DEBEN ZE1T, CHARAKTER UND GEGENSEITIGEN BEZIEHUN GEN. EIN BEITRAG ZUR CHARAKTERISTIK DES GENANNTEN MARBURG IN STEIERMARK. 1877 . UKUCK UND VERUAG VON J. M. PAJK. ERSTER THEIL. Roms Geschichte vou Caesars Ermordung bis 8 v. Chr. *) Die Epoche, in welcher die beiden genannten Manner lebten und wirkten, ist grossartig und interessant, nicht blos als Wendepunkt in der romisehen Geschichte — Umwandlung der Republik in stiindige Monarehie, sondern auch als Bliithezeit der romisehen Kunst, Wis- senschaft und Litteratur — augusteisches Zeitalter. Der gewaltige Trager und so zu sagen Schopfer dieser Epoche war Oetavian Augustus. Um ihn drehte sich alles damalige politische und geistige Leben der romisehen Nation; Augustus war die Sonne, von der jenes Leben ausging. Ihn verehrte das Volk als seinen Retter, ihn priesen die Dichter wie einen zweiten Jupiter, und selbst ferne, vordem feindlich gesinnte Nationen *) AlsHauptquellen dienten: Suetonias’ Leben des Au¬ gustus ed. C. L. Roth 1871, Plutarchs Antonius ed. C. Sinte- nis 1853, Dio Cassius’ Geschichte Roms ed. L. Dindorf II. III. Band 1863. 1864. Zu meinem Leidwesen Tvar es mir nicht ge- gonnt, zwei Werke zur Hand bekommen zu haben: Vel lej us Paterculus’ „Historiae romanae“ und Drumanns „Geschichte Roms in seinem Ubergang von der republikanischen zur mo- narchischen Verfassung", Konigsberg 1834, von denen mir nur einzelne Citate zu Gebote standen. 1 * 4 Rom s Gescliichte von Caesars brachten ihm ihre Huldigungen dar und wiihlten ihn zum Scbiedsrichter ihrer hauslichen Zwistigkeiten. Die Darstellung der Zeit, des Charakters und der Beziehungen Augustus’ des Herrsehers und Horazs des Konigs der romischen Lyrik, das ist das Ziel der nacli- stehenden Abhandlungen. C. J. Caesars Willkur und Herrsehsucht fing be- reits an, freien Mannern unertriiglich zu werden; nur dessen Tod sehien in ihren Augen die Schmaeh eines erneuerten Konigsthums von Bom abzuwenden. War Caesar aus dem Wege geraumt — so traumten die Bru- tusse und Cassiusse —, dann hatte die Bepublik wieder Baum und die alte Freiheit wieder freien Atem. Des- wegen besehleunigten sie ihre That. Der Dolch versagte zwar Brutus und dessen Mit- versehworenen seinen Dienst nicht, allein der errvunsehte Erfolg blieb ganz und gar aus. Der Tag, an welchem Caesar fiel und Bom das Licht der Freiheit erblieken solite — der 15. Marž des Jahres 44 v. Chr. —, ward zu einem Trauertage fiir die ganze romische Welt und die Iden des Monates Marž hiessen von da an der Vater- mord (parricidium). *) Wie von den Furien der veriibten Unthat verfolgt mussten die Yersehworer sieh vor der Wut des erziirnten Volkes auf das Kapitol fliiehten und die Urheber des Mordes, M. Brutus und C. Cassius. sahen am Tage der Verbrennung von Caesars Leiche ihre ei- genen Daeher von den Brandfaekeln der Menge bedroht, * 2 ) Doch nicht die Wut des Volkes allein. auch das Schicksal sehien sich gegen die Verschworer gewendet *) Sueton. Div. Julius c. 88. 2 ) Sueton. ib. c. 85. Ermordung bis 8 t. Chr. 5 zu haben. Es v.ergingen namlich kaum drei Jahre nach jener That, und es waren von allen sechzig Verschwo- renen nur sehr wenige noch am Leben tibrig; die we- nigsten starben eines naturliehen Todes und vielen diente derselbe Doleh, den sie in Caesars Leib getaucht hatten, zum eigenen Mordinstrumente. ') Dass aus dem Biute des Usurpators Oaesar nicht die envunsehte Saat des Freistaates entspross, daran tru- gen mehrfaehe Umstande die Schuld. Vor ailem stellte das damalige romische Volk schon lange nieht mehr je- nen stolzen, auf seine Freiheit eifersiiehtigen „Populus Romanus 11 vor, der einstens dem Antrage des Lueius Brutus, als dieser die Yei'treibung des Tarquinisehen Ko- nigshauses und die Proklamierung des Freistaates vor- schlug, entgegengejubelt und spater seinem Befreier eine Dankesstatue gesetzt hatte. An Brutussen fehlte es wohl aueli dieses Mal nicht, wohl aber an einem Volke, das sich fur deron Staatsideal erwarmt und begeistert hiitte. Nur ein sehr geringer Theil des Adels und ein kleiner Theil des Volkes, ferners die wenigen Gelehrten, die noch an den Ideen der altromischen Zeit hingen, schaarten sich auf dem Kapitel um die Manner der Republik ; die Mehrzahl des Volkes und Adels dagegen sah theils aus Tragheit, theils aus Mange! an Zuversicht stumm und ruhig zu, wer aus dem bevorstehenden Kampfe als der Starkere und Mac-htigere hervorgehen wiirde, um dann demselben zu huldigen und sich in dessen Gunst die eigene Exist,enz zu sichern. Das romische Volk war also fur keine republika- nisehe Staatsform mehr reif und politisch so herabge- kommen, dass C. J. Caesar aus seiner Verachtung desselben ') Sueton. ib. c. 89. 6 Rom* Geschichte von Caesars gar kein Hehl machte, sondern offen erklarte: „Der ro- mische Staat ist ein Nichts; nur ein eitler Name, ohne Form und Korper“.') Diese Anschauung scheint jedoeh damals keine vereinzelte gewesen zu sein. Allein der Republik standen nocb andere, gewal- tigere Hinderuisse im Wege: zwei gleicb miichtige Mit- bewerber um Caesars erledigten Thron. *) Diese waren M. Antonius und 0. Octavius; denn M. Lepidus und Sex- tus Pompejus, die wohl auch nach der Alleinherrschaft strebten, kommen gegeniiber den beiden ersteren kaurn in Betracht. An den Bestrebungen jener zwei Pratendenten, von denen der eine, M. Antonius, momentan als Consul eine grosse Gewalt, der andere, Octavius, als Caesars Adoptiv- sohn und Universalerbe, auf Caesars Wiirden ein gewisses Anrecbt 3 ) hatte, musste jeder Versuch einer republika- nischen Restauration scheitern. Dass und wie der jiin- gere und sehwachere der beiden Usurpatoren zur Allein¬ herrschaft gelangte, mag im Nachfolgenden kurz erzahlt werden. — Verfolgen wir zuniichst den Gang der Ereignisse nach der oben erwithnten Katastrophe, der Ermordung Caesars! ') Nihil esse rem puhlicam; appellationem modo, sine cor- pore ac specie. Sueton. ib. c. 77. 2 ) Dass der Ausdruck ,Thron 1 2 hier in wahrem Sinnc des Wortes zu nehmen ist, betveisen mehrere Schrifrsteller, so Suoton, der von Caesars auraa sedes spricht (Div. Jul. c. 76), Plutarch im Antonius (c. 16 Sttppoc; )(pot!OD?) und Dio Cassius an mehreren SteMen, so lib. 44 c. 4, 6. Letzterer orvvabnt auch eine mit Edelsteinen besetzte Krone Caesars (ib. c. 6). Caesar besass also alle wesentlichen Abzeichen eines Herrschers — bis auf den Titel eines solchen. 3 ) Dio Cassius nennt es geradezu ,Erbrecht‘ (StaSoy_Yj) lib. 45, c. 4. Ermordung bis 8 v. Chr. 7 Der Tod eines so gevvaltigen Mannes, wie es J. Caesar geweson, in dessen starker Hand alle Faden des offentliehen Lebens zusammenliefen, hatte zur natiirlichen Folge, dass numnehr in den gesammten Organismus des r. Staates grosse Vervvirrung einriss. Bisher gewaltsam niedergehaltene Parteien erhoben wieder ihr Haupt und selbst Manner mittleren Talentes, wie z. B. der unfahige Lepidus, fuhlten sich berufen, eine Bolle zu spielen. ') Zunachst war es die altrepublikanische Partei im Senate, die sich aus ihrem Hintergrunde vvieder hervor- wagte. Dieselbe — mit M. T. Cicero an der Spitze — suchte den status quo, natiirlich ohne ein neues monar- chisches Oberhaupt, aufrecht zu erhalten. So meinte sie am besten jeder eventuellen Unordnung vorzubeugen. Zu diesem Zwecke wurden Oaesars Einrichtungen bestatiget und der Consul M. Antonius mit der Aufrechthaltung der Buhe und Ordnung betraut. Auch eine Amnestie wurde auf Ciceros Antrag erlassen, um jeden Yorwand und jede Furcht vor einem Burgerkriege zu benehmen. Allein dadurch, dass der Senat den Urhebern der Verschworung die denselben bereits von Caesar zuge- theilten Provinzen und sonstigen Wiirden beliess — so z. B. Decimus Brutus das cisalpinische Gallien — bewies er nur, wie wenig richtig seine Yorausbereehnungen waren. Denn aus eben diesem Umstande nahm M. Antonius Anlass, gegen den Senat in Opposition zu treten und Mittel zur Bealisierung seiner ehrgeizigen Plane zu suehen, wie denn M. Antonius iiberhaupt ein zwar kluger und schlauer Kopf, aber kein wirklicher, weit blickender Staatsmann, auch sonst ein Mensch von roher, eigen- niitziger und grobsinnlicher Natur war. Unstreitig die ) Dio 1. 44, c. 54 m. 8 Itoms Geschichte von Caesar« beste Tugend an ihm vvar seine ausgezeichnete Boredt- samkeit. M. Antonius hielt sich zu hohen Planen fur um so berechtigter, ein je grosserer ,Freund‘ des ver- storbenen Caesar er nach seiner Meinung gewesen. Denn derselbe M. Antonius war es, der am Feste der Luper- oalien Caesar jene bekannte Komodie mit dem Diademe vorspielte. J ) Gleich nach Caesars Ermordung bemaehtigte sich Antonius dessen Testamentes und Schatzes und suchte als Vollstrecker der wohlwollenden Intentionen Caesars aus diesein Umstande fur seine Person Nutzen zu ziehen, indem er ganz nach Wiilkur, angeblich in Caesars Na¬ men, Giiter und Aemter vertheilte. Mittlerweiie war C. Octavius, der als Caesars Adop- tivsohn den Titel C. J. Caesar Octavianus annahm, aus Apollonia am jonischen Meere vom Studiertische nach Bom geeilt. Wir raiissen es uns an dieser Stelle noch versagen, in eine genauere Charakterisierung dieses eigenartigen Mannes einzugehen, da wir hier blos den allgemeinen Gang der Ereignisse darzustellen haben. heben aber schon jetzt als einen hochst beachtenswerthen Zug in dessen Charakter die Energie und zugleich kluge Miis- si^ung hervor, mit welcher der damals noch nicht neun- zehnjahrige Jiingling in Rom zuerst auftrat. Trotz der Bedenken seiner Mutter und der direkten Abmahnungen seines Stiefvaters, des Consulars Marcius Philippus, so\vie ungeachtet der veriichtlichen Abfertigung seitens seines Vormundes, des M. Antonius, wagte es Octavius dennoch, ‘) vgl. Sueton. ib. c. 79 und ausfiihrlicher Plutarchs Anto- nius c. 12; Dio lasst sie durch Cicero im Senate selu- anschau- licli erzahlen I. 45, c. 30 f. Krmordung bis 8 v. Chr. 9 seine Erbrechte allsogleich geltend zu niaehen, ') wobei er am Senate und am Volte eine Stlitze zu gewinnen suchte. — Dies aber trieb Antonius zu nock grosserer Feind- seligkeit gegen denselben. Im Besitze der offentlichen Gewalt forderte mm An¬ tonius, dass die cisalpinische Provinz von Decimus Brutus auf ihn ubertragen wurde, und als der Senat einem dies- beziiglichen Volksbeschlusse * 2 ) nicht beitrat, zog er mit seinen unrechtmassig ge\vorbenen und zusammengezo- genen Truppen vor Mutina (Modena), hinter dessen Mauern sich Decimus barg (Dec. 44 v. Chr.). Diesen Gevvaltsehritt des Antonius machte sich dessen lauernder Bivale Octavian, „der romische Knabe“, allsogleich zu Nutzen. Obwobl mit den konservativen Tendenzen des Senates wenig einverstanden, neigte er sich dennoch demselben zu und nannte Cicero seinen „Vater“. Dieser brachte denn auch durch seine — meist iiber das Ziel schiessende — Beredtsamkeit im Senate den Beschluss zu Stande, dass Antonius fiir einen „Feind des Vaterlandes“ erkliirt und Octavian, der auch ein selbst- geworbenes Heer, meist aus Veteranen bestehend, hatte, in der Eigenschaft eines Propraetors nebst den neuge- wahlten Consuln Hirtius und Pansa zur Belcriegung des- selben autorisiert wurde 3 ); denn er stand bereits gegen Antonius im Eelde. Nach Verlauf von zwei Monaten und in zwei Schlach- ten gejang es Octavian, der ein Oberkommando fuhrte ') Sueton. Div. Ang. c. 8 und Dio Cass. 45, 3. 2 ) Dio 44, 9. 3 ) Die Verhandlungen dai-uber biiden den Gegenstand der sog. 14 Philippicae Ciceros. 10 Roms Geschiclite von Caesars und auch tapfer mitfocht 1 ), Antonius zu schlagen und Mutina zu entsetzen. So endigte der mutinensische Krieg, vvelcher vom Dec. 44 — 16. April 43 v. Chr. gefuhrt wurde. Dieser scheinbar fiir die Republik giinstige Ausgang des Krieges war jedocb nur ein Sieg der Monarchisten, nicht des Senates. Denn die Vereinigung des fliiehtigen Antonius mit M. Lepidus, dem Statthalter des jenseitigen Galliens, die Ennordung des D. Brutus dureh die eigenen Soldaten bei Aquileja, so wie die entschieden senatoren- feindliche Stimmung aller oberitaliscben Truppen 2 ), dies alles bewog Octavian, die Optimatenpartei plotzlich im Stiche zu lassen und ihr unter allerlei Yorwiinden ent- gegen zu treten. Er zog vor Rom und liess sicli in der Stadt unter dem Hochdrucke der Soldaten als zwanzigjahriger Jiingling zum Consul wahlen. 3 ) Dann setzte er — als ,,Riieher seines Yaters : ‘ — ein eigenes Gericht zur Bestrafung der Morder Caesars ein. Weitere Gewaltschritte un.terna.h m er vorlaufig keine, eingedenk seiner Sckwache gegenuber den verbtindeten Hauptgegnern, Antonius und Lepidus, sondern suchte sich mit beiden zuerst auf schriftlichem Wege zu ver- standigen und schloss dann mit ihnen in einer Zusam- menkunft auf einer Insel des Flusses Rhenus bei Bononia (Bologna) dass z w eite Triumvirat zum Zwecke einer Neukonstituiernng des Reich.es (triumviratus rei publicae constituendae ). Dies geschah im November des Jahres 48 v. Ch. Worin diese „Neukonstituierung“ bestehen solle ward blad klar und ersichtlich aus den langen, riick- ') Sueton. Div. Aug. c. tO. 2 ) Sueton. Div. Aug. c. 12. 3 ) Sueton. ib. c. 26. Ermordung bis 8 ?. Chr. 11 sichtslos zusammengestellten Proskriptionslisten, die Furcht und Entsetzen liber ganz ltalien verbreiteten. Mit den grausamsten Mitteln — man denke an Ciceros grassliches Ende! — suehten sich die Triumviren ihrer Gegner zu entledigen; es war wie auf die Ausrottung des Senates abgesehen. Diese an die scblimmsten Zeiten Marius’ und Sullas erinnernde Grausamkeit hatte jedoeh zur Foige, dass sich die republikanische Partei von Neuein aufraffte und durch sehr zahlreiche Genossen vermehrte. Doch sam- melte sich dieselbe fern von ltalien, in Asien und Ma- cedonien; in Bom sah es sehr zahm aus. Am ersten Januar des Jahres 42 mussten die Ko- mer den Triumviren fur deren „Milde“ und „Massigung“ Dank sagen und deren Einrichtigungen feierlieh bestatigen. Letzteren zufolge erhielt Antonius die beiden Gallien, Octavian Africa, Sicilien und Sardinien. Lepidus aber die Bewachung des Allen gemeinsamen Italiens. — Naehdem in solcher Weise ltalien, das Herz des Beiches, durch „heilsame“ Furcht zur Buhe gebracht worden war, schritten Antonius und Octavian zur Paeifi- zierung des Ostens, wo sich unter M. Brutus zu Lande und S. Pompejus zu Wasser drohende und vvohlaus- geriistete Heere gesammelt hatten, deren Losung „Frei- heit“ und „Gleichheit“ lautete. ! ) Bei P h i 1 i p p i in Macedonien fand zwischen den tri- umvirischen und republikanischen Armeen das erste Tref- fen statt, das unentschieden blieb; in dem 20 Tage darauf folgenden aber wurde Brutus’ Armee vollig geschlagen und sogar von der Flucht abgeschnitten (Sept. 42 v. Ch.). Oassius, dessen Pluge! in der ersten Schlaclit Antonius ! ) Dio 47, c. 42, 43. 12 Iloins Geschichte von Caesars weichen musste, stiirzte sich voreilig in seines Freige- lassenen Pindarus’ Schvvert 1 ); Brutus verzweifelte nach der zvveiten Selila,elit atn Gliicke der Republik und liess sich dureh einen der Umstehenden das Schvvert durch die Brust stossen. 2 ) Das Beispiel der beiden Fiihrer befolgten viele Vor- nehme (auch Porcia, Brutus’ Gemahlin, die eine gliih- ende Kohle verschluekte), so dass die Wahlstatt bei Philippi in wahrem Sinne des Wortes zu einer Grab- stiitte der Republik wurde. Ton der Zeit an versehvvand die republikanische Partei fur iminer vom Sehauplatze der rom. Geschichte. Die ubervvundenen Truppen kapitulierten und er- hielten Schonung; die Anfuhrer, denen es gelang zu entfliehen, begaben sich zu S. Pompejus’ Plotte, diejenigen von ihnen aber, die in Gefangenschaft geriethen, wurden ohne Erbarmen niedergemacht. 3 ) Das war die grosse Schlacht bei Philippi, von wel- cher Dio Oassius sagt, „sie ware unter allen Schlachten, vvelche die Rbiner in den Biirgerkriegen schlugen, die wichtigste gewesen“; denn „es war die Schlacht um Freiheit und Volksherrschaft"; in dieser sei „das romisc-he Volk liber sich selbst Sieger gewesen. 4 ) Nun theilten die Sieger abermals die Provinzen unter sich: Antonius ubernahm den Osten, Octavian den Westen, wahrend Lepidus, der eines geheimen Einver- stiindnisses mit S. Pompejus verdachtiget wurde, leer ausging und nur auf die Gunst seiner „Collegen“ ange- wiesen ward. Antonius suehte sich in Ausschvveifungen ') Plutarch Anton. c. 2. 2 ) Dio 47, c. 49. 3 ) vgl. einige riihrende Beispiele bei Sueton. Div. Aug. c. 13. 4 ) 1. 47, c. 39. Ermordung l)is 8 v. Chr. 13 (Cleopatra) und triumphartigen Aufziigen, die er mit orien- talischer Pracht inszenieren liess (Alexandria), Entschadi- gung fur die ausgestandenen Krieggstrapazen, Octavian iibernahm die viel schwierigere Aufgabe, die Beiden ge- meinsamen Truppen durch Liinderanvveisungen in Italien zu befriedigen; denn der Sieg war cin Hauptverdienst der freiwillig dienenden Veteranen ( evocati oder vocati ) gewesen. So sehen wir Antonius das Vergniigen, Octavian die Arbeit und Miihe wahlen. Man konnte schon darin ein Prognostikon fur den schliesslichen Erfolg des Letz- teren erblicken. In schwierigerer Lage mochte sich Octavian sckvver- lich jemals befunden haben, als nach dieser Eiickkehr in die Iieimat. Auch Italien diirfte vviihrend dieses gan- zen Biirgerkrieges nie allgemeinere und grossere Drang- sale erlitten haben, als zu dieser Zeit. Nicht weniger als 28 Legionen vvollten mit Stiidten und Landereien be- theilt werden; die Bewokner von 18 Stadten, ohne Un- terschied der politischen Gesinnung, sollten delogirt, deren Gebiet den kriegsmiiden Soldaten abgetreten wer- den. 1 ) Alles Eigenthumsrecht ward in Frage gestellt, niemand war seines Hab und Guts mehr siclier, niemand vor der Soldateska geschtitzt. Bom wimmelte von ob- dachlosen Fliichtlingen, die von Haus und Hof vertrieben worden. Furchtbare Gabrung ergriff die sehutzlose Be- volkerung, und Zustiinde traten in Italien ein, als ob das Beieh aus den Fugen gehen wollte 2 ). Die Verzweiflung *) Bei dieser Gelegenheit verloren auch Virgil und Horaz ihre Gtiter. 2 ) vgl. die Schilderungen bei Dio Cassius 1. 48, c. 6 ff. 14 Ro m s Geschichte von Caesars gab den Massen den Gedanken einer allgemeinen Aus- wanderung und Ansiedlung auf irgend einer Insel ein, einen Gedanken, dessen sich auch Dichter als Stoffes beiniiehtigten 1 ). Die Hauptsehuld an diesen Verhaltnissen schob man auf Octavian; gegen ilin kehrte sich sowohl die Entriistung derer, die ihre Gtiter verloren, als auch die Unzufriedenheit der Veteranen, die nie genug hatten. Das war der geeignete Moment fur Octavians Feinde, um denselben zu stiirzen. Diesen Moment benutzten denn auch der Consul L. Antonius, M.’ Bruder, und Fulvia, M. Antonius’ Gattin, die eigentliche Begentin und das Faktotum in Bom 2 3 ). Es ist eine durch die Ge- schichte erhartete Thatsache: je tiefer die Staaten sinken, desto hoher steigt die Macht und der Einfluss der Weiber. Sie sprachen von Abfindungen der Soldaten mit Geld, das M. Antonius angeblich aus Asien schieken werde; griffen auch zu demagogischen Agitationsmitteln, indem sie von Bepublik sprachen und M. Antonius’ Ver- zichtleistung auf alle aus dem Triumviratstitel entsprin- genden Vorrechte in Aussicht s tehten und schmeichelten so dem republikanischen Ehrgeize, um die Senatoren- partei zu kaptivieren, was ihnen auch gelang. Das alles thaten sie vorgeblieh in M. Antonius’ Namen s ), und Octavian stellte sich auch so, als ob er dies fur bare Miinze niihme; denn so konnte er um so freier gegen Fulvia auftreten. Allein es ist kein Zvveifel, ') in diese Zeit fallt die Abfassting der Horazischen Epode XVI. 2 ) Dio Cassins erzahlt von ihr, sie habe Senat gehalten und mit dem Schwerte umgiirtet den Truppon die Parolen aus- getheilt. 1. 48, c. 4. 3 ) Dio Cassius 1. 48, c. 4. Ermordung bis 8 t. Chr. 15 dass Antonius von allem dem wusste*), sowie auch, dass Octavian diese Umtriebe Fulvias Antonius zusehrieb. Octavian, in nicht geringer Bedriingniss, verhan- delte lange mit Pulvia, doeh ohne Resultat. Zuletzt nahin er seine Zufluebt (wie schon einmal) zu den alten Sol- daten und uberliess diesen wie einer kompetenten Raths- versammlung — die man spottweise den „Stiefelrath“ * 2 ) nannte, weil die r. Soldaten Stiefel trugen — die Ent- scheidung des Streites zwisehen ilirn und Pulvia. So ge- wann er die volle Gunst und Unterstutzung der Soldaten, und als L. Antonius riistete, zog er ihm vor P e r u s i a (Perugia) in Etrurien entgegen, schloss die Stadt ein und zwang sie durch Aushungerung zur Kapitulation (Herbst 41). Antonius und Pulvia wurden aus Italien verbannt, deren Truppen gesehont; an den Anliangern seiner Geg- ner aber nahm Octavian furchtbare Rache: 300 Senatoren und Ritter wurden wie Opferthiere am Altare des ver- evvigten Caesar geschlacbtet. 3 ) Diese Tliat kennzeiehnet den grausamen Sinn des jungen Caesar, den erst der Enderfolg des Biirgerkrieges zur Milde stimmte, und bestatiget andererseits die schon ofter beobachtete Erscheinung, dass von allen Kriegen die grausamsten — die Biirgerkriege sind. Doch die Not Italiens ward durch die Unterdriickung des von Pulvia und L. Antonius angezettelten Putsches noch keineswegs behoben. Zu dem inneren Elende gesellte sich noch die Gefahr einer Invasion seitens des zur See sehr machtigen Sextus Pompejus. ’) Dio Cassius sagt es ausdriicklich 1. 48, c. 27 „denn nichts entging seiner Kenntniss von dem, was in Italien vorging“. 2 ) Dio Cassius nennt sie [BouXy^ n-ak^crta. 1. 48, c. 12 ra. 3 ) Sueton. Aug. c. 15, Dio Cassius 1. 48, o. 14. IG Roms Geschichte voii Caesars Pompejus scheint damals wegen seiner Gegnerschaft zn d en Triumviren einige Popularitiit in Italien genossen zu haben. Sein Flibustierleben, das er seit der Schlacht bei Munda (45) fiihrte, scheint ihm sogar einen Scliein von Gloriole verliehen zu haben. Mindestens gelang es ihm, Erinnerungen an seinen grossen Vater in dankbaren Gemiitern wachzurufen und ein gevvisses Mitgefuhl zu ervvecken. Nebstdem war er eine zwar rauhe, aber redliche Soldatenseele, das Gegentheil zum frivolen und unverlasslichen M. Antonius und zum aaiglatten Caesar Octavian. Shakespeare, dieser grosse Seelenmaler, (dem man jede nabere Kenntniss des Alterthums abstreiten wiil!!), hat in seiner Tragodie „Antonius und Cleopatra“ — die sich sehr eng an Plutarchs Antonius anschliesst —, die damalige Stellung des Antonius, Pompejus und Caesar zu einander sehr riehtig in folgender Weise gekennzeichnet: „Mark Anton Sitzt in Aegypten beim Gelag und \vill Nicht Krieg nacli Aussen; Caesar macht sicli Geld, Indess die Herzen er verliert; geschmeichelt Von beiden schmeickelt beiden Lepidus, Doch liebt er keinen, tvie sie beide sich Um ihn nicht kiimmern“, tvahrend S. Pompejus, dem obiges Urtheil in den Mund gelegt wird, von sich selbst etwas optimistiseh ‘) sagt: „Mir gedeiht es wohl: Mich liebt das Volk nnd ich hin Herr zur See; Mein Gliick nimmt zu, mein ahnend Hofen sagt mir, Es miisse voli noch werden.“ * 2 ) ‘) Einigermassen hatte indess Pompejus docliReclit: eine Zoit lang \varen ilirn die Romer wirklich gttnstig gestimmt, s. Dio Cassius 1. 43, c. 31 m. 2 ) Ant. u. Cleop. Act. II. Sz. 1. Ermordung Ms 8 v. Clir. 17 Diese Popularitat und die drohende Haltung des Pompejus, dann das plotzliclie Absterben der Fulviaver- einigten abermals die beiden bereits gegen einander vor- riickenden „Welttheiler“ Antonius und Caesar, zum sog. brundisinischen Biindnisse (40).*) Die friikere Theilung des Eeiehes ward abermals bestiitiget, das Triumvirat er- neuert und mit einigen Zusiitzen erweitert, die sich auf die gegenseitigen Beitragsleistungen fur die bevorsteh- enden Kriege bezogen. In Rom, wo das Biindniss einen festliehen Ausdruck erbielt, ward Oetavian durch seine verwitwete Schwester Oetavia Antonius’ Sebwager. Diese Heirat wurde fur eine von Oetavian Antonius gelegte Schlinge angesehen; denn ersterer kannte Antonius’ wan- kelmiitigen Sinn. Dem Biindnisse gemšiss solite zunachst an S. Pom- pejus der Krieg erklart werden. Allein das war nicht im Sinne des romischen Tolkes gelegen; vielmekr solite Pompejus durch giitige Behandiung und durch Heraus- gabe des ihm von Antonius vorbehaltenen Erbvermogens bewogen werden, von seinem bisherigen Treiben ab- zustehen. * 2 ) Antonius und Oetavian liessen sich erweichen; im Bunde zu Misenum (39) erhielt Pompejus die Verwaltung von Sicilien, Sardinien und Achaea und das Anrecht auf das Oonsulat, aber gegen die Verpflichtung, die See von Piraten frei zu halten und Italien mit Getreide zu ver- sehen. Auch wurde vielen Anhiingern Pompejus’ Am- nestie und Riickkehr nach Italien gevvahrt. Der Jubel iiber diese Aussohnung kannte in Italien keine Grenzen; der misenische Bund vvurde wie ein freudiger Sonnen- ‘) Dio Cassius 1. 48, c. 28—30. 2 ) Sueton. Aug. c. 16; Dio Cassius 1. 48, c. 31. 2 18 Roras Geschichte von Caesars strahl, der plotzlich in die trostlose Triibe der Zeit fiel, gepriesen. *) — Doch der Schein dieses Freundschaftsbiindnisses wahrte nieht lange. Mit dem tibermiitigen Pompejus war es schwer Frieden zu halten und bei Octavian stand es fest, sieh dieses anfanglieh von ihm gar nieht beach- tetenGegners zn entledigen. Sokames zum sog. sieili¬ se h e n Kriege (38—86). hiaeh zweimaliger Scheiterung seiner Flotten erbaute Octavian, der in diesem Kriege eine erstaunliche Energie entwickelte und viele Abenteuer bestand, eine neue, zog von Antonius 120 Sehiffe an sieh, bemannte dieselben mit 20.000 Sklaven und schlug unter Agrippas Oberleitung die Gegner in zwei Seeschlachten (bei Mylae). Einem Treffen auf der Insel selbst, das ihm Octavian anbot, wich Pompejus aus und floh nach dem Orient. wo er von seinen eigenen Soldaten ersehla- gen ward (35). So hatte Octavian im Westen einen machtigen Gegner weniger. Bald hatte er sieh aueh des zvveiten, niimlich des zweideutigen M. Lepidus, des Scheintriumviren, der ihm auf Sieilien mit 22 Legionen Trotz bieten wollte, entlediget, indem er dessen Legionen fur sieh gewann und den aller Streitkrafte entblossten nach Cireeji inter- nierte. wo Lepidus unter dem Titel eines Pontifex Maxi- mus als Privatmann bis an sein Lebensende verblieb (13 v. Oh.). So ward Octavian nach grossen Anstrengungen und nach vielen personlichen Gefahren, die er im sicilischen Kriege zu bestehen hatte, * 2 ) unbestrittener Herr des gan- zen Westens. Dem siegreichen Imperator, der iiber 45 ‘) vgl. Piutarchs Ant 32 und Dio Cassius 1. 48, c. 36. 2 ) vgl. Suet Aug. c. 16. Ermordung Ms 8 v. Chr. 19 Legionen, 25.000 Eeiter und 600 Schiffe gebot, brackte Bom grossartige Triumphe dar (36). Nun ruhte einige Jakre hindurch im Innern des Eeiches jede Fekde. Diese Zwischenzeit beniitzten An- tonius und Octavian zur Erweiterung der romiseken Herr- sckaft, und zwar fiihrte Antonius mit den Parthern, Oc¬ tavian mit den nordlick vom adriatiscben Meere woknen- den Volkersckaften: den Japyden (35), den Pannoniern, Delmatern (34) und Salassern (33) siegreicke Kriege. Dock der alte, so oft ausserlick ausgeglickene Zwist zwiscken den beiden macktigen Triumviren bradi aber- mals aus, ohne diesmal friedlick beigelegt zu vverden. Antonius’ Terschenkungen rom. Provinzen an Cleopatras Kinder, seine masslosen Ekrenbezeugungen an die Aegyp- tierin, die er in Alexandria zur „Konigin aller Konige 11 ausrufen liess, ungekeuere Versckleuderungen rom. Ei- gentkums (die Pergameniscke Bibliotkek von 200.000 Banden an Oleopatra versckenkt), die Verstossung und sekimpflicke Heimsendung seiner Gemaklin Octavia, eines Musterbildes weiblicker Schonkeit und Tugend —, dies und viele andere Aussckreitungen des in einen asia- tiscken Despoten ausgearteten Antonius kamen im Senate zur Sprache. Octavian fiikrte eine formlicke Anklage gegen seinen Sckvvager, und bis auf zwei Anhiinger Antonius’ stimmten Alle derselben bei, worauf Antonius und Oleopatra vom Senate der Krieg erklart vvurde. BeiActium am akarnaniscken Vorgebirge fand jene denkwiirdige Seesehlacht (2. Sept. 31 v. Ch.) statt, die den lange dauernden Biirgerkrieg einem entschie- denen Ende zufukrte. Diese Seeschlackt, unter Octavians unmittelbarer Leitung und Agrippas Beikilfe geschlagen, 2* 20 Itoms Geschiclite von Caesars nahm fiir den besiegten Antonius, der sieh in wahn- witziger Weise den fiiehenden Schiffen der treulosen Aegyp- tierin anschloss, ein ausserst schimpfliehes Ende; sie ko- stete ihn nnd dessen verbiindete Konigin Reich und Leben, vvahrend sie Octavian zum aussehliesslichen Gebieter des rom. Reiches machte. Antonius entfloh nach Aegypten, allein auch liier war ihm das Gliick und selbst die nachste Umgebung nicht treu. Bei Pelusium und Alexandria besiegt und verrathen stiirzte er sich in sein eigenes Schwert (31). Auch Cleopatra starb bald nach ihm durch heimlich ge- nommenes Gift oder durch Vipernstiche, was sich ge- sehichtlieh nicht entscheiden lšisst. J ) Aegypten ward rom. Provinz. Antonius’ altester Sohn so wie Caesarion, Oleopatras Sohn angeblich von Jul. Oaesar, wurden von Octavian hingeriehtet, die iibrige Nachkommenschaft des Antonius hingegen gesehont und in Caesars Haus aufgenomrnen. So endete der Jange hinausgeschobene Kampf zwi- sehen den zwei gevvaltigsten Eomern ihrer Zeit. Durch KJugheit, Massigung und Ausniitzung der Umstiinde und Verhaltnisse siegte der jungere, schvvaehere und weniger tapfere Caesar liber den viel tapfereren, aber mit Lastern aller Art behafteten Antonius. Man mag zwar, und nicht mit Unreeht, Cleopatra an dessen Untergange die Schuld geben, allein, wenn sehon aussere Verhaltnisse verant- wortlich gemacht werden sollen, so kann man das Gleiche auch von Octavia behaupten, die in Octavians, ihres Bru- ders, Hand als Werkzeug zum Verderben des Antonius diente. Jedenfalls aber war Antonius’ eigene Unmassig- keit dessen Hauptverderben. ‘) vgl. Plutarchs Ant. c. 85. 86. Ermordung bis 8 v. Chr. 21 Caesar hielt iiber beide Besiegten einen grossartigen Triumph in Rom, im Monat Sextilis, welcher Monat von da an den Namen Augustus erhielt. Nun konnte sich Oetavian, der wie Caesar die Allein- herrsehaft ausubte, ohne einen diesbeziiglichen Namen zu fiiliren, *) ganz der Heilung jener vielen Wunden hin- geben, die der Burgerkrieg dem Staatskorper gesehlagen hatte. Die inneren Wirren legten sich vollstandig; die Seharfe des rom. Schwertes wurde nur gegen auswartige Peinde des Reiehes gekehrt. Allgemeine Ermiidung und Rnhe trat im rom. Reiche ein. Friede und Wohlstand herrschten im Innern, Macht, Ansehen und Kriegsruhm nacli Aussen. Eine lange Reihe der gliicklichsten Jahre begleitete Augustus’ lange Regierungszeit bis an deren Ende (von 31 v. Ch.—13 n. Ch.). Das romische Reich hatte damals schon eine unge- heuere Ausdehnung erlangt. Es grenzte, nach Absorbie- rung aller kleineren und grosseren Zwischenliinder, an die grossten Volker und Reiche der damals bekannten Erde: es erstreckte sich bis zum heutigen Schottland, bis an die Ausfliisse des Rheins, bis zur Donau und deren Delta, bis an den Araxes, Tigris und Jndus, bis hinein in die Wusten Africas und bis zu den Wasserfallen des Nils. Von Augustus wurden dem Reiche unterworfen: die Britannier (20 v. Ch.), Geten, Cantabrer (19 v. Ch.), die Sygambrer, eine germanische Volkerschaft (17), die Vin- deliker und Raeten. zwei Volkerschaften inmitten der Alpen, durch Augustus’ Stiefsohne Drusus und Tiberius (14 v. Ch.). Dagegen stellten die Parther, Scythen, Meder l ) iiber Octavians Titel s. Suoton. Aug. c. 53. 22 Roms Geschichte von Caesars und Armenier ihre Feindseligkeiten gegen Kom ein, und unterhielten auch die Inder gute Beziehungen zu Augustus. Zu diesem Glanze der Herrschaft gesellten sieh auch die Kunste des Friedens, die an Augustus einen Gonner fanden, so dass man mit einigem Kechte das „augusteisehe“ Zeitalter das „goldene“ nennen durfte. Freilich giihnt Fine grosse Oede aus diesem iiusseren Gliicke und Glanze dem Betrachter entgegen: der Man- gel an politischer Freiheit und wahrer Mannertugend. Einem einzigen Manne war es gestattet, sich in seiner ganzen Grosse und Erhabenheit zu zeigen: Oetavianus Augustus. Mag man auch dem unerlmrten „Gliicke“ dieses Mannes 1 ), — dem man nachsagte, dass er Alles durch Andere gethan —, einen sehr grossen Theil der Erfolge zuschreiben, so ist andererseits doch unleugbar, dass der grdssere Theil derselben des Mannes eigenstes Verdienst war. Zu den besten Eigenschaften dieses kranklichen, korperlich von der Natur nicht gerade in hervorragender Weise ausgestatteten Kegenten — kleinere Statur, aber von ausnehmender Schonheit; klares, durchdringendes, Achtung gebietendes Auge 2 ) — gehorte in erster Linie dessen starker Geist, voli Energie, voli Unverzagtheit und Selbstvertrauen, wo es galt, Gefahren zu trotzen und schwierige Plane durchzufiihren. Ich erinnere an dessen ‘) Plutarch Anton. c. 33: „Wenn sie (Antonius und Cae- sar) im Soherz iiber irgend einen Gegenstand losten oder wiir- felten, so mussto Antonius irnmer als der verlierende Theil ab- ziehen. Oft Hessen sie Kampfhahne oder Wachteln, die zum Kampfen abgerichtet waren, hinter einander, und diejenigen Cae¬ sars gewannen allemal. 4 2 ) Sueton. Aug. c. 79 ff. Ermordung bis 8 v. Chr. 23 erstes energisehes Auftreten als Caesars Erbe, ’) ferners an die thatkraftige Fiihrung des mutinensischen Krieges, so wie an die Kiihnheit, mit der er auf Sicilien mitten in Lepidus’ Lager dessen Legionen haranguierte und zum Abfall braehte. Freilich ist nicht zu leugnen, dass Octavian, namentlieh in der Ausniitzung von Siegen, die Grenzen der „Thatkraft“ iiberschritt und sieli Grausamkeiten zu Sehulden kommen liess, wie z. B. naeh dem phiiippischen und perusiniscben Siege, wie auch naeh der Besiegung des Antonius. In diesen Fallen scheint politische Riick- siehtslosigkeit seine schlimme Beratherin gewesen zu sein. Doeh entzog sich Octavian in seinen spateren Jahren sehr selten den Rathschliigen einer weisen Massiguag, ja genoss mit Recht den Ruf grosser Milde und Nachsieht. * 2 ) Massigung und Beherrschung der Leidenschaften scheinen iiberhaupt den Grundton seines praktischen Eandelns ge- bildet zu haben, worin er sich, zu seinem grossen Vortheile, von J. Oaesar untersehied. Was Octavian spraeh und die Art und Weise, wie er spraeh, alies ersekien wie der unmittelbare Ausfluss einer phantasielosen, man rnochte fast sagen „reinen Vernunft“; die kluge Berechnung ersah man erst hinterdrein. Sehr ergotzlich ist die Art und Weise, wie Shakespeare Octavian in „ Antonius und Cleopatra“, aber auch in „Julius Oaesar 11 redend einfuhrt: die Nuchternheit und Hausbackenheit dieser Reden streift bereits an das Trocken-Komisehe, ist aber mitunter frei¬ lich auch nicht frei von Verstellung und cynischer Falschheit. ‘) Treffend sagt Dio Cassius, wo er von dieser Zeit spridit: „Er fiihrte seine Plane aus mit einer Jugendlichkeit, wie sie kein Mann, und mit einer Besonnenheit, wie sie kein Greis besitzt“ 1. 45, c. 5. 2 ) Sueton. Aug. c. 51. 24 Roms Geschlchte Ton Caesars In Gesprachen schlug Octavian gern den sarkasti- schen und satirisehen Ton an und scheint ziemlich. riiek- sichtslos gewesen zu sein. Sueton hat uns sehr viele diesbeziigliche Ausspniehe und Witzworte Augustus’ auf- bewahrt!*) Ein hervorragender Charakterzug Oetavians ist fer- ners dessen rastlose Thatigkeit und die grosse Umsicht, mit der sein Geist die grossten und die kleinsten Dinge umfasste. Dieser seinen Thatigkeit und Umsicht hatte er am meisten seine grossen militarischen Erfolge zu ver- dankendenn er war kein solcher Feldherr, wie sein Grossoheim. Dieselbe rastlose Thatigkeit und Umsicht entwickelte Octavian besonders in politischen und diplo- matischen Dingen, in denen er ein Hauptmeister war. Man erinnere sieh an sein Verhalten zur Senatorenpartei, sein Spiel mit Lepidus und Pompejus, seine zuwartende und lauernde Haltung gegenuber Antonius und an die Art und Weise, wie er sich vor dem perusinischen Kriege aus der Klemme zog. Die Sorgfalt, mit der Augustus die administrativen und finanziellen Angelegenheiten des Staates ordnete und verbesserte, war bewunderungswurd)g und liess ihn in den Augen der Unterthanen wie einen sorgsamen, gii- tigen und unermiidet schaffenden Hausvater des Staates erscheinen. Diese Eigenschaft ihres Eegenten flosste den Burgern Trost, Beruhigung und das Gefiihl einer ge- wissen wohlthuenden Sicherheit ein und stimmte sie zu Dank und Verehrung gegen den Monarchen. Dabei kam Augustus freilieh auch die gliickliche Wahl seiner Minister sehr zu Statten. Es war ein grosser Vorzhg Oetavians vor seinem Vorganger J. Caesar, dass ') vgl. z. B. ib. c. 86. Ermordung bis 8 v. Chr. 25 sieli der Grossneffe auf die Auswahl treuer Diener und Freunde besser verstand als dessen Grossoheim, der arm an wahren Freunden starb; der einzige treue Freund, den Caesar hinterliess, war — das romische Volk selbst! Ein Maeeenas, ein Agrippa bleiben fur ali e kiinftigen Zeiten Vorbilder treuer Minister, so wie Augustus selbst das Muster eines. umsichtigen Regenten. — Naehdem wir so die Gesehichte Roms von Caesars Ermordung bis zu ungefahr einem Deeennium vor Chr. in allgemeinen Umrissen dargestellt und an dieselbe eine kurze Charakteristik des Mannes, dem in derselben die hervorragendste Rolle zufiel, Augustus’, gekniipft haben, gewannen wir den geschichtlichen Untergrund fur die folgenden Abhandlungen und schliessen den ersten Theil der Arbeit. --- 2WEITBE THEIL. Horazs Leben und Cliarakter. *) Horaz ist schon so vielfaeh geschildert und kom- mentiert worden, dass man die Kenntniss der Hauptpunkte seines Lebens ein Gemeingut der Hohergebildeten nen- nen darf. *) Hauptquelle: Horazs Schriften selbst; ausserdem selu- wiehtig: Suetons Fragmente von dessen „Vita Horatii“ bei Roth p. 296—98. Von Hilfsmitteln zusammenhangender Art wur- den hier verwerthet: Ang. Arnold, ,.Das Leben des Horaz und sein philosophischer, sittliclier und diohterischer Charakter.“ Halle 1860; ferners Fr. Gerlach „Leben und Dichtung des Horaz. Ein Vortrag." Basel 1367. 26 Horazs, Leben und Charakter. Dies erklart sich iiberdies noch aus dem Interesse, das man den Schriften dieses Dichters von jeher ent- gegenbrachte, und andererseits aus der grosseren Yer- trautheit mit derjenigen Epoehe der romisehen Geschichte, in welche sein Leben fallt. Doch enthalt, offen gestanden, Horazs Lebens- geschichte nichts, das irgendwie besonders abenteuerlich oder hervorragend vitre. 1 ) Der Dichter machte, wie so viele Sterbliehen, seine Lebenskrisen 2 ) oder richtiger gesagt, Eine wirkliche Krise durch: Philippi. Doeh nahm diese eine so gluckliche Wendung, dass Horaz, weit entfernt sich einer Heldenlaufbahn zu riihmen, eher Grund hatte, sich ein Sonntagskind oder ein Kind des Gliiekes (fortunae filius) zu nennen, wofur ihn die Mit- welt auch hielt. 3 ) Weit interessanter dagegen gestalten sich die Unter- suchungen iiber Horazs Charakter, und in dieser Hinsicht wiirde der edle Mann, wenn er nach der Pythagoraischen Seeienlehre jetzt plotzlich wieder die Menschengestalt annahme, wahrlich nicht liber Vernachlassigung seitens der Nachvelt zu klagen haben, ja, er wiirde vielleicht erstaunen, mit welchem Eifer und mit welcher Gelehrt- heit man an seinem Charakter einerseits riittelte und krittelte, andererseits flickte und wusch. Archaologen und Philologen, Historiker und Aesthetiker waren nicht miide, sich mit vielfachen Ehrenkrankungen 4 ) und Ehrenret- tungen 5 ) Horazs zu befassen, und der Dichter hatte Muhe, *) auch Arnolds Urtheil § 1. 2 ) solcher Krišen fiihrt Hor. drei an: Philippi, den Baum- sturz und die Seefahrt, an Siciliens Ktiste, Carm. III. 4. v. 26—28. 3 ) Sat. II. 6, 49. 4 ) z. B. Jacobs. 5 ) Lessing. Ilorazs Leben urni Charakter. 27 alle diesbeziiglichen Schriften durchzugehen. 1 ) So wird denn auch uns, nach einer kurzen Schilderung seines Lebens, die Beriihrung jener Charakterkontroversen kaum erspart bleiben diirfen. Quintus Horatius Flaccus 2 ) — geboren den 8. Dezb. des Jahres 65 v. Cb. in Venusia — hatte sich keiner Ahnen zu riihmen. Sein Vater war ein Freige- lassener (libertinus) 3 ), also Abkbmmling eines Sklaven und spater Angehoriger einer Gesellscbaftsklasse, die als halb zum Sklaven, halb zum freien Stande gehbrig, fur wenig ehrenbaft galt. 4 ) Horaz begegnete deshalb spater, als er zu hohen Ehren gekommen war, nieht selten dem Yorwurfe seiner Libertinitat. 5 ) Wie gesagt, Horazs Vater war ein Freigelassener. Derselbe war irgend ein „Eintreiber“ oder „Sobicitator“ (coactor) 6 ), vermuthlicb im Dienste irgend eines Steuer- pachters, also auch von keiner besonders riihmlichen und beliebten Zunft, muss jedock nicht gar so arm gewesen sein, weil er, wie wir bald erfahren werden, so viel fur seines Sohnes Erziehung und Ausbildung tbun konnte und ein — freilich „mageres“ — Gut bei Venusia besass. 7 ) ‘) vgl. die sorgfaltige Zusammenstellung derselben iu W. Teuffefs „Gesehichte der ldmisehen Literatur" 3. Aufl. Leipzig 1875. S. 485—508. 2 ) der Beiname Flaccus bedeutet „Schlaffohr“, „der mit den hiingenden Ohren“; im Verso: Demitto auriculas, ut iniquae mentis asellus (Sat. I. 9, 20) sehe ich zugleich eine Selbstironie des Dichters in Hinsicht auf obigen Beinamen. 3 ) Sat. I. 0, 6. 4 ) Sat. II. 7, 12 unde exiret vix libertinus honeste. 6 ) Sat. I. 6, 46 quem rodunt omnes libertino patre natum. 6 ) Sat. I. 6, 86. 7 ) Sat. 1. 6, 71 qui macro pauper agello. 28 Horazs Leben urni Charakter. Die Kaisonnements betreffs des freien oder horigen Stan- des der Mutter des Dichters sind zu keiner Entscheidung zu bringen; 1 ) die lose Farna in Bom seheint auch in dieser Eichtung Horazs Herkunft perskrutiert zu haben. 2 ) Der Vater des Dichters muss iibrigens ein sehr verniinftiger und welterfahrener Mann gewesen sein; denn er liess — .hochst wahrscheinlich die gunstigen Geistes- anlagen seines vielleicht einzigen Kindes durchblickend — sejnem Quintus eine ganz vorziigliche Erziehung und Aus- bildung zu Theil werden, wofiir ihm spater dieser nicht genug Dank zu sagen weiss. 3 ) Die Geburtsstadt Horazs war Venusia, eine Milita,r- kolonie an der Scheidegrenze von Lueanien und Apulien 4 ), Horaz somit ein Siiditaliker. Der Jugendaufenthalt in Venusia und in dessen Umgebung — der junge Horaz seheint in der Folgezeit seine Heimat ofters besucht zu haben, weil er dieselbe so treu im Gedachtnisse behielt — hatte auf des Dichters Geist machtigen Einfluss geubt; wir begegnen niimlich in seinen Gedichten sehr haufig redit liebevollen Eeminiszenzen an dieselbe. 5 ) Zum Behufe einer besseren Ausbildung seines Sohnes zog Horazs Vater mit demselben nach Eom, in die Haupt- stadt, wo es bessere Lehrer gab. 6 ) Hier sorgte der zart- liche Vater sowohl in geistiger als leiblicher Beziehung fur sein Sohnlein auf das allerbeste, indem er dasselbe *) vgl. Arnold § 2. 2 ) dahin deute ich den Vers Sat. I. 6, 36 nuni ignota matre inbonestus. 3 ) Sat. I. 6, 80-90. 4 ) Sat. II. 1, 34—35. 5 ) z. B. Carm. III. 4. 6 ) iibor diesen Abschnitt seines Lebens spricht der Dioh- ter gern und ausfiihrlich Sat. I. 6 und Epist. II. 2. Horazs Leben uii(l Cliarakter. 29 zu den besten Meistern in die Schule schickte, so wie auch ausserlich demselben nichts abgehen liess, so dass der junge Horaz an Nettigkeit und Sauberkeit des Aenssern es mit jedem Senatoren- oder Eittersohne aufnehmen konnte. 1 ) Dieser fruke Aufenthalt des Diehters in Bom war fur dessen spateres Leben und Dichten von nachhaltig- stem Einflusse, weil Horaz das grossstadtische Leben, das er spiiter so oft und so eingekend geschildert und ge- geisselt hat, von friiker Jugend auf kannte. In Bom fand der junge Horaz an dem Gramma- tiker und Pedanten Lueius Orbilius Pupillus aus Be- nevent 2 3 ) — also einem balben Landsmanne — einen tiieh- tigen Lehrer aus dem Altlateinisehen, Griechisehen und der „Grammatik“ s ) uberhaupt. Orbilius plagte zwar seine Schiller mit Livius Andronicus, Ennius, Lucilius, Homer, Anakreon u. s. w., aber zum Heile unseres Diehters, der auf diese Weise grundlich in die Kenntniss der altromi- sehen Litteratur und Spraehe eingefiihrt wurde. leh halte uberhaupt den Einfluss dieses Orbilius auf Horazs Dich- tungen fur sehr gross; man erinnere sich nur, wie ein- gehend und ausfiihrlich und mit tvelcher Vorliebe Horaz die altromisehen Diehter bespricht. 4 ) ‘) Sat. I. G, 78 f. 2 ) Epist. II. 1, 71. Hochst interessante Notizon iiber diesen uierkwiirdigen alten Schulmoister — dem die Beneventiner nach dem Tode eine Statue gesetzt liatten — giebt Sneton. iu den Fragm. p. 260—61. 3 ) Orbilius, der „Schlagereiche“, war ein tilehtiger Ety- mologe; s. Suet. ib. p. 259 sup. 4 ) Dieses Thema zieht sich bei Horaz sotvohl durcli die ersten Dichtungen — die Satiren —, als aueb durch dio letzten — die Episteln; vgl. besonders Epist. II. 1, 2, 3 vom Anfang bis zum Ende. Auch Horazs Kritiken iiber diese seine Vorganger liegt eine gewisse Orbilische Strenge und Scharfe. 30 Horazs Leben urni Cliarakter. Mit dieser Sehulbildung ging die Erziekung des seinem Sohnlein sieli ganz widmenden Vaters Hand in Hand. Die Erziehungsmethode des alten Horaz war eine ganz originelle, alles Doktrinare abstreifende: der prak- tisehe Vater zeigte namlieh seinem Sohne in warnenden Beispieien, wokin schlechte Gewohnheiten und bose Sitten fuhren, indem er auf den X. und Y. hinwies. ] ) Durch diese Erziehungsweise ward — nach des Dichters eigenem Gestandniss * 2 ) — in ihm der Kpim ge- legt zu den Satiren oder, wie sie der Dichter selbst nennt, „Gesprachen“ (sermones) 3 ), jener Horazischen Diehtgattung, in welcher kleine Genrebilder aus dem romischen Leben und Treiben, in balb ernster balb lau- niger Manier gemalt, entrollt werden. Eben in die¬ ser Mischung von Ernst und Laune, des Gelehrten und Trivialen, liegt der Hauptreiz der Horazischen Satire. Mit dieser, wie aus allem zu entnehmen, guten Vor- bildung bezog Horaz, wabrscbeinlich in seinem 16. oder 17. Lebensjahre, sozusagen die grieebische Hochscbule in Athen, namlieh die dortige „Akademie“, um philoso- phisebe Studien 4 ) zu machen; denn bisher hatte er sieh mit mathematiseben, grammatisehen und rhetoriseben Dis- ziplinen befasst. In Athen verblieb Horaz etliehe sieben Jalire, 5 ) neben den philosophiseken Studien wahrsebeinlich aueb poetisclien obliegend. ’) Sat. I. 4, 108—120 Insuevit. 2 ) Sat. ib. 3 ) Sat. I. 4, 38; Epist. II. 1, 250. 4 ) Hauptstelle Epist. II, 2, 43 ff. 6 ) Denn auf wen solite sich jenes „Ingenium“ (Epist. II. 2, 81—84) sonst beziehen, als auf Horaz selbst? Man vgl. dazu als Pendaut jenen Wetterwendischen, der in Atben als „Gelehrter“ Horazs Leben und Cliarakter. 31 Aus dieser beschaulichen und angenebmen Ruhe in Athen scheuehte Horaz der Larm des neuentfachten Biirgerkrieges auf. ] ) M. Brutus zog niimlick in Asien ein grosses Heer zusammen und warb auch unter der rom. Jugend in Athen, die sich, wie es scheint, freudig unter die Adler der „Kepublik“ schaarte. So vvard auch unser — im Kriegswesen ganz unerfakrene * 2 3 ) — Horaz in den Wirbel des Biirgerkrieges kineingezogen •’) und sogar auf den Posten eines Legionskommandanten (tri- bunus militum) gestellt. 4 ) Letzteres Faktum wirft ein eigentkumliches Schlag- lickt auf den jungen Dichter sowie auf die damaligen Armeezustande der Republikaner. Erstlich darf man aus dieser militarischen Auszeicknung des Dichters auf einen intimeren Verkehr desselben mit den Hauptern der re- publikanischen Partei schliessen, andererseits aber ersiekt man daraus, wie schlecht es in Brutus’ Armee mit ge- sehulten Offizieren bestellt sein musste, wenn man so unerfahrenen jungen Leuten, wie es Horaz war, Tribuns- stellen anvertraute. So konnen wir uns denn recht vvohl erklaren, wie denn die sehr zahlreicke (100.000 Fuss- ganger zahlende), mit Allem sehr gut versehene und gewiss auch begeisterte Armee des Brutus schlieslich so vollstandig unterlag; es standen ihr eben die abgehiirteten leben wollte (Sat. II 7. 13 doctus Athenis), was augenseheinlicb (s. ib. v. 22) alles auf Horaz gemiinzt ist. Ich trete hier entsehie- den auf des guten John Murray Seite, den Gerlach (S. 32) wun- derlich findet, und stimme Arnoldjbci (§ 7, S 12—14), die „sieben“ Jahre aufrechthaltend. ‘) Epist. II. 2, 47. 2 ) rudis belli Epist. II. 2, 47. 3 ) deducte meeum Carm. II. 7, 1—2 *) Sat. I. 6, 48; Sueton. ib. p. 297. 32 Horazs Leben and Charakter. mi d kriegserfahrenen, wenn auch an Zalil nackstehenden Kemtruppen der Triumviren gegeniiber. * 2 3 4 ) An der wilden Flucht, die die gesehlagenen Ee- publikaner ergriff, nahm auch Horaz Theil und warf mit den Andem sein „Schildehen“ weg. 2 ) Nur wie durch ein Wunder kam er mit dem Leben davon. 3 ) Mit der republikanischen Sache wurden bei Philippi auch Horazs Aussichten verniehtet. Wir gehen kaum fehl, wenn wir uns Horazs Lebenshoffnungen v or der Schlacht und fiir den Fali eines Gelingens derselben hOher ge- spannt denken. Um so tiefer musste dann n a c h Philippi des Dichters Fali gewesen sein; wenigstens vergleicht sicli dieser selbst einem Vogel, dem die Fliigel abge- schnitten worden. 4 ) Denn er hatte zwar das nackte Leben gerettet, aber auch nicht viel mehr. Wie so viele Andere, verlor auch der Diehter sein viiterlicb.es Gut, 5 ) das die Veteranen in Besitz nahmen. Nicht ohne einen gewissen Schauder erinnert sicli spater 6 ) der Diehter dieses gefahrvollen Wendepunktes in sei- nem Leben. Die Not, diese wunderbare Lehrmeisterin des Men- schen, lehrte auch unsern Horaz, naeh dessen eigenem ‘) Nicht ohne Kompliment fiir Angustus sagt Horaz Epist. II. 2, 48, wo er von dem Ausgange der Schlacht bei Philipi spricht: Caesaris Augusti non responsura lacertis — als ob Caesar, nicht Antonius den grosseren Ehrenantheil an jenem Siege ge- habt hatte. Bezeichnend ist iibrigens der Ausdruck lacertis, womit auf Caesars Kemtruppen hingeiviesen ivird. 2 ) Carm. II. 7, 10. 3 ) ib., was er scherzend Merkur, dem Patron der Dicliter, zuschreibt. 4 ) decisis pennis Epist. II. 2, 50. 5 ) Epist. II. 2, 51. 6 ) Carm. II. 7, Epist. II 2, 51. Horazs Leben and Charakter. 33 Gestiindnisse, 1 ) — dichten, offenbar nicht zum Zeitver- treib, sondem um des Erwerbes wi]]en. Doch musste dieser Erwerbboden dem praktisehen Sinne des Dichters nicht genug solid erschienen sein; denn dieser kaufte sich, von Oetavians Amnestie Gebrauch machend 2 ) und nach Rom zuruekgekehrt, einen Schreiberposten 3 ) und lenkte somit in bescheidone Verhaltnisse ein. Dass die Gefiihle des Dichters nach seiner Riick- kehr nach Rom keine angenehmen gewesen sind, ist leicht zu denken. Hinlanglichen Grund zum Missbehagen gaben ihm die zerfahrenen politischen Verhaltnisse in ltalien, die wir oben geschildert liaben (Veteranenwirthschaft, peru- sinischer Krieg). AUe Ideale, fur die er mit Brutus in’s Peld gezogen war: die Preiheit des Vaterlandes, die Wohlfahrt des Friedens, ein Neuaufbliihen des romischen Staates, der eben von einem Tyrannen befreit worden, die Achtung seiner Partei, vielleicht auch, wie es in solchen Fallen vorkommt, die Achtung vor sich selbst — alles das sah Horaz wie zertriimmert zu den Piissen der Gewalthaber liegen. Diesen Geist der Niedergeschlagen- heit und zugleich Entriistung atmen besonders zwei seiner Erstlingsgedichte, die Epoden VII und XVI, in welc.li letzterer dem „besseren Theile des Volkes“ (melior pars) d. h. nach des Dichters Auffassung wohl den Re- publikanern, der Rath ertheilt wird, sich weit ausserhalb der Heimat, etwa auf ein er Insel, ein ruhiges 1‘hitzchen zu suehen. ‘) Epist. II. 2, 51 Paupertas impulit audax, Ut versus facerem. 2 ) Sueton. Fragm. p. 297 victis partibus venia impetrata. 3 ) ib. scviptutn quaestnrinm comparavit; vgl. dazu noch Sat. II. 6, 36. 3 34 Horazs Leben mul Charakter. Nur Einen Trost mochte der Diehter noch haben ; die Poesie. Diese ward auch seine Eetterin. Durch seine poetischen Erzeugnisse 1 2 ) wurde er niimlich den beiden Dichterfursten Virgil und Varius bekannt 3 ) und durch deren Vermittlung Maecenas, dem edlen Etrurier, einem Manne yon koniglicher Abkunft und koniglicher Gesin- nung, Octavians Egeria, einem Beschutzer echter Talente. Nach Veri auf von neun Monaten, einer ziemlich langen Priifungszeit, ward endlich Horaz in Maecenas’ Freund- schaft aufgenommen. Diese strenge Priifung seheint sich sowohl auf die nunmehrigen politischen Ansichten, als auch auf den gesammten Lebenswandel des Dichters be- zogen zu haben. Letzterer wurde, wie der Diehter aus- driicklicli bemerkt 3 ), fiir korrekt befunden; sicherlich auch die ersteren, angesichts der unabiinderlich gewor- denen Verhaltnisse, die Horaz ohne Zweifel aceeptierte. 4 ) Der Beginn dieses Freundschaftsbiindnisses fallt wahrscheinlieh in’s Jahr 89 v. Ch„ wo der Diehter im Alter von 26 Jahren stand; dasselbe dauerte bis an Mae¬ cenas’ Lebensende. In Maecenas fand Horaz nicht blos einen Gonner, sondern auch einen intimen, wahren Freund, was am ‘) bochst wahrscheinlich dieSatiren; einige Epoden mochte Horaz wohl auch schon damals verfasst, aber noch nicht aus der Hand gegeben haben, weil ihm dieselben vielleicht zu jugendlich vorkamen, was in der That sehr viele von ihnen sind. Spiiter mochte er dieselben Maecenas mitgetheilt haben, mit dem Verspre- chen, sie zu einem grosseren Biindchen zu kompletieren (Epod. XIV. 5—8), \velchem Versprechen er jedoch nicht naehkam, ver- mutlich, weil er zur Lyrik iiberging. 2 ) Dariiber spricht Hor. in den Sat. J. 6, 55 f. s ) Sat. I. G, G4 vita et peetore puro. 4 ) aus den Worten: ib. 60: quod eram, narro ... ist auf ein umstandlicheres politisches Bekenntniss Horazs zu schliessen. Horazs Leben umi Charakter. 35 besten die vielen ihm gewidmeten Gedichte sowie Mae- cenas’ poetischen Ervviderungen ’) bevveisen. Es ware sicherlieh. ganz falsch, als einziges Band dieser Freund- schaft die poetischen Leistungen des Dichters annehtnen zn woilen, durch die et,wa Maeeenas verherrlicht zu wer- den vviinschte. Mag dieser — berechtigte — Wunsch auch nicht ausgesehiossen gewesen sein, so verbietet doch die bekannte Dauer, Innigkeit und Festigkeit dieser Freund- schaft die Annahme eines derartigen Eigennutzes. Das feste Band bestand vielmehr in der Uebereinstimmung der Denk- und Fuhlvveise beider Manner, einer Ueber¬ einstimmung, die hocherhaben stand iiber dem Niveau des alltagliehen Egoismus. Selbst ein Anstrich des Romantisch-Sclnvarmerisehen fehlte dieser Freundschaft nicht, indem Horaz seinen Freund nicht uberleben zu wolien erkjarte. * 2 ) Dass Horaz von dieser Freundschaft so manehe materiellen Vortheile zog, war wohl unausbleiblich. So erhielt er z. B. ein Landhaus in Sabinum. 3 ) Doch schlage ich letzteres Gesehenk nicht besonders hoch an. Hat ja doch Horaz durch die Proskription sein eigenes Gut ver- loren und somit von den Caesarianern, die ihm ein Eigen- thum genom men, nur einen — freilich grosseren — Er- satz fur das Verlorene erhalten. Ebenso erklaren sich aus dieser Freundschaft so manehe andere kleinere Vor¬ theile wohl von selbst. Die grosse Freundschaft Maeeenas’ zu Horaz bietet den Schliissel zum Verstiindniss des Verhiiltnisses, in ‘) s. Maeeenas’ Epigramm an Horaz bei Sueton. frag. p. 297, sowie desselben Maeeenas’ Testamentsklausel an Augu- stus, sich Horazs anzunelimen; ib. p. 297. m. 2 ) Carm. II. 17. 3 ) oft errvahnt, besonders Epod. I. 25 ff. 3* 36 Horazs Leben und Charakter. welches Horaz zur herrschenden Staatspartei — der mo- narchischen — und namentlich zu Caesar Octavian selbst trat. Letzteres ist nur dem Einflusse dieser Freundschaft zuzusebreiben; ohne dieselbe wurde die Bertihrung und personliche Beziehung zwisclien Augustus und Horaz hochst wahrseheinlich unterblieben sein. Doch dieses personliche Verhaltniss zu Augustus wollte ich hier blos kurz beruhrt haben; die detaillierte Darstellung desselben bleibt dem dritten Theile dieser Arbeit vorbehalten. — Aufgenommen in den Kreis der ersten Manner Roms — die ganze Liste jener Bitter des Geistes und der Feder erfahren wir von Horaz selbst 1 ) —, ward dieser mit einem Schlage den Sorgen und Kiimmernissen des gewohnlichen Dichterloses enti-iickt. Aus einem Armen ward er ein Wohlhabender, aus einem Unangesehenen ein angesehener Mann, von Machtigen gesucht und ge- schiitzt. 2 ) Sein Genius konnte nun ungehindert den Ein- gebungen seiner Muse folgen, er selbst seinen angebo- renen Neigungen leben. 3 ) Diese angenehme Stellung gab dem Dichter Zeit und Lust, sich der Ljrik zuzmvenden, wirkte somit auf dessen dichterische Produktivitat erfri- schend und befruchtend ein. Aber auch in anderer Beziehung gewann der Dichter sehr viel. Im Umgange mit den gebildetsten Mannern Boms fand er an ihnen direkte Forderer seiner Arbeiten, na¬ mentlich in formeller und asthetischer Beziehung. 4 ) Horaz *) Sat. I. 10, 81—86. 2 ) Carm. II. 18 (Non ebur). 3 ) ausfiihrlich suricht Hor. von seinem alltaglichen Thun und Treiben Sat. I. 6, 110 ff. 4 ) In letzterer Hinsicht ist der Fortschritt des Dichters augenscheinlich. Wie primitiv, ja wie abgeschmackt sind viele der Satiren und Epoden! welch ein lasciver und ordinarer Ton Horazs Leben und Charakter. 37 pflegte niimlieh die einzelnen Erzeugnisse seiner Kunst in trauten Freundescirkeln vorzulesen und das Urtheil der Zuhorer dariiber einzuholenP) Nachdem dieseiben so im Einzelnen und Ivleinen die Kritik passiert hatten — letztere scheint mitunter sehr streng gewesen zu sein * 2 ) — wurden sie zu Bandchen gesammelt und dediziert (Maeeenas, zuletzt aueli Augustus), um dann erst unter die Calami der Abschreiber und dureh die Buchhandlun- gen (tabernae) in die Hande des Publikums zu gelangen. Zu Publikationen seiner Gedichte entschloss sich jedoch Horaz immer sehr schwer, weil er eine grosse Abneigung gegen die Menge, die „Plebecula“, hatte. 3 ) — Obwohl der eigentlichen Politik fernbleibend schloss sich Horaz doch keineswegs von der Theilnahme am offentliehen Leben ganz aus. Es ware ihm eine solche Theilnahmslosigkeit kaum zum Verdienste angereehnet worden, \venn man bedenkt, dass ein Maeeenas, Augustus’ erster Minister und dessen rechte Hand, 4 5 ) sein intimster Preund gewesen ist. Horaz sagt es auch ausdriicklich (in seiner Mahnung an das „Schiff“ d. i. den rom. Staat), „es liege ihm bereits nicht wenig am Staate.“ ' r ') Doeli bestand diese Theilnahme Horazs am offentliehen Leben nicht so sehr in unmittelbarem Eingreifen in die Tages- herrschtin einigen derselben, dagegen wie decent, wie geschmach- voll und genussreich sind bereits die Carmina! ‘) Sat, I. 4, 73. 2 ) vgl. Epist. II. 3 („Ars poet.“), v. 438—444, woalsBei- spiel eines unerbittlichon Kritikers Horazs Freund Quintilius Varus angefuhrt und dessen Vorgang sehr ansehaulieh geschildert wird. 3 ) Sat. I. 4, 71—72 und oft. 4 ) Tu eivitatem quis deoeat status Curas et urbi sollicitus times. Carm. III. 29, 25 f. 5 ) Nune disiderium curaque non leviš. Carm. I. 14, 13. 38 Horazs Leben und Cluirakter. geschichte 1 ), als vielmehr in der dichterischen Ervvahnung und Beurtheilung derselben. So eifert er Anfangs gegen den Wiederausbruch des Burgerkrieges, moglieh des pe- nisinischen oder brundisinischen 2 ); spater begleitet er Caesars Feldziige im Geiste und fleht um Fortunas Gunst fiir denselben. 3 ) Verurtheilend spricht sich Horaz iiber S. Pompejus 4 ) und M. Antonius 5 6 ) aus. Dass Horaz iiber das, was dem romisehen Volke frommte oder schadete, reiflich nachgedaeht' eindringlich und nachhaltig gelehrt hat, werde ieh spater naehweisen, wo ich von den Be- ziehungen Augustus’ und Horazs sprechen werde. Ieh spreehe sehon jetzt das Urtheil aus: wenn man in Horazs Diehtungen die vielen eingestreuten Bemerkungen iiber Staat und Volkserziehung in Betracht zieht, so wird man es zugeben miissen, Horaz habe bei aller seiner Leieht- lebigkeit und theilweisen Indolenz gegeniiber dem offent- liehen Leben dennoch einen ernsten politischen Sinn besessen, der auf des Vaterlandes Wohl geriehtet war. Freilieh die aktive, praktische Bethatigung eines ^.Poli¬ tik ers“ in strengem Sinne vervvehrten ihm die damaligen Zustiinde des Staates, seine Abneigung gegen Aemter 8 ) und auch gegen diejenigen, die dieselben (vvenigstens ausserlich) vergaben, endlieh auch sein — Beruf selbst, der Beruf zum Dichten, dem Horaz am liebsten und mit ganzer Seele oblag. Ueberhaupt ware es falsch, Horaz ’) was man aus Fpist. I. 1, 16: nune agilis fio — schliessen konnte, 2 ) Epod. VII.. XVI., Carm. I. 2, I. 14. 3 ) Epod. I., IX. v. 37 und vielo Carm. 4 ) Epod. IX. 5 ) ib. und indirekt Carm. I. 37, wo er den Sieg bei Aetium besingt. 6 ) Sat. L 6, 99. Horazs Leben und ('karakter. 39 als Witzling aufzufassen oder als Indifferentisten in Bezug auf das, was dem Gewissen des Einzelnen und der Ge- sellschaft lieilig sein soli; Horaz war im Grande seiner Seele ein zu gesunder Geist und zu sehr im Gleielt- gewiehte mit sich selbst, als dass er das Ernste leiclit, das Leichte ernst genommen und gegen den Staat in totaler Gleiehgiltigkeit verharrt hatte. — Die ungetvohnliche Auszeiehnung des Dichters, der aus niedrigem Stande hervorgegangen ein Tiscligenosse und Gesellscliafter Maeeenas’ und ein Preund des Kaisers geworden war, wie nieht minder sein dichterischer Euhm — das alles zog ihm viele Neider und Krittler zu, tiber die er haufig lachelt, aber mitunter aueh seine Lauge aussckiittet. Erst nachdem sein Dichterruhm ein unbe- strittener und seine Dichterhohe den Pfeilen der Ver- leumdung unerreichbar geworden war,') legte sich diese Missgunst gegen ilm und drohte in das Gegentheil, nam- lich in Speichelleckerei und Ausbeutung 'des Dichters umzuschlagen. Horaz, dessen Einfluss in den hochsten Kreisen man allgemein fur sehr gross annahm, * 2 ) wurde in der Stadt oft von Schmeichlern belagert und von ver- schamten Bettlern auf der Gasse angefallen. 3 ) Dieser Umstand, dann der Larm der Stadt, die grosse lnanspruchnahme durch die Freunde, die seine Gesellschaft suchten, Kranldichkeit und der angeborene Sinn fur Buhe und stillen Natur- und Lebensgenuss 4 ) — alle diese Umstande trieben den Dichter in der Folgezeit haufiger hinaus in den Schooss der freien Natur, nach ‘) Et jam dente minus mordeor invido. Carm. IV. 3, 16. 2 ) Sat. II. 6, 30-40. 3 ) Sat. I. 9 (Ibam) und Sat. II. 6. 30 (wie oben). 4 ) vgl. Epist. II. 2, 66 s. 40 Hornzs Leben mirt Charakter. Tibur und Sabinum. Es bedurfte mitunter Mahnungen und leiser Vonviirfe seitens Maecenas’, um den Die liter vor Erschlaffung zu bewahren und ihn an die Pfliehten der Freundschaft zu erinnern.') Auch stellte sich bei Horaz — moglicherweise in Folge seines Hagestolzthums — hiiufig Splean und Hjpochondrie, vermischt mit Sen- timentalitat, ein. Alie diese psychisehen und somatischen Zustiinde fuhrten denn aueh bald nach seines innigsten Freundes Maecenas’ Heimgange des Dichters friihes Ende herbei. Im 57. Lebensjahre, den 27. Nov. des Jahres 8 v. Ch., im Sterbejahre Maecenas’, starb auch Horaz. Seine Asche wurde auf dem Esquiiinus neben Maecenas’ Grabmal bei- geiegf, * 2 3 ) also an der Seite des treuen Freundes, mit dem er durch 30 Jahre Freud und Leid getheilt hatte. Nun wir Horazs Leben in den Hauptpunkten be- schrieben haben, wollen wir noch ein Bild des Dichters zu entwerfen versuchen. Unser Flaccus war nicht gross von Statur, erfreute sich jedoch eines ziemlichen Embonpoints. Wenigstens macht er sich selbst liber seine Kleinheit lustig. 8 ) Beissen- dere AVitze in dieser Beziehung wusste Augustus, der im Umgange, wie gesagt, ziemlich rucksichtslos war, iiber Horaz zu machen, wie es eine Stelle in einem Briefe des letzteren an Horaz besagt, wo es heisst: „Du scheinst nur besorgt zu sein, dass deine Bandchen nicht etwa ') liaufiges Theina der Epistehi, namentlich an Maecenas und Andoro; vgl. Epist. I. 7. 2 ) Sueton. fragm. p. 298. 3 ) Sat. II. 3, 309, Epist. I. 20, 24. Horazs Leben mul Charakter. 41 grosser ausfallen, als du selbst bist; denn dir fehlt Statur, ein Embonpoint fehlt dir nicht . 11 ‘) Horaz war triefftugig (lippus ) * 2 ), finih grau 3 ) und aueh nervenleidend. 4 ) Die aussere Erscheinung des Dich- ters war die eines romischen Ritters. 5 ) Was jedoch die Natur unserem Diehter an Statur und Herkunft versagt hatte, das ersetzte sie ihm reich- lich an Geist und Adel der Seele. Horaz war zwar kein Gelehrter in strengem Sinne des Wortes, und seine Schriften konnen, so viel aueh in ihnen von Philosophie und Kunst die Rede ist, nicht auf Wissenschaftlichkeit Anspruch erheben, wie etwa das grosse Lehrgedicht des Lucretius Carus: De rerurn natura. Uebrigens glaube ich aueh nicht, dass Horaz in seinen Gediehten gelehrte Zwecke im Auge hatte. 6 ) Eine Eigen- schaft des Mannes, der dieselben verfasst hat, leuchtet je¬ doch aus allen, wenigstens aus allen spateren Schriften her- vor: gesundes, treffendes Urtheil, vorgebraeht mit Geist und Gesehmaek, Ueberdies weht durch mehrere Schriften Horazs, namentlich durch sehr viele Satiren und Episteln, ein wohlthuender Hauch des Humors, jener gliicklichen Stimmung des Geistes, in vvelcher sich dieser in pikanten Vergleichen und erheiternden Situationsbildern ergeht, ‘) Sueton. fragra. p. 298, 2 ) Sat. I. 5, 49. 3 ) Epist. I. 20, 24. 4 ) vgl. mehi- daruber bei A. Arnold. S. 76—80. 6 ) Sat. II. 7, 53. Darnacb hatte Hor. das Ritterkleid und den Ritterring getragen. Den Eimvand, dass Libertine oder von Libertinen abstammende vom Tragen des goldenen Ringes aus- geschlossen gevvesen seien, reduziert Dio Cassius 1. 48, c. 45 auf die Falle, wo dies der Machthaber (6 to xpdz o? s^tov) als Aus- zeichnung gestattet. Vermutlich war dies bei Horaz der Fali. 6 ) aueh die sog. „Ars poetica" ist keine systematische Abhandlung und keine streng genommen „gelehrte“ Schrift. 42 Horazs Leben und Charakter. ohne dabei unser Gefuhl zu verletzen oder uns blitzartig, wie der Witz, dieses Kind des Moments, zu treffen. 1 ) Horaz verwahrt sich auch entsehieden gegen die Zu- mutung, als wollte er mittelst Witzeleien und Stiehreden beleidigen ; 2 ) seine Absicht sei vielmehr nichts weiter als „mit laehender Miene die Wahrheit zu sagen“ 3 ), sowie der Endzweck seines Dichtens, wie der Dichtkunst iiber- haupt: „zu belehren und zu unterhalten." 4 ) Die reiche Abwecbslung des Stoffes, die launige Behandlung allgemein mensehlieher lrrungen und Schwachen, die gute Laune und das gesehickte und massvolle Einflechten gelehrter Meinungen — das ist es, was Horazs Gediehte zu einer so angenehmen und so anziehenden Lekture maeht. Ein hervorstechender Charakterzug des Diehters war ferner dessen angeborene und durch Erziehung wohl- konservierte Schamhaftigkeit {pudor), von der er so oft spridit. Ieh werde auf dieselbe nodimals im dritten Theile zu spreehen kommen, weshalb ieh die betreffenden Stellen hier nicht anfuhre. Diese Schamhaftigkeit — nach Horaz ein „Hauptschmuck“ (primus honos) derTugend 5 ) — hielt ihn vom offentliehen Auftreten ab und beschrankte den Dichter uberhaupt auf sehr enge Kreise des gesell- schaftlichen Verkehrs. — Noch zwei Punkte sollen hier besprochen werden: Horazs Verdienste um die romische Litteratur und Einiges betreffs seines Charakters. ') eine eingehende asthetische Studie iiber den Unterschied von Witz und Humor liefert Dr. H. Ulrici in seinem Werke: „Abhandlungen zur Kunstgeschichte“ Leipzig 1876, S. 207 ff. 2 ) „Laedere gaudes“. Sat. I. 4, 78. 3 ) Eidentem dicere verum. Sat. I. 1, 24. 4 ) Utile dulci. Epist. II. 3, 343. 6 ) Sat. I. 6, 82. Horazs Leben mul Cliarakter. 43 Horazs Hauptverdienst in erster Beziehung bestelit in der Schaffung einer eigenthumlichen romisehen Lyrik. Nicht, ais ob es vor ihm oder neben ihm koine romisehen Ljriker gegeben hatte; das soli nicht behauptet werden; allein Horazs spezifisches Verdienst war es, die ]yrische Dichtgattung bei den Bomern in Geist und Form mit hoilenischem Wesen zu beleben, sie zur Holie der hel- lenischen Vollendung zu erheben und Stoffe in ihr zu behandeln, wie es die hellenisehe Lyrik vor ihm gethan. Die hellenisierende Methode des Liedes in Ausdruck, Form und Versbau bei den Eomern eingefuhrt zu haben ist das Verdienst, vvelehes sich Horaz in stolzer Weise vin- diziert.’) Gerlach driickt diese Neuerung Horazs mit den Worten aus: „Horaz hatte das geistige Band, wel- ches Heilas und Eom umsehlang, fester zu kniipfen ge- sucht und die innigste Verbindung volksthumlieher Weise mit griechischem Kunstsinn angestrebt. 11 2 ) Eine Parallele zu dieser Versehmelzung fremden und heimischen Wesens in der Poesie wiire etwa in gevvissen dramatischen Wer- ken Goethe’s und ScliilleFs zu finden, in denen wir deutschen Geist und grieehisch.es Wesen in einander ver- sclilungen und gegenseitig durchdrungen sehen. * 2 3 ) Doch wurden wir Horazs dichterischen Verdienste schmiilern, vvoilten wir dieselben auf die einzige Lyrik beschranken. Wenn auch nicht Erfinder, so ist Horaz ‘) ofter, besonders im bekannten „Exegi monumentum": Dicar . . . Princeps Aeolium carmen ad Italos Deduxisse modos. Vgl. dazu Epist I. 19, 21 ff.: Libera per vacuum posui vestigia princeps, Non aliena meo pressi pede. Qui šibi fidit, dux regit agmen. Parios ego primus.. 2 ) S. 23. 3 ) vgl. Goethe’s „Iphigenie“ und Schiller’s „Braut von Messina". 44 Horazs Leben umi (karakter. doch Vervollkommener der bisherigen Satir- und Epistel- dichtung. Hier tritt uns Horaz als ein philosophisch und rhetorisch gebildeter Meister des Wortes, als feiner Men- schenkenner und technisch vollendeter Dichter entgegen. Da und dort in der Satire noch etwas derb und laseiv verfeinert sich Horazs Stil in den Episteln zu immer reineren und vollendeteren Ztigen, der Gedanke wird immer durchsichtiger, das Bild immer klarer, das Wort ganz williges Werkzeug des Geistes. Der mitunter breit- spurigen, liippischen und schmutzigen Erstlingsprodukte Horazs babe ieh schon oben Erwahnung gethan. 1 ) Ieh moehte die einzelnen Dichtgattungen Horazs in kurzen Worten dahin charakterisieren: die Lieder sind der Ausdruck der tlareren Begungen und ideelleren An- sehauungen desDichters; die Satir en allgemeine, tref- fende Urtheile iiber Welt und Mensehen; die Episteln Interpreten seiner individuellen Gemiitsstimmungen, wech- selnd in ihrer Starke je nach der Personlichkeit des Adres- saten, und zugleieh ein Bepertorium der gereiften Kunst- und Lebensansiehten desDichters; die Epoden endlieh, bis auf geringe Ausnahmen, 2 ) ein noeh unklares Kon¬ glomerat aller in den oben genannten Dichtgattungen ausgedrtickten Geistes- und Seelenregungen. — Minder einstimmig als liber die Trefflichkeit der Horazischen Schriften 3 ) lauten dagegen die Urtheile der Gelehrten iiber den sittlichen Charakter des Dichters. ‘) eine gewisse Epode scheute sich Voss sogar zu iiber- setzen (Arnold S. 148). 2 ) namentlich I., II. 3 ) W. Teuffels zuriickhaltendes Lob (s. Gesch. der rbm. Lit. § 238 u. pass.) iiber Horazs Diehtungen entspricht vollkommen der Priifung oines jeden tiefer eindringenden Lesers, namentlich in Bezug auf den asthetischen Gehalt derselben. Horazs Leben und C barak ter. 45 Da begegnen wir einem schon aus fruher Zeit stam- menden, wenig schmeiehelhaften Zeugnisse iiber Horazs sittlichen Wandel. Ich meine die beriiehtigte Stelle in Suetons Fragmenten: Ad res Venerias intemperantior traditur; nam . . .’) Doch wem fallt nicht der pasquill- artige Charakter dieser nachfolgenden, hier nur angedeu- teten Stelle auf? Mit Redit werden diese Nachworte fiir eine spate Zuthat erklart. Doch medite ich hinwiederum der Letzte sein, der sich zum Amvalte der unbedingten Sittenreinheit Horazs aufwerfen wollte. Man nehme ge- wisse Epoden und Satiren zur Hand und lese! Ein keu- seher Jiingling wurde dergleichen sidierlidi nicht ge- sehrieben haben, und hatte derselbe auch im damaligen Rom gelebt. Jeder zn grosse Vertheidigungseifer ist hier verlorene Miihe. Horaz war ein Lebemann, nicht viel besser, aber wohl kaum schleehter als andere seiner Zeit. * 2 3 ) Midi muten die iibertriebenen Keilsdiheitsrettungen Horazs stets in erheiternder Weise an, s ) weil der Dichter vielleicht selbst dagegen protestiert haben wiirde. ‘) p. 298. 2 ) Ma.n hore den Dichter selbst, was er in dieser Hinsicht von sich sagt! In Sat. I. G, 64 giebt er uns ein Selbstlob iiber seinen reinen Wandel (vita et pectore puro), in Sat. II. 7 (alier- dings von einer spatoren Lebenszeit sprechend) dagegen eine Selbstpredigt liber sein Treiben, dio ilirn nach den Aussagen des Portiers des Crispinus, seines Gegners, der trene Diener Davus halt. Wonn irgendrvo, so ist hier der Wahlspruch: „Medium tenere beati“ am Platze. — Uebrigens ware es ungerecht, an Horaz wie an jene Zeit iiberhaupt den Masstab der gegen- rvartigen Moral, mag sich diese „christlich“ oder „philosophisch“ nennen, anlegen zu avollen. Die Moral jener Zeit var, naraentlich in geschlechtlichen Beziehungen, entschieden laxer, Horaz ist daher in dieser Hinsicht minder streng zu beurtheilen. 3 ) S. eine solche bei A. Arnold §. 25. 46 Horazs Leben und Cliarakter. Man hiitte viel zu sehreiben, wollte man allen An- griffen auf Horaz begegnen. Ich will hier nur noch zwei hervorheben: den Yorwurf der Feigheit und den der politiseben Inkonsequenz. Horaz bat nach seinem eigenen Gestiindnisse bei Philippi den Schild weggeworfen und in der Fluelit sein Heil gesucbt; ergo war er ein „Feigbng“! A. Arnold hat, nacli Lessings Vorgange, diesen Vorvvurf mit vielen gelehrten Beweisen zu widerlegen gesucbt. 1 ) Icb konstatiere vor Allem, dass die Flucht nach der verlorenen Schlacbt stattfand. 2 ) Horaz wollte nicbt, wie viele Andere, scbutzflehend d. h. zu Boden fallend um Pardon bitten. 3 ) Also hat der Hichter nicbt blos Stolz, sondern aucb kluge Vorsicht bewiesen, indem er fioh; denn das Scbicksal, das die vornehmen Gefangenen ereilte, ist aus obiger Erzahlung bekannt. Ein Paragraph des rom. Kriegscodex aber, gegen den er biebei ver- stossen, existiert nicbt. Ich finde daher den Ehrenprocess, den man dem fhehenden jungen Obersten anhangig ma- chen will, nicht nur ungerecbt, sondern aucb nicbt redit begreiflieh. — Gehen wir zum Vorvvurf der „politischen Inkon- sequenz“ Horazs uber! Nach Jacobs’ strengem Urtheile war Horaz „ein Apostat der Freiheit 11 , ein „Scbmeicbler“ Augustus’ und ein Mensch „knechtiscben Sinnes“. 4 ) Ein solcbes Urtheil konnte nur von jemanden aus- geben, der Horazs Verhalten gegeniiber Augustus nicbt ‘) ib §. 26. 2 ) Cum fracta virtus et . .. Carm. II. 7. 3 ) minaces turpe solum tetigere raento. ib. 4 ) bei A. Arnold S. 110 ff. Horazs Leben und Charakter. 47 kannte oder absichtlich ignorierte. Doch die Grundlosig- keit obigen Anvvurfes wird erst durch die Darlegung der Beziehungen zwischen dein Monarchen und dem Dichter vollkommen ersichtlich. Eine unbefangene Lekture der Horazischen Sehriften wird kaum in jemanden den Ge- danken aufkommen lassen, als hatte dieselben ein Mann geschrieben, dem Sehmeieheleien und Kneehtssinn Be- durfniss gewesen seien; vielmehr zeugen sehr zahlreiche Stellen auf das unzweideutigste, dass unserem Dichter nichts iiber personliche Freiheit, Ungebundenheit, Selb- stiindigkeit und mannliche Wiirde ging. Maecenas, sein trauter Freund, kannte Horaz ron dieser Seite und scheint mitunter Muhe gehabt zu haben, denselben in das glatte Geleise des Hoflebens zu bringen, ja den Dichter iiberhaupt an die Erfordernisse dei- unumganglichen Eti- kette zu gewohnen, weil Horaz die Stadt und die Ge- zvvungenheit der Gesellsehaft mied und sich lieber auf dem Lande frei gehen liess. 1 ) Eine solche Handlungs- weise erklart sich abor nur aus einem Charakter, der frei von grossen Anspriiehen und frei von dem gewohn- liehen Ehrgeize war, der sonst die Sterblichen bewegt. Ein Kriecher hatte nicht so sprode gethan. Horaz war — man braucht nur seine Briefe zu lesen, um diese Ueberzeugung zu gewinnen — zwar kein Dichter von hoelitrabenden Freiheitsphrasen, dafur aber auch kein Hofpoet, im Sinne eines atemlosen Be- wunderers iiusseren Glanzes und Schimmers. Am aller- wenigsten aber war er ein „Tyrannenkneeht“. Die nach- stehende Abhandlung soli dies umstandlicher nachweisen. —---- ') z. B. Epist. I. 7 (Quinque dies); vgl. auch die Verhcrr- lichung des Landlebens in Epist. I. 10, 14 ft". 48 Augnstus’ und Horazs DEITTEE THEIL. Augnstus’ und Horazs gegenseitigen Bezielnmgen.*) In wahrem Sinne kan n von gegenseitigen Beziehun¬ gen beider Manner erst von jener Zeit an die Bede sein, wo der Dichter bereits Maecenas’ Freundsc-haft genoss, somit den herrschenden Kreisen Boms schon nalie stand. Letzteres war sicherlieh nieht gleich naeh der phi- lippischen Sehlaeht (Herbst 42), sondern etwa zvvei, drei oder noek mehr Jahre naeh derselben, also 39 oder 38 der Fali. 1 ) Von selbst erklarlieh ist es, dass man die nilheren, sagen wir die personlichen Beziehungen Horazs und Au- gustus’ auf eine noch spatere Zeit anzusetzen hat. Auf welehe Zeit? — das lasst sieh kaum genau bestimmen; jedenfalls aber nieht gar zu lange naeh Maeeenas’ Be- freundung. 2 ) Gewiss ist es, dass die Vermittlung der personlichen Annaherung durch Maeeenas, und sieher, dass dieselbe nieht auf Horazs, weniger gewiss, ob auf Maeeenas’ Be- *) Nebst Horazs Sehriften, die jedoch in dieser Beziebung iiusserst rcserviort lauten, bilden eine hoehst werthvolle Quelle die Citate der Seholiasten aus Suetons verloren gegangener Sclirift: Vita Horatii, enthalten in Suetons Ausgabe p. 296—98. ') Naeh Philippi irrte der Dichter zu Schiffe herum; liess sich dann in Rom nieder; fing zu dichten an; envarh sich einen Ruf als Dichter; \vard in Folge dossen Maecenas vorgestellt und neun Monate darauf in dessen Freundeskreis aufgenommen. Das alles mochte rvahrscheinlich raehrere Jahre in Anspruch genom- men haben. 2 ) So viel darf man schon aus Suetons Worten scldiessen: Ae primo Maecenati, mox Augusto insinuatus. p. 297. gegenseitigen Bezielmngcn. 49 treiben geschah. Hochst wahrscheinlich wiinschte Au- gustus selbst Horazs Bekanntsehaft. Letzteres konnte man aus der Sprache sehliessen, die Augustus dem Dichter gegeniiber fiihrt, indem er sich, nicht ohne einen leisen Sarkasmus, beklagt, warum ilin Horaz meidet: tu superbus amicitiam no strani sprevisti. 1 ) Mochte sich Horaz auch nicht aus dem Grunde, wie es Gerlach und Andere annehmen, namlich aus repu- blikanischen Grundsatzen, gegen Augustus’ Freundsehaft gestraubt haben, 2 ) gewiss und fest steht es, dass er ge¬ geniiber diesem Machthaber, insoweit es den personlichen Verkehr betrifift, ziemlich zuriickhaltend und fast sprode gewesen ist. Dieses Benehmen Horazs hatte bereits im Alterthum Aufsehen erregt. Allein gerade diesem Umstande haben wir es zu verdanken, dass uns wenigstens einige grossere Bruchstucke aus Suetons sicherlich interassenten Vita Horatii erhalten blieben, so wie nicht minder kostbare Fragmente von Augustus’ Briefen. Doch sonderbar! einen bestimmten, deutlich aus- gesprochenen Grund dieses Benehmens suchen wir bei den alten Schriftstellern vergebens. Aus Horaz selbst, so mittheilsam der Dichter sonst ist, wiirden wir nicht einmal von diesem Paktum etwas erfahren haben, ge- schvveige denn deutliche Aufkiarungen liber dessen per¬ sonlichen Gefuhle und Empfindungen gegeniiber Augustus. So sind wir denn auf die sparlich fliessende Quelle von Pragmenten, die ausser der Sphare der Horazischen Sehriften liegen, und auf eigene Gombinationen verwiesen, ‘) Sueton. p. 297. 2 ) Gerlach S. 26 ff. — Ware d as Horazs Prinzip gevresen, so durfte er auch nicht mit Augustus’ erstem Minister, Maecenas, befreundet sein! 4 50 Augustus’ und Horazs die wir uns auf Grunti jener Suetonisehen Andeutungen bilden miissen. Sehen wir uns also zuniichst das Thatsachliche dieser freundschaftlichen Beziehungen an! Octavian mochte aus eigenem Antriebe den Wunsch ausgesprochen haben, Maecenas’ neuen Freund personlich kennen zu lernen. Es ist ilberhaupt ein ruhmlicher Zug in Augustus’ Charakter, dass er iiber den vielen Kriegen —• damals, als ilim Horaz vorgestellt wurde, mochte Oc¬ tavian von den Vorbereitungen zum sicilisehen Feldzuge in Ansprueh genommen worden sein — und iiber den schwierigsten Staatsgeschaften nicht auf die Pflege der Musen 1 ) und die Beschirmung ihrer Priester, der Dichter und Schriftsteller, 2 ) vergass. Wie Augustus die Werke Virgils und Varius’ — seiner liebsten Dichter 3 ) — hochschatzte, so wiirdigte er auch Horazs Schriften seiner besonderen Aufmerksamkeit und profezeite denselben den Buhm der Unsterbliehkeit. 4 ) Er beschenkte auch den Dichter zu ofteren Malen 5 ) und nennt ihn in seinen Briefen „unseren lieben Horaz“. 6 ) Wie sehr es Augustus an Horazs Freundschaft ge- legen war, ersehen wir noch aus anderen Handlungen des Kaisers. So wiinschte dieser in seinen spateren Jah- ‘) Mutinensi bello in tanta mole rerum et legisse et scrip- siase et declamasse eotidie traditur. Sueton. Div. Aug. c. 84. Dass er tiberhaupt viel studierte, ib. c. 84, 89; Hor. Carm. III. 4, 36. 2 ) Ingenia saeeuli sui omnibus modis fovit. Sueton. ib c. 89. 3 ) Hor. Epist. II. 1, 247 Dilecti tibi Virgilius Yariusque poetae. 4 ) Seripta quidem ejus adeo probavit mansuraque perpetua opinatus est. Suet. ib. p. 297 ext. 5 ) unaque et altera liberalitate locupletavit. Suet. ib. 6 ) „Horatium nostrum“ ib. gegenseitigen Beziehungen. 51 ren, wo er mit Staatsgeschaften iiberhauft war, Horaz als eine Art Sekretar um sich zu haben, um sich bei den Korrespodenzen seiner Beibilfe zu bedienen! *) Dass mit dieser sehon an sich hochst ehrenvollen Berufung etwas mehr gemeint war, als ein kalter Amts- dienst bei Hofe, das beweist ein spateres Schreiben Au- gustus’, in welchem es heisst, letzterer habe Horaz mehr zu seinem Gesellschafter und Freund (convictor), denn zum Konzipisten seiner Briefe haben wollen. * 2 ) Augustus mochte an dem heiteren und schlichten Wesen Horazs derartigen Gefallen gefunden haben, dass er dessen Umgang wunschte. Er nennt ja den Dichter ein „allernettestes Mandel. “ 3 ) Doch Horaz schlug diesen Ehrendienst aus, indem er sich mit seinem schleehten Gesundheitszustande ent- schuldigte. 4 ) Allein Oaesars Scharfblicke blieb das wahre Motiv dieser Ablehnung nicht verborgen; spottisch schreibt er dieselbe dem „Stolze“ des Dichters zu; 5 ) war aber in seiner Seelengrosse weit davon entfernt, dem Dichter daruber zu ziirnen, sondern blieb ihm gewogen wie zuvor. 6 ) *) In einem BriefeanMaecenas schreibt Augustus: Ante ipse sufficiebam scribendis epistolis amicorum, nune occupatissimus et infirmus Horatiuin nostrum a te cupio abducere . . . et nos in epistolis scribendis juvabit. Suet. ib. 2 ) ... tamquam si convictor rnihi fueris; reete enim et non temere feceris, quoniam icl usus mihi tecum esse vnlui, si per valetudinem tuam fieri possit. ib. 3 ) „homuncionom lepidissimum“. Suet. ib. *) Suet. ib. per valetudinem. 5 ) Neque enim si tu superbus amicitiara nostram sprevisti, ideo nos quoque av^ofpsp7jipavoup.sv ib. 6 ) ib. 4* 52 A n £u st us’ umi Ho raizs Was mag wokl der wahre Grund dieses, wenn man die kohe Stellung des Bewerbers in Betraekt ziekt, auf- fallenden Benehmens des Dick ter s gewesen sein? Sollen wir darin mit Augustus’ argwohnischem Blicke wirMick Horazs Furckt vor dem Urtkeile der Nackwelt erblicken, die in ikm einen prinzipienuntreuen Tyrannensekmeickler geseken haben wiirde, wenn er mit Augustus auf freund- sekaftlickem Fusse gelebt katte? 1 ) Dieser Auffassung mockte ick, wie gesagt, trotz Geriacks 2 ) und mekrerer Anderer Meinung nickt bei- pfliekten. Denn katte Horaz die personliche Beriikrung mit Augustus — dessen obigen Brief (p. 298) ick fur sekerzhaft und boshaft kalte — aus, sagen wir, republi- kanisehem Prinzip fur „schimpflich“" gehalten, so wiirde er auck in seinen Liedern anders gesckrieben haben oder ware nicht Augustus’ Lobredner geworden, was er bekanntlick in kohem Grade ist. Ueberhaupt siindigen meiner Meinung nach Horazs Biographen viel zu viel auf Rechnung des angeblichen Horazischen Republikanismus, indem sie den kleinen Flaceus zu einem viel zu grossen Martyrer der Freiheit aufbauscken und ikn — vielleicht wegen seiner verun- gliiekten militariscken Laufbahn — viel zu viel roth malen. Es wird daher nickt von Sckaden sein , dieser Sache kier einige Aufmerksamkeit zu widmen. Man wird in Horazs Schriften vergebens nach Stellen suchen, aus denen Absekeu, Hass oder mindestens Spott gegen die Monarchie sprache. Eben so resultatlos wird aber auck die Sucke nach gliihenden Freikeitsditkyramben ') So ungefahr lautet Augustus’ Vorwurf, in dem es heisst: An veieris, ne apud posteros infame tibi sit, quod videaris fami- liaris nobis esse ? Suet. p. 298. 2 ) S. 26 ff. gegenseitigen Beziehungen. 53 bei Horaz ausfallen. 1 ) Keines von beiden! Horaz mied es, liber seine politische Gesinnung oder Parteistellung. seit er Maecenas’ Freund war, viel zu schreiben, ja sieh dariiber iiberhaupt auszusprechen. Es waren darnals Ausserungen dieser Art eine sehr heickle Sache, fur Horaz doppelt heickel, wenn man seine Stellung zu Maecenas ervvagt. Doeh, ware er ein soleh gllihender Parteimann gewesen wie man von ihm annimmt, so hatte er sicherlich Wendnngen gefunden, um seinen Geflililen Luft zu geben. Denn gross ist die Mythologie der Grieehen und umfangreich der diehterisehe Wortschatz, urn derlei Gefiilile und politischen Anschau- ungen darin verbergen zu konnen. Niehts von alle dem bei Horaz! Er brauehte diesen Apparat zu solehen Zrveeken nicht; denn er war in allem pectore puro, ein offener, gerader Mann, der mit unmoglichen Staatstheorien gebroehen hatte! Ein versteektes Spiel Horazs mit Augustus anzunehmen ist ineiner Ansicht nach ein Verstoss gegen Horazs Charakter, sowie ein Verstoss gegen die wirkliche Sachlage am damaligen Hofe. Ich sagte, von politischen Ausserungen iiber dessen Stellung sei in Horazs Werken niehts zu finden, ge- sehweige denn von soleh en, die gegen die Monarchie gerichtet waren. Ja! Horaz ging noch weiter: er mahnte Andere vor unvorsichtigen Ausserungen gegen Octavian ab. So seinen Fi’eund, den bekannten Asinius Polio, den verdienten Feldherrn, der zugleich Schriftsteller war. ’) Wer sich etwa versueht fiihlto, das bekannte Carmen: Instum et tenacem propositi virum (Carm. III.'3) als einen pol. Freiheitshymnus (etwa wegen der Worte: non voltus instantis tyranni v. 3) zu deuten, der vergesse ja nicht auf v. 11—12, in welchem Augustus’ Vergotterung (quos inter Augustus recumbens Purpureo bibit ore nectar) ausgesprochen wird. 54 Augustus’ und Horazs Dieser, anfangs e in Anhanger der beiden Triumviren, schrieb eben an einer Geschichte des ersten Trimvirats, 1 ) als es Horaz tur gerathen fand, ihn auf das Gefahrliche der Sache aufmerksam zu machen, indein er die Worte an ihn richtet: „Du beschreibst den unter Metellus ausge- broehenen Burgerkrieg .... und schreitest iiber Feuer einher, das unter tiickischer Asche verborgen liegt“ . 2 ) In den letzteren Worten liegt eine leise Mahnung zur Vor- sicht verstekt. Gleiehe Vorsicht beobachtete wohl auch Horaz selbst. Alan hat aus Catos belobenden Enviihnungen 3 ) fur Horazs Eepublikanismus Kapital zu sehlagen versucht, allein man vergisst, dass Horaz in dieser Hinsicht nicht mehr gethan hat als andere Schriftsteller z. B. Virgil, der Cato in die Zahl der Seligen versetzt. 4 ) Cato galt im Alterthum uberhaupt fur ein Muster echter Miinnertugend und war sprichwortlich geworden. 5 6 ) AVer also, wie hier Horaz, einer allgemein verbreiteten Meinung beitritt, dem darf man deswegen keine separaten Hintergedanken untersehieben. Mit Horazs „Eepublikanismus“ ist es also schlecht bestellt. Das wird man sehr natiirlich finden, wenn man annimmt, dass Horaz demselben Lebewohl gesagt und Octavians Alleinherrschaft offen anerkannt hat. ‘) Dieses Werk, fiir uns verloren gegangen, blieb unvol- lendet: s. W. Teuffefs Gesch. d. r. Literatur 3. Aufl. S. 448. 2 ) Carui. II. 1, 7—8. 3 . Carin. I. 12, 35 und Carm. II. 1, 24. (Catonis nobile letum). *) Aen. VIII. 670 Secretosque pios, h s dantorn jura Catonem. 6 ) vgl. die Parallelstellen in Orelli’s CommeMt. zu beiden obigen Steilen des Horaz, bes. Valer. Max. II. 10, 8. gegenseitigeu Boziehungen. 55 Horaz war sicherlich nicht der Einzige, der von Oetavians Amnestie Gebrauch machte und sich unter dessen Herrschaft bequemte. So machten es auch Manner wie Messala, Oorvinus, dann der aus Carm. II. 7 bekannte Pompejus Varus und Andere. Nicht viel anders machte es der oben ervvahnte Asinius Polio, der sich nach Caesars Tode Cicero gegeniiber als wiitender Republikaner geber- dete ! ), bei dem Ausbruch des Entscheidungskampfes zwischen Octavian und Antonius aber ersterem offen erklarte: „Ich werde mich euerem Streite entziehen und will Beute des Obsiegenden sein,“ * 2 ) was er denn auch t-hat, indem er sich vom offentlichen Leben ganzlich ziirilckzog und den Eest seiner Lebenszeit zwischen Biichern und Studien verbrachte. 3 ) Es fehlt also keineswegs an Beispielen verniinftiger Eesignation aus jener Zeit; Manner, die friiher flir Frei- heitsschwarmer galten, fugten sich in Augustus’ unver- meidliches Eegime, weil die Bepublik augenscheinlich ein unrealisierbares Phantom geworden war. Wenn nun Horaz nicht nur dasselbe that, sondern sich Miinnern an Augustus’ Hofe anschloss und damit auch Augustus’ Partei ergriff, so mochte ich darin sogar Horazs Scharfblick erkennen, weil dies zu einer Zeit (zwischen dem peru- sinischen und sicilischen Kriege) geschah, wo Caesars schliesslicher Sieg noch nicht so sicher stand. Denn man darf nicht vergessen, dass damals M. Antonius noch sehr machtig und Octavian jedenfalls gewachsen war. — ’) vgl. Cie. od Fam. X. 31 Ita, si id agitur ut rursus in potestate omnia unius sint, quicunque is est, ei me profiteor inimieum. 2 ) Discrimini vestro me subtraham et ero praeda vietoris. Veli. II. 86. 3 ) W. TeuffePs Geseh. d. rom. Lit. S. 448. 56 Augustus’ und Horazs Kebren wir nun zu Horazs und Octavians Bezieb- ungen zuriiek und untersuchen wir weiter die Motive der Horaziscben „Sprddigkeit“. Dass es prinzipiensteifer Be- publikanismus nicht war, der Horaz bestimmte, diirfte jetzt wohl ausser Zweifel liegen; wir miissen uns dem- nach um andere Griinde umsehen. Und solehe Ande ich in rein p e r s 6 n 1 i c h e n Y e r- baltnissen, was des Naberen ausgefiibrt werden soli. Bereits oben war von des Dichters angeborenem Scbamgefiihl ( pudor ) die Eede. Wir begegnen namlich mehr als einmal dem Selbstgestandnisse Horazs, wo er sieb fur einen Menscben ausgiebt, der oft wie ein „Knabe“ mit der Stimme stockt und gern befangen ist. 1 ) Diese angeborene Scheu bielt Horaz in erster Linie von Augustus’ Nahe fern. Denn er war sich seiner Be- fangenbeit gegenuber dem grossen Staatsmanne und Be- genten viel zu viel betvusst, als dass er bei sicb batte boffen diirfen, demselben mit seiner Gegenwart irgend welcben Gefallen ertveisen zu konnen. Dass so etwas wirklieb der Fali war, namlicb, dass Horaz vor Augustus, mit dem er natflrlicher Weise ver- kebrte, scbeu und befangen erscbien, deutet Augustus selbst an mit den Worten, die einem Briefe desselben an Horaz entnommen sind: Sume tibi aliquid juriš apud me, tamquam convictor mibi fueris . . 2 ) nimm dir in meinem Hause einiges Eecbt beraus, als vv&rest du ‘) Pudicum , Qui primus virtutis honos, servavit (me pater) Sat. I. 6, 82. Di bene fecerunt, inopis me quodque pusiili Finxo- runt animi (bisher ironiseh), raro et perpauca loquentem. Sat. I 4, 17. Ut veni coram (vor Maecenas), singultim pauca locutus, Infans namque pudor probibebat plura profari. Sa\ I. 6, 56 f. meus . . . pudor. Epist. II. 1, 258. pudor . . . vetat Carm. I. 6, 9. 2 ) Sueton. ib. p. 297. gegenseitigen Beziehnngen. 57 einer der Meinigen . . d. h. thue nicht gar so schiichtern und scheu mir gegeniiber! Auch mochte Horaz Augustus’ Nabe nicht tur besonders einladend gefunden haben, weil dieser ein loser Schaeker und ein ziemlich riicksicbtsloser Bekrittler war, der in den Anwandlungen seiner Laune weder Freund noch Feind unterschied. 1 ) So z. B. schonte Augustus auch Maeeenas nicht, den er seiner „parfumierten Redeschnorkel“ wegen h&ufig aufzog. 2 ) Audi wissen wir bereits, dass sich Augustus iiber Horazs kurze Gestalt, dessen „Bauchelchen“ und noch andere kleine Gebrechen lustig machte. 3 ) Deshalb furchtete sich Horaz, der Augustus kannte, vor dessen unausbleiblichen Witzen und mochte bei sich gedacht haben: mit Augustus ist es nicht gut Kirschen essen, und blieb mogliehst fern von ihm. Moglich ist es auch, dass sich Horaz in der Nahe eines Mannes, an dessen Hand so viel unschuldig ver- gossenes Blut klebte, nicht heimisch fiihlte. Dazu gesellte sich noch Horazs Abneigung gegen alle amtlichen Stellungen und Geschafte, 4 ) weil ihn diese in seiner dichterischen Thatigkeit nur beengt und ge- hemmt haben wurden. Eine personliche Abneigung oder einen Hass Horazs gegen Augustus, dem er so viel zu verdanken hatte und den er in seinen Liedern so grossartig verherrlichet hat, ’) Sueton. Div. Aug. c. 86 fiihrt mehrere Beispiele an. 2 ) Sueton. ib. inprimis Maecenatem suum, cujus myrobrechis ut ait, cincinnos usque quaque persequitur et imitando per joeum irridet. 3 ) Sueton, fragm. p. 297. 4 ) nollem onus haud uuquam solitus portare molestum. Sat. I. 6, 99. 58 Augustus’ und Horazs kann ich mit A. Arnold durchaus nicht annehmen. 1 ) Die Selieu vor jemand muss noch durchaus nieht Ab- neigung gegen dieselbe Person zum Grunde haben. Meiner Meinung naeh reduziert sich also die Zuruck- haltung Horazs hauptsachlich auf das psychologische Mo¬ ment der Scheu vor Augustus. einer Schuehternheit, die aus des Dichters angeborenem und anerzogenem Scham- gefuhle („pudor“) entsprang und ihn stets befurchten liess, in den Augen des Herrschers zudringlich, in den Augen der Welt aber als speichelleckerisch zu erscheinen. Machte dieses Schamgefiihl den Diehter im Umgange iiberhaupt unsicher — ausser unter guten Freunden —, so beherrschte dasselbe Horazs Benehmen noch weit mehr angesichts eines so gewaltigen Mannes und Herr- sehers, wie es Augustus war. Doch musste diese Scheu Horaz in dessen Liebe und Anhanglichkeit an Augustus durchaus nicht be- irren. Dass dies auch wirklich der Fali war, ersehen wir aus den Liedern, die Horaz Augustus zu Ehren verfasst hat. Oder sollten wir in Horaz eine „Doppel- Seele“ annehmen, eine, die Augustus angeblieh als „Ty- rannen“ hasste und eine, die denselben Mann unter die Gestirne und Gotter versetzte ? Dann wiirden wir aus Horaz entweder ein Ungeheuer von bewusster Falschheit und Doppelztingigkeit oder aber ein psychologisches Monstrum machen. Wer Horazs Leben nnd Sehriften kennt, wird und kann solehe Ungeheuerliehkeiten in ihm nicht suehen. Eine solehe „Doppelnatur“ ware auch sicherlich nicht dem scharfen Blicke Augustus’ entgangen. Und doch lesen wir bei Sueton und mtissen es auch ohne Anstand glauben, dass ihm der Herrscher unausgesetzt seine voliste Gunst und Gnade bewahrte. Augustus kannte und durch- >) Arnold S. 26. gegenseitigen Beziehungen. 59 schaute eben seinen Horaz. Was in den betreffenden Brie- fen von „Zorn“, „Unmut“ und dergleichen steht, istnicht vvortlich zu nehmen: solche Ausdriicke brachte Augustus’ Charakter mit sich; denn er scherzte und ironisierte be- kanntlieh gern. Uberhaupt miissen wir uns die Bezieh- ungen der grossen Miinner der augusteischen Zeit als auf der hoehsteu Stufe der Bildung beruhende, vonGeistund Witz geleitete vorstellen und uns hiiten, ihre Ausdriicke steis wortlich und vo]]gewichtig zu nehmen. Fein, iro- nisch und witzig, mitunter wohl auch etwas derb, das ist die Quintessenz des romischen Wesens in den Zeiten dessen vollster Entwicklung, und als zwei eminente Re- priisentanten dieses romischen Wesens haben wh Au¬ gustus und Horaz ohne Zweifel zu betrachten. Und nun kornmen wir auf die Art und Weise zu sprechen, wie Horaz seinen Freund und Gonner Augustus besungenhat, womit wirdieUntersuchungschliessen wollen. Augustus wird von Horaz in zvveifacher Art ge- priesen, theils d ir e k t, indem ihn der Dichter apostrophiert, theils indirekt, ohne Ansprache. Wer diesen Untersehied beobacliten will, wird bald finden, dass Horaz in seinen ersteren Gedichten die letz- tere, die indirekte, und erst in den spateren Gedichten die direkte Art der Besingung zur Anwendung bringt. Ferners \vird man finden, dass Horaz Augustus in einigen Dichtgattungen ofter, in manehen seltener erwahnt. Auch eine Steigerung des Lobes ist in den Ge¬ dichten wahrzunehmen, namentlich ein Aufsteigen von kleinen Komplimenten hinauf bis zu den begeistertsten Lobeserhebungen. Zuletzt waltet. auch ein Untersehied im Tone ob, in welchem Horaz zu Augustus spricht, namlich vom schtich- 60 Augustus’ uh d Horazs ternen angefangen bis zum vertrauteren, rathenden Tone eines Freundes. Wir wollen die genannten Untersehiede in konkreten Beispielen vorfuhren. Die Bentleysche Beihenfolge der Horazischen Dichtungen ist allgeraein bekannt. 1 ) Man braucht zwar dieselbe bis in ihr minutioses Detail nieht voilstandig zu acceptieren, allein im grossen Ganzen bleibt dieselbe wie die alteste so aueh die beste. Nach derselben hat Horaz zunaehst die Satir en (und zvvar vor allen das erste Budi, spater erst das zweite derselben), dann die Epoden, hierauf die Carmina (I—Ul) und zuletzt die Episteln, zwischen diesen aber das IV. Buch der Oden geschrieben und herausgegeben. Mit Bezug auf Horazs Lebensjahre wiiren die Satiren und Epoden zwischen sei- nem 25—35, die Oden (I—III) vom 35—45., und die Episteln nebst Carm. IV. vom 45—55. Altersjahre ge- sehrieben vvorden 2 ), jedoeh nieht in der Art und Weise, als ob Horaz jedesmal aussehliesslich die eine Gattung zu Ende gebracht und erst dann eine andere in Angriff genommen hatte, sondern so, dass er z. B. gleiehzeitig mit der Abfassung eines Bandehens Satiren aueh einige Epoden und zugleieh mit einigen Episteln aueh einige Carmina schrieb. Mich in eine genauere Beleuehtung dieser Thatsache einzulassen, lcann hier nieht der Platz sein; nur vorubergehend moehte ieh envahnen, dass die Abfassung der Epoden sehr entfernten Zeitabsehnitten angehort, nUmlieh sorvohl der Periode der Satiren, dann der Epoden selbst (wie sie Bentley annimmt), wie aueh ‘) Ein kurzes Resumč derselben nebst einer chronologi- schen Tafel giebt A. Arnold in seiner obon angefiihrten Schrift S. 172—Ende. 2 ) Arnold S. 172-173. gegenseitigen Bezieliungeii. 61 jener der Oarmina. Man vgl. Epode IX. (Quando repo- stum) mit Carm. I. 37 (Nune est bibendum), welche beide offenbar denselben Stoff, Caesars Sieg liber M. An- tonius, besingen. Interessant zu vergleiehen sind noch Epod. VII. (Quo quo scelesti) und XVI (Altera jam te- ritur) mit Carm. I 2 (Jam satis nivis); in den ersteren zweien o Ime Caesars Erwahnung, im letzteren mit aus- zeichnender Hervorhebung desselben, wahrend der Stoff — der Burgerkrieg — der gieiehe ist. Von Interesse ist es auch. Epode X (Mala soluta navis) und Carm. I 3 (Sic te diva potens) in Bezug auf den Ton zu ver- gleichen; beiderseits Anspraehen an ein Schiff, das mit einem Dichter fiihrt, allein in der Epode im spottischen („jambischen“), im Carmen in ernstem feierlichem Tone. Was also die Art der Erwiihnung Caesar Augustus’ in Horazs Schriften anlangt, so finden sich in den Erst- lingsgaben der Horazisehen Muse (Sat. I) nur kurze, mitunter versteekte und fast indifferent lautende Erwah- nungen seines Namens. 1 ) Bereits lebhafter und mit Theilnahme wird Caesar in den Epoden genannt. 2 ) Hiiufiger und schon eingehender beschaftiget sich Horaz mit Caesar im zweiten Buehe der Satiren, wo er sich bereits entschuldiget, warum er nicht Caesars Thaten besingt. 3 ) ’) vgl. Sat. I. 3, 4 Caesar, qui cogere posset — I. 5, 29 aversos soliti componere amiuos (niiml. Antonins and Caesar) — I. 9, 18 prope Caesaris hortos (wo anter Caesar aucb C. J. Caesar gemeint sein kann). — 2 ) Epod. I. v. 3, paratus omne Caesaris pevicalum Subire — IX. v. 2 Victore laetus Caesare — v. 18 Galli canentes Caesarem — v. 37 Čaram metamque Caesaris reram javat Dulci Lyaeo solvere. 3 ) Sat. II. 1, v. 10 „Aude Caesaris invicti res dicere, multa laborum praemia laturus“ (sagt ein Spotter za Huraz, rvorauf 62 A u gust us’ nnd Horazs Aus den genannten Stel len wird man ersehen, dass Horaz sich Oaesar mit einer gewissen Scheu, wie aus einer grossen Entfernung naliert; nirgends ein Versuch einer direkten Ansprache. So erklaren wir uns denn reeht wohl jenen leisen Vonvurf Augustus’ an Horaz, warum dieser ihn niekt direkt apostrophiert und sieh in den „Gesprachen“, d. i. Satiren, nicht an ihn wendet, wie es Sueton ausdrueklich uberliefert: „Nachdem Augustus einige „Gesprache“ (Ho¬ razs) gelesen hatte, beklagte er sich, warum in denselben keine Envahnung seiner geschehen, mit den Worten: ,I)u musst wissen, dass ich dir ziirne, weil du in den meisten derlei Schriften nicht hauptsachlich mit mir s p r i e h s t 1 . 1 ) Offenbar hielt Horaz die Satiren fur eine zu nie- drige Dichtgattung, die sich nur wenig uber dass Niveau der Prosa erhebe, 2 ) als dass er darin Oaesar zu apostrophieren sich erlaubt hatte. Caesars Lob hatte sich Horaz fur eine hohere Dichtgattung, die Ode ( carmen ), aufbewahrt, fur welche er sich damais erst vorbereitete und heranbildete. Erst in der Lyrik also, in weleher Horaz bei den Eomern bahnbrechend gevvorden ist, wagte es der „Sehwan von Venusia" 3 ) einen hoheren Flug zu nehmen und Cae¬ sars Lob zu singen. dieser:) Cupidum, pater optirne, vires Defieiunt — v. 19 Flacci verba per attentam non ibunt Caesaris aurem — v. 84 sed bona (carmma) si quis Judice condiderit iaudatus Caesare — Sat, II. 6, v. 56 Praedia Oaesar (wo von Einem angenommen wird, als ob Horaz in Caesars Geheimnisse eingeweiht sei). ‘) Sneton. fragm. p. 298. 2 ) neque, si qui scribat uti nos, Sermoni propiora, putes hunc esse poetam. Sat. I. 4, v. 41. vgl. 16. 56. f. — Epist. II. 1, 250 Sermones Kepentes per humum. 3 ) Carm. II. 20 (Non usitata neo tenui ferar penna). gegenseitigen Bezieliungen. 63 Hier ertont zuerst ein lanteres und voileres Lied zu Augustus’ Ehren. Augustus’ kriegerischen Triumphe uud politischen Siege waren fur einen ]yrischen Dichter unerschopfliche Borne der Begeisterung. Oberallhin be- gleitet der Dichter seinen Helden, in Schlachten, in Ge- fahren, ausser Landes und hoeherfreut empfangt er den- selben an den Thoren Boms, um ihn im Triumphe auf das Kapitol zu begleiten. Die Errettung des Taterlandes aus Not und Krieg, das freiere Aufatmen des romischen Biirgers, der Schutz des Bechtes, die Sicherheit des Be- sitzes, die Heiligkeit des Gesetzes, die stolze Erhebung Bomas zu neuem Glanze, der warme Sonnenschein des Friedens, der Hauch milderer Sitten, die siisse Einkehr eines ruhigeren, von Kunst und Geistesbestrebungen') gewiirzten und behaglicheren Lebens, dazu die erhabene Person des Herrschers, der den Augen des Volkes wie eine Verkorperung der allwaltenden Gottheit erschien — alles das riihrte unseres Dichters Saiten zu immer helleren, immer reineren und entzuckenderen Tonen. * 2 ) So entstan- den jene herrlichen Horazischen Lieder, die des sonst so ‘) Die Romei-, bisher ein ausschliesslich kriegovisches Volk, trieben es nunmehr arger wie die kunstliebenden Grieehen. Iro- nisch sehildert diese neue Lebensweise Hor. Epist. II. 1, 32: Veni- mus od summum fortunae, pingimus atque Psallimns et Juctamur Aohivis doctius unctis; und vgl. dazu v. 108 s. Mutavit mentem populus leviš et calet uno seribendi studio u. s. iv. 2 ) In den ersten drei Biichei-n zeiehnen sich folgende Lieder durch Caesars Verherrlichung besonders aus: I. 2 (Au¬ gustus moge den Riirgerkrieg vollenden und den Erdkreis be- herrsehen), I. 12 (Caesar miige sieh mit Jupiter in die Weltherr- sohaft theilen), I. 35 (Bitte an Fortuna um Caesars Schutz); II. 9 (Feiert Augustus’ Siege); III. 4 (Caesar ein Freund der Musen genannt), III. 5 (Caesars Sieg iiber die Britannen gefoiort), III. 14 (Caesar \vegen seines Sieges iiber die Cantabrer gepriesen), III. 25 (Caesar in den Himmel erhoben), 64 Augustus’ iind Horazs bescheidenen Dichters Brust zu dem stolzen Ausrufe er- kuhnten: „Ein Monument hab’ irh erbaut. dauernder denn Erz, und hoher als der Konigsbau der Pyramiden“. In der That, ein grosseres Lob, als es Horaz in seinen „Liedern“ Augustus spendet, istkaum mehr moglich. Diese Lieder sind eine fortlaufende Kette von Apotheosen; Augustus wird bald Merkur, bald Jupiter gleichgestellt und mit allen Gotterattributen versehen. ’) Allein sonderbar! an keiner Stelle der ersten drei Bucher der „Lieder“ wird Augustus direkt apostrophiert * 2 ) oder ihm eines der Bucher dediziert, obwohl es evident ist, dass viele nur zu Augustus’ Lobe geschrieben sind. Wir linden es darum begreiflich, warum Augustus ungestiimer wurde als bisher, und mit allen Mitteln in den Dichter diang, den bereits ausgegebenen drei ersten Buchern der Oden, bei denen es Horaz bewenden lassen wollte 3 ), noch ein viertes hinzuzufugen und es ihm selbst zu widmen. 4 * 6 ) So entschloss sich denn Horaz, nach langerer Un- terbrechung, das vierte Buch der Lieder zu Augustus’ und dessen Stiefsohne Drusus’ und Tiberius’ Lobe zu diehten. s ) *) Carin. I. 2 Caesar mit Merkur verglichen; I. 12, III. 4 Parallele mit Jupiter-, III. 14 mit Hercules ; III. 25 Augustus in die Gotterversammlung versetzt. 2 ) ein leiser Anklang an direkte Ansprache findet sich einzig Carm. I. 2, (am Schlusse). 3 ) Statuerat Horatius ad tertiura usque librum complere opus carminum. Sueton. frag. p. 296. 4 ) Apparet hunc librum (Anm. der Schol. zu Carm. IV. 1, 1.) hortatu Caesaris scriptum esse. Nam apud eum epistola invenitur Augusti increpantis Horatium, quod non ad se quoque plurima scribat. Suet. p. 296—97. 6 ) Tribus libris (Carminum) jam editis ex maximo intervallo hunc quartum scribere compulsus est ab Augusto . . . Sueton. ib. gegenseitigen Beziehuiigen. 65 Dieses vierte Buch tragt bereits einen ganz anderen Charakter an sich als die vorhergehenden. Maecenas — zwar nicht iibergangen J ) — tritt hier entschieden zuriick, Augustus und mit ihin das julisehe und claudische Haus dagegen werden pradominierend in den Vordergrund gestellt. Aud i die A rt der Erwahnung ist plotzlich eine andere geworden, es ist die d i r e k t e A n s p r a e li e Au¬ gustus’ * 2 ), und zuerst sehen wir mehrere Lieder Augustus selbst gewidmet 3 ), so dass man, ohne vorher Suetons Fragmente gelesen zu haben, aus der Lekture selbst den Eindruck empfangt, als habe Horaz dieses ganze Buch dem Monarchen gewidmet, was aueh ohne Zweifel der Fali war. Audi in formeller und kiinstlerischer Bezieliung iiberragt dieses vierte Buch alle vorhergehenden. Es zeichnet sich aus durch Schwung, Leichtigkeit und Durčh- sichtigkeit der Gedanken und durch einen bezaubernden Wohlklang der Spraehe. Aus mehreren dieser Lieder weht ein eigenthiimlich wohlthuender Geist der Wonne und Gliickseligkeit, wie z. B. aus dem reizenden ftinften — dem ersten mit direkter Anspraehe Augustus’ —, dem bekannten „Divis orte bonis“, welches wegen der Zartheit der Bilder und der Liebliehkeit der Situationen eine wahre Perle der Horazischen Dichtungen zu nen- nen ist. In diesen Liedern werden die grossartigen Verdienste Augustus’ um den romischen Staat zu wiederholten Malen vorgefuhrt und das Zeitalter glucklich gepriesen, dem es zu Theil gevvorden, eine so wunderbare und in ihrer A rt ’) vgl. Carm. IV. 11. 2 ) das ei-ste solehe Lied ist Carin. IV. 5. 3 ) Carm. IV. 5, IV, 14 und 15, also drei lange Oden. 5 66 Augustus’ und Horuzs einzige Erscheinung auf Erden, wie es Augustus sei, mit leiblichen Augen zu sehen.*) Dass Horaz in dieser Verehrung und Bewunderung des Augustus nicht allein dastand, sondern dieselbe mit dem romischen Volke tlieilte, wissen wir bestimmt aus Sueton. * 2 ) Unser Diehter erscheint daher in der That als Dolmetsch der allgemein herrschenden Gefuhle des Volkes und stimmt aus Herzensgrunde und innerer Ueber- zeugung in dieses einstimmige Lob ein. Von des Dich- ters individueller Schmeielielei kann also keine Eede sein. Endlich liatte Horaz seine Sciieu theilweise abge- legt, indem er sich kiinstlerisch fur fiihig und fur vviirdig liielt, ein den Verdiensten Augustus’ ebenbiirtiges Lob zu singen. Andererseits aber konnte sieli Augustus endlich in seinem Wunsche, von Horaz gepriesen zu vverden, befriediget sehen. Der Aufforderung Augustus’, ein Carmen saeculare zum Dankfeste fur Eoms Griindung zu verfassen, kam der Diehter bereitwilligst nach 3 ) und ward durch dieses Lied gewissermassen ein Poeta sacratus von Eom. — Naturlicher Weise ging Augustus nun auch in Horazs Ep is te ln nieht leer aus, namentlich nicht im zvveiten Buche derselben, das wir als eine der spiitesten Bluthen Horazischer Muse zu betraehten haben. Hier begegnen wir, ich meine besonders den langen ersten, Augustus gewidmeten Brief, ausser kurzen Betheuerungen des ‘) Carm. IV. 2, v. 37—40. Quo nihil majus meliusve terris Fata donavere bonique divi Nec dabunt; vgl. dazu Epist. II. 1, v. 15 s. Praesenti tibi ... Nil oriturum alias, niI ortura tale fatentes. 2 ) Sueton. Div. Ang. c. 57: Pro quibus meritis quantopere dilectus sit, facile est aestimaro ... Im Nachfolgenden werden die Auszeichnungen Augustus’ angefiihrt. 3 ) Sueton. frag. p. 297 ext. gegensuitigen Bcziehiiiigen. 67 hochsten Lobes') auch leisen Mahnungen an Augustus, sieh der gesunkenen dramatischen Dichtkunst, die von krassen Schaustiicken iibenvuchert und fast schon ver- drangt wurde, anzunehmen. * 2 ) Auch schon vorher, nam- lich in den spitteren Liedern der ersten drei Biicher, finden sich hie und da verbliimte Mahnungen an den siegreichen Augustus, in seiner Milde standhaft zu ver- bleiben, ein zarter Wink zur Sehonung der iiberwundenen Gegner. 3 ) An einer anderen Stelle der Lieder spornt Horaz Augustus zu grosserer Strenge in der Civil-Gesetz- gebung an, namentlich zur Abwendung des iraraer gros- seren Verfalles der Sitten. 4 ) So sehen wir in Horaz nicht blos den lobenden, sondern auch den rathenden Preund des Augustus. Wir sind mit unseren Untersuchungen zu Pnde. Passen wir zum Schlusse Horazs Individualitat und das Verhaltniss Augustus’ und Horazs in Kiirze zusammen! Von der Natur zart und schiichtern angelegt, von der rauhen Wirklichkeit etwas unsanft erfasst, durch seine niedrige Herkunft und seine stille Beschiiftigung in enge Kreise des praktischen Konnens verwiesen, in Bezug auf sein Wolien aber zu schvvach, um inmitten des all- gemeinen Verfalls der Gesellschaft sich selbst und An¬ deren Halt zu gebieten oder den Kernpunkt zur Bildung einer selbstandigen Partei abzugeben, zu gefiihlvoll, um sich in der Wirbel des geschaftlichen und offentlichen ‘) Epist. II. 1, 1—4, 15—20 u. s. w. *) ib. v. 182—218. 3 ) Carm. III. 4, v. 40 —42. Vos lene consilium et datis et dato Gaudetis, almae. 4 ) Carm. III. 24, v. 25 s. O quisquis volet . . . 68 Augustus’ und Horazs gegenseitigen Beziehuugen. Lebens zu stiirzen und doch zu lebensfroh und gesund, um Catos Beispiel zu befolgen — iiberliess sich Horaz ganz den Begungen seiner gut angelegten Natur und den machtigeren Umstanden, die ihm in der Gesellschaft ein Pliitzehen anwiesen, das fiir ein Heldenleben zu eng, fiir ein Philosophenleben zu iippig und nur fiir ein Dičhter- dasein wie gesehaffen war. Von dieser seiner zart angelegten Natur, die von Soham und Sehuchternheit beherrscht war, geleitet,, durfte Horaz ein Freund und Lobredner Augustus’ werden, ohne in einen Schmeiehler und Wohldiener desselben auszu- arten. Einfach aber lieblieh, natiirlich aber eben des- halb um so sehatzbarer — steht Horazs Bild in der GeschicMe da. Es ist das Bild eines unverfalsehten Siin- gers und zugleich das Bild eines unverdorbenen Mannes! Marburg im Juni 1877. Corrigenda. Man beliebe zu lesen: S. 35 Z. 19 v. o. „Landgut“ fiirLand- haus“. — S. 37 Z. 1 v. u. „desiderium“ fiir „disiderium“. — S. 37 Z. 2 Anin. „als“ f. „wie“.