottungen, unwahre Angaben oder Entstellungen von Thatsachen die Anordnungen oder Entscheidungen der Behörden herabzuwürdigen oder auf solche Weise an¬ dere zum Hasse, zur Verachtung oder zu grundlosen Beschwerdeführungen gegen Staats- oder Gemeinde¬ behörden, oder gegen einzelne Organe der Regierung in Beziehung auf ihre Amtsführung, oder gegen einen Zeugen oder Sachverständigen in Bezug auf ihre Aus¬ sagen vor Gericht aufzureizen sucht. Nach Artikel III und IV des Gesetzes vom 17. Dezember 1862, Nr. 8 R. G. Bl. 1863, macht sich dieses Vergehens auch schuldig, wer auf die oben angegebene Art 108 a) zum Hasse oder zur Verachtung gegen eines der beiden Häuser des Reichsrathes oder wider eine Landtagsversammlung aufzureizen sucht, und d) wer einen derlei Angriff gegen die kaiserliche Armee oder gegen eine selbständige Abtheilung der¬ selben richtet. Das hier angeführte Vergehen schließt sich seinem Wesen nach derart an das Verbrechen der Störung der öffentlichen Ruhe an, daß man füglich sagen kann, es sei nur eine mildere Form des letztbezeichneten Delictes. Wie beim Verbrechen der Störung der öffent- Ruhe die gemeinschaftliche, im Bande des Staates an¬ gegriffene Sicherheit das Object bildet, erscheint hier die öffentliche Ruhe und Ordnung in der Autorität der Behörden, der einzelnen Regierungsorgane, in der Unantastbarkeit der vor Gericht einvernommenen Zeugen und Sachverständigen, in der Unverletzlichkeit der Volks¬ vertreter, endlich in der zu ihrer Aufrechterhaltung bestimmten Armee angegriffen. Das Object des in Rede stehenden Vergehens bilden also die Staats- und Gemeindebehörden, deren Anordnungen oder Entschei¬ dungen, einzelne Regierungsorgane in Bezug auf ihre Amtsführung (im Gegensätze zur Gesammtregierung, 8 65 St. G.), Zeugen oder Sachverständige in Bezug auf ihre Aussagen vor Gericht, die beiden Häuser des Reichsrathes und die Landtage, endlich die k. k. Armee oder eine selbständige Abtheilung derselben. Was die äußere Handlung beim Verbrechen der Aufwieglung anbelangt, so muß dieselbe unter allen Umständen eine öffentliche sein, d. h. entweder an einem öffentlichen Orte oder vor mehreren Leuten, oder in Druckwerken, in verbreiteten bildlichen Darstellungen 109 oder Schriften geschehen. Sie besteht in dem Versuche (die Anordnungen oder Entscheidungen der Behörden) herabzuwürdigen, andere zum Hasse oder zur Ver¬ achtung oder zu grundlosen Beschwerdeführungen (gegen Behörden, einzelne Organe der Regierung in Bezug auf ihre Amtsführung, oder gegen einen Zeugen oder Sachverständigen in Bezug aus seine Aussagen vor Gericht), zum Hasse oder zur Verachtung (gegen eines der beiden Häuser des Reichsrathes, eine Landesver¬ sammlung, die Armee oder eine selbständige Abtheilung der Armee) aufzureizen. Die Art und Weise, in welcher dieser Versuch angestellt wird, besteht darin, daß der Thäter seinen Zweck durch Schmähungen (Beschimpfungen), Ver¬ spottungen (Herabziehen in das Lächerliche), unwahre Angaben (Anführung falscher Thatsachen, Unterlegung eines falschen Sinnes, einer falschen Absicht einer An¬ ordnung oder Entscheidung u. s. w.), endlich durch Entstellung von Thatsachen (z. B. Herausreißung einer Thatsache aus dem Zusammenhänge, absichtliche Ueber- gehung einer Prännsse sc.) zu erreichen sucht. In Bezug auf die Absicht muß bemerkt werden, daß dieselbe auf die vorbeschriebene Handlung gerichtet sein muß, d. h. der Thäter muß die Absicht haben, auf die angeführte Art und Weise herabzuwürdigen, rücksichtlich aufzureizen. Belangend den Erfolg, Versuch, die Mitschuld und Theilnahme beim Vergehen der Aufwieglung, gilt das hierüber bei der Störung der öffentlichen Ruhe Gesagte. — 110 — Wir haben bisher die wichtigsten Rechtsgrundsätze des materiellen Strafrechtes behandelt und gezeigt, wie dieselben auf einzelne strafbare Handlungen anzuwenden find. Nunmehr schreiten wir zur Behandlung der wesentlichen Bestiminungen des formellen Strafrechtes, d. i. der Strafprozeßordnung, insoweit dieselbe auf das Geschwornen-Jnstitut Bezug haben. Hlveitks Rapii^. Die wichtigsten, auf das Geschwornengericht Dyug habenden Bestimmungen der Strafproustordnung. 21. Das Wesen und die historische Entwicklung des Schwur¬ gerichtes. Das Geschwornengericht (die Jury) ist kein reines Volksgericht, wie wir dieses bei den Griechen, Rö¬ mern und alten Germanen finden, in welchem nemlich das Volk oder dessen Vertreter über Schuld und Strafe urtheilten. Eben so wenig ist die Jury ein Gelehrtengericht, in welchem nicht die Volksvertreter, sondern vom Staate bestellte rechtsgelehrte Richter über Schuld und Strafe erkennen. Das Geschwyrnen- gericht vermittelt vielmehr das Volksgericht mit dem Gelehrtengerichte, indem in demselben sich aus der Mitte des Volkes auserkorene, für den bestimmten Fall durch das Los bestimmte Männer, also Richter aus dem Volke, mit den vom Staate ernannten Fach richt ern in die Aufgabe der Rechtsprechung theilen. Welcher Theil nun den Volksrichtern, die vor dem Beginne ihrer jeweiligen Mission einen beson¬ deren Schwur ablegen müssen und deshalb Geschworne heißen, und welcher Theil den Fach- (Staats-, Be¬ amten-) Richtern zufällt, wird in Bezug auf die öfter- 112 reichischen Geschwornen später ausführlich erörtert wer¬ den. Hier, wo es sich nur um die Skizzirung des Wesens der Jury im allgemeinen handelt, sei diese Verschiedenheit der Aufgabe dahin präcisirt, daß die Geschwornen über die Schuldfrage, d. h. darüber zu entscheiden haben, ob der Angeklagte schuldig sei, die der Anklage zugrunde liegende Handlung began¬ gen zu haben, wogegen die Fachrichter auf Grund des Verdictes der Geschwornen auszusprechen haben, ob und im bejahenden Falle welches Strafgesetz verletzt wurde und welche Strafe über den schuldig Befundenen verhängt werde. Das Wesen des Schwurgerichtes be¬ steht demnach in der Theilung der Aufgabe der Recht¬ sprechung zwischen Volks- und Bcamtcnrichtcrn, wo¬ bei erstere über die Schuldfrage und letztere über die Anwendung des Gesetzes auf die von den Geschwornen ausgesprochene Schuld zu entscheiden, daher insbeson¬ dere die Strafe auszusprechen haben. Außerdem sind gewisse Attribute, wenngleich nicht das Wesen der Jury bildend, doch mit derselben noth- wendig verbunden. Es sind dies: 1. die Oeffentlichkeit der Verhandlung vor dem erkennenden Richter, von welcher nur in vom Gesetze bestimmten Fällen (z. B. aus Gründen der Schamhaftigkeit, des Anstandes u. s. w.) eine Aus¬ nahme gemacht werden darf; 2. die Mündlichkeit des Schlußverfah¬ rens, welche die möglichst vielseitige und lebendige Veranschaulichung der Begebenheit, über welche zu Gericht gesessen wird, dadurch ermöglicht, daß nicht nur der Angeklagte, sondern anch die Zeugen, Sach¬ verständigen und die übrigen Beweismittel dem erken¬ nenden Richter vorgeführt werden und dadurch die Begebenheit dramatisch reproducirt wird; 113 3. die Form der contradictorischen Verhandlung, welche bedingt, daß die sich widerstrebenden Interessen der Anklage nnd der Vertheidiguug von verschiedenen Organen, d. i. vom Staatsanwalte, Subsidiar-Ankläger oder Privatankläger einerseits und vom Vertheidiger des Angeklagten andererseits vertreten werden; 4. die conseguente Durchführung des Anklageprincipes, wonach die gerichtliche Ver¬ folgung einer strafbaren Handlung nur auf Antrag eines Anklägers stattfinden darf; 5. die Theilung des Strafverfahrens in bestimmte Abschnitte, z. B. Vorerhebung, Voruntersuchung, Schlußverfahren, welche dadurch noch- wendig wird, daß die Hauptverhandlung, d. i. die Verhandlung vor dem erkennenden Richter, ein genaues Bild des ganzen Vorfalles bilden soll, die Auffindung und Sichtung der Beweismittel demnach vorausgehen, daher einem besonderen Verfahren Vorbehalten bleiben muß, indem in erster Linie der Untersuchungsrichter thätig ist; 6. die besondere Organisation der Justizbehörden, die dadurch geboten ist, daß gegen den Ansspruch über die Schuld eine Berufung unzulässig ist und nur das Rechtsmittel der Nullitätsbeschwerde wegen bestimmter, im Gesetze genau bezeichneter Nullitäts- oder Nichtig- keitsgrüude offensteht, der Wahrspruch der Geschwor- nen demnach im Principe unumstößlich ist. Das mit den angeführten Attributen ausgestattete Geschwornengericht ist allerdings der vollendetste Ge¬ richtsorganismus , die am weitesten vorgeschrittene Pro¬ zeßbildungsform. Wie das Geschworneninstitut entstanden ist und sich bis zur heutigen Vollendung fortentwickelt hat, kann in diesem Büchlein wvl nur angedeutet werden. 8 114 Geschworne, welche sich in dieser Richtung genau unterrichten wollen, machen wir auf das ebenso gründlich als geistreich gearbeitete Werk Dr. Reinhold Köstlins: „das Geschwornengericht für Nichtjuristen," Tübingen 1849, aufmerksam. So viel ist sicher, daß die Jury ein germani¬ sches Rechtsinstitut ist, daß sie dem germanischen Volks¬ geiste entstammt, der im Gegensätze zur Grundan¬ schauung der alten Welt sich in Bezug auf die Beweis¬ form vom Ursprünge an so zähe an das Geständ- niß des Beschuldigten hielt, daß in dessen Ermanglung ein anderer Gewissensausspruch dasselbe suppliren mußte. Während nemlich die Völker der alten Welt ihre Urtheile auf die Erfahrungserkenntniß bauten und daher aus den äußeren Sinneswahrnehmungen, aus der äußeren Beschaffenheit des Delietes auf die Schuld des Thäters schlossen, ohne deshalb dem Geständnisse des Beschuldigten einen höheren Werth als irgend einem anderen Beweismittel beizumessen, hielt' der germanische Volksgeist stets daran fest, daß die nur den äußeren Thatbestand erweisenden Momente zur Ueberzeugung von der Schuld oder Nichtschuld des Angeklagten nicht him eichen, sondern daß hiezu noch eine andere, das Gewissen des Richters vollends be¬ ruhigende Erkenntnißquelle nothwendig sei. Als solche erschien nun den alten Germanen das Gestündniß des Beschuldigten. Lag ein solches nicht vor, so mußte es durch den Gewissensausspruch von anderen Männern, durch den Eid freier Volksgenossen, die für oder gegen den Beschuldigten Zeugniß ablegten, oder durch den Ausspruch der Gottheit, oder durch das Gemeinde- zeugniß, wenn nemlich die richtende Gemeinde selbst Zeuge der That war, supplirt werden. So waren also Eideshilse, Gottesurtheil und in Fällen der handfesten 115 That das Gemeindezeugniß die Supplemente des Ge¬ ständnisses. Allerdings waren diese Prozeßbildungs¬ formen äußerst primitiv und litten insbesondere daran, daß mit Ausnahme der Fälle der handfesten That der Gewissensausspruch der Volksgenossen keine sichere Grundlage an der Feststellung des objectiven Tat¬ bestandes durch äußere Beweismittel, z. B. Augen¬ schein, Zeugen u. s. w. hatte. Dieser Mangel mußte nun im weiteren Stadium der Entwicklung des germanischen Volksrechtes beseitigt werden. Dabei ging jedoch in Deutschland und Frank¬ reich, theils wegen der um sich greifenden Macht des Königthums, das die Volksrechte immer mehr und mehr zu absorbiren suchte, theils wegen des steigenden Einflusses des römischen und kanonischen Rechtes, die obbezeichnete volksthümliche Prozeßform nahezu ganz verloren; denn die Eideshilfe und das Gottesurtheil hörten auf, wogegen das Institut des Gemeindezeugnisses nicht mehr weiter entwickelt wurde. So schwand im Mutterlande immer mehr und mehr die Erinnerung au die alten nationalen Prozeßformen, und nur die bis ins gegenwärtige Jahrhundert hineinreichende Folter, diese scheußliche Verirrung des menschlichen Geistes, zeigt in schrecklicher Gestalt die altgermanische An¬ schauung von der absoluten Nothwendigkeit des Ge¬ ständnisses für die richterliche Ueberzeugung. In England dagegen und theilweise auch in Skan¬ dinavien erhielten sich die altgermanischen Prozeßformen nicht nur, sondern entwickelten sich, begünstiget durch die politischen Verhältnisse, auf volksthümlicher Grund¬ lage fort. Insbesondere wurde das Institut des Ge- meindezeugnisses in England dahin weiter entwickelt, daß nicht mehr die ganze Gemeinde, sondern Vertreter der¬ selben zur Zeugenschaft zugelassen wurden, und daß diese 8* 116 Vertreter mit der Zeit den Charakter von Schieds¬ richtern annahmen, da dem Angeklagten das Ver¬ werfungsrecht zustand. So also wurden die Gemeindö- Zengen zu Richtern über die Schuld, und mußte daher denselben die That, wenn sie nicht handfest war, durch Vorführung von Augen- und Ohrenzeugen und andern materiellen Beweismitteln gleichsam handfest gemacht, d. h. derart versinnlicht werden, als ob sie dieselbe selbst mitangesehen hätten. Diese Gemeinde¬ vertreter nun sind die Jury in ihrer ursprünglichen Form. Sv finden wir also den Kein: zum Institut der Jury im altgermanischen Volksgeiste, allein dieser Keim mußte aus dem Mutterlande in ein anderes Land über¬ tragen werden, um hier, begünstiget durch die politi scheu Verhältnisse, sich zur Frucht zu entfalten. Wäh¬ rend in Deutschland das Volksthum im Kampfe mit dem Königthum und Adel unterging, erhielt sich in England die freie Gemeinde als gleichberechtigter Factor unter den Gewalten. Hartnäckig waren die Kümpfe zwischen Königthum, Adel und freier Gemeinde; allein im Kampfe war keine Biacht völlig zugrunde gegangen. So also blieb auch dem Strafverfahren der volks- thümliche Charakter gewahrt, und was im Stamm¬ lande nicht möglich war, gelang in der neuen Heimat, in der durch die Kreuzung des angelsächsischen mit dem normännischen Volksgeiste überhaupt ein regeres, frischeres nationales Leben angebahnt wurde. Als im Jahre 1789 in Frankreich die Macht des Königthums gebrochen wurde und der alte Volksgeist sich 'wieder regte, da mußte dem Strafverfahren'der volksthümliche Charakter zurückgegeben werden, und sv lebte das altgermanische Recht in einer edleren, reiferen 117 Form, zu der es mittlerweile in England herangebildet worden war, in Gestalt der Jury wieder auf. Von Frankreich aus verbreitete sich das Institut der Jury in viele Länder. Manche Staaten mußten es infolge des französischen Gebotes annehmen, gaben es aber nach wiederlangter Unabhängigkeit auf. In den deutschen Rheinländern erhielt sich die französische Jury ungeachtet der heftigsten Anfeindungen vonseite der heimischen Regierungen, so sehr war die dem alt- germanischen Volksgeiste entstammte Prozeßform trotz des fremden Gewandes bereits in das Fleisch und Blut des Volkes übergegangen. Und gerade die Rheinlande waren es, deren Beispiel so ungemein für die Prozeß- fvrm der Jury einnahm; denn kaum war der Bölker- frühling des Jahres 1848 herangebrochen, so brach auch schon das bis dahin in Deutschland gütig ge¬ wesene System des Strafverfahrens gleichsam über Nacht zusammen und in allen deutschen Gauen erhob sich die Volksstimme zugunsten des Juryprozesses, und mitten im Freiheitsjubel der Völker hielt das in der Fremde reif gewordene, auf einem Umwege rückgekehrte Kind des altgermanischen Volksgeistes seinen Einzug in das Heimatland. Die freiheitliche Bewegung, die ganz Deutschland ergriffen, konnte selbstverständlich an dem stamm- und sprachverwandten Oesterreich nicht spurlos vorüber¬ gehen. Auch unser großes schönes Vaterland wurde in die Bewegung hineingezogen und auch auf seinem Freiheitsbaume blühte die schöne Freiheitsblume „die Jury", welche nemlich mit der Strafprozeßordnung vom 17. Jänner 1850 eingeführt wurde. Bis dahin bestand in Oesterreich das Strafgesetz vom 3. Septem¬ ber 1803 in Kraft, welches in seinem formellen Theile gleich den früheren Strafprozeßordnungen (z. B. der 118 allgemeinen Criminalgerichtsordnung vom 1. Juni 1788, der peinlichen Gerichtsordnung der Kaiserin Maria Theresia, der peinlichen Halsgerichtsvrdnung Josefs I. für Böhmen, Mähren und Schlesien) dem Jnquisitions- principe, d. i. jener Maxime huldigte, welche die Ver¬ folgung der Verbrechen ohne Rücksicht auf den Antrag eines berechtigten Anklägers unter allen Um¬ ständen von Amts wegen, und zwar zu dem Zwecke der Erforschung der materiellen Wahrheit eintreten läßt. Dieses Juquisitionsprineip ist in der Strafprozeß- vrdnung vom Jahre 1803 mit eiserner Consequenz durchgeführt, daher sind der Ausschluß der Oeffentlich- keit, strenge Schriftlichkeit und Actenmäßigkeit, sowie der Ausschluß der Vertheidigung ihre charakteristischen Merkmale. Der Untersuchungsrichter war in einer Per¬ son Ankläger, Vertheidiger und Referent über die ab¬ geführte Untersuchung. Die Urtheilsschöpfung erfolgte ohne vorausgegangene Hauptverhandlung, ja ohne daß die Richter mit Ausnahme des Untersuchungsrichters (Referenten) den Angeklagten vorher zu Gesichte be¬ kamen, in Abwesenheit des Angeklagten auf Grund der Aeteulage und des vom Untersuchungsrichter verfaßten Referates. Der arme Jnquisit wußte in seiner Zelle nicht, wann sein Stündlein geschlagen! Diese Strafprozeßordnung blieb bis zum Jahre 1848 in Kraft. Mit der allerhöchsten Entschließung vom 22. Mai 1848 wurden die schlimmsten Gebrechen des bisherigen Strafprozesses beseitiget, und in der mit dem kaiserlichen Patente vom 17.Jänner 1850 erlassenen neuen Strafprozeßordnung fand die Anklageform, die Vertheidigung und die Jury ihre Aufnahme. Obwol nun in dieser Strafprozeßordnung das Juquisitionsprineip insoweit beibehalten wurde, haß der Staat von A m t s w e g e n, also ohne vorliegende Klage 119 des Verletzten einschreitet; obwol über vorausgegangenes geheimes und schriftliches Untersuchungsverfahren vom Gerichte (der Anklagekammer) entschieden wurde, ob die Versetzung in den Anklagestand erfolge, demnach das Anklag eprincip in seiner vollen Bedeutung nicht durchgeftihrt erscheint: begründet doch die.Zuweisung des Geschäftes der Anklage an besondere Staatsorgane — Staatsanwaltschaften — die Zulässigkeit der Ver- theidigung in ausgedehntem Maße; die Mündlichkeit und Oeffentlichkeit der Verhandlungen, dann die Ein¬ führung der Jury für schwere, mit mindestens fünf¬ jähriger Kerkerstrafe bedrohte Verbrechen und für Preß- delicte einen ungemein großen Fortschritt vor den vorausgegangenen Strafprozeßordnungen. Leider bestand die Strafprozeßordnung des Jahres 1850 nur kurze Zeit; denn schon nach einem Jahre wurde sie als für einen großen Theil der Monarchie nicht geeignet erklärt und durch die Strafprozeßord¬ nung vom 29. Juli 1853 verdrängt. Diese Strafprozeßordnung, welche bis zum 1. Jän¬ ner des Jahres 1874 für die Länder diesseits der Leitha giltig war und auf Grund der Artikel III, IV und V des Einführungsgesetzes zur Strafprozeßordnung vom 23. Mai 1873 in gewissen Fällen noch jetzt zur An¬ wendung kommen kann, beseitigte das Institut der Ge- schwornengerichte, beschränkte die Anklageform, gestattete nur eine beschränkte Oeffentlichkeit, ordnete für die zweite und dritte Instanz die Schriftlichkeit und Acten- mäßigkeit des Verfahrens an und band den erkennen¬ den Richter an positive Beweisregeln, und zwar der¬ art, daß dieser trotz seiner Ueberzeugung von der Schuld des Angeklagten ein Schuldig nicht aussprechen durfte, wenn nicht der gesetzliche Beweis erbracht war. 120 Dagegen wurde in dieser Strafprozeßordnung das Institut des öffentlichen Anklägers — der Staats¬ anwaltschaft, — wenngleich in beschranktem Maße, sowie jenes der Vertheidigüng im Schlußverfahren, endlich die Mündlichkeit der Schlußverhandlung beibehalteu, womit allerdings die schreiendsten Gebrechen der vor dein Jahre 1848 giltig gewesenen Prozeßordnung be¬ seitiget erschienen. Der Umschwung der politischen Verhältnisse in Oesterreich, der in den Jahren 1860 und 1861 em¬ irat ; die Reactivirung des Königreiches Ungarn und die damit verbundene Verbannung der österreichischen Ge setze aus der östlichen Reichshälfte; die österreichische Verfassung endlich, infolge welcher dem Volke wieder das Recht der Mitwirkung au der Legislative ge¬ geben wurde, machten eine Refmm des Strafprozesses auf freiheitlicher Basis zur unbedingten Nothwendig- keit. Schon seit dein Frühjahre 1861 tagten Commis¬ sionen, um auf Grund der Strafprozeßordnung vom Jahre 1850 eine neue, den Verhältnissen der Gegen¬ wart entsprechende Prozeßordnung auszuarbeiten. Dem ungeachtet kam das ersehnte Gesetz in den darauf folgenden zwölf Jahren, trotzdem der bezügliche Entwurf dem Reichsrathe vorgelegt wurde, nicht zustande, wenngleich das Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867, Nr. 144 R. G. Bl., bereits die Prineipien fcst- stellte, die dem Strafverfahren zugrunde gelegt wer¬ den sollen. Diese Prineipien sind: Artikel 10. Die Verhandlungen vor dem erken¬ nenden Richter sind in Civil- und Strafrechtsangelegen¬ heiten mündlich und öffentlich. Die Ausnahmen bestimmt das Gesetz. Im Strafverfahren gilt der Anklageprozeß. Artikel 11. Bei den mit schweren Strafen be¬ drohten Verbrechen, welche das Gesetz zu bezeichnen 121 hat, sowie bei allen politischen oder durch den Inhalt einer Druckschrift verübten Verbrechen oder Vergehen entscheiden Geschworne über die Schuld des Ange¬ klagten. Artikel 12. Für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder besteht der oberste Gerichts- iliid Cassationshof in Wien. Damit also wurde das Geschworueniustitut für die cisleithauischen Länder verfassungsmäßig gewähr¬ leistet und demselben in unserem lieben Vaterlandc auf ewige Zeiten ein sicheres Heim gegeben. Schon das Gesetz vom 9. Mürz 1869, Nr. 32 R. G. Bl., führte die Schwurgerichte für die durch den Inhalt einer Druckschrift verübten Verbrechen und Ver¬ gehen ein. Die förmliche Durchführung der obbezeich- ueten Grundsätze war jedoch unserem gegenwärtigen Justizminister Dr. Glaser, dem großen Reformator unserer Justizgesetzgebung, Vorbehalten, der in der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 16. Februar 1872 den Entwurf einer neuen Strafprozeßvrdnuug einbrachte, welcher von beiden Häusern des Reichsrathes ange¬ nommen, von der Krone sanetionirt und am 23. Äai 1873 als Gesetz publicirt wurde. 22. Die Gruildprincipien der Strafprozekordmma vom 23. Mai 1873. Diese Grundprincipien sind: 1. In erster Instanz entscheiden über die im Artikel VI des Kuudmachuugspatentes angeführten Ver¬ brechen und Vergehen, welche im nächsten Abschnitte näher werden bezeichnet werden, Schwurgerichte, über die übrigen Verbrechen und Vergehen rechtsgelehrte 122 Staatsrichter, und zwar letztere in einem Senate von vier Richtern, von denen Einer den Vorsitz führt, über Uebertretungen endlich Einzelrichter ans der Zahl der Staatsrichter. 2. Im ganzen Strafprozesse herrscht das An- klageprincip in des Wortes vollster Bedeutung nach dem Satze „Wo kein Kläger, kein Richter." Conseguenzen dieses Grundsatzes sind: a) Die gerichtliche Verfolgung der strafbaren Handlungen tritt nur auf Antrag eines Anklägers (Staatsanwaltes, Privatankläger, Privatbetheiligter als Subsidiar-Aukläger) ein. b) An den Staatsanwalt sind alle Anzeigen über strafbare Handlungen, die nicht blos auf Begehren eines Betheiligten zu untersuchen sind, zu leiten. o) Findet der Staatsanwalt sogleich oder auf Grund der von ihm veranlaßten Vorerhebungen, daß kein Grund zur weiteren Verfolgung vorliege, so legt er die Anzeige zurück uud übersendet die Acten dem Untersuchungsrichter, der sohin die Vorerhebung einstellt. d) Im entgegengesetzten Falle beantragt der Staats¬ anwalt die Voruntersuchung gegen eine bestimmte Person (in gewissen Fällen, z. B. in allen zur Coin- petenz der Schwurgerichte gehörigen Füllen, muß eine Voruntersuchung vorausgehen) oder überreicht sogleich die Anklageschrift. o) Die Anklageschrift ist einzig und allein Sache des Staatsanwaltes, ohne daß seine Thätigkeit durch die Gerichte ersetzt oder ergänzt wird. Es entfallen somit die Verweisungs-Erkenntnisse der Prozeßord¬ nung vom Jahre 1850, sowie die von den Gerichten zu schöpfen gewesenen Anklagebeschlüsse der Straf¬ prozeßordnung vom Jahre 1853, durch welche das Anklageprincip verletzt wurde, indem der Staatsanwalt 123 gegen seinen Willen und gegen seine Ueberzeugung an den Ausspruch des Gerichtes gebunden war. k) Der Staatsanwalt ist befugt, im Laufe der Voruntersuchung sowol als auch bei der Hauptver¬ handlung, und zwar bei der letzteren vor Zurückziehung des Gerichtshofes zur Urtheilsschöpfung und rücksicht¬ lich bei Schwurgerichts-Verhandlungen vor Verlesung der endgiltig festgestellten Fragen, von der strafgericht¬ lichen Verfolgung, rücksichtlich von der Anklage zurück¬ zutreten. Im ersten Falle muß der Untersuchungs¬ richter die Voruntersuchung einstellen, im letzter: Falle der Gerichtshof den Angeklagten von der Anklage frei¬ sprechen. §) Der Staatsanwalt ist auch befugt, die Anklage zn restringiren, d. h. einzuschränken, und das Gericht ist an diesen Antrag gebunden, insoweit es sich nicht um die Subsumption der That unter ein bestimmtes Strafgesetz handelt, in welcher Richtung das Gericht eben so wenig wie bei Bemessung der Strafe den An¬ sichten des Arrklägers zu folgen braucht. Z. B. ist des Verbrechens des Diebstahls und der Veruntreuung angeklagt. Im Laufe der Hauptverhandlung restringirt der Staatsanwalt die Anklage auf das Diebstahls- factum, tritt somit von der Anklage wegen Verun¬ treuung zurück. In diesem Falle muß der Gerichtshof den ä. von der Anklage wegen Veruntreuung frei¬ sprechen. Ebenso bindend ist die Erklärung des Staats¬ anwaltes, wenn er im Falle, als die strafbare Hand¬ lung, deren jemand angeklagt ist, aus mehreren Faeten besteht (z. B. ä. wäre verschiedener Diebstähle zum Nachtheile des L, 6, I) und L angeklagt), die An¬ klage auf einige oder Ein Factum restringirt. Da¬ gegen ist der Gerichtshof an die Anschauung des Staats¬ anwaltes, daß die der Anklage zugrunde liegende That 124 ein bestimmtes Verbrechen begründet, nicht gebunden. Er kann alsv z. B. in der That, welche der Staats¬ anwalt für Diebstahl hält, lediglich eine Veruntreuung sehen, u. s. w. 3. Der Privatbetheiligte hat das Recht der sub¬ sidiären Anklage. Er ist nemlich berechtiget, in dem Falle, als der Staatsanwalt seine Anzeige zu¬ rückweist und die gerichtliche Verfolgung ablehnt, den Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung bei der Rathskammer einzubringen; ferners im Falle als der Staatsanwalt von der Verfolgung zurücktritt, bevor der Beschuldigte rechtskräftig in den Anklagestand versetzt wurde, die Erklärung abzugeben, daß er die Verfol¬ gung aufrecht erhalte; endlich im Falle, als der Staats¬ anwalt zu einer Zeit zurücktritt, wo die Versetzung in den Anklagestand bereits rechtskräftig ist, die Anklage aufrecht zu erhalten. Zn allen diesen Fällen hat er mit gewissen Einschränkungen die Rechte des öffent¬ lichen Anklägers. 4. Der Versetzung in den Anklagestand muß eine Voruntersuchung vvrangehen, wenn es sich um ein Verbrechen handelt, dessen Aburtheilung dem Geschwornengerichte zukommt, oder wenn gegen einen Abwesenden das Strafverfahren eingeleitet werden soll. In allen andern Füllen bleibt es dem Ermessen des Staatsanwaltes, beziehungsweise des Privatanklägers anheimgestellt, ob eine Voruntersuchung zu beantragen sei. Die Voruntersuchung hat den "Zweck, die gegen eine bestimmte Person erhobene Anschuldigung einer strafbaren Handlung einer vorläufigen Prüfung zu unterwerfen und den Sachverhalt soweit ins klare zu setzen, als es nöthig ist, um jene Momente festzustellen, welche geeignet sind, entweder die Einstellung des Strafverfahrens herbeizuführen oder die Versetzung in 125 den Anklagestand und die Beweisaufnahme in der Haupt Verhandlung vorzubereiten. Diese Voruntersuchung ist von den Vor erhebungen zu unterscheiden, welche der Staats¬ anwalt durch den Untersuchungsrichter, durch die Be¬ zirksgerichte oder durch die Sicherheitsbehörden zu dem Zwecke führen läßt, uni die uöthigeu Anhaltspunkte für die Veranlassung des Strafverfahrens wider eine bestimmte Person oder für die Znrücklegung der An¬ zeige zu erhalten, bei welchen also noch nicht gegen eine bestimmte Person vorgegangen wird. Jin Stadium der Vorerhebungen wird also in der Regel der objective Thatbestand durch den richterlichen Augenschein, durch die Einvernehmung des Beschädigten, der Thatzeugen u. s. w. zu erheben sein, es sei denn, daß schon die ursprüngliche Anzeige gegen eine be¬ stimmte Person lautet, in welchem Falle die Erhebung des objectiven Thatbestandes in der Voruntersuchung zu geschehen haben wird. So z. B. wird der Staatsanwalt über eine Anzeige, daß die Leiche eines Unbekannten unter Umständen, die auf ein Verbrechen schließen lassen, gefunden wurde, vorläufig die Vvrerhebuug veranlassen, da noch gegen keine bestimmte Person ein Verdacht ausgesprochen wurde. Es wird demnach im Stadium der Vorerhebung die Obductiou der Leiche zur Coustatirung, ob ein natürlicher oder gewaltsamer Tod, und im letzteren Falle, ob von fremder Hand verursacht, vorliege, vor- zunehmeu und sohin zu erheben sein, wer der Getödtete sei, ob er beraubt wurde, wie er in die Gegend kam, u. s. w. War aber schon in der Anzeige der Verdacht der Thäterschaft auf eine bestimmte Person gelenkt, so wird die objective Thatbestandserhebung im Stadium der Voruntersuchung vor sich gehen und damit auch 126 die Erforschung der subjektiven Momente, d. i. der gegen den Beschuldigten vorliegenden Verdachtsgründe, durch seine Einvernehmung, durch die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen, unter Umständen mit Zuhilfenahme von Haus- und Personsdurchsuchun¬ gen, Beschlagnahme von Briesen u. f. w. verbunden werden. In keinem Falle aber darf die Voruntersuchung zu weit ausgedehnt werden, da nicht in ihr, son¬ dern lediglich in der mündlichen Hauptver¬ handlung der Schwerpunkt des ganzen Strafverfahrens liegt. Der Untersuchungsrichter hat vielmehr die Voruntersuchung zu schließen, sobald die gepflogenen Erhebungen hinreichen, uni die An¬ ordnung der Hauptverhandlung zu begründen, und zugleich die zur vollständigen Vorführung der Beweis¬ mittel in der Hauptverhandlung erforderliche Uebersicht über dieselben erlangt ist. Als Untersuchungsgericht für Verbrechen und Ver¬ gehen — bei Übertretungen findet in der Regel kein Vorverfahren statt — fungirt der Gerichtshof erster Instanz (Landesgericht, Kreisgericht), in dessen Sprengel die strafbare That begangen wurde; es steht jedoch der Rathskammer des Gerichtshofes frei, ein Bezirks¬ gericht seines Sprengels zur Vornahme der Vor¬ erhebungen oder Voruntersuchungen zu delegiren. Die Untersuchuugshandlungen sind vom Unter¬ suchungsrichter, d. i. von einem mit der Führung der Untersuchung betrauten Richter des Gerichtshofes, in Fällen der Delegirung aber vom Bezirksrichter oder einem andern richterlichen Beamten des Bezirksgerichtes mit Beiziehnng eines beeideten Schriftführers, und in gewissen Fällen unter Zuziehung von Gerichtszeugen vorzunehmen. Untersuchuugshandlungen, die im Laufe 127 der Vorerhebungen durch die Sicherheitsbehörde vor¬ genommen werden, bedürfen in Ansehung der Beweis¬ kraft der hierüber aufgenommenen Protokolle der Sanc- tion des Untersuchungsrichters. Gegen die Verfügungen des Untersuchungsrichters steht demjenigen, der sich dadurch beschwert erachtet, die Beschwerde an die Raths¬ kammer beim Gerichtshöfe erster Instanz und gegen deren Entscheidungen in gewissen Fällen an den Gerichtshof zweiter Instanz offen. Die Rathskammer entscheidet auch im Falle von Divergenzen zwischen dem Untersuchungs¬ richter und Staatsanwalte. 5. Gegen die Anklageschrift steht dem Beschul¬ digten das Rechtsmittel des Einspruches an das Ober¬ landesgericht, und zwar in Rücksicht auf die Zustän¬ digkeit des in der Anklageschrift genannten Gerichtes und bezüglich der Zulässigkeit der Anklage, gegen die diesfällige Entscheidung des Oberlandesgerichtes aber die Nullitätsbeschwerde an den obersten Gerichts- als Cassationshof wegen Formgebrechen zu. 6. Dem Beschuldigten ist das Recht der Verthei- digung im ausgedehntesten Maße gesichert. Er kann sich schon während der Vorerhebungen und der Vor¬ untersuchung eines Rechtsbeistandes aus der Zahl der Bertheidiger zur Wahrnehmung seiner Rechte bei der Feststellung des Thatbestandes, sowie zur Ausführung bestimmter Rechsmittel bedienen. Dem Bertheidiger ist die Besprechung mit dem Beschuldigten und die Ein¬ sicht in die Acten vor Mittheilung der Anklageschrift mit gewissen Beschränkungen, nach diesem Zeitpunkte unbeschränkt gestattet. Bei der Mittheilung der Anklage¬ schrift ist der Beschuldigte über sein Recht, sich eines Vertheidigers zu bedienen, zu belehren. Für die Hauptverhandlung vor dem Geschwornengerichte ist dem Angeklagten ein Bertheidiger von Amts wegen zu be- 128 stellen, wenn er sich eines solchen nicht bedienen will. In anderen Fällen ist unbemittelten Beschuldigten auf ihr Verlangen ein Armeuvertreter beizugeben. 7. Die Hauptverhandlnug ist öffentlich bei son¬ stiger Nichtigkeit. Nnr aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit oder der öffentlichen Ordnung rann die Ausschließung der Oefsentlichkeit von Amts wegen oder auf den Antrag des Anklägers oder des Angeklagten nach darüber gepflogener geheimer Verhandlung und Berathung durch ein schriftlich abzufassendes, mit Grün¬ den versehenes Erkenntniß, gegen welches kein Rechts¬ mittel zulässig ist, verfügt werden, jedoch haben auch in diesem Falle der Verletzte, gewisse richterliche Func- tionäre, sowie je drei vom Angeklagten, Privatbethei¬ ligten oder Privatanklüger gewählte Bertrauenspersoneu das Recht des Zutrittes. 8. Das Princip der Mündlichkeit ist im n^eu Strafprozesse strenge durchgeführt. Eine Conseguenz davon ist, daß das Schwergewicht des ganzen Ver¬ fahrens — wie bereits oben gesagt wurde — in der Hauptverhandlung ruht; daß in gewissen Fällen die unmittelbare Ladung ohne Voruntersuchung eintreten kann; daß auch die Voruntersuchung nur die Beweis¬ aufnahme vorzubereiten, diese selbst in der Hauptver¬ handlung zu erfolgen hat; daß mithin die Hauptver- handlung das gestimmte Bild des Straffalles erschöpfend vor der Oefsentlichkeit entrollen und durch die Un Mittelbarkeit und Lebhaftigkeit, mit der das ganze Beweismateriale, die Anklage und die Vertheidigung vorgeführt wird, Geschwvrne und Richter in den Stand setzen soll, aus dem Gesehenen und Gehörten eine sichere Ueberzeugung über die Schuld und Straf¬ würdigkeit des Angeklagten zu fassen und mit Gewissens¬ treue ihren Wahrsprnch und ihr llrtheil abzugeben. 129 9. Die Richter, und zwar fowol die Fachrichter als die Geschwornen, entscheiden über die Frage, ob eine Thatsache als erwiesen anzunehmen sei, nicht nach gesetzlichen Beweisregeln, sondern nur nach ihrer freien, ans der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnenen Ueber- zeugung. Der Beamtenrichter hat in den Entscheidungs¬ gründen seine Ueberzeugung zu begründen, wogegen der Geschworne die Motive seines Votums niemanden bekanntzugeben braucht. 10. Eine nothwendige Folge des Principes der Mündlichkeit ist das Entfallen der Berufung gegen die Urtheile der Gerichtshöfe (Schwurgerichtshöfe) über die Schuld-, rücksichtlich Thatfrage, da der Natur der Sache nach dem oberen Richter dasselbe Beweismate¬ riale wie dem Richter der ersten Instanz, vorliegen soll, dieses aber, nemlich die mündliche Hauptver- pandlung, dem oberen Richter nicht geboten werden kann. Dagegen ist die Berufung gegen die Straf- nrtheile der Bezirksgerichte an die Gerichtshöfe der ersten Instanz zulässig; allein in diesen Fällen muß, wenn es sich um die Schuldfrage handelt, eine münd¬ liche Verhandlung vor dem Berufungsgerichte statt - fiuden. Gegen die Urtheile der Gerichts-, rücksichtlich Schwurgerichtshöfe gibt es nur das Rechtsmittel der Nullität wegen bestimmter, im Gesetze genau bezeich¬ neter Nichtigkeitsgründe, und das Rechtsmittel der Be¬ rufung' rücksichtlich des Ausspruches über die Strafe and die privatrechtlichen Ansprüche. Die Nichtigkeits¬ beschwerde geht an den obersten Gerichts- als Cassations¬ hof, dagegen die Berufung an den Gerichtshof der zweiten Instanz, d. i. an das Oberlandesgericht. S 130 2Z. Die Competenz der Schwurgerichte. Nach Artikel VI des Kundmachungspatentes zur Strafprozeßordnung vom 23. Mai 1873 gehört vor die Geschwornengerichte die Hanptverhandlung über alle Anklagen: .K wegen der dnrch den Inhalt einer Druckschrift verübten Verbrechen und Vergehen; L. wegen nachbenannter Verbrechen und Vergehen: 1. Hochverrath; 2. Störung der öffentlichen Ruhe; 3. Aufstand und Aufruhr; 4. öffentliche Gewaltthätigkeit u) durch gewaltsames Handeln gegen eine von der Regierung zur Verhandlung öffentlicher Angelegenheiten berufene Versammlung, ge¬ gen ein Gericht oder eine andere öffentliche Behörde; b) durch gewaltsames Handeln gegen gesetzlich anerkannte Körperschaften oder gegen Ver¬ sammlungen, die unter Mitwirkung oder Aufsicht einer öffentlichen Behörde gehalten werden; o) durch boshafte Beschädigung fremden Eigen- thums oder durch andere boshafte Hand¬ lungen oder Unterlassungen unter besonders gefährlichen Verhältnissen; jedoch in allen diesen Fällen nur dann, wenn entweder nach dem Gesetze auf mindestens fünfjährige Kerker - strafe zu erkennen ist, oder in der Anklage¬ schrift ausdrücklich beantragt ist, auf eine mehr als fünfjährige Kerkerstrafe zu er¬ kennen ; 181 ck) durch Menschenraub; e) durch Betreibung eines fortgesetzten Verkehrs mit Sklaven; l) durch Entführung, jedoch nur dann, wenn nach dem Gesetze mindestens auf fünfjährige Kerkerstrase zu erkennen ist; 5. Mißbrauch der Amtsgewalt; 6. Verfälschung der öffentlichen Creditspapiere; 7. Münzverfälschung; 8. Religionsstörung, jedoch nur dann, wenn in der Anklageschrift ausdrücklich beantragt ist, auf eine mehr als fünfjährige Kerkerstrafe zu erkennen; 9. Nothzucht; 10. Schändung, jedoch nur unter der oben (4 o) angeführten Bedingung; I I. Unzucht wider die Natur, jedoch nur in dem Falle, wenn nach dem Gesetze auf mindestens fünf¬ jährige Kerkerstrafe zu erkennen ist; 12. Mord und Todtschlag; 13. Abtreibung der Leibesfrucht wider Wissen und Willen der Mutter, wenn nach dem Gesetze auf Kerker¬ strafe zwischen fünf und zehn Jahren zu erkennen ist; 14. Weglegung eines Kindes unter der gleichen Bedingung; 15. schwere körperliche Beschädigung, ebenfalls unter der sub 13 bezeichneten Bedingung; 16. Zweikampf; 17. Brandlegung; 18. Diebstahl, und zwar die sub 16-—18 an¬ geführten Verbrechen nur dann, wenn nach dem Gesetze auf mindestens fünfjährige Kerkerstrafe zu erkennen ist; 19. Veruntreuung, jedoch mir unter der oben (4 e.) angeführten Bedingung; 20. Raub; 9* 182 21. Betrug, wenn nach dem Gesetze mindestens ans fünfjährige Kerkerstrafe zu erkennen ist; 22. Verleumdung, wcnu in der Anklageschrift be- antragt wird, auf eine mehr als fünfjährige Kerker¬ strafe zu erkennen; 23. Verbrechern geleisteter Vorschub, jedoch nur in dem Falle, wenn auf Kerker zwischen fünf und zehn Jahren zu erkennen ist; 24. Herabwürdigung der Verfügungen der Be¬ hörden und Aufwiegelung; 25. Aufreizung zu Feindseligkeiten gegen Natio¬ nalitäten, Neligionsgenossenschaften u. dergl. Theilt man die hier angeführten Delicte in Grup¬ pen, fo wird man eine leichte Uebersicht über die zur Competenz der Schwurgerichte gehörigen strafbaren Handlungen erhalten. Diese Gruppen sind: 1. sämmtliche durch den Inhalt einer Druckschrift verübten Verbrechen und Vergehen; 2. die politischen Verbrechen und Vergehen. Zu ersteren gehören die Verbrechen des Hochverrates, der Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, des Aufstandes und Aufruhrs, der öffentlichen Gewalt- thätigkeit durch gewaltsames Handeln gegen eine von der Regierung zur Verhandlung öffentlicher Angele¬ genheiten berufene Versammlung, gegen ein Gericht oder eine andere öffentliche Behörde, sowie gegen gesetzlich anerkannte Körperschaften oder gegen Versammlungen, die unter Mitwirkung oder Aufsicht einer öffentlichen Behörde gehalten werden; ferners die zwar strenge ge¬ nommen nicht politischen, aber mit den politischen De- licten auf das. innigste verwandten Verbrechen des Mißbrauches der Amtsgewalt, der Verfälschung öffent¬ licher Creditspapiere und der Münzverfälschung, welche drei Verbrechen selbst in dem Falle, als in der An- 133 klageschrift nur die Anwendung des Strnfsatzes von 1 bis 5 Jahren beantragt wird, zur Competenz der Schwurgerichte gehören. Zu den Politischen Vergehen gehören das Vergehen der Aufwiegelung und das Ver¬ gehen der Aufreizung zu Feindseligkeiten gegen Natio¬ nalitäten, Religionsgenvssenschaften u. s. w.; 3. alle bisher nicht bezeichneten Verbrechen, bei welchen über fünf Jahre schweren Kerkers hinaus¬ gegangen werden kann, bei denen demnach die gesetzlichen Bedingungen des höheren Strafsatzes von vorhinein zutreffen oder aber — falls das Gesetz die Anwendung des Strafsatzes über fünf Jahre dem Richter fakulta¬ tive einräumt der Antrag des Anklägers, auf eine mehr als fünfjährige Kerkerstrafe zu erkennen, vorliegt. Die Competenz der Schwurgerichte ist demnach eine ausgedehnte, zumal nahezu jede strafbare Hand¬ lung in der Richtung des 8 5 St. G. durch den In¬ halt einer Druckschrift veriibt werden kann. Wenn also z. B. jemand dritte Personen in einer Druckschrift zur Ermordung einer bestimmten Person auffordern würde und die Aufforderung den gewünschten Erfolg hätte, so läge Mitschuld am bestellten Morde (88 5, 134 und 135 Z. 3), und wenn die Aufforderung keinen Erfolg hätte, versuchte Verleitung zum bestellten Morde (88 9, 134 und 135 Z. 3) vor, und es würde in beiden Fällen die Competenz des Schwurgerichtes Platzgreifen, weil beide Verbrechen durch den Inhalt einer Druck¬ schrift begangen worden wären. Ebenso kann in einer Druckschrift zur öffentlichen Gewaltthätigkeit, Religions¬ störung, zum Diebstahle, zur Veruntreuung, zum Be¬ trüge, zur Brandlegung u. s. w. aufgefordert werden. Die Competenz der Schwurgerichte erfährt wei¬ ters eine große Ausdehnung durch die Bestimmung des 8 56 St. P. O., der sagt: Liegen demselben Be- 134 — schuldigten mehrere strafbare Handlungen zur Last, oder haben sich an derselben strafbaren Handlung meh¬ rere Personen betheiliget, oder hat eine dieser letztem auch noch in Verbindung mit anderen Personen straf¬ bare Handlungen begangen: so ist in der Regel dlis Strafverfahren gegen alle diese Personen nnd wegen aller dieser strafbaren Handlungen bei demselben Ge¬ richte gleichzeitig zu führen und über alle zusammen- treffendeu Strafsachen ein Endurtheil zu fällen- Zu diesem Verfahren ist dasjenige unter den dabei in Frage kommenden Gerichten, welches den anderen zu¬ vorgekommen ist, zuständig. Gehört jedoch eine der zusammentref¬ fenden Strafsachen vor das Ges chw orne n- gericht, so gibt sie für die Zuständigkeit den Ausschlag, wenngleich ein für eine andere Strafsache zuständiges Gericht zuvorgekvmmen wäre. Aus dieser Bestimmung folgt, daß jede im all¬ gemeinen Strafgesetze behandelte strafbare Handlung, ohne Unterschied, ob sie ein Verbrechen, Vergehen oder eine Übertretung begründet, dann vor die Ge- schwornen kommen kann, wenn sie mit einem zur Compe- tenz der Jury gehörigen Delicte concurrirt. Wenn also z. B. des Mordes als unmittelbarer Thäter angeklagt ist, dabei aber auch noch das Vergehen des Auflaufes und die Uebertretung der vorsätzlichen kör¬ perlichen Beschädigung begangen hat, sein Mitschuldiger 6 in Gemeinschaft mit 6 und v einen an und für sich nicht zur Competenz der Jury gehörigen Dieb¬ stahl verübt hat, so ist das Geschwornengericht zur Entscheidung über alle genannten strafbaren Hand¬ lungen competent. 135 24. Bildung der Geschwornenlisten. Die Bildung der Geschwornenlisten ist durch das im Anhänge abgedruckte Gesetz vom 23. Mai 1873 geregelt. Die Bestimmungen dieses Gesetzes sind so klar, daß wir eine Erläuterung derselben für unnoth- wendig halten und daher, auf den Gesetzestext ver¬ weisend, hier der Uebersicht wegen lediglich die Car¬ dinalpunkte hervorheben. Die Geschwornenlisten sind u) Urlisten, ll) Jahres¬ listen (Haupt-Ergänzungslisten) und c) Dienstlisten. Die Urlisten, welche anfangs September jeden Jahres von einer aus dem Gemeindevorsteher und zwei von ihm aus der Gemeindevertretung gewählten Mitgliedern bestehenden Commission anzufertigen sind, enthalten ein alphabetisches Verzeichniß aller jener Per¬ sonen in der Gemeinde, welche zum Amte eines Ge- schwornen gesetzlich befähigt sind und nicht bereits ihre Befreiung erwirkt haben. Nach Verstreichung der achttägigen Reclamations- srist ist die richtig gestellte Urliste vom Gemeindevor¬ steher den: Bezirkshauptmann zu übergeben, der sämmt- liche Urlisten seines Sprengels prüft, eventuell berich¬ tigen läßt, und sohin, nachdem er in denselben die zum Geschwornenamte vorzüglich geeigneten Männer be¬ zeichnet hat, dem Präsidenten des Gerichtshofes erster Instanz vorlegt. Dieser beruft im Monate November jeden Jahres eine unter seinem Vorsitze aus drei Rich¬ tern und drei Vertrauensmännern bestehende Commis¬ sion ein, welche die Jahresliste für den Gerichtshof- Sprengel zusammenstellt. Diese Commission, bei deren Sitzung ein Abgeordneter des politischen Landeschefs nut berathender Stimme zu interveniren hat, entscheidet 136 vorerst über die Beschwerden gegen die Entscheidungen der Gemeindecommission, veranlaßt die Eintragung der gesetzwidrig in der Urliste übergangenen Personen und bildet sohin die aus einer Haupt- und einer Ergänzungs¬ liste bestehende Jahresliste. In die Hauptliste, aus welcher die Hauptgeschwor- nen für das nächste Jahr genommen werden, trügt die Commission aus den Urlisten jene Personen ein, welche sie für die fähigsten und würdigsten zum Geschwornen- amte hält. In die Ergünzungsliste, aus welcher die Ergän- zungsgeschworneu genommen werden, trägt die Com¬ mission in gleicher Weise auserkorene Männer ein, welche am Sitzungsorte des Schwurgerichtshofes oder in dessen nächster Umgebung wohnen. Die Dienst liste endlich, welche die 36 Haupt- geschwornen und 9 Ergänzungsgeschwornen für die je¬ weilige Schwurgerichtsperiode enthält, wird 14 Tage vor Beginn der Schwurgerichtssession in öffentlicher Sitzung beim Gerichtshöfe erster Instanz unter dem Vorsitze des Präsidenten und in Gegenwart zweier Richter, des Staatsanwaltes und eines Abgeordneten der Advokatenkammer durch das Los in der Weise ge¬ bildet, daß in eine Urne die Namen der in die Jahres- Hauptliste und in die andere Urne die Namen der in die Jahres-Ergänzungsliste eingetragenen Personen ge¬ legt und sohin aus der ersten Urne 36 und aus der zweiten 9 Namen herausgezvgen werden. Die so ausgelosten 36 Haupt- und 9 Ergänzungs¬ geschwornen sind vom Präsidenten des Gerichtshofes rechtzeitig und schriftlich unter Bekanntgabe des Ortes, des Tages und der Stunde des Beginnes der Schwur¬ gerichtssitzungen vorzuladen. 137 26. Zusammensetzung des Geschmornengcrichles. Das Geschwvrnengericht, welches am Sitze jedes Gerichtshofes erster Instanz in der Regel alle drei Monate zu ordentlichen Schwurgerichtssitzungen Zu¬ sammentritt, besteht aus einem'Gerichtshöfe und zwölf Geschwornen (Geschwornenbank). Der Gerichtshof des Geschwornengerichtes besteht aus drei Richtern, von denen einer den Vorsitz führt, und dem Schriftführer. Der Vorsitzende und sein Stellvertreter werden in der Regel sechs Wochen vor dem Beginne der Schwurgerichtsfitzungen vom Prä¬ sidenten des Gerichtshofes zweiter Instanz, die übrigen Mitglieder des Schwurgerichtshvfes und zwei Ersatz¬ richter aber vom Präsidenten des Gerichtshofes erster Instanz ernannt. Die Geschwornenbank wird unmittel¬ bar vor dem Beginne der jedesmaligen Hauptverhand¬ lung in nicht öffentlicher Sitzung des Schwurgerichts¬ hofes und in Gegenwart des Anklägers, des Privat¬ betheiligten, des Angeklagten und seines Vertheidigers, sowie der vorgeladenen Geschwornen auf nachstehende Art gebildet. Es werden vorerst die 36 Hauptgeschwvrnen durch den Schriftführer aufgerufen. Sind deren weniger als 30 erschienen, so find die fehlenden aus den 9 Ergän- zungsgeschwornen in der durch das Los bestimmten Reihenfolge zu ersetzen. Sobald die Zahl von wenigstens 30 Geschwornen vollständig ist, richtet der Vorsitzende bei sonstiger Nich¬ tigkeit an den Ankläger, an den Privatbetheiligten, an den Angeklagten und an die Geschwornen die Frage, ob bei einem der letzteren ein Grund vorhanden sei, 138 der ihn vvn der Theilnahme an der vorliegenden Ver¬ handlung ausschließe. Diese Gründe sind: 1. Wenn der Geschworne zu den Parteien oder deren Vertretern in einem solchen Verhältnisse steht, welches in Gemäßheit des tz 67 einen Richter von der Ausübung des Richteramtes ausschließen würde. Dies ist der Fall, wenn der Geschworne selbst der durch die strafbare Handlung Verletzte, oder wenn der Beschuldigte oder Verletzte mit ihm durch das Band der Ehe verbunden, oder wenn der Beschuldigte, der Verletzte, der Staatsanwalt, der Privatankläger oder der Vertheidigerstnit ihm in auf- oder absteigender Linie verwandt (Vater, Großvater, Urgroßvater, rücksichtlich Sohn, Enkel, Urenkel, oder Mutter, Großmutter, Ur¬ großmutter, rücksichtlich Tochter, Enkelin, Großenkelin) oder verschwägert (Schwiegervater, Schwiegermutter, deren Eltern und Großeltern), sein Geschwisterkind oder noch näher mit ihm verwandt (z. B. Bruder oder Schwester, Onkel oder Tante, Neffe oder Nichte) oder in gleichem Grade verschwägert ist (in demselben Grade, in welchem der eine Ehegatte mit einer be¬ stimmten Person verwandt ist, ist der andere Ehegatte mit dieser Person verschwägert), oder zu ihm iu dem Verhältnisse von Wahl- oder Pflegeeltern oder Kindern, eines Vormundes oder eines Mündels steht; 2. wenn er aus der Freisprechung oder Verur- theilung des Angeklagten einen Nutzen oder Schaden zu erwarten hat; 3. wenn er in der vorliegenden Sache als Ge¬ richtszeuge verwendet wurde; wenn er als Anzeiger, Ankläger, Vertheidiger oder Vertreter des Privat - betheiligteu aufgetreten ist, oder als Zeuge oder Sach¬ verständiger abgehört wurde oder abgehört werden soll; 139 4. wenn er bei einer früheren Hauptverhandlung über dieselbe Strafsache, welche nunmehr zur neuer¬ lichen Hauptverhandlung gelangt, sich als Geschworner betheiligt hat. Ein solcher Fall ist möglich, wenn der Schwurgerichtshof mit Stimmeneinhelligkeiit die Ent fcheidung der früheren Geschwornen wegen Jrrthums in der Hauptsache vor ein anderes Geschwornengericht der nächsten Schwurgerichtssitzung verwiesen; wenn der Cassationshof den Wahrspruch der Geschwornen und das darauf beruhende Urtheil aufgehoben und die Sache in die nächste Schwurgerichtssitzung zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung verwiesen; oder endlich, wenn der Cassativnshof dasselbe aus dem Grunde ge- than hat, weil jene Thatsachen, die er seiner Entschei¬ dung zugrunde zu legen hätte, durch den ersten Wahr¬ spruch nicht festgestellt sind. Die Auslosung der Geschwornen, welche die Ge- schwornenbank zu bilden haben, darf nur dann beginnen, wenn wenigstens 24 Geschwvrne, die nicht in Gemä߬ heit der vvrausgegangenen Bestimmungen ausgeschlossen wurden, zugegen sind, es sei denn, daß alle zur Ab¬ lehnung von Geschwornen Berechtigten sich ausdrücklich nut einer geringeren Anzahl einverstanden erklären. Von der Zahl der Geschwornen, soweit sie zwölf übersteigt, kann der Ankläger die eine, der Angeklagte die andere Hälfte ablehnen. Ist die Zahl der ablehn¬ baren Geschwornen eine ungerade, so kann der Ange¬ klagte um einen mehr ablehnen als der Ankläger, wonach z. B. bei l7 der Angeklagte 9 und der An¬ kläger 8 abzulehnen berechtiget ist. Mehrere Ankläger oder Angeklagte üben das ihnen zustehende Ablehnungs¬ recht gemeinschaftlich aus. Nach Feststellung der Art des Ablehnungsrechtes wird aus der Urne, in welche die Namen der übrig- 140 gebliebenen Geschwvrnen gelegt worden sind, vvm Vor¬ sitzenden ein Name gezogen und verlesen. Hierauf hat zuerst der Ankläger und sohin der Angeklagte zu er¬ klären, ob der gezogene Geschworne angenommen oder abgelehnt werde. Erfolgt von keiner Seite eine Ab¬ lehnung, so tritt der Geschworne in die Geschwornen- bank. Auf diese Art wird fvrtgelost, bis die Zahl 12 voll ist oder nur noch so viele Namen in der Urne sind, als zur Ergänzung der Zahl der Geschwvrnen bis auf 12 erfordert werden. Bei Hanptverhandlungen, die einen längern Zeitraum in Anspruch nehmen, kann der Vorsitzende verfügen, daß ein oder zwei Ersatz- geschworne zugezvgen werden, welche im Falle der Verhinderung von Hauptgeschwornen in der Reihen¬ folge, in der ihr Name gezogen wurde, an deren Stelle zu treten haben. Die Geschwvrnen haben ihre Sitze in der Reihen¬ folge, in der ihre Namen aus der Urne gezogen wur¬ den, einzunehmen. Sobald die Geschworuenbank ge¬ bildet ist, beginnt die öffentliche Hauptverhandlung. 26. Ilebersicht des Ganges der Hiinptverhaudlnng. Zuerst wird die Sache durch deu Schriftführer aufgerufen. Sohin befragt der Vorsitzende den Angeklagten, und wenn deren mehrere sind, jeden einzeln um Vvr- und Zunamen, Alter, Geburtsort, Zuständigkeits¬ gemeinde, Religion, Stand (falls er verehlicht ist, um die Zahl und das Alter der Kinder), Gewerbe oder Beschäftigung, die Vermögensverhältnisse und die Schul¬ bildung, sowie um das Vorleben mit Rücksicht auf allfällige Abstrafungen, und ermahnt ihn (rücksichtlich 141 dieselben) zur Aufmerksamkeit auf die vorzutragende Anklage und auf den Gang der Verhandlung. Hierauf wird vom Vorsitzenden die Beeidigung der Geschwornen vorgenommen. Der Vorsitzende hält zu diesem Behufe an die Geschwornen, welche sich von ihren Sitzen erheben, nachstehende Anrede: „Sie schwo¬ ren und geloben vor Gott, die Beweise, welche gegen und für den Angeklagten werden vorgebracht werden, mit der gewissenhaftesten Aufmerksamkeit zu prüfen, nichts unerwogen zu lassen, was zum Vortheile oder zum Nachtheile des Angeklagten gereichen kann; das Gesetz, dem sie Geltung verschaffen sollen, treu zu be¬ obachten; vor ihrem Ausspruche über deu Gegenstand der Verhandlung mit niemand, außer mit ihren Mit geschwornen, Rücksprache zu nehmen: der Stimme der Zn- oder Abneigung, der Furcht oder der Schaden¬ freude kein Gehör zu geben, sondern sich mit der Un¬ parteilichkeit und Festigkeit eines redlichen und freien Mannes nur nach den für und wider den Angeklagten vorgeführten Beweismitteln und Ihrer darauf gegrün¬ deten Ueberzeugung so zu entscheiden, wie Sie es vor Gott und Ihrem Gewissen verantworten können." Sodann wird jeder Geschworne einzeln vom Vor¬ sitzenden aufgerufen und antwortet, indem er drei Finger (Daumen, Zeige- und Mittelfinger) der rechten Hand empvrhält: „Ich schwöre, so wahr mir Gott helfe!" Nach der Beeidigung der Geschwornen läßt der Vorsitzende durch den Schriftführer die Zeugen und Sachverständigen aufrufen. Der Vorsitzende erinnert sohin die Zeugen an die Heiligkeit des von ihnen ab¬ zulegenden, eventuell bereits in der Voruntersuchung abgelegten Eides und läßt sie hierauf in das Zeugen¬ zimmer abtreten. Der Privatankläger und Privat- 142 — beteiligte hat das Recht, bei der Sitzung anwesend zu sein, wenn er nicht als Zeuge fungirt, in welchem Falle ihn der Vorsitzende unbeschadet seines Rechtes, sich durch einen Andern bei der Verhandlung vertreten zu lassen, gleichfalls abtreten lassen kann. Sind Zeugen oder Sachverständige bei der Haupt- verhandlnng nicht erschienen, so kann der Gerichtshof deren ungesäumte Vorführung verfügen. Ist diese nicht möglich, so entscheidet der Gerichtshof nach Anhörung des Anklägers und des Angeklagten oder seines Ver- theidigers, ob die Hauptverhaudlung vertagt oder fort¬ gesetzt werden und die Verlesung der von den nicht erschienenen Zeugen oder Sachverständigen in der Vor¬ untersuchung abgelegten Aussagen erfolgen soll. Die Sachverständigen haben im Sitzungssaale zu verbleiben, sobald es der Vorsitzende zur Erforschung der Wahr¬ heit zweckdienlich findet. Nachdem die Zeugen abgetreten sind, läßt der Vorsitzende die Anklageschrift, und falls ein Erkenntnis; vorliegt, vermöge dessen ein Anklagepunkt zu entfallen hat, auch dieses verlesen. Hierauf wird der Angeklagte vom Vorsitzenden über den Inhalt der Anklage vernommen. Erklärt der Angeklagte, er sei nicht schuldig, so hat ihm der Vorsitzende zu eröffnen, daß er berechtiget sei, der Anklage eine zusammenhängende Erklärung des Sach¬ verhaltes entgegenzustellen und nach Anführung jedes einzelnen Beweismittels seine Bemerkungen darüber vorzubriugen. Weicht der Angeklagte von seinen Angaben in der Voruntersuchung ab, so ist er über die Gründe dieser Abweichung zu befragen. Der Vorsitzende kann in diesem Falle, sowie auch dann, wenn der Ange¬ klagte eine Antwort verweigert, das Protokoll der Vor- 143 Untersuchung ganz oder theilweise verlesen lassen. Nach der Vernehmung des Angeklagten sind die Beweise, und zwar in der Regel die vom ^Ankläger vorgebrachten Beweise zuerst, vorzuführen. Die Zeugen und Sachverständigen sind einzeln vorzurufen und in der Regel in Gegenwart des An¬ geklagten abzuhören. Findet der Vorsitzende es aus¬ nahmsweise nothwendig, den Angeklagten während des Verhöres eines Zeugen oder Mitangeklagten abtreten zu lassen, so muß er ihm bei seinem Wiedererscheinen den Inhalt des in seiner Abwesenheit Ausgesagten mittheilen. Zeugen, die ausnahmsweise in der Voruntersuchung beeidet wurden, sind an den abgelegten Eid zu er¬ innern, alle anderen Zeugen sind nach Beantwortung der allgemeinen Fragen zu beeiden. Zeugen, deren Aussagen von einander nbweichen, kann der Vorsitzende einander gegenüberstellen. Der Angeklagte muß nach der Abhörung eines jeden Zeugen, Sachverständigen oder Mitangeklagten befragt werden, ob er auf die eben vernommene Aus¬ sage etwas zu entgegnen habe. Außer dem Vorsitzenden sind" auch die übrigen Mitglieder des Gerichtshofes, der Ankläger, der Ange¬ klagte und der Privatbetheiligte so wie deren Vertreter, endlich j e d e r G e schw o r n e mit Inbegriff der Ersatz- geschwornen befugt, an jede zu vernehmende Person, nachdem sie hiezu das Wort vom Vorsitzenden erhalten haben, Fragen zu stellen. Der Vorsitzende ist berech¬ tiget, Fragen, die ihm unangemessen erscheinen, znrück- zuweisen. Die Geschwvrnen können auch Beweisauf¬ nahmen zur Aufklärung von erheblichen Thatsachen beantragen. 144 Protokolle über die Vernehmung von Mitbeschul' digten und Zeugen, dann die Gutachten der Sachver¬ ständigen dürfen nur danu verlesen werden, wenn die Vernommenen in der Zwischenzeit gestorben sind; wenn ihr Aufenthalt unbekannt oder ihr persönliches Erscheinen wegen ihresMters, wegen Krankheit oder Gebrechlich¬ keit, oder wegen entfernten Aufenthaltes, oder aus an¬ dern erheblichen Gründen füglich nicht bewerkstelliget werden konnte; wenn die in der Hauptverhandlung Vernommenen in wesentlichen Punkten von ihren früher abgelegten Aussagen abweichcn; wenn Zeugen oder Mit¬ schuldige die Aussage verweigern, oder wenn über die Verlesung Ankläger und Angeklagter einverstanden sind. Augenscheins- und Besundanfnahmen, Strafextraete, Leumunds- und Vernwgenszeugnisse, Taufscheine und andere Urkunden, die für die Sache von Bedeutung sind, müssen vorgeleseu werden. Nach jeder Verlesung ist der Angeklagte zu be¬ fragen, ob er darüber etwas zu bemerken habe. Im Laufe oder am Schluffe des Beweisverfahrens läßt der Vorsitzende dem Angeklagten, nach Umständen auch den Zeugen und Sachverständigen die zur Auf¬ klärung des Sachverhaltes dienlichen Gegenstände (cor¬ pora clolicti) zur Aguoseirung, d. h. zur Erklärung, ob sic dieselben anerkennen, vorlegen. Nach Schluß des Beweisverfahreus verliest der Vorsitzende die von ihm nach vorläufiger Berathung mit dem Gerichts¬ höfe festgestellten, au die Geschwornen zu richtenden Fragen. Die Parteien sind berechtiget, Abänderung der Fragen und Hinzufügung anderer Fragen zu bean tragen, worüber der Gerichtshof sogleich entscheidet. Wird die Fragestellung abgeündert, so müssen die Fragen nochmals verlesen werden. 145 Wenn sich im Lanfe der Hauptverhandlung zeigt, daß das Strafverfahren ohne den Antrag eines ge¬ setzlich berechtigten Anklägers eingeleitet oder gegen dessen Willen fortgesetzt worden sei; wenn der Anklä¬ ger, ehe die definitiv sestgestelltsn Fragen verlesen werden, von der Anklage zurücktritt; wenn die Straf¬ barkeit der dem Angeklagten zur Last gelegten That durch Verjährung oder Begnadigung aufgehoben, oder die Verfolgung aus Gründen des Prozeßrechtes (z. B. wenn der Privatankläger in der gesetzlichen Frist die Anklageschrift nicht eingebracht hat) ausgeschlossen ist: so hat der Gerichtshof die Parteien in der gesetzlich bestimmten Reihenfolge (Ankläger, Privatbetheiligte, Angeklagter) zu hören und sohin auf Freisprechung des Angeklagten zu erkennen, in welchem Falle die Frage¬ stellung au die Geschwornen entfällt. Nach Verlesung der Fragen erhält zuerst der An¬ kläger (Staatsanwalt, Privatankläger, Subsidiär-An¬ kläger) das Wort zur Stellung des Schlußantrages. Nach ihm wird der Privatbetheiligte, sohin der An¬ geklagte und dessen Vertreter gehört. Die Plaidoyers haben sich lediglich auf die Schuldfrage zu erstrecken. Sohin folgt das Resume des Vorsitzenden. Dieser faßt die wesentlichen Ergebnisse der Hauptverhandlung in einer gedrängten Darstellung zusammen, führt in mög¬ lichster Kürze die für und wider den Angeklagten sprechenden Beweise auf, ohne seine eigene Ansicht darüber kund zu geben, erklärt den Geschwornen die gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung und die Bedeutung der in den Fragen vorkommenden gesetzli¬ chen Ausdrücke, und macht sie auf ihre Pflichten im allgemeinen und insbesondere auf die Vorschriften über ihre Berathung und Abstimmung aufmersam. Daraus übergibt der Vorsitzende den Geschwornen die Fragen, 10 146 sowie die Prozeßacten mit Ausnahme der in der Haupt¬ verhandlung nicht verlesenen Vernehmungsprotokolle, endlich die Beweisgegenstände, und läßt sie in ihr Be- rathungszimmer abtreten, den Angeklagten aber ab¬ führen. Nach beendeter Abstimmung kehren die Geschwor- nen in den Sitzungssaal zurück und nehmen wieder ihre Plätze ein. Der Obmann erhebt sich sohin und spricht: „Die Geschwornen haben nach Eid und Ge¬ wissen die an sie gestellten Fragen beantwortet wie folgt:" Hierauf verliest er die Fragen und nach jeder den beigefügten Ausspruch der Geschwornen. Wenn der Gerichtshof den Ausspruch nicht un¬ deutlich , unvollständig oder in sich widersprechend findet (in welchem Falle er auf die nochmalige Zurückziehung der Geschwornen zur Berathung und Verbesserung des Wahrspruches erkennt), und wenn er im Falle eines Schuldigspruches nicht einstimmig der Ansicht ist, daß sich die Geschwornen bei diesem Ausspruche in der Hauptsache geirrt haben (in welchem Falle er die Sache vor ein anderes Geschwornengericht der nächsten Schwur¬ gerichtssitzung verweist), so wird der Angeklagte vor¬ geführt und ihm der Wahrspruch der Geschwornen durch den Schriftführer vorgelesen. Lautet der Ausspruch der Geschwornen auf Nicht¬ schuldig, so fällt der Schwurgerichtshof sofort das Frei- sprechungsurtheil. Ist der Angeklagte schuldig erklärt worden, so erhält der Ankläger das Wort zur Stel¬ lung des Antrages über die Strafbestimmung so wie über die zu berücksichtigenden Erschwerungs- und Mil¬ derungsumstände. Sohin werden der Privatbetheiligte, der Angeklagte und sein Vertheidiger gehört, deren 147 Ausführungen sich lediglich auf die Strafanwendung und die Entschädigungsansprüche zu beschränken haben. Hierauf zieht sich der Gerichtshof zur Urtheils- fchöpfung zurück. Unmittelbar nach Fällung des Er¬ kenntnisses ist dasselbe vom Vorsitzenden in öffentlicher Gerichtssitzung in Gegenwart des Anklägers, des An¬ geklagten und des Vertheidigers zu verkünden, wobei der Vorsitzende die Gründe der Strafzumessung unter Verlesung der Gesetzesstellen, worauf sich das Erkennt- niß gründet, anzugeben und den Angeklagten über die ihm zustehenden Rechtsmittel zu belehren hat. Damit ist die Hauptverhandlnng beendet. Um den Lesern den soeben besprochenen, außerordentlich wich¬ tigen Gegenstand recht klar zu machen, wollen wir im folgenden Abschnitte ein Bild einer Hauptverhandlnng entwerfen. Allerdings werden wir nur das unumgäng¬ lich Nothwendige vorsühren und den Angeklagten so- wol als alle Zeugen, Sachverständigen und Parteien nur das striete zur Sache Gehörige reden lassen, um nicht einen ungebührlichen Raum in Anspruch zu nehmen und die Leser durch Unwesentliches weder zu verwirren noch zu ermüden. 27. Bild einer Hauptverhandlnng vor den Geschwornen. Nachdem die Geschwornen ihre Sitze eingenommen haben, beginnt die öffentliche Sitzung. Schriftführer (ruft auf): Hauptverhandlung gegen Peter Brandmann wegen Verbrechens des vollbrachten Raubmordes. Der Vorsitzende läßt den Angeklagten vortreten. Vorsitzender: Wie heißen Sie? Angeklagter: Peter Brandmann. 10* 148 Vors.: Wie alt sind Sie? Angekl.: 25 Jahre. Vors.: Wo sind Sie geboren? Angekl.: In Mittendorf. Vors.: Wohin sind Sie zuständig? Angekl.: Zur Gemeinde Mittendors. Vors.: Welcher Religion? Angekl.: Katholisch. Vors.: Ihr Stand? Angekl. Ledig. Vors.: Was betreiben Sie für ein Gewerbe? Angekl.: Ich helfe meinen Eltern bei der Grund- wirthschaft. Vors.: Haben Sie ein Vermögen? Angekl.: Nein. Vors.: Besuchten Sie die Schule? Angekl.: Nein. Vors.: Wurden Sie schon gerichtlich abgestraft? Angekl.: Ich wurde vor fünf Jahren wegen Ver¬ brechens der schweren körperlichen Beschädigung bei diesem Gerichte mit viermonatlichem Kerker und vor zwei Jahren wegen Verbrechens des Diebstahls mit sechsmonatlichem schweren Kerker abgestraft. Vors.: Ich ermahne Sie zur Aufmerksamkeit auf die vorzutragende Anklage und auf den Gang der Verhandlung. Der Vorsitzende schreitet sohin zur Beeidigung der Geschwornen. Nachdem sämmtliche 12 Geschworne und der Ersatzgeschworne die Eidesformel „Ich schwöre, so wahr mir Gott helfe," gesprochen haben, werden die Zeugen und Sachverständigen vorgerufen. Der Schriftführer verliest die Namen der vorgeladeneu Zeugen und Sachverständigen. Die anfgerufenen Per- 149 svnen antworten mit „Hier", und zeigt sich, daß alle Vorgeladenen erschienen sind. Der Vorsitzende läßt sohin den Privatbetheiligten Anton Mehar, Vormund des minderjährigen Sohnes Alois Primus der erschlagenen Anna Primus, sowie die zwei Sachverständigen Platz nehmen, die Zeugen aber nach der Eideserneuerung in das Zeugenzimmer abtreten. Hierauf verliest der Schriftführer nachstehende Anklageschrift: Die k. k. Staatsanwaltschaft zu U . . . erhebt gegen den verhafteten Peter Brandmann, 25 Jahre alt, ledigen Bauernsohn aus Mitterdorf, die Anklage: Derselbe habe am 21. Jänner 1874 zwischen 11 und 12 Uhr nachts gegen Anna Primus in deren Hause zu Obergereuth in der Absicht, sie zu tödten und sich sohin ihres Geldes zu bemächtigen, dadurch daß er mit einem schweren Holzscheite einen Schlag auf ihren Kopf führte, derart gehandelt, daß daraus deren Tod erfolgte, und sich sohin ihres Geldes, be¬ stehend in einer Staatsnote zu 50 Gulden und drei Banknoten zu 10 Gulden, zusammen 80 Gulden, be¬ mächtiget. Peter Brandmann habe sich dadurch des vollbrachten Verbrechens des Raubmordes nach den §8 134 und 135, Z. 2, St. G., strafbar nach 8 136 St. G., schuldig gemacht. Gründe. In der Nacht vom 21. auf den 22. Jänner d. I. ungefähr um halb 12 Uhr wurde der Grundbesitzer Johann Mejak in Obergereuth durch ein Geschrei aus dem Schlafe geweckt. Mejak horchte auf und überzeugte sich, daß aus dem ungefähr 200 Schritte entfernten 150 Nachbarhause der Witwe Anna Primus Hilferufe er¬ tönten. Sofort kleidete sich Mejak zur Noth an, ergriff eine Hacke und eilte, fortwährend die Worte „Räuber! Zu Hilfe!" ausrufend, gegen das Haus der Anna Primus. In der Nähe des Hauses nngelangt, sah er beim recht¬ seitigen Eckfenster euren Mann herausspringen, verfolgte ihn eine Strecke, gab jedoch die Verfolgung auf, da der Flüchtling bereits einen zu großen Vorsprung ge¬ wonnen hatte. Zum Hanse der Anna Primus rück¬ gekehrt, fand er dort bereits mehrere durch den Lärm aus dem Schlafe aufgeschenchte Dorfbewohner, darunter den Gemeinderath Paul Siber und den Gemeinde¬ ausschuß Alois Ehrlich. Mit den genannten Männern begab sich Mejak sofort in das Haus der Anna Primus. Beim Oeffnen der Thür des Eckstübels bot sich den Eingetretenen ein schrecklicher Anblick dar. Mit Blut übergossen lag die Witwe Anna Primus mitten am Boden, regungslos, neben ihr ein blutbeflecktes Holz¬ scheit. Der Gemeinderath Paul Siber verfügte, nach¬ dem man sich vom Tode der Anna Primus überzeugt hatte, sofort die Sperrung der Wohnung, nm jede Veränderung am Thatorte vor dem Eintreffen der Gerichtscommission hintanzuhalten, stellte vor das Fen¬ ster, aus welchem der muthmaßliche Mörder entsprungen war, eine Wache, damit niemand die im Schnee ganz deutlichen Fußspuren des Thüters verwische, sendete eine Gemeindepatrouille zur Verfolgung des Thäters aus und schickte einen Boten zum Bezirksgerichte in und zum dortigen Gendarmerieposten. Bereits im Laufe des nächsten Vormittages traf die Gerichtscommission aus in Obergereuth ein und nahm iin Hause der Erschlagenen und in dessen Um¬ gebung mit größter Genauigkeit den Augenschein auf. Beim Fenster, aus welchem Mejak den muthmaßlichen 151 Thäter springen sah, und zwar im Zimmer, wurde ein Filzhut am Boden liegen gefunden. Bei näherer Besichtigung dieses Hutes fand man unter dem Futa- ein zusammengelegtes Papier. Es war eine auf Peter Brandmann lautende, vom Bezirksgerichte X ausge¬ stellte Zeugenvorladung für den 21. Jänner 1874, 3 Uhr nachmittags. Diese Entdeckung veranlaßte den Untersuchungsrichter, sofort mit der Hausdurchsuchung bei Peter Brandmann vorzugehen. Brandmann, der beim Erscheinen der Gerichtscommission leichenblaß wurde, behauptete steif und fest seine Unschuld, allein seine auffallende Bestürzung und noch mehr die frischen Hautritzen in seinem Gesichte vermehrten den Verdacht, und dieser wurde noch mehr erhöht, als bei der Durch¬ suchung des Heubodens beim Hause des Anton Fröh¬ lich in Neudorf, auf dem Brandmann die Nacht zu¬ gebracht zu haben behauptete, im Heu versteckt eine Brieftasche mit einer Fünfzigguldennote und drei Zehn¬ gulden-Banknoten gefunden wurden. Brandmann wurde verhaftet und an das Kreisgericht in X als das com- petente Untersuchungsgericht eingeliefert. Die in vbjectiver Richtung gepflogenen Erhebun¬ gen und insbesondere die Obduction der Leiche der Anna Primus ergaben, daß die Genannte durch eine fremde Hand einen gewaltsamen Tod gefunden hatte. Bei der Leichenöffnung wurde ein 3^ Zoll langer, in der Gegend des linken äußeren Ohres beginnender und bis zum Scheitel reichender Sprung des Seiten¬ wandbeines, und diesem entsprechend ein 3*/z Unzen wiegendes Blutextravasat im Gehirne nebst partieller Zertrümmerung der Gehirnsubstanz constatirt, welche Verletzung unbedingt und in wenigen Minuten den Tod durch Gehirnlähmung zur Folge hatte und dem- 152 nach von den Sachverständigen als eine absolut tödt- liche Verletzung erklärt wurde. Da durch die Aussagen der Zeugen Johann Mejak und Georg Halbert constatirt ist, daß Anna Primus am Nachmittage des 21. Jänner 1874 sür eine dem Georg Halbert verkaufte Kuh 80 fl. in Staats- und Banknoten eingenommen nnd dieses Geld in ihre Schub¬ lade gegeben hatte; da beim Lokalaugenscheine die frag¬ liche Schublade aufgesprengt, die darin befindlichen Gegenstände untereinander gewühlt und mit Blut befleckt gefunden wurden, das Geld aber fehlte, so ist es wol außer allem Zweifel, daß Anna Primus in mörderischer und räuberischer Absicht ums Leben ge¬ bracht wurde. Es liegt somit objectiv der Thatbestand des vollbrachten Verbrechens des Raubmordes im Sinne der ZZ 134 nnd 135, Z. 2, St. G. vor. Dieses Verbrechens erscheint Peter Brandmann aus nachstehenden Gründen rechtlich beschuldiget: 1. Wie bereits oben gesagt wurde, hat die Ge¬ richtscommission bei Vornahme des Lokalaugenscheines in der Wohnung der Erschlagenen einen Hut gefunden, hinter dessen Futter eine auf den Namen des Peter Brandmann lautende Zeugenvorladung steckte. Nun ist durch das Zeugenprotokoll des Bezirksgerichtes in und durch das Geständniß des Beschuldigten con¬ statirt, daß derselbe am Nachmittage des 21. Jänner 1874 beim genannten Bezirksgerichte als Zeuge ein- vernommeu wurde und im Besitze der besagten Zeu¬ genvorladung war. Zudem ist durch die Zeugen Bar- thelmä Jenar und Peter Meninger constatirt, daß Brandmann am 21. Jänner 1874 einen Hut trug, welcher dem am Thatorte aufgefundenen vollkommen glich, während er am 22. Jänner 1874 einen ganz anderen, abgetragenen Hut am Kopfe trug. Aus der 153 Aussage des Johanu Mejak, welcher den Thäter beim Fenster herausspringen sah, geht weiters hervor, daß derselbe bloßköpfig war. Es kann also keinem Zweifel unterliegen, daß der Beschuldigte zur Zeit der That unter Umständen am Thatorte war, welche die Mög¬ lichkeit geradezu ausschließen, daß eine andere Person die That begangen haben konnte. 2. Beim Lokalaugenscheine wurden vor jenem Fen¬ ster, aus welchem Johann Mejak den Thäter springen sah, die Stiefelspuren eines Menschen wahrgenommen und von: Hause weg über zwei Aecker hinauf nach der Berglehne bis zu dem, einen Büchsenschuß ober dem Gebäude führenden Fußsteige, wo sie sich verloren, verfolgt. Aus den Fußspuren ergab sich, daß die Stiefel mit Hufeisen beschlagen waren, eine Länge von 10 Zoll 5 Linien und eine Breite von 3 Zoll 6 Linien hatten; daß der Quer- und Längendurchmesser des Stiefel¬ absatzes an der linken Ferse 2 Zoll 3 Linien betrug; ferners daß das linke Hufeisen an sünf Stellen mit Nägeln befestigt war, von denen jedoch der zweite Na¬ gel fehlen mußte, weil an der entsprechenden Stelle kein Eindruck wahrnembar war. Weiters wurde eon- statirt, daß am linken Fuße die Sohlen am Rande mit acht Nägeln beschlagen waren, weil acht Abdrücke wahrnehmbar waren, von welchen die ersten sieben je i/z Zoll von einander entfernt waren, während der achte Nagelabdruck vom siebenten 1 Zoll entfernt war. Bei der Festnehmung des Beschuldigten un wurden dessen Stiefel untersucht und bis ins kleinste Detail mit den beschriebenen Fußspuren conform gefunden. Dieser Umstand für sich allein wäre genügend, jeden Zweifel über die Schuld des Peter Brandmann aus¬ zuschließen. 154 3. An Peter Brandmanu wurde bei seiner Verhaf¬ tung ein bedeutender Hautritzer an der linken Wange constatiert, welcher Umstand nm so schwerer in die Wagschale fällst als die äußere Leichenbesichtigung un¬ zweifelhafte Spuren einer geleisteten Gegenwehr zu er¬ kennen gab. Auch wurde im Nagel des rechten Zeige¬ fingers der Ermordeten ein Kopfhaar gefunden, welches an Farbe und Dicke den Kopfhaaren des Beschuldigten gleicht. Peter Brandmann will die Hautabschürfung bei einer acht Tage vor seiner Arretirung ftattgehabten Rauferei erhalten haben, allein diese Verantwortung ist falsch, da die Zeugen Victor Mayer, Adjunct des Bezirksgerichtes in II, und Alois Simon, Diurnist da¬ selbst, aussagen, daß derselbe am Nachmittage des 21sten Jänner 1874 im Gesichte keine Verletzung hatte. 4. Bei der Durchsuchung des Heubodens beim Hause des Anton Fröhlich, auf dem der Beschuldigte geständigermaßen in der Nacht des Vorfalls war, wurde im Heu versteckt eine Brieftasche mit einer Fünfziggulden- Staatsnote und drei Zehngulden-Banknoten gefunden. Die Staatsnote hat Georg Halbert an seinem rück¬ wärts ausgeschriebenen Namen als diejenige erkannt, die er am 21. Jänner nachmittags der Anna Primus nebst drei Zehnern als Kuhkaufschilling gegeben und die diese in feiner und des Johann Mejak Gegenwart in die nachher erbrochen gefundene Schublade gelegt hatte. Peter Brandmann war demnach auch im Be¬ sitze des geraubten Geldes. Diesen schwerwiegenden Verdachtsgründen gegen¬ über verantwortet sich Brandmann lediglich damit, daß er sich am 21. Jänner abends am Heimwege vom Bezirksgerichte im Wirthshause des Alois Grün¬ wald in Algern berauscht habe und im berauschten Zustande um 11 Uhr nachts zu seiner Geliebten 155 Maria Dunzmann gekommen sei, welche auf dem Heuboden ihres Dienstherrn Anton Fröhlich in Neudorf ihr Nachtlager hatte, und daß er bei ihr die Nacht zugebracht habe. Allein Maria Dunzmann bestätiget zwar wol, daß Brandmann in der fraglichen Nacht bei ihr war, kann jedoch nicht angeben, wann dieser gekommen sei, da sie ihn erst bemerkte, als sie aus dem ersten Schlafe erwachte. Es erscheint somit die Anklage gegen Peter Brand¬ mann um so mehr gerechtfertiget,, als derselbe bereits wegen Verbrechens der schweren körperlichen Beschädi¬ gung und des Diebstahls, somit wegen Verbrechen gegen die persönliche Sicherheit und gegen die Sicherheit des Eigenthums abgestraft wurde und gemeindeämtlich als ein böser und gefährlicher Mensch geschildert wird, daher als eine Person zu betrachten ist, zu der man sich der ihm angeschuldetcn That mit Grund versehen kann. Es wird daher um die Anordnung der Haupt¬ verhandlung vor den Geschwornen gebeten, zu welcher Johann Mejak, Paul Siber, Alois Ehrlich, Bartelmä Jenar, Alois Grünwald, Magdalena Pfeifer, Peter Meniuger, Victor Mayer, Alois Simon, Georg Hal¬ bert, Maria Dunzmann und die Sachverständigen Dr. Salvus und Johann Penko vorgeladen und wobei das Lokalaugenscheins-Protokoll, der Obductionsbefund, das Zeugenverhörs-Protokoll mit Peter Brandmann, der Strafextract, Taufschein und das Leumunds- und Vermögenszeugniß vorgelesen werden wollen. — Vors. (zum Angekl.): Was haben Sie auf die soeben vernommene Anklage zu sagen? Angekl.: Ich bin nicht schuldig. Vors.: Sie sind berechtiget, der Anklage eine zusammenhängende Erklärung des Sachverhaltes ent- 156 gegenzustellen und nach Anführung jedes einzelnen Beweismittels Ihre Bemerkungen darüber vorzubringen. Angekl.: Ich habe sonst nichts zu erwidern, als daß alles falsch ist, was in der Anklageschrift steht, und daß ich unschuldig bin. Ich begab mich am genannten Tage vormittags um ungefähr 9 Uhr nach O. zum Bezirksgerichte, da ich als Zeuge vorgeladen war. Um drei Uhr nachmittags wurde ich verhört. Um 5 Uhr machte ich mich auf den Heimweg nach Mittendorf, kehrte jedoch in dem eine halbe Stunde von entfernten Wirthshause des Alois Grünwald ein. Dort trank ich drei Halbe Wein und verließ ziemlich berauscht etwa um 9 Uhr abends das Haus. Nach ungefähr zwei Stunden Weges kam ich nach Neudorf, und da ich schon müde war und kaum mehr weitergehen konnte, stieg ich auf den Heu¬ boden des Anton Fröhlich, wo meine Geliebte Maria Dunzmann ihr Lager hat, und brachte bei ihr den Rest der Nacht zu. In der Früh ging ich nach Hause. Bors.: Sind Sie auf Ihrem Wege von Algern nach Neudorf durch Obergereuth gegangen? Angekl.: Allerdings, da ich stets nach der Fahr¬ straße ging. Obergereuth dürfte ich um 10 Uhr abends passirt haben. Bors, (weist auf einen am Tische unter den vor- xora äslieti liegenden Hut): Kennen Sie diesen Hut? Angekl.: Nein. Bors.: Setzen Sie den Hut auf! Angekl. thut es. Bors.: Der Hut paßt Ihnen vollkommen. Es liegen auch Zeugenaussagen vor, daß Sie am 21. Jänner 1874 einen gleichen Hut am Kopfe hatten. Angekl.: Das ist nicht wahr. 187 Vors.: Dieser Hut wurde am Morgen nach der That im Zimmer der Ermordeten gefunden. Angekl.: Meinetwegen. Vors.: Kennen Sie diese Zeugenvorladung? (weist eine Vorladung vor). Angekl.: Ja. Es ist meine Vorladung. Ich habe den Zettel in der Kanzlei vorgewiesen und dann in den Hut gelegt. Wahrscheinlich ist der Zettel beim Aufsetzen des Hutes herausgefallen. Vors.: Dieser Zettel wurde hinter dem Futter des ominösen Hutes gefunden, woraus hervorgeht, daß Sie den Hut am Thatorte verlassen haben. Angekl.: Den von mir verlorenen Zettel hat muthmaßlich der Thäter gefunden. Vors. (auf die am Tische der corpora äslieti befindlichen Stiefel weisend): Kennen Sie diese Stiefel? Angekl.: Ja, sie gehören mir. Bors.: Die Spuren dieser Stiefel wurden gleich nach der That unter dem Fenster, aus welchem der Mörder heraussprang, wahrgenommen, da die Abdrücke in Bezug auf die Dimensionen, das Hufeisen, die An¬ zahl, Stellung und Reihenfolge der Nägel bis ins kleinste Detail mit den Stiefeln übereinstimmen. Angekl.: Das ist ein reiner Zufall, daß der Thäter solche Stiefel hatte wie ich. Vors.: Bei Ihrer Arretirung hat man eine Haut¬ abschürfung an Ihrer linken Wange Wahrgenomnien. Woher haben Sie diese Verletzung bekommen? Angekl.: Bei einer acht Tage vorher stattgehabten Rauferei. Vors.: Der Bezirksgerichtsadjunct, der Sie ein¬ vernommen, und sein Schriftführer bestätigen aber, daß Sie am 21. Jänner nachmittags drei Uhr keine Ver¬ letzung im Gesichte hatten. 158 Angekl.: Das haben halt die Herren übersehen. Vors.: Am Nagel der Ermordeten wurde ein Kopfhaar gefunden, das an Farbe und Dicke ganz Ihrem Kopfhaare gleicht. Angekl.: Ein Haar gleicht dem andern. Vors.: Am Heuboden, an dem Sie in der Nacht der That gewesen, wurde das geraubte Geld gefunden. Angekl.: Schon möglich, aber ich habe es nicht hingebracht. Vors.: Ich habe nichts mehr zu fragen. Votant Landesgerichtsrath Dr. Fuchs: Hat Maria Dunzmann geschlafen, als Sie auf den Heuboden kamen? Angekl.: Ja, aber ich habe sie aufgeweckt. Hierauf wird zum Verhöre der Zeugen geschritten. Zeuge Johann Mejak wird vorgerufen, vom Vor¬ sitzenden über die Generalien befragt, beeidet und gibt sohin an: In der Nacht vom 21. auf den 22. Jänner 1874 zwischen 11 und 12 Uhr wurde ich plötzlich durch ein Geschrei aus dem Schlafe geweckt. Ich eilte zum Fenster und vernahm ganz deutlich Hilferufe aus dem Hause der Witwe Anna Primus. Da die Genannte allein in ihrem Hause wohnt, konnten die Hilferufe nur von ihr ausgehen. Ich kleidete mich rasch und nur zur Noth an, verweilte dabei jedoch länger, weil ich in der Bestürzung nicht rasch meine Stiefel an¬ brachte. Mit einer Hacke bewaffnet eilte ich den Hügel hinauf zum Hause der Anna Primus und schrie unter¬ wegs, nm die Dorfbewohner zu allarmiren, fortwährend: „Zu Hilfe, Räuber!" Als ich keuchend in die Nähe des Hauses kam, sah ich einen bloßköpfigen Mann beim Fen¬ ster des Eckstübels herausspringen. Ich verfolgte ihn, allein er hatte schon einen großen Vorsprung gewonnen, 159 weshalb ich von der Verfolgung nm so mehr ablassen mußte, als ich leicht gekleidet war und mich der Frost schüttelte. Zum Hause der Anna Primus zurückgekehrt, fand ich dort den Karl Siber, Alois Ehrlich und meh¬ rere Dorfbewohner. Ich, Siber und Ehrlich begaben uns in das Eckstübel der Anna Primus und fanden sie dort mit Blut übergossen mitten im Zimmer am Boden liegen. Sie war todt, jedoch noch ganz warm. Wir wollten uns im Zimmer umsehen, allein der Gemeinderath Siber untersagte es, damit die Gerichts¬ commission alles in unverändertem Zustande vorfände. Am nächsten Tage kam die Gerichtscommission und überzeugte sich, daß der in der Ecke des Zimmers stehende Schubladkasten erbrochen war und daß das Geld fehlte. Daß nemlich Geld im Kasten war, weiß ich ganz gewiß, weil ich am 21. Jänner 1874 gegen¬ wärtig war, wie Georg Halbert der Witwe Anna Primus für eine ihm verkaufte Kuh 80 Gulden, be¬ stehend in einer Fünfzigguldennote und in drei Zehnern, bezahlte und Anna Primus dieses Geld in die obere Schublade steckte und diese absperrte. Bors, seine Fünfzigguldennote und drei Zehner vorweisend): Ist Ihnen dieses Geld bekannt? Zeuge: Ich habe das Geld damals nicht so genau angesehen, kann daher nicht mit Bestimmtheit sagen, daß das vorliegende Geld dasselbe sei, welches Halbert der Primus gegeben hat. Bors.: Beschreiben Sie den Mann, der aus dem Fenster sprang. Zeuge: Der Manu war mittelgroß, bloßköpfig, hatte hohe Stiefel und ein lichtes Lodenröckel. Im Gesichte habe ich ihn nicht gesehen. Bors.: Sehen Sie sich den Angeklagten an. 160 Zeuge: Ich kenne den Angeklagten von früher. Der fragliche Mann hatte gerade solche Stiefel und gerade einen solchen Rock wie der Angeklagte. Er war auch von derselben Größe; da ich ihn nicht im Gesichte gesehen habe, kann ich nicht sagen, daß jener Mann der Angeklagte war. Vors. (zum Angeklagten): Was haben Sie auf diese Aussage zu entgegnen? Angekl.: Nichts. Sohin wird der Zeuge Paul Siber vorgerufen und nach Beantwortung der allgemeinen Fragen be¬ eidet. Derselbe erzählt, wie er in der fraglichen Nacht durch den Ruf: „Zu Hilfe, Räuber!" aus dem Schlafe erweckt worden sei, sich rasch ankleidete und in die Richtung eilte, aus welcher der Hilferuf ertönte. Beim Haufe der Anna Primus sei er mit Alois Ehrlich zusammengetroffen. Bald darauf sei Johann Mejak stark erschöpft dahergekommen und habe erzählt, daß ein Räuber beim Fenster der Eckstube herausgesprungen sei und er ihn vergeblich verfolgt habe. Hierauf sei Zeuge mit Mejak und Ehrlich ins Eckstübel der Anna Primus gegangen, und dort habe man diese mit Blut bedeckt regungslos am Boden liegen gefunden. Neben ihr sei ein blutiges Holzscheit gelegen. Zeuge habe sich überzeugt, daß Primus todt sei, uud sohin die Thür abgesperrt, damit die Gerichtscommission alles in un¬ verändertem Zustande finde. Da man vor dem Fenster deutlich Fußspuren im Schnee wahrnahm, habe er den Nachtwächter als Wache hinpostirt, damit die Spuren nicht verwischt werden, und darauf habe er einen Eilboten zum Bezirksgerichte und Gendarmerie¬ posten nach geschickt. Das am Tische liegende Holzscheit anerkennt Zeuge als dasjenige, welches neben der Leiche gelegen war. 161 Der Angeklagte hat auf diese Aussage nichts zu erwidern. Der sohin vorgerufene und beeidete Zeuge Alois Ehrlich bestätiget die Angaben des Paul Siber, wo¬ rauf der Angeklagte nichts erwidert. Es wird nun der Zeuge Georg Halbert vorgerufen und nach Beantwortung der allgemeinen Fragen be¬ eidet. Dieser Zeuge sagt aus, er habe am Nachmittage des 21. Jänner 1874 der Witwe Anna Primus in ihrem Hause, und zwar im Eckstübel, als Kaufschilling für eine Kuh 80 sl., und zwar eine Fünfziggulden- Staatsnote und drei Zehngulden-Banknoten, in Gegen¬ wart des Johann Mejak ansbezahlt und gesehen, daß Anna Primus das Geld in die obere Schublade des Kastens legte und die Lade absperrte. Vvrs. (eine Fünfziggulden-Staatsnote und drei Zehngnlden-Banknoten vorweiseud): Ist Ihnen dieses Geld bekannt? Zeuge: Ich habe dieses Geld schon beim Herrn Untersuchungsrichter gesehen. Die Staatsnote zu 50 fl. erkenne ich mit voller Bestimmtheit als diejenige, welche ich am fraglichen Nachmittage der Witwe Anna Pri¬ mus gegeben habe, weil auf der Rückseite mein eigen¬ händig geschriebener Name steht. Die drei Zehngnlden- Banknoten sehen genau so aus, wie jene, dre ich der genannten Witwe gegeben habe. Der Vorsitzende läßt die Fünfzigguldennote unter den Geschwornen circuliren, die sich überzeugen, daß ans der Rückseite der Name „Halbert" geschrieben steht, und sohin die Note zurückgeben. Vors. (zum Angeklagten): Haben Sie auf die Aussage dieses Zeugen etwas zu erwidern? Angekl.: Nein. 11 162 Die darauf einzeln vorgerufenen und beeideten Zeugen Bartelmä Jenar und Peter Meninger sagen übereinstimmend wie in der Voruntersuchung aus, daß der Angeklagte am 21. Jänner 1874 einen Hut trug, welcher dem am Tische liegenden, ihnen vor- gewiesenen Hute vollkommen glich, wogegen er am 22. Jänner 1874 einen ganz anderen, abgetragenen Hut am Kopfe hatte. Der Angeklagte entgegnet darauf, daß diese An¬ gabe unwahr sei. Die sohin einzeln vorgerufenen und beeideten Zeugen Victor Mayer und Alois Simon bestätigen übereinstimmend, daß der Angeklagte am 21. Jänner nachmittags, als er beim Bezirksgerichte in verhört wurde, keine Verletzung im Gesichte hatte. Auf das Aussehen des Hutes, den der Angeklagte damals bei sich hatte, wissen sich die Zeugen nicht zu erinnern. Der Angeklagte entgegnete darauf, daß die Zeugen ihn zu wenig angeschaut haben, sonst würden sie die Hautwunde an seiner Wange sicher bemerkt haben. Der Zeuge Alois Grünwald, Wirth in Algern, und der Zeuge Magdalena Pfeifer, dessen Kellnerin, bestätigen eidlich, daß der Angeklagte am 21. Jänner 1874 nachmittags ungefähr um 6 Uhr in das Wirths- haus kam und dort einige Halbe Wein trank. Er habe ungefähr um 10 Uhr das Lokale verlassen, ohne daß an ihm eine Trunkenheit zu bemerken gewesen wäre. Votant Landesgerichtsrath Piller (zum Zeugen Alois Grünwald): Wer war damals noch im Gast¬ lokale '? Zeuge: Ich weiß mich nur auf Georg Halbert zu erinnern. Dieser hatte eine Kuh bei mir eingestallt, die er einige Stunden vorher von der Witwe Anna 163 Primus gekauft hatte. Er hat mir, während er seinen Wein trank, vom Kaufe erzählt und auch gesagt, daß er für die Kuh 80 fl. bar bezahlt habe. Piller: Hat Peter Brandmann dieses Gespräch hören können? Zeuge: Allerdings, weil er in unmittelbarer Nähe saß. Piller (zu Georg Halbert): Ist diese Angabe des Alois Grünwald richtig? Halbert: Vollkommen. Vors. (zum Angeklagten): Was haben Sie hierauf zu entgegnen? Angekl.: Ich habe von diesem Kuhkaufe nicht ein Wort gehört. Hierauf wird der Zeuge Maria Dunzmann vor¬ gerufen, nach Beantwortung der allgemeinen Fragen beeidet und gibt sohin im Gegenstände an: Auf dem Heuboden meines Dienstherrn ist eine fensterlose Kammer mit Bretterwänden, in welcher ich meine Habseligkeiten aufbewahrt habe und in der ich gewöhnlich schlafe. Am 21. Jänner legte ich mich um 9 Uhr in dieser Kammer schlafen und schlief, von der Arbeit ermüdet, bald ein. Als ich aus dem ersten Schlafe erwachte, sah ich meinen Liebhaber Peter Brand¬ mann am Rande meines Bettes sitzen. Er blieb dann bis 3 Uhr früh bei mir. Vors.: Wann erwachten Sie aus dem ersten Schlafe? Zeuge: Das kann ich nicht bestimmt sagen. Vors.: Wie lange pflegt Ihr erster Schlaf zu dauern? Zeuge: Vier Stunden und oft noch mehr. 11* 164 Vors.: Demnach mußte es schon 1 Uhr nach Mitternacht gewesen sein, als Sie in der fraglichen Nacht erwachten? Zeuge: Jedenfalls. Vors.: War es wol möglich, daß Sie um 1 Uhr nachts im Verschlage jemanden sehen konnten? Zeuge (stockt). Bors.: Ich erinnere Sie an den abgelegten Eid. Sprechen Sie die Wahrheit. Zeuge (zum Angeklagten gewendet): Ich kann dir nicht helfen. Meine Seele ist mir lieber als du. (Zum Vorsitzenden:) Es dämmerte bereits der Morgen, als Brandmann zu mir kam. Ich Hütte dies gleich ge¬ sagt, aber ich fürchte mich vor Brandmann. Vors.: Haben Sie damals nichts auffallendes an Brandmann bemerkt? Zeuge: O ja. Brandmann war blutig im Ge¬ sichte, sehr aufgeregt und benahm sich ganz anders als sonst. Ich dachte mir, daß er irgendwo gerauft habe. Vors.: Hat Ihnen Brandmann keine Mittheilung gemacht, von wo er gekommen sei und was er gemacht habe? Zeuge: Kein Wort hat er erzählt. Vors. (zum Angeklagten): Was haben Sie auf diese Aussage zu erwidern? Angekl.: Ich bin schon lange am Bette gesessen, bevor die Marie wach geworden ist. Ich war vom Wege müde und zudem ziemlich berauscht, daher ist es erklärlich, daß ich wenig sprach. Geschworner Jereb (zu Dunzmann): Hatte Brand¬ mann damals einen Hut auf? Dunzmann (nach einigem Nachdenken): Mir scheint nicht. — Nein, er hatte keinen Hut. 165 Angekl.: Mein Hut lag auf deiner Kiste. Der Vorsitzende verliest sohin das Lokalaugen¬ scheins-Protokoll, das die in der Anklageschrift berührten Feststellungen, insbesondere eine genaue Beschreibung des Hauses der Anna Primus und dessen Umgebung, der Lokalitäten im Hause und speciell des Eckstübels, in dem die That geschah, der Lage des Hauses, des Leichnams der Anna Primus, der Kleidung, des Mord¬ instrumentes, des Schubladkastens, der Einbruchsspuren, der Blutflecken an den Gegenständen in der Schublade, der Stiefelabdrücke vor dem Fenster u. s. w. enthält, sohin die Umstände detailliert bespricht, unter welchen die Arretirung des Angeklagten und die Auffindung des Geldes auf dem Heuboden des Anton Fröhlich erfolgte. Während der Verlesung jenes Theils des Thatbestands- erhebungs-Protokolls, das von den Fußspuren handelt, besehen sich die Geschwornen die Stiefel, welche der Beschuldigte in der fraglichen Nacht anhatte, und wird vom Vorsitzenden deducirt, daß die v or der Verhaftung des Angeklagten constatirten Fußspuren, rücksichtlich die im Schnee vorgefundenen Stiefeleindrücke den Stie¬ feln des Angeklagten vollkommen entsprechen, daß ins¬ besondere der zweite Nagel am linken Hufeisen fehlt und die Sohle des linken Stiefels am Rande mit acht Nägeln beschlagen ist, von welchen die ersten sieben je fls Zoll, der achte Nagel vom siebenten aber einen Zoll entfernt ist, u. s. w. Vors. (zum Angeklagten): Was haben Sie auf die Aussage dieses stummen und doch beredten Zeugen zu erwidern? Angekl. schweigt. Der Vorsitzende verliest sohin das Obductions- protokoll und constatirt, daß an der Leiche der Anna Primus außer fünf Hautabschürfungen im Gesichte und 166 zwei Hautritzern am Halse ein 3^ Zoll langer, am linken Ohrrande beginnender, bis zum Scheitel reichender Sprung des Seitenwandbeines und diesem entsprechend ein 3'/g Unzen wiegendes Blutextravasat nebst partieller Zertrümmerung der Gehirnsubstanz gefunden wurde. Nach Verlesung des Obductionsbefundes tritt Wund¬ arzt Jenko ab, worauf Dr. Salvus vernommen wird. Vors.: Was haben Sie auf die Verlesung des Befundes zu erwidern. Dr. Salvus: Der Befund ist richtig ausgenom¬ men, wie ich ihn dictirte. Ich habe demselben nichts beizusetzen. Vors.: Wie qualisiciren Sie die im Befunde an¬ geführten Verletzungen? Dr. Salvus: Die Hautabschürfungen im Gesichte und am Halse sind einzeln und im Zusammenhänge an und für sich, so wie in Rücksicht auf die Dauer der Heilung und Berufsunfähigkeit leichte Verletzun¬ gen. Dagegen ist der Sprung des Seitenwandbeines und das diesem entsprechende Blutextravasat im Gehirne, verbunden mit der partiellen Zertrümmerung der Ge¬ hirnsubstanz, eine absolut tödtliche Verletzung, d. h. eine solche, welche unter allen Umständen in wenigen Minuten infolge des gewaltigen Druckes auf das Gehirn den Tod durch Gehirnlähmung nach sich ziehen mußte. Beigebracht wurde die Verletzung durch einen mit großer Gewalt und mit einem schweren stumpfen Instrumente, z. B. mit dem vorliegenden Scheite, auf den Kopf geführten Schlag. Daß nur ein Schlag geführt wurde, geht mit Wahrscheinlichkeit da¬ raus hervor, weil an der Kopfhaut, entsprechend dem Sprunge, nur eine geröthete Stelle gefunden wurde. Uebrigens ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß mehrere Streiche geführt worden sind. 167 Vvrs.: Läßt sich aus dem Obduktionsbefunde de- ducireu, wie beschaffen der Angriff gegen Anna Pri¬ mus gewesen sein mochte? Dr. Salons: Da Anna Primus im Nachtgewande mitten im Zimmer liegen gefunden wurde und keine Spuren Hinweisen, daß sie vom Bette weggeschleppt worden sei, ist anzunehmen, daß dieselbe aus dem Bette sprang, als der Mörder beim Fenster hereinstieg, und von demselben gefaßt wurde, bevor es ihr gelang, die Thür zu gewinnen. Da weiters die Hautabschür¬ fungen noch bei Lebzeiten der Anna Primus entstan¬ den sein mußten, dieselbe aber nach dem Schlage so¬ gleich bewußtlos zu Boden gesunken war und nach wenigen Minuten den Geist aushauchte, muß ange¬ nommen werden, daß sie die Hautabschürfungen früher erlitt als den tödtlichen Schlag, daß sie demnach mit dem Thäter früher im Handgemenge war, bevor er ihr den Schlag beibrachte. Dafür spricht auch die Con¬ figuration der fünf Hautabschürfungen, welche den fünf Fingernägeln entsprechen, die Hautabschürfungen am Halse und der Umstand, daß ein fremdes Kopfhaar am Nagel der Getödteten gefunden wurde. Meiner Ansicht nach wurde daher Anna Primus, als sie zur Thür eilen wollte, vom Thäter erfaßt, worauf beide handgemein wurden. Der Thäter muß sich sohin los¬ gerissen, zum Streiche ausgeholt und den tödtlichen Streich geführt haben, worauf Anna Primus regungs¬ los zu Boden stürzte. Bors.: Sie haben das an der Leiche gefundene Kopfhaar mit den Haaren des Beschuldigten verglichen. Finden Sie eine Tehnlichkeit heraus? Dr. Salvus: Der bloße Augenschein zeigt, daß das an der Leiche gefundene Haar den Kopfhaaren des 168 Angeklagten in Bezug auf Farbe und Dichte gleicht. Noch deutlicher kann man dies mit einem Mikroskope sehen. (Hierauf wird das bei der Leiche gefundene Haar und ein Haar des Angeklagten unter ein Mikroskop gelegt und den Geschwornen zur Besichtigung gegeben.) Der sohin vorgerufene Wundarzt Jenko gibt sein Gutachten ganz im Sinne des Dr. Salvus ab. Der Angeklagte hat darauf nichts zu entgegnen. Der Vorsitzende verliest nun das beim Bezirks¬ gerichte 1 aufgenommene Zeugenverhörs-Protokoll mit Peter Brandmann, den Taufschein, Strafextract und das Leumunds- und Vermögenszeugniß des Peter Brandmann, in welch' letzterem dieser als ein übel berüchtigtes, böses und gefährliches Individuum ohne Vermögen geschildert wird. Bors, (zum Zeugen Johann Mejak) : War es in der Nacht vom 21. aus den 22. Jänner 1874 licht oder finster. Zeuge: Es war eine schöne mondhelle Nacht, in der man leicht selbst in die Ferne sah. Vors.: Wie fanden Sie die Hausthür bei Anna Primus, als Sie mit Siber und Ehrlich ins Haus gingen. Zeuge: Die Hausthür war versperrt. Ich wußte jedoch, daß der Schlüssel in dem Vorhause bei der Thür liege, griff unter der Thür hinein, zog den Schlüssel heraus und sperrte auf. Der Thäter muß daher durch das Fenster in die Eckstube gekommen sein. Vors.: Wenn niemand eine Frage zu stellen hat, so erkläre ich das Beweisverfahren für geschlossen. Der Gerichtshof zieht sich zur Berathung der Fragen zurück. 169 Nach dem Wiedererscheinen verliest der Vorsitzende nachstehende, über Berathung mit dem Gerichtshöfe festgestellte Fragen: Erste Frage: Ist der Angeklagte Peter Brand¬ mannschuldig, am 21. Jänner 1874 zwischen 11 und 12 Uhr nachts gegen Anna Primus in deren Hause zu Obergereuth in der Absicht, sie zu tödten und sich sohin ihres Geldes zu bemächtigen, dadurch, daß er mit eurem schweren Holzscheite einen Schlag auf ihren Kopf führte, derart gehandelt zu haben, daß daraus deren Tod erfolgte? Zweite Frage (Zusatzfrage für den Fall der Bejahung der ersten Frage): Hat sich Peter Brandmann sohin des Geldes der Anna Primus, bestehend in einer Staatsnote zu 50 st. und drei Banknoten zu 10 fl., zusammen 80 fl., bemächtiget? Nachdem von den Parteien gegen die Fragen keine Einwendungen erhoben wurden, erhält der Staats¬ anwalt das Wort zur Stellung des Schlußantrages. Der Staatsanwalt gibt zuerst einen geschichtlichen Ueberblick des Vorfalles in der Nacht vom 21. auf den 22. Jänner 1874 und der Ereignisse des darauf folgenden Tages und fährt dann fort: Aus dem Gesagten ergibt sich, daß Anna Primus auf gewaltsame Art und zwar durch eine fremde Hand ums Leben kam. Der juridische Beweis hiefür liegt in dem Obductionsbefunde und in dem darauf gestützten Gutachten der Experten, laut welchem die der Anna Primus durch einen Schlag mit einem Holzscheite bei¬ gebrachte Kopfwunde eine absolut tödtüche, d. h. eine solche Verletzung war, welche den Tod derselben unter allen Umständen zur Folge haben mußte. Es liegt also eine Handlung vor, aus welcher der Tod eines Menschen hervorgegangen ist. Die weitere Frage ist 170 nun die, ob diese Handlung in der Absicht, 3,) die Anna Primus zu tödten und b) sich sohin ihres Geldes zu bemächtigen, verübt worden ist. Die Herren Ge- schwornen werden das eine wie das andere bejahen müssen, wenn sie vorerst auch gar keine Rücksicht auf die subjectiven Anzeigungen, die gegen den Angeklagten vorliegen, nehmen, sondern nur die Umstände, unter welchen die That geschehen ist, in Erwägung ziehen. In der ersten Richtung liegt vor, daß auf das Haupt der Anna Primus mit einem schweren Holzscheite ein Schlag, und zwar mit so außerordentlicher Gewalt ge¬ führt wurde, daß nicht nur das Seitenwandbein sprang, sondern sogar ein Theil der Gehirnmasse zertrümmert wurde. Es liegt daher die Absicht zu tödten schon in der Handlung selbst. In der zweiten Richtung ist durch den gerichtlichen Augenschein eonstatirt, daß die obere Schublade, in welche Anna Priinus am Nach¬ mittage vor der That laut den Aussagen des Georg Halbert und Johann Mejak 80 si. gelegt hatte, er¬ brochen und das Geld herausgenommen wurde. Es ist weiters eonstatirt, daß die Gegenstände in der be¬ sagten Schublade mit Blut befleckt waren, woraus gefolgert werden muß, daß sich der Thäter des Geldes nach vollbrachtem Morde bemächtiget, demnach sein Opfer, in der Absicht es zu berauben, gemordet habe. Wenn nun die Herren Geschwornen die Frage, ob gegen Anna Primus um die angegebene Zeit in der Absicht, sie zu tödten und sohin zu berauben, der Schlag auf den Kopf geführt wurde, ans welchem ihr Tod hervorgegangen ist, bejahen, so werden sie die weitere Frage zu beantworten haben, ob der Ange¬ klagte die fragliche Handlung verübt hat. Bejahen Sie diese Frage, dann haben Sie auch entschieden, daß der Angeklagte die That in mörderischer und räuberischer 171 Absicht verübt und nach vollbrachtem Morde die 80 fl. wirklich geraubt hat. Und diese Frage, meine Herren, werden Sie bejahen müssen, denn der Verdachtsgründe und Beweise liegen gegen den Angeklagten so viele vor, daß ein Zweifel an seiner Schuld gar nicht auf¬ kommen kann. Ich verweise in dieser Richtung vorerst auf den Hut, der am Thatorte in der Nähe der Leiche ge¬ funden wurde, und auf den Vorladungszettel, der sich in diesem Hute befand. Der Zettel war erwiesener¬ maßen am Nachmittage vor der That im Besitze des Angeklagten. Wie kam er nun in die Nähe der Leiche, wenn nicht der Angeklagte am Thatorte war? Und wenn dies der Fall war, wer anders konnte den Mord verübt haben? Es haben aber auch die Zeugen Alois Ehrlich und Bartelmä Jenar bestätiget, daß der Angeklagte am 21. Jänner einen Hut trug, der dem am That¬ orte gefundenen vollkommen glich, wogegen er am nächsten Tage einen andern Hut am Kopfe hatte. Erwägt man nun, daß Johann Mejak den Thäter ohne Kopfbedeckung beim Fenster herausspringen sah, daß der Angeklagte ohne Hut einige Stunden nach der That zu Maria Dunzmann kam, und bringt man das mit dem Vorladungszettel in Zusammenhang, so ist wol jeder Zweifel darüber ausgeschlossen, daß der Angeklagte allein und unter Umständen am That¬ orte war, welche es geradezu unmöglich machen, daß ein Anderer die That hätte verüben können. Dieser Umstand allein genügt zur Überweisung des Angeklagten; allein wir haben noch weitere, ebenso untrügliche Schuldbeweise. Der Angeklagte ist nemlich derjenige Mann, der die Fußspuren vor dem Hause der Anna Primus zurückgelasfen hat, jene Fußspuren, 172 die unter dem bewußten Fenster begannen und sich ain Rücken der Berglehne bis zum Fußsteige verfolgen ließen; er ist also jener Mann, den Mejak wenige Minuten nach Verübung der Schauderthat beim Fen¬ ster herausspringen sah, der somit die That verübte, und als er die Hilferufe Mejaks vernahm, mit Rücklassung des ihm im Handgemenge mit seinem Opfer vom Kopfe gefallenen Hutes beim Fenster hinaussprang und die Flucht ergriff. Daß dieselben Stiefel, welche der Angeklagte in jener schrecklichen Nacht anhatte, die fraglichen Spuren setzten, brauche ich wol nicht weiter zu erörtern, da sich die Herren Geschwvrnen von der Richtigkeit dieser Behauptung heute durch eigene Anschauung überzeugt haben. Aber auch der weitere Umstand, daß nach dem Ausspruche der Experten eine Gegenwehr vonseite der Anna Primus stattfand, iu Verbindung damit, daß der Angeklagte in der fraglichen Nacht eine Verletzung im Gesichte, die durch Fingernägel erzeugt wurde, erlitt — dieser Umstand ist durch die Aussagen der Zeugen Victor Mayer und Alois Simon einerseits, die bestätigen, daß der Angeklagte am 21. Jänner nach¬ mittags keine Verletzung im Gesichte hatte, und durch die Aussage der Maria Dunzmann, welche die von der Gerichtscommission am 22. Jänner am Angeklagten constatirte Hautabschürfung bereits einige Stunden nach der That wahrnahm, erwiesen, — sowie das am Fingernagel der Ermordeten gefundene Haar, welches den Haaren des Angeklagten vollständig gleicht, deutet darauf hin, daß der Angeklagte und kein Anderer der Thäter ist. Es wurden aber weiters auch die geraubten Ge¬ genstände an einem Orte gefunden, an dem der An¬ geklagte kurze Zeit nach Verübung der That sich auf- 173 gehalten hat. Die Fünfziggulden-Staatsnote wenigstens, die am Heuboden in Neudorf gefunden wurde, ist erwie¬ senermaßen diejenige, welche Georg Halbert am Nach¬ mittage vor der That der Anna Primus gegeben; denn er erkannte sie ja genau an seinem Namen, den er eigen¬ händig auf ihre Rückseite geschrieben hatte. Der An¬ geklagte war also auch im Besitze des geraubten Geldes. Erwägt man noch weiters, daß die Angaben des Angeklagten in Bezug auf den Grad seiner Trunken¬ heit; in Bezug auf die Zeit, zu welcher er die Ver¬ letzung auf der Wange erlitten hat; in Bezug auf den Hut, sowie rücksichtlich der Stunde, um welche er zu Maria Dunzmann kam, erwiesenermaßen falsch sind; daß er nach der That bei Maria Dunzmann im Zu¬ stande höchster Aufregung war, die nur in dem er¬ wachten Gewissen ihre Aufklärung finden kann; erwägt man weiter, daß der Angeklagte das Gespräch des Georg Halbert mit dem Wirthe Alois Grünwald über den Kuhkauf gehört hat und auf diese Weise zur Kennt- niß gekommen ist, daß die allein in ihrem Hause woh¬ nende alte Wittwe Anna Primus 80 fl. Geld bekommen habe; erwägt man endlich, daß der Angeklagte bereits wegen Verbrechen abgestraft wurde, die auf Rohheit und Gewinnsucht beruhen, und auch von der Polizeibehörde als ein böser und gefährlicher Mensch geschildert wird: so kann nian unmöglich auch nur dem leisesten Zweifel ' an seiner Schuld Raum geben. Ich hege daher die volle Ueberzeugung, daß die Herren Geschwornen beide an sie gestellte Fragen einstimmig bejahen werden. Sohin erhält der Privatbetheiligte Anton Mehar das Wort. Derselbe schließt sich den Ausführungen der Staatsanwaltschaft an. Der Angeklagte sagt hierauf: Ich bin unschuldig, machen Sie aus mir, was Sie wollen. 174 Sohin nimmt der Vertheidiger das Wort und sagt: In objectiver Richtung werden die Herren Ge- schwornen zu erwägen haben, ob vorliegend wol ein Mord vorliege, d. h. ob der Thäter wirklich die Ab¬ sicht hatte, die Anna Primus zu tödten. Diese Absicht ist nicht so evident, wie die Staatsanwaltschaft meint; denn gerade die Beschaffenheit des gewählten Werk¬ zeuges deutet darauf hin, daß es dem Thäter nicht um die Tödtung der Anna Primus, sondern nur um ihre Betäubung zu thun war, da er im ersten Falle sicher ein Messer, eine Hacke oder ein anderes Instru¬ ment gewählt hätte, mit dem sich leichter und sicherer tödtliche Verletzungen beibringen lassen. Ebenso zweifelhaft aber ist es auch, ob die Hand¬ lung, durch welche Anna Primus ums Leben kam, in der Absicht unternommen wurde, sich ihrer beweglichen Sachen zu bemächtigen, da ja der Fall ganz gut denk¬ bar ist, daß das Geld bereits genommen war, bevor Anna Primus aus dem Schlafe erwachte, und daß somit die Tödtung der Genannten nur in der Absicht, die Entdeckung zu verhindern, die Flucht zu ermögli¬ chen oder sich im Besitze des entwendeten Gutes zu erhalten, geschehen ist. Wäre dies der Fall, dann könnte nicht einmal von einem Raube, geschweige denn von einem Raubmorde die Rede sein, sondern wir hätten es nur mit einem Diebstähle in Concurrenz mit einem Todtschlage — wenn nicht die mörderische Absicht, in welchem Falle es gemeiner Mord wäre, angenommen würde — zu thun. Daß der Thäter zuerst den Schub¬ ladkasten erbrach und das Geld nahm, und daß Anna Primus erst infolge des Lärms erwachte und aus dem Bette sprang, daß es demnach der Thäter zunächst nur auf einen Diebstahl abgesehen hatte, wird auch dadurch wahrscheinlich gemacht, daß zwischen dem Mo- 175 mente, in welchem Johann Mejak den Hilferuf der Anna Primus vernahm, und jenem, in dem der Thäter durch das Geschrei des Johann Mejak zur Flucht durch das Fenster veranlaßt wurde, ein zu geringer Zeitraum liegt, als daß der Thäter innerhalb des¬ selben die Schublade hätte erbrechen und das Geld stehlen können. Es ist also in unseren: Falle weder die räube¬ rische noch die mörderische Absicht evident, und es werden demnach die Herren Geschwornen, wenn sie we¬ der die eine noch die andere Absicht für erwiesen hal¬ ten, die Hauptfrage verneinen müssen, in welchem Falle sich die Zusatzfrage ohnehin beheben würde. Was nun die Frage der Thäterschaft anbelangt, so kann auch die Vertheidigung nicht verkennen, daß wirklich triftige und schwerwiegende Verdachtsgründe gegen den Angeklagten vorlieaen. Indessen werden die Herren Geschwornen doch zu erwägen haben, ob die geltend gemachten Verdachtsgründe thatsächlich zutreffen. So würde der schwerwiegende Verdachtsgrund, den die Anklage aus der Auffindung des Vorladungszettels am Thatorte ableitet, seine Bedeutung ganz verlieren, wenn der Angeklagte den Zettel wirklich beim Austritte aus der Kanzlei aus dem Hute gestreut hätte. Die Geschichte mit dem Hute ist von minderer Bedeutung, da es nicht erwiesen ist, daß mein Client den fraglichen Hut je besessen hat, bloße Vermuthungen und Wahrscheinlichkeiten aber zur Begründung der richterlichen Ueberzeugung nicht hinreichen. Die Uebereinstimmung der vor dein Hause der Erschlagenen aufgefundenen Fußspuren mit den Stie¬ feln des Angeklagten ist allerdings sehr gravirend, allein die Möglichkeit eines Zufalles, daß nemlich eine 176 andere Person gerade solche Stiefel getragen hat, ist denn doch nicht ausgeschlossen. Der Umstand, daß auf dem Heuboden des Anton Fröhlich die der Anna Primus abhanden gekommene Fünfziggulden-Staatsnote gefunden wurde, kann als Verdachtsgrund gegen meinen Clienten deshalb nicht geltend gemacht werden, weil von ihm zwar erwiesen ist, daß er in der Dachkammer des fraglichen Heubodens, nicht aber, daß er an jenem Orte war, wo das Geld gefunden wurde. Auch das Parere der Sachverständigen, daß das an der Leiche gefundene fremde Haar in Bezug auf Farbe und Dicke mit den Kopfhaaren des Angeklagten übereinstimme, ist von keinem Belange für den Schuld¬ beweis, weil die Identität der fraglichen Haare nicht behauptet wird, auch gar nicht erwiesen werden kann, da ein blondes Haar einem andern blonden Haare gleich schaut und in der Regel die Haare verschiedener Personen gleich dick sind oder doch wenigstens leicht gleich dick sein können. Die Abstrafung meines Clienten wegen schwerer Beschädigung und wegen Diebstahls kann wol nicht be¬ sonders ins Gewicht fallen, denn ein Raufer und Dieb braucht noch immer kein Mörder oder Räuber zu sein. Auch der Umstand, daß Georg Halbert den Kuh¬ kauf dem Wirthe Grünwald mittheilte, wäre nur daun von Belang, wenn erwiesen wäre, daß der Angeklagte auf das Gespräch aufgemerkt und die Erzählung ver¬ standen hätte. Die Verletzung im Gesichte endlich kann sich mein Client leicht durch einen Fall beim Nachhausegehen, nachdem er nemlich das Grünwald'sche Wirthshaus in betrunkenem Zustande verlassen hatte, zugezogen haben, wie auch seine Aufregung und Mattigkeit, die 177 er am frühen Morgen des 22. Jänner in der Kammer seiner Geliebten zur Schau trug, ganz gut der schlaf¬ los zugebrachten Nacht und der durch den Genuß geistiger Getränke und den weiten Weg herbeigeführten Erschöpfung zugeschrieben werden kann. In jedem Falle werden die Herren Geschwornen gut thuu, auch die zugunsten meines Clienten spre¬ chenden Umstände einer genauen Erwägung zu unter¬ ziehen, und im Falle als sie von seiner Schuld nicht vollkommen überzeugt sind, die Frage I zu verneinen, zumal ein Schuldigspruch gerade im vorliegenden Falle verhängnißvoll werden könnte. Da die Staatsanwaltschaft nichts zu entgegnen hat, erklärt der Vorsitzende die Verhandlung für ge¬ schlossen nnd gibt nachstehendes Resumä: Daß Alina Primus in der Nacht vom 21. aus den 22. Jänner 1874 ans gewaltsame Art und durch fremde Hand ums Leben gekommen ist, dürfte sich ans der Aussage des Zeugen Johanu Mejak, welcher ihre Hilferufe vernommen hat, aus den Aussagen des genannten Zeugen und der Zeugen Paul Siber und Alois Ehr¬ lich, welche die Genannte mitten im Zimmer am Boden mit Blut bedeckt und todt liegen fanden, während neben ihr ein blutiges Holzscheit lag, sowie aus dem Obduktionsbefunde und dem darauf basirten Gutachten der Experten, laut welchem Anna Primus eine ab¬ solut tödtliche Kopfwunde erlitten hat, mit Sicherheit gefolgert werden können. In Bezug auf die Frage, ob der Angeklagte der Anna Primus den tödtlichen Streich mit dem Holzscheite versetzt hat, hat die Haupt¬ verhandlung nachstehende Momente ergeben: Es wurde I. am Thatorte ein Hut vorgefunden, hinter dessen Futter ein auf den Angeklagten lautender Vorladungs¬ zettel gesteckt war. Der Angeklagte hat nun selbst zu- 12 178 gegeben, daß er mit dieser Vorladung am Nachmittage des 21. Jänner beim Bezirksgerichte in sich zum Zeugenverhöre gemeldet habe, wie es auch Thatsache ist und sich aus dem zur Verlesung gebrachten Ver¬ hörsprotokolle ergibt, daß er um die besagte Zeit dort als Zeuge eiuveruommeu wurde. Der Angeklagte be¬ hauptet nun, daß er den Zettel muthmaßlich beim Heraustreten aus der Kanzlei, als er den Hut auf¬ setzte, verloren habe. Die Herren Geschwornen werden nunmehr zu ermessen haben, ob diese Angabe Glauben verdiene. In Bezug auf den Hut hebe ich hervor, daß nach den Aussagen der Zeugen Bartelmä Jenar und Peter Meninger der Angeklagte am 21. Jänner einen dem ain Thatorte gefundenen Hute gleichen Hut trug, wo¬ gegen er am andern Tage einen andern abgetragenen Hut am Kopfe hatte; daß nach Angabe des Johann Mejak der Mann, der unmittelbar nach der That zum Fenster hinaussprang, bloßköpfig war, und daß der Angeklagte nach Angabe des Zeugen Maria Duuzmann nichts am Kopfe hatte, als er in der Morgendämme¬ rung bei ihr am Heuboden war. Dagegen muß ich constatiren, daß die Zeugen Jenar und Meninger die Identität des am Thatorte gefundenen Hutes mit jenem Hute, den der Angeklagte am 21. Jänner trug, nicht zu bestätigen vermochten. Richtig ist es, daß der Angeklagte sich in Bezug auf den weiteren Verdachtsgrund, daß er nemlich die an ihm am 22. Jänner constatirte Verletzung bereits am 21. Jänner und schon früher gehabt habe, falsch verantwortet hat, da die Zeugen Victor Mayer und Alois Sinion mit voller Bestimmtheit augebeu, daß er am Nachmittage des 21. Jänner keine Verletzung 179 im Gesichte hatte. Die Herren Geschwornen werden nunmehr zu ermessen haben, ob der Umstand, daß der Angeklagte in der Zeit vom Nachmittage bis zum Frühmorgen des nächsten Tages, um welche Zeit Maria Dunzmann die Verletzung an der Wange wahrnahm, verletzt worden sein mußte, mit der Gewaltthat an Anna Primus im Zusammenhänge stehe, wobei Sie auch zu berücksichtigen haben werden, daß nach dem Obduktionsbefunde Spuren einer Gegenwehr vorhanden waren, worauf übrigens auch der Umstand hindeutet, daß an einen: Fingernagel der Getödteten ein fremdes Haar gefunden wurde. Ich muß hiebei auch hervorheben, daß die Sach¬ verständigen die volle Gleichheit des an der Leiche gefundenen Haares mit den Haupthaaren des Ange¬ klagten in Bezug auf Farbe und Dicke bezeugten. Ob aber diese Kennzeichen hinreichen, um die Ueberzeugung zu gewinnen, daß jenes an der Leiche gefundene Haar vom Haupte des Angeklagten herrühre, ist eine andere Frage, deren Lösung ich Ihnen anheimstellen muß. Daß die bei der Lokalerhebung entdeckten Fu߬ spuren bis ins kleinste Detail mit den Stiefeln des Angeklagten übereinstimmen, haben die Herren Ge¬ schwornen, welche die Beschreibung der Stiefeleindrücke mit den Stiefeln des Angeklagten verglichen haben, zu constatiren die Gelegenheit gehabt. Sie werden nun¬ mehr zu erwägen haben, ob nicht durch einen aller¬ dings merkwürdigen Zufall vielleicht eine dritte Person in den Besitz von ganz gleichen Stiefeln gelangt war, oder ob die Möglichkeit eines solchen Zufalls auszu¬ schließen und somit anzunehmen sei, daß der Ange¬ klagte es war, der dort die Fußspuren setzte. Thatsache ist es weiters, daß die Fünfziggulden- Staatsnote, die auf dem Heuboden des Anton Fröhlich 12* 180 gefunden wurde, dieselbe ist, welche am Nachmittage vor der That Anna Primus von Georg Halbert erhalten hatte, da sie ja dieser an dem auf die Rückseite eigen¬ händig geschriebenen Namen erkannte. Dagegen ist es richtig, daß das Geld nicht in der Kammer, in der der Angeklagte erhobenermaßen war, sondern vor der Kammer im Stroh versteckt gefunden wurde. Die Herren Geschwornen werden daraus jedenfalls ihre Schlüsse ziehen, insbesondere wenn es sich um die Beantwortung der Frage handelt, ob der Angeklagte die 80 Gulden aus der Schublade genommen habe. In wie weit die Angaben der Maria Dunzmann, daß der Angeklagte, als er zu ihr auf den Heuboden kam, sehr aufgeregt war und ein ungewöhnliches Be¬ nehmen an den Tag legte, mit der Schuld des Ange¬ klagten im Zusammenhänge stehen, muß der Beur- theilung der Herren Geschwornen überlassen bleiben. Bon Wichtigkeit ist weiters der von den Zeugen Alois Grünwald und Georg Halbert bestätigte Um¬ stand, daß der Angeklagte gegenwärtig war, als Hal¬ bert dem Grünwald vom Kuhkaufe und von der Zah¬ lung des Kaufpreises pr. 80 Gulden erzählte. Es ist also allerdings möglich, daß der Angeklagte auf diese Art in Erfahrung gebracht hat, daß die allein in ihrer Keusche wohnende gebrechliche Witwe Primus im Besitze von 80 Gulden war, es ist aber auch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß der Angeklagte vom frag¬ lichen Gespräche nichts gehört hat. Endlich ist es Sache der Herren Geschwornen, zu beurtheilen, ob aus den bisherigen Abstrafungen des Jnculpaten, die aeteumäßig constatirt sind, so wie ans deni ungünstigen Leumundszeugnisse auf die Ca- pacität desselben zur Verübung der in Rede stehenden 181 Thal geschlossen werden dürfe. In Bezug auf die Ab¬ sicht , aus welcher die Handlung gegen Anna Primus unternommen wurde, werden die Herren Geschwornen die Frage zu beantworten haben, ob derjenige, der einem Andern mit einem schweren Holzscheite einen so heftigen Schlag auf den Kopf versetzt, daß er ihm damit die Hirnschale sprengt und das Gehirn theil- weise zertrümmert, lediglich in feindseliger Absicht oder in der Absicht, ihn zn tödten, gehandelt habe. In Bezug auf die weitere Frage, ob der Thäter die Handlung, aus welcher der Tod der Anna Primus hervorgegangen ist, unternommen habe, um sich sohin ihres Geldes zu bemächtigen, hebe ich hervor, daß an den Gegenständen in der Schublade, ans welcher das Geld abhanden kam, Blutflecken constatirt wurden. Die Herren Geschwornen werden nunmehr zn erwägen haben, ob hieraus gefolgert werdeu dürfe, daß die Besitznahme des Geldes nach der Tödtung, somit die Tödtung in der Absicht auf die Beraubung geschehen sei. Hiebei muß ich hervorheben, daß die Zeit von dem Augenblicke, in welchem Johann Mejak aus dem Schlafe geweckt wurde, bis zum Momente, in welchem der Thäter den Hilferuf des Johann Mejak gehört haben konute, jedenfalls einige Minuten betragen haben muß, da Mejak infolge der Bestürzung längere Zeit zum Anziehen der Stiefel und Kleider bedurfte und den Weg auf die Anhöhe zum Hause der Primus zurücklegen mußte. Die Herren Geschwornen werden zu erwägen haben, ob der Thäter in diesem Zeiträume die Lade sprengen und das Geld herausnehmen konnte. Ich habe Ihnen nunmehr noch die gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung zu erklären. Diese bestehen darin, a) daß jemand gegen einen Menschen eine Handlung begangen hat (in unserem Falle der 182 Schlag mit dem Scheite); b) daß diese Handlung in der Äbsicht, den Menschen zu tödten, unternommen wurde; e) daß aus dieser Handlung der Tod eines Menschen erfolgte, und ä) daß der Thäter die That in der Absicht beging, um sich einer fremden bewegli¬ chen Sache zu bemächtigen. Diese vier Kriterien finden Sie auch in der an Sie gestellten Hauptfrage klar ausgesprochen. Sie werden sich also vorerst zu entscheiden haben, ob Sie annehmen, daß Anna Primus durch fremde Hand gewaltsam nms Leben gebracht wurde. Sind Sie der entgegengesetzten Ansicht, so brauchen Sie auf die weiteren in der Hauptfrage angegebenen Kriterien nicht mehr einzugehen, sondern haben die Hauptfrage lediglich zu verneinen, in welchem Falle sich die Beant¬ wortung der Znsatzfrage behebt. Entscheiden Sie sich jedoch dafür, daß eine ge¬ waltsame Tödtung vorliege, dann werden Sie die Frage zu beantworten haben, ob der Angeklagte die Handlung, aus welcher der Tod der Anna Primus erfolgt ist, begangen, d. i. ob er den tödtlichen Streich mit dem Holzscheite geführt hat. Sind Sie der entgegengesetzten Ueberzeugung, so ist die Hauptfrage zu verneinen; halten Sie aber dafür, daß der Angeklagte die bezeichnete That begangen hat, dann werden Sie sich fragen müssen, ob er u) in der Absicht, die Anna Primus zu tödten und d) in der Absicht, sich sohin ihres Geldes zu be¬ mächtigen, gehandelt hat. Sind Sie der Anschauung, daß der Thäter weder in der einen, noch in der an¬ dern Absicht gehandelt hat, dann müßten Sie die Haupt¬ frage verneinen, da Sie in diesem Falle das Vorhan¬ densein eines bösen Vorsatzes negieren würden. Würden Sie dagegen der Anschauung sein, daß der Angeklagte 183 zwar nicht in der Absicht, die Anna Primus zu tödteu, sondern lediglich in der Absicht, sich durch Gewaltthätig- keiten in den Besitz ihres Geldes zu setzen, gehandelt hat, würden Sie also wol die räuberische, aber nicht die mörderische Absicht als vorhanden annehmen, dann müßten Sie die Hauptfrage bejahen, jedoch die Be¬ schränkung beifügen: „jedoch nicht in der Absicht, die Anna Primus zu tödten." Sollten endlich die Herren Geschwornen der An¬ sicht sein, daß der Angeklagte zwar wol in der Absicht, die Anna Primus zu tödten, jedoch nicht in der Ab¬ sicht, sie zu berauben, gehandelt hat, dann hätten Sie die Frage so zu beantworten: „Ja, jedoch nicht auch in der Absicht, sich des Geldes der Anna Primus zu bemächtigen." In diesem Falle müßte die Zusatzfrage verneint werden, weil es unter den gegebenen Verhält¬ nissen ein Widerspruch wäre, den Angeklagten nach verübter That das Geld nehmen zu lassen, dagegen die auf die Besitznahme gerichtete Absicht in Abrede zu stellen. Wenn Sie endlich die erste Frage ihrem vollem Umfange nach oder lediglich mit Ausschluß der Absicht zu tödten bejahen, so werden Sie zur Be¬ autwortung der Zusatzfrage zu schreiten haben, wo¬ gegen diese entfällt, wenn Sie die erste Frage verneinen. Der Vorsitzende macht sohin die Geschwornen auf ihre Pflichten aufmerksam und weist auf die Vor¬ schriften über ihre Berathung und Abstimmung hin. Sohin übergibt er den Geschwornen die Fragen, Acten und corpora üvlioti und weist sie irr das Berathungs- zimmer, welches abgesperrt wird. Der Angeklagte wird abgeführt. Nach halbstündiger Beratung erscheinen die Ge¬ schwornen wieder und verkündet der Obmann in ge- 184 setzlicher Form, daß die Geschwornen die Haupt- lind die Zusatzfrage einstimmig bejaht haben. Sohin wird der Angeklagte vorgeführt und ihm der Wahrspruch der Geschwornen verkündet. Hierauf erhält der Staatsanwalt das Wort zur Stellung des Strafantrages. Derselbe beantragt die Schuldigsprechung wegen des vollbrachten Verbrechens des Raubmordes. Erschwerend sei die Qualifieation des Mordes als Raubmord, sowie der Umstand, daß das Gut wirklich geraubt wurde. Mildernd liegt nichts vor. Es wird gemäß Z 136 St. G. die Todesstrafe beantragt. Der Privatbetheiligte Anton Mehar verlangt als Vormund des Alois Primus, Studenten in Laibach, die Rückstellung der geraubten 80 st. und als Ersatz für den Verlust der Mutter 500 fl. Der Angeklagte schweigt. Der Vertheidiger hebt als mildernd die vernach¬ lässigte Erziehung seines Clienten, die längere Unter¬ suchungshaft, die theilweise Berauschung, sowie den Umstand hervor, daß durch die Rückstellung der 80 fl. der Schade zum Theile gut gemacht wird und daß der Angeklagte seinerzeit auch weiteren Ersatz wird leisten können, und bittet den Antrag auf Begnadigung zu stellen. Nach kurzer Berathung des Gerichtshofes ver¬ kündet der Vorsitzende das Urtheil, demgemäß Peter Brandmann des vollbrachten Verbrechens des Raub¬ mordes nach den Z ß 134 und 135, Z. 2, St. G. schul¬ dig erkannt und deshalb nach § 136 St. G. zur Strafe des Todes durch den Strang, zum Ersätze der Kosten des Strafverfahrens, sowie nach Ausfolgung der 80 fl. - 185 - noch zu einer Privatentschädigung von 500 fl. an Alois Primus vernrtheilt wird. Der Vorsitzende theilt die Urtheilsgründe mit, verliest die einschlägigen Gesetzes¬ stellen und belehrt den Angeklagten über die ihm zu- stehenden Rechtsmittel. Der Angeklagte vorbehält sich die Nichtigkeits¬ beschwerde. Drittes Raritet. Die Ausgabe der Geschwornen und die Mittel ihrer richtigen Lösung. Wie bereits hervorgehoben wurde, haben die Ge¬ schwornen rücksichtlich der ihrer Competenz zugewie¬ senen Delicte über die Schuld der Angeklagten zu entscheiden. Dies geschieht dnrch die Beantwortung der bei der Hauptverhandlung nach Schluß des Beweis¬ verfahrens an sie gerichteten Fragen, welche der Vor¬ sitzende nach vorausgegangener Bcrathung mit dem Gerichtshöfe feststellt, rücksichtlich welche im Falle eines Antrages auf Abänderung oder Hinznfügnng anderer Fragen vom Gerichtshöfe endgiltig beschlossen werden. Um daher die Aufgabe der Geschwornen analysiren und sohin genau bestimmen zu können, müssen wir vorerst uns mit den gesetzlichen Bestimmungen über die Fragestellung näher bekannt machen. 28. Fragestellung an die Geschwornen. Die an die Geschwornen zu richtenden Fragen sind entweder Hauptfragen, oder Eventualfragen, oder Zusatzfragen. ' Hauptfragen sind diejenigen, welche darauf ge¬ richtet sind, ob der Angeklagte schuldig sei, die der 187 Anklage zugrunde liegende Handlung begangen zu haben. Dieselben müssen alle gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung und die besonderen Umstände der That nach Ort, Zeit, Gegenstand u. s. w., und zwar insoweit enthalten, als dies zur deutlichen Bezeichnung der That oder für die Entscheidung über die Entschä¬ digungsansprüche nothwendig ist. Die Hauptfrage läßt sich demnach in folgende vier Punkte auflösen: 1. Ist die der Anklage zugrunde liegende Hand¬ lung begangen worden? 2. Sind in dieser Handlung alle gesetzlichen Merk¬ male des Delictes, auf welches die Anklage gerichtet ist, enthalten? 3. Ist bewiesen, daß der Angeklagte die That begangen habe? 4. Ist die That dem Angeklagten zur Schuld zuzurechuen? Wir haben bereits oben ein Beispiel einer Haupt¬ frage bezüglich des Verbrechens des Raubmordes ge¬ geben. Die Frage lautete: Ist der Angeklagte Peter Brandmann schuldig, am 21. Jänner 1874 zwischen 11 und 12 Uhr nachts gegen Anna Primus in deren Hause zu Obergereuth in der Absicht, sie zu tödten und sich sohin ihres Geldes zu bemächtigen, dadurch, daß er mit einem schweren Holzscheite einen Schlag auf ihren Kopf führte, derart gehandelt zu haben, daß daraus deren Tod erfolgte? Wenn wir nun diese Frage in obige vier Punkte zerlegen, so werden wir folgende vier Fragen erhalten: Z. Ist die der Anklage zugrunde liegende Hand¬ lung begangen worden, d. h. ist der Anua Primus am 188 21. Jänner 1874 nachts zwischen 11 und 12 Uhr (Zeitumstand) in deren Hanse zu Obergereuth (Orts¬ umstand) mit einem schweren Holzscheite (Thatuinstand) in der Absicht, sie zn tödten und sich sohin ihres Geldes zu bemächtigen, ein Schlag auf den Kopf ver¬ setzt worden, woraus deren Tod erfolgte? 2. Sind in dieser Handlung alle gesetzlichen Merk¬ male des Verbrechens, auf welches die Anklage ge¬ richtet ist, enthalten, d. h. wurde a) gegen einen Men¬ schen (Anna Primus) eine Handlung unternommen (mit dem Holzscheite über den Kopf geschlagen) ? (Handlung.) — b) Ist aus dieser Handlung der Tod eines Menschen (der Anna Primus) hervorgegangen? (Erfolg.) — e) Wurde in der Absicht gehandelt, «) einen Menschen^(Anna Primus) zu tödten und A sich einer fremden beweglichen Sache (des Geldes der Anna Primus) zu bemächtigen? (Absicht.) 3. Ist bewiesen, daß der Angeklagte die That be- gangen'chabe, d. h. ist bewiesen, daß Peter Brandmann der Anna Primus, in der Absicht sie zu tödten nnd sich sohin ihres Geldes zu bemächtigen, am besagten Orte, um die erwähnte Zeit und ans die angegebene Weise einen Schlag ans den Kopf versetzt hat, aus welchem deren Tod erfolgte? 4. Ist die That dem Angeklagten zur Schuld zu¬ zurechnen, d. h. sind^uicht Umstände vorhanden, welche die Zurechnung der That ausschließen? Da das richtige Verständnis der Fragen die Grundbedingung einer richtigen Beantwortung derselben ist, wollen wir nun auch bezüglich der übrigen von uns im ersten Kapitel behandelten Verbrechen Beispiele von Hauptfragen anführen und ersuchen unsere Leser, jede Frage in der obbezeichneten Weise in vier Punkte zu zerlegen und bei Punkt 2 stets die gesetzlichen 189 Merkmale des bezüglichen Verbrechens im ersten Kapitel nachzuschlagen. Bei der Störung der öffentlichen Ruhe. Ist der Angeklagte U. Ul schuldig, am 26. Fe¬ bruar 1874 in feiner, in der Pfarrkirche zu 8. ge¬ haltenen Frühpredigt durch die Warte: „Die neuen sogenannten konfessionellen Gesetze sind ein Angriff auf unsere heilige Religion. Wer sie befolgt, begeht eine schwere Sünde. Ihr dürft daher diese Gesetze nicht befolgen, sondern müßt denselben entgegentreten, wo und wie ihr könnt, wenn ihr euer Seelenheil nicht verlieren wollet," die versammelten Zuhörer zum Un¬ gehorsam und zum Widerstande gegen Gesetze auf- gesordert zu haben? Beim gemeinen Morde. Ist der Angeklagte X. U. schuldig, am 17. April 1874 11 Uhr nachts im Schlangenwalde nächst dem Dorfe U. gegen Jakob Stolz, in der Absicht ihn zu tödten, dadurch, daß er ihm mit dem scharfen Theile einer Axt auf den Kopf schlug, derart gehandelt zu habeu, daß daraus dessen Tod erfolgte? Beim Meuchelmorde. Ist die Angeklagte schuldig, am 17. August 1874 gegen ihren Ehegatten U. U. dadurch, daß sie ihm mit Schwefelarsen vergifteten Sterz, in der Absicht ihn zu tödten, zum Frühstücke vorsetzte, wodurch es geschah, daß derselbe den Sterz aß und infolge des Genusses starb, derart gehandelt zu haben, daß daraus dessen Tod erfolgte? 190 Beim bestellten Morde. Ist der Angeklagte X. X. schuldig, am 16. März 1874 im Gehölze bei X über Aufforderung (Anstif¬ tung) (oder infolge Bestechung vonseite des X.) gegen Alois Beck, in der Absicht ihn zu tödten, da¬ durch, daß er in einer Entfernung von fünf Schritten aus einer mit einer Spitzkugel geladenen Pistole auf ihn schoß und ihn in die Brust traf, derart gehan¬ delt zu haben, daß daraus dessen Tod erfolgte? Beim Kindsmorde. Ist die Angeklagte X. X. schuldig, am 14. Jänner 1874 gegen ihr unehelich gebornes lebendes Kind in ihrer Dachkammer im Hause des Anton Jereb in Selo bei der Geburt, in der Absicht es zu tödten, dadurch, daß sie dessen Mund mit einein Sacktuche verstopfte, derart gehandelt zu haben, daß daraus dessen Tod erfolgte? Beim Todtschlage. Ist der Angeklagte X. X. schuldig, am 23. Mai 1874 dem Peter Duler, zwar nicht in der Absicht ihn zu tödten, aber doch in anderer feindseliger Absicht, mit einem fichtenen Prügel einen derartigen Schlag auf den Kopf versetzt zu haben, daß daraus dessen Tod erfolgte? Beim räuberischen Todtschlage. Ist der Angeklagte X. X. schuldig, am 23. Mai 1874 den Peter Koller, zwar nicht in der Absicht ihn zu tödten, jedoch in der Absicht ihn zu betäuben und sich sohin seines Geldes zu bemächtigen, mit einem Hammer derart am Kopfe verletzt zu haben, daß da¬ raus dessen Tod erfolgte? 191 Bei der schweren körperlichen Beschädigung. Ist der Angeklagte X. X. schuldig, am 24. März 1874 abends 9 Uhr im Wirthshause des Simon Wilfel in Neuberg gegen Peter Zach, zwar nicht in der Ab¬ sicht ihn zu tödten, aber doch in anderer feindseliger Absicht, dadurch, daß er ihm mit einem Messer in den Oberarm stieß, derart gehandelt zu haben, daß daraus eine schwere Verletzung des Peter Zach erfolgte? Bei der Brandlegung. Ist der Angeklagte X. X. schuldig, am 21. Juni 1874 nachts 11 Uhr in das Strohdach des Peter Stampfl in Büchl in der Absicht, daß an dessen Keusche eine Feuersbrunst entstehe, einen brennenden Zündschwamm gesteckt zu haben? Beim Dieb stähle. Ist der Angeklagte X. X. schuldig, in der Nacht vom 13. auf den 14. Juni 1874 in Gesellschaft mit anderen Personen aus dem versperrten Magazine des Kaufmannes Alex Toman in 6 demselben 80 Ellen schwarzes Tuch ä 7 sl., im Gesammtwerthe von 560 fl., um seines Vortheiles willen ohne dessen Einwilligung aus dem Besitze entzogen zu haben? Bei der Veruntreuung. Ist der Angeklagte X. X. schuldig, am 31. Okto¬ ber 1874 im Postamte zu 0 ein ihn: in seiner Eigen¬ schaft als Postexpedient, somit vermöge seines öffent¬ lichen Amtes, von Anton Paier zur Beförderung nach X übergebenes, mit 270 fl. beschwertes Schreiben ge¬ öffnet und den Inhalt pr. 270 sl. sich zugeeignet zu haben? 192 Bei der Theilnehmung am Diebstahle. Ist der Angeklagte ID ID schuldig, am 14. Okto¬ ber 1874 ein von Alois Menar und Peter Omers dem Cajetan Gruber in Außenitz gestohlenes Pferd im Werthe von 180 fl. in seinem Stalle zu Graben verhehlt zu haben, ungeachtet er von Alois Menar nach der That erfahren hatte, daß dieser es in Ge¬ sellschaft mit Peter Omers aus dem'versperrten Stalle des Cajetan Gruber entwendete? Beim Raube. Ist der Angeklagte X. ID schuldig, am 18. Okto¬ ber 1874 im Stadtwalde zu II dem Peter Andrian, in der Absicht sich seines Geldes zu bemächtigen, da¬ durch, daß er ihm eine Pistole vor die Brust hielt und rief: „Geld her oder ich schieße!" Gewalt auge- than zu haben? Beim Betrüge. Ist der Angeklagte ID ID schuldig, am 12. Okto¬ ber 1874 die Nähterin Anna Bußwald, in der Absicht sie an ihrem Eigenthum zu schädigen, durch Vorwei¬ sung einer gefälschten Zahlungsanweisung, in welcher Anna Bußwald von ihrer Gläubigerin Barbara Ruß angewiesen wurde, dem Ueberbringer 30 fl. zu bezah- leu, somit durch listige Vorstellungen in Jrrthum ge¬ führt und ihr dadurch 30 fl. entlockt zu haben? Bei der Aufwiegelung. Ist der Angeklagte ID ID schuldig, am 14. Mai 1874 im Gasthause des Alois Mach in Reiterberg vor vieler! Leuten durch die Worte: Die Anordnung des Bezirkshauptmanns von 6, daß wegen der Rinder- 193 Pest in Kroatien in unserem Bezirke jetzt keine Vieh¬ märkte gehalten werden dürfen, ist eine Gaunerei und ein Betrug,Mos zrp dem Zwecke, um uns zu Bettlern zu machen" — die besagte behördliche Anordnung herab¬ zuwürdigen gesucht zu haben? Wir haben bisher nur Beispiele über Hauptfragen gegeben, die die unmittelbare Täterschaft zum Gegenstände haben. Lautet aber die Anklage auf Mit¬ schuld oder Versuch, so ist es selbstverständlich, daß auch die Hauptfrage die gesetzlichen Merkmale der Mitschuld und rücksichtlich des Versuches, so wie die übrigen obenangeführten Punkte enthalten müsse. So z. B. würde die Hauptfrage bei einer Anklage wegen Mitschuld (z. B. intelleetueller Urheberschaft) au der Brandlegung lauten: Ist die Angeklagte U" U schuldig, am 12. Mai 1874 in ihrer Wohnstube zu Rakitniza ihren Ehegatten mit den Worten: „Der Johann Scherz ist unser größter Feind. Gehe, zünde ihm die Keusche an, damit er ein Bettler wird, wie er uns zu Bettlern gemacht hat," verleitet zu haben, die Keusche des Johann Scherz in Brand zu stecken und dadurch die am 13. Mai 1874 ausgeführte Uebel- that vorsätzlich veranlaßt zu haben? Beim versuchten Meuchelmorde würde die Haupt¬ frage beispielsweise so lauten: Ist die Angeklagte U U schuldig, am 16. März 1874 morgens 7 Uhr in ihrem Wohnhause zu Pirtsche dadurch, daß sie ihrem Ehe¬ gatten Martin, in der Absicht ihn zu tödten, eine mit 20 Gran Schwefelarsen vermengte Sterzsuppe nut der Aufforderung zu essen vorsetzte, eine zur wirklichen Ausübung dieses Vorhabens führende Handlung un¬ ternommen zu haben, wobei jedoch der beabsichtigte Erfolg durch den zufälligen Umstand, daß in diesem 13 194 Augenblicke ein Ochsenhändler ins Zimmer trat und den Mann wegführte, unterblieben ist? Beim versuchten Kindsmorde könnte folgendes Beispiel gelten: Ist die Angeklagte X N schuldig, am. dadurch, daß sie ihr lebend gebornes uneheliches Kind bei der Geburt, in der Absicht es zu tödten, in den Aborischlauch, des Hauses Nr. 14 in N warf, eine zur wirklichen Ausübung der beabsichtigten Tödtung füh¬ rende Handlung unternommen zu haben, wobei der beabsichtigte Erfolg nur dadurch unterblieben ist, daß das Kind von andern Leuten rechtzeitig entdeckt und gerettet wurde? Hat der Angeklagte verschiedene, den Gegenstand derselben Anklage bildende strafbare Handlungen be¬ gangen, so ist jedes Delict zum Gegenstände einer besonderen Frage zu machen. Ebenso ist in dem Falle, als der Angeklagte bei der Hauptverhandlung noch einer andern That beschul¬ digt wird, als wegen welcher er angeklagt war, auf die neu hervorgekommene That eine besondere Frage zu stellen, wenn die Sache schon spruchreif ist und der An¬ geklagte im Falle der Bejahung nicht unter ein Straf¬ gesetz fiele, welches strenger ist als das in der An¬ klageschrift angeführte, falls nicht der Angeklagte seine Zustimmung zur sofortigen Entscheidung gibt. Sind mehrere Angeklagte vorhanden, so muß für jeden der¬ selben eine besondere Hauptfrage gestellt werden, und stehen sie im Verhältnisse von Thätern zu Mitschul¬ digen und Theilnehmern, so werden zuerst die unmit¬ telbaren Thäter und dann die Mitschuldigen und Teil¬ nehmer zu behandeln sein. 195 Eventualfragen sind solche Fragen, welche für den Fall der Verneinung einer andern Frage gestellt wer¬ den. Eventualfragen sind nach dem Gesetze zu stellen: 1. wenn bei der Hauptverhandlung Thatsachen behauptet worden sind, vermöge welcher, ihre Wahr¬ heit vorausgesetzt, ein des Verbrechens oder Vergehens als unmittelbarer Thäter Angeklagter nur als Mit¬ schuldiger oder Theilnehmer anzusehen wäre. Z. B. ä., L, 0 und I) sind des Verbrechens des Diebstahls als unmittelbare Thäter angeklagt. Bei der Hauptver¬ handlung nun behauptet I), er habe den L., L und 0 wol den Weg zum Hause des Beschädigten gezeigt, damit sie dort den Einbruchsdiebstahl verüben, sei je¬ doch nicht mitgegangen, weil ihn die Leute im Hause des Bestohlenen kennen, sondern habe im Walde auf seine Genossen gewartet. Diese Behauptung wird auch von 0 bestätiget, wogegen X und L behaupten, daß auch D bei der Besitzentziehung mit Hand anlegte. Da nun, die Wahrheit der Behauptung des v vorausgesetzt, seine That nur die Mitschuld am Dieb¬ stahle begründen würde, ist hierauf die Eventualfrage zu stellen. Die Fragen werden daher etwa so lauten: Erste Frage: Ist schuldig, am in Gesellschaft mit andern Genossen aus dem Besitze des di in bl fünf in der versperrten Stube aufbewahrt gewesene Banknoten ü 100 fl., vier Staatsnoten ü 50 fl., 20 Banknoten n 10 fl., zusammen 900 fl., um seines Vortheiles willen ohne Einwilligung des Besitzers ent¬ zogen zu haben? Zweite Frage: Ist L schuldig u. s. w., wie oben. Dritte Frage: Ist 6 schuldig u. s. w. Vierte Frage: Ist v schuldig u. s. w. 13* 196 1. Eventualfrage (im Falle der Verneinung der vierten Frage): Ist der Angeklagte O schuldig, am.. dadurch, daß er den L und 6 zum Zwecke der Verübung des in der Frage I. bezeichneten Diebstahles den Weg zum Hause des Bestohlenen zeigte, zur Ausübung dieses Diebstahls Hilfe geleistet und zu dessen sicherer Vollstreckung beigetragen zu haben? 2. Eine Eventnalfrage wird zu stellen sein, wenn bei der Hauptverhandlnng Thatsachen behauptet wor¬ den sind, vermöge welcher (ihre Wahrheit vorausgesetzt) ein des vollendeten Verbrechens oder Vergehens An¬ geklagter nur des Versuches schuldig wäre, oder 3. wenn unter dieser Voraussetzung die dem An¬ geklagten zur Last gelegte That unter ein anderes Strafgesetz fiele, welches nicht strenger ist als das in der Anklageschrift angeführte. Z. B. ist des Ver¬ brechens des Mordes, begangen dadurch, daß er dem L, in der Absicht ihn zu tvdten, einen Messerstich in den Bauch versetzte, woraus der Tod des L hervor¬ gegangen ist, angeklagt. In der Voruntersuchung hat L die That geleugnet. Bei der Hauptverhandlung ge¬ steht er die That ein, behauptet jedoch, daß er nicht die Absicht gehabt habe, den L zu tödten. In diesem Falle wird die Hauptfrage auf Mord und die Even¬ tualfrage auf Tvdtschlag zu richten sein. Würde im letzteren Falle behaupten, daß er überhaupt nicht in feindlicher Absicht gehandelt habe, sondern daß er zufällig ausgerutscht und auf L ge¬ fallen sei und ihn dabei mit dem Messer in den Bauch getroffen habe, so würde, wenn mindestens ein Ver¬ schulden dabei im Spiele wäre, eine weitere Eventual¬ frage auf das Vergehen gegen die Sicherheit des Lebens gerichtet werden, die etwa so lauten würde: Ist der Angeklagte idi idt schuldig, am dadurch, daß 197 er mit offenem Taschenmesser im Zimmer herumsprang, dabei ausrutschte, auf L fiel und ihn mit dem Messer in den Bauch traf, eine Handlung begangen zu haben, von welcher er schon nach ihren natürlichen, für jeder¬ mann leicht erkennbaren Folgen einzusehen vermochte, daß sie eine Gefahr für das Leben oder die körperliche Sicherheit von Menschen herbeizuführen geeignet sei, und ist aus dieser Handlung der Tod des L erfolgt? Bei der Wichtigkeit des Gegenstandes wollen "wir noch ein Beispiel anführen: ist des Verbrechens der Theilnehmung an der Creditspapier-Verfälschung angeklagt. Bei der Haupt¬ verhandlung gesteht die Verausgabung der Falsi- ficate, die er in der Voruntersuchung in Äbrede gestellt hatte, behauptet jedoch, daß er nicht im Einverständ¬ nisse mit dem Nachmacher, einem Mitschuldigen oder Theilnehmer gehandelt habe, da er diese gar nicht kenne, daß er vielmehr die fünf falschen Zehngulden- Bauknoten von einem Unbekannten am Markte zu 8 nebst drei echten Banknoten zu 10 st. für eine Kuh erhalten habe. In diesem Falle würde der Hauptfrage: Ist der Angeklagte bl bl schuldig, am 18. November 1873 am Jahrmärkte zu 8 als Kaufschilling für ein Pferd dem Peter Resch fünf Zehnguldenbanknoten-Falsificate im Einverständnisse mit dein derzeit noch unbekannten Nach- macher, dessen Mitschuldigen oder Theilnehmern be¬ zahlt zu haben? - nachstehende Eoentualfrage zu fol¬ gen haben: Ist der Angeklagte bl bl schuldig, am .... den Peter Resch, in der Absicht ihn an seinen Ver¬ mögen zu schädigen, dadurch, daß er ihm als Kauf¬ schilling für eine Stute fünf falsche Zehngulden-Bank¬ noten ohne Einverständniß mit den Verfälschern, Mit- 198 schuldigen oder Teilnehmern wissentlich einhändigte, somit durch listige Vorspiegelungen in Jrrthum ge¬ führt und dadurch um 50 st. geschädiget zu haben? 4. Endlich wird eine Eventualfrage zu stellen sein, wenn bei der Hauptverhandlnng Thatsachen behauptet worden sind, vermöge welcher im Falle ihrer Wahr¬ heit die dem Angeklagten zur Last gelegte That unter¬ em strengeres Strafgesetz als das in der Anklage an¬ geführte fiele, wenn a) der Angeklagte seine Zustim¬ mung gibt und d) der Gerichtshof nicht eine gründ¬ lichere Vorbereitung der Verhandlung nöthig erachtet. 5. Auch in dem Falle, als die 8ub 1—4 be¬ zeichneten Thatumstände nicht erst bei der Hauptver¬ handlung zur Sprache kommen, sondern bereits in der Anklageschrift enthalten find, wird der Gerichtshof eine Eventualfrage uach Anhörung der Parteien zu stellen berechtiget sein, wenn er dafür hält, daß die dem Angeklagten zur Last gelegte That eine andere als die in der Anklageschrift bezeichnete strafbare Hand¬ lung begründe, weil, wie wir bereits hervorgehoben haben, der Gerichtshof bei Subsummirung der That unter das Gesetz, d. i. des concreten Thatbestandes unter den gesetzlichen, an die Anschauung der Staats¬ anwaltschaft nicht gebunden ist. Z. B. ein Commis ist des Verbrechens des Diebstahls, begangen dadurch, daß er im Geschäfte seines Herrn den für ein Stück feines Tuch von der Partei eingenommenen Betrag per 80 fl. nicht in die Geldlade deponirte, sondern einsteckte und sohin fiir sich verwendete, angeklagt. Wenn nun der Gerichtshof der Anschauung ist, daß diese That nicht die gesetzlichen Merkmale des Diebstahls, sondern jene der Veruntreuung habe, ist er, rücksichtlich der Vor¬ sitzende, selbst dann, wenn dies bei der Hauptverhand¬ lung nicht geltend gemacht wurde, berechtigt, nach An- 199 hörung der Parteien zu der auf Diebstahl gestellten Hauptfrage eure Eventualfrage auf Veruntreuung zu stellen. Zusatzfragen find solche Fragen, welche nur für den Fall der Bejahung einer andern Frage gestellt werden. Dieselben sind stets als Zusatzfragen zu be¬ zeichnen und werden in folgenden Fällen zu stellen sein: 1. Wenn behauptet worden ist, daß ein Zustand vorhanden gewesen oder eine Thatsache eingetreteu sei, welche die Strafbarkeit ausschließen würde. Diese Ausschließungsgründe haben wir im ersten Kapitel, 5. Abschnitt, ausführlich behandelt, weshalb wir hier lediglich darauf verweisen. Zur größeren Deutlichkeit wollen wir hier einige Beispiele anführen. Nehmen wir folgende Hauptfrage an: Erste Frage: Ist der Angeklagte N N schuldig, am .... in den Alois Bertol, in der Absicht ihn zu tödten, durch einen Messerstich in die linke Brustseite derart verletzt zu haben, daß daraus dessen Tod erfolgte? Wenn nun, sei es in der Voruntersuchung, sei es in der Hauptverhandlung, vorgekommen ist, 'daß der Angeklagte periodisch finnenverückt ist, so wird eine dieser Behauptung entsprechende Frage in folgender Gestalt zu stellen sein: Zusatz frage (für den Fall der Bejahung der Frage I): Ist die in der Frage I bezeichnete That bei abwechselnder Sinnenverückung zu der Zeit, da die Ver¬ rückung dauerte, verübt worden? Wäre dagegen behauptet worden, daß der Ange¬ klagte die That im Zustande der vollen Berauschung verübt habe, so hätte die Zusatzfrage so zu lauten: 200 Ist die in der Frage I bezeichnete That in einer ohne Absicht auf das Verbrechen zugezogenen vollen Be¬ rauschung, in welcher der Angeklagte sich seiner Handlung nicht bewußt war, verübt worden? Wäre behauptet worden, daß der Angeklagte obige That im Zustande gerechter Nothwehr begangen habe, so wären nachstehende Zusatzfragen zu stellen: Frage II, Zusatzfrage (für den Fall der Bejahung der Frage I): Hat der Angeklagte die in der Frage I erwähnte That begangen, um einen rechtswidrigen An¬ griff auf sein Leben von sich abzuwehren? Frage III, Zusatzfrage (für den Fall der Bejahung der Fragen I und II): Hat sich der Angeklagte hiebei nur der nöthigen Vertheidigung bedient? Frage IV (Eventualfrage für den Fall der Ver¬ neinung der Frage III): Hat der Angeklagte hiebei nur aus Furcht, Bestürzung oder Schrecken die Gren¬ zen der nöthigen Vertheidigung überschritten? Frage V (Zusatzsrage zu IV) : Hat er hiedurch eine Handlung begangen, von welcher er nach ihren natürlichen und unter den gegebenen Umständen auch für ihn erkennbaren Folgen einzusehen vermochte, daß sie eine Gefahr für das Leben des Alois Bertol herbei¬ zuführen geeignet war? Der Leser, welcher das im ersten Kapitel, Absatz 5, über die Entschuldignngsgründe und insbesondere über die gerechte Nothwehr Gesagte richtig aufgefaßt hat, wird die Bedeutung obiger auf das Vorhandensein der Nothwehr gerichteten Fragen ohne Schwierigkeit her¬ ausfinden. Die Frage II ist nemlich darauf gerichtet, ob die den beiden Arten der gerechten Nothwehr — d. i. der unbedingt straflosen Nothwehr und der nach Um¬ ständen strafbaren Ueberschreitung derselben — eigen- 201 thümlichen Bedingungen, nemlich eine Abwehr gegen einen rechtswidrigen, wirklichen, gegen das Leben u. s. w.'gerichteten Angriff, vorhanden seien. Die Frage wird demnach zu bejahen sein, sobald diese'-Bedingungen der gerechten Nothwehr als vorhan¬ den angenommen werden. Die Frage III, welche als Zusatzfrage nur für den Fall der Bejahung der Frage II zu beantworten kommt, also für den Fall der Verneinung der letzt¬ bezeichneten Frage entfällt, ist auf die unbedingt straf¬ los bleibende Nothwehr, d. h. auf jenen Fall gerichtet, in welchem der Thäter sich nur der nvthigenVer- theidigung zur Abwehr eines rechtswidrigen Angriffes bedient hat. Die Frage IV endlich ist eine Event ualfrage zur Frage III, daher nur zu beantworten, wenn die letzt¬ bezeichnete Frage verneint wird, und bezieht sich auf jenen Fall, in welchem der Thäter zwarmn Ausübung ge¬ rechter Nothwehr gehandelt, jedoch die Grenzen der nvthigen Verteidigung nur aus Furcht, Bestürzung oder Schrecken, demnach nicht aus einem andern Grunde, z. B. Zorn, überschritten hat. In diesem Falle kann es nun wieder sein, daß der^ Thäter die Folgen seiner Handlung nicht zu ermessen vermochte, daher frei von einem Verschulden ist, vdersdaß die Ueberschreitung unter Umständen geschah, welche ein strafbares Ver¬ schulden im Sinne des K 335 St. G. begründen. Wird ein solches Verschulden nicht angenommen, so ist die fünfte Frage zu verneinen, was zur Folge hätte, daß der Angeklagte ungeachtet der Ueberschreitung gerechter Nothwehr straflos ausginge. In ähnlicher W L se wären die Fragen zu stellen, wenn beim Todtschlage gerechte Nothwehr behauptet wird. Hiebei wäre jed och auch der Fall ins Auge zu 202 fassen, daß die auf Todtschlag gerichtete Hauptfrage mit Ausschluß der feindseligen Absicht bejaht wird, und für diesen Fall zur Hauptfrage I eine entsprechende Eventualfrage in der Richtung des Vergehens gegen die Sicherheit des Lebens nach ß 335 St. G. zu stellen. Sind mehrere Ausschließungsgründe behauptet wor¬ den, von denen der eine nur vorhanden sein kann, wenn der andere fehlt, so wird eine Zusatzfrage und eine Eventual-Zusatzfrage (letztere für den Fall der Ver¬ neinung der ersten Zusatzfrage) zu stellen sein. Da in: Falle des Vorhandenseins eines der im § 2 St. G. aufgeführtcn Entschuldigungsgründe der böse Vorsatz ausgeschlossen ist, ohne bösen Vorsatz aber ein Verbrechen gar nicht begangen werden kann, so ist es klar, daß die Frage, ob in einem bestimmten Falle ein den bösen Vorsatz ausschließender Entschul¬ digungsgrund vorhanden sei, schon in der Schuldfrage, somit in der Hauptfrage enthalten ist. Die Hauptfrage ist ja, wie wir gehört haben, auch darauf gerichtet, ob alle gesetzlichen Merkmale (also auch der böse Vor¬ satz) des Verbrechens, auf das die Anklage gerichtet ist, vorhanden sind. Ist nun die böse Absicht ausge¬ schlossen, z. B. bei einem Narren, Volltrunkenen u. s. w., so fehlt eben das wichtigste Kriterium des Verbrechens und es wird daher der Geschworne, der in diesem Falle für „nicht schuldig" stimmt, ganz correct und logisch richtig entscheiden. Indessen ist die gesetzliche Bestimmung, daß auf Ausschließungsgründe Zusatzfragen zu stellen sind, in¬ sofern« gerechtfertiget, als die Deutlichkeit nur gewinnt, wenn die Frage, ob ein Zustand vorhanden gewesen oder eine Thatsache eingetreten sei, welche die Zu¬ rechnungsfähigkeit des Angeklagten oder die Zurechen¬ barkeit der That ausschließen, abgesondert gestellt wird. 203 Z. B. ist angeklagt, mit der 13jährigen L einen außerehelichen Beischlaf unternommen und dadurch das Verbrechen der Nothzncht begangen zu haben. Wenn die That objectiv durch den Befund der Aerzte con- statirt, das Alter des Mädchens erwiesen und der Angeklagte geständig ist, den Beischlaf unternommen zu haben, dann sind alle zum Thatbestande des be¬ zeichneten Verbrechens nothwendigen Kriterien erwiesen und es müßte der Angeklagte schuldig gesprochen wer¬ den. Nehmen wir nun an, es hätte in diesem Falle der Angeklagte behauptet, er habe sich bei Verübung der That in einem thatsächlichen Jrrthume befunden, weil er das Mädchen wegen seiner vollkommenen kör¬ perlichen Ausbildung für mindestens 17jährig gehalten habe, so wird es gewiß die Klarheit und Zuverläßlich¬ keit des Ausspruches der Geschwornen nur fordern, wenn eine besondere Frage (Zusatzfrage) darauf ge¬ richtet wird, ob der Angeklagte bei Verübung der in der Hauptfrage bezeichneten That der irrigen Anschau¬ ung war, daß das Mädchen L das vierzehnte Lebens¬ jahr schon vollstreckt habe. Selbstverständlich wird der Geschworne, der, von dem Vorhandensein eines Ausschließungsgrundes über¬ zeugt, bei Beantwortung der Hauptfrage für „nicht schuldig" stimmt, in dem Falle, als sein Votum nicht durchdringt, die Zusatzfrage bejaheu, d. h. aussprechen müssen, daß der fragliche Ausschließungsgrund vor¬ handen sei. Z. B. die Hauptfrage lautet darauf: Ist ä. schuldig, dem L, in der Absicht ihn zu tödten, durchs Herz gestochen zu haben, woraus dessen Tod erfolgte? und die Zusatzfrage: Befand sich ä. zur Zeit der That im Zustande der vollen Berauschung, in der er sich seiner Handlung nicht bewußt war? — Ist nun ein Geschworner der Ueberzeugung, daß volltrunken war 204 und daher die That im Zustande der Unzurechnungs¬ fähigkeit verübte, so wird er, wenn er die Hauptfrage verneint, während acht seiner Mitgeschwornen mit „ja" antworten, die sohin zur Beantwortung kommende Zu¬ satzfrage bejahen müssen. Eine Zusatzfrage wird zu stellen sein: 2. wenn behauptet worden ist, daß eine That- sache eingetreten sei, welche die Strafbarkeit aufhebt, svferne nicht a) die That verjährt, b) die A. h. Be¬ gnadigung erfolgt oder e) die Verfolgung aus Grün¬ den des Prozeßrechtes ausgeschlossen, cl) das Straf¬ verfahren vhne den Antrag eines Anklägers eingeleitet oder gegen dessen Willen fortgesetzt worden ist, und «) der Ankläger bei der Hauptverhandlung vor Ver¬ lesung der endgiltig festgestellten Fragen von der An¬ klage zurücktritt. Derlei Gründe, welche die Strafbarkeit aufhebeu, sind z. B. beim Hochverrathe, wenn der Thäter oder Mitschuldige aus Reue die Mitglieder der hochver¬ räterischen Verbindung rechtzeitig anzeigt; bei der Brandlegung, wenn bei einen: gelegten Brande der Thäter selbst ans Reue und noch zur rechten Zeit sich so verwendet hat, daß aller Schade verhütet worden ist; beim Diebstahle und bei der Veruntreuung, wenn der Thäter aus thätiger Reue, obgleich auf Andringen des Beschädigten, nicht aber ein Dritter für ihn, bevor das Gericht oder eine andere Obrigkeit sein Verschul¬ den erfährt, den ganzen aus seiner That entspringenden Schaden wieder gut macht. Im letzten Falle würde die Zusatzfrage beispiels¬ weise so lauten: Hat der Angeklagte aus thätiger Reue, bevor das Gericht oder eine andere Obrigkeit sein Verschul¬ den erfuhr, die gestohlenen 600 fl. den: Beschädigten 205 zurückgestellt, den Einbruchsschaden mit 14 st. bezahlt und dadurch den ganzen aus seiner That entsprun¬ genen Schaden wieder gut gemacht? — Zusatzfragen sind weiter zu stellen: 3. über Erschwerungs- und Milderungsumstände, wenn das Vorhandensein eines solchen Umstandes nach dem Gesetze eine Aenderung des Strafsatzes oder der Strafart begründet. Zu den Erschwerungsumständen der bezeichneten Art gehören insbesondere jene, durch welche nach der Bestimmung des Artikels VI des Einführungsgesetzes die Competenz des Schwurgerichtes bedingt ist, z. B. beim Verbrechen der öffentlichen Gewaltthätigkeit fünften Falles, Z 86 St. G., die Größe der Bosheit und Ge¬ fahr, durch welche der höhere Strafsatz bis 10 Jahre bedingt ist; der Umstand, daß aus der boshaften Be¬ schädigung wirklich ein Unfall für die Gesundheit, kör¬ perliche Sicherheit oder in größerer Ausdehnung für das Eigenthum Anderer entstanden ist, u. s. w.; bei der Entführung, H 97 St. G., wo der Strafsatz von 5 bis 10 Jahren vom Erschwerungsumstande, daß die Entführung gegen den Willen der Entführten, oder daß die Entführung einer Person, die noch nicht das 14. Lebensjahr zurückgelegt hat, erfolgt ist; bei der Religionsstörung, Z 123 St. G., wenn damit große Bosheit und Gefährlichkeit verbunden ist; bei der Schändung, welche nach H 128 St. G. bei sehr- erschwerenden Umständen bis zu 10 Jahren zu be¬ strafen ist, u. s. w. Derlei einen höheren Strafsatz bedingende Er¬ schwerungsumstände kommen weiters vor bei der Münz- verfälschnng, Z 119 St. G., wo bei besonderer Gefähr¬ lichkeit oder großem Schaden der Strafsatz von 10 bis 20 Jahren zur Anwendung zu kommen hat; beim 206 Todtschlage, Z 142 St. G., wenn der Thäter mit dem Entleibten in naher Verwandtschaft oder gegen ihn sonst in besonderer Verpflichtung gestanden war; bei der Brandlegung, Z 167 St. G., der Umstand, daß das Feuer ausgebrochen ist, daß dadurch ein Mensch ums Leben gekommen ist, daß dies der Thäter vorher¬ sehen konnte, daß der Brand durch besondere auf Ver¬ heerungen gerichtete Zusammenrottung bewirkt worden ist, daß ein für den Verunglückten erheblicher Schade erfolgte u. s. w.; beim Raube der Umstand, daß das Gut ans die Bedrohung wirklich geraubt wurde, daß beim Raube jemand schwer verwundet oder in einen qualvollen Zustand versetzt worden war, u. s. w. Erschwerungsumstände, die die St ras art ändern, sind z. B. beim Betrüge der Umstand, daß die That durch einen Meineid begangen wurde, ß 204 St. G.; bei der zweifachen Ehe der Umstand, daß der Ver¬ brecher der Person, mit welcher er die zweite Ehe geschlossen, seinen Ehestand verhehlt hat; bei der Ueber- tretung der Ehrenbeleidigung nach § 496 St. G. der Umstand, daß die Beleidigung an einem Orte vor sich gegangen ist, der besondere Anständigkeit vorschreibt, u. s. w. Milderungsumstände, die eine Aenderung des Strafsatzes begründen, sind z. B. vorhanden bei der Mitschuld am Morde, A 137 St. G., wenn der Mit¬ schuldige nur auf eine entfernte Art beigetragen hat; bei der Münzverfälschung, 8 t19 St. G., der Umstand, daß die Verfälschung sich für jedermann kennbar darstellt; bei der Kindesweglegung, H 151 St. G., der Umstand, daß das Kind an einem ge¬ wöhnlich besuchten Orte und auf eine Art weggelegt wurde, daß die baldige Wahrnehmung und Rettung desselben mit Grund erwartet werden konnte. Der 207 letzterwähnte Milderungsumstand begründet nicht nur eine Aenderung des Strafsatzes, sondern auch der Strafart, da in diesem Falle die Kindesweglegung nicht mit schwerem, sondern einfachem Kerker zu ahnden ist. Ein Beispiel einer Zusatzfrage über einen Er¬ schwerungsumstand wäre beim Diebstähle: Ist der in der Frage I bezeichnete Diebstahl mit besonderer Ver¬ wegenheit, Gewalt oder Arglist verübt worden? — beim Raube: Ist der beraubte idl bei Verübung des Raubes durch anhaltende Mißhandlung oder gefähr¬ liche Bedrohung in einen qualvollen Zustand versetzt worden? 4. Oualificationsumstände, d. i. solche Thatum- stäude, welche eine Handlung zum Verbrechen (Ver¬ gehen, zur Uebertretung) überhaupt oder zu einer be¬ stimmten Gattung oder Art voll Verbrechen eignen oder qualificiren, z. B. bei der schweren körperlichen Beschädigung der Umstand, daß aus der Verletzung eine Gesundheitsstörung oder Berufsunfähigkeit von mindestens 20- oder 30tägiger Dauer hervorging, daß die Handlung mit besonderen Qualen für den Ver¬ letzten verbunden war u. s. w.; oder beim Diebstahle das Gesellschafts-, Sperrverhältniß u. s. w. — werden in der Regel in die Hauptfrage aufzuuehiuen sein. Dies muß insbesondere dann geschehen, wenn die der An¬ klage zugrunde liegende That nur in einer Richtung zum Deliete, auf welches die Anklage lautet, quali- fieirt ist, weil dann der fragliche Qualisicationsgrund nothwendig zum Thatbestande gehört, also ein wesent¬ liches gesetzliches Merkmal der. strafbaren Handlung bildet, das in der Hauptfrage nicht ausgelassen werden soll. Liegen aber mehrere Qualificationsgründe vor, dann ist es in Hinblick auf den 8 323, alin. 2, St. P. O. nicht nur zulässig, sondern unter Umständen sogar 208 angezcigt, in die Hauptfrage nur jenen Qualisications- grund aufzunehmen, welcher die That zum Delikte der Anklage eignet, die übrigen Qalificationsgründe aber als Zusatzfragen zu behandeln. Z. B. ist des Verbrechens der schweren körperlichen Beschädigung nach den HZ 152, 155 lit. l) und ä, 156 lit. u St. G. angeklagt. Man wird mm die Hauptfrage so stellen können: Ist der Angeklagte idt schuldig, am . . . in . . . den Alois Kren in feindseliger Absicht durch einen Schlag mit einem Steine derart am linken Auge verletzt zu haben, daß daraus eine schwere, lebensge¬ fährliche, mit einer mindestens 30tägigen Gesundheits¬ störung und Berufsunfähigkeit und einer bleibenden Schwächung des Gesichtes verbundene Beschädigung desselben erfolgte? — oder man wird die Fragen so stellen können: Erste Frage: Ist der Angeklagte l>l schuldig, am . . . in . . . den Alois Kren in feindseliger Ab¬ sicht durch einen Schlag mit einem Steine am linken Auge derart verletzt zu haben, daß daraus eine schwere Beschädigung des Alois Kren erfolgte? Zusatzfragen für den Fall der Bejahung der ersten Frage: 1. War mit der in der Frage I bezeichneten Ver¬ letzung eine Gesundheitsstörung und Berufsunfähigkeit von mindestens 30tägiger, Dauer verbündest? 2. Wurde die Verletzung lebensgefährlich? 3. Hatte die Verletzung eine bleibende Schwächung des Gesichtes für den Beschädigten nach sich gezogen? Wenngleich nun die Geschwornen, im Falle als sümmtliche Qualisicationsgrüude in die Hauptfrage aus¬ genommen wurden, berechtiget sind, die Hauptfrage nur theilweise zu bejahen, z. B.: Ja, aber nicht lebensge¬ fährlich, oder: ja, aber nicht nut einer bleibenden 209 Schwächung des Gesichtes, so dürfte die letztere Art der Fragestellung (mit Zusatzfragen) der Deutlichkeit und Verständlichkeit wegen insbesondere dann zu empfehlen sein, wenn die weiteren Qualificationsgründe zweifelhaft find und daher leicht zu Divergenzen in den Anschau¬ ungen der Geschwornen Veranlassung geben können, weil es in diesem Falle für die Geschwornen viel leichter sein wird, mit Ja oder Nein zu antworten, als sich auf eine bestimmte Beschränkung zu einigen. 5. Endlich kann für den Fall der Bejahung einer Frage die Stellung von Zusatzfragen zu dem Zwecke verlangt werden, um ein in die Frage anfgenommenes gesetzliches Merkmal auf das ihm entsprechende that- sächliche Verhältniß zurückzuführen. Z. B. der Pfand- fchuldner hat seine in Verwahrung des Pfandgläubigers befindliche Sache aus dessen Besitze entzogen und ver¬ kauft, das Gericht hat die That unter den Gesichts¬ punkt des Diebstahls gebracht, und die Geschwornen haben die Hauptfrage bejaht, weil sie die verpfändete Sache als eine dem Verpfänder fremde ansehen: so kann der Angeklagte begehren, daß der Rechtsbegriff „fremde Sache" auf das entsprechende thatsächliche Ver¬ hältniß zurückgeführt werde. Die bezügliche Zusatzfrage wird dann lauten: Ist der vom Angeklagten dem L verpfändete und von diesem verwahrte Diamantring dem ersteren gegenüber eine fremde Sache? 29. Präcisirung der Aufgabe der Geschwornen und des Schwur- gcrichtshoses. Dem bisher Gesagten nach haben die Geschwornen die Aufgabe, über nachstehende Punkte zu entscheiden: 1. ob die der Anklage zugrunde liegende, even¬ tuell eine bei der Hauptverhandlung neu zur Sprache 14 210 gekommene Handlung, auf welche eine Frage gestellt wurde, begangen worden sei? 2. ob in dieser Handlung alle gesetzlichen Merk¬ male des Delictes, welches die Anklage darin sieht, eventuell jenes Delictes, auf das die Eventualfrage abzielt, enthalten sind; oder mit anderen Worten: ob in dem concreten Thatbestande der gesetzliche That- bestand des in der Anklage bezeichneten, rücksichtlich in der Eventualfrage enthaltenen Delictes liege; 3. ob der Angeklagte die That begangen habe; 4. ob dieselbe dem Angeklagten zur Schuld zu¬ zurechnen, insbesondere ob nicht 5. die Strafbarkeit ausgeschlossen oder, soferne es sich nicht um einen der im Z 317 St. P. O. erwähnten Fälle — l.wenn sich zeigt, daß das Straf¬ verfahren ohne den Antrag eines gesetzlich berechtig¬ ten Anklägers eingeleitet oder gegen dessen Willen fortgesetzt wurde, 2. wenn der Ankläger nach Eröffnung der Hauptverhandluug und vor der Verlesung der Fra¬ gen zurücktritt, 3. die Begnadigung, 4. die Verjährung, 5. wenn die Verfolgung aus Gründen des Proze߬ rechtes ausgeschlossen ist — handelt, aufgehoben sei. Die Form der Entscheidung ist die Beantwortung der auf obige Punkte gestellten Haupt-, rücksichtlich Eventual- und Zusatzfrageu. Dagegen steht dem Schwurgerichtshose zu: 1. die Einflußnahme auf den Wahrspruch der Geschwornen u) durch die Stellung der Fragen, welche dem Vorsitzenden nach vorheriger Berathung mit dem Ge¬ richtshöfe zusteht, wogegen im Falle, als von den Par¬ teien die Abänderung der Fragen oder die Hinzufügung neuer Fragen beantragt wird, der Gerichtshof 211 darüber endgiltig zu entscheiden hat. Diese Fragestellung ist nahezu die Anticipation der Entscheidung über die Rechtsfrage, der Rahmen, innerhalb dessen sich die Geschwornen bei Lösung ihrer Aufgabe bewegen müssen; der Fingerzeig, unter welchen gesetzlichen Thatbestand sie den concreten zu subsummiren haben. Insbesondere wichtig ist das Recht der Stellung von Eventualfragen auf andere, nicht der Anklage zugrunde liegende strafbare Handlungen, weil dadurch der Gerichtshof selbst eine von der Anschauung des Anklägers verschie¬ dene Rechtsanschauung zur Geltung und Entscheidung bringen kann; b) durch die vom Vorsitzenden den Geschwornen zu ertheilende Rechtsbelehrung, welche für diese insoweit bindend ist, als sie eidlich verpflichtet sind, das Gesetz treu zu beobachten. Bei dieser Rechtsbelehrung wird der Vorsitzende den Geschwornen insbesondere die ge¬ setzlichen Merkmale der strafbaren Handlung und die Bedeutung der in der Frage vorkommenden gesetzlichen Ausdrücke zu erklären haben, wobei es ganz nahe liegt, daß derselbe seine Ausführungen an den in der Frage enthaltenen Thatsachen praktisch erläutert und dadurch den Geschwornen zu erkennen gibt, ob sie in den That- sachen der Frage — deren Wahrheit vorausgesetzt — die gesetzlichen Merkmale des bezüglichen Delictes (den gesetzlichen Thatbestand) finden werden oder nicht. Dem Schwurgerichtshofe steht ferners zu: 2. das Recht der Prüfung des bereits erfolgten Wahrspruches. Dieses Recht äußert sich: a) in dem von unserem Gesetze acceptirten Moni- tur- (Berichtigungs-) Verfahren. Ist nemlich der Aus¬ spruch der Geschwornen undeutlich, unvollständig oder in sich widersprechend, so hat der Gerichtshof darüber 14* 212 sogleich ein Erkenntniß ziwfällen und den Geschwornen die Fragen und Antworten mit der Aufforderung zurück¬ zustellen, daß sie sich in ihr Berathungszimmer zurück¬ ziehen und nach neuerlicher Berathung ihren Wahrspruch verbessern. Es steht in solchem Falle dem Gerichtshöfe frei, nach Anhörung der Parteien die sich als Wünschens¬ werth darstellenden Aenderungen und Ergänzungen der Fragen zu beschließen. Der Vorsitzende hat in einem solchen Falle den Geschwornen zu eröffnen, daß sie nur zur Abänderung der beanständeten Antworten und zur Beantwortung der neu oder in geänderter Fassung vorgelegten Fragen berechtiget find; b) in dem Rechte des Gerichtshofes, in dem Falle, als er einstimmig der Ansicht ist, daß sich die Geschwor¬ nen zum Nachtheile des Angeklagten in der Hauptsache geirrt haben, die Entscheidung bis zur nächsten Schwur¬ gerichtssitzung auszusetzen und die Sache vor ein an¬ deres Schwurgericht zu verweisen. Ferners steht dem Schwurgerichtshofe zu: 3. die Anwendung des Gesetzes auf den Wahr¬ spruch, d. i. die Subsumption des Wahrspruches unter ein bestimmtes Gesetz, eventuell der Ausspruch, daß die That, welche der Angeklagte nach dem Ausspruche der Geschwornen begangen hat, nicht mit Strafe be¬ droht sei, in welchem Falle dann der Gerichtshof das Freffprechungsurtheil schöpft. 4. Endlich hat der Schwurgerichtshof die Strafe zu bestimmen, wenn ein Urtheil auf „schuldig" er¬ folgt; den Ausspruch über die Verpflichtung zum Er¬ sätze der Kosten des Strafverfahrens, über deren Ein¬ dringlichkeit oder Nichteinbringüchkeit, über die privat¬ rechtlichen Ansprüche, über den Eintritt gewisser mit der Verurtheilung verbundener gesetzlicher Folgen, über 213 die Zulässigkeit der Stellung des Angeklagten unter Polizeiaufsicht u. s. w. zu fällen. Uebersieht man nun den Umfang der Wirksamkeit der Geschwornen und jener des Schwurberichtshofes, so wird man vorerst sich von der Unrichtigkeit der Anschauung überzeugen müssen, daß die Geschwornen lediglich über Thatfragen zu entscheiden haben. Wir haben ja gesehen, daß die Geschwornen sich nicht allein darüber auszusprechen haben, ob es z. B. erwiesen sei, daß erschlagen wurde, daß L derjenige war, der ihn erschlagen hat, sondern daß sie auch darüber zu urtheilen haben, ob X vorsätzlich (in mörderischer oder in blos feindseliger Absicht) oder blos zufällig, und im letzteren Falle, ob infolge eines Verschuldens oder ohne Verschulden des Thäters erschlagen wurde; daß sie demnach darüber zu entscheiden haben, ob die we¬ sentlichen gesetzlichen Merkmale eines bestimmten De¬ liktes (im vorliegenden Beispiele, ob jene des Mordes, Todtschlages, des Vergehens gegen die Sicherheit des bens) vorhanden sind, oder ob die Merkmale einer strafbaren Handlung fehlen. Das sind aber nicht mehr bloße Thatfragen, sondern Rechtsfragen, da es sich hiebei nicht allein um die Constatirung von Thatum- ständen, sondern um die Anwendung des in der Frage enthaltenen gesetzlichen Begriffes auf die concretcn Um¬ stände, somit um eine juristische, richterliche Thätigkeit handelt. Haben nun die Geschwornen auf diese Art mit¬ telbar über die Subsumption des gegebenen Falles unter ein bestimmtes Strafgesetz zu entscheiden, so ist auch ihre weitere Aufgabe, endgiltig auszusprechen, ob dem Angeklagten eine bestimmte strafbare Handlung zur Schuld anzurechnen, insbesondere, ob nicht die Zu- 214 rechnungssähigkeit ausgeschlossen, und in gewissen Fäl¬ len auch, ob nicht die Strafbarkeit aufgehoben sei, kein Entscheiden über bloße Thatfragen, sondern gleichfalls ein auf der Prüfung von Thatsachen beruhendes Unter¬ scheiden und Erkennen, also eine echt richterliche Thä- tigkeit. Wir werden aber andererseits dem Gesagten nach - auch nicht behaupten können, daß die Geschwornen allein über die Rechtsfrage zu entscheiden haben, da wir uns überzeugten, welch' wichtigen und bestimmen¬ den Einfluß auf den Wahrspruch der Schwurgerichts¬ hof hat. Das Richtige wird also sein, wenn wir sagen, daß in den zur Kompetenz der Schwurgerichte gehöri¬ gen Fällen Geschworne und Gerichtshof zum Urtheile in der Art zusammenwirken, daß die Geschwornen über die Thatfragen und die Schuld des Angeklagten vor dem Gesetze zu entscheiden und zum Ausspruche über die rechtliche Qualificativn durch Anwendung des in der Frage enthaltenen gesetzlichen Begriffes auf die concreten Umstände mitzuwirken haben, wogegen der Gerichtshof an der Entscheidung der Rechtsfrage durch die Fragestellung, Rechtsbelehrung, durch die Prüfung, eventuell Suspension des Wahrfpruches, sowie durch die Subsumption des Wahrspruches unter das Gesetz mitwirkt, endlich im Falle einer Schuldigsprechung aus¬ schließend über die Strafe, die damit verbundenen ge¬ setzlichen Folgen und die privatrechtlichen Ersatzansprüche erkennt. Nachdem wir nunmehr die Aufgabe der Geschwor¬ nen präcisirt haben, ist es unsere Sache, den Ge¬ schwornen die Mittel und Wege zu zeigen, wie sie dieser Aufgabe gerecht werden können. Bevor wir jedoch zu diesem Abschnitte schreiten, halten wir es für zweck- 215 entsprechend, über die Beweismittel nnd die darauf gegründete richterliche Ueberzeugung einige Andeutungen zu geben. ZO. Die Beweismittel und die darauf gegründete richterliche Ueberzeugung. Wie wir bereits gehört, haben die Geschwornen beini Beginne der Hauptverhandlung eidlich zu geloben, die Beweise, welche gegen und für den Angeklagten werden vorgebracht werden, mit der gewissenhaftesten Aufmerksamkeit zu prüfen; nichts unerwogen zu lassen, was zum Vortheile oder zum Nachtheile des Ange¬ klagten gereichen kann, und sich nur nach den für und wider den Angeklagten vorgeführten Beweismitteln und ihrer darauf gegründeten Ueberzeugung zu entscheiden. In gleichem Sinne belehrt der Obmann die Geschwor¬ nen vor der Berathung: „Das Gesetz fordert von den -Geschwornen keine Rechenschaft über die Gründe ihrer Ueberzeugung; es schreibt ihnen keine bestimmten Regeln vor, nach welchen die Vollständigkeit und Hinlänglich- keit eines Beweises zu beurtheilen wäre. Es fordert sie nur auf, alle für und wider den Angeklagten vorgebrachten Beweismittel sorgfältig und gewis¬ senhaft zu prüfen und sich dann selbst zn fragen, wel¬ chen Eindruck die in der Hauptverhandlung wider den Angeklagten vorgeführten Beweise und die Gründe seiner Verteidigung auf sie gemacht haben. „Nach der durch diese Prüfung der Be¬ weismittelgewonnenen Ueberzeugung allein haben sie ihren Ausspruch über die Schuld oder Nichtschuld des Angeklagten zu fällen." 216 Sie müssen sich dabei beständig vor Augen halten, daß ihre Beratschlagung sich nur auf die ihnen vor¬ gelegten Fragen, über die der Anklage zugrunde lie¬ genden oder damit in Verbindung stehenden Thatsachen zu beschränken hat. Nicht sie, sondern nur die Richter sind berufen, die gesetzlichen Folgen auszusprechen, welche den Angeklagten im Falle seiner Schuldigerklärung treffen. Die Geschwornen haben daher ihre Erklärung ohne Rücksicht auf die gesetzlichen Folgen ihres Aus¬ spruches abzugeben. Hieraus ergeben sich nachstehende Grundsätze: 1. Die Geschwornen haben nach ihrer Ueberzeugung allein den Ausspruch über die Schuld oder Nichtschuld des Angeklagten zu fällen. 2. Diese Ueberzeugung müssen die Geschwornen durch die sorgfältige und gewissenhafte Prüfung aller für und wider den Angeklagten vorgebrachten Beweis¬ mittel und der Gründe seiner Vertheidigung gewinnen. Daraus folgt, daß das Gesetz sich mit einem blos pas¬ siven Verhalten der Geschwornen in der Art, daß sie lediglich die Vorkommnisse der Hauptverhandlung auf sich einwirken ließen und dann den dadurch erhaltenen Eindruck reproducirten, nicht zufrieden stellt, sondern eine positive Thätigkeit, die Scheidung und Prüfung der für und gegen den Angeklagten vorliegenden Be¬ weismittel nemlich, selbstthätiges Nachdenken, das Bil¬ den richtiger Prämissen, so wie eine richtige Schlu߬ ziehung verlangt. Die Thätigkeit der Geschwornen ist demnach keine blos mechanische, sondern eine freie, geistige, ihr Ausspruch nicht die Frucht eines unklaren, unbestimmten, instinctartigen Gefühles, sondern das Ergebnis einer bewußten, aus der Prüfung und Würdigung der pro und contra sprechenden Umstände und Beweismittel hervorgegangenen Ueberzeugung. 217 3. Das Gesetz fordert von dm Geschwornen keine Rechenschaft über die Gründe ihrer Ueberzeugung. Da¬ raus darf jedoch, wie oben gezeigt wurde, nicht gefol¬ gert werden, daß der Geschworne keine Gründe für seine Ueberzeugung zu haben brauche, sondern damit ist nur gesagt, daß er diese Gründe niemanden gegen¬ über zu rechtfertigen hat, während der Richter öffent¬ liche Rechenschaft über seine Entscheidung durch Bekannt¬ gabe der Entscheidungsgründe ablegen muß. 4. Das Gesetz schreibt den Geschwornen keine be¬ stimmten Regeln vor, nach welchen die Vollständigkeit und Hinlänglichkeit eines Beweises zu beurtheilen wäre. Wie wir bereits oben bei Darlegung der Grundprin- cipien der neuen Strafprozeßordnung dargelegt haben, besteht dermalen eine gesetzliche (positive) Beweistheorie nicht mehr, d. h. die Richter, seien sie Geschworne oder Fachrichter, sind nicht mehr an bestimmte Beweisvor¬ schriften und Regeln gebunden. Der Geschworne muß also wol Beweisgründe für seine Ueberzeugung haben, ist jedoch in der Beurthei- lung, ob das vorliegende Beweismateriale zur Herstel¬ lung des Beweises hinreiche, vollkommen frei. Wenn wir nun zur Besprechung der gewöhnlich vorkommenden Beweismittel schreiten, so wollen wir damit eben nur den Geschwornen einen Fingerzeig geben, worauf sie bei Würdigung des Schuldbeweises ihr Augenmerk zu richten haben, wobei wir jedoch aus¬ drücklich bemerken, daß die folgende Darstellung der Natur der Sache nach keinen Anspruch auf Vollstän¬ digkeit machen kann, da die Beweismomente und Ver¬ dachtsgründe so zahlreich und verschiedenartig sind, daß eine taxative Aufzählung derselben eine Unmöglich¬ keit ist. 218 Die Beweismittel können von einem dreifachen Gesichtspunkte aus erörtert werden, nemlich a) in Be¬ zug auf die äußeren zu einem Delicte gehörigen That- handlnngen, d) in Rücksicht ans die Frage der Thä- terschaft und e) bezüglich der Willensrichtung des Thäters. Es ist nemlich selbstverständlich, daß die Schuld¬ frage gar nicht zur Beantwortung kommen kann, so lange nicht festgestellt ist, daß die äußeren Handlungen, die zu einem bestimmten Delicte gehören, nicht wirklich stattgefunden haben, oder mit andern Worten: so lange der objective Thatbestand nicht erwiesen ist. Es wird also K. B. beim Morde vorerst darauf ankvmmen, ob wirklich ein Mensch durch fremde Hand ums Leben gekommen ist; beim Kiudsmorde, ob das Kind gelebt hat und gewaltsam getödtet oder durch Unterlassung des bei der Geburt nöthigen Beistandes umgekommen ist; bei der Creditspapier-Verfälschung, ob wirklich ein öffentliches Creditspapier nachgemacht worden ist; beim Diebstahle, ob eine bestimmte Sache aus dem Besitze eines Andern entzogen wurde, bei den Verbrechen und Delicten überhaupt, welche durch Worte begangen wer¬ den, ob die das Delict begründenden Worte wirklich gesprochen wurden, u. s. w. Die gewöhnlichsten Beweismittel nun, welche zur Erweisung des objectiven Thatbestandes in Anwendung kommen, sind: 1. Der richterliche Augenschein, d. i. die¬ jenige Handlung, durch welche sich der Richter von der Existenz gewisser, für die Strafsache entscheidender oder auf die Entscheidung Einfluß nehmender Thatumstände mittelst eigener sinnlicher Wahrnehmung zu überzeugen sucht. So z. B. wird ein Augenschein über eine Anzeige wegen boshafter Beschädigung fremden Eigenthums, 219 bei Brandlegungen, überhaupt bei allen strafbaren Handlungen vorzunehmen sein, welche äußerlich sicht¬ bare Spuren und Merkmale zuriickgelassen haben. Wenn nun ein solcher Augenschein in legaler Form vorgenommen wird — der Augenschein ist im Stadium der Vorerhebung und Voruntersuchung in der Regel vom Untersuchungsrichter mit Beiziehung eines be¬ eideten Schriftführers und zweier Gerichtszeugen vor¬ zunehmen, und ist hiezu der Ankläger und der bereits bestellte Vertheidiger einzuladen und unter Umständen selbst der Beschuldigte beizuziehen, — so werden die Geschwornen gewiß keinen Anstand nehmen, einem solchen Augenscheine volle Beweiskraft über die That- umstände, worüber er ausgenommen worden ist, zuzu¬ erkennen, zumal die Aufnahme des Untersuchungsrich¬ ters durch die Gerichtszeugen, unter Umständen auch durch die Prozeßparteien eontrolirt wird und dem den Augenschein leitenden Beamten zur Pflicht gemacht ist, das Augenscheinsprotokoll derart abzufassen, daß es eine treue und vollständige Anschauung der besichtigten Gegenstände gewährt. Ist also z. B. im Augenscheins¬ protokolle eonstatirt, daß beim Hause des das Haus- thor und die Fensterbalken zertrümmert sind, der Gar¬ tenzaun niedergerissen, ein Obstbaum abgebrochen ist, so werden die Geschwornen anstandslos diese That- sachen als wahr und erwiesen ansehen können. 2. Der Beweis durch Sachverständige. Handelt es sich nm Fragen, deren Beantwortung eine besondere wissenschaftliche oder technische Ausbildung voraussetzt, so sind dieselben durch Sachverständige zu beantworten. Bei der Verschiedenheit der Fragen, die vor dem Forum des Strafrichters zur Lösung zu kom¬ men haben, ist es begreiflich, daß je nach Gestalt der Wissenschaft oder Kunst, in deren Gebiet die Frage 220 einschlägt, die Experten diesem oder jenem Kreise von Fachmännern zu entnehmen sind. Es gehören hieher also die Gerichtsärzte, die Gerichtschemiker, die Sach¬ verständigen im Schreibfache, die Schätzleute, die Sach¬ verständigen in der kaufmännischen Buchhaltung, sowie in Ansehung der Creditspapier-Verfälschungen die Fa- bricationscommission der k. k. priv. Nationalbank, und in Ansehung von Münzverfälschungen das k. k. Haupt¬ münzamt in Wien, u. s. w. Sachverständige sind nicht nur dann einzuver¬ nehmen, wenn es sich um Thatsachen handelt, zu deren Constatirung besondere, bei dem Richter nicht voraus¬ zusetzende wissenschaftliche oder technische Kenntnisse erforderlich sind, sondern auch dann, wenn über die Folgen von Thatsachen und über den ursächlichen Zusammenhang zwischen einer Thatsache und dem ein¬ getretenen Erfolge ein fachmännischer Ausspruch ge¬ schehen soll. In der Regel werden zwei Sachverständige bei¬ gezogen. Sind diese verschiedener Ansicht, so muß, wenn es sich um die von ihnen gemachten Wahrnehmungen handelt, der Augenschein mit Beiziehung dieser oder- anderer Sachverständiger wiederholt werden. Sind aber die Sachverständigen in Bezug auf das Gutachten verschiedener Anschauung, und können sie sich nicht einigen, so muß entweder ein dritter Sachverständiger beigezogen oder das Gutachten von anderen Sachver¬ ständigen eingeholt werden. Sind die Sachverständigen Aerzte oder Chemiker, so ist in solchen Fällen das Gutachten einer medizinischen Facultät einzuholen. Fin¬ det es die Rathskammer wegen der Wichtigkeit des Falles nothwendig, so ist auch in anderen Fällen das Facultätsgutachten einzuholen. 221 Das übereinstimmende Gutachten zweier Sach¬ verständigen — eventuell das Gutachten der Facultät, in Fällen der Nachmachung von Creditspapieren und der Münzfälschung das Gutachten der Fabricationscommis- sion der Nationalbank, rücksichtlich des Hauptmünz¬ amtes in Wien — kann von den Geschwornen als beweis¬ machend angesehen werden, woferne nicht Umstände vorliegen, welche an der Richtigkeit des Gutachtens mit Grund zweifeln lassen. Wenn z. B. die Sachver¬ ständigen sich dahin ausgesprochen haben, daß mit einer bestimmten Verletzung eine mindestens 20tägige Gesundheitsstörung oder Berufsunfähigkeit verbunden sei, der Verletzte aber selbst angibt, daß er 14 Tage nach der Verletzung schon gesund war und seinen ge¬ wöhnlichen Berufsgeschäften nachgegangen ist, oder wenn dies durch Zeugen constatirt wird, so werden die Ge¬ schwornen, wenn nicht die Aussage des Beschädigten, rücksichtlich jene der Zeugen bedenklich ist, nur eine I4tägige und nicht eine mindestens 20tägige Gesund¬ heitsstörung und Berufsunfähigkeit als erwiesen an¬ nehmen können. 3. Der Beweis durch Urkunden. In Bezug auf Urkunden kann als Grundsatz hingestellt werden, daß öffentliche Urkunden, d. i. solche, die von einem öffentlichen Amte oder von einem zur Ausstellung solcher Urkunden berechtigten und eidlich verpflichteten Be¬ amten in amtlicher Eigenschaft ausgestellt worden sind, als rechtliche Beweise dessen, worüber sie errichtet wurden, angesehen werden können, wenn nicht That- umstände vorliegen, aus welchen sich gegründete Be¬ denken gegen deren Glaubwürdigkeit ergeben. Die Ge¬ schwornen werden daher keinen Anstand nehmen, auf Grund eines legalen Taufscheines als erwiesen an¬ zusehen, daß die bestimmte Person an dem darin an- 222 gesetzten Tage geboren wurde, wenn nicht über die Identität der im Taufscheine genannten Person mit jener Person, die in Frage steht, ein gegründeter Zweifel obwaltet. Dasselbe wird bei Trauscheinen, Strafurtheilen, Strafextracten, gerichtlichen Protokollen u. s. w. der Fall sein. Bei Privaturkunden wird zu unterscheiden sein, ob sie die strafbare Handlung selbst enthalten oder nicht. Im ersteren Falle, z. B. bei einer nachgemachten oder gefälschten Urkunde, bei einem Auf¬ rufe zum Widerstande gegen ein bestimmtes Gesetz, bei Aufforderungen zu einem Verbrechen u. s. w. wird der Thatbestand der bezüglichen strafbaren Handlung als erwiesen angesehen werden können, wenn nicht beson¬ dere Bedenken dagegen obwalten. Im letzteren Falle dagegen wird eine derlei Urkunde, wenn sie vom Be¬ schuldigten herrührt, als Geständniß, wenn sie aber von dritten Personen ausgefertigt wurde, als Zengniß anzusehen und dann nach jenen Grundsätzen zu be- urtheilen sein, welche wir unten über den Beweis durch das Geständniß, rücksichtlich über den Zeugen¬ beweis entwickeln werden. 4. Der Zeugenbeweis. In Bezug auf den Beweis durch Zeugen wird es in erster Linie auf die Glaubwürdigkeit des Zeugen oder der Zeugen an- kvmmen. Nach der Strafprozeßordnung vom Jahre 1853 war eine Thatsache dann als erwiesen anzusehen, wenn sie von zwei Zeugen, deren Aussagen mit den gesetz¬ lichen Erfordernissen versehen waren, bestätiget wurde. Dermalen, wo der Richter an eine positive Beweis¬ theorie nicht mehr gebunden ist, sondern das Recht der freien Beweiswürdigung hat, wird es ganz auf den Eindruck ankvmmen, den der Zeuge auf den Richter (Geschwornen) macht, und dieser wird eine Thatsache als erwiesen ansehen können, wenn sie auch nur von 223 einem Zeugen bestätigt wird, während es Fälle geben kann, in welchen er den übereinstimmenden Aussagen von zwei und noch mehr Zeugen nicht Glauben schen¬ ken wird. Die Glaubwürdigkeit eines Zeugen nun hängt von den besonderen Umständen des einzelnen Falles ab, und diese Umstände sind so verschiedenartig und mannigfach, daß sich diesfalls erschöpfende Regeln nicht aufstellen lassen. Indessen dürfte es sachgemäß sein, wenigstens einige Grundsätze aufzustellen, an deren Hand es den Geschwornen jedenfalls leichter sein wird, die Glaubwürdigkeit eines Zeugen zu prüfen und dar¬ nach seiner Aussage die entsprechende Beweiskraft zu¬ zuerkennen. 1. Der Zeuge muß, um Anspruch auf Glaub¬ würdigkeit zu haben, sowol zur Zeit, zu welcher sich die zu bezeugende Thatsache zugetragen, als auch zur Zeit seiner Einvernehmung bei vollem Verstände sein. Demnach werden: a) Wahnsinnige, die des Gebrauches der Vernunft beständig beraubt sind, nie zur Zeugenschaft zuzulassen sein. Dagegen sind Personen, die nur vorübergehend an Sinnenverrückungen leiden, nicht unbedingt zu ver¬ werfen, vorausgesetzt, daß sie zur Zeit des Ereignisses, worüber sie Zeugenschaft ablegen sollen, und zur Zeit ihrer Einvernehmung sich nicht im Zustande der Sinnen¬ verrückung befunden haben. Personen insbesondere, die an sogenannten fixen Ideen leiden, z. B. daß sich eine Schlange in ihrem Bauche befinde u. s. w., werden ganz glaubwürdige Zeugen sein, woferne die zu be¬ zeugende Thatsache nicht mit ihrer fixen Idee im Zu¬ sammenhänge steht, zumal die Erfahrung lehrt, daß derlei Personen, abgesehen von ihrer fixen Idee, ganz logisch denken und handeln. 224 d) Kinder, die das Vermögen, bestimmte Wahr¬ nehmungen zu machen, so wie das Erinnerungsver¬ mögen nicht besitzen, werden nicht als glaubwürdige Zeugen angesehen werden können. Wie lange nun dieses Unvermögen dauert, ist je nach den Anlagen, der Erziehung und geistigen Ausbildung des Kindes derart verschieden, daß sich eine feste Grenze nicht ziehen läßt, vielmehr alles dem Eindrücke überlassen werden muß, den das Kind auf den Geschwornen macht. Unter Umständen wird einem 8jährigen Kinde, dessen Aussage natürlich nicht beeidet ist, weil Per¬ sonen, die zur Zeit ihrer Abhörung das 14. Lebens¬ jahr noch nicht zurückgelegt haben, zum Eide nicht zugelassen werden dürfen, mehr Glauben zu schenken sein, als der beeideten Aussage eines Zeugen, der schon lange großjährig ist. e) Cretins und schwachsinnige Personen überhaupt werden mit großer Vorsicht bezüglich der Glaubwür¬ digkeit ihrer Aussagen zu beurtheilen sein. Man wird sich vor allem überzeugen müssen, wie weit ihre Auf¬ fassungskraft reicht und ob der Gegenstand, worüber sie Zeugniß ablegen sollen, noch innerhalb dieser Grenze gelegen ist. 2. Der Zeuge muß, soll seine Aussage glaub¬ würdig sein, nach den besonderen Umständen des Falles in der Lage gewesen sein, bestimmte Wahrnehmungen zu machen. War daher der Zeuge z. B. vom Thatorte so weit entfernt, daß er gar nicht oder nur schwer ausnehmen konnte, was dort geschah, war es zur Zeit der That finster, ist der Zeuge kurzsichtig u. s. w., so wird seine Aussage mit besonderer Vorsicht aufzn- nehmen sein. Zeugen, welche aus eigener Wahrnehmung nichts wissen, sondern nur vom Hörensagen aussagen, sind 225 für den Geschwornen nur insoferne.von Belang, als sie über Aeußerungen anderer Zeugen Auskunft geben können und dadurch dem Geschwornen ein Mittel an die Hand geben, die Glaubwürdigkeit der Thatzeugen zu prüfen. 3. Es darf sich aus den persönlichen Verhältnissen des Zeugen kein Zweifel an der Glaubwürdigkeit seiner Aussage ergeben. In dieser Richtung ist genau zu prüfen: n) in welchen! Verhältnisse der Zeuge zum An¬ geklagten steht. Diese Prüfung wird insbesondere da am Platze sein, wo es sich nicht so sehr um die Fest¬ stellung des objectiven Thatbestaudes, als um den Be¬ weis gegen den Angeklagten handelt. Indessen wird sich häufig, ja in den meisten Fällen die Frage über den objectiven Thatbestand von der Person des Be¬ schuldigten nicht leicht trennen lassen, weshalb wir schon hier auf dieses Verhältniß aufmerksam machen mußten. Ist der Zeuge insbesondere mit dem Beschuldigten in naher Verwandtschaft oder Schwägerschaft, und hat er von dem ihm zustehenden Rechte, sich der Zeugen¬ aussage zu entschlagen, keinen Gebrauch gemacht, so wird vor allem zu unterscheiden sein, ob er gegen den Beschuldigten oder zugunsten desselben aussagt. Im ersten Falle wird seine Aussage (wenn nicht andere Bedenken, von denen wir unten sprechen werden, ent¬ gegenstehen) mehr Anspruch auf Glaubwürdigkeit haben, als im letzten Falle, weil da der Verdacht nahe liegt, daß der Zeuge den Beschuldigten um jeden Preis ent¬ lasten wolle; es müßte denn sein, daß die Persönlich¬ keit des Zeugen jeden derartigen Verdacht ausschließt oder daß seine Aussage durch andere erwiesene Umstände unterstützt wird. Ist der Zeuge mit dem Beschuldigten 15 226 oder seinen Angehörigen oder anderen ihm nahestehenden Personen gut befreundet, steht er zum Beschuldigten oder den bezeichneten Personen im Dienst-, Schuld¬ oder einem andern Abhängigkeits-Verhältnisse, so wird seine Aussage, woferne sie zugunsten des Angeklagten lautet, mit eben solcher Vorsicht zu behandeln sein, wie die Aussage eines zum Beschuldigten in Verwandtschafts- oder Schwägerschafts-Verhältnisse stehenden Zeugen. Mit noch größerer Vorsicht ist endlich die Aus¬ sage eines Zeugen zu behandeln, der mit dem Be¬ schuldigten oder anderen ihm nahe stehenden Personen in offenbarer Feindschaft lebt, woferne er gegen den Beschuldigten aussagt. Ferners ist zu priifen, ob b) der Zeuge irgend ein materielles Interesse am Ausgange des Strafprozesses hat. Hieher gehört ins¬ besondere der durch die strafbare Handlung Beschädigte. Es wäre jedoch unrecht, deshalb allein die Aussage des Beschädigten, der in den meisten Fällen der Haupt¬ zeuge und in vielen Fällen der einzige Zeuge ist, zu verwerfen und sich dadurch des wichtigsten, oft ein¬ zigen Beweismittels zu berauben. Die positive Beweis¬ theorie hat im Gegentheile der Aussage des Beschä¬ digten in manchen Punkten, z. B. in Bezug auf die Beschaffenheit der That oder den Betrag des durch die That an barem Vermögen oder an andern schätz¬ baren Gegenständen verursachten Schadens volle Be¬ weiskraft beigemessen. Es wird daher auch der Ge- schworne, der das Recht der freien Beweiswürdigung hat, der Aussage des Beschädigten dann Glauben schen¬ ken, wenn weder die Persönlichkeit des Zeugen noch andere Umstände Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit aufkommen lassen. Insbesondere in den Fällen, in welchen die Aussage des Beschädigten durch andere Beweismittel, z. B. durch den gerichtlichen Augenschein, 227 das Gutachten von Sachverständigen oder durch Zeugen¬ aussagen unterstützt wird, muß derselben voller Glaube beigemessen werden. Ferners ist e) die Persönlichkeit des Zeugen einer Prüfung zu unterziehen. Personen zweifelhaften oder entschieden schlechten Rufes, Personen, die wegen strafbarer Hand¬ lungen aus Gewinnsucht, oder gar wegen falschen Zeugnisses, oder wegen Meineides abgestraft worden sind, haben weit weniger Anspruch auf Glaubwürdig¬ keit, als Zeuge« makellosen Rufes, bekannte Ehren¬ männer, Personen in geachteter Lebensstellung u. s. w., zu denen man sich einer wissentlich falschen Aussage gar nicht versehen kann. 4. Die Aussage des Zeugen selbst darf keinen Grund bieten, an ihrer Wahrheit zu zweifeln. Letz¬ teres wäre der Fall, wenn der Zeuge, während er seine Aussage deponirt, unsicher spricht, Spuren von Verlegenheit oder Furcht, eine heftige Gemüthsauf- regung an den Tag legt, stockt, sich in Widersprüche verwickelt u. s. w. 5. Es darf sich endlich zwischen der Aussage des Zeugen und anderen, bereits sichergestellten Umständen kein wesentlicher Widerspruch ergeben. Sind insbeson¬ dere mehrere Zeugenaussagen mit einander im Wider¬ spruche, so muß vorerst untersucht werden, ob der Widerspruch ein blos scheinbarer ist, z. B. ob nicht der eine Zeuge einen anderen Zeitpunkt vor Augen hat als der andere, ob nicht ein Jrrthum in den Per¬ sonen obwalte, u. s. w. Besteht ein wirklicher Wider¬ spruch, so muß weiters erwogen werden, ob derselbe m wesentlichen oder in nebensächlichen Umständen vor¬ kommt. Im letztem Falle werden die Zeugenaussagen ihre Glaubwürdigkeit nicht verlieren, weil es ja ganz begreiflich ist, daß die Zeugen die minder wichtigen 15* S28 Umstände nicht gleichmäßig wahrgenommen und mit größerer oder geringerer Gedächtnißtreue in der Er¬ innerung behalten haben. Bezieht sich dagegen die Differenz auf wesentliche Umstände, so wird die Glaub¬ würdigkeit der einzelnen Zeugenaussagen nach den oben entwickelten Grundsätzen zu prüfen und- für den Fall, als in dieser Richtung ein Unterschied zwischen den einzelnen Aussagen nicht gemacht werden könnte, das bezügliche Factum als nicht erwiesen anzusehen sein, weil dann offenbar ein Jrrthum vonseite des einen oder des anderen oder aller Zeugen obwalten müßte und man nicht in der Lage wäre, herauszufinden, wel¬ cher Zeuge im Jrrthum ist. Zur Erweisung des objectiven Thatbestandes eines Deliktes wird in gewissen Fällen eines der bisher an¬ geführten Beweismittel genügen, in anderen Fällen aber werden deren zwei oder mehrere erforderlich sein. So z. B. wird sich der objektive Thatbestand des Verbrechens der Störung der öffentlichen Ruhe, der öffentlichen Gewaltthätigkeit durch gefährliche Bedro¬ hung, des Vergehens der Aufwiegelung, kurz aller De¬ likte, die durch Worte begangen wurden, in der Regel durch Zeugenaussagen constatiren lassen, wogegen im Falle, als sie durch eine Schrift oder ein Druckwerk begangen wurden, der Augenschein zur Anwendung kommen wird. Zur Feststellung des Thatbestandes der Nachma¬ chung öffentlicher Creditspapiere genügt der Befund der Fabrikationscommissivn der Nationalbank, bei Münz- Verfälschungen jener des Hauptmünzamtes in Wien. Handelt es sich um das Verbrechen der öffentlichen Gewaltthätigkeit fünften Falles durch boshafte Beschä¬ digung fremden Eigenthums, so wird der Thatbestand durch den richterlichen Augenschein und das Gutachten 229 von Sachverständigen zu erweisen sein. Durch den Augenschein wird nemlich die boshafte Beschädigung, z. B. die Zertrümmerung der Thüren und Fenster, das Anschneiden von Obstbäumen, die Niederreißung einer Getreideharfe u. s. w. constatirt werden, wogegen sich die Schätzleute über die Höhe des dadurch ver¬ ursachten Schadens ausznsprechen haben, wodurch erst die criminelle Qualifikation der boshaften Beschädi¬ gung, d. i. der Umstand, daß der entstandene, eventuell im Vorsatze des Thäters gelegene Schade 25 st. über¬ steigt, nachgewiesen wird. Beim Verbrechen der schweren körperlichen Be¬ schädigung wird der objective Thatbestand in der Regel durch die Aussage des Beschädigten, mitunter durch die Aussage eines oder mehrerer Thatzeugen, in Ver¬ bindung mit dem Gutachten der Experten (Gerichts- ärzte) erwiesen werden. Der Beschädigte, eventuell der Zeuge oder die Zeugen werden bestätigen, daß auf deu Beschädigten in feindseliger Absicht ein Angriff erfolgte, und die Experten werden den Ausspruch über die Folgen der dabei gesetzten Verletzung und über deren Quali¬ fikation— z. B. ob dieselbe eine an und für sich schwere, mit einer mindestens 20- oder 30tägigen Gesundheits¬ störung verbundene lebensgefährliche Beschädigung sei u. s. w. — zu fällen haben. Bei der Brandlegung wird der objective Thatbestand durch den richterlichen Augen¬ schein, durch die Vernehmung von Zeugen und ins¬ besondere des Beschädigten zu erheben, d. h. zu con- statiren sein, ob das Feuer ausgebrochen ist; im be¬ jahenden Falle: ob es gelegt wurde, welcher Schade daraus entstanden ist und welcher daraus hätte ent¬ stehen können; im Falle als das Feuer nicht ausge- brvchen ist aber: ob demungeachtet eine Handlung un¬ ternommen (z. B. ein Zündstoff gelegt) wurde, ans 230 welcher nach dem Anschläge des Thäters eine Feuers¬ brunst entstehen sollte, u. s. w. Beim Diebstahle und der Veruntreuung wird der objective Tbatbestand in der Regel durch die Aussage des Beschädigten zu er¬ heben sein. Was nun die Beweismittel bezüglich der Thäter- schaft anbelangt, so steht unter diesen obenan: 1. das Geständniß. Dieses Beweismittel ist ein so wichtiges, daß manche Gesetzgebungen im Falle seines Vorhandenseins den Wahrspruch der Jury für über¬ flüssig halten, welchen Grundsatz jedoch unsere Straf¬ prozeßordnung nicht acceptirt hat. Indessen werden die Geschwornen doch gut thun, auch bei einem umfassen¬ den und vollständigen Geständnisse zu Prüfen, ob der objective Thatbestand erwiesen, d. h. ob wirklich con- statirt sei, daß jene strafbare Handlung, die der An¬ geklagte eingesteht, auch wirklich begangen worden ist. Wenn z. B. gesteht, den L im Walde in X er¬ schlagen zu haben, und trotz der sorgfältigsten Nach- suchung nirgends eine Spur des L gefunden wird, so wird es immerhin bedenklich sein, den X des Mordes schuldig zu sprechen, weil ja die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, daß L gar nicht getödtet wurde. Es darf jedoch andererseits auch nicht gefordert werden, daß bei einem vollkommenen Geständnisse die That nach allen Umständen erwiesen sein müßte, viel¬ mehr wird es in einem solchen Falle genügen, wenn nur einige Umstände erhoben sino, wodurch die ein¬ gestandene That bestätiget wird. Die Geschwornen werden weiters auch zu prüfen haben, ob das Geständniß nicht mit den übrigen bei der Verhandlung hervorgekommenen oder mit andern erwiesenen Umständen im Widerspruche steht. Ergibt sich z. B. aus den Aussagen mehrerer Zeugen, daß 231 der Angeklagte zur Zeit, zu welcher die Thal geschah, vom Thatorte so entfernt war, daß er die That gar nicht begehen konnte, so wird er nicht-schuldig gespro¬ chen werden müssen, wenngleich er gesteht, die That begangen zu haben. Daraus ist ersichtlich, daß ein Geständniß nicht ohne Prüfung als voller Beweis angenommen werden darf, da verschiedene Gründe (z. B. um in eine Strafanstalt zu kommen, um dem Zwangs¬ arbeitshause zu entgehen, um den Verdacht eines schwe¬ reren Verbrechens von sich abzuwälzen) den Angeklagten bewegen können, eine That einzugestehen, die er gar nicht begangen hat. Ist dagegen die That, deren der Angeklagte ge¬ ständig ist, objectiv wenigstens nach einigen Umständen sichergestellt, und stimmt das Geständniß mit den über die Umstände der strafbaren Handlung eingeholten Er¬ fahrungen im wesentlichen überein, so kann und muß es als voller Beweis angesehen und demnach auf Grund desselben der Angeklagte schuldig gesprochen werden. Widerruft ein Angeklagter das in der Vorunter¬ suchung abgelegte Geständniß, so wird der Geschworne zu prüfen haben, ob der Widerruf hinreichend motivirt ist, d. h. ob der Angeklagte eine glaubwürdige Ursache, waruin er früher ein falsches Geständniß abgelegt hat, anzugeben vermochte. Ist er das nicht imstande, so wird dem Angeklagten der Widerruf insbesondere dann nichts nützen, wenn das ursprüngliche Geständniß durch die übrigen Erhebungen unterstützt ist, oder wenn der Angeklagte erwiesene richtige Umstände eingestanden hat, die nur demjenigen bekannt sein konnten, der die That verübt oder daran theilgenommen hat. 2. DerZeugenbeweis. Jnwieferne ein leugnen¬ der Beschuldigter durch die Aussage eines oder mehrerer Zeugen überwiesen werden kann, ist nach den oben 232 bezüglich der Erweisung des objektiven Thatbestandes durch Zeugen auseinandergesetzten Grundsätzen zu be- nrtheilen. 3. Der zusammengesetzte oder Jndicien- beweis. In der Regel läßt sich der leugnende Be¬ schuldigte durch Thatzeugeu nicht überführen, weil der Verbrecher in den weitaus meisten Fällen seine That nicht in Gegenwart von Zeugen vollführt. In solchen Fällen wird der Beweis aus dem Zusammentreffen von Verdachtsgründen zu führen sein. Diese Verdachts¬ gründe oder Judicien sind selbstverständlich so mannig¬ fach und verschiedenartig, daß eine taxative Aufzählung derselben unmöglich ist. Wir wollen daher im Nach¬ stehenden nur einige der am häufigsten vorkommenden Verdachtsgründe anfführen. u) Das außergerichtliche Geständniß. Es wäre grundfalsch, dem außergerichtlichen Geständnisse unbedingt volle Beweiskraft zuzumessen. Wie oft geschieht es, daß Personen ihren Genossen gegenüber aus bloßer Prählsucht sich einer That rühmen, die sie nie begangen haben. Derlei falsche Berühmungen kommen ins¬ besondere nach Raufhändeln und Schlägereien häufig vor. Der Geschworne wird daher im Falle eines außer¬ gerichtlichen Geständnisses sorgsam zu prüfen haben, ob dasselbe mit den übrigen Erhebungen übereinstimmt, ins¬ besondere ob dasselbe über Umstände abgelegt wurde, deren Wahrheit constatirt ist und die füglich nur dem Thäter bekannt sein konnten. Nehmen wir z. B. den Fall an, dem L seien 50 in einen rothen Strumpf eingewickelt gewesene Thaler, darunter 10 Muttergottes- thaler und 20 Kreuzthaler, gestohlen worden, und L hat kurze Zeit darauf seiner Concubine erzählt, er¬ hübe dem 50 in einen rothen Strumpf einge¬ wickelt gewesene Thaler, darunter 10 Muttergottes- 233 thaler und 20 Kreuzthaler, entwendet, sv wird wol nie¬ mand zweifeln, daß L beim Diebstahl betheiligt war vder denselben verübt hat; ja es wird ein solches Ge- ständniß unter Umständen vollkominen hinreichen, in dem Geschwornen die Ueberzeugung von der Schuld des Angeklagten hervorzurufen. Der Geschworne wird weiters im Falle eines außergerichtlichen Geständnisses die Umstände wol zu erwägen haben, unter welchen es abgelegt wurde, sowie auch das Verhältniß des Beschuldigten zu jener Person, welcher er das Geständniß machte, nicht unerwogen bleiben darf. Insbesondere wird das außergerichtliche Geständniß an Werth verlieren, wenn der Beschuldigte zur Zeit der Ablegung desselben sich im Zustande der Berauschung oder einer anderen Aufregung befand, wenn mit Rücksicht ans das berührte Verhältniß der Zweifel begründet erscheint, daß der Beschuldigte im Ernste die That eingestanden habe u. s. w. b) Die Aussage der Mitschuldigen. Wenn ein oder mehrere Mitschuldige über eine mit den leug¬ nenden Beschuldigten gemeinschaftlich verübte That gegen denselben aussagen, so wird es vor allem darauf an¬ kommen, ob die Mitschuldigen selbst umfassend gestän¬ dig sind und ihr Geständniß auch mit den objectiven Erhebungen übereinstimmt, weil in diesem Falle der Umstand, daß sie durch ihr Geständniß sich ja selbst die Bestrafung zuziehen, für die Wahrheit ihrer Aus¬ sage spricht und kein Grund zur Annahme vorliegt, daß sie ihren Genossen ungerecht und nur zur eigenen Ent¬ lastung beschuldigen. Es wird übrigens auch in diesem Falle zu prüfen sein, ob nicht bloße Leidenschaft, z. B. Haß oder Feindschaft die Mitschuldigen bestimme, einen Unschuldigen zu belasten, wie auch ihr Benehmen bei der Hauptverhandlung und insbesondere im Momente 234 der Gegenüberstellung mit dem leugnenden Beschul¬ digten genau zu beobachten ist. o) Der Besitz des Werkzeuges, womit die strafbare Handlung verübt wurde oder leicht verübt worden sein konnte. Im letzteren Falle ist dieser Ver¬ dachtsgrund insbesondere daun schwerwiegend, wenn dieses Werkzeug eine ganz besondere Beschaffenheit hatte, demnach mit größerer Sicherheit gefolgert werden kann, daß derjenige, der es zur Zeit der That besessen hat, mich die That ausgeführt haben mußte. Z. B. die Experten constatiren bei einem Morde, daß der tödtliche Stich mit einem dreischneidigen Stilet von bestimmten Dimensionen geführt worden sei. Wurde nun im Besitze des Anklagten ein dreischneidiges Stilet von den gleichen Dimensionen gefunden, so ist die Wahrscheinlichkeit, daß er den Mord verübt habe, jeden¬ falls viel größer, als sie es unter sonst gleichen Um¬ ständen wäre, wenn die That mit einem gewöhnlichen Taschenmesser verübt und der Beschuldigte im Besitze eines solchen betreten worden wäre. Auch dann wird diese Jndicie schwerer wiegen, wenn der Beschuldigte über die Ueberkommungsart des Werkzeuges sich nicht auszuweisen vermag, oder wenn ihm dasselbe nach seinem Stande oder seiner Beschäftigung überflüssig, oder es bei Leuten seines Standes ungewöhnlich ist. Ist dagegen der erstere Fall vorhanden, d. h. ist erwiesen, daß die That mit eben demselben Instrumente verübt wurde, das der Beschuldigte zur Zeit der That besessen hat, so werden in den weitaus meisten Fällen nur wenige Unterstützungsmomente ge¬ nügen, um im Geschwornen die Ueberzeugung von der Schuld des Angeklagten wach zu rufen. ä) Vorhergegangene Drohungen von- seite des Angeklagten mit der That, die später be- 235 gangen wurde, werden wol nur dann einen näheren Verdachtsgrund begründen, wenn die Drohung ernstlich, nicht zu lange Zeit vor der That und bestimmt, d. h. nicht blos in allgemeinen Ausdrücken geschah. Insbesondere dann, wenn in der Drohung die Details der strafbaren Handlung mit Rücksicht auf Ort, Zeit uud sonstige Umstände enthalten waren, wird derselben ein großes Gewicht beizulegen sein. Z. B. L erzählt seinem Freunde L, er habe den festen Vorsatz, den 0 am Heimwege vom nächsten Jahrmärkte in R am Wege nahe der Kapelle von X aufzulauern und ihm unversehens ein Fläschchen Schwefelsäure ins Gesicht zu gießen, weil er ihn unendlich hasse. Wird nun 0 am Heimwege vom Jahrmärkte in U nahe der bezeich¬ neten Kapelle wirklich überfallen und auf die bezeich¬ nete Weise im Gesichte verletzt, so wird die vom Be¬ schuldigten ausgestoßene Drohung schwer in die Wag¬ schale fallen, so daß nur wenige unterstützende Momente zur Begründung der richterlichen Ueberzeugung von seiner Schuld dazu zu treten brauchen. s) Vorbereitungshandlungen vonseite des Beschuldigten, die sich auf das Verbrechen beziehen, werden um so wichtigere Verdachtsgründe sein, je inniger ihr Zusammenhang mit der That ist. Wurde z. B. vergiftet und ist constatirt, daß der Angeklagte sich kurz vorher Gift angekauft hatte; oder wurde jemand erschossen und liegt gegen den Angeklagten vor, daß er unmittelbar vorher am Thatorte sein Gewehr scharf geladen habe; oder hat im Falle eines Kinds¬ mordes die Angeklagte ihre Schwangerschaft verheim¬ licht und absichtlich die Anschaffung auch nur der nö¬ tigsten Kindswäsche unterlassen n. s. w., so werden derlei Handlungen, rücksichtlich Unterlassungen, in Ver¬ bindung mit anderen Beweismitteln ganz geeignet sein, 236 beim Geschwornen die Ueberzeugung vvn der Schuld des betreffenden Angeklagten hervorzurufen. k) Die Anwesenheit des Angeklagten am Th a torte zur Zeit der That ist dann eine Jndieie von besonderem Gewichte, wenn sie unter Umständen geschah, welche es wahrscheinlich machen, daß der An¬ wesende die That begangen habe. Diese Wahrschein¬ lichkeit kann möglicherweise eine so große sein, daß dieser Verdachtsgrund allein zur Ueberweisnng des Be¬ schuldigten hinreicht. Z. B. L legt seine Reisetasche in das Nebenzimmer einer Restauration, in das man nur vom Gastzimmer aus gelangen kann. Eine halbe Stunde darauf wird die Tasche vermißt. Ist nun con- statirt, daß während dieser Zeit nur der Beschuldigte im Nebenzimmer war, daß ein Dritter gar nicht hätte hineinkommen können, so ist es (vorausgesetzt, daß die Tasche wirklich in das Nebenzimmer gelegt und in der bestimmten Zeit entwendet worden ist) nach dem natür¬ lichen Gange der Ereignisse gar nicht anders möglich, als daß der Angeklagte die Tasche entwendet hat. Der Verdachtsgrund der Anwesenheit am That- orte liegt auch dann vor, wenn daselbst die Fußspuren des Beschuldigten oder Sachen gefunden wurden, die derselbe zur Zeit der Verübung des Delictes besessen hat. So z. B. mußte in dem oben beschriebenen Schwur¬ gerichtsfalle ans dem Umstande, daß am Thatorte der Vvrladungszettel gefunden wurde, in dessen Be¬ sitze Peter Brandmann erwiesenermaßen war, sowie aus dem weiteren Umstande, daß vom Hanse der Anna Primus an bis zum Wege Fußspuren constatirt wur¬ den, die mit der Fußbekleidung des Angeklagten voll¬ kommen übereinstimmten, gefolgert werden, daß Peter Brandmann im Momente der Thatverübung im Zimmer der Anna Primus war und beim Herannahen von 237 Leuten sich durchs Fenster flüchtete. In diesem Falle war der Verdachtsgrund der Anwesenheit am That- orte ein so naher, daß er für sich allein schon genügt haben würde, die Geschwornen von der Schuld des Angeklagten zu überzeugen. Zuweilen kann der in Rede stehende Verdachts¬ grund nur von geringerem Belange sein. Dies ist ins¬ besondere dann der Fall, wenn der Beschuldigte seine Anwesenheit am Thatorte auf eine Art erklären kann, die mit dem begangenen Deliete in keine Beziehung zu bringen ist. So z. B. wird der Umstand, daß ein Dienstbote in der Gesindestube war, in welcher ein Diebstahl verübt wurde, nicht gravirend sein, weil er ja dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, es müßte denn sein, daß er zur Zeit der That allein am Lhatorte war, weil dann seine Anwesenheit mit der That in einen Zusammenhang gebracht werden kann. Ebenso wird der Umstand, daß der Beschuldigte niit vielen anderen Personen zur Zeit der That am That¬ orte war, für sich allein nur einen entfernten Ver¬ dachtsgrund bilden, wogegen dieser Umstand zur Unter¬ stützung anderer Beweismomente sehr viel beitragen kann. Z) Der Besitz von Gegenständen, die der Be¬ schädigte zur Zeit der That besessen hat, oder von Sachen des Delictes ist gleichfalls ein wesentlicher Verdachtsgrund, der insbesondere dann von entschei¬ dender Bedeutung ist, wenn der Beschuldigte sich über die Ueberkommungsart des Gegenstandes nicht ans- zuweisen vermag. Nehmen wir z. B. au, daß die dem ä. entwendete goldene Uhr im Besitze des Diebstahls halber schon wiederholt abgestrasten Vaganten L ge¬ funden worden ist und dieser behauptet, die Uhr von einem unbekannten Individuum um einen Gulden ge- 238 kauft zu haben, so wird der Besitz der Uhr allein in Verbindung mit der Capacität des Beschuldigten zur Verübung einer solchen That hinreichen, um im Geschwornen die Ueberzeugung von seiner Schuld wach¬ zurufen. k) Merkmale des Delictes, der Verübung des¬ selben oder der dabei eiugetretenen Gewalt, welche an der Person des Beschuldigten, seiner Kleidung oder den von ihm zur Zeit der That besessenen Sachen gefunden werden, begründen in der Regel wol nur einen entfernteren Verdachtsgrund, können jedoch zur Unterstützung anderer, schon bestehender Verdachts¬ gründe und sohin zur Begründung der richterlichen Ueberzeugung von der Schuld des Angeklagten wesent¬ lich beitragen. So z. B. war in obigem Schwurgerichts¬ falle der Umstand, daß Peter Braudmann im Gesichte verletzt war und diese Verletzung gerade um die Zeit der That erhalten haben mußte, in Verbindung mit dem Umstande, daß die an der Leiche der Anna Pri¬ mus constatirten Erscheinungen mit Nothwendigkeit ans eine vorausgegangene Gegenwehr schließen ließen und daß an einem Fingernagel der Ermordeten ein Haar gefunden wurde, das den Haupthaaren des Angeklagten vollkommen glich, jedenfalls geeignet, die übrigen gegen denselben vorliegenden Verdachtsmomente in einer Weise zu stärken, daß ein Zweifel an der Schuld desselben gar nicht mehr aufkommen konnte. i) Die Flucht des Beschuldigten unmittelbar nach geschehener That wird dann als ein Verdachtsgrund aufzufassen sein, wenn derselbe nicht imstande ist, seine Absentirung glaubwürdig in anderer Weise zu begründen. So z. B. ist es allerdings möglich, daß jemand, auf den der allgemeine Verdacht eines Ver¬ brechens gefallen ist, aus Furcht vor einer Lynchjustiz 239 oder zur Vereitlung der sein Schamgefühl verletzenden Arretirung die Flucht ergreift, obgleich er unschuldig ist. Ueberhaupt wird dieser Verdachtsgrund wol nur in Verbindung mit anderen, stärkeren Judicien zur Herstellung des Schuldbeweises, d. i. zur Begründung der richterlichen Ueberzeugung von der Schuld des Angeklagten dienlich sein können. k) Ein Verdachtsgrund von gleicher Stärke wie der vorangeführte ist das Bestreben des Beschuldigten, die Spuren des Delictes zu vertilgen oder auf andere Art die obrigkeitliche Nachforschung zu vereiteln. Hieher gehört insbesondere das Bestreben, Zeugen zur Ver¬ schweigung der Wahrheit oder zu für den Angeklagten günstigen Aussagen zu vermögen. l) Die Capacität des Beschuldigten zur Verübung der That, deren er angeklagt ist, d. h. die Eigenschaft, vermöge welcher ihm die That zugemuthet werden kann, ist zwar für sich allein zur Herstellung des Schuld¬ beweises nicht geeignet, jedoch von eminenter Wichtig¬ keit, insoferne es sich um die Unterstützung, rücksichtlich Ergänzung eines schon vorliegenden Beweises handelt. Die Umstände nun, aus welchen die Capacität des Angeklagten zur Verübung der ihm angeschuldeten That gefolgert werden kann, sind wieder außerordent¬ lich mannigfach, so daß eine Aufzählung derselben ganz unmöglich ist. Man wird da vor allem fragen müssen, welche Eigenschaften des Gemüthes, welche Physischen Eigenschaften, welche Kenntnisse beim Thäter vorausgesetzt werden müssen, und ob diese Eigenschaften beim Angeklagten zutreffen; ferners ob der Angeklagte mit Rücksicht auf seine Familien-, Vermögens- und Standesverhältnisse ein Interesse an dem Verbre¬ chen gehabt habe, ob seine bekannten Leidenschaften, z. B. Haß, Neid, Rachsucht, Wollust u. s. w. ihn als 240 eine Person erscheinen lassen, zu der man sich der Thal versehen kann. In dieser Richtung wird nun der Leu¬ mund des Angeklagten von besonderem Belange sein, wie in noch höherem Grade der Umstand, daß der Angeklagte wegen der gleichen oder einer auf der nemlicheu Triebfeder beruhenden That bereits abge¬ straft war, in den meisten Fällen einen ganz sicheren Schluß aus die Capacität des Angeklagten ziehen läßt. in) Sehr verdächtig ist auch der Umstand, daß der Angeklagte sich über sein Alibi (anderswo) zur Zeit der That nicht auszuweiseu vermag, es müßte denn sein, daß ihn andere Gründe bestimmen, sei¬ nen Aufenthaltsort zur Zeit der That nicht namhaft zu machen, oder daß er vermöge seiner persönlichen Verhältnisse, z. B. weil er an einem abgelegenen Orte allein wohnt, nicht in der Lage ist, Zeugen anzu¬ führen. n) Der Umstand, daß das Gegentheil dessen nach¬ gewiesen ist, was der Beschuldigte zu seiner Rechtfer¬ tigung behauptet hat, die erwiesenermaßen falsche Ver¬ antwortung desselben also, ist ein Verdachtsmoment, das zwar für sich allein zur Herstellung des Schuld¬ beweises gleichfalls nicht genügt, aber in Bezug auf die Ergänzung dös Beweises von eben so großer Bedeutung wie die Capacität ist. o) Auch das Benehmen des Angeklagten gleich nach der That so wie vor Gericht kann unter Um¬ ständen von großem Einflüsse ans die Ueberzeugung der Richter sein. So wie einerseits ein ruhiges, ge¬ lassenes, sicheres Benehmen, offenes Auftreten, logisch richtiges und konsequentes Beantworten der Fragen, freies Aufblicken, würdevolles, vom Herzen kommen¬ des Behaupten der Unschuld sehr zugunsten des An¬ geklagten stimmen muß, würden andererseits Unruhe, 241 Furcht, Zittern, Angstschweiß, scheues Umherblicken, häufiger Wechsel in der Stimme, Widersprüche, stür¬ misches Behaupten der Unschuld gepaart mit Schwü- ren'tund Verwünschungen, vorsichtiges Ausweichen auf die Fragen u. s. w. gegen denselben einnehmen. In¬ dessen ist dabei die größte Vorsicht nöthig, weil einer¬ seits alte Verbrecher eine außerordentliche Verstellungs¬ kunst besitzen, andererseits Personen, die das erste mal vor Gericht erscheinen, unter der Last der Anklage und Angesichts der Gerichtsversammlung in eine Angst und Unruhe gerathen, die nicht nothwendig dem Gefühle des begangenen Unrechtes ihr Entstehen verdankt, son¬ dern der peinlichen und ungewohnten Situation, in der sich der Angeklagte befindet, zuznschreiben ist. Ge¬ schworene werden daher gut thun, den Eindruck, den das Verhalten des Angeklagten auf sie macht, stets durch die übrigen Beweismomente zu reguliren, zumal eine Irreführung derselben gerade in dieser Richtung bei ihnen viel leichter möglich ist, als bei in ihrem Berufe ergrauten Fachrichtern, bei denen weder die Finten abgefeimter Verbrecher verfangen, noch die Zaghaftigkeit und Schüchternheit von Personen, die das erste mal auf der Anklagebank sind, eine unrichtige Deutung befürchten läßt. p) Bei Delicten, die aus Gewinnsucht begangen werden, z. B. beim Diebstahle, der Veruntreuung, dem Raube, Betrüge u. s. w. wird es als ein besonderer Verdachtsgrund anzusehen sein, wenn der Beschul¬ digte nach der That einen mit seinen Vermögens¬ verhältnissen in keinem Einklänge stehenden Aufwand gemacht oder Geld und Münzsorten besessen oder ver¬ ausgabt hat, die in der Menge und Beschaffenheit mit denjenigen, welche das Object des Delictes bildeten, übereinstimmen. 16 242 Wie viele von den bislang angeführten Verdachts- gründen Zusammentreffen müssen, um im Geschwornen die Ueberzeugung von der Schuld des Angeklagten zu begründen, läßt sich nicht sagen, da — wie schon erklärt wurde — für die Geschwornen keine Beweisregeln be¬ stehen. Die Beurtheilung der Beweiskraft der einzelnen Verdachtsgründe ist also lediglich dem freien Ermessen des Geschwornen anheimgestellt. Er wird unter Um¬ ständen bei dem Vorhandensein eines einzigen der oben angeführten Verdachtsgründe die Ueberzeugung von der Schuld des Angeklagten gewonnen haben, wogegen wieder unter anderen Verhältnissen mehrere, ja selbst viele der erwähnten Verdachtsgründe ihn von der Schuld des Angeklagten nicht überzeugen werden. Es können auch Umstände zur Ueberzeugung führen, die sich in keine der obangeführten Kategorien von Ver¬ dachtsgründen reihen lassen. Immer aber muß der Ge- schworne beim Jndicienbeweise in Erwägung ziehen, ob die einzelnen Verdachtsgründe unter sich und mit der That im Zusammenhänge stehen und ob durch dieselben ein solcher Connex zwischen der That und der Person des Beschuldigten gegeben ist, daß nach dem gewöhnlichen Gange der Ereignisse kein Grund zu zweifeln übrig bleibt, daß der Angeklagte die That be¬ gangen habe. Was nun den Beweis über die Absicht an¬ belangt, in welcher eine Handlung verübt worden ist, so werden die Geschwornen im Falle, als der Be¬ schuldigte einen bestimmten bösen Vorsatz ganz in Ab¬ rede stellt oder ein geringeres Uebel als das wirklich entstandene gewollt zu haben behauptet, die Absicht des Thäters aus den Umständen, welche der That vor¬ hergingen, sie begleiteten, ihr nachfolgten, so wie aus den übrigen Verhältnissen, welche die Voruntersuchung 243 und Verhandlung ergeben hat, folgern müssen. Diese Aufgabe wird eine leichte sein, wenn die verübte That eine solche ist, daß das mit dem Verbrechen verbunden gewesene Uebel aus der That unbedingt, d. h. unter allen Umständen hervorgehen mußte, demnach gefolgert werden muß, daß der Thäter dieses Uebel bei Ver¬ übung der That gewollt habe. Wenn z. B. dem 8 mit einem Rasirmesser den Hals durchschneidet, ihm ein Messer mitten durchs Herz stößt, oder in einer Entfernung von wenigen Schritten ein mit einer Kugel geladenes Gewehr gegen seinen Kopf oder seine Brust abschießt, und in diesen Fällen der Tod des 8 eintritt, so wird dem /V die Ausrede, er habe den L nicht tödten, sondern nur verwunden wollen, nichts nützen, weil mit den bezeichneten Handlungen das entstandene Uebel, d. i. der Tod nothwendig verbunden, die mörderische Absicht also in den Handlungen selbst gelegen war. Die Geschwornen werden daher in einem solchen Falle den bösen Vorsatz ohne weiters als erwiesen annehmen können. , In andern Fällen wird zu erwägen sein, ob die That plötzlich und daher unvorbereitet verübt worden sei, oder ob der Angeklagte die Mittel und Wege zu ihrer Ausübung ausgeforscht, die Ausführung vor¬ bereitet habe. Im ersteren Falle wird die Behauptung des Angeklagten, er habe das eingetretene Uebel nicht gewollt, in Erwägung zu ziehen sein, wogegen im letzten Falle die böse Absicht aus den Vorbereitungen gefolgert werden muß. Wenn z. B. L dem 8 in einem Raufhandel mit einem gewöhnlichen Taschenmesser einen Stich in den Magen versetzt, woraus der Tod des 8 erfolgt, so wird seine Verantwortung, er habe den 8 nur verwunden und nicht tödten wollen, jedenfalls mehr Glauben verdienen, als wenn er z. B. ein Stilet 16* 244 geschliffen, sich hinter einem Bauine ans die Lauer ge¬ stellt und das Stilet dem arglos daherkommenden ö meuchlerisch in den Rücken gestoßen hätte. Im übrigen lassen sich die Umstände, aus welchen auf die Absicht des Thäters geschlossen werden kann, eben so wenig aufzühlen, wie wir dies oben bei den Verdachtsgründen gesehen haben. Es wird da das meiste auf den gegebenen Fall ankommen. Die Ge- müthsart des Angeklagten, sein Vorleben, sein Leu¬ mund, die vorausgegangenen Abstrafungen wegen glei¬ cher oder auf derselben Triebfeder beruhender Ver¬ brechen, die Standes-, Erwerbs- und Vermögensver- hältnifse, das Interesse des Beschuldigten am Verbrechen, z. B. wegen Beerbung des Getödteten, das Verhältniß des Angeklagten zum Beschädigten, vorausgegangene Aeußerungen des Angeklagten, die sich mit dem Ver¬ brechen in Beziehung bringen lassen, vorhergegangene Versuche, die That selbst oder durch andere auszuführen, die Wiederbolunb des Verbrechens u. s. w. sind Um¬ stände, welche einen richtigen Schluß auf die Absicht ziehen lassen, die den Thäter bei Verübung der Thal geleitet hat. Jedenfalls ist die Beurtheilung der Absicht des Thäters eine der schwierigsten, aber auch schönsten Auf¬ gaben des Richters. Sie erfordert Erfahrung und psychologische Kenntnisse. Den Geschwornen insbeson¬ dere ist dieser Theil ihrer Aufgabe, der eine rein ju¬ ristische, eminent richterliche Thätigkeit involvirt, be¬ sonders zu empfehlen. Wir sind nunmehr in der Lage, den Geschwornen einige Andeutungen an die Hand zu geben, auf welche Werse sie bei Lösung ihrer Aufgabe, die ihnen aus 245 dem Vvrhergegangenen hoffentlich klar geworden ist, vorgehen sollen, um sicher zu fern, derselben gerecht zu werden, wobei wir auch die einschlägigen Bestim¬ mungen der Strafprozeßordnung mit einflechten wollen. Zl. Die Mittel zur Lösung der den Geschworuen gegebene» Aufgabe. 1. Da der Geschworue dem Gange der Haupt- Verhandlung mit der ungetheiltesten Aufmerksamkeit folgen und während derselben stets geistig thätig sein muß, ist es unbedingt nothwendig, daß er geistig und körperlich frisch zur Hauptverhandlung komme. Ge- schworne, die aus der Ferne an den Sitz des Schwur¬ gerichtes zureisen müssen, werden daher gut thun, ihre Reise so einzurichten, daß sie spätestens im Laufe des Nachmittags am Gerichtssitze einlangen, um sich zeitlich zur Nachtruhe begeben zu köunen. 2. Wie bereits im Abschnitte über die Zusammen¬ setzung des Schwurgerichtes auseinandergesetzt wurde, hat der Vorsitzende, bevor er zur Auslosung der Ge- schwvrnen schreitet, an dieselben die Frage zu stellen, ob bei einem von ihnen ein Grund vorhanden sei, der ihn von der Theilnahme an der vorliegenden Verhand¬ lung ausschließt. Die Geschwornen sind verpflichtet, auf die Ausschließungsgründe genau aufzumerken und für den Fall, als ein solcher Ausschließungsgrund bei ihnen zutrifft, denselben dem Vorsitzenden sofort be¬ kannt zu geben. Die Unterlassung dieser Angabe wäre unter Umständen mit großen Nachtheilen verbunden, weil die Betheiligung eines ausgeschlossenen Geschwor¬ nen an der Entscheidung nach § 344, Z. 1, St. P. O. einen Nichtigkeitsgrund bildet, wegen welchem der Wahr- 246 spruch der Geschwornen und das darauf beruhende Urtheil aufgehoben und die Sache in die nächste Schwur¬ gerichtssitzung eines vom Cassationshofe zu bezeichnen¬ den Gerichtshofes zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung verwiesen werden müßte. Abgesehen nun von dem Schaden, den die Sache selbst durch die Hinausschiebung der Verhandlung erleiden würde, wäre in einem solchen Falle auch der Kostenpunkt namentlich dann von Belang, wenn viele und entfernte Zeugen oder Sachverständige ein zweites mal vor Gericht erscheinen müßten. 3. Bei der Vernehmung des Angeklagten über die Generalien merke der Geschworne genau auf, da die persönlichen und Familienverhältniffe des Angeklagten, seine Vorbildung, seine pecuniäre Lage und insbeson¬ dere sein Vorleben höchst wichtige Momente sein kön¬ nen, aus welchen der Geschworne bei Erwägung der Schuldfrage wichtige Schlüsse auf die Capacität, die Absicht des Thäters u. s. w. ziehen können wird. 4. Die Anklageschrift ist die Basis, auf welcher die ganze Hauptverhandlung aufgebaut wird. Der Ge¬ schworne, der diese Schrift richtig aufgefaßt hat, wird seine Aufgabe leicht erfüllen, da er die Ergebnisse der Hauptverhandlung nur mit der Anklage zu vergleichen braucht, um heraus zu finden, ob diese begründet sei. Es muß also jeder Geschworne bei Verlesung der An¬ klageschrift nicht nur mit der gespanntesten Aufmerksam¬ keit zuhören, sondern er wird gut thun, sich die wich¬ tigsten Punkte der Anklage, nemlich die dem An¬ geklagten zur Last gelegte Thathandkung, das Delict, auf welches die Anklage lautet, die in objectiver Richtung angeführten Beweise und die gegen den Angeklagten geltend gemachten Verdachtsgründe ganz kurz, und zwar auf der einen Seite eines in der Mitte zusammen- 247 gebogenen Papieres zu notiren, um dann zu jedem ein¬ zelnen Beweismittel im Laufe der Verhandlung kurz seine Bemerkung zu machen. Nehmen wir z. B. obigen Schwurgerichtsfall gegen Peter Brandmann her, so hätte der Geschworne sich während der Vorlesung der Anklageschrift nachstehende Notaten zu machen: Angeklagt, in der Nacht vom 21. Jänner 1874 der Anna Primus in der Absicht, sie zu tödten und sich sohin ihres Geldes zu bemächtigen, mit einem Holzscheite einen Schlag auf den Kopf gegeben zu haben, infolge dessen sie starb, und hierauf ihre Bar¬ schaft pr. 80 fl. genommen zu haben. Vollbrachter Raubmord, 134, 135, Z. 2, St. G. Objektiver Beweis: Die Zeugen Johann Mejak, Paul Siber, Alois Ehrlich. Der Befund und das Gutachten der Sachverständigen. Verdachtsgründe: 1. Zeugenvor¬ ladung im Hute (Bartelmä Jenar, Peter Meninger, Johann Mexak). 2. Stiefelspuren (Lokalaugenscheins- Protokoll). 3. Hautritzer im Gesichte (Victor Mayer, Alois Simon), Haar am Nagel (Gutachten der Aerzte). 4. Fünfziggulden-Staatsnote (Georg Halbert, Johann Mesak). 5. Falsche Verantwortung über die Ubication (Marie Dunzmann). 6. Eignung zur That (Straf- extract, gemeindeamtliches Zeugniß). Auf diese Art hat der Geschworne eine sichere Grundlage für die weitere Verhandlung gewonnen. Er weiß nunmehr, worauf es im Beweisverfahren an¬ kommt; er ist in der Lage, die Bedeutung der vom Vorsitzenden, von den Votanten, vom Staatsanwalte, vom Vertheidiger an den Angeklagten, die Zeugen und Sachverständigen gerichteten Fragen richtig anfzufassen; er vermag die Antworten des Beschuldigten, die Aus¬ sagen der Zeugen und Sachverständigen richtig zu 248 Würdigen und sich auf diese Art eine selbständige Meinung von der Grundhältigkeit oder Nichtstichhäl¬ tigkeit der Anklage zu bilden, bevor er die Plaidoyers der Parteien und das Resumo des Vorsitzenden ver¬ nimmt. 5. Während des Verhöres des Angeklagten soll der Geschworne demselben ins Gesicht sehen. Schuld oder Unschuld prägt sich nicht selten in den Gesichts¬ zügen aus. Die Art der Vertheidigung des Angeklagten, das offene Eingehen auf die ihm gestellten Fragen im Gegensätze zur rückhältigen Beantwortung derselben, das Zugestehen erwiesener Thatumstände im Gegensätze zum beharrlichen Ableugnen aller gegen ihn sprechenden Thatumstände, die Uebereinstimmung der Verantwor¬ tung bei der Hauptverhandlung mit jener in der Vor¬ untersuchung im Gegensätze zu Widersprüchen im Vor¬ verfahren und bei der Hauptverhandlung, ruhiges, gelassenes, ungeheucheltes Betheuern der Unschuld im Gegensätze zu Verwünschungen u. s. w. werden genau zu unterscheiden und zu Gunsten oder Ungunsteu des Angeklagten in die Wagschale zu legen sein. Der Geschworne mache es sich zum Grundsätze, aus den Antworten des Angeklagten nicht nur das, was gegen ihn spricht, sondern auch das, was zu seinen Gunsten, d. i. zu seiner Entlastung dienen kann, herauszunehmen und im Falle, als der Ange¬ klagte Umstände zu seiner Entlastung oder zur milderen Beurtheilung seiner Schuld anführt, bei der Vorfüh¬ rung der Beweise darauf zu achten, ob diese Angaben auch anderwärtig ihre Bestätigung finden. 6. Im Falle der Confrontation (Gegenüberstellung) mehrerer Angeklagten Prüfe der Geschworne genau den Eindruck, den die Aussage des geständigen Mit¬ schuldigen auf seinen leugnenden Genossen macht. Je 249 weniger der leugnende Beschuldigte befürchtet, von seinem Genossen verrathen zu werden, desto größer ist die Ueberraschung, wenn ihm plötzlich von diesem seine Mitschuld ins Angesicht wiederholt wird; desto leichter wird der leugnende Angeklagte sich zn Aeußerungen hinreißen lassen, welche einen richtigen Einblick in sein Verhältniß zur Thal gestatten. 7. Bei der Vernehmung der Zeugen wird der Geschworne besondere Rücksicht darauf zu nehmen haben, in welcher Art der Zeuge seine Aussage ablegt. Ist die Aussage des Zeugen entschieden, bestimmt, sind die einzelnen Antworten in logischem Zusammenhänge, tritt der Zeuge entschieden und fest auf, ohne vor dem An¬ geklagten eine Scheu zu empfinden, so wird seine Aus¬ sage auf den Geschwornen einen ganz andern Eindruck machen, als wenn seine Angaben unentschieden, un¬ bestimmt, unter einander nnd mit früheren Angaben im Widerspruche sind, wenn er sie mit einer gewissen Scheu und Rückhältigkeit macht u. s. w. Stimmen zwei Zeugen in ihren Aussagen nicht überein und schreitet der Vorsitzende zu ihrer Gegen¬ überstellung, so wird der aufmerksame Geschworne aus dem Dialoge, der sich sohin zwischen den beioen Zeugen entspinnt, nicht selten herausfinden können, auf wessen Seite die Wahrheit liegt. Da oft der Widerspruch zwischen zwei Zeugenaussagen ein nur scheinbarer ist und durch Fragen leicht aufgeklärt werden kann, wird der Geschworne, falls dies nicht schon vom Vorsitzenden, einem Votanten oder den Prozeßparteien geschehen ist, selbst an die Zeugen Fragen zu stellen haben. Der Geschworne wird gut thun, das Ergebniß des Zeugenverhörs sich ganz kurz, etwa in der Art zu notiren, daß er neben den Namen der bei den ein¬ zelnen Beweismomenten, wie er sie sich aus der An- 250 klageschrift ausgezeichnet hat, aiigemerkten Personen im Falle der Bestätigung des in der Anklage angeführ¬ ten Thatumstandes lediglich „ja" dazusetzt oder den Namen unterstreicht, dagegen im Falle, als ein Zeuge den Sachverhalt verschieden von der Anklage (sei es zugunsten oder zum Nachtheile des Angeklagten) an¬ gibt, die Abweichung mit einigen Worten präeisirt. So z. B. würde der Geschworne in unserem Schwurgerichts¬ falle bei Maria Dunzman hinzusetzen: Morgendäm¬ merung, blutig im Gesichte, sehr aufgeregt, auffallendes Benehmen. Diese Aufzeichnungen sind auch deshalb sehr nütz¬ lich, weil der Geschworne dann bei der Berathung, sobald das bestimmte Beweismittel (der Verdachts¬ grund) zur Sprache kommt, sogleich in der Lage ist, den Zeugen zu benennen, der diesen Umstand oder das Widerspiel desselben bestätiget hat. 8. In gleicher Weise wird der Geschworne auch den Ausführungen der Experten ein aufmerksames Ohr zu schenken haben, da ihr Gutachten — wie wir oben gesehen haben — nicht nur bezüglich des objectiven Thatbestandes, sondern auch in Bezug auf einzelne Verdachtsgründe und Momente des Schuldbeweises oft von Entscheidung ist. 9. Im Falle der Vorweisung von Beweisgegen- stünden werden die Geschwornen dieselben mit großer Aufmerksamkeit zu betrachten und zu prüfen haben. Handelt es sich z. B. um die Fälschung^ einer Urkunde und liegt die gefälschte Urkunde vor, so werden die Geschwornen das Falsificat mit den erwiesenermaßen vom Angeklagten (dem Fälscher) herrührenden Hand¬ schriften genau zu vergleichen haben, um aus eigener Anschauung die Ueberzeugung zu gewinnen, ob das 251 Falsificat tatsächlich von der Hand des Angeklagten herrühre u. s. w. Werden beispielsweise Situationspläne oder andere bei Vornahme eines Lokalaugenscheines aufgenommene Skizzen vorgewiesen, so werden die Geschwornen diese Zeichnungen mit dem Augenscheinsbefunde zu ver¬ gleichen haben und sich dadurch die Situation so leb¬ haft vor die Seele zu führen trachten, als ob die ganze That sich nochmals vor ihnen abspielen würde. 10. Auch bei der Verlesung der Acten horche der Geschworne wol auf, da ihm sonst gerade in diesem Stadium der Verhandlung mancher auf die Entschei¬ dung einen wesentlichen Einfluß nehmende Umstand, z. B. die vorausgegangenen Abstrafungen des An¬ geklagten, sein Leumund u. s. w. entgehen kann. 11. Jeder Geschworne mit Einschluß des Ersatz- geschwornen hat das Recht, an jede zu vernehmende Person Fragen zu stellen, sobald er hiezu vom Vor¬ sitzenden das Wort erhalten hat. Der Geschworne mache von diesem Rechte Gebrauch, sobald er es zur Aufklärung eines Umstandes nöthig findet, mag es den Angeklagten, einen Zeugen oder Experten betreffen. In dieser Richtung dürfte den Geschwornen zu em¬ pfehlen sein, mit der Fragestellung zu warten, bis der Vorsitzende das Verhör mit der betreffenden Person beendet hat, weil eine Unterbrechung desselben leicht eine Zurückweisung finden könnte und der Geschworne nicht wissen kann, ob nicht im Verlaufe des Verhörs die projectirte Frage gestellt oder deren Stellung durch die Beantwortung einer anderen Frage überflüssig ge¬ macht werden wird. 12. Wird während der Verhandlung eine nach Anschauung eines Geschwornen erhebliche Thatsache behauptet und werden zu deren Erweisung Beweise 252 angeboten, oder ergibt sich bei derselben ein bisher nicht vorgekommenes Beweismittel in Bezug auf eine erhebliche, jedoch noch nicht erwiesene Thatsache, so steht es demselben frei, die Beweisaufnahme sofort zu beantragen, worüber dann der Gerichtshof zu entscheiden hat. Z. B. der Angeklagte beruft sich zur Erweisung seiner Ubication auf zwei Zeugen, deren Namen ihm erst bei der Hauptverhandlung eingefallen sind. Wenn nun nicht der Vorsitzende von dem ihm eingeränmten Rechte, diese zwei Zeugen vorzuladeu, Gebrauch macht, so hat jeder Geschworne, rücksichtlich Ersatzgeschworne das Recht, beziehungsweise, wenn er den Umstand für wesentlich und nicht schon erwiesen hält, die Pflicht, die Vorladung dieser Zeugen zu beantragen und da¬ durch den Beschluß des Gerichtshofes zu provociren. 13. Eine besondere Aufmerksamkeit ist den Ge- schwornen während der Verlesung der Fragen zu em¬ pfehlen, denn diese sind es ja, über welche er deuWahr- sprnch abzugeben hat, sie sind es, welche der Ankläger und der Vertheidiger in ihren Plaidoyers und der Vor¬ sitzende in seinem Rcsumä zur Grundlage zu nehmen hat. 14. Den Vorträgen des Anklägers und des Ver- theidigers folge der Geschworne mit gespannter Auf¬ merksamkeit, lasse sich aber eine sorgsame Prüfung der¬ selben besonders angelegen sein. Vorsicht kann in dieser Richtung dem Geschwornen nicht genug empfohlen wer¬ den ; denn Ankläger und Vertheidiger sind Parteien, die den Gegenstand von ihrem Parteiftandpunkte aus be¬ leuchten und behandeln. Der Ankläger z. B. zeigt schon dadurch, daß er die Anklage aufrecht erhält, seine Über¬ zeugung von der Schuld des Angeklagten, und es ist demnach seine Pflicht, alles herauszusuchen und hervor¬ zuheben, was seine Anklage zu unterstützen vermag, was also gegen den Angeklagten spricht; wogegen der 253 Vertheidiger bemüht sem muß, die gegen seinen Clien¬ ten vorgebrachten Verdachtsgründe zu entkräften und alles ins Treffen zu führen, was die Anklage zu er¬ schüttern, den Angeklagten zu entlasten geeignet ist. Sache des Geschwornen ist es nun, aus diesem Wettstreite sich widerstrebender Interessen die Wahrheit herauszufiuden. Taub sei der Geschworne gegen schöne Reden, die da berechnet sind, auf sein Gefühl einzu¬ wirken, Empfindungen des Abscheues, rücksichtlich des Mitleides in ihm zu erwecken und so das Gefühl über den Verstand siegen zn lassen. Nicht die Form, in der zum Geschwornen gesprochen wird, der Inhalt allein sei für ihn maßgebend, und in keinem Augen¬ blicke verliere er die ruhige Ueberlegung, deren der Richter unbedingt bedarf, soll er sein heiliges Amt treu und redlich handeln. 15. Mit größerem Vertrauen kann der Geschworne das Resumö des Vorsitzenden aufnehmen. Der Vor¬ sitzende ist nicht Partei, sondern Richter, der gleich den Geschwornen über den Parteien stehen muß. Er darf kein Interesse an dem Ausgange des Prozesses haben und ist nebstbei verpflichtet, das Ergevniß des Beweisverfahrens so hinzustellen, wie es thatsächlich besteht, ohne seine eigene Ansicht darüber kund zu geben. Was insbesondere die vom Vorsitzenden den Geschwornen zu ertheilende Rechtsbelehrung anbelangt, so können dieselben in dieser Richtung seinen Worten unbedingten Glauben schenken, ja sie sind sogar ver¬ pflichtet, die Rechtsbelehrung zu respectiren, denn diese enthält eine die Geschwornen bindende Weisung des Rechtes. Der Geschworne kann in dieser Beziehung um so ruhiger seiu, als eine unrichtige Rechtsbelehrung von- seite' des Vorsitzenden einen Nichtigkeitsgrund bildet, 264 zu dessen Geltendmachung es jeder Partei freisteht zu verlangen, daß die Rechtsbelehrung im Protokolle er¬ sichtlich gemacht werde. Die Controle also, welcher die Rechtsbelehrung des Vorsitzenden vonseite des An¬ klägers und Vertheidigers ausgesetzt ist, erhöht daher die Garantie über deren Richtigkeit noch mehr, und es kann demnach der Geschworne mit voller Sicherheit das als Recht hinnehmen, was der Vorsitzende als das bestehende Recht erklärt hat. 16. Die Geschwornen haben sämmtliche Proze߬ acten mit Ausnahme der in der Hauptverhandlung nicht verlesenen Vernehmungsprotokolle nebst den Be¬ weisgegenständen in ihr Berathungsziminer mit zu bekommen. 17. Sobald die Geschwornen im Berathungs- zimmer versammelt sind, dürfen sie dasselbe nicht mehr verlassen, bevor sie ihren Ausspruch gefällt haben. Niemand darf während der Dauer ihrer Berathung ohne schriftliche Bewilligung des Vorsitzenden in ihr Berathungsziminer eintreten; auch ist ihnen während dieser Zeit jeder Verkehr mit dritten Personen unter¬ sagt. Der Gerichtshof verurtheilt den Geschwornen, der diesem Verbote zuwider handelt, zu einer Geld¬ strafe von 10 bis 100 st. 18. Das erste, was die Geschwornen zu thun haben, sobald die Thüre des Berathungszimmers hinter ihnen geschlossen wird, ist die Wahl eines Obmannes, bei welcher die einfache Stimmenmehrheit genügt, d. h. jener aus ihrer Mitte als gewühlt erscheint, auf den sich von 12 Stimmen mindestens 7 vereinigen. Was nun die Persönlichkeit des zu wählenden Obmannes anbelangt, so dürften die Geschwornen gut thun, falls sie Juristen in ihrer Mitte haben, einen Rechtskun¬ digen zu wählen, weil dieser die Berathung am besten 255 zu leiten versteht und am ehesten in der Lage ist, über die Bedeutung der Fragen, den Sinn der zur An¬ wendung kommenden Gesetzesstellen Aufklärung zu geben, somit die Gefahr eines undeutlichen, unvollständigen oder eines sich widersprechenden Wahrspruches auszu- Selbstverständlich bleibt den Geschwornen das Recht der freien Abstimmung für alle Fälle gewahrt, weshalb eine Beeinflussung durch den Obmann gar nicht zn besorgen ist. 19. Der gewählte Obmann hat zuerst die bereits oben (Abschnitt 30) angeführte, im Z 326 St. P. O. enthaltene Belehrung aus der gedruckten Instruction, welche im Berathungszinnner aufliegt, vorzulesen und sohin zur Berathung zu schreiten. 20. Die Berathung wird am besten dadurch ein- geleitet werden, daß der Obmann die den Geschwornen gestellten Fragen laut und langsam vorliest, damit sie in ihrem Zusammenhänge aufgefaßt werden können, und sohin mit der Berathung der ersten Hauptfrage beginnt. Hiebei wird es am ersprießlichsten sein, die vorliegende Frage nach den oben (Absatz 28) dar¬ gestellten Grundsätzen in ihre Theile zu zerlegen und jeden Theil abgesondert zur Berathung zu bringen. In unserem Schurgerichtsfalle wird demnach die Haupt¬ frage in nachstehende Theilfragen zu zerlegen und über diese einzeln die Berathung zu pflegen sein: I. Ist der Anna Primus in der besagten Nacht mit einem Holz¬ scheite ein Schlag auf den Kopf versetzt worden? II. Erfolgte aus dieser Handlung der Tod derselben? III. Geschah diese Handlung in der Absicht, u) die Anna Primus zu tödten und b) dieselbe sohin zu be¬ rauben? IV. Hat somit diese Handlung alle gesetzlichen Merkmale der Frage, d. h. liegt eine in der Absicht, - 256 die Anna Primus zu tödteu und sich sohin ihres Gel¬ des zu bemächtigen, gegen dieselbe unternommene Hand¬ lung vor, aus welcher deren Tod erfolgte? V. Hat Peter Brandmann diese Handlung begangen?'VI. Ist ihm diese Handlung zur Schuld zuzurechnen? Auf die Frage I. wird sich ein oder der andere Geschworne zum Worte melden und dann seiner An¬ schauung, daß dieselbe zu bejahen sei, etwa mit den Worten Ausdruck geben: Johann Mejak hat in jener Nacht die Anna Primus um Hilfe schreien gehört. Als er zum Hause kam, sah er einen Menschen zum Fenster herausspringen und davvnlaufen. Er, Paul Siber und Alois Ehrlich öffneten die Hausthür, be¬ traten die Stnbe und fanden Anna Primus mit Blut bedeckt todt mitten im Zimmer liegen, neben ihr lag ein blutiges Holzscheit. Die blutende Wunde war am Kopfe. Es kann daher kein Zweifel obwalten, daß sie durch einen Schlag mit jenem Holzscheite von fremder Hand zu Boden gestreckt worden sei. — Wenn nun gegen diese Anschauung keine Gegenanschauung von einem andern Geschwornen geltend gemacht wird, kann der Obmann sogleichjzur Berathung der zweiten Theilfrage schreiten.^Da wird derselbe oder ein anderer Geschworner sich zum Worte melden und etwa sagen: Wir haben ja aus dem Sectionsbefunde gehört, daß der Primus der Schädelknochen gesprengt und sogar ein Theil des Gehirns zerstört worden sei, sie demnach infolge dieses Schlages sterben mußte; daher ist es ganz klar, daß aus dieser Handlung der Too derselben hervorgegan¬ gen ist. — Bei der dritten Theilfrage, Absatz rr, wird vielleicht so raisonnirt werden: Da der Schlag mit einem schweren Holzscheite und mit ungeheurer Kraft auf den Kopf geführt wurde, mußte der Thäter die Absicht gehabt^ haben, die Anna Primus zu er- 257 schlagen. — Der Absatz b der dritten Theilfrage kann möglicherweise verschiedene Anschauungen zutage treten lassen. Ein Geschworner meint: Es ist die Möglich¬ keit nicht ausgeschlossen, daß der Thäter das Geld bereits genommen hatte, bevor Anna Primus erwachte, und daß daher der Schlag nur in der Absicht geführt wurde, die Entdeckung zu verhindern und sich im Be¬ sitze des Geldes zu erhalten. Daraufhin wird der nächste Geschworne entgegnen: Das halte ich für un¬ richtig, denn Anna Primus mußte aus dem Schlafe schon erwacht sein, als der Thäter das Fenster ein¬ brach. Wie hätten auch in der Schublade, aus welcher der Thäter das Geld nahm, Blutspuren gefunden wer¬ den können, wenn der Raub nicht nach der Ermordung der Anna Primus verübt worden wäre? Ich halte daher für erwiesen, daß der Mörder den Mord in räuberischer Absicht verübte. — Auf solche Art wird die Berathung fortgesetzt und zu Ende geführt werden müssen. 21. Nachdem die Berathung über eine Frage be¬ endet ist, läßt der Obmann die Geschwornen über die¬ selbe mündlich abstimmen, indem er jeden um seine Erklärung befragt. Er selbst gibt seine Stimme zu¬ letzt ab. 22. Die Geschwornen antworten mit Ja oder Nein; doch ist es ihnen gestattet, eine Frage nur theilweise zu bejahen oder zu verneinen. Im erstern Falle ist die Beschränkung kurz beizufügen, z. B. in unserem Schwurgerichtsprozesse: Ja, aber nicht in der Absicht, die Anna Primus zu tödteu, oder: Ja, aber nicht in der Absicht, sich sohin ihrer beweglichen Sache zu bemächtigen. Dabei müssen sich die Geschwornen vor Augen halten, daß sie nur einen oder den andern der in der Frage enthaltenen Umstände verneinen dürfen. 17 258 Es ginge also nicht an, einen Umstand zu verneinen, der in der Frage nicht vorkommt, oder die Antwort durch einen derartigen Umstand einzuschränken, z. B. in obigem Falle auf die Hauptfrage zu antworten: Ja, aber nur in der Absicht, sich im Besitze des ent¬ wendeten Geldes zu erhalten, u. s. w. 23. Zur Bejahung der Schnldfrage und der auf Erschwerungsumstände gerichteten Fragen ist eine Mehr¬ heit von wenigstens zwei Drittheilen, in allen andern Fällen die einfache Stimmenmehrheit erforderlich. Dem¬ nach müssen die Schnldfrage und die auf Erschwerungs- umstände gerichteten Fragen entweder alle, oder I I, 10, 9 oder 8 Geschworne bejahen, damit sie als be¬ jaht anzusehen ist. Werden derlei Fragen von fünf Geschwornen verneint, so sind sie schon als verneint anzusehen. Bei den übrigen Fragen genügen sieben Stimmen zur Bejahung, bei gleich getheilten Stimmen gibt die dem Angeklagten günstigere Meinung den Aus¬ schlag. Wenn also z. B. eine Zusatzfrage auf einen Milderungsumstand gestellt ist, so ist dieselbe als be¬ jaht anzusehen, wenn sechs Geschworne dieselbe bejahen. 24. Eventnalfragen sind nur im Falle der Ver¬ neinung der Frage, zu welcher sie gestellt worden sind, Zusatzfragen dagegen nur im Falle der Bejahung der bezüglichen Fragen zu beantworten. Es ist daher im Falle der Bejahung der betreffenden Frage zu den dazu gehörigen Eventualfragen, rücksichtlich im Falle der Verneinung derselben zu den entsprechenden Zusatz- sragen vom Obmanne der Beisatz zn machen: „Behebt sich" oder „entfällt". 25. Ist eine Hauptfrage zu Ungunsten des An¬ geklagten bejaht worden, so können sich die überstimm¬ ten Geschwornen der Abstimmung über die für diesen 259 Fall gestellte Zusatzfrage enthalten; ihre Stimmen werden dann den dem Angeklagten günstigen bei- gezählt. 26. Der Obmann zählt die Stimmen und schreibt neben jede Frage die Antwort mit den allfälligen Be¬ schränkungen unter Angabe des Stimmenverhältnisses, z. B. Ja, einhellig; oder Ja mit 11 gegen 1 Stimme; oder Ja mit 8 gegen 4 Stimmen; oder Ja, jedoch nicht in der Absicht, die N N zu tödten, mit 9 gegen 3 Stimmen; oder Nein mit 5 gegen 7 Stimmen (falls zur Bejahung die Zweidrittel-Majorität nothwendig ist) u. s. w. 27. In der Aufzeichnung des Ausspruches der Geschwornen, welcher vom Obmanne zu unterschreiben ist, darf keine Radirung vorkommen; Ausstreichungen, Randbemerkungen oder Einschaltungen müssen vom Ob¬ manne durch eine von ihm unterschriebene ausdrückliche Bemerkung genehmigt sein. 28. Entstehen bei den Geschwornen Zweifel über das von ihnen zu beobachtende Verfahren, oder über den Sinn der gestellten Fragen, oder über die Fassung der Antworten, so haben sie das Recht, den Vorsitzen¬ den zum Zwecke der Ertheilung von Auskünften oder Belehrungen in ihr Berathungszimmer zu bitten. Dies geschieht, indem der Obmann ein schriftliches Ansuchen auf einem der am Berathungstische aufliegenden Blan- quette ausfertiget, klingelt und dieses Ansuchen durch den Saaldiener dem Vorsitzenden zukommen läßt. Hie¬ rauf begibt sich der Vorsitzende mit dem Schritführer und mit Zuziehung des Anklägers und des Verthei- digers, wenn diese im Gerichtshause anwesend sind, in das Berathungszimmer. Seine den Geschwornen hierauf ertheilte Belehrung ist auf Verlangen zu Pro¬ tokoll zu nehmen. 17* 260 29. Zeigt sich bei der Berathung, daß die Fragen in der Form, wie sie gegeben wurden, weder im Falle ihrer Bejahung noch im Falle ihrer Verneinung der wahren richterlichen Ueberzeugung der Geschwornen Ausdruck verleihen würden, zeigt sich somit die Noth- wendigkeit der Abänderung oder Ergänzung der Fragen, so sind die Geschwornen berechtigt, ihren diesfälligen Wunsch in wieder eröffneter Sitzung bekannt zu geben. Darüber ist dann zu verhandeln, d. h. es ist der An¬ geklagte, der Ankläger, der Privatbetheiligte und der Vertheidiger zu hören nnd sohin vom Gerichtshöfe Beschluß zu fassen. Ein Beispiel soll dieses außer¬ ordentlich wichtige Recht der Geschwornen erläutern. Nehmen wir an, die Hauptfrage laute auf Mord, und es sei keine Eventualfrage auf Todtschlag gestellt. Nun sind aber die Geschwornen der Ueberzeugung, daß der Angeklagte die That nicht in mörderischer, sondern nur iu feindseliger Absicht verübt habe. Sie können nun die Hauptfrage nicht bejahen, weil sie die mörderische Absicht und somit den Thatbestand des Mordes nicht annehmen; sie können sie auch nicht mit der Ein¬ schränkung: „Ja, aber ohne die Absicht zu tvdten", be¬ jahen, weil in dieseni Falle im Wahrspruche der böse Vorsatz, der zum Todtschlage nöthig ist, nicht enthalten wäre, das Gericht überhaupt nicht wüßte, ob die Ge- schworneu einen bösen Vorsatz und welchen angenommen haben; sie dürfen endlich die Frage auch nicht mit der Beschränkung: „ja, aber nur in feindseliger Absicht", bejahen, weil die Einschränkung sich nur auf einen in der Frage enthaltenen Umstand beziehen darf, das Merkmal „in feindseliger Absicht" aber in der Frage nicht enthalten ist. Den Geschwornen bliebe daher ohne obiges Recht nichts übrig, als den Angeklagten gegen ihre Ueberzeugung freizusprechen, da sie ihn des Mordes 261 nicht schuldig finden und wegen Todtschlages, dessen sie ihn schuldig halten, nicht schuldig sprechen dürfen. Durch das in Rede stehende Recht nun sind sie aus dieser Zwangslage befreit und es wird ihnen dadurch ermöglicht, ihrer Ansicht über die Schuld des An¬ geklagten einen unbeschränkten und doch technisch brauch¬ baren Ausdruck zu geben. 30. Nachdem über sämmtliche Fragen abgestimmt worden ist, kehren die Geschwornen in den Sitzungs¬ saal zurück, worauf der Obmann auf die bereits be¬ schriebene Weise den Wahrspruch der Geschwornen ver¬ kündet. 31. Wenn die Geschwornen sich infolge Erkennt¬ nisses des Gerichtshofes zur Verbesserung der Fragen abermals in ihr Berathungszimmer zurückziehen müssen, haben sie sich vor Augen zu halten, daß sie nur zur Abänderung der beanständeten Antworten und zur Be¬ antwortung der neu oder in geänderter Fassung vor¬ gelegten Fragen berechtiget sind. Im übrigen werden sie sich nach den oben angeführten Grundsätzen zu be¬ nehmen haben. Aus dem bisher Gesagten lassen sich die Pflichten und Rechte der Geschwornen ableiten, die wir nun in den beiden nächsten Abschnitten präcisiren wollen. 32. Die Pflichten der Geschwornen. 1. Die Aufgabe der Geschwornen ist eine wichtige und erhabene. In dem Augenblicke nun, in dem der Geschworne die Geschwornenbank betritt, möge er sich dieser Wichtigkeit und Erhabenheit vollkommen bewußt sein und den festen Vorsatz fassen, seine ganze Mannes¬ kraft einzusetzen, um seiner Aufgabe gerecht zu werden. 262 Ihm schwebe lebhaft vor Augen, daß die wichtigsten Güter seines Mitbürgers: Freiheit, Ehre, Vermögen, unter Umstünden selbst das Leben, in seine Hand gelegt sind, daß er demnach große sittliche Verpflichtungen habe, deren Nichterfüllung ihn vor seinem Gewissen und vor seinen Mitbürgern verantwortlich machen müßte. Aber nicht nur der Gedanke an das unsägliche Leid, das eine leichtsinnige und oberflächliche Behand¬ lung seines Amtes über seine Mitbürger und deren Familien heranfbeschwören müßte, sporne ihn zur vollen und klaren Erkenntniß seiner Pflichten an, sondern auch das Bewußtsein, daß er im Begriffe stehe, das Recht, diese erhabene ethische Idee, in einem gegebenen Falle zu verwirklichen, eine Aufgabe, der an Heilig¬ keit und Erhabenheit wenige Aufgaben, die Menschen zu erfüllen haben, gleichkommt. Der Geschworne fasse die Rechtsidee als gleichwichtig mit Moral und Re¬ ligion, als das Fundament der irdischen Ordnung, als die Basis des staatlichen Lebens, als die Bedin¬ gung auf, ohue welche eine Entwicklung unserer Kräfte, ohne welche ein Vorwärtsschreiten ganz undenkbar ist. Er fühle also, daß er Richter sei, und werde sich der im Wesen des Richterthums liegenden sittlichen Ver¬ pflichtungen vollkommen bewußt. Darum vergesse er in dem Augenblicke, in dem er an die Erfüllung seiner erhabenen Mission geht, auf seine häuslichen und ge¬ schäftlichen Sorgen. Sein Amt sei ihm keine Last, sondern stolz auf seine Mission schreite er freudig, opferwillig, vou den besten Vorsätzen beseelt zu ihrer Erfüllung! Der Gedanke, daß er im Dienste der Ge¬ rechtigkeit wirken soll, daß eine treue und redliche Erfüllung seiner Pflichten ein sittliches Verdienst be¬ gründe, daß er durch die Verwirklichung des Rechtes mitarbeite an der wichtigsten Staatsaufgabe, möge seine 263 Kräfte stählen, ihm aber auch den schönsten Lohn für die treue Erfüllung seiner Bürgerpflicht verheißen. Die erste und wichtigste Pflicht des Geschwornen ist also das Erkennen und Be¬ herzigen der Wichtigkeit seiner Mission, der sittlichen im Richteramte liegenden Ver¬ pflichtungen. 2. Die wichtigste Pflicht des Richters aber ist die Unparteilichkeit. Der Geschworne fei also vor allem unparteiisch, d. h. er lasse sich bei seinem Rich¬ terspruche nicht durch die Person des Angeklagten, sondern nur durch die Sache leiten. Ihm muß es gleichgiltig sein, ob der Angeklagte Fürst oder Bettler, arm oder reich, Christ oder Jude, Katholik oder Pro¬ testant, strenggläubig oder confessionslos, Geistlicher oder Weltlicher, Beamter oder Handwerker, Soldat oder Bürger sei. Der Geschworne richte also ohne Ansehen des Standes und der Person, er sei allen gleich gerecht. Vor allem aber hüte sich der Geschworne, in dem Angeklagten einen Parteigenossen, rücksichtlich einen Gegner seiner eigenen politischen Partei zu sehen und vom Parteistandpunkte aus Recht zu sprechen. Eine solche Handlungsweise wäre nicht nur verderblich, sondern geradezu verächtlich, sie wäre ein schweres, fluchwürdiges Verbrechen, das zwar nicht vor das Forum des weltlichen Richters gehört, aber nichtsdesto¬ weniger denjenigen, der es begeht, in den Augen aller redlichen Menschen und vor seinem eigenen Gewissen zu einem Verbrecher der niedersten, aber auch gefähr¬ lichsten Art stempelt. Wehe demjenigen, der die gehei¬ ligte Stätte der Themis zu einem Tummelplätze po¬ litischer Leidenschaften, niedriger Parteiumtriebe macht! Er vernichtet nicht nur seinen politischen Gegner, er greift vielmehr frevelhaft die Grundlage der staatlichen 264 Ordnung an, er verpestet das Vertrauen in die Ge¬ rechtigkeit der Richter, er inangurirt das Sittenver- derbniß, die Corruption der häßlichsten, das allge¬ meine Interesse am tiefsten verletzenden Art. Das Recht hat mit den politischen Parteifragen nichts zu schaffen, es bleibt in jeder Aera feststehend wie der Fels im Meere, an dem die brausenden Wogen zer¬ schellen, ohne ihn zum Wanken zu bringen. Der Geschworne, der sich bei seinem Ausspruche vom Parteistandpunkte leiten läßt, dem das Beifalls¬ gejohle seiner Parteigänger lieber ist als seine be- schworne Pflicht, der das Partei-Interesse höher stellt als das öffentliche Interesse, ist aber auch der ärgste Feind der Freiheit, da diese ohne Gerechtigkeit nicht bestehen kann. Der Geschworne sei also unparteiisch getreu seinem Schwure, der Stimme der Zu- oder Abneigung, der Furcht oder der Schadenfreude kein Gehör zu geben, sondern sich mit der Unparteilich¬ keit und Festigkeit eines redlichen und freien Mannes so zu entscheiden, wie er es vor Gott und seinem Gewissen verantworten kann. 3. Eine weitere Pflicht des Geschwornen ist strenge Gesetzestreue. Der Geschworne ist nemlich gleich dem Richter an das Gesetz gebunden und hat eidlich zu geloben, das Gesetz, dem er Geltung verschaffen soll, treu zu beobachten. Das Gesetz ist es, das dem Geschwornen die Grenzen seiner Macht vorschreibt, und er hat sich demnach innerhalb dieser Grenzen zu be¬ wegen. Der Geschworne muß deshalb das Gesetz re- spectiren und befolgen, auch wenn es ihm hart und zu strenge scheint; denn ihm steht kein Gesetzgebnngs-, kein Gesetzänderungs-, kein Begnadigungsrecht zu. Würde der Geschworne, in einem gegebenen Falle von der 265 Anschauung geleitet, daß das Gesetz eine Handlung als strafbar erklärt, die nicht strafbar ist, ein Nichtschuldig sprechen, so würde er dadurch seine subjektive Mei¬ nung über das Gesetz stellen und damit sich das Gesetzgebungs-Recht amnaßen, das nicht ihm, son¬ dern der gesetzgebenden Gewalt, in unserem Vaterlande nemlich der Krone und den beiden Hausern des Reichs- rathes zusteht. Wenn also der Geschworne findet, daß alle gesetzlichen Merkmale der der Anklage zugrunde liegenden strafbaren Handlung vorhanden sind und daß der Angeklagte die Handlung begangen habe, so darf er diesen nicht etwa nicht-schuldig sprechen, weil seiner Anschauung nach die Handlung nicht strafbar ist. Ein Geschworner z. B., der den Zweikamps für etwas nothwendiges und nicht strafbares hält, würde daher gegen seinen Eid und sein Gewissen handeln, wenn er den Angeklagten, der beschuldiget ist, einen Dritten im Zweikampfe getödtet zu haben, blos deshalb nicht- schuldig sprechen "würde, weil er obige Anschauung hat, die zu dem positiven Gesetze, das den Zweikamps als Verbrechen erklärt, in direktem Gegensätze steht. Der Geschworne lasse also jede Gesetzgebungs- Politik; denn seine eidlich angelobte Aufgabe ist es, das Gesetz, wie es besteht, auf einen gegebenen Fall anzuwenden, keineswegs aber das bestehende Gesetz zu ändern oder zu verbessern. Insbesondere aber lasse sich der Geschworne bei seinem Ausspruche nicht durch den Gedanken an die gesetzlichen Folgen, die den Angeklagten im Falle seiner Schuldigsprechung treffen würden, verleiten, diesen nicht¬ schuldig oder nur einer geringeren strafbaren Handlung schuldig zu sprechen, obgleich er überzeugt ist, daß der Angeklagte die That, deren er angeklagt ist, begangen 266 und sich dadurch der strafbaren Handlung, auf welche die Anklage lautet, schuldig gemacht habe. In dieser Richtung weisen wir auf die Belehrung hin, die der Obmann den Geschwärten vor der Be- rathung mit den Worten erthcilt: „Nicht Sie (die Ge- schwornen), sondern nur die Richter sind berufen, die gesetzlichen Folgen auszusprechen, welche den Ange¬ klagten iin Falle seiner Schuldigerklärung treffen. Die Geschwornen haben daher ihre Erklärung ohne Rück¬ sicht ans die gesetzlichen Folgen ihres Ausspruches ab¬ zugeben." Uebrigens wäre die Sorge des Geschwornen, daß der Angeklagte ohne Rücksicht auf die besonderen für ihn sprechenden Milderungsumstände mit einer Strafe belegt werden könnte, die seiner Schuld nicht entspricht, eine ganz ungerechtfertigte; denn der Richter hat nicht nur ein umfassendes Milderungsrecht, kraft dessen er z. B. die Strafe des lebenslänglichen schweren Kerkers auf drei Jahre, jene des fünf bis zehnjährigen schweren Kerkers auf ein Jahr herabsetzen kann, sondern er hat auch die Pflicht, von diesem Rechte im Falle des Zusammentreffens sehr wichtiger und überwiegender Milderungsumstände Gebrauch zu machen. Ein Ge- schwvrner also, der z. B. den des Verbrechens des Mordes Angeklagten dieses Verbrechens, obgleich er von seiner Schuld überzeugt ist, nicht-schuldig spricht, weil darauf die Todesstrafe gesetzt ist, oder der nur ans diesem Grunde die auf Mord gerichtete Hauptfrage verneint und lediglich die auf Todtschlag gerichtete Eventualfrage bejaht, würde einen Gesetzesbruch und damit eine grobe Verletzung der eidlich angelobten Pflicht begehen, ohne sein Gewissen durch den Gedanken beschwichtigen zu können, einem Menschen, der den Tod nicht verdient hat, das Leben gerettet zu haben. Ist 267 nemlich nach dm Umständen des Falles der Mörder wirklich der Begnadigung Werth, so wird der Gerichts¬ hof sicherlich darauf antragen und ebenso gewiß die allerhöchste Begnadigung erfolgen. Der Geschworne sei also treu dem Gesetze und gebe seinen Wahrspruch ohne Rücksicht auf die gesetz¬ lichen Folgen der Schuldigsprechung ab. Eine Consequenz des Grundsatzes, daß der Ge¬ schworne verpflichtet ist, das Gesetz treu zu beobachten, ist das weitere Princip, daß die vom Vorsitzenden des Gerichtshofes nach Schluß der Verhandlung den Ge- schwornen ertheilte Rechtsbelehrnng diese bindet, d. h. daß die von ihm allgemein auseinandergesetzten Rechts- principien an sich für die Geschwornen unter allen Umständen maßgebend sind. Wenn also z. B. der Vorsitzende erklärt, was das Gesetz unter dem Ausdrucke „feindselige Absicht, listige Vorstellung, gefährliche Drohung, Entziehung aus dem Besitze" u. s. w. versteht, so haben die Geschwornen diese Rechtsgrundsätze als wahr hinzunehmen und sich an dieselben zu halten; dagegen ist der Ausspruch des Vorsitzenden über die Frage, ob im gegebenen Falle die That mit den gesetz¬ lichen Merkmalen der in der Frage beschriebenen straf¬ baren Handlung versehen, ob sie z. B. in mörderischer, feindseliger Absicht u. s. w. verübt, ob im gegebenen Falle listige Vorstellungen gebraucht, eine Sache aus dem Besitze entzogen wurde u. s. w., nicht maßgebend, weil die Subsumption des Falles unter das Gesetz ebenso wie die Beweiswürdiguug Sache des Geschwor¬ nen ist. 4. Eine weitere Pflicht, die der Geschworne eid¬ lich anzugeloben hat, ist die der Verschwie.genh eit. Er soll nemlich vor seinem Ausspruche über den Gegen¬ stand der Verhandlung mit niemand außer urit seinen 268 Mitgeschwornen Rücksprache nehmen. Der Grund dieser gesetzlichen Bestimmung liegt darin, daß der Geschworne unberechtigten Einflüssen von außen unzugänglich bleibe. Es soll und muß durch seinen Ausspruch seiner durch die Verhandlung im Gegenstände gewonnenen Ueber- zeugung Ausdruck geben, nimmermehr aber darf sein Votum der Abklatsch jener Anschauungen sein, die un¬ berufene, oft schlecht oder nur einseitig informirte, mög¬ licherweise bei der Sache interessirte Personen über die Schuld oder Nichtschuld des Angeklagten haben. Der Geschworne wird in dieser Richtung seiner eidlich angelobten Pflicht uni so leichter nachkommen können, als ihm genug Mittel an die Hand gegeben sind, sich über den Gegenstand der Entscheidung durch seine eigene Anschauung und Wahrnehmung die ausreichende In¬ formation zu holen und jeder Beihilfe von nicht eompe- tenter Seite entbehren zu können. 5. Schließlich ist es die Pflicht des Geschwornen, alle theils durch das Gesetz vorgezeichneten, theils durch die Natur der Sache gebotenen Mittel in An¬ wendung zu bringen, um seine Aufgabe, einen ge¬ rechten Ausspruch, d. h. einen Wahrspruch zu fällen, erfüllen zu können. Wir haben diese Mittel im vorher¬ gegangenen Kapitel ausführlich erörtert und verweisen daher hier, zur Vermeidung von Wiederholungen, auf das in dieser Richtung bereits Gesagte, können jedoch nicht umhin, dem Geschwornen nochmals die größt¬ mögliche, ungetheilte Aufmerksamkeit auf den Gang der Verhandlung zu empfehlen. Nur der aufmerksame Ge¬ schworne wird seinem Eide gemäß die Beweise, welche gegen und für den Angeklagten vorgebracht werden, sammeln, gewissenhaft prüfen; alle Umstände, die für und wider den Angeklagten sprechen, erwägen und sich nach den für nnd wider den Angeklagten vorgeführten 269 Beweismitteln und seiner darauf gegründeten Überzeu¬ gung entscheiden können. ZZ. Die Rechte der Geschworne». 1. Als das oberste und wichtigste Recht der Ge- schwornen ist das Recht der freien Beweis Wür¬ digung anzusehen. Der Geschworne ist ncmlich nicht an bestimmte Beweisregeln gebunden, nach welchen die Vollständigkeit und Hinlänglichkeit eines Beweises zu beurtheilen wäre. Der Geschworne hat nur alle für und wider den Angeklagten vorgeführten Beweis¬ mittel sorgfältig zu prüfen und sich dann selbst zu fragen, welchen Eindruck die in der Hauptverhandlung wider den Angeklagten vorgeführten Beweise und die Gründe seiner Vertheidigung auf ihn gemacht haben. Nach der auf dieser Prüfung beruhenden Ueberzeugung allein hat der Geschworne seinen Ausspruch zu fällen. 2. Während der vom Staate bestellte, nach der gegenwärtigen Strafprozeßordnung auch nicht mehr an positive Beweisregeln gebundene Richter über die Gründe, durch welche er seine richterliche Ueberzeugung gewon¬ nen hat, öffentliche Rechenschaft durch die Entschei¬ dungsgründe geben muß, ist der Geschworne nieman¬ den'Rechenschaft über die Gründe seiner Ueberzeugung schuldig. Er bleibt also für seinen Ausspruch nur Gott und seinem Gewissen verantwortlich, und niemand hat das Recht, ihn auch nur um die Gründe seines Aus¬ spruches zu befragen. Der Geschworne genießt also das Recht der unbeschränkten Unverant¬ wortlichkeit in seinem Amte. 3. Der Geschworne, gleichgiltig ob Haupt- oder Ersatzgeschworner, hat das Recht, bei der Hauptver- 270 Handlung an den Angeklagten, die Zeugen und Sach¬ verständigen Fragen zu stellen, nachdem er sich vom Vorsitzenden das Wort erbeten hat. 4. Ebenso ist er berechtiget, bei der Hauptver¬ handlung Beweisaufnahmen zur Aufklärung von er¬ heblichen Thatsachen zu beantragen. 5. Er ist weiters berechtiget, während der Be- rathung zu verlangen, daß der Obmann den Vor¬ sitzenden des Schwurgerichtshofes zur Aufklärung von Zweifeln über das von den Geschwornen zu beobach¬ tende Verfahren, über den Sinn der Fragen oder über die Fassung einer Antwort in das Berathungszimmer bitte. 6. Die Geschwornen haben ferners das Recht, während der Berathnng den Wunsch nach Abänderung oder Ergänzung der an sie gerichteten Fragen zu äußern, in welchem Falle darüber in wieder eröffneter Sitzung zu verhandeln und Beschluß zu fassen ist. 7. Nach Z 25 des Gesetzes vom 23. Mai 1873, R. G. Bl. Nr. 121, ß 41 der Verordnung des Justiz¬ ministeriums vom 19. November 1873, R. G. Bl. Nr. 152, endlich nach der Erläuterung des Justiz¬ ministeriums von 26. April 1874, Z. 2951, gebührt den Geschwornen, deren Wohnsitz weiter als eine Meile vom Orte des Schwurgerichtes entfernt ist und welche ihre Obliegenheit erfüllt haben, eine Reisekosten-Ent¬ schädigung von einem Gulden für jede Weg- (Geh-) stunde sowol des Hin- als auch des Rückweges, und zwar ohne Rücksicht auf eine etwa bestehende Eisenbahn¬ verbindung. Diese Gebühr ist jedoch aus Anlaß einer Schwurgerichtssession nur einmal zu erfolgen, gleich¬ viel, ob der betreffende Geschworne die Reise von seinem Wohnsitze zum Sitze des Schwurgerichtes und 271 zurück während der Sitzungsperiode ein oder mehrmal zurückgelegt hat. Die Gebühr ist den Geschworenen am Schlüsse der Session, eventuell bei Beginn der letzten öffentlichen Verhandlung, wenn sie nemlich für diese nicht ausgelost wurden, gegen ungestempelte Quittung aus dem Jnquisitionskosten-Verlage zu erfolgen. 8. Geschworne, welche der an sie gerichteten Auf¬ forderung in einer Schwurgerichtsperivde als Haupt¬ oder Ergänzungsgeschwvrne genügegeleistet haben, sind berechtiget, die Befreiung vom Geschwvrneudienste für das laufende und das ganze nächstfolgende Kalen¬ derjahr zu verlangen. Ihre diesfällige Erklärung, ob sie sich des bezeichneten Rechtes für die ganze oder nur für eine kürzere Zeit bedienen wollen, haben sie dem Vorsitzenden des Schwurgerichtshofes, der sie darüber am Schluffe der Schwurgerichtsperiode zu be¬ fragen hat, abzugeben. Z4. Die Bedeutung der Jury. (Schlußwort.) Es wird häufig behauptet, daß das Geschwornen- gericht ein rein politisches Institut sei und als solches nur in politischer Beziehung eine Bedeu¬ tung habe. Diese Behauptung ist wol nur zum Theile, d. h. insoferne richtig, als die Jury allerdings eine eminent politische Bedeutung hat. Die Jury ist nemlich heutzutage ein unbedingtes Erfvrderniß jedes wahrhaft constitutionellen Staates. Wie im Freiheits- staate mit monarchischer Regierungsform das Volk Pie gesetzgebende Gewalt mit der Krone theilt, indem es seine Vertreter in die gesetzgebenden Versammlungen 272 entsendet; wie es in den autonomen Gemeinde-, Be¬ zirks- und Landesbehörden durch seine Vertreter an der Executivgewalt theilnimmt, so darf ihm auch die Mitwirkung bei der Rechtsprechung, d. i. die Theil- nahme an der den bezeichneten Gewalten ebenbürtigen richterlichen Gewalt nicht versagt werden. Die Jury gehört also zu den Grundrechten konstitutioneller Staats¬ bürger, ohne sie ist derzeit eine wahrhaft freisinnige, ans der Idee des Fortschrittes aufgebaute Staatsver¬ fassung nicht denkbar. Ist nun dem Gesagten zufolge die Jury gleichsam das Charakteristikum des Fort¬ schritts- und Freiheitsstaates, so läßt ihre Einbür¬ gerung in einem Lande anderseits einen sichern Schluß auf die Kultursverhältnisse seiner Bewohner ziehen. Die Jury verlangt viele geistig gebildete, selbstbewußte Staatsbürger, die das Verständniß der die Staats¬ ordnung bedingenden Ideen und die Opferwilligkeit besitzen, ihre Kräfte dem allgemeinen Besten, dem Staatswohle zu widmen. Wo das Geschworneninstitnt ein allgemein gefühltes Bedürfniß geworden ist, wo das Volk die Jury als das Palladium seiuer Freiheit, als ein kostbares Kleinod ansieht und als solches hütet und bewacht, da ist es bereits politisch reif geworden. So ist die Jury der Spiegel der politischen Freiheit, der Gradmesser der Kultur eines Volkes! Zeigt sich ein Volk unfähig zur Freiheit oder derselben unwerth, so wird das Geschwvrneninstitut in demselben keine festen Wurzeln fassen können; und hat dieses Institut in einem Lande thatsächlich feste Wurzeln gefaßt, so wird sein Volk die Freiheit zu wahren und dauernd zu erhalten verstehen. Es ist daher ganz richtig, daß das Geschwornen- institut eine politische Seite hat, allein falsch ist es, daß damit seine Bedeutung erschöpft sei. Die Jury 273 hat vielmehr noch eine andere, viel höhere und edlere Bedeutung, sie ist ein Rechtsinstitut. Als sol¬ ches ist die Jury der am meisten ausgebildete, der Vollendung nächste Gerichtsorganismus, die höchste Bildungsform des Strafprozesses. Die Theilung der richterlichen Gewalt zwischen theoretisch und praktisch gebildeten Fachrichtern einerseits und den aus der Mitte des Volkes hervorgegangenen Geschwornen an¬ dererseits, das Zusammenwirken beider Elemente zu einem Entscheide, wobei ein Theil seine wissenschaft¬ lichen Kenntnisse und fachmännischen Erfahrungen, der andere Theil die aus dem Volksleben geschöpften reinen, unverfälschten Rechts- und Lebensanschauungen einsetzt, die damit nothwendig verbundene sorgfältige und er¬ schöpfende Behandlung der Straffälle sichern das Fin¬ den der Wahrheit in höherem Grade, als dies bei einseitig organisirten Richtercollegien der Fall ist. Durch die Mitwirkung der Männer aus dem Volke gewinnen die Urtheilssprüche an Gewicht und Wirksamkeit, die ganze Strafrechtspflege an öffentlichem Vertrauen, da von den Geschwornen, die mitten aus dem Volke her¬ vorgegangen sind und nach beendeter Mission wieder zu demselben zurückkehren, vorausgesetzt wird, daß sie die individuellen Eigenschaften des Angeklagten und die besonderen Umstände des Falles genau gewürdiget und durch ihr Verdict lediglich dem Rechtsgefühle und Rechtsbewußtsein des Volkes Ausdruck gegeben haben. So erscheint also der Ausspruch der Geschwornen als ein Zeugniß des Volkes über die Schuld oder Nichtschuld des Angeklagten, als eine das öffentliche Rechtsbewußtsein vollkommen beruhigende Gewissens¬ vertretung in den Fällen, in welchen der Angeklagte im Leugnen verharrt. Dieses Volksgericht ist von emi¬ nenter Bedeutung in Füllen, in welchen der Angeklagte 18 274 sich gegen den Staat selbst vergangen hat, d. i. bei po¬ litischen Delicten. Da wird dem Verbiete der Geschwornen ein un¬ gleich größeres Vertrauen entgegengetragen werden, als dem Ausspruche der vom Staate bestellten und von ihm mehr oder minder abhängigen Staatsrichter, und erfolgt in solchen Fällen ein Schuldigspruch, so ist der moralische Eindruck, den das Urtheil auf das Volk macht, ein weitaus nachhaltigerer, andauernderer und wirksamerer. Die rechtliche Bedeutung der Geschornengerichte ergibt sich ferners auch aus der Erwägung, daß keine andere Strasproeedur in so hohem Grade geeignet ist, die Staatsbürger zu veredeln, ihnen Abscheu vor Ver¬ brechen einzuslößen, sie von jedwedem Unrechte ab¬ zuhalten, ihre sittlichen Motive zu vervielfältigen, sie mit Achtung vor dem Gesetze und jenen, die es aus¬ führen, zu erfüllen und dadurch das Rechtsgefühl und Rechtsbewußtsein, wo es schlummert, zu er¬ wecken, wo es bereits wach ist, zu kräftigen und dauernd zu erhalten. Zu diesem Erfolge trägt besonders die O e f s e n tl i ch k eit der Schwurgerichts-Verhandlungen bei. Zwar ist die Oeffentlichkeit auch bei den gewöhn¬ lichen Verhandlungen vor Fachrichtern nicht ausgeschlos¬ sen; allein abgesehen davon, daß die wichtigsten und daher interessantesten Fälle vor das Forum der Ge¬ schwornen gehören, zieht der ganze Schwurgerichts¬ apparat, die ganze Jnscenesetzung das Publikum in viel höherem Grade an und zeigt daher die Erfahrung, daß die gewöhnlichen Verhandlungen nur ausnahms¬ weise, die Schwurgerichtsverhandlungen aber regelmäßig stark besucht werden. Der Gerichtssaal aber ist eine vorzügliche Schule zur Bildung des Verstandes, zur 275 Weckung, Belebung und Erhöhung des Rechtsgefühles, und die mündliche Verhandlung trägt sehr viel dazu bei, das Ansehen des Gesetzes und der Gerichte zu heben. Der Zuhörer, der sieht, mit welcher minutiösen Gewissenhaftigkeit alle Umstände hervorgesucht, be¬ leuchtet und behandelt werden, die für oder wider den Angeklagten sprechen; wie die in geheimnißvolles Dunkel gehüllt gewesene That durch die Geschicklichkeit des Untersuchungsrichters mit allen ihren Umständen aufgeklärt worden ist; wie der Angeklagte gegen die wider ihn vorgebrachten Beweismittel machtlos ist und ungeachtetet seiner Schlauheit und Spitzfindigkeit sich in den Schlingen fängt, die erstich durch seine Verant¬ wortung selbst gestellt hat; wie schließlich das Recht über das Unrecht triumphirt und dem beleidigten Ge¬ setze die Sühne wird; der anderseits mit anhört, wie ein unrecht Angeklagter sich ganz anders vertheidiget, als jener, den das Schuldbewußtsein drückt, und den Eindruck mitfühlt, den die Freisprechung eines solchen Angeklagten auf diesen und das Publikum machen muß, wird von Achtung und Verehrung vor dem Ge¬ setze und den Dienern desselben erfüllt und begrüßt aus vollem Herzen Rechtsinstitutionen, die in gleichem Maße den Schuldigen der wohlverdienten Strafe wie den Unschuldigen der Freiheit zuführen! Was nun der einzelne Zuhörer miterlebt und mit¬ gefühlt hat, das erzählt er zuhause seinem Weibe und seinen Kinderu und verbindet damit unwillkürlich die Lehre an die Seinen, das Gesetz stets zu beobachten und nie mit demselben in Conflict zu gerathen. So pflanzen sich gute Lehren fort, und wenn die Geschwor- nen, die nach gethaner Arbeit wieder zum häuslichen Herde zurückkehren, zuhause, in der Gemeindestube, ja selbst im Privatumgange ihre in der Geschwornen- 276 bank geschöpften Erfahrungen ehrlich verwerthen, wer¬ den sie die günstigen Eindrücke, die sie dort erhalten, in immer weitere Kreise verpflanzen und damit den Sinn für Recht und Gesetz, die Achtung vor den Behörden und das Verständniß der sitt¬ lichen Aufgaben des Staates weithin ver¬ breiten. So ist es gekommen, daß in Staaten, in wel¬ chen die Jury eingebürgert ist, das Gesetz eine Herr¬ schaft über die Gemüther der Staatsbürger erlangt hat, von welcher andere Staaten sich nichts träumen lassen dürfen. So z. B. gebietet in England ein un¬ bewaffneter Coustabler einer nach Tausenden zählenden Menge, selbst wenn sie aufgeregt ist, Ruhe, und die Masse folgt, — nicht dem schwachen Menschen, sondern dem Gesetze, in dessen Namen der Diener einschreitet, weil sie das Gesetz selbst in dem un¬ tersten Diener desselben respectirt, wogegen es in andern Ländern am Kontinente vorkommt, daß bei einem Cravalle das Volk regelmäßig für die Exce- denten und gegen die Wache Partei nimmt. Das Geschworneninstitut hat also auch deshalb eine große Bedeutung als Rechtsinstitut, weil es das Rechts¬ gefühl der Staatsbürger weckt, rücksichtlich erhöht und unverfälscht erhält, dadurch aber dem Gesetze und mit diesem dem R echte, dem Fortschritte und der wahren sittlichen Freiheit zum Siege verhilft. Damit die Jury aber diese Bedeutung erlange, damit sie ein Segen für Staat und Volk und nicht ein Fluch für dasselbe werde, müssen die Geschwornen ihre Schuldigkeit thun. Erfüllen diese ihre Pflicht, dann ist der Erfolg sicher. Segensreich war dann ihr Wirken, und das Bewußtsein treu erfüllter Pflicht, der Gedanke, wahrhaft Gutes gethan zu haben, ist tausend¬ facher Lohn für die Mühen des Amtes und die damit - 277 - verbundenen anderwärtigen Opfer. Mögen auch die österreichischen Geschwornen ihr Amt treu und redlich erfüllen, damit dieses freiheitliche Institut in Oester¬ reich feste Wurzeln schlage und recht bald in das Fleisch und Blut des Volkes übergehe, zum Heile unseres großen gemeinsamen Vaterlandes, zum Heile seiner Völker! Anfang. 1. Vorschrift über die Bildung der Geschwornenlisten. Gesetz vom 23. Mai 1873, Nr. 121 R. G. Bl. 8 1- Zum Amte als Geschworner sollen nur Männer berufen werden, welche 1. das dreißigste Lebensjahr vollendet haben; 2. des Lesens und Schreibens kundig sind; 3. in einer Gemeinde der im Reichsrathe ver¬ tretenen Königreiche und Länder das Heimatsrecht besitzen; 4. in der Gemeinde, in welcher sie sich anfhalten,, wenigstens bereits Ein Jahr den Wohnsitz haben; 5. entweder a) an direkten Steuern ohne Zuschlag außer den gesetzlichen Ausnahmsfällen (H 14) jähr¬ lich mindestens 10 fl., an Orten mit einer Bevölkerung von mehr als 30,000 Einwoh¬ nern aber mindestens 20 fl. entrichten, oder b) ohne Rücksicht aus diesen Steuersatz dem Stande der Advocaten, Notare, der Pro¬ fessoren und Lehrer an Hoch- und Mittel¬ schulen angehören, oder an einer inländischen Universität den Doctorgrad erlangt haben. 279 8 2. Unfähig zu dem Amte eines Geschwornen ist: 1. Wer wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen außer stände ist, den Pflichten eines Geschwornen nachzukommen; 2. wer nicht im Vollgenusse der bürgerlichen Rechte ist, insbesondere auch der gerichtlich erklärte Verschwen¬ der und derjenige, über dessen Vermögen das Concurs- verfahren eröffnet worden ist, bis zur Beendigung desselben, und wenn er ein Kaufmann ist, bis zur Er¬ langung der Wiederbefähigung zu den im ß 246 der Concursordnung vom 25. Dezember 1868 benannten Rechten; 3. wer sich in strafgerichtlicher Untersuchung, unter Anklage oder m Strafe befindet; 4. wer infolge einer strafgerichtlichen Verurtei¬ lung nach den Gesetzen von der Wählbarkeit zu der Gemeindevertretung ausgeschlossen ist, so lange die Ausschließung dauert. 8 3- Zu dem Geschwornenamte sind nicht zu berufen: 1. Die wirklich dienenden Staatsbeamten mit Aus¬ nahme der Professoren und Lehrer an Hoch- und Mittelschulen; 2. die in activer Dienstleistung stehenden oder mit Wartgebühr beurlaubten Personen des stehenden Heeres, der Kriegsmarine oder der Landwehr, und die im S 1, Z. 2 des Gesetzes über den Wirkungskreis der Militärgerichte vom 20. Mai 1869 (R. G. Bl. Nr. 78) bezeichneten Personen der Militärverwaltung; 280 3. die Geistlichen der gesetzlich anerkannten Kir¬ chen oder Religionsgenossenschaften; 4. die Volksschullehrer; 5. die bei dem Post-, Eisenbahn-, Telegraphen- und Dampfschiffahrtsbetriebe beschäftigten Personen. 8 4. Befreit von dem Amte eines Geschwornen sind: 1. diejenigen, welche das 60. Lebensjahr bereits überschritten haben, für immer; 2. die Mitglieder der Landtage, des Retchsrathes und der Delegationen für die Dauer der Sitzungs¬ periode ; 3. die nicht im aetiven Dienste stehenden, jedoch wehrpflichtigen Personen während der Dauer ihrer Einberufung zur militärischen Dienstleistung; 4. die im kaiserlichen Hofdienste stehenden Per¬ sonen, die öffentlichen Professoren und Lehrer, die Heil- und Wundärzte, wie auch die Apotheker, info- ferne die Unentbehrlichkeit dieser Personen in ihrem Berufe von dem Amts- oder Gemeindevorsteher be¬ stätiget wird, für das folgende Jahr; 5. jeder, welcher der an ihn ergangenen Auf¬ forderung in einer Schwurgerichtsperiode als Haupt¬ oder Ergänzungsgeschworner genüge geleistet hat, bis zum Schluffe des nächstfolgenden Kalenderjahres. 8 5. Der Gemeindevorsteher hat mit zwei von ihm aus der Gemeindevertretung gewählten Mitgliedern alljähr¬ lich Anfangs September ein Verzeichniß aller jener Personen, welche nach den vorstehenden Bestimmungen 281 zu Geschwornen berufen werden können und ihre Be¬ freiung nicht nach Z4, Z. 1, bereits erwirkt haben, anzulegen. Das Verzeichniß enthält in alphabetischer Ord¬ nung und unter fortlaufenden Nummern den Vor- und Zunamen der eingetragenen Personen, deren Stand oder Beschäftigung, Wohnort und Steuersatz, dann die An¬ gabe, welche von den Landessprachen sie verstehen und welcher sie sich vorwiegend bedienen. Bei den Wehr¬ pflichtigen (ß 4, Z. 3) ist anzumerken ob und für welche Zeit ihre Einberufung zur militärischen Dienst¬ leistung zu gewärtigen ist. Dieses Verzeichniß bildet die Urliste der Geschwornen. 8 6. Die Urliste muß wenigstens acht Tage lang an dem Amtssitze des Gemeindevorstehers zu jedermanns Einsicht aufliegen, und es hat darüber die öffentliche Bekanntmachung auf die ortsübliche Weise mit der Belehrung über das Einspruchsrecht zu erfolgen. Jedem Betheiligten steht es frei, während dieser Frist wegen Uebergehung gesetzlich zulässiger oder wegen Eintragung gesetzlich unfähiger und unzulässiger Per¬ sonen in die Liste schriftlich oder zu Protokoll Ein¬ spruch bei dem Gemeindevorsteher zu erheben oder in gleicher Weise seine Befreiungsgründe geltend zu machen. 8 7. Die Gemeindecvmmission (8 5) entscheidet über alle erhobenen Einsprüche und über die Richtigkeit der angeführten Befreiungsgründe. Diese Entscheidungen, sowie die dagegen eingebrachten Beschwerden sind in den betreffenden Urlisten anzumerken; eine solche Be¬ schwerde muß innerhalb dreier Tage nach amtlicher 282 Mittheilung der Entscheidung eingebrucht werden. Sind durch die Entscheidungen der Gemeindecommission Ab¬ änderungen an der veröffentlichten Liste vorgenommen worden, so sind diese durch Anschlag am Amtssitze be¬ kannt zu machen und die Betheiligten davon zu ver¬ ständigen. Reclamenten sind von dem über ihren Einspruch Verfügten in Kenntniß zu setzen. Dasselbe Verfahren findet bei Geltendmachung von Befreiungs¬ gründen statt. s 8- Die richtig gestellte Urliste ist von dem Gemeinde¬ vorsteher unter Änschluß aller Schriftstücke, welche sich auf die eingebrachten Reclamationen und Befreiungs¬ gesuche beziehen, ohne Verzug und längstens bis Ende September an den Bezirkshauptmann einzusenden. Der Bezirkshauptmann nimmt sofort die Prüfung der Liste vor und stellt dieselbe, wenn er bei Abfassung der Liste unterlaufene Ungesetzlichkeiten oder erhebliche Un¬ genauigkeiten wahrnimmt, dem Gemeindevorsteher zur Berichtigung zurück. Wenn die Berichtigung, die Aus¬ schließung früher aufgenommener oder die Aufnahme früher ausgeschlossener Personen zur Folge hat, so ist mit der berichtigten Liste wie mit der zuerst verfaßten vorzugehen (88'6, 7). Die berichtigte Liste ist längstens bis Ende Oktober an den Bezirkshauptmann wieder einzusenden. Sollte der Gemeindevorsteher die Anlegung, Be¬ richtigung oder Einsendung der Urliste beträchtlich ver¬ zögern, so steht es dem Bezirkshauptmanne zu, die rückständige Amtshandlung durch seine eigenen Organe auf Kosten der Gemeinde vollziehen zu lassen. 283 8 9. Der Bezirkshauptmann hat die Urlisten seines Amtssprengels sammt allen darauf bezugnehmenden Urkunden dem Präsidenten des Gerichtshofes erster Instanz vorzulegen. Hierbei hat er von den in die Urlisten aufgenommenen Männern jene zu bezeichnen, welche ihm wegen ihrer Verständigkeit, Ehrenhaftigkeit, rechtlichen Gesinnung und Charakterfestigkeit, sowie in mehrsprachigen Ländern durch ihre sprachliche Ver¬ wendbarkeit für das Amt eines Geschwornen vorzüglich geeignet erscheinen. 8 10. In Orten mit eigenen Gemeindestatuten hat der Gemeindevorsteher die Urliste unmittelbar an den Prä¬ sidenten des Gerichtshofes erster Instanz einzusenden und hierbei die sonst dem Bezirkshauptmanne im ß 9 vorgezeichnete Aufgabe zu erfüllen. 8 11- Der Präsident des Gerichtshofes erster Instanz beruft eine Commission, welche für jeden Gerichtshof¬ sprengel spätestens im Monat November die Jahres¬ liste bildet. Die Commission besteht nebst dem Präsidenten oder dessen Stellvertreter als Vorsitzenden aus drei Richtern, welche der Zahl der Räthe des Gerichtshofes oder der Bezirksrichter des Sprengels entnommen werden, dann aus drei Vertrauensmännern. Die Mitglieder werden vom Präsidenten bestimmt. Zu Vertrauensmännern können nur solche nicht im Staatsdienste stehende Personen bestimmt werden, 284 welche für denselben Gerichtshofsprengel die Eignung znm Geschwornenamte besitzen. Wenn Vertrauensmänner das Erscheinen ablehnen oder sich sonst der Erfüllung ihrer Aufgabe entziehen, so hat der Präsident des Gerichtshofes statt derselben ohne Verzug andere Vertrauensmänner zu berufen. Die Commission entscheidet nach Stimmenmehr¬ heit. Gegen ihre Beschlüsse ist keine Beschwerde zu¬ lässig. 8 12. Der Präsident verständigt von der Abhaltung der Sitzung rechtzeitig den Vorsteher der politischen Landesbehörde, welcher zu derselben einen Abgeordneten zu entsenden hat. Dieser hat nur berathende Stimme. 8 13. Die Commission hat vorerst über die in den Listen vorgemerkteu Beschwerden (Z 7) zu entscheiden. Sind Personen wider das Gesetz in die Liste nicht ausgenommen worden, so veranlaßt sie deren Eintra¬ gung. Hierauf schreitet sie zur Bildung der aus einer Haupt- und einer Ergänzungsliste bestehenden Jahres¬ liste. 8 14- Die Verfassung der Jahreslisten geschieht in der Weise, daß die Commission aus den Urlisten jene Per¬ sonen, welche sie im Sinne des Z 9 für die fähigsten und würdigsten zum Geschwornenamte hält, in eine Liste (Hauptliste) zusammenstellt, aus welcher die Ge- schwornen für das bevorstehende Kalenderjahr genommen werden. 285 In gleicher Weise wird von derselben Commission aus Personen, welche am Sitzungsorte des Schwur¬ gerichtshofes oder in dessen nächster Umgebung woh¬ nen, eine zweite Liste (Ergänzungsliste) zusammen¬ gestellt, aus welcher die Ergänzungsgeschworuen ge¬ nommen werden. Der Umfang dieser beiden Listen ist mit Rücksicht auf die Anzahl der im Kalenderjahre voraussichtlich eintretendeu ordentlichen und außerordentlichen Sitzungs- Perioden in der Art zu bemessen, daß in jede Liste um die Hälfte mehr Personen ausgenommen werden, als nach der Anzahl der zu gewärtigenden Schwurgerichts- sitzungeu benvthigt werden dürften. Wenn die Urlisten eines Gerichtshofsprengels zu¬ sammen nicht wenigstens 800 zürn Geschwornenamte nach Z 1 berufene Personen enthalten, so hat der Präsident des Gerichtshofes erster Instanz noch vor Einberufung der Commission behufs Bildung der Jah¬ resliste die Bezirkshauptmänner aufzufordern, von den Gemeindevorstehern Ergänzungsurlisten abzuverlaugen und einzusenden, in welche diejenigen zum Geschwor¬ nenamte sonst berufenen Personen aufzunehmen sind, die an directen Steuern ohne Zuschlag jährlich min¬ destens 5 fl. entrichten. Eine gleiche Ergänzungsurliste ist den Vorstehern der im Sprengel etwa befindlichen Orte mit eigenen Gemeindestatnten abzufordern. Diese Ergänzungsürlisten sind wie die Haupturlisten an¬ zulegen und zu berichtigen und haben wie diese als Grundlage für die Verfassung der Jahresliste zu dienen 8 15. Die Jahresliste ist in Druck zu legen und dem Präsidenten des Gerichtshofes zweiter Instanz, dem Oberstaatsanwälte, dem Vorsteher der politischen Lan- 286 desstelle, ferner den Staatsanwälten, Bezirkshaupt¬ männern, Bezirksrichtern und Gemeindevorstehern des Gerichtshofsprengels mitzutheilen. 8 16. Die Vorsteher von Behörden und Gemeinden sind verpflichtet, wenn im Laufe des Jahres Verhältnisse zu ihrer Kenntniß gelangen, welche Geschworne der Jahresliste zur Ausübung des Amtes eines Geschwor- nen unfähig (Z 2) oder die Berufung zn diesem Amte unzulässig G 3) machen, und wenn die Einberufung von Wehrpflichtigen (§4, Z. 3) zur militärischen Dienstleistung erfolgt ist, hiervon dem Präsidenten des Gerichtshofes erster Instanz sogleich Anzeige zu machen. Bei demselben haben auch die im Z 4, Z. 2 und 4, genannten Personen um ihre Ausscheidung einzuschrei¬ ten, wenn der gesetzliche Befreiungsgrund erst nach Ablauf der Einspruchfrist eingetreten ist. Ueber die Nothwendigkeit und Berechtigung einer Ausscheidung aus der Jahresliste entscheidet der Prä¬ sident des Gerichtshofes erster Instanz. 8 17- Vierzehn Tage vor Beginn jeder Schwurgerichts- periode ist bei dem Gerichtshöfe erster Instanz im Beisein zweier Richter und des Staatsanwaltes in öffentlicher Sitzung die Dienstliste durch das Los zu bilden. Die Advokatenkammer ist einzuladen, zu diesem Acte ein Mitglied zn entsenden. 8 18- Behufs Bildung der Dienstliste werden aus der Jahresliste vorerst die für die Zeit der Schwurgerichts- 287 periode zur militärischen Dienstleistung einberufenen Wehrpflichtigen ausgeschieden. Sodann werden die Namen der in den beiden Bestandtheilen der Jahresliste eingetragenen übrigen Personen in je eine Urne gelegt und daraus durch den Präsidenten des Gerichtshofes zuerst die 36 Haupt- geschwornen und hiernach die 9 Ergänzungsgeschwornen gezogen. Ueber diesen Vorgang ist ein Protokoll aufzu- neymen. 8 l9. Enthält die Jahresliste nur mehr eine so geringe Zahl von Namen, daß die Hauptliste weniger als 54, die Ergänzungsliste weniger als 14 Namen umfaßt, so hat eine nach Z 11 zusammengesetzte Commission die Jahresliste bis auf die erwähnten Zahlen aus den Urlisten zu ergänzen, ehe zur Bildung der Dienstliste geschritten wird. 8 20. Die 36 Haupt- und die 9 Ergänzungsgeschwor- nen sind unter Bekanntgabe des Ortes, des Tages und der Stunde des Beginnes der Schwurgerichtssitzungeu und unter Hinweisung auf die gesetzlichen Folgen des Ausbleibens durch den Präsidenten des Gerichtshofes erster Instanz schriftlich vorzuladeu, wobei dafür Sorge zu tragen ist, daß die Zustellung der Ladung zu ihren eigenen Händen und acht Tage vor dem Beginne der Sitzungsperiode erfolge. 8 21- Sind vor dem Beginne der Hauptverhandlung weniger als 30 Geschworne erschienen, so sind die auf 288 diese Zahl fehlenden ans den 9 Ergänzungsgeschwornen zu ersetzen. Zu diesem Behufe werden vom Vorsitzenden des Schwurgerichtshofes in Gegenwart der Mitglieder desselben, des Anklägers und der Vertheidiger der An¬ geklagten die Namen der 9 Ergänzungsgeschwornen in eine Urne gelegt, die erforderliche Anzahl von Namen aus derselben gezogen und verlesen. Hierüber ist ein Protokoll aufzunehmen. 8 22. Wenn bei einem Schwurgerichte mehrere Straf¬ fälle an demselben Tage zur Hanptverhandlnng gelan¬ gen sollen, so kann die Bildung der Geschwornenbank für alle diese Straffälle vor Beginn der Verhandlung des ersten Falles erfolgen. Die für den ersten Straffall gebildete Geschwor¬ nenbank verbleibt, wenn die zur Ablehnung von Ge- schwornen Berechtigten sich damit einverstanden erklären, auch für die folgenden an demselben Tage zur Ver¬ handlung kommenden Straffälle in Thätigkeit. Wird, weil ein zur Ablehnung Berechtigter es verlangt, für einen der folgenden Straffälle eine neue Geschwornenbank gebildet, so verbleibt diese, wenn die zur Ablehnung Berechtigten sich damit einverstanden erklären, auch für die anderen folgenden Fälle in Thätigkeit. Verzögert sich wegen der längeren Dauer der vorhergehenden Verhandlung oder aus sonstigen zu¬ fälligen Gründen der festgesetzte Anfang einer Ver¬ handlung dergestalt, daß sie erst am vierten oder einem noch späteren Tage nach demjenigen beginnt, an dem 289 die Geschwornenbank gebildet worden war, so muß zur Bildung einer neuen Geschwornenbank geschritten werden. 8 23. Jeder Geschworne, welcher ungeachtet der an ihn ergangenen Vorladung, ohne ein unabwendbares Hin¬ derniß zu bescheinigen, ausbleibt, oder sich vor dem Ende der Schwurgerichtssitzung ohne Erlaubniß des Vorsitzenden des Schwurgerichtshofes entfernt, ist von dem Schwurgerichtshofe in eine Strafe bis 50 fl., im Wiederholungsfälle aber bis 100 fl. zu verurtheilen. Gegen ein solches Erkenntniß kann der Verur- theilte nur binnen acht Tagen von Zustellung desselben bei dem Schwurgerichtshofe, oder falls dieser nicht mehr versammelt ist, bei dem Gerichtshöfe erster In¬ stanz Einspruch erheben und unter genügender Bescheini¬ gung, daß ihm die Vorladung nicht gehörig zugestellt worden oder daß ihn ein unvorhergesehenes und un¬ abwendbares Hinderniß vom Erscheinen abgehalten habe, oder daß die ausgesprochene Strafe nicht im Verhält¬ nisse zu seinem Versäumnisse stehe, um Aufhebung oder Milderung der ihm auferlegten Strafe bitten. Gegen die hierauf erfolgte Entscheidung findet kein Rechtsmittel statt. Die Bestimmungen der Strafprozeßordnung über die Verwendung der nach derselben festgesetzten Geld¬ strafen finden auch auf die im gegenwärtigen Para¬ graph erwähnten Geldstrafen Anwendung. 8 24. Am Schluffe jeder Schwurgerichtsperiode sind die Geschwornen von dem Vorsitzenden des Schwurgerichts- 19 290 Hofes zu befragen, ob sie sich des ihnen durch den H 4, Z. 5, eingeräumten Rechtes der Befreiung bis zum Schluffe des nächstfolgenden Kalenderjahres oder für eine kürzere Zeit bedienen wollen. Die abgegebenen Erklärungen sind dem Präsidenten des Gerichtshofes erster Instanz zum Zwecke der Anmerkung in der Jahresliste mitzutheilen. 8 25. Jeder Geschworne und Vertrauensmann, der seine Obliegenheit erfüllt hat, erhält, wenn sein Wohnsitz weiter als eine Meile von dem Orte des Schwur¬ gerichtes entfernt ist, auf Verlangen eine mäßige Ent¬ schädigung für die Reisekosten, deren Betrag durch besondere Verordnung festgesetzt wird. 8 26. Das gegenwärtige Gesetz tritt am Tage der Kund¬ machung in Wirksamkeit. Das Gesetz vom 9. März 1869 (R. G. Bl. Nr. 33) über die Bildung der Geschwornenlisten für die Pre߬ gerichte wird hierdurch aufgehoben. Insoweit Dienstlisten zu bilden sind, ehe die nach Vorschrift des gegenwärtigen Gesetzes angelegten Jahres¬ listen benützt werden können, sind sie auf Grund der bisherigen Jahreslisten auf die in den W 17 und 18 bezeichnete Art durch das Los zu bilden. Jnwieferne im ersten Jahre der Wirksamkeit dieses Gesetzes die Urlisten und Jahreslisten noch vor den in den M 5 und 11 festgesetzten Zeitpunkten anzufer¬ tigen sind, wird im Verordnungswege bestimmt. 291 2. Vorschriften der Strafprozessordnung n) über die Bildung der Geschwornenbank. 8 304 r) Unmittelbar vor dem Beginne der Hauptverhand- lnng wird für jeden einzelnen Straffall in nicht öffent¬ licher Sitzung des Schwurgerichtshofes und in Gegen¬ wart des Anklägers, des Privatbetheiligten, des An¬ geklagten und seines Vertheidigers, sowie der vorge¬ ladenen Geschwornen zur Bildung der Geschwornen¬ bank geschritten. Dieselbe beginnt mit dem Aufrufe der 36 Hauptgeschwornen durch den Schriftführer. 8 305. Sind weniger als 30 Hauptgeschwvrne erschienen, so find die fehlenden aus, den neun Ergäuzungs- geschwornen in der durch das Los zu bestimmenden Reihenfolge zu ersetzen. 8 306. Sobald die Zahl von wenigstens 30 Geschwor¬ nen vollständig ist, richtet der Vorsitzende bei sonstiger Nichtigkeit an den Ankläger, an den Privatbetheiligten, an den Angeklagten und an die Geschwornen die Frage, ob bei einem der letzteren ein Grund vorhanden sei, der ihn von der Theilnahme an der vorliegenden Ver¬ handlung ausschließe. Diese Gründe sind: 1. Wenn der Geschwvrne zu den Parteien oder deren Vertretern in einem solchen Verhältnisse steht, >) der Strafprozeßordmmg vom 23. Mai 1873, Reichs- gesctzblatt Nr. 119. 19* 292 welches in Gemäßheit des § 67 einen Richter von der Ausübung des Richteramtes ausschließen würde; 2. wenn er aus der Freisprechung oder Ver- urtheilung des Angeklagten einen Nutzen oder Schaden zu erwarten hat; 3. wenn er in der vorliegenden Sache als Ge- richtszenge verwendet wurde, wenn er als Anzeiger, Ankläger, Vertheidiger oder Vertreter des Privat¬ betheiligten ausgetreten ist, oder als Zeuge oder Sach¬ verständiger abgehört wurde oder abgehört werden soll; 4. wenn er bei einer früheren Hauptverhandlung über dieselbe Strafsache, welche nunmehr zur neuer¬ lichen Hauptverhandlung gelangt GZ 332, 348, 350, Absatz 2), sich als Geschworner betheiligt hat. lieber die vorgebrachten Gründe der Ausschließung entscheidet der Gerichtshof; eine etwa erforderliche Er¬ gänzung der Zahl der Geschwornen wird auf die im vorstehenden Paragraph bestimmte Weise bewirkt. 8 307. Zur Bildung der Geschwornenbank darf bei son¬ stiger Nichtigkeit nur dann geschritten werden, wenn wenigstens 24 Geschworne, die nicht in Gemäßheit des vorhergehenden Paragraphes ausgeschlossen wurden, zugegen sind. Nur wenn alle zur Ablehnung von Ge- schworuen Berechtigten sich ausdrücklich damit ein¬ verstanden erklären, darf mit der Bildung der Ge¬ schwornenbank auch bei Anwesenheit einer geringeren Zahl von Geschwornen vorgegangen werden. ß 308. Von der Zahl der Geschwornen, soweit sie zwölf übersteigt, kann der Ankläger die eine, der Angeklagte die andere Hälfte ablehuen. Ist die Zahl der Ge- 293 schwornen eine ungerade, so hat der Angeklagte das Recht, einen mehr abzulehnen. Sind mehrere Ankläger oder mehrere Angeklagte vorhanden, so üben erstere das dem Ankläger, letztere das dem Angeklagten zu¬ kommende Ablehnungsrecht gemeinschaftlich aus. Kom¬ men sie über die Art der gemeinschaftlichen Ausübung nicht überein, so entscheidet das Los über die Reihen¬ folge, in welcher sie jedesmal das Recht der Ablehnung auszuüben haben. Die Ablehnung durch einen Mit¬ berechtigten gilt und zählt dann für alle. 8 309. Die Namen der Geschwornen werden in eine Urne gelegt. Der Vorsitzende gibt die jedem Bethei¬ ligten zukommende Anzahl von Ablehnungen bekannt und stellt nöthigenfalls die Art der Ausübung des Ab¬ lehnungsrechtes fest. Hierauf zieht er die Namen einzeln aus der Urne und verliest sie. Nach Ziehung und Verlesung jedes einzelnen Namens haben die Ablehnungsberechtigtcn, so lange deren Recht nicht erschöpft ist, und zwar der Ankläger zuerst zu erklären, ob der Geschworne angenommen oder abgelehnt werde. Erfolgt nicht eine Erklärung, ehe ein weiterer Name aus der Urne gezogen ist, so gilt dies als Annahme. Gründe der Annahme oder Ablehnung dürfen nicht angegeben werden. Sobald 12 nicht abgelehnte Geschworne gezogen oder nur noch so viele Namen in der Urne übrig sind, als zur Ergänzung der Zahl der Geschwornen bis auf 12 erfordert werden, ist die Geschwornenbank, vor welcher die Hauptverhandlung vorzunehmen ist, gebildet. 294 8 310. Läßt sich voraussehen, daß eine Hauptverhand¬ lung einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen werde, so kann der Vorsitzende verfügen, daß ein oder zwei Ersatzmänner zugezogen und daß daher statt der 12 Geschwornen deren 13 oder 14 ausgelvst werden, von welchen die ersten 12 Hauptgeschworne, die an¬ deren Ersatzgeschworne sind. Die Zahl der erlaubten Ablehnungen vermindert sich in diesem Falle verhält- nißmäßig. Die Ersatzgeschwvrnen müssen der ganzen Verhandlung ohne Unterbrechung beiwohnen und tre¬ ten, falls einer oder der andere der Hauptgeschwornen verhindert sein sollte, der ganzen Verhandlung bis zum Ausspruche der Geschwornen beizuwohnen, in der Reihenfolge, in welcher ihre Namen gezogen wurden, an deren Stelle. b) über Berathung und Beschlußfassung der Geschwornen. 8 326. Die Geschwornen wählen einen Obmann aus ihrer Mitte mit einfacher Stimmenmehrheit. Vor der Berathung hat der Obmann den Geschwornen folgende Belehrung vorzulesen: „Das Gesetz fordert von den Geschwornen keine Rechenschaft über die Gründe ihrer Ueberzeugung; es schreibt ihnen keine bestimmten Regeln vor, nach wel¬ chen die Vollständigkeit und Hinlänglichkeit eines Be¬ weises zu beurtheilen wäre. Es fordert sie nur auf, alle für und wider den Angeklagten vorgebrachten Beweismittel sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen 295 und sich dann selbst zu fragen, welchen Eindruck die in der Hauptverhandlung wider den Angeklagten vor¬ geführten Beweise und die Gründe seiner Vertheidi- gung auf sie gemacht haben. „Nach der durch diese Prüfung der Beweismittel gewonnenen Ueberzeugung allein haben sie ihren Aus¬ spruch über die Schuld oder Nichtschuld des Angeklagten zu fällen. „Sie müssen sich dabei beständig vor Augen halten, daß ihre Berathschlagungen sich nur auf die ihnen vorgelegten Fragen, über die der Anklage zugrunde liegenden oder damit in Verbindung stehenden That- sachen zu beschränken hat. Nicht sie, sondern nur die Richter sind berufen, die gesetzlichen Folgen auszu¬ sprechen, welche den Angeklagten im Falle seiner Schuldigerklärung treffen. Die Geschwornen haben daher ihre Erklärung ohne Rücksicht ans die gesetz¬ lichen Folgen ihres Ausspruches abzugeben." Diese Belehrung sowie die ZH 327—430 dieses Gesetzes, sollen in dem Berathungszimmer der Ge¬ schwornen in mehreren Exemplaren angeschlagen sein. Z 327. Die Geschwornen dürfen das Berathungszimmer nicht verlassen, bevor sie ihren Ausspruch gefällt haben. Niemand darf während der Dauer ihrer Berathung ohne schriftliche Bewilligung des Vorsitzenden in ihr Berathungszimmer eintreten; auch ist ihnen während dieser Zeit jeder Verkehr mit dritten Personen unter¬ sagt. Der Gerichtshof verurtheilt den Geschwornen, der diesem Verbote zuwiderhandelt, zu einer Geldstrafe von zehn bis hundert Gulden, dritte Personen aber, welche diese Vorschrift übertreten, zu vierundzwanzig¬ stündigem Arrest. 296 Entstehen bei den Geschwornen Zweifel über das von ihnen zn beobachtende Verfahren, oder über den Sinn der gestellten Fragen, oder über die Fasfung einer Antwort, fo begibt sich auf schriftliches Ansuchen des Obmannes der Vorsitzende unter Zuziehung des Protokollführers, dann des Anklägers und des Ver- theidigers, wenn diese im Gerichtshause anwesend sind, zu den Geschwornen. Die von dem Vorsitzenden hierbei ertheilte Be¬ lehrung ist auf Verlangen zu Protokoll zu nehmen. Aeußern die Geschwornen den Wunsch nach Ab¬ änderung oder Ergänzung der an sie gerichteten Fragen, so ist darüber in wieder eröffneter Sitzung zu ver¬ handeln und Beschluß zu fassen. Der Abstimmung der Geschwornen darf bei son¬ stiger Nichtigkeit niemand beiwohnen. 8 328. Nach abgehaltener Berathung läßt der Obmann die Geschwornen über die einzelnen Fragen nach der Reihenfolge, in der sie von dem Vorsitzenden gestellt wurden, mündlich abstimmen, indem er jeden Geschwor¬ nen einzeln um seine Erklärung befragt; der Obmann gibt seine Stimme zuletzt ab. Die Geschwornen stim¬ men über jede Frage mit „Ja" oder „Nein" ab; doch ist ihnen auch gestattet, eine Frage nur theilweise zu bejahen oder zu verneinen. Bei theilweiser Bejahung einer Frage ist die Beschränkung kurz beizufügen. Ihre Antwort ist dann: „Ja, aber nicht mit diesen oder jenen in der Frage enthaltenen Umständen." 297 8 329. Zur Bejahung der Schuldfrage, sowie zur Be¬ jahung der inbetreff erschwerender Umstände gestell¬ ten Fragen ist eine Mehrheit von wenigstens zwei Drittheilen der Stimmen erforderlich. In allen ande¬ ren Fällen entscheidet die einfache Stimmenmehrheit; bei Stimmengleichheit gibt die dem Angeklagten gün¬ stigere Meinung den Ausschlag. Ist eine Hauptfrage zu Ungunsten des Angeklagten bejaht worden, so können sich die überstimmten Geschwornen der Abstimmung über die für diesen Fall gestellte Znsatzfrage enthalten; ihre Stimmen werden dann den dem Angeklagten gün¬ stigsten beigezählt. Der Obmann zählt die Stimmen und schreibt neben jede Frage, je nachdem sie durch die Geschwor¬ nen beantwortet ist, Ja oder Nein mit den allfälligen Beschränkungen, unter Angabe des Stimmenverhält¬ nisses. In der Aufzeichnung des Ausspruches der Ge¬ schwornen, welche von dem Obmanne zu unterschreiben ist, darf keine Radirung vorkommen; Ausstreichnngen, Randbemerkungen oder Einschaltungen müssen von dem Obmanne durch eine von ihm unterschriebene aus¬ drückliche Bemerkung genehmigt sein. ch über den Ausspruch der Geschwornen. § 330. Nach beendigter Abstimmung kehren die Geschwor¬ nen in den Sitzungssaal zurück und nehmen wieder ihre Plätze ein. Der Vorsitzende fordert sie auf, das Ergebniß ihrer Berathung mitzutheilen. Hierauf erhebt sich der Obmann der Geschwornen und spricht; 298 „Die Geschwornen haben nach Eid und Gewissen die an sie gestellten Fragen beantwortet, wie folgt:" Sodann verliest er, und zwar bei sonstiger Nich¬ tigkeit, in Gegenwart aller Geschwornen die au sie gerichteten Fragen und unmittelbar nach jeder den beigefügten Ausspruch der Geschwornen. Hierauf über¬ gibt er den von ihm unterzeichneten Fragebogen dem Vorsitzenden, welcher denselben unterschreibt und von dem Schriftführer mitfertigen läßt. Sobald die Geschwornen das Berathungszimmer verlassen haben, kann keiner derselben von seiner früheren Meinung abgehen; eine neue Berathung kann nur dann zugelassen werden, wenn es sich um die Beseitigung einer durch bloßes Mißverständniß in den Wahrspruch gelangten irrigen Angabe handelt. 8 331. Ist der Ausspruch der Geschwornen undeutlich, unvollständig oder in sich widersprechend, so hat der Gerichtshof darüber sogleich ein Erkenntniß zu fällen und den Geschwornen die Fragen und Antworten mit der Aufforderung zurückzustellen, daß sie sich in ihr Berathungszimmer zurückziehen und nach neuerlicher Berathung ihren Wahrspruch verbessern. Es steht in solchem Falle dem Gerichtshöfe frei, nach Anhörung der Parteien die sich als Wünschenswerth darstellenden Aenderungen und Ergänzungen der Fragen zu be¬ schließen. Der Vorsitzende eröffnet den Geschwornen, daß sie nur zur Abänderung der beanständeten Ant¬ worten und zur Beantwortung der neu oder in geän¬ derter Fassung vorgelegten Fragen berechtigt sind. 8 332. Wurde der Angeklagte für schuldig erklärt, und ist der Gerichtshof einstimmig der Ansicht, daß sich die Geschwornen bei ihrem Aussprache in der Haupt¬ sache geirrt haben, so erkennt der Gerichtshof, ohne daß ein Parteiantrag darauf gestellt werden kann, daß die Entscheidung bis zur nächsten Schwurgerichtssitzung auszusetzen und die Sache vor ein anderes Geschwor- nengericht zu verweisen sei. Findet der Gerichtshof, daß sich die Geschwornen bei ihrem Ausspruche über eine gegen mehrere gerichtete Anklage nur rücksichtlich eines Angeklagten oder bei mehreren Anklagepunkten mir rücksichtlich eines derselben geirrt haben, so hat sich diese Verweisung auf diesen Angeklagten oder diesen Anklagepunkt zu beschränken, und sie bleibt ohne Ein¬ fluß auf die übrigen. Bei der wiederholten Verhand¬ lung darf keiner der Richter den Vorsitz führen und keiner der Geschwornen zugelassen werden, welche an der ersten Verhandlung theilgenommen. Stimmt der Ausspruch des zweiten Geschwornengerichtes mit jenem des ersten überein, so muß der Gerichtshof denselben seinem Urtheile zugrunde legen. 008188 o <2! cs L» c^r L) -k-» (O c» (O -k» Vktkklg oon Ig v.Rkeuuna^c in Register.''^ 9^Bog^ L"""''^"' """"