V-N>st Vin« IX und seine Zeit. Von vr. Ilaliod Maximilian StexiischneW Fürstbischof bon Lnvant. In zwei Bünden. 2. Land. Wien, 1879. Wilhelm H r n u m ü Iler t. r. Hof- und Universitätsbuchhiindler. 113346 Alle Rechte Vorbehalten. Vereins-Buchdruckerei in Graz. J n H cc L L Seite A 24. Die katholische Kirche in Spanien. I 8 25. Die katholische Kirche in Portugal. 16 8 26. Die katholische Kirche in Großbritannien und Irland. 18 8 27. Die katholische Kirche in Belgien. 30 A 28. Die katholische Kirche in 'den Niederlanden (Holland).38 Z 29. Die katholische Kirche in der Schweiz. 42 8 30. Die katholische Kirche in Dänemark.97 Z 31. Die katholische Kirche in Schweden und Norwegen.103 Z 32. Die katholische Kirche in Rußland (Polen).108 Z 33. Die katholische Kirche in Griechenland.133 ß 34. Die katholische Kirche in der Türkei.>34 II. Asien. 8 35. Die katholische Kirche in China, Tibet und Korea.166 Z 36. Die katholische Kirche in Japan.174 H 37. Die katholische Kirche in Ostindien.177 8 38. Die katholische Kirche in Cochinchina und Tonking (Nunam) . . . 180 8 39. Die katholische Kirche in Birma.183 8 40. Die katholische Kirche in Siam.184 8 41. Die katholische Kirche im indischen Archipel.184 8 42. Die katholische Kirche in Persien .>85 6. Asirikn. 8 43. Die katholische Kirche in Abyssinien und Nord-Afrika.186 8 44. Die katholische Kirche in Ccntral-Nfrika.190 8 45. Die katholische Kirche in Afrika (Fortsetzung).196 O. Anwriün. 8 46. Die katholische Kirche in den uordaiucrikanischen Univusstaateu . . 200 8 47. Die katholische Kirche in Britisch-Amerika.207 8 48. Die katholische Kirche in Mexiko .208 8 49. Die katholische Kirche in Mittel-Amerika und den Antillen .... 217 8 50. Die katholische Kirche in Süd-Amerika. 220 IV Inhalt. L. .Austrcilien. SeNc §51. Die katholische Kirche in Australien nut den dazu gehörigen Inseln (Polynesien) .233 Zweites Hanptstück. Zur neuesten Literaturgeschichte in ltcr liutiiokischen Kirche. 8 52. Oesterreich und Deutschland.236 8 53. Italien.260 8 54. Frankreich.264 8 55. Spanien .270 8 56. Großbritannien.271 8 57. Belgien.272 8 58. Schweiz.273 8 59. Nord-Amerika.274 8 60. Christliche Kunst in der katholischen Kirche.276 Zweiter Theit. Nichtkatholische NeligionS-Griwsseuschnften. Erstes Hauptstück. Der st rute ft a nti 8 m u 8. 8 6l. Oesterreich.283 8 62. Preußen.289 8 63. Baiern.306 8 64. Königreich Sachsen.3ll 8 65. Wurteinberg.3l4 8 66. Baden.316 8 67. Hannover.319 8 68. Nassau.321 8 69. Kurfnrstcnthum Hessen-Kassel.322 8 70. Großhcrzogthuni Hessen-Darmstadt.325 8 71. Sächsische Herzogthümer.327 8 72. Mecklenburg.329 8 13. Andere kleine deutsche Lander. Freie Städte .330 8 74. Großbritannien.332 8 75. Frankreich. 345 8 76. Italien.349 8 77. Spanien.350 8 78. Niederlande (Holland) und Belgien.351 8 79. Schweiz..352 Inhalt. V Seite Z 80. Dänemark .354 Z 8l. Schweden nnd Norwegen.356 §82. Rußland .ZS8 §83. Türkei.360 § 84. Nord-Amerika.36 l § 85 Einiges Nachträgliche über protestantisches Kirchcnwcseii nnd Literatur in Deutschland .369 A 86. Einiges Nachträgliche über protestantisches Kircheuwesen und Literatur (Knust) in Deutschland (Fortsetzung).375 Zweites Hauptstück. Die griechisch-schismntische Kirche. § 87. Oesterreich.385 §88. Rußland .391 § 89. Griechenland.394 §90. Türkei.396 Drittes Hauptstück. Unionsoersnche zur Nlieüerverciuigung st er christlichen Confessionen. Deren wechselnile Erfolge. § 9 t. Solche Versuche unter der Aegyde des Apostolischen Stuhles . . . 404 § 92. Anderweitige Versuche.414 Anhang. § 93. Der sogenannte Dentschkatholieisinns.423 § 94. Antichristliche Literatur.429 § 95. Antichristlichc Litcratnr (Fortsetzung). ... 441 § 96. Socialismus. Schluß.445 - --- 24. Die knthviilcho Kirche iu Spniiirn. ^er Vorrath des carlistischen Gcuerals Marvto, welcher nm 29. August 1839 zu Vergnrv mit dem christinischen General Espar- terv (geboren 27. Februar 1793 zu Grauatula, gestvrbeu Jäuuer 1879) den Uuterwerfuugsvertrag abgeschlossen hatte, machte dem blutigen Bürger¬ kriege in Spanien >) vorläufig ein Ende, indem auch der kühne Ramon Cabrera der Uebcrmacht des Generals O'Donuel^) erlag und im Sommer 1840 nach Frankreich flüchten mußte. Einzelne earlistische Schilderhebungen hatten wohl noch später statt. Der Herzog . Saragossa am 12. October 1872 wider die Concordatsverletznngen. Da heißt es unter Anderem: „Seit beinahe zwei und einem halben Jahre hat dcr CleruS keinen Heller dcr ihm gebührenden Bezahlungen erhalten und werden die Kosten des Cnltns nur zum geringsten Thcile gedeckt." Am II. Februar 1878 dankte König Amadeus ab und ent¬ sagte für sich und seine Nachkommen dem spanischen Throne. Er sand seine Lage — wie er erklärte, dcr inneren Parteiungen wegen — unhaltbar. Tags darauf verließ er Madrid und begab sich zuerst nach Lissabon zn seiner Schwester, der Königin Pia. Zur Abwechslung — auf wie lange? — wurde in Spanien die Republik proelamirt. In Nvrdspanicn hatten sich aber die Carlisten schon zu Herren des Landes gemacht. Decrete der neuen Regierung schafften die alten Ritterorden Cala- trava, Santjago, Alcantara, unserer lieben Fran von Montesa und San Juan ab. Aber wie in Paris geschehen, gelangte auch in Spanien — in Madrid, so auch in Alcoy, wo im Juli 1873 schauderhafte Gräuel vollbracht wurden, zumal aber in und nm Barcelona, in welch' letz¬ terer Stadt abscheuliche gotteslästerliche Scenen vorfielen, die Inter¬ nationale und Commune zur Herrschaft. Ihr Blatt zn Madrid „Ims DMcmmmnckos" (die „Hemdelvseu", Europa. Z 24. Die katholische Kirche in Spanien. 9 ähnlich dm französischen „Hosenlosen", «nnsoulottos) erklärte offen als ihr Programm: „Krieg der Familie! Krieg dem Eigenthnme! Krieg gegen Gott!" In den Cortes legte der Minister des Auswärtigen (Juni 1873) einen Gesetzentwurf vor, durch welchen die Gesandtschaft beim päpst¬ lichen Stuhl aufgehoben werden sollte. Inzwischen drangen die Carlisten immer weiter vor. Am 17. Juli überschritt Carl VII. selbst die spanische Grenze von Frankreich aus und wurde mit Jubel empfangen; im Süden aber bedrohten revolu¬ tionäre Bauden in mehreren Städten fortwährend die Ordnung. Die Aufstände nahmen völlig den Charakter von Plündernngszügen an. Durch den Staatsstreich vom 3. Jänner 1874 kam Marschall Serrano wieder an die Spitze der Negierung anstatt des gestürzten Castelar. Eine der ersten Maßnahmen Serrano's war, daß er die Zurücknahme der päpstlichen Bullen forderte, wodurch die letzten spanischen Bischöfe (16. Jänner) präcvnisirt wurden. Erging aber von dieser Forderung wieder ab. Im Mai 1874 wurde Loreuzano zum Gesandten beim Vatiean ernannt. Marschall Serrano übernahm selbst das Commando wider die Carlisten. Unteren 16. Juli 1874 richtete Don Carlos (als König Carl VII.) ein Manifest an die Spanier. „Spanier! Heute ist es ein Jahr — so beginnt cs daß ich zur Vertheidigung der Ehre, des Wohlstandes und der Große des Vaterlandes den Degen gezogen habe." — Weiter sagt er: „Spanien ist katholisch und monarchisch, und ich werde seinen religiösen Gefühlen und seiner Liebe für die Unversehrtheit der legitimen Monarchie Genüge leisten. Aber es setzt weder die katholische Einheit religiöse Spionage voraus, noch die Erhaltung der Monarchie Bezie¬ hungen zum Despotismus." Die Belagerung von Jrun mußten die Carlistcn anfhebcn (No¬ vember 1874), nachdem Don Alfonso am 20. Octvbcr sein Kom¬ mando niedergelegt hatte. Die von seinem Bruder, Carl VII., ver¬ fügte Trennung der catalonischcn Armee von der des Ceutrnms mißfiel ihm, und bestimmte ihn dazu.') Serrano beschloß, selbst das Ober- ') Don Alfonso begab sich mit seiner Gemahlin Blanca, Dom Mi- gnel's Tochter, 1875 wieder nach Graz, wo er schon früher weilte, und wo seine 10 I. Theil. 0 Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath Kirche. Commandv zu übernehme». In den Kämpfen bei Urnieta an der Straße von Tolosa am 7. und 8. December blieben die Carlisten Sieger über General Loma. Ende December 1874 proclamirtc zunächst die Nvrdarmee den Prinzen A lf o n s o, (geboren 1857) Sohn der Exkönigin Isabella, zum Könige von Spanien als Alfonso XIl. Seine Erziehung genoß er noch 1874 im Theresianum zu Wien. Der Jnstizminister richtete ans Anlaß dieses Regierungswechsels ein Rundschreiben an die geistlichen Würdenträger, worin er unter Anderem sagt: „Wenn die katholische Kirche unter den Unruhen gelitten habe, so sei die Thronbesteigung eines katholischen Fürsten dazn be¬ stimmt, die Leiden derselben zu beseitigen; bessere Tage würden wieder¬ kehren, die Beziehungen mit dem päpstlichen Stuhle wieder hergestellt werden. Der Staat werde in Allem, was die Feststellung der gegen scitigen Beziehungen betrifft, mit der Einholung des Rathes der weisen Prälaten und in Uebereinstimmnng mit dem hl. Stuhle handeln, nnd der katholischen Kirche, so wie deren Dienern den ganzen Schutz leihen, den eine eminent katholische Nation, wie die spanische, denselben schulde" n. s. w. Wohl nnr ein Köder gegenüber Don Carlos! Daraus, daß Alfonso den Papst, seinen Pathen, vor der Ab reise aus Frankreich nach Spanien nm seinen Segen bat nnd diesen auch erhielt, machten liberale Blätter eine vorschnelle förmliche An¬ erkennung Alfvnsv's als König auch in der Absicht, nm Don Carlos wider den hl. Vater einzunehmen, der ihm seinen Kampf um die katholische Religion in solcher Weise vergelte. Mutter im Kloster der Knrmclitinen in stiller Zurückgezogenheit lebte. Auf Re¬ quisition der spanischen Regierung erließ die preußische sogar einen disfamircndcn Steckbrief ääo. 23. Mürz nach Don Alfonso, mit dem Auftrage an die Bezirksregiernngen, denselben, sobald er sich auf preußischem Gebiet betreffen lasse, verhaften zu lassen nnd an Spanien auszuliefern. (!) Die Anschuldigung lautet ans gemeine Verbrechen, deren sich der Jusant — eigentlich die von ihm befehligten Carlisten — bei der Einnahme, respective Plünderung von Cuenxa (15. Juli 1874- schuldig gemacht haben solle». — Liberale Blätter hetzten so lange, bis sie cs richtig dahin brachten, daß Don Alfonso in den letzte» Apriltagen in Graz der Gegen¬ stand gewaltthätiger Demonstrationen wurde, an denen sich insbesondere Studenten nnd Arbeiter hcrvorthaten. Es mußte die bewaffnete Macht einschreiten. — Auch in Fiume ersuhr das prinzlichc Paar im August ähnliche Artigkeiten, wenn auch im minderen Grade. Europa, Z 24. Die katholische Kirche in Spanien. 1 I Das Manöver gelang nicht, obwohl im Mürz 1875 der Gesandte A l s o n s o' s, Benavides, vom Papste empfangen wurde, als Nach- fvlger Loren za na's, und im April Simeoni als Nuntius nach Madrid abging. Im Manifeste, <1clo. 6. Jänner 1875, erklärte Don Carlos, den Krieg für seine legitimen Rechte fortführen zu wollen. König Al¬ fonso forderte nuterm 22. Jänner in einer Proelamation die Be¬ wohner der baskischen Provinzen und Navarra's auf, die Waffen nicder- znlegcn. Sie thatcn es nicht. Nock unterwegs, auf der Reise nach Madrid, wo er am 14. Jänner 1875 eintraf, stellte Alfonso durch ein Deeret die geistlichen Ritter¬ orden von Sautjagv, Alcantara nnd Calatrava, so wie die übrigen Orden wieder her. Aber auch die früher geschlossene protestantische Capelle in Cadix wurde — wie es hieß, ans kategorisches Verlangen Bismarck's — wieder geöffnet. Der blutige Bürgerkrieg dauerte inzwischen fort. Ein königliches Deeret vom 9. Februar 1875 hob das Gesetz vom 18. Juni 1870, betreffend die Civilehe, auf, und führte für die Katho¬ liken die kirchliche Eheschließung, wie sie vor jenem Gesetze bestand, wieder obligatorisch ein, so wie es auch die Ehegerichtsbarkeit den geist¬ lichen Ehegerichten znrückgab. Die kirchlich geschlossenen Ehen sind auch in die Civilstandsregister einzntrngen. Nur für diejenigen Personen in Spanien, „die anderen Glauben haben, als den wahren" nnd für die „schlechten Katholiken, welche den kirchlichen Censnren und Strafen unterworfen sind", muß die Regierung eine Ausnahme machen, bezüg¬ lich ihres ,,ooo8ore.io«. Die eheliche Verbindung ehemaliger, wenn auch apvstasirter katholischer Priester nnd Mönche werde aber nicht länger anerkannt und müsse aufgelöst werden. Anderseits wollte es die Regierung Alfonso's doch mit den Liberalen auch nicht verderben. So z. B. weil der Bischof von Jaeu in einer Eingabe (iknposioion) an den König, ) Dem Metropoliten von Armagh unterstehen die Bisthümcr: Ardagh, Cloghcr, Derry, Oorvn s Oviuior, Dromorc, Kilmorc, Mcath, Raphoe; jenem von Dublin: Ferns, Kilelaro s I^oixlUin, Ossory; jenem von Tuam: Achoury, Clon- fcrt, Elphin, Galway, XiUvnoru o XilmulMnuxgi, Killala; jenem von Cashel: Cloync, Corel, Einly, Korev ock ^ximckttu, Killaloc, Limerick, Roß, IVutoitorck 6 lümuoi'v. Our 6sruroliin Outtolion 1878.) 24 l Theil. 1. Hauptstuck. Erlebnisse uud Schicksale der kath. Kirche. Anfangs 1876 bctrng die Zahl der katholischen Kirchen und Ca¬ pellen 1061; der Klostergemeinden 215. Das ganze britische Reich, Indien und die Colonien eingeschlossen, zählte 12 katholische Erzbis- thiimer; 71 Bisthümer; 36 apostolische Vicariate und 7 apostolische Präfecturen. Anfangs des nächsten Jahres war die Zahl der Priester in England, Wales und Schottland wieder nm 64; die der Gottes¬ häuser um 21 gestiegen. In England und Schottland zusammen hatte sich die Zahl der Kirchen und Stationen von 1833 bis 1877 verdrei¬ facht. — Das „Oatbalio viar^ führt auf in Großbritannien 21 Erz¬ bischöfe und Bischöfe; 2175 Priester und 1386 Kirchen. Gegen das Vorjahr zeigt sich eine Vermehrung von 39 Priestern und 38 Kirchen. In Schottland gibt es 6 Erzbischöfe (2) und Bischöfe (4), 272 Priester und 264 Kirchen und Capellen. Vom 12. bis 17. Juli 1852 hielten die englischen Bischöfe unter Vorsitz des Cardinals Nicolaus Wisemau die erste Proviucialsyuvde im Marien-Cvllegium zu Oscott bei Birmingham ab. In Dublin hatte eine solche 1853 unter dem Erzbischöfe P. Cullen statt. Im Vereine mit seinen Suffragaubischöfen stellte Cardinal Nico¬ laus Wisemau 1855 an den Papst die Bitte, daß die Verehrung des Uoüa Vvnorubilis, die sich bisher nur auf England nnd den Bene- dictiner-Ordcn, welchem er angehört hatte, beschränkte (am 29. October) als eines vootor UvolWiao ans die ganze Kirche ausgedehnt würde. Seit 1845 wird über Antrag des verstorbenen Ministers Sir Robert Peel für das 1795 errichtete katholische Priesterseminar (Ccn- tralseminar) zu Maynooth in der irischen Grafschaft Hildare, alljährlich aus der Staatskasse die Unterstützung von circa 27.000 (26.360) Pfund Sterling ') — wohl ein kleiner Ersatz für das was der katho¬ lischen Kirche in Irland genommen worden war — verabfolgt. Es fehlte kein Jahr an unduldsamen Fanatikern, welche im Unterhanse diese Subsidie bekämpften, weil im gedachten Seminar „Götzendienst und Jesuitismus" gelehrt werden. (!) ?) 9 Als Pauschal-Suinmc für Bauten gab der Staat 30.060 Pfund. r) Aus diesem LoIIexo öl'Uu^nootb gingen von >845 bis 1801 inclusive 875 Priester hervor. — Den irischen Katholiken wurden als Staatsnnterstützung für Erziehungszwecke por Kopf nur I'/r Penny (3'/< Kreuzer) zu Theil, während die dortigen Presbyterianer I Schilling 7 Pence (57 Kreuzer), die dortige» Anglikaner fast ein Pfund Sterling por Kopf erhielten. Europa, ß 26. Dir kath. Kirche iu Großbritannien und Irland. 25 In einigen Kirchen Londons, zumal in Oeorg-o in tbo kßn8t (1860) fielen gewaltthätige Seenen gegen pnseyitische Geistliche irnd Ein¬ richtungen unter dem M popor^ Geschrei vor — wcil der Mob da¬ hinter eben auch den Kathvlicismus witterte. Derlei Seenen wieder¬ holten sich auch anderwärts. Ein noch schlimmeres Beispiel von Intoleranz gab der anglieanische Lord-Bischof von Tuam, in Irland, Plunkett. Weil seine katho¬ lischen Pächter in der Grafschaft Mayo ihre Kinder nicht in die von ihm eben zum Zwecke, dieselben ihrer Kirche abtrünnig zn machen, ge¬ gründete Protestantische Schule schicken wollten, ließ er 1860 an 60 Fa¬ milien, 250 Personen, gar durch eine Abthcilnng Husaren (berittene Cvnstabler) von Hans und Hof in's Elend treiben.') Noch immer mußten darbende katholische Pächter den anglikanischen Bi¬ schöfen und Pfarrern Zehent geben, und zur Erhaltung ihrer Wohn¬ häuser und meist leer stehenden Kirchen beistcuern. Noch immer war ein Katholik eben seines Glaubensbekenntnisses wegen unfähig, Bice- König des katholischen Irlands zu werden. Und doch, als der ans gewaltsame Lvstrennnng Irlands hinarbei¬ tende gefährliche „Fenianismus" ?) sein Haupt erhob, erklärte sich der ganze katholische Episkopat in seinen Hirtcnschrcibeu dawider! Am 14. Februar 1865 starb der vielverdieute Cardinal Nicolaus Wiseman. Sein Andenken wird durch eine neue große Kathedral- kirche in London verewiget. Zu seinem Nachfolger auf dem erzbischöf¬ lichen Stuhle von Westminster ernannte der Papst den schon genannten Konvertiten k)r. Heinrich Eduard M a n n i n g (geboren 15. Juli 1808 zu Tvtteridge iu Hertfordshire; am Pfingstfeste 1851 war er, damals Erzdiakon von Chichester, zur katholischen Kirche zurückgctreten; bald daraus vom Cardinal Nicolaus Wiseman zum Priester geweiht; seit 1857 Dompropst zu Westminster). y Er starb >866 im Alter von 74 Jahk'en. „Die starke Seite desselben Ivar Missionsthtttigkcit unter den Katholiken. Man rahmt ihm nach, daß er während seines scchsnndzwanzigjährigen Episkopates deren mehr als 3000 zum Anglikanismus bekehrt habe." („Augsburger Allgemeine Zeitung" Nr. 29S.) Nun ja! die Mittel zn solcher Bekehrung standen, zumal bei den hungernden Pachtern, Seiner Lord- schaft reichlich zn Gebote! 2) Der Name „Fenian" wird mrschieden erklärt. Am wahrscheinlichsten ist doch die Deutung: Fiona, Fena, d. i. die Blonden, Weißen, nämlich die im 2. und 3. Jahr¬ hunderte ans Nordost in Irland eingewandertcn Skoten — also Alt-Irländer. 26 1- Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Ungeachtet der 1829 ausgesprochenen Emancipativn mußten die Katholiken noch den parlamentarischen Eid ablegcu, daß sie nichts hvch- verrätherisches gegen die Monarchie, noch gegen die Kirche nnd den Staat von Großbritannien unternehmen wollen. Die Abschaffung dieses kränkenden Gelöbnisses war der Zweck der 1865 eingebrachten soge¬ nannten Uomun LbrtlioIW Outli 11111, welche zwar im Unterhause durch¬ ging, im Oberhanse aber verworfen wurde. Das gleiche Loos hatte öfters schon die „Oiiurcli Unt.S8 tion-HilU, d. i. die Bill zur Abschaffung der von Nicht-Anglicanern - also auch von Katholiken — für die Hochkirche zu leistenden Abgaben nnd Steuern. Das von Gladstone 1866 vvrgeschlagene Kompromiß, daß die Kirchspielsbehörden nur freiwillige alinraü- ratL8 zu deeretiren das Recht haben sollen, war ganz billig. In der im Octvbcr 1867 zu Dublin abgehaltenen Versammlung sprachen sich die katholischen Erzbischöfe nnd Bischöfe entschieden für die Autonomie der Kirche und daher gegen jede Staatsdotation derselben aus, wahrten sich aber dabei das Anrecht auf die der katholischen Kirche widerrechtlich zu Gunsten der anglieanischen entzogenen Güter. Außerdem betonten sie das Recht auf eine vom Staate unge¬ störte katholische Schulbildung nnd Erziehung nnd warnten wiederholt vor den geheimen Gesellschaften, d. h. vor dem Fenierthum. Die eben zum Zwecke der Vertheidignng der Freiheit, Unabhän¬ gigkeit und Rechte der katholischen Kirche neu gegründete „katholische Union von Irland" hielt ihre erste Versammlung am 26. November 1872 in Dublin. In derselben gab sie ihrer unwandelbaren Anhäng¬ lichkeit an den Papst nnd ihrer Entrüstung über den Einbruch in seine Besitzungen, aber auch ihren Sympathien für die Bischöfe von Erm- land und Hebron i. p. (Genf) Ausdruck. Auch die katholische Universität in Dublin, zu deren Gründung und Unterhaltung die Katholiken Irlands 160.000 Pfund Sterling beigetragen hatten, übrigens nur als eine Privatanstalt von der Regie¬ rung angesehen, und noch nicht berechtiget, Diplome zu ertheilen, wurde im November 1872 eröffnet. Ueber die im Parlamente eingebrachtc sogenannte irische Univer¬ sitätsbill sprachen sich die irischen Bischöfe (1873) dahin aus, daß sic, wenn nicht bedeutende Aenderungen mit ihr vorgenvmmen würden, nur zur Unterdrückung der unveräußerlichen Rechte der katholischen Kirche Europa. Z 26. Dio kath. Kirche iu Großbritannien und Irland. 27 vorgebracht erscheine. Sic verlangten vom Parlament deren Zurückzie¬ hung. Sollten ja in die neu zn creireudc irische Central-Universität wie die protestantischen, so auch die katholischen Universitäts-Collegien ein¬ verleibt werden, als da sind: das theologische Collegium in Maynvoth mit der Staatssubventivn, das Collegium in St. Stephens Green und die katholische Universität zu Dublin, die, wie schon bemerkt, keine staat¬ lichen Privilegien hat! Die Bill ging nicht durch. Das nämliche Ziel, welches einst die sogenannte ropsnI-Agitativn in Irland verfolgte, nämlich nicht die Los- reißung von Großbritannien, sondern nur ein eigenes irisches Parla¬ ment, steckte sich neuerlich das Programm llonm Unlo vor. Mit großer Feierlichkeit — unter Anwesenheit von 15 Erzbischöfen und Bischöfen, 400 Priestern und über 30.000 anderen Theilnehmern fand am 17. August 1873 die Einweihung der St. Patrik's Kathe¬ drale zu Armagh statt. In England aber wurde am 28. August g. I. zu Lutterworth, einem Städtchen der Diärese Nottingham, wo einst John Wiclif als Pfarrer lebte, eine neue katholische Kirche eingeweiht und nach mehr als dreihundert Jahren zum ersten Male wieder die hl. Messe gelesen. Wie in Irland, wo die Dubliner katholische Universität am 30. Akai 1874 unter großer Feierlichkeit dem „heiligsten Herzen" gewidmet wurde, ging man auch in England allen Ernstes an die auf dem fünften Provineialeoneil (1873) beschlossene Errichtung einer katholischen Uni¬ versität. Als Nertvr wurde Monsignvr Capel in Aussicht genommen und am 29. November 1873 mit dem Bane derselben in dem Londoner Stadtbezirk Kengsintvn begonnen. Bereits am 15. Oetobcr 1874 konnte das Universitäts-Collegium (Outbolic; univormtv oolloKo) provisorisch durch den Erzbischof M an¬ ilin g eröffnet werden. Feierlich eingeweiht wurde die Universität von dem mittlerweile Cardinal gewordenen Erzbischof Manning am 9. April 1875; worauf am 16. die offieielle Eröffnung erfolgte. Am 8. Juli wurde ein ausschließlich katholisches G y m n a s iu m in London eröffnet. Zn einer wahrhaft großartigen Demonstration gegen das prote¬ stantische Sympathien-Meeting vom 27. Jänner 1874 gestaltete sich die Kathvlikenversammlnng in London am 6. Februar. Wegen des großen Zndranges mußten außer dem Haupt Meeting in der St. James Hall 28 I- Theil. I. Honptstnck. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. noch zwei andere — das vierte unter freiem Himmel — gleichzeitig veranstaltet werden. Den Vorsitz führte der Herzog von Norfolk, erster Pair von England. In der ersten Resolution sprach die Ver¬ sammlung ihre Sympathien aus „für die unter der Härte der neuen Strafgesetze — in Preußen — leidenden" Glaubensgenossen. Die zweite Resolution lautete: „Die neuen deutschen Kirchengesetze machen es der Kirche unmöglich, in Freiheit ihre geistigen Pflichten zu üben und sind dem Rechte der Gewissensfreiheit zuwider." Die dritte: „Die Unterdrückung und Austreibung kirchlicher Ge¬ nossenschaften, welchen man kein Verbrechen nachweisen kann, eben sv wenig einen Mangel au Treue, ist ein tyrannischer Mißbrauch der Ge¬ walt von Seite der Gesetzgebung, wie der preußischen Regierung." Die vierte Resolution besagt, „daß der Präsident gebeten werden soll, die Vvranstehenden Resolutionen dein Erzbischof von Köln und dem Erzbischof von Gnesen und Posen zu übermitteln". Wieder hielt die „katholische Union" — welche auch für England besteht — ein großes Meeting zu London am 25. Juni l874 ab, zu¬ nächst zur Berathuug der Mittel zur Wiederherstellung der weltlichen Macht des Papstes. Bis in die neue Zeit war es den englischen Katholiken unmöglich, eigene Volksschulen zu errichten! Das Untcrrichtsgcsetz vom Jahre 187 l gewährte endlich der katholischen Kirche und allen Dissenters unter be¬ stimmten Bedingungen einen Antheil an den für die öffentliche Erzie¬ hung ausgewvrfeneu Staatsmitteln. Im selben Jahre 1871 brachte aber die liberale Partei eine neue Unterrichtsbill im Parlamente ein. Durch das, wenn auch mit schwacher Majorität durchgebrachte Schulgesetz, den sogenannten „bllonmntnr/ Ucknaution ^VotZ rückte man der Confessionslosigkeit der Schule bedeu¬ tend näher. Demnngeachtet ist die katholische Kirche auch jetzt nicht von der Volksschule ausgeschlossen. Diesbezüglich wirkt das „dntboli« Uaor 80I100I Ooniniittoo" (das katholische Armenschnl-Comitä) besonders verdienstlich. Sehr großes Aufsehen machte der Uebertritt des Marquis von Ripon (Lord cts 6lro^) zur katholischen Kirche (September 1874). Er war damals Großmeister des englischen Freimaurerordens. ') Im y Sein Nachfolger als solcher wurde Prinz von Wales. Europa. Z 26 Die kath. Kirche in Großbritannien und Irland. 29 Ministerium Gladstone bekleidete er den Posten eines Präsidenten des Conseils. Bald hernach wurde ein junger Herzog von Norfolk Oratorianer. Im Consistorium vom 15. Mürz 1875 ernannte der Papst den Erzbischof von Westminster, Heinrich Eduard Mannin.g, zum Car¬ dinal. Als solcher weihte Dieser am l3. April die in Canterbury zu Ehren des hl. Thomas Becket erbaute Kirche ein. Am l 0. August legte er in Loudon den Grundstein zu einer neuen dem hl. Bonifaeius geweihten katholischen Kirche für dortige Deutsche, welche er bereits am 29. September eröffnen konnte; am 23. No¬ vember weihte er eine neue katholische Kirche in Oxford ein; an: 23. Juni 1876 wieder eine solche „der englischen Märtyrer" in einem Stadtviertel Londons, nicht weit vom Tower. Am 14. Juli senkte Car¬ dinal ZN a n n i n g den Grundstein zu dem neuen Priesterseminar in Ham¬ mersmith, einer Vorstadt im westlichen London ein. Laut sprechende Documente der Opferwilligkeit der englischen Ka¬ tholiken. Damit die englischen Liberalen denn doch ihren Theil am fest¬ ländischen Cultnrkampfe haben würden, interpellirte das Parlaments¬ mitglied W hall o y den Premierminister D i s r a eli über die beträcht¬ liche Anzahl der in England ansässigen Jesuiten, und ob die Regierung bereit sei, dieselben zu verfolgen (ma), oder welche Maßregeln sie zu ergreifen gedenke? Der Minister antwortete (10. Juni), er wisse wohl, daß Jesuiten sich in England aufhalten; daß solches ein strafbares Ver¬ gehen sei (!); aber seit der Katholiken-Emaneipation sei das Gesetz, welches nämlich die Niederlassung der Jesuiten verbiete, nicht angc- wendet worden. Die Negierung beabsichtige auch nicht, jenes Gesetz ge¬ genwärtig anznwenden; behalte sich aber die Anwendung desselben vor, falls solches jemals nothwendig sein sollte. Abermals zu Maynvoth traten die irischen Bischöfe, 27 an der Zahl, am 31. August 1875 zu einer Nationalsynode zusammen. In der Schlu߬ rede am 20. September gedachte der Cardinal Paul Cullen (Erzbischof von Dublin, geboren 27. April 1803 in der irischen Grafschaft Kildare zu Prospect, gestorben 24. Oetober 1878), der überall zur Schau ge¬ tragenen Feindseligkeit gegen die Kirche, die sich insbesondere auch dadurch manifestire, daß man die Jugend in Schulen bringe und zwinge, wo sie ohne Religion oder in einem der Religion feindlichen Geiste erzogen werde. 30 I- Theil. 1. Hanptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Feierlich wurde in den katholischen Kirchen am 3. Oetvber 1875 das fünsnndzwanzigjährige Jubiläum der Wiederherstellung der katho¬ lischen Hierarchie in England begangen. Mit großem Gepränge wurde am l5. September >876 in Dublin die Seminarskirche zum hl. Kreuze eingeweiht, in Anwesenheit von zwei Cardinälen (Cullen, Erzbischof von Dublin und Franchi ans Rom), drei Erzbischöfen, 22 Bischöfen und mehreren hundert Welt- und Ordensgeistlichen. Eine gleich große Thal, wie im Jahre l850 für England, welche ihn nicht minder für Großbritannien verewiget, vollbrachte Papst Pius IX. durch die zwar wegen seines mittlerweile eingetretenen Todes nicht zur v o l l e n d e t e n T h a t s a ch e gewordene, aber bereits durch- gcführte Wiederherstellung der katholischen Hierarchie in Schottland, welches im Jahre 1877 nach der niedersten Schätzung 360.000 Katholiken zählte. Beschlossen wurde dieselbe am 28. Jänner >878 von der Congregativn lts propnMinln; am nächsten Tage ließ sich der Papst diese Angelegenheit zur Gutheißung vorlegen. Es wird nun fortan in Schottland zwei Erzbisthümer geben: Glasgow mit dem Sitze daselbst und St. Andrews und Edinburg, mit dem Sitze in Edinburg ; ferner vier Bisthümer, sämmtlich der zweitge¬ nannten Metropolie untergeordnet; nämlich: Aberdeen (Sitz daselbst); Dunkeld (Sitz Dnnden); Gallvway (Sitz Dumfries) und Argyll mit den Inseln (Sitz Oban).') 8 27. Nie katholische Lirche m Üelgirn. Im Jahre >830 riß sich Belgien von Holland los und bildet seitdem ein eigenes Königreich. Am 4. Juni 1831 wurde vom Cvugrcß mit 152 Stimmen gegen 44 Stimmen zumal auf Andringeu Englands der Protestantische Prinz Leopold von Sachsen-Coburg zum König gewählt (damals Witwer nach der englischen Prinzessin Charlotte). Die belgische Staatsverfassung vom 7. Februar 1831 sicherte der katholischen Kirche, welcher über vier Millionen Einwohner angehören, ') Die Besetzung der vorgenannten erzbischöflichen und bischöflichen Stühle erfolgte vom Papste Leo XIII. im ersten von ihm am 28. März >878 abgehaltcnen Consistorium. Europa. Z 27. Die katholische Kirche in Belgien. ZI in dem ncncn Königreiche freie Entfaltung ihrer Kraft und Thätig- keit zu. An der Spitze des Clerus stehen der Erzbischof von Mecheln und die Bischöfe von Brügge, Gent, Lüttich, Namur und Tonrnni. Die Zahl der förmlich investirten Pfarrer — anras - betrug im Jahre l 849 nur 248; jene der Hilfsgeiftlicheu (Suceursaleu) hingegen -2463. Zahlreich sind insbesondere die Ordensgesellschaften und religiösen Vereine (Cvngregationen), welche meist Praktischen, nämlich Hnmnnitüts- nnd Unterrichtszwccken dienen. Die rein katholische Universität wurde im Jahre 1834 gegründet und in Mecheln mit einigen achtzig Studenten eröffnet, im nächsten Jahre aber nach Löwen versetzt. Im Jahre 1862 zählte sie schon 800 Studirende. Seit dem Abschlüsse des französischen Cvncordatcs im Jahre 180 t bestand im nachmaligen Königreiche Belgien, besonders in den beiden Flandern, eine — bereits erwähnte — kleine mit demselben unzufriedene, schismatische Secte, nach einem Priester die Stevenisten genannt. Biele derselben unterwarfen sich aber l853 im Gehorsam dem Papste Pius IX., an den sie Abgeordnete abgesandt hatten. Vielleicht eine größere Thätigkeit, als irgendwo sonst, obwohl frei¬ lich anfangs mehr im Geheimen, entwickelten von jeher die Freimaurer in Belgien; insbesondere an der L a n d e s - U n i v e r s i tü t Gent. (Die zweite besteht in Lüttich, gestiftet mit der ersteren 1817; die dritte wurde von den Liberalen 1834 in Brüssel eröffnet). Sowohl der Bischof von Gent, Delebesque (gestorben 1864), als jene von Tvurnai und Brügge hielten es für ihre Amtspflicht, vor dem Besuche dieser Universitäten zu warnen, weshalb sie der Papst belobte (1856). Schon in der Alloention vom 20. Mai 1850 sprach der Papst von den Gefahren, die in Belgien die Kirche bedrohen (damals war das Ca- binet Rvgier-Fröre am Ruder). Daß, er richtig sah, zeigte sich bald. Im Jahre 1855 wurde zu Brüssel die atheistische Gesellschaft der „8oli2 I. Theil. I. Houptstnck. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. ber 1864, des Intendanten der Civilliste an den Dechant von St. Gu¬ dula, ') erblickte die liberale Presse darin einen Angriff auf die Gewissens¬ freiheit (!) und doch befürwortete dieselbe freimaurerische Presse den von den Logen vorgeschlagenen „Schulzwang". (!) Zu Lüttich tagte Ende October 1865 der famose „Stndenten-Cvn- greß"; auf welchem unreife Jünglinge — zumal aus Paris — offen für den Atheismus, aber freilich auch für die Revolution und den Socialismus plaidirten. Dafür wurden sie von der Pariser Akademie für immer relegirt. Daß die belgische Regierung ähnlichen Ernst entwickelte, verlautete nicht. Harmloser verlief die zweite Auflage eines solchen Cvngresses zu Brüssel (1867). Das sogenannte Wvhlthätigkeitsgesetz, welches das Ministerium Dedecker vor die Kammer brachte, von der es am 27. Mai 1857 mit 61 Stimmen gegen 41 angenommen wurde, und wodurch die Mehr¬ heit der Volksvertretung dem Clerus und den geistlichen Genossenschaften als juridischen Persönlichkeiten das Recht znerkennen wollte, Schenkungen und Vermächtnisse anznnehmen, Almosen für die Armen zu empfangen und unter sie zu Vertheilen, erregte einen gewaltigen Sturm der Linken; es fanden Exeesse mit obligatem Fenstercinwcrfen und Katzenmusiken u. bergt, statt gegen den Elerus und gegen Jene, die zu seinem Gunsten stimmten, überhaupt gegen die Cvnservativen; so in Brüssel bereits am Abende des 28. Mai; in Antwerpen, Gent, Lüttich, Mons, Namur und anderen Orten. Die Tumultuanten waren nicht blos Männer der Blouse, sondern auch mit Glacehandschuhen, und gehörten mehr noch den sogenannten „Aufgeklärten" an. Die Regierung vertagte die Kammern, was schon eine nnparla- mcntarische Cvneession au die in der Bi i n d e r h eit befindlichen Libe¬ ralen war, welche dieselbe selbstverständlich zu noch weiteren Ausschrei¬ tungen ermuthigte. Zu Jemappes entgingen die christlichen Schulbrüder mit Mühe dein Fenertode; aber ihr gesummtes Mobilar wurde zer¬ trümmert oder verbrannt, ihre Capelle entweiht. Am 14. Juni zog die Regierung das ganze Wvhlthätigkeitsgesetz zurück. >) Im «wähnten Schreiben kommt folgende schöne Stelle vor: „Iknvivm-, (Inns Lsttv Mrootion, in elini'üv ovnoxUIiunv, c'vw rchwmtro MMtMiunt n Iiommos inoonsv« uni, 8<>N8 lu prütoxto ) Vom 18. bis inclusive 22. August 1863 sah die Metropolitan- stadt Mecheln in ihren Mauern eine große allgemeine Kirchenversamm- ') Em ähnliches amerikanisches Collegium und zn den nämlichen Zwecken — in kleinerem Maststabe — wurde 1867 zu St. Mauritz bei Münster in Westphalen errichtet. — In Brügge (Belgien) stiftete die Freigebigkeit eines englischen Con- vertiten ein englisches Seminar. Stcpischncgg, Papst Pius IX. und seine Zeit. II. Bd. Z 34 I. Theil. I. Hauptstuck. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. üiiig unter dem Vorsitze des Baron G e rl a ch , des ehemaligen Präsi¬ denten des belgischen National-Congrcsscs vom Jahre >830, tagen, wo die meisten Länder Enropa's vertreten waren; sv z. B. erschien unter Anderen aus England Cardinal N. Wi s e m a n , der einen interessan¬ ten Vortrag hielt über „die religiöse und gesellschaftliche Lage der Katholiken in England"; aus Frankreich Gras M v n t a l e mb ert und Bischof Dupanloup; ans Italien der Historiker Cesare Can tu re. Im folgenden Jahre hatte ebendaselbst wieder ein „Kathvlikcu- Congreß" statt (29. August bis 3. September). Unter Anderen sprachen daselbst der frühere Minister Adolf D e cha in p s ') und Baron G er- lach (gestorben >871). Auch >867 (I. September bis 7. d. M.) kam der Congreß zu Mecheln zusammen; wieder am I>. October 1870, protestirte damals gegen die Occupativn Atoms und richtete eine Adresse an den hl. Vater. Am >0. December >865 starb König L e o P o l d I. iin Alter von 75 Jahren. 2) Ihm folgte als Leopold II. sein ältester Sohn, Herzog von Brabant (geb. 9. April >835, vermählt mit Marie Henriette, Erzherzogin von Oesterreich, Tochter des gewesenen Palatin Erzherzog Josef). Der neue König soll — so meldeten öffentliche Blätter — den hl. Vater schriftlich um seinen Segen zum Beginne der Regierung gebeten haben. Dies sollte, heißt eS im Schreiben, stets der erste Act eines zur Regierung gelangenden katholischen Herrschers sein. Der Cardinal-Erzbischof von Mecheln, Engelbert Sterkx (ge¬ boren 2. November 1792 zu Ophem in Brabant, Erzbischof seit >832, Cardinal 1838) starb am 4. December >867. Sein Nachfolger wurde der bisherige Bischof von Namur, Victor August Dechainps. Während des vaticanischen Cvncils saß er als Primas von Bel¬ gien, und zwar ehe der Erzbischof von Armagh als Primas von Irland dazu kam, der Letzte unter den Primaten. Anfänglich war er nur unter die Erzbischöfe eingereiht. Die Ernennung äs vsolcsr'K, des früheren Administrators der ') Geboren 1807, gestorben 19. Juli 1875 — Bruder des Cardinal-Erz- bischofs rwn Mecheln. -) Seiner Schwiegertochter, der frommen Herzogin von Brabant, gelang es, ihn am Krankenbette zu unzweideutigen Zeichen christlicher Gesinnung zu be¬ wegen, so daß er als Gläubiger starb. Europa Z 27. Die katholische Kirche in Belgien. Zg auf Schwindel beruhenden finanziellen Unternehmung des Grafen L a n- gr a n d - D n m v n e e a u, znm Gvuvernenr van Limburg und der da¬ gegen erhabene Protest B ara's in der zweiten Kammer gab das Signal zu Unruhen in Brüssel (November 1871). Der König ernannte ein neues Ministerium unter der Präsidentschaft äe Dbeux's — auch cko Oeelror mußte seine Entlassung nehmen. Mit 63 gegen 32 Stimmen sprach sich die zlveite Kammer Anfangs März 1872 — für die fernere diplomatische Vertretung beim hl. Stuhle in Rom aus. Aber auch der belgische Gesandte bei V i e t o r E m a uuel erhielt nach einigem Zögern den Befehl, diesem nach Rom zn folgen. Im Februar 1873 richteten die belgischen Bischöfe eine Cvllectiv- Adresse an den König, und machten die Regierung auf die Lage auf¬ merksam, in welche das belgische Collegium in Rom und andere ähn¬ liche Institute durch die Aufhebung des OoIIo-Unm Uomnnnm versetzt werden, und auf die schwere Schädigung, womit die geistliche Auetv- rität des Papstes durch die Aufhebung der religiösen Orden bedroht ist. Auch erging von ihnen ein gemeinsames Schreiben an die deutschen Erzbischöfe und Bischöfe, um ihnen ein Wort der Ermnthignng und des brüderlichen Trostes zu sagen „iu dem gewaltigen Kampfe, den sie gegen den liberalen und protestantischen Cäsarismus zu bestehen haben"; ein ähnliches Schreiben wurde an die schweizerischen Bischöfe Mer- millvd und Lachat; schließlich auch eine Ergebenheitsadresse an den Papst gesandt. Daß die belgischen Bischöfe, und namentlich der Erzbischof von Mechelu, in seinem Schreiben an den Erzbischof von Posen, Diesen und dann auch den Bischof von Paderborn ihrer Sympathien ver¬ sicherten, schien dem deutschen Reichskanzler, gleichwie bezüglich der fran¬ zösischen Bischöfe, eine ungerechtfertigte Einmischung und Beleidigung. Der belgischen Regierung wurde angesonnen, gegen die Bischöfe ein- zuschreiteu, worauf aber diese nicht eiugeheu zu können erklären ließ, und zwar unter Berufung ans die Verfassung. Bismarck richtete diesfalls eine neue Note, Rio. 3. Februar 1875, nach Brüssel. Den Anlaß hiezu bot ihm außer den Hirtenbriefen belgischer Bischöfe insbesondere auch die im ,Pien I'abliM' vom 25. De¬ cember 1874 veröffentlichte Zustimmnngsadresse des „Oowite das Oeuvres ^ontiüeules^ an den Bischof von Paderborn. Bismarck 3* 36 k Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. forderte in seiner Drohnote geradezu eine solche Aendernng der belgi¬ schen Gesetzgebung, daß die Negierung nach Art Preußens gegen die katholischen Bischöfe und Blätter vorgehen könne. Die belgische Regierung erwiderte auch diesmal unterm 26. Februar, ablehnend. Die deutsche Rückantwort, Rio. 15. April, erörtert, ohne neue Thatsachen anzuführen, die Priucipien des Völkerrechtes in ihrer An¬ wendung auf diesen Fall — freilich, wie Bi s m a r ck das mode r u e Völkerrecht versteht und anslegt. Die „linlepoinluimo sagte: „Wir gestehen, wir haben keine Kunde von diesem neuen Völkerrecht, dessen bisher allen Sterblichen gänzlich unbekannte Bestimmungen zu fvrmn- liren man übernimmt. — Da handelt es sich nicht um das internatio¬ nale Recht, sondern um eiue unsinnige Laune. So etwas hat man noch nirgends gesehen." („Augsburger Allgem. Zeitung" Nr. l08 vom Jahre 1875). Ein anderer Gegenstand der erwähnten Drohnote war der — weniger in Ernst gemachte briefliche Vorschlag eines gewissen Du- chesne, Arbeiters aus Belgien, an den Erzbischof von Paris, gegen eine Geldsumme Bismarck zn ermorden. Der Erzbischof machte so¬ fort hievon die Anzeige. In der Antwort vom 26. Februar betonte es der belgische Minister Graf d' A s p r e m v n t - Ly n d e n , daß, weil der Anschlag über den Bereich der Absichten nicht hinansging, die belgischen Gerichte wider D n ch e s n e nicht einzuschreiten vermögen. Zugleich aber heißt es darin, daß die belgische Verwaltung einen Vorschlag (bill. wo¬ her?) „eine Antwort des Erzbischofs von Paris zu simu- liren, abweisen zu müssen glaubte." Warum etwa eiue solche Simn- liruug? Damit der Erzbischof von Paris in diese Affaire tiefer hinein- gezvgeu würde, und das — wie gesagt, wahrscheinlich nie ernst gemeinte Attentatsvvrhaben D n ch e s n e' s als von der katholischen Kirche (Hier¬ archie) ausgehend hätte dcnuncirt werden können? Auf die deutsche Note vom 15. April antwortete die belgische Re¬ gierung mit jener vom 30. April — zwar sehr entgegenkommend, aber doch ohne den vorigen Standpunkt anfzugeben. Selbst der liberale Frore-Orban konnte der Haltung des Ministeriums gegenüber den Bismarck'schen Forderungen seine An¬ erkennung nicht versagen. Dennoch wich das Ministerium der fortwäh¬ rende» Pression Bismarck's insoweit, als es in der Note, clcko. Europa. Z 27. Die katholische Kirche in Belgien. 37 23. Ma!, mit welcher cs die officiellcn Documente über die Unter¬ suchung gegen D n ch e s n e - P v n c e l et begleitet, verspricht, der Gesetz¬ gebung bnldigst eine Borlage zu machen, „nach welcher die nicht an¬ genommenen Anerbieten oder Vorschläge, gegen eine Person ein schweres Attentat zu begehen, in gleicher Weise wie die Drohung mit einer strengen Correetionsstrafe bestraft werden sollen." — Dies eben for¬ derte Bismarck. Den verheißenen Gesetzentwurf brachte der Jnstiz- ministcr am 8. Juni in der Abgeordnetenkammer ein. Bismarck ließ — durch den deutschen Gesandten in Brüssel — der belgischen Regierung nnterm k7. Juni seine Zufriedenheit ausdrückcn; hiemit war die Sache beendet; der deutsche Reichskanzler konnte einen Sieg mehr in sein Tagebuch verzeichnen. Jin Cvnsistorinm vom 15. März 1875 ernannte der Papst den Erzbischof von Mecheln, August Isidor Dechamps, zum Cardinal. Für seinen feierlichen Einzug in Mecheln befahl der Kriegsininister, ihm die im Deerct vom 24. Messidor des Jahres Xll vorgeschriebcnen militärischen Ehren zu erweisen, was denn auch wirklich am 21. April geschah. Viel von sich reden machte Louise Late au, eine stigmatisirte Jungfrau, über deren Zustand selbst die Akademie der Medicin von Brüssel Untersuchungen anstellen ließ, und ihn auf natürlichem Wege unerklärbar fand. In Lüttich vergriffen sich Studenten in Vereinigung mit Gaffen- Gcsindcl (am 18. April 1875 dann wieder) thätlich an der bei 6000 Menschen zählenden Procession. Gleichen Unfug erlaubte man sich gegen die Procession in Gent am 17. Mai. Die Wallfahrer wurden mit Knütteln angefallen; die Fahnen und Embleme ihnen weggcnvmmcn und zerbrochen. Die dortigen Bürgermeister untersagten — was? die Wiederholung solcher rohen Ausbrüche von Intoleranz? Nein, sondern der Pro cessio nen! Aehnliche Ausschreitungen fanden statt in Brüssel am 23. Mai, Die Pvlizeimannschaft mußte vorgehen gegen die Frevler. Noch Aer- geres aber fiel — zur Schande der Anstifter — am 13. Februar 1876 (Sonntag) in Mecheln vor. Die Katholiken hatten daselbst eine großartige Versammlung — man schützte sie auf circa 12.000 — ohne im Geringsten Jemanden zu provociren. Die Thcilnehmer gehörten mit¬ unter den höheren Gesellschaftskreisen an. Am Bahnhofe wurden die 38 I. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der knth. Kirche. Heimkehrenden Abends von den mit Bleistöcken, Dolchen n. dergl. be¬ waffneten Liberalen überfallen nnd mitunter schwer verletzt. Anläßlich der konservativen Kammerwahlen fielen ini Juni neue bedauerliche Execsse Seitens der Liberalen vor; so in Brüssel, Ant¬ werpen, Gent, Lüttich. Einen schönen Zweck setzte sich der jüngst in's Leben gerufene „Wissenschaftliche Verein in Brüssel". Derselbe ergibt sich schon ans seinem Wahlsprnche, nämlich der Worte des Vaticannms: „UnIIn nu- c^nam intor ticksm ot rntionam vorn ckisssin^ia 6880 pot68t." Auf die Interpellation eines katholisch gesinnten Senatsmitglicdes erklärte der Minister des Aeußern, daß die Regierung den Petitionen der Bischöfe zu Gunsten des Papstes — in Folge seiner Alloeution vom 12. März 1877 — keine Folge geben werde. tz 28. Die katholische Kirche in den Niederlanden (Holland). König Wilhelm II. dem sein Vater Wilhelm I. noch bei Lebzeiten (1840) die Krone abgetreten hatte, wollte schon im Beginne seiner Regierung den Katholiken einige Erleichterungen zukommen lassen, indem das Concordat vom Jahre 1827 noch zu Recht bestand; fand aber an der Unduldsamkeit der Refvrmirten Hindernisse. Das Loos der Katholiken in Holland war nämlich von dem Abfalle der Niederlande an so ziemlich ein gleich gedrücktes geblieben. Schon Wilhelm der S ch w e i g s a m e hatte 1581 den Katholiken jede Religivnsübnng unter¬ sagt, welcher Zustand bis 1798 dauerte. Unter König Louis Na¬ poleon (Bruder Kaisers Napoleon I.) wurden sie zwar den Re- formirten gleichgestellt, aber dann wieder von allen öffentlichen Neun tern ausgeschlossen. Im Jahre 1842 schien sich ihr Schicksal zum Besseren zu wenden; aber zumal die geheimen Gesellschaften, unter welchen außer dem Freimaurerorden jene mit dem Namen „Phyla- cterium" die ihnen gehäßigstc war, setzten wieder alles Mögliche in Be¬ wegung, um sie nieder zu halten. Zahlreiche (sieben) katholische Jour¬ nale gaben Zeuguiß, daß die niederländischen Katholiken sich und ihre Religion zu verthcidigen wußten. Nach dem Tode Wilhelm kl. (1849) folgte sein Sohn Wil¬ helm III. auf dem Throne. Zufolge der neuen Verfassung vom Jahre 1852 sollten die Katholiken den Protestanten rechtlich gleich gestellt Europa Z 28. Die katholische Kirche in den Niederlanden (Holland). Zs) sein. Eben der refvrmirtcn Ultra wegen mußte aber der König das liberale Ministerium Thorbecke entlassen (1852) nnd eines nach ihrem Geschmacke wählen. Dem Uebergangsministerinm van Hall's folgte das streng reformirte Groen van Prinsterer's. Dies hin¬ derte jedoch nicht, daß eine für die Katholiken Hollands höchst wichtige Maßregel in's Leben trat. Mit der apostolischen Bnllc llllo. 4. März 1853 „Ux gna die", verkündet in der Allveutivn im geheimen Cvnsi- storium am 7. März, stellte nämlich Papst Pins IX. in Holland nnd (Nord-) Brabant die ordentliche bischöfliche Hierarchie wieder her. Utrecht wurde wieder Erzbisthum, zn welcher Würde cs schon 1559 vom Papst Paul IV. erhoben worden war nnd erhielt vier Suffra- ganbisthümer; nämlich Harlem, Herzvgenbusch, Breda nnd Rörmvnd. Auch hier entstand selbstverständlich deshalb große Aufregung unter den Protestanten, wie aus derselben Ursache in England. Selbst die Negie¬ rung fühlte sich veranlaßt, einen Gesetzentwurf betreffend die Uebcr- wachung der Cnlte durch den Staat einzubringen, worunter unter An¬ derem, eben im Hinblick auf die neue Organisirung der katholischen Kirche, bestimmt ist: „Die Namen von Provinzen oder Gemeinden, welche von den Religionsgesellschaften zur Bezeichnung einer geistlichen Gerichtsbarkeit gebraucht werden, sind als rein geistliche, ohne jeder anderen Bedeutung zu betrachten" (Artikel V). „Die Beamten des öffent¬ lichen Gottesdienstes werden die Tracht, welche ihr Bekenntnis; für die Ausübung des Gottesdienstes oder für die religiösen Feierlichkeiten vor- schreibt, nur in den Gebäuden und abgeschlossenen Orten, oder da, wo der öffentliche Gottesdienst nach dem tz 2, Artikel 6UXVII des Staats¬ grundgesetzes gestattet ist, tragen" (Artikel VII). Uebrigens läßt sich auch in Holland ein Aufblühen des Katho- licismns wahrnehmcn. Im Jahre 1861 zählte man daselbst 39 Männer¬ klöster mit 815 Mönchen nnd 137 Frauenklöster mit 2188 Nonnen. Die Zahl der Katholiken stieg auf fast-zwei Fünftel der Bevölkerung; die Volkszählung vom Jahre 1863 ergab deren 1,225.171; Amster¬ dam allein zählte deren über 66.000. Zehn Jahre später (1873) war das Verhältnis; schon folgendes: 1,341.000 Katholiken gegenüber 2,345.000 Nichtkatholiken. Im Jahre 1875 waren es 1,350.000; im Jahre 1877 schon 1,376.970 Katholiken. Zn dem päpstlichen Heere lieferten holländische Katholiken ein zahl¬ reiches nnd braves Cvntingent. 40 I- Thcil. I. Hanptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Das Unterrichtsgesetz vom 13. August des Jahres 1857 konnte mit seinen gemischten, d. i. eigentlichen eonfessio ns losen Schulen die K a t h o l i k e n noch weniger befriedigen, als die protestan¬ tische noch positiv gläubige Partei des Grocn vau Prin st er er. Die Bischöfe erfüllten demnach nur ihre Pflicht, indem sie sich gegen dieses Unterrichtsgcsetz mit Entschiedenheit erklärten und die Eltern warnten, ihre Kinder solchen Schulen auzuvertrauen, deren kaum auswcichbares Resultat der Religions-Jud ifferentismus ist. Das vom Erzbischof von Utrecht 1865 Unberufene Provineialeoneil war das erste seit drei Jahrhunderten. Des chevor zum deutschen Bunde gehörigen Grostherzogthums Luxemburg haben wir schon gedacht. Da sich in Folge der Kriegsereiguissc 1866 der deutsche Bund aufgelöst hatte, und daher auch das Großherzvgthnm Luxemburg dem¬ selben nicht mehr angchörcn konnte, bestimmte die Londoner Confcreuz im Vertrage vom I I. Mai 1867, daß Luxemburg zwar noch fortan unter der Souveränität des Königs der Niederlande zu verbleiben, aber unter der Garantie von Oesterreich, Frankreich, England, Preußen und Rußland einen vollkommen neutralen Staat zu bilden habe. Die Festung Luxemburg wird geschleift; Preußen zieht seine bisherigen Garnisonstruppen daraus zurück. — Jnsglcichcn tritt das Herzogthum Limburg aus seinem bisherigen Verbände mit Deutschland. Dieser Vertrag beseitigte die schon nahe gerückte Gefahr eines Krieges zwischen Frankreich und Preußen, respcctive Deutschland. Der Gemeiuderath der Stadt Luxemburg entsendete 1867 eine Deputation an die zn Innsbruck tagende Katholikenversammlnng mit sehr dankenswcrthen Anerbietungen behufs Uebcrkommnng der zu grün¬ denden freien Universität für das katholische Deutschland. Unter An¬ derem wurde die unentgeltliche Ueberlassung aller dazu erforderlichen Gebäulichkeiten in Aussicht gestellt. Nach dem Konsistorium vom 27. Juni 1870 erhob Papst Pius IX. mittelst Bulle ckcko. 27. September d. I. „In bao I>. Ucvri Outliockrs/ das apostolische Vicariat Luxemburg zum Bisthum, und ernannte mit Breve ckcko. 30. September 1870 den bisherigen apostolischen Vicar all- dvrt Nieolaus Adames zum Bischof von Luxemburg. Durch königlichen großhcrzoglichen Beschluß vom 23. Juni 1873 erfolgte die staatliche An¬ erkennung des Bisthums. Bis auf die Unterrichtsfreiheit genießt der dortige Bischof die nämlichen Rechte und Freiheiten, wie die belgischen Bischöfe. Europa. Z 28. Die katholische Kirche in den Niederlanden (Holland). 41 Nicht achtend auf die Reklamation der Katholiken rief die könig¬ liche holländische Regierung 1872 ihren bisherigen Gesandten am päpst¬ liche n Hofe in Rom, Grafen D n ch a stel, ab, ein Zugeständnis; an die Liberalen und an Victor Emanuel. Später wurde auch das Gcneralconsulat des „Kirchenstaates" in Amsterdam aufgehoben. Aul 8. September 1875 fand im Dorfe Steyl in: holländischen Limburg, Diöeese Roermvnd, in der Nähe der Stadt Venlo an der Maas die feierliche Einweihung und Eröffnung ciues und zwar ersten katholischen Missionshauses für Oesterreich, Deutschland und Holland statt. Vorzügliches Verdienst uni dessen Zustandebringung gebührt dem Rector Arnold Iaußen, Priester der Diöccse Münster, geboren 5. No¬ vember 1837 zu Goch in Westphalen, Herausgeber der Monatschrift „Kleiner Herz-Jcsu-Bote". Der vom Ministerium der Kammer (October 1875) vorgelegte Gesetzentwurf über das Kirchenvermögen athmet Freisinn und Wohl¬ wollen gegen die katholische Kirche. Hingegen hielt der bei den Generalstaaten am 22. December 1876 eingebrachte Gesetzentwurf über die Primürschulen deren Confessions- losigkeit aufrecht. Auch die niederländischem Bischöfe wandten sich in Folge der päpst¬ lichen Allocutivn vom 12. März unmittelbar an den König mit der Bitte, die Unabhängigkeit des hl. Vaters sichern zu helfen. Das jansenistische Schisma in Holland zählt noch ungefähr 6200 Anhänger in 25 Gemeinden. Im Jahre 1853 weihte der jansenistische Erzbischof von Utrecht, van Santcm, unter Assistenz des Bischofes von Harlem, van Baal, einen neuen Bischof von Deventer. Dieser, Her¬ manns Hey kamp, zeigte, wie gewöhnlich, seine Erwählung dem Papste an, mit der Versicherung seiner Treue und seines Gehorsams; wurde aber ebenfalls, wie schon früher gebräuchlich, vom Papste sammt Allen, die sich an seiner Ernennung oder Weihung betheiligten, excom- municirt. Das Gleiche that Pins IX. am 21. Octvber 1858 mit Heinrich Loos, welcher nach dem Tode des Johann van S a n t e m zum Erz¬ bischöfe von Utrecht gewählt worden war. Dieser schon gelcgcnheitlich der „Alt"kathvlikeu Deutschlands genannte jansenistische Erzbischof starb am 6. Juni 1873. Bei der Cvnsecration des jansenistischen Bischofs von Deventer, Cornelius Diependaal, durch den Erzbischof von 42 I. Thcil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Utrecht, Josef Hey kamp , zu Rotterdam am 17. November 1875 war auch der altkathvlische Bischof Reiukeus zugegen. Wider die Dogmatisiruug der unbefleckten Empfängniß Mariä rich¬ teten die drei jansenistischen Bischöfe von Utrecht, Deventer nnd Hartem gemeinschaftlich eine polemische Schrift, welche die Inquisition (1856) verdammte. § 29. Die katholische Kirche iu der Schweiz. In fast allen protestantischen Cantonen der Schweiz hatte der Politische und kirchliche Radiealismus in letzterer Zeit die Oberhand gewonnen nnd sich der Regierungsgewalt bemächtiget. Die Vcxativn, ja geradezu Verfolgung der katholischen Kirche wurde in Folge dessen immer rücksichtsloser und nahm immer größere Dimensionen an. Nach Zürich berief man den Christnslängner I)r. David Strauß als Professor der Dogmatik (!) und Kirchengeschichte (1839), nnd stand nur wegen der drohenden Aufregung des Volkes, welches schon zu den Waffen ge¬ griffen nnd die Regierung in Zürich gestürzt hatte, davon wieder ab. In Aargan wurden auf Antrag des katholisch getauften Seminar- direetors Augustin Keller (184!) die Aufhebung sämmtlicher Klöster beschlossen. >) Alsbald traf dieses Schicksal Muri, eine Familicnstiftnng der Habs¬ burger, und Wettingen. Die Bewohner dieser beiden Klöster fanden gast¬ liche Aufnahme in Oesterreich; nämlich die Benedietiner von Muri zu Gries bei Botzen, die Cistereienser von Wettingen aber zu Mehrcrau bei Bregenz. In der Depesche an den k. k. Gesandten Graf von Bombelles zu Bern äcko. 27. Februar 1841 beklagt Fürst von Metternich scharf das Verfahren der Schweizer Regierung Namens des Kaisers. Solcher Fanatismus der Radiealen verletzte selbstverständlich ins¬ besondere das gut katholische Luzerner Volk, an dessen Spitze Josef Len von Ebersol, ein tüchtiger Landmann von altem Schrott nnd Korn, stand, Mitglied des Großen Rathes, mit welchem auch Constantin Sieg- War t-Müller (gestorben 1869) in die dortige Negierung eintrat. Am 24. Octvber 1844 faßte der Große Rath des Cantons Luzern ') In der Diöcese Basel allein wnrde innerhalb 25 Jahren das Vermögen Von 15 geistlichen Stiftnngen als Staatsgut erklärt. Europa. Z 29. Die katholische Kirche in der Schweiz. 43 den Beschluß, zumal auf Betreiben Leu's von Ebcrsol, sieben Väter Jesuiten in diese Stadt zu berufen, und ihnen die Leitung der theolo¬ gischen Lehranstalt nnd des Seminars daselbst zu übertragen, wozu Luzeru, als ein in inneren confcssiouellen Angelegenheiten laut der Bnndesacte vom Jahre 1815 souveräner Canton, das unbe¬ streitbare Recht hatte. Ob dieser Schritt aber gerade damals opportun war, wurde unter Anderen auch von Bernhard Meyer (siehe dessen „Erlebnisse") bezweifelt. Der Aufstand der radicalen Minderheit mit dem Arzt Or. Jaevb Robert Steiger an der Spitze, wurde im Keime erstickt. Darüber geriethen die Radicalen in Wuth. Unter den Angen der Regierung von Aargau organisirten sich Freischareil, an deren Spitze der Berner Ochsenbein trat, mit der Absicht, in Luzern einzufallen. Der erste Freischaarenzug datirt vom 8. December l844. Die Luzerner riefen den alten General von Sonnenberg ans dem neapolitanischen Dienst zurück, damit er für den Fall eines Angriffes den Oberbefehl über ihre Truppen übernehme. Der zweite, gleich dein ersten mißlungene Einfall der Freischärler unter Ochscnbein nnd dem Aargauer Negierungs¬ rath Rvthpelz wurde von den Luzernern und ihren Verbündeten mit Energie znrückgeschlagen (31. März 1845). Die Radicalen dürsteten nach blutiger Rache. Len von Ebcrsol wurde bald nach dem Eintreffen der ersten Jesuiten in Luzern in der Nacht vom 19. auf den 20. Juli 1845 von einem gewissen Jaevb Müller von Stechcnrain, einem heruntergekommenen Bauer, welcher durch den Mord 20 bis 30 tau¬ send Franken sich zu verdienen hoffte, meuchlings erschossen. °) Zur Ab¬ wehr verbanden sich nun, gestützt auf den Artikel IV der Bundesnrknnde vom Jahre 1815, die sieben katholischen Cantone: Luzern, Schwyz, Uri, Unterwalden, Zug, Freiburg nnd Wallis unter einander. Am 20. September 1846 constitnirte sich ihr Kriegsrath. Die radicalen Cantone erklärten diesen sogenannten Sonderbnnd?) als ungesetzlich, obwohl sie selbst früher (1832) das sogenannte Siebener - Cvncvrdat geschlossen hatten. ') Der Mörder wurde hingcrlchket am 31. Jänner 1846. y So nannten ihn die Gegner, die Verbündeten aber „Schntzvercinignng". — Siehe: „Der Sieg der Gewalt über das Recht in der schweizerischen Eidgenossen» schuft" von Constantin Siegwart-Müller, nnd .P. Bernhard Meyer's „Er¬ lebnisse". 44 I. Theil. l. Hauptstiick. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Mit Neujahr 1846 wurde nach Zürich wieder Bern der „Vorort"; denn uach der Bundesverfassung von 1815 wechselte die Bnndeslcitnng alle zwei Jahre zwischen den Cantonen Zürich, Bern und Luzern, und am I. Juli wurde Ochsenbein Bundespräsident; im September die Vertreibung der Jesuiten ans der ganzen Eidgenossenschaft und die Exemtion gegen den Sondcrbund beschlossen, weil er sich der deeretirtcn Auflösung nicht fügen wollte. Zum Oberbefehlshaber sümmtlicher Exc- cntivnstruppen wurde der alte Dufour, ein Genfer, der schon unter Napoleon l. gedient und des jungen Louis Napoleon Lehrer in der Artillerieschule zu Thun gewesen, berufen, während die „katho¬ lischen Sonderbündler" zu ihrem Anführer den „Reformirtcn", Oberst Johann Ulrich von Salis-Soglio aus Granbündten, wählten. Ihre Rathlosigkeit, zum Theile wohl auch daher rührend, weil sie sich von der Diplomatie verlassen sahen, indem England sich vffen gegen sie erklärte, Frankreich nicht recht wußte, wofür es sich ent¬ scheiden solle und auch Fürst M c tt e rnich kaum mehr als jedenfalls gut gemeinte Vorschläge und — so hieß es -— ein unverzinsliches Darlehen von 100.000 Gulden C. M. (Thalern?) ihnen bieten konnte und der Mangel an tüchtiger Organisation der sonst muthigcn, von der Gerechtigkeit ihrer Sache vollkommen überzeugten kleinen Armee der Ver¬ bündeten, ließen der gut eingeschultcn Uebermacht gegenüber nichts Gutes ahnen. Am 14. November capitulirte Freiburg, wo die radirale Sol¬ dateska schändlichen Unfug trieb, zumal in dem Jesuitenrolleginm nach Herzenslust plünderte und verwüstete; am Lande wurde ein Caplan, Dur, muthwillig erschossen, ohne daß der Thäter gestraft wurde. Der Waffenerfolg der Verbündeten im Canton Tessin war für sie nicht ent¬ scheidend. Am 21. November, ergab sich auch Zug, indem es sich im Vertrage ckclo. Aarau am selben Tage verpflichtete, sofort vom Svnder- bunde zurückzutreten; worauf Dufour das Hanptheer des Sonder- bnndes am 23. November 1847 mit ungeheuerer Uebermacht bei Gis- likon und Mcyerskappel angriff und schlug. In Fvlge dessen eapitnlirte (am 24. November) Luzern, wo vr. Steiger sogleich an die Spitze der radikalen Regierung trat und nun schonungslos Rache üben konnte. Z >) Er starb zu Luzern am 5 April 1862 im Alter von 65 Jahren. Ein anderer Mann, der aber mit Siegwart-Müll er und Joses Leu die Sache des Sondcrbundes energisch vertrat, Bernhard Mchcr, starb als pensionirtcr öster¬ reichischer Hosrath und Ritter am 29. Angnst 1874 zu Piesting bei Wiener-Neu- Europa. Z 29. Die katholische Kirche in der Schweiz. 4l> Die Jesuiten wurden für immer verbannt, die Klöster, unter ihnen das uralte reiche St. Urbau nach tausendjährigem Bestände und das Frauenstift Nathhausen (13. April 1848) anfgehvben und um einen Spvttpreis verschachert. Die Ureantvne Schwyz, Uri und Unterwalden svwie Wallis gingen gleichfalls Capitnlativnen ein. In Rvm feierte die Revvlutivnspartei die Niederlage des Sonder- bundes durch ein öffentliches Fest, wvrüber der Papst in der Allvcutivn vvm 17. Deeember 1847 sich äußerte: „Utauck posonunm, ginn vodi« V. u. lognirmnr cko dolvris aeerdituto, gna Louloeti t'ninnm, prop- teriea., guoci pnnaiv unle (iisdns in dno nlinn urds dtostrn, outba- liouo raligivniZ aroo 6t. aentra, nonnnUi, p:luei88iiui illi guiclom Iioinines >>roj>6 «lvliruutos, ro^oriri potuarint, gni vol i;>8uin dainu- intnti8 86N8NIN u.djici6nt68 onni inaximo ulioruol i;>8in8 Urdi8 lro- nntu et iiuti^uutiouo ininiino vxdurrnei >int, pallun imbliLagno trinin- I>Inre6 in iuctuomsmmo intcr8tino l>6ilo nu^er inlor Uelvotios ox- oituto" re. Seit dem für die kathvlischen Cantvne unglücklichen Ausgange des svgenannten Svnderbunds-Krieges lag auf ihnen schwer das Jvch des Radiealismns, der es auch dvrt ans nichts geringeres, als auf die Aus¬ rottung der katholischen Kirche abgesehen zu haben scheint. Am 30. September 1848 hatte der apvstolische Stuhl in einer Nvte des Staatssecretärs I. Cardinal S v g liv die Achtung kirchlicher Freiheit in der Schweiz verlangt; nichtsdestoweniger waren die Be¬ hörden Freiburgs, Eines der fünf Diöeesaneantvne des Bisthums Lau¬ sanne-Genf (nämlich außer Freiburg nvch Bern, Waadt, Neuenburg und Genf) gegen den zu Freiburg residireudeu Bischof Stefan IN a- rillcy (Bischof seit 19. Jänner 1846) thatsächlich eingeschritten, weil er in einem Circulare die Katholiken daran erinnerte, daß sie den bür¬ gerlichen Eid auf die Constitutum des Cantons nur mit Rücksicht auf die Gesetze Gottes und der Kirche mit.gutem Gewissen ablegen können und weil er den Anordnungen sich zu unterwerfen verweigerte, welche die Verleihung kirchlicher Benefieien und sogar das theologische Unter¬ richtswesen von der Staatsgewalt abhängig erklärten. Der Bischof wurde am 26. Oetvber im Schlosse Chillon am Genfersee in's Ge¬ stabt. Er war im Jahre 1810, 12. December, zu Sursee im Canton Luzern geboren. — General Dufour starb iu Geuf am 14. Juli 1875 im Alter von 88 Jahren. 46 I- Theil. l. Hanptsinck. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. fängniß gesetzt; zwar bald daraus entlasse», aber des Landes verwiesen; nämlich am 13. December über die französische Grenze in die Pfarrei Dilwnne abgeführt. Nachdem er aber mit Schreiben vvm 26. Ncwember 1856 dem vvm Großen Nathe Vvn Freiburg angcnommenclt „inoäus vivaucli" seine Züstimmnng erthcilte, wurde er zur Rückkehr iu seine Diöeese eingeladen. Am 18. December desselben Jahres verließ er Divvnne. Jni Jahre 1858 beschloß der Große Rath vvn Freiburg sogar die Zurückgabe der 1848 deu Jesuiten und Liguvrianern entrissenen Güter. Der Verkauf der noch übrigen schweizerischen Klostergüter ging rasch vvn Statten; so (1851) des schönen Hvfgutes des Frauenklvsters Eschenbach. Das St. Bernhnrdshvspiz im Cantvne Wallis rettete 1853 die energische Verwendung des Kaisers Louis N a p o l e v n vor dem gleichen Schicksale. Aus Tessin wurden die Capuzincr, welche öster¬ reichische Unterthanen waren, auf brutale Weise über die österreichische Grenze geschafft, worauf aber die österreichische Regierung Repressalien übte, indem sie aus der Lombardei tessiuische Handwerker n. dergl. auswies, wohl auch, weil Tessin der Herd der fortwährenden Umtriebe war gegen die Lombardei, wo in Mailand Anfangs Februar 1853 mehrere Attentate an österreichischen Soldaten vvrfielen. Erst im März 1855 entschädigte Tessin die vertriebenen Mönche, worauf auch Oester¬ reich die Tessiner wieder in der Lombardei znließ. Nach dem Tode des Bischofs Josef Anton Salzmann vvn Basel (13. April 1854) mit der Residenz zu Solothurn, st wurde der dasige schon fast greise Domcapitular Carl Arnold (1854) als Bischof gewählt. Der katholische (?) Kirchenrath des Cantons Aargau hatte 1857 deu Verein „der hl. Kindheit", bald darnach auch die „Mai- andachtcu" zu Ehreu Mariä untersagt, „weil die Einführung dieser Sonderandachten kein Bedürfnis) sei und sie einem gewissen Separa¬ tismus Vorschub leisten". — Pfarrer, welche die zwangsweise Ver¬ kündigung gemischter Ehen, denen die von der Kirche geforderten Ga¬ rantien fehlten, verweigerten, verfielen in Geldstrafen. Auf Anregung des schon bcmeldeten Augustin Keller, katholischen (?) Kircheuraths- präsidenten, bekannt durch seinen Antrag auf Aufhebung der aargaui¬ schen Klöster (1841), und (1847) durch jenen gegen die Jesuiten und ') I. A. Salzmann war der erste Bischof von Basel — seit l8. Mai 1829. Europa. Z 29. Die katholische Kirche in der Schweiz. 47 den Svnderbnnd, beschloß der Große Nnth von Aargau 1858, den Bischvf vou Basel, der dann eine energische Zuschrift an den Regie- rnngsrath von Aargau richtete (üäo. 22. Juli 1858), zur Beachtung der aargauischen Gesetze bezüglich des Placets und der gemischten Ehen zu verhalten, und der Nuntiatur jedwede Ausübung einer geistlichen Jurisdiction zu verbieten. Untern« I I. August 1858 entschied der apostolische Stuhl die Sache dahin, daß mit gewissen Cauteleu vbcrwähnte gemischte Ehen Vvu den katholischen Pfarrern verkündet werden dürfen. Bischvf Carl Arnold starb am 17. December 1862 und erhielt (26. Februar 1863) zum Nachfolger den seitherigen Dechant und Pfarrer von Delsberg (seit 1855) Eugen Lachat.') Heftiger noch als ihm setzten die Nadicalen dem Bischöfe von St. Gallen, Johann Peter Bdirer, zu, den« ein neues sogenanntes cvnfessionelles Gesetz von« 16. Jänner 1855 viele der wesentlichsten Rechte entzog. Dagegen, wie gegen das «reue Ehegesetz in« Cantvn Tessin, d. i. gegen die Ein¬ führung der Civilehe, legte der apostolische Stuhl durch dm schweize¬ rischen Nuntius Bvvieri fruchtlos Verwahrung ein (1855). Der philosophische Curs zu St. Gallen, au den« der Domdecau I)r. C. Greith lehrte, wurde aufgehoben; vr. Henne, Straußischen An¬ sichten huldigend, Vorstand der den« radicalen Aduiinistrationsrathe nutergevrdneteu Schule, und sogar Bibliothekar der altberühmten Stifts- biblivthek. Der Bischof von St. Gallen selbst erließ gegen das obige soge¬ nannte confessivnelle Gesetz, oder eigentlich gegen das gesamuite, bisher der katholischen Kirche gegenüber geübte Staatskirchenrecht eine aus¬ gezeichnete Denkschrift von« 4. December 1857 an den Cantonsrath, und richtete unterui 14. September 1861 durch seinen Officialen, Doin- decan I)r. Greith, eine neue Denkschrift an den Verfasfnngsrath, worin er beherzigungswerthe Worte des,.Friedens sprach, aber auch die wohlbegründeten Rechtsansprüche der Kirche in Betreff ihrer Stellung zum Staate, ihrer Fonde und Stiftungen, des Schul- und Erziehungs- Wesens entschieden wahrte. Der erwähnte Canton Tessin und ein Theil vvn Graubünden gehörte zu den lombardischen Bisthümern Mailand und Como. Die >) Geboren 14. October «819 zu Montewon im Berner Bezirk Brnntrnt; zum Priester geweiht 24. September 1842. 48 I Theil. l. Hanplstiick. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. respectiven Cantvnsregierungen gingen auf eine gewaltsame Tren¬ nung vvn diesem Verbände los. 1853 säcularisirte jene von Tessin das erzbischöflich mailändische Seminarinm zuPvleggio; 1855 deeretirte der dortige Große Rath: „es liege im Willen der sonverünen Behörde", den Cantvn vvn den genannten Bisthnmern zu trennen, nnd beauftragte den Staatsrath, die diesfalls geeigneten Schritte zu thnn. Der römische Stuhl erklärte sich unter gewissen Bedingungen bereit (schon 1856 nnd wieder 1859) in diese Lostrennnng einzuwilligen. ') Der Bnndesbeschluß vom 15./22. Heumvnat 1859 hob jede aus¬ wärtige Episkopaljurisdietivn auf Schweizergebiet auf, weshalb der Clinton Tessin vom kirchlichen Verbände mit den Bisthnmern Mailand und Como, nnd die graubündnerischen Pfarrgemeinden Puschlav nnd Brüs (Brnsio) vvn Como losgetrennt werden sollen. Die Eingabe der fünf schweizerischen Bischöfe dawider (December 1859) wurde vvn der Bundesversammlung abgewiesen. Nachdem im Frieden von Villafranca die Lombardei als Napv- levn's Geschenk an Sardinien kam, erklärte 1860 Graf Cav »ur¬ in einer Note vom 20. November an die Bundesregierung: Sardinien habe gegen den Austritt ans den lombardischen Diöcesen nichts ein¬ zuwenden, nnd mische sich gar nicht in diese Angelegenheit, protestire aber gegen die Beschlagnahme der auf schweizerischem Boden gelegenen bischöflichen Güter, welche der Cantvn Tessin bezüglich Coino's, unge¬ achtet der Protestation des dortigen Bischofs Marzorati, verfügt hatte, — weil diese Maßregel allen Rechtsgrundsätzen wider¬ spreche. (rill. O Graf Cavour! ist die Beraubung der Kirche und ihres Oberhauptes wohl mit den Rechtsgrundsätzen vereinbarlich?) Die am II. September 1862 zu Turin zusammengetreteue Cvn- serenz bezüglich der Como- nnd Mailänder-Bisthumstafelgüter brachte eine vorläufige Einigung, 6äo. 30. Mai, zuwege, welche die Schweizerregierung ratificirte. Endlich kam eine definitive Uebereinkunft zu Stande zwischen dem Bundesrathe und dem hl. Stuhle, betreffend die Einverleibung der graubündnerischen Gemeinden Poschiavo (Puschlav) und Brusiv in das Bisthum Chur — ratifieirt am 29. August 1870. >) Bis zu welchem Grude die Verwilderung des Tessiner Pöbels gestiegen, zeigt die Verbrennung der Beichtstühle zu Lvco auf vffeutlichein Platze (8. De¬ cember 1856). Europa. Z 29. Dio katholische Kirche in der Schweiz. Wie in Deutschland, so bildete sich auch in der Schweiz ein Katholikenvcrein. Und in der That war er hier nicht minder noth- wendig, wie dort. Gegründet wurde er 1858 zu Beckeuried. In der Regel fiudet alljährlich die Generalversammlung wo anders statt. Die erste tagte in Stanz 1858. Die vom 26. bis 27. September 1876 zu Luzern tagende Ge¬ neralversammlung beschloß unter Anderem die Gründung einer höheren Centralschule (Universität) für die katholische Schweiz. In Genf, der Stadt Calvin's, dem sogenannten „protestanti¬ schen Rom", erhob sich 1857 ein schönes katholisches Gotteshaus, etwas später eines in Bern, ermöglicht durch milde Beiträge einheimischer und auswärtiger Katholiken. Beide Kirchen wurden später den sogenannten Altkathvliken überliefert. Am 28. November 1858 war der Weihbischof von Chur und Bischof von Carrhan in pai-tibim, Albrecht von Haller (geboren 18. Juli 1808 in Bern) Sohn des berühmten Verfassers der „Restau¬ ration der Staatswisseuschaft" Carl Ludwig von Haller, gestorben. Am 19. April 1859 verschied auch der Bischof von Chur selbst, Carl von H v h e n b a l k e u, im Alter von 78 Jahren. Er war am 27. März 1781 in TarasP geboren und sueeedirte dem 1844 gestorbenen Bischöfe Bvssi. Sein Nachfolger wurde (16. September 1859) der seitherige Domdecan Nieolaus Floreutini. Viel Verdienst für die katholische Sache in der Schweiz erwarb sich der Capuziner 1'. Theodosius Floreutini, insbesondere durch Errichtung wvhlthätiger Anstalten. Er stiftete den weiblichen Orden zum hl. Kreuz mit zwei Abtheilungeu: der Schul- und Spitalschwcstcrn, und gründete das Collegium Maria Hilf in Schwyz. Geboren war er 1808 zu Münster im Engadiuerthale, und starb am 15. Februar 1865 als Generalviear des Bischofs von Chur. Nach ihm wurde 1868 I'. Caspar Willi, aus dem Stifte Maria-Einsiedelu, bischöflicher Coadjutvr von Chur. Am 21. Jänner 1861 begann das tausendjährige Jubiläum des altberühmten Klosters Maria Einsiedelu im Cantvn Schwyz unter sei¬ nem Abte (seit 23. April 1846) Heinrich Schmidt (gestorben 28. De¬ cember 1874). Das große Fest der sogenannten Engelweihe hatte aber am 14. December statt. Auch auswärtige Pilger und Prälaten — unter ihnen Bischof Felix DnPanlvnp von Orleans, bethciligten sich an der Feier. Stepischnegg, Papst Pias IX. und seine Zeit. II. BL. 4 50 1. Thcil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Weil der hl. Mainrad, der Gründer des Klafters, aus dein Geschlechte der Hohenzollern stammte (er soll ein Enkel des schwäbi¬ schen Grafen T h a s s ilv gewesen sein, der um 800 die Burg Hohen- zolleru in Besitz hatte), erwies sogar der König von Preußen dem Stifte seine Aufmerksamkeit durch einen eigenhändig geschriebeneil Glück¬ wunsch und Uebcrsendnng des Porträtes seines verstorbenen Bruders und Bvrgüngers. Nach der glücklichen Beendigung des Krieges mit Oesterreich 1866 schenkte er dem Stifte auch sein eigenes Porträt in Lebensgroße. Nach Pflicht und Gewissen protestirten die schweizerischen Bischöfe in der Colleetivadresse an den Bundesrath, <1üo. 24. November 1861, gegen den Beschluß, daß gemischte Ehen vor dem weltlichen Richter geschlossen werden sollen und von demselben wieder aufgelöst werden können u. dergl. Das diesbezügliche B n n d e s g e s etz, ckcko. 3. Februar 1862, trat doch in Kraft. Im Canton Genf hatte der Große Rath am 12. Oetvber 1861 auch auf die ehemals savoyischen Gemeinden das Gesetz vom 24. Jänner 1824 über die gemischten Ehen ausgedehnt. Die Gegenvorstellung des Nuntius legte man — uä uotu. Mit 157 Stimmen gegen nnr 22 entschied sich der Große Rath von Zürich für die völlige Aufhebung des Benedietiuerklosters Rheinau (2. Mürz 1862). -) Am 30. August 1862 verschied der greise — erste — Bischof von St. Gallen (seit 30. Juni 1847) Du Johann Peter M irer (geboren 2. Oetober 1778 zn Obersaxen im Canton Granbündten). Noch er¬ lebte er die Freude, daß durch die neue Organisation für den katho¬ lischen Cvnfessivnsantheil des Cantvns St. Gallen die katholische Kirche nicht unbedeutende Cvneessivnen erlangte. '-) Sein Nachfolger wurde (16. Mürz 1863) der dortige schon früher erwähnte Dvmdecan Dr. Carl >) Es bestand fast cilf Jahrhunderte. Da es Besitzungen auch in: Groß- hcrzogthume Baden hatte, so that dieses einige Zeit Einsprache gegen die Ein ziehung der Güter; ließ sich aber daun beschwichtigen, „weil man sich gegen¬ seitig die freie Verfügung über sümiutlichc Güter aufgehobener oder auszuhebeuder Stifte und Klöster znsicherte, ohne Rücksicht auf die Territorialität". (!) ?) Das Bisthum St. Gallen als solches wurde nm N. März 1847 ge¬ gründet. Früher war es mit jenem vou Chur vereinigt. Unter der provisorischen Administration des Bischofs von Chur stehen noch Europa. K 29. Die katholische Kirche in der Schweiz. 51 Grcith (bekannt als philosophisch-thcologischcr Schriftsteller (geboren 25. Mai 1807 zu Rapperswyl). Welcher Geist der Duldung (?) schvu damals iu der Protestantischen Schweiz wehte, ersieht mau unter Anderem auch daraus, daß in der Großrathssitzung zu Basel (3. December l862) der Antrag, den Katho¬ liken den gottesdienstlichen Gebrauch der Glocken zu gestatten, abgewiesen wurde, während man — z. B. in Aargau — die Emancipation der Juden aussprach (1863). In der Ncbcreinknnft, ckcko. Solothurn, I. December 1863, be¬ schlossen die Bischöfe der Schweiz, jährlich in Confcrenzcn zusammen¬ zutreten, um dort gemeinschaftlich die Religion und das Heil der ihnen anvertranten Gläubigen betreffende Fragen zu verhandeln. Die erste Cvnfcrenz tagte zu Freiburg vvm 12. bis 15. April 1864. Als die Bischöfe eben daselbst zur Seligsprcchungsfcier des Petrus C a n i s i n s versammelt waren, richteten sie ein Cvllectivschreibcn, ckcku. 30. Juni 1865, an die Regierung von Tessin, worin sie ihre „guten Dienste" anboten zu einer Vermittlung zwischen dem hl. Stuhle und der Can- tonalregiernng, damit die „abnorme Stellung" der katholischen Kirche in Tessin anfhörc. Welche Bereitwilligkeit hiezu bei dieser Regierung vorhanden war, erhellt daraus: „Als 1865 der päpstliche Geschäfts¬ träger Angelo Bianchi — wie auch schon sein Vorgänger Bovieri am 14. November 1864 gethan — gegen das in Tessin nnterm 10. De¬ cember 1864 genehmigte kirchenfeindliche „Schulgesetz" im Namen des hl. Vaters prvtestirte, wurde ihm diese Note einfach zurückgcstellt, mit dem Bemerken, daß sie nicht iu Betracht gezogen werde. Die länger geführten Unterhandlungen mit dem hl. Stuhle über die vollständige Lostrennung des alten Cantontheils Bern von der Diärese Freiburg und dessen Anschluß an das Bisthnm Solothurn ge¬ langten 1864 zum Abschlüsse. Mit welchem Rechte (27. Octobep 1865) in Bern mit der Ma¬ jorität von 40 Stimmen die Nicht w ä h l b a r k e it der Geistlichen in iiiiincr aus den schweizerischen Bestaiidthcilcn des ehemaligen Bisthnms Coustanz: die Cantonc Uri, Unterwalden, Glarus, Appenzell und Zurich. Die Bestrebungen und Verhandlungen zur Errichtung eines Bisthnms zu Luzern oder Einsiedel»; eines dreivrtigen lsiir die drei Urcantonc); eines siinf- örtigen Bisthnms (Vierwaldstätter Bisthnms snr die Cantone Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden ob nnd nid den» Walde und Zug) — wie sic unter Anderem aus der 4* 52 I- Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. de» Nativnalrath, wvgegeu die Bischöfe und die Geistlichkeit energischen Protest einlegtcn, der freilich wieder einfach all natu gelegt lvurde, und (4. November) die Beibehaltung des Artikels I-VIII der Bundes¬ verfassung vom Jahre 1848 beschlossen werden konnte (mit 61 gegen 13 Stimmen), welcher dem Orden der Jesuiten und den ihm affiliirten Gesellschaften den Aufenthalt in allen Theilen der Schweiz untersagt, leuchtet dem gewöhnlichen Verstände mit seinen Begriffen vom glei¬ chen Maße und gleicher Freiheit für Alle nicht ein. In Aargau, wo der Große Rath in der Sitzung vom I. Sep¬ tember 1866 „in Erwägung — unter Anderen — der in gründlich beleuchtender Bcrathung nachgewiefenen Verderblichkeit des Einflusses und Wirkens der Klöster im Canton auf wahre Religiosität, Sittlich¬ keit und moralische und ökonomische Selbständigkeit der Bürger" be¬ schlossen hatte: „Die Klöster im Gebiete des Cautons Aargau sind im Grundsätze aufgehoben", ertheilte (1867) der bekannte Kirchenraths¬ präsident August Keller den Pfarrern ein für alle Mal die Erlaub- niß, wenn nöthig, auch auswärtige Weltgeistliche zur seelsvrglichcn Aushilfe herbeizuzieheu. Ordensg eistliche (zumal die Capnziner) bleibeu aber (laut früherer Verordnungen) davon ausgeschlossen. Die Berner Regierung ersuchte (1866) den Bischof von Basel, die Erledigung der Frage der Verminderung katholischer Feiertage beim hl. Vater zu betreiben; ging aber dann doch auch eigenmächtig vor. Der Cantousrath von Solothurn erklärte ebenso ohne Umstände mehrere katholische Feiertage als aufgehoben (1867). Ebenso die Negie¬ rung von Aargau. Der Artikel XIII der Staatsverfassnng des Cau¬ tons Solothurn vom 10. Oetvber 1860 lautet: „Die Errichtung geist kicher Cvrpvrationcn ist untersagt." Am 22. November 1867 beschloß nach zweitägiger Berathnng der Große Rath in Bern mit 145 gegen 75 Stimmen, daß die Ordens¬ schwestern im dortigen Canton zur Erthcilung des Vvlksunterrichtcs nicht mehr zugetassen werden sollen, obwohl 9000 Bürger ans 54 Ge¬ meinden des Jura nm die Belassung der Lehrschwestern gebeten hatten. Ueberhaupt dürfen zu Folge grvßräthlicheu Beschlusses vom 5. März Consereuz zu Beckeuried nm 7. April 1862 stattfandcn, hatten bisher nicht Erfolg. (Siche: „Die Bisthnmsverhcindlnngen der schweizcrisch-coustauzischeu Diöcesanstüude von 1803 —l 862", mit vorzüglicher Berücksichtigung der klreantone urkundlich dar¬ gestellt von M. Rothing, Regieruugsseerctnr und Archivar.) Europa. H 29. Dio katholische Kirche in der Schweiz. HZ 1868 Mitglieder religiöser Orden nicht mehr als Primarlehrer oder Lehrerinnen angestellt werden. Warum nicht? „Weil — so heißt es in der Mvtivirnng — die Beobachtung der diesfälligen staatlichen Gesetze sich mit dein unbedingten Gehorsam, welchen solche Mitglieder ihren Obern schuldig sind, unvereinbar erwiesen hat." (!) In St. Gallen, den: Sitze eines Bischofes, wurde keinem unter den 6000 katholischen Einwohnern das Bürgerrecht erthcilt, es sei denn, daß er seine Kinder protestantisch erziehen läßt. Hier und in Zürich war das Geläute katholischer Gotteshäuser nicht gestattet. Das ist die gerühmte Toleranz! Und dabei doch ein furchtbarer Lärm über Unduldsamkeit uud Demonstrationen aller Art, als 1866 der Generalviear Girardin des Bischofs von Basel zn Solvthnrn, ein Schreiben bezüglich des Verhaltens katholischer Geistlichen bei Be¬ gräbnissen von Protestanten erließ. Zn Sitten und Brieg im Canton Wallis hielten sich als Private — nicht als Congrcgation — ein Paar Jesuiten ans. Der Bundes¬ rath richtete unter Hinweisung ans Z 58 der Verfassung an die Cautons- regiernng ihretwegen ein förmliches Ultimatum, und crtheilte ihr den Auftrag, den Jesuiten auf ihrem Gebiete jede Lehr- lind Erziehungs- thätigkeit, öffentliche, wie Private, zn untersagen. Aehnlich im Jahre 1872 mit U. Franz Atlet. Sogar im Canton Luzern enthalt die Verfassungs¬ urkunde vom 17. Februar l869 die Bestimmung: „Die Jesuiten und ihre affiliirten Orden dürfen unter keiner Fvrm mehr im Canton ein¬ geführt werden." Erfreulicheres verlautete ans dem Canton Freiburg, wo durch Neuwahlen die vorige radieale Negierung gestürzt wurde. Die neue Regierung schloß (1867), um den früher an den auf¬ gehobenen Klöstern begangenen Raub möglichst gut zn machen, mit dem päpstlichen Stnhle eine Vereinbarung ab, in welcher sie au den Bischof von Freiburg die Summe von 730.000 Francs für Cultnszwecke aus- zuzahlcn sich verpflichtete. Ein eigenthümliches Streiflicht ans das schweizerische Staatskirchen¬ recht werfen — außer den oberwähnten Proccdnren wider Klöster, Mönche lind Nonnen — wohl auch noch andere Erscheinungen in neuester Zeit. In der „St. Galler Zeitung" vom 14. November 1868 hatte Advocat Augustin Frei der katholischen Kirche die Schmähung ange- than, „daß sie mit dem Ränbcrwesen unter einer Decke stecke". Der 54 I- Theik. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Bischof l)r. Carl Greith leitete gegen den Verfasser eine gerichtliche Klage ein, welcher aber vom Bezirksgerichte von Schuld und Strafe freigesprochen wurde. In den Diöcesancantoncn des Bisthnms Basel (Solothurn, Luzern und Zug ausgenommen) besteht noch das plaootnm in vollster Blüthe. Sogar Thurgau hatte es 1869 anfgegcben. Ohne den Bischof auch nur zu befragen, faßten die Abgeordneten der sieben Cantone, ans welchen das Bisthnm Basel besteht, nämlich: Aargau, Basel, Bern, Luzern, Solothurn, Thurgau und Zug, die sogenannte Diöecsanconferenz, worin aber auch Protestanten Sitz und Stimme haben, in ihrer Ver¬ sammlung zu Solothurn (30. und 31. August 1869) sogar Beschlüsse, die die Leitung und den theologischen Unterricht im Priesterseminar be¬ treffen. Verlangten sie ja selbst vom Bischöfe die „sofortige Abschaffung und Entfernung des Lehrbuches der Moral von Gury aus dem Priestcrseminar." Es half nichts, daß an Gury's Stelle Kcurik's, des Erzbischofs von Baltimore, Lehrbuch trat. Durch Beschluß der Divcesanständc vom 2. April 1870 wurde das Priestersemiuar von der Diöecsaneoufercuz eigenmächtig ganz aufgehoben, und dies u n t e r A n d e r e m auch damit motivirt, daß die Handbücher von Gury und Kenrik den Diöccsaustäuden „kein Zutrauen ein- flößcn", weil diese Lehrbücher „mit wichtigen staatlichen Grundsätzen im Widerspruche stehen und das sittliche Gefühl des jugendlichen Alumnen verletzen müssen" — überhaupt die „ganze geistige Richtung, wie sie an der Anstalt gelehrt wird, für die Bildung künf¬ tiger Seelsorger eines schweizerischen republikanischen Staates nicht ge¬ eignet scheint". Der Bischof von Basel beschloß nun die Errichtung eines Seminars ohne Unterstützung der Bisthnmscantone und theilte dies den Divcesan stünden mit Schreiben cläo. 29. September 1870 mit. Darauf Pro¬ teste : einzeln von Aargau <1869 enthalt der katholischen Kirche und deren Organismus sehr abträgliche Bestimmungen. Unter Anderem lautet Z 23: „Die Stiftung geistlicher Körperschaften ist untersagt." Von dem Vermögen des aufgehobenen Klosters St. Katharincnthal, des einzigen, welches die Klosterstürme der Jahre >848 und >849 überlebte, wird nur ein Viertel an die katholische Confcssion und zur Bildung des erforderlichen Neligivns- fondcs herausgegeben; das klebrige für Armen- und Erzichungszwecke verwendet. In der „katholischen Kirchenorganisation", angenommen am 23. October 1870, geschieht des D i ö c e s a n b i s ch o s e s gar keine Er¬ wähnung. Die Kirchcuorgane sind nnr: rr) die Synode, bestehend aus > > geistlichen und 22 weltlichen Mitgliedern; I>) der Kirchcnrath; o) die Kirchcngcmeinden; ck) die Kirchenvorstehcrschaft und kirchlichen Ange¬ stellten. Der K i rch e n g e m e i n d e wird als Recht zugesprochen auch „die Wahl und Abberufung der Geistlichen, so wie die Be¬ stimmung ihrer Einkünfte". Laut Artikel XlV der Bundesverfassung dürfen sich ohne Geneh¬ migung des Großen Nathes keine religiösen Körperschaften niederlassen. Auf Grund dessen spürte man im Canton Genf gleichfalls Personen nach, die eine Ordenstracht tragen. Schon im Monate April >871 richteten die schweizerischen Bischöfe eine Denkschrift an die Bundesversammlung bei Anlaß der beantragten Revision der schweizerischen Bundesverfassung von 1848, ') worin sie unter Nachweisung der mitunter unerhörten Bedrückungen, denen die ') Dic buudesräthliche Commission behufs erwähnter Revision trat am 6. No¬ vember >871 in Bern zusammen. Am 3. März 1872 nahm der dortige National¬ rath die rcvidirtc Bundesverfassung mit 78 gegen 36; der Ständerath mit 23 gegen 18 Stimmen an. Das Endresultat am 12. Mai war aber doch die Verwerfung der Revision. Dic Volksabstimmung ergab mehr Nein (551). Den Ausschlag gabeu die katholischen und südlichen Cautouc — der sogenannte „llltrainoutauismus" und das „protestantische Romaueuthum". Uebcr diese ergoß sich darum der Groll der ultralibcralcn Revisionssreuude. Europa. Z 29. Die katholische Kirche in der Schweiz. 57 katholische Kirche in der Schweiz ausgesetzt ist, für sie Recht und Ge¬ rechtigkeit fordern, und ihre Postulate in vier Punkten an: Schlüsse zu- sammenfassen. Diese Denkschrift mit dem Titel: „Die Lage der katholischen Kirche nnd das öffentliche Recht in der Schweiz" und mit dem Motto: „Die Gerechtigkeit erhöht ein Volk; die Sünde aber bringt Elend den Völ¬ kern" ist unterfertigt von: Josef Petrus, Bischof von Sitten; Stephan, Bischof von Lausanne nnd Genf; Nicvlans Fran¬ cise ns, Bischof von Chur; Carl Johann, Bischof von St. Gallen; Eugen, Bischof von Basel; Stephan, Bischof von Beth¬ lehem, Abt von St. Moriz; Caspar, Bischof von Hebron, Weih, bischof in Genf; Caspar, Bischof von Antipatris, Weihbischof in Chur. Mit einer Majorität von 58 l 6 Stimmen ging am 30. Juli 1871 in Aargau das Gesetz betreffend die Periodische Wiederwahl der Seel- svrgsgcistlichcn durch. Nachdem das Priesterseminar der Diöcese gewaltthntig aufgehoben, wurde das Bisthumevncordat, mit dem hl. Stuhle 1829 cingegangen, für den Canton Aargau einseitig zerrissen; dem Bisthnme und dem Dvmcapitel das betreffende auf Gütern kirchlicher Fnndation beruhende Einkommen widerrechtlich entzogen. Das Unglaublichste und bisher denn doch noch keiner noch so liberalen Regierung in den Sinn gekommen, war die Annahme des fol genden Antrages in der Sitzung des Großen Nathes von Aargau am 29. November I87l: „Einführung eines für die gesummte Jugend ohne Rücksicht auf die Confessivn passenden Religionsunter¬ richtes in sämmtlichen Schulen". Ein cvnsessionsloser Religionsunterricht, welch' großartige Erfindung! Ein flacher Rationalismus zur Staats-Religion des Cantons Aargau erklärt! An die Stelle der göttlich ungeordneten Verfassung der katholischen Kirche will Aargau ihr eine „st a a tl ich e S y n o d a l v e r f a s s n ng" nach Art der protestantischen anfzwingen! Dies Alles ist aetenmäßig dargcthan in der neuerlichen „Denkschrift der Bischöfe der Schweiz (wie in der ersten Denkschrift) an den hohen Bundcsrath der schweizerischen Eidgenossenschaft — die Unterdrückung der katholischen Religion nnd Kirche durch die Staatsbehörden im schweizerischen Canton Aargau" Vom Jänner 1872. 58 I. Thcil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. In der Conferenz zu Baden am 28. August 1872 erklärte die katholische Geistlichkeit ihre volle Zustimmung zu den Protesten der Bischöfe gegen die Vergewaltigung der katholischen Kirche in Aargan Seitens der Regierung. Am 18. September l87l tagte die Schweizer Altkatholiken Versammlung in Solothurn. Der unvermeidliche Landammann Angustin Keller aus Aarau war auch zugegen und wurde zum Vieepräsidcntcn gewählt. Die Redner donnerten gewaltig wider Rom los. Im näm¬ lichen Monate hatte aber in Maria Eiusiedeln eine Confcrenz katho¬ lischer Nvtabilitäten, meist hvcharistvkratischcn Kreisen angehörend, statt, wie dies auch schon im Oktober 1870 in Genf der Fall gewesen. Die daselbst mit dem Jahre 187! in's Leben getretene „Genfer Korrespondenz", deutsch und französisch erscheinend, brachte mitunter die sichersten Nachrichten über die Lage des hl. Vaters in Rom. Mit Ende 1873 hörte sie auf zu erscheinen. Der hl. Vater erließ an den Prä¬ sidenten und an das katholische Centralcomito von Genf ein anerken¬ nendes Breve cicin. 4. December 1873. Mittelst Breve vom 27. November 1871 belobte der hl. Vater die Bischöfe der Schweiz wegen ihrer Hirtensorgfalt nud ihres Eifers wider die Irrungen der sogenannten Altkathvliken - zumal in ihrer „lnM.rne.tio jmMoruIm« ersichtlich. Die Feindseligkeiten gegen die katholische Kirche währten fort. Am 3. Februar 1872 unter dem fast autokratischen Regime C a r teret's vvtirte der Staatsrath von Genf mit 51 Stimmen gegen 32 ein Gesetz in fünf Artikeln gegen die religiösen Corporativnen, welches über diese das Damvkles-Schwcrt der Vernichtung schweben läßt. Selbst liberale Blätter verurtheiltcn es als einen Angriff auf die individuelle Freiheit und auf die Freiheit der Association. Der päpstliche Nuntius protestirte dawider und wider das Vollziehungsdeerct vom 29. Juni im Namen des hl. Stuhles in der Note ) Als hatte der hl. Stuhl ein Coucordat als einen lnlaterialen Vertrag einseitig und eigenmächtig verletzt. 60 I. Theil. 1. Haiiplstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. der hinsichtlich der katholischen Religion zu Kraft bestehenden Gesetze (Vertrag von Turin, Artikel XU, Wiener Congreßprvtokvll, Artikel III, Z 7), Diese Zusagen und Bestätigung der Macht des hl, Stuhles sind von den Regierungen unseres Landes, welche gleichzeitig erklärten, sie als den Grund ihrer Rechte und als Vorschrift für ihre Pflichten (Staatsrcchtsbcschluß vom t, November 1819) gelten zu lassen, an¬ genommen, unterzeichnet, einregistrirt und proelamirt worden," — - „Diese Rechte also sind durch Verträge garantirt, kraft der Achtung vor diesen Garantien in dem von Pius VII. bewilligten Breve vom 20, September 1819 nochmals bestätigt wurden," — — „Trotz jenen Stipulationen sind die Katholiken nach und nach aller ihrer Garantien beraubt worden. Sie bestreiten ihnen das Eigenthnm ihrer Kirchen; die Freiheit ihres äußeren Cultns; die Freiheit ihrer christlichen Fried¬ höfe; den religiösen Charakter ihrer Schulen; die Freiheit des Unter¬ richtes; die Freiheit ihrer religiösen Genossenschaften. Sie haben unsere freien Schulen der christlichen Schulbrüder geschlossen, welche seit ! 837 bestanden. Sie haben den barmherzigen Schwestern den unentgeltlichen Unterricht untersagt, welchen sie seit 18! I in unseren freien Schulen gaben, und dies zwar ohne jeden Grund, außer dem der Feindseligkeit gegen unsere Institutionen. Wer hat also die Verpflichtungen der Ver¬ träge verletzt, die Stipulationen der Breven?" . . . „Herr Präsident, meine Herren ! Sie setzen die Reihe dieser Angriffe ans die katholische Kirche fort mit der Anmaßung, einen Auxiliarbischvf, einen Genernl- vicar, einen Pfarrer abzubernfen! Noch nie seit 1815 hat ein Gesetz¬ geber, hat ein Staatsrath einen ähnlichen Mißbrauch der Gewalt in unserem Lande ausgeübt!" Er sagt weiter, daß seiner geistlichen Thätigkcit, auch als Bischof, bisher kein Hindernis; in den Weg gelegt wurde. Erst der dermalige Staatsrath thuc es. Mit Unrecht berufe sich derselbe auf das Breve Pius VlI. Dieses sei kein Concordat; nicht einmal ein Ueber- einkommen (Convention). Er — der Bischof — habe niemals die Autorität der Gesetze und der Civilgewalt in der ihr znstehenden Sphäre mißachtet.- Der Staatsrath von Genf beantragte dem Großen Rathe Tren¬ nung der Kirche vom Staat; der Entwurf wurde aber mit 84 gegen 32 Stimmen verworfen, und die Beibehaltung des seitherigen «tatim lino beschlossen. Europa. Z 29. Tue katholische Kirche iu der Schweiz. HI Da die Genfer Cautousregieruug ihre Maßregeln gegen Bischof M e r m ill o d damit gleichsam zu rechtfertigen suchte, daß ja der Bischof Marilley von Freiburg auch Bischof von Genf fei, so zeigte ihr Dieser mit Schreiben, äcto. 22. October, an, daß er förmlich auf die Functionen und den Titel eines Bischofs von Genf verzichte, indem die kirchliche Verwaltung der katholischen Gemeinden des Eantvns Genf seit dem 5. Juli 1865 dem Msgr. Mermillod vom hl. Stuhle an¬ vertraut wvrdcu war. Der Staatsrath aber machte unter Mvtivirung, daß er die Pfarrer von Genf, weil sie noch immer den Befehlen Mer- millvd's gehorchen, getreu ihrer an den Staatsrath am 4. Oktober gerichteten Versicherung (auch an Papst Pius IX. richtete die Genfer Geistlichkeit ein Schreiben, ctito. I I. November, welches er nntecm 21. November tröstend beantwortete), für abgesetzt erkläre, folgende Gesetzentwürfe: I. Die Pfarrer werden durch die Gemeinden ernannt; 2. kein Würdenträger darf Pfarrer sein; 3. der Eid der Pfarrer soll redigirt werden, damit keine Zweideutigkeiten möglich seien; 4. in Folge der Erklärung der Pfarrer sollen in allen Pfarren Neuwahlen statt¬ finden. Wie schon im August (10.), prvtestirte nun gegen den Beschluß des Staatsrathes vom 20. September bezüglich des Anxiliarbischvfs von Genf und gegen die in der Proklamation vom 22. Oktober an das Volk angckündigten „frevelhaften Angriffe auf die Verfassung und auf die Rechte der Kirche" der Nuntius Agnozzi in der neuerlichen Note vom 23. December. Darin beklagt er sich auch, daß feine Note vom 10. August von der Cantvnalbehörde ganz ignvrirt wurde. Die Genfer Regierung aber erklärte am I I. Jänner 1873 dem Bnndesralhe, die Intervention des hl. Stuhles in die inneren Angelegenheiten Genfs erscheine ihr als ein Attentat auf seine Unabhängigkeit (?) und Still schweigen als die würdigste Antwort. Alle Proteste des Nuntius wür¬ den daher nü rrctn gelegt. Der Bischof von Basel, Engen L a chat, setzte (1872) den Pfarrer G sch wind von Starrkirch wegen Renitenz gegen die vatikanische Glaubensentschcidnng über die Jnfallibilität der päpstlichen Lchrantorität ab. Die Cantvnsregierung von Solothurn hingegen erklärte diese Ver¬ fügung als unstatthaften Uebergriff einfach für null und nichtig. Um den Widerstand gegen das vatikanische Glaubensdecret über die Jnfallibilität des päpstlichen Lehramtes zu orgauisireu, und die 62 I- Thcil. I. Hauptstück. Erlebnisse uud Schicksale der kath. Kirche. Reform der katholischen Kirche — im liberalen Sinne — anznstreben, bildete sich ein Verein freisinniger Katholiken der Schweiz. Einer sol¬ chen Quelle entsprang auch der Oltener Protest gegen das oben er¬ wähnte Vorgehen des Basler Bischofs wider Pfarrer G schwi n d von Starrkirch, und eine Petition an die Cantvnsregiernng von Solothurn nm energisches Vertheidigen „der Rechte unseres liberalen Staates gegen römische Anmaßung — gegen eine fremde Gewalt" u. s. w. Die dor¬ tige Gemeindeversammlung vom 18. November sprach sich für das Verbot der Unfehlbarkeitslehre in Kirche und Schule aus. Zu einer nach Solothurn auf den 19. November ausgeschriebenen Diöcesanconferenz, behufs Berathung der Vorgänge im Bisthnm Basel lehnte die Luzerner') und Zuger Regierung ihre Thciluahme ab. Die Konferenz erklärte die Ceusureu gegen anti-infallibilistische Geistliche für unstatthaft, sprach den Bischöfen die Berechtigung zur Absetzung von Geistlichen ohne Mitwirkung der Cantvnsbehördeu ab und erklärte sich speeiell gegen die Excommunieation der Pfarrer Egli in Luzern nnd Gsch wind in Starrkirch, deren Zurückziehung in der Zuschrift vom 26. November verlangend. Auch wurde anfangs beantragt, es sei der Bisthumsvertrag vom 28. Mai 1828 einer Revision zu unterziehen, uud sei der Bnndesrath einzuladeu, den Nuutius „nicht mehr auzuerkennen uud die gesetzlichen Bestimmungen zn erlassen, die ihm jede' Einwirkung auf staatliche und kirchliche Angelegenheiten unmöglich oder wirkungslos machen". Die Conferenz vertagte aber diese letzterwähnten Gegenstände bis zur Aus¬ tragung des Conflietes mit dem Bischöfe. Gegen diese Beschlüsse legte der päpstliche Nuntius sogleich Protest ein — umsonst. Er erhielt gar keine Antwort. Die betreffenden Re¬ gierungen mit Ausnahme, wie bemerkt, von Luzern uud Zug, geneh¬ migten die Diöeesan-Conferenzbeschlüsfe. Das Gleiche that der Große Rath des Cantvns Solothurn mit dem Gesetze über die periodische (auf sechs Jahre geltende) Wiederwahl der Geistlichen mit 80 gegen 14 Stimmen. Das solvthnrnische Volk nahm am 22. December dieses Gesetz vom 28. November mit 7584 gegen 6083 Stimmen an. Dagegen rccurrirten ') Ungeachtet dieser Hetzereien hatte der Große Rath von Lnzern mit 82 gegen 40 Stimmen die Wiedereröffnung des Nvviciatcs im Franenkloster Eichcnnach be¬ schlossen. Europa Z 2g. Die knihotlsche Kirche iu der Schweiz. 63 die Pfarrgeistlichen und kirchlich gesinnten Lairn an den Bnndesrath, und nachdem dieser (4. April l873) den Neeurs abgcwiesen, an die Bundesversammlung. (Siehe das Nähere im „Archiv für katholisches Kirchenrccht" 1877, Heft I. S. 40 u. f.) In Luzern erlaubte der liberale Stadtrath dem altkatholischeu (excommunieirten) Breslauer Theologie-Professor, nun Wanderprediger I)r. Reinkens in der Franziscanerkirche alldort am 5. December Vortrag zu halten; der Negiernngsrath aber verbot dies, unter An¬ derem auch deshalb, „weil die Benützung einer Kirche zu polemischen Vorträgen gegen den in derselben antvrisirten Gottesdienst den gesetz¬ lichen Bestimmungen widerspricht, einen Eingriff in die verfassungs¬ mäßig garantirten Rechte der Coufessionen enthält und die öffentliche Ordnung und Ruhe des Clintons gefährdet." Reinkens mußte sich begnügen, seine Polemik gegen das Papstthnm in der Protestantischen Kirche zu üben. Sogar der Bundesrath in Bern wies den Recurs der „Alt"- katholiken Luzern's wider den Beschluß des dortigen Regierungsrathcs als nicht begründet zurück. Desto zufriedener konnten die Stimmführer der Altkatholiken mit dem Resultate der Volksversammlung sein, die zu Olten am I. December tagte. Die daselbst gefaßten Beschlüsse überholten bereits weit die ursprünglichen Reformzwecke der Urheber dieser Bewegung in Deutsch¬ land. Lautet ja ein Oltener Beschluß sogar schon: „Die bischöfliche Jurisdiction ist abzuschaffen; die Obliegenheiten der Bischöfe sollen durch andere dazu berufene Geistliche ersetzt werden." Als das Endziel der Bewegung wird bezeichnet: Wiedervereinigung aller Glieder der christ¬ lichen Kirchen unter dem Wahrzeichen: „Wir glauben Alle an Einen Gott". - Also auf dem gemeinsamen Boden des Rationalismus, einer sogenannten Hnmanitätsreligion! vr. Reinkens ließ sich hier hören, ehe er nach Luzern ging; am 8. December sprach er zu Solothurn; am 9. zu Bern; am I I. zu Rheinfelden iu Aargau. In dem Antwortschreiben, ckclo. 16. December, auf die Zuschrift vom 26. November der Diocesaustände Solothurn, Aargau, Bascl- landschaft, Bern und Thurgau, erklärte der Bischof von Basel offen, daß er weder die Einmischung der Regierung in Glaubensfragen, noch die Behinderung des apostolischen Lehramtes anerkenne. Auf sein Recht 64 I- Theil. 4 Hcmptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. der Censur der Geistlichen und auf die Anwendung van Discipliuar- strafen könne er nicht verzichten. — Die Stellung des Bischofs zum Staat, Kirche und Papst sei durch das Dogma der Unfehlbarkeit keine andere geworden. Die Unfehlbarkeit des Papstes fei keine Gefahr für den Staat. Wenn die unglücklichen Pfarrer" Egli und Gschwind ihre schwere Schuld bereuen, zur katholischen Kirche zurückkehren, öffent¬ lich Zeugnis; geben, und das von ihnen gegebene Aergerniß wieder gut machen, so werde er die Bermittluug zu ihrer Rehabilitation überneh¬ men. — Im klebrigen werde er Gott mehr fürchten, als die Menschen und die Schande eines pflichtvergessenen Hirten nicht auf sich nehmen. „Eher den Tod, als die Schande. — l'otiiw mori guum t'omlnri". Dem Berner Nationalrathe lag sogar eine Motion vor auf thnn- liche Erlassung eines Gesetzes gegen Eingriffe kirchlicher Behörden in G l a ub e n s s a ch e n. (Immer besser. Anfangs heißt es: Eingriffe kirchlicher Behörden auf das staatliche Gebiet seien zurückzuweisen — dann aber auch: in G l a ub e ns s acheu! Wenn die Bischöfe auch mit dem Glaube u nichts zu thuu haben — d. i. denselben nicht lehren sollen, wozu waren sie denn eigentlich noch da? Freilich wohl! In den Augen Gewisser ist's schon ein Eingriff in das bean¬ spruchte Privilegium, sich den Glauben selbst nach Gutdünken zu fabricircn, wenn der Bischof einfach sagt: Das ist katholischer Glaube.) Weil der Bischof von St. Gallen, I)e. Carl Greith, ein so¬ genanntes infallibilistischcs Hirtenschreiben herausgab, begann die anti- infallibilistische Hetze auch in dieser Diöeese. Sämmtliche Bischöfe der Schweiz erließen am Schluffe des Jahres l872 einen Colleetiv-Hirteu brief an die Gläubigen gegen die „schlechte Presse". Die Berner Regierung hatte beschlossen, in der auf den 28. Jänner 1873 nach Solothurn einberufenen (dlli. grvßentheils Protestantischen) Diöeesaneonferenz den Antrag auf Amtsentsetzuug (!) des Bischofs Eugen L a chat zu stellen. Sie that es wirklich. Der Antrag ging (29. Jänner) mit fünf (Bern, Solothurn, Aargau, Baselland und Thurgau) gegen zwei Stimmen (Luzern und Zug) durch. Die Beschlüsse umfassen sieben Punkte, deren erster lautet: „Die dem hochwürdigen Bischof Engenius Lachat von Mervelier (Canton Bern) unterm 30. November 1863 ertheilte Bewilligung zur Besitzergreifung des bischöflichen Stuhles der Diöeese Basel wird zurückgezogen, und damit die Amtserledignng (!) Europa. K 29. Die katholische Kirche iu der Schweiz. 65 ausgesprochen." Punkt 2 untersagt dem „Herrn Eugenius Lachat" ') die Ansübnng weiterer bischöflichen Functionen in den Cantonen, und seqnestrirt sein Einkommen. Punkt 3 verfügt die Knndung seiner Amts¬ wohnung. Punkt 4: Das Domcapitel solle einen den Cantonen geneh¬ men Bisthumsverweser nu us (!) zu Predigen". Am 27. April hielt er zu Genf „altkatholischen" Gottesdienst ab; auch am 4. Mai (Sonntag) las er in einem Privatlocale die Messe — später eine schon in französischer Sprache. Sogenannte altkatholische Pfarrer wurden von der Gemeinde eigen¬ mächtig ausgenommen — so z. B. zu Olten, wohin statt des wider¬ rechtlich abgesetzten katholischen, der „alt"kathvlische Pfarrer Herzog von Crefeld berufen wurde. ') Am 14. März ließ der Regiernngsrath im bischöflichen Palais zu Solothurn notariell das Inventarnim aufnehmen, welches unter Räu¬ mung seiner Amtswohnung der Bischof bis zum l5. April über¬ geben solle. Doch dies genügte den schweizerischen Liberalen noch nicht. In einer zu Solothurn am selben l4. März abgchaltencn Versammlung be¬ antragten sie sogar die Ausweisung des Bischofs und seines Kanzlers Dur et ans dem Gebiete der zum Bisthnm Basel gehörigen Diöcesan- stände; zugleich aber auch die Abberufung der in Solothurn rcsidiren- den Domherren und die Schließung der theologischen Anstalt in Solo¬ thurn, bis andere gefügigere Lehrkräfte., gefunden würden —- eventuell auch des bischöflichen Pricsterseminars. Wegen Kündigung und Eincassirnng der nach der Behauptung der Negierung dem Basler bischöflichen Stuhle als solchem vermachten, nicht aber dem Bischof persönlich für kirchliche Zwecke von einem Cvnvcrtiten, Linder, testamentarisch legirten Gelder leitete die Solo¬ thurner Regierung unter Zustimmung der mit ihr befreundeten von y Die Charakteristik solcher altkatholischen Eindringlinge, insbesondere im Clinton Genf, ans Grund authentischer Thatsachcn, siche unter Anderem in den „Periodischen Blattern", Jahrgang VIl, Heft lt. 70 l. Theil. O Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Bern, Aargau, Thurgau und Baselland gegen den Bischof Engen Lachat einstweilen den Civilproceß ein, welcher — erst 1877 — wie mich im Voraus zu vermuthen war, zu Gunsten der Diöcesanstünde entschieden wurde. Der Negierungsrath von Bern beschloß am l8. März, beim Appel- lations- und Cassationshvf die Abberufung sämmtlicher 97 katholischen Geistlichen des Jura zu beantragen, welche deu Protest gegen die Re- gierungsvcrfügungen, betreffend die Ausführung der Diveesanevnferenz- Beschlüsfe gegen Bischof Lachat, und eine Adresse an deu Bischof, worin sie ihn ihrer unverbrüchlichen kirchlichen Treue versichern, unter¬ zeichnet hatten. Bis zum Gerichtsbescheid seieu ihre Fuuetivueu ein¬ zustellen. Dies Letztere geschah auch wirklich am 28. April. Die 97 Geistlichen protestirten dawider unter Bestreitung der Competenz des Regierungsrathes. Untcrin 7. April erließ der Papst an diese 97 Geistlichen ein Breve, worin er sie belobt, weil — heißt es darin — „Ihr in treuer Hingebung die Rechte der Kirche und deu Gehorsam gegen Euren Ober- Hirten über alles Andere, über Eure Ruhe und über die Gunst dieser Welt gesetzt habt". Die Liberalen verlangten einfach die Abberufung des ihnen unlieb¬ samen — sonst keines Vergehens angeschnldigtcn Pfarrers von Biel und dies genügte. Der Regierungsstatthalter nahm ihm in Begleitung zweier Gendarmen die Civilftandsregistcr ab. Weil er die Ablieferung der Kirchenschlüssel verweigerte, so wurde er gefangen gehalten, bis er sie herausgab. Die bei weitem meisten Priester hielten muthig ans. Der Große Rath von Bern genehmigte bereits am 26. März mit 162 gegen 15 Stimmen das Vorgehen des Regierungsrathes in der Angelegenheit des Bischofs Lachat; über die eingelanfenen Proteste schritt er zur Tagesordnung. Am 29. März aber ermächtigte er bereits die Regierung im katholischen Jura wegen Pricstermangel pro¬ visorisch die Civilehe einzuführen. Im Mai wurde diese definitiv an¬ genommen. Um das Vorgehen der Regierung gegen den Bischof Lachat gnusi zu beschönigen, führt der „Bericht der bcrnischen Kirchendircctivn an den Regierungsrath zu Händen des Großen Rathes des Cantons Bern" mehrere fein sollende politische und kirchliche Verbrechen des Bischofes an, aus deren Register eben so die Unkenntnis; Dessen, was zum in- Europa. Z 29. Die katholische Kirche in der Schweiz. 71 nersten Gebiet der Kirche gehört, als der Absolutismus der Gegner Lachat's hervvrleuchtet. Denn welch' anderen Namen verdient z. B. der Anwurf: Der Bischof habe geistliche Exercitien ohne Er¬ laubnis; der Regierung veranstaltet? — oder, er habe bezüglich der verlangten Verminderung der katholischen Feiertage im berauschen Jura auf den Papst vertröstet? —- als ob ein einzelner Bischof kirchliche Feiertage abbieten dürfe! vdcr die Worte: „herausfordernde Anerken¬ nung des Unfehlbarkeits-Dogma" u. dergl. Die nämliche bernische Kirchendirection beantragte bei der Regie¬ rung, in den Gemeinden des Jura, wo die katholischen Geistlichen an ihrem Bischöfe festhalten, und sich dem Despotismus uicht fügen, und wo sich Vicare (wie sie die Regierung braucht) nicht finden lassen sollten, einstweilen den Gottesdienst e i n z n st e llen. (!) Der katholische (?) Schulrath der Stadt St. Gallen beschloß die Einberufung einer Schnlgenosscnvcrsammlung, nm ihr ebenfalls die Untersagung der Einführung der Lehre von der päpstlichen Unfehlbar¬ keit und des Syllabus im Schul- und Religionsunterricht zu bean¬ tragen. Wirklich hat diesen Antrag des Schnlrathcs die Schulgemeinde mit 582 gegen 177 Stimmen angenommen (30. März). Gegen diesen Beschluß ergriff der Bischof mit 50 Bürgern den Neenrs, den aber — selbstverständlich — der Regiernngsrath von St. Gallen abwies (29. Oetober 1873). Der Domkatechet Popp und der Domvicar Nie der mann er¬ hielten die Weisung, sich ans dem Schullocale zu entfernen. Bei den Wahlen im Cantvn St. Gallen siegten die Liberalen. Die vom Bischöfe I)r. Carl Greith beantragte Trennung der Andachtsübnngen der katholischen und Protestantischen Scminarszvglinge wurde von der Stndieneommissivn von St. Gallen rundweg abgewiesen. Bischof Eugen Lachat mußte, der Gewalt weichend, am 16. April seine Amtswohnung in Solothurn verlassen und begab sich vorläufig nach Attishvfen im Cantvn Luzern; bald aber auf deu sogenannten „Großhof", einem Landsitz zwischen Kriens und Luzern. Mehrere Mitglieder des Episkopates richteten au Bischof Lachat — einige zugleich auch an M e r m i ll o d — Zustimmnngs- und Bei¬ leidsadressen; so der Cardinal-Erzbischof von Wien, cläo. 2. Mai; der Fürstprimas von Ungarn, ääo. 12. Juni; der Fürsterzbischvf von 72 I. Thcil. 1. Hauptstttck. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Salzburg im eigenen und im Namen seiner Snffragane, <1. 20. Mai; der deutsche Episkopat von Preußen, Baiern, Wttrtemberg und Baden; einige zu Chartres zur Verehrung der seligsten Jungfrau versammelte französische Bischöfe, clclo. 27. und 28. Mai; einige italienische zu dem nämlichen Zwecke zu Caravaggio im Bisthume Cremona versam¬ melte Bischöfe, ckcko. t9. März; die englischen Bischöfe, ckclo. 24. April; die Bischöfe Hollands, ctcko. 20. Februar; die afrikanischen zur Ab¬ haltung des ersten Provincialconcils in Algier versammelten Bischöfe, clclo. 21. Jnni. Da sich L a chat — selbstverständlich — noch immer als Bischof der ganzen Diöcese Basel ansah, so protestirte die Solothurner Re¬ gierung gegen dergleichen Amtshandlungen Lachat's bei der Negierung von Luzern. Diese sprach wirklich in der Antwort an den Bischof auf sein Schreiben, ckcto. 17. April, die Erwartung aus, „er werde vvn seiner innert des Gebietes des Luzerner Cantvns gewählten Residenz ans während des schwebenden Cvnflietes mit den Negierungen der fünf Mehrheits-Cantone sich aller direeten Jurisdictions- und son¬ stiger Amtshandlungen auf die Cantoue, iu welchen zur Zeit seine bischöfliche Autorität von den konstitutionellen Gewalten nicht anerkannt wird, zur Vermeidung aller neuen Anstände gefälligst enthalten"; — der Regierung von Solothurn aber drückte sie den Wunsch ans, „daß Seitens derselben zu irgend einem inockns vivendi die Hand geboten würde, welcher dem Bischof ermöglichte, ohne Gewissensbelästignng und ohne Verletzung der Pflichten seiner geistlichen Mission dem vvn ihr an ihn gestellten Begehren nachkommen zu können". Auf das hin erklärte der Bischof wirklich dem Bnndesrathe mit¬ telst Schreiben, daß, obgleich er sich noch immer als Bischof der ganzen Diöcese Basel anerkenne, er nichtsdestoweniger behufs Vermeidung größerer Conflicte gewisse Modifikationen in der Jurisdiction über die¬ selbe eintreten lassen werde. Eine große „Alt"kathvlikenversammlnng fand am 20. April in dem Städtchen Arlesheim (Baselland) unter dem Schutze der Behörde statt. Augustin Keller aus Aargau zog darin weidlich wider die „Päpstlichen" los. Im April 1873 erhob auch das bischöfliche Ordinariat Chur mit¬ telst eines Schreibens an die Regierung des Cantvns Glarus gegen das Vvn derselben prvjectirte Gesetz über die Wiederwahl der Geistlichen Europa. Z 29. Die katholische Kirche i» der Schweiz. 73 Protest. Dos Gleiche that es später gegen die Berufung des I)r. M i- chclis nach Zürich an die Stelle des abgesetzten Pfarrers Rein¬ hard t. Die Römischkathvlischcu in Zürich mußten nun ihren Gottesdienst theils im Pfarrhanse, theils in der Friedhofeapelle, ja sogar im Theater halten, bis sie sich eine neue Kirche gebaut hatten, an die sie frisch Hand anlegten. Die Gaben hiezu flößen ihnen im Wege milder Samm¬ lungen zu. Leider starb der verdiente Pfarrer Joh. Sebastian Rein¬ hardt am 21. April 1874. Am 13. Mai waren die schweizerischen Bischöfe in Freiburg wie¬ der zur gemeinschaftlichen Besprechung versammelt. Zur Wahrung der so arg verletzten Rechte der Katholiken erließ das katholische Centralcomitö (Mai) einen Aufruf au dieselben, der mit den folgenden Worten schloß: „Vereinigen wir uns, nm öffentlich für unseren Glauben, für unsere Freiheiten und Rechte Bekenntnis; ab¬ zulegen". In einer ausführlichen Beschwerdeschrift an die „hohe Bundes- behörde der schweizerischen Eidgenossenschaft", cido. 22. Mai 1873, „eingcreicht von einer Delegirtcnversammlnng aus der katholischen Be¬ völkerung der Diöeese Basel" ist dargethau, daß erstens: „eine einseitig staatliche Absetzung eines Bischofs nach den vom Staate anerkannten kirchenrechtlicheu Grundsätzen überhaupt, und insbesondere nach den in der Diöeese Basel bestehenden staatskirchlichen Vertragsbestimmungen durchaus unzulässig ist"; zweitens: „daß, abgesehen davon, die soge¬ nannte Diöcesancvnferenz, vom rein staatsrechtlichen Standpunkte ans betrachtet, keine Behörde ist, welche zur Absetzung des Bischofs irgend welche Cvmpctenz hatte". — Alles vergebens! Uebcr alle bisherigen Protestatiouen nnd Recursc, betreffend die staatlich-kirchlichen Cvnfliete im Bisthum Basel insbesondere über jene des Bischofs Eugenins L a chat selbst vom 8. Februar und 7. April 1873, und jene, welche der gewesene eidgenössische Staatsanwalt I. Ami et im Namen der Abgeordneten der katholischen Bevölkerung des Bisthums Basel unterm 22. Mai und 13. August 1873 einge- bracht, hatte der Bundcsrath in der Sitzung vom 13. Jänner 1874 entschieden, dieselben seien „als unbegründet abzuwcisen". Dawider richtete I. Amiet im Namen der oberwühnten Abge¬ ordneten an die Bundesversammlung wieder eine Remonstration, dclo. 74 1 Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. 12. Mai 1874, respective das „Rechtsgesuch" um Abänderung des Beschlusses vom 13. Jänner 1874. Das Vorgehen der Basler Diöcesanstünde wirkte ansteckend. Auch der Große Rath von Nenenbnrg nahm (Mai) das nene fortschrittliche Kirchengesetz mit 47 gegen 46 Stimmen an, und verweigerte, dasselbe zur Volksabstimmung zu bringen. Jener von Aargau genehmigte die Einführung der Civilehe mit 104 gegen 48 Stimmen. Auch in demselben hatten 47 Mitglieder gegen die Amtsentsetzung des Bischofs Eugen L a ch a t und die hieraus ent¬ stehenden möglichen Consequenzen protestirt. Für die in der Schweiz verfolgten Katholiken, zumal für die treuen Priester im Jura, wurden alsbald (auch in Oesterreich) Samm¬ lungen eingeleitet. Daheim verbot sie die Regierung des Cantons Tessin bei Strafe von 500 Franken. Also, wenn es ans sie angekvmmen wäre, hätten die Gemaßregelten sauimt und sonders verhungern sollen. Aus dem neuen Gesetze, welches im Cantvn Genf den katholischen Gottesdienst regeln (?) soll, in der Wirklichkeit aber denselben entkatho- lisirt, erhellt, wie helvtenartig die Katholiken von der liberalen Majorität sich behandeln lassen sollten. Leute, die gar nicht zu ihrer Kirche gehören, ja mitunter des Glaubens schon los und ledig sind, wollen in das in¬ nerste Gewissen der Katholiken maßregelnd eingrcifen. Die Grnndzügc vberwühnten Entwurfes sind folgende: Der Canton ist in Pfarreien eingetheilt. Jede Pfarrei ernennt den Pfarrer und einen Verwaltnngs- rath. Ein Eid ist den Pfarrern aufgelegt, ähnlich demjenigen, welchen sie früher leisten mußten. Die Gesammtheit des Cnltns wird geleitet durch eine obere Be¬ hörde, welche aus 20 Laien und fünf Geistlichen besteht, die durch sämmtliche außerhalb der canonischeu Institution stehende Katholiken er¬ nannt werden. Die Suspension von Geistlichen kann ausgesprochen werden durch den Staatsrath wegen Verletzung des Eides und durch die Diöeesanbehvrde wegen Diseiplinarvergehen. Die Genehmigung dieses Gesetzes durch den Bnndesrath erfolgte am l8. Juni, ebenso durch den Ständerath und endlich Nativnalrath am 24. Juli. In St. Gallen wurde am 3. Juni die Wiedcrgeltcnd- machung des plaeatum und die Sücnlarisirung der Friedhöfe beschlossen. Am 8. Juni sprachen sich auch die liberalen Katholiken von Zürich gegen das sogenannte Unfehlbarkeitsdogma und für dessen Verbannung Europa, ß 29. Die katholische Kirche in der Schweiz. 75) aus Schule und Kirche ans. Ja sie erklärten sich sür „unabhängig von der in Nvm unter dem Namen unfehlbares Papstthnm ausgetretenen geistlichen Monarchie". Sie verlangten von ihren gegenwärtigen nnd zukünftigen Seelsorgern, „daß dieselben sich allen direeten oder indirecten Verkehrs mit dem unfehlbaren Papst in Rom oder den von diesem eingesetzten Vicaren, Nuntien nnd Bischöfen enthalten werden", und versprechen dafür, ihre Seelsorger gegen alle Anfechtungen der „römi¬ schen Curie" zu schützen. Die Volksversammlung zu Svlvthuru (gegen 30.000 (?) Teil¬ nehmer)') nm 15. Juni stellte unter Anderem als Revisionsanträgc auch fest: „obligatorische, der Führung der Geistlichkeit entzogene Volks¬ schule, Civilehe, Civilstandsregistcr, Wahrung der Bnudeshoheit gegen nnrepnblicanische nnd nicht nationale Kirchenorganisationen und An¬ stalten, Aufhebung der Nuntiatur und der nicht national-repnblicanisch vrganisirten Bisthümer". Das heißt also wohl eine Nativnalkirche und zwar mit republieanischer Verfassung unter schweizerischer Oberherrschaft. Am 22. Juli 1873 verwarf der Nationalrath zu Bern in Ueber- einstimmung mit dem Stände- und Bundesrath mit 81 gegen 18 Stim¬ men den Necnrs der Pastvraleonferenz des Clintons Solothurn gegen das vom Cantvnsrath am 28. November 1872 erlassene Gesetz über die Wiederwahl der Geistlichen. Vier Tage später, 26. Juli, kamen im Nativnalrathe die drei Rccurse gegen die Ausweisung des apostolischen Mears und Bischofs von Hebron i. p. Caspar Mermillod zur Behandlung, von denen der eine von 180 katholischen Laien nnterm 27. Juni, der zweite von der katholischen Geistlichkeit des Cantons Genf nnterm 5. Juli und der dritte von Mermillod selbst nnterm 9. Juli eingereicht worden war. Das voransznsehende Resultat war Abweisung der Recnrse mit 79 gegen 23 Stimmen. Am 30. Juli beschloß auch der Ständerath mit 26 gegen 13 Stimmen die Abweisung der vberwähnten drei Rceurse. Als das Organ der freisinnigen Katholiken Genfs erschien (August) der „(Artboligna dmislw". Unter Anderen: kündigt sich dies Blatt mit den Worten an: „Wir sind Katholiken; aber wir weisen die ultra- g Auch Friedrich Hecker, der deutsche Revolutionär von 1848, war zugegen. Das; der Aarauer Laudaiuiuau» Augustin Keller nicht fehlte uud eine fulminante Rede hielt, versteht sich von selbst. 76 I- Thcil. 1. Hauptstück. Erlebnisse uud Schicksale der kath. Kirche. montanen Bestrebungen energisch von uns, als da sind: Herrschaft der Kirche über den Staat und des Papstes über die Kirche". Das Christenthum solcher „freisinniger Katholiken" spielte sich ein¬ fach auf einen nackten Rationalismus hinaus, was auch aus dem Pro¬ gramm des in Basel gegründeten „Vereines für kirchliche Reform" her- vvrgeht. Da heißt es: I. „Wir betrachten das Christenthum nicht als die Zustimmung zu einer fertig abgeschlossenen Lehre, sondern als die nngetheilte Hingebung an die Zwecke Gottes mit der Menschheit, als das rastlose Streben nach geistigem und sittlichem Fortschritt in jeder Beziehung. 2. Wir sehen in der herkömmlichen kirchlichen Lehre die religiöse Weltanschauung und das ehrwürdige Geistesprvduct einer früheren Zeit; keineswegs aber die bindende Auto¬ rität für unser Denken uud Leben. 3. Wir betrachten die konfessionellen Unterschiede, sofern sie eine trennende Schranke zwischen den Einzelkirchen bilden, als ein Uebel. Unser endliches Ziel ist die Vereinigung der Cvnfessivnen zu einer Kirche, welche die sitt¬ liche That als ihr einziges Bekeuutniß betrachtet" u. s. w. Der Regierungsrath von St. Gallen verbot den Geistlichen seines Cantvns bei Strafe die Theilnahme an den von den Jesuiten geleiteten geistlichen Exereitieu zu Mehreran in Vorarlberg. Der Protest dawider Seitens des Bischofs von St. Gallen wurde einfach, wie schon Sitte in der Schweiz, ack aotu gelegt. Das dort von den Liberalen dnrchgesetzle neue Begräbnißgesetz ent¬ zieht die Friedhöfe ganz der Oberaufsicht der Geistlichkeit. Derlei Provocatiouen mahnten die Katholiken, zu um so größerer Energie. Selbst nach dem Zeugnisse liberaler Blätter war selten eine Versammlung des schweizerischen Pins-Vereines so stark besucht, als jene am 20. August iu Zug. Am 29. August nahm der Große Rath von Genf das bereits er¬ wähnte Gesetz über den katholischen Cultus mit Abänderungen in noch liberalerem Sinne in dritter Berathung an. Die Delegirtenversanimlnng zu Olten am 3l. August genehmigte die Anträge des Centraleomito' s der schweizerischen Altkatholiken be¬ züglich der Cvnstituirung der schweizerischen von Rom völlig losgelösten und unabhängigen Nativnalkirche. Anwesend waren 88 Delegirte, dar¬ unter die unvermeidlichen vr. M ich el is und L o y s o n (früher Pater Hyacinth), welch' Letzterer das Schlußwort sprach. Europa. Z 29. Die katholische Kirche in der Schweiz. 77 Die Refvrmvvrschläge enthalte« 15 Punkte, deren erster die Ein¬ führung der Landessprache bei den gottesdienstlichen Handlungen befür¬ wortet. Punkt 5 verbietet den Peterspfennig, den Ablaßhandel (!) die Sammlungen für die Propaganda u. s. w. Punkt 14 spricht für „un¬ beanständete Errichtung eonfessivnslvser Schulen." (!) Das oberwühute Centralevmito der schweizerischen liberalen Katho¬ likenvereine erließ zugleich einen Aufruf zur lebhaften Betheiligung an dem zn Cvnstanz vom 12. bis 14. September abznhaltenden Cvugrcß der deutschen Altkathvliken. Der Ncgiernngsrath von St. Gallen beauftragte den dortigen katholischen (?) Administrativnsrath ein Regulativ aufznstellen und ein- zusenden, „dessen Inhalt und Handhabung die Gewähr bieten, daß in das Seminar, beziehungsweise in den geistlichen Stand nur Männer ausgenommen werden, von denen der Staat eine Gefährdung seiner Aufgaben und Zwecke au sich nicht zu befürchten hat". Der katholische Admiuistrationsrath möge also „im Sinn und Geist des Artikels XXXV der katholischen Organisation, betreffend Sitten- und Stndienauswcise, bestimmte Normen ausstellen, von denen die Aufnahme in das Clerieal- seminar abhängig zu machen ist, als namentlich: n) den Nachweis einer allgemein tüchtigen wissenschaftlichen Bildung, welche am besten vor einseitiger und befangener Richtung bewahrt; I>) den Nachweis, daß die Neeipieuden nicht eine Erziehung und Vorbildung in Jesuiten- oder Jesuiten affiliirten Anstalten erhalten haben". Die Revisivusevmmissivn in Bern nahm — 13. September zum sogenannten Jesuitengcsetz - Artikel 1-XV einen Zusatz von Car¬ ter et und Jolissaint an, wornach besagter Artikel nachstehende Fassung erhielt: „Der Jesuitenorden und die ihm affiliirten Gesell¬ schaften dürfen in der Schweiz keine Aufnahme finden und ist den Mit¬ gliedern die Wirksamkeit in Kirche und Schule uutersagt. Das Verbot kann auch auf andere geistliche Orden ausgedehnt werden. Die Grün¬ dung neuer Klöster ist verboten; ebenso die Wiedereröffnung der auf¬ gehobenen Klöster und Orden. Die Bundesbehörden und Cantonsbe- hörden haben freien Zutritt in die Klöster und die Häuser der reli¬ giösen Orden. Die bestehenden Klöster und Orden dürfen keine Novizen oder neue Mitglieder anfnehmen". Hiemit war das Tvdesurtheil über die schweizerischen Klöster ge¬ fällt ! Den Recurs der jurassischen Geistlichen gegen ihre von der Berner 78 1 Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Regierung verfügte Amtseinstellung und beantragte gänzliche Amtscnt- setzung erledigte der Berner Appellations- und Cassationshvf dahin, daß er am 15. September mit 7 Stimmen gegen I die Abberufung derselben — nun 69 an der Zahl — beschloß. In dem diesbezüglichen, vorerst die Competenz (?) der weltlichen Behörde darthuenden Urtheile heißt es am Schlüsse: l. „Die vben ge¬ nannten 69 Pfarrer sind vvn ihren geistlichen Gemeindefunetivnen ab berufen. 2. Keiner von ihnen kann als Stellvertreter eines anderen Pfarrers ernannt werden, solange er nicht seine Prvtestativn vom Februar 1873 zurückgezogen. 3. Außerdem sind sie solidarisch zur Zahlung der Kasten verurtheilt." Diesen Geistlichen wurde nun noch ein neuer vierzehntägiger Ter¬ min zur Zurückziehung ihrer Unterschrift vvn dem gegen die Amtsent¬ setzung des Bischofs L a ch a t eingereichten Protest angeboten, nach dessen vergeblichem Verlauf das Urtheil des Obergcrichts sofort zur Ausfüh¬ rung gelangen werde. Da sie dieses nach abgelaufener Frist nicht per¬ sönlich anhören wollten, wurde es ihnen durch den Gcrichtsbvten zn- gestellt. Bis Ende Oetober hatten sie die Pfarrhäuser zu räumen. Die Berner Regierung erlaubte sich in der Proelamativn des auf den 21. September festgesetzten eidgenössischen Bettages arge Jnveetiven auf die katholische Kirche, den Papst und die Geistlichkeit. Das „römische Priesterthum" nennt sie darin eine Macht, welche „in allen Ländern das Volks- und Staatsleben zu untergraben" strebt; die vatieanische Dvgmatisirnng der päpstlichen Jnfallibilität eine „ruchlose Gottesläste¬ rung"; wirft herum mit „Volksverdummung", „jesuitischer Immora¬ lität" u. s. w. Darob interpellirten die katholischen Nativnalrathsmit- glieder: Arnold von Uri, Rotten vvn Wallis und Fischer vvn Luzern den Bnndesrath, vb denn dies nicht auch Störung des con- fessionellen Friedens sei? Ter Bundes-Vieepräsident Schenk antwortete, der Bnndesrath könne der „Cvnsequenzen" wegen auf die verlangte Ccnsur nicht ein¬ treten, und fügte bei, der Bnndesrath habe die Ueberzeugung, daß es im Interesse des confessivnellen Friedens besser sein würde, wenn die — (etwa Bettags-Proelamativn? v nein, sondern) — Interpella¬ tion unterblieben wäre. Die Bettags-Proelamation sei ja „ein Kind der gegenwärtigen Situation". Eine facti sehe Antwort auf solche Injurien gab das katholische Europa. Z 29. Die katholische Kirche in der Schweiz. 79 Volk des Jura durch scinc Wallfahrt nach Maria-Stein bei Basel am 22. September. An >5.000 Pilger betheiligtcn sich daran unter der Führerschaft nun cirea 60 Priestern. Ans tausend und abermals tau¬ send Kehlen erscholl in der Kirche auf die Frage des Canonieus Hörn¬ st e i n ans Pruntrut, ob die Pilger treu auch fortan stehen wollen znr Kirche, dem Papste und ihrem Bischöfe: „Mus Io .juro ns 9° Zur nämlichen Zeit, am St. Mauritius-Feste, waren die Bischöfe der Schweiz mit cirea 20.000 Gläubigen nach St. Moriz gewallfahrtet. Bei der Wallfahrt nach Nllinges zum hl. Franz von Sales fanden sich gar bei 40.000 Genfer und Savoyarden ein. Boni Bischöfe von St. Gallen verlangte die Staatsbehörde den Verzicht auf die, wie sie sagte, entgegen dem bestehenden Vertrage, von Rom >865 eigenmächtig dem Bisthnme St. Gallen einvcrleibten Appen¬ zeller-Lande, widrigenfalls sie die Erledigung (!) des St. Galler Bi¬ schofssitzes aussprechen müßte. Auch bei dem Bischöfe von Chur erhob der St. Galler Regie- rnngsrath Protest gegen die Abtrennung des Cautons Appenzell vom Bisthnme Chur und seine provisorische Unterstellung unter den Bischof von St. Gallen. Mit Beschluß vom 7. Octvber lehnte der Buudesrath den Reeurs der in der Minderheit gebliebenen Mitglieder des Neuenburger Großen Nathes wider das Gesetz vom 20. Mai bezüglich kirchlicher Aenderun- gen, rcspective das Begehren einer Volksabstimmung über dasselbe, ab. Nach dem neuen Cultusgesetze wurden in Genf am >2. Oetvber als Pfarrer gewühlt: Loy s o n st (Pater H y a e i n th, kurz vorher mit einem Söhnlein beschenkt); Canonieus H n r t a nl t und Abbö Cha¬ k'ar. Die Katholiken, sogenannten Ultramontanen, hatten sich der Wahl enthalten. Den „Alt"kathvliken Genfs wurde die St. Germain-Kirche ans- gcliefert. Die Besorgnis;, daß sie auch von der schönen Kirche „idiot.ro IWann' Besitz ergreifen, ging leider in Erfüllung, wie später erzählt y In einer Zuschrift Mio. 19. Dceember 1873 an den „Temps" erklärte Hyacinth Loyson, daß die Geistlichkeit nnd Kirche von Gens zn dein deutschen Bischöfe Reinkens in keinerlei hierarchischem Abhängigkeitsverhältnisse stehe nnd auch in kein solches treten wolle; ebensowenig aber betrachte er (Loyson) sich als einen Staatsbeamten der Schweiz. (Aber die Schweiz betrachtete ihn als solchen, und zwar mit Recht.) 80 I Theil. I. Haiiptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. wird. M e r m ill o d erließ eine Jnterdict-Sentenz wider die freisinnigen Geistlichen, wie mich der „Ommoil clv tndrigno" von St. Germain gegen die Wegnahme dieser Kirche prvtestirte. Selbst der Nnntins Agnozzi that das Gleiche nnterm 24. Oetober; freilich wurde er abweislich vom Bundesrathe verbeschieden, laut Note des Bnndesrathes . 17. 9tovember. Nach der „Absetzung" der jurassischen Geistlichen, mit welchen auch die Vicare, die mit ihueu gegeu die Regieruugsbeschlüsse Protestirt hatten, Ende Oetober die Pfarrhäuser verlassen mußten, redueirte die Regierung von Bern, wo am 27. Oetober sich der Großrath behufs der zweiten Berathuug des lienen Cultus-(?) Gesetzes versammelt hatte, die Zahl der vaeant gewordenen Pfarrstellen auf 28, um für sie leichter In¬ dividuen aufzutreiben, die sie aus eigener Machtvollkommenheit anstellen könne. Wirklich fanden sich - wenn auch nur wenige; anfänglich neun — Bewerber nm die Stellen ihrer ob ihrer Treue zum Bischof gemaßregelten Amtsbrüder. Den jurassischen Gemeinden wurde mit mi¬ litärischer Occupativn gedroht, wenn sie sich nicht fügen. Also eine spe- eifisch schweizerische, sogenannte katholische Religion von Staatswegen unter Hinweis auf Bajonette einaeführt. (!) In Pruntrut gab es bei der Einsetzung des neuen „alt"katholischen Pfarrers Austritte. Ein halbes Bataillon wurde aufgebvtcn und größtentheils bei römisch-katholischen Bürgern einguarticrt. Das Obergericht von Bern setzte den dortigen Kirchengcmcinderath ab und erklärte ihn auf zwei Jahre für nicht wieder wählbar. In Delsberg wurde der Kirchenrath verhaftet, weil er sich wei¬ gerte , die Kirchenschlüssel für den „alt"katholischen Geistlichen herans- zngeben. Anch anderwärts erfolgte strafweise Belegung mit Militär. Der Reeurs mehrerer sogenannten Ultramvntanen des Jnra wider die von der Berner Cantonsregiernng in Folge Abberufnngsurtheiles des Appellationshofes von Bern cblu. 15. September 1873 verfügte Absetzung der jurassischen Geistlichen und insbesondere anch wider die vom Regierungsrathe des Cantvns Bern zufolge Deeretes des Großen Rathes vom 26. März 1873 nnterm 6. Oetober erlassene Verordnung, betreffend die Organisation des öffentlichen Cultus in den katholischen Gemeinden des Jnra, verwarf der Bundesrath am 15. November. In seinem Entscheide heißt es auch, daß ja „die abgesetzten Pfarrer in keiner Weise gehindert werden sollen, nach ihrer Weise Privat- Europa. Z 29. Dic katholische Kirche in der Schweiz. 81 g o tt e s d i e nst abzuhalten, sofern dabei die öffentliche Ruhe und Ord¬ nung nicht gestört wird". Nicht lange hernach — am 9. December — untersagte ihnen aber dic Berner Regierung auch die Abhaltung des Privatgvttesdienstes und jede geistliche Verrichtung strengstens in „allen unter staatlicher Aufsicht stehenden und einer öffentlichen Zweckbestimmung dienenden Gebäulich¬ keiten und Lvcalitäten" u. s. w. Der Reenrs dawider wurde von dem Bnndesrathe abgewiesen (20. Mai 1874), weil diese Maßregel „lediglich im Interesse der öffentlichen Ruhe und zur Erhaltung der Ordnung verfügt worden sei". (!) „Uxoiuplu trninuiG — Nichts sollte im schweizerischen „Cnltnr- kampfe" fehlen. Der Große Rath von St. Gallen hatte am 21. No¬ vember mit großer Majorität folgenden Gesetzvvrschlag für erheblich erklärt und einer Speeialcvnimissivn zur Berichterstattung und Antrag- stellnng noch während der laufenden Session überwiesen: „Geistliche, welche cvnfessivnellen Unfrieden stiften oder ihr Amt zu politischen Zwecken mißbrauchen, sind mit einer Geldstrafe bis zu 1000 Franken, ohne oder mit Gefängnis; bis zu einem Jahre, und im Rückfälle mit vierjähriger Amtseinstellung oder gänzlicher Amtsentsetznng zu bestrafen." Unterm 27. November erfolgte die Genehmigung dieses Gesetzes Seitens des Großen Rathes von St. Gallen mit 84 gegen 52 Stimmen, und am 9. Februar l874 nahm es das St. Gallener Volk mit 19.800 gegen 15.600 Stimmen an. Der Nationalrath in Bern hatte gelegentlich der Revision der Bundesverfassung am 28. November l873 unter Anderem den Ar¬ tikel XI.IX über die Abschaffung der geistlichen Gerichtsbarkeit und das Verbot der Jesuiten u. dergl. genehmigt. Dem schloß sich der Stäuderath au. Die päpstliche Encyklika vom 2 l. November, worin der hl. Vater sich auch über die Bedrückung der katholischen Kirche in der Schweiz ausläßt, bot dem Bnndesrath den willkommenen Vorwand, am 12. De¬ cember die Aufhebung der apostolischen Nuntiatur in der Schweiz zu decretiren. Dawider legten die schweizerischen Bischöfe durch ihren Senior, den Bischof von Sitten, unterm 4. Jänner 1874 Protest beim Bundes¬ rath ein, welchen dieser nm 16. n«I natu zu legen beschloß. Auch der Step ischnegg, Bapst Pius IX. und seine Zeit. II. Bd. 6 82 I. Theil. I. Hcmptstnck. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche hl. Stuhl selbst protestirte mittelst Note des Nuntius I. B. Agnozzi vom 17. Jänner gegen die Aufhebung der Nuntiatur — fruchtlos. Die Püffe wurden dem Nuntius zugestcllt. Auf Antrag der Kirchendireetion verfügte der Regierungsrath von Bern kurzweg die sofortige Aufhebung des Klosters der Ursulineriuen zu Pruntrut (3. Jänner 1874). Am 13. Jauner wies der Bundesrath wieder sümmtliche Reeurfe gegen die Amtsentsetzung des Bischofs E. Lachat und gegen die seit¬ herigen Beschlüsse der Cautonsregierungen prineipiell ab. Ja die Berner Regierung wies mit Beschluß vom 30. Jänner die abgesetzten Geistlichen — mit Ausnahme von zwölf - im jurassischen Cantonstheile für so lange aus gewissen Ortsbezirken ans, bis sie ihren Protest vom Februar 1873 zurückziehen würden. Den Reeurs gegen die vbaugezogencn, von der Berner Regierung getroffenen Verfügungen Rio. 9. Octvbcr 1873 und 30. Jänner 1874 erledigte der Buudesrath (26. März 1874) gleichfalls abweisend. Bei der Volksabstimmung in Bern am 18. Jänner 1874 wurde das liberale Kirchengesctz mit großer Stimmenmehrheit — über 70.000 gegen 17.117 — angenommen. Dasselbe legt die Wahl der Pfarrer in die Hand der Gemeinden und bestimmt unter Anderem auch schon die Errichtung einer Faeultät für (sogenannte) katholische Theologie an der dortigen Hochschule. Gleich dem preußischen Gesetze vom I I. Mai 1873 bezweckt diese neue Fa¬ eultät nichts anderes als die Heranbildung eines nationalen, von Rom losgelösten, also schismatischen Clerus. Im Auftrage der Regierung verfaßten der altkatholischc Pfarrer Eduard Herzog von Olten und die Berner Professoren Ur. Eduard Müller und I)r. F. Nippold das „Gutachten über die Errichtung und Organisation" der erwähnten theologischen Faeultät. — Mit bedeutenden Gehalten, bis zu 6000 Francs, suchte man Professoren heranzulvcken. Auch der Große Rath des Cantvus Baselstadt nahm (Februar) die periodische Wiederwahl der Geistlichen, mit der Amtsdauer vvn sechs Jahren, an. Das Fastcn-Hirtcnschreiben 1874 des Bischofs E. Lachat an die Katholiken im Jura erinnert wirklich an die Katakomben. Er gibt ihnen Verhaltungsregeln, wie sie ihre kirchlichen Pflichten erfüllen können und sollen, ohne einen exeommunieirten Priester herbeizurufen. In den Europa. Z 29. Dio katholische Kirche m der Schweiz. 83 Grenzgemeinden soll das Volk den Gottesdienst im Nachbarlande (Frank¬ reich, Elsaß) besuchen und möglichst die Seelsorge der dortigen Geist¬ lichen benützen. Sonst aber haben Vorstände der katholischen Vereine (Laien) die Gebetsoersammlungen zu leiten. Die Taufe dürfen Laien spenden. Eheschließungen wären möglichst zu verschieben, wenn kein römisch-katholischer Geistlicher die Ehe einsegnen kann. Für Sterbende genügt die Erwccknng vollkommener Reue. Im Todesfälle ist Civil- beerdigung nachzusuchen n. s. w. Die flüchtigen jurassischen Geistlichen wurden wie ein Wild ans diesem und jenem Cantone gehetzt; den französischen Geistlichen an der Grenze aber mit Gefangennehmnng gedroht, wenn sic den schweizerischen Katholiken geistlichen Beistand leisten würden. Der Bischof von Chur hatte die liebernlen Katholiken Zürichs und den von ihnen nach der Absetzung des rechtmäßigen Seelsorgers als Pfarrer Gewühlten, Namens Lvchbrunner, excvmmunieirt (De¬ cember l873). Die Cantonsregiernng hinwider erklärte die bisherige factische Verbindung der katholischen Einwohner des Cantons Zürich mit dem Bisthum Chur für aufgehoben. Am l9. April l874 nahm die Mehrheit des schweizerischen Volkes das Bundesgesetz vom 31. Jänner 1872, betreffend die Revision der Bundesverfassung vom 12. September 1848 — mit 340.199 gegen 198.013 Stimmen — an. Die Bnndesrevision, welche, wie bemerkt, am 12. Mai 1872 vom Volke abgelehnt worden war, wurde nämlich von den Liberalen deshalb nicht ganz fallen gelassen. Der neue bnndesräthliche Gesetzentwurf vom Jahre 1874 hierüber gab nur mehreren Artikeln eine andere Fassung. Unter diesen bestimmen Artikel XUVIII die volle Glaubens- und Ge¬ wissensfreiheit; XUIX die staatliche Oberhoheit über alle Religivns- genvssenschaften. Artikel UI lautet: „Der Orden der Jesuiten und die ihm affi- liirten Gesellschaften dürfen in keinem Thcile der Schweiz Aufnahme finden und es ist ihren Gliedern jede Wirksamkeit in Kirche und Schule untersagt. Dieses Verbot kann durch Bundesbeschlnß auch ans andere geistliche Orden ausgedehnt werden, deren Wirksamkeit staatsgcfährlich ist oder den Frieden der Konfessionen stört." Artikel IUI: „Die Errichtung neuer und die Wiederherstellung aufgehobener Klöster oder religiöser Orden ist unzulässig." 6« 84 I- Theil. I. Hanptstück. Erlebnisse nnd Schicksale der kath Kirche. Der Große Rath des Cantvus St. Gallen hatte Ulit Beschluß cicla. 3. Juni 1874 vvm Ende des Schuljahres 1873/74 an das bischöfliche Knabenseminar in St. Georgen aufgehoben nnd dem Re- giernngsrathe die Vollmacht für Abberufung renitenter Geistlichen cr- theilt. Seines Knabenseminars nahm sich der Bischof wacker an; so in der Zuschrift ckdo. 9. Deeembcr 1873 nn den katholischen Admini- strativnsrath des Cautvns St. Gallen: „Das bischöfliche Knabenseminar der Diöeese St. Gallen. Nechtsbestand, Nvthwendigkeit und Einrichtung desselben." Ausgleichen verfügte der Große Rath von Aargau die Aufhebung der drei noch bestehenden Franenklöster: Fahr, Hermetschwhl nnd Gnadenthal. Die dritte Delegirtcnversammlnng des schweizerischen Vereins frei¬ sinniger Katholiken zu Bern am 14. Juni an der unter Anderen Pfarrer (?) Herzog von Olten, Pfarrer (?) L v h s o n von Genf, Pfarrer (?) G sch wind von Starrkirch, Landammann Augustin Keller von Aarau thciluahmen — beschäftigte sich insbesondere mit dem Ent¬ würfe der Kircheuverfassuug für die Schweiz, welchen das Central- conlita ausgearbeitet hatte. Vorerst debattirte man darüber, wie das nengeborne Kind —- will sagen die schweizerische Nativnalkirche, denn eigentlich heißen solle? Endlich wurde festgcstellt: weder „altkatholische" noch „liberal-katho¬ lische", sondern „christkathvlische" Kirche. Doch solle für die französische Uebersetzung der Ausdruck „entlnüignv-liiwrnl" stehen bleiben. (!) Der Verfassungsentwnrf baut die ganze Kirche auf dem demo¬ kratischen Prineip der Gemeinde auf, mit dem einheitlichen Organe der „katholischen Nationalsynode" nn der Spitze. In der Mitte kann es allenfalls „Cantonal-" oder „Kreissynvden" geben. Zwar wurde geltend gemacht, daß zumal die freisinnige Bevölkerung des Jura einen wahren Zmrrenr« vor dem Namen „Bischof" habe; aber am Ende fand man doch den „Bischof" beiznbehalteu — doch was für einen? einen ans periodischer Wahl hcrvvrgehenden, immer revocablen Bischof, dessen Thätigkeit auf die Mitwirkung bei der Executive der Sy¬ nodalbeschlüsse in oder unter dem Synvdalrath nnd auf die Weihe¬ gewalt sich beschränke. (!) ') y D a s wäre ein katholischer Bischof, wie es die Apostel waren nnd wie ihn der hl. Panlns in seinen Pastoralbriefen kennzeichnet (!) Europa. Z 2g. Die katholische Kirche in der Schweiz. 85 Dieser von dem Centralcomito der liberalen schweizerischen Katho¬ liken ausgearbeitete Entwurf einer „Verfassung der christkatholischen Kirche in der Schweiz", >) wie gesagt auf breitester demokratischer Grundlage beruhend, wurde von der am 21. September zu Olten er¬ öffneten Delegirtenversammlung mit unwesentlichen Aendernngen ge¬ nehmigt. Der Bischof ist verantwortlich und absetzbar. Die revidirte Verfassung des Cantons Zug enthielt unter Anderem die alleinige Gewährleistung der römisch-katholischen Religion, während sie den andern Confessivnen blvs die Ausübung des Gottesdienstes ge¬ stattet; sie stellte die Schulen th eilweise unter die Obsorge der Geistlichkeit n. dergl. Dieserwegcu wurde der Cantonsrath von Zug von der Centralbehvrdc „ringelnden", die neue Cantonalverfassnng be¬ züglich der beanständeten Artikel mit der revidirten Bundes Verfassung in Einklang zu bringen. Selbst einem Loyson wurde das Treiben der „liberalen Katho¬ liken" zn arg. Unterm 4. August reichte er dem Staatsrath von Genf sein Entlassnngsbegchren ein. Das Schreiben des unglücklichen Priesters lautet: „Herr Präsident, meine Herren! Vom Grund meines Herzens (pur la toml 8 katholischen Mitgliedern des Berner Großen Rathes beim Bnndesrath erhobene Beschwerde über das von dieser Behörde im Jnni 1874 erlassene Decret, worin die Neducirung der 79 Pfar¬ reien im Jura verfügt wurde, fand der Bundesrath erst am 15. Jänner 1875 — freilich — abweislich zu erledigen. Mit was für Sujets einzelne dieser reducirten Pfarren besetzt wur¬ den, läßt sich denken. Der Pfarrer von St. Ange-Liovre hatte nichts Eiligeres zu thun, als am 9. Jänner 1875 in aller Form von einem protestantischen Pastor sich trauen zu lassen. Dieser war selbst ein ent¬ sprungener Jesuit. (!) Der „katholische" (?) Schnlrath von St. Gallen faßte am 29. Jänner den Beschluß, da die Geistlichkeit sich den: Verbote, das Unfehlbarkeits- 88 I. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. dogma im Religionsunterrichte zn lehren, nicht gefügt,') den soge¬ nannten Fastcnnnterricht den Lehrern zu übertragen, nnd falls ein Pfarrgeistlicher solchen Kindern die Beichte und Commnnion verweigern sollte, einen altkatholischcn Geistlichen zu diesem Zwecke einzubernfen. Um ja desto sicherer die Pfarren den sogenannten Altkatholiken in die Hände zu spielen, beschloß (I. Februar) der Große Rath von Genf die Aufhebung der Bestimmung des katholischen (?) Cultusgesetzes, daß mindestens ein Drittel der Wähler an den Pfarrwahlen theilnehmen müssen, wenn dieselben giltig sein sollen. Lange schon hatten es die Genfer Liberalen auf die dortige Nvtre Dame-Kirche abgesehen, obwohl dieselbe ganz nnr von Katholiken, zumeist unter M e r m ill o d's Anregung nnd mit Beihilfe von Nichtschweizern erbaut worden war. Sie wußten es einzuleiten, daß die Wahl des dor¬ tigen Verwaltnngsrathes zu Gunsten der „AlUkatholiken ausfiel (Fe¬ bruar l875). Dieser sogenannte Verwaltungsrath deeretirte denn nun auch so¬ gleich die Mitbenützung der Notre Dame-Kirche durch die „Alt"katho- likcn, d. h. deren W e g n a h m e, da er wohl wußte, daß die Katholiken darin, als in einer execrirten Kirche, keinen Gottesdienst mehr halten können. Am 6. April ließ er die Kirche bis ans weiteres verschließen nnd versiegeln, bis sie am 4. Juni förmlich in Besitz genommen wurde. Am 13. Mai wurde das katholische Gotteshaus im Genfer Orte Meyrin gegen den Willen des dortigen Mnnicipalrathes den sogenannten Alt¬ katholiken überliefert. Warum hatten es nicht auch die Berner „Alt"katholiken versuchen sollen, sich ans wohlfeile Art in den Besitz der dortigen Pfarrkirche zu setzen? Die „alt"kathvlischen theologischen Professoren der dortigen Uni¬ versität, Friedrich Görgens und Hirsch Wälder, sollten die An¬ nexion einleiten. Weil ihnen der römisch-katholische Pfarrer Peron laz die Kirchschlüssel und die Kirche zum Mitgebranche nicht ansliefern wollte, so wurde ihm einfach mit Verhaftung und Vermögensbeschlag- nahmc gedroht. Er wich der physischen Gewalt. Die Sendboten der Negierung holten sich selbst die Kirchenschlüssel an dem bezeichneten >) Das heißt mit anderen Worten, weil sie sich nicht durch einen staatlichen Ukas znm Abfalle commandircn ließ. Europa. Z 29. Die katholische Kirche in der Schweiz. 89 Orte. Nach dieser Heldenthat nahmen die „Alt"katholiken die Kirche in Besitz — zunächst nm darin rührende Reden über christliche Toleranz zu halteu. Die römisch-katholischen Katholiken constituirten sich nun als Ge¬ meinde und wählten einen eigenen Kirchcngemeinderath. Das Comitö in Bern Protestirte freilich gegen diese flagrante Gewaltthat beim Ncgie- rnngsrath; — aber was half's? Auch von anderwärts gingen frucht¬ lose Proteste ein; so von der Regierung des Cantons Uri. Selbst der Materialist Carl Vogt trat auf die Seite des Pfarrers P e r o ul a z, weil ihn der intolerante Nebermnth der ultraliberalen Altkatholiken und ihr Heranzichen von Gcnsdarmen und Bajonetten empörte. Am 28. Fe¬ bruar (Svuntag) hielten die Römisch-katholischen im Coneertsaal des Museums ihren Gottesdienst, während den „alt"katholischen Eindringlingen in der anneetirten Pfarrkirche der Professor I)r. Fried¬ ri ch eine Predigt über „christliche Liebe und Versöhnung" („Augs¬ burger Allgemeine Zeitung" Nr. 64) hielt. Später versammelten sich Jene im französischen Protestantischen Tempel. Das Gesuch von 36 katholischen Mitgliedern der BnndcSversamm lnng, ein Local für den römisch katholischen Gottesdienst in Vern amt¬ lich cinznräumeu, wies der Negiernngsrath von Bern ab — insglcichen der Bnndcsrath (28. April). Die Intervention der Regierung des Cantons Freiburg in der nämlichen Angelegenheit lehnte derselbe Berner Negiernngsrath in der Sitzung vom 4. Mai ab. — Ain I. Mai g. I. hatte hingegen ein einfacher Bürger in Bern ein Hans daselbst nm 195.000 Francs an- gekauft und es den Katholiken gratis als Pfarr- und Schnlhaus und wenn nöthig, auch zur Abhaltung des Gottesdienstes überlassen. Ehre dem Manne! Der Berner Negiernngsrath forderte nnterm 12. März den Pfarrer Stephan Pero nlaz ans, seine pfarramtlichcn Functionen wieder nnf- znnehmcn (in der anneetirten Kirche!), widrigenfalls seine Absetzung erfolgen werde. Die Mvtivirnng dieses Beschlusses lautete: „da Herr Peroulaz, der vom Staate gewählte und besoldete Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde Bern ist". — Diese regierenden Herren Republikaner kennen nur Staatsgeistliche. Seine Absetzung durch den Appellations- und Cassationshof des Cantons Bern erfolgte in der That. Die in Biel den Katholiken abgenommeue Kirche verkauften die 90 k Theil. I. Hnuptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. „AlUkatholiken anderweitig wieder um 15.000 Francs, obwohl sie das Zehnfache gekostet hatte. Warum? weil so viel noch als Schuld darauf haftete, welche die Herren Annectanten nicht bezahlen wollten! Noch immer waren Recnrse gegen die sogenannte Absetzung des Bischofs Eugen L a chat und die damit zusammenhängenden Maßrege¬ lungen eingcbracht worden; im Ganzen lagen neun oor. Der National¬ rat!) verhandelte darüber am 15. und 16. März 1875. Das Resultat war vorausznsehen; es lautete mit 80 gegen 24 Stimmen ans Ver- werfnug. Dem schloß sich der Ständerath an. Ein Kreisschreiben der Aarganer Regierung vom April drohte den Geistlichen mit sofortiger Amtsentsetznng, welche den ämtlichen Verkehr mit dem „abgcsetzten" Bischöfe E. Lachat oder mit dem früheren Nun¬ tius Aguozzi fvrtsetzeu würden. Das Gleiche stehe jenen Geistlichen bevor, welche die unten besprochene päpstliche Eneyklika vom 23. März öffentlich von der Kanzel vorlesen würden. Am 17. März zog der Nationalrath die zweite Gruppe der Recurse iu Bcrathung, betreffend die Verordnung des Regiernngsrathes des Cantons Bern vom 6. December 1873 über den Gottesdienst in den katholischen Gemeinden des neuen Cantvnantheiles und dessen Beschluß vom 30. Jänner 1874 über die Ausweisung einer Anzahl durch ober¬ gerichtliches llrtheil vom 15. September 1873 von ihren Stellen ab- bernfener katholischer Geistlichen des Jura. In letzterer Angelegenheit wurde auf einstweiliges Vertagen erkannt. Der BundeSrath lud (27. März) die Berner Regierung ein, anzuzeigen, ob und wie lange die Ausweisung der jurassischen Geistlichen, gegen welche unter Anderen ein Rccurs der katholischen Bevölkerung des Bernischen Jura vom August 1874, versehen mit 9100 Unterschriften vvrlag, noch fortbe¬ stehen solle, und welche Gründe sie für diese außerordentliche Ma߬ regel geltend mache? Denn die neue Bundesverfassung vom 19. April 1874 garantirt jedem Schweizer das Niederlassungsrecht an jedem Orte innerhalb des ganzen Gebietes der Eidgenossenschaft. Zugleich bemerkte der Bnndcsrath, daß er sich Vorbehalte, nach Umständen angemessene Verfügungen zu treffen. Den Necurs aber, betreffend die Rückgabe der Kirchcngüter und die Wiederherstellung des römisch-katholischen Cultus, auch von den erwähnten 9100 Katholiken unterfertiget, Ivies der Bundes¬ rat!) ab. Denn — so heißt es in der Abweisung — „der öffentliche Cultus, Europa. Z 29. Die katholische Kirche iu der Schweiz. 91 Welcher im Canton Bern ausgeübt wird, ist durch das Gesetz vvm 18. Jänner 1874 bestimmt worden". Zur Beruhigung der Berner Regierung sprach der Berner Große Rath am 12. April mit Beschluß von 139 Stimmen gegen 20 ihr seine volle Anerkennung der Kirchen- Politik und seine Erwartung ans, dieselbe werde auch ferner daran festhalten. In der an die Katholiken der Schweiz gerichteten Eneyklika 23. März 1875 „lchimtolu Ilno/okion nck Ich>i8onpO8, olaruin ot licka- >68 Imlvotiono r6Aioni8 Awutium st oomuinnionoiu e»in apoickolicm 86lko bnbontsm — 61MV68 ne (linturiine i»8ickinö et eonntU8" sprach der hl. Vater feierlich die Verdammung des sogenannten Altkatholi- eismus aus, erneuerte die gegen die „Alt"kathvlikcn bereits verhängte Exeommnnication und tadelt den ihnen von den Schweizer Behörden gewährten Schutz. Das von ihm gleichfalls reprobirte Civil - Ehegesetz (und Civil- standsgesetz) wurde am 23. Mai bei der allgemeinen Volksabstimmung zwar wohl, aber mit nicht bedeutender Majorität, nämlich mit 211.500 Stimmen gegen 201.733 angenommen. Im nämlichen Monate wies der Bundcsrath den von den Katho¬ liken gegen die nach dem Berner Cnltnsgesetz vrganisirte sogenannte katholische (!) Synode eingercichten Reeurs ab. In der oberwähnten Recnrsangelegenheit der ausgewiesenen jurassi¬ schen Geistlichen entschied der Bnndesrath gegen die Berner Regierung (31. Mai) und lud diese ein, ihren Jnternirnugsbeschluß vom 30. Jänner 1874 binnen zwei Monaten anfzuheben. Dagegen appcllirte die Berner Regierung an die Bundesversammlung (10. Juni). Der dortige Regie¬ rungsrath bereitete zur selben Zeit ein neues Gesetz gegen die Katho¬ liken vor, unter dem Vvrwande, "den religiösen Frieden gegen Stö¬ rungen sicher zu stellen. Der Große Rath nahm cs in erster Bcrathung unter nur unwesentlichen Abänderungen am 11. Juni mit 154 gegen 24 Stimmen an. Eine nach Bern ans den 13. Juni berufene Volksversammlung hatte den Zweck, den eidgenössischen Räthen in der Recnrsangelegenheit begreiflich zu machen, daß das „souveräne Volk" nicht mit dem Bundes- rathe einverstanden sei — also eine Pression auf die Bundesversamm¬ lung auszuüben. Wirklich bewilligte der Nationalrath (29. Juni) mit 96 gegen 29 Stimmen der Verner Regierung die Fristverlängerung 92 I. Thoil. I. Hmiptstlick Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. für Aufhebung der Geistlichcnausweisung bis 15. Noveiuber 1875, welchem Beschlüsse auch der Ständerath am 1. Juli mit 24 gegen 16 Stimmen beitrat. Das Gcsetzesproject vvn Georg Fazy über die Trennung von Kirche nnd Staat verwarf der Große Rath von Genf am 9. Juni mit 44 gegen l2 Stimmen. Niemanden kann dies Wunder nehmen. Dem: eine solche, von der Kirche selbst nirgends angestrcbte Trennung läßt ihr, wenn aufrichtig gemeint, wie z. B. bisher in Nordamerika, doch noch Freiheit ans ihrem eigenen Gebiete. Aber nicht diese haben die sogenannten Radikalen allerwärts im Sinne; sondern Kuechtnng der der Kirche als einer Art von Staats-Domäne. Am 15. Juli 1875 starb der Bischof von Sitten, Peter Josef clo I'roux (geboren 28. April 1795); den bischöflichen Stnhl bestieg er im Jahre 1844. Sein Nachfolger wurde Dcean Adrian J a r d i n i a. Unentwegt fortschreitend im Cultnrkampfe, reoto Bernichtuugskampfe gegen die katholische Kirche beschloß der Große Rath von Genf am 22. August 1875 mit 64 gegen 7 Stimmen sogar die Aufhebung der Genossenschaften der barmherzigen Schwestern. Das gleiche Loos traf am I. September die Gesellschaft der „treuen Gefährten Jesu" in Carvngc. Ein anderes vom nämlichen Genfer Großen Rathe angenommene Gesetz verbietet im Artikel I „jede Cnltusfeier, Prvcessivn oder religiöse Ceremvnic, welcher Art sie ist, bei Gefängnißstrafe von drei his acht Tagen und Geldbuße von 10 bis 50 Fraues auf offener Straße." Artikel II: „Der gleichen Strafe verfallen die Urheber lind Theil- uehmer vvn Provokationen oder Unordnungen, veranlaßt durch eine Cultusfeier auf Privateigcnthnm." (Wenn also z. B. der Straßen- pöbel aus Anlaß des katholischen Gottesdienstes in einem Privat¬ hause einen Anflanf und Skandal verursacht, so verfallen die „Urheber und Theilnehmer" — wessen? des Auflaufes? Nein! sondern des Gottesdienstes, der Strafe). — Artikel III: „Das Tragen jeder geistlichen Tracht oder Ordensgcwandcs auf öffentlicher Straße ist den¬ jenigen Personen untersagt, welche sich seit mehr als einem Monat im Cantvn Genf anfhalten." (Warum sich nicht kürzer fassen: Die römisch- katholische Religion ist ausgeschlossen aus dem Cantvn Genf. Ihre Diener nnd Bekenner werden in Acht erklärt?) Gegen diesen — albernen — Artikel III ergriff eine Anzahl katho¬ lischer Geistlichen den Rekurs an das Bnndesgericht. Europa. Z 29. Die katholische Kirche iu der Schweiz. 93 Die St. Galler Verfassnngsrevisivn ist in ihren Hauptpunkten, betreffend die Schule und die evnfessivnellen Verhältnisse mit 18.000 gegen 15.000 Stimmen (13. September) abgelehnt worden. Dafür aber erhob der Große Rath von Bern am 15. September das sogenannte Cultnspvlizeigesetz mit 118 gegen 26 Stimmen zum Beschlüsse, welches eben das katholisch-kirchliche Leben und den katho¬ lischen Gottesdienst nicht blvs unter Polizeiaufsicht stellt, sondern so viel als ganz unmöglich macht. Nebenbei schneidet es den jurassischen Geistlichen, deren Verbannung nm 15. November 1875 aufhören mußte, jede Wirksamkeit ab. In seiner „Botschaft" au das Berner Volk, welchem das „Cnltns- Polizeigesetz" zur Abstimmung vvrzulegen kam, stellte der Große Rath dasselbe rein als eine „Waffe der Nothwehr des Staates" dar, denn die bösen renitenten jurassischen Geistlichen „werden auch nach ihrer Rückkehr das Berner Kirchengcsetz nicht anerkennen und den Kampf mit der Staatsgewalt wieder anfnehmen". Ja so sehr rechnet diese Botschaft ans die Nrtheilslosigkeit der Leute, daß sie weiter im vollen Ernste, nicht ironisch, sagt: „Nicht dem Glauben selbst und der friedlichen Ausübung desselben tritt das Gesetz entgegen; es verdient insofern den Titel eines Tvleranzgesetzes".(!) Ist sich demnach zu wundern, daß das „Cultnspvlizeigesetz" am 31. Oktober 1875 mit 35.000 gegen 17.000 Stimmen angenommen wurde? Die Beschwerden und Einsprachen dawider Seitens katholischer Mitglieder des Großen Rathes und der römisch-katholischen Geistlichen des Jura zu Ende 1875 und Anfang 1876 wurden — abgewiesen, so insbesondere durch den Bundesrathsbeschlnß, dcko. 12. Mai 1876. Zweifelsohne verweigerte im Sinne dieser Toleranz eben damals der Regiernngsrath von Bern den -dortigen römischen Katholiken die Bewilligung zur Gründung einer Privat - Primarschule, weil bloße „Genossenschaften" nach dem P ri v a t n n t e rricht s g c s e tze vom 24. Deecmbcr 1832 kein Recht darauf haben, sondern „nur Gemein¬ den und gewisse einzelne Personen". Alsv nicht einmal mehr als Ge¬ ni e i n d e, sondern nur als Genossenschaft galt der Berner Regie¬ rung die römisch-katholische Kirche! Daß unsere obige Behauptung, zumeist nur wegen der Lahm¬ legung der znrückznrnfenden katholischen jurassischen Geistlichen sei das sogenannte Cultnspvlizeigesetz erlassen worden, richtig sei, bestätiget, 94 I Thcil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Wenn es dessen bedurft Hütte, auch der Wortlaut des diesbezüglichen Beschlusses, llllo. 6. November: „Ans dell Antrag der Kirchendirectivn hat der Regiernngsrath (von Bern) in Erwägung: I. daß das Berner Volk in der Abstimmung vom 31. v. NN. das Gesetz, betreffend Sto¬ rung des religiösen Friedens mit großer Mehrheit angenommen hat, und somit dieses Gesetz in Rechtskraft erwachsen ist; 2. daß die Vor¬ schriften dieses Gesetzes ausreichende Mittel darbieten, um ferneren Ausschreitungen der renitenten Geistlichen im Jura in wirksamer Weise entgegenzntreten; 3. daß daher der Beschluß vom 30. Januar 1874, betreffend Maßnahmen zur Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung und des confessivnellen Frie¬ dens im Jnra, durch welchen denjenigen katholischen Pfarrern, die durch gerichtliches Urtheil vom 15. Herbstmvnat 1873 vvn ihren Stellen abberufen worden waren, sowie denjenigen katholischen Geistlichen, die den Protest vom Hornung 1873 mitunterzeichnet hatten, bis auf Wei¬ teres der Aufenthalt in den Amtsbezirken Courtelary, Dclsberg, Frei¬ bergen, Laufen, Münster, Pruntrut und Biel untersagt wurde, gegen¬ standslos geworden ist — in Ausführung des Beschlusses der Bundes¬ versammlung vom 29. Juni und I. Juli 1875 beschlossen: Der vor¬ erwähnte Beschluß vom 30. Jänner 1874 ist als aufgehoben erklärt." — An die Regieruugsstatthalter im Jnra erging Seitens des Berner Regiernngsrathes unterm 17. November der Auftrag zur strengsten Ueberwachnng der zurückkehrendeu Geistlichen. Im diesbezüglichen Schreiben heißt es unter Anderem: „Den ge¬ nannten Geistlichen sind alle und jede gottesdienstlichen Functionen so¬ lu v hl in öffentlicher Kirche als in Privat! očalen unter¬ sagt, so lange sie nicht eine entsprechende Erklärung (nämlich der abso¬ luten Unterwerfung unter die kirchenfeindlicheu Staatsgesetze) abgegeben haben." Und wirklich wurde bald der eine, bald der andere Geistliche in empfindliche Geldstrafe genommen. Wenn sich die Katholiken irgendwo, Ivie z. B. im Oetvber zu Bernex, Compensivre, Hermance, Cvrsier n. a. O. im Canto« Genf geschehen, die Wegnahme ihrer Kirchen nicht gutwillig gefallen lassen wollten, so nannte man dies „ultramoutane Exeesse" und strafte sie hart. Der Pfarrer vvn Meynier, Pissot, wurde aus einem solchen Anlasse kurzweg aus dem Canton ausgewiesen. Mittelst Gensdarmen und Schlosser ergriff die Behörde da und Europa. Z 29. Dic katholischc Kirche in der Schweiz. 05 dort Besitz von katholische» Kirchen »»d Pfarrhäusern, uni sie ihren sogenannten altkatholischen Schützlingen zn überliefern. Wo ein Maire Miene machte, gegen die Gewaltthat zn protestiren, wurde er einfach abgesetzt. Die Kirche iu Biel (Cautvn Bern), erbaut durch die Spar- kreuzer der Katholiken, wurde gleichfalls mit Gewalt den „Altkatho- liken" eingeränuit, um sodann von diesen an die Protestanten — ver¬ kauft zn werden. (!) Am 18. October ratifieirte sogar die Kirchengemeinde der Stadt Luzern dic Organisation der neuen „christkatholischen" (?) Kirchen¬ genossenschaft mit 696 gegen 598 Stimmen. Die sogestaltige Etablirung der „bernisch-katholischen (sei!.) Landes¬ kirche" kostete dem Cautvn ein ziemliches Sümmchen Geld, nämlich bis I. Jänner l875 für das altkathvlische Pastvrenthum nicht weniger als 236.984 Francs, 30 C. In das Budget pro !876 wurde für die „römisch-katholische" Kirche nichts Apartes eingestellt; denn der Staat (Cantou Bern) kenne nur Eine katholische Kirche, nämlich die seine „christkathvlischc". (!) Der Cantonsrath von Zürich hatte im November unter Anderen folgende zwei Beschlüsse gefaßt: l. „Der bisher faetisch bestandene Ver¬ band des Cantons Zürich mit dem Bisthnin Chur wird als aufgehoben erklärt." 2. „Der Regiernngsrath wird eingcladen, das Gesetz, be¬ treffend das katholische Kirchenwesen vom 27. Weinmonat 1863, nament¬ lich behufs Herstellung der erforderlichen episkopalen Verbünde der zürichcrischen katholischen Gemeinden, einer Revision zu unterwerfen, und zn diesem Ende hin dem Cautonsrathe die geeigneten Vorlagen zn machen. J n zwis ch en bleibt es den einzelnen katholisch e n Gemeinden überlassen, sich im Falle des Bedürf¬ nisses mit einer bischöflichen Vermittlung v d e r F unc- tion, der Oberaufsicht des Staates unbeschadet, nach ihrem Ermessen zn behelfen." Selbst radicale Stimmen behaupteten, daß der letzte Satz von Zfffer 2 mit der Bundesverfassung, namentlich mit Artikel I-, Absatz 4, nicht vcreinbarlich sei; denn dieser schreibt vor, daß die Errichtung von Bisthümern — also wohl auch eine etwaige außerordentliche episkopale Jurisdiction - - der G e n e h m i g n n g des Staates bedürfe. Ihrer absoluten Machtherrlichkeit sich bewußt, und auch tolerant (sailiaot) gegen die Katholiken sind die schweizerischen Behörden — dies 90 I. Theil. I. Hanplstiick. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Zmgniß verdienen sie sich in der Geschichte. Erst lösen sie einen episko¬ palen Verband, der in vollkommen legaler Weise, auch unter staatlicher Aeghde zn Stande kam, einfach auf; dann sagen sie zu den Katholiken: jetzt helft Euch, wie Ihr könnt, aber wisset wohl, daß wir kraft unserer „Oberaufsicht" Euch jeden Augenblick Eurem „Bedürfnisse nach einer bischöflichen Vermittlung oder Function" einen Strich durch die Rech¬ nung machen können. Am 21. December nahm das Volk von Tessin die cvnservativ (die Liberalen sagen: ultramontau) gehaltene Verfassung mit 10.619 gegen 5506 Stimmen an. Gleiches geschah im Cautvn Wallis bezüglich der revidirten Ver¬ fassung. Die Liberalen konnten das in Tessin verlorene Terrain nicht ver¬ schmerzen. Sie suchten den Großen Rath des Cautons (damals in Lecarno) durch eineu anderen aus ihrer Mitte zu ersetzen — was (October 1876) gewaltige Aufregung verursachte. In Stabiv floß Blut, nachdem die Liberalen den Streit begonnen hatten. Der Bnndesrath hob das Decret des Tessiner Staatsrathes über die auf den 5. No¬ vember 1876 anberanmte Vornahme der Neuwahl des Großen Rathes als ungesetzlich auf. Vorläufig war der Couslict beendet. Bei den Großrathswahleu am 21. Jänner 1877 fielen 67 Stirn men auf sogenannte Ultramontaue und nur 52 auf Liberale. Nachdem der Große Rath von Aargau am 16. Mai 1876 die Nonnenklöster von Hermetschwyl nnd Gnadenthal förmlich aufgehoben, beschloß er Tags darauf mit 81 gegen 47 Stimmen das Gleiche auch mit dem tausendjährigen Sauet Vcrenaklvster in Znrzach zu thuu. Auf was es eigentlich bei allen solchen Klvsteraufhcbungen am Ende abgesehen sei — nämlich auf das Geld — war ohnedem für Niemanden zweifelhaft. So wurde der Große Rath des Cautons Genf auf den 15. September 1876 zur Vornahme der Bcrathuug des Gesetz¬ entwurfes einberufen, durch welchen säimutliche Güter der in diesem Canton aufgehobenen religiösen Genossenschaften dem Staate ein¬ verleibt werden sollen. Er genehmigte in erster, zweiter und dritter Be- rathung das Gesetz.') ') lieber die Bedrückung, ja Verfolgung der katholischen Kirche in der Schweiz siche auch den Artikel: „Die Christenverfolgiing in der Schweiz und die Barbaren des Westens" in den „Periodischen Blattern", 187?, Heft 7, 8, 9. Europa. Z 30. Die katholische Kirche in Dänemark. 07 Ende August 1876 waren die schweizerischen Bischöfe wieder in Schwyz znr gemeinsamen Besprechung versammelt. An der Stelle des frciresignirten Bischofs Florentin: wählte das Capiteli den bisherigen Cvadjutvr, Caspar Willi, 0.8. Ilvaad., am 10. Jänner 1877 zum Bischof von Chur. °) 8 30. Die katholische Kirche in Dänemark. Bekanntlich machte Holstein, obwohl dem Könige von Dänemark nnterthan, einen Theil des deutschen Bundesgebietes ans; nicht so auch Schleswig, vblvvhl daselbst die deutsche Bevölkerung die Mehrheit bildet. In seinen: offenen Briefe von: Jahre 1846 dehnte König Chri¬ stian VIII. das dänische Recht der weiblichen Thronfolge auch auf die Herzvgthnmer Schleswig und Holstein aus, wornach der Land¬ graf Friedrich von Hessen, Sohn der Schwester des Königs und vermält mit der Großfürstin Alexandra, Tochter des russischen Kai¬ sers N i e v l a us , zum Nachtheile des nächsten n: ä n n lich c u Agnaten, Herzogs C h r i st i a n von Schleswig-Hvlstein-Sonderburg-Augustenbnrg, Anwartschaft auch auf die Herzvgthnmer Schleswig und Holstein er¬ hielt. Dies veranlaßte die deutsche Agitation für Holstein und Schleswig gegen die dänisch-russische Politik. Als der König an: 20. Jänner 1848 starb, folgte ihn: sein Sohn Friedrich VII. in der Regierung. Der an: l8. Mürz zn Rendsburg vereinigte Landtag der beiden Hcrzogthümer erklärte, daß Schleswig mit Holstein in den deutschen Bund eintreten und mit diesen: eine besondere deutsche Verfassung und Verwaltung gemeinsam haben solle. Bald darauf (24.) setzten sie sogar eine provisorische Negierung ein, an deren Spitze mit Graf Revent- lvw und Beseler auch der vbcrwähnte Herzog von Augustenburg stand. Der König von Preußen nahm sich der Sache an und geneh¬ migte die Vereinigung Schleswigs mit Holstein. y Er starb am 17. April 1879. — In dir letzten Mvnatc des Jahres 1878 — ^also schon in das Pontisicat Leo XIII. — fallen die für den Conservatismus, also anch für die Katholiken günstigeren Nationalrathswahlen. Namentlich hatte das Volk von Genf am 6. October 1878 mit der enormen Mehrheit von 8756 gegen 2951 Stimmen die Verfassung verworfen, welche ihm von der Carteret'schen Re¬ gierung wollte ausgedrängt werden. Der Präsident des Staatsrathes, eben Car¬ ter et, wollte nämlich durch 20 neue Artikel die vvm Jahre 1847 datirende Ver¬ fassung geradezu alterircn. - Gott gebe nun eine Wendung zum Besseren! Stepischncgg, Papst PiuS IX. und seine Zeit. II. Bd. 7 98 I. Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Der Krieg zwischen den Dänen und Deutschen begann schon am 9. April. Preußen, dessen General Wrangel gegen die Dänen nicht unglücklich operirt hatte, schloß mit denselben am 26. August den Waffenstillstand von Malmve in Schweden, den das deutsche Parla¬ ment zuerst verwarf, dann aber doch genehmigte. Im nächsten Früh¬ jahre 1849 kündete Dänemark den Waffenstillstand und erlitt schon am 5. April eine Niederlage zur See bei Ekernfvrde; die Deutschen — Baiern und Sachsen - - nahmen die Schanzen vvn Düppel (13. April);si der preußische General Bvnin siegte bei Kvlding, wurde aber bei Friederieia geschlagen (5. Jnli), was einen neuen Waffenstillstand zur Folge hatte und zwar auf der Basis der Trennung Schleswigs vvn Holstein und seiner von Holstein gesonderten dänischen Verfassung, wor¬ auf am 2. Juli 1850 der definitive Friede zwischen Preußen und Dänemark geschlossen wurde. Da die Holsteiner damit nicht zufrieden waren, setzten sie den Kampf nm Schleswig selbst fort unter General Willisen; erlitten aber am 25. Juli bei Idstedt eine sehr blutige Niederlage. Im Protokolle, unterzeichnet zu London am 2. August anerkannten England, Rußland, Frankreich und Schweden den dänischen Einheits¬ staat ; am 30. September ratificirte auch der deutsche Bund den Frieden. Die Holsteiner mußten sich endlich fügen und entwaffnen, nachdem die Oesterreicher cinmarschirt waren. Im Londoner Protokolle vom 8. Mai 1852 wurde festgesetzt,-) daß ganz Dänemark und Schleswig-Holstein auf Christian, den damals viernnddreißigjährigen Sohn (geboren 1818) des Herzogs Christian von Glücksburg und der Prineessin Louise, Schwester des erbberechtigten Landgrafen Friedrich von Hessen, übergehen sollte. Die Danisirung nicht nur Schleswigs, sondern selbst Holsteins wurde nun nngescheut fvrtbetriebcu, ganz entgegen den eingegangenen Stipulationen. Die Zahl der Katholiken in Schleswig ist sehr gering (bei 500); etwas größer in Holstein (über 1400). Was half es ihnen, daß das Staatsgrundgesetz vom 15. September 1848 unter Anderem im Ab- ') In Schleswig, gegenüber Sonderburg, ans der Insel Alsen. 0 Rußland hatte dabei die Hand im Spiele. Denn nach dem Aussterben der Nachkommenschaft des hier genannten Prinzen Christian sollte das Hans Hol stcin-Gottorp, d. i. das russische Kaiserhaus selbst, in daS Erbrecht eintreten, Eurvpn. Z 30. Die katholische Kirche ia Dänemark. 90 schnitt VII, Artikel 0 „ollen Kirchen nnd religiösen Gemeinschaften gleichen Schutz" gewährleistete; es wnrde nicht eingehakten, und im Jahre 1851 wieder außer Kraft gesetzt. Die schleswig'sche Ständeversammlnng war doch billig denkend ge¬ ling, nm 1860 die Bitte der Katholiken Schleswigs um vollständige religiöse Gleichberechtigung der königlichen Regierung zur geneigten Berücksichtigung zu empfehlen. Anders stand es mit den Katholiken in Holstein. Ihr Loos daselbst blieb fortan ein gleich gedrücktes, als früher. Der deutsche Bund verschaffte ihnen hier so wenig als anderswo ein größeres Maß kirchlicher Freiheit. — Der 8 ? des den holsteinischen Standen am 3. Jänner 1859 vvrgelegten Berfassnngsentwnrfes besagte: „Die evangelisch-lutherische Kirche ist die Landeskirche des Herzvgthnms Holstein", was zumal bei Schließung gemischter Ehen nnd Taufen der aus solchen entsprungener Kinder strenge gehandhabt wurde. Noch immer wurden die alten äußerst intoleranten Landesgesetze gegen die Katholiken exegnirt. Durfte ja z. B. auch sogar, wenn beide Elterntheile der katholischen Religion zugethan waren, die Taufe an deren Kindern nur der evangelische (lutherische) Prediger des Ortes vornehmen! Nur an den vier privilegirten Orten: Altona, Glückstadt, Kiel und Rendsburg — aber auch da noch unter Beschränkungen - durfte ein katholischer Priester Gottesdienst halten. Gemischte Ehen durften von keinem katholischen Geistlichen eingcsegnet nnd Kinder aus solchen Ehen mußten selbstverständlich durchaus im Lutherthnme wie getauft so auch erzogen werde». Fruchtlos blieben die Petitionen der Katholiken 1859 nnd 1861 an die holsteinische Ständeversammlnng zu Itzehoe um Abnahme der Fesseln. Ihrer Berufung auf Artikel XVI der deutschen Bnndesaete wnrde entgegnet, daß derselbe das .stw rcü'ormunäi in Holstein nicht beseitige. Durch das königliche Gesetz vom 14. Juli 1863 wurden mit Zustimmung der Ständeversammlung endlich die härtesten Gesetze in etwas gemildert. — Im Jahre 1866 fielen Schleswig nnd Holstein an Preußen, wie schon erzählt wnrde, worüber sich zu beklagen, die Katholiken anfänglich eben keinen Grund hatten. Man muß gestehen, daß die Katholiken im eigentlichen Dänemark besser daran waren. Denn die neue dänische Constitution beseitigte für 7* 100 I. Theil. O Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. die Kirche am 5. Juni 1849 die meisten der früheren drückendsten und unwürdigsten Bestimmungen, obwohl sich bisher außer der kleinen katholischen Gemeinde zu Fridericia in Jütland, nur erst in der Hauptstadt Kopenhagen eine solche befindet. Seit 1853 erscheint daselbst ein katho¬ lisches Kirchenblatt; ja im Jahre 1863 wurde dort sogar ganz unbe¬ anstandet eine Mission durch Jesuiten abgehalten. Am 15. November 1863 starb König Friedrich VII. Mit ihm erlosch die direete (Haupt-) Linie des dänischen Königshauses. Zufolge des erwähnten Londoner Prvtokvlles ckcko. 8. Mai 1852 und des Thronfolgegesetzes vom 31. Juli 1853 bestieg nun der sogenannte Pro- tvkollprinz Christian als Christian IX. den Thron, der sich bald mit den deutschen Großmächten in einen für ihn unheilvollen, aber auch für Deutschland nicht Segen bringenden Krieg verwickelt sah. Die nächste Veranlassung dazu lag darin, daß ihm die Sueeessivn in den Herzvg- thümern Schleswig und Holstein bestritten und ihm hierin von der Nationalpartei ein Prätendent in der Person des Prinzen Friedrich C h ri st i a n von Schleswig-Holstein-Sondcrlmrg-Augustenburg, Sohnes des schon genannten Herzogs C h r i st i a n (geboren 1829, vermült mit der Princessin AdelaideVictoria von Hohenlohe-Langenburg) ge¬ genübergestellt wurde. Er erließ ein Manifest ckcko. Dölzig, 16. No¬ vember 1863. Sein Vater hatte aber vvr Jahren das Erbrecht an den „Protokollprinzen" gegen Geldentschädignng abgetreten. Preußen und Oesterreich erkannten diesen zwar nicht an; aber sie hatten andere Gründe genug, sich des von den Dänen mißachteten Rechtes der Deutschen an¬ zunehmen, obschon durch das königlich dänische Patent vom 6. No¬ vember 1858 die dänische G e sa m mt ver f a s su n g vom 2. Octvber 1855 für Holstein und Lauenbnrg außer Kraft gesetzt worden war. Noch bei Lebzeiten Friedrich VII. wurde wegen der königlich dänischen Verordnung ckcko. 30. Marz 1863, welche die Jneorporiruug Schleswigs in den dänischen Gesammtstaat sanetionirte, die deutsche Exemtion angedroht. Christian IX. hob zwar (4. Deeember) jene wieder auf; da aber das königlich dänische Gesetz ckcko. 18. November 1863 die Gesammtverfassung für Dänemark und Schleswig noch immer aufrecht hielt, so deeretirte der deutsche Bund mit Beschluß ckcko. 7. Deeember 1863 die Exemtion, unter dem Oberevmmando des könig¬ lich sächsischen Generallieutenants H. G. Friedrich von Hake. Der königlich sächsische geheime Rath Eduard von Köuneritz wurde zum Europa. Z 30. Die katholische Kirche in Dänemark. 101 Bundes - Civilcommissär für Holstein und Lauenbnrg bestimmt. Am 28. Deecmber stellten Oesterreich und Prenßen zu Frankfurt nm Main den Antrag, Schleswig zu besetzen, wenn die dänische Regierung das Grundgesetz vom 18. November bezüglich Schleswigs nicht aufhebt. Zwar wurde dieser Antrag in der Bundestagssitzung vom 14. Jänner 1864 abgelehnt, aber die deutschen Großmächte erklärten (19. Jänner) dcmungeachtet, allein ungesäumt zur Ausführung schreiten zu wollen. Dies geschah denn auch. Der Kaiser von Oesterreich stellte seine Truppen unter Feldniarschall-Lientenant Gablenz unter den gemein¬ schaftlichen Oberbefehl des preußischen Feldmarschalls Freiherrn (nach¬ mals Grafen) Wrangel (geboren 1784, gestorben 1877). Die Dänen räumten das „Danewerk" (5. Februar); verloren gegen die Oester¬ reicher die Schlacht bei Oeversee (6. Februar); wurden von ihnen wieder (9. März) bei Veile geschlagen; am 18. April erstürmten die Prenßeu unter dem Prinzen Friedrich Carl, des Königs Neffen, die festen Düppeler-Schanzen; am 29. g. M. gaben *dic Dänen Friederieia auf; siegten (9. Mai) zur See trotz Uebermacht zu Cuxhaven nicht über die ruhmvoll kämpfenden zwei österreichischen Fregatten „Schwarzenberg" und „Radetzky" unter Capitän von Tegetthoff. Die Londonercon- fercnz beschloß am 9. Mai 1864 eine vierwöchige Waffenruhe, welche dann etwas verlängert wurde. Nach deren Ablauf begann Ende Jnni der Krieg von Neuem. Die Preußen setzten auf die Jusel Alseu über, die sich binnen weniger Stunden in ihrer Gewalt befand. — Endlich kam nach längeren Verhandlungen am 30. October 1864 zu Wieu der Friedensschluß zwischen Oesterreich und Preußen einer- und Dänemark andererseits zu Stande, dessen dritter Artikel also lautet: „Se. Majestät der König von Dänemark verzichtet ans alle seine Rechte ans die Herzog- thümer Schleswig, Holstein und Lttuenbnrg zn Gunsten Ihrer Maje¬ stäten des Kaisers von Oesterreich und des Königs von Prenßen und verpflichtet sich, die Verfügungen, welche Ihre genannten Majestäten hinsichtlich dieser Herzogthümer treffen werden, anznerkennen." > Schon während des gemeinschaftlichen Besitzes der Herzogthümer Seitens Preußens und Oesterreichs ') konnten sich die Katholiken einiger Erleichterungen erfreuen. 9 Preußischer Civilcommissär war Freiherr von Zedlitz; österreichischer aber Gras Rcvertera — später Freiherr von Halbhuber. 102 I- Theil. 0 Hauptstnck. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Eine Verordnung vom 23. April 1864 bestimmte, daß der freien Religivnsübung der der Landeskirche Schleswigs nicht angehörenden Bewohner nirgends ein Hinderniß in den Weg gelegt werden soll. Der Bischof voil Osnabrück, als Provicar der nordischen Missionen, erhielt (4. Juli g. I.) die Erlaubnis? zur Gründung einer katholischen Missions- Pfarrei zn Flensburg; auch zur Einrichtung einer Hauscapelle; die Ge¬ nehmigung zum Neubau einer Kirche mit Thurm und Glocken, sowie überhaupt die völlige Regelung der Angelegenheiten der katholischen Kirche behielt sich die Regierung noch zur Entscheidung in nächster Zeit vor. Als das schleswig'sche Gouvernement der Einweihung des katho¬ lischen Gotteshauses in Flensburg doch Hindernisse in den Weg legte, reclamirte dagegen, als eine Verletzung der gemeinschaftlichen, die freie Religivnsübung aussprechendcn Verordnung die holsteinische (österrei¬ chische) Statthalterschaft, worauf dieselbe bewilliget wurde. Nach der Abtretung der Hcrzogthümer an Preußen und Oester¬ reich, beziehungsweise an die erstgenannte Macht in Folge des Krieges der beiden deutschen Großmächte 1866, ') erhielt Dänemark eine neue vom Könige Christian IX. am 28. Juli 1866 sanctivnirte Ver¬ fassung, die sowohl an die Stelle der Constitution vom 5. Juni 1849, nach welcher Jütland und die Inseln regiert wurden, als auch an die Stelle jener vom 18. November 1863, welche die gemeinsamen Ange¬ legenheiten Dänemarks und Schleswigs ordnen sollte, trat. In derselben ist die evangelisch-lutherische Kirche als Nationalkirche Dänemarks anerkannt. Aber auch die katholische Kirche genießt Religionsfreiheit. Der König dehnte dieselbe ohne die geringste Einschränkung auch ans Island ans, wo der Missionar Bando in, ein französischer Priester (seit etwa 1859 in Island), nun um so erfreulichere Erfolge erzielen konnte. Im August 1873 wurde das nengestiftete katholische Gymnasium zn Ordrnp in der Nähe von Kopenhagen eingeweiht und haben Katho¬ liken den Grund zum Aufbaue einer neuen Kirche in Aarhus erworben. Besondere Anerkennung gebührt auch den in Dänemark, zn Kopenhagen und anderwärts eifrig thätigen Schulschwestern. ') Am l. Juli 1876 ist auch das Hcrzogthum Lauenlmrg in den Staats- verbaud der preußischen Monarchie als „Kreis Herzogthmu Laueuburg" eiugetretcn. Europa. Z 31. Die katholische Kirche in Schweden und Norwegen. 103 tz 31. Nie katholische Kirche in Schweden nnd Norwryen. In Schweden war 1844 König Carl XIV. Johann (Ber¬ nadotte) gestorben und ihm sein Sohn Oscar I. in der Regierung gefolgt. Daselbst dauerte kraft der Verfassung vom Jahre 1809 die alte Intoleranz gegen die Katholiken fort, ungeachtet Z 16 der Charte lautet: „Der König soll Niemandes Gewissen zwingen oder zwingen lassen, sondern einen Jeden bei freier Ausübung seiner Religion schützen"; welchen Paragraph man nur dahin auslegte, daß, wenn etwa der König ealvinisch würde, er die lutherischen Schweden nicht zwingen könne, es auch zn werden. Jeder, der zur katholischen Kirche übertrat, setzte sich der Güter- evnfiscation und Landesverweisung aus, nnd dennoch fehlte es nicht an Uebertritten. So wurde der Maler Nilson ans der angegebenen Ur¬ sache verbannt, und als im Jahre 1854 sieben Personen weiblichen Geschlechtes, darunter sechs verehelichte mit Kindern, übertraten, traf sie dasselbe Loos ans Grund des Gesetzes vom 3. September 1686, welches da lautet: „Wer von der rechten evangelischen Lehre abfallt und zn einer irrigen übertritt, wird ans dem Königreiche Schiveden verwiesen, nnd jeder Erbschaft und jedes bürgerlichen Rechtes verlustig erklärt". Kraft 7. oap. 4 des Erbgesctzes wurde der im Auslande katholisch gewordene Friedrich Lindholm 1854 für unberechtigt erklärt, in Schweden eine Erbschaft zn erheben. Der Gesetzentwurf vom Jahre 1856 über größere Religionsfrei¬ heit blieb ein frommer Wunsch. König Oscar I. selbst hatte bei Er¬ öffnung des Reichstages am 26. October 1856 einige Milderungen des bisherigen intoleranten Religionsgesetzes vorgeschlagen; seine Pro- Positionen wurden zwar wohl vom Bürgerstande angenommen, von der Ritterschaft und von dem Priester- und Bauernstände aber verworfen. Der königliche Gerichtshof in Stockholm vernrtheilte noch am 19. Mai 1858 wieder sechs Frauen, fünf aus ihnen Familiemnütter, wegen ihres Uebertrittes zur römisch-katholischen Kirche zur immerwährenden Ver¬ bannung und zum Verluste der Erb- nnd bürgerlichen Rechte. Anlangend Norwegen, so hatte König Oscar den Katholiken zn Christiani« die provisorische Erlaubniß ertheilt, einen katholischen Pfarrer zn haben, und dem Gottesdienste bcizuwvhnen. Auch genehmigte er das auf dem Storthing 1845 beschlossene Dissidentengesetz, welches in 19 Para- 104 I- Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. graphen mitunter erhebliche Erleichterungen der Katholiken enthält. Freilich bestimmt H 7 noch immer, daß die Ehe zwischen einem Lutheraner und einem Dissidenten (wozu auch die Katholiken gezahlt werden) durch die Einsegnung der Staatskirche geschlossen werde. Auch waren noch immer Katholiken von höheren Staatsämtern ausgeschlossen und dürfen sich Jesuiten und Mönche im Lande nicht anfhalten. König Oscar starb am 8. Juli 1859. Ihm folgte sein Sohn Carl XV. Zwar wurde auf dem Reichstage zu Stockholm, Mai 1860, der königliche Vorschlag wegen Beseitigung der Landesverweisung und Güter- confiscation für Solche, die von der lutherischen Staatskirche zu einer andern Confessivn übertreten, von drei Ständen genehmiget; doch bleibt ein solcher Uebertritt noch großen Beschränkungen ausgesetzt und hat auch nach dem neuen Religionsgcsetze sehr empfindliche Folgen, z. B. meist Entlassung vom öffentlichen Amte. Das erwähnte Religionsgcsetz: „Sr. königlichen Majestät gnädige Verordnung betreffend die Bekenner eines fremden Glaubens und deren Religivnsübung; gegeben im Schloß zu Stockholm den 23. Oktober 1860" enthält 17 Paragraphe. Z 1 sagt unter Anderem: „Oeffcntliche kirchliche Verrichtungen und Andachtsübnngen können nur innerhalb der Kirche, Bethaus oder Friedhof einer Gemeinde vorgenvmmen werden." H 6 lautet ganz kategorisch: „Nicht erlaubt ist ein Mönch- oder Nonnen¬ orden, noch die Errichtung eines Klosters." Z 9 und 10 handeln vom Aufgebot, Trauung und Kindercrziehnng. Bei einer gemischten Ehe, wenn nämlich ein Theil der schwedisch-luthe¬ rischen Kirche angehört, muß die Trauung von der „Priesterschaft der schwedischen Kirche" vorgenvmmen werden. Wenn der Vater der schwe¬ dischen Kirche angehört, so müssen alle Kinder in der „reinen evan¬ gelischen Lehre" erzogen werden. ß 13 lautet: „Mit den Einschränkungen und Aus¬ nahmen, welche vom Grundgesetz und dieser Verord¬ nung bestimmt oder bedingt werden, soll von der Ver¬ schiedenheit im christlichen Glaubensbekenntnisse kein Unterschied in den Rechten und Pflichten von schwedischen Mitbürgern hergeleitet werden." tz 14 und 15 handeln von den Bedingungen des „Abfallens von der reinen evangelischen Lehre" und wann ein solcher „Abtrünniger" allen falls in dem von ihm bekleideten öffentlichen Amte belassen werden könne. Europa. Z 31. Die katholische Kirche in Schweden und Norwegen. 105 Im December 1865 wurde eine große Umgestaltung der bisherigen schwedischen Verfassung dnrchgefnhrt. Die bisherigen vier Stände, nämlich der Adel, die lutherische Geistlichkeit, der Bürger- und Bauernstand, wurden in zwei Kammern — in die erste und zweite — wie sie in anderen constitntivnellen Staaten bestehen, znsammcngezogen. Gewählt in die Kammer können nur Protestanten werden. Die Eröff¬ nung des ersten neugewühlten Reichstages mit diesen zwei Kammern hatte am 19. Jänner 1867 statt. Den im Jahre 1866 eingebrachten Vorschlag zur Abänderung des Z 28 der Regiernngsform: „daß den Bekennen: anderer Glaubens¬ lehren, als der rein evangelischen, Zutritt zu verschiedenen Staatsümtern zn gestatten sei", lehnten die beiden Kammern ab. Doch nahm am 17. Februar 1870 der schwedische Reichstag ein Gesetz an, das den Dissidenten (Nichtlutherancrn) und Juden die Wählbarkeit und das Recht zn Aemtern, mit Ausnahme der Ministerstellen, gewährte. Noch untern: 16. November 1861 war eine königliche Verordnung erflossen betreffend die Verantwortlichkeit Dessen, welcher einen Anderen zum Abfall von der evangelisch-lutherischen Lehre zu bewegen sucht. Darin werden die Strafen dafür festgesetzt. Jetzt darf man wohl „fremde Lehren" — also auch der katho¬ lische Priester die Lehren seiner Kirche — öffentlich verkündigen, „wenn die Leute nur nicht ans der Staatskirchc aus¬ treten". (Also blos etwa zur Unterhaltung oder zur Befrie¬ digung müssiger Neugierde!) Uebrigens wird die Toleranz der Schweden i n: P ri v a t v c r k e hr gelobt. Den: katholischen Priester begegnen sie mit Achtung. (Ans den Mittheilnngen des Bernhard Graf von Stolberg, katholischer Pastor zn Malmö. ') Als (1861) die Witwe Königs Carl XIV. Joh ann (Berna¬ dotte), Desideria, starb, protestirte der lutherische Erzbischof gegen ihre Beisetzung in der für die königlichen Personen bestimmten Begräb- nsßkirche, weil sie katholisch gewesen und die Kirche dadurch entheiliget würde. (!) ?) ') Im Jahre 18/2 wurde eben zn Malmö eine katholische Kirche eröffnet; zn Gothenburg besteht eine solche schon seit l 5 Jahren. In Stockholm gibt cs außer der eigentlichen Kirche anch drei Capellen mit Schulen nnter geistlichen Lehrern. h Der apostolische Vicar in Stockholm Laurentius Stu dach (geboren am 106 I- Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Am Tage der Promulgation des Dogma von der unbefleckten Em- pfängniß beschloß Papst Pius IX. die Gründung der apostolischen Präfeetur der Polarländcr; das Ausführnngsdeeret wurde nm 3. De¬ cember 1855 erlassen. Diese Prüsectur umfaßt Lappland, Island, die Faroer-, die Shetland- und Orcadcninscln, Grönland und die Pvlar- lander Amerikas, von der Baffinsbay bis zur Insel Melville, mit etwa 300.000 Seelen, aber nur erst 220 Katholiken und acht Priestern. — Unter der Leitung Etienne (Stephan) cka I).jnnIcovv8Üi'8, eines russischen Convertiten, als apostolischen Präfecten, ging im April 1856 eine Mission nach Lappland ab. Sie bestand außer dem Präfecten aus fünf Missivnspriestcrn; nämlich zwei Franzosen und drei Deutschen. Ihr Mittelpunkt war anfänglich St. Olavshafen unterm 70» u. Br. Die königlich norwegische Regierung genehmigte (2. September 1856) die Mission; weshalb auch die Eröffnung eines Seminars anstandslos vor sich ging. Nur in Island fetzte man der Mission und ihrer Wirksamkeit Hindernisse entgegen. Bis zum Jahre 1861 waren bereits vier Sta¬ tionen gegründet; nämlich: Altengaard und Tromsö im norwegischen Lappland; Thvrshaven auf den Faröcrinseln und Rehkiawik auf Is¬ land; wozu noch die beiden Posten Lerwick auf den Schetlandsinseln und Kirkwall auf den Orcaden kommen, st Ein Decrct der Propaganda theilte 1869 die Nvrdpvlmisfion in vier Theile; der Bezirk Finnmarken-Lapplaud wurde mit Norwegen zu einer apostolischen Präfeetur erhoben; die übrigen Theile den angren¬ zenden Landern Dänemark und dem nördlichen Schottland zngcwiesen. Laut Berichtes des apostolischen Präfecten von Norwegen und Lappland, B. Bernard, «icko. 19. März 1878, umfaßt diese Mission nunmehr sieben Stationen: Christiania, Fredcrikshald, Bergen, Trond hiem, Tromsö, Altengaard, Hammerfest. Am 18. September 1872 starb König Carl XV. Ihm folgte 25. Jänner 1796 zu Altstetten im Clinton St. Gallen) ist auch als Schriftsteller bekannt, z. B. Verfasser von „Die Urreligion oder das entdeckte Uralphabet". Er starb am 9. Mai 1873 und erhielt zum Nachfolger Johann Georg Huber — in Baiern gebürtig. st Djuukowski — geboren 1821 zu Petersburg — früher in London, fiel leider (1867) wieder zum russischen Schisma ab; heiratete eine Amerikanerin und zog nun in Zeitungen u. dergl. wacker über den Papst und die katholische Kirche los. Er starb zu Petersburg am 25. März 1870 als Mitglied der hl. Synode und der Missionsgesellschast. Europa. Z 31 Die katholische Kirche iu Schweden und Norwegen. 107 sein ältester Bruder, Prinz Oscar, Herzog von Ostgotland, als König Oscar II. Mit dem Datum 31. October 1873 erschiene« zwei neue könig¬ liche Bervrdnungeu in Religivns- und Kirchensacheu, die erste unter dem Titel: „Seiner königlichen Majestät gnädige Verordnung, betreffend die Abänderung von gewissen Thcilen des Kirchengesetzes mit den dazu gehörenden Bestimmungen" in vier Paragraphen, von denen der Z I besagt, daß kein Mitglied der schwedischen Kirche als ans derselben aus¬ getreten betrachtet werden dürfe vor dem gesetzlichen Alter (18. Lebens¬ jahr); Lj 2 aber, daß „Ehebündnisse zwischen einem Mitgliede der schwedischen Kirche und einem Bekenner einer fremden christlichen Con¬ fessio«, ') wenn Beide es begehren, durch Trauung abgeschlossen werden sollen, auf die Weise, welche das Kircheuhandbnch für Ehcbündnisfe zwischen Mitgliedern der schwedischen Kirche vorschreibt." Die zweite Verordnung hat den Titel: „Seiner königlichen Majestät gnädige Verordnung, betreffend die Bekenner eines fremden Glaubens und deren Neligionsübung." Der sechste ans den 19 Paragraphen nor- mirt die religiöse Erziehung der Kinder aus sogenannten gemischten Ehen. Ein solches Kind z. B. ans der Ehe eines katholischen Theils mit einem der schwedischen Kirche angehörigen soll in der evangelisch¬ lutherischen Ehe erzogen werden. Ein anderes Abkommen der Ehegatten hat nur Giltigkeit, wenn es vor dem Abschluß der Ehe schriftlich aufgesetzt und vorgezeigt worden ist. Der tz 12 lautet wörtlich: „Ein Mönchs- oder Nonnenorden oder Kloster soll im Reiche nicht errichtet werden" n. s. w. — Z 15: „Bekleidet Jemand, der sich zum Austritt ans der schwedischen Kirche -) meldet ein Amt, dann soll er davon ent¬ fernt werden, wenn nicht das Amt derartig ist, daß er ohne Rücksicht auf sein Glanbensbekenntniß zu demselben ernannt werden konnte, und wenn der König oder die Behörde, welche das Amt zu besetzen hat, es für begründet findet, ihn darin zu behalten". Immerhin begrüßen wir in diesen Verordnungen einen Fortschritt M Toleranz, soweit übrigens dieselben von voller gesetzlicher Gleich¬ berechtigung der Katholiken mit den Angehörigen der schwedisch-luthe¬ rischen Staatskirche noch entfernt sein mögen. ') Also auch der katholischen Kirche. 0 Also auch, wenn er zur katholischen Kirche übertritt. 108 1 Theil. I. Hauptstück. Erlcbmsso und Schicksale der kath. Kirche. In Norwegen hat die Versammlung des Storthing am l 2. März >878 mit 88 gegen 22 Stimmen den Artikel über Religionsfreiheit, welcher bestimmte, das; von den öffentlichen Acmtcrn alle Diejenigen ausgeschlossen seien, die nicht zur lutherischen Kirche gehören, abgeändert, und diese Ausschließung nur auf die Person des Königs, der Minister und der Richter beschränkt. Es sei erwähnt, daß in neuer Zeit kühne Nvrdpolfahrcr zumal ans Großbritannien und Nord-Amerika allen Gefahren Trotz boten; aber Niemand drang früher so weit vor, als die am >3. Juni >872 von Bremerhaven aus abgegangenc österreichisch-ungarische Nordpol-Expedition unter Oberlientenant Payer und Marine-Lieutenant Wey p re ch t auf dem Schraubendampfer „Tegetthoff". Das Schiff mußten sie zwar im Eise zurücklassen; aber die kühnen Reisenden erreichten den 83. Grad nördlicher Breite, wo sie den äußersten Punkt „Cap Wien" benannten. Am 25. September 1874 trafen sie in Wien ein, wo sie mit unbe¬ schreiblichem Jubel empfangen wurden. Der Schwerpunkt Oesterreichs schien —- bemerkte der Bolkswitz — nach dem Nordpol verlegt. Ge¬ wissen Freunden (scnlnmt) Oesterreichs wäre dies zweifelsohne noch lieber als die von ihnen vorgcschtagcne Verlegung nach Buda-Pest. Die bald darauf abgegaugene englische Nordpolexpedition unter Capitän Rares kehrte (Oetvber >876) zurück, nachdem sic die Un¬ möglichkeit erkannt hatte, den Nordpol zu erreichen. Eine Abtheilung war sogar bis zum 83" 20' — wie noch nie Jemand zuvor — vor¬ gedrungen. In Folge der ungeheueren Kälte starben vier Mitglieder der Expedition. 8 32. Die katholische Kirche in Uulrlnn- (Polen). Bereits am 3. August (22. Juli a. St.) >841 hatte Pius IX. mit dem Czar Nicolaus I. von Rußland eine Convention abge¬ schlossen, nm die der katholischen Kirche dort in neuester Zeit geschla¬ genen Wunden in etwas zu heilen, welche am >5. (27. a. St.) No¬ vember desselben Jahres ratificirt worden war (siehe Alloeution vom 3. Juli >848 und Breve vom selben Datum an die Ordinarien des russischen Reiches); aber zur vollständigen Ausführung gelangte sie nie. Zwar wurden damals dem Papste einzelne Zugeständnisse ge¬ macht. Noch im Jahre >847 konnte z. B. Pius IX. für die katho¬ lischen Armenier in Rußland zwei Bisthümer errichten: zu Kaminieez Europa. Z 32. Die katholische Kirche in Rußland (Polen). 10!) und Cherson. Bis zur Ernennung eines eigenen Bischvfes sollte der lateinische auch die orientalischen Christen mittelst eines Viears von ihrem Ritus leiten. Im eigentlichen Rußland (urit Ausschluß vou Polen) wurde, eben wie in der Convention bestimmt worden (siehe kaiserlicher Ukas vom II. December 1848), die römisch-katholische Kirche in folgende sieben Eparchieu oder Sprengel eingetheilt: Mohilew (Erzbisthum), Wilna, Telschew (Telseä) oder Samvgitien, Lnzk-Schitomir, Kaminiccz, Minsk und Cherson-Tiraspol. Nichtsdestoweniger dauerte die von der Regie¬ rung systematisch betriebene Unterdrückung der katholischen Kirche fort. Im Jahre 1851 wurde zwar der bisherige Coadjntvr Ignaz Hvlo- winsky zum Erzbischof von Mohilew, Metropoliten aller römisch- katholischen Diöeesen und Präsidenten des römisch-katholischen Kirchen- cvlleginms ernannt (gestorben 1855); ') aber noch immer blieben viele Sprengel, zumal im Königreiche Polen fast alle, verwaist und wurden nur von Administratoren verwaltet. Im Jahre 1854 war von den zur Warschauer Kirchenprovinz gehörigen neun Bisthümern nur das Vis- thum Lublin besetzt. Ebenso wurde trotz der Convention die Anerkennung anderer we¬ sentlicher Rechte von Seite Rußlands noch immer der Kirche verwei¬ gert, als z. B. der freie Verkehr der Gläubigen mit dem apostolischen Stuhle; die Abänderung des über die gemischten Ehen bestehenden Ge¬ setzes, nach welchem nur die unter Assistenz der schismatischeu Priester eiugegaugeneu Ehen als giltig angesehen werden, und kein katholischer Priester Kinder ans gemischten Ehen taufen darf; die Aufhebung des Verbotes der Bekehrung eines Schismatikers zur katholischen Religion und der Cvmuiunivn irgend Jemandes, der nur einmal nach griechischem Ritus das Abendmahl empfangen u." dergl. Sogar die Einführung des „Mäßigkeitsvereines" durch katholische Priester wurde strengstens ver¬ boten. Warnin? weil das Recht Brantwein zu schenken, von der Regie¬ rung verpachtet war und so eine ergiebige Quelle des Staatseinkom¬ mens ausmnchte. Daher der Finanzminister 1859 untersagte, die Enthaltsamkeit von Spirituosen den Bauern zu predigen. (!) Der frvnime ') Scin Bericht an den hl. Vater Mio. 10. Mai 1851 über den Zustand der katholischen Diöeesen lautet kläglich: „dlnlnnwiiin. «mim nports prnv so torodnt, iiullnm Iinlrvrv voluntntvm, vol minimnin o.jns, svil, (loneorünti, Nrtioulnin nüimploinli." 110 1 Theil. 1. Hauptstlick. Erlebnisse nnd Schicksale der kath. Kirche. Bischof von Samvgitien, W o l v n e z e w s k i, mußte seine diesbezügliche heilsume Thätigkeit entstellen (1860). Die Aluuiueu des uuirten Cleriealsemiuars zu Chelm sollen zur Vollendung der theologischen Studien au die schismatische Faenltät zu Kijcw geschickt, dawiderhandelndc auf 15 Jahre unter das Militär ge- steckt werden (Verordnung vom Jahre 1853). Der Papst führte bittere Klagen über solche Zustände im Breve . 6. Juni 1861 an den noch im selben Jahre gestorbenen Erzbischof von Warschau Anton Melchior Fialkvwsky, worin er auch bemerkt, daß er 1859 in einem vertraulichen Schreiben vom 31. Jänner an den Czar Alexander ll. selbst (beantwortet am 31. März), diesen beschwor, daß ein päpstlicher Nuntius die kirchlichen Geschäfte in Rußland nud Polen sollte besorgen können. Also sei es eine ungerechte Beschuldigung Einiger, daß sich der hl. Vater nm die religiösen Bedrängnisse der Polen wenig kümmere. Als 1854 der sogenannte orientalische Krieg zivischeu Rußland einerseits und anderseits der Türkei und den sie unterstützenden Mächten Frankreich und England ansbrach, schützte sowohl die schismatische, als auch die katholische und Protestantische Macht religiöse Interessen vor, nm deren Wahrung es sich zunächst handle, während doch offen dalag, daß Rußland nichts anderes beabsichtige, als seinen lang ge¬ hegten Plan, sich Constantinvpels zu bemeistern und der türkischen Herr¬ schaft in Europa ein Ende zu machen, anszuführen, was Frankreich und England (die alliirten Westmächte) um jeden Preis zu vereiteln sich entschlossen. Tas Glück entschied gegen Rußland. — Der erste Kriegsschauplatz war das Balkan- und Donaugebiet, wo Fürst Pas- kie witsch die Belagerung von Silistria aufheben mußte (21. Juni 1854). Darnach wurden die Russen in der Krim angegriffen. Hier gesellten sich zu den Westmächten auch die Sardinier unter General L a m a r m o ra, spielten aber nur mehr die Zuschauerrolle. Sardinien hätte sich nämlich schon damals gerne als Großmacht gerirt. Den ver¬ lorenen Schlachten an der Alma (20. September; bald darauf, am 29., starb der christlich fromme französische Marschall St. Arnaud an der Cholera, wornach General Canrvbert das Obereommandv übernahm) und bei Jnkermann (5. November 1854) folgte nach hart¬ näckiger Belagerung') die Einnahme Sebastopols (8. September 1855), welche zum Pariser Frieden (30. März 1856) führte. ') Während des Krinifcldzngcs zeichneten sich die barmherzigen Schwestern Europa. Z 32. Die katholische Kirche iu Rußland (Polen). )) ) Dieser Vertrug, respeetive die als Anhang beigefügte Speeialevn- Veutivu (9. Februar (2. Mürz) 1876 wurde ganz Chokand förmlich dem russischen Reiche einverleibt. Die Russen thaten es — laut der Proclamativn selb stv erstä nd l i ch (?> zunächst nur im Namen der C i v i l i s a t i o n, welche zu verbreiten sie. sich berufen fühlen. (Beweis auch das Schicksal der Unirten in Ru߬ land !) Welche Grausamkeiten und Scheußlichkeiten, nicht geringere, als jene der Türken in Bulgarien (1876) sich die Russen in Turkestan zu Schulde» komme» ließe», erzählt der amerikanische Generaleonsul in Cvn- stautinopel Schuyle r. Das in England erschienene „Iba bluelr Ilooü ot' It-u^siu« („Das schwarze Buch Rußlands") schildert gleichfalls im Gegensätze zu den Schaudthateu der Türken in Bulgarien die Grausamkeiten der Russen im letzten polnischen Aufstande. Bis znm Jahre 1876 hat sich während der zwanzigjährigen Re¬ gierung des Kaisers Alexander II. der Flächeninhalt des russischen Reiches bereits nm 35.347 Qnadratmeilen und die Einwohnerzahl um 22,546.000 Seelen vermehrt. - Jener beträgt nun 401.453 Ouadrat- meilen; diese 87,746.000 Seelen. Ob die vom Kaiser Alexander II. angestrebte Bauern-Eman- eipation (das bezügliche Manifest -ist vom 19. Februar 1861 a. St. datirt; die Zahl der Leibeigenen nur im europäischen Rußland betrug rund 10 Millionen!) vollkommen gelingen und dem Reiche frommen werde, ist noch problematisch. Hie und da entstanden Banerntumulte, die mit Gewalt niedergeschlagen wurden. Die Bauern verstanden unter Freiheit eben leicht Zügellosigkeit, und meinten, daß sie bisher von ihren Grnndherren ganz widerrechtlich in Botmässigkeit ge¬ halten worden waren. Natürlich war der Adel damit nicht zufrieden, und gab sich unter demselben eine sehr gereizte Stimmung gegen die Regierung kund. Stcpischncgg, Papst Pius IX. und seine Zeit. II. Bd. g 114 1- Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Am 4. April 1866 überfiel in St. Petersburg ein russischer Edel- mann den Czar Alexander II. meuchlings. Ein zufällig daneben stehender Bauer rettete den Kaiser. Es war wohl eine von der Kriegsbedrnngniß abgenöthigte, dem Katholieismus gemachte Conccssion, daß für die Cadetten-Cvrps zu Nowgorod, Orel, Tnla, Woronesch und Tambvff römisch-katholische Religionslehrer angestellt wurden (1854). Ein gewisser Andreas Tvwianski, polnischer Abstammung, mystischer Schwärmer, wollte eine neue religiöse Seele stiften, indem er gleich allen vermeintlichen Reformatoren vorgab, das Christenthum ans seine ursprüngliche Reinheit zurückzuführen. Zu seinen begabtesten Schü¬ lern gehörte der 1855 zu Paris gestorbene Dichter Mickiewiez. Zu der am 7. September 1856 in Moskau stattgehabten Krö¬ nungsfeierlichkeit des Czaren Alexander II. hatte auch der Papst einen Gratulanten und zwar den Fürsten Fabio Chigi, Erzbischvf von Myra i. p. (sodannigen Nuntius zu München und Paris) abge¬ sandt und bei dieser Gelegenheit wieder ein eigenhändiges Schreiben dclo. 4. August 1856 an den Kaiser gerichtet. Derselbe wurde zwar mit der größten Auszeichnung vom Kaiser empfangen und behandelt; der Czar selbst versicherte in seinem Schreiben dcko. 4. September 1856 „an Pius IX., obersten Bischof der römischen Kirche und souveränen Fürsten des Kirchenstaates" (so lautet die Aufschrift) den hl. Vater seiner „freundschaftlichen Gesinnungen"; aber die Hoffnungen, welche man daran sür die endliche günstige Regelung der Verhältnisse der katho¬ lischen Kirche knüpfte, gingen nicht in Erfüllung. — Als im Jahre 1857 der Adel der Gouvernements Witebsk und Minsk in einer Adresse den Kaiser unter Anderem bat, daß die in Trümmern liegenden katho¬ lischen Kirchen wieder hergestellt und nach Bedürfnis; auch neue erbaut werden möchten, erhielt er einen strengen Verweis, daß er „Gesuche ohne allen vernünftigen Grund" vorgelegt hätte. Freilich wohl, Kirchen für die Schismatiker wurden erbaut, auch wo dazu kein Bedürfnis; vvrlag. Ein Ukas des Czar Alexander decretirte eine „Gesellschaft zur Wiederherstellung des orthodoxen Glau¬ bens im Kaukasus", deren Schutz die Kaiserin übernahm, und deren Präsident der Statthalter sein solle. (!) ') ') Ein anderer Missionsvercin, gleichfalls unter dein Patronate der Kaiserin stehend, hat den Zweck, das Christenthum unter den russischen Götzendienern von Europa. Z 32. Die katholische Kirche in Rußland (Polen). 115 Das Signal, welches Napoleon gab zur Befreiung der Nationali¬ täten aus fremdem Drucke und welches in Italien unter seiner Mit¬ hilfe solche Erfolge hatte, blieb auch von dell Polen nicht unbeachtet. Da eine gewaltsame Erhebung wider die russische Herrschaft augen¬ blicklich noch nicht räthlich war, begnügte inan sich einstiveilen mit klein¬ lichen Demonstrationen. Man sang in den Kirchen Warschaus national¬ religiöse Lieder ungeachtet des Regiernngsverbvtes. Es fanden darob blutige Kollisionen mit der bewaffneten Macht statt, so am 8. April 1861. Der Clerus verhielt sich meist passiv, wie selbst der greise Erz¬ bischof Melchior Fi alk o w s k i; nur hie und da Einer betheiligte sich an dem ungesetzlichen Treiben der Ultra, vergessend, daß die Religion wohl die Patriotische Liebe zur eigenen Nation und Sprache billige, aber liie zum Deckmantel politischer Bestrebungen dienen dürfe. ') Ganz nach Recht und Pflicht handelte aber der polnische Episkopat, als er in einem Memorandum ckcko. 25. September 1861 an den Statthalter Grafen Lambert Befreiung der katholischen Kirche von ihren drückenden und wahrhaft entwürdigenden Fesfeln verlangte und erklärte, er könne nicht länger in schuldvollem Schweigen verharren. Hatte ja ein kaiserliches Dccrct vom 28. Mai 1860 sogar verboten, unbekannte Personen zur Beichte zuzulassen. Wessen der fanatische Nationalitätsschwindel fähig sei, zeigte er auch in Polen, als der katholische Bischof von Kujavim und Kalisch, von M o r v z e w s ki, von seinen eigenen Diöcesanen auf seiner Wall¬ fahrtsreise nach Czenstochau (8. September 1861) in Lenczyc mißhan¬ delt wurde, weil er (nach ihrem Dafürhalten) zu wenig zur Natioual- partei hielt und zu regierungsfreundlich gesinnt Ivar. Am 5. Octvber 1861 starb, wie schon erwähnt, der genannte Erz¬ bischof von Warschau Melchior F in l k o w s k i (geboren 1778), worauf das Metropvlitaueapitel den Canonieus Anton Bialob rzeski als Capitnlarviear aufstellte, welcher alsbald sein Amt antrat, ohne die Altai und Baikal zu verbreiten. Er hat zwei Classen von Mitgliedern: die „Schützen" und die zahlenden „Eiferer". >) Auch in Oesterreichisch-Pvlen versuchte inan hie und da politische Demon¬ strationen in den Kirchen oder bei kirchlichen Andachten; wogegen der Erzbischof von Lemberg am 16. März und am l8. November 186 l und der Bischof von Tarnow am 2L. Oktober >86l strenge Verbote erließen, was ein päpstliches Breve an den Erzbischof vom 17. März 1862 vollkommen billigte. 8* 116 I. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Bestätigung der Regierung anzusuchen, welches Recht diese ohne Gründ beanspruchte. Tie Vorkehrung einer neuen Wahl, Ivie die Regierung verlangte, wurde vom Tvindechant zu Warschau, Dekert, verweigert. Deshalb und mehr noch weil Bialobrzeski die Kirchen War¬ schaus sperren ließ, indem er sie durch das Einschreiten des Militärs, welches in denselben Verhaftungen von Solchen vvrnahm, die darin ver¬ botene Lieder sangen, für entweiht erklärte, vernrtheilte ihn das Militär¬ gericht zum Tode; der Kaiser jedoch begnadigte ihn zuerst zur einjäh¬ rigen Festungsstrafe ohne Verlust seiner kirchlichen Würde und seines Ordens, dann gänzlich. Harte Strafen trafen auch andere Mitglieder des Metrvpvlitancapitels und sonstige Priester. Mehrere wurden nach Sibirien transpvrtirt. ') Der neue Erzbischof von Warschau (Michael) Sigismund Felix F e li n s ki, -st früher in St. Petersburg angestellt und anfänglich der Regierung eine persona K-rata, wurde 1863 in das kaiserliche Schloß Gatschina abgeführt, bald aber nach Jaroslaw (in Grvßrnßland) internirt, weshalb der Warschauer Generalviear Paul Rzewnski eine allgemeine Kirchentraner in der ganzen Erzdiveese anvrdnete. A l s H a n p t g r n n d der Jnternirung schützte Fürst G o rtsch a- koff vor, daß der Erzbischof in einem Schreiben an den Czar sich für die Wiederherstellung eines unabhängigen Polens, zwar wohl unter russischer Oberhoheit, aussprach. Die wahre Ursache war aber doch keine andere, als, daß sich der Erzbischof überhaupt als ein nicht so gefügiges Werkzeug offenbarte, wie cs die Regierung erwartete. Gegen das Hängen des Kapuziners Konacski hatte er prvtestirt. Wie zu erwarten, blieb wie früher die Adresse der lithanischen Bi schüfe ätlo. 30. Jänner 1862, so auch das Schreiben des hl. Vaters an den Czar . 22. April 1863, worin er Recht und Gerechtigkeit für die katholische Kirche, zumal in Polen verlangte, und sich auf das frühere, unbeantwortet gebliebene Schreiben üüo. 31. Jänner I85V be¬ zieht, ganz erfolglos. Der Papst dachte ernstlich daran, einen Nuntius an den Hof von >) Am 23. März 1862 starb Carl Robert Graf Ncsselrodc (geboren 14. December 1780), rassischer Reichskanzler (seit 1844), in welchem Amte ihm Fürst Gortschakoff folgte. 0 Uaterm 20. Februar 1862 erhielt er ein sehr liebevolles, nnfmnnterndes Schreiben vom hl. Vater. Europa. Z 32. Die katholische Kirche in Russland (Polen). 117 St. Petersburg zu senden; verzichtete aber wieder darauf, weil er es mit der Würde der katholischen Kirche für unvereinbarlich hielt, in das Begehren der kaiserlich russischen Regierung zu willigen, daß der Nuntius seine Beziehungen zu dem katholischen Cle- rus in Rußland nur durch die kirchliche Cultnsdirec- tivn unterhalte (1862). Zur förmlichen Abschaffung jener barbarischen Gesetze, welche jeden Priester, der mit dem päpstlichen Stuhle oder seinen Abgesandten ver¬ kehrt, nach Sibirien verbannen, ließ sich der Czar nicht be¬ wegen. Schon am 8. Jänner 1862 (a. St.) war ein Ukas erlassen wurden, zum Zwecke, im Königreiche Polen eine Commission der Cnlte und des öffentlichen Unterrichtes im Widerspruche mit der Verfassung der katholischen Kirche cinznrichten. Bereits damals wurde ein „römisch- katholischer Kirchcnrath" eingesetzt, von dem es im Ukas heißt: „Die Amtsbcfngnisse des Kirchenrathes können je nach Umstünden über Vorschlag Unseres königlichen Statthalters von Uns erweitert werden." Dawider führte der Cardinal-Staatssecretär in der Note an den russischen Gesandten ckcko. 12. Mai 1863 Beschwerde. Durch das Decret vom II. December 1863 und jenes vom 29. December g. I. wurden den Bischöfen, Diöcesanverwaltern und Canonikern in Polen außerordentliche Kontributionen auferlegt — von 12, dann wieder von 18, respective sechs Procent — „in Erwägung, heißt es darin, daß der hohe römisch-katholische Clerns des latei¬ nischen Ritus durch die Pflicht, den niederen Clerns zu leiten, soli¬ darisch für die Handlungen desselben verantwortlich ist". Wir übergehen die harten Verfügungen des Geucralgonvernenrs M n rawi e ff, um das katholisch - polnische Element nicderzndrücken und das Schisma zu befördern und erwähnen nur, daß der Czar im Schreiben an den schismatischcn Metropoliten von Lithauen 25. März 1864 seine Freude über den vor 25 Jahren (1839) vollbrachten (wo¬ durch?) Rücktritt (d. i. Abfall) der griechisch Unirten (l'/2 Millionen!) in Lithauen zur rechtgläubigen Kirche (zum Schisma) ausdrückte. ') Nach der Allvcutiou vom 24. April 1864 forderte der hl. Vater zum Gebete für das unglückliche Polen auf. >) Der damals zum Schisma abgefallene Vicarbischof von Lithauen, Josef Sic ui aß ko, traurigen Andenkens, nachher griechisch-schismatischer Metropolit von Lithauen, starb am 5. December >868 iu Warschau. l 18 I. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Im Rundschreiben lllla. -80. Juli 1864 an die Erzbischöfe nnd Bischöfe Palens hatte der hl. Vater, der sich freilich nicht als Mittel gegen die Polen vom Czar wollte gebrauchen lassen, feierlichst betheucrt, daß, wahrend er die Verfolgung der Kirche in Polen Seitens der russischen Regierung verurtheilt, es doch nicht im entferntesten seine Ab¬ sicht sei, den Aufstand der unglücklichen Polen, deren Führer Marian Langiewicz weichen mußte (Marz l863), zu billigen. — Die rns sische Regierung machte gar kein Hehl mehr daraus, daß sie die völlige Unterdrückung der katholischen Kirche in Polen intendire. Der Generalgouverneur von Lithauen, General Murawieff, verbot (6. Juli 1864) die Erbauung und Restanriruug katholischer Gotteshäuser ohne seine specielle Erlaubniß. Der Ukas vom 27. October (8. November) 1864 hob die meisten Convente und Klöster in Polen auf. Um 12 Uhr in der Nacht vom 27. auf den 28. November wurden die Mönche beauftragt, sich bereit zu halten, denn nm halb fünf Uhr wurden sie auf die Eisenbahn gebracht, nm in's Ausland geschafft zu werden. Dies wurde pünktlichst — echt russisch — unter starker Militär- Escorte bewerkstelliget. Nach der Aufhebung von 104 Klöstern im Königreiche Polen ver¬ blieben damals noch 18 Klöster; nämlich 15 in den Gouvernements und drei in Warschau. Aber auch diesen wurde verboten, Novizen anf- zunehmen. — Die Zahl der entfernten Mönche nnd Nonnen betrug an 1200. Das Loos der Aufhebung traf aber nicht nur die l a t e i n i s ch e n, sondern baldigst auch die griechisch-katholischen Klöster. Das kaiserliche Dceret vom 14. (26.) December 1865 bestimmte, daß alle dem römisch-katholischen Weltelerus und den römisch katholischen Instituten gehörigen Besitzungen in Polen in die völlige Abhän¬ gigkeit nnd Verfügung des Staatsschatzes übergehen. Sogar die Ein¬ künfte des Krakauer Bisthnms wurden in Polen unter Sequester ge¬ stellt (1866). Zumal die noch übrigen G r i e ch i s ch - U n i r t c n sollten zur orthodoxen Kirche z urück g efü h rt werden (durch Knute und Depvr- tirnng). Bei strengster Strafe wurde den römisch-katholischen Geistlichen verboten, denselben die hl. Sacramente zu spenden. — Ist ja sogar jeder katholische Priester, der einen Götzendiener zu bekehren ver¬ sucht, noch immer mit der Verbannung nach Sibirien bedroht! Europa. Z 32. Die katholische Kirche in Rußland (Polen). 119 Gemischte Ehen (von Katholiken nnd Schismatikern) wurden früher doch noch eingesegnet, wenn sich das Brautpaar verpflichtete, alle Kinder in der sogenannten orthodoxen Kirche erziehen zu lassen; nach einer neueren Verordnung (1866) dürfen sie aber gar nicht mehr cingesegnet werden; sondern der nicht griechische Theil muß vvr der Trauung zur orthodoxen Kirche übertreten. Der genannte Verweser der Erzdiöccse Warschau, Rzewuski, und der Bischof von Janvw, wurden dcpvrtirt (1865); dieser, weil er die Beiziehung eines schismatischen Regierungscommissars zu den Sitzungen des katholischen Generalevnsistvrimns nicht zugeben wollte. Das gleiche Loos traf (4. Oetober 1866) den griechisch-nnirten Bischof von Chelm, Johann Kalinski, weil er sich weigerte, dein griechisch-orthodoxen (schismatischen) Erzbischöfe sich zu unterordnen. Er starb in Wiatka. Bloße Cvrrcspondcnz mit dem hl. Stuhle wurde mit Verbannung ge¬ büßt —- wie eben mit Rzewuski geschehen, der deshalb nach Astra¬ chan wandern mußte. Durch Ukas (!) ckcko. (17.) 5. Juni 1866 wurde die römisch- katholische Divcese Kaminieez in Pvdvlien kurzweg aufgehoben und ihre Kirchen mit der Diöcese Lnck-Sitomir vereiniget. Der Bischof, ein siebzig¬ jähriger Greis, wurde nach Kijvlv transpvrtirt; dann zur Verbannung nach Symphcropvl in der Krim vcrnrtheilt. Die russische Regierung mochte schon länger auf eine Veranlassung zum förmlichen diplomatischen Bruche mit dem hl. Stuhle lauern, weil sich dieser nicht herbeiließ, ihr Verfahren mit der gemißhandelten Nation und Kirche in Polen gntzuheißen, oder wenigstens dazu zu schweigen. Ihr Wunsch wurde erfüllt durch die Rücksichtslosigkeit, ja Ungezogen¬ heit, welche sich der russische Botschafter Baron von M a y e n d o rf am 26. Jänner 1866 gegen den hl. Vater selbst erlaubte, indem er, als der polnische Aufstand zur Sprache kam, sogar die Aeußcrung that, „Katholicismus und Revolution seien eins und dasselbe". Der hl. Vater erwiderte: „Ich achte den Kaiser als Monarchen; aber seinen Gesandten fordere ich auf, abzutreten." Der Czar desavvuirte nicht nur nicht das Benehmen seines Gesandten, sondern spielte sogar den Beleidigten und rief Jenen (6. Februar) ab, ohue — gegen alle diplomatischen Rück¬ sichten — der päpstlichen Regierung auch nur eure Mitthcilung hier¬ über mache» zu lassen. Derlei Gewaltthätigkeiteu wider die katholische Kirche und ihr 120 I. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Oberhaupt nöthigten dem hl. Vater in der Allocntion vvm 29. October l 866 und in der diplomatischen mit allen Urkunden belegten Denkschrift vom >5. November l866 den Appell an das Rechtsgefühl der ganzen katholischen Welt und der Mächte ab. „Wir wissen wohl, sagt der Papst in der Allocntion, daß die — russische Regierung die Gelegenheit eines höchst unglückseligen und durch¬ aus verdammnngswürdigen Ereignisses (er meint den Polnischen Auf¬ stand) benützt hat, nm so grausame Maßregeln gegen die katholische Kirche zu ergreifen; während sie doch die revolutionären Handlungen selbst durch erlaubte Mittel unterdrücken und bestrafen konnte, ohne die Kirche für diesen furchtbaren Krieg verantwortlich zn machen. Wollte Gott, daß nie Einer der Diener unserer Religion sich in die verderb¬ liche Bewegung jener Krisis eingemischt hätte! Darum verdammen und untersagen Wir auch auf's neue und durch¬ aus, wie Wir es bereits gethan, die Empörung, und warnen und er¬ mahnen alle Gläubigen, besonders die Geistlichen, ans ihrem Geist die gottlosen Principien des Aufruhrs zu vertreiben, den über sic gesetzten Mächten nnterthan zu sein, und ihnen in allem, was nicht gegen die Gesetze Gottes und seiner hl. Kirche ist, treu zn gehorchen." Gewiß konnte sich der hl. Vater nicht deutlicher darüber aus¬ sprechen, wie er über den Polnischen Aufstand denke! Unbeirrt hiedurch fuhr die russische Negierung ans dem einmal eingeschlagcnen Wege fort. Bald sollte man ausrnfcn: wie tinm I'olo- nius, so auch tinis oeolosiue outiioliouo! Der Ukas llllo. 22. November a. St. (4. December) 1866 hob das Cvucvrdat und die anderen mit dem hl. Stuhle früher getroffenen Verabredungen auf. Der Vicekanzler, Fürst Gortschakoff, erließ ein Rundschreiben ckcko. 7. (19.) Jänner 1867 mit einem Memorandum, in welchem er die Schuld der Unterbrechung der diplomatischen Beziehungen mit dem „römischen Hof" sogar auf diesen wälzt und unter Anderem sagt: „Die Principien religiöser Toleranz und die fortwährende Sorgfalt des Kaisers für alle in seinen Staaten bestehenden Glaubensbekenntnisse bleiben nichts¬ destoweniger die unveränderliche Regel seines politischen Gewissens." (!) Die Illustration zn dieser „russischen Toleranz" bildet das Mar tyrium der katholischen Kirche in Rußland, erinnernd an die traurigsten Blätter ihrer Geschichte. Europa. Z 32. Die katholische Kirche in Rußland (Polen). 121 Die Leitung der, wie oben erwähnt, von der russischen Regierung eigenmächtig aufgehobenen Diöcese Kaminiecz übertrng der Papst mit Breve vom Mai 1867 dein Bischöfe von Lnck-Sitomir, Caspar Ba¬ row ski. Da aber jeder directe Verkehr mit den dortigen Katholiken unmöglich war, so blieb dem hl. Vater nur die Veröffentlichung des diesbezüglichen Erlasses in dem offieiellen römischen Tagblatte „6ior- nuio cki Homa« übrig. Mit Ukas vom 10. (22.) Mai 1867 bestätigte der Czar den Be¬ schluss des Comitö für die Angelegenheiten des Königreichs Polen, daß fortan „alle Angelegenheiten der dem russischen Scepter auch in dem Königreich Polen untergebenen Personen des römisch-katholischen Be¬ kenntnisses — der geistlichen wie der weltlichen — welche ihrer Natur nach eine Mittheilnng an den Papst erfordern, der Verwaltung de-s römisch-katholischen geistlichen Collegiums in St. Petersburg unterliegen." Nur mittelst desselben soll eine solche Mittheilnng an den römischen Stuhl gestattet sein. Für alle Do- enmente, Bullen, Entschließungen und Erlässe des Papstes wird wieder das Plaeet strengstens gefordert und werden die Dawidcrhandclnden mit den schärfsten Strafen bedroht. lieber diesen neuen Anlauf zum Schisma führte der hl. Vater- Klage in der Eneyklika vom >7. Oetober 1867, worin er auch drei¬ tägige Gebete für die mißhandelte Kirche (in Italien und) in Rußland und Polen auvrducte. Jnsgleichen drückt darin der Papst seinen Schmerz darüber aus, daß sich ein Priester, verdächtigen Glaubens, Namens Woieicki, fand, der, mit Verachtung kirchlicher Strafen, sich nicht scheute, die Leitung der Diöcese Chelm von der weltlichen Macht an- znnehmen. Der nach Kalinski's Tod von der Regierung präsentirte Bi¬ schof von Chelm, ehevor Lemberger Diöeesan, Kuziemski, war dem Czar Anfangs persona A-rata, wurde daun aber Plötzlich (1871) ent¬ lassen. (!) Eine Denkschrift von ihm an den Nuntius in Wien über die Bedrückungen der katholischen Kirche in Rußland soll die Ursache hievon gewesen sein. Nach einer anderen Version verließ er selbst seinen Posten, was das Richtige sein mag. Auch die Diöcese Pvdlachien in Polen, sowie das dortige Kathe- dralcapitel und Seminar hatte die Negierung unterdrückt und den Bi¬ schof Szymanski gewaltsam entfernt. Er starb im Gefängnisse zu 122 I- Thcil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Lvmza. Durch Decret vom !7. Octvber 1867 vertraute der hl. Vater Provisorisch die Leitung des so verwaisten Sprengels dem Capitular- viear von Lnblin, Casimir Svsnowski, an. Dieser beschickte zwar das sogenannte römisch katholische Collegium zu Petersburg; widerrief aber bald diesen Schritt und verlies; Rußland, nm der Maßregelung zn entgehen. Er war der Einzige ans Rußland am vaticanischen Concil erschienen. Die russische Regierung hatte strengstens allen römisch-katholischen nnd gricchisch-unirten Bischöfen den Besneh des Coneils verboten. Der Bischof von Plock, Po piel, wurde (1869) in's Innere von Rußland abgeführt (im geheimen Consistvrinm vom 5. Juli 1875 prä- cvnisirtc ihn der Papst zum Bischof von Kalisch mit Zustimmung des Czar). Der Bischof von Angustvwo, Graf L n bi c n s ki, starb plötzlich auf der Reise nach Sibirien in Nischnei-Nowgvrvd. Der Bischof von Kielce, Majerczack, mußte nach Perm. ') Selbst über die Grenzen des Reiches hinaus erstreckte sich der Groll der russischen.Regierung wider die katholischen Bischöfe. Bereits im Jahre 1866 belegte sie die in der polnischen Bank zn Warschau depvnirten Fonds der Krakauer Diöeese mit Beschlag, unter dem Vvr- geben, daß ans denselben die jüngste polnische Erhebung ausgiebig unter¬ stützt worden sei. Nachdem nämlich im Jahre 1846 die Einverleibung des Krakauer Gebietes in die österreichische Monarchie erfolgt war, handelte cs sich nun um die Dismembration der Diöeese Krakau zwischen Oesterreich und Rußland. Das diesbezügliche Schlußprvtvkoll wurde in Warschau am 9. (21.) Juni 1874 unterzeichnet. Die diplomatischen Schritte Oesterreichs konnten die Herausgabe jener Gelder früher nicht erwirken. -) Endlich, in: Jahre 1874 erfolgte in dieser Angelegenheit ein Ueber- ') Im Jahre 1869 starb in Rom, wohin sie sich geflüchtet hatte, die noch unter Papst Gregor XVI. in Rußland mit anderen Nonnen gransam gequälte Aebtissin des Basilianerinenklosters zu Minsk, Makrina Mieczhslawska. 2) In der Marios opise<>i>»rmn" von I'. Pius Bonifacios Gams heißt es bei dem Bisthnm Krakau, S. ?>50: „blnttbnmm bl ns src/. nie, . äo Nuriobo, in pnrto (liuaoosis liussm subssotn; nvcknotus n knssis VI. 1869 4 IX. 1870." Ob dieser eine nnd dieselbe Person ist mit dem oben erwähnten Bischof von Kielce? Europa. Z 32. Die katholische Kirche in Rußland (Polen). 123 entkommen zwischen der russischen und österreichischen Regierung. Nach diesem fallen die in Russisch-Polen gelegenen Güter des Krakauer Bis- thnms an Rußland, welches dafür an Oesterreich eine vereinbarte Summe nnd außerdem für den Krakauer Diöcesanclerus noch ein Entschädigungs- capital zahlt. In der That haarsträubende Details über die unglaublich bar¬ barische Behandlung der Katholiken, zumal in Polen, berichtet unter Anderem der Krakauer „Czas" bereits vom November >866. Aehnliches fiel auch später noch hie und da vor. Zeigt es nicht auch vom wahrhaft widrigen Fanatismus, daß die Acmtcr im Königreiche Polen mit dein l 3. November l867 (I.a. St.) aufhvren mußten, das Datum nach neuem Styl zugleich mit dem des alten zu schreiben. Für sie galt fortan nur der in Rußland obligato¬ rische Julianische Kalender! Einen Vcrrüther an seiner Kirche wie an seiner Nation spielte der Verweser der beiden katholischen Divcesen Wilna nnd Minsk, Z plinski. Er ertheilte den untergeordneten Priestern den Befehl, ihn „ihrer Er¬ gebenheit nnd unbeschränkten Liebe für die geheiligte Person des Czaren, wie für das hl. Rußland, unserer vielgeliebten Mutter, zu versichern". Ein Ukas vvm 27. Juli 1869 hatte kurzweg das Bisthum Minsk mit jenem von Wilna zu vereinigen befohlen. Der bisherige Bischof von Minsk wurde entfernt. Aber auch der von Wilna, Adam Stanis¬ laus Krasiuski deportirt. — Jin Wilnaer Priestcrseminar gab es im Jahre I87l nur mehr vier Cleriker; die Zahl der Pfarrkirchen hat sich vvn 298 auf 208 vermindert; 90 sind vvm Staat in orthodoxe Kirchen umgewandelt worden. In der ganzen Divcese blieben nur drei Kloster nnd deren Insassen wurden auf den Aussterbe-Etat gesetzt. Die Regierung verfügte die Einführung der russischen Sprache beim katholischen Gottesdienste. Weil sich dieser Maßregel der Deean P i o trowitsch in Wilna nicht fügte — freilich hatte er, was nicht zu billige», von den vom Diöcesanverweser Zylinski überkommenen 142 Exemplaren des Ukases nnd des in's Russische übersetzten Rituales 140 verbrannt — wurde er vhne richterliches Urthcil nach Archangel auf Lebensdauer deportirt. Auch in der Diöeese Mohilew rief der Ukas große Aufregung hervor. Es hatte sich eine Gesellschaft zur „Förderung des orthodoxen Glaubens" gebildet, mit dem Hanptsitze in Wilna, um zunächst Lithanen 124 1 Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. «Mz entkatholisiren. — Im März 1869 erhielt sie die kaiserliche Scmetiem. Im Diöcesanvcrweser von Chelm, Popiel, fand sie ein gefügiges Werkzeug ihrer Entkatholisirnngs-Pläne. Nach solchen Maßregelungen der katholischen Kirche war es über¬ raschend, daß der Czar wieder die diplomatische Verbindung mit der päpstlichen Curie anknüpfte. Im geheimen Consistorinm vom 23. Fe¬ bruar 1872 ernannte der hl. Vater einige Bischöfe auch für Russisch- Polen; so den exilirten Bischof Anton Fialkowski zum Mohilewer Erzbischof und Metropolitan sämmtlichcr katholischen Kirchen in Ru߬ land (am 24. April 1873 weihte er eine neue katholische Kirche in Petersburg); Valentin Baranowski znm Bischof von Lublin; Tho¬ mas Kulinski zum Weihbischof der Krakauer Diöcese, Kielcer An- theilcs; auch Augustow erhielt cineu Bischof. Nichts desto weniger arbeitete die russische Regierung fort an der völligen Vertilgung der griechisch-unirten Kirche, welche, wenn nicht die Vorsehung es anders lenkt, in nicht ferner Zeit leider eine vollendete Thatsache sein muß. Den in der Verbannung lebenden Bischöfen: Felinski, Erz¬ bischof von Warschau; Krasinsky, Bischof von Wilna; Popiel, Bischof von Plock nnd Caspar Borowski, Bischof von Lnck-Sito mir, hatte die Regierung ein Resignations-Dvcument zur Unterschrift vorgelegt, mit dem Versprechen, es solle ihnen ihr voller Gehalt ans- bezahlt nnd ihnen freigestellt werden, ob sie ihren Aufenthalt in St. Petersburg oder in der Krim, oder im Auslande nehmen wollen. Sie verweigerten aber ihre Zustimmung. Um den 15. März 1873 wurden zn Warschau Conferenzen ab¬ gehalten zwischen einigen znm Schisma übergegangenen früheren grie¬ chisch-katholischen Priestern, als: Popiel, Verweser der Diöcese Chelm (mit dem abtrünnigen Priester R e sz h tel o w icz, Einer der erbit¬ tertsten Gegner der Kirche), dem Prälaten Wojcicki nnd Anderen, wobei es sich zunächst darum handelte, an die Stelle des griechisch-kathv lischen den rnssisch-schismatischen Cultus zn setzen. Popiel ordnete an, daß vom russischen Neujahr 1874 an die katholischen Cereinonien überall abgeschafft werden sollen. In Pvdlachien entstanden darüber sogar Unruhen, welche durch Militär unterdrückt wurden. Europa, ß 32. Die katholische Kirche iu Rußland (Polen) s Der schon erwähnte Adniinistrator der Wilnaer Diöeese, Zylinski, bereiste selbst die Deeanate und Parochien, nm die Annahme des rus¬ sischen Rituales zu betreiben (1873). Laut der „Gazctta Naradowna" wurden (1873) nur van Minsk allein 28 katholische Priester nach dem feuchten Grvduv als Gefangene abgeführt, weil sie sich geweigert hatten, iu ihren Kirchen die russische Sprache zu gebrauchen. Zu Kvlaiw iil der Diöeese Chelm wurden — so zu lesen War¬ in öffentlichen Blättern — 18 unirte Landleute vvm eiuschreiteuden Militär erschossen (Anfangs 1874), weil sie sich das gewaltsame Auf¬ dringen des Schisma nicht gefallen lassen wollten. Dieses Blutbad war die Veranlassung znm neuerlichen Bruche der diplomatischen Beziehungen zwischen dem hl. Stuhle und Rußland. Cardinal Antonelli hatte nämlich den russischen Agenten K a p nitz hierüber interpellirt; und da dieser nichts zur Entschuldigung vorzu- bringen vermochte, ihm erklärt, daß der Papst keinen Vertreter einer Regierung bei sich sehen könne, welche im 19. Jahrhunderte noch solche Grenelthaten verüben lasse. (Eine wohlverdiente Leetion über Huma¬ nität und Toleranz!) In Petersburg aber wollte mau glauben machen, die päpstlichen Neelamationeu anläßlich der Vorgänge in der Diöeese Chelm seien unbegründet; sie .enthalten Uebergriffe in staatliches Ge¬ biet, wegen deren seit Jahren keine Beziehungen mit der Curie be¬ standen. Es handelte sich lediglich um die Aufrechthaltung der Ord¬ nung. (!) Die Brutalitäten gegen die armen Uuirten in Polen währten fort. Und leider geben sich einige abtrünnige, zum Schisma abgefalleue Priester aus Galizien zu Werkzeugen hiezu her. Im bereits erwähnten Schreiben des hl. Vaters <1üo. 13. Mai 1874 „uü /li'ubiopiLeopmu Uoopolicm. bluUeiou. et Ouiuanoeiau. Uutbauorum ulio8guö episeopus ajumlem ritus" verwirft derselbe die in der Chelmer Diöeese in neuester Zeit beginnenden Abweichungen von den in der Synode von Zamvsk sanetivnirteu heiligen Ceremvnien. Nach Entfernung des rechtmäßigen Bischvfes (Kuziemski) habe ein bereits früher von der Kirche als unwürdig erklärter „Psendv-Admini- stratvr" sich die kirchliche Jurisdietivn daselbst augemaßt und bemühe sich nun, durch seine Neuerungen der Liturgie der Schismatiker Ein gang in die Diöeese zu verschaffen. Der hl. Vater erklärt alle diese 126 1 Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse uud Schicksale der kath. Kirche. Verfügungen des Pseudo-Administrators für null und nichtig. Sie dienen dazu, die Chclmer Ruthenen von der katholischen Kirche loszureißen und dein Schisma zuznführen. Der hl. Vater anerkennt das herrliche und heldemnüthige Schau¬ spiel des tapferen nnd unerschütterlichen Mnthes, welches die Rnthenen jener Diöcese auch in der jüngsten Zeit wieder gegeben, und weiset die griechisch-katholischen Bischöfe an, ihren ganzen Einfluß auf die Auf- rcchthaltuug der bisherigen rutheuischen Liturgie zu verwenden nnd keinerlei Abweichungen von derselben zu dulden. Der Erlaß des Gencralgonvernenrs von Kotzebue an die katho¬ lischen Diöeesanbehvrden des Königreiches Polen ckckv. 19. Mai 1874 tadelt die Geistlichkeit, daß sie „zu unmittelbaren uud mittelbaren poli¬ tischen Zwecken die sogenannten Ablaßgottesdienstc benütze" (?) und schränkt dieselben mehrfach ein. Dem päpstlichen Ausschreiben des Jubiläums cküo. 24. December 1874 verweigerte die russische Regierung das Plaect. Offieielle russische Blätter brüsteten sich frohlockend, daß im Sicdlzer Gouvernement bis zum Jänner 1875 45 Kirchspiele (später noch sieben) mit 26 Geistlichen nnd 50.000 Eingepfarrten „freiwillig" zum grie¬ chischen Ritus übergetreten seien. Wie dies „freiwillig" zu verstehen sei, und welche evangelischen (?) Mittel angewendet wurden, um die armen Unirten in die „orthodoxe" Kirche zu treiben, klären Original¬ berichte aus der Diurese Chelm auf; uümlich Kuutenhiebe, Aushungerung ganzer Ortschaften, denen man das ganze Vieh abschlachtete n. dergl. Und nach diesen Unmenschlichkeitcn celebrirte am 24. Jänner 1875 in der Kreisstadt Biasca, Gouvernement Siedlze der orthodoxe (?) Erz¬ bischof Jvannicius von Warschau ein solennes Dankamt (!), dem auch der größte Theil der 26 von Rom abgefallenen ruthcnischen Geist¬ lichen ans Ocsterreichisch-Galizien beiwohnte. Manche ans ihnen hatten bei den Torturen der Bauern buchstäblich mit Hand angelegt. Einer dieser Apostaten hielt die Festpredigt, worin er das Glück der mit der orthodoxen Kirche nun Wiedervereinigten pries. O die Geschichte wird einst über das Jahrhundert der Toleranz und Humanität (!) zu Gericht sitzen nnd ob so gräßlicher Mißhand¬ lungen, wie sie an Katholiken da und dort verübt wurden, ein hartes, aber verdientes Urtheil sprechen! st ') Die grausamen Vorgänge in Podlachicn bestätigt unter Anderen der Re- Europa. Z 32. Dir katholische Kirche in Rußland (Polen). 127 Weitere Uebertritte von Uuirten meldete inan aus dem Ljublincr Gouvernement. Die armen, schon mürbe geschlagenen und gefolterten Leute mußten sich, vertreten meist durch abtriinnige Priester, sogar b e- danken in St. Petersburg für die Gnade, wieder der orthodoxen Kirche beigezählt zu werden. Einer Deputation erwiderte der Czar am 7. April „huldvollst, daß er die Unirten mit offenen Armen aufnehme". Ja an den Minister des Inneren richtete er ein Aner¬ kennungsschreiben, in welchem er seine und anderer Persönlichkeiten Ver¬ dienste nm die Wiedervereinigung der reichlich 200.000 Köpfe zählenden griechisch-nnirten Bevölkerung im Bereiche der früheren Chclmer grie- chisch-unirtcn Eparchie mit der orthodoxen Kirche belobt. Der Czar ist „von ehrfurchtsvoller Freude über dieses bedeutungsvolle Ereigniß er¬ füllt, das sich unter so augenfälligen Zeugnissen tiefer Ueberzeugung nnd der aufrichtigen Neigung der Geistlichkeit, wie der vollkommenen Einmüthigkeit inmitten der Bevölkerung vollzogen hat". (Die zerhauenen Rücken so mancher Wiedervereinigten sind auch ein augenfälliges Zeugniß dieser Einmüthigkeit.) Leider zeigten sich auch unter einigen katholischen Geistlichen Polens ritu8 lutini bedenkliche Symptome — insbesondere, wie gewöhnlich, war ihnen der Cölibat ein Stein des Anstoßes geworden. Sogar den russischen Statthalter Grafen Berg gingen sie um die Erlanbniß zur Verehelichung an, was sie gewiß hinlänglich kennzeichnet. Die Negie¬ rung wies sie ab. Schon einige Zeit verlautete von einer Anbahnung besserer Ver¬ hältnisse zwischen der päpstlichen Curie nnd der russischen Regierung, welche dort den Geschäftsträger von K a p nitz hatte; aber noch immer kam nichts Sicheres hierüber in die Oeffentlichkeit. Der in Nowgorod Verbannte Bischof Vincenz Popie-l von Plvck wurde zurückbernfen; der Papst wies ihm das Bisthum Kalisch an. Dies war aber auch das einzige Resultat des Uebereinkommens zwischen der Curie und der russischen Regierung. Denn die Erwartung, daß sich das sogenannte katholische Collegium zu St. Petersburg ferner¬ hin lediglich auf Administrativnssachen beschränken werde, erwies sich nur zu bald als irrig. Dasselbe fuhr fort, die Bischöfe wie seine unter- präsentant der Vereinigten Staaten Amerika's in St. Petersburg, Jcwel, in seiner Depesche im Rothen Buche („Voi-si^na Italatiuns <>t tim Onitsä 8t:Uvs tue 1874"), an den Staatssekretär Fish adressirt. 128 I. Theil. 1. Hanptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. gebenen Diener zu behandeln; auch anderer Barbareien war nvch kein Ende; zninal in der einzigen, zu Cvugreßpvlcu gehörigen nuirteu Diärese Cheliu, wo die armeu Leute geradezu zur Verzweiflung getrieben werden. — Haarsträubend lauten die Berichte über die Leiden der nach Sibirien zu Zwangsarbeit trausportirten Priester. Da unter den zur sogenannten orthodoxen Kirche gepreßten Unirten vielfach das Verlangen zn Tage trat, ihre Kinder nach dein römisch- katholischen Ritus zu taufen, nm auf diese Weise deu erzwungene» Uebertritt für ihre Nachkommenschaft rückgängig zu machen, so soll für diese Fälle sogar ein A u s n n h m s g eri ch t zur Aburtheilung errichtet werden. Daß die gewöhnlichen Strafen von demselben verschärft werden, versteht sich von selbst. Wer kann, wenn er all der von der kaiserlich russischen Regierung an den Katholiken des Reiches verübten unverantwortlichen Geivalt- thateu denkt, es ihren Glaubensgenossen in der Türkei verargen, daß sie mit den von Rußland wider die Pforte gehetzten slavischen Insur¬ genten nicht gemeine Sache machen wollten? oder wer will es Rom verübeln, daß von dort bereits im August 1875 Instructionen an den Nuntius in Wien, an den apostolischen Vicar in Cvnstantinvpel und an alle katholischen Bischöfe des türkischen Reiches abgegangeu seien, mit dem gemessenen Befehle, die unterstehenden Gläubigen von jeder Theiluahme au dem Aufstande zu warnen? Wahrlich, mit mehr Grund, als die Griechen nvch kurz vor der Eroberung Cvnstantiuopels die Union mit Rom mit den Worten zurückwiesen: „Lieber den Turban, wie die Tiara", können die Katholiken der Türkei, hinüberblickend auf das Schicksal ihrer Glaubensbrüder in Rußland, ansrufen: „Lieber deu Turban, als die russische Knute und die Bergwerke nnd Eisfelder Si¬ biriens!" In Folge eines im Unterhanse gestellten Antrages ließ die eng¬ lische Regierung kurz vor Beginn des russisch-türkischen Krieges ein 39 Seiten umfassendes Buch drucken, über die Grausamkeiten, welche durch die russischen Behörden in den letzten sieben Jahren gegen die Unirten verübt worden sind — und zwar nach den Berichten der eng¬ lischen Consuln in Rußland (in Warschau), Mansfield nnd Webster. Es ist in der That ein Greuelgemälde der traurigsten Art. >) p Einzelne Citate hieraus von „Die katholische Bewegung", Band X, Hest l). Siehe auch ebenda Band XI, Heft 16 „Nach Sibirien" und Band XIII, Hest 16 Europa tz 32. Die katholische Kirche iu Rußland (Polen). IM Wir wollen zugcstehcn, daß der Czar nicht von allen Einzelnheiten dieser haarsträubenden Gewaltthütigkciten Kenntnis; gehabt habe. Man mußte sie ihm beschöniget haben. Denn er wird als persönlich milde geschildert. Dem griechisch-orthodoxen Erzbischöfe von Warschau-Chclm verlieh er (Mai l877) für seine um die Vereinigung von 290 unirtcn Gemeinden des Districtes Chelm mit der orthodoxen Kirche erworbenen Verdienste (!) den Alexander-Newski-Orden. Nun machte sich die Regierung auch an die Russifieirnng der l a- t e i n i s ch e n Kirche in Polen, und verfuhr dabei mit eben solcher Schlau¬ heit als Rücksichtslosigkeit. Ein kaiserliches Decrct vom 19. (31.) Juli l876 verfügte die Bestellung zweier — gut remunerirten — Visitatoren iu der Provinz Minsk für die katholischen Kirchen, speciell zu dem Zwecke, den Ge¬ brauch der russischen Sprache „bei den accessvrischen Functionen und den Predigten aufrecht zu erhalten, und w v s i e n v ch n i cht e in- geführt ist, das Möglichste zu thun, nm sie einzu- f ü h r e n". Auch dazu hatte Peter Zyl inski die Hand geboten. Noch unter Pins IX. - im Jänner 1878 — richtete an ihn die „Kongregation des Cvncils" die sogenannte uckiuonitio onuonicm, worin sie ihn anffordert, binnen vierzig Tagen sowohl das Amt des Capitelvicars der Diöcese Wilna, als auch jenes des Administrators der Diöcese Minsk niedcrzulegen. Ueberdies habe er die auf seinen Rath eingeführten Diöcesan- Visitatoren, die Priester Ferdinand Senczykvwski und Johann Jurgiewicz zum Rücktritte anfzufordern. Wegen sein sollender Nichtbefolgung des Gesetzes über die katho¬ lischen Seminarien von 1843 wurde der Administrator des römisch- katholischen Bisthnms und Rector des Seminars zu Schitvmir gefangen nach Simkirsk abgcführt (10. November 1876). Auch die griechisch-nnirte Gemeinde von Warschau trat am 6. Fe¬ bruar 1876 zum russischen Schisma über — ob freiwillig? Eine rnssen- „Rnssische Civilisation", ferner „Die Christeuverfolgung in Polen nnd die Barbaren des Ostens" in den „Periodischen Blättern znr wissenschaftlichen Besprechung der großen religiösen Fragen der Gegenwart", 6. Jahrgang; ferner „Die Bekehrung (!) der Unirtcn in Rußland" im „Archiv für katholisches Kirchenrecht", 1877, 4. Heft. Stepischnegg, Papst Pius IX. und seine Zeit. II. Bd. 0 130 I- Theil. 1. Hnttptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. freundliche Zeitung selbst bemerkt bei dieser Veranlassung, daß „die griechisch-nnirte Kirche in Congreßpolen zwar formell schon der Ge¬ schichte angehört, aber in Wirklichkeit dürfte sie wohl noch viele De- cennien ihre Bekenner haben". Schmach solcher Gcwissenstyrannei! Der polnischen Geistlichkeit wurde vom Generalgouverncur des Weichsellandes, General von Kotzebue, (Februar 1877) bei Strafe der Deportation nach Sibirien die Verbreitung der Herz-Jesu-Vereine und Andacht und die Bezeichnung der Muttergottes als Königin von Polen verboten. (!) — Um dieselbe Zeit entschied der Czar die Fort¬ dauer des Gesetzes vom 20. December 1865, welches die Erwerbung von Gittern durch Polen und Katholiken in Lithanen und Südwcst- rnßland (Wolhynien, Pvdolieu re.) gänzlich ansschließt. Die eanvnisch giltige Wahl eines Diöcesan-Administrators von Luck- Zytomierz eassicrte die Regierung durch einfachen Machtsprnch und zwang das Domcapitel (PU. intus Intini) unter Androhung der Depor¬ tation nach Sibirien zur Erwählung des ihr genehmen Geistlichen Roszkowsky (oder eigentlich, wie das Anzeige-Rundschreiben der Deeane lautet, „der Ilosncknr lmporntor hat ihn am 24. December (5. Jänner 1877) durch allerhöchsten Befehl zu bestellen geruht", welcher gleich dem Eindringlinge in der Diöcese Wilna, Z plinski, auf Befehl des Czaren die russische Sprache beim Gottesdienste ein¬ führte, und sich auch sonst als gefügiges Werkzeug der Regierungsplnne im Interesse der Schismatisirung bewies. Ohne Widerrede theilte er dem Clerns zur Tarnachachtnng mit, daß der Gencralgonvernenr von Kiew, Podolien und Wolhynien die Vollmacht habe, die Geistlichen für die Nichtbefolgung der Wünsche und Verfügungen der Civilgewalt von ihren Stellen zu entfernen, sie auf andere zu versetzen und Geldstrafen gegen sie zu verhängen. Auch dürfe kein Geistlicher — auf Befehl der Regierung — sich ohne schriftliche Erlaubniß aus der Pfarre entfernen (NI!, nicht einmal zur eigenen Beichte — um so weniger zur Aushilfe) und Predigten frei aus dem Gedächtnisse Vorträgen. (!) Da die russische Regierung um die Einführung der russischen Sprache statt der polnischen in den ehemals polnischen Provinzen beim Volksgvttcsdienste und bei der Predigt — eben zum Zwecke der Schis¬ matisirung — als Mittel sogar den Vorwand nicht verschmähte, Nom habe in letzter Zeit dies gestattet, so beantwortete die römische Jngui- Europa. Z 32. Die katholische Kirche in Rußland (Polen). 131 sitivn in der Sitzung am I I. Inti 1877 beide Fragen negativ; nämlich: 1. Ist es erlaubt, in dem sogenannten Zusatzgottesdienste (sup- I'Iotono) statt der polnischen Sprache, welche seit undenklichen Zeiten im Gebrauch ist, die russische Sprache ohne die Autorität des heiligen Stuhles einzuführeu? 2. Darf mau es glauben, daß der hl. Stuhl diese Art der Ein¬ führung der russischen Sprache tvlerire oder toleriren wolle? Die Verfolgungen und Mißhandlungen folgten nun mit neuer Hef¬ tigkeit. So wurden unter Anderen wegen Verweigerung der Einfüh¬ rung der russischen Sprache in die Liturgie die Beuedictineriucn aus ihrem noch stehen gebliebenen Kloster von Nieswiez vertrieben, wobei Zylinski Häscherdienste verrichtete. Damit hielt die Cassierung katholischer Gotteshäuser und ihre Um¬ wandlung ül schismatische Cerkwice gleichen Schritt. Allgemein überraschte die Nachricht von dem neuerlichen Ab¬ bruche der diplomatischen Beziehungen zwischen dem heiligen Stuhle und Rußland. Die Veranlassung war folgende: Laut des Rundschreibens Rio. 20. Octvber 1877 des Cardinal - Unterstaatssecretärs Simeoni an die päpstlichen Nuntien wollte der hl. Väter über die Bedrückungen der römisch-katholischen Unterthanen Rußlands durch die Regierung des Czar in dem für den letzten Juni 1877 (Juli?) anberanmten Con- sistorium seine Stimme erheben; aber auf den Wunsch des russischen Geschäftsträgers beim hl. Stuhl, des Fürsten Urusoff, daß nicht öffentlich gegen die kaiserliche Regierung Beschwerde geführt, sondern lieber auf diplomatischem Wege die Angelegenheit behandelt würde, ließ er ein Memvire, cicko. 26. Juli 1877, welches 15 Beschwerdepnnkte enthielt, anfsctzen, welches mit einer vertraulichen Note des Cardinals Simeoni vom genannten russischen Geschäftsträger dem Fürsten Gortschakoff übermittelt werden sollte. Statt dessen gab Fürst Urnsvff nach 14 Tagen dem Cardinal die Schriftstücke zurück mit dem Bemerken, daß er sich nicht für ermächtigt halte, sie seiner Regie¬ rung, die von Niemanden Vorstellungen annehme, mit- zutheilen. Von St. Petersburg ans wurde nicht nur keine Genugthnung für diese Unart geleistet, sondern im Gegentheil versichert, daß man 9* 132 l Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. voll dort auf den Bericht, welchen Fürst Uru s v sf über das Memoire erstattete, Letzterem die Weisung ertheilt habe, es abznlehnen. Dem Fürsten Urnsoff wurde nun (19. August) vom Cardinal Simeoni erklärt, daß seine fernere Vertretung nutzlos (inntils) sei. Der hl. Vater iverde nächstens sein Schweigen brechen, welches ihm als Schwäche eingerechnet werden könnte, „um die letzten Ueberreste der Re¬ ligion eines so kostbaren und so edlen Theiles seiner Heerde zu retten". Die Beschwerdepnnkte des erwähnten Promemvria sind folgende: 1. Das unter Androhung der strengsten Strafen erneuerte Verbot des freien Verkehrs der Bischöfe und Gläubigen mit dein Papste. 2. Die Entziehung der Seminarien von der bischöflichen Gerichts¬ barkeit und deren Unterwerfung unter die Anordnungen der Regierung. 3. Die Beschränkung, ja das Verbot des katholischen Religions¬ unterrichtes, das letztere zumal in den Schulen. 4. Der Ukas vom 27. December 1861 (8. Jänner 1862), durch welchen eine Commission für die Culte und den öffentlichen Unterricht im Königreich Polen niedergesetzt wurde. 5. Der Ukas vom 14. (26.) December 1865 und das damit ver¬ bundene Reglement bezüglich der Organisation des Weltclerns und der Güter der katholischen Kirche in Polen. 6. Das Verbot der Processionen außerhalb der Kirche; der Be¬ schränkung der geistlichen Exercitien und der Entfernung der Priester aus ihrer Pfarre ohne schriftliche Erlaubniß der bürgerlichen Behörde. 7. Die Beschränkung der Predigten in sehr gehässiger Weise. 8. Der neuerliche Ukas vom 28. November 1875, enthaltend das Verbot für Priester, Unbekannte oder Personen ans einer andern Pfarre Beichte zu hören, ohne jedesmalige Bescheinigung und zwar durch die Civilbehörde, daß jene Person katholisch sei. 9. Das Verbot, Kinder mit gemischten Ehen, selbst auf die An¬ forderung der Eltern hin, zu taufen, und irgend Einen zur Cvmmnnivn zuzulassen, der einmal nach griechischem Ritus die Communivu em¬ pfangen hatte. 10. Die Exilirnng des Erzbischvfes von Warschau, Felinski, seines Generalvicars R z ew u s ki, des Bischofs von Luck und Sitomir, Borowski, des Bischofs von Wilna, Krasinski und Andere. I I. Die Nichtbesetzung der Bischofssitze von Plock und von Samo- gitien und Anderer. Europa. Z 33. Die katholische Kirche in Griechenland. 133 Dic Unterdrückung der Diöcesen: Kamcniec (1866); Pvdlachien (1867); Minsk (1869), welch' letzteres Bisthnm dem von Wilna cin- verleibt nnd dem Eindringling Zyl inski zur Verwaltung übergeben wurde. 12. Die Unterdrückung der griechisch-nnirten Divcese Chelm (1867) und ihre Umwandlung in eine schismatische Eparchie. — Bekannt seien die Gewaltmaßrcgeln gegen die Trengebliebenen. 13. Die traurige Lage des Ordensclerus in Rußland und Polen. — Die Unterdrückung von Mönch- und Nonnenklöstern. 14. Der neue Ukas über die Einführung der russischen Sprache in den sogenannten Snpplementar-Cultus. 15. Die neuerlichen Ucbergriffe des sogenannten römisch-katholischen Collegiums zu St. Petersburg, welches der Papst in der Encyklika an die Bischöfe ckckn. 2. Marz 1875 als tolerirbar, aber mir für rein materielle Angelegenheiten der Verwaltung, erklärt hatte, in das Gebiet geistlicher Angelegenheiten. Eine Verordnung des Unterrichtsministers vom 2. Februar 1878 erklärt den Religionsunterricht der fremden (also auch des katho¬ lischen) Bekenntnisse in den niederen nnd mittleren Unterrichtsanstalten für nicht obligatorisch. Wo nnd wenn er aber auf den Willen der Eltern und Vormünder crthcilt wird, muß dies in der russischen Sprache geschehen. tz Nie katholische Kirche in Griechenland. Verhältnißmüßig sehr wenig Stoff für die katholische Kirchcnge- schichte in neuer Zeit liefert Griechenland. Ist ja dic Zahl der Katho¬ liken dort eine unbedeutende. — Auch für sie wollte Papst Pins IX. die Hierarchie wieder Herstellen. Als er (1875) einen Erzbischof für Athen in der Person des Monsignore Marengo ernannte, verwarf die Regierung, d. i. das Ministerium, die einseitige (?) Besetzung des erzbischöflichen Stuhles als einen Eingriff in die Rechte des Cultns- Ministeriums — obwohl sich der Papst vor der Präconisirung mit dem Könige brieflich in's Einvernehmen gesetzt und Dieser seine Zu¬ stimmung crthcilt hatte. 1.34 I- Thcit. I. Hanptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. § 34. Nie katholische Kirche in der Türkei.st Was immer die türkische Negierung in neuerer Zeit zu Gunsten ihrer christlichen Unterthanen versprach und zusicherte, ging nicht in Erfüllung. So schon der Hattischerif von Gülchane ckcko. 2. November 1839, welcher Jedem Sicherheit seines Lebens, seines Eigenthums, seiner Ehre u. dergl. verbürgte. Die Einführung des Tanzimat (Tansimat), d. i. des Gesetzes zu Guusteu religiöser Freiheit, hatte an mehreren Orten sogar sehr be¬ dauerliche Excesse gegen die Christen zu Folge. In Adana (in Cilicien) flüchteten sich die von den Muselmännern bedrohten Katholiken in die Kirche der nichtunirten Armenier (1849). Weil ihr Bischof dies zugab, wurde er von seinem Patriarchen Agvb zu Cvnstantinvpel seines Amtes entsetzt. (!) — In Aleppo mordeten, Plünderten und schändeten die Mvslim am 16. und 17. October 1850. Aehnliche Greuel hatte der Fanatismus 1853 in Rumelien verursacht. Am 25. Juni 1861 war Sultan Abdul-Medschid (Sohn Mahmud's II., dem er 1839 in der Regierung folgte) gestorben und bestieg nun, kraft des Erbfolgegcsetzcs, daß das älteste männliche Mitglied der kaiserlichen Familie der rechtmäßige Beherrscher des Reiches sei, sein Bruder Abdul-Aziz den Thron. Man hatte sich viel von ihm versprochen, aber sich getäuscht. Seine Haremslüste stumpften auch ihn für ernstere Regierungssorgen ab, und verleiteten ihn zu ma߬ losen Verschwendungen, welche die ohnehin darniederliegeuden Reichs¬ finanzen vollends zerrütteten. Seine Anwandlungen von reformatorischem und eivitisatorischcm Geist, die er insbesondere nach seiner Rückkehr von der Reise nach Paris und an die Hofe anderer Souveräne merken ließ, hatten nicht viel zu bedeuten. Ein im April 1866 an die Patriarchen ergangener Erlaß entzog denselben die Civiljurisdictivn, welche sie bisher über die christlichen Unterthanen ausübten. Diese hatten sich eben nicht zu beklagen über diese Aenderung. Die Erhebung der christlichen Candioten — Bewohner von Kreta ') Des Zusammenhanges wegen kommen hier auch schon die asiatischen und afrikanischen Bestandtheile der Türkei Lor. Europa. Z 34. Dir katholische Kirche iu der Türkei. 1Zs> — 1867, wurde von den Türken nicdergcworfen, weil Jene, außer von dem kleinen Griechenland, von nirgendwoher Hilfe erhielten. Daß der Sultan vom sogenannten m o d e r n c n Staatswesen auch etwas gelernt habe, zeigte auch die schon 1867 beschlossenen Säenlari- sirnng der Moscheen- (Wakuf) Güter in Cvnstantinopel und deren Be¬ steuerung in den Provinzen. Wahrscheinlich meinte er hiedurch die Türkei in die Reihe der modernen „Rechtsstaaten" cinznfügen. Es wurde aber damit nie recht Ernst. Der römisch-katholische Clerus in der Türkei, überhaupt in der Levante, gehört fast ausschließlich dem Ordensstande der Capuziner, Dominicaner, Lazaristen an, in Europa insbesondere dem Franeiscaner- vrdcn, so zumal iu Bosnien, wo etwa gegen 120.000 römisch-katholische Christen leben, und zwar in 49, von den Franeiscauern zu Fvjnira, Sntinska und Kreschevo versehenen Pfarreien. (Nach Anderen gibt es in Bosnien und Herzegowina zusammen 84 römisch-katholische Pfar¬ reien.) Im Jahre 1784 hatte IL Angnstin Okic eine Stiftung ermit¬ telt, aus welcher 32 Zöglinge der bosnischen Provinz in den öster¬ reichischen Ländern unterhalten und unterrichtet werden sollen. Nach Unterbrechung trat 1852 diese Stiftung wieder in's Leben; jedoch mit der vom römischen Stuhl beigefügten Clanscl, daß die Zöglinge nicht mehr zerstreut untergebracht sein sollen. Der Bischof von Diakovar, Josef Stroßmayer, nahm daher die meisten derselben in seiner Diöcese in ein Seminar auf, bis 1857 daselbst ein eigenes Gebäude für sie hergerichtct wurde. Die Herzegowina, mit ungefähr 48.000 Katholiken, besitzt schon seit längerer Zeit ein apostolisches Vicariat zu Mostar; jenes zu Tre- binje untersteht seit 1843 dem Bischöfe von Ragusa. (Vida Olnms, ,Porio8 apisoaimrnnüst S. 398.)° Seit 27. November 1864 versieht das Amt des apostolischen Viears für Herzegowina Angelus Kral¬ jevič, aus dem Franeiseanervrden, Bischof von Metellopvlis i. p. (Vido „Olarnrcünn onttolicw," 1878.) Die bosnischen Katholiken aber erhielten im Jahre 1855 iu der Person des Marian Sunjic, Bischofs von Panad i. p., ebenfalls aus dem Franciseanerorden, wieder einen apostolischen Vicar (zu Brestvwskv?). (Im uahen Albanien mit oiran 88.000 Katholiken befinden sich zwei Erzbisthümer; nämlich Dnrazzo und Antivari-Sentari mit den Bisthümern Alejsio, Pulati, Sappa.) Ein Ferman vom Jahre 1853 erlaubte den Bau sieben neuer 136 l- Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Kirchen und die Erweiterung der schon bestehenden in Bosnien. Im nächsten Jahre (1854) erging zwar von der Pforte an alle Prvvinz- gvnvernenre ein Erlaß, der bei der Bekehrung der Christen zum Islam Zwang oder andere ungesetzliche Mittel anzuwenden verbot; daß aber dadurch dem Fanatismus der Moslem nicht Einhalt gethan wurde, versteht sich von selbst. Eine Deputation bosnischer Christen überreichte 1858 dem türkischen Gesandten zu Wien, Fürst Kallimaki, eine Bittschrift um Milderung ihrer nicht mehr erträglichen Leiden mit nicht besserem Erfolge. Die Mission des Azis Pascha nach Bosnien be¬ wirkte ebenso wenig eine wesentliche Aendernng, als jene Ethem Paschas. Daher die sich immer bis in unsere Tage wiederholenden Auf¬ stände der zur Verzweiflung getriebenen Rajah, an welchen sich meist auch das wild tapfere Bergvolk Mvntcuegro's beteiligte. Der fanatische Haß der Türken gegen die Christen machte sich noch immer hie und da in wilden Ausbrüchen Luft. Sv z. B. wieder in Bosnien, wo die Christen aus Türkisch-Gradisca auf österreichisches Gebiet flüchten mußten (Juli 1873). Sie wandten sich in einer Denk¬ schrift um Abhilfe an die Großmächte. Demungeachtet ließ die türkische Regierung die Güter der Geflüchteten feilbieten. Ja am 13. September wurden in Gradišča auf Befehl des Kaimakam mehrere Christen ge¬ martert, um falsch auszusagen. Eilf der vornehmsten christlichen Handels¬ leute schleppte man nach der Festung Banjaluka, als verdächtig der Freundschaft und Verbindung mit den geflüchteten „Rebellen". Von da brachte man die eingefangenen Christen nach Serajewv. Durch Tor¬ turen erzwang man von Einigen falsche Aussagen. Die Mehrzahl blieb aber doch standhaft. Eine anonyme, Oesterreich verletzende Denkschrift — es sind nämlich darin österreichisch - ungarische Consularbeamte panslavistischer Umtriebe beschuldigt — über die bosnischen Ereignisse, deren Autorschaft der Pforte selbst zngcschrieben wurde, hätte bald zu ernstlichem Zerwürfnisse zwischen Oesterreich und der Pforte geführt, welche sich auch dadurch beleidigt fühlte, weil die Fürsten von Rumänien, Serbien und Monte¬ negro, als sie zum Besuche der Weltausstellung in Wien waren, vom Kaiser daselbst ohne Dazwischenkunft des türkischen Gesandten, also als Onasi-Svnverüne, empfangen wurden. Die Sache wurde aber doch gütlich beigelegt, nachdem die Pforte befriedigende Erklärung gegeben, respeetive das Memorandum desavonirt, respeetive widerrufen und Genugthnung Europa. Z 34. Die katholische Kirche in der Türkei. 137 zugesichert Hütte. Die geflüchteten christlichen Bosniaken wurden am- nestirt nnd sollten unbehelligt zurückkehren können. Später verlautete wieder von Unruhen. Viel versprechend für die christliche Civilisation ist die Niederlassung (seit 1870) der Trappisten zu Maria Steru in Bosnien. ') Die ursprüngliche Zahl von vier hatte sich bis !874 schon auf 24 vermehrt. In der nahen Stadt Banjaluka errichteten sie eine Schule mit barmherzigen Schwestern — insgleichen gründeten sie ein Waisen¬ haus für die männliche verwahrloste Jugend, welche sonst gewöhnlich dem Islam verfällt. Die Mißhandlungen der Christen im Jahre 1875, zumal in Bos¬ nien und in der Herzegowina wurden fortgesetzt. Man beschuldigte sogar den griechisch-schismatischen Metropoliten von Serajewo, Antim ns (einen Phanarivten) des Einverständnisses mit den türkischen Macht¬ habern. Eben diese unerträgliche Lage der Christen, zumal in der Herze¬ gowina (mit, wie schon erwähnt, ungefähr 48.000 Katholiken, aber dabei 60.000 Mohamednnern und 700.000 Griechen), trieb sie zu deu Waffen. Blutige Conflicte mit den Türken waren die Folge (seit Juli 1875). In der Prvelamativn llllo. 23. Juli forderte der Pascha von Bosnien die „Aufständischen" zur Unterwerfung auf, mit der Drohung, sonst Alles über die Klinge springen zu lassen. Am 4. August schlugen 200 (?) Christen bei Nevesinje 800 Türken, wobei Selim Pascha selbst verwundet wurde. In ihrem Manifeste schildern die Jnsnrgentenführer die unausstehliche Lage der Christen, welche sie zur Ergreifung der Waffen zwang. Unterstützung fanden die Insurgenten von Seite der Großmächte keine; sondern erhielten von deren Commissären nur den Nath, sich wieder in Gehorsam zu fügen. Denn Jene wollten nicht von den Auf¬ ständischen sich die orientalische Frage auf die Tagesordnung setzen lassen; es schien ihnen ein kleineres Uebel, daß Christen von Musel¬ männern noch weiter gemißhandclt werden, als daß politische Ver¬ wicklungen aus ihrer Jntervenirnng für dieselben entstünden. — Ein ') lieber Bosnien, dessen katholischer Bischof zu B reto vsko, einem Dorschen zwischen Visoka und Lehovae, wohnt, ist nachzulesen das während des Druckes erschienene Werk „Bosnisches" von Freiherr» von Helsert, zumal IX. „Türkische Uuwirthschaft" und „Anhang". 138 Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Ferman des Sultan vom 1. September versprach zwar Reformen; aber die Insurgenten wußten wohl, was von solchen schon oft da¬ gewesenen papierenen Zusicherungen zu halten sei. Sie richteten an den Sultan selbst ein Manifest (September), welches mit den Worten schließt: „Hier hast Dn den Krieg, alter Blutsauger! Du Feind des Serben- thums, unser Padischah. — Das serbische Volk aus allen Theilen Bosniens." Der Jnsurgentcnführer Pope Zarko feuerte in einer er¬ greifenden Prvelamativn seine Landsleute zum Kampfe auf Lcbeu uud Tod an. Und in der den internationalen Comuiissüren in Mctkovic über¬ reichten Denkschrift cküo. 12. September sagen sie, nach Aufzählung ihrer Leiden und Mißhandlungen, unter Anderem: „Den türkischen Versprechungen schenken wir keinen Glauben mehr; und was Euere Ver¬ wendung betrifft, die Ihr uns anbietet, so haben wir uns überzeugt, daß sie bei den Türken nicht so viel gilt, als eine Bohnenschote." Wie sehr sie Recht hatten, zeigte nicht lauge hernach unter- viel en anderen folgender Vorfall: Den mit ihren Habseligkeiten ans österreichisches Gebiet geflüchteten Bewohnern zweier Dörfer wurde auf österreichische Verwendung bereitwillige Aufnahme in ihrer Heimat zugesichert. Aber kaum waren sie znrückgekehrt, als sie von Baschi-Bozuks überfallen nud niedergemetzelt wurden. Auch die kaiserliche Jrade von: 2. Octvbcr, in welcher der Snltan allerhand schone Sachen versprach, rührte die Insurgenten nicht. Einen ergreifenden Aufruf an alle christlichen Nationen Enrvpa's zur Unterstützung der so schrecklich mißhandelten Rafahs richtete der serbische Patriarch Michael. „Laßt euch bewegen", sagt er darin, „uns in unserem namenlosen Unglücke zu helfen; sei es im Namen der gemeinsamen slavischen Abkunft, sei es im Namen des Christenthums und der heiligen christlichen Kirche, sei es endlich im Namen der Mensch¬ heit!" Später erließ er eine Aufforderung — zumal an seine Geistlich¬ keit — zur thätigen Bethciligung an der „Gesellschaft zur Unterstützung Verwundeter und Krieger in Kriegszeit". Eine neue, für die sogenannten Insurgenten hoffnungsreichere Phase trat damit ein, daß Rußland sich nun offener derselben anznnchmen begann. Am 3. November hatte der russische Botschafter General J gna¬ ti eff eine Audienz beim Sultan, in welcher er diesem — nach Art Menschikvff's — die schlechte Verwaltung seiner Regierung, die Europa. A 34. Dir katholische Kirche in der Türkei. 139 Unzufriedenheit seiner Unterthemen, den Verfall der türkischen Finanzen und die Dringlichkeit von Reformen auseinandersetzte. Eine große Niederlage erlitten die Türken unter Selim und Sefket Pascha bei Piva (12. November). Ebenso, ja noch übler er¬ ging es am 2. und 3. December dein Reuf Pascha — auch in der Herzegowina. In kleineren Kämpfen siegten die „Insurgenten" am Flusse Lim an der albanesischen Grenze und bei Bitschi. Der am 14. December verkündete großherrliche Ferman mit dem Datum lZ. Zilcadv 1292 (12. December 1875) verhieß den Christen nach allen Richtungen vollkommene Gleichstellung mit den Muselmanen. Damit meinte die Pforte weiterem Drängen der christlichen Mächte um durchgreifende Reformen znvvrzukommen. Natürlich konnte Niemand weder an den Ernst der schönen Versprechungen noch an die Möglich¬ keit ihrer Ausführungen glauben. Denn damit würde die Pforte wirklich ihr Testament und ihre Abdankungsurkunde unterschrieben haben, weil der Islam mit der erwähnten Gleichstellung nm: einmal absolut nn- vereinbarlich ist. Ende December wurde Reuf Pascha wieder in Dngo von So- csitza total geschlagen. Auch bei Krst atz siegten die Insurgenten (24. December). Am 31. Jauner 1876 wurde vom österreichischen Gesandten Graf Z i ch y nach der vvrausgegangencn Circulardcpesche vom 30. December 1875 der Pforte die im Einverständnisfe mit Rußland und Deutsch¬ land abgefaßte Note des österreichischen Ministers des Aenßern Grafen And rassy übergeben. Sie enthält Refvrmvvrschläge, sowie sie geeignet schienen, die Pacification der insurgirtcn Provinzen herbeiznführcn und dadurch dem Ausbruche eines allgemeinen Krieges vorzubeugen. Diese, in französischer Sprache gcschricbeirc Note knüpft an die vorerwähnte Jrade vom 2. Octvber und an den großherrlichcn Ferman vom 12. De¬ cember v. I. an, die sic aber als unzureichend erklärt. Wider Erwarten stimmte die Pforte den Refvrmpnnkten der Note Andrassy's bei und ordnete mittelst der Jrade vom 15. Mnharrem 1293 die sofortige Durchführung von vier der vvrgeschlagenen fünf Punkte in Bosnien und der Herzegowina an. Aber diese Jrade schon enthielt weniger als die Andrassy'sche Note verlangte, und daß noch dies Wenige nicht ansgcführt werden wolle und könne, war für keinen Kenner türkischer Zustände zweifelhaft. 140 I Thcil 0 Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Eine Deputation bosnischer Flüchtlinge sagte in einer Petition an den eonimandirenden General von Croatien, Feldzeugmeister Baron Mvllinary, in Agram unter Anderem bezeichnend: „Es ist ein ver¬ gebliches Bemühen, zu vereinen, was durch die Natur unvereinbar er¬ scheint . . . Sind die Mächte nicht in der Lage, uns eine rasche und entschiedene Hilfe zu gewähren, so mögen sie uns unserem Schicksale überlassen. — Die Türken in Bosnien und der Herzegowina lachen nach wie vor über solche Briefe (nämlich Paeificativnsschreiben der Großmächte an den Sultan), sagend: „Niemals kann das Kreuz dem Koran gleichgestellt werden; die Gianrs können nie mit den Nachfolgern des Propheten gleichberechtigt sein." — Wir bitten Dich, Du mögest uns die Waffen znrückerstatten lassen, die wir beim Uebertritt auf diese Seite den Behörden abliefern mußten. Denn in den Waffen liegt, wenn nicht die Rettung, doch die Gewähr, daß wir nicht ungerächt sterben werden." Aehnlich lautet eine telegraphische Erklärung des Ausschusses der bosnischen Flüchtlinge an die Souveräne von Oesterreich-Ungarn, Ru߬ land und Deutschland. Die Insurgenten legten darum die Waffen noch nicht nieder. Am 6. März brachten sie den Türken eine neue Niederlage — die empfind¬ lichste bisher — bei Muratowitza bei. — Wo sic ans österreichisches Gebiet kamen, wurden sie entwaffnet und internirt. So widerfuhr es insbesondere dem Führer L j n b v b r a tits ch mit seiner Schaar. Man brachte ihn nach Linz, dann nach Graz. Ueberall in Dalmatien war er der Gegenstand demonstrativer Ovationen. Mit abwechselndem Er¬ folge wurde der Kampf fortgeführt; meist doch zogen die Türken den Kürzeren. Die aufständische Bewegung ergriff nun auch die Bulgaren, welche aber ob Mangel einheitlicher Führung minder glücklich kämpften. Vorzüglich dieselben litten Entsetzliches von den wilden Tschcrkessen, welche die Pforte aus Rußland vor mehreren Jahren einwandern ließ. Selbst in England sprachen sich Meetings auf das Energischeste wider diese Greuel ans. Den Anstoß dazu gab zunächst Gladstone durch Wort und Schrift. Der mit der Untersuchung an Ort und Stelle beauftragte englische Botschaftssekretär Baring lieferte haarsträubende Berichte. Allein im Blutbad von Batak wurden wenigstens 5000 Menschen getödtet. Die Europa. Z 34. Dir katholische Kirche in der Türkei. 141 Zahl aller ermordeten Christen schätzt er — wohl noch unter der Wirklichkeit — auf l 2.000. Bereits im April hatte eine bulgarische Deputation eine Denkschrift dem Minister des Auswärtigen überreicht mit dem Datum: Loimlan- tinoplo, la 14 nvril 1876. Die Aufschrift lautet: Uvinoire i>ro8onlö an nom eie Irr nrrtion IRiAa.ro rrnx (lrancko8 IwwkrrimW <1e I'lvnropo, in'vteetrioes «le« ponplo8 olirötioim ä'Oriont — der Schluß aber: I^kUWer el68orn>rri8 Io Konvoir eutro Io8 nrrrino eio Rnro8 paar Io Aonvornomont eio oo ponplo, oo 8errrit I'nlirrncionnor ü 8on i>ng>ro bonrroau. IÜLnroi>o — I'Luropo obrötionno ot oiviliseo Io voneirrr-t-ollo? Unterfertigt sind: Uonr Irr nrrtion Unl^rrro. Uo8 ckonx äeIöAnö8: b). /^e nr lc o k, Urrrvo D. U rr I rr b rr n o >v. Vom Fanatismus der Türken war das Schlimmste, eine allgemeine Metzelei der Christen zu befürchten. Am 6. Mai wurden zu Salonichi (Thessalonich) aus Anlaß des wie es scheint erzwungenen Ucbertrittcs eines christlichen Landmädchens zum Islam, welches Christen befreien wollten, der deutsche und fran¬ zösische Konsul in der Moschee ermordet. Tie Pforte fügte sich endlich den Satisfactionsforderungen Frank¬ reichs, insbesondere einer energischen Note Deutschlands. Zn Priedor in Bosnien richteten die Türken am 8. Mai unter den Plötzlich überfallenen Christen ein schreckliches Blutbad au. Während die unmenschlich mißhandelten Christen, nm das un¬ erträgliche türkische Joch abznwerfen, Gut und Blut opferten, evn- ferirten in Berlin (Mai) die Reichskanzler von Deutschland, Rußland und Oesterreich - - Fürst Bismarck, Fürst Gortschakoff und Graf Andr a s s y über die Paeifieativn der Türkei, und zwar auf der Grundlage des 8tatn8 gno. England lehnte entschieden jede Theilnahme und Zustimmung zu dem Berliner Memorandum ab, in der richtigen Ueberzengnng, daß derlei Bemühungen ganz erfolg- und aussichtslos seien, und wohl auch im Mißtrauen auf die Mächte, zumal Rußlands. Es setzte sich in Bereitschaft für mögliche kriegerische Eventualitäten. In Constantinvpel trugen sich indessen nicht geahnte Ereignisse zu. Nämlich in der Nacht vom 29. auf den 30. Mai die Entthronung des Sultans Abdul Aziz — zunächst ein Werk der Minister, des Scheich- ül-Jslam und der Sofias, d. i. mohamedanischen Theologen und Juristen. 142 I. Theil. 1 Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. An seiner Stelle bestieg sein Neffe, der älteste Sohn seines Bruders, des vorigen Snltans Abdul Medschid, präsumtiver Thronfolger, als Murad V. (geboren 21. September 1841) den morschen Thron der Osmanen, als „Kaiser von Gottes Gnaden und durch den Willen der Nation". Wenige Tage später — nm 4. Juni — endete der Ex¬ sultan Abdul Aziz — die vfficietten Nachrichten besagten, durch Selbstmord, indem er sich die Handadern mittelst einer Scheere dnrch- schnitt (woran aber im Grunde Niemand recht glauben wollte, sondern man vermuthete allgemein einen Politischen Mord). Der neue Sultan bot den Aufständischen in Bosnien und der Her¬ zegowina binnen sechs Wochen Amnestie an lind ließ ein Refvrmprogramm für das ganze Reich ausarbeiten, welches demselben eine Repräsentativ- Verfassnng (!) gewährte. Um Eines wie um das Andere kümmerten sich die Insurgenten gleich wenig. Aus Rache tödtete in der Nacht vom 15. bis 16. Juni ein Cir- eassier, Hassan, den Kriegsminister Hussein Avni Pascha, den Minister des Auswärtigen Raschid Pascha, verwundete den Marine¬ minister Achmed Kaisserli Pascha und Andere. Nachdem die Skupschtina der bosnischen Jnsnrgeutenführer den Fürsten Milan von Serbien auch zum Fürsten von Bosnien prv- clamirt hatte, konnten die eisernen Würfel des Krieges nicht länger hintangehalten werden. Am 29. Juni reiste Fürst Milan zur Armee ab. Am 2. Juli — dem Tage der Kriegserklärung — überschritten die ersten Serben die türkische Grenze. Der Sultan rief alle Mvha- medaner vom siebzehnten bis zum siebzigsten Lebensjahre zum — hei¬ ligen (!) — Kampfe auf. Das Kriegsglück schien Anfangs die Serben zn begünstigen. Raneo A li m p it s ch siegte vor Beljina in Bosnien; aber bald wurden sie zurückgedrängt. Befehligt von dem Russen Tscher- najeff als Obercommandanten, bemächtigten sie sich der Höhe» von Babina Glawa und besetzten Ak Palanka. Bei Zaitschar errangen die Türken bedeutende Bortheile. Sv wogte der Kampf auf und ab. Bei den äußerst nnverläßlicheu Nachrichten vom Kriegsschauplätze wußte der Leser wirklich nicht recht, woran er sei. lieber die indessen — am 8. Juli — zn Reichstadt in Böhmen stattgefundene Zusammenkunft der Kaiser von Oesterreich nnd Rußland, welche man natürlich mit der sogenannten „orientalischen Frage", die durch den serbisch-türkischen Krieg in eine neue Phase trat, in die aller- Europa Z 34. Die katholische Kirche in der Türkei. 1g.Z nächste Verbindung brachte, verkantete Anfangs nichts Bestimmtes in die Oeffeutlichkeit. Eine erste Frucht davvn wenigstens war die Sper¬ rung des Hafens von Klek, dessen sich die Türken bisher zum Aus¬ schiffen ihrer Truppen im Rücken der sogenannten Insurgenten bedienten. Allein damit war zugleich die Sperrung aller österreichischen Häfen für die Landung von Kriegseontrebande verbunden, damit die Neutralität nach allen Seiten gewahrt erscheine. Beim Beginn des nachherigen Waffenstillstandes (November) bewilligte Oesterreich die Wiedereröffnung des Hafens von Klek unter Controls nur für Handelsschiffe und für den Transport und Bedarf der Verwundeten. Eine für die Montenegriner siegreiche Schlacht war jene bei Vrbitza (oder Vueidol) am 29. Juli. Mnkthar Pascha wurde total geschlagen — von sechzehn Bataillonen retteten sich kaum vier — Selim Pascha getvdtet, Osman Pascha gefangen. Die Türken erlitten ungeheuren Verlust. Andererseits aber gelang es den Türken, in Serbien einzndringeu. Sie nahmen am 5. August die Stadt Gurgusowatz (Knjaschcwatz) — von den Serben später wieder besetzt — einen wichtigen Knotenpunkt; besetzten Zaitschar, welche beide Städte selbstverständlich eingeäschert wurden. Abscheuliche Missethateu begleiteten, wie überall, das Vor¬ dringen der fanatisirten türkischen Horden. Wieder errangen die Montenegriner einen bedeutenden Vvrtheil über die Türken bei Kuei am 15. August; schlugen auch am 6. Sep tember dieselben unter D e r w i s ch Pascha; doch konnten sie deren theil- weiseu Einmarsch in Montenegro nicht hindern. Tagelang wurde bei Alexinatz zwischen den Serben und Türken wüthend gekämpft. Diese siegten am l. September. Nach kaum dreimonatlicher Regierung wurde — am 31. August — Murad V., ein entnervter, zuletzt sogar der Tobsucht verfallener Wüstling, des Thrones entsetzt und sein Bruder Abdul Hamid II. zum Sultan ausgerufen. Seine „Säbelumgürtung" -- die türkische Krönung — fand nm 7. September statt. Die Großmächte verhandelten wieder um die Einstellung der Feind¬ seligkeiten. Die Pforte gab ihre Bereitwilligkeit, Frieden zu schließen, zu erkennen; aber unter Serbien sehr demüthigeuden Bedingungen; als Neuinvestitur des Fürsten Milan in Cvnstautinopel, Besetzung von vier Festungen, Demvlirung der nicht schon von altersher bestandenen 144 I- Thcil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der knth. Kirche. Befestigungen, Kriegsentschädigung, eventuell Erhöhung des Tributes, Herabsetzung der serbischen Kriegsmacht. — Wenigstens trat eine knrze Waffenruhe zwischen den kriegführenden Theilen ein. Keine geringe Verlegenheit für die einen Modus zur Herstellung des Friedens suchenden Mächte war die Ausrufung des Fürsten Milan zum Könige von Serbien durch die Armee, wohl aber zunächst auf Veranlassung Tschcrnajeffs am 15. September in Seene gesetzt. Am 28. September ergriffen die Serben, deren Reihen sich immer mehr durch russische Freiwillige verstärkten, wieder die Offensive. Es entspann sich eine blutige Schlacht im Mvrawathalc, die aber für Tscheruajeff nicht glücklich endete. Hinwieder wurden die Türken am 30. September geschlagen. Indessen hielt die Anwesenheit des russischen Generals Graf S u m a r v k o ff am kaiserlichen Hoflager in Wien mit einem Handschreiben des Czar die allgemeine Neugierde in Spannung - - um so mehr, weil die Pforte die Friedensprvpositivnen der Großmächte ablehnte, unter dem Vorwande, Reformen für das ganze Reich, nicht blvs zu Gunsten der Aufständischen, einführen zu »vollen. Den von ihr prvponirten s e ch s m o n a t li ch e n Waffenstillstand aeeeptirte hinwider weder Serbien und Montenegro, noch Rußland. Die Pforte wollte glauben machen, daß es ihr mit ihren Reformen Ernst sei. Für das erste türkische Parlament (!) erschien sogar schon ein Provisorisches Wahlgesetz. Aus den fortwährenden Kämpfen erwähnen wir nur einige der größeren: Am 6. und 7. Oetvbcr siegten die Montenegriner über Mnkthar Pascha; am 9. und l0. Octobcr zog Derwisch Pascha den Kürzeren; nicht lange hernach capitnlirten die Blockhäuser von Mednu an die Montenegriner. Die Türken hingegen nahmen am 29. October nach hitzigem Kampfe Dschnnis, den Schlüssel der ser¬ bischen Stellung. Hiemit stand Serbien den Siegern so gut wie offen. Sie besetzten das von den Serben geräumte Alexinatz (31. October) und Deligrad (I. November). Das durch den Gesandten General J g n a t i e f f der Pforte über¬ reichte russische Ultimatum, binnen 48 Stunden den sechswvchentlichen Waffenstillstand anzunchmen, kam zu spät, um das Prestige Rußlands bei den niedergeschmettcrten Serben zu retten. Ohne darauf zu achten, bewilligte die Pfvrte ans eigener Initiative einen achtwöchentlichen Europa. Z 34. Die katholische Kirche iu der Türkei. 145 Waffenstillstand, wobei sie als Siegerin noch die Großmüthige spielen konnte, welcher Annahme fand, und Serbien den Vortheil brachte, daß die Türken Kruschewatz, dessen Oecupativn bevvrstand, nicht besetzten. Nnn ging wieder das Geschäft der Diplomaten an, um die „orien¬ talische Frage" friedlich zu losen. Aber Niemand wollte ernstlich an deir Frieden glauben — um so weniger, als Rußland und England ihre Rüstungen im großartigen Maßstabe fortsetzten, und nachdem (No¬ vember) auf die kriegerisch lautende Rede des englischen Premierministers Disraeli (seit seiner vor Kurzem geschehenen Erhebung zur Pairs- würde Lord Beaconsfield) gelegentlich des Lordmayor-Bankettes der Czar bei seiner Anwesenheit in Moskau mit einem Appell an die Waffen antwortete. Denn diese werde er ergreifen, sagte er, wenn seine Forderungen bei der Konferenz iu Constantinopel sich nicht verwirk¬ lichen sollten. Ueber die serbischen Truppen sprach sich der Czar nicht schmeichel¬ haft ans. Durch ein Handschreiben verbot er aber auch dem General T s ch e r n a j e ff, nach Rußland zurückznkehrett. ') Auch Rumänien und Griechenland rüsteten. Galt es ja für das Letztere um die Befreiung so vieler noch unter der Tyrannei der Türken schmachtenden Stammesgenvssen. In Thessalien hausten eben wieder Baschi-Bozuks und Tscherkessen in einer aller Menschlichkeit Hohn spre¬ chenden Weise. Der Specialbevvllmächtigte Englands bei der Cvnferenz in Con- stantinopcl, welche, nach vvrhergegangener Bvrcvnferenz, am 23. De¬ cember begonnen hatte, Marquis von Salisbury, besuchte auf der Hinreise die Höfe von Berlin, Wien und Rom (November), nm sie über ihre nächsten Pläne auszufvrschen — ohne jedoch Besonderes er¬ fahren zu haben. Während man für die Verbesserung des Loses der slavischen Christen in den Balkanländern Seitens der Mächte verhandelte, veröffentlichten Blätter zwei Denkschriften, nämlich der Armenier und der Griechen in der Türkei, worin sie die Aufmerksamkeit auch auf ihre traurige Lage zu lenken suchen. Indessen wurde der Waffenstillstand um zwei Monate, nämlich bis l. März 1877, verlängert. ') General Ts eher naje ff wurde am 13. Jänner 1877 aus Prag mittelst Polizei sortgeschafft, weil er dort politische Demoustratioueu veranlaßte. 8 t e p i s chu e g g, Papst PiuS IX. und stille Zeit. II. Bd. 10 146 4 Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Dm Zumuthungen der Großmächte, auf ihre Garautiefvrderungeu zu Gunsten der Christen einzugehm, antwortete die Pforte mit der feierlichen Verkündigung der neuen den abendländischen Constitutionen nachgeäfften türkischen Verfassung — am 23. December. Eine Jrade des Sultans verordnete, das; dieser Tag alljährlich als natio¬ naler Festtag gefeiert werde. Ein wahres Pvssenspiel neben dem Koran! In dieser Verfassung erscheint Rumänien — und wohl auch Ser¬ bien — mir als „privilegirte türkische Provinz" und auch die Rumänen als „Osmanen", was in Bukarest böses Blut machte. Dvch die Pforte gab eine befriedigende Erklärung. Um so unbeugsamer aber zeigte sie sich der Conferenz gegenüber, deren obwohl immer hcrabgcminderte Forderungen sie endlich sanuut und sonders im „Großen Rathe" vom 18. Jänner 1877 kategorisch abwies. Die Conferenz ging nach ihrer am 20. Jänner gehaltenen letzten Sitzung völlig resultatlos — ohne Sang und Klang — auseinander. Eine an sich geringfügige, aber unter den gerade gegebenen Um¬ ständen doch bemerkenswerthe Thatsache war der Besuch des Großveziers Midhat Pascha beim svgcuauuteu ökumenische», d. i. griechisch-schisma- tischen, und danu auch beim armenischen Patriarchen. Der schlaue Türke wußte recht gut, wie sehr sich dadurch die ganze griechische und ar- inenische Nation geschmeichelt fühlen werde. — Mittelst gleichlautender Telegramme lud er die Fürsten von Serbien und Montenegro zu di- recten Friedensverhandlnngeu mit der Pforte ein, »vorauf diese cin- giugen. Rußland gab demungeachtet seinen Plan nicht auf. Die Cireular- depesche des Reichskanzlers Fürst G v rt s ch a k v ff . August angefaugen — mit wenigen Unterbrechungen um den Schipkapaß am Balkan, bis zu welchem die Russen zurückgedrüngt worden waren, gekämpft. Am 3. September gelang es den Letzteren zwar Lvwatz wieder zu nehmen, aber bei Plevna, wo sich die Kampfe erneuerten, renssirten sie nicht. Entsetzlich groß waren die Verluste auf beiden Seiten in Folge des ununterbrochenen Gemetzels. Schefket Pascha gelang es, Plevna auf längere Zeit wieder zu verproviantiren. Die Montenegriner waren indessen immer glücklicher. Sie eroberten am 8. September die durch längere Zeit belagerte Festung Niksitsch, bald darauf auch die Forte Presjeka im Dugapaß und Bilek, Goransko, Piwa, Crkviea, und besetzten das ganze Gebiet bis Fvtscha; nahmen im November Spizza nud das Fort Nehap, Dnleiguo in Albanien und Andere. Die am 2. — fortgesetzt am 3. und 4. — October zwischen Kars und Am in Asien geschlagene Schlacht endete zum Nachtheil der An¬ fangs im Vvrtheil gewesenen Russen. Sie sollen an 10.000 Mann Tvdte und Verwundete verloren haben. Hingegen erfochten sie nm 15. Oktober einen glänzenden Sieg bei Aladscha-Dagh wider Mukhtar Pascha, welchem der Sultan erst jüngst den Titel „Ghazi — der Siegreiche" verliehen hatte. Dieser mußte sich nach Kars flüchten. Die Russen erbeuteten 32 Geschütze und nahmen sieben Paschas gefangen. In Eurvpa nahmen die Russen am 29. October Telisch, wobei die Türken wieder einen Pascha und drei Kanonen verloren. In Folge der Niederlage bei Dewe-Boyun am 4. November flohen Europa/ Z 3t. Die katholische Kirche in der Türkei. 151 die Türken, welche 36 Kanonen verloren, in Armenien bis nach Er- zerum. Ein Angriff der Russen aber ans diese Stadt am 9. November mißlang. Am 18. November hingegen erstürmten sie Kars, wvbci sie bei 360 Geschütze erbeuteten und an 17.000 Gefangene machten - darunter fünf Paschas. In Bulgarien nahmen die Rumänen am 21. November Nahowa an der Donau; am 24. November die Russen die befestigte Stadt Etrvpol. Am 30. November besetztet: die Rumänen Lom-Palanka. Zwar errangen die Türken am 4. December bei Elena einen nicht unbedeutenden Erfolg, aber er nützte ihnen nicht nachhaltig. Elena selbst gaben sie bald wieder auf. Am 10. December müßte sich Osman Pascha mit der ganzen tapferen, aber ausgehungerten Besatzungsarmee von Plevna auf Gnade und Ungnade den Russen und Rumänen ergeben. Sein verzweifelter Versuch, durchzubrecheu, mißlang. Er selbst wurde dabei verwundet. Die Zahl der Gefangenen betrug über 36.000 (darunter zehn Paschas), der Kranken und Verwundeten 20.000, der erbeuteten Geschütze 77. Dieser Schlag hinderte den Sultan nicht, am 13. December das svgenanute Parlament (zum zweiten Mal in diesem Jahre) zu eröffnen. (Das erste Mal war es am 19. Mürz.) Die Verlegenheit der Türkei benützend, erklärte ihr Fürst Milan von Serbien zum zweiten Male den Krieg. Die diesbezügliche Pro- clamativn hat das Datum: Belgrad, 1./12. December 1877. Bereits am 19. December erkämpften die Serben den Paß St. Ni¬ colai mit seinen Befestigungen, nahmen dann Pirot, am 2. Jänner 1878 Leskowatz, am IO. Jänner die Festung Antivari, Tags darauf die Festung Nisch, zogen am 16. Jänner in Dulcigno ein, verbrannten am 27. Jänner das Fort Leseudra u. A. Alsbald nach dem Falle von Plevna hatte die türkische Regierung im Rundschreiben vom 12. December sich an die Großmächte nm eine Friedensmediation bittlich gewendet, erhielt aber ablehnende Antworten — zunächst wohl auch aus dem Grunde, weil sie darin noch immer „die Integrität des Vaterlandes" betonte und verlangte. Der Czar reiste nach Rußland zurück und kam am 22. December in Petersburg an. Unter den größten Schwierigkeiten bewerkstelligten die Russen Ende 152 1 Theil. I. Hcmptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. December den Balkau-Uebergang. Am 3. Jänner 1878 zogen sie in Sofia ein. Es war das erste Mal seit 1434, daß christliche Truppen daselbst erschienen. Dem General Radetzki gelang es am 8. und 9. Jänner 1878, die ganze sogenannte Schipka-Armee in der Stärke von circa 32.000 Mann mit 93 Geschützen und 10 Fahnen gefangen zu nehmen. In Folge dessen fiel die ganze Balkanlinie in die Hände der Russen, welche am 16. Jänner in Philippopel, am 20. Jänner aber in Adrianopel cinrücktcn. Mittlerweile begannen türkische Bevollmächtigte unmittelbar mit dem russischen Hauptguartier zu Kesanlik um den Waffenstillstand und allfällige Friedenspräliminarien zu unterhandeln. Diese hielten indes die Russen vom weiteren Vorrücken gegen Constantinopel nicht ab. Endlich wurde am 31. Jänner der Waffenstillstand abgeschlossen, und zwar zu Adrianopel. Siche, da überschritten am 2. Februar g ri c ch i s che Truppen die Grenze, zunächst zum Schutze der griechischen Bewohner — zogen sich aber wieder zurück, weil den Schntzmüchten dieses Vorgehen nicht zu¬ sagte und sie selbst bessere Zustände in Thessalien herbeiznführen ver¬ sprachen. Ungeachtet der Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen hatten die Russen ihren Marsch bis vor Constantinopel fortgesetzt. Da schickte England, wie es vvrgab, zum Schutze der Engländer in Constantinopel, seine Panzerschiffe durch die Dardanellen, und zwar gegen den, freilich auf Rußlands Willen ergangenen Protest der tür¬ kischen Regierung. Dieselben ankerten vorläufig bei den Prinzen-Jnseln im Marmarameere im Angesichte Constantinopels (15. Februar), in welches die Russen einznrückcu drohten. So hing der Weltfriede augenblicklich an einem Faden. Der Friedcnsvertrag von S. Stefano bei Constantinopel vom 3. März 1878 ließ der Türkei nur einen Schatten mehr ihrer Sou¬ veränität in Europa. Er rief den Widerspruch der Mächte, zumal Englands hervor, was seine Rectificirung auf dem am 13. Juni zu Berlin eröffneten (am 13. Juli geschlossenen) Congrcsse, auf welchem auch Italien als Gro߬ macht figurirte, zur Folge hatte. Ob derselbe den Frieden erhalten und sichern wird? Leider sind die Aussichten diesbezüglich nicht die tröstlichsten. Europa. Z 34. Die katholische Kirche in der Türkei. 15Z In Europa bleibt vorläufig die Türkei immerhin noch auf einen kleinen Theil ihres früheren Reiches beschränkt — kaum auf die Um¬ gebung von Cvustantinopel. Serbien und Rumänien sind unabhängig geworden. Montenegro war es eigentlich schon früher. Bulgarien wurde in zwei Theile zer¬ rissen — in das eigentliche, unabhängig sein sollende „Fürstcnthum Bulgarien" und in „Ostruinelien" im Süden des Balkan, über welches dem Sultan noch eine nominelle Oberhoheit zustehen soll. Oesterreich-Ungarn oecnpirte, als hiezu vom Berliner Kongresse bevollmächtigt, ja beauftragt, Bosnien und die Herzegowina, wv es die „Jnsnrreetion" mit glücklichem Erfolge niederschlug. In Folge dieser politischen Umänderungen eröffnet sich hoffentlich auch für die katholische Kirche ein neues, weiteres Feld ihrer segens¬ reichen Mission. Sie wird es, wenn nicht daran behindert, gewiß zum Heile der durch Jahrhunderte vernachlässigten, darum so tief herab- gesuukenen Bevölkerung bebauen. In den der Pforte bis jüngst mittelbar unterworfen, ihr nur tri¬ butär gewesenen Fnrstenthümern Serbien, Moldau und Walachei lastet der. Haß der griechischen Schismatiker auf den Katholiken, welche da¬ selbst noch immer einer ganz freien Ausübung ihrer Religion entbehrten. (In Folge der Berliner Cvngreßbeschlüsse wird sich ihre Lage wohl gün¬ stiger gestalten.) Auf Verlangen der österreichischen Regierung erhielten 1855 die Katholiken zu Belgrad, und zwar auf Kosten des Staats¬ schatzes, eine Kirche und einen Priester zugesichert. Der türkische Pascha protestirte (1856) zwar, aber fruchtlos gegen den Bau. Am 22. De¬ cember 1858 setzte die serbische Scuptschiua den Fürsten Alexander Kara-Georgevich (des Cer ui Jury Sohn) ab, nnd berief den alten Milvsch O br e n o vich auf den Fürstenstuhl, >) nach dessen Tode (26. September 1860) ihm sein Sohu Michael folgte. Am 10. Juni 1868 wurde der Fürst von Serbien — wo für die römischen Katholiken das Erzbisthnm Seopia nnd das vereinigte Bisthum Belgrad-Semendria bestehen —- Michael Obren ovich in seinem Parke von Tvpschider bei Belgrad von Verschworenen meuchlings ermordet. Sein junger Neffe Milan O b r c n v vich (geboren 10. August y Milo sch war >780 im Dorse Dobrinize in Serbien geboren; der Sohn eines Bauern, Anfangs selbst Biehhirt. Er kämpfte unter Ccrui-Jurj gegen die Türken. 154 I- Thcil. I. Hmipsttiick. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. 1854 zu Jassy) nahm vorläufig unter einer Regentschaft die Zügel der Regierung in die Hand. Politische Motive scheinen die Unthat verursacht zu haben. Sogar der Exfürst Alexander Kara-Georgevich wurde als der theil- weisen Urheberschaft verdächtig, auf Requisition der serbischen Negierung, welcher seine Auslieferung vom ungarischen Ministerium verweigert wurde, vvn dem ungarischen Gerichte zu Pest processirt, aber vom obersten Gerichtshöfe wegen unzulänglicher Beweise freigesprochen. Das Tribunal von Belgrad hatte ihn in eontnnmcnnm zu zwanzigjähriger Zwangsarbeit verurthcilt. Anläßlich der Großjährigkeit (mit t 8 Jahren) und Thronbesteigung des jungen Fürsten Milan am 22. August 1872 fanden in Belgrad großartige Feierlichkeiten statt. Im August verlobte sich Fürst Milan in Wien mit der Nichte des moldauischen Fürsten Morusi, Kecko. Der katholische Bischof zu Bukarest führt den Titel vvn Niko¬ polis; jener zu Jassy von Markvpvlis. Hier zu Jassy wurde ein katholisches Seminar errichtet, zur Bildung einheimischer katho¬ lischer Priester. Im August 1871 hielt der verdiente Bischof vvn Nievpvlis und apostolische Viear der Walachei, Ignatius Pavli, eine Diöcesan- Synvdc zu Bukarest ab. Behufs Sammlungen für sein Seminar, über¬ haupt für seine Kirchenbedürfnisse, bereiste er zn wiederholten Malen Oesterreich. Er brachte in der That ein blühendes Seminar zu Staude, und am 19. September 1875 konnte der Grundstein zn einer neuen, schönen, dem hl. Jvsef geweihten Kathcdralkirche in Bukarest feierlichst gelegt werden. In dem freien, schon früher sv gut wie selbständigen Montenegro war nach dem Tode des Vladica Peter II. unter seinem Neffen und Nachfolger Danilo V. (Daniel Petrovich Niegvsch) die geistliche Würde vvn der weltlichen getrennt worden (1852). Nur diese letztere überkain Fürst Danilo, der sich mit Darinka, einer reichen Kauf- maunstochter aus Triest vermählte. Nach seiner Ermordung (13. Au¬ gust 1860 im Seebade von Perzagno, im Canal von Cattaro) folgte ihm Nikitta (Nikolaus) Petrovich, Sohn des Mirko. In Pvdgorieza waren gelegcnheitlich eines Marktes im Octvbcr 1874 mehrere Montenegriner von Türken massaerirt worden. Den Europa. Z 34. Die katholische Kirche in der Türkei. 155 drei nordischen Großmächten gelang es, einen Kampf zwischen Mon¬ tenegro und der Türkei zn verhüten (Jänner 1875), der zweifelsohne größere Dimensionen angenommen hätte. Nach langem Zögern ließ sich die türkische Regierung doch herbei, die zwei Hauptmörder zum Tode zu vcrurtheilen und hinrichten zu lassen. Sechs wurden nach Kleinasien verbannt. Der montenegrinische Senat verhängte auch seinerseits Kerker¬ strafen — bis zu l'/2 Jahren - über einige Montenegriner, weil sie dem Kampfe nicht answichen, und wenn auch aus Nothwehr einen türkischen Soldaten verwundeten. Der Streit über die Zugehörigkeit der heiligen Orte zu Jerusalem, wo Pius IX. das lateinische Patriarchat wieder herstellte, und wo Louis Napoleon durch seinen Gesandten in Cvnstantinvpel, La- valette, auch den Katholiken freien Zutritt zum heiligen Grabe erwirkte, war wenigstens die vorgeschützte Veranlassung zum Aus¬ bruche des von uns schon erwähnten orientalischen Krieges, nachdem die Pforte das russische Ultimatum, welches Fürst Menschikoff in seinem weltgeschichtlichen Paletot in so pompöser und herausfordernder Weise (März 1853) nach Constantinopel überbrachte, abgelchut hatte. Unter dem in Constantinopel residirenden Patriarchen ritim Intim (mit dem Titel von Pera i. p.) stehen auch die Katholiken verschie¬ dener mvrgenländischcr Riten; doch haben die unirtcn Armenier einen eigenen Erzbischof in Constantinopel, der auch deu Tiitel eines Patriarchen führt, obgleich der eigentliche Patriarch auf dem Berge Libanon im Kloster Bzummar wohnt, während jener der schis- matischen Armenier seinen Sitz in Etschmiadsin (Russisch-Armenien) hat. Am 2. Februar 1854 richtete Papst Pius IX. ein Breve an die katholischen Armenier zur Schlichtung innerer Streitigkeiten unter ihnen. Er erhob mit Breve vom 30-. April 1850 die Städte Aneyra, Artwin, Brussa, Erzernm, Jspahan (Persien) und Trapezunt zn bischöf¬ lichen, dein armenischen Erzbischöfe zn Constantinopel untergeordneten Sitzen, und ernannte zugleich die Bischöfe hiezu, ohne daß die Nation befragt worden wäre. Hierüber wäre bald ein Schisma entstanden. Der Clerus der Melchiten in den Patriarchaten zu Antiochia, Jerusalem und Alexandria hat fast ganz die Diseiplin des marvni- tischen. Im Jahre 1857 fielen mehrere katholische Melchiten zum grie¬ chischen Schisma ab (man sagt, daß Rußland hiebei im Spiele war), 156 I. Thcil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Weil ihr Patriarch Clemens Bahus von Antiochia den gregoriani¬ schen Kalender an die Stelle des alten julianischen einznführen ver¬ suchte; die Gharbi unterwarfen sich der Kalcnderreform, die Scharki nicht. Nach der Resignation desselben wurde der Bischof von Ptole- niais, Gregorins Jussef, Patriarch. (Siehe päpstliche Alloentivn vom 27. Marz l865). Der Patriarch der katholischen Syrer (nnirten Jacvbiten) hat auch deu Titel von Antivchia. Früher residirte derselbe Zn Aleppo. Gelegenheitlich der Präconi- sativn des neuen Patriarchen Ignatius Antonius Sanchiri am 7. April 1854 bestimmte aber Papst Pins IX., dast die Residenz desselben nach Mardin verlegt werden solle. Die katholischen Chaldäer (bekehrte Nestorianer) haben ihren Pa¬ triarchen zu Mvssnl; seine Residenz ist aber auch Alkosh. Bagdad wurde schon 1848 von Pins IX. zur Metropole erhoben. Das lateinische Patriarchat zu Jerusalem wurde bis zur neuerlichen oberwähnten Wiederbesetznng durch Papst Pins IX. durch mehr als 400 Jahre vom Guardian der Franeiscaner am heiligen Grabe verwaltet. Ihr erstes Entstehen aber verdankt die Custvdie des Franeiseanervrdens im heiligen Lande eigentlich schon dem Eifer des hl. Franz von Assisi. Trotz der von der türkischen Regierung nach Beendigung des orientalischen Krieges wieder versprochenen Erleichterung der Lage der Christen dauerte im Allgemeinen anch jetzt noch ihre Bedrückung fort. Der im Pariser'Frieden bekräftigte Hatti-Hnmajum vom 18. Februar 1856, der ihre Gleichberechtigung mit den Muselmanen anssprach, blieb eine tvdte Schrift. Die Wnth der Türken machte sich in neuen, an deu Christel: z. B. in Karanianien (1856) verübten Greuelthaten Luft. Zu Magnesia entdeckte man noch rechtzeitig eine Verschwörung, welche auf völlige Ausrottung der verhaßten „Giaur" abzielte, und ihr blutiges Werk in der griechischen Osternacht hätte Vvllführen sollen. In: selben Jahre mordeten Muselmai:en die Christel: zu Damascus, Marasch und Nablus. Unmittelbar nach deu: Frieden: von Paris (März 1856) wurde von dem Mathematiker Baron von Cauchy (ehemals Lehrer des Grafen von C h a m bord) und deu: Cardinal Mathieu, Erzbischof von Besanyvn, der „Verein für die christlichen Schulen des Orients" Europa. Z 34. Dir katholische Kirche in der Türkei. 157 iu's Leben gerufen; im Jahre >857 aber „zur Unterstützung der Katholiken im türkischen Reiche nnd im Orient"; in Wien der Verein der „unbefleckten E m pfä n g n i ß M ariä"; später (1861) der St. Ladislausverein in Ungarn; wie schon im Jnni 1855 in Köln der „Verein vom heiligen Grabe" (in Jerusalem) ent¬ stand. Er gibt ein eigenes Blatt: „Das heilige Land" benannt, heraus. Pius IX. erthcilte den erwähnten Vereinen die höchste kirch¬ liche Approbation, und betheilte sie mit Jndulgenzen. (Jenem von Wien mit Breve, cicko. 25. Jnni 1858). Hier sei auch einer von Duuant schon vor 1870 in Frankreich gestifteten internationalen Gesellschaft erwähnt, deren Zweck es sein sollte, alle christlichen Unternehmnngen im heiligen Lande zn fördern. Nach dein deutsch französischen Kriege hat sich diese Gesellschaft zu einer- internationalen Universal-Allianz erweitert, um überhaupt in jeder Richtung für Palästina zu wirken. Ihr erster Kongreß hatte im Jahre 1872 statt. Zum Organ hat sie das Blatt: „Im oroix ronA-o^. Oesterreich hatte seit mehreren Jahren ein regeres Interesse an dem heiligen Lande genommen. Das vom Kaiser Josef II. auf¬ gehobene General-Cvmmissariat für dort, zn Wien, wurde (19. November 1843) reaetivirt, und Kaiser Ferdinand I. bewilligte jährliche Sammlungen znm Besten der dortigen katholischen Missionen. Mit der Bulle vom 23. Juli 1847 stellte Pins IX., wie erwähnt, die Ausübung der Jurisdiction des lateinischen Patriarchen von Jerusalem und seine Nesidcnzpflicht wieder her. — Am 17. Jänner 1848 hielt der neue Patriarch, Josef Valerga (geb. 1814 zu Leauv, Diöeese Albenga im Genuesischen) seinen feierlichen Einzug iu Jerusalem. Im Jahre 1849 erfolgte die Errichtung des k. k. Cvusulates zn Jerusalem. Im Jahre 1857 besuchte auch Erzherzog Ferdinand Max Palä¬ stina nnd die heiligen Stätten, wo er schöne Andenken seines frommen Sinnes hinterließ. Mit ungleich mehr Pomp erschien dort im Früh¬ jahre 1859 der russische Großfürst Constantin. Am 17. Juni 1856 nnrr der Grundstein zum österreichischen Pilgerhause in Jerusalem, dessen sich insbesondere der Cardinal-Erzbischof von Wien, Othmar Ritter von Rauscher, warm annahm, gelegt worden, und schon am 20. Oetvber 1858 konnte die Schlußsteinlcgung statthaben. Patriarch Valerga weihte die Anstalt am 19. Mürz 1863 feierlich ein. Die Verwaltung nnd den Gottesdienst besorgen Weltpriester. Aber für die 158 I- Thcil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. heilige Grabkirche zu Jerusalem — zumal die dem Einsturz drohende Kuppel, geschah noch immer nichts, ungeachtet, oder besser gesagt, eben wegen des diesfalls zwischen Frankreich, Rußland und der Türkei nm 5. September 1864 aufgcnvmmenen Protvkvlles. Im Jahre 1865 richtete die Kaiserin Eilgenie an alle Souveräninnen Enrvpa's ohne Unterschied der Confession eine schriftliche Aufforderung zur gemeinschaftlichen Wiederherstellung der heiligen Grabkirche. Mit apostolischem Schreiben, äeio. 24. Jänner 1868, hatte Papst Pius IX. den „Orden des heiligen Grabes" neu orgauisirt. Der Orden zerfällt nnu iu drei Ritterelasseu: Großkreuze, Comthure und gewöhnliche Ritter. Das Verleihnngsrecht bleibt dem lateinischen Pa¬ triarchen von Jerusalem -- auszuüben nach einer eigenen vom heiligen Vater vvrgeschriebcnen Norm. Der Orden an sich ist alt. Scholl seit dem 15. Jahrhunderte hatte der Pater Custos oder Guardian des Ordens der minderen Brü¬ der von der Observanz des hl. Francisens zu Jerusalem aus aposto¬ lischer Ermächtigung um die Religion verdiente Männer in den Ritter¬ orden vom heiligen Grabe ausgenommen. Die diesfälligen Satzungen erneuerte und erweiterte Papst Benedict XIV. durch das apostolische Schreiben „In suprouio milituntis Loolomus" im Jahre 1746. Endlich wurde (1868) der Wiederaufbau der großen Kuppel des heiligen Grabes nach dem am 24. August (5. September) 1862 von den Botschaftern Frankreichs und Rußlands iu Cvnstantinvpel und vom Grvßvezier Ali Pascha gezeichneten Plaue vollendet. Sie ist das Werk eines französischen und russischen Architeeten. Das Kreuz wurde am 15. August — dem Namenstage des Kaisers Napoleon — enthüllt. Die heiligen Stätten sahen in neuester Zeit abermals mehrere fürstliche Personen auf Besuch. So 1869 den Bruder des Königs von Baiern, Prinzen Otto, und den Herzog von Aosta. Am 4. November langte der preußische Kronprinz in Jerusalem all und nahm (7. November) feierlich Besitz von den Ueberresten des weltberühmten Johanniter-Hospitals, welche der Sultan dem Könige von Preußen >) abgetreten hatte. ') Laut öffentlichen Blättern boten 1858 die Griechen nicht ganz 50.000 Thaler dafür an. Europa. A 34. Die katholische Kirche iu der Türkei. 159 Während in Rom über die Erneuerung des Malteser- (Johanniter-) Ordens dcliberirt wurde, hatte schon König Friedrich Wilhelm tV. von Preußen 1854 die brandenburgische Ballei des Johanniterordens wieder aufgerichtet, und, wie gesagt, dem König Wilhelm I. gelang es, sich in den Besitz der nranfünglichen Wiege des Ordens zu setzen. Eine gewiß nicht zu unterschätzende Erwerbung; denn schon seit der Grundsteinlegung znr neuen Jacvbskirchc in Jerusalem (28. Februar 1842) und deren Einweihung durch den protestantischen Bischof G ri¬ bat (22. Februar 1849) hatte auch Preußeu seine Aufmerksamkeit dem heiligen Lande in höherem Grade zugewendet. Kaiserin Eugenie hatte es vorgezvgen, in Constantinopel (Ok¬ tober 1869) und an den Ufern des Nil die Huldigungen ent- gegeuznnehmen als ihre „Pilgerreise", voll der früher so viel Aufhebens gemacht wurde, bis znr heiligen Stadt auszudchneu. Preußen handelte indessen. Fünf Tage nach dem preußischen Kronprinzen (9. November 1869) hielt Kaiser Franz Josef I. von Oesterreich seinen Einzug in Jeru¬ salem, wo er im österreichischen Pilgerhvspiz abstieg. Der Sultan hatte befohlen, den Kaiser mit denselben Ehren zu empfangen, welche ihm, dem Landesherrn, znkvmmen würden. Am 14. reiste Seine k. k. Ma¬ jestät wieder nach Jaffa ab. Von da reiste der Kaiser nach Egypten, und wohnte mit anderen Fürsten — auch der Kaiserin Eugenie — der Eröffnung des Suezcanals (16. November) bei. Bekanntlich ver¬ bindet dieser Canal das mittelländische Meer mit dem rothen Meere. Der unternehmende Franzose, Ferdinand von Lesseps, brachte ihn zu Stande. Für die neue Kathedralkirche des lateinischen Patriarchen zu Je¬ rusalem, welche von diesem am I I. Februar 1872 feierlich eingewciht (evnseerirt) wurde, ließ Kaiser Franz Josef zur Erinnerung an seinen Besuch der heiligen Stätten den Hochaltar Herstellen. Am 2. December 1872 starb der Patriarch Josef Valcrgn. Zn seinem Nachfolger ernannte der Papst im Cvnsistorium vom 21. März 1873 Vincenz Br a e c v, des Verstorbenen Coadjntvr (geboren 14. Sep¬ tember 1835 zil Torazzv in der Diöcese Albenga). Durch die Munifieenz der Fürstin L a t v nr d'A n v e r g n e konnte in Jerusalem auf dem Oelbergc ein Carmeliterinenkloster begonnen wer¬ den. (Der Grundstein zum Kloster wurde am 12. April 1875 gelegt, 160 1 Theil. l. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. «nd nm 14. Juni die neue schöne Kirche feierlich eingcweiht.) Sie schenkte auch dem Direetvr der „bleco Homo"-Anstalt, ?. Marin Alfons Rntisbvnnc zwei ihr gehörige Stückchen Land auf dem Oelberge. Ein Carmeliterinenkloster wurde anch in Bethlehem nm 24. September 1875 eröffnet. Daselbst entstand das „Johanniterhaus" auf Veranstaltung des Grafen Cnboga, kniserl. österreichischen Ge- nernlevnsuls zu Jerusalem. Die Augenklinik wurde darin 1876 einge¬ richtet. Bereits 1845 war zwischen den Maroniteu und Drnsen ein blu¬ tiger Kampf entbrannt, welcher sich noch schrecklicher !860 wiederholte. Die Mnroniten (ehemalige Mvnotheleten, so genannt nach Johann Maro, gestorben 707) etwa 2—300.000 Seelen, sind eigentlich schon seit dem 12. Jahrhundert mit der römisch-katholischen Kirche vereiniget. Sie stehen unter einem Patriarchen, auch genannt von „Antiochien", der in einem Kloster auf dem Libanon wohnt (8. LInrin von Kanobiu; im Winter gewöhnlich im Kloster Bknrka im Distriete von Kesrawnu) und unter acht Erzbischöfen und Bischöfen; haben ungefähr 150 Pfar¬ reien und gegen 200 Mönch- nnd Nonnenklöster. Die Mönche befolgen die strenge Regel des hl. Antonius. Die Drnsen sind wahrscheinlich so genannt nach einem der ersten Häupter der Seete, Ben Jsmaäl el Dar es (Darasi) dem Vor¬ läufer des H a m z a Beu Ali, des eigentlichen Urhebers dieser Seete, eines Zeitgenossen des in Egypten herrschenden Chalifen Hak em biamsallah, (gestorben im Jahre 411 der Hidschret). Dieser erhob Hamza zur Gottheit; sich selbst aber zum ersten Geschöpfe Gottes. Die Drusen, gegen 200.000, bekennen sich äußerlich zwar zum Islam, aber ihre Religion ist eigentlich ein mysteriöses Gemengsel von moha- medanischen mit christlichen, jüdischen nnd heidnischen Elementen. Daß die Marvniten, von Frankreich anfgereizt und mit Gewehren versehen, den Streit angefangen haben, ist nicht erwiesen. Schon nm 29. Akai sah man von Beirut ans bei Nacht den Brand christlicher Dörfer am Libanon. Ausrottung der Christen war das Ziel der Drusen, wobei sie an den Beduinen im Hauran — das alte Auranitis — unter ihrem greulichen Schah Ismael el Attrasch würdige Ge¬ nossen fanden. Chnrschid Pascha in Bairut that nichts zur Rettung der Christen; diese wurden im Gcgentheil nur mit leeren Versprechungen Enrvpn. Z 34. Di» kntholisch» Kirch» in d»r Türk»!. 101 hingehalten und irnter Erinahnungen zur Ruhe wehrlvs den Drusen Preisgegeben — von diesen iir Blassen hingeschlachtet, die Weiber ge¬ schändet, die Wohnungen geplündert und niedergebranut. >) Dieses Lews traf alle Christendörfer im Umkreise vvn Bairut, als: Abda und an¬ dere, vornehmlich die reichbevölkerten Orte Deirel Kammar, Rascheha (wo M v h a m e d en Nasar der Hauptanstifter war) Hasbeya, Saida (das alte Sidon) und Gcsin. So wurde von den Drnsenhäuptlingen K a s ri m L) n s e f und S a i d b e g D s chi m - bl a dt auch das katho¬ lische Kloster Deir el Michalis init beiliegendem Franenkloster und an¬ deren Maronitenklöstern beiderlei Geschlechter niedergebrannt, die Nonnen entehrt nnd dann, so wie die Mönche, getödtet. Die nach Saida fliehen¬ den Landlente wurden erst hier vor den verschlossenen Thoren der Stadt von den sie verfolgenden Drusen ermordet, wobei die türkischen Soldaten müssige Zuschauer machten. Mit Beduinen, Metanlis (ein Bolksstaunn, der noch einen mohamedanischen Messias erwartet, etwa 80.000 Seelen, im nördlichen Theile des Libanon und in der Um¬ gegend vvn Baalbek; sie gehören zur mohamedanischen Seele der Schiiten), Kurden nnd muselmännischem Gesindel aus Damaseus ver¬ stärkt, nahmen die Drusen am 28. Juni Zahle ein, nachdem sie von den christlichen Bewohnern dreimal znrnckgeschlagen worden waren. Die nämlichen Greuelscenen, wie anderwärts, hatten hier statt. Auch die schöne, zum Theile ans Beitrügen aus Oesterreich aufgebaute Kathe¬ drale ging in Flammen auf. Schon zählte man 10 -15.000 Christen¬ leichen, als am 9. Juli der Sturm in der Hauptstadt Damaseus selbst, wo schon am (>. Juni ganze Schaaren fliehender Christen angekommen waren, ansbrach. Die unmittelbare äußere Veranlassung war die Strafe, welche man zwei mohamedanischen Kindern anflegte, nämlich die Straßen iir Ketten zu kehren,-weil sie die christliche Religion ver¬ höhnt hatten. Dreitausend Christen wurden hier vom wüthcnden Volke, dem hiebei eifrig die Inden, aber auch die türkischen Soldaten halfen, auf die gräßlichste Weise abgeschlachtet, ohne daß der dortige Gou¬ verneur Achmed Pascha dagegen etwas thun wollte oder konnte. Alle Christeugnartiere wurden niedergebrannt, oder wenigstens geplün¬ dert; das englische, französische und preußische Cvnsnlat blieben ver- >) In kleiner»!» Mnststobe wiederholten sich dies» Scene» nn den Christen von Beyrut im Mürz 1875. Step ischn egg, Papst Pius IX. und seine Zeit. II. Bd. II 162 1. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. schont. Nur dem Edrlmuthe und der Unerschrockenheit Abdel Ka¬ de r' s, der von Brussa (in Bithynien, wo er früher nach seiner Frei¬ lassung durch Louis Napoleon aus dem Schlosse Ambvise (1852) wohnte) nach dem großen Erdbeben nach Damaskus gezogen war, mit seiner algerischen Leibgarde (4000 Mogrebiner, die ihm in's Exil gefolgt waren) hatten über 2000 Christen ihre Rettung zu verdanken. (Im Jahre 1862 nahm ihm die türkische Regierung diese Leibwache). Sv rächte sich dieser M u s e l m a n für seine ungerechte Bekriegnng und für die von den Franzosen ehedem in seinem Lande verübten Grausam¬ keiten! Bestverdiente europäische Orden wurden ihm zugeschickt. Die marvuitischen Bischöfe berichteten au deu Papst über die Katastrophe, welche die shrischen Christen') getroffen hatte, worauf Pius IX. uuterm 29. Juli 1860 ein trvstvvlles Schreiben an Jene erließ. Zum Schutze der Christen in Syrien rüstete Frankreich, froh, so oft es irgendwo ans einem Punkte der Erde interveniren konnte, eine Expedition unter dem Grafen Beaufort d'Hautpoul gegen Syrien, und auch Fuad Pascha traf am 16. Juli 1860 mit tür¬ kischen Truppen in Damascns ein, wo er an einigen Christenmördern wohl strenge Justiz übte — auch der Exgouvcrneur Achmed Pascha wurde mit Oman Bey und Abdul Selim Bey, deu Trnppen- commandanten von Deir el Kammar und Hasbeya, erschossen — viele Hauptschuldige aus deu Drusen aber nicht erreichte, weil sie sich in die unzugänglichen Schluchten von Hauran znrückzogcn. Auf die Forderung der Cvufereuz der Großmächte iu Paris zogen die Franzosen am 5. Juni 1861 wieder ab. Wie wenig der Versicherung der Pforte, in Syrien die Ordnung aufrecht erhalten zu können und zu wollen, zu trauen war, zeigten neue im August in Balbek und in der Nähe von K. ckoun ck'-Voro vvrgefallene Metzeleien. '-) Noch im Jahre 1862 haben in Marasch, nordöstlich von Aleppo, die Muselmanen 70 Armenier und den Bischof ermordet. ') Laut der Mittheilung eines Missionärs aus Bayrut ist die Zahl der Opfer folgende: 18.000 massacrirt; 1000 mit den Waffen iu der Hand gefallen; 75.000 von Haus und Hof oertrieben; 10.000 Waisen nnd 6000 Witwen. 2) Auch iu der Herzegowina und anderen Orten sielen damals wieder solche vor. Sogar in Konstantinopel selbst, unter den Angen der europäischen Mächte, entspann sich eine Verschwörung der Alttürken wider die Giaur; wurde aber »och rechtzeitig entdeckt und vereitelt. Europa. 8 3t. Die katholische Kirche in der Türkei. 163 Die Vertreter der fünf Großmächte kamen am 3. August 1861 in Paris dahin überein, daß im Namen aller derselben 12.000 Manu, und zwar nur zur Hälfte Franzosen, nach Syrien abgehen sollen. General Beaufort d'Hautpvnl commandirte sie. Zur Unterstützung der unglücklichen Hinterlassenen in Syrien bil¬ deten sich alsbald Comito's, und flössen reichliche Beiträge ein; auch in Oesterreich wurde dem Generalviear des melchitischen Bischvfes von Zahle, Moses M a k h nt und dessen Sccretär eine Sammlung zu obigem Zwecke bewilliget. Die türkische Regierung versprach möglichste Ent¬ schädigung der Betroffenen, und Fuad Pascha legte zu dem Ende den Drusen eine außerordentliche Kontribution ans. Zum Gouverneur des Libanon wurde der katholische Armenier Daud mit Pascha's-Rang bestellt. Leider siel er — so hieß es — 1866 zum Islam ab. Er wird als ebenso unfähig als hart in seiner Verwaltung geschildert; weshalb sich der Marvnitcnchef Jnssns (Josef) Karam für die Selbständigkeit seiner Nation erhob, aber, von den türkischen Truppen geschlagen, sich flüchten mußte (1866). ') Bis zum Jahre 1861 gab es in der asiatischen Türkei 38 katho¬ lische Diöcescn verschiedener Riten. Anlangend das fast unabhängige Arabien, kauften die Engländer von den arabischen Stämmen die Halbinsel Aden am gleichnamigen Meerbusen, und besetzten 1857 auch die kleine Insel Perim am Ein¬ gänge in's rothe Meer. Im nächsten Jahre (1858) richtete in Dscheddah der mohamedanische Pöbel unter den christlichen Bewohnern ein Blut¬ bad an, wobei auch der englische und französische Cvnsnl ermordet wurden. Eine englische Fregatte bvmbardirte darob Dscheddah, ungeach¬ tet der Sultan Satisfaetivn versprochen hatte. In Bethlehem kam es im März 1873 zwischen Griechen und Lateinern zu einem jener Cvnfliete, wie sie an den heiligen Stätten leider so oft Vorfällen. Im Jahre 1871 verbrannten nämlich die Vor¬ hänge der heiligen Grotte. Die Griechen selbst, hieß es, hatten sie an¬ gezündet. Um den Zwistigkeiten der Griechen und Lateiner über das Eigenthnmsrecht an den Vorhängen ein Ende zu machen, nahm die Regierung die Wiederherstellung derselben selbst in die Hand. Dem ') Am 3. April 1872 zerstörte ein Erdbeben den größten Theil von Antiochia (Antakia) in Syrien. An 1560 Menschen verloren dabei ihr Leben. Anch Aleppo litt sehr. Il* 16-4 l. Thcil. I. Hauptstück. Erlcbnissc uud Schicksale der kath. Kirche. lateinischen Clerns aber gelang es, einen Theil der Vorhänge ahne Mitwirkung des griechischen Clerus zu erneuern. In Fvlge dessen Protestirte der (neue) Patriarch vvn Jerusalem, P r o e o P i u s am 15. März auf telegraphischem Wege bei der Pforte, und bat nm deren Einschreiten gegen jenen Vorgang, welcher die alten Rechte der griechischen Nation auf die Gebnrtsgrvtte Jesu Christi verletze. (Wie sehr müssen der Sultan und die Moslim von diesem kleinlichen Gezanke der Christen an der ihnen heiligsten Stätte erbaut werden!) Die Negierung ließ wirklich die Vorhänge der Lateiner wieder entfernen und durch die vvn ihr gelieferten ersetzen. Aber nicht lange hernach (25. April) kam es in Bethlehem zwischen Lateinern und Griechen wegen des Durchganges durch die Kirche (hei¬ lige Grotte) wieder zu Gewaltthätigkeiteu, weil diesen, auch von den Lateinern beanspruchten Durchgang die Regierung den Griechen zuer¬ kannt hatte. Abwechselnd drangen beide Parteien in die Kirche ein und zerstörten die gegenseitigen Symbole. (Wieder sehr anferbanend für die Ungläubigen!) Die Pforte schuf abermals Ruhe. Die an den Rei¬ bungen schnldtragenden lateinischen und griechischen Mönche wurden zur Absetzung oder Versetzung vernrtheilt. Die Lateiner sollen wohl das Recht des Durchganges haben, aber ohne Litanei singen oder Proeesfion führen zu dürfen u. s. w. In Tautura — zwischen Jerusalem und Bethlehem — errichtete der Johanniter- oder Maltheservrden sein erstes Hospital in Palästina, worüber das Proteetvrat der Kaiser vvn Oesterreich, Franz Josef, übernahm. Am 8. September 1874 wurde eben daselbst der Grund¬ stein zur ersten Johanniter-Ordenskirche gelegt. In Antnra, am Libanon, unterhalten die Jesuiten ein blühendes Collegium, zunächst für die inarvnitische Jugend. Ein großartiges Collegium und Seminar hatten sie auch in Ghasir, etwa sechs Stunden von Beyrut. Im Jahre 1875 wurde cs nach Beyrut selbst verlegt. In Egypten, welches wie Tunis und Tripolis in dem Sultan nur seinen nominellen Oberherru anerkennt, war am 2. August 1849 der Vicekönig Mehmed Ali gestorben und schon, im nächsten Jahre auch sein Stiefsohn nnd Nachfolger Ibrahim Pascha, worauf Meh¬ med Ali's Enkel, Abbas Pascha, nnd nach dessen Erdroßlung (13. Juli 1854) sein Oheim Said Pascha, nach dessen am 18. Jänner Europa. Z 34. Dio katholische Kirche in der Türkei. 165 1863 erfolgten Tode aber Ismail Pascha, Mehmed Ali's Enkel¬ sohn zur Regierung gelangte. Diesem bestätigte (September 1872) ein grvßherrlicher Ferman den Titel Khedive und verlieh seiner Familie das Erbfolgerecht. Ein späterer Ferman aber stellte ihn beinahe ganz unabhängig. Die koptischen Katholiken stehen unter dem apostolischen Vicariate von Cairo. Die Lateiner in Egypten, etwa 9000 an der Zahl, wohnen meist zu Alexandria und Cairo; stehen seit 1866 unter dem apostolischen Vicar Ludwig Ciurcia aus dem Franciseanerorden, Erzbischof von Jrenopvlis i. I>. („Ooimn-biu Outloliau^ 1878) und werden vorzüglich von Franeiseaneru pastorirt. Auch einige Frauenklöster befinden sich daselbst. Mit Anfang Oktober 1875 führte der Khedive die gregorianische Zeitrechnung in Aegypten ein. Bereits Papst Gregor XVI. hatte mit Breve Rio 21. März 1843 die bisherige Präfeetur Tunis zum selbständigen apostolischen Vieariate erhoben. Seit 23. Juni 1844 ist Fidelis Suter ans dem Capnzinervrden, Bischof von Rosalia i. ;>. apostolischer Viear daselbst. Zu wiederholten Malen begingen die Mohamedaner in Tunis Excesse gegen die Inden (1864 und 1875). Am 9. März 1870 ver¬ wundete und tödtctc ein fanatischer Maure auch viele Christen. In der Hauptstadt selbst zählt man über 8000 Katholiken. In Tripolis besteht nur eine apostolische Präfeetur. Die Zahl der Katholiken dort ist nicht größer als etwa 3000. An namhafte Bekehrungen unter den Türken war und ist noch nicht zu denken. In Constantinvpel wurden einige Muselmänner Pro¬ testanten (ob aus Ueberzeugnng?). Die Negierung aber ließ (1864) die dortigen amerikanischen und englischen Missivnsanstaltcn schließen. Sie wurden wohl wieder eröffnet; jedoch die Konvertiten in die Pro¬ vinzen geschickt. — Eigentlich bekehrter Türken waren es nur bei 50. Die übrigen gehörten zur Secte der Jung- oder Rcformtürken, die Omer Efsendi 1859 stiftete. Eine eigene englisch-orientalische Abtheilung der Bibelgesellschaft, die unter Vorsitz des englischen Gesandten eine jährliche Ver¬ sammlung zu Constantinvpel abhalten soll, hätte die Prvselytenmacherei zu leiten. Im Jahre 1864 wurden englischerseits in der europäischen 166 1 Thcil Hanptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Türkei und Kleinasien — nebstbei Griechenland - 14.854 Bibeln ab- gesetzt. Die Amerikaner vertheilten 12.352, also zusammen die enorme Zahl von 27.206 Bibeln. Und der Erfolg von all' dem?! Wohl konnte auch das Gezäuke der verschiedenen christlichen Con- fessionen und Seelen untereinander die Mohamedaner nicht zum Ueber- tritt anlockeu. Sahen und sehen sie ja selbst an den heiligsten Stätten zu Jerusalem Lateiner, Griechen, Armenier und Andere alljährlich sogar in blutige Händel untereinander gcrathen, denen gewöhnlich der Pascha mit Gewalt durch seine Kawassen ein Ende machen muß. Insbesondere das Betragen der Griechen alldort wird als höchst ärgerlich und oft schamlos geschildert; z. B. der Humbug, den sie mit dem hl. Feuer treiben. Seit 1867 verlautete von massenhaften Bekehrungen von Moha medaueru in Damascus und Umgegend. Die Sache redueirte sich auf einzelne Uebertritte und noch diese von etwas zweifelhaftem Wertste. L. Asierr. 8 3,5. Die katholische Kirche in China, Tibet und Korea. Das Verbot des Opiumhandels von Seite des chinesischen Kaisers T a o - K n a n g st verwickelte ihn 1839 in den ersten Krieg mit den Engländern, denen ihr kaufmännischer Gewinn mit der Entartung eines ganzen Volkes nicht zn theuer erkauft schien. Jin Frieden von Nanking 29. August 1842 mußte China den Engländern nicht nur den verderb¬ lichen vom Kaiser wieder 1840 verbotenen Opiumhandel bewilligen, sondern auch die Insel Honkong abtreten, 21 Millionen Dollar Kriegs- kvsten zahlen und fünf Häfen dem Handel öffnen. Kaiser T a o - K n a n g starb am 25. Februar 1850, und es folgte ihm sein Sohn Hieu- Fnng (Glncksfülle); nach dessen Tode (22. August 1861) des Letzteren Sohn und Thronerbe Ki-Siang d. i. Gut Heil, welcher erst etwas über fünf Jahre zählte. Er stand unter der Leitung seiner Mutter, und seines Oheims (Vaters-Bruder) Kung. Papst Gregor XVI. hatte die Kirche in China neu organisirt. Korea, Hukuang, Kiaugsi, die Mandschurei, die mongolische Tartarei und Amman erhielten in den Jahren 1838 und 1839; Honan, Kuu- ') Er regierte von 1820 bis 1850 — Sohn und Nachfolger des grausamen Kiaking (1795 — 1820). Asien. Z 35. Die katholische Kirche in China, Tibet und Korea. 167 tschen, Schangtong, Scheust (Chensi) und Tschakiang iin Jahre 1846 »postalische Vikare init bischöflicher Würde. Das apostolische Vicariat Hukuang thcilte 1856 Pins IX. in zwei, nämlich Hunan und Hupo. Dieses letztere erscheint in der „Our. outt.« vom Jahre 1878 wieder in drei Theile getheilt: II. vriautnlis, H. oaaicl. septamtrioualiK et II. morickiounlm. Für Canton wurde von Pius IX. 1848 die aposto¬ lische Präfectur von Honkong errichtet - dann zum apostolischen Vieariatc erhoben. Ferner entstanden die apostolischen Vicariate: das nordwestliche Sutchuen 1856, das östliche Sutchuen 1856 und das nördliche Sntchuen 18511. Ans dem unterdrückten Bisthnme Peking wurden 1856 drei apostolische Vieariate, und zwar das nördliche, das südöstliche (morickio- ariantalm) und das östliche Petschely gebildet. Von Macao wurde 1856 abgetrennt Kvnang-Tvng, Kouangsi, Hayuan. Die Ausbreitung des Christcnthums ist hier jetzt vorzüglich das Werk der sogenannten Katechisten d. i. eifriger Nenbekehrten, als Stell¬ vertreter der Missionäre, die selbstverständlich in diesem ungeheueren Reiche allein nicht anslangcu. Der Verein der heil. Kindheit Jesn hat die Aufgabe, sie mit den von den Kleinen in Europa gesammelten Geld beiträgen zu unterstützen. Viele Tausende ausgesetzter und sterbender chinesischer Kinder wurden von den Katechisten bereits durch die Taufe für deu Himmel gewonnen. Als England mit China den ungerechten sogenannten Opinmkrieg führte, waren die beiden französischen Lazaristen: A. Hne (geboren 1813 in Toulouse, gestorben 26. März 1860 in Paris) und Gäbet (gestorben ein Jahrzehent früher in Westiudien) nach China gekommen, >vv kurz vorher I'. Perbvhre, gleichfalls ein Lazarist, zu Utschnngfu, der Hauptstadt der Provinz Hnp6- deu Martertvd erlitten hatte. Muth- voll überschritten sie die große Mauer und predigten auch in der Mon¬ golei. Hne sah zu wiederholten Malen auch Peking. Beide bereisten sogar auch Tibet (1844—1846), wo sie in den Lamaklöstern die Re¬ ligion der Buddhisten studierten und selbst nach Lhassa, der Residenz des Dalai-Lama, gelangten. Am 1. Jänner 1852 schiffte sich, durch seine erschöpfte Gesundheit hiezu genöthigt, H n c in Macao nach Europa ein, wo er im Bade Aix in den Pyrenäen seine Genesung wieder erlangte. ') h Von Huc's beiden Werken: „Souvenirs N'uu vo^nxs äuos In Tnrtnrie, 1.68 I Theil. I. Hanptstnck. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Spätere Versuche von Missionären, in Tibet, welches als apo¬ stolisches Vienriat 1846 von Agra abgctremit wurde, vorzudringen, mißglückten entweder ganz (so wurden z. B. die?L. Krik und Boury von Rändern ermordet) oder hatten, wie des IV Renon (gestorben 18. Octvber 1863), doch nur geringen Erfolg. — Im Jahre 1861 gelangten zwar wohl katholische Glanbensboten wieder nach Tibet. Der Bischof (apostolische Viear von Tibet) Jaevb Leo Thomine Dema- zure erhielt von dem französischen und chinesischen Bevollmächtigten kaiserliche (chinesische) Pässe, mit welchen er und seine Begleiter als öffentliche Beamte reisten — von nachhaltigen Erfolgen ver¬ lautete aber nichts. Der soeben erwähnte Bischof (apostolische Viear) Thvminü De- waznre ans China (Nord-Sn tschnen) besuchte 1863 die kleine christ¬ liche Gemeinde von Bonga, einer von Nenvn auf ewige Zeiten ge- mietheten Schlucht. Leider wurde die dasige Mission am 29. September 1865 von einer von den drei Bnddhaklöstern in der Hauptstadt Lhassa abgeschickten Rotte gänzlich zerstört (annnlon ilo In ». starb. Sein Nachfolger wurde als Pro- viear Gabriel Peter Durand und nach dessen Tode 1864 als apo¬ stolischer Viear von Tibet Josef Maria Chanvean Bischof von Sebastopol i. p. Nach dem Sturme der thcilwcisen Verfolgung im Jahre 1874, welcher die MissionSstativnen von Jerkalo und Bathang ganz zer¬ störte, trat wieder Ruhe ein. Die Missionäre erhielten sogar einigen Schadenersatz. Der französische Gesandte Lagrenoc hatte 1844 mit China einen Vertrag abgeschlossen, worin auch der Christen gedacht und ihnen Io Nliidot ot Oliino ponckant los nnnöos 1844—1846" und „I/IinnM'o dbinois" erhielt das Letztere von der Pariser Akademie den ersten Preis. ') Deutsche Herrenhnter versuchten auch nm 1855 eine Mission in Tibet zu gründen. Asien. Z 35. Die katholische Kirche in China, Tibet nnd Korea. Igg freie Ausübung ihres Cultus zugesichert wurde. Eiu anderes Edict, vom Kaiser selbst unterzeichnet, erlaubte den Missionären in den fünf, dem Handel mit Fremden geöffneten Häfen zu residiren, im Innern des Reiches aber betretene Missionäre sollten ihren respectiveu Consulu aus- geliefert werden, ohne daß sie von chinesischen Behörden bestraft werden dürfen. Zwar hatte 1849 der Kaiser von China allen Europäern den Zutritt nach Kanton gestattet und Sicherheit gegen den die Fremden hassenden Pöbel verheißen, wodurch sich gleichfalls für die katholischen Missionäre eine bessere Zukunft zn eröffnen schien; dennoch blieb trotz alledem die Lage dieser Letzteren noch immer eine sehr gefährliche. Ein¬ zelne Gläubige nnd Missionäre fanden den Tod, z. B. der Lazarist Mantel (1857) mit zwei einheimischen Christen. Die alliirten West Mächte (Frankreich nnd England) sahen sich veranlaßt, wieder energisch einzuschreiten; am 31. December >857 wurde Kanton von ihnen ein¬ genommen nnd die chinesische Negierung im Vertrage von Tien tsin (7. Juli 1858), welcher dem zweiten chinesischen Kriege (1856 — l858) eine Ende machte, zn neuen Cvnccssionen genöthigt. Der Jesuit I'. Augu¬ stin Chapdelain wurde noch im Februar 1858 greulich zn Tode gemartert. Der Mandarin ließ ihm zn Qnang-Si von einem seiner Diener am 29. mit einem großen Messer den Kopf abschneideu. ') Auch später noch fehlte cs nicht an Blutzeugen. So wurde nm 17. Februar 1862 der französische Missionär Neel mit fünf chinesischen Christen zn Kah-Tscheu enthauptet; 1866 der Missionär Paul Pernh er¬ schlagen u. A. Angeblich, weil die Chinesen den Vertrag von Tien-tsin nicht ein¬ hielten, eigentlich aber, nm eine am 25. Juni 1859 im Peihv, vor Peking, unter dem englischen Admiral Hope und dem französischen Capitän Tri c a ult, erlittene Schlappe zu rächen, rüstete England im Jahre 1860 unter Betheitignng Frankreichs, unter General Mon¬ tauban, dem nachmaligen Grafen von P a l i c a h o, dem Lagerplatze in der Nähe von Peking (gestorben 8. Jänner 1878), wieder eine Ex¬ pedition gegen China ans. (Dritter chinesischer Krieg.) Peking wurde (13. October) genommen, nachdem der Kaiser geflohen; sein feenhaft schöner Sommerpalast geplündert und zerstört. In der (25. October ') Chapdelain, apostolischer Missionär in der Provinz Quangtong, war am K. Jänner 1814 zn lm ItoelnMo in der Diöccsc von Contagcs geboren. („Neue SiegeSpalincn katholischer Märtyrer" von Carl L. Reichi ng.) 170 I Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. l860 ratifieirten) Convention von Peking, zufolge welcher China sechzig Millionen Francs Kriegslasten zu zahlen und den Hafen von Tien-tsin offen zu halten sich verpflichten mußte, forderten die Franzosen auch die Zurückgabe aller den Christen während der Verfolgungen abgenom- menen religiösen und Wohlthätigkeitsanstalten, der Kirchhofe u. dergl. Der Kaiser Hien-Fung überlebte, wie früher erwähnt, den Friedensschluß nicht lange. Das nämliche England, welches mit so viel Eelat gegen den Neger- Handel auftrat, Ivar selbst ebenso wenig als Frankreich dem sogenannten Knlihandel fremd, d. i. dem Handel mit armen Chinesen, welche sie zum Dienste in den Colonien preßten. In ein eigenthümliches, noch immer nicht ganz anfgehelltes Ver¬ hältnis; stellten sich die chinesischen Rebellen Taiping, d. i. die Friedens- reichen (wie sie sich selbst nannten) zum Christenthume. Sie erhoben sich gegen die herrschende, den echten Chinesen verhaßte Mandschu- Dhnastie (die sich im 17. Jahrhunderte des Thrones bemächtigt hatte) und erklärten, die Ming-Dhnastie wieder Herstellen zu wollen. Tieu-Te, das Oberhaupt derselben (geboren l8!3 als der Sohn eines armen Bauern im Dorfe Hvahien, Provinz Knangtvng) befahl die Vernichtung der Götzenbilder und Bonzen und proclamirte sich als den jüngern Bruder Jesu C h r i sti >) und als den Gesandten jenes Gottes, dessen Allmacht Himmel und Erde in sechs Tagen geschaffen, der der Sündflnth sein Strafgericht über die Menschen anvertrant, der die fünf Städte des Landes Sodom durch Feuer vom Himmel gezüchtigt und nun ihn beauftragt hat, die Sünden der Chinesen zu strafen und seine Verehrung unter ihnen wieder herznstellen. In einem ihrer Ritnalbücher kommt eine Art Dvxolvgie auf die Trinität vor; am Schlosse auch die zehn Gebote, nnr ist dem siebenten das Verbot des Tabaks und Opiums angehängt. 1853 eroberten die Taiping Nanking, Ivo sie auch den berühmten Pvrcellanthnrm zerstörten und wo sich Tien-Te eben als Abkömmling —- ob wahrer oder an¬ geblicher? — der Ming-Dhnastie (nach Carl Friedrich in seiner ostasiatischeu Geschichte heißt er Hvng-Siutsiuen) förmlich zum Kaiser ausrnfen ließ und vier Unterkönige ernannte: des Ostens, des Westens, des Südens und des Nordens. ') Der amerikanische Missionär Jssahar Roberts war sein Lehrer im Jahre 1847. Später entfloh er ans Nanking. Asien. Z 35. Die katholische Kirche in China, Tibet und Korea. 171 Die englischen nnd französischen Truppen brachten im Vereine mit den chinesischen den Tniping vor Schanghai beträchtliche Verluste bei nnd eroberten Ningpo (10. Mai 1862). Am 19. Juli 1864 nahmen die Kaiserlichen auch Nanking mit Sturm wieder. Tien-Wang, der Rcbellenkaiser, tödtete — so hieß es — sich selbst; sein erster Feldherr Tsch ung-Wang wurde gefangen. — Aber völlig war damit die Taiping-Nevolntion noch nicht unterdrückt. Auch die Nien-Fei-Rebellen machten der Negierung von Peking zu schaffen. Im Jahre 1851 hielten die Bischöfe und apostolischen Vieare Chinas sogar schon eine Synode ab; fünf Bischöfe und 30 Priester betheiligten sich daran mit einer Menge Gläubigen. Während in China und den benachbarten Ländern im Jahre 1822 nur zehn apostolische Vieariate waren, zählte man deren 1857 schon 29; in China nnd dessen tributären Provinzen allein 18 nnd eine apostolische Präfeetnr, zu- sammen mit 337.000 Katholiken, deren Zahl bald auf eirea 500.000 stieg. ') Laut des französischen „Moniteur" wurden (1864) die bei der' Ermordung des Abbv Noöl (1862) blosgestellten Mandarine ein¬ gekerkert nnd dem Superior der Mission von Knei Tschen außer einer bedeutenden Geldentschädignng sogar die Residenz des ehemaligen kaiserlichen Gouverneurs zum Geschenke gemacht. Sv günstig standen augenblicklich — wohl nur in Folge der französischen Hilfeleistung wider die Empörer — die Verhältnisse der katholischen Kirche im eigent¬ lichen China. Aus der Mandschurei konnte der dortige apostolische Vicar Ve¬ röltes nichts eben Erfreuliches über den Erfolg der Mission berichten ') Im Jahre 1801 zahlte man in- ganz Asien über 100 katholische Div¬ ersen; 38 in der asiatischen Türkei, 25 in China nnd den Nebcnlandcn, 22 in Ostindien, 8 in Anam, 4 ans den Philippinen, 3 in Persien nnd I in Japan, Siam, Java, Bvrncv. Die Zahl sämmtlicher Katholiken in Asien mochte sich zwischen sechs nnd sieben Millionen belaufen. Auf der am 30. und 31. März 1875 in Paris stattgehabtcn Katholiken- versnmmlnng gab der Erzbischof von Peking die Zahl der katholischen Bisthümer in China auf 2g, die der europäischen Priester ans 300, der eingrbvrnrn Priester aber auf 600 an. Nach dem „Madras Cathvlic Directory" für 1877 leben in 22 apostolischen Bicariaten 423.887 katholische Chinesen unter 3.^8 europäischen Missionären nnd 203 einheimischen Priestern. 172 I- Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. (1855). Er schreibt, daß man die Missionäre, wenn nicht mehr gerade als Scheusale, so doch als Ueberspannte oder Behexte ausehe. Zn Tien-Tsin, 15 Meilen südöstlich von Peking am Pchv, wurden am 21. Jnni 1870 in einer Emente von aufgestachelten chinesischen Fanatikern der französische Consnl und sein Kanzler, der Kanzler der französischen Gesandtschaft von Peking und seine Frau, mehrere chi¬ nesische Christen und einige französische und russische Kaufleute, aber auch zwei Lazaristenpatres mit zehn barmherzigen Schwestern grausam ermordet und deren Institut samuit der katholischen Kathedrale zerstört. Es ging im folgenden Jahre eine chinesische Gesandtschaft unter Anführung von Tschnn-Hen (T sch v n g - H u n ?) nach Frankreich, um Genugthunng für jene Greuelthaten anzubieten. Die Entschädigung wurde auf zwei Millionen Francs festgesetzt; darunter 500.000 Francs für den Wiederaufbau der christlichen Kirche von Tien-tsin. Nichtsdestoweniger erschien 1871 ein die Wirksamkeit der christlichen Missionäre sehr einschränkendes kaiserliches Regierungsdecret. Darin ist unter Anderem eingebornen Frauen verboten, Versammlungen zu besuchen, welche dem christlichen Cnltus gewidmet sind. Alle fremden Frauen (Missionärinen) sollen heimgeschickt werden. Kein Missionär darf mehr als 45 Bekehrte aufnehmen. In einzelnen Districten, namentlich in der Provinz Sntschnen, eirculirten Prvclamativnen mit Carrieatnren, welche geradezu zur Ver¬ tilgung des Christenthums und seiner Bekenner auffvrdcrten. Im September 1873 wurden zwei Missionäre in Kien-kjang er¬ mordet, Namens I'. Johannes Hue und der Chinese 1'. Michael Th ah. Der Erstere wurde am 15. Immer 1837 zu Flers iu der Diocese Seez (Frankreich) geboren. Er war ein Zögling des Pariser Seminars der auswärtigen Missionen. Im nordöstlichen Vicariate Sn- tschuen gab es 1874 fünf Märtyrer. Eine neue chinesische Mission wurde durch den eifrigen Missionär und apostolischen Präfecten Timolevn Raimondi gestiftet (geboren in Mailand 1827; einer der Gründer des dortigen, im Jahre 1850 errichteten Seminars für auswärtige Missionen). Am 12. (22.) Jänner 1875 starb der junge Kaiser von China, als solcher geheißen Tsnng-chih, d. i. „Vereinigte Ordnung" (ge¬ boren am 27. April 1856). Factisch hatte er die Regierung im Februar 1873 angetreten. Asim. Z ?5. Die katholische Kirche m China, Tibet und Korea. 173 Ihm folgte sein Vetter, der Sohn des Prinzen Tschun, eines jüngeren Bruders der Prinzen Tun und Kung — ein vierjähriger Knabe Namens Tsei-tien; als Kaiser heißt er Kwang-Sü. Bei einem Auflauf in Tschung-Kiugfu, Provinz Szetschuen, am 21. April 1876 wurden etwa zwanzig eigcborne Christen getödtet nnd 300 Häuser in Asche gelegt. In der Capelle der französischen Mission in Ning-Koue-Fn, Pro vinz Ngan-Hvci, ermordeten Eingeborne ivähreud des Gottesdienstes den katholischen Priester und circa 100 Katholiken (Juli 1876). Auch 10 Gebäude wurden zerstört. Schreckliche Grausamkeiten kamen auch im Juli 1876 iu der bereits genannten Provinz Szetschuen vor. Man band Christen - meist Con vertiten — an ein großes hölzernes Kreuz und schnitt sie buchstäblich in Stücke. Bereits im Jahre 1839 war eine heftige Berfvlgung der Christen in Kvrca ausgebrochen, veranlaßt zunächst durch die Verrätherei des abgefallenen Kimiensan. Minister L y und nach dessen Absetzung T s ch a a bewiesen sich als grausame Feinde der Gläubigen. Der Bischof von Kansa, Lorenz Im bert, ein Franzose, apostolischer Vicar von Korea (seine Nachfolger wurden Ferreol (gestorben 3. Februar 1853s und Berneup, der Daveluy zum Cvadjutvr erhielt) und Liu-Tchn und mehrere Andere starben als Märtyrer. Ein neuer Sturm erhob sich wider die Kirche in Korea im Jahre 1846. Der eingeborne Priester Andreas Kim wurde (16. September) enthauptet, sieben andere seiner Landsleute ob ihres Glaubens erdrosselt. Ain 15. Jänner 1864 war der König Tschiel-tsong gestorben, ohne Nachkommen. Der neue König-, ein Kind von 12 Jahren, stand unter dem Einflüsse der alten christenfeiudlichen Königin-Mutter Tschv. Im März des Jahres 1866 wurden wieder zwei französische Bi¬ schöfe (apostolische Bicare) nnd sieben Missionäre ermordet (enthauptet). Ihre Namen sind: Simeon Franz Berneux von Mans, Bischof von Capu (Capsa) i p., dessen Cvadjutvr Anton Daveluy, Bischof von Acvna; ferner: Beaulieu, Dvrie, 11 unter ) So wie China, gcrieth auch Japan wiederholt mit den West¬ mächten Europas in Cvnfliet, die auch dieses Reich dem Handel und der Cultur erschließen wollten. Am 15. und 16. August 1863 bvm- bardirten und zerstörten die Engländer die Stadt Kagosiina. Im Jahre 1864 erzwangen die Alliirten den Durchgang der Meer¬ enge von Simvnoseki, die fortan den Schiffen aller Nationen offen stehen sollte. Der Mikado in Kioto, der eigentliche Souverän von Japan, mußte die vom Teikun in Jeddo mit den auswärtigen Mächten abgeschlossenen Verträge ratifieireu (1866). Die von der kaiserlichen nnd königlichen österreichischen Regierung zunächst zu Handelszweckcn ausgerüstete „vstasiatische Expedition" hatte sich in Japan, wo sie am 10. November 1869 zn Jokohama einlief, >) Em Artikel in der „Augsburger Allgeuieiueu Zeitung" Nr. 86, Hauptblatt, denn Jahre 1872: „Die angeblichen Christcuverfolguiigen in Japan" will diese Nachrichten als übertrieben darstelleu. (?) 176 I. Thcil. !. Hnnptftück. Erlebnisse und Schuksnle der kuth. Kirche. von Seite des Blikadv und der Behörden einer sehr wohlwollenden Aufnahme zu erfreuen. Im Februar 1873 besuchte der jüngste Svhn des Czar, Großfürst Alexei Alexandrovitsch, Japan, wv sich mehrere Eingebvrne der russisch-orthodoxen Kirche angeschlossen haben sollen. Zwischen dem Teiknn und den Daimijos, d. i. den japanischen Großen (Feudalherren), gab es in neuerer Zeit immer Differenzen, die hie und da in offene Fehde ansbrachen. Unlängst hatte sich aber eine merkwürdige politische Umwälzung in Japan abgespielt. Dem Mikado („Sohn des Himmels"), den man, nicht ganz richtig, nur für den geistlichen Herrscher hielt (seit 1867 ist es Muts-Hito, geboren 1850), war es nämlich gelungen, der Macht der Taiknn-Dynastie') ein Ende zu machen. (Ter letzte Taiknn war Keiki.) Als er 1871 im kurzen Wege die erwähnten Daimios exautorisirte, vereinigte er ganz Japan unter seiner unmittelbaren Ober¬ hoheit. In Japan ist eigentlich der Buddhismus Staatsreligion; aber in neuester Zeit gewinnt der alte Schintnismus wieder Boden. Aller Bilder¬ dienst sollte aufhöreu; selbst die berühmte Broneestatue des Götzen Dai- bnte in Kamakura sollte für ihren Metallwerth verkauft werden (1870). Doch die Buddhistenpriester kauften ihre Tempel und Idole los um acht Millionen Rios (etwa 25 Millionen Gulden). Im Jahre 1874 kam cs im Departement Jao-tschau wieder zu ciuem Aufstande gegen die Katholiken, wobei deren Capelle verbrannt wurde und einige der Cvnvertiten ihr Leben verloren. Hingegen hatte der Bieekönig von Tschifn den Ausdruck „Kweits" (Teufel, sie!) gegen Christen verboten. Der apostolische Stuhl theilte 1877 Japan in zwei Vieariate ein in ein südliches mit dem Sitze in Nangasaki und in ein nördliches mit Jeddo. Sogar Japan wnrde mit einer „Constitution" beglückt! Am 20. Juni 1875 wurde das Parlament durch den Mikado selbst eröffnet. Die 60 Mitglieder fanden sich dabei insgesammt „im schwarzen Frack und nut dem Hut unter dem Arm" ein. ) Am 16. Febrnar 1859 nahmen sie den festen Platz Saigon. 182 I. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. 1871 wurde der Franzose, ?. Venard; am 1. November 1871 aber zwei spanische Bischöfe: Hermosillo und Ochoa, sowie der Mis¬ sionär ?. Almata enthauptet. Tu-Duc ordnete im Mai 1862 in dem ihm gebliebenen Reiche geradezu die völlige Ausrottung der Christen an. In zwei Vicariaten allein soll die Zahl der Hingeschlachteten sich auf 16.000, im Ganzen ans 40.000; die der als Selaven behandelten Christen auf 20.000 be¬ laufen haben. Die früher erwähnte Expedition hatte keine besonderen nachhaltigen Erfolge. Wohl ließ Contre-Admiral B o n n a r d Anfangs Jänner 1862 die Stadt Tangtrion besetzen, und nahm die Citadelle und Forts von Vinh-Long am Kambodscha ein (22. und 23. März g. I.); aber statt daß der Admiral Riganlt 867 „anncctirte" sich Frankreich durch den Gvnvcr- Asien. Z 39. Die katholische Kirche in Birma. 183 ncnr von Cochinchina, Vice-Admiral <1s la (Iran 825 in Krieg und wieder 1852. Im Frieden vom Jahre 1854 erhielten sie Pcgn mit einem großen Küstenstriche. Die Zahl der Christen war in Birma im Jahre 1848 bis ans 1000 herunter gekommen. Die Propaganda hatte 1858 die Mission in Birma, welche bisher die Oblaten von Turin versahen, dem Seminar der auswärtigen Missionen in Paris übertragen. Von dieser werden verwaltet die zwei apostolischen Vicariate Nord- und Süd-Birmanien, von denen das Erstere den größten Theil des unabhängigen Reiches Birma; das Zweite aber die gegenwärtig unter englischer Herrschaft stehenden Provinzen Pegu und Tenasserim umfaßt, während das dritte apostolische Vicariat Ost -Birmanim dem Mailänder Seminar der auswärtigen Missionen gehört. ') p Siche „Llenu-olua OrUtvIiorc" 1878, welche drei apostolische Vicariate ans- 184 I- Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Im Jahre 1 872 besuchte eine Gesandtschaft aus Birma europäische Höfe; sie wurde am 20. Februar 1873 auch vom Papste im Vatican empfangen. tz 40. Die katholische Kirche in Liiam. Am 2. Ocivber t86t erschien in Rom vor Pius IX. eine Ge¬ sandtschaft des Königs von Siam, Maha-Mongknt') mit werth¬ vollen Geschenken. Dieser hatte seit seiner Thronbesteigung den katho¬ lischen Missionären sich wohlwollend gezeigt und schon im Jahre 1852 durch den Bischof von Mallo und apostolischen Vicar von Ost-Siam, Johann Bapt. Pallegoix, dem Papste ein Schreiben zugesaudt. Pallcgvix war geboren 28. Oetober 1805 zu Combertault bei Beaune in Frankreich. Im Jahre 1830 wurde er als Missionär nach Siam geschickt und schon 1838 apostolischer Bicar daselbst. Zu Bangkok, der Hauptstadt, erschien von ihm eine Grammatik der Thaisprache; später in zwei Bänden eine Beschreibung des Königreichs Siam und endlich ein auf Staatskosten gedrucktes großes siamesisch-lateinisch-fran- zösisch-englisches Wörterbuch. Er starb 1862 am 18. Juni. Sein Nachfolger als apostolischer Vicar war sein bisheriger thä- tiger Gehilfe Josef D n p o n d, geboren in der Diöcese Arras 1808, ge¬ storben I I. December 1872. Die „Oornrcwirr Oattoliou" 1878 führt als jetzigen apostolischen Vicar von Ost-Siam auf: Ludovico Vey, aus dem Seminar der auswärtigen Missionen in Paris, Bischof von Gerasa i. p. Außer dem genannten apostolischen Vicariate besteht — nach eben dieser Quelle — auch jenes von „West-Siam" oder der Halbinsel Malacca. Gegenwärtig mag sich die Zahl der Katholiken in Siam schon gegen 40.000 belaufen, von denen auf die Hauptstadt Baukvk allein über 10.000 entfallen. In Grenzregnlirungs-Angelegenheiten kam 1867 eine siamesische Gesandtschaft mit dem Dolmetscher Abbö Lar en an die nach Paris. 8 41. Die katholische Kirche im indischen Archipel- Auf Java wurde 1840 Batavia ein apostolisches Vicariat und damit Groof betraut, welcher aber an einigen schon früher dage- zählt: Birmani» Orientale, Scptentrionale und Meridionalc. Van allen drei heisst es: „Istituito da. 8mr 8antitn". (?io IX.) ') In Siam gibt cs eigentlich zwei Kvnigc. Asien. Z 42. Die katholische Kirche in Persien. 185 wesenen ungefügigen Priestern Widerstand fand und wegen Zerwürf¬ nissen mit dem holländischen Gouvernenr Rochnssen nach Europa znrüekkehren mußte (1846). An seine Stelle trat als Coadjutor Peter Maria Vranken, Bischof von Cvlothon i. p., worauf auch die Re¬ gierung nachgiebiger wurde. Seit 1874 ist Adam Classens Bischof von Tranopolis i. >>., apostolischer Vicar von Batavia. Andere zu Niederländisch-Jndien gehörige Inseln als: ein Theil von Timor, Flores, Sabrao, sollten von Macao aus pastorirt werden. Das schon erwähnte apostolische Vieariat von West-Siam begreift außer den englischen Besitzungen auf Malacca, Pulo-Pinang, Singa¬ purs auch viele kleine Inseln des indischen Archipels, die nicht zu Por¬ tugal oder Holland gehören. Auf den Philippinen, zu Spanien gehörig, befinden sich etwa vier Millionen Christen. Die Welt und Ordcnsgeistlichen zählen dort zu den besseren. Manila hatte in jüngster Zeit ausgezeichnete Erzbischöfe. tz 42. Oie katholische Kirche in Persien. Die mvhamedanischcn Kurden gehören zum Theile zur Pforte, zum Theile zu Persien; gehorchen aber in der Thal Nieder Einem noch dem Anderen. Im Jahre 1846 erregten sie eine grausame Verfolgung der christlichen Nestorianer, die sie zu Tausenden hinmvrdcteu. Ein Ferman des Schah von Persien Nasureddin verkündete Freiheit und staat¬ liche Gleichberechtigung aller Nationalitäten und Religionen, eine To¬ leranz, welche dem innersten Wesen des Islam widerstreitet und darum unter dessen Herrschaft praktisch nicht ausführbar ist. Auch 1871 las man von einem Hat des Schah, worin unter anderen Reformen auch wieder cvnfessivnelle Gleichberechtigung versprochen ist. Es wird wohl beim Versprechen sein Bewenden haben. Im nämlichen Jahre wüthete in Persien eine entsetzliche Hungers- noth, die Cholera und eine Art Pest. Im Jahre 1873 aber bereiste Schah Naßre-cd-Din (geboren 1830; König seit 10. September 1848) Europa, wo er die Großstädte besuchte und im Juli auch nach Wien zur Weltausstellung kam. Uebcrall wurde ihm ein glänzender Empfang zu Theil. Persien gehörte früher kirchlich zu Mesopotamien; wurde aber 1874 von, Papste zu einer eigenen apostolischen Delegatur erhoben, und der bisherige Obere der Lazaristen, in deren Händen eben die Mission 186 I- Thcil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. ist, ?. Augustin Clusel zum Erzbischöfe von Heraklea i. p. und zum ersten apostolischen Delegaten Persiens mit dem Sitze in Urmiah er¬ nannt , in welcher Eigenschaft ihn der Schah mittelst eines eigenen Berat anerkannte. Im selben Jahre trat der chaldäisch - nestorianische Bischof und Metropolit von Urmiah, Guriel vonArdichai zur katho¬ lischen Kirche über. Am 7. October 1875 empfing der Papst einen Specialgesandten des Schah, den General Agar Pascha. Derselbe — ein Katholik — überreichte dem hl. Vater ein eigen¬ händiges Schreiben des Schah und theilte ihm mit, daß sein Herrscher die Geschenke des Papstes mit Dank angenommen habe und den Katho¬ liken in seinem Reiche die freie Ausübung ihrer Religion gestatte, und ihnen besonderen Schutz angedeihen lassen werde. Das vberwähnte Schreiben des Schah «I«Io. Teheran im Monate Rebi-ul-Sami 1292 (im Mai 1875) beginnt mit den Worten (in deut¬ scher Uebersetznng): „Sr. hochgebornen und hochverehrten Heiligkeit dem Papste Pius IX., bekleidet mit dem Charakter des Messias und er¬ zogen, wie die Bewohner der Himmelswelt. . ." und schließt: „Wir wünschen, daß Ihr Uns wegen der Reinheit Eueres Herzens in Euerem Gebete nicht vergesset und daß Unser Verkehr mit Euch immer fort¬ dauert." 6. Afrika. tz 4,st. Die katholische üirche in Äkyssinirn und Kord-Afrika. In Afrika und zwar in Abyssinien wirkten znmal Lazaristen; insbesondere Justinus «Io .laoobis, Gründer (1836) der Missivns- station zu Massowah an der Küste des rothen Meeres, als Missionäre. Fünf Provinzen mit ungefähr 200.00t) christlichen Bewohnern und loo Kirchen sagten sich (bis 1858) vom koptisch monophysitischen Patriarchen (Almna) los und erkannten den Papst als ihr Oberhaupt an. Den „Gallas"-Negern, unter welchen früher Go bat, der nachherige (seit 1846) protestantische Bischof von Jerusalem, gearbeitet hatte, ver¬ kündeten Franciscaner mit dem Bischöfe von Cassia, Wilhelm M a s sa- jah, das Evangelium. Dieser ertheilte auf Geheiß Pius IX. dem ob¬ genannten apostolischen Prüfecten Justinus «Io ^aoobis 1848 die bischöfliche Weihe (Bischof von Nilapolis). Beide hatten mit vielen Hin- Afrika. Z 43. Dio katholische Kirche in Nbyssinieu und Nord-Afrika. 1H7 deruissen und Gefahren zn kämpfen. — I. is starb am 31. Juli 1860. Im Februar 1859 überreichte eine eigene Gesandtschaft dem Papste iu Rom das katholische Glaubensbekenntnis; des Königs (Negns) Theo- d v r 1. von Tigreh und Semen in Abyssinien, welcher bisher der Secte der Monophysitcn angchvrte. Am 11. September 1864 starb zu Maßowah der Bischof und Chef der Lazaristeu-Missiou in Abyssinien, Laurentius Biancheri. Genannter König (Kaiser wird er auch genannt) fand ein tra¬ gisches Ende. Die Veranlassung hievon war folgende: Theodor hatte 1865 nicht nur einige englischen Judenmissionäre, als: Stern und Rosenthal (selbst jüdischer Abkunft) und Andere als verdächtig, son¬ dern sogar auch den auf der Insel Massowah im rothcn Meere residiren- dcu englischen Consnl Cameron deshalb in Ketten legen lassen, Weiler sich von ihm, und insbesondere auch von der Königin von England beleidigt glaubte, indem diese seinen Brief, den er dem Consnl für sie behändigte, gar nicht beantwortete. Die Gefangenen wurden nach der Festung Magdala gebracht. England rüstete eine Expedition unter dein Oberbefehlshaber Sir Robert Napier aus, die im October 1867 den abyssinischcn Boden betrat. Am 13. April 1868 — Ostermontag — wurde Magdala mit Sturm genommen. König Theodor tvdtete sich selbst durch einen Schuß, um nicht in die Hände seiner Feinde zn kommen. Sein Sohn wurde uach England gebracht, nm dort erzogen zn werden. Das Chri- stenthum des unglücklichen Monarchen war übrigens nichts weniger als festbegründete Ueberzcngnng, wovon auch sein Haremsleben Zeugnis; gibt. Des vorerwähnten Missionärs Jacobis hatte er sich mir als Mittel bedient, nm wider Ubjä, einem Gönner der Jesuiten, die Krone zn erringen; nachdem ihm dies gelungen, sah sich der Missionär mit den Jesuiten verjagt. Immerhin aber war Theodo r ein Mann von Energie und auch den Ruhm wollen wir ihm nicht streitig machen, das; er in seinem Lande der einzige Mann von Genie war. Der Fürst Kassay von Tigre, ein Mensch niedriger Abkunft, lies; sich 21. Jänner 1872 als Kaiser von Aethiopicn (Joannes II.) zn Axnm krönen. Zwar getauft — also wenigstens den: Namen nach Christ — zeigte er sich den katholischen Priestern in seinen: Lande nichts weniger als hold. Er lies; die französischen Missionäre vertreiben und ihre Kirchen verbrennen. 188 I- Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Der Vicekönig von Egypten sann ans Erobernng von Abyssinien. Die egyptischen Truppen besetzten den District der Bogos iin Norden mit 800.000 Einwohnern. Jin Westen annectirte sich der Khedive die Provinz Galnbat. Doch wußte K a s s ay seiner Herrschaft in fast ganz Abyssinien An¬ erkennung zu verschaffen. Ein Schwestersohn des Königs Theodor, Ledsch llbjö, erhob sich — ohne Glück — wider denselben (1875). Im November 1875 rückten drei egyptische Armeecorps von ver¬ schiedenen Seiten zur Bekricgnng des Königs Johannes vor; die Egypter erlitten aber damals und später sehr empfindliche Niederlagen. Die ..Ooinielüa Onttalion^ 1878 führt für Ost-Afrika (Abys- sinien) den apostolischen Bicar Marcellus Ton vier, Bischof von Olene i. p. auf, ernannt am 27. September 1869. Er dürfte der Nachfolger des Eingangs erwähnten Bischofs Laurentius Bian cheri sein. In Algier nimmt die Zahl der Katholiken seit der französischen Besitzergreifung im Jahre 1829 durch Einwanderung allmälig zu. Algier wurde Bischofssitz 1858; der eifrige Dupuy, erster Bischof daselbst. Ihm folgte 1846, in welchem Jahre er wegen Schulden, die er sich zu wohlthütigen Zwecken anflnd, freiwillig abdankte, Bischof L. Anton August Pavy, gestorben 16. November 1866. Algier ward dann 1866 zur Metropolie erhoben und zu Oran und Constantine Suffraganbisthümer errichtet. Das Loos der europäischen Colvnisten gestaltete sich traurig, als 1865 die kaiserliche Negierung den südlichen Theil Algeriens militärisch zu räumen und an die Eingebvrneu znrückzugeben beschloß. Den Colo nisten wurde einfach bedeutet, „jede Maßregel zu ergreife», die ihnen gut düukt, da ihre isolirte Stellung in einem gegebenen Augenblicke gc fahrvoll werden könnte". Als 1866—1867 Algerien von einer furchtbaren Hnngersnvth heimgesncht wurde, gründete Erzbischof Carl Lavigerie — früher Bischof von Nancy — Waisenhäuser auch für arabische Kinder. Er und seine beiden Snffragaue thaten zur Linderung der Nvth das Mög¬ lichste und wandten sich auch an die Mildthätigkcit Europas. Der Gon verneur Marschall Mac Ma hon, besorgend, die muselmännische Be¬ völkerung könnte Proselytenmacherei und Beeinträchtigung ihres Glau- Afrika. Z 43. Dic katholische Kirche in Abyfsünen und Nord-Afrika, 189 bens dahinter wittern, zeigte sich mit den rein humanen Bestreblingen des Erzbischvfes nicht einverstanden, bis er sich eines Besseren über¬ zeugen ließ (1868). Der Erzbischof hatte über ein Schreiben des Kriegsministers Mar¬ schall Niel an Mae Mahvn 873 bis dahin 1874); zum Theile auch bereits effeetuirt; die Provineial-Oberin der Schwe¬ stern „von der Erscheinung des hl. Jvsef" wird in Chartum wohnen. Anfangs 1875 anneetirte sich der Bieetonig von Egypten Darfur, wie er sich überhaupt in den Besitz der ganzen Sceküste auf der west¬ lichen Seite des rothen Meeres und der Länder bis an die Quellen des Nit setzte. Der vom Khedive bestellte General-Statthalter von Sudan, Gör¬ tz v n (englischer Oberst), erwies sich als Freund der katholischen Mission. Im Oetvber 1875 eroberten die egyptischen Truppen das Land Harrar. Afrika. 8 44. Die katholische Kirche m Central-Afrika. 195 Am 19. Februar 1875 reisten von Chartum aus drei Missivuäre nach Gebet-Nuba ab (vom 12" bis 10" u. Br.) und langten am 1)1. März in der dvrtigeu Hauptstadt Gebel-Delen au. Die Errichtung der dvrtigeu Mission hatte die Propaganda unterm 31. August 1874 angeordnet. Die Station in Schellal wurde wieder hcrgestellt. Zu Malbes, anderthalb Tagreisen von El Obeid entfernt, konnte bereits eine kleine christliche Gemeinde gegründet werden. Das größte Hindernis; gedeihlicher Wirksamkeit bereiten den Missionären die Selavcn- händlcr, welche sich dnrch sie in ihrem abscheulichen Erwerbe beeinträch¬ tiget sehen. Auch der energische Geueralgouverneur konnte demselben bisher nicht ganz Einhalt thun. Am 12. August 1877 erhielt Daniel Combo ui in Rom die Bischvfsweihe. Er ist Bischof von Clandiopolis i. p. int. Im Deeember kehrte er aus Italien nach seiner Mission zurück. In Folge anhaltender Dürre entstand in Central-Afrika eine solche Nvth, daß sogar die Mission selbst fast in Frage gestellt worden wäre. In seinem Aufrufe cblo. Chartum am 31. August 1878 wandte sich daher der apostolische Viear Daniel Cvmbvui an die Mildthü- tigkeit der Gläubigen auch in Oesterreich nm Hilfe. Meilenweit müssen — sagt er darin — die Ordensschwestern für den allernvthweudigsten Bedarf — etwas Wasfer kaufen gehen, nnd zwar thenerer als in Europa der Wein kostet. Die Missionäre mußten sich schon Abends mit dem Wasser znm Trinken begnügen, welches Tags über zu mancherlei Waschungen gebraucht war (ugnum vaiüs ckiai lotioiülnm ackbibitum rmro bibissv, uv o siti ackvmituram mor¬ tem olnrent). In neuerer Zeit versuchten abgesehen von Handels-Expe¬ ditionen - mehrere Reisende in das Innere vvu Afrika vorzndringen. Einige wohl zu wisstmschaftlicheu Zwecken, zumal zur Erforschung der Nilquellen; so z. B. die Deutschen: Theodor von Heu glin, gestorben zu Stuttgart 1876; Eduard Vogel; Dr. Freiherr von Barth; M. von B en rman n; Or. Gerhard Nvhlfs; l)r. Schweinfurth; Erwin vvu Bary aus München; insbesondere aber der Engländer Livingstone, gestorben 4. Mai 1873 (ermordet im Gebiet von Ulala, beigesetzt in der Westminster-Abtei zu London am 18. April 1874); Charles Beke; Cameron und Andere. 13* 196 1. Theil. I. Houptftück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Andere aber leitete mehr nur Sucht nach Abenteuern; sv z. B. die Holländerin Alexine Tinnö, eine zweite Ida Pfeiffer. Sie wurde (1869) ermordet. Der Engländer Sir Samuel Baker führte auf egyptische Rech¬ nung eine Expedition nach Central-Afrika (1869). Sein Werk setzte 1874 Oberst Gordon fort. —Jin obigen Jahre 1869 sandte König Wilhelm I. von Preußen den vr. Nachtigal an den den Euro¬ päern freundlichen Scheich (Sultan) von Bornn, Oman, ab. An des obgenannten Livingstone's Stelle setzte 1875 der Eng¬ länder Henry M. Stanley die Forschungen in Mittel-Afrika, an den großen Wasserbecken des Nil, fort. In Folge der Initiative des Königs der Belgier bildete sich in Brüssel die internationale Assveiation zur Erforschung nnd Erschließnng Central-Afrikas, welche bald in vielen Ländern Mitglieder erhielt. Für Oesterreich z. B. übernahm der Kronprinz Rudolf das Prvteetorat des dortigen Zweigvereines. H 43. Die katholische Kirche in Afrika. (Fortsetzung.) Auf der Westküste Afrikas in Guinea (im Jahre 1872 vvn Hol¬ land mit Elinina an England abgetreten), Senegambien — beide apo¬ stolische Vicariate nnd zwar das Letztere vvn Pins IX. errichtet verwenden sich außer Anderen als Missionäre Mitglieder der (nm 1842 zu Paris gegründeten) Congregation dos hl. Geistes nnd Dominicaner. Um 1835 verschwanden in den ehedem zu Portugal gehörenden Missionen vvn Congo nnd Angola die letzten Missionäre. Ein Dccret der Propaganda vom 14. Jänner 1866 vertraute dieselben der Cvn- gregativu des hl. Geistes und des unbefleckten Herzens Mariä an, nnd wurden zunächst fünf Missionäre dahin gesandt. In „Osrnrolürr (Rttolion" 1848 erscheint als „apostolischer Vice- Prnfect von Congo" Carolus Duparquet aus der oberwähnten Con- gregativu, welcher auch die apostolischen Vicare vvn Guinea nnd Sene¬ gambien angehören. Hier, wie in Inner-Afrika, wo viele kleine Negerreiche bestehen, wird nicht nur Sclavenhandel getrieben, sondern es kommen auch noch Menschenopfer vor; so wurden erst 1860 im Königreich Dahvmey (seit Afrika. Z 45. Die katholische Kirche in Afrika. (Fortsetzung.) 197 28. August g. I. ein apostolisches Vieariat) dm Manen des letztver¬ storbenen Königs Gezo über 2000 Menschen geopfert. Im Jahre 1823 wurde von einer amerikanischen Abolitionisten- Gesellschaft in der Nähe des St. Paul-Flusses die freie Negerrepublik „Liberia" gegründet, deren Christianisirnng zumeist protestantische Mis¬ sionäre leiten. Bisher entsprach der Erfolg ihren Wünschen noch nicht besonders. Im Jahre 1841 schickte die Propaganda über Requisition ameri¬ kanischer Bischöfe katholische Priester dahin ab. In Süd-Afrika, im Caplandc, welches mit Port Natal den Eng¬ ländern gehört und in der seit 1834 bestandenen, im Jahre 1877 aber von den Engländern kurzweg annectirteu sogenannten Transvaal-Repu¬ blik der (ursprünglich holländischen) Boere (Bauern) — gegen welche Annexion der Präsident Burger und die gesetzgebende Versammlung frei¬ lich fruchtlos protestirte — sowie in der englischen Orange-Niva-Re- Pnblik (seit l 854) werden die Eingebornen (Koffern) von den Europäern eher ansgerottet, als zum Christenthume bekehrt. Seit die Cap-Colvnie (1806) von den Holländern an die Engländer kam, waren daselbst trotz der Emancipativns-Aete vom Jahre 1829 die Katholiken noch immer in sehr ungünstiger Lage. Erst 1868 sprach das einheimische Parlament ihre volle Politische Gleichberechtigung aus. In der erwähnten neucrlichst den britischen Besitzungen einverleibten Transvaal-Republik versuchten Priester des afrikanischen Missionssemi- nars von Lyvn die Heilslehre einznführen. Aber das ganze Gebiet vvn der Delagoa-Bai nordwärts bis nach Sansibar, wo die Congregativn vom hl. Geiste mit gutem Erfolge wirkt, ist bisher noch ohne katho¬ lische Missionäre gewesen. Auf ausdrücklichen Wunsch Papst Pius IX. hat die Congregativn der Propaganda diese Mission der Gesellschaft Jesu anvcrtrant. Die Katholiken des Caplandes standen ehedem unter dem aposto¬ lischen Viear der Insel St. Mauritius (Isla da l-äanao, nun zu Eng¬ land gehörig); im Jahre 1851 bestanden aber daselbst schon zwei eigene apostolische Vieariate. Eines für den Westdistrict, mit der Capstadt und wozu auch die Insel St. Helena gehört, das Andere für den Ostdistriet oder das Vicariat Grahamstvn. Port Natal wurde ein eigenes Vieariat. Im Jahre 1871 anneetirte sich Großbritannien die Diamant¬ felder mit ihren neu entdeckten Schätzen. 198 1. Thcil. I. Hauptstück. Erlebnisse nnd Schicksale der kaih. Ajrche. Auf der großen, früher zur apostolischen Präscctur der Insel Bour¬ bon gehörigen Insel Madagaskar, wo die Franzosen schon seit dem vorigen Jahrhundert Fuß zu fassen snchten, und wo zuvor die Mis- sivnspriester des hl. Vincenz von Paul wirkten, verfolgte die Königin Rauovalona I., Witwe des Königs Radama I. (1810—1828) — seit 1828 — das Christenthnm nnd die katholischen Missionäre in blutiger Weise (so starb der apostolische Vicar Graf von Solages, der 1832 nach Madagaskar kam, den Hungertod), obwohl ihr eigener Sohn, eben durch die Standhaftigkeit der Märtyrer bewogen, Christ geworden (1849). Im Mai 1844 hatte Papst Gregor XVI. Madagaskar mit den umliegenden Inseln zu einer eigenen apostolischen Präfectur erhoben nnd sie dem Abbö Dalmond anvertrant. Jesuiten unterstützten seine Be¬ mühungen auf Madagaskar. Jetzt ist Madagaskar wieder (?) ein apostolisches Vicariat „Isti- tuito clu 8un 8nutitü" (Lio IX.) heißt es in der „Kararolüu. Out- tolion? 1878. Eine 185)7 entdeckte, angeblich von französischen Missionaren angezettelte Verschwörung brachte die Königin so in die Wnth, daß sie alle Fremden hinrichten oder vertreiben nnd 2000 eingeborne Katho¬ liken morden ließ. Nach ihrem Tode (10. August 1861) folgte ihr ihr oben erwähnter Sohn Radama II., trotz den Gegenanstreugnngcn einer ihm feindlichen Partei. Er schrieb sogar selbst an Pius IX. nnd erbat sich dessen Segen. Der Papst antwortete (!. 29. Mai 1862. Demnngcachtet stand er auch mit englischen Missionären in enger Verbindung. Königin Vic¬ toria schickte ihm eine Bibel. Aber schon am 12. Mai 1863 verlor König Nadama II. in der Hauptstadt Tanauarivo — in letzter Zeit sehr entartet nnd bis an sein Lebensende nicht getauft — durch eine Revolution Thron uud Leben. Es wurde — ob mit Recht oder Unrecht — behauptet, daß der an- glicanische Missionär Ellis (gestorben 1872), Agent der englischen Regierung (?), dieser Katastrophe nicht ganz ferne stand. Die Tags zuvor ausgernfene Königin Rabado (Nasoherina), Rad am a' s Witwe, sicherte den Fremden Schutz zu und prvclamirte Religivnsfrei heit, welche sie auf der Volksversammlung vom 28. Juni 1866 aus¬ drücklich auch ans die Christen ausdehnte. Auch sie Ivar nicht getauft Afrika. Z 45. Die katholische Kirche in Afrika. (Fortsetzung.) 199 und starb am 2. April 1868. Laut Zeitungsnachrichten (siehe „Augs¬ burger Allgemeine Zeitung" Nr. 5, außerordentliche Beilage von: Jahre 1870 und Beilage Nr. 176 und Nr. 177 vom Jahre 1871) soll der Sieg des Christenthums auf Madagaskar entschieden sein. Im Sep¬ tember 1869 ließ die Königin Nanavalo na II., der Vorigen Schwe¬ ster, die sich schon Anfang des Jahres taufen ließ, aber Protestantin wurde, sämmtliche Götzenbilder, voran den großen Landesgötzen Keli- malaza im „heiligen Dorfe" Ambohimanambola den Flammen übergeben. Der gesummte madagassische Adel trat zum Christenthum über, welchem Beispiele die ganze Provinz Jmerina folgte. Schvn damals gab es ill der genannten Provinz unter 280 Städten und Dörfern 12o, die christliche Kirchen besaßen; auch an einheimischen Religivns- lehrern war kein Mangel. In England dachte man schon an die Er¬ nennung eines eigenen Bischofes für Madagaskar. Obwohl, wie gesagt, die Königin nicht der katholischen Kirche an¬ gehört, gewann doch diese immer mehr Boden. Zumal, da es der fran¬ zösischen Negierung gelungen war, am 8. August 1868 einen neuen Vertrag abzufchlicßeu, dessen dritter Artikel den katholischen Missionären die Erlaubnis? gewährt, frei ihre Religion zn lehren und Kirchen, Schu¬ len, Spitäler zu gründen. Auf der Frankreich gehörigen Insel Reunion (ehedem Bourbon) errichteten katholische Missionäre, insbesondere, weil sie in Madagaskar selbst nicht eindringen konnten, im Jahre 185)0 zwei Schulen, welche sich bald erweiterten und auch von jungen Bladagassen besucht wurden. Die Insel erhielt 1890 einen eigenen Bischof. Die Mission auf den den Engländern gehörigen Mahi- oder Se- chellen - Inseln wurde im Jahre 1-853 von Capuziuern wieder ausge¬ nommen und von Papst Pius IX. zur „apostolischen Präfeetur" erhoben. Seit dem Jahre >846 errichtete apostolische Vieariate in Afrika (nach D. Pius Bonif. Gams' „Serios Lpiseopornni") sind: „II i- striotus Orientalin (üo (Irabnumtcnvn) 1847, Natal 18.50, Scncgambia 1863 (?), Sierra Leone 185)8, Guinea 1848, Abhssinia 1847, Dorrn llo dnllns 1846. Die apostolische Präfeetur „Central-Capland" wurde am 10. August 1874 gebildet, indem Papst Pius IX. einige Distrikte des aposto- 200 I. Theil. I. Hanptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. lischeu Vicariates West-Caplaud von demselben abtrennte und sic als selbständige Mission dem afrikanischen Seminar von Lyon überwies. In den „Xnunnri poutiüaU erscheinen aber folgende apostolische Vicari ate, von Pius IX. in Afrika gegründet: für Dahomey; Sierra-Leone (Guinea); Madagaskar; Natal; — die apostolische Delegation für Egypten und Arabien; — die a P o st o li s ch e n Pr ä- fecturen: für die Inseln Auabou, Corissv, Ferdinaudo-Pv; für die Sechellen- (Seychelles-) Inseln; für die Inseln Nossikw, St. Maria und Mayotte. In Südafrika gibt es drei apostolische Vicariate; nämlich (wie schon bemerkt) für die westliche Provinz der Capeolonie mit der Residenz in der Kapstadt; jenes der östlichen Provinzen; das dritte umfaßt Natal, die Diamantenfelder, Basntoland und die freien Staaten. v. Amerika. K 4ki. Dir katholische Kirche in den nordamerikanischcn Anionsstaatcn. In den v e r e i n i g t e n S t a a t e n v o n N o r d - A m e r i k a gewann die katholische Kirche durch opferwillige Missionäre') immer mehr an Terrain. Wesentliches Verdienst darum erwarb sich der eben zur Unter¬ stützung der katholischen Missionen in den nordamerikanischcn Freistaaten gegründete „Leopvldiuen-Verein" mit der Centraldirectivu zu Wien, welcher seine Thätigkeit am 13. Mai 1329 begann. Der ans Irland auf Besuch nach den vereinigten Staaten 1849 herübergekommene Mäßigkeitsapvstel ?. Matthew (aus dem Capnzincr- orden) erntete auch daselbst große Erfolge. (Er starb am 8. December 1856 zil Queenstown, der Hafenstadt von Cork. Geboren war er am 18. October 1790 zu Rathlvhum — Thomastown bei Cashel (?) — in der irischen Grafschaft Tipperary, und stammte aus dem Geschlechte der Grafen von Llau da ff.) Als im Jahre 1790 John Carrol zum ersten Bischöfe von Baltimore ernannt wurde, mochten in seiner die damaligen Unious- y Ms solcher wirkte daselbst auch seit 1795 der Fürst Demetrius Augustin Galli Pin, Sohu des russische» Gesandten in Haag nnd der berühmten Freundin eines Ov erbet, Leopold Grafen von St oll berg, Katerkamp n. A. Er starb am 6. Mai I8i0. Amerika. Z 46. Die kath. Kirche in den nordamcrik. Uiiionsstaatcn. 201 staaten umfassenden Diöcese kaum 40.000 Katholiken zerstreut gelebt haben. Jin Jahre 1829 bestand noch die ganze nordamerikanische Hier¬ archie aus sieben Bischöfen. In welcher Progression sie zunahm, erhellt aus Folgendem. Im Jahre 1850 waren die Bisthiimer New-Jork, Cineinnati, New-Orleans und das 1846 gegründete Bisthnm Oregon City zu Erz- bisthümcrn erhoben worden, nachdem dies mit St. Louis im Jahre 1847 geschehen war. In das Jahr 1853 fällt die Errichtung des Erz- bisthuins Sau Francisco in Californien. Der „Outlmlio JInmnuo" von Baltimore wies pro 1857 schon sieben Erzbisthümcr, nämlich von Baltimore, New-Jork, New-Orleans, Cincinnati, St. Lvnis, Oregon City und San Francisco, 38 Bisthiimer, ein apostolisches Vieariat, 1872 Priester und 2053 Kirchen nach. ') Am Ende des Jahres 1861 zählte man in den Erzbisthnmern, Bisthümern und apostolischen Vicariaten 2300 Priester, 2320 Kirchen und eirea 1130 Stationen und Capellen, 50 kirchliche Institute, 90 Col¬ leges und Akademien fiir Knaben, über 200 Akademien und Pensionat» für Mädchen, über 100 Waisenhäuser, über 80 Spitäler, Kloster, über 470 Pfarrschnlen n. dergl. Im Jahre 1875 führt der „Ontlmlio ^Imanua« auf: sieben Erz¬ bisthümcr, 50 Bisthiimer und acht apostolische Vicariate; 4870 Priester, 4730 Kirchen, über 1900 Capellen und Stationen; >18 theologische Scminaricn, 68 Collegieu, 5l1 Akademien und höhere Schulen für Knaben und Mädchen und etwa 6'/2 Millionen Katholiken. In I)r. ?. Pins Bvnifacius Gams' ,.!8orime,oponnn« lautet die Summe noch: ^robiopimmpntim 7, ikpmaopntim 47, Vnmriutim uplmtolim 10 (9) — 63 (64) Locken. Gegenwärtig ist aber die Zahl schon bedeutend größer. Die „Olornrobiu Oattolioa^ 1878 führt folgende Zahlen der Snffraganbisthnmer in den einzelnen Kirchenprovinzcn auf: Balti more 6, St. Bonifaz 1, Boston 5, Cincinnati 7, Phila¬ delphia 5, San Francisco 2, St. Louis, Milwaukee 5, New-Orleans 6, New-Jork 6, Oregon 2. ch y Siehe Bericht der Leopoldinen-Stistung, XXIX. Heft. y Siehe Bericht der Leopoldinen Stiftung, XXXII. Heft. ch Beim Antritte des Pontificates sand Pins IX. vor: ein Erzbisthnm, 2! Bisthiimer nnd zwei apostolische Vieariatc. 262 I- Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Zu vergleichen mit Sadlier's „ttutiiotiv Direotor^". Darnach gibt es seit 1875 schvn 11 Kirchcnprovinzen; nämlich zu den bereits genannten sieben noch Philadelphia, Boston, Milwaukee, Snuta Fe. Die Zahlen über die Katholiken in Nord-Amerika variiren sehr — bis zu zehn Millionen, wenn darunter auch die bloßen „Namens-Kathv- likeu" inbegriffen sind, an denen es leider auch dort nicht fehlt. Aber selbst diese Zahl, so erfreulich einerseits, kann nicht vollkommen be¬ friedigen. Denn wenn es im Jahre 1836 unter einer Gesammtbevölkernng von eirea 15 Millionen bereits 1,200.000 Katholiken gab, so müßte, nach statistischer Berechnung, wenn alle Abkömmlinge jener Katholiken ihrer Kirche treu geblieben wären, diese — Anfangs des Jahres >876 — ungefähr 18 Millionen Mitglieder zählen. Eine so reiche Ernte hat der Abfall in Nord-Amerika gehalten! In Baltimore hatte im Jahre 1849 — vom 6. bis 13. Mai — schon die siebente Provincialsynvde statt. (Die früheren waren 1829, 1833, 1837, 1840, 1843, 1846.) Sie beschäftigte sich hauptsächlich mit der Organisation und Eintheilnng der nordamerikanischen Kirche in Provinzen, und der hl. Bater billigte 1850 die von ihr gemachten Vorschläge. Anwesend waren zwei Erzbischöfe, nämlich vvn Baltimore und St. Louis, und 24 Bischöfe. Auf Bitten derselben gestattete der Papst dir Feier eines National (Plenar-) Coneils unter dem Vorsitz des Erzbischofs von Baltimore als apostolischen Delegaten. Es wurde — als solches das erste — 1852 abgehalten (9. bis 20. Mai) und bestand schon aus sechs Erzbischöfen und 27 Bischöfen. Die Erzbischöfe waren jene vvn Baltimore, St. Louis, New-Jork, New-Orleans, Cincinnati und Oregon. — Auch nahmen 12 Superioren der Orden, 42 Theologen und gegen 100 andere Priester an den Sitzungen Theil. Dieses Concil beantragte die Errichtung eilf neuer Bisth inner. Außer zu Baltimore wurden auch anderwärts Prvvincialsynvden gefeiert, als: schon 1848 zu Oregon City. Hughes, Erzbischof vou New Jork, hielt mit seinen Snffraganen im October 1854 das erste dortige Provineialcvncil ab. Spätere folgten 1857 und 1861. Das Gleiche hatte zu St. Louis bezüglich dieser Kirchenprvvinz statt 1851, 1858; insgleichen zu Cincinnati 1855, 1858, 1861 und 1864; in New-Orleans 1856, 1860 und 1873. Amerika, ß 46. Die kath. Kirche in den nordamcrik. Unionsstaaten. 203 Das zweite National- oder Plenarconcil wurde wieder zu Balti¬ more — wo 1855, 1858 und 1869 neuere Provineialsynoden (die 8., 9. und 10.) tagten — abgchalten, und zwar im Jahre 1866 (7. bis 2l. October). Anwesend touren 07 Bischöfe und sieben Erzbischöfe, über¬ dies drei infulirte Aebte (Bonifaz Wimmer, 0. 8. kl. von St. Vin¬ cent und die Trappistenäbte Benedict von Gethsemani in Kentucky und Ephrem von New-Melleray in Iowa).') Am Tage vor der Eröffnung dieses Concils (eigentlich in der Nacht vom 6. auf den 7.) brannte in New-Jork die katholische St. Patricks- Kathedralkirche ab (erbaut 1811). Das erwähnte Concil beantragte die Errichtung von 10 neuen Diöcesen. Der hl. Stuhl genehmigte acht Bisthümer, nämlich Harris- burgh, Seranton, Wilmington, Rochester, Columbus, Greubay, Lacrosse und St. Josef, und vier apostolische Vicariate in Nord-Carolina und in dem Territorium von Colorado, Idaho und Montana. Das bis¬ herige apostolische Vicariat Marysville im nördlichen Californien wurde zum Bisthnm Graß-Valley erhoben. Später, 1872, erhielt die Kirchen- Provinz New-Jork durch Theilnng der Diöcesen Albany und Hartford zwei neue Bisthümer: zu Ogdensbnrgh am St. Lorenzstrom und zu Prvvidence in Rhode-Island. Im Jahre 1850 trat der anglikanische Bischof von Nord-Carolina, vr. Ivcs, zur katholischen Kirche über nnd begab sich nach Nom. Ein neuer Feind stand seit 1854 für die Katholiken auf in den sogenannten „Knmv-notbin^- (Nichtswisser); so nannten sie sich selbst, weil sie von nichts, außer was „einheimisch", etwas wissen wollten. Sie vrganisirten sich aus den sogenannten Natives als eine Art Geheim¬ bündler. Ihre Absicht ging dahin, die Einwanderung nach Nord-Amerika zu hemmen, die Naturalisirung der Eingewanderten möglichst zu er¬ schweren nnd diese von öffentlichen Aemtern ausznschließcn; insbesondere aber haßten sie, Ivie gesagt, die Katholiken und ihre Kirche. Mehrere katholische Gotteshäuser wurden von ihnen zerstört, selbst Morde un¬ gestraft verübt. Doch stehen ihnen im Hasse gegen die katholische Kirche viele der eingewanderten deutschen Protestanten nnd politischen Flücht¬ linge — Leute ohne alle Religion — gar nichts nach. Sie schmähen ') Im Hirtenbriefe find unterzeichnet fnmnitliche sieben Erzbischöfe, 38 con- sccrirte Bischöfe, der Bisthuinsvcrweser von Erin und der Vertreter des aposto¬ lischen Bicars von Kansas. 204 I. Thcil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. am giftigsten das Christcnthnm in ihren Flugblättern. Eben solche Mit¬ glieder der deutschen Gesellschaft „der freien Männer" brachten (1853) den päpstlichen Nnntius B edini in Cincinnati bald um's Leben. Mehrere amerikanische Bischöfe, jener von Detroit im Staate Mi¬ chigan, Peter Lefövre, an der Spitze, hatten zu Löwen in Belgien ein Seminar errichtet zur Bildung von Priestern, welche sich dem Mis¬ sionsdienste in Nord-Amerika, zumal unter den dortigen Einwanderndeu, widmen wollen. Es wurde 1857 eröffnet. Der Benedietincrorden wurde im Jahre 1846 durch ?. Bonifaz Wimmer (ans dem Kloster Metten in Baiern) in Nord-Amerika ein- gefnhrt. Er hatte nur vier junge Studenten, darunter einen Theologen, und 14 zu Laienbrüdern bestimmte Handwerker mitgebracht. Seine erste Niederlassung war St. Vincent in Westmoreland County, Pennsylvanien, Diöcese Pittsburg; machte aber bald erstaunliche Fortschritte. I'. B o ni- facins, durch ein Breve vom 24. August 1855 vom Papste vorläufig auf drei Jahre zum Abt ernannt, 1858 aber vom Convente auf Lebens¬ dauer erwählt, errichtete auch eine neue blühende Lehranstalt zu Vin cent, welches im selben Jahre bereits 43 Priester, 12 Cleriker, 15 No¬ vizen, eben so viele Aspiranten zum Noviziate und mehr als 100 Laien¬ brüder zählte. Seit jüngster Zeit führt die Gesammtheit der von Vincent aus- gcgangenen Klvstergründungen den amtlichen Namen: „baierisch-ameri- kanische Benedietiner-Cvngrcgation" und untersteht unmittelbar dem apostolischen Stuhle. 1866 wurde das seitherige Benedictiner-Privrat St. Ludwig am See in Minnesota gleichfalls zur Abtei erhoben. Auch das schweizerische Stift Maria Einsiedeln gründete 1853 im Staate Indiana, Bisthum Vincennes, die Filiale St. Mainrad. Man berechnete die Anzahl der Mönche im Jahre 1873 in den vereinigten Staaten an 3000. Am zahlreichsten sind die Jesuiten mit 1100 Mitgliedern und 20 Cvllegien, daun die Benedictiner in Latrobe und die Franciscaner in Quincy mit je 300, die Dominicaner mit 200, die Trappisten mit 75 Mitgliedern. Außer diese» gibt es noch Augu¬ stiner, Paulaner und Lazaristen. Die Zahl der Nonnen beträgt gegen 7000, davon 3000 barmherzige Schwestern. Am Jänner 1868 starb Bischof Friedrich Baraga. Er war am 29. Juni 1797 zu Döberncck in Kram geboren, empfing 1823 in Lai- Amerika. Z 46. Die kath. Kirche in den nordamcrik. Unionsstaatcn. 205 bnch die Priesterkveihe, ging 1830 als Missionär, und zwar nach Mi¬ chigan, wurde 1853 Bischof von Amyzonia i. p. und apostolischer Bicar von Ober-Biichigan, 1857 Diöcesanbischof mit dem Sitze zu St. Mary, von Ivo er 1865 nach Marquette übersiedelte. Zum Nachfolger als Bischof der Diöeese Marquette und St. Mary erhielt er gleichfalls eineu Laibacher Diöeesanpriester, Mrak. Baraga war in der That ein Apostel der Indianer. In den Missions-Annalen wird immer auch einen ehrenvollen Platz einnehmcn der am 23. Mai 1873 zu St. Louis (Missouri) gestorbene U. Petrus ckv 8mot, Priester der Gesellschaft Jesu, geboren am 31. Jänner 1801 zu Tcrmonde in Belgien. Seine segensvolle Thätig- keit bewährte er insbesondere in den Felsengebirgen Nord-Amerikas unter den Indianern. Die Ureinwohner (Indianer, Rothhäute) verschwinden immer mehr, bald wird sie die Cultur (?) der weißen Unterdrücker von der Erde hiuweggcfegt haben. Nnr das Christenthnm mit seiner Praktisch dnrch- geführten Lehre von allgemeiner Menschenliebe konnte sie noch vom Untergange retten. Bei dem furchtbaren Brande von Chicago — 9. Oktober u. f. 1871 - der einen Schaden von mehr als 400 Millionen Dollars an¬ richtete, gingen auch katholische Kirchen und Institute in Flammen auf. Ein für die nordamerikanische Hierarchie denkwürdiges päpstliches Cvusistvrium war jenes vom 15. März 1875. In demselben ernannte der hl. Baler den Erzbischof von New-Uork, Joannes Mac Clvskey (geboren 20. März 1810), zum Cardinal, wofür ihm der Präsident Ulysses Grant seinen Dank entrichten ließ; erhob folgende Bisthümer zu Erzbisthümeru: Milwaukee, Sauta Fa, Philadelphia und Boston, und präcvnisirte einige Bischöfe auch für die vereinigten Staaten. Das Bisthum Peoria und das apvstvlische Vicariat Nvrd-Minesvta wurden neu errichtet. Am Frohnleichnamstage (27. Mai) 1875 Abcuds gingen aus Anlaß des in der Kirche zu Hvlyvke im Staate Massachusets zufällig ent¬ standenen Brandes über 100 Personen zu Grunde. Auffallend war, daß Grant schon im September in einer Rede zu Desinoiues im Staate Iowa sich zu Gunsten des Schulunterrichtes in den Staatsschnlen ohne religiöse Beimischung, also für dies¬ fällige vollkommene Trennung von Kirche und Staat ausfprach. 206 I Theil. N Hauptstiick. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirchen Auch in seiner „Botschaft" bei Eröffnung des Congresses zu Wa¬ shington am 7. December 1870 empfahl Grant vollständig freie Schulen ohne Rücksicht auf Geschlecht, Farbe und Religion; doch dürfe kein Unterricht in irreligiösen, atheistischen oder heidnischen Grundsätzen statt¬ haben, „kein religiöser Seetennnterricht darf in irgend einer freien Staats- vder Volksschule, die vom Staat oder von öffentlichen Stenern erhalten wird, ertheilt werden"; die Abgaben für Schulen bestimmter Ser¬ ien (d. i. für cvnfessivnelle Schulen) sollen verboten und das Eigen- thum der Kirchen besteuert werden. Unter den „Seelen" versteht die Regierung insbesondere auch die Katholiken. Ist es zu wundern, daß so viele Kinder armer Katho¬ liken, für welche diese keine eigenen Schulen errichten können, son¬ dern sic in die religionslosen Staatsschnlen schicken müssen, für die katho¬ lische Kirche verloren gehen? Bon diesen Gefahren in Kenntniß gesetzt, hatte die„OunAu-o^ntio (le procloin ro- t'orro". Kaiser Maximilian schickte zwar eine Deputation unter Füh¬ rung des VolasgnW cko^oon, zu deren Mitglieder auch ein Bischof, Raiuirez, zählte, nach Rom, wo sie ain 25. April 1865 ihre erste Audienz beim hl. Vater hatte, und wo sich der kaiserliche Hauscaplan nnd Sccretär Fischer (ein Würteniberger) ihr anschlvß; allein auf Grundlage der von ihr mitgebrachtz'n Instructionen konnte kein Neber einkvnnnen mit dem hl. Stuhle geschlossen werden. — Die Deputation ging wieder unverrichteter Dinge Henn. Auch der Nuntius wurde von Mexiko abberufeu. (Er kam 1866 als solcher nach München.) Kaiser Maximilian, der, wie öffentliche Blätter meldeten, durch seinen außerordentlichen Gesandten bei der Pforte, General Marquez, reiche Geschenke am hl. Grabe zu Jerusalem niederlegen ließ, war, wie überhaupt ein edler Fürst, so auch gewiß persönlich der katholischen Kirche aufrichtig zugethau, aber seine Politik ihr gegenüber kann keine glückliche genannt werden. Durch dieselbe entfremdete er sich mehr 14* 212 I. Theil. I. Hciuptstäck. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. und mehr den mexikanischen Episkopat, ohne doch die liberale Partei für sich zu gewinnen. Dazu das unglückselige Teeret vom 3. October 1865, welches ihm freilich abgedrnngen, und das nie in voller Strenge in Anwendung gebracht worden war, worin angeordnet wurde, die An¬ hänger Jnarez's, wenn mit den Waffen in der Hand gefangen, als „Räuber und Verbrecher" ohne gerichtliches Verfahren allsvgleich hin- zurichteu. Zumeist zu dem Zwecke, um Napoleon zu einen: längeren Belassen seiner Truppen in Mexiko zu bewegen, unternahm die Kaiserin Char¬ lotte die Reise nach Europa. Am 8. August l 866 landete sie zu St. Nazaire, um Mexiko und ihren Gemal nie wieder zu sehen. Auch sie sollte einem höchst traurigen Schicksale verfallen. Das völlige Scheitern ihrer Mission in Paris; dabei die immer mißlicher sich gestaltende Lage ihres Gemals umdüsterten den Geist der hohen Fran. Schon in Rom, wohin sie sich im Herbste (October) begab und vom hl. Vater liebevoll ausgenommen wurde, zeigten sich Spuren zunehmender Geistesstörung. Sie kam gebrochen nach Miramar zurück, von wo man sie (Ende Juli 1867) nach Belgien und zwar zuerst nach dem Schlosse Tervneren zu ihrer Angehörigen brachte. In Mexiko wurde Maximilians Lage eine immer verzwei¬ feltere. Leider konnte er sich nicht fest entschließen, nach Europa zurück¬ zukehren, obwohl er seine Sache in Mexiko schon für eine verlorene halten mußte. In der Proelamativn, die der Kaiser von Orizaba ans am 5. December >866 an die Mexikaner erließ, erklärte er „die ihm übertragene Macht einer neuen Probe unterziehen zu wollen". — Zn diesem Ende werde er „einen Nativnalcvngreß auf breitester und frei¬ sinnigster Grundlage cinberufen, an welchem sich alle Politischen Par¬ teien betheiligen können. Dieser Cvngreß wird entscheiden, ob das Kaiser reich fvrtbestehen soll". — Am 5. Jänner 1867 kehrte der Kaiser in seine Hauptstadt Mexiko zurück, von wo er aber am 13. Februar nach Qneretaro mit kaum 3000 Mann aufbrach. Die Katastrophe daselbst ließ nicht lange ans sich warten. Nachdem General Marquez an: 10. April von den Inari sten geschlagen worden, und der nachmalige Oberbefehlshaber Escobcdv am 15. Mai die Qneretaro beherrschenden Höhen genommen hatte, drangen sie in die Stadt. Durch schändlichen Verrath des Obersten Lopez (Bazaine's Schwiegervater?), den: der Kaiser das feste Kloster tu: Oenx, worin Amerika, ß 48. Die katholische Kirche in Mexiko. 21Z er sein Hauptquartier hatte, auvertraute, gericth derselbe mitten im Schlafe seinen Feinden in die Hände und mußte sich, da jeder fernere Widerstand fruchtlos gewesen wäre, mit allen seinen Getreuen auf Gnade und Ungnade ergeben. Er wurde vor ein Kriegsgericht gestellt, welches ihn zum Tode vernrtheilte (14. Juni). Nachdem das Urtheil an: 15. im Generalquartier bestätigt worden, sollte es an: nächsten Tage vollstreckt werden. Auf Juarez' Befehl wurde aber die Hinrichtung (wvhl um die Vernrtheilten mehr leiden zn lassen) auf drei Tage hinausgeschoben. Nus dem Gefängnisse zu Qneretarv schrieb der unglückliche Kaiser noch am 18. Juni auch an den hl. Vater einen Brief, in welchem er seine diene ausspricht über das, was er allenfalls wider die Gesetze der Kirche gethau, und den Papst uni den Segen bittet. Am l!1. Juni, sieben Uhr Morgens, wurde Maximilian, trotz der Verwendung mehrerer Mächte, zumal auch Englands und Preu¬ ßens, erschossen. Er sah dem Tod, auf den er sich in christlicher Weise vorbereitet hatte, unerschrocken in's Auge, das Angesicht den Feuer ge¬ benden Soldaten zngekehrt. Das gleiche Koos erlitten die Generale Miram vn und Mejia; nur wurden sie vor der Hinrichtung noch degradirt und „als Verräther an ihrem Vaterlande" von rückwärts (!) erschossen. Später wurde auch General Vidanrri hingerichtet. General M n r q u e z rettete sich aus der Stadt Mexiko durch die Flucht. — Das mexikanische Kaiserthum hatte ein Ende! ') So büßte ein edler Prinz aus einem der ältesten Regeutenhänser Europa's die unglückliche Bereitwilligkeit, eine Krone von „Nap oleo n's Gnaden" anzunehmen, und sich zum Werkzeuge seiner jenseits des atlan¬ tischen Meeres gescheiterten Politik herzugeben! In unverantwortlicher Weise hatte Napoleon den unglücklichen Maximilian seinem Ge¬ schicke überlassen. Marschall Baza ine, der demselben durch unwür¬ diges, anmassendes Benehmen seine Tage genugsam verbitterte, wenn auch Manches an den üblen Nachreden über ihn etwa übertrieben sein mag, hatte bereits am 6. Febrnar l.867 die mexikanische Hauptstadt geräumt und am 12. März sich in Vera-Cruz einschiffend, den Boden von Mexiko mit den nach Frankreich zurückkehrenden Truppen verlassen. ') In einer geheimen Urkunde soll der kinderlose Kaiser den jungen Prinzen Jturbidc (Enkel des gleichfalls — 18. Juli 1824 — erschossenen mexikanischen Kaisers) zum Erben seiner Rechte eingesetzt haben. — Jturbidc trat in die päpst¬ liche Armee ein und ließ sich dann in Ungarn häuslich nieder, wo er heiratete. 214 l- Theil I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Am 6. Mai kam Baza ine in Paris an. Schwere Anklagen wurden gegen ihn laut — damals ahne weiteren Erfolg. Napoleon schenkte ihm nach wie vvr sein Vertrauen. — Das französische Kaiser¬ paar machte dem österreichischen eine Condolenzf?)-Visite zu Salzburg (18. bis 23. August), welchen Besuch Kaiser Franz Jvsef zu Paris im Oetober erwiderte. Zur Räumung Mexiko's Seitens der Franzosen trug wohl das meiste die Drohung der nordamerikanischen Freistaaten bei, die eine Monarchie in ihrer Nähe nicht anfkommen lassen wollten; sich stützend auch ans die sogenannte Monroe-Doctrin, welche jede Einmischung einer fremden Macht in amerikanische Angelegenheiten verwirft. Unterm 25>. September 1867 ersuchte der k. k. Reichskanzler und Minister des kaiserlichen Hauses Freiherr von B e u st den mexikanischen Minister Lerdo cks Notarka uni seine Verwendung beim „Präsidenten", daß die sterblichen Reste des „Erzherzogs" dem zur Abholung derselben abgehenden Vice-Admiral von Tegetthoff übergeben werden. Im Antwortschreiben vom 4. November erwiderte der genannte Minister: „Die Berechtigung der von Euerer Excellenz nngernfenen Gefühle voll kommen würdigend, hat der Präsident der Republik unverzüglich die nöthigen Vorkehrungen getroffen, daß die Wünsche des Kaisers von Oesterreich und der kaiserlichen Familie mit Ehrfurcht erfüllt werden." Maximilian's Leiche wurde am 26. November an Tegett¬ hoff in Vera-Cruz übergeben, langte auf der „Novara", dem näm¬ lichen Schiffe, welches den Unglücklichen als Kaiser nach Mexiko gebracht hatte, am 15). Jänner 1868 in Triest an und wurde in Wien am 19. Jänner in der kaiserlichen Familiengruft bei den U. U. Capuziuern beigesetzt. Juarez hatte am 15). Juli seinen Einzug in Mexiko, der Haupt¬ stadt, gehalten. Am 25. October 1867 wurde er wieder zum Prä¬ sidenten der Republik gewühlt. Eine seiner ersten Maßregel war, daß er den Käufern der Kircheu- güter deren Besitz neuerlich zusicherte. Schon alsbald nach der Einnahme der Hauptstadt verordnete General Baez die Räumung aller Klöster binnen 48 Stunden. Bischöfen und Priestern wurde eine außerordent¬ liche Steuer auferlegt. Es wurde schon früher schismatischer Bestrebungen Erwähnung gethan. Noch vor dem völligen Sturze des Kaiserthums hielt inan das Amerika. Z 48. Die katholische Kirche in Mexiko. 215 Terrain nicht für ungünstig für wiederholte Verfnche. In Matamoros trat nun der liberale, republikanisch gesinnte Priester Don Rafael Diaz Martinez mit dem Programme einer von Rom unabhängigen natio- nalen Kirche hervor. Man meinte auf die Mitwirkung der - nebenbei gesagt - nichts weniger als durchwegs correcten und intelligenten Priester ans der indianischen oder Mestizen-Raee rechnen zu können. Wider Benito Jnarez erhob 1871 eine immer mehr nm sich greifende Revolution ihr Haupt. — Am 18. Juli 1872 starb er am Schlagflnsse. Er war indianischer Abstammung und im Jahre 1807 im Staate Oajaea geboren, anfänglich Advoeat. Zuerst ward er am 19. Jänner 1858 Präsident der Republik; im Juni 1851 zum zweiten Male, abermals <857 und <871 als solcher gewählt. Den Präsidentcnstnhl bestieg (October) der schon genannte To bnreiv Lerdo cko Ro.jackn (geboren zu Jelapa im Staate Vera Cruz. Er hatte znm Erschießen des unglücklichen Kaisers Maximilian ge rathen). Noch immer konnte die Ruhe in Mexiko nicht vollkommen herge¬ stellt werden. Auch die kirchlichen Vcxationen horten nicht ans. Sv lies; der Gouverneur des Distrietes Mexiko am 25. Mai 1873 eine Menge früher aus ihren Klöstern vertriebener Nonnen kurzweg auf die Straße setzen, weil sie sich wieder in einzelnen Häusern zu einer Art gemein¬ schaftlichen Lebens vereiniget hatten. Mehrere aus ihnen kvaren schon alt. Während der Nacht mußten sie sich ein Obdach erbetteln, oder sie in öffentlichen Miethwagen znbringen. 19 Jesuiten, meist aus Guatemala herübergekvmmen, wurden gefänglich eingezogen; die Fremden zur Ver¬ bannung vernrtheilt. Arrestationen von Geistlichen fielen in Puebla, Vera-Cruz und anderwärts vor. Zwei halbvergessene Gesetze wurden wieder in Anwendung gebracht, deren eines der Regierung das Recht verleiht, „gefährliche Fremde" (also insbesondere Geistliche) ohne Weiteres des Landes zu verweisen; das andere aber bestimmt, daß zwei zu einer religiösen Körperschaft ge hörende Personen nicht in einem Hanse beisammen wohnen dürfen. Gegen Ende Mai 1873 wurden plötzlich mehrere Nonnen, Mönche und Geistliche ans 22 Häusern ausgetrieben. Doch trat bald wieder einige Panse in der Verfolgung ein. Der am 19. September 1873 in Mexiko eröffnete Congreß be- 216 i- Thcil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. faßte sich mit ähnlichen Reformvorschlägen auf kirchlich-politischem Ge¬ biete, wie sie in Europa modern geworden sind; als: „Der Ehestand ist ein Civil-Cvntract" — „Der religiöse Eid ist abgeschasft" — „Es darf kein Mönchsorden bestehen" n. dergl. Noch Aergeres kam nach. Anfangs des Jahres 1875 nahm der Congreß ein Gesetz an, welches mit der Erklärung der völligen Trennung von Kirche und Staat be¬ ginnt. Es unterdrückt alle Feiertage mit Ausnahme der bürgerlichen Feste und beläßt nur „die Bestimmung des Sonntages, nm den An¬ gestellten zu gestatten, an diesem Tage von ihren Arbeiten auszurnhcn"; es untersagt den bürgerlichen Behörden, den Körperschaften, den Trup¬ pencorps, unter offieiellem Charakter irgend welchen gottesdienstlichen Handlungen und Hebungen beiznwohnen. Der Religionsunterricht und die Bethütigung irgend eines Cultus in ämtlicher Form sind in allen Anstalten der Föderation, d. i. der Einzelstaaten, aus welchem dieselbe besteht und der Gemeinden verboten. Das Gesetz erklärt die religiösen Anstalten für unfähig, unbewegliches Eigenthum oder auf solche Hhpo- thekirte Capitalieu zu erwerben. In einer Znsatzbestimmung schließt cs die den Spitälern, Schulen und Kinderbewahr-Anstalten dienenden barm¬ herzigen Schwestern ans dem Gebiete der Republik aus. Dawider liefen energische Protestationen, eine auch vou Damen der Aristokratie ein. In einer derselben heißt es unter Anderem: „Ihr habt unser Vaterland durch ein unsinniges Attentat entehrt, indem Ihr die Engel der Barmherzigkeit von unserem Boden vertrieben." Die Exilirten gingen theils nach Paris in das Mutterhaus, theils nach den Vereinigten Staaten und Californien, wo sie freudige und ehrenvolle Aufnahme fanden. So war denn in der neuen Welt der „Cultnrkampf" der alten wider die katholische Kirche bereits überholt! Natürlich wuchs in Folge dessen die religiöse Aufregung im Lande sehr, welches doch der Ruhe bedurfte. Nach Beginn 1876 pflanzte General Pvrfirio Diaz wieder die Fahne der Empörung gegen den Präsidenten ans. Die Bewegung nahm gleich Anfangs immer größere Dimensionen an. Aber bei Qneretaro er¬ litten die Aufständischen eine entscheidende Niederlage, wurden auch später wieder geschlagen. Im October fiel die Wahl zum Präsidenten wieder ans Lerdo
  • <835 mit Texas geschehen. tz 49. Die katholische Äirche in Mittel-Amerika und -en Antillen. Etwas besser als in den ehemals spanischen Colonien Süd-Ame¬ rikas standen einige Zeit die kirchlichen Angelegenheiten in Central- Amerika. ') Mit dein Präsidenten der Republik Guatemala, wo die Jesuiten viel Eiuflus; hatten, Raphael Carrera (gestorben >4. April 1865), schloß der päpstliche Stuhl einen für die Kirche günstigen Vertrag ab (unterzeichnet zu Rom am 7. October >852 wie das nachfolgende; ratificirt vom Papste ttl. FnAnmti); insgleichen mit dem Prä¬ sidenten vvn Costarica, Johann Raphael Morn (unterfertigt zu Rom vom Cardinal Antonelli und Ferdinand Lorenz ana am 7. Oc- tober 1852; ratificirt am 6. December 1852). Demnngeachtet erfreuen sich hier auch die Nichtkathvliken der reli¬ giösen Duldung. ') Dio füiis kleinen Republiken von Central-Amerika, ehemals auch zu Spa nicn gehörig, sind: Guatemala, Costarica, Nicaragua — wo der Flibustier Walker sei» Unwesen trieb, bis er 1860 gefangen und am 12. Septeniber zu Truxillo kriegsrcchtlich erschossen wurde, nachdem er srüher noch zu Mobile zum Katholi- cismus übcrgetretcu sein soll (er war Presbyterianer) — 8nn 8ulvn
  • r nud Honduras. 218 I. Theil. I. Hauptstück. Erlebuisse und Schicksale der kath. Kirche. Im Frühjahre 1871 wurden die Jesuiten durch die liberale Ne¬ gierung wieder aus Guatemala vertrieben. Der Präsident Granados ließ sogar den Erzbischof und den Coadjutor von Guatemala exiliren. Im Frühjahre 1872 schlossen Guatemala und St. Salvador eine Offensiv- und Defensiv-Allianee ab. Eine Bestimmung derselben lautet: „Verbannung der Jesuiten ans beiden Ländern; gleichviel in weicher Eigenschaft sie sich geriren." Der Revolutionsgeneral, Rnsinio Barri os, vertrieb 1872 in gewaltthätigster Weise auch Franciscaner und Dominicaner aus Gua¬ temala nach Kalifornien. Eine Anzahl ans Guatemala vertriebener Jesuiten flüchtete nach Costariea. Fünf Stunden vvr der Hauptstadt erhielten sie Befehl, Halt zu machen. 2000 Freimaurer drangen in den Präsidenten, auch Einen der Ihrigen — die Jesuiten zu verjagen. Der Cvngreß vvtirte diesen für die nächsten Bedürfnisse 1500 Dollars, gab ihnen aber zu¬ gleich den Befehl, das Land zu verlasseu. Im Jahre 1850 wurde zu St. Jose iu Costariea eiu Bisthnm errichtet. Die päpstliche Alloeutiou Rio. 16. März 1863 erwähut auch der neuerliche» mit den Republiken San Salvador (22. April 1862, be stätigct l.Juni 1863)si und Nicaragua (2. November 1861, bestätiget 25. Akai 1862) abgeschlossenen Cvucvrdate. Ein solches brachte 1866 der Bevollmächtigte der Republik Hou duras, Sutierrez, in Rom zu Stande, nachdem bereits 1861 eine mit jener von Guatemala fast gleichlautende Convention stattgefnnden. Auch in Nicaragua wurde 1872 die Ausweisung der Jesuiten beschlossen. In der Allocution vom 19. December 1853 beklagte sich der hei¬ lige Vater, daß die Mission des Bischofs Vincenz Spaccapietra von Arcadivpcl (i. p. int.) nachHahti an Kaiser Faust in I. an der Voreingenommenheit der Negierung und mehr noch an der argen Ver kvmmeuheit des dortigen Clerus scheiterte, und billiget- es nicht, daß Geistliche zu willfährig, ohne daß sie schon hinreichende Proben ihrer Wissenschaft und moralischen Verläßlichkeit gegeben hatten, von ihren >) Im März 1873 wurde die Stadt 8uu 8uivuUor durch ein Erdbebeu fast ganz zerstört. Amerika. Z 49. Die katholische Kirche in Mittel-Amerika. 219 Bischöfen nach Amerika entlassen werden, wo Manche aus ihnen ganz anderen Geschäften sich widmen, als der Verkündigung und Ausbrei¬ tung des Glaubens. Im westlichen Thcilc der Insel Hayti hatte sich nämlich 1849 der Neger Sonlonque als der eben erwähnte F a n st i n 1. zum Kaiser auf¬ geworfen, umgab sich mit einem Hofstaate und schuf eineu einheimischen Adel, ganz nach französischem Master aus Napolcon's 1. Zeit, wurde aber durch die Revolution, welche im December des Jahres 1859 aus- brach, gestürzt. Er starb 1867 in seiner Gebnrtsstadt. Mit dem Präsidenten der wieder errichteten Republik Fabre Gef- frard zu Port-au-Prince schloß der hl. Stuhl zu Nom am 28. März 1860 ein Cvncordat ab, gemäß welchem dort ein erzbischöflicher and vier bischöfliche Stühle anfgerichtct werden füllten. Zn Pvrt-an-Prince bestieg wirklich 1863 Martialis Guilelmns Maria Testard 850 das bis dahin bestandene apostolische Vieariat in ein Erzbisthnm (Port vf Spain) mit einem Bis- thnme (Rvsean auf Dominira) umgewandelt worden war. Im Jahre 1854 wurde ans Trinidad eine Provincialsynvde abgehalten. Ebenso waren im Jahre 1850 die beiden apostolischen Prüfectnren von Mar¬ tinique und Guadeloupe (beide Inseln Frankreich gehörig) zn Bisthü- mern erhoben worden unter der Metropolie Bordeaux. Talbvt's Be¬ richt (1856) über die Katholiken ans den kleinen Antillen lautete im Ganzen günstig. Die Besteuerung aller Produkte ohne Ausnahme mit 40 Procent, im Juli 1868, soll die nächste Veranlassung des Aufstandes gegen die spanische Negierung auf Cuba, der „Perle der Antillen", gewesen sein. Blutige Grausamkeiten wurden auf beiden Seiten begangen. Der Friede konnte nicht hergestellt werden. Im November 187.4 nahmen cnbanische Freiwillige den in Nvrix Amerika ausgerüsteten Blvckadebrecher „Birginins" weg und erschossen in Santiago einen großen Theil der an Bord befindlichen Insurgenten. Schon längst sehnten sich die nordamerikanischen Freistaaten nach dem Besitze von Cnba. Dieses Ereignis; bot ihnen eine gar so willkommene Veranlassung dar, sich einzumischen. Znm Kriege kam es aber doch nicht, weil Spanien in die Auslieferung des „Virginins" an die Ver¬ einigten Staaten einwilligte. tz 50. Die katholische Kirche in Md-Ainrrikn. Die drei Republiken Nen-Granada, Eguador und Venezuela bildeten nach ihrer Losreißung von Spanien die Staatengruppe „Columbia". Noch unter dem Pontifikate Gregors XVl. (1845) erließ die Re/ gierung von Neu-Granada ein Gesetz wider die geistliche Immunität. Es folgten andere der Kirche nachtheilige Verordnungen, weshalb Pins IX. Amerika. Z 50. Die katholische Kirche in Süd Amerika. 221 bereits 1847 nu den Präsidenten schrieb, doch vergebens! 1851 wnrde die Vertreibung der Jesuiten bestätigt, die Kirchengüter eingezvgen, die Einführung neuer Orden verboten, die kirchliche Gerichtsbarkeit ab¬ geschafft, die Ernennung der Pfarrer den Gemeinden selbst (dem sv- genannten Cabildv Parrvqnial) übertragen u. dergl. Präsident Lopez schlug (1852) eine vollständige Trennung des Staates von der Kirche vor. Die Prvtestativn des Erzbischofs von >8unt:r IX do Hog'otu, Ema¬ nuel von Mvnsquera, zog ihm eine schwere Verfolgung zu. Nach¬ dem sein Generalviear zur mehrmonatlicheu Gefängnißstrafe vernrtheilt worden war, wurde der kranke Erzbischof selbst exilirt; er zog sich zuerst nach New-Jork zurück und wollte sich dann über Paris nach Rom begeben, starb aber zu Marseille am 10. December 1853. Aehnliche Plackereien erduldeten der Bischof von Cartagena, P.A. Torres, und von Neu-Pampelvna, sowie der Capitularviear von St. Martha. Da¬ wider erhob Papst Pius IX. seine Stimme im geheimen Cvnsistvrinm vom 27. September 1852. Durch eine neue Revolution gelangte im Juli 1861 der Bruder des obgenannten Erzbischofs von 8:uita. üa da Ilog'ota, aber das gerade Widerspiel von ihm, General Thomas Monsgnera, an's Ruder. Eines seiner ersten Geschäfte war, die (wieder zurückgekehrten?) Jesuiten ans dem Laude zu treiben; auch der Repräsentant des hl. Stuhles, Graf Ledvchvwski, erhielt Befehl, dasselbe innerhalb drei Tagen zu räumen. Die Jurisdiction der Bischöfe wnrde willkürlich beschränkt, das Kircheugnt cvnfiscirt. (Siehe päpstliche Encyklika ddo. l7. Sep¬ tember 1863.) Im Jahre 1867 wnrde der gestürzte Präsident Mvnsquera zu zweijährigem Exil vernrtheilt und General Acvsta mit der Executiv- gewalt betraut. Das Jahr darauf hatte zu dmntrr I?« da IloKotn eine Prvvincial- shnvde statt. Neu-Granada zählt ungefähr 2^ Millionen Einwohner, welche in kirchlicher Beziehung unter einem Erzbischof (>8aida IX do llo^ota) und nenn Bischöfen stehen. Das Bisthum Pasto wurde erst unter Pius IX. (1859) gegründet. Ein schreckliches Erdbeben zerstörte am 18. Mai 1875) mehrere Städte Neu-Granadas, so Cncuta, San Cnhetanv, Santiago u. A. 222 I. Theil. I. Hcmptstttck. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Egnadvr zählt etwas über eine Millian Einwvhner. Das Bis- thnm Quito wilrde 1852 von Pius IX. zur Metrvpvle erhoben. Sonst bestehen hier noch Bisthümer zu Nnova-Cuenca, zli Gnyaqnil, die 1866 von Pins IX. errichteten zu Jbarra, Loja und Riobamba, endlich Vorto vooolno seit 1871. Laut des neuen zwischen dieser Republik und dein hl. Stuhle ab¬ geschlossenen Concordates (ratificirt vom Papste 26. September 1862, vom Präsidenten Gareia Moreno am 17. April 1863) ist die katholische Religion ausschließlich Staatsreligivn, das Placet und die Appellation von der geistlichen Gerichtsbarkeit an die weltliche Macht aufgehoben, die Kircheugüter sind steuerfrei, wohl aber bleibt der Clerns steuerpflichtig, die Verwaltung des Kirchengutes steht allein den kirch¬ lichen Obern zu, die auch ganz unbehindert neue Ordenshäuser und religiöse Institute errichten dürfen u. s. w. Die Kammern annullirten aber das Coneordat; es wurde sogar ein Gesetz in Vorschlag gebracht, welches alle religiösen Orden für ab¬ geschafft und das Kircheugut für Nationalgut erklärt. Gareia Mo¬ reno selbst — vor seiner Präsidentenwahl Professor der Chemie in Quito — wurde abgesetzt, dann auch seiner Senatvrenwürde verlustig erklärt und mit Schimpf nnd Schande ans dem Gebiete der Republik gestossen, die er vier Jahre, zwar mit Strenge, aber in guter Ordnung regierte. — Später bestieg er aber wieder den Präsidentenstuhl in Quito. In der Eröffnungsrede vor dem Congreß (1870) sprach er sich auf das Schärfste gegen die Occnpativn Roms durch Vietvr Ema¬ nuel ans. In der Botschaft, die er an die Senatoren und Depntirten am 20. August 1873 richtete, bewährte er sich wieder als treuer Katholik. Im Jahre 1874 wurde sogar der Jesuit ?. Faller Cultns- minister in Eguadvr. Präsident Garcia Moreno gehörte wegen all' dem zu den gründlichst verleumdeten Männern. Was zu besorgen war geschah. Er wurde meuchlings ermordet am 9. August 1875. Eben.war er wieder¬ auf fünf Jahre zum Präsidenten erwählt worden nnd sollte am 15. August in Function treten. Wie die „Katholischen Missionen" (Octoberheft 1875) erzählen, sagte Garcia Moreno zum apostolischen Delegaten von Eguadvr, Seraphin Vannutelli, bei dessen Abschiedsvisite als ernannter Nun- Amerika. Z 50 Die katholische Kirche m Süd-Amerika. ZZZ tins für Belgien, daß ans einer zu Lima gehaltenen Bersaniinlnng der Freimaurer vvu Peru, Eguadvr u. s. w. sein (des Präsidenten) Tod beschlossen wurden sei. Vaunutelli war noch nicht in Rvm angelangt, als sich diese Vvrhersagnng schon erwähnte. Zum Nachfolger Garei a Moreno' s auf dem Präsidentenstuhl wurde der Bürger Or. Antonio Borrero gewählt — ein nicht so entschiedener Charakter, obwohl auch der katholischen Kirche ergeben. Die Revolution im September 1876 stürzte ihn und brachte den Ge¬ neral Ventimilla auf deu Präsidentcnstuhl. In diesem Jahre verließen die deutschen Jesuiten Quito, wo sie das Polytechnikum znr größten Zufriedenheit eingerichtet hatten. Die Regierung hätte sie gerne zurückbehalten, aber ihre Bestimmung dort war erfüllt. Unter ihnen befand sich IL Josef Kvlberg, Professor der höheren Mathematik au der erwähnten Polytechnischen Schule. In seinem, auch in der „Augsburger Allgemeinen Zeitung" Nr. 30 vom Jahre 1877, Beiblatt, sehr lobend besprochenen Werke: „Nach Egnadvr. Reisebilder" wird des edlen, für die Bildung seines Volkes so besorgten Präsidenten Garcia Moreno mit dankvoller Pietät gedacht. Der von deu Männern der Loge an Garcia Moreno ver¬ übten Schaudthat folgte noch vor Abschluß eines Jahres eine zweite. Am Charfreitag 1877 (30. März) wurde nämlich durch eiuen von ihr gedungenen Menschen der Erzbischof von Quito, Josef Ignaz Chcca (geboren 4. August 1^29), mittelst Strychnin vergiftet, welchen derselbe in den Wein des Meßkännchens zu werfen hatte, den der Erzbischof genoß. Durch sein energisches Auftreten in der letzten Zeit, zumal gegen ein die kirchlichen Rechte beeinträchtigendes Circular des Jnstizministers Pedro Carbo hatte sich der Erzbischof das Mißfallen der Freimaurer zugezogen. Ignaci» -en»cko o8toliono ad bstüsoopos Ilrrr- ^ilinuno liogücmik clo irruptiauo, «gioruuulruu ninZsoniono sootuo ncl- (liotoi niu in ^,ioruIN Obristinunrnin »odniitutos." Iloiono clio 29. Iritis 1876. Darin geschieht Meldung eines Briefes, den der Papst am 29. Mai 1873 an den Bischof von Fernambuco-Oliuda und eines anderen, den er unterin 7. Februar 1875 an den Kaiser von Brasilien geschrieben hatte.) L. Arrfkvcll'ien. § 5l. Dir lmtholisrhc Kirche in Australien mit den -nzn geh origen Inseln (Polynesien). Jin Jahre 1849 zog eine Kolonie spanischer Bencdictiner nach Australien, wo sie sich trotz mannigfacher Hindernisse und Anfeindungen von Seite der Engländer in der 1845 im westlichen Nenhvlland errich¬ teten Diöeese Perth (deren erster Bischof Brady war) niederließen. Ihr Superior, Josef Serra, geboren 1810 zu Mataro iu Catalvuien, wurde 1849 (Bischof) apostolischer Administrator von Perth. Rvdesindv S a l v a d v (geboren zu Tut; 1814), Bischof vvu Porto-Bittvria, brachte im Jahre 1853 44 Benedictiner ans Spanien mit. Mit Bulle vom 12. Mürz 1867 erhob Pius IX. das Kloster von Neu-Nursia zu einer apostolischen Prüfectnr. Schon früher (1836) hatte sich Batail- l o n mit vier seiner Mitbrüder aus der Genossenschaft Mariä nach den zu Australien gehörigen Inseln ciligeschifft, bekehrte Neusüdwales und wurde sodann zum Bischof von Enos in purt. und apostolischen Vicar von Central-Oceanicn ernannt. Im Jahre 1856 kam er selbst nach Nom, nm dem Papste Pius IX. Bericht über seine Erfolge zu er¬ statten und die Aufnahme eingcborner Zöglinge in die Propaganda zu erwirken. Einer seiner Gefährten, 1'. Maria Ludwig Chanel, geboren zu Cnct, Diöeese Bellay in Frankreich 1803, hatte sich 1837 auf der Insel Futuna niedergelassen, wo er 1841 erschlagen wurde. Nach der „Oarurvbiu Outtolicm" 1878 bestehen gegenwärtig in Australien zwei Erzlnsthümer mit folgenden Snffraganbisthümern: 234 I. Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. I. Sidney: 1. Armidale, 2. Bathurst, 3. Brisbane, 4. Goul- bvurne, 5. Maitland, 6. Vittoria. II. Melbourne (vom Papst Pins IX. errichtet): 1. Adelaide, 2. Ballarat, 3. Hebart-Town, 4. Perth, 5. Sandhurst. Jin Jahre 1844 trat Erzbischof Polding von Sidney mit sechs Bischöfen znm ersten Prvvineialeoncil zusammen; 1869 znm zweiten. Erzbischof Johann Beda Polding 0. 8. II. starb am 15. März 1877. Die Ureinwohner sind auch auf der östlichen Hemisphäre, wie znm Theil auch ans der westlichen geschehen (von der europäischen Civilisativn?) schon fast vernichtet. (Siehe „Der Letzte der Tasmanier", „Augsburger Allgemeine Zeitung" vom Jahre 1865, Nr. >, Beilage.) Auf den Gesel lschafts- und Sandwichsinseln concur- rirten mit den katholischen Missionären englische und auch amerikanische, was natürlich Streitigkeiten veranlaßte. Von Otaheiti, der größten der Gesellschaftsinseln, unter der nomi¬ nellen Negierung der Königin P omare, vertrieb Pritsch ard, der mächtige englische Missionär, die dahin gekommenen katholischen fran zösischen Glaubensboten, wofür er von den Franzosen noch unter König Ludwig Philipp I. verjagt wurde. Er bekam aber doch eine Ent¬ schädigung von Frankreich. Frankreich stellte diese Insel unter sein Prvteetorat; die Marguesas- inseln aber nahm cs förmlich in Besitz. Am >7. September 1877 starb die Königin der Gesellschafts¬ inseln, P omare I V. (geboren 1810); ihr Sohn Arkany (Arieane) wurde zum König ansgerufen. Sie selbst hatte als Nachfolgerin ihres Bruders P omare III. seit 1827 geherrscht. Aehnliches erfuhren die französischen Missionäre 1839 auf An¬ stiften der englischen auf den Sandwichsinseln, wurden aber gleichfalls von den Franzosen znrückgebracht und ihnen Sicherheit für die Zukunft verbürgt. König Tamramra III.') stand gleichsam unter der gemeinsamen Oberhoheit Englands, Frankreichs und der Bereinigten Staaten. Königin Emma, Witwe Kamel;ameha's, welche 1866 Europa bereiste, ließ, selbst Anglieanerin geworden, in der Hauptstadt Honolulu sogar eine christliche Kathedrale in englisch - gvthischem Styl erbauen. y Sohn des zu London — wo er auf Besuch war — als Christ (?) ge¬ storbenen Königs Tamramra II. Australien. Z 51. Die katholische Kirche in Australien. 235 Am II. December 1872 starb König Lot Kamehameha V. Er war im Jahre 1828 geboren und folgte seinem Bruder Kame¬ hameha IV. am 30. November 1863. Da er unvermält starb, und seinen Nachfolger nicht bezeichnet hatte, so wurde Prinz William Lu¬ ll a l i l v, Freund der Vereinigten Staaten, ein Enkel K a m e h a m e h a' s I., zum König gewählt. Auch er starb schon am 3. Februar 1874: Die Trunksucht, der er sehr ergeben war, beschleunigte seinen Tod. Das Volk entschied sich für David Kalakua, den mächtigsten Häuptling im Lande, als Nachfolger auf dem Throne. Er ist Protestant. (?) Am 20. September 1878 — also schon unter dem Pontificate Leo's XIII. — feierte der apostolische Vicar zu Honolulu, Mai gret, Bischof von Arathea i. p. unter allgemeiner Theilnahme sein fünfzig jähriges Priesterjnbilänm. Zu den zwei schon früher bestandenen apostolischen Vicariaten — eines für die Sandwichs-, das andere für die Margnesasinseln — kam 1848 noch ein drittes für die Gesellschaftsinseln, die Pvmvtns-, die Cooks- und die sogenannten Osterinseln,') und (1863) die apostolische Präfectnr für die Fidschiinseln. Jin Jahre 1874 stellte sich der König der Fidschiinseln, Kakoban, unter den Schutz Englands, welches dann förmlich von den Inseln Besitz nahm (Oetvber). Aber den armen Eingebvrnen bekam diese nächste Be¬ rührung mit der „abendländischen Cnltur" nicht wohl. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung erlag (1875) einer pestartigen Masern-Epidemie. Auf Nen-Caledvnien bestrebten sich Missionäre ans der Cvngrc- gation der Maristen das Christenthnm und damit die Civilisativn unter den Wilden — meist noch Menschenfressern — einznführen. Der Erfolg entspricht bisher noch nicht ihren: apostolischen Eifer. Glücklicher waren sie auf der Fichteninsel (Knnie) an'der Südvstspitze Neu - Caledvniens. Ein großer Verlust für die Mission war der Tod des apostolischen Vicars Do narre 1853. Im selben Jahre ergriff Frankreich Besitz voi: der Inselgruppe Neu-Calcdvnien, wo sie die Stadt Numea au- legten. Da sich die Eingeboruen widersetzten, lief die ganze Mission große Gefahr. Die Hauptstation der Maristen auf Neu-Caledonicn ist St. Louis. g Im „Xnnnnrio pantilwio" erscheinen zwei apostolische Vieariatc als von Pins IX. gegründet: eines ans den Schifferinscln nnd eines für Thaiti (Otaheiti). 236 I- Thcil. 2. Hanptstnck. Literaturgeschichte iu der kath. Kirche. Zweites Hauptstück. Zur neuesten Literaturgeschichte in der katholischen Kirche. 8 i)2. Grstcrrrich und Deutschland. Der Tod lichtete in jüngster Zeit sehr die Reihen katholischer Ge¬ lehrten. Wir geben eine ttebersicht derselben und besprechen auch einige noch lebenden Schriftsteller. Am 29. Jänner 1348 starb zn München Josef von Gvrres (ge¬ boren 25. Jänner 1776 zu Coblenz), ein Mann, der auf das politische und kirchliche Leben seiner Zeit so mächtig eingewirkt hatte, und zwar durch Wort, Schrift und That, wie kaum eilt Zweiter. Wir übergehen hier die Schriften Gvrres' Politischen oder sonst wissenschaftlichen Inhaltes, wie er sie in den verschiedenen Entwicklungs- Phasen seines wechselvvllen Lebens versaht hatte, si und heben nur jene hervor, die ihm in der kirchlichen Literatur ein Monument - noro poroiinins — gesetzt haben. In den Jahren 1836—1842 erschien zn Regensburg seine grossartig angelegte „christliche Mystik" iu fünf Bänden. Die Gcfangenuehmnng des Erzbischofes von Cöln, Clemens August von Bischcring (11. November 1837) veranlasste Gvrres zur Herausgabe des „Athanasius" (1838); zur Abfertigung seiner Gegner „Die Triarier"; 1842 erschien „Kirche und Staat nach Ablauf der Kölner Irrung"; die Gründung der „Historisch-Politischen Blätter" war sein Werk. Die letzte Arbeit Görr e s' religiös-politischen Inhaltes war die „Wallfahrt nach Trier" (1845) aus Anlaß des ärgerlichen Auf¬ tretens I. Ronge's gegen den Bischof von Trier, Arnoldi, der im Jahre zuvor iu seiner Kathedrale den hl. Rock des Erlösers zur Verehrung ausstellen ließ. Die Feier seines hundertjährigen Geburtstages, die nicht nur, wie schon erwähnt, zn München, sondern auch zn Cvblenz begangen wurde, veranlaßte ebendaselbst — am 25. Jänner 1876 - — die Gründung der „Görr cs-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland". Die erste Generalversammlung wurde schon am 6. Juni ') Bekannt ist, daß ihn Napoleon I., zumal in Hinblick auf den „Rhei¬ nischen Mercnr", die fünfte Großmacht (In Linguiomo pnissnneo) nannte. Z Z2. Oesterreich und Deutschland. 237 1876 zu Frankfurt u. Bk. eröffnet. Die 24. Generalversammlung deut¬ scher Kathvlikcn zu München beschloß am 11. September d. I. die G örr es-Gesellschaft anf's Wärmste zu empfehlen. Das Gleiche that im nächsten Jahre die Generalversammlung der Katholiken Deutsch¬ lands zu Münster. — Auf die Ergebenheitsadresse der Mitglieder der erwähnten Görres-Gesellschaft 5. De. Johann Wilhelm Wolf, berühmter Germanist, als katholischer Schriftsteller bekannt unter dem Namen „Johannes Laieus", Verfasser und Herausgeber von Erbauungs¬ schriften, z. B. der „Trvsteinsamkeit", des „Schatzkastlcins", gestorben zu Darmstadt, 29. Juni 1855. I)r. Franz Anton Staudenmayer, geboren 1800 zu Denzdorf, in der Grafschaft Rechberg, Würtemberg, Dvmeapitular und Professor der Theologie zu Freiburg, gestorben 19. Jänner 1856. Aus seinen vielen Schriften nennen wir: „Eueyklvpädie der theologischen Wissen¬ schaften", „Der Geist des Christeuthums", „Die Philosophie des Chri- stenthums", „Die christliche Dogmatik", „Darstellung und Kritik des Hegel'schen Systems. Ans dem Standpnnkte der christlichen Philo¬ sophie". — Bernhard Galura, ehedem Professor zu Freiburg i. B., Fürstbischof von Brixen, geboren 1764 zu Herbolzheim im Breisgau, gestorben 17. Mai 1856. Sein Hauptwerk (schon 1800) ist wohl „Die neueste Theologie des Christenthnms, wie solches von Ewigkeit im Sinne Gottes war und in der Zeit ans dem Munde Gottes gekommen ist". — De. Franz Carl Movers, Professor der katholischen Theo¬ logie zu Breslau, bekannt durch sein elastisches Werk über die Phö¬ nizier, gestorben 28. September 1856. — Du. Caspar Riffel, ge¬ boren zu Büdesheim 19. Jauner 1807, Professor der Theologie zn Mainz, gestorben daselbst 15. December 1856, Kirchenhistvriker und sonstiger theologischer Schriftsteller. — De. Ritter, Dvmdeean und Professor der Theologie zu Breslau, gestorben 5. Jänner 1857. Seine Kirchengeschichte reicht bis in die neueste Zeit. — Alois Meßmer, Z 52. Oesterreich und Deutschland. 239 Professor der Theologie zu Brixen, gestorben 23. August 1857 zu Albnuv bei Rom (wohin er in der Hoffnung zu genesen sich begeben hatte). Nach seinem Tode erschien eine Geschichte der Offenbarung; eine Erklärung des Galaterbriefes; des ersten Korintherbriefes; so wie des Johannes-Evangeliums. — Zwar ein Laie, aber von entschieden katho¬ lischer Gesinnung war Josef Carl Benediet Freiherr von Eichendorf, geboren >788 zu Lubvwih bei Natibor, gestorben 26. November 1857 zu Neissa in Preußisch Schlesien, Verfasser der gediegenen Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands; an der Vollendung des „Lebens der hl. Hedwig" hinderte ihn der Tod. — Beda Weber, geboren 26. Oe- tvber 1768 zu Lienz im Pnsterthale Tirols, gestorben 28. Februar 1858 zu Frankfurt am Main, wo er seit 1849 das Amt des katho¬ lischen Stadtpfarrers bekleidete, womit die Würde eines Domcapitnlars von Limburg verbunden war. Früher gehörte U. Beda Weber dem Bencdictinerklvster Marienburg in Tirol an, und lehrte seit 1826 als Professor am Gymnasium zu Meran. Von seiner vielseitigen Bildung und mannhaften, dabei milden katholischen Gesinnung, geben seine Schrif¬ ten Zeugnis), als: einzelne Monographien, z. B. „Johanna Maria vom Kreuze"; Charakterbilder (darunter seines Freundes I. Friedrich Heinrich Schlosser, gestorben 1851), seine „Lieder ans Tirol", ganz vorzüglich aber sein opus p85!). Nach seinem Tode erschienen: „Flir's Briefe aus Rom", die sich mit Freimuth über dortige Zustände äußern; ferner „Briefe aus Innsbruck, Frankfurt und Wien". — Am >. Mai 1859 starb zu Scheftlarn in Baiern ?. Josef Ferdinand Damberger aus der Gesellschaft Jesu, geboren l. März >795 in der Erzdivccse München Freisingen, Verfasser der „synchronistischen Geschichte der Kirche und der Welt im Mittelalter". Leider konnte derselbe dies, aus dem fleißigsten Quellenstudium hervvrgegangene Werk selbst nicht ganz voll enden. (Es reicht bis zum Tode des Kaisers Ludwig des Baiers 1347.) — 1)r. Franz Georg Benkert, geboren 1790 zu Nordheim an 2-40 I- Theil. 2. Hauptstiick. Literaturgeschichte iu der kath. Kirche. dcr Rhin, seit 1838 Domdechaut zu Würzburg Begründer und Redac- teur des „Rcligivnsfrcnndes" und der mit demselben verbundenen „Atha¬ nasia", starb 20. Mai 1859. Am 9. August 1860 starb der als libe¬ raler katholischer Schriftsteller bekannte Ignaz Heinrich Freiherr von Mess en berg im Alter vvn fast 86 Jahren. Er war am 2. November 1774 in Dresden geboren, wo sein Vater Johann Philipp Carl vvn Wessenberg damals österreichischer Gesandter war. Seit der Aufhebung des Bisthunis Constanz im Jahre 1827, dessen Verweser er gewesen, lebte er alldvrt in stiller Zurückgezogenheit, ein Freund und Mecänas der Wissenschaften und Künste. Wessenberg schrieb unter Anderem: „Die großen Kirchenversammlnngen des 15. und 16. Jahrhundertes in Bezie¬ hung auf Kirchenverbesserung." 4 Bände. — Am 27. December 1860 starb Heinrich Josef Himioben, Dvmcapitular vvn Mainz, geboren ebenda 19. Jänner 1807, Herausgeber des „Grundrisses der katholischen Moral vvn I)r. Klee", der „katholischen Svnntagsblätter" u. s. w. Bald folgte ihm der Legationsrath Lieber nach, mehrmaliger Präses der Generalversammlung deutscher Katholiken, auch als katho¬ lischer Publicist verdient. - Am 9. Mai 1861 starb in München dcr dortige Professor der Philologie Ernst von Lasaulx, geboren 16. Mürz 1805 zu Coblenz. Dem Urthcile, welches einige seiner Schriften auf den Index setzte, als: „Des Sokrates Leben, Lehre und Tod nach dein Zeugnisse der Alten", worin er eine Parallele zwischen Sokrates und Christus, der ihm freilich mehr als ein Weiser — der Sohn Gottes ist, zieht, unterwarf er sich ohne Widerrede. Im Jahre 1847 seines Lehramtes an der Universität München entsetzt, wurde Lasaulx dann wieder rehabilitirt. — A. Fr. Gfrörer, Professor der Geschichte zu Freiburg, Verfasser mehrerer geschützter geschichtlicher Werke, so ins¬ besondere der „Geschichte Papst Gregor VII und seine Zeit", ge¬ storben im Jnli 1861 in Karlsbad. — Am 26. April des nämlichen Jahres zu München Professor Philipp Jacob Fallmeraher dcr „Fragmcntist", so benannt nach seinen „Fragmenten aus dem Orient", geboren 10. December 179> zu Tschvtsch bei Brixen. — IK. Friedrich Windisch mann, Dvmcapitular, geboren 13. December 18ll zu Aschaffenburg, Orientalist und Bibel-Exeget, gestorben 24. August 1861. Am 29. Octvbcr 1861, starb Franz Xaver Zenner, Bischvf vvn Sarepta i. p., Weihbischof vvn Wien, bekannt durch seine „In- struetio pi'notion oont'ossiu'üN — Michael Permaneder, zuletzt K 52. Oesterreich und Deutschland. 2-j.p Professur nn der Universität zu München, znmal als kirchenrechtlicher Schriftsteller bekannt, geboren 1794 in Traunstein, gestorben 13. Octvber 1862. — Der Feldbischvf, d. i. apostolische Vicar der k. k. österrei¬ chischen Armee, Johann Michael Leonhard (geboren 23. August 1782 zu Gräfenlverth in Niederösterreich), Verfasser des früheren Religions- Schulbuches für die k. k. Gymnasien und Anderes, gestorben 19. Jänner 1863. — U. Johann Bapt. Schöpf, Franeiscaner, Professor am k. k. Gymnasium zu Bozen, deutscher (tirolischer) Sprachforscher, gestorben 20. Februar 1863. — I)r. Anton Günther, geboren 1783 in Böhmen zn Lindenan, gestorben am 24. Februar 1863 zu Wien. Bereits 1852 hatte der Bischof von Trier, 1)r. Arnoldi, im dortigen Seminar, wie es hieß, auf Befehl des Papstes den Vortrag der Günther'schen Philosophie untersagt. Dies konnte als der Vorbote noch ernsterer Ma߬ regeln gelten, welche ihr bevvrstanden. Die Reise des Domcapitnlars und Thevlvgieprvfessvrs zu Breslau, I)r. Balzer, und des Benedie- tinerabten von St. Stephan in Augsburg, Gangauf, nach Rom (1853), beide Güntherianer, und des Dr. K n v v dt aus Bonn, konnte denselben nicht Vorbeugen. Mit Deeret vom 8. Jänner 1857 verurtheilte die Jndexevngregativn Günther's philosophische Schriften einfach ohne nähere Angabe der Gründe, jedoch mit dem Bemerken: „-Vnvtor (Intis litvris ud 8s. l). Ul Uinin Ul'. IX. sub cliv 10. Uvlnnuiü in^onnv, religiöse uv lundubilitvr sv sulsivvit." Im Schreiben des Papstes an den Erzbischof von Köln, Johann Cardinal von Geißel 4<1o. 15. Jnni 1857 wurde unter Anderem als Hauptirrthum Günther's auch der bezeichnet, daß er gegen die schon vom achten allgemeinen und vom Concilinm von Vienne unter Clemens V. aufgestellte katholische Lehre verstoße: „der Mensch bestehe aus Körper und Geist und zwar so, daß die vernünftige Seele durch sich die wahre und unmittelbare Form des Körpers sei", daß es also nur Ein Lebensprincip im Menschen gebe, nämlich die vernünftige Seele, von welcher auch der Körper Bewegung, alles Leben und Sein empfängt. Das Nämliche sprach der hl. Vater gelegcnheitlich einer vom Breslauer Canvnieus und Professor U>r. Johann Baltzer über die Natur des Menschen verfaßten und dem hl. Stuhle zur Benrthcilung unterlegten Schrift aus im Schreiben an den Fürst¬ bischof von Breslau, Rio. 30. April 1860. — !)>-. I. W. Braun, Professor der Theologie zu Bonn, bekannt aus der Geschichte des Hcr- mesianismns, gestorben 30. September 1863. — Ein specnlativcr Kopf, Stepischaegg, Papst Pias IX. und seine Zeit. II. Bd. 1g 242 I. Theil. 2. Hauptstück. Literaturgeschichte iu der kath. Kirche. wie Günther, und sich immer streng ans kirchlichem Boden haltend, war L. Johann NeP. Ehrlich, Piaristenordenspriester, geboren 21. Fe¬ bruar 1810 zu Wien; von 1851 bis 1853 Professor der Moral- theologic zn Graz; dann nach Prag übersetzt, wo er zuletzt Fnnda- mentalthcolvgie lehrte, und an« 23. Octvber 1864 starb. Mit Friedrich von Hurter ging am 27. August 1865 zn Graz ein ebenso aufrich¬ tiger Katholik als gediegener Gelehrter zu Grabe. Er Ivar geboren am 19. März 1787 zn Schaffhausen, wo er auch als Antistcs wirkte. Noch vor seiner am 16. Juni 1844 in Rom erfolgten Conversion schrieb er die „Geschichte des Papstes Jnnoeenz III. und seiner Zeitgenossen"; nahm sich der gedrückten Kirche an in seiner Schrift: „Die Befeindung der katholischen Kirche in der Schweiz" und gab später als k. k. öster¬ reichischer Rcichshistvrivgraph die Geschichte Ferdinand I!. heraus, ein mit riesigem Fleiße verfaßtes Qnellenwerk. — Eine ebenso wahre wie Pietätvolle Monographie über Friedrich von Hurter lieferte sein Sohn Heinrich, Cnratbenefieiat zu St. Peter in Wien (Graz 1876 und 1877) unter dem Titel: „Friedrich von Hurter, k. k. Hofrath und Reichshistoriogrnph und seine Zeit". — Für die Ausbreitung des vom Scverinns-Vereine gegründeten „Oesterreichischen Vvlksfreund" that Hurter sein Möglichstes. Im Jahre 1877 ging dieses katholische Zei- tnngsblatt ein — wegen zu geringer Anzahl von Abonnenten (!) — während kirchenfcindliche Blätter auch vom katholischen Gelde pro- speriren. Kurze Zeit nach Hurter — am 5. September 1865 — verschied der Nestor der katholisch-theologischen Schriftsteller, der ehrwürdige IN'. Johann Baptist von Hirsch er (geboren 20. Jänner >788 zu Alt- Engarten im damaligen Bvrderösterreich), Professor der Theologie und seit 1850 Domdeean zn Freiburg im Breisgau (Nachfolger Dr. Leon Hard H ng's); Verfasser unter anderen werthvollen Schriften der „Christ¬ lichen Moral"; der „Betrachtungen über sämmtliche Evangelien der Fasten"; der „Betrachtungen über die sonntäglichen Evangelien des Kirchenjahres", der „Betrachtungen über sämmtliche sonntäglichen Episteln des Kirchenjahres"; der „Erörterungen über die religiösen Fragen der Gegenwart"; der „Lehre vom Ablaß" n. s. w. Wenn er hie und da eine etwas gewagte Behauptung aufstellte, so verkannte er doch nie, was er seiner Kirche schulde, um die er sich in Deutschland so verdient machte, daß sein Andenken in ihr wohl stets in Ehren bleiben wird. Z 52. Oesterreich und Deutschland. 243 Simon Buchfellner, bekannter »seelischer Schriftsteller, gestorben 16. December 1865 in Oberbeuern. Max von S t n d lb a ur, Professor der Dvgmeitik in München (ge¬ boren 13. Juli 1808 zu Wiesenthnmbach iu der Oberpfalz, gestorben 5. September 1866), gab in den Jahren 1842 und 1843 mit Dol¬ linger, Hauneberg, Herbst und Reithmayr das „Archiv für- theologische Literatur" heraus; schrieb eine „Katholische Rcligivnslehre für die studierende Jugend"; ließ 1831 die „Ue^nln iicloi cmlboliaao (NUN uuul/m (lo^mutain (;reckonckornm« erscheinen. Josef Lvnovics, ernannter Erzbischof von Kaloesa, gestorben in Pest 13. Marz 1867. Das Jahr 1848 verwickelte ihn als Bischof von Csanad zum Theite in die damaligen politischen Verhältnisse Un garns, und veranlaßte ihn, sich in das Stift Akolk zurückznziehen. Dieser Muße verdankt, unter anderen Schriften, seine „Christliche Archäologie" (in drei Bänden) ihre Verfassung. — Noch als Bischof von Csanad hatte Lvnovics die bekannte Mission an Gregor XVI. in Angelegen¬ heit der gemischten Ehen in Ungarn. Auch an Ernst Freiherrn von Moy de Sens verlor das katho lische Deutschland eine tüchtige Kraft. Er war 1799 in München ge¬ boren, Professor ebendaselbst; entfernt mit anderen Ehrenmännern durch den Einfluß der Lola Montez; seit 1851 Professor des Kirchcnrechts und der deutschen Rcchtsgeschichte; gestorben ebendaselbst 1. August 1867. Mehrere kirchenrechtliche Schriften geben von seiner ersprießlichen Thätig- keit und katholischen Gesinnung Zeugnis). Im Jahre 1857 gründete er das „Archiv für katholisches Kircheurecht", fvrtgeführt nach seinem Tode von I)r. Friedrich Bering, (geboren 1833 zu Liesbvru iu West¬ phalen), Professor der Rechte zu..Heidelberg, welcher 1875 den Ruf als Professor des römischen Kirchcnrechtes an die neu gegründete Uni¬ versität in Czernowitz (Bukowina) annahm. I)r. Marcus Adam Nickel, Dvmcapitnlar rc. zu Mainz, ein fruchtbarer — zumal liturgischer — Schriftsteller, gestorben 3l. Octo¬ ber 1869. Die mosaische Schöpfungsgeschichte wurde in neuester Zeit häufiger denn je von: naturwissenschaftlichen Standpunkt aus bekämpft. Für sie traten auch katholische Gelehrte ein, so sehr sie sonst in der Erklärung von einander abweichen mochten. Einer freieren Anschauung huldigt diesfalls I)r. Johanu B. Baltzer, Professor der Theologie zu Bres- 16* 244 I. Theil. 2. Hauptstttck. Literaturgeschichte in der kath. Kirche. lau, in „Die biblische Schöpfungsgeschichte, insbesondere die darin ent¬ haltene Kosina- und Geogonie in ihrer Uebereinstimmung mit den Natur¬ wissenschaften". Gegen Or. Carl Vogt's in Breslau gehaltene Vor¬ lesungen liber die Urgeschichte des Menschen schrieb Baltzer „Ueber die Anfänge der Organismen und die Urgeschichte des Menschen". - Or. I. Baltzer war am 16. Juli 1803 zu Andernach am Rhein ge¬ boren, und starb am 1. Oetober 1871 in Bonn, ohne das oatieanische Concil anerkannt zu haben. Von ihm erübrigen mehrere Schriften: „Grnndcharakter des hermesischen Systems"; „Theologische Briefe über das christliche Seligkeitsdvgma"; „Neue theologische Briefe an Anton Günther" und Andere. Wir nennen diesbezüglich ferner „Bibel und Natur. Vorlesungen über die mosaische Urgeschichte und ihr Verhältuist zu den Ergebnissen der Naturfvrschung", von Or. F. Heinrich Reu sch, Professor der Theologie an der Universität zu Bonn. Ein gediegenes Werk, welches gewiß mit Nutzen gelesen wird. Unbestreitbares Verdienst um die Bekämpfung des crasseu Materia¬ lismus eines Carl Vogt und Anderer gebührt auch dem (katholischen Priester) Professor der Philosophie Oe. F. Frohschammer (siehe dessen „Menschenseele und Physiologie", „Ueber die Aufgabe der Natur¬ philosophie und ihr Verhältnis; zur Naturwissenschaft"). Seine ander¬ weitigen philosophischen Schriften, als: „Einleitung in die Philosophie", und „Grundriß der Metaphysik", „Ueber die Freiheit der Wissenschaft" im „Athenäum" Jahrgang 1862, wurden in Rom verworfen und ans den Index gesetzt (siehe päpstliches Schreiben an den Erzbischof von München-Freising cUlo. l l. December 1862). Die beiden ihm vvr- gehaltenen Jrrthttmer sind: l. Daß Frohschammer auch die (über¬ vernünftigen) ü b c r n atürlich e n R e li g i v n s w a h r h e it e n zum Gegenstände der philosophischen Forschung mache; 2. Daß er die Philo¬ sophie in jeder Beziehung unabhängig von der göttlichen Lehr-Autorität der Kirche erkläre, welche daher kein Recht habe, philosophische Jrrthümer zu verwerfen. — Or. F. Frohschammer nahm Anstand, zu widerrufen und sich dem Urtheile zu unterwerfen, unter Anderem vvrgebend, er sei mißverstanden n. s. w. (so in seinem gedruckten Vor¬ trage: „lieber das Recht der neueren Philosophie gegenüber der Scho¬ lastik" 1863). Leider ging er La men na is' Wege. — Schon in „Das Christcnthum und die moderne Naturwissenschaft" steht er ans rationa- Z 52. Oesterreich und Deutschland. 245 listischem Standpunkte. Seit mehreren Jahren (31. März 1863) u «iivinm snspendirt, wurde er 1871 vvm Erzbischof twn München cx- eommunieirt. In seiner Schrift „Das neue Wissen und der nene Glaube" — gegen I)r. Fr. Strauß' „Der alte und der neue Glaube" tritt er zwar auch wieder gegen den rohen Materialismus auf, aber er plaidirt nur mehr für em bloßes sogeu. Vernunftchristenthum mit Aufgebuug des Dogma's oou der Gottheit Christi und des daraus entstandenen kirchlichen (sie) Christenthums. Seinem giftigen Hasse gegen Rom machte er Luft in der Broschüre: „Der Fels Petri in Rom. Beleuchtung des Fundamentes der römischen Papstherrschaft." Mit dcm Negiren, daß Petrus in Rom war, meint er dem Papstthnm den Todesstoß zu versetzen. Ihm seeundirte Or. und Professor der Philosophie zn München Johannes Huber zumeist in seiner Brandschrift „Die Geschichte der Jesuiten". Er starb 1879. I)r. H. Lüken schrieb zur Vertheidigung der gevffeubarten Wahr¬ heit gegen die Angriffe einer ungläubigen Geschichte und Naturwissen¬ schaft unter Anderem „Traditionen des Menschengeschlechtes", und „Die Stiftnngsurknnde des Menschengeschlechtes". Aehnlich wie Frvhschammer verweigerte der Privatdoeent an der Universität zn München l)r. Alois Pichler die Unterwerfung unter das Urtheil der sein Werk „Geschichte der kirchlichen Trennung zwischen dem Orient und Oceident" rcprobirenden Jndex-Cvngregativn (1865). — Der Nämliche schrieb auch die „Geschichte des Protestan¬ tismus iu der orientalischen Kirche im >7. Jahrhunderte", und die „Theo¬ logie des Leibnitz". In dein bald darauf folgenden Buche über „Die wahren Hindernisse und die Grundbedingungen einer durchgreifenden Reform der Kirche", zeigte er sich als schon ganz zerfallen mit dem katho¬ lischen Glauben und mit seinen: Berufe. Er wurde Oberbibliothekar au der kaiserlichen Bibliothek in St. Petersburg; aber nach eilf Jahren (März 1871) wegen evntinnirlichen Bücherdiebstahles seines Amtes entsetzt nnd lebenslänglich nach Sibirien verbannt. Anläßlich seiner Vermählung mit der österreichischen Kaisertochter Gisela verwendete sich der baierische Prinz Leopold beim Czar um Pichler's Begnadigung und erlangte sie. Am 10. Jänner 1874 246 I- Theil. 2. Hauptstück. Literaturgeschichte in der kath. Kirche. kam er wieder in seiner Heimath an; starb aber schon am 3. Juni 1874 zil Siegsdorf bei Traunstein (man fand ihn todt im Bette) — ohne der Kirche Widerruf geleistet zn haben. Die Kirchengeschichte und einzelne Partien derselben bearbeiteten unter Anderen I)r. Johann Alzog, geboren 29. Jnui 1808 zn Ohlau in Schlesien, Professor der Theologie zu Freiburg im Breisgau: „Hand¬ buch der Universal-Kirchengeschichte", „Grundriß der Patrologie". Er starb am 1. März 1878. 1)r. Carl Josef Hefe le, Professor der Theologie zu Tübingen, nun Bischof von Rottenburg, „Coneiliengeschichte. Nach den Quellen bearbeitet." Ein in der That elastisches Werk. Es schließt mit den Cvn- eilien von Basel nnd Ferrara-Florenz und Anderen ab. Von den Jesuiten in Maria-Laach — dann vertrieben in Holland — erschienen: „/Vota et Deorstn s. Oonoilivruin rooentioruiv. OoIIsetio Imooimis." — Ferner noch immer die periodische Schrift: „Stimmen aus Maria-Laach". U. Pius Bonifaeius Gams, Benedietinerzn München, gab die „Kir- chcngeschichte" des unvergeßlichen I)r. Johann Adam Mohler heraus; leistete aber auch selbständig im kirchengeschichtlichcn Fache Ausgezeichnetes. Or. Franz Anton Scharpff, Domeapitnlar in Rvttenburg, schrieb „Vorlesungen über die neueste Kirchengeschichte" — „Der Cardinal und Bischof Nicolaus von Cusa, als Reformator in Kirche, Reich nnd Philosophie des 15. Jahrhunderts" und Anderes. I)r. Josef Feßler, geboren 2. December 1813 zu Lochau in Vor¬ arlberg, Professor der Theologie zn Wien, dann 1862 Bischof von Nyssa i. p. nnd als solcher Weihbischvf von Brixen nnd Generalvicar von Vorarlberg zn Feldkirch, gestorben 25. April 1872 als Bischof (seit 1865H von St. Pölten, Secretär des vaticanischcn Coueils, Verfasser einer „Kirchengeschichte" die als Lehrbuch am Gymnasium diente, ferner einer „Patrologie" und mehrerer kircheurechtlicher Abhandlungen. An¬ läßlich des vaticanischen Concils schrieb er: „Das letzte und das nächste allgemeine Concil" — gegen I)r. Schulte: „Die wahre und falsche Unfehlbarkeit der Päpste" und „Das vatieanische Coneil, dessen äußerer und innerer Verlauf". Die Prvfangeschichte bereicherte I)r. Constantin von Höfler (geb. 18ll zu Memmingen), Professor zu Prag. („Kaiser Friedrich II."; „Die deutschen Päpste" und Andere.) Z 52. Oesterreich mid Deutschland. 247 Die christliche Archäologie, ein bisher ziemlich brach gelegenes Theil- gebiet der Kirchengeschichte, bereicherte I)r. Franz Xaver Kraus, Pro¬ fessor zit Straßburg - nach Alzog's Tode solcher zu Freiburg im Breisgau - mit „Roum sottsrnnen. Die römischen Katakomben." Der „Roum ^ottornnon" legte Dr. K raus das Werk von I. Spencer Nvrthcote und W. R. Brvwelvw zu Grunde. Ferner „Die Blut - ampullen", „Das Spvtterucifix vom Palatin und ein neu entdecktes Graffito" — „Die christliche Kunst in ihren frühesten Anfängen." Er schrieb auch ein „Lehrbuch der Kircheugeschichte für Studierende" und „Charakterbilder aus der christlichen Kirchengeschichte". I)r. Josef Hergenrother, Professor der Theologie zu Würz¬ burg, (geboren am 15. September 1824), schrieb unter Anderem: „P h vtius, Patriarch von Cvnstantinvpel. Sein Leben, seine Schrif¬ ten und das griechische Schisma", — sowie „Nounuwutn Dineen uck I'botium vfusguo bwtorium Portiuoutin"; — „Anti-Janus" gegen Dollinger, — „Katholische Kirche und christlicher Staat"; — „Hand¬ buch der allgemeinen Kirchcngeschichte". Papst Leo XIII. ernannte ihn 1879 zum Cardinal. I'. Leopold Jauanschek, Cistereienser aus dem österreichischen Stifte Zwettl gibt das großartige Quellenwerk heraus „Orig-ines 6i- 8t6rMLN868". Schon als Erzbischof von Perugia hatte der nachmalige Papst Lev XIII. Gelegenheit, damit bekannt zu werden. Als Papst richtete er an den Verfasser ein sehr anerkennendes Breve Rio. IO. Octvber 1878. Von I)r. Carl Werner, Canvnieus und Professor der Theologie zu St. Pölten, dann zu Wien, haben wir eine „Geschichte der apolo¬ getischen und polemischen Literatur- der christlichen Theologie" — „Die Religionen und Culte des vorchristlichen Heideuthums"; „Beda, der Ehrwürdige und seine Zeit"; „Alkuin und sein Jahrhundert"; und Anderes zur philosophisch-theologischen Literatur des früheren Mittel¬ alters. Von vr. Franz X. Dieringer, Professor zu Bonn und Dvm- capitular von Köln, (geboren 22. August >811 zu Raugendingen im vormaligen Fürstenthnm Hvhenzvllern-Hechiugen, seit 1871 Pfarrer zu Veringerhof in Hohenzollern-Sigmaringen, Erzdiöcese Freiburg im Br., gestorben 8. September l87«>) — erschien bereits iu mehreren Auflagen das „Lehrbuch der katholischen Dogmatik". Auch schrieb er „System 248 I. Theil. 2. Hauptstnck. Literaturgeschichte in der kath. Kirche. der göttlichen Thaten des Christenthuius"; „Laienkatechismus"; „Epistcl- bnch"; „Kanzelvortröge an gebildete Katholiken" und Anderes. Von Or. Joh. Danko, Professor der Theologie zn Wien, dann Domherr in Gran, erschien die „Ilwtoriu revelutioni^ clivinaa V. ot X. 4'." — In einer Broschüre (1874) lieferte Danko den Beweis, das; der hl. Hier o n y in n s in dein heutigen Stridan, ans der zu Un¬ garn gehörigen Murinsel geboren wurde. Von vr. I. Sch wetz, Hof- und Burgpfarrer zu Wien, „Mma- lo^ia. t'umlumontulm". Or. I. B. Heinrich, Domdccan, Geueralvicar und Professor der Dogmatik am bischöflichen Seminar zu Mainz (geboren daselbst 1!). April 1816), schrieb „Dogmatische Theologie"; I)r. Josef Scheeben, Pro¬ fessor am erzbischöflichen Seminare zu Colu aber ein „Handbuch der katholischen Dogmatik". Beide sehr geschätzte Lehrbücher. Zwar starb (23. März 1875) in Frankreich zu Poitiers, war aber ein geborener Deutscher — (1820 zu Itzum iin Hannover'schen) — der U. Clemens Schrader 8. .1.; (ein Schüler Passaglia's), durch einige Zeit auch Professor der Dogmatik zu Wien, welche Lehrkanzel er aufgab, weil er den neuen „verfassungsmässigen" Eid nicht leisten wollte. Er schrieb unter Anderen Zllmsos tlmoloxiouo" in sieben Serien; einen Tractat „vo Oroations"; einen „I)o Maclitiouo, 876. Znkrigl war 1807 zu Grvßolkowitz geboren. Er schrieb unter Anderem: „Wissenschaftliche Rechtfertigung der christlichen Trinitätslehre"; „Die Nvthwendigkeit der christlichen Offenbarungs- Moral". In sehr vielen Händen, und mit Recht, ist das von Wetze r und Welte heransgegebene „Lexikon oder Enehklopädie der katholischen Theologie und ihrer Hilfswissenschaften" (Freiburg i. Br., Herder). Das Kirchenrecht rühmt sich hervorragender Schriftsteller; als: I)r. Ferdinand Walter, Professor zu Bonn; I)r. Michael Per¬ ma neder, Professor zu München; I)r. Friedrich R. von Schulte, Professor zu Prag, 1872 vom Kaiser Wilhelm I. an die Universität zn Bonn berufen, wo er seine Vorlesungen mit dem Sommer-Semester 1875 begann („Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts"); 1)r. Georg Philipps (geboren 6. Jänner 1804 zn Königsberg, 1827 Rechts¬ lehrer zu Berlin; trat daselbst 1828 zur katholischen Kirche über; 1853 nach München bernfen, wo er die „Historisch-politischen Blätter für das katholische Deutschland" mitbegründete. Warum er München verließ, erwähnten wir schon. Im Jahre 1850 kam er als Professor nach Inns¬ bruck, dann — schon 1851 — nach Wien, als Lehrer des Kirchen¬ rechtes nnd der deutschen Nechtsgeschichte; gestorben 6. September 1872 in Aigen bei Salzburg); Philipps schrieb: „Handbuch des Kirchen¬ rechtes"; ein kürzeres „Lehrbuch pes Kirchenrechtes" nnd Anderes; Or. Friedrich Maaßen, Professor zn Graz, dann zu Wien (wo er in's Lager der sogenannten Altkathvliken, ohne jedoch sich ihnen in Allem anznschließen, überging). In seiner Schrift: „Nenn Capitel über freie Kirche und Gewissensfreiheit" verurtheilt er in der entschiedensten Weise den modernen heidnischen Staats-Absolutismus, die Staats-Omni- Potenz nnd den eben darin wurzelnden sogenannten Cultnrkampf in Preußen. I)r. Hermann Gerlach, Dvmeapitular, bischöflicher Offieial zu Limburg, „Lehrbuch des katholischen Kirchenrechtes". I)r. Conrad Franz N v ß h irt, Pens. Professor des römischen und Kirchenrechtes zu Heidelberg (gestorben 5. Juni l»75), ein fruchtbarer Schriftsteller und 252 I- Thcil. 2. Hauptstück. Literaturgeschichte in der kath. Kirche. glaubenstrener Katholik. Von Professor Friedrich H. Veri u g, damals zu Heidelberg, erschien: „Lehrbuch des katholischen und Protestantischen Kirchenrechtes mit besonderer Rücksicht auf das vatieanische Cvneil, so¬ wie ans Deutschland, Oesterreich und die Schweiz". Auch das philosophische Feld blieb nicht brach liegen. 1)r. Albert Stockt, geboren 15. März 1823 zu Mohrn, Diöeese Eichstädt, Pro¬ fessor der Philosophie an der Akademie zu Munster, seit 1871 Dom capitnlar und Professor am bischöflichen Lycenm zu Eichstädt, schrieb „Geschichte der Philosophie des Mittelalters"; „Die speculatioe Lehre vom Menschen und ihre Geschichte"; „Lehrbuch der Philosophie"; „Grundriß der Aesthetik". — Er schrieb aber anch ein „Lehrbuch der Pädagogik" und ein „Lehrbuch der Geschichte der Pädagogik". Ferner: „Der Materialismus geprüft in seinen Lehrsätzen und deren Con¬ sequenzen". Ein strebsamer, fruchtbarer Schriftsteller ist Ile. Anton Kersch- banmer, Dvmeapitular und Professor der Theologie zu St. Pölten; dann Stndtpfarrer in Tuln. „Cardinal Klesel"; „Lehrbuch der katho¬ lischen Pastoral" und Anderes. Anch Oe. Andreas Gaßner, Professor der Theologie in Salz¬ burg, schrieb: „Handbuch der Pastoral"; ebenso Ile. Josef Amberger, Domeapitular zu Regensburg, „Pastoralthcvlogie". A. Beuger, „Pa¬ storaltheologie". 1'. Ignaz Schüch, Capitnlar oon Kreinsmünster, „Handbuch zu Vorlesungen ans der Pastvralthcologie". Mit Dankbarkeit, nun aber leider anch mit Wehninth nennen nur den um die katholische Wissenschaft in Deutschland ehevor unstreitig best- verdienten und gelehrtesten Theologen vr. Josef Johann Ignaz von Döllinger, Professor der Theologie zn München. Wahrhaft Großes hat er geleistet, zumal auf kirchenhistorischem Felde. Sohn des berühmten Physiologen gleichen Namens, wurde Döllinger zn Bamberg am 28. Februar 1799 geboren; ain 15. April 1822 erhielt er die Priester¬ weihe. Seine zahlreichen Schriften werden seinen Namen nicht vergessen lassen: „Die Eucharistie in den drei ersten Jahrhunderten"; „Fortsetzung der Kirchengeschichte Hortig's"; das größere „Handbuch" und das „Lehrbuch derKircheugeschichte" (leider unvollendet); „DieReformation, ihre innere Entwicklung und ihre Wirkungen"; „Hippvlytns und Kal¬ listus"; „Heidenthum und Judenthum, Vorhalle zur Geschichte des Christenthnins"; „Christenthuin und Kirche in der Zeit der Grund- K 52. Oesterreich und Deutschland. 25Z legung"; „Kirche und Kirchen, Papstthum und Kirchenstaat"; „Die Papstfabeln des Mittelalters"; anderer kleinerer Abhandlungen und Aufsätze, z. B. „Muhamuied's Religivn" (in den Schriften der bai¬ rischen Akademie; „Luther" (im Freiburger Kirchcnlexikvn) uicht zu gedenken. — Nach seinem Bruche mit der katholischen Kirche hielt Or. Döllinger Vorträge über die „Wiedervereinigung der christlichen Kirchen". Daß geistreich und populär schreiben sich nicht nvthwendig ausschließen, zeigte, wie kaum ein Zweiter, 1)r. Alban Stolz, Pro¬ fessor der Theologie zu Freiburg i. B., geboren 3. Februar 1308 zu Bühl im Badischen. Viel Gutes stiftete sein „Kalender für Zeit und Einigkeit"; nicht minder seine „Legende"; „Erziehuugskunst" und Anderes. Viel Aehnlichkeit mit Alban Stolz hat I)r. Sebastian Brunner, geboren 10. December 1814 zu Wien; Priester seit 1838; schlagfer¬ tiger Satyrikcr, Dichter, unerschrockener katholischer Publicist, auch Pre¬ diger. Aus seinen neuesten Werken nennen wir: „Die theologische Diener¬ schaft am Hofe Josefs 11." und „Die Mysterien der Aufklärung in Oesterreich". Zumeist als geistreicher Homilet und Prediger, auch als humo¬ ristischer Schriftsteller weithin bekannt, ist I)r. Johann Emanuel Veith, geboren 10. Juli 1787 zu Kuttcuplan in Böhmen von jüdischen Eltern, Dvctor der Medicin, Professor und Dircctvr an der Veterinärschnle zu Wien, Cvuvertit (1817), nach empfangener Priesterweihe (1821) Nedem- tvrist, dann Weltpriester, Dvmprcdigcr zu St. Stephan (bis 1845). Noch in seinem hohen Alter schrieb er unter Anderem: „Hundert Psal¬ men", „Die Anfänge der Menschenwclt". Er starb am 6. November 1876 in Wien, noch bis zum Ende, obwohl leidend und schon ganz erblindet, literarisch beschäftiget. Am 8. November 1871 war in Maria-Laach (Nheinpreußen) der Jesuit 14 Josef Deharbe, geboren 1. April 1800 in Straßburg, Verfasser des bekannten, nach ihm genannten Katechismus, gestorben. Der nämlichen Gesellschaft Jesu gehörte der berühmte Missivnsprediger 14 N v h au; geboren am 14. August 1811 zu Gnnthys im Schweizer Cantvn Wallis, gestorben 17. Mai 1872 in Bonn. Zu den gelehrtesten Orientalisten zählt 14 Pins Zingerle, ge¬ boren 1801 zu Meran; Rector und Professur des dortigen Gymnasiums, auch dem Beuedictiuerstifte Marienberg angehörig. 254 I. Theil. 2. Hauptstück. Literaturgeschichte tu der kath. Küche. Als Forscher auf dem Gebiete alt- und neuhochdeutscher Sprache und Literatur verdient mit Ehren genannt zn werden Josef Kehre in (geboren 20. Oetvber 1808 zu Hcidesheim bei Mainz); Gymnasial- prvfessvr zu Hadamar; Seminar-Direetvr zn Montabaur im Nassauischen, wo er am 26. März 1876 starb. Am 10. August 1874 starb in Civitä-Vecchia (wo er sich zur Cur anfhielt) der Oratorianer und vormalige, seit 1870 guieseirte Prü- fect des vatieanischcn Archives, I)r. Augustin Th einer, geboren 1>. April 1804 zn Breslau. Von seinen zahlreichen Werken nennen wir: „Geschichte der geistlichen Bildnngsanstalten"; „Cardinal Franken¬ berg und sein Kampf für die Kirche"; „Zustände der katholischen Kirche in Schlesien von 1740—1758"; „Geschichte des Pontifieates Cle¬ mens XIV."; „Uonumontn votorn Inst. IInnKarino illnstrantin"; desgleichen in Betreff Pvlens und Litthanens, der Südslaven, Ir¬ lands und Schottlands; „Ooäox dlplomntions iloininii tougnirnlis Laimtao Loclis ^post." — Znin Verdienste gereichte ihm auch die ver¬ anstaltete neue Ausgabe der Annalen des Baronins, dessen Fortsetzung er sich mit angestrengtem Flciße widmete. Bereits nach seinem Tode erschienen zu Agram: „e^ota Mnnina 8. Osonmonioi Oonoilii Dri- «lontini . . . nnnv priinnin intsKra odita ab Xngmstino Dlioinor". Professor lir. I. Friedrich in München konnte es sich nicht versagen, den unstreitig tüchtigen katholischen Gelehrten durch Veröffent¬ lichung seiner Briefe an ihn (Friedrich) ans den Jahren 1870 bis 1873 in der „Augsburger Allgemeinen Zeitung" zu cvmprvmittiren. Denn in diesen Briefen offenbart sich 1'. Augustin Theiner als ver¬ bissener Feind der Jesuiten; selbst gegen Papst Pius IX., der ihm so viel Vertrauen schenkte, bewies sich L. A. Theiner nichts weniger als dankbar. Auch ein Schlesier war I)r. David August Rosenthal, geboren 16. April 1821 zu Neisse, gestorben 30. März 1875 zu Breslau, Arzt, jüdischer Abkunft. 1851 trat er ans Ueberzeugung mit Frau und Kindern zur katholischen Kirche über und befaßte sich viel mit Thevlvgie. Er schrieb insbesondere „Convertitenbilder aus dem 19. Jahrhunderte", welches bedeutende Werk sozusagen die Fortsetzung des ähnlichen von I)r. Andreas Raeß, Bischof von Straßburg, bildet. Auch gab er die poetischen Werke des Angelus Silesius neu heraus. Nicht übergehen können wir die vom christlichen Geiste durch- Z 52. Oesterreich und Deutschland. 255 glühten Dichter, als: Oscar Freiherr vvn Redwitz-Schmölz, gebaren 2d!. Juli 1823 zu Lichtenan iu Mittelfraukeu. Werke: „Ania- ranth"; das „Märchen vom Waldbächlein und Tannenbanm"; „Ge¬ dichte". — Dramatisches: „Thomas Morus"; „Der Doge vou Venedig"; „Sigelinde"; „Der Zunftmeister vvn Nürnberg" und Anderes. - Erzählung: „Hermann Stark, deutsches Leben". — Leider ist er in seinem 1878 erschienenen epischen Gedichte „Odilo" nicht mehr zn erkennen. „Was wir bisher darüber hörten," schreibt der „Literarische Hand¬ weiser" in Nr. 233, „läßt leider nicht mehr daran zweifeln, daß der Dichter der frvmmglänbigen „Amaranth", nach seinem in dem Lied vom neuen deutschen Reich bekundeten Durchgänge dnrch den Nativnal- Liberalismns nunmehr auf völlig n n ch r i st li ch e m Boden angelangt ist". RedWitz's Freund, Wilhelm Molitor, zuletzt Dvmeapitnlar zn Speyer, that sich gleichfalls als Dichter („Dvmlieder") und Dra¬ matiker hervor. Lindemann W., Berfasser einer Geschichte der deutschen Lite¬ ratur; „Für die Pilgerreise. Ein Album von religiösen Dichtungen". Wilhelm Smcts, gestorben am 14. Octvber 1848 als Stifts¬ herr zn Aachen, Lyriker, Rhetoriker, auch prosaischer (historischer) Schrift¬ steller und Uebersctzer. Johann Bapt. Berger (pseudonym: Gedeon von der Haide), katholischer Priester im Rheinlande, kirchlicher Liederdichter und Lyriker. Conrad von Bolanden, eigentlich Conrad Bischof (geboren am 9. August 1828 in Niedergeilbach in der Rheinpfalz), früher Pfarr- Administrator in Bvlandeu - Kirchheim , Priester der Speyerer Diverse, katholischer Roman Schriftsteller, fruchtbar und viel gelesen. Da er in seinen Schriften auch die Gewaltmaßregeln Preußens gegen die katho¬ lische Kirche geißelte, fahndete die dortige Regierung auf dieselben. Wegen ihrer Verbreitung wurde unter Anderem ein Pfarrer in Schlesien zu vier Wochen Gefängnis; vernrtheilt. Eine ähnliche Tendenz verfolgt Philippus Laie ns (Pseudonym; sein eigentlicher Name ist „Wasserburg"). Johann Friedrich Heinrich Schlosser, gestorben 2. Jänner 1851 zn Frankfurt am Main, wo er 1780 geboren wurde; Convertit, Samm¬ ler und gefühlvoller Bearbeiter kirchlicher Lieder und Hymnen. Christoph Bernhard Schlüter, geboren 1801 zu Warndorf an 256 I Theil. 2. Hauptstück. Literaturgeschichte iu der kath. Kirche. der Enns, glücklicher Uebersetzer spanischer und deutscher Dichtungen, lieferte auch selbständige religions-philvsvphische Arbeiten. Albert Werfer, Verfasser religiöser Gedichte und Legenden, be¬ gabter Vvlksschriftsteller. Nicht vergessen werden darf die edle Dichterin Annette Frciiu von Droste zu Hülshoff ans Westphalen (geboren 10. Jänner 1797, gestorben 24. Mai 1848), Verfasserin unter Anderem von: „Das geist¬ liche Jahr"; Isabella Braun, verdiente Jugendschriftstellerin, auch auf dem Gebiete der Legende, und die dramatische Dichterin Emilie N i n g s e i s. Von l>. Isidor Wilhelm Meinhvld, geboren 1797 auf der Insel Usedvm, protestantischer Pfarrer, gestorben zn Crummin auf dieser Insel seiner Gesinnung nach als Katholik 1851, weshalb wir ihn hier aufführen, weil ihn nur ein unerwartet schneller Tod an der längst intcndirten faktischen Rückkehr zur katholischen Kirche hinderte, Ver¬ fasser der beiden bekannten Romane „Die Bernsteinhexe" und „Sidonie von Bork", erschien unvollendet „Der getreue Ritter," oder „Sigmund Hager von und zu Altensteig und Reformation", ein zumal gegen Lu- ther's Rechtfertignngslehre gerichteter historischer Roman. Sein Sohn Aurel Meinhold, geboren 26. August 1829, war Konvertit und Schriftsteller. Er starb als katholischer Pfarrer zn Hochkirch bei Groß- Glvgan in Schlesien, am 14. Jänner 1873. Eben er gab unter Anderem auch den zweiten Theil des Romans seines Vaters: „Der getreue Ritter" heraus. Als katholische Unterhaltungslectnre traten in jüngster Zeit in's Leben: „Der deutsche Hausschatz in Wort und Bild" (Pustet); „Die alte nud neue Welt" (Benzinger); „Der katholische Hausfreund" mit seinen Erzählungen religiös-erbauenden Inhaltes; „Die katholische Nv- vellen-Bibliothek"; „Katholische Familienblätter" (Neisse); „Die Feier¬ stunden im häuslichen Kreise" (Würzbnrg, L. Wörl). Ihre lobenswertste Tendenz ist, die schlechten Unterhaltungsblätter mehr und mehr zu ver¬ drängen, zumal aus katholischen Familienkreisen. Ehrenvoll gedachten wir schon des Grafen Franz P o c e i (geboren zu München 7. März 1807; gestorben daselbst 7. Mai 1876). Er ist als Dichter, fruchtbarer Jugendschriftsteller, selbst als Maler und Musiker Vortheilhaft bekannt. Sehr Interessantes bringen die „Zeit- und Lebensbilder" vvn Jo- 8 52. Oesterreich und Deutschland. 257 Hannes Janssen. Auch ist er der Verfasser einer „Geschichte des deut¬ schen Volkes seit dein Ausgang des Mittelalters"; ferner einer Biogra¬ phie Friedrichs Leopold Grafen zu Stolberg in zwei Theilen. Am 27. September 1877 starb der wackere, schon genannte Dom- capitnlar von Limbnrg, Eugen Johann Theodor Thissen, geboren 31. October 1813 zu Aachen. Verfasser von: „Das große Mißver¬ ständnis; in Sachen der päpstlichen Unfehlbarkeit", Redactenr des viel¬ verbreiteten „Nassauer-Boten". Hvfrath Professor Ritter von Buß, geboren 23. Mürz 1803 in Baden zu Zell am Hamersbach, gestorben am 1. Februar 1878 in Freiburg i. B., bewährte sich immer als treuer Sohn der katholischen Kirche. Unter Anderem schrieb er: „Uebcr den Einfluß des Christen- thnms auf Recht und Staat"; ein Geschichtswerk über die Gesellschaft Jesn. . . . Am 10. Februar 1873 feierte die wissenschaftliche Welt den vier- hundertjährigen Geburtstag des unsterblichen Astronomen Nicolaus C v- pernte ns, so insbesondere auch zu Thorn selbst, wo er das Licht der Welt erblickt hatte und in Frauenbnrg. Bei diesem Anlasse gab die Festschrift: svilami nm (bgmcniounnm" heraus I)r. Franz Hipler, ordentlicher Professor der theologischen Faenltät und Regens des bischöflich Ermländischen Priestersemiuars zu Braunsberg. N. Copernieus starb bekanntlich als Domherr zu Frauenbnrg am 24. Mai 1543. Sein großes, epochemachendes Werk: „I)o revolntiouilins orbiuiu eoolo- 8tiuia" hatte er dem Papste Paulus III. gewidmet. Am 30. Juni 1877 schied zu Münster der ordentliche Professor der Mathematik und Astronomie, vr. Eduard Heis aus dem Leben. Seine astronomischen Schriften nnd meteorologischen Untersuchungen sichern ihm in der Gelehrtenwelt ein fortwährendes ehrenvolles Andenken. Wir nennen hier z. B. seinen „iVtIu8 novim ooolsstis" . . . (1872). Heis, geboren zu Cvln am 18. Februar 1806, war ein kindlich und fromm gläubiger Katholik. — An der Zeitschrift: „Natur nnd Offen¬ barung betheiligte er sich als Mitarbeiter in der thätigsten Weise. — Pius IX., welchem I'. Secchi in Rom den obcrwähnten „Atlas" mit einem Begleitschreiben des Verfassers überbrachte, beehrte den Autor mit einem Dankschreiben clclo. 5. September 1872, dem eine große Medaille beigcfügt war. Unter den vielen kirchlichen deutschen, zum Theil schon älteren, Stepischnegg, Papst Pius IX. und seine Zeit. II. Bd. 258 I Thcil. 2. Hauptstück. Literaturgeschichte iu der kath. Kirche. zum Theil ueu entstandenen Zeitschriften und Zeitungen nennen wir nur beispielsweise: die „Wiener Kirchcnzeitung" (sie hörte mit Ende December 1874 auf); das „Deutsche Volksblatt in Stuttgart"; die „Tübinger Quartalschrift"; die „Augsburger Postzeitung"; das „Salzburger Kir¬ chenblatt" ; das „Würzburger Chiliancum"; das „Schlesische Kirchenblatt zu Breslau"; das „Freiburger katholische Kirchenblatt"; das „Mainzer Journal"; den „Mainzer Katholik"; das „Märkische Kirchenblatt" in Berlin. — Eine sehr zeitgemäße nnd verdienstliche Aufgabe setzte sich „Natur und Offenbarung" (seit 1855 in Münster erscheinend), nämlich die Bekämpfung der immer mehr um sich greifenden rein materiali¬ stischen Naturanschannng, an deren Stelle sie die christlich ideelle setzen mochte. Ganz gegründet ist die Klage, daß die Theologie, nicht zu ihrem uud der geoffenbarten Wahrheit Vortheil, die Resultate der Natur¬ wissenschaft bis in die neueste Zeit zu wenig berücksichtigte. Die Literatur besprechen: Die „Wiener Vierteljahrsschrift für katho¬ lische Theologie" (währte bis 1875); die „Wiener allgemeine Literatur- zeitung" (hörte Ende 1873 zn erscheinen auf); der „Literarische Hand¬ weiser" in Münster; das seit 1866 in Bonn erscheinende, dann aber altkatholisch gewordene „Theologische Literaturblatt" (cingegangen mit dem Jahre 1877); die „Theologische Quartalschrift" von Tübingen; die „Linzer theologische Quartalschrift"; die „Literarische Rundschau" in Aachen; die mit dem Jahre 1877 in Innsbruck in's Leben getretene „Zeitschrift für katholische Theologie". Auch Ungarn und die slavischen Provinzen der österreichischen Monarchie, zumal Böhmen, blieben nicht zurück. Nur beispielsweise nennen wir für Ungarn die Zeitschrift: „Uo- lixio" (redigirt anfänglich vom Erlauer Domherrn I. Danielik); ferner die streng katholische Monatschrift: „bis 8ian". Im Jahre 1866 wurden zu Pest die (kirchlichen Blätter) „LAÜW/ü Uapoü" gegründet. Im Jahre 1875 aber wurde das Organ „ckolankar" ge¬ gründet. — Ein liberales Blatt ist: „L/.abnä blg/Iuü/." (die freie Kirche). Zur Verbreitung guter und wohlfeiler Bücher hatten sich in Deutsch¬ land der „Boromäus-Verein" 1844 zumeist durch Dr. Franz Die- ringer in Bonn (ein ähnlicher schon früher in München); in Cöln (1871) der „Görres-Verein"; in Würzburg (1875) die „Katholischen Studien"; in Innsbruck die „Marianische Gesellschaft"; der „Katholische A 52. Oesterreich und Deutschland. 25g Brvschüren-Verein", eine Frucht der zu Würzburg 1864 nbgehalteuen 16. Generalversammlung der katholischen Vereine Deutschlands; 1876 der „Katholische Bücherverein" zu Salzburg; in Ungarn der „Stephans- Verein" gebildet, dessen erster Präses Graf Stephan von Carvlyi sich auch sonst mit die katholische Sache verdient machte, wofür ihn der Papst mit dem Christusorden nnszeichuete. Dieselbe lvbenswerthe Ten¬ denz verfolgt die „Nepvmucenische Heredität" zn Prag, gestiftet 1829 von dem Exjesniten Anton Harivic zum Andenken des ersten Jubi¬ läums der Heiligsprechung des hl. Johann von Nepomuk, an der Stelle der im 17. Jahrhunderte zu dem nämlichen Zwecke entstandenen St. Wenzeslaischen Heredität. In ausgezeichneter Weise besprechen Zeitfragen die „periodischen Blätter" von Dr. M. I. Scheeben, Professor am erzbischöflichen Priesterseminar in Cöln; die bereits erwähnteil „Stimmen ans Maria Laach". Aehnlich „die katholische Bewegung in unseren Tagen" (zu Born¬ heim bei Frankfurt a. M.). Dazu zählen wir auch: den „Broschüren - Cyelus für das katho¬ lische Deutschland" in Soest. Sehr interessante Aufschlüsse liefern die Broschüren, welche über die katholische Presse in der Lev W vrl' scheu Buch- und kirchlichen Kunstverlngshandlnng in Würzburg erschienen. Die erste war „Der Neujahrsgrnß für die Katholiken" 1875. „Die katholische Presse in Europa zu Neujahr 1877" weist nach, daß nahezu 850 Preszvrgane in Form von Tageszeitungen, Wochenblättern, Monatsschriften u. dergl. in den Staaten Deutschland, Oesterreich-Ungarn, Schweiz, Frankreich, Italien, Belgien und Holland —- in Betreff der übrigen europäischen Staaten liegen genauere Zahlen nicht vor — die katholische Sache mit mehr oder minder Geschick und Erfolg verfechten. Die Wcltrnndschau über die katholische Presse Neujahr 1878 zieht schon auch die außereuropäische Presse in ihren Bereich. Vom 28. September bis 1. Octvber 1863 tagte zu München eine Versammlung katholischer Gelehrten. Ju dem von 1)r. und Professor I. von Döllinger, Abt und Professor I)r. Bonifaz Haneberg und Professor Dr. I. Alzvg von Freiburg unterfertigten Einladungsschreiben . 7. Oetober, sagt der hl. Vater im Breve vom 21. December d. I., daß er wohl besorgte, diese Versammlung, weil nur unter privatem Namen veranstaltet, könne etwa wider die kirchliche Lehrauctorität ver¬ stoßen; nun aber hoffe er, daß sie denn doch der Kirche in Deutsch¬ land zum Nutzen gereichen werde, weil die Männer derselben offen er¬ klärten: „daß der wissenschaftliche Fortschritt und der glückliche Erfolg der Bekämpfung der traurigen Zeitirrthümer ganz und gar von dem innigsten Festhalten an den geoffenbarteu Wahrheiten abhänge, welche die katholische Kirche lehrt". Nach Z 2 der Statuten sollte alljährlich nm die Mitte September eine solche Versammlung katholischer Gelehrten in einer Stadt Deutsch¬ lands abgehalten werden. Die Zeitverhältnisse machten dies unausführbar. Auf deu 21. August 1867 war abermals eine Versammlung katho lischer Gelehrten nach Freiburg im Breisgau anberaumt, veranlaßt durch eine an die Mitarbeiter des Bonner theologischen Literaturblattes ergau gcue Einladung. 8 53. Italien. Am 15. März 1849 starb iu Rom der seiner Sprachkenntnisse wegen als Polyglotte berühmte Cardinal Josef Mczzo fante, geboren 1774 zu Bologna; am 8. September 1854 aber im Franeiscauerklvster von Cnstel-Gvndvlfo, wohin er sich aus Gesundheitsrücksichten zurück gezogen hatte, der Präfeet der vaticanischeu Bibliothek, Cardinal Angelo Mai, geboren am 7. März 1782') zu Seilpario iu der Diöcese Ber- ') Nach R. Wiscmann in den „Erinnerungen an die vier letzten Päpste" ist A. Mai's Geburtsjahr 1774. Z 53. Italien. 261 gamo. Seine Leistungen als Philvlog und Kritiker sichern ihm den Ruhm eines der größten Gelehrten der letzteren Jahrhunderte. Die von ihm unternommene Nilsgabe des Ooclox Vnt.imunm erschien erst nach seinem Tode (1858). ') Jill folgenden Jahre (1855) verschied am 30. Juni zu Stresa am Im<;o muMioro, wo er einen dem Unterrichte und der Kranken¬ pflege gewidmeten geistlichen Orden (der „Miter der Barmherzigkeit") gestiftet hatte, Abbate Antonio Rosmini-Serbati, geboren 1707 zu Rvveredv, Verfasser vieler metaphysischer Werke; als Politiker war er für eine Confvderation der einzelnen italienischen Staaten. Dem sich fluchtenden Pins lX. war er 1848 nach Ganta gefolgt. Darauf gab er zu Neapel seine „oporntts Zpiritnnii" heraus. Dein Verbot der¬ selben durch die „OouA-rsK-ntio inckwitG unterwarf er sich in Demuth. 1854 ließ ihn: der Papst die Schlnßnahmc der Untersuchung mittheilen: „ckiinitlnnlur opora. Antonii Uomnnii-8ordnti". Am 10. Mai 1856 starb zu Rom der als Archäologe berühmte Jesuit U. I. P. Secchi. Im Jahre 1849 hatte auch er von den Republikanern Mißhandlungen erlitten. (Sein zu Reggio im Mvdcne- sischen 1818 geborener Bruder, der berühmte Astronom, 1'. Angelo Secchi, auch Jesuit, starb zn Rom am 26. Februar 1878.) Ebendaselbst starb im Jahre 1860 der zumal durch seine archäo¬ logischen Forschungen in den Katakomben rühmlichst bekannte Jesuit U. Marchi, geboren zn Udine. In Rom starb 1861 U. Jgnazio Mvzzoni, Priester des Ordens der barmherzigen Brüder, auf der Insel St. Servolo bei Venedig, ein gelwrner Mailänder, Verfasser der „tavolo oronoloAiobo oriliobo <1(7In stvrin ckolla. obiosa nnivorsnlo"-. Auch hatte er die Kunst des farbigen Steindruckes wesentlich vervollkommnet. 1'. Joachim Ventura, geboren 1792 zu Marsala auf Sicilien, ehemaliger General des Theatiner-Ordens, vom Papste auch in diplo¬ matischen Sendungen verwendet, als kirchlicher Schriftsteller der liberalen Richtung angehvrend, auch ob seiner Predigten zu Paris renommirt, gestvrben zn Versailles am 2. August 1861. Er hinterließ unter An¬ derem: „Gedüchtnißreden auf ausgezeichnete Katholiken des 19. Jahr- hnndertes"; „Die katholische Frau". ') Iw. Constantin Tischend orf deckte mehrere Mängel dieser Ausgabe ans, weshalb 1869 eine neue päpstliche Ausgabe des erwähnten Codex erschien. 262 I- Theil. 2. Hauptstück. Literaturgeschichte in der kath. Kirche. Am 15. März 1862 starb zu Rom?. Bresciani, 8. R, Einer der Gründer der „Oiviltü oattolioa", Verfasser der historischen Romane: „Der Jude von Verona"; „Der Jager von Vincennes"; „Olderich oder der päpstliche Znave" und Anderer. Ihm folgte im Tode am 20. Sep¬ tember 1862 L. Taparelli, 8. <1., Director der „Oiviltü eattoiiva" (geboren 1793 zu Turin, älterer Bruder des picmontesischen Staats¬ mannes Massimo d'Azeglio, gestorben 15. Jänner 1866). Großes Verdienst, zumal um die Topographie der altchristlichen Grabstätten in Rom gebührt dem noch lebenden, auf diesem Felde uner¬ müdlichen Forscher Giovanni Batista Oaval. ra"; in Bologna „12 to cl'or); trat 1824, nachdem er schon durch 18 Monate zu Paris die Advveatnr ausgeübt hatte, in das Seminar von S. Snlpice; dann wurde er Dominicaner 1840, welcher Orden ihm eigentlich seine Wiedereinführung in Frankreich verdankt. An¬ fänglich widmete er sich gleichfalls dem Rechtssache. Nachdem er 1827 Priester geworden, war er mit Lamennais und dem Grafen M v n - talembert Hauptmitarbeiter an der vom Papst Greg or XVI. 1832 verurtheiltcn „lOVvonir". Lacvrdaire und Moutalembert fügten sich dem Verwerfungsurtheil, nicht so Lamennais. Lacordaire's berühmte „Conferenzen" in der Nvtre Dame-Kirche versammelten immer ein sehr gewähltes Auditorium. Am 20. November 1861 starb zu Paris 56 Jahre alt, M. Jour- dain, als katholischer Schriftsteller unter dem Namen Charles Sainte- Foi bekannt. Wohl fast in allen Pricsterhänden ist die „Moral" des ehrwür¬ digen Jesuiten U. I. Pierre Gury. Er starb, 6.5 Jahre alt, am 18. April 1866 in Mercoenr, einem Gebirgsdorfe der Auvergne, wo er eben Missionspredigten halten wollte. Ehemals war er Lehrer der Moralthcvlogie am OoIIc^'imu roninnuin. Der, wie erzählt, im Jahre 1860 unterdrückte „Univers" durfte am 16. April 1867 wieder seine erste Nummer erscheinen lassen. Louis Venil lot redigirt das Blatt im vorigen Geiste. Ein cigenthümliches Werk sollte die neue französische Bibelübersetzung sein, zu deren Bewerkstelligung sich katholische, protestantische und jüdische Gelehrte und Unterstützer zu vereinigen hätten (1866). Unter den Ersteren Z 54. Frankreich. 267 nannte man schon unter Anderen den Abbö cloduorr^, den ?. Hya¬ cinthe, den Grafen M o n t a l e m b e r t, den Prinzen Br o g lie, und den Prinzen Abba Lucian Bonaparte. Freilich hieß es, der con- fessionclle Standpunkt bleibe außer Betracht. Der Text der hl. Bücher soll uur vom rein philvlogischen Standpunkte aus übersetzt wer¬ den; aber der Gedanke war denn doch zu unpraktisch, daher bald die katholischen Mitglieder zum Thcil ihren förmlichen Austritt erklärten, zum Thcil ihre Mitwirkung nie bestimmt versprochen zu haben ver¬ sicherten. Eine andere Bibelübersetzung ließen 1873 in Paris Abba Droh und Professor Bayle erscheinen, welche insbesondere auch die For¬ schungen der Deutschen berücksichtiget. Durch Ucbcrsetzungen sind auch in Deutschland die religiös-philo¬ sophischen Werke des Rechtsanwaltes August Nicolas bekannt; — als: „Philosophische Studien über das Christenthum"; „Das Verhältnis; des Protestantismus und aller Häresien zum Socialismus"; ferner „Die göttliche Jungfrau und der göttliche Plan. Neue Studien über das Ehristcnthum." (Eine andere Ausgabe lautet: „Die allcrseligste Jungfrau Maria. Nene Studien über das Christenthum.") Gegen Renan schrieb er: „llu üivinitö <>- otignos". Nicht ohne eigene Schilld gericth der sonst ziemlich eitle und stolze Mann in so drückende Vermögensverhältnisse, daß eine Nativnal- subscription für ihn eiugeleitet wurde, und er sogar einen Gnadengehalt von Napoleon III. annahm. Des edlen Grafen von Monta le mb ert haben wir schon wieder¬ holt gedacht. Schön beschrieb er das Leben der hl. Elisabeth, („Oa vw llo 8t. IRisabotb llo IIonKvio"). Mit Liebe arbeitete er an einem großen Werke: „Oos moinos cl'oooickont ckopnis s. I-einät jnsgn'ü 8. llornru-ll" („Die Mönche des Abendlandes"). Von seinen Sympa¬ thien für die unglücklichen Polen gibt Zeugnis; seine Schrift: „Uns nutiou an llonil". Grosz ist die Zahl seiner Aufsätze in Zeitschriften 268 I. Theil. 2. Hanptstiick. Literaturgeschichte iu der kath. Kirche. z. B. früher im ,.4vonirZ dann iu der „Imic^sliipsäio Oatlnüigns^ und im „6nrrs8pttwlsnt" nird Anderen. — Graf Charles Montalem- bert war geboren 1810 in England (London), gestorben 18. Mürz 1870. Fest im Boden der Kirche wurzelnd war seine Richtung in letzter Zeit eine gemäßigt liberale. Noch kurz vor seinem Tode sprach er sich in einem durch die „OluMtto ne8"; „Die Convention und die Eneyklika"; „Die christliche Liebe"; „Iwttrs n Noim. Ikntu/./.i'Z „Ueber das ge¬ meinsame Leben im Weltclerns"; „Iwttrs an slor^s 854 Mitglied der Akademie. A sr. Frankreich. 269 neuerlichst „Die Freimaurerei" in drei Theilen: 1. Vvllständiger Wider¬ streit zwischen der Freimaurerei und Religion; 2. Kanu ein aufrichtiger . und vernünftiger Mann Freimaurer sein? (Nein.) 3. Politische und revolutionäre Thätigkeit der Freimaurer. Erwähnt sei hier auch der am 3. Jänner 1875 zu Paris gestor¬ bene katholisch-lcgitimistische Schriftsteller Jaeqnes C r e ti n e a n Ioly (geboren 1803 in der Vendöe). Die bedeutendste seiner vielen Schriften ist: „Umtoiro roli^ioimo, politigno et littorniro do la OongmAino do 4o8N8^. Unstreitig ein harter Verlust für das katholische Frankreich war der Tod (30. Jänner 1875) des ersten Abtes des von ihm wieder anf- gerichteten alten, durch die französische Revolution aufgehobenen Bene dietinerklvsters Solesmes, Stifters und General-Superiors der Bene- dictiuer-Eougregation in Frankreich, Prosper Gn oranger (geboren am 4. April 1805 zu 8nblo 8nr 8ni4l>a — unfern von Solesmes — im Bisthum Oo Naim. Seine beiden großartigen Werke sind: „limti- tutioim iiturgmiluw" und „l/nnnöo litnr^igue". Meist sein Werk ist es, daß nun in allen französischen Diöeeseu die römische Liturgie ein¬ geführt ist. — Ueberdies schrieb er ,U^8ai 8nr la »ntarnli8ino oon- tong>or:un", worin er darthnt, daß die Bekehrung der Welt durch das Christeuthnm niehr sei, als ein bloßes Prvdnet rein natürlicher Ursachen. P. Gnöranger war ein entschiedener Verthcidiger der päpst¬ lichen Jufallibilität; so schon 1870 in „I)o la Uonnroliio puntilionlo". Von seinen anderen Schriften neunen wir noch: „OriK-ino8 «la I'ö.8li8o romnina^; „Ui8toiro de 8t. Oooilo"; „Nvnioiro 8ur In gno8ti<>n da I'inuniionlöo 0<)nooi>tion^; „Un rö^Io do 8. Uonoit^ u. s. w. Abbe J. P. Migne (gestorben 1875) zu Paris), verfaßte das große, emsig angelegte Werk: „Un Untrolo^io"; „Uo8 oour8 do I'Uori- turo 8niuto"; „U'Uno/olo^ödio tliaoloxigno" und Andere. Auch war er der Gründer der Journale „U'Univor8" , ,,Un Voritö^ und des aus diesem Letzteren hervvrgegangenen „Oonrrior do Uari8". Der verstorbene Abbö Bo nix gründete die ,,Uvvno )il>lio^ra.j)lii9. Jahrhunderte von Anton Springer). Seine Cartons zu den „Sieben Saeramenten" erregen gerechte Bewunderung. Sie bilden, so zn sagen, sein letztes Vermächtnis;. Der große Künstler starb an; Vorabende des vatikanischen Coneils (7. December l.869) und wurde in >8. Ilernnrclo rrlla tarina beigesetzt. Wir übergehen den von katholischen Eltern in Wien 1804 gebo¬ renen, 187 l gestorbenen, allerdings genialen Maler Moriz von Schwi n d. Dei: Gegenstand seiner Bilder entlehnte er meist der altdeutschen Sage und Geschichte nnd zwar ans den Kreuzzügen. Doch steht er dem katho¬ lisch kirchlichen Künstlerkreise eigentlich ferne. München, das „deutsche Athen", hat ebenfalls große Künstler anf- zuweisen, als: Heinrich von Heß, der die Bonisacius-Basilika mit herr¬ lichen Fresken schmückte (geboren 19. April > 798 zu Düsseldorf, ge¬ storben zu München am 29. März 1863). Johann Sehr and olph, geboren 1808 in Algan, zierte den Dom von Speyer mit schonen Gemälden. Am 6. März 1867 starb zn Berlin der Malerfürst Ritter Peter von Cornelius, Katholik, geboren 23. September 1783 zn Düssel¬ dorf. Er lebte lange in Rom. Die Glyptothek und Pinakothek in Mün¬ chen erzählen seinen Ruhm; die dortige Ludwigskirche schmückt sein „jüngstes Gericht"; in Berlin arbeitete er an den Wandmalereien in MO I. Thcil. 2. Hauptstuck. Literaturgeschichte iu der kath. Kirche. der Vorhalle des Museums und war mit der Ausschmückung des für die Königsfamilie zu erbauenden oampo srruto beauftragt. Aus seiner Schule gingen Carl Stürmer, Hermann S til k e , K a n lbach, Adam Eberle, Carl Heinrich Hermann und Andere hervor. Der frommgläubige Westphale W. Achtermann, geboren 1799 in Münster, machte sich in Nom außer anderen durchwegs kirchlichen Seulptnrwerken durch seine „Pietä" (die schmerzhafte Mutter Gottes) einen bleibenden Namen. °) Pietro Ten er ani (gestorben 1869 in Rom, geboren 1789 zu Carrara), berühmter Bildhauer, lieferte außer mythologischen, auch christ¬ liche Werke. Wir können nicht umhin, hier eines für das Verständnis? der mittel¬ alterlichen kirchlichen Kunst sehr verdienstlichen Werkes Erwähnung zu thun, nämlich der ans österreichische Staatskosten in der k. k. Staats- drnckerei in Wien 1857 erschienenen Zeichnung und Beschreibung der Krönungsinsignien und Gewänder der römisch-deutschen Kaiser von vr. Franz Bock, Domviear und Conservator zu Cöln in „Kleinodien des hl. römisch-deutschen Reiches". Er ist auch der Verfasser von: „Das heilige Cöln"; „Geschichte der liturgischen Gewänder"; „Die Muster¬ zeichner des Mittelalters"; „Das karolingische Münster zu Aachen und die St. Godehardskirche zu Hildesheim"; „Der Neliquienschatz des Lieb- franenmünsters zu Aachen"; „Der Kronleuchter des Kaisers Friedrich Barbarossa im Münster zu Aachen". Es bildeten sich auch Vereine, nm zumal dürftigere Kirchen mit den nöthigen Paramenten zu versehen. Der eigentliche Paramentenverein wurde als „Erzbrnderschaft von der immerwährenden Anbetung des allerheiligsten Altarssacramentes und des Werkes für die armen Kirchen" am 4. Jänner 1850 vom Cardinal-Erzbischof von Mecheln gegründet, und von Pius IX. bestätiget. Dieselbe Tendenz haben die Paramentenvereine, welche „Marien- vereine" heißen. Solche Vereine bildeten sich z. B. in den Diöeesen München-Freisingen, Regensburg, Speyer, Würzburg, in welch' letzterer Stadt der Marienverein im Jahre 1865 eine Ausstellung von Para¬ menten und anderen, zum katholischen Gottesdienste gebräuchlichen Gegen- >) Auch der Protestant Ernst Rietschl (geboren 1804 zu Pnlsnitz in der Obcrlansitz, gestorben 21. Februar 1861 zu Berlin), von welchem das Lnther- denkinal in Worms stammt, lieferte eine Pieta. Er war Rauch's Schüler. Z 60. Christliche Kunst in der katholischen Kirche. 281 ständen veranstaltete. Ebendaselbst wurde ein bischöfliches Diöcesanmnseum in Angriff genommen; jungst auch in Linz. Erwähnung verdient der christliche Kuustverein der Diöcese Seckau in Graz, dessen Obmann und zugleich Herausgeber der Zeitschrift „Kir- chcnschmuck" I'. Ulrich Greiner, Cistercienser ans dem Stifte Rein, am 6. Mai 1875 starb. Die kirchliche Musik liegt großen Theils noch sehr im Argen und kann sich aus ihrer Verweltlichung nvch immer nicht cmpvrheben. Ein Circulare des Cardinalvicars Patrizi zu Rom iu der Instruction für Musikdirectvren vom 20. November 1856 will die Figuralmnsik bei gottesdienstlichen Verrichtungen auf das rechte bescheidene Maß be¬ schränkt wissen. — Leider wuchern die Mißbräuche damit, mit lvbens- werthcn Ausnahmen, noch immer fort; auch in Italien selbst, so daß man sich wohl bei mancher musikalischen Messe eher in einem Opern- als in einem Gotteshanse zn befinden glauben möchte. Am 6. Octvber 1858 starb Johann Georg Metten leitn er (ge¬ boren 1812), Chvrregent zu Regensburg, einer der gründlichsten Kenner und Vertreter kirchlicher Musik in Deutschland, hcrangebildet zum Theile unter der Leitung des Stiftssenivr zu Regensburg I)r. Carl Proške, des Herausgebers der „Namen cliviug." und des „idlovus iniWarnm seleetnrz" (geboren 1794 zu Gröbiug iu Schlesien, gestorben 20. De¬ cember 1861). — Mettenleitner selbst verfaßte das „Lnalüriclion elnnmle" und das „Nnnunlü drevcr". Dvminicus Mettenleitner, des Vorigen Bruder, gleichfalls ans gezeichneter Musikkenner, starb am 2. Mai 1868 als Chvrviear an der alten Capelle zu Regensburg. Sein neuestes Werk, eine Kunstge¬ schichte Baierns, kvnnte er nicht" mehr vollenden. Schon 1843 entstand in der Diöcese Rott^nburg ein Verein für katholische Kirchenmusik mit einem eigenen Organe; ging aber nach einigen Jahren wieder ein. Ein neuer wurde 1867 gegründet, welcher eine längere Dauer verspricht. Auch die Kirchenmusik kennt den Maestro Givachino Rossini, den Cvmpositenr des „Ktndnt mntor", geboren 29. Februar 1792 zu Pesaro, gestorben im Nvvcmber 1868 zn Paris als gläubiger Katholik. Die „Fliegenden Blätter für katholische Kirchenmusik" (seit 1866) und (seit 1868) die „Numan snarn", redigirt vom Priester I)r. Franz Witt (gcbvren 1834 zn Waldenbuch in der Oberpfalz), Stifter und 282 I. Theil. 2. Hauptstück. Literaturgeschichte in der kath. Kirche. Präsidenten des 1868 in Bamberg errichteten „allgemeinen deutschen Cäeilien-Vereines" in Regensburg, wo am 4. und 5. August 1869 die erste Generalversammlung statt hatte, machen sich eben die Hebung der Kirchenmusik zur Aufgabe. >) Das nämliche lobenswerthe Ziel erstrebt die „Zeitschrift für katholische Kirchenmusik" von Hadert. Die sechste Generalversammlung des vberwähnten, vom hl. Stuhle durch das Breve vom 16. December 1870 „Nultuiu ucl movoluios" apprvbirten „Cäcilieuvereincs für alle Länder deutscher Zunge", wurde am 29., 30. und 31. August 1876 in Graz abgehalten. Sehr warm die Einführung dieses Vereines auch der österreichische Katho¬ likentag zu Wien im Jahre 1877, in welchem Jahre die Generalver¬ sammlung zu Biberich in Würtemberg tagte (10. bis 13. September). Es bildeten sich in mehreren Divcescn, auch Oesterreichs, Zwei g- ver eine des Cäcilienvereines. Wir hoffen von ihnen für die Kirchenmusik das beste. Eine Art von Centralverein ist der „Oesterreichische Cäcilienverein" mit dem Sitze im Benedictinerstifte Lambach. ') Or. Fe. Witt erhielt 1875 einen Ruf als Professor an die ungarische Landes Musik-Akademie nach Pest, den er ablehnte. Er ist Pfarrer von Schatzhofen bei Landshut. — Zweiter Theil. Uichtkatholische Neligions-Genossenschnsten. Erstes Hauptftück. Der Protestantismus. 8 lil. Oesterreich. Zn Oesterreich wurden die Akathvliken bereits durch kaiserliche Ent¬ schließung twin 26. Jänner 1849 mehrerer Beschränkungen enthoben. Ihre Seelsorger durften von nun an ihre eigenen Matrikelbücher führen, deren Auszüge nicht minder gesetzliche Kraft haben, als jene der katho¬ lischen Geistlichen; sie wurden von allen Leistungen an katholische Geist¬ liche und Schullehrer befreit; den sechswöchentlichen Unterricht, welchem sich zufolge des Josefinischen Toleranzpatcntes jeder znm Protestantis¬ mus übertreten wollende Katholik unterziehen mußte, wurde aufgehoben und ohne Unterschied festgesetzt, daß der von einer christlichen Cvnfession zur anderen Uebertretende nur zweimal — das zwcitemal nach Verlauf von wenigstens vier Wochen — seinem bisherigen Seelsorger in Gegenwart zweier Zeugen seinen Entschluß erkläre. Das Patent vom 4. März 1849 sicherte auch ihnen volle bürger¬ liche Gleichberechtigung, öffentliche Religionsübung und überhaupt voll¬ kommen freie Entwicklung zu. Das kaiserliche Cabinctsschreibcn vom 31. December 1851 hat diese Bestimmungen vollkommen aufrecht erhalten, und das kaiserliche Patent vom 1. September 1859 will jene Grundsätze auf die Protestanten in Ungarn, Croatien, Slavonien, der serbischen Wvjwvdschaft, der Militär- grenzc und dem Tcmeser Banate in weitester Geltung angcwendet wissen, so, daß selbst nach dem Zeugnisse protestantischer Canvnisten ihre Glau¬ bensgenossen nirgends sonst sich einer so freien Verfassung rühmen können. Hiemit stellten sich die ungarischen Protestanten nicht einmal zu- 284 II. Thcil. I. Hauptstück. Der Protestantismus. frieden, sondern beschlossen ans einer Versammlung des Theißer Distrietes Augsburger Coufessiou zu Käsmark nm 27. September gauz einfach das „alte Recht" und eine Synode zu verlangen. Desgleichen that der Oedenburger Convent (5. und 6. October) und Andere. Die allerhöchste Entschließung vom 22. April 1860 verordnete die Bildung einer besonderen Ministerial-Abtheilung für die Kirchen- und Schnlangclegenheiten der evangelischen Glaubensgenossen — auch der Unitarier in Siebenbürgen. Bereits 1860 hatte ein Erlaß des Cnltusministeriums auf Grund einer besonderen kaiserlichen Entschließung die Erlaulmiß ertheilt, in sämmtlichen evangelischen Kirchen der dentsch-slavischen Kronlander jähr¬ lich einmal eine Sammlung freiwilliger Beiträge für den Gustav Adolf- Verein einzülciten, was auch wirklich am Nefvrmativnsfeste dieses Jahres zum ersten Male geschah. Am 8. April 1861 erflvß das kaiserliche Patent über die Rechte der Protestanten in den deutsch-slavischeu Ländern Oesterreichs, welches im 8 2 ausdrücklich die früher bestandenem Beschränkungen bezüglich des Cultns, Seelsorge und dergl. außer Kraft und Wirksamkeit setzt. „Die Evangelischen beider Bekenntnisse sind berechtiget, ihre Seelsorger, Senio¬ ren und Superintendenten, daun ihre Kirchcn-Curatoren jeder Kategorie frei zu wählen" (86). „Nur der Vorsitzende und die Räthe des „k. k. evangelischen Oberkirchenrathes" (welcher an die Stelle der früher bestandenen evangelischen Consistorien beider Bekenntnisse, der Augs¬ burger uud Helvetischei:, getreten) werden vom Kaiser ernannt" (8 8). „Für die Evangelischen beider Bekenntnisse sind bei der Regelung und Handhabung ihrer kirchlichen Angelegenheiten ohne Ausnahme ledig¬ lich und aus sch ließ end die Grundsätze ihrer eigenen Kirche maßgebend" (8 14).') „Die Verschiedenheit des christlichen Glaubensbekenntnisses kann in jenen Ländern, für welche dieses Patent erlassen ist, keinen Unterschied in dem Genüsse der bürgerlichen und politischen Rechte begründen" (8 >7).") ') Wie, nach welchen Grundsätzen behandelt man denn dlc katho¬ lische Kirche in manch anderem Staate? Anch nach ihren eigenen? oder nicht vielmehr — nnd zwar, wo cs sich anch nnr nm die Regelung und Handhabung ihrer kirchlichen Angelegenheiten handelt — nach den Grnndsätzcn des sogenannten modernen c o n f e s s i o n s l o s e n R c cht s st a a t e s? y Wie steht cs denn diesfalls anderwärts mit den Katholiken nnd Z 6l. Oesterreich. 285 „An evangelischen Lehranstalten, welche ans Staatsmitteln errichtet wurden, und künftig errichtet werden sollen, können nur Angehörige des einen »der des anderen evangelischen Bekenntnisses angestcllt werden" (ß 21). st Mit allerhöchster Entschließung vvm 6. Jänner 1866 bestätigte der Kaiser die vvn den evangelischen Generalsynvden Augsburger und Helve¬ tische» Bekenntnisses im Jahre 1864'-st beschlossene Kirchenverfassung, die sofort in Wirksamkeit trat und zwar für jene Länder, für welche das kaiserliche Patent vom 8. April 1861 erlassen worden war. Dar¬ nach gliedert sich die evangelische Kirche ab in Pfarrgemeiuden mit dem Presbyterium; in die Seuioratsgemeinden mit der Aus¬ schuß- und Senivratsversammlung; in die S up er int en denti al- gemein den mit dem Superintendential-Ansschus; und Superiutendcn- tial-Versammlung; endlich die Gesammtgemeinde mit dem k. k. evangelischen Oberkircheurathe, dem Synvdal-Ausschuß und der Gencral- synvde. In Folge Miuisterial-Erlasses vom 4. August 1867 hat der für beide Confessionen gemeinsame Präsident den Rang eines k. k. Seetivns- chcfs. Die Räthe des Oberkirchcnrathes — je ein geistlicher und ein weltlicher für jedes der beiden Bekenntnisse — haben den Rang vvn Statthalterciräthen. Außerdem können zwei im Schul- oder Kircheudieust stehende Männer, der eine Augsburger, der andere Helvetischer Con¬ fessio», aber ohne Stimmberechtignug, in den Oberkirchenrath berufen werden. — Der Präsident wird, ohne Cvnenrrcnz des Oberkirchen- rathes, auf den Vorschlag des Cultusministeriums vvm Kaiser ernannt. Bei der Besetzung der Raihsstellen hat der Oberkirchenrath jedesmal eine Bewerbung auszuschreiben nnd bezüglich der außerordentlichen Räthe hat derselbe direct den Besetzungsvorschlag?) Nicht lange nach dem Erscheinen des Prvtestantcnpatentes hob ein ihrer bürgerlichen nnd politischen Gleichstellung mit den Protestanten oder Schis¬ matikern ? >) Also sollen auch nicht an katholischen nnd zwar mittelst und durch Stiftungen von Katholiken begründeten Lehranstalten akatholische Lehrer angestcllt werden. 2) Sie waren auf den 22. Mai g. I. nach Wien cinbcrufen. °) Die Zählung im Jahre 1865 ergab 3,324.000 Protestanten in Oesterreich; nnd zwar 1,274.000 der Augsburger nnd 2,050.000 der helvetischen Confession. 286 o. Theil. I. Hauptstück. Der Protestantismus. k. k. Ministerialerlass das Minist.-Bibelverbreitnngsverbot ckcko. 20. Fe¬ bruar 1852 auf, und gibt den Bezug im Ausland von Seiten der evangelischen Glaubensgenossen erscheinenden evangelischen Bibeln frei. Als die königl. ungarische Hofkanzlei 1863 eine ältere Verordnung republieirte, vermöge welcher den evangelischen Lehranstalten Un¬ garns untersagt wird, ohne speeiellc Bewilligung der Statthaltcrei katholische Stndirende aufzunehmcn, wurde auch viel Lärm ge¬ schlagen. Am 25. April 1871 feierte die evangelisch-theologische Faeultät das Jubiläum ihres fünfzigjährigen Bestandes. Sie war eigentlich Ursprung lieh (seit 1821) nur ein protestantisch-theologisches Studium; „Faeultät" wurde dasselbe erst unter dem Minister für Cnltns und Unterricht Grafen Leo Thun (1850). Die erwähnte protestantisch-theologische Faeultät zu Wien erlangte (1862) das Recht, den akademischen Grad zu verleihen; ihre Einver¬ leibung in die stiftungsgemäß katholische Universität konnte sie aber doch noch nicht durchsetzen, weil selbe ans eben diesem Grunde als Rechtsverletzung angesehen wurde. Tie Toleranz hat mit dieser Frage gar nichts zu schaffen. Es handelt sich eben nur nm „Mein" und „Dein", respective um die Frage, ob der ausdrückliche Wille des Stifters zu respectiren sei oder nicht? Diese Angelegenheit hat eine eigene Geschichte. Unterm 18. Juni 1861 hatte die protestantisch-theologische Lehr¬ anstalt zum ersten Mal bei dem Konsistorium nur „Aufnahme in den Verband der Wiener Universität" angcsncht. In Folge k. k. Staatsministerial-Erlasses d) und andere Seeten, die sie beunruhigten und bedrohten. Kaum minder genirt fühlten sich die „Gläubigen" durch die Be¬ rufung der „blvang-olival .Alianoa'' sogar in die Hauptstadt selbst. Bei der 1856 zu Glasgow abgehalteueu Generalversammlung war auch der königlich preußische Hvfprediger vr. Krum mach er aus Potsdam er¬ schienen; in Folge des von ihm hierüber erstatteten Berichtes genehmigte der König Friedrich Wilhelm IV., daß im nächsten Jahre die Generalversammlung in Berlin statthaben könne, wo sie wirklich am 9. September 1857 eröffnet wurde und bis 16. g. M. dauerte. Der Hnnptbeförderer der Berliner Allianz-Versammlung war aber eigentlich von Bunsen. Die bedeutendsten Vertreter des sogenannten orthodoxen Protestantismus, nichts weniger als Lobredner der 1817 vctroyirten „Union", Professor Hengstenberg zu Berlin und Heinrich Leo zu Halle, konnten sich mit der Tendenz der evangelischen Allianz, alle christlichen Confessionen in Einen Topf oder unter Einen Hut zu bringen — mit einem solchen Lbrmtianmmns vaZ-ns — nicht befreunden, und besonders Letzterer sprach sich dagegen in sehr rnckhaltslvser Weise aus. Wie voransznschen, fehlte es zu Berlin nicht an Ausfällen wider die katholische Kirche. Man beschloß einen förmlichen Eroberungskrieg wider dieselbe, zumal in Italien, zu organisiren und einen Unterhalts- fvnd für apvstasirte katholische Priester zu gründen. Ans dem praktischen Felde des Protestantismus iu Preußen er¬ wähnen wir die Wiedcraufrichtnng des Johanniter-Ordens (freilich in ganz anderer als der ursprünglichen katholischen Gestalt) durch die Cabinetsordre Königs Friedrich Wilhelm IV. llllo. 15. October 1852, zunächst mit der rühmlichen Aufgabe, christliche Krankenpflege durch Erbauung von Kranken- und Siechenhänscrn zu fördern und in Ausführung zu bringen. - ') Die Entstehung des Neobaptismns stillt in das Jahr 1834, wo cs sieben Mannern in Hamburg cinfiel, daß sie noch nicht getauft seien (weil sie nämlich die Kindertanfe als nngiltig ansahcn). Diese Schwärmcrkirchc fand auch außer Preußen nicht wenige Anhänger, und wurde hart behandelt, zumal bis sich die llvnnxaiieal ^liinnev für sic bei König Friedrich Wilhelm IV. verwendete. Z 62. Preußen. 293 Der Enthüllungsfeier des „Melanchthvn-Dcnkmals" zu Wittenberg um 31. October 1865 wohnte auch König Wilhelm l. bei; ebenso jener des Lnther-Denkmals zu Worms am 25. Juni 1868. Bildhauer Rietschel hatte es verfertigt. Außer der eigentlichen Lntherstatue tragt es die Statuen Philipps von Hessen und Friedrichs von Sachsen, die Figuren Renchlin's und Melanchthon's, ferner die vier Figuren der sogenannten Vorläufer (?) der Reformation: Petrus W a l d n s, Johann Wi k lcf, Johann H n ß und Hiervnhmns Savonarola. Sechs Basreliefs an dem unteren Würfel veran¬ schaulichen „die Hauptthaten ans Luther's Leben". .Ueber denselben zeigen sich acht Pvrträtmedaillvns. Wieder über diesen liest man einige Kraft-Sentenzen Luther's. Drei allegorische Figuren stellen Speyer, Augsburg und Magdeburg vor.') Den schon damaligen Niedergang des Christenthnms in Berlin, der Hauptstadt des Protestantismus, zeigt z. B. die Thatsache, daß in einer der dortigen 28 protestantischen Pfarreien etwa 260 Eltern jährlich ihre Kinder erst dann taufen ließen, als sie Polizeilich dazu gezwungen wurden. Am l. Oetvber 1872 wurde der deutsch-evangelische Kirchentag zu Halle eröffnet. An dessen Sitzungen schlossen sich jene des Congresses für innere Mission an. In der ersten Hauptversammlung nahm man eine Resolution des Inhaltes an, daß der Kirchentag auf dem Bvdeu der Bckenutuißschrifteu der Reformation stehe, aber doch auch Allen die Hand reiche, welche den Inhalt dieser Glaubensartikel noch nicht voll¬ ständig sich aneigneu können. Den: Bestrebungen der Altkatholiken wurde wanne Anerkennung gezollt und die Hoffnung ausgesprochen auf eine Verständigung mit ihnen auf Grund der r e f o r m a t o r i s ch c n B e- k c n n tni ß s ch r i f t e n; nicht minder die Erwartung, daß sie sich dem Kampfe gegen den Jesuitenorden anschließen werden. ?) ') Ein ähnliches, die Katholiken verletzendes Tendenz-Momnncnt ist das „Canossa"-Denkmal, errichtet 1877 neben den Trümmern der Zwingburg des Kaisers Heinrich IV. ans dem Burgberge bei Harzburg im Braunschweigischen. y Im zweiten Pnnktc wurde, wie männiglich bekannt, die Hoffnung des Kirchentages nicht getäuscht — bezüglich des ersten Punktes bieten aber Qr. Döl- lingcr's bekannte Vorträge über die Wiedervereinigung der Confessioncn wohl wenig oder gar keine Aussicht dar. Dieser will ja viel weiter als in's 16. Jahr¬ hundert znrückgegrifseu haben. 204 II. Theil. I. Hauptstück. Der Protestantismus. Von V e tl) m ann- H o llw e g legte dem Kirchentage ein Pro¬ gramm vor, wvrnach die evangelische Kirche auf Grund einer presby- teralen nnd synodalen Verfassung neu und selbständig cvnstituirt wer¬ den soll. — An den Kaiser richtete der Kirchentag eine Petition nm Einberufung der Vertretung sämmtlicher evangelischen Kirchen des Reiches. Zur gleichen Zeit verhandelte in Osnabrück der sechste allgemeine deutsche Protestantentag. Da sagte der Vorsitzende Bluntschli aus Heidelberg, welcher — wie schon erwähnt wurde — auch dem Alt- kathvliken-Cvugresse in Cöln beiwohnte: „Der von den Altkatholiken in Cöln ausgesprochene Wunsch der Verständigung mit den anderen Con- fessionen könne nur auf dem Gebiete der Ethik in Er¬ füllung gehen." Auf eben diesem Protestantentage lautete eine Erklärung: „Alle kirchlichen Lehrformeln sind menschliche Satzungen. Trotzdem sind die hergebrachten Bekenntnißschriften zur Bedingung der Seligkeit und der Zugehörigkeit zur Kirche und damit zu kirchengcsetzlicher Geltung erhoben worden. Dies ist ein entschiedener Abfall von den Grundsätzen der Re¬ formation und eine Verletzung des Nechtsbestandes der evangelischen Kirche." Also wer hatte Recht: der Kirchentag zu Halle oder der Pro- testantcntag zu Osnabrück? Auf welchem Grunde soll und wird sich die Verständigung der sogenannten Altkathvliken mit den Protestanten vollziehen? Anläßlich der Amtsentsetzung des Predigers Sydow in Berlin durch das königliche Consistorinm der Provinz Brandenburg ckcko. 2. De¬ cember 1872 veröffentlichten 27 Prediger, darunter fünf Berliner, eine Erklärung, daß sie wohl die hl. Schrift, insbesondere des Neuen Te¬ stamentes, als alleinige Quelle und Norm des Christenglaubens an¬ erkennen, aber das Recht freier Forschung wahren nnd in den Hanpt- symbolen zwar den ihrer Zeit angemessenen Ausdruck über Lehre, Verfassung und Leben finden, aber in ihnen keine für alle Zeiten bindenden Glaubensgesetze erblicken. Und doch hatte der genannte Pre¬ diger, mit dem sich jene und noch mehrere andere Diener der evan¬ gelischen Kirche ganz einverstanden erklärten, die Gottheit Christi rundweg geleugnet, indem er in einem Vorträge in dem Berliner Unionsvcrein sagte, der Heiland sei „ans der legitimen Ehe des Josef nnd der Maria Z 62. Preußen. 29ü entsprossen, innerhalb der natürlichen Ordnung, nach welcher das Men¬ schenleben erfahrnngsmäßig entsteht" n. s. w. Natürlich wurde Dr. Sydvw in den an ihn cinlaufenden Bei¬ leids- und Zustimmungs-Adressen — z. B. vom Protestantenvereins- Vorstand in Heidelberg — als „Märtyrer freier wissenschaftlicher Ueber- zeugnng" gepriesen. Der Oberkirchenrath, dessen Präsident früher Hegel war (Sohu des bekannten Philosophen — der Vater Nihilist, der Sohn protestan¬ tisch-orthodox), dann aber 1)r. Hermann wurde, hob am 25. Juni 1873 das Urtheil des Consistorinins zwar auf, erkannte aber zugleich doch auf einen geschärften Verweis S y d ow' s wegen „des durch einen öffentlichen außerämtlichen Vortrag gegebenen schweren Anstosses". Zu¬ gleich vernrtheilte er ihn in die Kosten des Verfahrens. Eine halbe Maßregel, welche mit Grund von allen Parteien als eine unlogische bekritelt wurde. — Später wurde Sydow sogar in die evangelische Provincialsynvde gewählt, sowie seine Gesinnungs¬ genossen Prediger Lisco und Professor Hinschins in den Synodal¬ vorstand ! Der nämliche Oberkirchenrath protcstirte auch in einer Denkschrift an das Abgeordnetenhaus gegen die F a l k' scheu Gesetzentwürfe, betref¬ fend den Austritt ans der Kirche, die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen, die kirchliche Discipliuargewalt und die Errichtung des könig¬ lichen Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten. Er erklärt darin, „daß er sich nicht zu überzeugen vermocht habe, die evangelische Kirche habe einen begründeten Anlaß zu der vorliegenden Gesetzgebung dargebvten. Der Staat stehe im Begriffe, insbesondere mit dem Gesetze über die kirchliche Discipliuargewalt, 'die evangelische Kirche in ihrem inneren Lebcnsgebiet recht empfindlich zu schädigen. — Fast wäre der Staat zum obersten Richter über die Frage der Kirchenlehre gemacht; er ent¬ schiede über die der kirchlichen Lehrordnung gezogenen Grenzen, und schwerlich könnte dann noch von einer Kirche die Rede sein, welche nicht Staatsanstalt wäre." (Das klingt ja fast ganz so wie die päpstliche Allocntivn vom 23. December 1872 über das vermeintliche Recht der Staatsorgane im deutschen Reiche, bestimmen zu wollen, was katholisch sei oder nicht!) Demnngeachtet trat der Cultnsminister für den Oberkirchenrath in die Schranken, als (1873) im Abgeordnetenhause der Antrag gestellt 296 II. Theil. I. Hauptstuck. Der Protestantismus. wurde, denselben aufzuheben — wenigstens die bisherige Staatssubvcn- tion zu entziehen. Die hannoveranischc Pfingsteonfcrenz 1873 von orthodoxen Lu¬ theranern sprach dein Ausschuß der evangelisch-lutherische« Laudessyuodc ihren Dank ans „für das mannhafte Eintreten derselben für die Kirche in der nnterm 6. Mai 1873 an Se. Majestät gerichteten — obwohl erfolglosen — Petition" wider die neuen Kirchengesetze. In Sachsen aber drückte die, freilich nicht ans sogenannten Ortho¬ doxen bestehende Kircheneonferenz zu Meißen (Juni) ihre Zustimmung zil den erwähnten preußischen Kirchengesetzen aus. — Welche rührende Harmonie! Am 27. August 1873 begann in Berlin die evangelisch-lutherische Conferenz. Die zur Verhandlung bestimmten Thesen waren mitunter auch gegen die im Cnltnsministerinm und Obcrkirchenrath herrschende kirchliche Politik gerichtet. Ans den Laien betheiligte sich unter Anderen der ehemalige Minister¬ präsident Freiherr von Manteuffel an der Conferenz. Neber den Protestantenverein sagt die Conferenz: „Die Conferenz erkennt in dem Protestantenverein einen Abfall von den Grundwahrheiten des Evan¬ geliums und eine Gefahr für die Kirche, deren Abwehr eine ernste Pflicht des Glaubens ist". Auch mit der Rehabilitirung des I)r. Sy- dow erklärten sich die Conferenzmitglieder nicht einverstanden; ferner beschlossen sie den Kaiser nm Abwendung der Civilehe zu bitten. Am 28. August wurde die Conferenz schon wieder geschlossen. Bezeichnend für die persönliche Anschauung des Königs und deut¬ schen Kaisers Wilhelm ist seine Aeußerung, die er im August 1873 zu Gastein dem Bevollmächtigten der amerikanischen aus Repräsentanten fast aller Protestantischen Confesfivnen zusammengesetzten evangelischen Allianz l)r. und Professor Schaff aus New-Jork gegenüber machte, „daß es gerade jetzt in dem Wirrwarr der kirchlichen Verhältnisse doppelt noth thne, die evangelischen Christen aller Länder und Cvnfessionen naher znsammenzuführen zum gemeinsamen Kampfe gegen den Unglauben und Aberglauben der Zeit". Unter diesem zu bekämpfenden Aberglauben verstand der König doch wohl nicht den Katholieismus, die Religion beinahe der Hälfte seiner Unterthemen. Am 28. August 1873 starb zu Berlin der Ober-Confistorialrath und General-Superintendent der Chnrmark Brandenburg, Ur. Wilhelm K 62. Preußen. 297 Hoffmanu, unter Friedrich Wilhelm IV. eine maßgebende Persönlichkeit. Seiner kirchlichen Richtung nach gehörte Hoffmann zu der positiv gläubigen Mittelpartei. Am 26. Mai 1874 ertheilte der König als „Träger des landes¬ herrlichen Kirchenregimentes" der neuen im Gesetze vom 10. September 1873 bestimmten Kirchengemeinde- und Synvdalvrdnung für die sechs östlichen Provinzen, nämlich Preußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien und Sachsen seine Sanetion. Er hatte verordnet, daß „behufs des vollständigen Abschlusses der Arbeiten fiir die evangelische Kirchen- ordnnng der acht älteren Provinzen eine außerordentliche Generalsynvde zusammentretc". Die oberwähnte neue, mit dem 1. Juli 1874 in's Leben tretende Verfassung der evangelischen Landeskirche in Preußen, gegliedert in: Gemeinde-Kirchenrath, Kreissynode, Provineialsynvde (diese selbstver¬ ständlich mehrere) und in die Eine Generalsynvde, neben welchen als kirchenregimentliche, also staatliche Behörden die Consistorien und der Oberkirchenrath fvrtbestehcu, befriedigte nicht durchwegs. Die Liberalen geuirte die ihnen unliebsame Begünstigung des geistlichen Elementes neben dem Laienelement; insbesondere aber wohl die Bestimmung, daß vom Wahlrechte auch ausgeschlossen ist, „wer durch Verachtung des göttlichen Wortes . . . Acrgerniß gegeben hat" und daß in der Gemeindevertretung alle Wahlberechtigten wählbar seien, „insofern sie nicht durch beharrliche Fernhaltung vom öffentlichen Gottesdienste und der Theilnahme an den Saeramenten ihre kirchliche Gemeinschaft zu bethätigen nufgehört haben". Diese Art Liberalen möchten es ganz in der Ordnung finden, in kirch¬ lichen Angelegenheiten entscheidend mitreden zu dürfen, obwohl sic sonst ihre Zugehörigkeit zur Kirche iw keiner Weise bethätigen. Der Gesetzentwurf, betreffend die evangelische Kircheugcmeinde- und Synvdalordnnug, überträgt in Zukunft die Vertretung der Gemeinde- interesscu in vermögcnsrechtlicher Beziehung, ferner bei Parochialver- änderungen, in Bezug auf die Schule u. s. w. den neuen Gemeindc- Kirchenrätheu. Das Herrenhaus hatte am 16. Mai 1874 das Kirchengemeinde- nud Synodal-Ordnnngsgcsetz in der Fassung des Abgeordnetenhauses angenommen. Mit ähnlicher Tendenz wie die katholische Centrums-Fraetion, bil¬ dete sich die „christlich-eonservative Partei" von noch positiv gläubigen 298 II. Theil. I. Hauptstück. Der Protestantismus. Protestanten unter von Kleist-Retz o w's Leitung, zur Wahrung der „Freiheit und Selbständigkeit" der Kirche gegenüber staatlicher Verge¬ waltigung. Der Cultusminister vr. Falk förderte auch in der prote¬ stantischen Kirche die liberale Richtung, wv nur Gelegenheit sich ergab. Allinülig geriet!) auch der Oberkirchenrath in das nämliche Fahrwasser. Sv bestätigte er den Neffen und Gesinnuugsgenvssen Sydvw's, Th. Ziegler, als Diaeonus in Liegnitz. Den vom Consistvrinm entfernten Pfarrer Schröder setzte der Cultusminister wieder in Freirachsdorf (Nassau) ein, ihn, dem das apostolische Glaubensbekenntnis) nur mehr als ein antiguirtes Symbvk des christlichen Glaubens galt. Aehnliches that der Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten mit dem von: hannovcranischen Landesconsistvrinm wegen nukirchlicher An¬ sichten suspendirten Pastor K r n s ewi tz. ^) In Caminin hingegen sprach sich eine Pastvraleonferenz der soge¬ nannten orthodoxen Lutheraner entschiedenst gegen eine „liberale deutsche Nationalkirche" ans und stellte für Solche, welche, sich mit der Civilehe begnügend, die kirchliche Eheeinsegnung nicht ansuchen, eine Reihe von Censuren ans. Auf der an: 3. Juni 1874 begonnenen lutherischen Pfingst-Cvn- ferenz in Hannover wurde unter Anderem gegen die Civilehe die These aufgestellt: „Bei Verschmähung der Einsegnung wird die Kirchenzncht in der Regel nicht nur bei Versagung der kirchlichen Ehren und Ver¬ weigerung des Sacramentes stehen bleiben, sondern zur Excommnnieation fortschreiten". Gegen die Berufung nichtgläubiger Professoren an die theologische Facultät von Straßburg richteten 75> Pfarrer Augsburger Bekenntnisses ans dein nunmehrigen „Reichslande" Elsaß Lothringen eine Vorstellung an den Reichskanzler Fürsten Bisn:arck (September 1874), auch ohne Erfolg. Gegenüber der am l. Octobcr 1874 in's Leben tretenden obli¬ gatorischen Civilehe in Preußen nahm die oberste Protestantische Kirchen¬ behörde eine solche Stellung, die den sogenannten Orthodoxen nicht zusagte. ') Warum respectirten denn aber die protestantischen Consistorien nicht das protestantische Recht der freien Forschung? Z 62. Preußen. 299 Denn schon in dem Erlasse (21. September 1-874) machte der Obcrkirchenrath eine mildernde Auffassung zu der seinigen. Er accep- tirt die Civilehe; wiinscht aber, daß die kirchliche Trauung der bür- lichen Eheschließung, „so weit irgend thunlich, ohne Verzug Nachfolge". Sogar die Wiedertranung Solcher, die ans „biblisch unzulässigen" Gründen geschieden seien, wird nicht beanständet. Die Liberalen begrüßten diesen Erlaß freilich mit lebhafter Be¬ friedigung. Das Rescript des erwähnten Obcrkirchcnrathes ckcko. 29. September bestimmte z. B. außer der im liberalen Sinne geänderten Trauungs- formel, daß der Geistliche ohne weiters die kirchliche Einsegnung aus „nnbiblischcn" Gründen oon der weltlichen Behörde Geschiedener vornehmen könne und solle. Hiebei beruft er sich auf seine, das Näm¬ liche schon enthaltende provisorische Verordnung vom 21. September. Dawider erklärte sich insbesondere die „Gradaucr Confercnz" von Lu¬ therisch-„Bekenntnißtrcnen". Ihre geistlichen Mitglieder wurden Einer nach dem Anderen gemaßregelt vom — Oberkirchenrath; denn dieser erblickte in der Aenßerung und Bethätignng solcher Gewissensängsten nur „anarchische Bestrebungen". Seine Verfügung vom 25. November besagt das Gleiche. Wegen einer Kritik des obenerwähnten Erlasses ckcko. 29. November 1874, in welcher die Behörde eine Beleidigung des Oberkirchenrathes erblickte, wurde der Redactcur der „Kreuzzeitnng" zu einer Geldstrafe von 600 Mark, eventuell zu vierzehntägigcm Gefängnis; verurtheilt. In dem betreffenden Artikel wurde nämlich dieser obersten Kirchcnbehörde vvrgewvrfen, sogar in barbarischer Weise den Fortbestand der evan¬ gelischen Landeskirche zu gefährden. Znm Tröste mag dem Oberkirchcnrathe eine königliche Ordre vom 20. März gereicht haben, worin der König dem Präsidenten IW. von Hermann seine Anerkennung für die mit „großer Umsicht" getroffenen Einleitungen zu den jüngst vorgenvmmenen Versammlungen der Pro- vineialsynoden der östlichen Provinzen aussprach, und es unter An¬ derem wörtlich heißt von den hiebei beobachteteil Grundsätzen: „mit denen ich mich vollständig einverstanden erkläre". In Folge des Gesetzes über die Beurkundung des Personenstandes und die Form der Eheschließung, d. i. Civilche, gerieth die protestan¬ tische Geistlichkeit in eine arge Nvthlage; denn die Zahl nicht nur der 300 II. Theil I. Hauptstiick. Der Protestantismus. kirchlichen Trauungen, sondern auch der Taufen (!) verminderte sich außerordentlich. In Berlin die Taufen seit 1. October 1874 um 55 Procent (?), im Regierungsbezirke Potsdam uni 85 und im Re¬ gierungsbezirke Frankfurt a. O. gar um 90 Procent. — Auf 100 Civil- trauungen in Berlin kamen nur 19 kirchliche; bei Beerdigungen in Berlin wurden unter 100 Fällen nur in Einem, im Regierungs¬ bezirke Potsdam in 14, in jenem von Frankfurt a. O. nur in zwölf Fällen Geistliche beigczvgcn. - In Berlin verschmähen 700.000 evan¬ gelische Christen die Kirche ganz. >) Laut verläßlicher statistischen Daten haben im Jahre 1875 von den lebend gebornen Kindern in den acht älteren preußischen Provinzen und in Hohenzollern im Ganzen 7'39 Pro¬ cent (in absoluter Zahl 38.608) die Taufe nicht empfangen, und von den bürgerlichen Eheschließungen sind 18'55 Procent (in absoluter Zahl 22.186) nicht kirchlich eingesegnet worden. — In Berlin blieb im obigen Jahre jedes vierte Kind nngetanft und beinahe drei Viertel der bürgerlichen Eheschließungen nneingesegnet. Solche Zahlen illustriren die Erfolge des „Culturkampfes" auf protestantischem Boden hinreichend. ?) Interessante Aufschlüsse hierüber geben selbst die im Jänner 1875 versammelten Provincialsynoden, die auf den Zustand der evangeli¬ schen Landeskirche ein gar betrübendes Streiflicht warfen. So z. B. stellte auf der brandenburgischen Provineialsyuode der Superintendent Ebeling den vom Rittergutsbesitzer Sack-Kommen modificirten Antrag: in der Provinz Brandenburg diejenigen Personen, welche die G o tt h e it C hristi leugnen, zur Bekleidung eines kirchlichen Lehr¬ amtes für unwürdig zu erachten; demselben wurde aber vom könig¬ lichen Cvmmissär, Propst Brückner, widersprochen, und zwar als Vertreter des obersten Kirchenregimentes, denn die Ten¬ denz des Antrages treffe das innerste Wesen der evangelischen Landes¬ kirche. Ein gleicher Antrag des Landrathes von M a s s e n ba ch wurde (I. Februar) in der Provincialsynode zu Posen abgelehnt. Soll dies heißen: Diesem innersten Wesen der evan¬ gelischen Landeskirche Preußens widerstreite die Leugnung der Gottheit ') Also ein wirkliches neues Heidenthum! 2) Nachzulescn wäre hierüber „Protestantismus und Culturkauipf" in „Die katholische Bewegung", 1877, Baud XI, Heft 17. Z 62. Preußen. 301 Christi nicht? Nun dann wäre sie ja nur eine Allerwelts-Kirche, aber keine christliche! Ganz anders nimmt sich gegenüber dem königlichen C o m miss ä r die Erklärung des Königs selbst aus — des evangelischen Landes¬ bischofs, welcher bei der Aufwartung des Vorstandes der erwähnten Provineialsynvde sich wörtlich unter Anderem so äußerte: „Im Frieden für die Kirche zu arbeiten wird Ihnen ja nicht schwer werden, wenn Sie sich ans dem Grunde des christlichen Glaubens, des Glaubens an Gott und die Gottheit Christi halten. Denn freilich, wenn wir daran nicht fest halten, dann sind wir keine Chri¬ sten mehr." Weiters beklagt sich der evangelische Landcsbischvf, daß anläßlich der neuen Gesetze sogar die Meinung anfgekommeu sei, es solle gar keine Taufe und Trauung mehr stattfinden. „Das sind Ir¬ rungen — sagt er — denen entgegengetreten werden muß. Darum habe ich bestimmt, daß der Z 79 in das Reichs-Civilehegesetz ausgenom¬ men werde." Ja, wer trägt denn die Schuld an diesen Irrungen? Und um die landesbischöfliche Mahnung im Z 79 werden sich wohl auch fortan nicht viele Protestanten kümmern. Ob auch nngetauft, bleiben sie ja doch noch staatliche Christen, denn so gestattet es ja „das innerste Wesen der evangelischen Landeskirche!" - Welche Zustände! Sie preßten der Berliner „Neuen Evangelischen Kirchenzcitung" in ihrer Ncujahrsbetrachtnng (1876) den Schmerzensruf aus: „Wir sind krank und unsere Krankheit liegt in der Sveialgestalt unserer Kirche." Noch verzweifelter klagt die Berliner „Protestantische Kirchenzeitung", das Organ der Protestanten-Vereinler: „Wie sind wir in religiöser Beziehung heruntergekommen! . 1 . . Spart euere Mühe für weniger hoffnungslose Ziele! Mit Sr. Majestät königlichen Landeskirche ist es doch schon heute im Grunde vorbei!" Die Anfangs September 1875 in Berlin tagende evangelisch-luthe¬ rische Cvnferenz bestand wieder aus sogenannten lutherisch-orthodoxen Elementen. Als Redner betheiligtcn sich unter Anderen auch die Herren- Haus-Mitglieder Graf Krassvw und von Kleist-Retzow. — Nachdem an dem Entwürfe zu einer ordentlichen Generalshnvde lange zwischen dem Oberkirchenrath und Cultnsministcrinm verhandelt worden, vereinbarte man sich endlich dahin, daß die Wahlen in die General¬ synode zwar wohl durch die Provincialsynoden stattfinden, diese selbst 302 10 Theil. 0 Hauptstück. Der Protestantismus. aber, sowie die Kreissynoden, mir zu einem Drittel aus Geistlichen, sonst aber aus Laien') bestehen sollen. Ueberdies soll bei den Wahlen auf allen Synodalstnfen den Städten eine angemessene Berücksichtigung vor den bäuerlichen Gemeinden zu Theil werden. (Sehr befremdend; denn wahrend die „einfältigen" Bauern meist noch sogenannte Orthodoxe sind, ist dies von den „aufgeklärten" Städtern nicht zu befürchten.) Ain 31. Oetober genehmigte der König den Entwurf der General- Syuodal-Ordnung. Zum ersten Male wurde die Synode ans den 24. November einberufen. Der Entwurf enthält 45 Paragraphe, deren erster lautet: „Der Verband der Generalsynvde erstreckt sich ans die znr evangelischen Landes¬ kirche vereinigten Provinzen der Monarchie." Nach Z 21 tritt sie auf Berufung des Königs alle sechs Jahre zu ordentlicher Versammlung zusammen. Zn außerordentlicher Versammlung kann sie nach Anhörung des Synodal-Vorstandes jederzeit berufen werden. Eröffnet wurde die soeben erwähnte außerordentliche Generalsynode in Berlin in der Thal am 24. November. Bei der Audienz sagte der König dem Vorstande unter Anderem, daß dieser bei der gegenwärtigen außerordentlichen Generalsynode „die schweren dogmatischen und litur¬ gischen Fragen" nicht zu behandeln habe und daß die Thätigkeit der außerordentlichen Generalsynode auf den „Abschluß der Verfassung" zu beschränken sei. Znm Schlüsse sprach er die denkwürdigen Worte: er zwar „stehe auf dem Boden der Union mit vollem Herzen", werde aber die anderer Ansicht sind, „in keiner Weise verfolgen". „Es ist überall nicht gut, etwas zu thun, was nicht ans der Ueb er¬ zen gung und aus dem Gewissen kommt, am wenigsten aber in chri st lich e n und religiösen Dingen." - — Ja wohl! wenn sich die Regierung diese goldenen Worte des Königs auch katho¬ lischen Untcrthancn und deren Bischöfen gegenüber gegenwärtig hielte, ob es dann in Prenßen wohl den unserem Jahrhunderte zur Schmach dienenden „Cnlturkampf" gäbe? ob die Kerker mit solchen Männern ge¬ füllt oder diese znm Exil vernrtheilt wären, die das nicht thun konnten, was „ihrer Ueberzeugung und ihrem Gewissen in christ¬ lichen und religiösen Dingen" widerstrebte? >) Eigentlich ein Drittel Geistliche, zwei Drittel Gewählte, und zwar Weltliche zar Hälfte, der Rest aber ohne Rücksicht auf diesen Unterschied. Z 62. Preußen. 303 Am 18. Deeember erfolgte der Schluß der oußervrdentlichen Ge- neralsynvde. Mit 134 gegen 62 Stimmen wurde die Generalsynvdal-Ordnung angenommen. Bereits am 20. Jänner 1876 ertheilte der König derselben die Sanctivn. Der Gesetzentwurf über die evangelische Kircheuverfassung, wie er dem Abgeordnetenhaus^ znging, bestimmt unter Anderem im Artikel 19: „Die Verwaltung und Leitung der Angelegenheiten der evangelischen Landeskirche geht, so weit solche bisher von dem Minister der geistlichen Angelegenheiten geübt worden ist, ans den evangelischen Oberkirchenrath; so weit sie von den Regierungen geübt ist, auf die Consistorien über." Dieser mehrerwühnte, dem Abgevrdnetenhanse am 15. Februar vvr- gclegte Gesetzentwurf beschäftigte die zur Vorberathnng derselben ein¬ gesetzte Commission während eilf Sitzungen. Aus den zweimaligen Lesungen ging er (April und Anfangs Mai 1876)' in einer wesentlich — nämlich im Sinne der Staatsomnipotenz — geänderten Gestalt hervor. Der Grundsatz, daß Staatsgesetze unbedingt den Kirchcngesetzen Vorgehen, fand einen präeiseren Ausdruck. — Das Herrenhaus nahm den Entwurf in etwas modisieirter Fassung am 23. Mai mit 64 gegen 25 Stimmen an. Am 3. Juni erfolgte die Publieativn dieses (Staats-) Gesetzes. Für das nun preußische Schleswig-Holstein erfolgte die neue Kirchenverfassnng am 4. November 1876. Ein die kirchlichen Zustände Preußens gleichfalls beleuchtendes Ereignis; wollen wir hier nicht übergehen. Durch seine Probepredigt (am 13. Mai 1877) als Bewerber nm die Pastvrstelle einer Kirchen- genieinde Berlins (der St. Jakvbikirche) rief der Lieentiat Hoßbach, bisher Prediger zu St. Andreas in Berlin, ein hervorragendes — also ungläubiges — Mitglied des Protestantenvereines, eine Demonstration der noch positiv gläubigen Gemeinde-Angehörigen hervor. Er sagte nämlich am 13. Akai 1877 ganz nngenirt, daß er auf dem Bodcu der „modernen Theologie" (also hierin auch Mode) und des Materialismus stehe. Er redete von mythologischen Zusätzen und Sagen der Bibel; daß- Christus nichts weiter, als ein Rabbi gewesen, alles Andere, z. B. seine Auferstehung, die Herabkunft des hl. Geistes am Psingstfcste n. dcrgl. weiter nichts, als Dichtung und Schwindel sei. (!) 304 II. Theil. I. Hauptstück. Der Protestantismus. Aus Anlaß dessen beantragte die Kreissynvde (5. Juni zu Berlin) die Abschaffung der sonntäglichen Vorlesung des Apostolischen Glau¬ bensbekenntnisses im evangelischen Gottesdienste. (Fortschritt!) — Was geschah? Das brandenburgische Cousistorium erklärte (4. October 1877) Hvßbach wohl für ungeeignet für die Predigerstelle an der Jakobikirche, aber nicht für eine Anstellung anderswo. (Also bei einer anderen, etwa schon ganz entchristlichten Gemeinde mag er seine Weis¬ heit auskrammen — roeto das Gift ausstreuen!) Der am 10. October in Berlin versammelte Delegirtentag des deutschen Protestantenvereines nahm — natürlich — gegen das „ägw- stolimmN' und für Hvßbach Partei. Der Oberkirchenrath wies (31. Jänner 1878) den Recurs des Gemeinedekirchenrathes zu St. Jakobi in Sachen Hoßbach's zurück und hielt die Entscheidung des Cvnsistorinms, welche der Wahl Ho߬ bach's zum Pfarrer zu St. Jakobi die Bestätigung versagte, aufrecht; nahm aber Abstand von einer Disciplinar-Untersuchung gegen Hoh¬ bach. Zu St. Andreas könne er sicher fortarbeiteu. (!) (Darüber des Weiteren in den „Periodischen Blättern", 7. Jahr¬ gang, der Artikel: „Hvßbach und das Apvstvlicum", und: „Weiteres zum Kulturkampf im Protestantischen Lager"). Hvßbach verzichtete endlich selbst auf seine Wiederwahl für St. Jakobi. >) Zur selben Zeit war der brandenburgische Cvnsistorialprüsident Hegel — schon erwähnter Sohn des Philosophen — wegen seines noch gläubigen Standpunktes mit seinem Vorgesetzten H e r m a n n, dem Präsidenten des Oberkirchenrathes, in Spannung und nahm seine Ent¬ lassung. Der König bewilligte ihm aber dieselbe nicht und zwar unter Anerkennung seines Standpunktes. (kW. Hegel ist auch der neuen Kirchenverfassung wenig zngethan.) Zugleich aber erklärte der König dem Präsidenten Hermann, daß er sein Verbleiben im Amte un¬ geachtet der Nichtannahme der Entlassung Hegel's „zur Zeit noth- wcndig" finde. Der Elberfelder Kreissynode, welche an den König ein Bekenntnis; ihrer orthodoxen Gläubigkeit richtete, - erwiderte derselbe, daher „für die y Was wollte er thun? — als Prediger zu St. Jakobi wäre er ja nie be¬ stätigt worden. A 62. Preußen. 305 Versicherung des Feststeheus uns dem apostolischen Glaubensbekenntnisse" danke, mit dem Beifügen, daß diese Versicherung „leider jetzt aus zusprechen nvththue". Dem Könige als obersten Laudesbischvfe muß also Wahl wegen der, durch die kirchlichen Organe selbst beförderten Zersetzung seiner evangelischen Landeskirche schvn bange geworden sein! Vor seiner Abreise nach Ems (Juni) sprach er vor den um ihn versammelten Mitgliedern des Staatsministeriums in bewegter Weise seine Besorgnisse ans wegen der anflvsenden Bestrebungen ans kirch lichem und socialem Gebiete und forderte sie auf zu festem gemeinsamen Wirken dawider. (Wenn es nur nicht bald heißen wird: tr<>j> tm-ä!) Aber auch später noch, zumal beim Empfang der evangelischen Geistlichkeit der Rheinprovinz, welche der Kaiser im September 1877 besuchte, äußerte sich derselbe ganz entschieden für das Festhalten am „.Ipostolicmm". Daß inan in liberalen Kreisen „reactionäre Strömung witterte", versteht sich von selbst. Um diesen einige Rechnung zu tragen, wurde dem Präsidenten des Oberkirchenrathes Ilr. Hermann die Geheime Rathswttrde mit dem Titel „Excellenz" verliehen. Im Mai 1878 genehmigte der König denn doch seine Versetzung in den Ruhestand. An seiner Statt wurde der Oberevnsistorialrath Hermes Präsident des Oberkirchenrathes. Die königliche Verordnung vom 5. September 1877 verfügte in Ausführung des Artikel XIX (XXI) des Gesetzes betreffend die evan gelische Kirchenverfassung vom 3. Juni v. I., daß vom 5. Octvber die Verwaltung der Angelegenheiten der evangelischen Landeskirche, sv weit solche bisher vom Cultnsmiuister" und von den königlichen Regierungen verwaltet waren, auf den evangelischen Oberkirchenrath, beziehungsweise auf die Consistorien, übergehe. Darauf konnte sich Minister I)r. Falk im Abgevrdnctenhanse am 24. November 1877 beziehen gelegentlich einer Interpellation wegen eines Erlasses des Oberkirchenrathes an den Vorstand der Stadtsynvde von Berlin. Darin wurde diesem eine Rüge ertheilt, daß er, statt den kirchlichen Nvthständcn Berlins durch Bewilligung von Kirchensteuern abzuhelfen, in Ueberschreitnng seiner Coinpetenz den Antrag der Berliu- Cölner Krcissynode wegen Aenderung im Gebrauch der agenden'schcn Formen und des Apostolieums auf die Tagesordnung setzte. Darüber Stepischnegg, Papst Pius IX. und seine Zeit. II. Bd. 20 306 II. Theil I. Hauptstück. Der Protestautismus. Wurden die Liberalen böse. Minister Falk parirte mit der Erklärung aus, daß sv iuuere kirchliche Angelegenheiten nun nicht vor die Landes- Vertretung gehören. Das Abgeordnetenhaus hatte nun auch über den ihm vvrgelegten Gesetzentwurf betreffend die evangelische Kirchenverfassung in der Pro¬ vinz Schleswig-Holstein und im Amtsbezirke des Cvnsistvriums von Wiesbaden zu verhandeln. Derselbe ist durchaus conform mit dem In¬ halte der Gesetze vom 25. Mai 1374 und 3. Juni 1876 über die evangelische Kirchenverfassung in den älteren Provinzen der Monarchie. Am 24. Juni 1877 hatte die feierliche Protestantische Ein¬ weihung der neurestaurirten alten Cistereieuserkirche zu Lehnin bei Pots¬ dam stattgefnudeu. Das (1180 gestiftete, 1542 säenlarisirte) Kloster wurde durch die Prophezeiungen des Mönches H e r m a n n v v n Le h n i n („Vutminium iOoiminsnsö'-) berühmt. Er soll gegen das Ende des 13. oder am Anfänge des 14. Jahrhunderts gelebt haben. 8 03. Ürnern. Für die protestantische Confessivn in Baiern ist noch immer das Protestanten Ediet wesentlich maßgebend. Unter Anderem bestimmt Z 7, daß zum Handhaben der Kirchenverfassung alle vier Jahre eine all¬ gemeine Synode im Sinne des Consistvrinms, unter Leitung eines Mit¬ gliedes des Oberevnsistvrinms, zur Berathnng über innere Kirchenange¬ legenheiten, in Gegenwart eines königlichen Cvmmissärs, welcher jedoch an den Berathnngcn selbst keinen Antheil zu nehmen hat, gehalten werden soll. Die Dresdner Cvnferenzbeschlüsse bezüglich der Wiedereinführung der Ohrenbeichte (Priva tbeichte, im Gegensätze zur sogenannten allgemeinen Beichte, die in dem Bvrsprechen eines gemeinsamen Sündenbekenntnisses durch den Prediger mit nachfolgender Absolution über den ganzen Hansen der zur Cvmmuuivu Anwesenden besteht) advp- tirte iu dem Erlasse vom 2. Juli 1856 auch das königlich protestan¬ tische Obereonfistorinm zu München unter dem Präsidium des I)r. Harleß, welcher bis 1852 in Dresden das höchste Kirchenamt be¬ kleidet hatte, wogegen, als unerträglichen Gewissenszwang, insbesondere von Nürnberg aus, ein energischer Protest erfolgte. Das Oberevn- sistvrium mußte zum Rückzüge blasen und sah sich veranlaßt, am 8. No¬ vember g. I. eine beruhigende Erklärung zu veröffentlichen, K 63. Baiern. Z07 Welche aber ihren Zweck nicht erreichte, weil mnn sich anch mit den darin entwickelten Ansichten über das geistliche Amt, Kirchengut n. dergl. nicht befreunden kannte. Die Aufregung wurde nur größer. Das Obcr- evusistvriuui überließ endlich Alles wieder „der pastoralen Klugheit und seelsvrglichen Weisheit" der einzelnen Geistlichen, wie sie es für gnt finden würden! So scheiterte die lutherische Reactivn in Baiern, aus- gegangen van der obersten Kirchcnbehörde im Bunde mit der theolo¬ gischen Faeultät in Erlangen an dem, vom protestantischen Standpunkte aus nicht unberechtigten Widerstande der Gemeinde. Sie wachte ja eben nur von dem Rechte freier Forschung und Selbstbestimmung Gebrauch, welches ihr die Reformatoren auf kirchlichem Felde zuerkauut hatten. Wie sehr die Spaltung auch unter den protestantischen „Geistlichen" herrschte, zeigte sich wieder bei dem von ihnen zu Nürnberg (19. und 20. Juni 1860) abgehaltenen „Missiaus- und Bibelfeste". Die pfälzische „Union" begründete eigentlich dort eine dritte Kirche im Vergleich mit der lutherischen und reformirten. Mit der Confessivnalisirung will es anch da nicht vorwärts gehen. Die Span¬ nung zwischen „Geistlichen" und „Laien", besser gesagt zwischen posi¬ tivem C h r i st e n t h n m und schalem R a ti o n a li s m u s ') steigerte sich zum offenen Bruche. Auch da sträubte man sich gegen das neue von den Geistlichen einznführende Gesangbuch. Das Cultnsininisteriuw entschied sich 1871 zu Guusten des alteu Gesangbuches. Die königliche Declaration vom 26. Jänner 1861 verkündete eine Wahlordnung, herzustellen nut Zu¬ grundelegung der Principieu, welche im rechtsrheinischen Baiern in Gel¬ tung sind; dvch die Generalsynvde zu Speyer hinderte die Ausführung. Die Versammlung von mehr als 8000 „Laien" zu Kaiserslautern am Pfingstmontage 1861 war gegen den „geistlichen Obseurantiswns und Absolutismus" gerichtet; ebendaselbst hatte die Versammlung im vorigen Jahre erklärt, sich zur Univu von 1818 und ihren Büchern nm des Gewissens willen zu bekennen und nur diejenigen auzuerkcnueu, „welche nach diesen Grundsätzen lehren und handeln". Mehr positives Christenthmn ist zweifelsohne nvch im protestan¬ tischen Baiern diesseits als jenseits des Rheins zu finden. >) Zwischen diesen Beiden waltet - - wie anch anderwärts — der Kampf ob und ist auszufcchten. Was in der Mitte liegt, ist eitel Ding. Was soll anch ein sogenannter „supernatnralistisch angehauchter (!) Rationalismns" ? 20* 308 II. Theil. I. Haaptstück. Der Protestantismus. Das Decret vom 4. Juni 1848 vereinigte die Synvden vvn Ans¬ bach und Bayreuth zu einer Geueralsyuvde. Die Wahlordnung wurde erst am 31. Juli 1853 erlassen und zuletzt am 20. Juni 1870 abge- ändcrt. Für die Pfalz datirt die letzte Wahlordnung vom 27. Juni 1876. Auf der Generalsynode zn Bayreuth (November 1^65) konnte der Antrag doch Anklang finden, „die in I)r. Schcnkel's „Charakterbild Jesu" ausgesprochenen Lehren als gründ stürz en de Jrrthümer zn erklären und das von dem badischen Oberkirchenrathe (siehe Baden) ausgesprochene Verfahren als eine schwere Versündigung an d e r Wi s s e n s chaft, an d e r K i r ch e und i h r e n kü n fti g e n Di e- nern zu bezeichnen. Anders der zweite Prvtestantcntag zu Neustadt an der Haardt in den letzten Septembertagen 1867. Dort vertheidigte I)r. Schenkel „die Zulässigkeit verschiedener dogmatischer Richtungen innerhalb der Unionskirchen" und den Satz, „daß in denselben die Bc- kenntnißschriften nur noch in so ferne dauernde Geltung beanspruchen, als in ihnen moralische Grundsätze enthalten sind, ans welchen die Lebensgemeinschaft der Protestanten ihren Ursprung und ihre Grund¬ lage hat". Ja, er sagte, innerhalb der Union sei die kirchcngesetzliche Gebun¬ denheit an die Autorität der Bekenntnißschriften fernerhin zn einer „sitt¬ lichen Unmöglichkeit" geworden; denn eben die Union sei der thatsächliche und rechtliche Ausdruck für das moderne (Religion ist also der Al o d e unterworfen) protestantische christliche Bewußtsein, daß der Schwerpunkt d e s C h r i st e n t h n m s n i ch t a n f d e m k i r ch l i ch e n Dogma, sondern auf der christlich-sittlichen Lebensge¬ meinschaft beruhe. Professor I)r. Holtzmann ans Heidelberg setzt „die verschiedenen Auffassungen des. historischen Christus als Berechtigungen voraus und bezeichnet nur diejenigen Auffassungen der Person Jesu als befriedigend für das religiöse Bedürfnis; der Gegenwart, welche mit dem Gedanken seiner Menschheit und Geschichtlichkeit voll¬ kommen Ernst niach en". Das heißt snov plnnmv denn doch nichts anders, als: nur die¬ jenige Auffassung der Person Jesti befriediget — wen? die rationali¬ stischen protestantischen Theologen? — welche den Heiland seiner- göttlichen Natur und Würde vollkommen entkleidet! — Stadtpfarrer Schellenberg von Manheim erklärte mit dürren Worten, Z 63. Baiern. 309 daß „man Christus zum Menschen stempeln könne, ohne daß er dabei etwas von seiner hohen und edlen Persönlichkeit einbüße". (Wirklich nicht? Wie steht es denn dann mit seinen eigenen Behauptun¬ gen, daß er mehr sei als ein Mensch? — O! diese Halben, wie sie l)r. David Strauß nennt!) Dabei ist Professor Or. Baum¬ garten aus Rostock so naiv, auf Mittel hinzuweisen, wie „der Jn- differentismus in manchen Kreisen gehoben, und Liebe und Begei¬ sterung für Christus und sein Evangelium unter dem Volke geweckt werden könne"! Auch in der unirten Kirche der Pfalz regte die Katechismusfrage außer der Gesangbnchsfrage die Geister auf. Da der Univnskatechismus von 1822 an anerkannten Mängeln litt, so genehmigte die Gcncral- synode von 185>3 die ihr vvrgelegten Abänderungen. Zu diesem Kate¬ chismus fügte die Generalspnvde von 1857 ein neues oberwähntes Ge sangbuch. Dawider kämpfte der kirchliche Liberalismus an, und suchte es zu verdrängen, was ihm auch gelang. Die 1869 berufene Commission zur Revision der kirchlichen Lehr¬ bücher arbeitete einen ganz neuen, rationalistisch gehaltenen Katechismus aus. Ungeachtet an 2000 Familienväter erklärten, daß sie diesen Kate¬ chismus ihren Kindern nicht in die Hand geben würden, wurde er doch genehmiget. Für die sogenannten Dissidenten, das ist Jene, die gar keiner anerkannten Cvnfessivn angehören wollen, erflvß das Ehcgesetz vom 2. Mai 1868. Die Generalsynode zu Anspach (1869) wies die päpstliche Ein¬ ladung zum vatieanischen Cvneil rundweg ab. Die Gustav-Advlphs- Versammlnng zu Bayreuth (175 bis l9. August 186!)) hingegen fand es für überflüssig einen ausdrücklichen Protest dawider zu erheben. Eine große Mäßigung und Selbstverleugnung! Im November 1871 gründete der zweite Pfarrer, Illing, in Kitzingen den ersten Protestantenverein in Baiern, weshalb ihn das königliche Obcrevnsistorium anffordcrte, entweder zu widerrufen oder sein Amt nicderzulegen. Illing wollte Keines von Beiden thun. — Ueber die Verhandlungen der Protestantischen Generalsynode zu Ansbach er¬ folgte die königliche Entschließung am 8. August 1873, welche mehrere Anträge genehmigte. Die Eröffnung der Generalsynode für die diesrheinischen Consisto- Z10 II- Theil. I- Hmiptstück. Der Protestantismus. rialbezirke für 1873 wurde vom Könige auf den 8. October in Bay¬ reuth anberaumt. Beide Geueralsyuodcn für dies- und jenseits des Rheins feierten im Jahre 1873 das Jubiläum ihres fünfzigjährigen Bestandes. Jene zu Bayreuth erklärte sich auch gegen die Simnltanschnlen, wie sie durch die königliche Verordnung vom 19. August 1873 zugelasseu wurden, null aber gleichwohl den Religionsunterricht an denselben ertheilt wissen. Die Resultate der pfälzischen Generalsyuode zu Neustadt a. d. H. befriedigten die Wenigsten. Es herrschte darin die liberale Partei. Spe- ciell blieben die Proteste vieler Gemeinden gegen den mehr rationali¬ stischen neuen Katechismus unberücksichtiget. Der Antrag, daß die katho¬ lischen Prvcessionen in protestantischen Orten strenge ans die Kirchen, in allen anderen Orten aber ans die nächste Umgebung der Kirchen beschränkt würden, wurde denn doch aus Bedenken wider die Competenz der Generalsynode fallen gelassen. In der Sitzung der Abgeordnetenkammer am 13. Juli 1874 be¬ antwortete der Cultusminister von Lutz eine Interpellation dahin, daß er zwar das Verlangen der Generalsynode nach einer „unabhängigen Stellung der protestantischen Kirche, der Herstellung einer Verfassung und der selbständigen Regelung ihrer inneren Angelegenheiten" nicht für unberechtigt halte, aber „gegenüber der Staatsgewalt und dem Ministerium, wie die Sachen augenblicklich liegen, ist dies eine uner¬ füllbare Forderung". Auch könne die Einberufung einer außerordent¬ lichen Generalsynode höchsten Ortes nicht beantragt werden. Ueber die Stellung der Protestanten Baierns in dem Bernich- tnngskampfe Preußens gegen die katholische Kirche stellte in der sechsten allgemeinen Pastorcucvnfercnz der evangelisch-lutherischen Geistlichen zu Erlangen (vom 16. bis 18. Juni 1875) der Stadtpfarrer von Ingol¬ stadt I)r. Schlick unter Anderem die Thesis ans: „Unsere Stellung ist nicht ans Seite Roms, aber auch nicht auf Seite des Staates." Doch wurde dieselbe so modifieirt: „Unsere Stellung ist nicht auf Seite Roms, sondern auf Seite des Staates, obwohl die Konferenz das mißliche des gegenwärtigen Kampfes einsieht, und einen ehrlichen Frieden vom Herzen wünscht." Die Herren dachten wohl nicht auf das mögliche: heute mir, morgen Dir; oder halten sie den Protestantismus vereinbarlich mit dem Politischen Dogma von der Omnipotcnz des Staates? Wahrscheinlich! Z 64. Königreich Sachsen. 311 Anläßlich des mit 1. Jänner 1876 in Wirksamkeit tretenden R e i ch s- gesetzes über die obligatorische Civilehe und staatliche Beurkundung der Geburten, Heirathen und Sterbefüllc, richtete das königliche bäu¬ rische Oberconsistorinm (erst unterm 21. December 1875) eine von den Kanzeln zu verlesende Ansprache an die Gemeinden. Darin ermahnt es dieselben und spricht seine Hoffnung ans, daß die Gläu¬ bigen nach wie vor ihre Ehen werden kirchlich einsegnen und ihre Kinder taufen lassen. Mit dem königlichen Bescheide vom Jahre 1876 auf die Beschlüsse der pfälzischen Generalsynode im Gegensätze zu der Meinung des orthodox gesinnten Cvnsistvrinms waren die dortigen freisinnigen Protestanten ganz zufrieden und richteten darob eine Dankadresse an den König. Für die nächste Generalsynode der Pfalz fielen die Wahlen mit bedeutender Majorität dem Protestantenvereine günstig aus; also zum Nachtheile der positiv-christlichen Partei. Die am 3. Octvber 1877 zu Ansbach eröffnete und am 17. ge¬ schlossene Generalsynode für Baiern mit Ausnahme der Rheinpfalz be¬ schäftigte sich unter Anderen: mit der Traufvrmel, welche so gefaßt ist, daß sie die vorausgegangene Civiltrauung als rechtlich bestehend Voraussicht; ferner mit der Behandlung derjenigen, welche die kirch¬ liche Trauung (die wo möglich noch am selben Tage der Eheschließung vor dem Civilstandsbeamten erfolgen soll), oder die Taufe, oder die Cvnfirmation beharrlich unterlassen. Sogenannten Freireligiösen lauteten die Beschlüsse immer noch zu streng confessivnalistisch. Am 18. November 1877 erfolgte die Eröffnung der ordentlichen Generalsynvde zu Speyer liberaler Färbung. Geschlossen wurde sie am 2. December. Bezeichnend genug ist unter Anderem der Beschluß, daß das „apo¬ stolische Glaubensbekenntnis;" in der neu eiuzuführenden Agende nur eine fakultative, nicht unbedingt bindende Bedeutung haben solle. 8 04. Königreich Änchscn. Das königlich sächsische Ministerium verordnete, wie dies auch in Preußen und in anderen Protestantischen Staaten Deutschlands der Fall war, daß in allen evangelisch-lutherischen Kirchen des Landes am 23. September 1855 der Gedüchtnißtag des vor 300 Jahren geschlossenen :N2 II Theil. 1. Hauptstück. Der Protestantismus. allgemeinen (Augsburger-) Religionsfriedens gefeiert werden sollte. Man horte nicht, daß bei dieser Gelegenheit derlei beleidigende Ausfälle auf die Katholiken und ihre Kirche statthatten, wie bei der Reformations- Säcnlarfeier im Jahre 1817. — Große Bewegung in der protestan¬ tischen Welt erregten die schon erwähnten Beschlüsse der Dresdner Con- ferenz (19. bis 28. Mai 1856), worin auch die Privatbeichte wieder sehr empfohlen wurde. Schon auf dem Thüringischen Kirchentage im Jahre 1855 plaidirten dafür Pastoren, welche doch Altlutheraner und Orthodoxe sein wollten, ohne zu bedenken, daß sic hicmit den von Luther ausgestellten Satz vom „allgemeinen Priesterthnm" nmstvßen und zu einem Dogma des verhaßten Papstthnms zurückgreifen. Ueberhaupt bietet das ursprünglich exclusiv lutherische Sachsen ein eigenthümliches Bild dar. Kaum in einem anderen deutschen Lande ist der kirchliche Boden vom Rationalismus so zerwühlt wie hier') und doch konnte der Amtseid auf die lutherischen Bekenntnißschriften selbst im Jahre l848 nicht abgeschafst werden. Dies hinderte jedoch die licht¬ freundlichen Pastoren nicht, zn predigen, was sie eben wollten. Von 56 Leipziger Stadtverordneten protestirten 55 gegen das apostolische Symbolnm. Der Amtseid der Lehrer „bei der im hiesigen Lande an¬ genommenen reinen Lehre der evangelisch-lutherischen Kirche, ohne Falsch zn verbleiben" n. s. w. bestand noch l86!) fort. Der Ständeversammlnng vom Jahre 1864 legte die königliche Negierung, nachdem sie bereits am 6. November 1860 einen Gesetz¬ entwurf, die Reform der evangelisch-lutherischen Landeskirche betreffend, sowie den Entwurf einer Kirchenordnung verfaßt; denselben aber, weil er sich keiner günstigen Aufnahme erfreute, wieder zurückgezogen hatte, wieder einen „Entwurf einer Kirchenvorstands- und Synvdalordnnng für die evangelisch-lutherische Kirche des Königreiches Sachsen" vor. Die Hanptgrundzüge desselben sind die Bildung eines „Kircheuvvrstän¬ de s" in jeder Kirchengemeinde und die Berufung einer „Synode" alle fünf Jahre. Auch dieser Entwurf stieß auf Widersprüche. Die Secte der sogenannten „Spiritisten" (Tischklvpfcr u. dergl.) recrntirte sich aus Leuten der verschiedensten Bildungsgrade. Merkwürdiger Weise war bis jüngst die Civilehe in Sachsen nicht anerkannt. ') Bis herab zn den vom Inden vr. Eduard Löwenthal gestiftete» „Co- gftantcn". Z 64. Königreich Sachsen. 313 Die am 9. Juni 1870 zu Leipzig eröffnete „allgemeine lutherische Konferenz" erklärte sich entschieden für die „bckenntnißmäßige" Lehre der Kirche und daher gegen die Unionsbestrebungen und die Thätigkeit des „Protestantenvereines". Nicht minder entschieden sprach sie sich gegen die bloße Civilehe aus: „Wo eine Ehe rechtlich giltig zwar, aber gegen die von der Kirche bekannten Grundgesetze ein- gegaugcn ist, da hat die Kirche solche gesetzliche Ehen für eine süüb¬ liche, widerchristliche Ehe zu erkennen". Nicht zu wundern daher, daß sich der bekannte liberale Theologe, Professor I)r. Baumgarten sehr mißliebig über die Cvnferenz äußerte. Ebenso erklärte sich gegen die obligatorische Civilehe noch die Diöeesan- versammlung in Werdau im September 1874. Die am 9. Mai 1871 in Dresden eröffnete evangelisch-lutherische Landessynode hatte nicht eben wesentliche Resultate aufznweisen. Die Errichtung eines „evangelisch-lutherischen Landeseonsistorinms" erhielt zwar die Zustimmung der zweiten Kammer (1872), wurde aber noch nicht zur Thatsache. Eine Synvdalvrdnung hatte nämlich Sachsen be¬ reits durch Decret vom 30. März 1868 erhalten, ergänzt durch eiu Kirchengesetz vom 15. April 1873. Wieder tagte vom 18. bis 26. Juni 1874 die und zwar außer¬ ordentliche evangelische Landessynode in Dresden. Die Veranlassung hiezu war insbesondere das neue Schulgesetz vom 26. April 1873, welches die Verwaltung der Volksschule in die Hand des Schulvor¬ standes legt, die Ueberwachnng des Religionsunterrichtes aber dem Laudcseonsistorium überläßt. Der Pfarrer ist als solcher Mitglied des Schulvorstandes. Die Art der oberwähntcn Ueberwachnng wurde eben berathen; sowie ob ein Bibelanszug in der Schule au Stelle der voll¬ ständigem Bibel einzuführcn sei n. dergl. Aus dem Berichte bei der 61. Jahresfeier der sächsischen Haupt- bibelgescllschaft am 8. September 1875 zu Dresden erfahren wir, daß seit 1804 etwa 330 Millionen Exemplare der Bibel in 250 Sprachen und Dialecten verbreitet worden sind. In Deutschland wirken neben drei Agenturen der britischen, also der ältesten und bedeutendste» Bibel¬ gesellschaft, allein 25 verschiedene dortige Gesellschaften und sind allein im Jahre 1874 von diesen mehr als 400.000 Exemplare verbreitet worden, von denen 12.000 Bibeln, beziehungsweise diene Testamente und 369 sogenannte Nenbibeln ans die sächsische Gesellschaft mit ihren 314 14 Thcil. l. Hauptstück. Der Protestautisiuus. 55 Zlvcigvereinen, 145 Agenten und vier Exporteuren kommen. — Und die Früchte von all Dem sind?? — Die am 2. Oktober 1876 in Dresden eröffnete Landcssynvde schien den Liberalen ans zu orthodoxen Elementen zusammengesetzt. Der dieser Synode zugegangcne Generalbericht über die Zustände der evangelisch- lutherischen Kirche Sachsens am Schlüsse des Jahres 1875 lautet nichts weniger als günstig. Er klagt über die sehr geringe Svnntagsheiligung; über die wachsende Zahl der Wirthshäuser, das Ueberhandnehmen des Vereinswesens mit seinen Auszügen und Festlichkeiten.') Die Landesshnvde beschäftigte sich besonders auch damit, die kirch¬ liche Einsegnung mit dem neuen Reichsgesetz über die obligatorische Civilehe in Einklang zu bringen; ferner mit dem Thema über Kirchenzncht. Ihr Schluß erfolgte am 11. November. Die vorher noch vvrgenommenen Wahlen in den Synodalausschnß fielen meistentheils auf Vertreter der sogenannten orthodoxen Partei. tz 65. Ulttrtrmbenz. Ein fruchtbarer Boden für Pietisten-Conventikcl Ivar von jeher Würtemberg. Da hatte schon der ältere Hoffmann nach der socialen Theorie des Grafen Zinzendorf, des Stifters der Herrenhuter, die Propheten-Colonie „Kornthal" gegründet. Sein, nicht durchaus mit ihm übereinstimmender Sohn Christoph Hoffmann auf dem sogenannten Kirschenhardthof bei Marbach in Würtemberg, früher Inspektor der evangelischen Schule im sogenannten Salon bei Ludwigsburg, wollte das „Volk Gottes" in Jerusalem sammeln („Jerusalems-Apostel", „Jeru¬ salems-Freunde") mit dem wohl gut gemeinten Wunsche und in der löblichen Absicht, die inneren und äußeren Schäden zu heilen, eigentlich von den Seinen fern zu halten, an denen die Gesellschaft in Europa leidet. Die Anschauung dieses Schwärmers kann füglich als „christlicher Judaismus" bezeichnet werden. Sein Ruf erging an Alle, „die nach Rettung ans den Gefahren trachten, welche Europa bedrohen". Obwohl sein Bruder W. Hoffmann königlich preußischer Hofprediger und General-Superintendent der Mark war, sah sich Christoph Hoffmann ') Gilt wohl auch außer Sachsen. Alleuthalbcu ist mau der viele» Zweckesscu schon überdrüssig. § 65. Würtcmberg. 315 doch in seiner Rechnung auf die „evangelische Großmacht" Preußens getäuscht. Das Landeseonsistorium untersagte ihm die Vertvaltung der Saeramente. Gleiche Tendenz verfolgt die in der Gegend von Stuttgart ge¬ bildete Secte: „Der deutsche Tempel". Sie will auch die Aufrichtung des Tempels in Jerusalem. Es läßt sich nicht leugnen, daß das Werk Hvffmann's in Palästina Fortschritte mache, seit 1869 die erste Colvnie dahin abging. Im Jahre 1876» zählte man bereits 1000 deutsche Cvlonisten alldort. Der Swedenborgianer Gustav Werner durchstreifte das Land als Neiseprediger. Auch in Würtembcrg wurde die Einführung der Synodalver¬ fassung angestrebt und zwar für dieselbe vielfach von einer Partei agitirt, die eben sonst für kirchliche Angelegenheiten kein besonderes In¬ teresse zeigte. Im Jahre 1851 waren die sogenannten „Pfarrgemcinderäthc", anderwärts „Aelteste" genannt, eingcführt worden. Drei Jahre später kamen die „Diöcesansynoden". Endlich, am 25. Jänner 1868 erschien eine königliche Verordnung „über die Einführung einer.Landessynodc in der evangelischen Kirche von Würtembcrg." Man eröffnete darin allen verschiedenen Standpunkten in „theo¬ logisch-kirchlicher Hinsicht" Aussicht ans Vertretung mit Ausschluß der sogenannten extremen orthodoxen Richtung. Die Landessynode ist zu¬ sammengesetzt aus 50 von den Diöcesansynoden erwählten Abgeordneten, 25 geistlichen und 25 weltlichen; dann Einem Abgeordneten der evan¬ gelisch theologischen Facultät der Landesuuivcrsität und sechs vom evan¬ gelischen Landesherrn zu ernennenden Mitgliedern. Zur Hälfte welt¬ lichen, zur andern Hälfte geistlichen Standes. Ihre Hauptaufgabe be¬ steht in der Mitwirkung zur kirchlichen Gesetzgebung. Sie trat zum ersten Male in Stuttgart am 18. Februar 1869 zusammen und tagte bis 18. März; zum zweiten Mal geschah dies am 12. October 1875. Mit 53 gegen 1l (liberale) Stimmen nahm diese Landessynode ein Trauungsformular an, wornach künftig civil-geschlosfene Ehen nicht blvs cingcscgnet, sondern auch bestätiget werden. Also eine bloße Civilehc wird eigentlich doch nicht rückhaltlos anerkannt. Der Antrag aber, daß der Geistliche eine Training wegen zn befürchtenden Aerger- nisses verweigern könne, wurde zurückgezogen, respective fallen gelassen. 316 II. Thcil. I. Hcmptstück. Der Protestantismus. Gegenüber der mit 1. Jänner 1876 cinznführenden obligatorischen Civilehe benahm sich die zweite würtembcrgische Landessynodc (1875) sehr zahm, sowohl was das künftig zn beobachtende Trauungsformular, als auch die etwaige Verweigerung — wohl äußerst selten — der kirch¬ lichen Trauung betrifft. Selbst die Frage nach den kirchlichen Folgen der unterlassenen, respeetive verschmähten kirchlichen Trauung, blieb un¬ gelöst ; das heißt wohl, inan wich der Schwierigkeit aus dem Weg mit dem InmsM tüirö. 8 66. Linden. In Baden wurde die „Union" im Jahre 1821 von Staatswegen eingeführt; innerhalb derselben durfte fortan weder von einer luthe¬ rischen noch reformirten Kirche mehr die Rede feilt. Deshalb erging es den Altlutheranern nicht gut. Ihr Pastor Eichhorn wurde 1853 wegen nicht unterlassenen Besuches seiner Gemeinde sogar mit einer Gefängnißstrafe belegt. Für die Subjectivisten und Rationalisten hatte man ungleich viel mehr Duldung und Rücksicht. Davon wissen Pfarrer Zittel, I)r. Paulus (gestorben 1851), Or. Daniel Schenkel zn Heidelberg und Andere zn erzählen. Der lutherische Verein zu Amsterdam bat den König von Preußen, nun doch auch für die Lutherischen in Karlsruhe in ähnlicher Weise intereediren zu wollen, wie er es für die Madiai in Florenz gethan. Vergebens! Man berief sich, was man in Toscana nicht thun durfte, auf die „Landesgesetze". Fast in allen Diöcesansynoden vom Jahre 1859 erhielt der Antrag die Stimmenmehrheit: „Die Generalsynode möge eine gänzliche Um¬ arbeitung des neuen Kirchenbuches auf Grund des Materials der alten und neuen Agende vornehmen". Unter Einem mit dem Gesetze vom 9. Octvber 1860, welches zur Regelung der katholischen Kirchcnverhältnisse statt der aufgehobenen Convention mit dem päpstlichen Stuhle 864 den Antrag auf Entfernung Schenkel's, indem er unter Anderem sagt, daß die freie Forschung das Grnndprineip der Reformation sei. „Heutzutage kann es eine evan¬ gelische Kirchenbehörde nicht Massen, daß einem Kirchendiener nm des¬ willen zu nahe getreten werde, weil er sich redlich Mühe gegeben hat, mit welchem Erfolg auch immer, an seinem Theil mit dazu zu helfen, daß wir den Herrn Jesus, den Herrn der Herrlichkeit, besser ver¬ stehen lernen, als unsere Väter es vermocht haben". (Wie bescheiden, zumal einem Buche gegenüber, das den Heiland seiner Gott¬ heit entkleidet!) Der Oberkirchenrath gibt es seinen Geistlichen wohl zu bedenken, „daß Diejenigen von unseren heutigen Christen, die innerhalb des gei¬ stigen Bildnngskreises der Gegenwart stehen, zum großen Theil die begriffliche Fassung, welche die alte Kirche ihrer Vor¬ stellung von der Person des Erlösers gegeben hat, nicht mehr unbedingt theilen können". „In unseren Tagen thnt es dem Vertrauen zum geistlichen Stand nnd seinem Ansehen keinen Ab'brnch (wirklich keinen? wir dächten, daß doch, eben weil darin der augenscheinlichste Beweis der Selbstaus¬ lösung des Protestantismus liegt), w e n n s eine A n gehörige n nicht alle übereinstimmend lehren (dies thun sie wahrlich nicht) von den hohen Dingen, an deren vollem Verständnis), wie man wohl weiß, die Christenheit sich noch lange abzumühen haben wird." Daß sich der Oberkircheurath durch diesen seinen Entscheid die volle Anerkennung aller Freisinnigen erwarb, braucht nicht bemerkt zu werden. Von 26 Diöeesansynvden erklärten sich 17 klar im Sinne des Ober- kirchenrathes für die Freiheit der Forschung und etwa sieben dagegen. 318 II Theil. I. Hauptstück. Der Protestantismus. Der preußische Oberkirchenrath in Berlin hingegen sprach am 8. De¬ cember vffen seine Mißbilligung aus. Auch der mecklenburg-schwerin'sche Oberkirchcnrath hatte sich iu einer förmlichen Erklärung (llio. 14. De¬ cember 1804 dem Proteste der früher erwähnten badischen Geistlichen gegen Schenkel's „Charakterbild" angeschlvssen. Sv auch 92 prvte- stantische Geistliche der Pfalz, 677 aus Pommern u. s. w. Gefügiger als das erzbischöfliche Ordinariat zu Freiburg zeigte sich der evangelische Oberkirchenrath in der Schulfrage, was übrigens Niemanden Wunder nehmen kann. Mit Erlaß vom 1. October 1864 gestattete er den Geistlichen den Eintritt in die neuen Volksschul- behördeu. Dieser nämliche Oberkirchenrath forderte die Protestanten des Landes auf, im Gebete Gott dafür zu danken, daß durch den Sieg Preußens über Oesterreich (1866) die furchtbare Gefahr (?) glücklich vorüber ge¬ gangen und das Unheil abgewendet sei, welche über den Protestan¬ tismus sonst hereingcbrochen wäre. (Sehr freundlich!) Am 2. Octvber 1865 saß zu Heidelberg der engere Ausschuß des deutschen Protestantenvereiues, bestehend aus den Vertretern der fort¬ geschrittensten sogenannten freien theologischen Richtung; als Baum- g arte n aus Rostock; B l n n t s ch l i aus Heidelberg; Ewald aus Göt¬ tingen; Krause ans Berlin; Schwarz aus Gotha; Zittel aus Heidelberg und Anderen. Die Verhandlungen betrafen den nächsten Pro¬ testantentag. Schon die erste an der Tagesordnung stehende Frage lautete: „Welche Stellung haben wir Protestanten der jesnitisch-elcricalen Bewegung gegenüber einzunehmen?" Im nämlichen Monate discutirte die Karlsruher protestantische Stadt- divcese außer der Revision des Katechismus, natürlich im Sinuc der „Aufklärung", die Frage: „In welcher Weise ist der Unterricht in der biblischen Geschichte in wirkli ch den m o d e r n e n Z e i t a n s ch a n n u- gen angemessener Weise zu behandeln?" Schon wieder Mode! Die am 1. Mai 1867 in Karlsruhe eröffnete Generalsynvde be¬ stand weitaus meist aus liberalen Mitgliedern; weshalb die sogenannte Protestpartei nichts ansrichtete. Am 5. Octvber 1876 trat wieder die evangelische Generalshnode in Karlsruhe zusammen. Unter anderen Anträgen wurde auch der an¬ genommen, daß das Refvrinativnsfest und der Bußtag in den evan¬ gelischen Landeskirchen als allgemein deutsch-protestantische Feiertage an Z L7. Hannover. 319 denselben Tagen nnd zwar wo möglich am Sonntage gemeinsam gefeiert werden. Ferner beschloß sie, den Oberkirchenrath nm Vorlage eines neuen Katechismus zu ersuchen. 8 67. Hmmovrr. Entschiedener, als sonst wo, trat das Kirchenregiment in Hannover dem kirchlichen Subjeetivismns entgegen, ohne übrigens die factisch be¬ stehende Union gefährden zu wollen. Das Osnabrücker Cvnsistvrinm erklärte offen: „Die von der Reformation erstrittene Glaubens- und Gewissensfreiheit sei mit Lehrfreiheit und Lehrwillkür nicht zu verwech¬ seln; der Prediger in der Gemeinde und der Lehrer in der Schule seien an den Lehrbegriff der Schule gebunden". Gewiß nicht mit Un¬ recht vvm Standpunkte der Reformativn aus, obschon vergebens, prv- testirten dawider viele Prediger als „gegen das innerste Wesen des Protestantismus vernichtende Maßregeln". Die von der Regierung (königliche Verordnung vvm 14. April 18(12) versuchte Einführung eines neuen, vvm Superintendenten Lührs zu Peine verfaßten, eigentlich des kleinen lutherischen Katechismus, ver¬ anlaßte eine gewaltige Aufregung. Die "Liberalen und Aufgeklärten agi- tirten ans Leibeskräften dawider. Das Nämliche hatte statt, als für den Cvnsistvrialbezirk Osnabrück ein neues Gesangbuch vvrgeschrieben wurde. Mau wollte den alten rationalisireuden Katechismus nicht fahren lassen. In dem neuen erregte insbesondere die Lehre von einem per¬ sönlichen Teufel Austoß. Ein Bauer wollte sein Kind durchaus nur ohne Exvreismus taufen lassen. Schwerer einzusehen ist, warum man sich so sehr gegen die Ab¬ schaffung des alten Gesangbuches voll pietistischer Süßelei und Senti¬ mentalität wehrte. Die Regierung sah sich genöthiget, das erwähnte Gebot 4807) 700 Geistliche eine Eingabe an das Landesevnsistvrinm, worin sie um Erhaltung der rein lutherischen, selbständigen, einem n n irt e n Kirchenrathe nicht untergeordneten Kirchenbehörde petitivnircn. Die Einführung der preußischen Schnlgcsetzgebung, auf Grund der Stiehl'schen Regulative fand sehr wenig Anklang. Die im Jahre 1869 zu Hannover tagende Landcssynode Ivar auf den sogenannten Protcstantenverein nichts weniger als gut zu sprechen. Ein Superintendent machte darauf aufmerksam, daß in den Statuten des Protestantenvereines nicht einmal der Name „Christ" vvrkomme. Auch die „Union" hatte in der Synode wenig Sympathien. Dafür lud sie sich den Vorwurf auf, daß sie eine „Cvnsistorialkirche" gründen und die Protestanten wieder unter das „hierarchische Jo ch" bringen wolle. Wegen heterodoxer Meinungen wurde 1873 der Rector G itter- mann in Esens seines Dienstes vom Cvnsistvrinm entsetzt. Wieder ein, noch dazu protestantisches Ketzergericht! erscholl's durch die liberalen Blätter. Die hannoverische Provincialsynvde 1874 ignorirtc in ihren Be¬ schlüssen fast völlig die Anerkennung der nun in ganz Preußen einge- führten obligatorischen Civilehe und beantragte scharfe Zuchtmittel für Diejenigen, welche den kirchlichen Ehesegen verschmähen. Die liberalen Protestanten richteten wider das Landesevnsistvrinm eine sogenannte Nvthstands - Adresse an den König von Preußen, den ß 63. Nassau. 221 nunmehrigen Landesherrn (1875). „Bvlksprediger" des Prvtestanten- vereines hatten die Aufgabe, die Bevölkerung in diesem Sinne zu be¬ arbeiten und Unterschriften zu sammeln. (Ult. Wenn Liberale dies thun, dann sind die Snbseribenten immer die „svliden, gebildeteren Elemente der Gesellschaft"; ganz anders lautet das Urtheil, wenn sich Katholiken für ihre Sache etwas Aehuliches erlauben. Vor diesen liberalen Protestanten war cs freilich ein Verbrechen, das; unter Anderem das Landesconsistorium von Hannover die Wahl des Pastors Klapp ans Waldeck für Osnabrück nicht bestätigte, weil es sich im „Ooltogninm" mit ihm vom 2. Juli heransstcllte, daß er an die „wahre Gottheit und die leibliche Auferstehung Christi" nicht glaube. Als den sogenannten Orthodoxen, meist noch treue Anhänger des depossedirten welfischen Königshauses, der liberale Wanderprediger, Professor Baumgarten ans Rostock, seine Weisheit predigen wollte (November 1875), wäre er von ihnen mißhandelt worden, wenn er sich nicht ohne den aufdringlichen Vortrag aus dem Staube ge¬ macht hätte. § 63. Nassau. In voller Blüthe stand und steht der Rationalismus im nun von Preußen annectirten Herzogthume Nassau, wo, wie ein protestantisches Blatt („Haitisches Vvlksblatt" 1852) klagt, jeder Prediger ungenirt seinen eigenen individuellen Glauben predigen darf. Man scheint sich dort nicht wenig darauf einzubilden, daß der (1821 eingeführte) Landes¬ katechismus nicht auf einer Linie mit gewissen andern Leitfaden stehe, die alle Heilslehren verleugnen oder entstellen. Die am 18. Oetvbcr 1866 — also nach bereits vollzogener An neetion an Preußen — in Wiesbaden abgehaltene Prvtestanten-Cvn- ferenz ans beiden Hessen und Nassau begrüßte freudig die Neugestaltung Deutschlands, weil sie daraus auch für den Protestantismus Gutes erwarte, zumal die Erhaltung der Individualität der Landeskirche, so wie der „besvnders in ganz Nassau zur vollständigen Thatsache ge¬ wordenen prineipiellen evangelischen Union" und der „evangelischen Lehn freiheit", ferner die „Einführung einer im Sinne der Wissenschaften und Erfahrung der Neuzeit verstaudeuen Presbyterial- und Synvdal- Verfassung". Stepi sch negg, Papst Pius IX. und seine Zeit. II. Bd. 21 322 II. Theil. I. Hauptstück. Der Protestantismus. Dabei konnte sie sich nicht enthalten zu bemerken: „Die Gleich¬ berechtigung der evangelischen und katholischen Nirche setzt voraus, daß der letzteren und deu sie gegenwärtig beherrschenden n l t r a m o n t a n e n Tendenzen kein solcher Einfluß auf das bürger¬ liche und soeiale Leben und ans die Erziehung der Jugend von der Staatsgewalt eingeränmt wird, wie er in einzelnen dentschcn Staaten im Widerspruch mit der Gesetzgebung gewährt worden ist." Das seit der Annexion bestehende Cvnsistvrium zu Wiesbaden hatte den Pastor S ch rüder zu Freirachdorf wegen gar zu freier Richtung seines Amtes entsetzt, worüber der Protestautenverein in Harnisch gerieth. Alan ereiferte sich sehr gegen diese „Verletzung der Gewissensfreiheit". Bon ihrem Standpunkte aus kanu man den Herren nicht Unrecht geben. 8 60. Lurfürskeiithuin Ijrjsen-Äasscl. In Kurhessen, welches nun auch in Preußen anfgegangen ist, schien das sogenannte orthodoxe Lntherthum unter dem Ministerium Hassen¬ pflug, insbesondere durch die energische Thätigkeit Vilmar's, die Oberhand zu gewinnen. Schon wurde die strengste Verpflichtung nicht nur der Prediger, sondern (1852) auch der Gymnasiallehrer auf die symbolische» Bücher durchgesetzt; wogegen sich mir zwei der Letzteren zu Hanau sträubten; aber mit dem Sturze Hasseupflug's und der damit verbundenen Beseitigung Vilmar's fielen Kirche und Schule wieder unter die Herrschaft des Rationalismus zurück. Selbstverständlich wurde Vilmar von seinen Gegnern vielseitig angefeindet. Unter Anderm von dem l>!5!> entfernten Mitgliede der theologischen Facultät zu Marburg, J. G il d e m e ister, wegen seiner Broschüre: „Bedenken über das von der theologischen Facultät Mar¬ burg ausgestellte Gutachten". Selbst die Behörde hatte Vilmar der „Amtsehreubeleidigung" der erwähnten Facultät schuldig erkannt. Sehr viel Aufsehen verursachte 184!l der offenkundige Uebertritt des Professors Friedrich Thiersch an der theologischen Facultät in Marburg zum Jrvingianismus. Ihn hatte der „Apostel" Carlyle gewonnen und vrdinirt. Der landständische Ausschuß hatte (1864) die Wieder¬ einführung der Civilehe, und zwar der faenltativen, beantragt. Die Regierung aber erklärte: „Die Civilehe enthalte ein Lossagen des Z 69. Kursttrstenthmu HesseioKassel. 323 Staates von jedem sittlichen Gebvt und ein Herabsinken unter das Heidenthnni der Römer. Sie — die Regierung — werde lieber zugeben, daß das Coneubinat als ein Rechtsverhältnis; eingeführt werde, das mau alsdann jedoch nicht mit dem Namen Ehe bezeichnen dürfe." Darob selbstverständlich gewaltiges Entsetzen im radiealen pseudv- liberalen Lager. Daß auch Kurhessen im Jahre 1866 preußisch wurde, ist bereits bemerkt wurden. Die beabsichtete Einführung vdcr eigentlich die Wiederauffrischnng der Presbyterial- und Synvdalverfassung, zu welchem Ende der könig¬ liche Erlaß Rio. 9. Juni 1869 den Zusammentritt einer außer¬ ordentlichen vorbereitenden Synode anvrdnete, rief einen gewaltigen Sturm dagegen unter der protestantischen Geistlichkeit hervor. Der Cultusmiuister von Mühler hatte sie schon dadurch sich ab- geweudet, daß er 1868 die Umbilduug der drei hessischen Cvnsistorieu in ein Gesummt Consistorium anbahnte. Sie berief sich sogar auf Artikel VIII des westphälischen Friedens und ans die Versicherung des Königs Wilhelm I. gelegentlich seiner ersten Umreise im Lande (1867): „die Kirche, ihre Verfassung, ihre Ordnungen nur mit freier Zustimmung der Pfarrer und Gemeinden, und nur nach erfolgter sorgfältiger Erwägung und Berathung ans sich selbst sich fvrtbilden zu lassen". Auf die Vorstellung ildo. 12. August erging am 20. ein be¬ richtigender Bescheid des Cnltns- und Uuterrichtsininisters von Mühler au den General-Supcriutendeuten zu Kassel, Martin, worin es am Schlüsse heißt: „Ich erwarte, daß den von zuständiger Seite aus¬ gehenden Anordnungen Folge geleistet und allen böswilligen Entstellun¬ gen der Wahrheit entgegengetreten werde." Die erwähnte Synode tagte zu Kassel vom 8. December — mit Unterbrechung — bis 21. Jänner 1870. Die Regierungs-Entwürfe über die neue Kirchenverfassung wurden von der kirchlich-evnservativen Partei als ein unberechtigter Eingriff in die Selbständigkeit der Kirche angefochten; den Liberalen waren sie zu wenig „freisinnig". Es handelte sich zunächst um die vbeu erwähnte Zusammenlegung der drei kleinen hessischen Cvnsistorieu in ein Gesammt- Cvnsistvrinm, und zwar nm die Einrichtung einer presbyterialen Synvdal¬ verfassung in die Hand zu nehmen. In Folge königlichen Erlasses vom 2t* 324 II. Thcil. I. Hanptstück. Der Protestantismus. 24. April 1873 stellten die seitherigen königlichen Cvnsistorien zu Kussel, Marburg und Hunan ihre Fnnetivnen ein und trat das nunmehr all¬ einige (nnirte) Konsistorium zu Kassel in Wirksamkeit. Der Protest von 46 protestantischen Geistlichen (sogenannten Vil- mariunern) gegen die Errichtung dieses Gesammt Cvusistoriums wurde im Auftrage des Königs vom Eultusmiuisteriuui am 13. August scharf zurückgewiesen; gegen mehrere wegen Renitenz sogar mit Geldstrafen und Pfändung bei verweigerter Zahlung und mit Suspension vor- gegangen. Westphälische katholische Geistliche drückten den Vilmarianern ihre Sympathien aus. In Kurhessen selbst sammelte man für einen Fond, aus welchem die „Vilmariancr" für deu Fall ihrer Amtsentsetznug schadlos gehalten werden sollen. Wider einige im staatlichen Dienste stehende Unterzeichner des Aufrufes ließ die Regierung das Disciplinar- verfahrcu einleiten. Eine königliche Cabinetsordre vom 27. September 1873 erkannte dem Kasseler Gesammt-Consistorium ausdrücklich das Recht zu, auf Entlassung der renitenten Pastoren in disciplinarischem Wege als erste Instanz zu erkennen. Die zweite Instanz bilde der königliche Minister der geistlichen Angelegenheiten. Unter den „suspendirten" Pastoren befand sich auch der Metro¬ politan Vilmar in Weisungen. Die Strafe der Absetzung traf so alle sogenannten renitenten Pastoren. Da verlautete (Juni 1875), daß das Obertribnual die gegen die renitenten kurhessischen Geistlichen ergangenen Erkenntnisse vernichtet und die Sachen zur anderweitigen Entscheidung an die zweite Instanz zurück¬ gewiesen habe. Im September 1873 ließen sich auch die kurhessischeu Agnaten von Preußen definitiv abfinden. Der Erbprinz Friedrich erkannte die Annexion an und verzichtete auf seine Rechte und auf das Haus¬ vermögen mit Vorbehalt einiger Schlösser. Dafür zahlt ihm Preußen nach dem Tode des Kurfürsten jährlich 202.000 Thaler. Dawider pro- testirte der Exkurfürst Friedrich Wilhelm (10. September) und erklärte jede Vereinbarung mit der dermaligen Negierung für null und nichtig. Z 70. Gioscherzogthiim Hessen-Darmstadt. 325 K 70. Großherzoythum Hcffen-Darinstadt. I)r. Hengstenberg klagte („Evangelische Kirchenzeitnng" 1851), „inan könne das ganze Großherzogthnm Hessen durchwandern, ohne in einer einzigen Kirche den evangelischen Glauben in Gesang und Predigt herausznsinden". Die hie und da sich regende Reaetivn wider den Ra¬ tionalismus und Jndifferentismus verlief auch hier meist nur in un¬ klaren Pietismus — vou positiver Christlichkeit ist wenig zu erblicken. Der Name „lutherisch" ist auch hier vffieiell verpönt. Die „Univu" der sich widersprechenden protestantischen Bekenntnisse wurde hier, wie anderwärts, Vvn Staatswegen decretirt (1832). Selbst nachdem die Badener ihren 1839 vorgeschriebenen rationalistischen Ka¬ techismus anfgaben, wollte ihn die Mehrheit in Hessen nicht fahren lassen (1857). Wir haben der Coutroverse schon gedacht, zn welcher die Schrift des Bischofs von Mainz, Wilhelm Freiherr vvn Ketteler, „Die wahren Grundlagen des religiösen Friedens" Anlaß gab. Einer der drei Superintendenten, die in der Gegenschrift „für das Recht del- freien Meinung ans Seiten der evangelischen Kirche" anftratcn — der Prälat Zimmermann — hatte aber demnngeachtet bald darauf (1868) „zum allgemeinen Erstaunen" einen jungen evan¬ gelischen Neligivnslehrer und Pfarramts - Candidaten zn Darmstadt, Mitzenins, im Auftrage des Obereonsistvrinms vor sein geistliches Gericht zur Verantwortung gefordert, weil derselbe in seiner Broschüre „Luther und die Kirche unserer Tage" sich unterfing, von der pro¬ testantischen „Dcnkfreiheit" gegen die „Orthodoxie" und gegen die Auetorität der symbolischen Bücher und der Augsburger Cvufessivn Gebrauch zu machen. Der Zweigverein des Prowstantenvereines nahm sich des „Gema߬ regelteil" an; — man sprach wieder lauter vom „Papstthum", „In¬ quisition" u. dergl., die sich auch in die evangelische Kirche einschleichen wollen. Zunächst als Demonstration gegen die päpstliche Einladung der Protestanten zn dein vaticanischen Cvneil wurde die große Protestanten¬ versammlung in Worms am 31. Mai 1869 eröffnet. Es sprachen die Koryphäen der liberalen, rationalistischen Richtung. Insbesondere führte wieder I)r. Schenkel aus Heidelberg das große Wort. Eben in Worms ."26 u. Theil I. Hanptstnck. Der Protestantismus. fand am 2. und 3. October 1872 die fünfzigjährige Jubiläumsfeier der unirten Kirche Rheinhessens statt. Auch im Großherzogthum Hessen will die liberal-protestantische Partei das großherzogliche Oberconsistoriuiu durch eine Presbyterial- uud Synodalverfassung verdrängen; hat aber an den namentlich in Oberhesseu vertretenen sogenannten orthodoxen Protestanten erbitterte Gegner. Als Hanptkämpfer der beiden Parteien können angesehen werden, und zwar der liberalen: Hofgerichtsadvocat I)r. Ohly in Darmstadt, Vcrtheidiger des genannten Mitzen ins; der orthodoxen aber: der evangelisch-lutherische Pfarrer Baist in Ulfa (Oberhessen). Am März 1373 trat endlich die von Einigen heiß ersehnte, von den Anderen gefürchtete Landessynode für das Großherzogthum in Darm¬ stadt zusammen. Nach einiger Unterbrechung nahm sie am 1l>. September ihre Sitzungen wieder auf, um in die Bcrathung des Verfassnngsent- wnrfes einzutreten. Die große Mehrzahl der Synode gehörte der kirch¬ lichen Mittelpartei an, den Mitgliedern und Anhängern der sogenannten Friedberger Cvnfcrcnz. Von ihr trennten sich nach rechts die strengen Lutheraner, nach links die Mitglieder und Anhänger des Protestanten- Vereines. Es handelte sich einfach um die Anfrcchthaltung der faetischeu Union, ohne daß drei gesonderte Confessivnsgemeinschaften neben einander beständen. Eine neue Verfassung erhielt die evangelische Kirche in Hessen- Darmstadt am 6. Jänner 1374. Indessen nahm die kirchliche Bewegung immer mehr den Charakter eines Abbröcklungsprocesses an. Es erfolgten Massenanstritte ans der unirten Landeskirche zumal in der Gegend von Worms (1376). Die neue sich bildende Gemeinde nannte sich „Freie Protestanten". Sie will nur auf der Lehre Christi in ihrer ursprünglichen Reinheit beruhen'); ihr Gottesdienst soll hauptsächlich in religiösen Vorträgen frei gewählter Geistlichen oder Vorsteher bestehen n. dergl. Das Ganze läuft auf weniger noch, als auf einen seichten Deismus hinaus. Die Delegirten- vcrsammlnng erklärte als Fundamcntal-Artikel „den Glauben an Gott, als den allgegenwärtigen Geist im Weltall (reiner Pantheismus); an Jesum Christum, als den begeistertsten und begabtesten Lehrer der ') Wer weiß cs nicht, Inas diese Phrase im Munde der Freidenker be¬ denken soll? Z 71. Sächsische Herzogtümer. 327 Menschen, der seiner Lehre sein Leben geopfert nnd so ein Erlöser Aller geworden ist; den Glanben an einen hl. Geist, d. i. den sittlichen Gc- sannntgeist der Menschen" (welche hohle Parodie des Trinitäts-Dogma!). Die Bibel wird im Sinn nnd Geist der Zeit und nach dem Maß der fortschreitenden wissenschaftlichen Forschung und Erkenntniß ausgclegt. Die kirchliche Verfassung kennt keinen Unterschied zwischen Geistlichen und Laien u. dergl. Was würde wohl I)r. Martin Luther, wenn er aufstände, zu solchen „Protestanten" sagen? Seine Kraftausdrücke ließen sich wahrscheinlich sehr schwer wiedergeben! Als eine Art Reaetivn wider dieses Treiben darf der Beschluß der Landessynode vom 11. Deeember 1876 angesehen werden, mittelst welchem sie mit 36 gegen 15 Stimmen einen Antrag auf Verstärkung des Laieuelemcntes in den Synoden ablehnte. Doch was konnte dies helfen? Im Juli 1877 zählte man bereits bei 24.000 „freie Protestanten". Noch im Jahre 1878 wurden sogenannte renitente lutherische Geist¬ liche gemaßregelt, welche zur Ausführung der im Jänner 1874 auf dem Boden der „Union" zu Stande gekommenen Verfassung der evan¬ gelischen Landeskirche die Hand nicht bieten wollten, weil sie darin nur die Verschmelzung in eine „eonfessivnslvse Masse" erblickten. Durch das Oberevnsistvrium vom Pfarramtc entlassen, fuhren sie fort, die Func¬ tionen desselben ausznüben. 8 7l. Sächsische Herzogthümer. Im Jahre 1852 vereinigten sich zum ersten Male Abgeordnete aller protestantischen Staaten zu Eisenach. Ihre sich daselbst jährlich zu wiederholenden Zusammenkünfte (Confcrenzen) sollten gleichsam ein Surrogat sein für das ehenialige „eorpus ovunKwIivornin"; brachten aber bisher außer einem neuen Gesangbnchsentwurfe, der aber auch nicht überall durchging, noch nichts zu Stande. Wie anders möglich, wo sich die extremsten Gegensätze neben einander finden? Erzwang ja 1853 das Ministerium in Weimar jüdisch christliche Commnnalschnlcn, und forderte man sogar gemeinsamen Religionsunterricht für Juden- nnd Christenkinder (!)'), während wieder Andere die Be¬ tz Eben in Weimar traute ein Consistorialrath einen Juden mit einer Christin. „Da reichen sich", sagte er, „Sinai und Golgatha die Hände!" 32h II. Theil. I. Houptstiick. Der Protestantismus. cidignng aller Prediger auf die symbolischen Bücher und Besetzung der Stellen an den Lehrerseminarien und an der Universität Jena mit streng eonfesfivncllen Männern begehrten (1854). Welcher Wind in Gotha wehte, zeigte die Berufung des schon erwähnten vr. Schwarz ans Halle durch den Herzog an die Spitze seines Kirchenrcgimentes. „Denn er wollte die junge Geistlichkeit nicht weiter von einer Richtung infieiren (!) lassen, welcher das Ernestinische Haus immer entgegen gewesen." Als in Kvbnrg 1854 vierzehn Pre¬ diger den Mnth faßten, um Abschaffung des ganz unchristlichen Pari- sius'schen Katechismus zu petitioniren, wurden sie abgewiesen. Der thüringische Kirchentag zu Salzungen (August 1860) plai- dirte für die obligatorische Civilehe uud wollte, daß die Kirche sich nicht weigern dürfe, die von der weltlichen Behörde nach den Gesetzen des Staates Geschiedenen zur Wiedertrauung zuzulasseu. Auf dein Protestantentage zu Eisenach im Jahre 1865 erklärte I)r. Bluntschli als dessen Aufgabe „die Bethätignng des von Seiten des römischen Ultramontanismns und der exelusiv lutherischen Orthodoxie gleich gefährdeten Protestantischen Geistes", vr. Schwarz stellte unter Anderen als Thesen anch die aus: „Die Forderung einer eidlichen Ver¬ pflichtung auf die Bekenntnißschriften ist nnprotestantisch und unsittlich", und: „Die eine Grundwahrheit des Christcnthums ist nicht dog¬ matischer (!), sondern religiös-sittlicher Art". Je nach zwei Jahren tritt die Konferenz von Abgeordneten der evangelischen Kirchenbehvrden Deutschlands wieder zusammen. Im Jahre 1870 wurde der Entwurf einer Shnodalverfassnng dem Großherzvg von Weimar vorgelegt. Am 27. September 1874 wurde die erste Landessynvde in Weimar eröffnet. Der zu Altenburg am 13 September 1864 eröffnete evangelische Kirchentag stellte sich auf einen verhältuißmäßig positiveren Standpunkt. Er nannte die neuesten Behandlungen des Lebens Jesu (von Strauß, Renan n. dcrgl.) „Zerrbilder", deren Entstehung nur durch eine falsche Kritik der Geschichte oder eine leichtfertige Behandlung der hei¬ ligen Urkunden möglich wurde. Freilich, meint er, „die Arbeit der christ¬ lichen Kirche für die wissenschaftliche und allen Bedürfnissen des Glau¬ bens genügende Erkenntnis; des Lebens Jesu ist noch nicht vollendet" (noch immer nicht nach bereits mehr als 1800 Jahren?); doch gilt ihm, ß 72. Mecklenburg. 329 Jesus Christus als gottmenschlicher Herr und „Heiland" und findet mit Rücksicht auf die Protestativn der 218 evangelischeu Geistlichen in Baden wider Scheukel's „Charakterbild Jesu" ein so „verwahrendes Zengniß der Glieder der evangelischen Gemeinde ganz berechtigt". In den sächsischen Landen, auch in den auhalt'schen, werden Ehen zwischen Juden und Christen nun anstandslos geschlossen. 8 72. Mecklenburg. Nirgends in ganz Deutschland, mit Ausnahme von Baiern, ist das „orthodoxe" Lutherthum so mächtig, als in den beiden Mecklen¬ burg. Wie in München Dr. Harleß das Haupt der Altlut her an er war, so in Schwerin der Oberkirchenrath I)r. Kliefoth das Hanpt der Neulutheraner. Außer Kliefoth kanu man zu deu Gründern und Führern der Neulutheraner noch zählen: Münchmeyer, Con- sistorialrath zu Osnabrück; Löhe und Vilmar. Aber auch hier ist ungeachtet aller Bemühungen von Oben äußerst wenig Kirchlichkeit nach Unten wahrzunehmen. De. Kliefoth selbst klagt, „daß der Prediger oft am Sonntage unverrichteten Amtes hcimkehren müsse, weil kein Hörer, kein Glied der ganzen Gemeinde gekommen — auch nicht Einer"! Die herrschende Partei übte ihr Regiment mit Strenge. Wegen seiner Lehrabweichungcn von dem Bekenntnisse der evangelisch-lutherischen Landeskirche wurde auf Grundlage eines Gutachtens des großherzoglich Mecklcnbnrg'schen Cvusistvriuins (zumal war der Cvnsistvrialrath Dr. Krabbe sein Feind) der ordentliche Professor der Theologie an der Universität zu Rostock De. M. Baumgarten durch großherzogliches Rescript vom 6. Jänner 1858 von seinem akademischen Lehramte entlassen. Jin Jahre 1862 wurde derselbe abermals zu sechs Wochen Ge¬ fängnis; und 50 Thalern Geldstrafe verurtheilt. Auch iu Kiel (Holstein) konnte er (1864) die venia la^emli nicht erhalten. Ja wegen „Mit¬ urheberschaft" an den vom Professor Ewald (Göttingen 1864) herans- gegebencn „Gerichtlichen Urkunden der jüngsten Vernrtheilung des Pro¬ fessors Baumgarten" wurde er neuerdings zu 18 Wochen Gefängnis; und 200 Thaler Geldbuße cvudemnirt. Baumgarten schrieb auch eine „Geschichte Jesu". Der Heiland ist ihm kaum mehr, als ein gvttbegeistertcr Weise. — Wegen Mißhel¬ ligkeiten trat er 1877 aus dem Protestantenverein aus. 330 II. Theil. 1. Hauptstück. Der Protestantismus. Man sprach svgar von der Excommnnieativn Baumgarten's. Gegen die kirchliche Politik der Preußischen Regierung nnd des Reichskanzlers Fürsten Bismarck erklärte sich ans das entschiedenste auch der erwähnte Consistvrialrath und Professor I)r. Krabbe in Rostock in seiner Schrift: „Wider die gegenwärtige Richtung des Staats- lebens im Verhältnisse znr Kirche". Anläßlich des mit 1. Jänner 1876 in Wirksamkeit getretenen Reichs¬ gesetzes über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung vom 6. Februar 1870 (Civilstands - Register nnd Civilehc) ließ der Großherzog im Hinblick auf 8 82 dieses Gesetzes „Alle, die es an¬ geht, benachrichtigen, daß Allerhöchstdieselben die Erfüllung der kirch¬ lichen Pflichten in Bezug auf Taufe nnd Trauung von allen landes¬ herrlichen Dienern bestimmt erwarten und daß Allerhöchst Sic Anstand nehmen werden, Personen anznstellen, welche diesen Pflichten in der einen oder anderen Weise nicht nachgekvmmen sind". Daß dieser Erlaß den Beifall der Erzliberalen nicht erntete, versteht sich von selbst. 8 73. Ändere stieme deutsche Länder, «freie Litädte. Davon genüge Folgendes: Im Fürstenthume Reuß-Greiz kündeten die Lutherischen den Refvrmirten die Union durch Versagung der Abend¬ mahlsgemeinschaft auf. Die refvrmirte Fürstin trat (1877) zum Lnther- thume über. Nach dem Tode des Fürsten Neuß j. L., Heinrich UXVlI. (gestorben ll. Juli 1867), wurde unter Abänderung der 88 10 und 20 der Verfassung der Genuß staatsbürgerlicher Rechte von dem religiösen Glaubensbekenntnisse völlig unabhängig erklärt. Das refvrmirte Lippe machte trotz der Kirchenbehörde (!) in den fünfziger Jahren einen Versuch, sich den Bauden des Rationalismus zn entwinden. Ebenso Anhalt. Im Großherzvgthnme Oldenburg, welches durch das Gesetz vom kl. April 1803 eine volle kirchliche Reorganisation erhielt, ursprünglich lutherisch, scheint die Reaetivn gegen den Rationalismus kaum dnrch- grcifen zn können. Noch immer ist der „Landeskatechismus", der unter Anderem die Lehre von der Trinität kurzweg abthnt, sowie das fade, widerchristliche „Gesangbuch" nicht abgeschafft. Auch in Braunschweig machte sich das „allgemeine Priesterthum" Z 73. Andere kleine deutsche Länder. Freie Städte. 831 mehr und mehr geltend, und wurden die Prediger eidlich nur ver¬ pflichtet, „das Wvrt Gottes aus der hl. Schrift im Geiste des Be¬ kenntnisses der evangelisch-lutherischen Kirche nach bestem Wissen und Gewissen verkünden zu wollen" - von welcher Freiheit denn auch freilich die Mehrzahl vollen Gebrauch macht. Dagegen etwa reagireude einzelne Prediger wurden vom Kirchenregimente selbst in die Schranken gewiesen. In Bückeburg wurde (1864) der Baptistenprediger E. Scheve aus Harford zu IV? Jahren Gefängnißstrafe und in die Kosten ver- urtheilt, weil er die dortige Baptistengemciude besuchte und Fuuetivuen voruahm. (!) Das Fürsteuthum Schwarzburg-Sondershausen sah sein Kirchen- regiment immer mehr laisirt — zumal durch das neue Gesetz vom Jahre lttt>5, welches das vor sieben Jahren eingesetzte „fürstliche Consistorinm" anfhvb und an seine Stelle wieder den „Kircheurath" eiuführte. Die Frcistädte Frankfurt (ehedem, nun preußisch), Bremen, Hamburg, znm großen Theile wohl auch Lübeck, können es nicht ver¬ hehlen, daß vom positiven Christenthume bei ihnen nicht viel mehr vorhanden sei. In Frankfurt, wo in der Nacht ans den 15. August 1867 der katholische Dom abbranute, gehören Ehen zwischen Juden und Christen nicht zu deu Seltenheiten; in Bremen und Hamburg bleiben mehrere Kinder ungetauft, in Hamburg seit der Aufhebung des Taufzwanges (1866) fast ein Drittel; letztgenannte Stadt übertrug das Kirchenregimcnt ganz Laienhündcn, und nahm keinen Anstand, den Leugner der Gottheit Christi, Propst Krause von Breslau, als Hanpt- pastor nach St. Nikolai zu berufen. Das neue Gesetz von 1867 über Eheschließung nnd Geburtsregister gibt die sogenannte Civilehe ganz frei. In Hamburg besucht kaum eiu Proeent mehr den Gottesdienst. Der „Verein zur Beförderung der Gewissensfreiheit" will außer Einführung der Civilstandsregister auch die Gründung völlig con- fessi v nsl o ser Schulen. Bei all' dem feierte man in Hamburg >864 in den Kirchen das Andenken an den vor tausend Jahren (5. Februar 865) gestorbenen Apostel des Nordens, den hl. Ansgarins, ersten Hamburger Erzbischof. Pastor Bulle zu Bremen durfte in einer Predigt (1867) die Dreieinigkeit „eine sinnverwirrende, der Vernunft Hohn sprechende, über¬ treibende Redeweise" nennen. 332 II. Theil. 1. Hanptstück. Der ProtestantismuZ. Den dritten Prvtestantentag zu Bremen Juni 1868 bezeichneten gläubige protestantische Blätter als einen „wahren Scandal". Die „Nene Preußische Zeitung" forderte die deutschen Städte auf, diese „Gottes¬ lästerer" nicht mehr in ihre Mauern aufzunchmen. In der Bremer Gemeinde gab es nicht weniger als acht evan¬ gelische Gesangbücher. Dieselbe ließ nun (1872) ein neues, von „halb orthodoxen, halb liberalen" Verfassern ausarbciten, welches allen Nnaneen Rechnung tragen und alle Richtungen befriedigen solle. In der That eine schwierige Aufgabe und starke Znmuthnng! 8 74. Großbritannien. „Die Extreme berühren sich" — das ist wohl auch von der angli- canischen Hvchkirche wahr. Neben der strengsten, geradezu lächerlich klein¬ lichen Svnntagsfeier, wonach den unteren Volksclassen jede Er¬ holung und Zerstreuung am Sonntage verboten wird — die fashionable Welt weiß sich schadlos zu halten — der krasseste Unglaube; neben der „Bibelgesellschaft", welche die ganze Welt mit ihren Bibeln bekehren zu können meint (im Jahre 1866 vertheilte sic 2,383.380 Bibeln; im Jahre 1876 waren es 2,682.185; seit ihrem Bestehen bis l878 sind nicht weniger als sin runder Zahl) über 82,000.000 Exemplare zur Vertheilung gekommen! und der Erfolg hievon?)') eine frivole gvttes- ') Das Nämliche kann man bezüglich der 78 Missionsgcsellschaften (im Jahre 1876) fragen, welche innerhalb der evangelischen Christenheit ans mehr als 1600 Sta¬ tionen nnd mit einem jährlichen Geldanfwande van etwa 22'/. Millionen Mark (1875 haben sich die Beiträge auf 24 Millionen Mark belaufen) an der Bekehrung der Nichtchristcii in allen Welttheilcn arbeiten. (Siehe „Die katholische Bewegung", Jahrgang X, Heft 23 und 24.) Die im Jahre 1101 unter dem Namen „8o«iot^ t'or tlio I'ropuKution ok tllo Oospol in b'oroixu I'urts" gegründete anglicanische Missionsgesellschaft hatte allein im Jahre 1875 eine Einnahme von 125.294 Pfund Sterling Ergötzlich ist die Berechnung, wie thener die Conversionen den Engländern zu stehen kommen. Tie Bekehrung eines Inden war die kostspieligste; nämlich durchschnittlich 450 Pfund Sterling. (!) Ein Türke kostete 244 Pfund Sterling. Ein Perser ist schon sehr billig; nämlich 68 Pfund Sterling !5 Schilling. So auch ein Buddhist in China oder Japan 60 Pfund Sterling. Ein irischer Katholik war um 50 Pfund Sterling zu haben. Ein Armenier gar nm blos 35 Pfund Sterling. Desgleichen ein Neger von Mittel-Afrika.') — Siehe „Augsburger Allgemeine Zei¬ tung" Nr. 325 vom Jahre 1877. Warum denn nicht nm einige Glasperlen? Z 74. Großbritannien. 333 lästerliche Literatur; neben den Lordbischvstn mit 40.000 Pfand Ster¬ ling jährlicher Rcvennen ein ans das Hungertnch vder Betteln an¬ gewiesener Seclsvrgselerns and vagirendc Reiseprediger, wie Radel iss, Mnrphy, vder Londvncr Straßcnprcdiger, >vie Spnrgevn; der „Spiritualismus" (Tischklvpferei, Nekrvmantie n. dergl.) systematisch betrieben (noch im November 1875 gab es einen Cvngreß britischer Spiritualisten in Lvndvn); des Gottcsgelehrten (!) I)r. Cumming, welcher schon einige Male den Untergang der Welt vorhersagte, Humbug; der sogenannte Revivalismus, erst 1875 wieder durch die beiden Ameri¬ kaner Mvody und Sankey in Lvndvn selbst aufgeführt, wo sie zahlreiche, freilich nur augenblickliche, Anhänger fanden; Aehnlichcs trieb der Amerikaner Robert Pear fall Smith, zumal in Oxford, u. dergl. Selbst die „Times" sahen sich zum Geständnisse genvthigt, daß ein großer Theil von Londons Bewohnern in religiöser Hinsicht verwilderter sei, als die Eingebornen von Guinea! Es gibt Tausende in London und anderen großen Städten, welche niemals eine Kirche betreten haben und noch nicht getauft sind; ja den Namen Jesu Christi gar nie ge¬ hört haben! Wie nahe läge da dem Bekehrungseifer das Feld, welches er urbar machen und bebauen könnte; statt daß „die Gesellschaft zur Verbreitung des Evangeliums in fremden Ländern" sich so ferne liegende Zielpunkte ihres Wirkens aufsncht! Er will katholischen Ländern das Licht der Aufklärung bringen, während er daheim von 100 Per¬ sonen 90 in der Finsternis; des Hcidenthnms ungestört sitzen und verkümmern läßt. In Indien wurden christliche Missionäre sogar ge¬ straft, wenn sie Heiden und Muhamedaner zu bekehren suchten. ') Während die Mormonen allerorts sonst als gar nicht mehr auf christ¬ lichem Boden stehend mit Recht angesehen wurden, hat sie ein Pvlizei- gericht (!) in Lvndvn (1859) als Protestanten (trotz ihrer Viel¬ weiberei) anerkannt, und ihnen als solchen den Schutz gegen Störung ') Warum? Weil es die dortigen Interessen Englands so erheischen; so wie cs anderwärts Missionen gründet, auch nnr seiner Handels- oder politischen Interessen wegen. „Alle Bischöfe, welche bei dem Meeting zn Cambridge, betreffend die Mission der vereinigten Universitäten in Central-Afrika, (t8'>9) sprachen, brachten die Operationen der angticanischen Kirche mit denen des englischen Handels in eine so enge und integrirendc Verbindung, daß sie es nnr zweifelhaft ließen, ob das Christenthnm cingeführt werden solle zur Belebung des Banmwollenbancs oder der Bammvollcnban zur Belebung des Christenthnms." („Augsburger Allgemeine Zeitung" Nr. 332, Beilage vom Jahre 1859.) 331 H Theil. I. Hauptstück. Der Protestmitisums. ihrer Andachtsübnngen zugesichert. Dvch in England, dem „Lande der Widerspräche" sowohl in politischer als religiöser Beziehung, darf so etwas nicht auffallen. Dasselbe England, welches z. B. in Italien Re¬ volutionen schürte und allen Empörern befreundeter Staaten ein gast¬ liches Asyl öffnet, von Bölkerfreiheit redet, behandelte die unglücklichen katholischen Irländer durch Jahrhunderte gleich Heloten und ließ nicht nur seine eigenen aufständischen Unterthanen in Indien zu Tauseudeu vou deu Knuoueu, au deren Müuduugeu sie gebunden wurden, „weg¬ blasen" — (wie schauerlich verfuhr der Gouverneur Ehre s1865s mit deu aufständischen Negern auf Jamaiea! und was geschah ihm? die Friedensrichter wiesen die Klage wider ihn ab; die Massenhinrichtnugcu der Kukas 1872 in Indien bleiben auch fortwährend ein schwarzer Fleck der englischen Justiz) — ; sondern unterdrückte sogar in „Schutz- läudern" (jonische Inseln) jeden Versuch nationaler Selbständigkeit mit Schwert und Galgen, und möchte die freiheitsliebenden Maori auf Neuseeland ganz ausrotten (1863 n. f. I.) u. s. w. Das nämliche England, welches den No Popery-Seandal sich all¬ jährlich erneuern läßt; welches, wie gesagt, mit seinen Bibeln die Welt überflnthcn möchte, unterhält in seinem eigenen Lande (zu Birmingham) eine Fabrik vou Götzenbildern für die Heiden, die da aus edlem und unedlem Metalle Götter, Halbgötter und Dämonen zu beliebiger Aus¬ wahl gegen gleich bare Bezahlung liefert! Auch die Uvauxolicml ^Ilinuoe, begründet 18-15) durch „Brüder" verschiedener Seeten in Schottland und England, mit ihren jährlichen Zusammenkünften in England, Frankreich oder Deutschland u. s. w., st richtete so wenig als möglich aus, obwohl ihr Agent, der Baronet Sir Culling E. Eardley sich damit sehr große Mühe gab. Wir übergehen die alten, noch aus den vorigen Jahrhunderten in Großbritannien bestehenden Seeten: Unitarianer (Freigemcindler), Me¬ thodisten und Andere. Der neueren Zeit verdanken ihren Ursprung: die Evangelieals, die sich gerne mit apokalyptischen und chiliastischen Träumereien befassen; die Tractarianer oder Anglokatholiken, eigentlich nur eine vor 30 Jahren in Oxford entstandene theologische Schule y Die erste Generalversammlung hatte 1855 zu Paris statt zur Zeit der dortigen Welt-Industrieausstellung; für 1856 wählte sie Glasgow, 1857 tagte sie zu Berlin, 1858 wieder zu Paris, 1861 zu Genf, 1867 zu Amsterdam, 18,0 zu New Jork, 1873 wieder hier. Z 74. Großbritannien. 335 (Pnscyiten), von denen wir wiederholt reden; die Jrvingianrr, welche übrigens, >veil noch zn viel Katholisches in sich enthaltend, ans größere Erfolge nicht rechnen können, wohl aber zahlen die Mormonen schon über 20.000 Anhänger in England. Verjüngte Quäker könnte man die „Plymouth-Brüder" oder „Darbyiten", welche Bezeichnung sie von ihren Stiftern führen, nennen. Auch sie erwarten das nahe tausendjährige Reich. Ein gar klägliches Bild kirchlicher Zerrissenheit bietet Schottland dar. (Siehe Döllinger's „Kirche und Kirchen".) Wie sehr der Unglaube und Rationalismus in der Hochkirchc um sich gegriffen habe, deckte das 1861 erschienene Buch: „kevwn'8 und Ilssn/s« (Uebersichten und Versuche) auf, welches von mehreren hoch¬ gestellten geistlichen Lehrern an den Universitäten Oxford und Cam¬ bridge herrührt. ') In diesen rationalistischen Reviews und Essays wurde unter An¬ derem die Ewigkeit der Höllenstrafen und die Inspiration der heiligen Schrift gelängnet. Das „priv/ enunoiU (königlicher Geheimrath) erklärte sich unter Mitwirkung der anglicanischen Erzbischöfe von Canterbury, Uork, Armagh und des Bischofes von London dafür. Cardinal N. W i se¬ in an beleuchtete dies Gebühren in einem herrlichen Hirtenbriefe (1864). Man wundere sich über derlei Erscheinungen nicht. Im Jahre 1876 entschied in einem speeiellen Falle der höchste geistliche Appellhvf, daß man der Hochkirche noch angchören könne, auch ohne an die Existenz des Teufels zu glauben. (Wenn kein Teufel, wozu dann ein Erlöser ans seiner Macht — im bisherigen christlichen Sinne?) Der anglieanische Priester Georg Gorham offenbarte über die Taufe rationalistische Ansichten,, weshalb sich zwischen ihm und dein Bischöfe von Exeter eine Cvutroverse entspann. Die Regierung verlieh ihm nichtsdestoweniger die Pfarre Brampfvrd - Speke. — Aehnlich mit D a n i s v n gegenüber dem Erzbischof von Canterbury. Einen noch ärgeren Scandal verursachte der anglieanische Bischof von Natal iu Südafrika, Or. John William Coleusv. Seiner ratio¬ nalistischen Auslegung des Pentateuch wegen in: ZI?lw UautatLnab and y Am 16. Mürz 1861 starb die Herzogin von Kent, Matter der Königin. Daß sie vor ihrem Tode zur katholischen Kirche znrückgekehrt, ist nicht ganz gewiß. Am 14. December 1861 verlor die Königin ihren Gemahl, den Prinz- Regenten Albert von Sachsen-Coburg (vermählt seit 1840). Sein Tod hat aus die kirchlichen Verhältnisse gar keine Nachwirkung aasgenbt. 336 II. Theil. I. Hnuptstück. Der Protestantismus. liook ok ckosiian" aritiaall/ axuminock" ') wurde cr vom Bischöfe der Capstadt, I)r. Robert Gray, als Metropolitan, wofür diesen Co len so nicht anerkannte, seines Amtes entsetzt (1864) nnd 1866 förmlich exeommunieirt; mit Hilfe der Regierungsorgane erzwang er sich aber demnngcachtet (1866) den Eingang in seine Kathedrale zu Pintermaritz- burg. Der „Geheime Rath" zn London, an den Co len so appellirte, hatte nänilich bereits 1865 zu seinen Gunsten entschieden, und dem Bischöfe der Capstadt jede Jurisdietion über ihn abgesprvchen. Die „geist¬ liche Convoeation" (das geistliche Parlament) hinwider erkannte ent¬ gegen dieser Entscheidung des „priv/ oonncnU dem Bischöfe der Cap¬ stadt das Recht zn. Nicht so unbeugsam wie Co len so war der neue Bischof von Exeter, Frederick Temp le. Er widerrief 1870 seine früheren, als „Essayist" gehegten Ansichten. Eine namhafte Anzahl von Gelehrten (210), darunter Sir H. E. R a w li n s o n, veröffentlichten eine Erklärung (1864), worin sie „ihr aufrichtiges Bedauern darüber anssprachen, daß die Forschung nach wissenschaftlicher Wahrheit heutzutage von Manchem dazu mißbraucht wird, die Wahrheit und Echtheit der heiligen Schrift anzuzweifeln. Wir, die unterzeichneten Jünger der Naturwissenschaften, denken, daß das im Buche der Natur geschriebene Wort Gottes nnd Gottes Wort, wie es in der heiligen Schrift enthalten ist, wie sehr sie von einander ab¬ weichen mögen, doch unmöglich einander widersprechen können" u. s. w. Sir John H e r s h el und John Bvw r i n g , anch um ihre Unter¬ schrift angegangen, lehnten sie in höflicher Weise ab; Ersterer unter Verwahrung dagegen, „daß seine Weigerung etwa als ein Bekenntnis) des Atheismus oder Unglaubens gedeutet werde". ?) ') Bischof Cole »so protestirte zwar (1864) gegen die „Verlenmduug", als leugnete er die Inspiration der Bibel, fügte aber zugleich bei: „Doch glaube ich nicht, daß jede thatfächliche Angabe der Bibel in der Weise inspirirt wird, daß sie unfehlbar wahr sei» müßte". (Was ist dies für eine Inspiration?, y Sir John Hcrshel, Sohn des gleichfalls berühmten Astronomen Sir Frederick Hcrshel, Ivar in Slough bei Windsor geboren; gestorben 187l. Es gibt manche Vereine in England zur Wahrung und Verbreitung des christlichen Glaubens, so z. B. die „Gesellschaft zur Verbreitung christlichen Wissens", den „Verein für Darlegung christlicher Beweise" — auch gibt es eine „Gesellschaft für christliche Traetütlein", die oft in sehr ausdringlicher Weise ihre Thätigkcit mauifestirt. A 74. Großbritannien. 337 Die l865 im Parlament abermals eingebrachte „Oxt'orä 'l'ost Abolition Ilill« beantragte die Abschaffung gewisser, an jener Univer¬ sität nvch geforderten (protestantischen) anglieanischen Glanbeuseide; die¬ selbe wurde aber wieder vom Oberhause verworfen. Ueberhaupt zeigte sich der zelvtische Anglicanismus einiger Stimmführer zeitlveise sehr in¬ tolerant, zumal gegen die Katholiken. Warnte er ja z. B. in einem Wahlmanifeste (1865), keinen Candidaten zu unterstützen, der nicht ver¬ spreche : „eine Bill zu vertheidigen für die gesetzliche Inspektion römischer Klöster und für Befreiung aller Individuen, die dvrt ein gesperrt sind (sie!) und herauszukvmmen wünschen;" ferner: „sich der Dotation katholischer Schulen, sowie der Bewilligung königlicher Freibriefe zu Gunsten katholischer Universitäten zu widersetzen und bei jeder sich dar¬ bietenden Gelegenheit für die Entziehung der Geldeoneessivn an das Seminar von Maynvvth zu stimmen;" insgleichen: „sich jeder Bewil¬ ligung von Besoldung, von Befugnissen oder Privilegien zum Vortheil der katholischen Priester zu widersetzen" n. dergl. Alles hinderte jedoch nicht die immer weitere Ausbreitung des Katholieismns, insbesondere auch unter den höheren und gebildeten Ständen. Aber, gewöhnlich als Brücke zu demselben, zumal unter den anglieanischen Geistlichen, griff auch der Pnseyismus und Nitualismns immer mehr um sich. Der Letztere, nut seiner Nachahmung katholischer Ceremvnien, Kirchenkleidnngen, Bilder n. dergl. forderte, freilich hie und da etwas unklug, den Zorn der Hvchkirchlichen gegen sich heraus nud veranlaßte einzelne Auftritte in Kirchen u. s. w. Sogar (anglieanische) Mönchs- und Nonnenklöster entstanden zum großen Aerger der No Pvpery-Partei. Im Jahre 1867 unterfertigten 209 Geistliche der anglieanischen Kirche an den Erzbischof von Canterbury eine Petition, worin „die Erz¬ bischöfe und Bischöfe gebeten werden, ihren Rath in Betreff der Regeln für ein religiöses Zusammenleben von Männern zn geben". — Zn den eifrigsten Gegnern des Liberalismus gehört Lord Shaftesbnry, das Haupt der sogenannten Lvw-Church-Party und Lenker der philan¬ thropischen und kirchlichen Bestrebungen von Exeter-Hall. Im September 1867 tagte zu London im Palast von Cambeth des Erzbischofes von Canterbury eine sogenannte Pananglieanische Sy¬ node (I?ai>-.1 n Zin->8vno) Wider I)r. Newman's Entgegnung veröffentlichte ein Pamphlet der be¬ rüchtigte Apostat Gavazzi, ehemaliger Capuzincr. 344 II. Thcil. Hauptstück. Der Protestantismus. „Vaticanischcn Decrete" und „Die Reden des Papstes" in einem Bande zusammen. Noch heftiger griff Gladstone das Papstthnm in einem neuer¬ lichen Artikel an mit der Aufschrift: „Itul/unä Iier 6burob" (Italien und seine Kirche). Cavour's „Freie Kirche im freien Staate" be¬ zeichnet er darin als ein radical verfehltes Princip. Welches ist also sein Ideal? Knechtung des Papstthums, der katholischen Kirche! In seiner Abhandlung: „Rim Ooursos ok Ucüig'imm Tbouxiit" (Religionsanschauungen) sondert Gladstone die religiösen Richtungen innerhalb des Christcnthums in fünf Gruppen. Dabei opponirte er der Gesetzesvorlage, daß die „Dissenter" auf den Friedhöfen der Staats¬ kirche ihre Todteu nach eigenem Ritus sollen begraben dürfen. Die Regierung zog die „Beerdigungs-Bill" zurück. Gegen das Papstthum und das vaticanische Concil veröffentlichte William Arthnr — wahrscheinlich ein presbyterianischer Geistlicher im Jahre 1877 — im Geiste Glndstone's das zweibändige Buch: „Riuz Uopo, tlio Ivin«-« iwcl tlw kooplo, a Uistorv ok tlio Novo- inont to innirs tlio Uopo Oovornor ok tlw Yorick n univorsul Uoooustrnotiou ok 8ooiet)' krom tbo issuo ok tlio 8vIIul)N8 to tbo 6Io8o ok tl>e Vntie.nn voueil". (Papst, Könige und Volk, eine Ge¬ schichte der Bestrebung, den Papst durch eine allgemeine Reconstruction der Gesellschaft zum Herrn der Welt zu machen, (!) vom Erlaß des Syllabus bis zum Ende des vaticanischen Coucils.) Lärmender als sonst war im Jahre 1874 der Guy-Fawkes-Tag (5. November) in London und anderwärts verlaufen. Nicht blos die katholische Hierarchie, auch die Ritualisteu dienten dem Pöbel zur Be¬ lustigung. Unter dem Vorsitze des Grafen von G a lloway tagte abermals eine autivaticanische Versammlung zu Glasgow (5. Octvber 1875). Sie erklärte unter Anderem das Papstthum als „das vollendetste System der Tyrannei". Gladstone versicherte sie schriftlich seiner Zustimmung. Auch auf der Versammlung der sogenannten „Oon^roMtionnI Union ok LnFlnnä nml IVnlos", eines Bundes von Dissidenten, sagte (13. October) ein Redner — Or. Thompson aus Berlin — man solle fest zusammenhalten gegen den „Vaticanismns" und ihm seinen rechten Platz in der Unterordnung unter den Staat zeigen. (!) Wieder machten jüngst die „Ritualisteu" mehr von sich reden. Die Z 75. Frankreich. 345 „Gesellschaft vvm hl. Kreuz" patronisirt sogar offen die Ohrenbeicht. — Wie ehedem die sogenannte „Repeal"-Agitation, so strebt jetzt die „Home-Rule"-Assvciativn, ein eigenes Parlament für Irland an. Das Unterhaus verwarf aber den diesbezüglichen Antrag Bntt's am 2. Jul! 1874 mit 458 gegen 61 Stimmen. Unter den „Hvme-Rnler's" selbst sind in neuester Zeit Differenzen entstanden. K 7o. Frankreich. Hier zahlen die Reformirten beinahe noch einmal so viel Anhänger (nach Einigen gegen 500.000) als die Lutheraner (bei 270.000). ') Laien wie Prediger, welche an einer der drei theologischen Schulen zu Genf, Straßburg oder Montauban (reformirten Bekenntnisses) gebildet werden, zerfallen in Gläubige und in die größere Schaar der Ungläu¬ bigen, Rationalisten oder Indifferenten. Dieser trostlose Zustand bewog nm 1858 mehrere Prediger und Laien, aus der Staatskirche auszu- scheidcn, und eine „freie evangelische Kirche" Frankreichs zu errichten, deren einzelne (noch kleine) Gemeinden eine „Union" bilden. Aber auch sic hält kein gemeinschaftliches positives Bekenntnis; zusammen. Wie anderwärts, wird auch in Frankreich die „evangelische" Kirche mehr und mehr vvm Geiste der Negation zersetzt. '-) In der Pariser Osterconferenz (1805) sagten sich 53 Mitglieder feierlich vvm Glauben an die facti schc Auferstehung Jesu Christi los mit der Erklärung, daß sie den genügenden Beweis der Wahrheit der Religion in der „Uebereinstimmnng des Wortes Christi mit den Prineipien und Grund¬ sätzen des menschlichen Geistes"-finden. Den Suffraganpastor zu Paris, Nthanase Coqnercl,stm. (ge¬ storben 26. Juli 1875), Sohn des nicht minder beanständeten Pastors Martin C o q n e rel, entsetzte der Protestantische Presbyterialrath seines Predigcramtes ausdrücklich wegen seiner Unorthodvxic. (?) Zu seinen ') Die Zahleuangabc variirt sehr. Das Maximian lautet sogar: Eine Million Lutheraner, meist im Elsaß, und gegen drei Millionen Reformirte, meist im süd¬ lichen Frankreich. -) An der protestantisch-theologischen Facnltat zn Straßburg erhielt (1864) ein bekannter Rationalist, Pastor Collani, den Lehrstuhl der geistliche» Beredsam¬ keit. — Lcblois, der ebendaselbst offen die Gottheit Christi leugnete, wurde dem- nngeachtet Präsident des Consistoriums. (!) 346 II. Theil. 1. Hauptstück. Der Protestantismus. Gegnern zählte insbesondere der positiv-christliche Gnizot, ehemaliger Minister .Königs Ludwig Philipp I. Das Gleiche sollte seinem Nachfolger Martin Pasch vnd wider¬ fahren; doch wollte der Cnltnsminister Baroche dessen Absetzung nicht zugeben, obwohl er in jene Coqnerel's willigte. Man sand es in Paris für das beste, sich förmlich in eine „liberale" und „orthodoxe" Kirche zu scheiden; denn in der Pariser-Conferenz er¬ klärten 177 Stimmen, daß sie „als Grundlage ihrer Berathungen die Anetorität der hl. Schriften in Glaubenssachen und die apostolischen Symbole als Abriß der in der hl. Schrift erzählten Wunder aner¬ kennen", welche Erklärung aber 36 Pastoren zurückwieseu und aus der Conferenz austraten. Eine Conferenz von 60 bis 70 Pastoren in Valence hatte be¬ schlossen (1866), daß künftig Niemand mehr zu den kirchlichen Wahlen zugelassen werden solle, der nicht zuvor das apostolische Symbolum und die Anetorität der hl. Schrift als bindend anerkannt habe. Das Consistorinm von Ccwn nahm diese Beschlüsse an. Darob wieder Conflict und Spaltung. Die Cvnsistvrien von Nimes und Lyon protc- stirten gegen diese Vorgänge. Nicht mit Unrecht fand der katholische „Monde" den Protest der Liberalen gegen solche mit dem Principe des Protestantismus im offenbaren Widerspruche stehenden Beschlüsse gauz logisch; weiters aber wurde durch derlei Vorgänge die Anschauung nothwendigerweise be¬ stärkt, daß der Protestantismus nur ein Uebergang zur Beseitigung des positiven Christenthumes überhaupt sei. Freilich wohl, um die Menge über die eigentliche Endtendenz noch im Unklaren zu lassen, wollen wie anderwärts, so auch in Frankreich, die liberalen Protestanten, wenn sic auch alles Positive Christcnthnm schon vollkommen abgestreift haben, auf den Namen „Christen" noch immer nicht ver¬ zichten. „Alan kann Christ bleiben," sagt der freisinnige Philosoph Bacher ot, „ohne an das Dogma und an die evangelische Geschichte zu glauben". Wer sieht es nicht ein, daß hierin alle Jene, die so denken oder reden, entweder den gesunden Menschenverstand oder die ehrliche Aufrichtigkeit verleugnen'? Eine strengere Haltung beobachtete im Ganzen das Lutherthum des Elsasses. Auch die pietistische Richtung ist daselbst thcilweise vertreten. Am 6. Juni 1872 wurde zu Paris die dreißigste Synode dex Z 75. Frankreich. 347 reformirten Kirche Frankreichs eröffnet. Sie bestand ans 107 Mit¬ gliedern: 49 Pastoren nnd 58 Laien. — Bei der Präsidentenwahl siegten die sogenannten Orthodoxen gegen die Liberalen mit 55 gegen 45 Stimmen. Als das apostolische Symbolum zur Sprache kam, erklärten die Liberalen sich für das „unbedingte Recht eines jeden Pastors, jedes Nettesten und jedes Gläubigen, für seine Person dem Symbolum beizutreten, welches ihm das richtige scheint". Dabei aber wollten sie doch von einer Spaltung nichts wissen nnd fortan „nur eine Glau¬ bensgesellschaft mit ihren reformirten Brüdern, und wenn möglich, auch mit jenen der Augsburgischen Confession bilden". Nach Ablehnung aller liberalen Amendements wurde am 21. Juni nut 61 gegen 45 Stimmen eine orthodox lautende Glanbensdcclaration angenommen, lautend auf die „souveräne Auctorität der hl. Schrift in Glaubenssachen nnd das Heil durch deu Glauben an Jesum Christum, den einzigen Sohn Gottes, der für unsere Sünden gestorben nnd für unsere Rechtfertigung anferstanden ist". Unter Berufung auf seine 84 Lebensjahre trat Guizot ans der Synvde ans. In der Plenarversammlung vvm 15. November 1873 gab der Staatsrath sein Gutachten dahin ab, daß er die Gcneralsynvdc der reformirten Kirche als gesetzlich anerkenne. Demnach hatten dermalen in dem durch 60 Jahre geführten Kampfe die sogenannten Orthodoxen den Sieg davon getragen. Obige Entscheidung des Staatsrathcs wurde in der Session äcio. 20. November der Gcneralsynode verkündet. Auf den 23. Juli berief dis-Regierung nun auch die erste luthe- r i s ch e Synode nach Paris ein. Es galt, zwei Richtungen mit einander auszugleichen: die mehr liberale Mümpelgardcr - Inspektion mit der orthodoxen Pariser-Inspektion. Der Erklärung der Synode, daß sie „die hl. Schrift als souveräne Auctorität in Glaubenssachen anerkennt und die Augsburgische Confession als Grundlage der gesetzlichen Con¬ stitution der Kirche aufrecht hält", stimmten auch die Mümpelgarden zu. Dafür nahmen die Pariser den Mümpelgarder Verfassuugsentwurf an. Der Schluß der Synode erfolgte am 29. Juli. Wider die erwähnten Beschlüsse begannen nun Seitens freisinniger Protestanten mannigfache Agitationen. Am 26. nnd 27. April 1874 wurden in der reformirten Kirche 348 II. Theil. I. Hauptstück. Dcr Protestantismus. zu Puris die ausgeschriebenen sechs Presbyteriallvahlen nach den vvn der vorjährigen Synode ausgestellten nnd von dem Staatsrathe in Folge der Bemühungen Gnizot's genehmigten Wahlbedingungeu vollzogen. Den Wählern lag ein sogenanntes orthodoxes Glaubensbekenntnis; als Richtschnur vor. — Die liberalen Candidaten fielen sämmtlich durch. Laute Proteste der Liberalen gegen die sogenannte Vergewaltigung der reformirten Kirche Frankreichs waren die unmittelbare Folge. Insbe¬ sondere forderte dazu die unter der Leitung der Brüder Athanase und Etienne Coqucrel stehende „Renaissance" auf. Der Cnltnsministcr clo Oumou t stieß demnngeachtet mit der Verfügung llllo. 7. October die in Nimes vollzogenen liberalen Con- sistvrialwahlen um. llntcrm 18. October schrieb Athanasius Coqucrel, daß die liberalen Reformirten nur ihrem Gewissen, nicht aber dem Cultusminister 873 stattfinden sollen, was die Liberalen sehr übel nahmen. Zuerst remonstrirte dawider das Consistorinm von Havre in einem Schreiben an den Cultusminister Märtel. Am 13. September 1874, mitten in diesem Gezänke, war Gnizot (lA-unyois Oiorrs Onillauina) auf seinem Landgntc Val Richer bei Paris gestorben. Er war am 4. October >787 zu Nimes geboren als der Sohn eines 1794 gnillotinirten Advocaten. A 78. Italic». 349 Außer seinen vielen Schriften politischen und historischen Inhaltes erwähnen wir: „Do in rvli^ioii llai>8 Ie8 8voivtÖ8 inockornW" ; „Nolli- tntion8 et LtnD, worin er für die weltliche Herrschaft des Papstes plaidirt. Das Deerct des Präsidenten der Republik ckcko. 27. März >877 verlegte die vvr dein deutsch-französischen Kriege zu Straßburg bestan¬ dene gemischte, d. i. lntherisch-refvrmirte Faeultüt der protestantischen Theolvgie nach Paris. 8 70. Italien. Wie scholl früher gelegenheitlich bemerkt wurde, konnte der Prote¬ stantismus in Italien auch nach den neuesten dortigen Umwälzungen nicht recht Wurzel fassen. So auch nicht in Rom selbst nach der Oeen- pation vom 20. September 1870, trotz aller Anstrengungen. Wohl griff daselbst die Irreligiosität und Corruption in erschreckender Weise nm sich; aber der eigentliche Kern der Bevölkerung bot keinen Boden dar für kirchliche Neuerungen. Auch was von dein Auf¬ blühen der Waldenser Gemeinde in Rom verlautete, war übertrieben. Zunächst war englisches Geld dabei mit im Spiele. Für die Waldenser und Methodisten wird der Italiener wohl am wenigsten ein Verständnis; haben. Zwar frohlockte die „Gazetta d'Jtalia" im April 1873, daß, wäh¬ rend vvr dem 20. September 1870 die Evangelischen in Rom nur zwei Kirchen besaßen und auch diese außerhalb der Maueru, sie nuu bereu achtzehn, worunter zwei im Bane begriffene, besitzen; ferner sieben Vor¬ mittags- und Abendschulen für Knaben und Mädchen, abgesehen von den Sonntagsschulen in den Kirchen u. s. w., aber — dies ist das Urtheil Jener, die die Römer kennen — bleibende Erfolge und zwar unter den Einheimischen, werden sie in Rom doch nie erzielen. Noch im Jänner >875) muß ein Korrespondent der „Augsburger Allgemeinen Zeitung" aus Rom (Nr. 35) den Ausspruch thun: „Ohne die amerikanischen Dollars und die englischen Pfunde stünde es um die evangelische Propaganda in Italien schlecht." Welches Wirrwarr namentlich in Rom Platz greift, erhellt auch ans Folgendem: Im Jahre 1875 eröffneten die Freimaurer ihren „Tempel" (März), daneben gibt es Methodisten, Waldenser, Baptisten, 350 II. Theil. 1. Hauptstück. Der Protestantismus. Aitglicaner u. s. w. Dazu macht ein Correspondent aus Rom die Be¬ merkung: „Bei all dem begreift man weder die Nvthwendigkeit solcher Stiftungen von Gemeinden ohne Gemeindemitglieder, noch die Zweckmäßigkeit, dem katholischen Rom auf diese Weise die grenzenlose Zersplitterung des Protestantismus zu exemplific iren". «dir. 83. Beilage der „Augsb. Allg. Zeitung".) Sogar in die Casernen in Rom schlichen sich Protestantische „Glau- bensbvten" mit ihren Bibeln und Tractätlein ein, mit welchen die Sol¬ daten sodann — Handel trieben. Der Oberst eines Regimentes sagte die Zeloten (Februar 1876) sammt und sonders zum Casernthvr hinaus. („Augsb. Allg. Ztg. Nr. 63.) 8 77. Spanien. So wenig wie Italien, war und ist Spanien ein Boden für den Protestantismus. Der Versuche, ihn dort einznbürgern, haben nur schon gedacht. Der Artikel XXI der neuen Verfassung vom Jahre 1869 er- muthigte solche wieder. Die heimgekehrten exilirten Bekenner des „reinen Evangeliums" waren selbstverständlich seine eifrigsten Sendboten, als: Rn et, Ckir¬ r'asco, Cabrera und Andere. Fremde schlossen sich ihnen an. Im April (11. bis 12.) 1871 tagte die erste evangelische Synode Spaniens in Madrid; die zweite 3. bis 14. April 1872. Die Zahl der Prote¬ stanten in Spanien wird ans beiläufig 10.000 angegeben, eine wahr¬ scheinlich viel zu hoch gegriffene Zahl. Vom 10. bis 27. Juni 1873 tagte in Madrid wieder die, gemäß der Statuten alljährlich zusammcntretende, „evangelische Generalsynode". Ihre Aufgabe war zunächst die Festsetzung der neuen Verfassung. Ueber die Katechismusfrage konnte man sich schon früher nicht einigen. Der ealvinische Entwurf schien den Meisten zu einseitig und orthodox. Nicht besser wird es in den Debatten über die Verfassung gehen. Gegen die Fremden, die Vertreter der ausländischen Missivns- sellschaften, bildete sich auf der Synode eine erfolgreiche Opposition der nationalen Mehrheit. Die beiden protestantischen Blätter: „I.u In/." nnd „lur bunlloru cko In i'öt'orm" wurden zumeist mit fremdem Gelde in's Dasein gerufen. Weil, wie bereits gemeldet, ein Decret der Regierung Königs A l- fonso XII. vom 9. Februar 1875 das Civilehe-Gesetz vom 18. Juni Z 78. Niederlande (Holland) nnd Belgien. 351 1870 wieder grundsätzlich anfhob, so haben, wohl auf Anlangen der protestantischen Geistlichen Spaniens (UI), meist frühere katholische Priester und Mönche, mittlerweile civilehelich beweibt; bino illrro In- or^mao!) die Vertreter Deutschlands, Englands, Nvrd-Amerika's, der Niederlande, Schwedens, Norwegens, Dänemarks und der Schweiz in Madrid eine Eingabe Rio. 15. Februar gerichtet um Schutz der be¬ drohten Religionsfreiheit, reete der gefährdeten Ehehälften der ehemaligen Priester und Mönche, über zwölf, wie es in der Schrift selbst heißt?) 8 78. Niederlande (Holland) nnd Neigten. Etwa die Hälfte der Bevölkerung Hollands gehört der reformirten Kirche an; Lutheraner zählt man gegen 600.000, Mennvniten gegen 38.000, Nemvnstranten 5000, Separatisten über 40.000. Durch die neue Verfassung vom Jahre 1852 erhielt die reformirte Kirche die größte Freiheit und Selbständigkeit. Der größte Theil der in drei oder vier Parteien gespaltenen Geist¬ lichkeit huldiget dem Rationalismus, als: die Grvningcr und zumal die Leydener Schule. Eine mehr positive Richtung herrscht in jener von Utrecht. Was noch nirgends sonst geschehen, selbst die Generalsynvde von 1854 gab den Geistlichen Abweichungen von den symbolischen Schriften völlig frei, weshalb denn aber auch jeder einzelne Pastor lehrt, wie es ihm eben beliebt. Der Führer der sogenannten christlich historischen Partei, Wilhelm Grven van Priusterer (geboren 1811; gestorben 20. Mai 1876), Begründer der sogenannten „antirevolutionären" Partei, entwirft von dieser evangelischen (?) Freiheit ein gar düsteres Bild, wenn er es be¬ klagt, wie z. B. der Prediger Z a a l b e rg ohne Scheue die sogenannten Fundame n ta lle h r e u des Christenthnms öffentlich leugnen darf. Bei der Evangelieal-Alliance-Conferenz in London 1856 sagte der holländische Prediger eia Ui viel 6, daß von 1500 Predigern in Hol¬ land kaum 100 die evangelische Wahrheit vortragen. Die übrigen 1400 Predigen Lehren, „welche mit Rationalismus und Unitarismns verknüpft seien". ') Wo hat sich denn für die fast zu Tod gepeitschten nnd so in die „orthodoxe" Kirche Rußlands hineingeknntteten katholischen Unirtcn in Polen eine diplomatische oder liberale Feder gerührt? 352 II. Theil. I. Hauptstück. Der Protestantismus. Da ist freilich ein fruchtbarer Baden auch für das Freimaurcr- thnin. Im November 1866 feierten die „Brüder" in Amsterdam mit großem Gepränge den 50. Jahrestag der Ernennung des königlichen Prinzen Friedrich als Nationalgroßmeister des Freimaurerordens in Holland. Eine dem Prinzen verehrte, Statuette stellte die „Wahrheit vor die Lüge zertretend". (!) Im December 1872 starb der renommirte holländische Kirchen¬ historiker Jansonins. — Die Universität Lehden feierte im Februar 1875 ihr dreihnndertjühriges Jubiläum. Mit der vom Staate unterhaltenen Protestantischen Landeskirche in Belgien steht die Looivtü evangüliguo in keiner nothwen- digen organischen Verbindung. Ihr, übrigens nicht bedeutender Erfolg, machte sich hauptsächlich in den wallonischen Gebieten, weniger auf vlämischem Boden bemerkbar. § 79. Schweiz. Schlimmer fast noch als in andern Ländern sieht es in der Schweiz mit dem Protestantismus ans. Zwei Uebel zehren hier mehr als sonstwo an ihm: der Radicalismns des Volkes, noch mehr aber seiner Stimm¬ führer, und der Unglaube vieler seiner Prediger, die meist ans den rationalistischen theologischen Facultäteu in Zürich und Bern ihre Bildung erhalten. 22 Geistliche der Genfer Nationalkirche legten (1861) förmlich Verwahrung ein gegen das vom evangelischen Bunde advptirte Trinitäts- dogma vom Standpunkte der freien Bibelauslegung. 9 Nur au feuer zu Basel wird noch positive, christliche Theologie gelehrt; von dort gehen auch die Protestantischen Missionäre und die Traetätlein ans, welche man mitunter auch unter katholische Bevölkerungen ein- zuschmnggeln versucht. Auf der Züricher Synode vom 17. November 1858 war es zu einem lebhaften Streit zwischen den specnlativen Rationalisten und den biblisch Gläubigen gekommen. Als (1865) doch noch 78 Geistliche der Züricher Landeskirche den Muth und den Glaubei: hatten, ihrem Amtsbruder Salomon Vö g cli, y Ehrenhaftes Andenken erwarb sich als Volks- und Jngendschriststellcr — ähnlicher Tendenz, Ivie der katholische Christof von Schmid — Jeremias Gott- Helf (raeta Zitzius, geboren 1797 zn Mnrten), Pastor zu Lühelflüh in Emmen¬ thal, Cantan Bern; gestorben 22. Octobcr 1854. 8 79. Schweiz. 353 Pfarrer zu Uster, vorzuhalten, „daß er mit einer geflissentlich hervvr- gestellten Absicht das Ansehen der hü Schrift, wie es auch bei freieren Schriftstellern noch gelte, und die Ehrfurcht des Volkes vor den heiligen Urkunden der Heilsvffenbarnng untergrabe"; da nannte man diese Erklärung die „Encyklika Nr. 2", und die sämmt- lichcn Gemeindebehörden von Uster verwahrten sich feierlichst, unter Aus¬ stellung eines Zufriedenheits-Zeugnisses für ihren Pfarrer, gegen diesen Eingriff „in die Freiheit und Unantastbarkeit ihres Ge¬ mein belebens". Aehnlich verwarf der Religivnslehrer im Schullehrer-Seminar zu München-Buchsen die Autorität der Bibel. — Pastor Heinrich Lang zu Zürich schrieb ein „Leben Jesu" a la Strauß. Darin sagt er, „daß unsere Evangelien vielmehr freie, der Phantasie entsprungene Schöpfungen, als nüchterne geschichtliche Darstellungen enthalten". Dieser Nämliche gab auch „Religiöses?) Reden, gehalten im St. Peter zu Zürich von 1871 bis Mitte 1874" heraus, in welchen er gleichfalls die Evangelien als bloße Legenden behandelt. Im Jahre 1875 sagte H. Lang in einer zu Bremen gehaltenen Rede es geradezu heraus, daß der liberale Protestantismus nicht blos mit Christus und der hl. Dreifaltigkeit, sondern auch mit „dem außer¬ weltlichen Gott der alten Dogmatik" aufränmen müsse. Er starb am 13. Jänner 1876. Im gleichen Geiste verfaßte der theologische Professor zu Zürich I)r. Theodor Keim eine „Geschichte Jesu". Die Berner „Reform" wirkt als das Organ der äußersten theo¬ logischen Linken in der Schweiz — so recht darauf berechnet, den seichten religiösen Liberalismus unter die Massen zu bringen. Der dortige a. o. Professor Ernst Friedrich Langhaus schrieb: „Das Christenthum und seine Mission im Lichte der Weltgeschichte". Ihm ist die Religion Gvtteslcngnung! Der am 11. Juni 1870 von 132 Delegirten ans den deutschen und französischen Cantvnen der Schweiz zu Olten gegründete „Schwei¬ zerische Verein für freies Christenthum" („Union müsse üu obristin- nisrno libro") machte sich geradezu die Abschaffung des positiven Christenthnms zur Aufgabe. Auf der Versammlung der Berner und Neuenburger Reformatoren zu Biel am 9. December 1870 sagte es unter Anderem der Pastor der freien Gemeinde in Neuenburg rund Stepischncgg, Papst Pius IX. und seine Zeit. II. Bd. ZA 354 II. Theil. I. Hauptstück. Der Protestantismus. heraus, daß die Geistlichen und der Gottesdienst abgeschafft werden müssen. Im Mai 1864 (Hanpttag 29.) hatten die Anhänger Calvin's seine dritte Säenlarfeicr zu Genf begangen. Daß das Volk als solches auch in der Schweiz noch cvnser- vativer dachte als seine Stimmführer, zeigte >872 die Verwerfnng des neuen Schulgesetzes im Cauton Zürich mit beiläufig 43.000 gegen 13.000 Stimmen. Anläßlich der Jahresversammlung des schweizerischen kirchlichen Rc- fornwcreines am 23. Oetober 1872 zu Bern geriet!) derselbe in Confliet mit dem orthodoxen (?) Vorstände der dortigen Münstergemeinde. Dieser versagte ihm die Münsterkirche zur Abhaltung der Festfeier, weil er nicht auf dem positiven Boden des Christenthums stehe. Der „Refornwerein" schrie gewaltig über Intoleranz und ergriff sogar Recurs an die Berner Regierung. Der Berner Gemeinderath eassirte mit acht gegen sieben Stimmen den Beschluß des Vorstandes der Münsterkirche. Die Synode im Thurgau schaffte (1874) das apostolische Glaubens- bekenntniß ab und beschloß die Annahme einer dem entsprechenden Li¬ turgie mit 43 gegen 40 Stimmen. Dian liebt es, katholische Missionäre in fremden Welttheilen als Pioniere europäischer Mächte, zumal der Franzosen, zu verdächtigen. — Nun! die Baseler Missionsgcsellschaft leistete den Engländern im Kriege gegen die Aschantis an der Goldküste von West-Afrika (1873 und 1874) nicht nur durch Lieferungen aller Art wesentliche Dienste, sondern unterstützte sie sogar durch zehn Compagnien zum Christeuthume bekehrter schwarzer Soldaten. Vom 28. bis 30. September 1876 tagte in Genf zum ersten Mal der internationale Congreß für „Heilighaltung des Sonntages", be¬ stimmt, „die Achtung und Beobachtung des Sonntages nach den bib¬ lischen Grundsätzen wieder zu erwecken und zu ermuthigen". — Gewiß ein an sich lobenswerthes Unternehmen. tz 80. Dänemark. Das neue Staatsgrundgesetz vom Jahre 1849 erklärte die luthe¬ rische Kirche zur „dänischen Volkskirche", sie heißt also nicht mehr „Staatskirche") hob aber doch anderseits den confessioncllen Charakter ß 80. Dänemark. 355 des Staates auf, indem es volle Bekenntnißfreiheit gewährte. Das Gesetz vom 17. März 1857 hat sogar die obligate Taufe von Kindern christlicher Eltern aufgehoben und stellte es diesen frei, ihre Kinder taufen zu lassen oder nicht; doch hören diese, auch wenn nicht getauft, sonderbar genug, nicht auf, Angehörige der „Volkskirche" zu sein. Die dänische Geistlichkeit ist in zwei Lager gespalten. Die ungleich größere Zahl ist rationalistisch gesinnt — ihr Lehrer nnd Führer Ivar Professor C l a n s e n — ihnen gegenüber stehen die Anhänger des Pa¬ stors, dann Bischofs, Nikolai Frederik Severin Grundtwig (geboren 1783, Sohn eines dänischen Predigers, gestorben 2. September 1872), welcher den Kampf gegen den Rationalismus mit anerkennenswertstem Muthe anfnahm, ohne übrigens auf streng lutherischem Boden zu stehen. Seine Partei strebt eine Art Trennung der Kirche vom Staate an. Während die übrigen Pastoren und Professoren alles Uebcrnatürliche aus dem Christeuthume hinausdociren, will Gruudtwig, der auf die Tradition großes Gewicht legt, die Giltigkeit der Sacramentc von der persönlichen Würdigkeit des Ansspendcrs abhängig machen. Einen sehr scharfen Kritiker hatte die dänische Kirche an Or. Sö¬ ren Kierkegaard (Kirchhof) — gestorben 11. November 1855 — weil er sich in seinem Enthusiasmus für die „erhabene Idee" des wahren Christenthnms von dem „offieiellen" Christenthnme nb- gestossen fühlte. Doch wo wollte er das wahre finden außerhalb der Kirche? — Der arme Mann ward zum griesgrämigen Sonderling! Daß sich die Laien dem Christenthnme mehr und mehr ent¬ fremdeten, versteht sich von selbst. Die Masse des Volkes huldigt darin einer gewissen kühlen Mittelmäßigkeit" (!). Einzelne meinten ihr Heil in meist von Laienpredigern gestifteten Conventikeln zu wirken. — Auch iu Dänemark fielen Viele dem Mormonenthum anheim. Uebrigens darf man sich über den Religions-Jndifferentismus des Volkes nicht so sehr wundern, weil es z. B. sah, daß die Prinzessin Dagmar, des Königs Tochter, als Brant des russischen Thron¬ folgers Nicolai A lex a n d rowitsch zur russischen Kirche übertrat. (So will es bekanntlich das kaiserlich russische Hansgesetz.) Nach dem Tode desselben (24. April 1865 zu Nizza) kehrte sie zur protestan¬ tischen Kirche zurück, bis sie der nunmehrige russische Thronfolger Ale¬ xander, Bruder des verstorbenen, ehelichte, bei welcher Veranlassung sie aber wieder „russisch-orthodox" wurde. 23« - 356 II. Theil. I. Hauptstück. Der Protestantismus. Jil Schleswig verbreiteten gleichfalls glaubenslvse dänische Geist¬ liche das Uebel der Irreligiosität. Der (protestantische) Bischof und Ministerpräsident Mvnrad ging, europamüde, mit seiner Familie nach Neuseeland, von wo er aber nach ein paar Jahren znrückkehrte nnd wieder Bischof von Lolland wurde, was er schon früher gewesen. An seiner statt hatte der König 1867 den Bischof vr. Kierkegaard in Aalborg zum Cultnsminister er¬ nannt. Nach der Einverleibung der „Herzogthümer" in Preußen, ent¬ brannte auch hier der Streit ob „Union" oder „reine lutherische Lehre" ? Diese Frage beschäftigte zumeist den im September 1867 zu Kiel ver¬ sammelten evangelischen Kirchentag. Bier Fünftel der schleswig-hol¬ steinischen Geistlichkeit erklärte sich gegen die „Union". In der großen nordischen Kirchenversammlnng - eröffnet am 5. September 1871 — plaidirten einige Redner für die Berechtigung des Neurationalismus. (!) 8 81. Ächwcdcn und Norwegen. Im protestantischen Norden Europas, aber auch anderwärts, wie z. B. in der Schweiz im Cantvn Zürich, wo polizeilich dagegen eingeschritten wurde, in Genf, Bern, Lausanne, machten mormonische Sendlinge Proselyten — zumal auch, trotz der Polygamie, unter dem Frauengeschlechte — welche über's Meer nach dem Salzsee zogen. In Finnmarken, der nördlichsten Gegend Norwegens, entstand dieserwegen 1852 eine förmliche kirchliche Revolution. Der erste Mvrmonen-„Apostel" in Stockholm trat 1851 auf; in Norwegen war's ein Schncidergeselle aus Jütland, welcher sich zu diesem Amte berufen fühlte. Gegenüber dem auch in den skandinavischen Reichen grassirendeu Rationalismus suchten in Schiveden die sogenannten Läsare (Leser), die viel an die Herrenhntcr erinnern, in eigenen Conventikeln Befriedigung ihres religiösen Bedürfnisses. In denselben lasen sie (daher ihr Name) — meistens Bauern — fleißig die Bibel und legten sie aus so gut sie kvnuteu. Sie fußten auf dem sogenannten „allgemeinen Priester- thume" und gehen von der lutherischen Rechtfertigungslehre aus; zer¬ splitterten sich aber begreiflicher Weise in verschiedene Unterseeten, als da sind: der Schartauismus (benannt nach Heinrich S ch a rtau, zu Z 81. Schweden und Norwegen. 357 Lund, gestorben 1825), Evangelieismus, Hedbergianismns und Andere. Viele traten zu den „Baptisten" über. Die schwedische Regierung, oder eigentlich die lutherische Staats¬ kirche, spürte ihnen nach und verfuhr strenge mit ihnen, ohne aber viel nuszurichteu. Sie ließen sich eher an den Bettelstab bringen, als daß sie sich diesem Despotismus gefügt hätten, oder wanderten aus und suchten in Lappland eine Zufluchtsstätte für sich und ihre abweichenden religiösen Ansichten. Während zumal die sogenannten Gebildeten und höheren Stände in Schweden einer negativen und kirchlich-liberalen Richtung huldigen, macht sich auch eine „neulutherische" Fractivn unter den „orthodoxen" Theologen bemerkbar, welche an die Klicfoth'schc Richtung in Mecklen¬ burg erinnert. Dem durch die neue Verfassung unter König Carl XV. ein¬ geführten Zweikammersystem war die lutherische Geistlichkeit nicht hold, da sie sich dabei für zurückgesetzt Hielt. Der König und der Reichstag hatten nämlich das Recht, auch in kirchlichen Dingen Gesetze zu geben, obgleich der alle fünf Jahre sich versammelnden Generalsynvde die Zn stimmnng Vorbehalten blieb. In Norwegen hatte schon 1842 ein Bauer, Namens Hans Nielsen Hange, in Opposition gegen die lutherische Staatskirche ciue „freie" Kirche gestiftet auf Grund des „allgemeinen Priestcrthnms" und mit Laienpredigern, die im Laude mitunter herumzogeu. Der Prediger Lammers zu Skien hingegen, gleichfalls mit der Staatskirche zerworfen, wollte eine strenge Kirchenzncht, sogar mit Ohrenbeicht u. dergl. in seiner " „freien, christlichen, apostolischen Ge¬ meinde" einführen. Uebrigens steht bisher Norwegen bezüglich der Toleranz so ziemlich in der Mitte zwischen der absoluten Religionsfreiheit Dänemarks nnd dem Religivnszwange Schwedens. Im Jahre 1857 wurde im Storthiug (Landtag) zum ersten Male ein Antrag wegen Abänderung des Z 92 im Grundgesetze, welcher Paragraph die Bestimmung enthält, daß die Beamten sich zur evangelisch-lutherischen Lehre bekennen sollen, cin- gcbracht. Doch konnte die Aufhebung dieser Bestimmung bisher noch immer nicht durchgesetzt werden. Während die liberalen Regierungen Europas das Heil in der Ein¬ führung der sogenannten Civilehe erblicken, hatte am 9. März 1876 358 II. Thcil. I. Hauptstnck. Der Protestantismus. die zweite Kammer in Stockholm einen dohin abzielenden Antrag für die Mitglieder der Staatskirche in Ilebereiustimmuug mit dem Bericht des Gesetzausschusses einfach abgclehnt. § 82. Uichlmid. Ungleich besser ist das Schicksal der Protestanten in Rußland, als jenes der katholischen Kirche. Zumal in den Ostseeprovinzen meinte die Regierung mehr Humanität üben zu sollen. So veröffentlichte der Ge- ncralgouverneur, Graf Sch uw al off, 1865 einen Ukas, welcher den 1845 in die „russische Kirche übergeführten" Letten und Esthen gestattet, ihre (bisher meistens wilden) Ehen ohne Ausstellung jenes Reverses, welcher die durchweg griechisch-russische Religion der Kinder bedingt, cinscguen zu lassen. Aber doch hatten und haben auch die Protestanten Manches von der Intoleranz und dem schrecklichen Despotismus der russischen Kirchenpvlitik zu dulden. Eben mich in den Ostseeprovinzen. Brutale Gewalt nnd Versprechungen zeitlicher Vortheile haben auch hier als Haupthebel der „Bekehrung" zur orthodoxen Kirche — zum „Glauben des Kaisers" wie der vffieielle Ausdruck lautet — gewirkt. ') Die übertretenden protestantischen Bauern in Livland wurden, als dort Golovin Gouverneur war (1845 — 1848) von allen Lasten und Giebigkeiteu befreit, welche sie als Pächter eines der evangelischen Kirche gehörigen Gutes zu entrichten hatten. Golovin's Nachfolger im Amte, SUwarow, bis 1861, nud der vom Czar eigens 1864 nach Livland zur Berichterstattung abgc- orduete Graf Bobrinsky, welcher seinem Herrn im Berichte ) Im großartigen Maße betrieb dies Geschäft schon in den ersten Vierziger- jähren Jrinarch, Bicar zn Riga, dann Bischof von Osti ogosch, endlich Erzbischof von Rjasan. In seine Fnßstapfcn trat Philarct, Erzbischof von Riga und Mitan Z 82. Rußland. 359 Anfangs 1866 wurden Krongüter ausschließlich an solche Banern- knechte vertheilt, die zur „orthodoxen" Kirche sich hatten bekehren (?) lassen. Die livländische und csthläudische Ritterschaft legte in ihren Adressen an den Czar Alexander II. vom 11. Jänner und 11. März 1870 ihre Beschwerden wegen der Russifieirung und der religiösen Vergewal¬ tigung offen dar. In der Praxis trat hie und da in einzelnen Fällen eine Milderung ein; im Ganzen blieb es beim Alten. Der eigenhändige kaiserliche Bescheid ckcko. 19. März an die Ritterschaft lautete abschlägig. Als der Czar im Sommer 1870 auf der königlichen Villa Berg bei Stuttgart weilte, brachten ihm (23. Juni) Abgeordnete der „Evan¬ gelischen Allianz" die Lage der Protestanten und der mit Gewalt zur orthodoxen Kirche Convertirteu in den baltischen Provinzen vor. Der Czar erwiderte: „Das Gesetz verbiete den Rücktritt zum Protestantis¬ mus und er könne das Gesetz nicht ändern." Wieder traf im Jahre 1871 eine solche Deputation in der näm¬ lichen Angelegenheit in Friedrichshafen (am Bodensee in Würtcmberg) ein. Der Czar ließ sie nicht vor; der Reichskanzler Fürst Gorts cha- ko ff fertigte sie (14. Juli) höflich aber kurzweg ab. Doch traten einige Milderungen ein; auf spcciellcn Befehl des Kaisers wurden zum Protestantismns znrückkchrende griechische Conver- titen in den baltischen Provinzen darob nicht gemaßregelt.') Der Rath der „Evangelischen Allianz" in London votirte dem Czaren für diese persönliche Milde eine Dankadresse, bat aber dabei wieder um die Aufhebung der diesfälligcn, noch immer bestehenden harten gesetzlich en Bestimmungen und zwar auch in den angrenzenden Provinzen. Denn in der That ist von einer „Gewissensfreiheit" im Sinne Westeuropas weder in Rußland überhaupt, noch insbesondere in den Ostseeprovinzen die Rede; die Strafgesetze sind für Uebertre- tende nichts weniger als aufgehoben, sondern nur faetisch suspcndirt. In Kurland hatte sich eine eigene sogenannte Bruderschaft zur Bekehrung (?) der Bauern gebildet. Sogar der Thronfolger steuerte zu ihrer Casse bei. Im Jahre 1870 schenkte die Krone der Bruderschaft tausend Morgen Landes zur Vertheilung an arme „Bekehrte". So zu sagen mit einem Federstrich beseitigte der Czar am 26. März p Es sollen deren bei 15.000, noch Anderen gar bei 30.000 (?) bis zum Spätherbst 1871 gewesen sein. Allein diese datiren auch schon von früher her. 360 II. Thcil. I. Hcmptstllck. Der Protestantismus. 1877 die nach Jahrhunderten zählende Rechtsordnung der Städte Lio-, Esth- und Kurlands; ein entscheidender Schritt mehr zur Nussificiruug der baltischen Provinzen. In Südrußland rüsteten sich die in den letzten Jahren ans Preußen dort eingewanderten Mcnuvniten massenhaft zur Auswanderung nach Amerika, meist wohl deshalb, um sich der allgemeinen Militärpflicht zu entziehen. Der Czar sah sie ungern ziehen und sandte sogar den be¬ kannten tapfern Verthcidiger von Sebastvpol, General von Tot leben ab, nm sie mittelst Concessionen zum Bleiben zu vermögen (April 1874). 8 83. Türkei. Aus Syrien verlautete 1874 von harten Maßregeln, die der General- gouvernenr Essad Pascha gegen protestantische Schulen ergreifen ließ. Eine Deputation der „Evangelieal Alliance" wollte dem Sultan eine Adresse, betreffend die Religionsfreiheit in der Türkei, überreichen; der Großherr verweigerte aber die Audienz. (Februar 1875). Lord Derby, der englische Minister, erklärte auf die diesfällige Beschwerde der „Evaugelical Alliauce", die Regierung sei nicht befugt, auf den Sultan dahin einzuwirken, daß er die Deputation empfange. Die Sache war aber überhaupt so dringend nicht. Zumeist evangelisch-amerikauische Missionäre mit ihrer Proselytcnmacherei hielten sich für beeinträchtiget. Die großherrliche Regierung hatte auf Andringcn Englands und später auch Preußens, schon im Erlaß vom Jahre 1850 die protestantischen Rajas als eine besondere Rcligionsgesellschaft anerkannt und diese Rechte 1853 durch einen neuen Ferman feierlich bestätiget. Daß sich die protestantischen Missionäre gerade Bayrut als Mittel¬ punkt ihrer Thätigkeit ausersehen haben, ist daraus erklärbar, weil dort katholische Glaubensboten, insbesondere Jesuiten, erfolgreich wirkten. Die Propaganda besitzt daselbst eine große Druckerei und erscheint unter Anderem das katholische Wochenblatt „El-Beschir". Diesem entgegen zu arbeiten ist mitnnter die Bestimmung der evaugelisch-illustrirtcn Mvuat- schrift: „El-subh-el-meuir". Ain 29. November 1874 fand in Jerusalem die feierliche Ein¬ weihung der arabisch-protestantischen Kirche statt, welcher auch der dortige anglikanische Bischof G o b a t beiwohnte. Es ist dies die dritte Protestan¬ tische Kirche in Jerusalem nebst der Christnskirche auf Sion, und der deutschen Capelle auf dem Muristan, dem Johanniterplatz. Z 84. Nord-Amerika. 361 § 84. Nord-Ämcrilm. Neben den Episkopalen, Presbyterianern nnd Puritanern, gibt es in Nord-Amerika eine Unzahl anderer protestantischer Secten, während neben einer äußerst rigorosen Souutagsfeier der Puritaner die Kor¬ ruption Aller zunimmt. Bekanntlich besteht d e m P ri n c i p e nach in Nord-Amerika völlige Trennung des Staates von der Kirche, was der Sectenbildung freilich Vorschub leistet. Die meisten Anhänger zählen die Methodisten, unge¬ achtet, oder vielleicht eben wegen ihrer tollen Oump-niootin^; zugleich sind sie die ärgsten Gegner der katholischen Missionäre; aber auch sie selbst sind unter einander gespalten wie die Anderen;') daher gibt es z. B. eine methodistische Episkvpalkirche, eine verbesserte methodistische Kirche, eine methodistisch-protestantische Kirche u. s. w., wie es Puri¬ tanische Congregativnalisten oder Brvwnisten, die alte und neue Schule der Puritaner, die Cumberland-Presbyterianische Kirche, die vereinigte pres¬ byterianische Kirche, die verbesserte presbyterianische Kirche n. s. w. gibt. Daneben bestehen die kleineren älteren Sceten der Quäker, Herrcnhnter, Mennoniten; zahlreicher aber die Baptisten (mit den Letzteren beinahe Eins), zerfallen aber auch wieder in calvinisehe Baptisten, Sublatarier, Campbelliten oder Schuler Christi u. s. w. Wenn diese Secten denn doch noch zum Theile auf christlichem Boden stehen, so haben sich andere davon schon ganz losgesagt, als: die Nniversalisten (welche eine end¬ liche Bcseligung aller Menschen lehren; dazu gehören die „Rappisten", deutsche Harmoniegesellschaft, so genannt nach ihrem Gründer, dem Schuster Rapp, geboren 1757 in Wnrtemberg; sie heirathen nicht); die Unitarier; sogar Atheisten-) versuchten sich als Gesellschaft zu consti- tuiren. Der phantastische Etienne Cabet aus Frankreich (geboren l788 zu Dijon) wollte einen Communistcnstaat „Jkarien" zn Nanvoo (Illinois) gründen (1848), aber seine eigenen Leute setzten ihn ab nnd die Ge¬ meinde zerstreute sich 1857. New-Harmonie im Staate Indiana wurde Mnstercolonie des englischen Socialiste» Robert Owen. Ein Zweig der oberwähnten „Harmonie-Commune" sind die „Aurora" und „Bethel- >) Mail zählt l6 Methvdistcnkirchcn. y Am offensten beinahe tragen den Atheismus viele eingewanderte Deutsche zur Schau. 362 II. Thcil. I. Hauptstuck. Der Protestantismus. Communen". Die neuesten connnunistischen Gesellschaften sind die in Cedar Vale in Howard County, Kansas, seit 1873 und die „Social Freedom Community", gestiftet 1874 in Chesterfield County Virginia. Die sogenannten Oneida-Perfcctionistcn führten Weibergcmeinschaft ein. Dieselbe Tendenz lag dem Vereine der sogenannten freien Liebe (kros lova) zn Grunde, der sich 1858 zu Utica bildete und von New-Jork und Wiskvnsin bald überall hin und unter alle Classen der Gesellschaft verbreitete. Kein unbedeutendes Contingent dazu liefert das „eman- cipirte" schone Geschlecht. Es entstand der sogenannte Orden „der Ritter und Nymphen von der Rose". Völlige geschlechtliche Ungebnndcnheit ist sein Zweck; während die Shaker Cölibatäre sind, und die „Wahren Jnspirativnsgemeinden" eine Art Rigorismus zur Schau tragen. Da¬ neben treffen wir, wie in England seit 1858, die sogenannten Revivals „religiöse Erweckungen", ein religiös-fanatischer Schwindel, der sich ganzer Städte und aller Classen von Menschen und aller Secten be- mcisterte. Die Ergriffenen (Jumpers, Springer) gebärdeten sich wie Wahnsinnige und je toller sie cs trieben, desto sicherer der Beweis ihrer Bekehrung und daß sie vom hl. Geiste erfaßt waren. Nur nebenbei er¬ wähnen wir des sogenannten „Ncvinismus" (so benannt von dem Schotten Nevin), einer unklaren, vom Calvinismns ausgehenden neu- lutherischen und theilweise sogar an's katholische streifenden Sehnsucht nach Wiederherstellung der alten Kirche. Vielleicht nirgends sonst grassirt neben dem trockensten Unglauben ein so crasser Aberglaube, wie hier. Denn Nord-Amerika ist die eigentliche Geburtsstätte des „Tischrückens" und der „Klopfgeister". >) Hier errichtete man förmliche Bureaus, wo der Verkehr mit der Geisterwelt auf das Großartigste betrieben wurde. Das Gleiche gilt vom „auimalischeu Magnetismus und Mesmerismus". Vou Amerika kam der Humbug nach Europa. Am 27. Juni 1844 wurde Josef Sm ith (geboren 25. December) 1805 im Staate Vermont), der Stifter nnd das Haupt der Mvrmonen- Secte oder der „Heiligen des jüngsten Tages" (lütter du/-tmints) ermordet. Er begann seinen Humbug als achtzehnjähriger Jüngling 1823 in dem Dorfe Manchester bei Palmyra im Staate New-Jork damit, daß er vorgab, ein Engel habe ihm in der Erde vergrabene ') Die sogenannte Spiritnalistensecte entstand 1849 zu Rochester iin Staate New-Jork durch drei Schwestern Misses Fox. Z 84. Nord-Amerika. 363 Goldplattcn gezeigt, welche Offenbarungen und Geheimnisfe enthalten, die ein Prophet Mormon darauf eingeritzt habe. Gesehen hat sie freilich nie Jemand. Ihr angeblicher Inhalt erschien in einer englischen Ueber- setzung, die Smith (1830) mit Zuhilfenahme einer Handschrift eines phantastischen, vom Literaten S P a n l d i n g geschriebenen Romanes zu Stande brachte. Dieses Werk erschien unter dem Namen „Mormon" und bildet die Bibel der Mormonen. Darin wird erzählt, nach der Zerstreuung anläßlich des babylonischen Thurmbanes sei ein jüdischer Stamm nach Amerika gekommen und zwar dort in Sünden unterge¬ gangen, aber durch Nachkommen Josef's, die nach der Zerstörung Jerusalems ebenfalls nach Amerika kamen, erneuert worden. Nun sei auch Christus gleich nach seinem Tode nach Amerika gekommen, nm es zu heiligen und habe in Mormon seinen größten Propheten gefunden. Da aber das Volk abermals verwilderte, so wäre Alles in Vergessen¬ heit gcrathen, wenn nicht Mormon in seinen Gvldplatten die Erinnerung daran bewahrt hätte. Der Nachfolger Smith's, der „Prophet" der Mormonen, B ri g h a m -U o ung, steigerte seine Renitenz gegen die Union und deren Beamte immer mehr,') was endlich die Regierung zu Washington bestimmte, gegen die „Rebellen" ernstere Maßregeln zu ergreifen, wie sie denn schon früher, vor ihrer Niederlassung in Utah am Salzsee (1847) ans Missouri (1838) uud Nauvov in Illinois (1845) ihrer Treulosigkeiten wegen mit Gewalt Vertrieben worden waren. Der Prä¬ sident Buchanan rüstete 1857 eine Armee wider sie. Aoung fügte sich, ohne eine förmliche Schlacht zu wagen — nur zu einem kleinen Treffen kam es am 15. Februar 1858. Die 1858 bewerkstelligte Aus¬ gleichung kauu nicht gar lange dauern. Unter den Mormonen selbst brach Zwietracht aus. Jose (Georg) Smith, Sohn des ersten Patriarchen der Secte, soll sich gegen Brigham-N oung und zugleich gegen die von diesem 1852 pro- clamirte Vielweiberei erhoben haben, zugleich mit einem gewissen Bishop. Die Vielweiberei ist bei den Mormonen bereits bis zu dem Grund¬ sätze nusgeartet: „Nbo moro rvives, tl>o moro salvation". Im September 1871 ließ die Regierung Brig Ham-Jo ung y Smith war „Abolntionist", Aonng hingegen „Sclavcreimann". Im Jahre 1865 hatte Aonng nicht weniger als 185 Weiber und 213 noch lebende, 32 gestorbene Kinder. (Nach Anderen ist die Zahl geringer.) 364 II. Theil. I. Hauptstück. Der Protestantismus. wegen „gesetzwidrigen Zusammenlebens mit sechzehn verschiedenen Frauen" verhaften. Damit war aber auch die Anklage des „Pro¬ pheten" wegen Urheberschaft des im Jahre 1357 an einem gewissen Echo Canon verübten Mordes verbunden. Smith, Präsident des gesetzgebenden Körpers des Territoriums Utah, besuchte im December 1872 in Europa auch den Präsidenten der französischen Republik, Thiers. Im Jahre 1873 erklärte Br ig h a m-J o un g , das Haupt der Mormonen, daß er eine Colonie in Arizona zu gründen gedenke und so wohlthätig auf die Civilisation der Apatschen wirken werde. Sensation machte die 1875) gegen den sogenannten Mormonen- bischof Lee eingeleitete Untersuchung wegen unter seiner Führung im Jahre 185)7 von Mormonen an etwa 140 (?) Auswanderern Arkansas, welche durch Utah nach Südcalifvrnien zogen, zu Mountain Meadvn verübten Massenmordes und Raubes. Der Angeklagte wurde 1876 für- schuldig erklärt und am 23. März 1877 an der Stelle der Unthat erschossen. Sein hinterlassenes schriftliches Bekenntnis; comprvmittirtc sehr den „Propheten" B r i g h a m - D v n n g als den eigentlichen Ur Heber der Blutthat und andere Häuptlinge der Serie. (Siehe oben.) Im Octvber 1875 starb in Utah Georg A. Smith, ein Vetter des Josef Smith und desiguirter Nachfolger des damals bereits hoch- betagten Brigham Joung's. (Dieser selbst, 180l zu Whitingtvn, Vermont, geboren, starb 2!>. August 1877.) Nach ihm wurde John Taylor kirchliches Oberhaupt der Mor¬ monen, aber nicht allgemein anerkannt. Einige wollten David Smith, einen Sohn des ersten Propheten, zu dieser Würde erheben. Eine prineipiell wichtige Entscheidung traf das Bnndesgericht in Utah, indem cs (December 1875) einen dortigen Mormonen wegen Polygamie zu zwei Jahren Gefängnis; verurtheilte. Zur Abwendung der Gefahren, welche die Union von nah und ferne bedrohten, schrieb Präsident Buchanan auf den 4. Jänner 1861 einen allgemeinen Buß- und Bettag aus; doch die gefürchtete Katastrophe blieb nicht aus. Bald nach dem Antritte des neuen Prä¬ sidenten Abraham Lincoln') (4. Mürz 1861) entbrannte förmlich y Geboren 12. Februar 1809 im Staate Kentucky als der Sohn eines armen Farmers. ß 84. Nord Amerika. 36ö der Bürgerkrieg der eigentlich nvch unter Bucha nun begannen hatte, als Sndcarvlina die Fahne des Abfalles aufpflanzte. Die sogenannte Sclavenfrage bot die nächste Veranlassung dazu dar. Die nördlichen Staaten der Union hielten nämlich keine Sklaven, wie die südlichen, und die dortigen „Abvlutionisten" oder „Freibvden- nlänner" trachteten dahin, den Sklavenhandel gesetzlich abznschaffen; wogegen sich die Südstaaten, mit deren Interesse das Sklavenhalten ans das Innigste verbunden war, sträubten. ') Sie erklärten sich un¬ abhängig unter einem eigenen Präsidenten, welchen sie auf sechs Jahre wählten, Namens Jefferson Davis (geboren 1807 in Kentucky)?) Der Krieg wurde auf beiden Seiten mit beispielloser Wnth geführt und kostete ungeheure Opfer. ^) Anfänglich war das Glück den Buudes- truppen nicht günstig. ^) ') In Virginicn wurde nebst Anderen der alte John Brown als Abolu- tionist gehängt. Dem Norden galt er als Märtyrer. y Am 22. Februar 1862 wurde er zu Richmond aus die Dauer von sieben Jahren inangnrirt, und daselbst am 18. August d. I. der Sonderbnnds-Congreß eröffnet. y In der Antwort des Cardinals Antonelli Mio. 2. December 1864 auf das Manifest der conföderirtcn Staaten sagt derselbe, daß auch „Seine Heiligkeit aufrichtig betrübt war durch die Erzählungen, die ihm gemacht worden sind von der schrecklichen Metzelei, die durch diesen hartnäckigen Kampf verursacht wurde". y Am 21. Juli 1861 erlitten sie unter General Mac Dowell gegen die „Conföderirtcn", welche General Beauregard commandirte, eine große Nieder¬ lage in der Schlacht am (Bache) Bulls Run bei Mannsses Juuction. Nach der Abdankung des Generals Scott übernahm Mac Clellan das Obercommando derselben. Secsieg der Union bei Port Royal November 1861. Am 6. und 7. April 1862 siegten die Unionisten bei Corinth am Tennessee und nahmen am 29. April New Orleans ein; wurden aber wieder in der sieben¬ tägigen Schlacht (25. Juni bis I. Juli) bei Richmond geschlagen, ebenso abermals aus der Ebcuc von Bull Run (29. und 30. August) und zu Fredcriksbnrg unter General Burnsi de (13. December). Mac Clellan mußte das Commando an Grant, den Eroberer der Beste Biksbnrg und Sieger bei Chattanooga (1863) abgeben. Das Kricgsglück schwankte auch jetzt auf beiden Seiten. Die Unionisten ver¬ loren (8. April 1864) die Schlacht bei Sabine Croß Roads in Louisiana, behielten aber zwar die Oberhand in jener am Rapidan („in der Wildniß", 5. bis 12. Mai), jedoch ohne eigentlich entscheidenden Erfolg. Für Grant war ebenso die Schlacht bei Cold Harbor und dann bei Petersburg (Virginieu) keine glückliche (30. Juli). Der Uuiousgeneral Wallace erlitt große Verluste in der Schlacht von Mono- cacy (Jnli). Sogar die Hauptstadt Washington gericth (Juli 1864) in große Gefahr, 366 II. Theil. I. Hauptstück. Der Protestantismus. Am 3. April wehte, Dank den siegreichen Erfolgen Grant's und Sheridan's, das Sternenbanner wieder ans St. Petersburg uud Richmond. Die Rebellion hatte faetisch ein Ende, indem am 12. April auch der Oberbefehlshaber der Cvnfvderirten, Lee, am Appvmatox die Waffen streckte und sich an Grant ergab. Das Gleiche that bald hernach General Johnston an Sherman. Am 14. April 1365 Abends wurde der zum zweiten Mal ge¬ wählte Präsident Abraham Lincoln zu Washington im Theater meuch¬ lings von einem fanatischen Secessionisten ans Baltimore, Namens I. Wilkes Bvvth, Schauspieler, erschossen. ') — Auch an den Staatsminister des Aeußeren, Seward, geschah ein Mordanfall. Der Mitschuld an Lincvln's Ermordung wurde sogar auch der Präsident der Südstaaten, Jefferson Davis, beinzichtigt und auf seine Verhaftung ein Preis von 100.000 Dollars gesetzt! Am 13. Mai gelang seine Verhaftung. Die Anklage gegen ihn lautete auf Hoch¬ verrats»; doch wurde er gegen Caution in Freiheit gesetzt. Den Präsidentenstnhl der Union bestieg der bisherige Vieepräsident Andrew Johnson,-) der in seiner Proclamation vom 10. Mai die Empörung der südlichen Staaten für faetisch beendet, und hiemit auch den Anspruch der Cvnföderation auf die Rechte einer kriegführenden Partei für erloschen erklärte. Am 4. November 1868 wurde aber General Ulysses Grant zum durch die Couföderirteu genommen zu werden. Lee, ihr Obergeneral, verlor hin¬ wieder die drei blutigen Schlachten am 19., 21. und 25. Augnst, sowie Hood wider den unionistischen General Sherman die Stadt Atlanta (2. September, dann wieder geräumt am 12. November). Auch der Bnndesgcneral Sheridau siegte über Early bei Bcrysville-Pike im Sheuandoah-Thale (l9. September), am Ope- gnan und dann bei Fisher's-Hill, und abermals am 19. Oetober in der Schlacht am Cedar Creek. Am 30. November siegte Schoficld über den Confödcrirten- gencral Hood bei Franklin. Nach einem höchst kühnen gelungenen Marsch traf General Sherman vor der Stadt Savannah ein und nahm von ihr am 21. December Besitz. — Auch in Tennessee operirten die Unionisten unter General Thomas glücklich. — Das stark befestigte Fort Fisher wurde vom General Terry erstürmt (15. Jauner 1865). — Beauregard räumte Charleston (18. Februar). — Wilmington fiel gleich¬ falls den nordstaatlichen Siegern in die Hände (22. Februar). ') Der Mörder wurde bei der Verfolgung am 26. April getödtet. ?) Geboren 1808 zu Raleigh in Nord-Carolina, anfänglich Schneider; ge¬ storben 3l. Juli 1875. Z 84. Nordamerika 367 Präsidenten der Union gewählt; znm zweiten Mal wieder im Jahre 1872, und trat am 4. März 1873 seine zweite Amtsperiode an. st Gegen das vatieanische Coneil suchte Professor Schaff in Nord- Amerika, wohin er ans Europa znrückgekehrt war, ein großes Pro¬ testantisches Coneil zusammen zu bringen. Es sollte im September 1870 in New-Jork sich versammeln. Auch aus Europa wurden Ab¬ geordnete dazu eingeladen. — Vergebens! Die Episkopalkirche zählte im Jahre 1872 vierzig Diöeesanbischvfe, einige .Isswtnnt Umbops (Coadjntoren) und sechs Missionsbischöfe, 2767 Pfarreien, 2845 Kirchen und Capellen, 2566 Priester, 231 Dia¬ konen und 236.929 Communicanten. Die Statistik der Protestantischen Cvnfessivnen in Nord-Amerika vom Jahre 1873 zählt Cvmmnnieanten: Lutheraner 487.195, Pres¬ byterianer und Rcformirte 971.765, Baptisten und verwandte Gemein¬ schaften 2,091.361, Methodisten und ihnen Verwandte 2,146.012, Episkopale 239.218, Kongregationalisten 318.916, einige kleineren Ge¬ meinschaften 150.000. Alle drei Jahre tritt im Oetober eine Generalconvention der Epi- >) Während des Krieges waren in England einige Kaperschiffe der Südstaaten ausgerüstet worden — unter Anderen auch das Schiff „Alabama", woher der Streit den Namen erhielt — und liefen von dort aus. Die nordamcrikanische Negierung erblickte darin nicht mit Unrecht einen Neutralitätsbruch. Im Vertrage von Wa¬ shington (1871) erklärten beide Parteien ihre Bereitwilligkeit, sich dein Entscheide eines Schiedsgerichtes zn unterwerfen. Dieses — bestehend ans Bevollmächtigten der Schweiz, Italiens und Brasiliens — trat in Genf zusammen. Die nord¬ amerikanische Regierung beanspruchte nicht weniger als ein Paar Tausend Millionen Dollars Entschädigung, und zwar nicht ülos für die di re eten, sondern auch für die indirekten Schäden, die die Nordstaaten durch den entgangenen Gewinn (worum oossnns) und durch die Bccinträchtiguug des Handels n. dergl. erlitte» hatten. England verweigerte diesen letzteren Schadenersatz, behauptend, es habe schon den Washingtoner Vertrag cicko. 8. Mai 187l nur in der Voraussetzung geschlossen, das; dem Schiedsgerichte einzig die Frage über die direkten Schäden unterbreitet werden würde. Nord-Amerika gab nach. Endlich erfolgte im September 1872 das Uriheil des Schiedsgerichtes, welches England zur Zahlung von I5V- Millionen Dollars in Gold verurtheilte. In der sogenannten San Juan-Frage (es handelte sich um einen Grenzstreit zwischen Nord-Amerika und England) entschied (1872) der deutsche Kaiser, als au- gerufener Schiedsrichter, zu Gunsten Nord-Amerikas. England räumte sodann die Insel San Juan 368 II. Theü. I. Hauptstück. Der Protestantismus. skvpalkirche in dcn vereinigten Staaten zusammen, bestehend ans dem „Hause der Bischöfe" und dem „Hause der Geistlichen und Laieu-Dcpu- tirten". Die Generalevnvcntivn 1871 zu Baltimore tagte durch einund¬ zwanzig Tage. Die im October 1874 in New-Jork abgehaltene „Gcueraleonvention der protestantischen Episkvpalkirche in Nord-Amerika" beschäftigte sich auch mit dem sogenannten Ritualismns, und zwar in demselben nicht günstigem Sinne. Jede Diöcese hat wieder ihre besondere Convention, die jährlich Zusammentritt. — Die Wahl des Bischofs steht der Diöeesanconventivn zu; muß aber von der Geueralconvention (oder von der Majorität der Bischöfe und der stehenden Comita's der Diuresen) bestätigt werden. Die Missionsbischöfe werden von der Generaleonvention gewählt. Die „christliche Association junger Männer" machte sich die strengste Handhabung der Sonntagsfeier mit Verpönung aller Vergnügungen, zumal auch der Fabrikation und des Genusses vou Bier und Spiri¬ tuosen, zur Aufgabe. Diese Strenge datirt noch von den aus England vertriebenen Puritanern, welche zuerst Amerika colvnisirten. Dawider agitirten die Deutsche« als einen Eingriff in die cvnftitutivuell garan- tirte individuelle, religiöse und gewerbliche Freiheit. Gegen die Unmäßigkcit in Spirituosen bildeten in Nord-Amerika, zumal in dcn Staaten Ohio und Indiana, auf Anstiften methodistischer Prediger, auch die Weiber einen eigenthümlichen „Gebetsverein", nm ihre Männer und Väter ans den Schenken „herauszubeten". Natürlich machten sie sich hiedurch insbesondere die Gastwirthe zu ihren erbitterten Feinden, die über die „Betseuche" (so nannten sie diesen Verein) sehr ungehalten waren. Vom 2. bis 12. Oetober 1873 tagte die sechste Versammlung der „Evangelischen Allianz" zu New-Jork. Selbstverständlich rumorte man da gewaltig auch wider Rom, Ultramvutanismus, Jesuitismus, Un¬ fehlbarkeit, Syllabns u. dergl. Sv insbesondere der deutsche Professor Krafft. Am 10. Mai 1876 fand die feierliche Eröffnung der Weltausstel¬ lung zn Philadelphia zu Ehren des einhundertjährigen Bestehens der nordamerikanischcn Republik (die Unabhängigkeits-Erklärung datirt vom 4. Juli 1776) durch den ij räsidenten Grant statt — und zwar wurde dabei ein öffentliches Gebet gesprochen und ein geistliches Lied gesungen. Z 85, Protestantisches Kirchenwesen und Literatur in Deutschland, Z69 In Europa wäre inan auf einen solchen Vorschlag vielleicht nicht überall eingegangen. In gemeinschaftlicher Sitzung der beiden Häuser des Congresses wurde am 2. März 1877 Hayes, als mit 185 Stimmen gewählt, zum Präsideuteu der vereinigtem Staaten proclamirt; Wheeler als zum Vieepräsidenten gewählt erklärt. tz so. Einige^ Nachträgliche über protestantisches Lircheniucsen und Literatur in Deutschland. Der 1842 bei Gelegenheit der zweiten Säcnlarfeier des Todes¬ tages des Schwedenköuigs Gustav Adolf, der Dentchland de¬ in nthig en und zerreissen half, auf Anregung des Superinten¬ denten 1)r. Großmann zu Leipzig gestiftete, vom Ober-Hofprediger Carl Z i m m e r m a n u in Darmstadt in feiner rationalistischen, übrigens sehr populären „Kirchcnzeitnng" angepriesene Gustav Adolf-Verein in Deutschland konnte von Jahr zu Jahr über ausgiebigere Mittel ver¬ fügen, welche er zur Errichtung und Dotirung von Bethäusern, Pa- stvraten, Schulen inmitten katholischer Bevölkerungen, auch in Oester¬ reich, verwendet. Die 21. Generalversammlung wurde am 5. September 1865 iu Dresden eröffnet. Seit 1842 bis dahin hatte der Gustav Adolf-Verein zwei Millionen Thaler verausgabt; im Jahre 1864 in Oesterreich 206 dürftige protestantische Gemeinden unterstützt. Im Jahre 1870—1871 verausgabte der Verein 58.688 Thaler für Oesterreich-Ungarn; nämlich 48.610 Thaler für Cisleithauien, 10.078 Thaler für Transleithanien; überhaupt 3,597.74!) Thaler seit seinem Bestehen bis zum Ende des Rechnungsjahres 1871—1872. Das 27. Hnuptfest der Gustav Adolf-Stiftung wurde am 3. Sep¬ tember 1873 zu Cassel, Ivo auch im Jahre 1857 das 15. Hauptfest stattfand, eröffnet. Wie selbst mit demselben sympathisirende Blätter meldeten, war die Betheiligung daran sowohl Seitens der Geistlichkeit als der Bevölkerung der Stadt eine sehr kühle und geringe. Nach der Volkszählung vom 1. December 1871 umfassen die 43 Hauptvereine eine Seelenzahl vvn 25,525.953. Auf der 28. Hauptversammlung des Gustav Advlf-Vereius zu Stuttgart (23. und 24. September 1874) berichtete der Vorsitzende Stcpischnegg, Papst Pius IX, und seine Zeit. II. Bd. 24 370 II. Theil. I. Hanptstiick. Der Protestantismus. unter Anderem, daß in Spanien bereits 20 (?) evangelische Gemeinden bestehen, daß jüngst in Nvm eine italienische Bibel in der Buchdruckern des Senats und mit dem Wappen des Königs van Italien im Druck erschienen sei. Die 31. Hauptversammlung des Evangelischen Vereins der Gustav Advlf-Stiftung, 4.-6. September 1877 zu Frankfurt a. M., verlief sv ziemlich gemäßigt. Niemandem wird es befremden, daß ein Redner ans Wiesbaden den Segen der Cvmmuualschule, des Cvmmunalfricd- hvfes und der Civilehe pries, (l'romt!) Ein Anderer jammerte über die mißliche Lage, in welche das Schulgesetz in Oesterreich-Ungarn die Evangelischen gebracht habe. Cvnfessi ans-Schulen zu errichten, sei gar sv schwer geworden. (Also sind wirklich evnfessivnelle Schulen auch den Evangelischen erwünschlich. Und es ist nicht richtig, daß die Evnfessivnslvsigkeit der Schale zum Segen sei.) Auf den evangelischen Kirchentagen, deren erster 1848 zu Witten¬ berg statt hatte, sprach sich mitunter eine sehr gereizte, nichts weniger als tolerante Stimmung wider die katholische Kirche aus. Sv wurde bei Gelegenheit des vierten Kirchentages zu Elberfeld (1852) der „Prv- testantische Bund" gestiftet, dessen Satzungen es offen bekennen, daß seine Hauptaufgabe keine andere sei, als: „den Protest der Reformation gegen das Papstthnm und die Menschensatznngen der Kirche Roms mit erneutem Nachdruck zu erheben". Der Kirchentag zu Bremen (1852) erklärte ebenso den Kampf gegen Rom „für die erste und dringendste Angelegenheit". Es fielen echt lutherische Kraftausdrücke, wie sie der Haß gegeu Rom den sogenannten Reformatoren des l6. Jahrhunderts auch kaum greller in den Mund gelegt hatte; als: „Ausgeburt der Hölle", „Babel", „Antichrist", „infernales System des Papstthnms" u. dergl. Der Professor der Theologie an der Universität zu Berlin llr. Friedrich Julins Stahl, ein „gläubiger Lutheraner", brachte in seinen Vvrträgen: „Der Protestantismus als politisches Prineip", gehalten auf Veranstaltung des evangelischen Vereins für kirchliche Zwecke zu Berlin im März 1853, wieder die alten, schvn oft widerlegten An¬ schuldigungen gegen die kathvlische Kirche vor, um sie zu disereditircn. (Siehe Beda Werber's Cartons, S. 1—38. ') ') lieber die evangelische Allianz siehe: Großbritannien. ß 85. Protestantisches Kirchenwcseu nnd Literatur in Deutschland. Z7l Ob Intoleranz wirklich schon mit dein „Begriffe" des Katholi- cisiitils mizertreiiulich verbunden sei; christlich humane Duldung hin¬ gegen eben sv schon im „Principe" des Protestantismus liege, wird der unbefangene Geschichtsforscher nnd vorurtheilslvse Beobachter dessen, was in unserer Zeit noch in den einzelnen Staaten vor sich geht, z. B. in Preußen nnd Rußland, unschwer beurtheilen. Wir verweisen hierüber auf I)r. Dvllinger's „Kirche und Kirchen" (2. Abdruck, S. 49—157), wo auch die Frage, eben an der Hand geschichtlicher Thatsachen nnd im Hinblick auf das innerste Wesen der einen und anderen Cvnfession, beantwortet ist: welchen Einfluß — ob überall günstigen? — der Protestantismus (oder wohl auch das Schisma) auf die bürger¬ liche Freiheit in den einzelnen Ländern ausgcübt habe. Man höre doch auf, „Humanität", „Freiheit", „Intelligenz" u. dergl. als Monopole außerhalb der katholischen Kirche hiuzu- stellen! War man doch albern genug, sogar den eigentlichen Grund des Unglücks Oesterreichs im letzthinnigen Kriege mit Preußen darin zn suchen, daß Dieses protestantisch, Jenes katholisch sei! Standen denn etwa die katholischen Rheinländer und West¬ phalen im Heere Preußens, die Nämlichen, welche in Dresden nnd sonst die katholischen Gotteshäuser füllten und die Beichtstühle umlagerten, auf den Schlachtfeldern Böhmens und Frankreichs Gewehr im Arme? Oder kämpften die katholischen österreichischen S o l d a t e n minder tapfer als die protestantischen Preußischen?') Der bereits erwähnte „Protestantenverein" wurde, nachdem die Anregung hiezu am 3. August 1852 auf der fünften Durlacher Con- ferenz gegeben worden war, voir-den am 30. September 1863 zu Frank¬ furt am Maiu versammelteu Stimmführern des protestantischen Fort¬ schrittes: Ewald von Göttingen, Baumgarten aus Rostock, Schweiger aus Gotha, Schenkel nnd Bluntschli aus Heidel¬ berg und Anderen gegründet. Die Idee, welche ihnen hiebei vvrschwebte, war die Bnnfen'sche „Gemeinde"-Kirche im Gegensätze zur Hier- ') „Italien, welches unstreitig als eine steigende Macht betrachtet wird, scheint darum weder lutherisch, noch calvinisch zn werden; nnd der frauzösische Katholi- ciSmns, welcher die Guillotine nnd die Göttin der Vernunft überdauert hat, wird noch manche Vorgänge der Geschichte überdauern (ja wohl, gewiß!), ohne daß darum Frankreich mehr in Verfall zn sein brauchte, als irgend ein anderer euro¬ päischer Staat." (So selbst die „Augsburger Allgemeine Zeitung", 1866, Nr. 308.) 24* 372 II. Theil. I. Hanptstück. Der Protestantismus. archie, überhaupt zu jeder kirchlichen Auetorität. Die Geuieinde solle sich die Dogmen und den Cultus u. s. w. ganz noch eigenem Belieben zu recht richten und wieder abändern können n. d. in. Der eigentliche „erste deutsche Protestantentag" wurde am 7. und 8. Juni 1865 zu Eisenach abgehalten. Präsident I)r. Blnntschli erklärte in der Eröffnungsrede, es gelte, lebendiges Christenthnm und Fortschritt in allen Landen zu erwecken. Kirchenrath t)r. R v t h e meinte die „Kirchenlvsen" dadurch zu gewinnen, das; ihnen ein „weltliches Christenthnm" zurecht gelegt wird. vr. S ch w a rz: „Die symbolischen Schriften und die Dogmen seien bloße Actenstücke der Reformation gewesen, an welche kein Mensch der Gegenwart glauben kann." Pro¬ fessor Ewald verfaßte in; Auftrage des deutschen Prvtestantenvereines eine Denkschrift: „Die mecklenbnrg'sche Kirchennoth" wider die Ma߬ regelung des Rationalisten vr. B a n m g arte n. (Siehe Mecklenburg.) Da ist sich nicht zu wundern, daß z. B. eine Berliner Pastorcn- conferenz vom 11. Juni 1868 den Männern des Prvtestantenvereines znrief: „Ihr glaubt nichts; gar nichts! Ihr glaubt nicht au die heilige Schrift als Wort Gottes; ihr leugnet die Wunder; ihr glaubt kaum mehr an Gott, den allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erde. Ihr stellt Christus iu eine Linie mit Buddha, Zoroaster, Muhaunned. Gebrochen habt ihr thatsächlich mit der evangelischen Kirche und ihrem Bekenntnis;; ihr habt verlassen den Glauben, ans den ihr gelaust seid" u. s. w. Im Jahre 186!» wurde dein „Protestantenvereine" von; Cvnsistoriuin in Berlin für seine Versammlung sogar der Gebrauch der dortigen Kirchen versagt. Dennoch fand in dieser Metropole im October d. I. ein „Protestantentag" statt. Auch derselbe legte Verwahrung ein gegen die päpstliche Einladung zuin Cvncil. Wo imincr etwa ein ungläubiger Pastor oder Kandidat, wie z. B. 1871 der in Colbergermünd gewählte Licentiat I)r. Hanne, llr. Sydow und I)r. Lisco in Berlin, beanständet wurde, nahm sich seiner der Protestantcnvcrein mit Entschiedenheit an. Der vom 3. bis 6. Octvber 187 > zu Darmstadt abgehaltene deutsche Protestantentag beschloß unter Anderem eine Resolution gegen das „Unfehlbarkeitsdogma" als die „Staatssouveränität, den cvnfessionellcn Frieden, die Geistes- und Gewissensfreiheit und die ganze Cnltur be¬ drohend. (!) Auch beantragte derselbe das staatliche Verbot des Z 85. Protestantisches Kirchenwesen und Literatur in Deutschland. Z73 Jesuitenordens in Deutschland unter schweren, gegen den¬ selben geschleuderten Beschuldigungen. Aber auch gegen den „Papismus in der evangelischen Landes¬ kirche" (!) ereiferten sich die Herren und verlangten eine „deutsche Volks¬ kirche" frei von allein Glanbenszwange. Gegen obige Auslassungen des Protcstantcntagcs wider das Dogma der Jufallibilät des päpstlichen Lehramtes und wider die Jesuiten Pro- testirten fast alle Bischöfe Deutschlands. In einem Aufruf ckckv. Mün¬ chen, den 16. Oetober, unterfertigt obenan vom Ludwig Grafen von Arco-Zinneberg, wurden die Katholiken Deutschlands zu einer gemeinschaftlichen Gegenerklärung eingeladen. Selbst billiger denkende Protestanten tadelten scharf die Form der Darmstädter Resolution und insbesondere I)r. Bluntschli's Motivirnng. Die protestantisch-kirchlichen Parteien in Deutschland lassen sich, schreibt I)r. Friedrich F abri, selbst Protestant, im schon citirten Werke „Staat und Kirche. Betrachtungen zur Lage Deutschlands in der Gegen¬ wart" S. 36 u. f. in drei große Parteigruppen sondern: eine ortho¬ doxe, eine liberale, eine vermittelnde. Dieselben können auch bezeichnet werden als die Parteien der Lutheraner, der U n i o n s- frcunde und des Protestanten Vereines. Die Partei der Unionsfreunde ist seit Jahrzehcnten im eigentlich ausschließlichen Besitze des Kirchenregimentes in Preußen. Das Programm des Protestantenvereines habe die Tendenz, „den Ueber- gang selbst zu den negativsten Standpunkten flüssig zu machen". Da¬ durch aber müsse die christliche Kirche zu einem „Allerwelt-Sprcchsaal" werden. Auch im Jahre 1372 traten, wie alljährlich sein sollte, die Ver¬ treter der deutschen evangelischen Kircheuregiernugeu in Eisenach zu der im Jahre 185t begründeten Confercuz zusammen. Die „Augsburger Allgemeine Zeitung" Nr. 159 g. I. bringt eine Jercmiadc über die Unfruchtbarkeit „dieser Jahreseouferenz von mehr oder weniger abso¬ lutistischen Kirchcnregierungen". — Wohin das führe, sehe mau in Mecklenburg: das Ende sei eonsistvriales Papstthum chic!). Die im Juni .1872 in Erlangen abgehaltcne evangelisch-lutherische Pastoraleonferenz sprach sich energisch gegen den „Protestantenvcrein" und dessen Tendenzen aus. Sie erklärte, „daß sie im sogenannten Pro- testantenvcrein kein gesundes Gewächs aus dem Boden ihrer (der evan- 374 14 Theil. 4 Hauptstück. Der Protestantismus. gelisch-luthcrischcn) Kirche, sondern einen Abfall vom schriftmäßigen Be¬ kenntnis? und eine Verlängnung seiner Grundwahrheiten erkenne". Das königlich preußische Landesconsistorium verbot (1872) „die Abhaltung außerordentlicher Gottesdienste aus Anlaß des bevorstehenden (sechsten) Protestantentages in den Osnabrücker-Kirchen". Die Beschlüsse dieses aneb schon erwähnten Protestantcntages lau¬ teten nicht minder kirchlich radical, wie jene des im Vorjahre (3. bis 6. October 1871) abgehaltcncn. Völlige Befreiung vom sogenannten „Symbolzwange" ist der Refrain der Resolutionen. 1)r. Blnntschli aus Heidelberg theilte mit, daß er vom Cölner Altkatholikeu-Cougresse dort die „günstigsten Eindrücke gewonnen habe". Der deutsche Protestantcutag zu Leipzig iu der ersten Hälfte August 1873 behandelte vorzüglich die Civilehe und die evangelisch-protestan¬ tische Kirchenvcrfassung. Bezüglich jener erklärte er sich nicht dagegen, betonte aber doch, daß auch die Protestanten die Ehe nicht schließen sollen, ohne zugleich auch den Segen der Kirche dafür zu empfangen. Die Letztere aber will er nur auf Grundlage einer Nepräsentativ-Vcr- fassnng anfgcbant wissen. Die Landeskirchen sollen sich zur freien deut¬ schen V o l k s k irche zusammcnschlicßen. Auf dem Ende September und Anfangs Oetvber 1874 stattge- habten Protestantenvereinstagc zu Wiesbaden war Blnntschli so aufrichtig, es offen zn bekennen, daß „der Staat bei dem gegenwärtigen Kampfe mit der römischen Hierarchie keinen besseren Bundesgenossen habe, als den Protestantenverein". — Sehr glaubwürdig! Die am 18. August 1875 in Eisenach zusammcngetretene deutsche evangelische „Kirchen-Conferenz" (bis 21. August) beschäftigte sich vor¬ züglich mit der Frage, ob in Rücksicht der eingeführten bürgerlichen Eheschließung die Agende bei der kirchlichen Trauung und in welcher Gestalt zu ändern sei? Man einigte sich in dem Satze: „daß von der evangelischen Kirche rückhaltslos anzuerkennen ist, durch die nach staat¬ lichem Gesetz erfolgte Eheschließung entstehe eine vollgiltige Ehe". Also seien die Traunngsformcln nur gemäß dieses Grundsatzes abznändcrn. Die kirchliche Trauung sei also nichts weiteres, als die Segnung der¬ be reit s geschlossenen Ehe im Namen des dreieinigen Gottes. Bei solcher Anschauung ist cs freilich begreiflich, wie der Super¬ intendent Mein hold zu Cammin wegen seiner Betheilignng an der Gnadauer-Erklärung über die biblische Unzulässigkeit der Wieder- § 80. Protest. Kirchenwcsen u. Literatur tu Deutschland (Fortsetzung). 375 traunng geschiedener Eheleute sowohl vom Cousistorium zu Stettin, als auch vom Oberkirchenrathc seines Amtes enthoben werden konnte. Gegen die liberalen Beschlüsse des am 28. September 1875 be¬ gonnenen deutschen Prvtestantentagcs zu Breslau protcstirten alsbald die „Lutheraner" in Hannover. Unter Anderem sagte die Versammlung, daß sie den Gedanken von Reichs- und Nationalkirchen ver¬ werfe. Sic will nur solche als Prediger zngelasseu haben, welche „mit Herz und Mund ans dem Boden der lutherischen Kirche stehen". Im nächsten Jahre 1876 fand vom 29. bis inclusive 31. August der Protcstantcntag zu Heidelberg statt. Bezeichnend für denselben ist z. B. die Acnßcrnng des Oberschulrathes Wendt ans Karlsruhe, das; der Religionsunterricht in der Schule von den weltlichen Anstaltslehrcrn ertheilt; der Wunderglaube beseitiget; die Dogmatik aus dem Unter¬ richte entfernt werden solle, weil sie zum Dogmatismus führt, welcher vermieden werden müsse u. s. w. Ist sich zn wundern, das; selbst Professor I)r. M. Baumgarten in Rostock in seiner Schrift: „Eine Krisis innerhalb des deutschen Vcr eines" (1876) bitter und fast trostlos über die Zerfahrenheit selbst im liberalen Protestantischen Lager klagt? 8 8806 zu Stein im Cantvn Appenzell außer Rhoden und hatte sich der Medicin ge¬ widmet. Am 28. September 1877 trat zu Wiesbaden der „deutsche Verein zur Erforschung Palästina's" in's Leben. Er gibt eine eigene Zeit¬ schrift heraus. Im December 1860 starb der Professor an der protestantischen theologischen Lehranstalt zu Tübingen, I)r. von B a n er, bekannt ans seinen Controversschriftcn gegen Iw. Adam Mohler. Am 23. Sep- y Durch ihn wurde der Urkundcnfälschcr Coustcintin Simo nid cs entlarvt. -y Der Ooäex ^mintimw ist von einem Servaudus geschrieben. Man meint, daß vom nämlichen Scrvandus, der als ein Schüler des hl. Benedict erwähnt wird. Andere aber versetzen die Handschrift ans paläographischen Gründen in das 9. Jahrhundert, was jedoch das Unwahrscheinlichere ist. Z 86. Protest. Kirchcnwestn u. Literatur iu Deutschland (Fortsetzung). 379 tember 1863 starb dcr bekannte Verfasser des Werkes: „Gregor VIl.", Johann Voigt, Professor zn Königsberg. Am 2. Juli 1860 verschied in der Nähe von München Gotthilf Heinrich von Schubert, geboren am 26. April 1780 zn Hohenstein im Schönburgischen, seit 1817 Professor dcr Naturgeschichte zu München, Anhänger des Schclling'schen Naturphilosophie; übrigens ein gläubiger Christ, an den Mysticismns streifend, eine edle Persönlichkeit. Er schrieb Vieles in obiger Richtung. Zugleich erinnert er uns an vr. Josef Franz Molitor, unter Anderem Verfasser des unvollendet gebliebenen Werkes: „Philosophie dcr Geschichte, oder über die Tradition in dem alten Bunde und ihre Beziehung zur Kirche des neuen Bundes", geboren 8. Juli 1779, gestorben 23. März 1860 zu Frankfurt am Main. Sein theosophisches System ähnelt dem Bander's. Das Verhältnis; der Kabbalah zum Christeuthume beschäftigte ihn viel. Markus von Niebuhr, dcr Sohn des Geschichtsschreibers und Staatsmannes Georg N i c b n h r, gestorben August 1860, schrieb unter Anderem die „Geschichte Assurs und Babels", worin er die Ucbcrcin- stimmnng dcr neueren Entdeckungen Rawlinson's und Layard's mit der Bibel nachwies. — Am 29. Oetobcr 1861 verlor Preußen seinen berühmtesten Rechtsgclchrtcn Staatsminister vr. Friedrich Carl von Savigny durch den Tod. Er war den 21. Februar 1779 zu Frankfurt am Main geboren. Wir machen gerne seiner ehrende Erwäh¬ nung, weil er, obwohl Protestant und nur juridischer Schriftsteller, dem Katholieismns, den er schon als Professor zn Landshut im Ilm- gange mit Michael Sailer achten gelernt hatte, stets eine echt tole¬ rante Gesinnung bewahrte. Sein Sohn Carl Friedrich von Savigny trat 1859 zur katholischen Kirche über. Er war am 19. September 1814 in Berlin geboren; preußischer Gesandter in Kurhessen, Baden und Sachsen, sodann in Brüssel und seit 1864 am Bundestag in Frank¬ furt a. M., wo er bei der Katastrophe vom 14. Juni >866 den Bund für erloschen erklärte. Zuletzt gehörte er dem Vorstand des sogenannten Centrnms an. Der katholischen Kirche war er treu und aufrichtig zn- gcthan und starb an; 11. Februar 1875 zu Frankfurt a. M. vr. Carl U l m a n n, Prälat und Director a. D. des evangelischen Obcrkirchenrathes, geboren 15. Marz 1796 zu Epfenbach in der Pfalz, starb am 12. Jänner 186:5 zu Carlsruhe. Er und Um breit be¬ gründeten 1827 die theologische Zeitschrift: „Studien und Kritiken". 380 II. Theil. I. Hauptstück. Der Protestantismus. Zu seinen Schriften gehören unter Anderem: „Gregor von Nazianz"; „Reformatoren vor der Reformation" (bekanntlich ein Lieblings¬ thema protestantischer Schriftsteller); „lieber die Sündlosigkeit Jesu"; „Wesen des Christcnthuins"; „Historisch oder mythisch?" gegen l>r. Strauß. Achtungswerth als Mensch und als Gelehrter war vr. Carl von Raumer, Professor zu Erlangen, gestorben 3. Juni 1865. Er war geboren am 9. April 1783 zu Wörlitz bei Dessau. Unter seine vor¬ züglichsten Werke gehören: „Lehrbuch der allgemeinen Geographie"; „Palästina"; „Geschichte der Pädagogik"; „Kreuzzüge". Auch besorgte er eine neue Ausgabe von den „(lontdssiones 8. tVnxnstini" mit reich¬ haltigen Anmerkungen. Bischofs S ei ler und Cardinals Dicpenbrock Freund, Johann Carl Passavant, Doctor der Mediein (gestorben 1867 zu Frank¬ furt a. M.) ein tief religiöser Mann und Schriftsteller, konnte sich doch nicht zur formellen Rückkehr in die katholische Kirche entschließen. August Friedrich Christian Vilmar, geboren 2>.November 1800 zu Solz, einem niederhessischcm Dorfe, gestorben 30. Juli 1868, schon genannt bei Kurhessen. Sein Hauptwerk ist außer anderen Schriften, auch theologischen Inhaltes, z. B. „Theologie der Thatsachen gegen die Theologie der Rhetorik"; Aufsätze im „Hessischen Volksfreund"; in den „Pastvralthcvlvgischen Blättern" die „Geschichte der deutschen National literatur" , mit Recht gepriescu uud anempfohlen. Von ihm sind ferner: „Deutsche Alterthümer im Heliand"; „Anfangsgründe der deutschen Grammatik"; „Zur neuesten Cnlturgeschichte Deutschlands" n. s. w. Nicht lange hernach, nämlich am 28. Mai 1869, folgte ihm im Tode der auch schon genannte Ilr. Tbvol. E. Wilhelm Hengsten¬ berg, geboren am 20. October 1802 in Fröndenberg an der Ruhr bei Unna, wo sein Vater Stiftspredigcr war. Seit 1828 fnngirte er als ordentlicher Professor der Theologie an der Friedrich - Wilhelms- Universität zu Berlin. Am 4. Juni >827 bereits erschien die erste Nummer der von ihm selbst bis kurz vor seinem Tode redigirten „Evan¬ gelischen Kirchenzeitnng". Zweifelsohne Einer der ersten alttestament- lichen Sprachkenner schrieb er außer anderen Werken die Christo¬ logie des alten Testamentes, einen Cvmmentar über die Messianischen Weissagungen; einen Cvmmentar über die Psalmen und gab auch nen- testamentliche Commcntare heraus. Seine sogenannte orthodoxe Rich Z 86. Protest. Kirchcnwefeu u. Literatur in Deutschlaud (Fortsetzung). Ztzf tuug entfremdete ihm den Kirchenhistvriker 1)r. Nean der, wie er denn auch die Haller Professoren nicht zu Freunden hatte. Or. Neander selbst starb in Berlin !)4 Jahre alt am 28. No¬ vember 186!). Er war (protestantischer) Bischof seit 1830. Der hundertjährige Geburtstag Friedrich Ernst Daniel Schleier- macher's (geboren zu Breslau 21. November 1768) wurde außer in Berlin, auch noch in allen bedeutenderen protestantischen Städten festlich begangen. Natürlich priesen ihn da rationalistische Redner als den Herold der religiösen Aufklärung. Schleiermacher meinte einst, die Gebildeten und Denkenden nur dadurch für das Christenthum wieder gewinnen zu können, wenn er es ihnen nur mehr als bloße Vernunftreligivn vorstellte. Anders z. B. C. A. Gerhard von Zezschwitz in seiner „Apo logie des Christenthnms nach Geschichte und Lehre", entstanden aus öffentlichen Vorlesungen 1863—1865. Dem Verfasser ist das Christen- thum wirklich eine übernatürliche Thatsache; mit Recht sagt er: „Unsere Aufgabe vergleicht sich mit dem Kampfe der ersten Apologeten um die Existenz des Christenthum". Hinwider sieht der protestantische Pfarrer W. Krüger-Vel thusen in Sobernheim an der Nahe, im Regierungsbezirke Cvblenz in seiner neuen Bearbeitung des Lebens Jesu (Elberfeld, 1872) im Anschlüsse an Keim's (Professor der Theologie zu Zürich) bereits er wähnte „Geschichte Jesu von Nazara" im göttlichen Heilande nur den Vollender der alten Bnndesreligivu. ') Mit den sogenannten kritischen Bearbeitungen des Lebens Jesu treiben einzelne protestantische Gelehrte in der That ein heilloses Spiel. Mancher meint nach dem Beispiele 1)r. Daniel Sch en kel's malen nnd retvnchiren zn dürfen, bis das göttliche Bild unter seiner Hand zu einem nicht mehr kenntlichen Zerrbilde wird. Ist dies nicht mit Sch enkel's „Das Charakterbild Jesu" der Fall? als dessen Wetter¬ führung, und in, gleichen Geiste, er im Jahre 1878 „Das Christus- bild der Apostel und der nachapostolischen Zeit" erscheinen ließ. Im rationalistischen - freigemeindlichen Sinne erschien 1872 die „Protestanten Bibel des Neuen Testamentes" unter Mitwirkung der ') Verfasser leistete aber am 13. November 1872 vor dem königlichen Cou- sistorium zu Coblenz Widerruf. 382 H. Theil. I. Hauptstück. Der Protestantismus. Dvetvren: Bruch in Straßburg, Gilgeufeld iu Jena, Holsten iu Bcru, Holtzmann iu Heidelberg, Krenkel iu Dresden, Laug iu Zürich, L i p s iu s und P fl e i d e rer iu Jena, Späth iu Olden¬ burg, Ziegler in Berlin, herausgegebeu von 11r. Paul Wilhelm Schmidt und Dr. Franz von Holtzendorff in Berlin. Gleicher Tendenz ist das „Bibel-Lexikon, Realwörterbuch zum Hand¬ gebrauch für Geistliche und Gemeindeglieder. In Verbindung mit den namhaftesten Bibelforschern herausgegebeu vom Evusistvrialrath Pro fessvr I>r. Daniel Schenkel". Wir wissen schon, daß diese Herren Bibelforscher aus der heiligen Schrift alles Uebernatürliche hin aus- forschen. Das „Allgemeine Kirchenblatt für das evangelische Deutschland" ist mit der Eisenacher Evnferenz von Abgeordneten der Kirchenregiernngen des evangelischen Deutschland aus den in den Jahren 1.850 in Stutt¬ gart, 1851 in Frankfurt a. Ak. und in Elberfeld gepflogenen Be- rathungen entstanden, unter dem Herausgeber Prälaten von Moser, Generalsuperindeuteu von Tübingen. Der streng lutherischen Richtung huldigte Gustav Friedrich Oehler, geboren 10. Juni 1812 in dem schwäbischen Städtchen Ebingen, ge¬ storben lO. Februar 1872 als theologischer Professor zu Tübingen. Sein Lieblingsfach war das Alte Testament. Unter Anderem schrieb er „Prolegomena zur Theologie des Alten Testamentes". Der in weiteren Kreisen znmal durch seine Cvmmentare zu den Psalmen und den Propheten des alten Bundes bekannte Professor der Theologie Or. Ferdinand Hitzig — geboren am 23. Juni 1807 zu Hauingeu bei Lörrach im badischen Oberlande — starb am 22. Jänner 1875 zu Heidelberg. Er gehörte der freisinnig-rationalistischen Richtung an; interessirte er sich ja auch im Jahre 1830 für die Berufung des I)r. David Strauß als Professor der Dogmatik an die Universität in Zürich, wo Hitzig damals angestellt war. Eine ganz andere Richtung verfolgte der am 24. Jänner 1875 verstorbene Professor der Dogmatik an der Universität zu Erlangen, I)r. Gottfried Thomasius (geboren 1802 zu Epeuhausen). Er ver¬ trat nämlich mit Entschiedenheit die lutherische Lehre. In diesem Sinne arbeitete er auch an seiner Dvgmengeschichte. Ain 4. Akai 1875 starb iu Göttingen der dort am 10. November 1803 geborue Orientalist und Bibelforscher I)r. Heinrich Ewald. Z 86 Protest. Kirchenwcsen n. Literatur in Dcntschland (Fortsetzung). ZtzZ Einer der bekannten sieben iin Jahre 1837 unter König Ernst August ihres Amtes wegeu der Protestation wider die Verfassungsänderung, nämlich wider die Aufhebung der im Jahre 1833 angeführten Ver¬ fassung, abgesetzten Professoren. Ein gesinnnngstüchtigcr „Welfe", ver¬ weigerte er 1866 dem neuen Landesherrn den Huldignngseid. Unter den alttestamentlichen protestantischen Exegeten ist er wohl der gelehrteste und fruchtbarste, aber vielleicht der meist rationalistische. Tolerante Ge¬ sinnung kannte er nicht — daher auch sein widerliches Geschimpfe bei jeder Gelegenheit über „Papstkirche", „Jesuiten" u. dergl. Christian David Friedrich Palmer, (geboren 27. Jänner 1811 zu Winnenden in Würtemberg) Professor der Theologie zu Tübingen, starb 29. Mai 1875. Eitler der Hauptvertreter der sogenannten Ver- mittlnngstheologie, d. i. jener Richtung, die den Rationalismus und (Protestantischen) Orthodoxismns mit einander zu versöhnen nnd aus- zngleichen sucht -- freilich eilte Unmöglichkeit. Auf dem Felde der Ho¬ miletik nnd Katechetik erschienen von Palmer geschätzte Schriften; auch eine „Evangelische Hhmnologie", „Evangelische Pastoraltheologie" und „Moral des Christenthums". Das Hauptwerk des am 8. Jänner 1876 in Berlin verstorbenen Obereonsistorialrathes — früher auch theologischer Professor alldort I>r. A. Christian Twestcu (geboren 1789 zu Glückstadt in Holstein) „Vorlesungen über die Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche" hat mehrfache Auflagen erlebt. Der am 22. Februar 1877 in Carlsruhe verstorbene evangelische Prälat Julins Holtzmann schrieb einen „Leitfaden der Kirchen geschichte". August Tholuk, Professor der Theologie zu Halle (geboren 30. März 1799 zu Breslau, gestorben >0. Juni 1877) gehörte der sogenannten positiv gläubigen Richtung an. Die Bekämpfung des Ratio nalismus erschien ihm als seine Lebensaufgabe. Die Auslegung des Römerbriefes, des Evangeliums Johannis, der Bergpredigt, des Hebräer briefes, der Psalmen u. A. geben hievon Zeugnis;; insbesondere aber die Bekämpfung des Ilr. David Strauß mit seinem mythischen „Leben Jesu". Auch protestantische Gelehrte nahmen sich der gcoffenbarten Wahr¬ heit gegenüber einer sie bekämpfenden Naturwissenschaft wacker an. So z. B. I)r. Fr. Pfaff, Professor in Erlangen, in seiner „Schöpfnngs- 384 II. Thcil. 2. Hcniptstück. Die griechisch-schisinatischc Kirche. geschichte mit besonderer Berücksichtigung des biblischen Schöpfungs- berichtes", in „Ueber die Entstehung der Welt und die Naturgesetze", „Die neuesten Forschungen und Theorien auf dein Gebiete der Schö¬ pfungsgeschichte", „Die Theorie Darwin's und die Thatsachen der Geo¬ logie". Der Professor der Theologie und eigentliche Begründer der so¬ genannten Erlanger Schule (Thomasius, Delitzsch, von Schenrl, Schmid, Frank re.) Or. Johann Christian Conrad von Hofmann (geboren 21. Deeeinber 1810 zu Nürnberg) starb am 20. December 1877 zu Erlangen. Sein Hauptfach war neutestaineutliche Exegese. Er schrieb: „Schriftbeweis", „Weissagung und Erfüllung", „Die heilige Schrift neuen Testamentes, zusammenhängend untersucht". Ein ohne Zweifel verdienter, conservativ gesinnter Geschichtschreiber und Professor war vr. Heinrich Leo zn Halle (gestorben am 24. April 1878). „Ob es gelingen wird, in Protestantischen Kreisen die biblische Malerei dein Wesen des Bekenntnisses gemäß zu beleben, steht dahin" schreibt Anton Springer in seiner „Geschichte der bildenden Künste nn 10. Jahrhundert", S. 32. Wir selbst zweifeln auch daran, es sei denn, daß, wie Antor an¬ läßlich eines Bildes des Berliner Künstlers Gustav Richter, „Die Auferweckung der Tochter des Jairns", bemerkt, der „rein mensch¬ liche Inhalt biblischer Begebenheiten ohne symbolische Zuthat" geschildert wird. Aber da kann inan ja das Bild kein biblisches in voller Wahr¬ heit nennen. Es ist nichts als der Ausdruck biblischer Skeptik. Uebrigens verkennen wir nicht die Leistungen protestantischer Künstler ans diesem Felde; aber sie lassen uns kalt, wenn wir an ihren Werken die Wanne der eigenen frominglünbigen Ueberzeugung ihres Schöpfers vermissen. Gilt das Gesagte etwa nicht von dein in der That genialen, ani 5. October 1805 zu Arolsen iiu Fürstenthniue Waldeck gebvrnen, ain 7. April 1874 in München verstorbenen Or. Wilhelm von Kaulbach, Director der bildenden Künste? Er gehörte der evangelischen Cvnsessivn an. Nichtsdestoweniger verbat er sich das christliche Leichenbegängnis; und wurde „aivilitor" begraben. Das Christenthuin verherrlichte er in feinen Werken nicht; iin Gegentheile zeigte er sich insbesondere der Z 87. Oesterreich. 385 katholischen Kirche und dein Pnpstthmne in seinen letzten Gemälden sehr abgeneigt; nämlich in seinem „Pater Arbues" nnd jenem, worunter er selbst schrieb: „Der heilige deutsche Michel dem tapferen dentschen Volke". ') Zn seinen großartigsten Prodneten gehört „Die Hunnen¬ schlacht" nnd „Die Zerstörung Jerusalems durch Titus". — Bekannt sind seine FreSeenbilder für das Treppenhaus des Berliner Museums und seine Darstellungen an der neuen Pinakothek in München. Kaum minder das katholische Gefühl verletzend sind die Bilder- Carl Friedrich Lessing's ans der Düsseldorfer Schule — zumal seine Hussiteubilder. Julins Haus Schnorr von Carolsfeld (geboren 26. Marz 1794 zu Leipzig, gestorben 24. Mai 1872 zu Dresden, Protestant) lieferte einige gute religiöse Bilder, so die „Hochzeit zu Kana". Zweites Hauptstück. Die griechisch-schismatifche Kirche. tz 57. (Drstrrrcich. Die griechisch nicht nnirten Glaubensgenossen in Oesterreich gehören drei Volksstämmen an: dem rumänischen, in Ungarn, zumal im Banate, in Siebenbürgen und in der Bukowina; den: r n t h e n i s ch e u in der Bukowina und dem serbischen in Südnngarn, Shrinien. Die letzte Uebersicdlnng von Serbien nach Oesterreich erfolgte im Jahre l737, als der Jpeker Patriarch Arsenins Joannvviü das türkische Gebiet verließ. Die Kaiserin Maria Theresia ernannte ihn nicht nur zum Metropoliten, sondern bestätigte ihn auch in der aus dem 14. Jahrhunderte datirendeu Patriarchenwürde. Aber auch nach dem Tode des Arsenins Jvannvviü (1748) blieb die Patriarchen¬ würde nicht mit der Carlowitzer Metropole verbunden. In Ipek blieb >) Das erste Exemplar der Photographie dieses Bildes wurde dein Iw. von Dollinger gelegentlich seines ProfcssorenjnbiläumS in München am 14. Mai 1874 überreicht, nnd von Döllinger nahm es an. Professor Or. Huber brachte dabei den Namen „Michael" (Wer ist wie Gott?) mit Döllinger's Auftreten gegen die päpstliche Unfehlbarkeit in Verbindung. (!) S t e p i s ch n e g g, Papst Pius IX. und seine Zeit. II. Bd. 25 386 II. Theil. 2. Hauptstmk. Die griechisch-schismatischc Kirche. noch iimner ein Viear; bis 1765 der Patriarch von Constantinopel das Jpeker Patriarchat um 40 Beutel schwarzer Grvschen verpachtete. (Siehe: „Actenmäßige Darstellung der Verhältnisse der griechisch-nicht- unirten Hierarchie in Oesterreich", Wien 1861.) Der Metropolit von Carlowitz machte sich mit seinen II Bischöfen von der Jurisdiction des Patriarchen von Cvnstantinvpel unabhängig, und seine Kirche bildet seitdem ein eigenes Patriarchat. Der ge¬ wählte Metropolit von Carlowitz wird vom Kaiser bestätiget, der ihm gemäß des kaiserlichen Manifestes vom 15. December 1848 die Wörde eines Patriarchen verleiht. Der Erste wurde damit Josef Rajaöiö geschmückt. — Dem Patriarchen von Carlowitz unterstanden anfänglich alle nicht-unirten Bischöfe von Siebenbürgen, Bukowina und Dal¬ matien. Die griechisch-schismatischen Bischöfe Oesterreichs, der von Bukowina erschien nicht, hielten 1852 zn Carlowitz eine Synode ab. Keine ge¬ ringe Gefahr wäre für den Kaiserstaat daraus erwachsen, wenn der Czar von Rußland die mehr als drei Millionen nicht-nnirter Griechen Oester¬ reichs in völlige geistliche Abhängigkeit von sich gebracht hätte. Schon bezogen dieselben ihre Kirchenbücher, in welchen wohl für den Czar, nicht aber auch für den Kaiser von Oesterreich Gebete enthalten waren, von der heiligen Synode zu Petersburg. Um dem vorzubeugen, fing (1855) die k. k. Staatsdruckerei zu Wien au, ihnen die nothweudigcn Drucksachen zu liefern. Mit allerhöchstem Handschreiben ääo. 27. September 1860 an den Patriarchen Rajaöiü genehmigte der Kaiser, daß eine Synode der griechisch-nicht-unirtcn Bischöfe abgehalten werde, nm die allgemeinen Angelegenheiten ihrer Kirche in Oesterreich zu bcrathen, und sodann ihre canonisch gehörig begründeten Wünsche und Anträge vorzulegen. Der Patriarch möge mit den Bischöfen iu gemeinsame Erwägung ziehen, welche Gegenstände auf dem demnächst einzubernfendcn illyrischen Na¬ tiv n a l c o n gr e s se zu verhandeln seien. Am 13. December 1861 starb der Patriarch von Carlowitz Josef Freiherr von R a j aöiö. Während der ungarischen Revolution war er treu zum angestammten Regentenhause gestanden. >) y Seit dem Belgrader Frieden (1739) war er der siebente Metropolit zn Carlowitz — Patriarch seit >349. Z 87. Oesterreich. 38 7 Der Kaiser ernannte den griechisch-nicht-unirten Bischvf von Temes- war Samuel Bl a s chi e r e v its zum Patriarchatsvcrweser, dann ivnrde er Patriarch. Auf dem Landtage Galiziens 1863 wurde die Selbständigkeit der griechischen Kirche der Bukowina beantragt; auf der im August 1864 abgchalteucn Gcueralsyuvde aber die Errichtung eines eigenen Patriar¬ chates für die Rumänen beschlossen, welche bisher auch dem Patriarchen serbischer Nation zu Carlowitz unterstanden. Der Kaiser genehmigte den Zusammentritt des Nationale ongresses zur Verhandlung von Kirchen-, Schnl- und Fvndangelegcnheiten anläßlich dieser Trennung, mit welchem Cvngresse gleichzeitig die Shno de der griechisch - vrien- talischen-serbischen Bischöfe tagen solle, die denn am 15. August 1865 zu Carlowitz eröffnet wurde. Unter Einem ernannte der Kaiser den griechisch-schismatischcn Bischof in Siebenbürgen Freiherrn Andreas von Schaguna zum Metro¬ politan (Patriarchen) der griechisch-orientalischen Rumänen in Sieben¬ bürgen und Ungarn, mit dem Sitze zu Hermannstadt. Dem Patriarchen zu Carlowitz unterstehen die beiden Diöeejeu: Teiueswar und Wersetz; dem rumänischen Metropoliten (Patriarchen) aber das neue Bisthum zn Karnnsebes und jenes zu Arad. Die Regierung war auch mit Gelduuterstützungeu nicht karg. Für die kirchlichen Bedürfnisse der Nichtunirten in Siebenbürgen bewilligte Sc. Majestät der Kaiser 1864 die Summe von 25.000 Gulden. Ans der erwähnten Generalsynvdc (1864) wurden in Betreff der Verwal¬ tung der Fonds und der Gehalte für die Geistlichen n. dcrgl. Beschlüsse gefaßt, welche die Priester der -griechischen Kirche gewiß nicht die finan- eielle Lage jener der lateinischen beneiden lassen. So z. B. soll auf je 2000 Seelen ein Pfarrer kvnnnen, der 1200 Gulden Gehalt bezieht. Hat die Gemeinde 3000 Seelen, so soll ihm ein Caplan mit 600 Gulden Gehalt beigcgebeu werden. Mit allerhöchstem Erlaß cläo. 28. Mai 186!» ertheilte der Kaiser den, von dem mit allerhöchster Entschließung vom 14. August 1868 nach Hermannstadt Unberufenen griechisch-orientalisch-romanischen Nativnal- Kirchencongresse unter dem Titel: „Organisches Kirchenstatut" zu Staude gebrachten Beschlüssen, nach erfolgter Trennung der griechisch-orientalischen Glaubensgenossen in zwei von einander unabhängige Metropvlitanpro- vinzen, die Sanetion für den Umfang der Militürgrenze und mittelst 25* 388 II. Theil. 2. Hnuplstück. DU gOcchijch-schismatische Kirche. besonderer Entschließung geschah dasselbe unter Einem rücksichtlich des Königreiches Ungarn. Das organische Statut handelt: 1. von den Pfarren; 2. Prvto- presbyteriaten; 3. Klöstern; 4. Eparchien, d. i. der Bereinigung mehrerer Pfarren, Prvtvpresbyterate und Klöster, an deren Spitze der Bischof steht. Laut 97 wird der Bischof durch die Eparchialsynvde aus den zu dieser Würde geeigneten Individuen gewählt; 5. von der Metro¬ polie, d. i. der Vereinigung mehrerer Eparchien zu einer Metropvlitan- prvviuz mit dem Metropolitan au der Spitze. Der 8 155 handelt vo» der Wahl des Metropoliten. Für die Wahl des Metropoliten, zugleich Erzbischvfes, wird der Cvngreß aus 120 Abgeordneten bestehen, wozu die Archidiveese mit der Hälfte, die übrigen Diöeesen aber zusammen mit der anderen Hälfte der festgesetzten Zahl der Abgeordneten eon- cnrriren; folglich hat bei dem gegenwärtigen Bestand der Eparchien die Archidiveese mit 60, die Arader und Karansebeser Diveese aber mit je 30 nach der im 8 l48 vvrgeschriebenen Modalität gewählten Abgevrd neten mitznwirken. Die Suffraganbischöfe haben im Congresse zur Wahl des Metropoliten, w e n n sie nicht z n A b g e v r d n e t e n gewählt find, k e i n e S t i m m e bei d e r M e t r o p o l i t e n w a h l. Sowohl die Wahl des Bischvfes, als jene des Metropoliten wird der kaiser¬ lichen Bestätigung unterbreitet. In Carlvwitz tagte der serbische Cvngreß zum Behufe der Ord¬ nung der Kirchen- und Schnlangelegenheiten. Der Kaiser bestätigte die daselbst entworfene Cvngreßvrganisativn nicht (1871); wohl aber die Wahlordnung des Evngresses und die provisorische Regelung der Dio cesanversammlungen des Metrvpvlitankirchenrathes und des National- schulrathes. Der serbische Patriarchenstnhl war seit dem im Jahre 1868 er folgten Tode des Samuel Maschierovits noch immer nicht de¬ finitiv besetzt. Endlich forderte die ungarische Regierung, gedrängt von der überhandnehmenden Gährung der Serben, den Patriarchatsverweser Arsenins Stoikov ich auf, den bisherigen Kirchencongreß anfzulösen, und einen neuen zunächst uck Inw, d. i. behufs Vornahme der Patriar¬ chenwahl, auf den 18. August 1872 einzuberufen. Doch ehe er noch in Verhandlungen eintrat, wurde der Cvngreß wieder aufgelöst, weil er den feierlichen Empfang, nach dem ans dem Jahre 1779 stam¬ menden Ceremoniell und die Anwesenheit des königlichen Commissärs Z 87. Oesterreich. 389 nicht zuließ, wie dies schon ans der früher zu Neusatz abgehnlteneu, aber von der Negierung für nichtig erklärten Conferenz beschlossen worden war. An der Stelle des Patriarchatsverwcsers Stoikov ich wurde Bischof Grnics ernannt, die Vertretung der Nensatzer serbischen Kirchen¬ gemeinde aufgelöst. Bis zum Jahre 1873 waren die nicht nnirteu Bischöfe der Bu¬ kowina der romanischen Metropolie Vlasendorf, jene in Dalmatien aber der serbischen Metropolie Carlowitz untergeordnet. Um den Rcichs- dnalismus auch auf kirchlichem Gebiete zum Abschlüsse zu bringen, wurde durch kaiserliche Entschließung für die griechisch-orientalischen Bisthümer in der Bukowina und Dalmatien eine eigene Metropolie errichtet, nämlich zu Czeruowitz, und gleichzeitig der dortige Bischof Eugen Hack manu zum Metropoliten ernannt. Er starb aber schon am lö. April 1873. Znm Nachfolger erhielt er Theophilus Ben della, geboren 1814 in Czernowitz, welcher aber auch schon am 2. August 187ö starb. Am Juni 1873 starb der griechisch orientalische Metropolit (Pa¬ triarch) von Siebenbürgen, Baron Schaguua, zu Hermaunstadt. An die Stelle des königlichen Commissärs in der Wviwodina, Baron Majthenyi, wurde als solcher Hüber ernannt, der die serbische Kirchen- und Congreßangelegeuhcit in eine glücklichere Bahn zu leiten suchte. Aber noch immer gab es Anstände und Hindernisse, die nur in: Sinne des IX. Gesetz-Artikels vom Jahre 1868 auf Gruud einer solchen Autonomie, wie sich deren die Rumänen erfreuen, vollkommen beseitiget werden können. Der serbische Kirchcncongreß,, welcher den Patriarchen wählen sollte, ließ ziemlich lauge auf sich warten; in Folge dessen so¬ wohl der Patriarchenstuhl, als auch drei Bischofssitze vacant waren. Außer der ihm obliegenden Patriarchenwahl hat sich der Cvngreß ins¬ besondere auch mit der Cvutrole über die Verwaltung der Kirchen- und Klostergüter zu befassen. Endlich, nm l2. Juli 1874, wurde der Con greß zn Carlvwitz feierlich eröffnet und am 16. Juli mit 63 Stimmen (sieben Mitglieder enthielten sich der Abstimmung) der Bischof von Ofen, Stoikovi c, zum Patriarchen gewählt. Der Kaiser genehmigte aber diese Wahl in den: an den Cvngreß gerichteten allerhöchsten Reseript «l<1<>. 22. Juli nicht, weshalb dieser zu einer neuen schritt, welche nm 3l. Juli auf den rumänischen Metropoliten Procopius Jv n c s k o v i ch 390 II. Thcil. Z. Hauptstllck. Dic griechisch-schismatische Kirche. mit 56 Stimmen fiel. Dieser, im Dorfe Deliblato im Banat als Sohn serbischer Eltern geboren, war früher Bischof von Arad und nach Schaguna's Tod zum rumänischen Metropoliten von Hermannstadt gewählt. Am 18. August, am Geburtstage des Kaisers, erfolgte seine feierliche Installation als Patriarch. Die wieder zusammen tretende Synode schritt nun zur Wahl für die ledigen Bischofssitze zu Temeswar und Carlstadt. Die ungarische Regierung wollte auch in der ehemaligen Militär¬ grenze sogenannte Communal-Schulen einführen; stieß aber schon bei dem neuen serbischen Patriarchen auf Widerspruch. Am 5. Octobcr 1874 trat der serbische Cougreß in Carlvwitz abermals zusammen. Endlich kam eine Vereinbarung mit deu Bischöfen zu Stande, indem der Cvngreß beistimmte, daß in rein geistlichen An¬ gelegenheiten, anch insoferne sie die kirchliche Disliplin betreffen, die bischöfliche Synode kompetent sei. Das Patriarchenwahlstatut erhielt einiger auf die Art der Wahl des Patriarchen sich beziehender Punkte wegen die Sanktion der Krone nicht. Diese verlangte einige Modifikationen. Am 27. Oktober versammelte sich anch der griechisch-orientalisch- rumänische Kirchencongreß zur Wahl des rumänischen Metro¬ politen in Hermannstadt. Bereits Anfangs Februar 1875 führte die Regierung dic Regelung ganz anständiger Gehalte für den „griechisch-orientalischen" Clcrns durch. Für die theologische Fakultät an der neu errichteten, schon am 4. Oktober 1875 eröffneten deutschen Universität in Czernowitz über¬ nahm der „griechisch-orientalische" Religivnsfond die Kosten. Uebrigens haben die besonderen Bestimmungen, welche sonst für die katholisch-theo¬ logischen Fakultäten erlassen find, für die griechisch-orientalische theologische Facultat in Czernowitz keine Geltung, sondern untersteht dieselbe deu allgemeinen akademischen Vorschriften. Im gleichen Jahre war es ein Säculuin seit der Vereinigung der Bukowina mit Oesterreich. Im November 1874 war der serbische Cougreß nur vertagt worden. Er versammelte sich neuerdings am 30. Mai 1875 und der nächste Tag war zur Publiciruug des vom Kaiser sauctionirten Organisationssiatutes bestimmt. Der künftig statt „serbisch-uativualer Kirchencongreß" „griechisch orientalischer serbischer Kirchencongreß" heißende Cougreß besteht laut Z 88. Rußland. 391 desselben aus 75 gewühlten Mitgliedern und den Virilstiimnen der Bischöfe. Von den gewühlten Mitgliedern müssen 25 Geistliche sein. Präsident des Congresses ist der Patriarch; Vieepräsident ein vom Congreß gewählter Weltlicher. Der Cvngreßausschnß besteht ans nenn Mitgliedern, auch unter dein Präsidium des Patriarchen. Mitglieder desselben sind: ein Bischof, zwei Geistliche und fünf Weltliche. Dogma¬ tische, rituelle und Disciplinar-Angelegenheitcn gehören nicht zur Kom¬ petenz des Congresses, sondern in letzter Instanz zum Ressort der Bischofs¬ synode. Die Congreßperiode währt drei Jahre. Am 19. Juni wurde der Kongreß auf unbestimmte Zeit vertagt. Um die nämliche Zeit hatte die in Wien versammelte Metropolie der Bukowina und Dalmatiens ein Synvdalstatut und ein Regulativ für das geistliche Synodalgericht beschlossen. Darnach ist diese Metro¬ polie den beiden anderen griechisch-orientalischen Metropolien, nämlich der serbischen und der rumänischen, eoordinirt, und hat im Verein mit denselben die in Aussicht genommene Generalsynode der ganzen griechisch¬ orientalischen Kirche in Oesterreich-Ungarn zu bilden. Die ordentlichen Metropolitensynvden finden alljährlich in Wien statt. Sie sind für alle Angelegenheiten eompetent, welche das Dogma, den Kultus, die christliche Sitte uud die geistliche Disciplin betreffen. Das Synodal¬ gericht ist ein geistlicher Gerichtshof zweiter Instanz. Auf die Beschlüsse der wieder in Carlowitz am 5. November 1876 eröffneten Bischvfssynode war man mit Grund gespannt. Doch wurden meist geistliche Angelegenheiten verhandelt; so die Verbesserung des Lehr-, planes für die theologischen Lehranstalten, für den Religionsunterricht in den confessionellen serbischen Gymnasien, Volksschulen u. dergl. 8 38. Uuhlnnd. In Rußland bestehen noch sehr viele der Staatskirche mehr oder weniger feindliche, grvßentheits schon ans dem 16. Jahrhunderte stam mende Sccten, an derem Entstehen die Verweltlichung der Kirche durch den Cäsaropapismus eine große Schuld trügt, als: die Morilschiki, d. i. die sich Aufopfernden, welche sich selbst dem Feuertvde überliefern; die Skvpzi oder sich Verstümmelnden (Entmannenden). Ihr Prophet oder Stifter war zu Anfang des 19. Jahrhunderts Seliwanoff; erst jüngst schritt die Regierung gegen sie strenge ein; dennoch gewinnt diese 392 II. Thnl. 2. Hauptstück. Die grlcchisch-schiSumtischc Kirche. Secte immer größere Verbreitung. Die in den Prvcessen nls schuldig Erkannten wurden nach Sibirien verbannt. Ferner die Chlistowtschi, d. i. die sich Kasteienden; die Beßlowestniki, d. i. die Stummen; die Secte des verherrlichten Erlösers; die Sabatniki (Sabbatvcrchrer, eigent¬ lich znm Jndenthume Abgefallene); ferner die große Gruppe der Sta rowcrzen (Altgläubigen), auch Raskolniki (Abtrünnige) genannt, Tod¬ feinde aller Neuerungen in der russischen Kirche, weshalb sic den Czar Peter I. den Großen geradezu für den Antichrist halten. Jüngst sollen viele „Starowcrzen" zur russisch-orthodoxen Kirche zurückgekehrt sein; doch soll ihre Anzahl noch immer gegen 19 Millionen betragen. In jüngster Zeit will ihnen die Regierung die Civilrechte Anerkennen. Die Entschiedensten ans ihnen, welche jede Gemeinschaft mit der russi¬ schen Staatskirchc meiden, heißen Starovbradzi, indes einige Gemäßig teren, die Jedninovcrzi (Gleichglänbige) oder Blagoslvwengi (Gesegnete), mit Beibehaltung ihrer meisten Eigenthümlichkeitcn eine Art von Union mit der Kirche eingingen. Die Zahl dieser Sectircr ist seit 1840 schon von 9 bis auf l 3 Millionen gestiegen. Ihre meisten Anhänger befinden sich in Sibirien, auf dem Ural und unter den Kosaken. Seit 1845 haben sie eigene Bischöfe und Priester. Eine andere Abtheilung bilden die Bespopowtschine (die Priesterloscn) oder Pomvrane (d. i. die am Meere Wohnenden). Dem religiösen Fortschritte im Sinne des Zeit geistes huldigen, also gewissermaßen Freidenker sind (von Anderen werden sic aber als streng bibclgläubig geschildert) die Malakanen (d. i. Milch esser, weil sie an Fasttagen Milch essen, sie selbst nennen sich Jitine Christiane, d. i. wahrhaft geistige Christen) und die Dnchoborzen, d. i. die im Geiste (für den Geist?) Kämpfenden. Sie nennen sich auch Duchowni Christiane, geistige Christen; das Volk aber heißt sie Jar masen (Freimaurer), auch Stschelniki oder Jkonoborzcn (Bilderstürmer). Ihre Zahl mag eine Million betragen. Die Spakvwtschini erkennen die Regierungsbehörden nicht an. Die r n s s i s ch en A n a b a p t i st e n unter¬ scheiden sich von den westeuropäischen Wiedertäufern dadurch, daß sie die Ehe verwerfen ; demungeachtet aber den zeitweisen Cvneubinnt für erlaubt halten. („Augsburger Allgemeine Zeitung" 1871, Nr. 131, außerordentliche Beilage und Nr. 50 vom Jahre 1875, außerordentliche Beilage.) Wir übergehen manche andere, wahrhaft monströse Sccten; als: die „Adamiten", die „Gähner", die „Kindsmörder", die „Ersticker" Z S8. Rußland. 393 u. s. w. Ja es gibt sogar Fanatiker, welche in Napoleon I. die Jnearnation Christi sehen! Der Verfasser des Buches: „Studien über Rußlands Zukunft" (Berlin 1863), Schedo-Ferroti, zahlt 37 be¬ deutendere Sccten in Rußland nut unzähligen Unterabtheilnngein Im Jahre 1874 erhielt die Vorlage über die Civilche der Sectirer die Be¬ stätigung im Wege der Gesetzgebung. Im Ganzen hängt das gemeine Volk in Rußland doch noch fest an seiner orthodoxen Nationalkirche; die sogenannten Gebildeten und die höheren Stände aber, welche sich häufig durch ein eigenthümliches Gemenge asiatischer Barbarei mit angelernten französischen Manieren charaktcrisiren, sind größtentheils dem Vvltairianismns verfallen. Auf sie übt der aus den untersten Schichten hergenvmmene, selbst, mit Aus¬ nahme einiger Mönche, jeder wissenschaftlichen Bildung bare Clerus gar keinen: Einfluß aus. Zu Rußland gehört seit 1828 die ehedem Persien unterthünigc Provinz Eriwan. In derselben liegt die Residenz des ersten schismatischen Patriarchen Armeniens, Etschmiadzin (bereits erwähnt). Er führt den Titel „Katholikos". Außer ihm gibt es noch vier armenische Patriarchen: zu Cvnstantinopcl; zu Sis (über Klein-Armenien, Kappa dveien und Cilieicn); zu Jerusalem und auf der Insel Aghtamar im Wansee. Unter der Negierung des Czar Alexander II. ist nnstreitbar Manches für die Hebung der sogenannten orthodoxen Kirche geschehen. So z. B. erhielt der zu Moskau gegründete „Verein der Freunde geist¬ licher Aufklärung" am 22. Juni 1862 die kaiserliche Bestätigung. Zn dem ähnlichen Zwecke eonstituirte sich am 14. Februar 1872 ein Verein zu St. Petersburg unter Anregung des Großfürsten Con¬ stantin Nikolajewicz. In seinem vom Kaiser einen Monat später genehmigten Programme heißt cs unter Anderem: „Der Verbreitung gesunder Anschauungen von der wahrhaften Lehre, den historischen Schicksalen und den derzeitigen Desiderien der rechtgläubigen Kirche durch Schriften und Vorträge, wissenschaftliche sowohl als populäre, zn dienen". Eines der Häupter der Gesellschaft, Professor Ossiniu, war beim sogenannten Altkathvlikcnevngreß in München anwesend. Neue Parochialschulen wurden gegründet. Die Missionen, zumal unter den mohammedanischen und heidnischen Stämme:: der Wolga gcgendeu, im Kaukasus, Georgien, Sibirien, sogar bis nach Japan, ent- Z94 14 Thcil. 2. Hauptstück. Die griechisch-jchismatische Kirche. wickeln große Thätigkeit. Die in neuer Gestalt zu Moskau entstandene Missivnsgesellschaft zählte am Ende des ersten Jahres (1870) bereits 0647 Mitglieder. — Auch die geistlichen Akademien zu Petersburg, Kiew, Moskau und Kasan nehmen neuen Aufschwung. Für die deut¬ schen Ostseeprovinzen, wo sich etwa 170.000 Orthodoxe unter 1'/^ Mil¬ lionen Protestanten befinden, bestätigte 1871 die heilige Synode behufs Ausbreitung der griechischen Kirche die „baltische rechtgläubige Bruder¬ schaft Christi des Erlösers" mit Hilfsvereineu, den sogenannten „Ret¬ tungs-Bruderschaften". Ihre Resultate sind aber sehr gering. Aus dem Fonds zur Verbreitung des „orthodoxen" Glaubens wurden zu Kirchenbauten für das Jahr 1874 für Lithauen und die südwestlichen Gouvernements 500.288 und für das Königreich Polen 10.000 Rubel angewiesen. In diesem Königreich sollen nach dem Plan der Regierung in allen Gubernial- und Kreisstädten, in denen größere Garnisonen sich befinden, Kirchen für den „orthodoxen" Cnltus erbaut werden. Gegen Ende 1873 verlautete von einem Neformprvjeete für die griechischen Klöster, dessen Hanptzüge die Beschränkung der Mitglieder¬ zahl nnd die Verwendung des Ueberschusses der Klvstergüter zu wvhl- thätigen Zwecken, Unterstützung armer Geistlichen, zu Hospitälen, besseren Dotation der Bischöfe bildeten n. dcrgl. In eben diesem Jahre 1873 gab es in Rußland 59 sogenannte orthodoxe Bisthümer nnd eines in Nord-Amerika. Die 59 Bisthümcr wurden verwaltet von drei Metropoliten, 19 Erzbischöfen nnd 35 Bi¬ schöfen. Die Zahl der sogenannten orthodoxen Bekenner Rußlands belief sich auf 54,062.068. Wie tief die sogenannte orthodoxe Kirche in Rußland sich ernie¬ drigen lassen müsse, geht unter Anderem wohl auch daraus hervor, daß noch erst ein im offieiellen Organe des schismatischen Erzbischvfes von Wilna enthaltener Erlaß 875 seine Gemahlin Amalie, Tochter des Großherzvgs Panl Fried¬ rich Angnst von Oldenburg. y Das Proteetorat über die katholische Kirche ans den jonischen Inseln übernahm (1865) Frankreich. 396 II. Theil. 2. Hmiptstiick. Die griechisch-schisinatischc Kirche. Ein nicht unbedenklicher Streit entspann sich 1866 zwischen der Synode und der Regierung, weil jene die Bischofsweihen, welche diese vollzogen wünschte, verweigerte. Im April 1871 ließ die Regierung die Leiche des 1821 in Kon¬ stantinopel von den Türken gehängten dortigen Patriarchen Grego¬ rios V. von Odessa nach Athen bringen nnd daselbst feierlich bcisctzen. Im August 1873 wurde der Erzbischof vou Corfu, Autonius, zum Metropoliten vou Athen und zum Synodalpräsideuteu erwählt. Da derselbe zu starker Sympathien für Rußland verdächtig war, war der Regierung diese Wahl nicht angenehm. Im künftigen Jahre bestieg der Erzbischof von Messenien, Prokopios, den Metropolitanstnhl von Aktien. Wegen Simonie bei der Ernennung von vier Erzbischöfen ver¬ setzte die Kammer (November 1875) die Exminister Johann Valas- svpnlos, Cnltusminister nnd B. Nikalopnlos, Jnstizminifter, in Anklagestand. Die Untersuchung ergab, daß beide Exminister bei der Besetzung der erzbischöflichen Stühle von Argos, Messenien, Patras - Elis nnd Kephalonien förmlichen Schacher trieben und sich in niedriger Weise bestechen ließen. Nikolopnlos wurde zu zehnmonatlicher; Valas- sopulos zu einjähriger Gefängnißstrafe; außerdem zu einer Geld büße, respective zur Herausgabe des erhaltenen Geschenkes von 56.000 Drachmen und dreijährigem Ehrenverlust vernrtheilt. Die drei Erz¬ bischöfe von Patras, Kephalonien und Messenien aber hatten an den Armenfond das Doppelte der von Jedem derselben entrichteten Be- ftechungssnmme zu bezahlen. 8 90. Türlrri. Der Patriarch von Constantinopel übt ungeachtet der Lostren- nnng einzelner Nationalkirchcn seine geistliche Jurisdiction noch immer über mehrere (nenn) Millionen ans und genießt noch immer auch das Recht einer bürgerlichen Gerichtsbarkeit, zumal der Besteuerung, über seine Glaubensgenossen. Darin liegt aber eben eine Ursache von schmählichen Erpressungen und anderseits oft wiederkehrenden Versuchen, insbesondere der schis- matischen Slaven, sich davon zu befreien. Die Patriarchenwürde selbst ist, wie ehedem, ein Gegenstand des Z öO. Türk«. 397 Meistbotes. Erst 1860 wurde der Patriarch Kyr illos wegen Si- invnie n. dergl. abgesetzt und an seine Stelle nach tnmultarischen Auf¬ tritten der Bischvf van Cycirns, „Joachim", gewählt. Ueberhanpt dauert die Stagnation, die Erschlaffung alles kirch liehen Lebens in den schismatischen Patriarchaten (jene von Alexandrien, Antiochien und Jerusalem zählen zusammen kaum über 80.000 Seelen) fort, und ist die Unwissenheit des Clerus immer die gleiche. Die früher für sich bestandenen Fürstenthümer Moldau und Wa¬ lachei vereinigten sich wohl noch unter der Souveränität des Sultans 1859 unter Einem Fürsten, Alexander Cnsa , der sich nun Johann l. Fürst von „Romainen" nannte, und sich zwar 1864 durch den Staats-' streich vom 14. Mai a. St. zum unumschränkten Gebieter der Donan- fürstenthümer machte, aber schon in der Nacht auf den 23. Februar 1866 durch einen Aufstand gestürzt wurde. (Er starb am 15. Akai 1873 zu Heidelberg.) In Folge dessen gelangte auch das vom Fürsten E n s a am 5. Jänner 1864 bestätigte, von der Kammer am 24. December 1863 vvtirte Gesetz betreffs der Sücularisativn der Klostergüter nicht zur Ausführung. (Nur einige unter der Epitrvpie einheimischer Bojaren stehende wurden ein gezogen.) Ohnehin hatten dagegen nicht nur die Pforte und der Patriarch von Cvnstautinvpel mit den übrigen Patriarchen, sondern auch Ruß land Protestirt. Cusa bot (1864) schon 150 Millionen Piaster Ent¬ schädigung an. Cusa hatte den Muth, dk>n orthodoxen Fanatismus der Griechen gegenüber, den Gregorianischen Kalender für den Post- und Telegra Phendienst zu decretiren. Der Patriarch von Cvnstautinvpel schickte (1865) den Priester K l e o bul o s an C u s a, um ihm Gegenvorstellungen wider die Einführung der Civilehe, wider das Deeret, welches die Ernennung und Absetzbarkeit der Metropoliten und Bischöfe durch den Fürsten bestimmte n. dergl. zu machen. Cusa ließ denselben ohne Umstände über die Grenze schaffen. Beschloß er ja (im December 1864) sogar die Constituirnng einer von Constantinvpel unabhängigen rumänischen Synode, welche alle zwei Jahre am 1. Juli znsammentreten soll. Bei all dem schickte er ein Entschuldigungsschreiben an den Patriarchen, worin er die unhöfliche Abfertigung des Delegirten durch die Verbin¬ dungen desselben mit der rumänischen Umsturzpartei mvtivirt. Doch er 398 II. Theil. 2. Hauptstuck. Die griechlsch-schismatische Kirche. hatte ja schon früher den Metropoliten Milesko gefangen gesetzt und ini November 1802 sogar die griechische Kirchensprache abgeschafft. Nachdem der Graf Philipp von Flandern, Bruder des jungen Königs von Belgien Leopold II. die ihm angcbvtenc Fürstenkrvne ansgeschlagen, nahm selbe der Sohn des Fürsten von H o h enzvllern Sigmaringen als Carl I. an nnd wurde 1866 auch vom Sultan anerkannt nnd erhielt zu Cvustantinvpel die Investitur. Der Artikel VI der Verfassung, welcher von der Emaueipation aller Bekenntnisse handelt, nnd am 30. Juni 1866 in der Kammer zur Berathung kommen sollte, veranlaßte an diesem Tage einen Volks- tnmult gegen die Inden in Bukarest, wobei ihre Synagoge zerstört wurde. Die Regierung zog den der Politischen Gleichstellung der Juden günstigen Artikel zurück. Aehnliche Exeesse gegen Inden fielen noch öfters vor. Darob sogar Intervention der Regierungen, zumal Deutschlands uud Italiens. Ganz mit Recht; ähnliche energische Vorstellungen wären aber auch an Rußland wegen der mißhandelten Katholiken im Namen der „Humanität" und „Toleranz" am Platze! Die Kirchenverfassung in den Dvnanfürstenthnmern blieb durch diese Vorgänge im wesentlichen unberührt. Der Metropolit der Moldau residirt zu Jassy; jener der Walachei zu Bukarest. Ihre Abhängigkeit vom Patriarchen in Constantinvpcl ist nur mehr eine nominelle. Die Synode, bestehend aus dem Metropoliten uud den Bischöfen, vereint mit der Kammer uud dem Senat, bildet das große Collegium für die Wahl des Metropoliten und der Bischöfe, die durch den Fürsten bestätiget wird. Außerdem ertheilt der Fürst jedem neugewählten Metro¬ politen und Bischof die Investitur, indem er ihm persönlich den Stab überreicht. Der Patriarch von Constantinvpel kann ihm dann seinen Segen spenden. Die im Jahre 1873 tagende Synode der anfangs rumänischen Kirche, ging daran, den Metropoliten der Moldau zu einem einfachen Diöeesaubischvf zu degradiren uud ihn dem Metrvpolitanprimas von Rumänien zu unterordnen; stand aber davon letztlich wieder ab, die Sache blieb wesentlich beim alten. — Nach dem Tode des alten Primas von Rumänien, Metropoliten von der Walachei und „Ungarn", wurde (12. Juni 1875) der Metropolit der Moldau und Suezava, Calstne Z 90. Türkei 399 Mieleseu, gewählt. Sein Nachfolger auf dem Metropolitanstuhle der Moldau wurde der Bischof von Corte d' Argis, Josef. Die schon seit 13 Jahren zwischen Rumänien und Rußland schwe¬ bende Klostergüterfrage, wurde endlich 1877 zum Vortheile Rumäniens geregelt. Rußland anerkannte nämlich die noch unter dem Fürsten Cusa vorgenommene Säenlarisirung der rumänischen Klostergüter, welche zum Theile auch in Russisch-Bessarabien gelegen waren und gestand auch die Einkünfte dieser Letzteren der rumänischen Regierung zu. Das Obige bezüglich des Verhältnisses zum Patriarchen zu Cvu stantinopel gilt von dem zu Belgrad residireudcn Metropoliten von Serbien. In den: vom Sultan schon ehedem so gut wie ganz unabhängigen Fürstenthnme Montenegro wurde, wie bereits erwähnt, in neuester Zeit die geistliche von der weltlichen Gewalt getrennt. Jetzt läßt sich der Vladika in Petersburg von der russischen Shnvde eonseeriren; steht aber nicht unter deren Jurisdiction. Montenegro erhielt unter dem Fürsten Nikita zu der bereits bestandenen Eparchie (mit Cetinje, als dem Sitz des Metropoliten) eine neue, nämlich von Brda und Ostrog. Im Februar 1864 versammelte der Patriarch von Cvnstantinvpel eine Synode seiner Bischöfe, der auch die Patriarchen von Antiochia und Jerusalem beigezogen wurden, um überhaupt die Maßregeln zu bcrathen, mittelst welcher die der orthodoxen Kirche von verschiedenen Seiten drohenden Gefahren beseitiget werden sollen. Auch beschloß sie, mit Hilfe der türkischen Regierung die widerspenstigen Bulgaren in den Schooß der griechischen Kirche zurückzuführen. Wirklich setzte sich der früher von den Bulgaren verjagte griechische Bischof Shnechios in Geleitschaft des türkischen Cultusministers Ethem Pascha in Besitz seines Stuhles. Zwei ungefügige bulgarische Bischöfe A nx e n ti o s und Hilarivn waren exilirt worden. Doch die Bulgaren ließen ungeachtet aller Gewaltmaßregeln von ihrem Streben nach nationaler Kirchen-Autonomie nicht ab. Wirklich anerkannte dann die Regierung die bulgarische Kirche als von den griechischen getrennt an. Ein Ferman ertheilte den Bulgaren die Ermächtigung, sich einen Exarchen zu wühlen 1867. Der Patriarch proponirte 1868 zur Lösung der bulgarischen Frage ein ökumenisches Concil der ganzen „orthodoxen" Kirche, welcher Ausweg aber weder 400 Ik Theil. 2. Haiiptstiick. Die griechisch schisumtische Kirche. den Bulgaren, noch den Griechen behagen wollte. Jene besorgten init Grund, dos Cviieil werde eine griechische Majorität haben and die Bulgaren majvrisiren und betrachteten diese rein administrative - nicht dvgmatische — Frage dnrch den Ferman des Sultans als gelöst. Der serbische Metropolit Michael richtete (1871) an den Patri¬ archen Gregorios VI. die Bitte, künftighin die Bischofstühle in Bul garien und Bosnien mit Slaven zu besetzen. Tie phanarivtischen Bischöfe trieben es in der Thal unwürdig. Die Bevölkerung vvn Serajewv bat den Patriarchen dringend um Entfernung des Erzbischvfes vvn Bosnien, Divnysivs, da er „ein Helfershelfer der Paschas und Kaimakams sei." Das sogenannte ökumenische Cvneil kam nicht zu Stande. Die im März 1870 in Constantinvpel evustitnirte Versammlung entwarf die Grnndznge der neu-bnlgarischeu Nativnalkirche des „autonomen Epar- chates". Am 26. Mai 1871 war die Berathung zu Ende. Au des Gregorios VI. Stelle, welcher abdankte, bestieg am 18. September 1871 der zwar versöhnlichere Anthimus VI. Kutnlianus den Patriarchenstuhl, aber immer erfolgte kein Ausgleich mit den Bulgaren. Die Regierung benahm sich in diesem Streite sehr unbeständig. Erst verbannte sie drei bulgarische Bischöfe, weil dieselben wider den Willen des Patriarchen in l'vsto Ich>ip1mniun (1872) in einer Kirche zu Evnstantinvpel die Liturgie feierten, rief sie aber wieder zurück, und deeretirte sogar die Einsetzung eines vvm Patriarchen unabhängigen bulgarischen Exarchates. Zum Exarchen wurde Bischof Anthimus vvu Widdiu gewählt. Der Patriarch von Evustautinvpel verweigerte seine Anerkennung. Die Folge war, daß der Exarch in der Liturgie des Patriarchen vvn Constantinvpel nicht mehr erwähnte, und die Unab hängigkeit der bulgarischen Kirche Prvelamirte. Der ökumenische Patriarch von Constantinvpel hinwider exevmmunieirte ihn. Aber auch der neue Grvßwessier M idhat Pascha war ihm nicht gewogen, ja sogar die Ge meinden von Nnstschnk, der Hauptstadt Bulgariens, und Sofia haben die vom Exarchen ernannten Bischöfe zurnckgewiesen. Die im September 1872 unter dem Präsidium des ökumenischen Patriarchen in Cvnstantinopel zusammengetretene große Sßnvde zögerte noch mit der förmlichen Vernrtheilung des Schismas, wvhl in der Hoffnung, die Bulgaren doch nvch zu gewinnen. Hiezu trug insbesondere der Patriarch von Jerusalem bei, unterstützt vvm russischen Gesandten, General Jgnatieff. K 90. Türkei. 401 Der Patriarch vvn Jerusalem, Ky r illvs, veriveigerte die Unter¬ schrift, man sagte, beeinflußt von Rußland, weshalb ihn nach seiner Rückkehr nach Jerusalem seine Suffragane am 7. Nvvember absetztcu, wozu die Pforte beiflimmte. Der Patriarch kehrte sich daran nicht; es kam in Jerusalem zu Auftritten. Endlich erklärte die Synode dennoch die bulgarische Kirche für schismatisch. Das betreffende Deeret wurde am 29. September in der Kirche des Phanar (der Patriarchalkirche) gelesen. Im vberwähnten Deerete heißt es von den bulgarischen Bischöfen: „Sie haben gewagt in die Kirche eine neue, dem irdischen Leben angehörende Idee einzu¬ führen, die des Phylatismns (der Landeskirche) ') nnd mit Verachtung der heiligen Canvnes eine unerlaubte und auf keinem Vorgänge be¬ ruhende Kirchenversammlung gegründet, fußend auf dem Prineip der Raeen-Verschiedcnheit" u. s. w. Namentlich exevmmunieirt sind: Hilarivn, Ex-Bischof vvn Ma- kariopolis; Panaretes, Ex-Metrvpvlitan vvn Philipvpvlis; Hila- rion, Ex-Bischof vvn Svstma; Anthimvs, Ex-Metrvpvlitan vvn Widdin; D v r v t h ea, Ex-Metropvlitau vvu Sophia; P a rt h a ni u s, Ex-Metrvpvlitan vvn Nyssava; Genu ad ins, Ex-Metrvpvlitan vvn Welisfa. Unterfertiget sind: der ökumenische Patriarch von Cvnstantinvpel, jener vvn Alexandria, jener vvn Antivchia, der Erzbischvf vvn Cypcrn nnd 25 Metropolitanen und Bischöfe. Der serbische Metropolit suchte zwischen dem ökumenischen Patri archen vvn Cvnstantinvpel und, dem bulgarischen Exarchen eine Ver¬ mittlerrolle zu übernehmen, freilich vergebens; die rumänische Kirche aber stand zum Patriarchen von Cvnstantinvpel. Dieser Letztere sandte auch eine Deputation nach St. Petersburg, nm die dvrtige hl. Synode vvn dem Geschehenen zu verständigen, nnd ihre Billigung einznhvlen. Die Synode sprach sich sehr reservirt dahin aus (denn Rußland sympa- thisirte ja mit den Bulgaren) daß sie mit beiden Parteien die kirchliche Gemeinschaft aufrecht zu erhalten wünsche. An die Stelle des, wie erwähnt, vvn den Snffraganen'-) abge setzten (dann über Jaffa nach Cvnstantinvpel abgeführten) Patriarchen ') üXov (auch PllXrp Stamm, Nation. y Im Abfetzungsdecrcte sind unterfertigt: Der Erzbischof von Gaza, Pro¬ kopios, zugleich als Bevollmächtigter des Bischofs von Bethlehem; die Bischöfe L t c p i s chII e g g, Papst Pius IX. und seine Zeit. II. Bd. 26 402 10 Theil. 2. Hauptstuck. Die griechischychismatischc Kirche. vvn Jerusalem, Kyrillos, wurde der genannte Erzbischof von Gaza, Prokopios, gewählt und am 27. Jänner 1873 installirt. Die Pforte bestätigte diese Wahl. Rußland, welches die Partei des entsetzten Patriarchen, respeetive der Bulgaren ergriff, nahm aber die dem Patri¬ archate von Jerusalem gehörigen, in Bessarabien gelegenen Güter in Beschlag. Gegen den neuen Patriarchen Prokopios entstand bald unter den orthodoxen Arabern Jerusalems eine feindselige Stimmung. Die Synode vvn Jerusalem beschloß sogar (1875) den abgesetztcn Kyrill vs wieder zum Patriarchen zu wühlen; dieser aber erklärte, keinerlei Kirchen amt mehr annehmen, vielmehr seine letztem Jahre im Kloster znbringen zn wollen. Prokopios dankte, auch über vvn Cvnstantinvpel ein¬ gelangte Weisung, ab (März 1875). Bis zur Neuwahl wurde der griechische Bischof von Bethlehem als Patriarchats-Verweser bestellt. Im Juli 1875 bestieg der Archimandrit vvn Smyrna, Eurothevs, den Patriarchenstuhl vvn Jerusalem. Nicht sehr überraschte die Zeitungskuude, daß die Pforte l873 den bulgarischen Exarchen wieder fallen gelassen habe, weil sie in ihm im Grunde denn doch nur ein Werkzeug Rußlands erblickte, und daß der Ferman über das bulgarische Exarchat zurückgeuvmmen wurde. Nach Kurzem aber verlautete vvn einer anderen Version; daß nämlich der neue Ferman im Gegentheile die völlige kirchliche Unabhängigkeit der Bulgaren vvm Patriarchate zu Constantinvpel bewerkstellige, welche der erste Ferman zum Theile wenigstens noch bestehen ließ. Daß dies das Richtige war, erhellt auch daraus, daß die Pforte im Jahre 1871 dem Exarchen sogar die zwei in Maeedonien gelegenen Diäresen Scoplja und Orchid überlieferte. Aber nach dem Scheitern der Conferenz in Cvnstantinopel, und als die Wahrscheinlichkeit eines russisch-türkischen Krieges immer größer wurde, (Jänner 1877) zog die Pforte wirklich förmlich ihre Anerkennung des bulgarischen Exarchen zurück, welcher die Weisung erhielt, sich entweder wieder dem ökumenischen Patriarchen zu unterorduen, oder Cvnstantinopel zu verlassen. Sie bestätigte statt des abgetretenen Anthimos die Ernennung des neuen Patriarchen Joseph, früheren Bischof vvn Loftscha. Die in Folge des russisch- Neophhtns von Lydda, Joassaph von Neapolis (Nablus), Nikephoros von Sebasta, Gregorios von Thabor, Joassaph von Philadelphia, Theoklit von Jordan und Nektarios von Tiberias. Z 90. Türkei. 403 türkischen Krieges eingetretcne Uinstnltung Bulgariens hat selbstverständlich das kirchliche Band zwischen demselben und der Türkei vollends zerrissen. In der serbischen Skupschtiua (Landtag) zu Belgrad wurde (Februar 1875) ein Antrag gestellt, die Mönchsklöster auf fünf zu reduciren und alle übrigen Klöster in Kirchen zu verwandeln. ') Viele möchten auch hier je eher desto lieber an das eigentliche Ziel gelangen, nämlich der völligen Einziehung der Kircheugüter. Große Aufregung verursachte in Bosnien die von der Pforte de- eretirte Aufhebung der dortigen Kirchengemeinden. Die Wahl insbesondere des bosnischen Metropoliten von Sera- jewv, sowie der Erzbischöfe von Prizren, Mostar und Zwornik, voll zog sich immer unter dem Einflüsse reicher griechischer Phanarioten, die iu mehr oder minder directcr Verbindung mit den türkischen Re- giernngsorganen in Constantinvpel stehen. So servil oft diese geistlichen Würdenträger nach oben sind, so despotisch gebärden sie sich nach unten, znmal gegen ihre Priester. Man zählt in Bosnien nnd in der Herzegowina über 500.000 Mit¬ glieder der griechisch-orientalischen Kirche. Der Metropolit auf Kreta, S o p h r o ui o s, wollte der Weisung des Patriarchen in Constantinopel, während des Gottesdienstes für den Sultan und das osmanische Reich zu beten, nicht Nachkommen. Der Patriarch erklärte ihn für abgesetzt, woran sich aber weder der Metro¬ polit, noch seine Gläubigen kehrten. Wollen sich ja auch die Kreter von der türkischen Gewaltherrschaft losmachen. Früher oder später..wird gewiß auch für sie die Stunde der Erlösung schlagen, obgleich das mit ihnen sympathisirende Griechenland sich auf Geheiß der Pariser Conferenzmächte dem türkischen Ultimatum (vom l l. December 1868) hatte fügen müssen. ') Anderwärts, z. B. in Italien, werden sie im Interesse der Humanität und des Fortschrittes (!) iu Kasernen oder Strafhäuser umgewaudelt. 26* 404 n Theil. 3. Hauptstück. Uuiouoveriuche. Deren wechselnde Erfolge. Drittes Hauptftmk. Unionsverfuche zur Wiedervereinigung der christlichen Konfessionen. Deren wechselnde Erfolge. tz 01. Solche Uersuchc unter der Acglchc des Apostolifchcn Stuhles. Wir beginnen selbstverständlich mit dem sichtbaren Stellvertreter Desjenigen, der gesprochen: „Es wird eine Heerde und ein Hirt werden" (ckoanu. X, 10); nämlich mit dem Oberhaupts der Kirche, welchen: vor Allen die pflichtmäßige Sorge obliegt, auf die Erfüllung obigen Aus¬ spruches des Heilandes hinznarbeiten. Papst PiuS IX. hielt es für seine Pflicht, im Schreiben („In miprema") an die Orientalen (lein. 0. Jänner 1848 dieselben liebevoll znr Einheit der Kirche zurückznrufen, indem er sie einlud, sich wieder mit dem gemeinsamen, von Christus gesetzten Mittelpunkte zu vereinigen. Darauf antwortete der schismatische Patriarch von Cvnstantinopel, A n- t h i m u s , nicht nnr ablehnend, sondern in sehr leidenschaftlicher Weise, würdig eines Phvtius nnd Michael Caernlarius. Wie diese es gethan, schleuderten An th im ns und die mit ihm unterfertigten schisma- tischen Bischöfe und Prälaten das Anathem gegen den Statthalter Christi und die in seiner Gemeinschaft stehenden Bischöfe und suchten die En- rhklika zu widerlegen. Im Auftrage des Papstes erschien 1854 eine Schrift unter dem Titel: „(loutnta/none d' Čutimo patriarea «cis matico con^tantinopolitano" aus der Druckerei der „Oiviltä cattolica". Das Gleiche hatte v. Peter Seechi gethan. Die Alloeution des hl. Vaters (der dann auch eine permanente Speeial-Congregativn von kardinalen zur Erzielung der Wiedervereini¬ gung beider Kirchen einsetzte) an die Orientalen veranlaßte in Paris die Gründung einer Gesellschaft: „8ociete cbretienne orientale", welche es sich laut des Programmes ckcko. 12. Oetober 1853 zur Aufgabe machte, auf dem Wege der Ueberzengung nnd Liebe zur Wiedervereini¬ gung der morgenländischen Kirche mit dem hl. Stuhle mitzuwirken. Stifter derselben war Jakob Pitzipios, aus Seio gebürtig, ein in Rom eonvertirter Grieche, der insbesondere durch polemische Schriften, als: „I/oA'liso orientale", „Expose Instorigne" etc. 1855 seine ehe- Z 91. Solche Versuche unter der Acghde des Apostolischen Stuhles. 405 maligen Glaubensgenossen bekehren zu können meinte. Von besonderen Erfolgen, die er dadurch erzielte, war aber nichts zu höreu — um so weniger, weil Pitzipios selbst, ein wankelmüthiger Mann, schon fünf Jahre später (l8l>0) in seiner Schrift: „Der Rvmanismus", im direkten Widerspruch mit seiner früher zur Schau getragenen Conversion, als entschiedener Gegner des Papstthums anftrat. Zum Zwecke der Wiedervereinigung der griechischen schismatisehen mit der römischen Kirche bildeten sich auch Gebetsvereine, so 1853 in der Diöccse Lavant der Verein unter Anrufung der Slavenapostel Cyrillus und Methodius; ein ähnlicher in Deutschland 1857, wo die Bischöfe von Münster, Hildesheim und Paderborn in diesem Sinne Einladungen an die übrigen deutschen Bischöfe richteten. Sie schlugen auch die Gründung einer dem angcdeuteten Zwecke gewidmeten Zeitschrift vvr, welche an einem möglichst neutralen Orte erscheinen sollte. Mit Breve ckcko. 3. Mai 1858 genehmigte Papst Pins IX. diesen deutschen Gcbctsverein, der den hl. Petrus als Schutzpatron verehrt. Es fanden wirklich Uebertritte nicht nur einzelner Personen, sondern hie und da, z. B. in Siebenbürgen, ganzer Gemeinden zur katholischen Kirche statt. Geneigtheit zur Wiedervereinigung mit der römischen Kirche zeigten insbesondere auch die Armenier; so traten im Jahre 1850 allein zu Adcua, im Patriarchate Aleppo, 547 schisma- tische Armenier über; in Cilieien sind zwei neue Bisthümcr gegründet worden, gebildet ausschließlich von übergetrctenen Armeniern; y ferner die Jakvbiten (Sorianer, Syrer), von denen mehrere Priester und der Erzbischof von Jerusalem übertraten; und die Chaldäer (Nestorianer, in Syrien und Kleinarmenien, bis nach Persien zerstreut wohnend); derlei Bekehrungen zählte man sogar unter den sehr verwahrlosten Kopten (in Egypten und dem Nil entlang). Schon im Jahre 1859 erklärte sich ein Bezirk, Avret-Hissar, in der Bulgarci bereit, das Schisma zu verlassen und richtete eine dies füllige Petition an den französischen Consul zu Salonichi und an den Superior der Lazaristen-Missivn, Turrognes. Die Unfähigkeit und Erpressungen der griechischen hohen und niederen Geistlichkeit, die mit y Em Schreiben des katholisch-armenischen Patriarchen düo. Constautinvpel 26. October 1859 meldet von mehreren hnndcrt übertretenden armenischen Familien. Anfangs 1867 verkantete vvm beabsichtigten Uebertritte von mehr als 30.000 schismatisch-armenischcn Seintnnlii. 406 II. Thcil. 3. Hanptstnck. Unionsversuche. Deren wechselnde Erfolge. den geistlichen Würden offen getriebene Simonie, ') die Führung der Kirchenbücher und die Abhaltung des Gottesdienstes in der griechischen, den Zuhörern meist unverständlichen Sprache und Anderes führte zum völligen Bruche zwischen der bulgarisch- (rumänischen) flavischen Be¬ völkerung, deren Zahl auf 4'/2 Millionen Seelen angegeben wird, und dem Patriarchate von Constantinopel, dessen Stuhl 1860 neu besetzt wurde. Anstatt dem neuen Patriarchen von Constantinopel seine Hul digung darznbringen, sagte sich der dortige bulgarische Bischof Hkla¬ r'ion in der am 23. October zu Constantinopel unterzeichneten Er¬ klärung, in welcher geltend gemacht wurde, daß die lateinische Kirche das Dogma reiner bewahrt habe, als die griechische, und daß die bul¬ garischen Apostel, die Hb Cyrillus und Methodius, sich zu Rom aufgehalten hatten, mit seinem Clerus und 2000 Bulgaren von ihm los und bat den Papst um Aufnahme in den Schovß der „all gemeinen katholischen Kirche". Bald folgten andere Uebertretungserklärungen, ungeachtet Rußland keine Mühe und Kosten scheute, den Bekehrungszug von Rom ab nach Moskau zu lenken. Im Antwortschreiben an die Adresse der Bulgaren ääo. 24. December versicherte der armenisch-katholische Patriarch von Constantinopel, Antonius H a s s un, dieselben im Namen des Papstes, daß ihr Nationalclerus, ihre Liturgie und heiligen Riten unversehrt bleiben sollen, wornach schon am 30. December die so unirten Bulgaren im Hause des genannten Patriarchen ihren Gottesdienst eröffneten. Der hl. Vater drückte hierüber seine Freude aus im Schreiben an die Bul garen ääo. 21. Jänner 1861; am 8. April empfing er eine bulgarische Deputation in Rom und cousecrirte am 14. d. M. in eigener Person den Archimandriten Josef Sokolski znm bulgarisch-katho¬ lischen Patriarchen, indem der obgenannte Bischof Hilarivn sein Wort nicht hielt und sich lieber au die Spitze einer neuen, der „unabhängigen orthodoxen nationalen" Kirche stellte. Aber auch der neue Patriarch rechtfertigte die auf ihn gesetzten Hoffnungen des Papstes ') Die bulgarischen Bischöfe wurden vom Patriarchen von Constantinopel, dem der Sultan das Ernennnngsrecht überließ, immer ans den Phanarioten, d. i. der verdorbenen neugriechischen, in der Vorstadt Phanar von Constantinopel woh¬ nenden Aristokratie — daher der Name — genommen. Der Bischof mußte dasur dem Patriarchen eine große Summe bezahlen, die er dann wieder aus dem niederen Clerus und dem Volke durch Erpressung hcreinznbringen suchte. Z 31. Solche Versuche unter der Aegyde des Apostolischen Stuhles. 407 nicht. Er erlast, hieß es, russischen Jntriguen, ohne daß jedoch sein Rückfall in das Schisma auf die Bekehrung seiner Landsleute besonders hemmend cingewirkt hätte. Er soll schon in Kiew gestorben sein. ') Selbstverständlich wollte der Patriarch von Constantinvpel die Obergewalt über die Bulgaren nicht so leichten Kaufs fahren lassen — um so weniger, weil er sich auf den Sultan stützte. Im October l 864 wurden die bereits katholisch gewordenen Bischöfe und Priester vertrieben. Der neue Gouverneur von Adrianopel, Mehmet-Kibrisli Pascha, früher Großvezier, war der Union nicht abhold. Zehn Ort¬ schaften seiner Provinz, zusammen mit l388 Häusern, gehörten ihr bereits an. In Syrien trat 1862 der griechisch-schismatische Bischof von Homs, Gregorios, zur Union über. Durch die Bemühungen der Jesuiten thaten das Gleiche mehr als 2000 schismatischc Griechen in Hasbeya, Rascheya und anderen Orten des Antilibanon. Papst Pins IX. gründete für die nnirten Armenier im Ganzen sechs dem Primas von Cilicicn untergeordnete Bisthümer: Aneyra (1850), Artnin (1850), Bursa (Brusa, 1850), Erzerum (1850), Kar- pnth (1865?) und Trebisvnda (1850). Die Freude über die Vereinigung so vieler Armenier mit der katho¬ lischen Kirche wurde leider in jüngster Zeit durch Vorgänge in Con- stantinvpel gewaltig gestört. Mehrere dortige schon katholische Armenier, Laien, Priester und Mönche, lehnten sich gegen die Auctorität des vom heiligen Stuhle nach dem Tode (1847) des Primas Ma rusch zum (Erzbischof) Primas von Constantinopel und dann zum Patriarchen von Cilicien ernannten Antonius Petrus IX. Hassnn (er wurde auch Civilpatriarch der Armenier) nnd gegen den Bischof von Aneyra, Jo- sephns Arakial, der als Vicar des Patriarchen in Constantinopel fungirtc, ans. Sie widersetzten sich auch den in der apostolischen Bulle „Uovorsnrns« vom 12. Juli 1867 getroffenen Bestimmungen. Durch diese Bulle hatte Pins IX. den Primat von Constantinopel auf- >> Nach einer anderen, glaubwürdigeren Version soll er von einem russischen Schiffe (gewaltsam?) nach Odessa gebracht worden sein, nnd dort (oder in Kiew?) noch in einem Kloster gefangen (?) gehalten werden. Wieder ein anderer Bericht laßt ihn >872, von Kiew gekommen, in Chclm mehrere junge (griechisch nnirtc) Priester ordinircn, wogegen der Papst protestirte. Der Man» scheint sehr bald zn einer sagenhaften Person geworden zu sein. 408 O- Thcil. 3 Hanptstück. Unionsvcrsuche. Deren wechselnde Erfolge. gehoben; die Jurisdiction desselben, sowie jene des Patriarchen von Cilicien verschmolzen und die Residenz des Patriarchen nach Constau- tinopel verlegt. Die Veranlassung dazu gab das Absterbeu (1866) des Patriarchen von Cilicien, Peter VIII., wornach die cilicische Bischofs¬ synode den Primas Hassun zu seinem Nachfolger gewählt und den heiligen Stnhl gebeten hatte, die beiden Sitze von Cilicien und Cou stantinvpel zu vereinigen und so die bisher seit 1742 in das Patri archat von Cilicien und den Primatiat von Constantinopel getheilt ge wesene armenische Kirche unter ein gemeinsames Haupt zu bringen. Die Constitution „lüaet'st welche die Wahlverhältnisse der arme¬ nischen Bischöfe regelte, war 1853 einstimmig vom Volk, Clerns nnd der hohen Pforte angenommen worden. Man sagte, daß die bemeldten Wirren vom italienischen nnd fran zösischcu Gesandten begünstiget wurden. Die Widerspenstigen hielten ihren Gottesdienst in einer eigenen Kirche nnd constituirten sich als unabhängige Gemeinde. Der Papst er- theilte mit Breve vom 24. Februar 1870 dem in Nom weilenden apo¬ stolischen Delegaten Antonius Jvsephus Pluym (geboren 15. October 1808 zu Rotterdam, gestorben 13. Jänner 1874) den Auftrag, unge säumt nach Constantinopel zurückznkehren, nnd die Sache beiznlegen, d. i. die Armenier zum Gehorsam zurückzuführen. Zn diesem Behufe wurde er mit dem päpstlichen Schreiben ..Mu mno xumvissiiuo" rwm 24. Februar ausgerüstet. Ein neuerliches päpstliches Schreiben: „(Pin impcnmioro" trägt das Datum vom 20. Mai. Mit dieser Auflehnung in Constantinopel stand das ordnnngs widrige Benehmen der armenischen Antonianermönchc im Kloster 8. (lra- xorio Illuminators in der Nähe des Vatikans in Verbindung. Sie widersetzten sich der angeordneten apostolischen Visitation; der General- abt, Bischof Placidus Kasangian und der Hansabt ?. Seraphiu Hanemian sollten sich Exercitien auf Geheiß des Papstes unter¬ ziehen, was sie verweigerten. Es kam so weit, daß mit Decret vom 28. April über die Mönche nnd das Kloster das persönliche nnd ört¬ liche Interdikt verhängt wurde. Kasangian nnd Hanemian flüch¬ teten sich niit mehreren Mönchen nach Constantinopel.') >) Bon Kasangian, Erzbischof von Antiochia und Bicar des Patriarchen von Cilicien, erschien: „lii^ostn linnlv Nsxli Orwntnii n^Ii Ooeiüontnli". Z gl. Solche Versuche unter der Acgyde des Apostolischen Stuhles. 409 Daselbst wies die Regierung, das Gesuch der Armenier, sich nls orientalisch-katholische Kirche zu cvustitnireu, ab, und der schismatische Patriarch wollte uur die Laien, nicht auch die Priester, die ihm zu turbulent seien, aufnehmen. Deshalb traten die Armenier »nieder in dirccte Verbindung mit Nom. Sie erbvten sich, alle Bedingungen der Curie anznnehmen, nur müsse H assnn aufhvren, als Patriarch zu fungiren. Die Pforte wer gerte sich auch den aus Rnm geflüchteten armenisch-katholischen Bischos von Mara sch ohne Bewilligung Noms wieder in seine Diärese ein zusetzen.') Nur die beiden Kirchen von Ortakeni und des hl. Johannes Chry sostomns in Pera durften die Dissidenten „provisorisch" benützen. Am 26. Februar 1871 erwählten die secedireudeu Armenier den Erzbischof Vargardjian zu ihrem Patriarchen. Mit dem apostolischen Schreiben „UIü primn" . 11. März 1871 erklärte der Papst diese Wahl für nichtig nnd die Wähler und den Gewählten für den eanonischen Strafen verfallen. Zum Beilegen dieser Differenzen sandte der heilige Vater im April 1871 den Monsignor Alexander Franchi, Erzbischof von Thessa- lonich i. p. nach Constantinopel, der zwar vom Sultan gütig nnd ehrenvoll empfangen wurde, aber ohne wesentliches Resultat am I.No vember wieder von der Hauptstadt abreistc. Er überbrachte dem Papste ein freundliches Schreiben des Sultans ü. 6. Jänner 1873 an die Bischöfe und das Volk von Armenien (Upmtola Uno/olian. Von. Uiatcibns Antonio I'oteo IX. Uatciaraliau 6i!i<üa.o, /Irobiopisoopis, et clileotm tilia olero rce pvpnlo ritns Vrmonü, ^rntiani et eomninnionem Moiiene üoclis Imbentilnm: „(smrtim Kiiprrr vi^mnmnm") wies der Papst die gegen den hl. Stuhl erhobenen Beschuldigungen der An maßnng ihm nicht zustehcnder Rechte zurück, forderte die armenischen Katholiken zur Treue ans und gab der Hoffnung Ausdruck, daß die Dissidenten in den Schooß der Kirche zurückkehren werden. Unterm 22. August 1874 hatten 17 Delegirte des armenisch katholischen Patriarchates von Constantinopel ans einen Protest an Aarifi Pascha, Minister der auswärtigen Angelegenheiten, gerichtet gegen die Absendung neuschismatischer kupelianistischer Delegirtcn mit Fermans, welche sie als Katholiken bezeichnen. Wir haben schon berichtet, wie herbe sich der hl. Vater über die, sogar unter dem Schutze der Regiernugsorgane geübten Verfolgungen der katholischen Armenier in seiner Allocution ck. 21. December 1^74 beklagte. !)l. Solche Versuche unter der Aegyde des Apostvlischeu Stuhles. 41Z Im ölvvcmber 1875 soll der Patriarch Hassan sich an die Pforte um die Erlaubnis) zur Rückkehr nach Cvnstantinopel gewandt, aber zur Antwort erhalten haben, daß sie — die Pforte — kein Vertrauen in die Erhaltung der Ruhe hegen könne, so lauge Hassan sich nicht feierlich verpflichte, die Bulle „Rovorsnnm" vom 12. Juli 1867 zu verwerfen. Andererseits verlautete von erfreulichen Cvnversivnen aus dea so¬ genannten gregorianischen Armeniern, so namentlich in der Diveesc Ma- rasch und in Sis (Cilicien). Das geistliche Seminar zu Angora in Kleinasien, gegründet von dem verstorbenen Erzbischöfe Antonio Chivhmanian, einem Zöglinge der Propaganda, übt einen bedeutenden Einfluß auf die Armenier ans. In Bulgarien nahm der Bischof von Salonik, Nilos, mit vier Parvchieu die Union mit Rom an. Ja, es verlautete (1874), daß zwei Drittel der Bevölkerung Maeedoniens das Gleiche thun wollen. Die türkischen Behörden wiesen, auf wessen Anstifteu, ob Rußlands? den Bischof ans. Der Papst ernannte ihn znin Bischof der nnirten Bulgaren (1876) mit dem Sitze in Constantiuopel. Endlich nnter Sultan Murad V. konnte im Juli 1876 der Patriarch H a s s n n wieder unbehelligt nach Constantinvpel zurückkehren, indem er von der allgemeinen Amnestie Gebrauch machte. Der Grvß- wessier Midhat Pascha erklärte ihn für vollständig rehabilitirt (De¬ cember 1876). — (Knpelian schwur 1879 in die Hände des Papstes Lev XIII. das Schisma ab.) In der nämlichen guten Absicht, die von der katholischen Kirche Getrennten wieder mit ihr zu vereinigen, Ivie die schismatischeu Bischöfe, hatte Pins IX. auch die Protestanten zum vaticanischen Concil ein¬ geladen. Es erschien Niemand. Der evangelische Oberkirchenrath zu Berlin veröffentlichte als Entgegnung das Schreiben an alle Prote¬ stanten (lüo. 4. Octvber 1868. Es lautet ziemlich gemäßiget. Hie und da, zumal in Landessynvden, wurde die Einladung nicht eben in der höflichsten Weise abgelehnt, oder besprochen. Es fiel manches verletzende Wort. Der Ansbacher Generalsynvde wurde schon gedacht. Der Dirigent der Synode bemerkte gar: Die Regel unseres Verhaltens haben wir in den Sprüchwörtern Salomons (XXVI, 4) „Antworte dem Narren nicht nach seiner Narrheit, daß du ihm nicht auch gleich werdest". Welche bodenlose Gemeinheit! 414 14 Theil. 3. Hanptstück. ltnionsvcrsuchc. Deren wechselnde Erfolge. In Sachsen erging als Erwiderung ein Aufruf, zu den Thesen der Wvrmser Prvtestantenvcrsammlung öffentliche Zustiniiunug durch Namensuntcrzcichnung zu geben. Der >5. evangelische Kirchentag zu Stuttgart betonte feierlich wieder (31. August 1860), daß der Papst nicht.jure ctivino das Haupt der ganzen Christenheit sei und daß seine Mahnung zur einfachen Rückkehr in die römische Kirche aller Berechtigung ermangle. Hvfprcdiger Prälat Gerock sagte in seiner Predigt, das Cvncil wolle wohl wieder eine „Kirchen-Nacht" herbciführen. ') In der Antwort der Theologen und Universitätsprofesforen von Groningen in Holland ckcko. l. December 1868 heißt es: „Xodi8 aon- 8turo, vcvlomiu» nostruin, ewi inipuruiu, tumon lon^o 6886 iniium impuruiu, gaum Dunin" rc. Uud zum Schlüsse: ,.'I'a ^otiim veni rut NO8, 8IV6, ut In6liu8 ckieninlm, uck Lvnn^eliuin!" Aehulich die „Ichn- 8tc>In rul Kuginin I'iunt IX., u DiAnei8eo Onnltero 8init8, pL8toro 6eel68in6 rolorinatuo Xeetzlanckivne in urbe inuritinin Hollevet8lni8". Der Autor apostrophirt den Papst sogar: „(junre tibi bowini, gui ii8(lom utloeti!)li8 gnibn8 <>u>ne8 ulii obnoxiu8 68, tibi pooentori, <^ni non ^vte8 8orvnri ni8i por 8oluin llo8u gcutiniu, gnure tibi inanen 8unoli ?ntri8?" Gelviß unhöflich genug! 8 M. Ändrrmritiyc Ucrsnchr. Au einzelnen anderen irenischen Bersuchen, die getrennten christ liehen Evnfessivnen einander näher zu bringen, fehlte es auch in neuester Zeit nicht. Einsichtsvolle Männer ans beiden Seiten erkannten es, daß es sich jetzt darum handle, ob Christenthum oder Heidenthum, und daß es gelte, einen gemeinschaftlichen Feind zn bekämpfen, nämlich: den Jndifferentismus, Atheismus, Materialismus. Im Jahre 1853 ließ der Bischof von Anccy, Lvnis Ren du (gestorben 1859) ein Sendschreiben an den König von Prenßen er¬ scheinen mit dem Titel: „lieber die Nvthwcndigkeit einer Einigung der christlichen Confessionen", womit er freilich seine gute Absicht nicht er¬ reichte. Am 21. und 22. September 1860 traten einige Katholiken und Protestanten (unter diesen auch Professor Heinrich Leo aus Halle) zu ') Gegenüber dem evangelischen „Kirchen-Tag"? A 92. Anderweitig» Versuche. 415 Erfurt zusammen, nicht so sehr zur Anbahnung einer Wiedervereinigung der christlichen Confessivnen, nm wenigsten ans der Busis des kirch liehen Jndifferentismus, als vielmehr zur Besprechung der Art und Weise, die gemeinsamen Interessen der Christenheit gegenüber der immer weiter um sich greifenden Revolution und dem Antichristenthum zn wahren und zu vertheidigen. Gewiß ein schöneres Ziel, als welches sich die lüvnutzolienl ^lliunos vvrgesteckt hatte. Im grellen Contraste mit einem löblichen Streben, die christlichen Confessivnen einander näher zu rücken, stand die Taetlvsigkeit des Deeans der evangelisch-theologischen Facnltüt zu Bonn, der gelegenheitlich der Gedüchtnißfeier der Stiftung der Universität durch König Friedrich Wilhelm III. (3. August 1861) in seinem Programm über Papstthnm, Reliquien rind Heiligen- verehrung, Meßopfer und Transsubstantiativn schmähte und dadurch die gerechte Entrüstung der katholischen Mitglieder dieser paritätischen Universität hervvrrief. Nicht minder jene des Professors der Theologie Heinrich Ewald zu Göttingen. Er ließ eine Flugschrift gegen die katholische Kirche vorn Stapel: „Zweites Wort von 1862 über die heutigen Jesuiten". Zu den, mag sein, sehr gut gemeinten, aber nicht ebenso klug an¬ gelegten irenischen Versuchen zählen wir auch den vom auglieanischeu Cauouieus von Durham, I)r. Tvwnsend, dem hl. Vater selbst ge¬ machten Vorschlag, sowie die im Jahre 1863 in Bamberg erschienene Schrift eines Protestanten: „I'ux vobisonmst, der da meint, auf den Trümmern sowohl des Katholieismns als auch des Protestantismus erst seine neue Friedenskirche aufbauen zu köuuen. Welcher aufrichtige Katholik oder Protestant kann sich damit zufrieden stellen? Wir lesen ferner (1864) von einem religiös-politischen Vereine, der in Dortmund (Westphalen) Zusammenkünfte Hielt. Die eonservativen Mitglieder desselben nannten sich „versöhnte Brüder". Ihre Devise war: „Jeder Groll und jede Zwietracht hört unter den beiden Kirchen — der katholischen und protestantischen — auf. ') Die wirkliche Ver¬ einigung derselben bleibt aber der Zeit und dein Nachdenken wohl¬ wollender und erleuchteter Männer Vorbehalten. Für's Erste bleibe Jeder bei seinem Glauben und seiner Kirche." (sie!) Der Bischof von Paderborn, I)r. Conrad Martin, vervffent- >) Gott gebe es! ^16 11 Theil. 3. Hauptftück. Uttwnsversuche. Deren wechselnde Erfolge. lichte — gleichfalls in bestgemeinter Absicht — „Ein bischöfliches Wort an die Protestanten Deutschlands" (1865). Ta er darin die Behauptung aussprach, daß er sich von Gottes und Rechtswegen als den Oberhirten auch der Protestanten in seiner Divcese ansehe, so rief dies leb¬ haften Widerspruch Seitens der Letzteren hervor. Selbst der königliche Cultusnünister stimmte bei mit dem Hinzufügcn: „wie die evangelischen Unterthanen Sr. Majestät des Königs sich versichert halten dürfen, daß, wenn je versucht werden sollte, jener mit dem in Preußen gel¬ tenden Staatsrecht unvereinbaren Auffassung irgend welche praktische Folge zu geben, die Staatsregierung solchem Beginnen mit gebührendem Ernste und Nachdruck entgegentreten würde". Boni nämlichen Bischöfe folgte zu demselben Zwecke: „Wozu die Kirchenspaltung?" Ein vr. F. S. gab: „Religiöse Aphorismen, ein Aufruf an den gesunden Menschenverstand" in gleicher Absicht heraus. I)r. Pusey zu Oxford hatte 1866 ein „bnronioun" Behufs Aussöhnung und Wiedervereinigung der christlichen Cvnfcssivnen ver¬ öffentlicht. Der ganze Titel lautet: ,,Nbo cburob ot'Ln^lnucl n portiou <>t Obri«t'8 ono bol/ outbollo ebnrob null n luvrcu« ok re^torin^' vwibw uuit/. ^Vn Lirouioou eto". Er beruft sich darin auf Bossnet, stoßt sich aber an der Dogmatisirung der unbefleckten Empfängniß Mariae. Pusey's „Lirsnioon" gab dem Convertiten und Oratorianer John Henry Newman Veranlassung zu: „.1 Imltor to tbo llov. 11. ll. ?n86/ v. 0. un bi« rooont Lireuioon" worin er die katho¬ lische Lehre von der Mutter Gottes und die darauf basirte Maricn- Vcrehrung behandelt, aber auch die Uebcrtreibnngen Einzelner offen tadelt. Bereits 1857 ist von Mitgliedern der anglieanischeu Kirche ein Verein zur „Beförderung der Einheit der Christenheit" (^««uoirctiu» kor Iboiuotin^ uk tlio 1 uit/ ok dbrmteucloiu) gegründet worden, dessen Mitglieder, Katholiken, Griechen und A n g li c a n er sich zn Gebeten verpflichten für die Aufhebung der Kirchenspaltung durch „korporative Wiedervereinigung der drei großen kirchlichen Genossen¬ schaften, welche auf den Namen katholisch Anspruch machen." Auf einen Bericht, respektive Anfrage der katholischen Bischöfe Englands im April 1863 erfolgte ein Schreiben der Inquisition vom 16. September des Inhaltes: die Auffassung, daß die Kirche Christi ans der römisch-katholischen Kirche, dem phvtianischen Schisma und Z 92. Anderweitige Versuche. 417 der auglieanischen Häresie bestehe, sei verwerflich und mir geeignet, den Jndifferentismus zu befördern. Spater wurde wiederholt, das; die römisch-katholische Kirche mit dem Papste als Oberhaupt sich als die Eine wahre und unfehlbare ansehen müsse, zu der alle außer ihr stehenden zurückkehren müßten. Vom Berliner Prediger Friedrich Wilhelm Schulze erschien 1870 „Ueber rvmanisirende Tendenzen, ein Wort zum Frieden". „Kirchliche Wiedervereinigung" betitelt sich eine Schrift vvn K. G. Krafft, ehemaligen Calviner, nun kathvlischen Seelsorger in der Diöeese Augs¬ burg. Versöhnliche Gesinnung zeichnet das Büchlein aus, das prak¬ tische Audeutuugeu enthält. vr. I. vou Döllinger hielt — im ersten Quartal 1872; also schon nach seiner Exeommunication — sieben Vorlesungen vor einem gemischten Publikum, welche in der „Augsburger Allgemeinen Zeitung" erschienen, unter der Aufschrift: „Ueber die Wiedervereinigung der christlichen Kirchen". Darin spricht sich unverkennbar eine tiefe Abneigung des Redners gegen Rom und das Papstthnm ans. Sein Urtheil über die Männer, welche die Trennung der mvrgenländischen Kirche vvn den abendländischen, und die traurige Spaltung in dieser Letzteren selbst im 16. Jahrhunderte herbeiführten, — zumal über Luther - lautet nun ganz anders; ungleich günstiger, als in den früheren Werken Döllinger's. Fast die ganze Schuld an der Zer¬ rissenheit der Kirche Christi wird den Päpsten anfgebürdet, und den — Jesuiten. Döllinger denkt sich die Wiedervereinigung noch immer möglich, obwohl sie durch Me vaticanischen Coucildecrete vom 18. Juli 1870 unendlich erschwert sei. Selbstverständlich müßten, meint Döt¬ ting e r, diese annullirt werden; d. h. von ihrer Annahme könne keine Rede sein. „Die Grundlage — der Wiedervereinigung — wäre einfach die: die heilige Schrift mit den alten ökumenischen drei Glaubensbe¬ kenntnissen, ansgelegt nach der Lehre der noch ungetrennten Kirche der ersten Jahrhunderte." In Würzburg erschien hernach: „Gedanken zur Wiederverciuigungs- frage der deutschen Christen evangelischer und altkatholischer Consession". „Eine protestantische Antwort ans Herrn von Döllinger's Mahnruf zur kirchlichen Einigung". Diese Schrift bildet eine wesentliche Er¬ gänzung zur bereits erwähnten Schrift „Lux vobisoum". Dadurch ist sie genugsam charakterisier. S t e p i s ch n e g g, Papst Pius IX. und seine Zeit. II. Bd. 27 418 II Theil. 3. Hauptstück. Unionsvcrfuche. Dere» wechselnde Erfolge. Wir erwähnen nvch: „Ein Blick in die idealen Seiten des Katho- licismns." Oeffentlicher Bvrtrag, gehalten in Zürich, Basel und Carls- ruhe vvn Freiherrn H. vvn der Goltz, vr. und ordentlichen Professor der Theologie in Basel. Jin Namen des (altkatholischen) Cvmitö zur Beförderung kirch¬ licher Univnsbcstrcbungen erließ 1)r. I. von Döllinger (18. August 1874) wörtlich folgende Auküudiguug: „Ain 14. September und den nächstfolgenden Tagen wird in Bonn eine Cvnferenz vvn Männern abgehalten werden, welche, verschiedenen Kirchengemeinden angehörig, in der Sehnsucht und Hoffnung auf eine künftige große Einigung gläubiger Christen sich begegnen. Als Grundlage und Maßstab des Erreichbaren und zu Erstrebenden sind die Bekenntnißformeln der ersten kirchlichen Jahrhunderte und diejenigen Lehren und Institutionen zu betrachten, welche in der allgemeinen Kirche des Ostens wie des Westens vor den großen Trennungen als wesentlich und unentbehrlich gegolten haben. Das Ziel, welches zunächst erstrebt und mittels der Confercnz gefördert werden soll, ist nicht eine adsorptive Union oder völlige Ver¬ schmelzung der verschiedenen Kirchenkörper; sondern die Herstellung einer kirchlichen Gemeinschaft auf Grund der „uuitas in nveessnrim" mit Schonung und Beibehaltung der nicht zur Substanz des alt¬ kirchlichen Bekenntnisses gehörigen Eigeuthümlichkeiten der einzelnen Kirchen." Am angesagten 14. September wurde die oberwühnte „Unions- Cvnferenz" zu Bonn unter Vorsitz Or. I. von Döllinger's in der That eröffnet. Schon am ersten Tage sprachen sich Döllinger's und Reinke ns für die Giltigkeit der Bischofs-und Priesterweihe in der anglikanischen Kirche ans. In der Debatte über das „Uilioguo" einigten sich die Theologen dahin, daß dasselbe auf incorrecte Weise in das lateinische Symbvlnm gekommen sei! Die beiden Hauptdifferenzpnnkte zwischen der abendländischen und orientalischen Christenheit, nämlich die Lehren vom Primate und vom Ausgange des hl. Geistes wurden (16. September) weiteren Erörterungen, zunächst im Schooße einer Commission, Vorbehalten. Die Beseitigung der Unterschiede in der Disciplin und im Cultus wurde als nicht nvth- weudig erkannt. Und sonst nvch welche Erklärungen und Cvneessionen Döl- H 92. Anderweitige Versuche. 419 linger's! Das eucharistische Opfer sei keine Wiederholung oder Er¬ neuerung des Kreuzes-Opfers; die primäre Glanbensregel sei die hl. Schrift, erst die seeundäre die Tradition; der Ablaß fei einzig nur die Nachlassung der ehemaligen kirchlichen Strafen und Bußwerke; die Priesterweihfrage habe eine ganz untergeordnete Bedeutung n. dergl. Wer würde hierin den Theologen Döllinger von ehedem erkennen! Der Schluß der Conferenz, an der sich etwas über 40 Mitglieder betheiligtcn - das Haupteontingent lieferten schier die Anglieaner ans England und Amerika, darunter 2 Bischöfe — erfolgte am 16. Sep¬ tember. Die 14 von altknthvlischen, englisch-amerikanischen nnd griechisch- russischen Theologen vereinbarten Punkte zeigen, wie weit sich diese Conferenz bereits vom katholischen Boden entfernt habe, und wie sehr sie das Prädieat „neuprotestantisch" verdiene. Jedem klar Denkenden mußte einleuchten, daß auf diesem Wege eine wirkliche Union nie zu Stande kommen könne. Die „Times" hatten ganz Recht, wenn sie schrieben: „Wer sind denn eigentlich die in Bonn versammelten Theologen nnd wen vertreten sie eigentlich? Im besten Sinn kann man sie nicht anders, denn als eine zufällige Versammlung in eurem ausländischen Hotel ansehen, welche Ideen austauscht und extemporirte Reden vvrnimmt. Wozu aber soll die ganze Sache führen? Wer soll durch die Vereinbarungen der Conferenz gebunden sein? Es werden nur alte schlummernde Controverscn aufgerührt werden, und damit sucht man eine Einigung zu erzielen?" n. s. w. lind ein anderes angesehenes, auch nichts weniger als katholiken- frenndliches Blatt, der „Spectator" bemerkte u. A. treffend: „Das traurige bei der Bvnner-Cvnferenz ist die hartnäckige Jagd nach dem Schattenhaften." Das gleiche Urtheil trifft also wohl auch den sogenannten Kirchen- evngreß zu Brighton, welcher mit der Bonner Conferenz sich das gleiche Ziel vorstreckte. Ein warmer Befürworter desselben Ivar der Bischof von Winchester. Mit Schreiben ctäo. 16. März 1875 lud vr. von Döllinger, ungeachtet solcher ungünstiger Aussichten, die Herren Professoren der Theologie der orthodoxen Kirche des Orients zu Cvnstautinopel im Namen des Ausschusses zu den im August d. I. wieder iu Bonn zu eröff¬ nenden Conferenzen ein. Darin macht er denselben das Compliment, 420 II TIM. 3. Hcmptsüick. Uuioasvcrsuche. Dere» wechselnde Erfolge. daß die Deutschland bei diese» Cvufereuzeu vertretenden Theologen über¬ zeugt seien, „daß die orthodoxe Kirche des Patriarchates vvn Cvnstan- tinvpel die wahre Kirche ist, welche die vvn den Apvstelu überkommene Erbschaft gehütet hat und einen Theil der großen uralten apostolischen Gemeinschaft bildet". Dieses Einladungsschreiben Döllinger's überbrachte eine Ge¬ sandtschaft deutscher Professoren, an deren Spitze Johannes Huber, nach Cvnstantinvpel. Die Professoren wählten wirklich Drei um nach Bonn abzugehen; nämlich: Philotheos Brhennios, Professor der Theologie an der Gemeindeschule in Phanar; Joannes Anastasia des, Professor am theologischen Seminar auf der Insel Chalki und den Archimandriteu Germanos Grigvras in Genf. Auch das St. Petersburger Sccretariat des „Vereines für Pflege religiöser Aufklärung", dessen Präses und Curator der Bruder des Czaren, Großfürst Constantin Nikolajewitsch ist, erhielt vom Ur. von Dollinger ein Einladungsschreiben am 3. Juli. In der all¬ gemeinen, in der „Nativnal-Zeitung" veröffentlichten Einladung zur „internationalen Conferenz von Freunden kirchlicher Union" nach Bonn auf den 12. bis inclusive 14. August, sagt Ur. vou Döllinger unter Anderem: „Die Conferenz erstrebt die Herstellung einer Jntercvmmunivn und kirchlichen Cvnföderation, d. h. einer wechselseitigen Anerkennung, welche, ohne bis zu einer Verschmelzung zu gehen, und v h n e B e ein- trächtigung national-kirchlicher und überhaupt über¬ lieferter Eigenthümlichkeiteu in Lehre, Verfassung und Ritus den Mitgliedern der anderen Genossenschaften ebenso, wie den eigenen die Theilnahme an Gottesdienst und Saeramentcn gewährt". Da kann man wirklich ausrnfen: Armer Döllinger, läßt Dich Dein sonst so scharfer Verstand nicht einsehen, daß dies ja eine ganz vnl gäre Allerweltskirche sei! Die Sache concret angesehen: an dem nämlichen Cvmmuniontische sollen vvn einem und demselben Brode essen und von demselben Kelche trinken der Katholik, der an die Trans- substantiation glaubt; der Calvin er mit seiner eigenthümlichen An¬ sicht vvn einer spirituellen Gegenwart Christi und der Zwinglianer, dein Brod und Wein im Abendmahle nichts weiter sind, als bloße Symbole! Erschienen waren unter Anderen die rumänischen Bischöfe Gen- Z 92. Anderweitige Versuche. 421 nndi os und Melchiscdek, der Erzbischof Lykurg os von Syra und Tenos (gestorben 1. November 1875 in Athen), einige Archiman- driten, Professoren und Andere uns Athen, der Türkei und Rußland; seitens der englisch-amerikanischen Kirche aber über dreißig (sogenannte) Priester. Die Eröffnungsrede I)r. von Döllinger's als Präsidenten strotzte von Ausfällen auf das Papstthum und die Jesuiten. Der Zusatz des tiliogns in das 8)'mbolnm Xieneno-O1itannm lieferte ihm die Handhabe dazu, die er geschickt zu benützen wußte. Im Vati¬ canum findet er den Abschluß des mit steter Beharrlichkeit angestrcbten sogenannten Papalsystems. Am 16. Anglist kam die Giltigkeit der Ordinationen in der eng¬ lischen Hochkirche und die bisherige Verhandlung mit den Orientalen über den Ausgang des heiligen Geistes zur Sprache. Dollinger fand es heraus, daß man im letzteren Punkte ja schon zu drei Viertel einig sei. Die Konferenz entschied, daß der heilige Geist nicht ans dem Sohne, wohl aber ans dem Vater durch den Sohn ansgehc. Die Schlußversammlnng fand nicht schon, wie angesagt, am 14., sondern am 16. statt, lieber die Aussichtslosigkeit dieser Bonner Eon ferenz füllten alsbald auch liberale Blätter ein geradezu vernichtendes llrtheil. So ruft unter Anderem die „N. Stettiner Zeitung" ans: „Man denke nur: die von der alten Papstkirche Abgefallenen erwarten gesunde Reformen, die bestimmt zugesagt wurden, lind statt dessen bekommen sie abscheulich langweilige Distinctioncn über die Art des Ausganges des heiligen Geistes" u. s. w. „Die Menge des Volkes," schreiben die „Times", „kann wirklich nicht sehen, wofür l)r. Döllinger eigentlich kämpft und der ganze Kampf ist in der That das, was die Reformation nicht war, ein Streit im Stndirzimmcr." Dies leuchtete aber unter Anderem der am 27. November 1875 in Bukarest zusammengctretcnen sogenannten „antocephalen orthodoxen rumänischen Kirche" nicht ein. Daselbst erstatteten die Bischöfe Mel- chisedekos und Genadios, welche im August v. I. der Cvn ferenz in Bonn unter vi-. I. von Döllinger's Präsidium beiwohn¬ ten, ihren Bericht. Die Vertreter der- orthodoxen rumänischen Kirche nahmen sechs Lehrsätze bezüglich des Verhältnisses des heiligen Geistes zu den anderen zwei göttlichen Personen der Trinität an. Der dritte davon lautet; „Der heilige Geist geht durch den Sohn vom Vater 422 II. Theil. 3. Hauptstück. Unionsversuchc. Deren wechselnde Erfolge. aus". Sie meinten wohl, damit der Wiedervereinigung der seit Jahr¬ hunderten getrennten Kirchen wesentlich näher gekvmmen zu sein. Die Idealisten! Eben der obgenannten Bischöfe wegen wurde der Cnltusminister Maj oreško in der Kammer von dem Landtagsabgevrdnctcn und ehemaligen Minister Bratianu (am ZI. Jänner 1876) mittelst fol¬ gender drei Fragen interpellirt: 1. Wer hat die orthodox rumänischen Bischöfe Melchisedck und Genadios zur Theiluahme an der in Bonn von den Herren R e i n k e n s und Döllinger berufenen Versammlung, d e r e n Zweck nur Dogmenfälschung war, theilzunehmen autorisirt? 2. Glaubt der Kultusminister, daß eine solche Theilnahme den Interessen und dem Ansehen unserer heiligen Kirche nicht schädlich sei? 3. Wie kann der Cnltusminister überhaupt ein solches Vorgehen mit den Canonen unserer heiligen Kirche in Einklang bringen, die eine solche Handlungsweise absolut verbieten? (Siehe „Periodische Blätter", 5. Jahrgang, 2. und 3. Heft, S. 142.) Der Interpellant fügte noch einige nichts weniger als für die so genannte „altkatholische Kirche" nnd für ihren Bischof I)r. Reinkens schmeichelhaften Bemerkungen bei. — Schlimme Aussichten für das unter einen Hut bringen! Anhccng. tz Ok). Der sogenannte Deutschlratholieismtts. Äeutschlaud war ohnehin soivohl in politischer als auch in kirch¬ licher Beziehung schon uneins genug, so daß es nicht mehr des soge¬ nannten „Deutschkatholicismus" bedurfte, um seine traurige Zerrissenheit vor anderen Ländern und Völkern neuerdings zur Schau zu tragen. Die Urheber dieser, ihre innere Hohlheit gleich anfangs schlecht ver¬ bergenden Seetc sind zwei apvstasirtc katholische Priester: Johann C z e r s ky, gewesener Vicar zu Schneidemnhl in der Erzdivcese Posen, welcher im August 1844 von der Kirche abfiel und Johannes R vnge, Caplan, dann Informator zu Lanrahütt in der Diöcese Breslau, welcher wegen unpriesterlichen Verhaltens 1843 als Caplan in Grotkau sus- pendirt wurde und zu Ende desselben Jahres, wie Czersky, am Glauben völlig Schiffbruch litt. Czersky fand insbesondere, daß der Cölibat ein unerträgliches Joch sei; er ging hin, nahm ein Weib (er heiratete nämlich seine „Geliebte"), schimpfte noch eine Weile recht wacker fort über die katholische Kirche, und versank dann beinahe in Vergessenheit. Sein reformatorischer Geist erlahmte! Nur hie und da gab er noch ein schwaches Lebenszeichen von sich. So erließ er 1853 in Berliner Blättern einen Aufruf an „die Freunde des Gottesreichcs im Geiste und in der Wahrheit", worin er sie bittet, auf seine Zeit¬ schrift „Das Glanbcnsschwert" zu abounireu. Der gute Manu brauchte nämlich Brod für sich und seine nunmehrige Familie. Seine Gemeinde, sagt er, sei außer Stande, irgend etwas für ihn zu thun. Durch den Absatz von 400 Exemplaren sei das fernere Erscheinen der erwähnten Zeit¬ schrift und zugleich seine eigene Existenz gesichert. Wegen eines Schmäh - schreibens gegen den Bischof von Mainz Wilhelm Emanuel Freiherrn von Kettelcr wurde er (1856) vom großherzoglich hessischen Gerichts¬ höfe in onntnnmoiuin zur viermonatlichcn Zuchthausstrafe vcrurtheilt. 424 Anhang. Später schrieb er: „Der Nachlaß des sterbenden Papstthnms" nnd „Garibaldi nnd die religiöse Reform in Italien". Elende Machwerke! Range, ebenso ohne tiefere wissenschaftliche Bildung wie Czersky, nnd gleich diesem aus der Kircheugemeiuschaft gestoßen, schleuderte in den „sächsischen Vaterlandsblättern" wider den Bischof von Trier Or. Arnoldi einen Schmähbrief voll der gemeinsten Ausfälle gegen ihn und die Kirche in die Welt, weil derselbe den heiligen Nock vom 18. August bis 6. October 1844 zur Verehrung ausstellen ließ, wie dies schon früher, zum letzten Male im Jahre 1810, der Fall war. Es waren an 600.000 Wallfahrer erschienen.') Daß es an Gleichgesinnten nicht fehlte, welche dem Verkündiger einer glaubenslosen Aufklärung Beifall zujauchzten, ist begreiflich. Anter den Protestanten waren cs die sogenannten „Lichtfrenude", unter den Katholiken Solche, die nur noch einen katholischen Taufschein, sonst aber nichts mehr von ihrer Kirche hatten. Die klebrigen wandten sich mit Widerwillen von dieser sein wollenden neuen Reformation ab, deren Stifter in jeder Beziehung tief unter den sogenannten Reformatoren des U>. Jahrhnudcrtes stehen und von diesen, hätten sie damals ge¬ lebt, gewiß nicht als ihres Gleichen und nichts weniger als glimpflich behandelt worden wären. Czersky uud R onge waren eigentlich in keinem Punkte, außer im Hasse gegen Rom, recht einig. Jener wollte doch noch Etwas wenig stens vom positiven Christcnthume beibehalten; indes dieser, Rouge, den seichtesten Rationalismus ans sein Panier schrieb. Zwar wurde ans dem, die bisher gestifteten l9 Gemeinden vertretenden sogenannten Cvncil zu Leipzig (25. März 1845),2) wohin sich ein anderer abgefallener ') Dieser im Dome zu Trier ausbewahrte Rock wird als das migcnähte Kleid Christi verehrt, über welches bei der Kreuzigung das Loos geworfen wurde (.Manu. XIX. 23, 24). Der Tradition zu Folge hatte ihn die hl. Helena, Mutter des Kaisers Coustautiu des Großen, aus dein hl. Laude gebracht uud der Kirche zu Trier, wo sic selbst längere Zeit lebte, geschenkt. Damals saß aus dem Ober- hirteustuhle zu Trier (aivitas 1'rsvirorum, schon zur Zeit Julius Cüsar's eine mächtige Stadt uud seit 287 kaiserliche Residenz für das Abendland) der hl. Agri¬ tius, den eben Helena von Antiochia berufen hatte. Er wird als der erste Erz¬ bischof von Trier aufgeführt. — Mit Bulle vom Jahre 1514 verlieh schon Papst Leo X. den Fcstbesucheru unter den gewöhnlichen Bedingungen vollkommenen Ablaß. y Bereits am 23. Jänner 1845 hielten Rouge's Anhänger unter seinem Vorsitz ihre erste Versammlung in Breslau ab. Z 93. Der sogenannte Dcntschkatholicismns. 425 Priester, Kerbler, gewendet und wo Robert B l n m, Billeteur beim Theater eine Gemeinde gegründet hatte, eine Art Glaubensbekennt¬ nis; (für Ungläubige?) entworfen, aber schon nach wenigen Mo¬ naten in Berlin wieder verworfen. Auf den U). September war wieder ein allgemeines deutsch-katholisches Concil nach Stuttgart aus¬ geschrieben, wo auch den Weibern Sitz und Stimme dccretirt wurde. Abends, wie sonst allenthalben, gemeinschaftliches großes Zwcckessen. R o n g e zog, von den Radikalen als Herold der neuen Zuknnfts kirchc, von welcher auch Geschichtsprofessor Gervinus in Heidelberg das Heil erwartete, bejubelt, besungen und fetirt, von Stadt zu Stadt in deutschen Landen umher, verkündete laut, daß Rom nächstens fallen müsse und gründete Gemeinden, die sich paradox genug den Namen „Deutschkathvliken" beilegten. (UU. Was blvs deutsch sein will, kann ja nicht zugleich katho lisch, d. h. allgemein sein. Und warum wollen denn diese Dis sidenteu durchaus noch K a th o l ike u heißen, da sie ja alles speeifisch Christliche abgeworfen haben und insbesondere die katholische Kirche hassen? Den unglücklichen, bald in Gemeinheit versunkenen Rouge, trieb der Abfall von der Kirche zu dessen äußersten Consegnenzcn fort, nämlich bis znr Längnnng der Gottheit Jesn nnd alles Dessen, was dem Chri sten, welcher Confessio» er schon immer angehören mag, noch irgendwie heilig ist. Unter Anderen traten in Schlesien auch Professor Reg en brecht nnd Pfarrer Anton T h ciner, Bruder des gelehrten Oratorianers in Rom, l'. Augustin Th einer, mit dem er zwanzig Jahre früher an der Spitze des jungen schlesischen Clerus gegen den Cvlibat agitirt hatte, über. Nicht so glücklich, wie sein Bruder, dcr bald umkehrte, verharrte Anton Th ein er im Abfalle bis zu seinem im Mai 1860 erfolgten Tode. Er starb als Custos der königlichen Universitätsbibliothek zu Breslau. Beim Ausbruche dieser anti-katholischen Stürme schwankte die könig¬ liche preußische Regierung in ihrem Benehmen denselben gegenüber. Am 20. April l845 ertheiltc sie Czersky die Erlaubnis; znr Bildung seiner neuen Kirche, schränkte sie aber schon am 17. Mai wieder ein; am 8. Juni mvdificirte sie die Bedingungen der Duldung. 426 Anhang. In neuester Zeit sind die Rongeaner nicht nur iu Oesterreich, son- dern auch in anderen deutschen Staaten nut ihrem Ansuchen um An¬ erkennung als kirchliche Gesellschaft abgewiesen worden, z. B. in Preußen 1859. — Eine königlich baierische Ministerial-Entscheidung oom 22. Juni 1867 wies ihr wiederholtes Einschreiten um staatliche Anerkennung als „Privat-Kirchengesellschaften" ab; nur als „nichtpolitische Vereine" können sie behandelt werden. Man erkannte es, daß ihre Secte, aller positiven Grundlage ent¬ behrend, nur Negation sei, welche die Fundamente jeder Religion untergräbt. Der Prediger der sogenannten deutschkatholischen Gemeinde zu Mannheim, der Novellist Heribert Nau, wurde durch Erlaß des großherzoglich badischeu Ministeriums des Innen: vom 6. Juni 1856 seiner Stelle enthoben, „in Erwügnng, daß in dem von ihn: herans- gegebenen Katechismus der Zukunft Pantheismus vorgetragen, daß darin Lehren des Christenthums als falsche und irrige bezeichnet werden, daß diese Schrift die Tendenz habe, jeden positiven, insbesondere den christ¬ lichen Glauben zu verdränge::, und an seine Stelle eine sogenannte Vernunftrcligivn zu setzen" u. s. w. Ein anderer Grund lag wvhl auch in der Ueberzeugung, daß sich die Rongeaner ebenso sehr als Feinde der Ordnung in: Staate, wie der kirchlichen erwiesen hatten. Hatte ja Einer ihrer Koryphäen, der apostasirte Priester Dvwiat') aus Dauzig (1848) offen erklärt, daß sie hinter der religiösen Maske die radikalsten Umsturzpläne verbergen. Ihr an: 23. Mai 1850 be¬ gonnenes sogenanntes Concil zu Leipzig mußte schon am nächstfolgenden Tage nach Köthen übersiedeln, aber auch hier wurde ihn: von der Polizei der Rath gegeben, schleunig auseinander zu gehen. Aus eben diesen: Grunde erließ 1850 die königlich baierische Ne- giernng ein Rundschreiben an die Polizeibehörde, ans die Rongeaner ein wachsames Auge zu haben, weil diese unter den: Deckmantel derReligion hauptsächlich Politische Umwälzungspläne verfolgen. (Man denke an Robert Blum aus Leipzig, der auf den Barrieaden Wiens gegen die kaiserlichen Truppen gefochten, und zur Strafe an: 9. November 1848 in Folge kriegsgerichtlichen Urtheiles erschossen wurde.) '-) Dennoch erklärte eine königlich baierische Vcrord >) Dowiat kehrte 1865 reuig in Nord-Amerika in die katholische Kirche zurück. -) Der unwürdige Anton Füster, seit 1846 Religionslehrer an der philv- Z 93. Der sogenannte Deutschkatholicismus. 427 nnng ääo. 5. November 1861, daß Kinder von Angehörigen der dentsch- kathvlischen nnd frcigcmeindlichen Genossenschaften nicht znm Besuche des katholischen oder protestantischen Religionsunterrichtes in der Schule ver¬ halten werden können. Ronge selbst hatte sich den Radiealen angeschlossen, die nach dem Beispiele eines Mazzini, Ludwig Kossnth, Ledru-Rolliu und Anderer ans englischem Boden gegen die Ruhe Enropa's eon- spirirten; Einige sogar ihre Sendlingc auf Fürstemuvrd ansschickten. Wohl schon überall sind die sogenannten deutschkatholischen Ge¬ meinden wieder zerfallen oder in Auflösung begriffen. Es half nichts, daß auf den 26. Juni 1859 wieder ein allgemeines C o n cil (?) aller deutsch- nnd christkatholischen (?), sowie aller freigemeindlichen nnd freien Religivnsgemeinden nach Gotha berufen wurde, dessen Zweck hauptsächlich eine Vereinigung dieser vier Secten zu einem „Bunde frei¬ religiöser Gemeinden" war. Die freien Gemeinden der Provinz Preußen hielten im Verein mit den Deutschkatholischen einen Kongreß in Königsberg am 25. April 1859, auf welchem sie einen Provineialvorstand wühlten. Das Gleiche thaten die schlesischen am 25. September in Liegnitz, und beschlossen dabei die Umänderung des Namens „deutschkathvlischcr" in den Namen „frei-religiöser" Gemeinden. Ihre Zahl schwand aber immer mehr zusammen. In ganz Deutsch land zählte man im Jahre 1859 32 Prediger in freien Gemeinden. In der österreichischen Monarchie hatte sich außer in Wien auch in Graz eine „dentschkathokische" Gemeinde zu cvnstituircn gesucht, wo Rouge selbst, der im September 1848 in Wien — im Odeon — ausgetreten, auch, aber nnr auf kurze Zeit, znsprach nnd wo die Zeit¬ schrift „Das Urchristenthum", herausgegcben von C. Scholl, dann von Anton Kutschern, die dcstructiven Lehren auskramte. Durch Minifterial-Erlaß vom 9. April 1849 wurde die „freie christliche Ge¬ meinde" zu Graz aufgelöst. Naiv genug wandte sich dieselbe an den neuen Fürstbischof von Scckan, Josef Othmar Ritter von R a n s ch e r, und überreichte ihm durch ihren Prediger Carl Scholl eine Adresse (am 25. April), worin sie seine Verwendung in Anspruch nahm. „Wir wagen diesen Schritt", heißt es darin, „weil wir vom Stolze sophischen Fncnltät zu Wien, entging einem vielleicht ähnlichen Schicksale durch die Flucht nach Amerika. 428 Anhang. Ihrer Kirche erwarten, was uns der Buchstabe des weltlichen Gesetzes versagt!" Ein Schreiben des k. k. Cnltnsministeriums vom 24. Jänner 1850 erklärte, daß es dein Bekenntnisse der freichristlichen oder deutschkatholischen Glaubensgenossen an jedem feststehenden (Po¬ sitiven) Inhalte fehle, daher sie als Kirche oder Religionsgesellschaft nicht anerkannt werden können. Manche ehemaligen sogenannten Dcntschkatholiken kehrten reuevoll zur katholischen Kirche zurück, Andere schloßen sich dem Protestantismus an, wieder Andere blieben, weil schon dem crassesten Unglauben ver¬ fallen, in kirchlicher Beziehung völlig indifferent und farblos. Freilich wohl, Rouge ruhte nicht, sondern begeiferte die katho¬ lische Kirche wo sich ihm nur immer Gelegenheit darbvt. So in seinem Aufrufe zur ersten deutschen Kirchenversammlnng am 16. und 17. Ok¬ tober 1863 zur Begründung einer „freien deutschen Nativnalkirche". Die Trienter Cvuciliums-Säeularfeier schien ihn völlig in Wuth gebracht zu haben. Er führte auch das große Wort bei der am 24. Oktober 1863 zu Frankfurt a. M. eröffneten ersten Versammlung des sogenannten „Religiösen Reformvereins". Da wurde aber nicht blos der Cölibat, die Ohrenbeichte, der Jesuitenorden u. s. w. verurtheilt zur Abschaffung, sondern mau sprach auch über das gläubige Prvtestantenthum und dessen Träger: Vilmar, Hengstenberg, Leo und Andere das Anathem aus (Manifest vom 2. Oktober). Der neu gebildete „Deutsche Pro- testanteuverein" lehnte die Einladung des Nefvrmvereins zur Theilnahine an seinen Bestrebungen und zur Allianz ab. In ähnlichem Geiste tagte die zweite Generalversammlung des „Religiösen Reformvereins" am 22. und 23. Oktober 1865 zu Heidel¬ berg. Selbstverständlich lieferte da einem Ronge, Czcrsky, Kerbler (Prediger der dcutschkatholischen Gemeinde zu Offenbach) — lauter apo stasirte Priester — die mittlerweile erschienene päpstliche Encyklika vom 8. December 1864 Stoff genug zu den maßlosesten Ausfällen auf die „Curie", „Jesuitismus" u. dergl. Bemerkenswerth erscheint, daß hier Ronge schon sein eigenes Kind — den sogenannten Deutschkatholi- cismus — nicht mehr anerkannte und für einen überwundenen Stand¬ punkt erklärte. „Der sogenannte religiöse Refvrmvcrcin stellt sich — sagte R o n g c — eine wesentlich höhere und umfassendere Aufgabe, als der Dentschkatholicismns und die freireligiösen Gemeinden. Er führt Z 94. Antichristliche Literatur. 429 über b e st i m m t e e v n f e s s i v n e ll e S t a u d p u n k te hinweg, ans der Grundlage allgemeiner, namentlich sittlicher Prin eipien" u. s. w. (!) Dasür wurde Rvnge twu dem Reste der „Deutsch- kathvliken" gleichfalls verleugnet. Sv endete diese Refvrmbewegung vhne Ehren, wie sie begonnen hatte. In der Epoche seines ersten Auftretens hatte der sogenannte Deutsch- kathvlieismus auch zwei literarische Kämpen in dem Historiker Georg Gottfried Gervinns (geboren 20. Mai 1805 in Darmstadt, gestvrben 18. März 1871 in Heidelberg) und in dem Prediger Heribert Rau (geboren 1813 in Frankfurt a. M., gestvrben daselbst 26. September 1876) gefunden. Der Letztere verfaßte mehrere freigemeindlich-rativna- listische Schriften. Wir haben Beider schon gedacht. tz !)4. Anti christliche Literatur. Wenn wir von dieser reden, so evnstatiren wir nur eine nicht wcgzuleugnende Thatsache mit der Behauptung, daß leider, mit ehren¬ vollen Ausnahmen, die tonangebende Tagespresse sehr häufig vom wider-christlichen Geiste — vvm Geiste der Negation einer übernatür¬ lichen Offenbarung; ja nicht selten vvm grimmigen Hasse gegen Christus und seine Kirche erfüllt ist. Befindet sich ja die Tagespresse nicht selten in den Händen vvn sogenannten Reformjnden, die kein Mittel verschmähen, um insbesondere die katholische Kirche, ihre Lehren, Gebräuche, Institutionen, Diener u. s. w. zu verunglimpfen, zu verleumden, zu verdächtigen und so der öffentlichen Verachtung preis- zugeben. Sv verderblich übrigens dies Gift zumal bei der eines selbständigen Urtheils mehr minder unfähigen Menge wirkt, auf die es eben zunächst abgesehen ist; so gilt dies doch noch mehr, weil es oft mit nicht ge¬ ringem Aufwande vvn Talent und Wissen — alsv immer wenigstens mit einem Scheine von impvnirender Wissenschaftlichkeit — geschieht, vvn eigentlich literarischen Produetcn. Wir können die antichristliche Literatur, zu welcher freilich auch manche natur-philosophische Werke — z. B. eines Ludwig Feuerbach, gestorben 13. September 1872 bei Nürnberg — gehören, füglich in zwei Classen eintheilen: in die materialistische, welche überhaupt die Grundlage jeder Religion untergräbt, indem sie dem Menschen 430 Anhang. jedweden Glauben an irgend etwas Uebersinnliches raubt; nnd in die¬ jenige, welche speeiell das Christ en ihn in angreift. Daß die „Naturwissenschaft" in den letzten Deeennien einen un¬ geheuren Aufschwung genommen habe, ist unleugbar, svwie unbestreitbar die Verdienste sind, die sich nm dieselbe Männer, als: ein Alexander Humboldt (geboren 14. September 1769, gestorben zu Berlin am 6. Akai 1859) und Andere erworben haben. Sein „Kosmos" mag immerhin eine reichliche Fundgrube richtigerer Kenntnisse über die äußere Natur sein; aber man hüte sich, dieses Werk über das „Evangelium" zu stellen, von dem Eine einzige Seite für das wahre Heil der Menschheit Nvthwendigercs enthält, als sämmtliche Bücher des Universums. Wenn die „Naturwissenschaft" ihre Grenzen, welche eben die der wirklichen, mit den Sinnen wahrnehmbaren ex a eten Er¬ fahrung sind, übersieht und überschreitet, nnd im Widerspruche mit sich selbst ans ihren Resultaten unberechtigte Schlüsse auf eine ihr völlig fremde, weil übernatürliche Welt zieht, muß sie bis zur frivolsten Negation Dessen, was die Menschheit durch Jahr¬ tausende schon „Geist" zu nennen gewohnt war, „fort s chrei ten". Fortschreiten? Nein! Der Standpunkt, auf den sie so anlangt, ist ein schon lange überwundener, und dagcwescner — zuletzt nahmen ihn die Eneyklvpädisten des vorigen Jahrhunderts ein. Zu den deutschen Koryphäen einer solchen materialistischen Welt- und Natnranschauung gehören obenan: Ludwig Feuerbach, zu dem eigentlich so zu sagen alle Materialisten der Gegenwart in die Schule gegangen, nnd sich nun an der Beantwortung der Frage Feuer- bach's abmühen: „Wer wird das Fleisch erlösen vom Geiste?" Carl Vogt (geboren 1817 zu Gießen). Er schrieb: „Physiologische Briefe", „Bilder ans dem Thierleben" u. s. w. Anfänglich trug er zu Gießen Zoologie vor, kam von dort in das deutsche Parlament als einer der radiealsten Vertreter der Demokratie, dann nach Genf. Vor wenigen Jahren hielt er auch in Deutschland und Oesterreich hie und da Vorlesungen, in denen er den Zuhörern die sogenannte Affenthevrie, d. i. die Abstammung des Menschen vom Affen begreiflich zn machen suchte. Die Gedanken des Menschen, meint C. Vogt, stehen zum Gehirn etwa in dem Verhältnisse, wie die Galle zur Leber oder der Urin zu den Nieren. Das Denken stellt er als ein Phosphvresciren (!) dar. Louis Büchner, einige Zeit Privatdveent zu Tübingen, dann Z 94. Antichristlichc Literatur. 431 praktischer Arzt zn Darmstadt, seiner Vaterstadt, entwickelte — aber in weniger verletzender Form — dieselben Anschauungen in seiner Schrift: „Kraft und Stoff". Mvleschvtt (geboren 1822 in Holland) bis 1854 Privatdocent zu Heidelberg, dann nach Turin berufen; 1876 wurde er sogar rö¬ mischer Senator und 1878 Professor in Rom. (!) In seinen Briefen an Liebig entwickelt er den Gedanken, daß die ganze Welt ein un¬ endlicher Kreislauf des Stoffes sei; eine Kette von Wandlungen, in denen auch der Mensch ein Glied sei. „Die Zeiten sind vorüber", ruft er aus, „in denen man den Geist unabhängig glaubte vom Stoff." (!) „Der Gedanke ist eine Bewegung des Stoffes." (Kreislauf des Lebens, S. 401.) „Der Mensch ist nichts", sagt er (im Buche: „Der Stoff¬ wechsel") „als die Summe von Amme und Luft, von Speise und Trank u. s. w." In Anwendung Dessen lehrt er in: „Die Nahrungsmittel für das Volk", daß die Nahrung die politischen Verfassungen der Völker bedinge und begründe. (!) Der Genuß des Fleisches mache sie republi¬ kanisch und liberal, die vegetabilische Kost aber servil und monarchisch (Also der Mensch rein nur Maschine!) Als Autoritäten ähnlicher, aber so zu sagen gemäßigterer Kategorie genüge zu nennen: Dub vis-Rehmond, Virchow, Roßmäßler, Burmeister, E. Brücke, Baumgartner. Sie Alle zeichnen sich mehr oder weniger durch eine souveräne Verachtung der Philosophie und selbstverständlich auch der Theologie ans. Heinrich Czvlbe (gestorben 13. Februar 1873 in Königsberg) schrieb unter Anderem: „Neues System des Scusualisinus" ; Eduard Löwenthal: „System und Geschichte des Naturalismus". Gefährlicher wirken auf die nrtheilslvse, nachbetende Masse Schriften, welche die Resultate der Naturwissenschaft iin ungläubigen, materin listischen Sinne pvpularisiren, z. B. die unter dein Namen Zimmer mann von vr. Vollmar herausgegebenen „Wunder der Urwelt", „Der Mensch und seine Geschichte", die Zeitschrift „Natur". Obschon nicht ox protdsso sich mit der Naturwissenschaft — ihnen ein ganz fremdes Feld — befassend, vertreten doch gewisse Romanschriftsteller die Prineipien des Materialismus in der sogenannten schönen Literatur. Sv Carl Gutzkow in „Ritter voin Geiste" und „Wally" — Auerbach (Beide Israeliten). Sehr verderblich wirkt die viel verbreitete Leipziger „Gartenlaube", 432 Anhang. deren naturwissenschaftliche Artikel mit unumwundener Rücksichtslosigkeit den Materialismus predigen. Der Materialismus, zumal der erasse, fand seine Bekümpfer nicht nur unter den katholischen Theologen, z. B. Fr. Michelis, Neus eh, Baltzer, Tauner und Anderen, sondern auch unter den Pro¬ testantischen Theologen, z. B. Theodor Zoll mann, derzeit evan¬ gelischer Geistlicher an der deutschen Gemeinde zu Bnenos-Ayres („Bibel und Natur in der Harmonie ihrer Offenbarungen"); G. Zö ekler, Pro¬ fessor der Theologie zu Greifswald („Die Urgeschichte der Erde und des Menschen"); I)r. Friedrich Pfaff, Professor zu Erlangen („Schö¬ pfungsgeschichte mit besonderer Berücksichtigung des biblischen Schö¬ pfungsberichtes", ferner „Die neuesten Forschungen und Theorien auf dem Gebiete der Schöpfungsgeschichte"); Fr. Fabri und Anderen. Nicht minder unter den Philosophen, z. B. Fichte, Ulri ei. Ja Naturforscher selbst beleuchteten seine Haltlosigkeit. So unter Anderen I)r. Andreas Wagner (gestorben zu München am 20. Dceember 18t>1), der zumal in seiner „Geschichte der Urwelt" gegen die materia¬ listischen Theorien der Neuzeit den biblisch-gläubigen Standpunkt in der Schöpfungsgeschichte festhält, auch gegen den Darwinismus in einer Coutroversschrift auftrat. I )r. Rudolf Wagner, einer der hervorragendsten Anatomen und Physiologen (geboren l) Selbst für die Affentheorie konnte sich Anfangs noch nicht füglich auf Darwin berufen werden, als wenn dieser die Existenz des un sterblichen Menschengeistes, überhaupt jedes selbständigen Geistes leugnete. Darwin sagte ausdrücklich, daß die Wissenschaft auf ihrer jetzigen Stufe die Annahme einer Erzeugung lebendiger Wesen aus unorganischer Materie nicht unterstütze. Und in dem zweiteitirten Werke Darwin's heißt es: „Der erste Ursprung des Lebens auf dieser Erde ebensowohl wie die Fortpflanzung des Lebens jedes Individuums liegt für jetzt außerhalb des Bereiches der Wissenschaft." p In der späteren Auslage ließ Darwin den Passus vom Schöpfer schon aus. Z 94. Antichristliche Literatur. 435 Seit dem Erscheinen (1871) des Werkes von Darwin: „I)cw- cwnt <>t' man" (die Abstammung des Menschen), welchem Ende 1872 ein anderes folgte: „Mw oxprosmon ok tlw omotioiw ot' mau nnct animal«" (der Ausdruck der Gemüthsbeivegnngen des Menschen und der Thiere), kann freilich über seine persönliche Ansicht bezüglich dessen, daß der Mensch kein unmittelbares Geschöpf Gottes sei, kein Zweifel mehr obwalten. Sagt er ja im ersterwähnten Werke ausdrück¬ lich: „Es wird nicht lange mehr dauern, und die Zeit wird da sein, wo man sich wundern wird, daß Naturforscher, welche mit dem Ban und der Entwicklung des Menschen und anderer Säugethiere in Folge eingehender Vergleichungen bekannt sind, haben glauben können, daß jedes derselben die Folge eines besonderen Schöpfungsactes ge¬ wesen sei." Darwin führt uns znr Fischblase zurück, und es ist ihm Ernst damit, daß der Mensch sich ans einem ganz niedrig organisirten Wasserthiere entwickelt habe. Der Affe steht ihm bereits auf halbem Wege znr Menschlichkeit, und er meint, uns genau den unmittelbaren Vorfahr des Menschen, dessen Deseendent dieser sei, beschreiben zu können. Es war ein behaarter Vierfüßler, der mit einem Schwanz und zugespitztcn Ohren versehen, wahrscheinlich ans den Bäumen lebte. (!) Diesem nach kann es gleichgiltig sein, ob die unmittelbaren Ahnen des Menschen die noch lebenden anthrvpomorphen Affen, Orang, Chimpanse, Gorilla seien, oder ob Anthropomorph nnd Mensch divergirende Entwicklungen eines in diesen Punkten neutralen, jetzt a nsg e st v rb en en menschenähnlichen Affen — etwa in dem so¬ genannten Dryvpitheeus — darstellen. Wir Christen danken überhaupt für diese Stammtafel, mag der auf ihr verzeichnete Ahn diesem oder jenem Affengeschlcchte angehören. Darwin fand alsbald Anhänger z. B. den Anatomen H uxley in England; den dortigen Geologen Lyell; znr Descendenz-Theorie bekennen sich ferner: Busq, Prestwich, Carpenter, Wallace und Andere; in Frankreich auch der Botaniker Nau diu. Manche zählen nicht gerade zu so ausgeprägten Materialisten, wie die schon genannten Carl Vogt z. B. in seinen Vorlesungen „über den Menschen, seine Stellung in der Schöpfung, nnd in der Geschichte der Erde" oder in der Abhandlnng „llamoires sur Io« inwrooopbalW on 28* 430 Anhang. Iionlili08-8ii^68"; oder Louis Büchner') z. B. in seinen sechs Vor- lesnngen über die Darwin'sche Theorie von der Verwandlung der Arten, und Andere — aber ihre Einwirkung ans die Massen ist vielleicht nicht weniger heillvs. Daß auch der praktische vulgäre Materialismus sich des — freilich vft unverstandenen — Systems Darwin's bemächtigen werde zu seiner Beruhigung und Beschönigung, war vvrausznsehen. Ihm taugt ja die Ansicht am besten, daß der Mensch nichts sei, als ein pvtenzirtes, etwas höher entwickeltes Thier; daß es also mit einer künftigen Vergeltung im Jenseits nichts auf sich habe. Nicht minder bekennen sich manche seichte Nachbeter als Anhänger Darwin's, — sie, denen die ersten Anfangsgründe der Naturwissenschaft fehlen! — Darwin wurde auch von wissenschaftlichen Auctoritäten be¬ kämpft; sv z. B. vom französischen Naturforscher Louis Agassiz, dem die „Arten" noch immer ursprünglich feststehende Typen sind, und der Darwin's Theorie als einen „wissenschaftlichen Mißgriff, un¬ wahr in den Thatsacheu, unwissenschaftlich in der Methode, und ver¬ derblich in der Tendenz" bezeichnet; — von den Engländern Mur¬ chison, Crawfnrd und Anderen. Ferner — unter den Deutschen — von Göppert, Kölliker, Hoffmann, Burmeister, Pfaff, I)r. Schleiden, Zoolog, vr. Ludw. Schmarda; von l)r. Carl Ernst von Baer (geboren 1792 in Esthland, gestorben 28. November l87t> in Dorpat); vom schon genannten llr. Rudolf Waguer und Anderen. Der Anatom nnd Physiologe Bischoff, und Rudolf Virchow haben sich gegen die Descendenz des Menschen vom Affen erklärt; — ferner Naegeli und Andere. Moriz Wagner stimmt in seinem Werke: „Die Darwin'sche Theorie und das Migrativnsgesetz der Organismen" Darwin's Lehren zwar nicht durchweg bei, in der Hauptsache aber doch, und liefert nur mehr einen Nachtrag dazu. Denn er spricht sich selbst also aus: In einem Punkte bestehe eine Differenz zwischen ihm und Darwin; nämlich hinsichtlich der Frage: „Ob die Migration, d. h. das fortdauernde Streben einzelner Individuen, sich vom Verbreitungsgebiet der Stammart zu entfernen, um durch Cvlonien- bildnng für sich und ihre Nachkommen bessere Lebensbedingnngen zu >) vr. Louis Büchner kramte seine Weisheit sogar ans Gastrollen in Nord- Amerika aus (1873), aber mit wenig Glück. Z 94. Antichristliche Literatur. 437 finden, für die Bildung von Nacen nnd Arten nur Vortheilhaft, oder ob fie dcizu eine n o t h w e n d i g e Bedingung sei." M. W n g n er behauptet das Letztere. „Die Migration der Organismen und deren Cvlonienbildung ist nach meiner Ueberzeugung die nothw endige Bedingung der natürlichen Zuchtwahl". (S. VII.) „Das Migrationsgesetz der Organismen und die natürliche Zucht¬ wahl stehen in einem innigen Zusammenhang. Die geographische Ver- theilnng der Formen würde ohne die Darwinsche Theorie nicht erklärbar sein, Andererseits könnte aber auch die Zuchtwahl ohne eine Wanderung der Organismen, ohne die längere Jsolirung einzelner Individuen vom Verbreitungsbezirk der Stammart nicht wirksam werden. Beide Erscheinungen stehen in enger Wechselwirkung." (S. 37). Die Unverträglichkeit des Darwinismus mit dem positivem Christeuthnme bestätiget uns aber auch M. Wagner. Er spricht vom großen Ziel, das da ist „die einfache Wahrheit, wie sic der ruhigen Prüfung unserer Verminst erscheint; nicht wie sie uns durch Tradition nud festgestellte Dogmen vorgeschrieben wird." (S. VIII). In anderer, mehr genereller Richtung suchte Ernst Hä k l, Zoolog in Jena, den Darwinismus und dessen Deseendeiyp Theorie ausznbauen — zumal in seiner „generellen Morphologie". Die naturwissenschaftlichen Bekämpfen Darwin's machen — wohl nicht mit Unrecht — darauf aufmerksam, daß sein ganzes System sich auf Hypothesen, Voraussetzungen und Schlußfol¬ gerungen stütze, die durch Thatsacheu uicht bestätiget werden. Warum, fragen sie, finden sich auch in den ältesten Versteinerungen nnd Erdschichten keine Reste von Wesen, die den Uebergang einer Art in die andere vermitteln nnd repräsentiren? Wie kommt es, daß in den ältesten Formationen das Thierreich mit seinen 4 Hauptabtheilnngen gleichzeitig nuftritt? Wie ist es mit Darwin's Theorie von der immerwährenden Fortbildung und Entwicklung der sogenannten Arten verträglich, daß so außerordentlich viele Formen ans derselben niedrigen Stufe der Organisation seit den ältesten Zeiten der Erde bis in die Gegenwart hartnäckig stehen geblieben sind? Welches ist also unser Urtheil vom positiv-christlichen Standpunkte ans über den Darwinismus? Wenn G. Iä g cr in seiner Schrift „Die Darwin'sehe Theorie und ihre Stellung zur Moral nnd Religion" die Verträglichkeit derselben mit Letzteren darthnn will, 438 Anhang. oder wenn Carl B. Heller in „Darwin nnd der Darwinismus" (S. 22) von der Religion nnr scheinbar entgegenstehenden Lehr¬ sätzen spricht, so wird sich kein selbständig Denkender durch derlei Sophismen täuschen lassen. Mit dem v s fen b a r n n gs g lü n b i g en Christenthnm läßt sich der Darwinismus, insbesondere so wie er jetzt ausgebildet wird, eben so wenig vereinbaren, als mit der Moral, deren Fundament, nämlich den freien Willen, er nicht nnr in Frage stellt; sondern offen leugnen muß, wenn „die heute lebende Pflanzeu- und Thierwelt mit Einschluß des Menschen nichts anderes als eine gesetzmässige Folge von älteren in weit entlegene Ferne zurück zu verfolgenden Vorgängen ist, nnd wenn „der erste Ursprung aller lebenden Wesen nnr die einfache Zelle gewesen sein kann". (Siehe „C. Darwin's Lehre von der Entstehung der Arten" von I)r. Friedr. Nolle.) — Fortgeschrittene und aufrichtige Darwinisten machen auch kein Hehl daraus, daß „Gott", „Geist", „Unsterblichkeit" u. dergl. für sie ab gethaue inhaltslose Begriffe seien. „Es ist vor Allem von der Tages¬ ordnung der vernünftigen Forschung abgesetzt das Suchen nach der ersten Ursache, die Frage nach dem Wesen, das über Allem schwebt, das die Ursache jedes Dinges, jedes Geschehens ist." (Sein und Werden der organischen Welt. Eine populäre Schöpfungsgeschichte von l)r. Fritz Ratzel. S. 3.) „Die durch Darwin rcformirte Desccndenztheorie brachte den Menschen in unmittelbaren Z n s a m m e n Hang nut der ganzen übrigen organischen Welt. Es fielen sowohl die Schranken, welche i h n vom Thierreich getrennt hatten, als auch die, welche zwischen diesem und dem der Pflanzen aufgerichtet waren - und es be¬ stand fortan kein wesentlicher Unterschied zw i scheu M v os, Jnfus orinm und Mensch; nur no ch Unterschiede des Grades blieben in Geltung". (A. a. O. S. 482.) „Von dem Augenblicke an, daß (laut Darwiu's Theorie) der Meusch als ein vervollkommnetes Thier aufgefaßt wurde, war d i e A n n a h m e e i n e r i h m e i g e n t hü m l i ch e n S e e l e n i cht mehr zu rechtfertigen. Wie sein ganzer übriger Organismus, mußte auch die geistige Seite seines Wesens, eben das, was mau gewöhnlich als Seele bezeichnete, als nur gradweise von dem entsprechenden Theil des thie^ rischen Organismus verschieden angenommen werden". (A. a. O. S. 483.) Z 94. Antichristliche Literatur. 439 Und doch verspricht sich der genannte Autor von der allgemeinen Annahme der Deseendenztheorie Darwin's, daß „das menschenwür¬ dige Dasein, von welchem seit Jahrtausend gefabelt wird, endlich zur Wahrheit werden wird!" (S. 479.) Wir aber rufen: Wehe der Menschheit, wenn es je dahin käme, daß sich jeder Mensch nur als „vervollkommnetes Thier" ansähe und als solches handelte! Oder wenn gar die Anschauung Platz griffe, wie sie ve. E. Häckel in seiner „Natürlichen Schöpfungsgeschichte" S. 19 ausspricht: „Wir gelangen dadurch (durch Darwin's Lehre) zu der äußerst wichtigen Ueberzeugung, daß alle Naturkörper, die wir kennen, gleichmäßig b e l e bt s i n d; daß der Gegensatz, welchen man zwischen lebendiger und tvdter Körperkraft anfstellte, nicht existirt. Wenn ein Stein, frei in die Luft geworfen, nach bestimmten Gesetzen zur Erde fällt, oder wenn in einer Salzlösung sich ein Krystall bildet, so ist diese Erscheinung nicht mehr und nicht minder eine mechanische Lebens- erscheinuug, als das Wachsthnm oder das Blühen der Pflanzen, als die Fortpflanzung oder die Sinnesthätigkeit der Thiere, als die E m pfindung oder die Gedankenbildung des Menschen." In seinem späteren Werke: „Anthropogenie", oder Entwicklungsgeschichte des Menschen, charakterisirte er selbst in der Vorrede solche Anschauung, als einen Beitrag zum „Culturkampf" gegen die katholische Kirche. „Denn, sagt er, die Entwicklungsgeschichte ist das schwerste Geschütz im Kampfe nm die Wahrheit." Gewiß ein Geständniß, daß das letzte Ziel des „Culturkampfcs" die Vernichtung des positiven Christen- thnmes sei. Denn, wenn die Wahrheit nach I)r. Häckel in die Abstammung des Menschen vom Affen, überhaupt von vorhergangenen niederen Organismen zu setzen ist, so kann das Christenthum nur Un¬ wahrheit sein. Hnoimguo tunelom! Ans dem 46. Natnrfvrscherevngresse zu Wiesbaden hielt unter Anderen Dr. V i r ch o w einen Vortrag über die Naturwissenschaften in ihrer Bedeutung für die sittliche Erziehung der Menschheit, worin er als die Hauptaufgabe der Naturwissenschaften bezeichnet: die innere Sittlichkeit des Menschen zu fördern, im Gegensätze zu der Kirche, die sich meist auf die Pflege einer mehr äußeren Sittlichkeit beschränkt habe. (!) Welchen Begriff dieser cxacte Naturforscher wohl von der christ¬ lichen Moral sich ansgedacht hat! Und wie redet er von innerer 440 Anhang. Sittlichkeit des Menschen, wenn dieser nach Darwin und auch nach Dr. Oscar Schmidt's (Professor, früher zu Graz, jetzt zu Straßburg) Vortrag iu der nämlichen Versammlung nichts weiter als ein poten- zirter Affe ist? In England sympathisirt mit Darwin's Theorien insbeson- dere auch Johu T h u d all, Professor der Physik an der Royal-Jnsti- tntion in London, Farad ay's Nachfolger. Unter dem Anshänge- schilde der Freiheit der Wissenschaft leugnet er jede positive Offenbarung, ja einen persönlichen Gott nach christlicher Auffassung. Zur Warnung vor seinen Jrrthümcrn, zumal aus Anlaß seiner im Sommer 1874 in einer Versammlung der British-Associativn in Belfast gehaltenen Rede erließen (Dublin, 14. Octvber) die Erzbischöfe und Bischöfe Irlands einen Hirtenbrief an die Gläubigen. Die „katholische Union" erklärte sich gleichfalls entschieden dagegen auf der zu Dublin am 23. Jänner 1875 abgehaltenen Versammlung. Aber nicht blos von katholischer Seite trat man dem genannten materialistischen Stimmführer entgegen. Es geschah auch anderwärts. Die lobenswerthe Tendenz, zur Harmonie der Naturwissenschaft mit dem gevffenbarten Glauben beizutragen, liegt der 1877 in deutscher Uebersetznng aus dem Englischen von vr. und Professor G. Zöekler erschienenen Schrift des I)r. I. W. D aw s v n, Vorstehers und Vice kanzlers der Mac Gill Universität, Verfassers der „Archaia", der „Aea- dischen Geologie", der „Geschichte der Erde" rc. zu Grunde. Sie führt den Titel: „Die Natur uud Bibel" und entstand aus einer Reihe von zu New-Jork im December 1874 gehaltenen Vorlesungen. Der Autor, selbst reuommirter Naturforscher, Entdecker des viel besprochenen Ua/.oo» (chrnackmms, polemisirt mitunter eben auch gegen Tyndall und sagt an¬ läßlich der erwähnten, von diesem gehaltenen Vorlesung 1874 zu Belfast, daß dieselbe „die Stellung der Bibel zur Natur völlig ignorirt und die Verpflichtungen anzuerkennen versäumt, welche die Wissenschaft gegen Gottes Wort hat". Von sich selbst gesteht er ohne Scheu, daß „er ganz besonders in der Naturwissenschaft immer zu forschen und zu lernen gesucht hat; dabei aber ein sorgfältiger und gläubiger Erforscher der heiligen Schrift gewesen ist". Z 95. Antichristlichc Literatur (Fortsetzung). 441 § 93. Antichristliche Literatur. (Fortsetzung.) So wie die Naturanschaunug, sie, die doch zur Erkenntnis; eines allmächtigen Schöpfers ans seinen Werken führen soll, vielfach eine Gott und den Menschengeist negirende Richtung eingeschlagen hat, ähnlich die Bibelkritik. Sie machte Einzelne zu C hristus-Langnern, auch nicht deshalb, als wenn diese Wissenschaft zu dem bemeldten traurigen Ergebnisse führen müßte; sondern, weil man eben schon mit vorge¬ faßten Meinungen an's Werk ging. Noch in das Pontifieat Gregor's XVl. füllt die „Kritische Be¬ arbeitung des Lebens Jesu" von Dr. David Friedrich S t r a n ß. Dieses Werk ist die Quelle geworden für spätere Kritiken ähnlicher Tendenz, weshalb wir hier seiner Erwähnung machen. Was suchte Dr. Strauß, der die Principien der Hegel'schen Philosophie ans dem Gebiete der christlichen Religion zur Ausübung brachte, laut seines Werkes in den Evangelien, als der Hanptgnelle des Lebens Jesu nnd was wollte er darin finden und will wirklich gefunden haben? Nichts als Mythen. Sein Standpunkt ist der m Y t h i s ch e; seine Kritik der Evangelien eine m y t h v l o g i s ch e; d. -h. nach seiner Behauptung berichteten die Evangelien vom Stifter unserer heiligen Religion Solches (Ileberuatürliches), was stvar von den Gläubigen für Thatsache nnd wirkliches Ereignis; gestalt e n wurde und noch wird; was aber in Wirklichkeit nie bestanden hat n n d nie vvrgefallen ist." Dari n unterscheidet sich Dr. Straus; von den früheren n atu rali st i scheu nnd deistischen Bibelanslegern, das; er den evan gelischeu Berichterstattern nicht eben eine b e trü g e r i s ch c Absichtlichkeit unterstellt; nnd von den rationalistischen, das; er die Erzählungen in ihrem gewöhnlichen Wort sinne nimmt und nicht z. B. Wunder natürlich zu erklären versucht. Bei ihm ist an derlei Thatsachen weder etwas Natürliches, noch Uebernatürliches; sondern eben mir Sage — gar nichts sonst. Dr. Straus; wurde nicht nur von katholischen, sondern auch von protestantischen Gelehrten widerlegt. Unter Jenen führen wir ans: Dr. M. I. Mack, Professor der Theologie zu Tübingen: „Bericht über des Herrn Dr. Straus; kritische Bearbeitung"; Dr. Johannes 442 Anhang. K ii h n, in : „Das Leben Jesn wissenschaftlich bearbeitet" ; 4>r. H ug; unter Diesen insbesondere vr. Tholnk, Professor der Theologie zu Halle; Hoffmann, Osiander, Lange, Ewald, Kern und Andere. Im Jahre 1865 erschien eine neue populäre Ausgabe des von I)r. Strauß verfaßten Leben Jesn „für das deutsche Volk". Während 4>r. Strauß in seinem „Leben Jesn" den göttlichen Stifter unserer Religion, wenn er auch alles Uebernatürliche an ihm in das Reich der Mythen verweist, immerhin noch als eine erhabene Persönlichkeit hinstellt, spricht er in seiner 1872 erschienenen Schrift: „Der alte und der neue Glaube" von Jesus nur mehr in jüdisch-blas- phemischer Weise. Er leugnet rundweg die Existenz eines persönlichen Gottes und die individuelle Fortdauer nach dem Tode. Ucbrigens hatte er solche Ansichten schon in dem 1840 erschienenen Werke: „Die christ¬ liche Glaubenslehre in ihrer geschichtlichen Entwicklung" niedergelegt. Der „Christnslengner" wurde zum entschiedenen „Gottesleugner". Er copirt schon einfach die „Encyklopädisten". Auch ist er nun der fort geschrittenste Darwinianer. Nach ihm sind cs blos spottlustige Literaten, welche die Affenabstammnng des Menschen bestreiten. Andererseits bekennt sich der entschiedene Darwinianer I)r. Ernst Häckel, Professor der Zoologie zu Jena, in seiner „Natürlichen Schö¬ pfungsgeschichte" (4. Auflage) offen zu Stranß'Ansichten in: „Der alte und der neue Glaube". Haben ja Beide auch nur Ein Ziel vor Augen. vr. Häckel meint zwischen dem sogenannten naturwissen- s ch östlichen und ethischen Materialismus unterscheiden zu können, welch' letzteren er verurtheilt. Er begreift nicht, daß er auch hier das von ihm sonst so hoch gehaltene Princip von Ursache und Wirkung vor sich habe. Freilich will damit nickt gesagt sein, daß jeder theoretische Materialist für seine Person auch ein ethischer sein müsse. vr. David Friedrich Stranß starb am 8. Febrüar l874 zu Ludwigsburg, wo er am 27. Jänner 1808 geboren wurde. Er verbat sich jedes christliche Abzeichen bei seiner Beerdigung. „Will man Musik machen, bestimmte er unter Anderem, sv soll es der Priesterchor aus der Zauberflöte (einer die Freimaurer verherrlichenden Oper) sein." Und doch nahm Stranß am Todtenbette die christliche Charitas in Anspruch, denn er ließ sich von barmherzigen Schwestern Pflegen. Z 95. Antichristliche Literatur (Fortsetzung). 443 Mit Benützung von Or. Strauß lieferte in jüngster Zeit Ernst Renan h in seinem Leben Jesu (Vio ri- 8tium8ms", d. i. „Geschichte der Anfänge des Chriftenthums" schreiben, als deren erster Band das „Leben Jesu" gelten solle. Diesem folgte: „1^68 F>)6tr68^ (die Apostel) und als dritter Band: „iRrint. I'uul". ') Ernst Rcuau ist geboren zu Trögnier 1823, wo er im kleinen Seminar seine Studien begann; er erhielt dann eine Freistelle im kleinen Seminar St. Ni¬ colaus in Paris, welches damals unter Leitung des Abbö Dupaulonp stand. Von da trat er 1842 in das große Seminar zu Isst), Ivo er sich schon mit deutscher, zumal mit der philosophischen Literatur vertrant machte. Entscheidenden Einfluß — nicht glücklichen — übte ans ihn seine Schwester Henrica, Lehrerin in einem bedeutenden deutschen Hanse, der er auch sein „Vio 8 erklärte: „Mit aller politischen und staatlichen Ordnung muß talmin rame gemacht und aus den befreiten Völkern eine einzige Föderaliv- Republik gebildet werden". Im Programme des Cvngresses von Genf 1R>9 heißt es: „Die Allianz erklärt sich für atheistisch. Sie will Abschaffung aller Cnlte, Einsetzung der W issc nsch aft statt des Glaubens und der menschlichen Gerechtigkeit statt der gött¬ liche n. h Sie ivill A b s ch a ff n n g der Ehe, als einer religiösen, politischen und gesetzlichen Einrichtung". Ihr Losungswort lautet gleichfalls: „Eigenthum ist Diebstahl". Es soll keinen Privatbesitz mehr geben. Alles nur der Gesellschaft als solcher gehören. Ja der Mensch selbst existirt nicht für sich, sondern »Ur¬ als Glied der Gesammtheit. Man berechnet die Mitglieder der „Inter¬ nationale" blvs in Europa auf vier Millionen. Ihr Gesammtvermögen soll im Baren an drei tausend Millionen Franes betragen. In der Circnlardepesche ckcko. 9. Februar 1872 machte die spa¬ nische Regierung die auswärtigen Mächte auf die allen Staaten gefähr¬ liche Internationale aufmerksam, von der es in der Depesche heißt, daß sie, die Internationale, „allen Ueberlieferungen der Menschheit iu's Ge- >) In einer Bcrsamnilnng der socialdemokratischcn Arbeiterpartei zn München ain 12. Angnst 1872 wurde, von Feuerbach's Lehren ausgehend, die „Religion der Bernunst" als die einzig richtige bezeichnet. Ein Mitglied erklärte sie nüher als „Natnrrcligion". Wohl ein Euphemismus siir „Religionslosigkeit". Z 96. Socialismus. Schluß. 449 sicht schlügt, Gott ans dem Geist auslöscht, Familie und Erbnachfolge aus dein Leben streicht, Nationen ans der civilisirten Welt" u. s. w., um auch die auswärtigen für eine gemeinschaftliche Bemühung zur Unter¬ drückung derselben zu gewinnen. Die englische Negierung, in deren Land sich der Herd der Inter¬ nationalen befindet, antwortete ablehnend, weil „keine Ausländer als solche, wenn sie sich nicht eines Criniinalvcrbrechcus schuldig gemacht, von der exceutivcn Negierung des Landes verwiesen werden können". Es verlautete schon länger von einer Conferenz Preußens (Deutsch¬ lands) und Oesterreich-Ungarns zu Berlin behufs Vereinbarung gemein¬ schaftlicher Schritte gegen die Internationale und überhaupt zur Losung der soeialen Arbeiterfrage. Sic wurde am .9. November 1872 in Berlin eröffnet. — Von einem Resultate kam so viel wie nichts in die Oeffeutlichkcit. Vom 2. bis 7. September 1872 war der Cougreß der Inter¬ nationale zu Haag versammelt; er tagte also theilweise zur selben Zeit, als zu Berlin die Drei-Kaiser-Znsammenkunft statt hatte. Die Redner sprachen daselbst die völlige Solidarität der Internationale mit den Mitglieder» der Pariser Commune aus. Am 7. October 1872 tagte zu Eisenach der sogenannte „Katheder- Socialistencongreß, der ans wissenschaftlichem Wege die immer brennendere und näher heranrückendc Arbeiter- und überhaupt sociale Frage lösen zn können meint. Unterm 3l. Mai 1873 erging von Berlin aus auf Grund der Eisenacher Besprechung ein Aufruf zur Gründung eines „Vereines für Socialpolitik". Mit allen gelehrten De¬ batten auf den „Katheder>-Socialistencvngresscn" und theoretischen Vor¬ schlägen allein wird aber obige Frage gewiß nicht zum Abschlüsse ge¬ bracht. Sagen wir es offen: Nur in der Religion liegt das Zauberwort für die Lösung des Räthsels. Am 8. September 1873 wurde der Jahrcs-Congreß der „Inter¬ nationale" in Genf eröffnet. Die schon im Vorjahre ausgeschlossenen Geheimbündler der Baknnin'schen Richtung constitnirten sich zn einer separaten Gesellschaft. Unter anderem Unsinn proclamirten sie die Ab¬ schaffung jeder Auctorität. ') Michael B a k uni n, ein Russe, welcher jede Staatcnbildung, auch die eines sociatistischcn Staates, als Humbug und dem social-demo¬ kratischen Geiste widersprechend bezeichnete, protcstirte selbst gegen die Be- >) Außer ihrer eigenen. Stepischnegg, Papst Pius IX. lind seine Zeit. II. Bd. 29 450 Anhang. leidigung der Internationalen durch Marx, und zeigte an, daß er sich von den politischen Leben zurückziehe. (Welcher Nachtheil für die Menschheit!) Die österreichische und preußische Regierung ließ (1874) ver¬ schiedene socialdemokratische Arbeiter-Vereine auflösen, und nahm Ver¬ haftungen von Häuptern derselben vor; so z. B. des I)r. Hyppolit Tanschinsky in Graz, welcher daselbst auch eine neue, sehr begueme Religion ohne Gott und Unsterblichkeit stiften wollte. Er wurde (Octobcr 1874) zu viermouatlichem Gefäuguiß, mit je einmaligem Fasten ver- urtheilt. — Seine Genossen erhielten auch verhültnißmässige Strafen. Im December 1875 traf Tanschinsky in Graz in dem ihm und Gefährten gemachten Hochverraths-Processe die Strafe dreimonatlichen Arrestes. Bezeichnend ist es auch, daß auf dem socialdemokratischen Kongreß in Coburg 1874 der Antrag eingebracht wurde: „Alle Parteigenossen haben sich als confessionslvs zu betrachten und demgemäß ans der Landeskirche auszuscheiden." Wie sehr die socialistische Propaganda zumal in Rußland schon Boden gewonnen habe, constatirt (Mai 1875) ein kaiserliches Rescript an den Adel, worin dieser anfgefordert wird, die Regierung im Kampfe gegen die socialistische Umsturzpartei energisch zu unterstützen. Das Gleiche erhellt aus einem öffentlichen Erlaß des Justizministers, Grafen P a h l e n: „In den verschiedensten Gegenden des russischen Reiches, heißt es darin — ist die verbrecherische Propaganda hervorgetreten, welche Religion, Moral und Eigcnthnmsrccht bedroht". Vielleicht ist kein Reich der Welt vom Socialismus, ja Nihilismus, so nnterminirt, wie Rußland. Wenigstens veranlaßte die revolutionäre Propaganda noch nirgends einen solchen Monstre-Proceß, wie derjenige es ist, der am 30. Octobcr 1877 zu Petersburg begann. Ans der Anklagebank saßen 196 junge Leute; von der Prvcuratur sind 472 Zeugen auf- gerufen; von der Vertheidigung 150. Die Voruntersuchung umfaßt 200 Bände; die Anklage-Actcn 300 Druckseiten. General und Stadthauptmann zu Petersburg, Trep o ff, ein eifriger Nachspürer revolutionärer Anzettlungen, wurde (Februar 1878) von einer jungen Frauensperson — Wjera Sassulitsch — welche in den nihilistischen Prvceß mitverflvchten war, aus Rache mittelst Revol¬ vers sehr gefährlich verwundet. Am nämlichen Tage sollten derlei „Damen" andere hochgestellte Persönlichkeiten aus dem Wege räumen. Das Urtheil in diesem Monstre-Proceß wurde im März 1878 Z 96. Socmlismus. Schluß. 451 veröffentlicht. Es lautet, zumal gegen die Hauptanstifter, strenge. Die oberwahnte junge Dame aber wurde — sonderbar genug — Vvu den Geschworneu freigesprocheu, der Proeeß jedoch dann von der Regierung unmittelbar selbst in die Hand genommen. Das Frauenzimmer entwischte. In schreckencrregender Weise entwickelt sich die socialistische Presse insbesondere in Deutschland. Während vor 1.848 noch kein einziges Organ dieser Art existirte, zählte man im Jahre 1875 innerhalb des neuen deutschen Reiches allein 26, und mehrere derselben haben liber 10.000 Abonnenten. Unter diesen Blättern gibt es speciell zehn sociali- stische Gewerkschafts-Organ e. Auch, wie gesagt, solche Protestanten, die noch auf positiven Boden stehen, wissen keine Remedur gegen die Gefahren, welche der mensch¬ lichen Gesellschaft von dieser Seite drohen, als nur im Christen- thum. Sv unter Anderen der dänisch-protestantische Bischof von See¬ land Or. H. Marte nseu in seiner Schrift: „Soeialismns und Christenthum. Ein Bruchstück aus der socialen Ethik" (1875). Daß auch jenseits des Meeres socialistische Ideen Platz greifen, beweist der große, nur mit äußerster Anstrengung niedergeschlagene Aufstand der Eisenbahnarbeiter in Nord Amerika (Juli 1877). — Im Mai 1877 fand der Socialisten-Congreß zu Gotha; vom 6. bis 8. September g. I. der Kongreß der Baknniu'schen Internationale zu Berviers statt; am 9. bis 16. September 1877 aber tagte der „Socialisten-Congreß" zu Gent. Auf dem ersterwähnten war die Wiedervereinigung der beiden getrennten Fractionen der deutschen Socialdemokraten besiegelt worden. Die eben zn Gotha beschlossene neue socialistische Revne „Die Zukunft" predigte den nacktesten Commnuismus. Unter den Beschlüssen des Genter Kongresses der internationalen Arbeiter-Association figurirt obenan die Abschaffung des Privat-Eigen- thnmes zn Gunsten des Staates oder der Commune. Für die „Ansantwvrtnng alles Kapitals an den Staat, aber gegen mässige Entschädigung" plaidirte auch das Central-Organ der Svcial- demokratie Deutschlands, nämlich „Vorwärts". Um den von Seite der fortgeschrittensten rothen Socialisten drohen den Gefahren zu begegnen, wider welche sich polizeiliche Maßregeln als fruchtlos erwiesen haben, gründeten Männer, als: Todt, Wagner, von Scheel, Schäffle und Andere in Berlin den „Staats-Socialist", mit der Aufgabe, die wirthschaftlichen Leiden auf monarchisch-religiöser 452 Anhang. Grundlage zn heilen. Aber eben bei der religiösen Zerfahrenheit im protestantischen Lager stellte man diesem Versuche kein allzu günstiges Prvgnostikon. Wirklich machte die Gründung der „christlich-socialen Arbeiter-Partei" schon bei der ersten Versammlung in Berlin am 3. Jänner 1878 Masco gegenüber der großen Ueberzahl der Social¬ demokraten, die schließlich eine ganz antichristlich-sociale Resvlu tion durchsetzten. Der Redner M o st erwiderte sogar dem Hofpredigcr Stocker, daß die Socialdemokrati» weder mit den Besitzenden noch mit den „Pfaffen" etwas zu thuu haben wolle, denen man nächstens zurufen werde: „Mach deine Rechnung mit dem Himmel — deine Uhr ist abgelaufen!" In der Volksversammlung am 22. Jänner 1878 forderte M o st nach einer neuerlichen Philippika wider das Christen thuin zum Massenaustritte aus der Landeskirche auf, und wirklich zeichneten sich zugleich damals sehr Viele in die zu diesem Zwecke aufgelegten Listen ein. Geradezu schaudererregende Reden fielen auf der svcialistischcn Frauen- Versammluug zu Berlin am 6. Februar 1878. Besonders Eine der „emancipirten Damen" schimpfte wacker über Kirche und „Pfaffen" (selbstverständlich nicht minder liber protestantische wie katholische). Die beiden Attentate auf den deutschen Kaiser und König von Preußen, Wilhelm am >1. Mai 1878 durch E. H. Max Hödel, und am 2. Juni 1878 durch I)r. K. Eduard Nobiling; so wie jene ans den König von Spanien, Alfonso XII. am 25. October 1878 durch Mvncasi, und auf den König Umberto zu Neapel am 17. November g. I. durch Passau ante, haben nencrlichst den Abgrund zum Theile anfgedcckt, an dessen Rande die Gesellschaft steht. >) Werden sie einzig nur Ausnahmsgesetze nach dem Muster des preußischen sogenannten Socialisten-Gesctzes (vom 2l. Octvber 1878) retten? Wohl nicht! Wir wiederholen: Nur die Religion und ihre Trägerin, die Kirch e, vermögen g rü n dli ch zu helfen. Aber frei muß diese ihres heiligen Amtes walten können. >) I» Rußland dauert der Terrorismus der Nihilisten sort. Ihm sielen schon Mehrere zum Opfer. Ans de» Czar selbst machte am 14. April >879 Solawjeff einen Mordansall.