„Alle Landschaft ist ein Seelenzustandt…“ Hugo Wolf - seine Zeitgenossen und Nachfolger Das heutige Symposium über Hugo Wolf hier in Slovenj Gradec konzentriert sich nicht nur auf den Landsmann aus Slovenj Gradec, Hugo Wolf, sondern widmet sich auch einigen seiner steiermärkischen Landsleute, zum Beispiel dem dreizehn Jahre jüngeren Josip Ipavec, dem acht Jahre jüngeren Anton Schwab oder dem im Jahre 1882 in Graz geborenen Josef Marx, dessen Mutter aus dem Ort Plevne bei alec stammte. Der slowenische Komponist L. M. Škerjanc bezeichnet in seiner Biographie von Anton Lajovic (1958) die untere Steiermark als den Berührungspunkt zwischen der österreichischen und der slowenischen Musikkultur. Dort ist seiner Meinung nach gerade mit Hugo Wolf die Heimat- und Stimmungswiege des neudeutschen Liedes, dessen Vertreter vor allem Hugo Wolf und Josef Marx sind.1 Ihnen schließt er noch Lajovic an, der 1878 geboren wurde und aus dem Ort Vace bei Litija stammte. Er vergleicht ihn mit Marx, mit dem ihn „eine üppige melodische Linie, eine betörende Tonbegleitung, die Neigung zu Herbststimmungen, ein starker Sinn für das formale Gleichgewicht und die Neigung zur spätromantischen, impressionistischen Behandlung musikalischer Mittel“2 verbinden sollten. Damit definierte Škerjanc auch die Position des Liedkomponisten Lajovic im damaligen europäischen Kontext. Škerjanc stellte fest, daß sich Lajovic nur sehr wenig auf die bisherigen slowenischen Lieder stützen konnte. Die Vorbilder der Brüder Ipavec und anderer Schöpfer am Ausklang des 19. Jahrhunderts zogen ihn nicht genug an, um in ihre Fußstapfen zu treten und mit ihrer einfachen und damals schon sicher veralteten Richtung weiterzumachen.« Damit meinte Škerjanc die beiden Brüder Benjamin und Gustav Ipavec aus dem Ort Šentjur bei Celje und sicher nicht Josip Ipavec, dessen Werk der slowenischen Öffentlichkeit bis zu den heutigen Tagen mehr oder weniger unbekannt blieb, zum Teil auch deshalb, weil er seine Lieder zu den Texten deutscher Dichter schrieb. Nach dem Ersten Weltkrieg war alles, was deutsch war, verdächtig und Lajovic war einer von jenen, die die deutsche Musik in Slowenien vertrieb, sollte es sich um Bach, Wagner oder Beethoven handeln.3 Für Hugo Wolf fand der damalige slowenische Musikkritiker mehrere belobende Worte. Im Gespräch mit Izidor Cankar im Jahre 1920 sagte er über die Einflüsse auf sein Werk folgendes: „Was die harmonische Technik anbelangt, erinnert er vielleicht an Wagner, während mich seine Melodik anekelte; sie schien mir nicht warm genug und irgendwie konstruiert zu sein: Was die schön abgeschlossene Linie betrifft, wurde ich damals stark von Brahms beeindruckt, der seinen Kompositionen auch eine ausgeprägte und weiche Harmonie zu geben wußte. - Die damalige Zeit machte vor allem auch auf Hugo Wolf aufmerksam, dessen Lieder mich aufgrund der gesamten charakteristischen Erfindung sehr beeindruckten, obwohl mir nicht gefiel, daß er der Stimme nur die Rolle eines Rezitators ohne ausgeprägte melodische Linie (mit Ausnahme von einigen Werken) gab, während er den wichtigsten musikalischen Inhalt dem Klavier überließ…“4 Es ist schade, daß Lajovic dabei nicht präziser wurde und daß er mit seiner eher laschen Meinung auf der Oberfläche blieb. 196 PRIMO KURET (1935) 1 Siehe Škerjanc, L. M., Anton Lajovic, Ljubljana 1958, S. 53 2 Ibd. 3 Siehe Kuret, Primo, Umetnik in druba, Ljubljana 1988, S. 112ff. 4 Cankar, Izidor, Leposlovje - eseji - kritike I, Ljubljana 1968, S. 174 Schon der Redakteur der Zeitschrift Novi akordi Gojmir Krek schrieb vor dem Ersten Weltkrieg unter anderem auch über die Musik von Wolf und sagte, daß der Großteil des slowenischen Musikpublikums keine Ahnung davon hat.5 Der Verfasser der Biographie von Lajovic umriß die musikalischen Verhältnisse in Slowenien um die Jahrhundertwende noch kritischer: „…Unsere Kompositionen aus dieser Zeit widerspiegeln das Musikleben in einer idyllischen, ein wenig muffigen und langweiligen Atmosphäre des untergehenden Kleinbürgertums ... nicht einmal ein Blatt rührte sich in dem Sturm, der gerade in jenem Moment über die Fluren der Musikkunst überall auf der Welt fegte.« Jedoch fügte er auch hinzu: »Die Romantik des Gartenlaubestils war ein heimlich gepflegtes und von Millionen Kulturschaffender realisiertes Ideal am Anfang des neuen Jahrhunderts ... deshalb ist es nicht überraschend, daß sich diese Tendenzen auch in unserer Musik dieser Zeit widerspiegeln.“6 Jenen Teil der slowenischen Komponisten, die den Rahmen des Gartenlaubestils sprengten, wie zum Beispiel Josip Ipavec und besonders Emil Hochreiter, kannte Škerjanc offensichtlich nicht. Diese Musiker entwickelten und verwirklichten sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, in der Zeit des Fin de Siecle und vor dem ersten Weltkrieg. Sowohl Hugo Wolf als auch Josip Ipavec wurden in einem kleinen Ort geboren. Der erste in Slovenj Gradec, das damals unter dem Namen Windischgraz bekannt war und der zweite in Šentjur bei Celje. Slovenj Gradec war in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine kleine Stadt mit 1100 Einwohnern. In der Antwort auf die Umfrage des Erzherzogs Johann, die heutzutage als die Topographie von Göth bekannt ist, beschrieb der Bezirkskomissar Pachernigg Slovenj Gradec mit folgenden Worten: „Die hiesige Bevölkerung ist überhaupt von guter Gemütsart, jedoch etwas zurückhaltend und in der Stufe der Kultur gegen andere Orte zurück. Die Hauptfehler sind Liebelei und Trunkenheit... Kretinen und Kröpfe sind im Gebirge so allgemein, daß die Rekrutierung schwer von sich geht. Der Vermögenszustand der Einwohner ist mittelmäßig.“7 Unter den Einwohnern von Slovenj Gradec waren 291 Handwerker, 4 von ihnen waren Gerber, 57 Wirte und es gab sogar zwei Bierbrauereien. Der erste - deutsche - Kulturverein wurde 1852 gegründet. Das war ein Männerchor. Sehr beliebt war es, zu Hause zu musizieren. Auch Hugos Vater Filipp, der einer der vier Gerber in der Ortschaft war, musizierte gern nach seiner Arbeit und hatte zu Hause sogar ein kleines Ensemble. Hugo Wolf mochte seinen Geburtsort - im Gegensatz zu seinem 27 Jahre jüngeren Mitbürger und Dichter, der über die Straße vom Wolfs Geburtshaus lebte, Ernst Goll - nie besonders. Der letztere bezeichnete Slovenj Gradec als sein kleines Heimnest. „Ich habe es schrecklich gern und möchte mich noch immer in seinem weichen Gefieder wälzen.“8 Šentjur bei Celje, der Ort, aus dem Familien Vouk alias Wolf und Ipavec stammten, war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Gegenteil zu Slovenj Gradec ein bewußt slowenischer Ort. Gerade Familie Ipavec hat viel dafür getan. Šentjur war ein kleiner Ort und ein eher armer Markt, dem die günstige Lage bei der Eisenbahn, trotz der Nähe zu Celje, großen Fortschritt ermöglichte. Die wichtigste Rolle bei der allgemeinen und 197 „Alle Landschaft ist ein Seelenzustandt…“ 5 Krek, Gojmir, »Hugo Wolf in Slovenci«, in der Zeitschrift Novi Akordi XI, Nr. 3, 1910 6 Lajovic, o. a., S. 20 7 Göthova topografija - Im Archiv des Institutes für die slowenische Volkskunde des Zentrums für wissenschaftliche Studien an der Slowenischen Akademie für Wissenschaft und Kunst - Nr. 321 Rothenturn/Slovenj Gradec 8 Goll, Ernst, Im bitteren Menschenland (V trpki deeli èloveka), Slovenj Gradec 1997, S. 103 musikalischen Entwicklung des Ortes spielte Gustav Ipavec, Arzt und Bürgermeister. 1886 gründete er einen Chor, der viele seiner Lieder zum ersten Mal interpretierte. Gerade Gustavs Lieder waren am beliebtesten und man sang sie zu Hause und in der Schule. Zu ihrer Zeit waren sie auch für die Bildung des Nationalbewußtseins bei den Slowenen in der gesamten Heimat wichtig. Aus Šentjur stammt auch das erste österreichische Damenquartett der Schwester Campa, die die Nichten von Gustav und Benjamin Ipavec waren. Dank der Familie Ipavec besuchten Šentjur viele prominente internationale Musikgäste, unter anderen Johannes Brahms, Alexander Zemlinsky, Oskar Nedbal und Josef Marx. Die politischen Umstände in der gesamten Unteren Steiermark wurden im 19. Jahrhundert durch die nationalen Auseinandersetzungen zwischen den Slowenen und den Deutschen gekennzeichnet, die gegen das Ende des Jahrhunderts und vor dem Ersten Weltkrieg immer heftiger wurden. Die ersten größeren Risse im tausendjährigen friedlichen Zusammenleben der Deutschen und der Slowenen zeigten sich Ende der Sechzigerjahre, als das politische Leben in der Monarchie im Allgemeinen viel aktiver wurde. Die slowenischen politischen Volksversammlungen und die organisierten Auftritte der slowenischen Partei im steiermärkischen Landtag führten zu der Reaktion der deutschen Seite, die sich von den slowenischen Forderungen nach einer besseren Gleichstellung der slowenischen Sprache in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens immer mehr bedroht fühlte. Auf den beiden Seiten warnte man vor der Gefahr nationaler Streitigkeiten und betonte »die Aufrechterhaltung dieser Gemeinschaft des Friedens, die schon jahrhundertelang zwischen den Slowenen und den Deutschen besteht« und »daß unser schönes steiermärkisches Land als die Perle der österreichischen Krone ungeteilt bleiben muß.« Daß die Auseinandersetzungen am Anfang nicht sehr heftig waren, schreibt in seinem Buch Spomini (Erinnerungen) Dr. Josip Sernec, der in den Jahren 1870-73 Anwaltskonzipient im slowenischen Ort Breice war: „Alle Einwohner, sowohl slowenische als auch deutsche waren freundlich zueinander.“9 Auch in Celje, wo er 1876 zum Anwalt wurde, war Sernec neben vielen anderen Slowenen ein Mitglied des slowenischen und des deutschen Vereins (Èitalnica und Kazina). Ein stärkerer deutscher Nationalgeist kam im Oktober 1880 bei den Neuwahlen zum Reichstag in der Kurie Maribor,10 sowie bei der Wiederherstellung der Tätigkeiten der meisten deutschen politischen Vereine in der Unteren Steiermark und in der schnellen Ausbreitung des 1880 in Wien gegründeten Schulvereins zum Ausdruck. Zur Verschärfung der Situation trugen auch die Zeitschriften bei. Es entstanden Forderungen, daß Deutsch die Staatssprache sein soll. Cillier Zeitung (24. 11. 1881) schrieb, „daß in Österreich nur die deutsche Politik besteht. Seien wir einheitlich, deutsch und treu, denn die Zukunft gehört unserer Rasse!... Der bloße Gedanke, mit unseren Gegnern zu paktieren, soll ins Fabelbuch geschrieben werden. Von ihrem Fanatismus kann man keine Rücksichtnahme und keine Nachsicht erwarten. Gerade deshalb müssen wir ihnen deutlich und ehrenhaft zeigen, daß wir keine Angst haben. Nur eine heftige Betonung unseres deutschen Punktes kann der unermüdlichen Wühlerei ein Ende machen.“11 Solche Stellungnahmen verschärften sich immer mehr und auch die Slowenen legten nicht die 198 PRIMO KURET (1935) 9 Sernec, Josip, Spomini, Ljubljana 1927, S. 22 10 Cvirn, Janez, Trdnjavski trikotnik, Maribor 1997, S. 98 11 Ibd., S. 100-101 Hände in den Schoß. Die Situation verschlimmerte sich und es fielen solche Bemerkungen, daß die politische Situation auf den Siedepunkt stieg. Die Deutschen lehnten die Forderungen nach der Gleichheit der slowenischen mit der deutschen Sprache als unbegründet ab und betonten, daß die im kulturellen Sinne dominanten Deutschen eine führende Rolle im Staat haben müssen. Die Situation verschärfte sich 1893 mit der Forderung nach der Gründung der slowenischen Parallelklassen auf dem Gymnasium Celje. Den Kampf um die Slowenisierung des Gymnasiums Celje verstanden vor allem die Deutschen, die in Celje lebten, als einen Kampf auf Leben und Tod, obwohl auf diesem Gymnasium sogar 63 % der Schüler slowenischer Nationalität waren. Die Versammlungen fanden eine nach der anderen statt, die Deputationen wurden nach Wien geschickt und die Folge war, daß die Regierung von Windischgraetz im Juni 1895 zurücktrat.12 Der Reichstag bestätigte dann doch die Forderung nach slowenischen Klassen. All das hatte wichtige Folgen für die politische Entwicklung in der Monarchie, die Forderungen der Deutschen wurden mit der Zeit noch radikaler und sie verlangten, daß Celje als Brücke zur Adria deutsch sein und bleiben muß. Sonst wird dem deutschen Volk die Lebensader durchgeschnitten, es wird zum Tode verurteilt.13 Diese Ereignisse kommentierte am 17. Juni 1897 auch Hugo Wolf in seinem Brief an die Schwester Kathe. Er schrieb ihr, daß sie seine Zeilen vielleicht erstaunen werden. Er kann aber nicht umhin, ihr das beigelegte Schreiben, das sie sicher erfreuen wird, zu schicken. Soweit er weiß, ist auch sie eine entschiedene Gegnerin der slowenischen Eingriffe in das deutsche Bollwerk Celje und so wird sie diese Tat des Hilfsausschusses sehr sympatisch finden.14 Wolf selbst besuchte Celje zum ersten Mal erst ein Jahr später, 1898, doch ging er bereits nach einigen Tagen zum Grundbesitzer Moritz nach Vojnik. Für die Grundsteinlegung des Deutschen Hauses (1900-1906) schenkte Wolf eine seiner drei Vertonungen der Gedichte von Michelangelo (Wohl denk’ ich oft an mein vergang’nes Leben). Schließlich engagierten sich neben anderen deutschen Komponisten auch Richard Strauss, Johann Strauß, Wilhelm Kienzl und Peter Cornelius im Kampf für das deutsche Celje und spendeten ihren Obolus für den Ausbau des Deutschen Hauses (Tondichtungen deutscher Meister).15 Hugo Wolf war sich seiner slowenischen Wurzeln nicht bewußt, zu Hause sprach die Familie sowieso Deutsch. Slowenisch mußte er in der Grundschule lernen. Der Beweis dafür sind seine Zeugnisse, die auch zeigen, daß seine Noten aus Slowenisch nicht gerade gut waren. Später brauchte er Slowenisch nicht, weil er sich vollkommen in die deutsche Kultursphäre einlebte, was auch das obige Zitat aus seinem Brief zeigt. Schon zu seinen Lebzeiten galt er für den wichtigsten Schöpfer des deutschen Kulturkreises in der Unteren Steiermark. Die Begeisterung über den Komponisten Wolf war in Slowenien nur unter der deutschen Bevölkerung zu finden. In Celje standen seine Werke oft am Programm, sie wurden vielmals bei den Konzerten der Philharmonischen Gesellschaft in Ljubljana dargeboten obwohl in einem größeren Ausmaß erst nach seinem Tode, als sein erster 199 „Alle Landschaft ist ein Seelenzustandt…“ 12 Ibd., S. 188 13 Ibd., S. 193 14 von Hellmer, Edmund, Hugo Wolf-Familienbriefe, Leipzig 1912, S. 120 15 Zangger, Fritz, Künstlergäste. Cilli-Celje 1933, S. 136 Biograph Ernst Descay sogar den Vorschlag machte, in Celje eine besondere Feierlichkeit zu Ehren von Wolf zu organisieren und seine Oper „Corregidor“ aufzuführen.16 Seine literarischen Altersgenossen waren ihm bei weitem nicht gewachsen: weder Ottokar Kernstock, Max Mell und Alfred Schmidt Maderna aus Maribor noch Ernst Goll aus Slovenj Gradec. Die politischen Verhältnisse wirkten sich auf Wolf kaum aus. Er lebte in Wien, das nach seiner Art weltmännisch war, er widmete sich der Kunst und Musik. Josip Ipavec fühlte sich zwar als Slowene, doch schrieb er seine Lieder und seine Oper zu den deutschen Texten. In der slowenischen Sprache gibt es nur einige Chöre. Obwohl sein Vater Gustav wie auch sein Onkel Benjamin feste Patrioten waren, sprach man in der Familie meistens doch Deutsch. In einem solchen Milieu wuchs Josip Ipavec auf, der sich in seinem Brief an den Schulkameraden und Freund Vidic entschuldigte, daß er ihm nicht Slowenisch schreiben kann, weil er es seiner Meinung nach dafür nicht gut genug beherrscht. Das gilt nicht für Anton Schwab, der sich 1900 in Celje ansiedelte. Schwab gründete den ersten Chor in Celje und dirigierte ihn 5 Jahre. Für diesen Chor schrieb er auch einige Kompositionen und Bearbeitungen der Volkslieder. Sowohl die genannten Mitglieder der Familie Ipavec als auch Anton Schwab waren Ärzte und verdienten auf diese Weise auch ihren Lebensunterhalt. Sie konnten sich der Musik, die für sie ein innerer Zwang war, nur in ihrer Freizeit widmen. Schwab schrieb viel über die Umstände und vor allem über die Komponisten Ipavec. Mehrmals besuchte er Benjamin, der vor dem Ersten Weltkrieg sehr lange als der wichtigste slowenische Komponist galt und den er sehr schätzte. Benjamin lebte aber in Graz, wo er Vorstand des Kinderkrankenhauses war. Schwab verfolgte die Arbeit der drei Komponisten Ipavec und war auch bei der Aufführung der Ballettpantomime Moièek von Josip Ipavec im Jahre 1906 anwesend. Darüber schrieb er: „Es war mir eine große Freude, ihn im Moment seines größten Ruhms und Glücks zu sehen... es war wunderschön, wie ihn das Publikum dort bewunderte und verehrte. Vor allem der weibliche Teil war über den wohlgestalteten Mann, dessen Herz nur für die Musik schlägt, begeistert…“17 Auch Josef Marx Pepo konnte sich der Musik wegen seines Vaters erst nach dem absolvierten Jurastudium widmen. Seine Mutter Irena Štiglic (1863-1915), die aus dem Ort Plevne bei alec stammte, war eine gute Musikerin (Pianistin). Sie war auch seine erste Musiklehrerin. Sein Vater war ebenso Pianist, Geiger und Chorsänger, der Johann Strauss und die leichte Muse bewunderte. Einer seiner ersten Lehrer war Erich Degner, der aus Ptuj nach Graz gekommen war, wo er in den Jahren 1885-88 Musikdirektor des dortigen Musikvereins war. Marx kannte die Heimat seiner Mutter sehr gut. Sie beeinflußte ihn mit ihren Naturschönheiten. So verstand er auch seinen älteren Landsmann Hugo Wolf, der in Graz genauso oft aufgeführt und genauso verehrt wurde wie Liszt, Wagner oder Bruckner. Er nannte ihn das Kind der Unteren Steiermark. „Es ist ein Rebelhügel, auf dem sich der Komponist behaglich ausstreckt, und die Wolken ziehen langsam mit der Drau von Marburg nach Cilli. Wer diese gottgesegnete Landschaft kennt, auf Höhenwanderungen und in den dunklen Tälern des Bachengebirges 200 PRIMO KURET (1935) 16 Vergleiche Kuret, Primo, »Sprejem Wolfovih del na Slovenskem«, im Buch: Mednarodni simpozij o ivljenju in delu skladatelja Huga Wolfa. Slovenj Gradec 1997, S. 13ff. 17 Vergleiche Schwab, „Anton, Ipavci in jaz«, in: Zbori, Glasbeno-knjievna priloga IV, Ljubljana, 1928, S. 26 das farbige Leuchten des Herbstes, den sinnverwirrenden Frühling der Wälder erleben durfte, wo der Kuckkuck tausendmal ruft, während die Obstbäume in weißen Wolken auf lila Veilchenwiesen niederschneien - wer sich an all dem immer wieder berauscht wie an ewig Unverlierbarem, der findet in Wolfs Liedern süßes Anklingen dieser Stimmungen in einem leise erblühenden Akkord in einer zarten Melodie, die selig zum Himmel strebt wie Frühlingsbirken am Abend. Wenn dann der Südwind durch die Äste fährt und weiße Lawinen niederstäubt oder im Herbst die Windräder harfenartig anklingen, immer wird die bunte Welt der Abenteuer einen umfangen, als Vision der Sehnsucht, die nach Süden lockt, Venedig, Rom oder noch weiter: Nach Süden!... Dahin ging auch die Sehnsucht Wolfs: »Italienisches Liederbuch«, »Spanisches Liederbuch«, »Italienische Serenade«, »Corregidor«, »Manuel Vanegas«. Mit Eichendorff hört er im Quellenrieseln heimatlicher Wälder ferne Brunnen »verschlafen rauschen in der prächtigen Sommernacht«, träumt von »Marmorbildern, Palästen im Mondenschein, wo Mädchen am Fenster lauschen, wenn der Lauten Klang erwacht. Ach, wer da mitreisen könnte!« Die alte, romantische Sehnsucht des Deutschen nach Italien.“18 Oder wie Ernst Goll (Jubel) sang: „Ihr schmeichelnden Düfte, du goldener Tag, Durchzittert die Lüfte wie Lerchenschlag.“19 Auch Marx widmete sich der Liedkomposition und hatte dabei ähnliche Ideale wie Hugo Wolf oder Josip Ipavec. Oft wählte er sogar die gleichen Dichter wie Ipavec, unter anderem zum Beispiel Julius Levy Rodenberg, Emanuel Geibel, Schönaich-Carolath. Marx’ Kunst- und Lebenskarriere unterscheidet sich sehr von der von Wolf oder Ipavec. Sein Doktorat machte er früh, dann wurde er Professor an der Wiener Musikakademie, wo er mehr als 350 Schüler hatte. Unter ihnen war auch L. M. Škerjanc, mit dem ihn später eine enge Freundschaft verband. Wolf fühlte sich vom Süden angezogen, Josip Ipavec von der Welt, die sich ihm entzog wie Wolf der Süden. Die beiden prägte dasselbe üble Schicksal, dem sie nicht entgehen konnten. Oder etwa mit den Worten von Anton Schwab: „Es ist traurig, daß er (Ipavec) dasselbe tragische Schicksal mit einem anderen untersteiermärkischen Komponisten, der Weltruhm genießt, Hugo Wolf, in Slovenj Gradec geboren, teilen mußte.“20 Zufluchten suchten sie in der Musik, Josip Ipavec mit dem Wunsch, in der großen Welt Erfolg zu haben. Wolf gelang es, dieses Ziel zu erreichen, nicht aber Josip Ipavec. Wien geleitete ihm aus den Händen, weil ihn seine Arbeit aus der Hauptstadt in die Provinz führte (Zagreb). In Wien waren seine Freunde Meister, wie der Komponist und gleichzeitig auch sein Musiklehrer Alexander Zemlinsky oder die Primadonna der Wiener Oper Lucie Weidt. Sie hatte früher in Celje gelebt und hier, in der Stadt ihrer Jugend, hatten sie sich wahrscheinlich auch kennengelernt. Als er zurück nach Hause, nach Šentjur kam, blieben ihm nur noch seine Arbeit und das Opernkomponieren, aber der Arztberuf beschäftigte ihn ganz und gar. Dabei zeigte sich mit ganzer Strenge noch die Krankheit, die jede umfangreichere Tätigkeit, auch in der Richtung der eigenen Promotion, unmöglich machte. Wolf starb in einer Anstalt für Geisteskranke, Josip Ipavec vegetierte und starb zu Hause, sozusagen auf dem Heuboden. Wolf wurde von seinen Freunden unterstützt, Josip Ipavec hatte fast keine. Wolfs Opus wurde noch zu seinen 201 „Alle Landschaft ist ein Seelenzustandt…“ 18 Marx, Joseph, Betrachtungen eines romantischen Realisten. Wien 1947, S. 348 19 Goll, o. a., S. 22 20 Schwab, o. a., S. 38 Lebzeiten Anerkennung zuteil, die Kompositionen von Ipavec sind nach seinem Tode zum Teil sogar verlorengegangen. Sein Freund Anton Schwab beschreibt seine Krankheit mit etwa folgenden Worten: „… Eines Tages wurde ich als Arzt zu Josip gerufen... Der Komponist war bewußtlos und hatte den Anschein eines schwer kranken Menschen… Ich wußte zwar, daß man gegen den Tod in diesem Falle ein sicheres Medikament hat, das auch wirklich seine Pflicht erfüllte... zu meiner großen Trauer war es mir aber gleichzeitig bewußt, daß seine körperlichen und seelischen Kräfte nach der Genesung immer schwächer werden, so daß er für die Kompositionen sein ganzes Leben lang unfähig bleiben wird... und mit der Zeit auch für seine Arztpraxis... und ich wußte schon im vornherein, was im Laufe dieser kurzen Jahre, solange er noch leben wird, mit ihm geschehen wird... Das Schlimmste daran war, daß ich das niemandem sagen konnte, nur meinen Kollegen. Ich mußte die unsinnigsten Erklärungen für Josips Krankheit hören... ich verteidigte ihn mit tiefstem Erbarmen... So war sein Talent begraben worden, noch bevor es sich entwickelte.“21 An dieser Stelle kannte Schwab Josips Werk, in dem er sein Talent mehr als nur entwickelte, nicht gut genug. Die Brüder Ipavec waren seine Freunde und sein Vorbild, und er bewunderte ihr musikalisches Schaffen. Igor Grdina behauptet, daß Josip Ipavec die tragischste Persönlichkeit unter den slowenischen Komponisten ist, die Deutschen bezeichneten ihn als den slowenischen Mozart und in der Heimat galt für ihn das alte lateinische Prinzip »nemo propheta in patria«. Die Zeit trieb mit der Musik von Josip Ipavec wirklich ein hartes Spielchen, die damaligen slowenischen Musikkreise begriffen aber nicht, daß die Dimensionen seiner Musik den engen Rahmen der heimischen Musikkultur weit übertreffen. Leider waren für ihn die Entfernung von den großen Musikzentren - Hugo Wolf entschied sich für Wien und verharrte dort - und die Tatsachen, daß er als ein überfordeter Landarzt in der Provinz lebte, daß er keine bekannten Herausgeber hatte, daß die Musik nicht sein Beruf war und daß ihn die Krankheit schließlich völlig unfähig machte, fatal. Seine Oper wurde unter einem ungünstigen Stern der mißlungenen Librettos geboren und als sie dann doch aufgeführt werden sollte, begann der Erste Weltkrieg. So blieben nur einige lobende Meinungen fremder Musikmeister übrig. In Ljubljana wurden vor dem Ersten Weltkrieg sogar einige Akte gezeigt, die nur bei Stanko Premrl Interesse weckten. Er war der Meinung, daß es sich um ein Meisterwerk der Komposition handelt. Die Lieder blieben in den Schubladen und sind nach seinem Tod zum Teil auch verlorengegangen. Als sie die Witwe herausgeben wollte, lehnte sie der slowenische Musikverein Glasbena matica ab. Die slowenische Musikologie speiste ihn leicht ab und versah ihn mit den Etiketten, die für ihn und seine Musik völlig unentsprechend waren. Erst in den letzten Jahren dieses Jahrhunderts wurde sein Werk mit der erfolgreichen Premiere seiner Oper und dem Symposium über sein Werk gerechter bewertet. Damit wird uns langsam bewußt, daß er einer jener Komponisten ist, der eine gleichwertige Ergänzung zur slowenischen literarischen Moderne oder der impressionistischen Malerei darstellt, obwohl er seine Werke zu deutschen Texten schrieb. Heutzutage können die Komponisten Hugo Wolf, Josip Ipavec, Josef Marx oder der Dichter Ernst Goll eine wichtige Rolle bei der Verständigung zweier Nationen spielen, zwischen die sich der bestialische Nationalismus (»von der Nationalität zur Bestialität - 202 PRIMO KURET (1935) 21 Schwab, o. a., S. 26 Hugo von Hoffmannsthal) schon vor mehr als hundert Jahren wie ein Keil schob. Bei allen findet man nämlich die Elemente des damaligen slowenisch-deutschen Milieus. Schließlich ist die Kunst ja für die Allgemeinheit und nur schlechte Künstler können lediglich national oder lediglich lokal sein. Goll sagt in einem seiner Gedichte: „Kunst ist geträumtes Leben, /Selig und heilig und rein sein. /Glück ist irren und streben, /Aber am Abend noch dein sein.“22 Im Hinblick auf die kommende Zeit kann ein Symposium wie dieses hier in Slovenj Gradec, ein wichtiger Schritt von der Trennung, deren Zeugen wir in den letzten hundert Jahren waren, zur Völkerverständigung sein, oder wie etwa der Dichter Vinko Ošlak schrieb: „eine Verlagerung vom Menschen, der sich vor allem als der Angehörige dieser oder jener Nation definiert, zu einem Menschen, der vor allem nach seiner Menschlichkeit definiert wird. Dabei hat die Menschlichkeit nichts anderes zum Inhalt als ein Gefühl für Gutes, das man jeden Tag immer wieder auf personellem, interpersonellem und sozialem Gebiet zu ver-wirklichen versucht.“23 Damit sollte auch der Zweck unseres Treffens und des Treffens nicht nur mit Hugo Wolf, sondern auch mit seinen Zeitgenossen und Nachfolgern Josip Ipavec, Anton Schwab, Josef Marx, Ernst Goll und anderen erfüllt werden. Objavljeno v: Hugo Wolf – sodobniki in nasledniki – Seine Zeitgenossen und Nachfolger. Ur. Branko Èepin. Mednarodni simpozij ob 140-letnici rojstva Huga Wolfa, Slovenj Gradec, 10. III. 2000. Slovenj Gradec, 2001. Str. 20–28. Povzetek „Vsa pokrajina je odraz duše …“ Hugo Wolf – njegovi sodobniki in nasledniki Èlanek se posveèa ustvarjalnosti glasbenikov, povezanih s Spodnjo Štajersko, od koder so izvirali Hugo Wolf, Josip Ipavec, Anton Schwab, posredno pa tudi Josef Marx, èigar mati je doma iz Plevne pri alcu. Skladatelj L. M. Škerjanc oznaèuje Spodnjo Štajersko kot stièišèe avstrijske in slovenske glasbene kulture, kjer se oblikuje novonemški samospev, katerega glavna predstavnika sta prav Wolf in Marx. Evropski kontekst njunega ustvarjanja je mogoèe povezati z delom J. Ipavca, èigar ustvarjalnost je do danes še vedno zapostavljena, deloma al tudi zato, ker se je opiral na nemška besedila. Wolf in J. Ipavec sta predstavnika obdobja fin de siecle, oba sta izšla iz manjših mest Spodnje Štajerske, pri èemer je Ipavèev Šentjur gostil mnoge prominentne mednarodne glasbene goste (Brahms, Zemlinsky, Nedbal, Marx). Prispevek skuša delo zapostavljenih ustvarjalcev s tega podroèja, kot so Wolf, J. Ipavec, Marx ali pesnik Ernst Goll, znova priklicati v zavest ter poudariti njihov pomen za nekdaj prevladujoèe slovensko-nemško kulturno okolje. Ne nazadnje je cilj umetnosti vendarle splošen, samo slabi umetniki so lahko zgolj nacionalni ali lokalni. Doloèa naj jih zatorej njihova èloveškost, ne pa nacionalna opredeljenost. (Matja Barbo) 203 „Alle Landschaft ist ein Seelenzustandt…“ 22 Goll, o. a., S. 11 23 Goll, o. a., S. 119