•/// Sonderabdruck aus der Monatsschrift »Die Erdbebenwarte», Jahrg. VII, 1908. Was erzahlen uns die Erdbebenmesser von den Erdbeben. Wie zeichnen sich die Nahbeben auf den Instrumenten ein? Nahbeben nennen wir Aufzeichnungen von Erschiitterungen, deren Herde innerhalb einer Zone von ungefahr 100 bis 1000 km vom Beobach- tungsorte entfernt liegen. Hiezu mufi bemerkt werden, dafi die Wahl des Wortes »Nahbeben* deshalb auch fiir Entfernungen bis 1000 km gewahlt wurde, weil ja durch die instrumentellen seismischen Beobachtungen Erd- bebenereignisse der ganzen Welt von den Apparaten vviedergegeben werden. Da der Antipodenpunkt fiir die Beobachtung der Warte die weiteste Ent- fernung darstellt, dieselbe aber 20.000 km betragt, so diirfte von diesem Gesichtspunkte aus die Bezeichnung »Nahbeben* fiir die Distanz bis 1000 km wohl zutreffend sein. Eine vveitere Unterscheidung der Nahbeben mit Bezug auf die Herddistanzen ware empfehlensvvert, indein man die Nahbeben mit einer Herddistanz bis 500 km als Nahbeben I. Ordnung, iiber 500 bis 1000 km als Nahbeben II. Ordnung bezeichnen wiirde, eben mit Rticksicht auf den Umstand, dafi die Nahbeben I. Ordnung haufig noch, wenn die Erschiitterung an der primaren Schiitterzone sehr stark war, auch von Menschen wahrgenommen werden, hingegen die Nahbeben II. Ordnung fast ausschliefilich nur von den Instrumenten aufgezeichnet vverden. Auf der Tafel II ist eine Bilderreihe enthalten, die nach Original- diagrammen angefertigt und, um die charakteristischen Stofigruppen besser hervortreten zulassen, stark schematisiert wurde. Zunachst moge die Tafel naher erlautert werden. Die primare Schiitterzone ist durch eine dichtere Schraf- fierung von der sekundaren hervorgehoben. Die Zeitlinie auf dieser Tafel ist gegen die der Ortsbeben* auf den fiinften Teil reduziert worden, so dafi die Minute bei den Ortsbeben an der Zeitlinie ungefahr fiinfmal langer ist als bei den Nahbeben, um bei den ersteren die Einzelheiten besser zum Ausdrucke zu bringen. Fiir die Wahl dieser Minutenlange war zunachst das Bestreben mafigebend, die einzelnen Diagramme in jener Grofie wiederzugeben, wie sie von den Apparaten, vvelche die Boden- bewegung hundertfach vergrofiern, aufgezeichnet wurden. Um das Verhaltnis der Aufzeichnungen auf der primaren Schiitterzone und jener der Nah- * Siehe »Die Erdbebenwarte», Jahrg. VI, Tafel 1. Von A. Belar. \ /J IN ^ 2 beben vor Augen zu fiihren, wurde iiber der primaren Schiitterzone zu- nachst das Bildchen, welches das Ortsbeben in dieser Zone auf einem zehnfach vergroBernden Apparate ergeben hatte, eingezeichnet. Die tibrigen Bebenbilder riihren, wie schon bemerkt wurde, von dem hundertfach ver- groBernden Apparate her. Die Bilder der Nahbebenaufzeichnungen werden vor allem dadurch gekennzeichnet, dafi sie alle von einer kurzperiodischen Zitterbewegung eingeleitet werden, ivelche mit der Zunahme der Entfernung, gleichzeitig an Starke des Ausschlages einbiifiend, immer langer andauert. In dem Bilde von 100 km Herddistanz folgt nach einigen Sekunden der einleitenden Zitterbewegung eine starkere, auch noch kurzperiodische Zitterbewegung, die ziemlich rasch in den Hauptausschlag iibergeht. Die kurzperiodische Bewegung erscheint, wie in den vorhergehenden Bildern der Ortsbeben, durch vollstandiges ZusammenflieBen der Linien zum Ausdrucke gebracht, also auf der Tafel schwarz, im Originale auf den Rufidiagrammen weib. Dem Haupt- ausschlage folgen wieder die bekannten StoGgruppen, wie sie beziiglich der Aufzeichnungen der primaren und sekundaren Schiitterzone schon erlautert wurden. Der Hauptteil des Diagrammes, der hier beschrieben wurde, spielt sich innerhalb einer Minute ab, doch tritt nach der ersten Minute noch nicht vollstandige Ruhe am Instrumente ein, sondern es tauchen in etwas grofieren Intervallen noch eine Anzahl kleinerer Stoflgruppen, die fast regelmafiig schwacher werden, auf. Wenn man die Bilder von Herden,* die iiber 200 km vom Orte der Beobachtung entfernt sind, betrachtet, so er¬ scheint zunachst das Gesamtbild der Bebenaufzeichnung in die Lange ge- zogen, die einzelnen Teile des Diagrammes treten auseinander, insbesondere der zweite starkere Teil der kurzperiodischen Bewegung, der beim Hunderter mit dem Maximum fast ganz verschmilzt, wahrend er in dem Zweihundert- Diagramm bereits als gesonderte Bewegungsgruppe auftritt. Bei grofterer Herd¬ distanz wird diese Streckung des Diagrammes immer augenfalliger und am besten durch folgendes Experiment veranschaulicht: Wenn man z. B. den Zwei- hunderter auf ein Gummiband aufzeichnet und dieses allmahlich in die Lange zieht, wird man Bilder erhalten, die ungefahr den Diagrammen auf weitere Herddistanzen je nach der Starke der Dehnung entsprechen wiirden. Zur Erlauterung des Bebenbildes und seiner Entstehung moge noch folgendes dienen: Die einleitende Zitterbewegung, dic alle Nahbeben aus- zeichnet, wird von den Stofiimpulsen ausgelost, welche sich vom Herde F direkt nach allen Punkten der Erdoberflache als longitudinale Wellen fort- pflanzen. Die zweite kurzperiodische Bewegungsreihe rtihrt von den Kom- pressionswellen her, welche sich an oder nahe der Erdoberflache fortgepflanzt * In der weiteren Folge werden bei den Angaben der Herdentfernungen die Bezeichnungen Herddistanz und Kilometer weggelassen werden, z. B.: Herddistanz 200 km = Zweihunderter, Herddistanz 3000 km = Dreitansender usw. 3 hatten. Die Hauptgruppe mit dem Hauptausschlage umfafit die Stofigruppen, welche als transversale Wellen von der Hauptschiltterzone ausgegangen sind. Angenommen, dafi diese vom Verfasser aufgestellte Theorie der Fortpflanzung der Erdwellen richtig ist, so mulite bei der instrumentellen Aufzeichnung eines Nahbebens zunachst der erste Vorlaufer sieben allmahlich abnehmende Stofigruppen enthalten. Das sind jene sieben Stofigruppen, von welchen beim Ortsbeben ausgegangen wurde. Eine Wiederholung dieser Stofigruppenzahl miifite in den zweiten Vorlaufern, ferner in der Haupt¬ gruppe und in den Nachlaufern nochmals auftreten. In sehr vielen Diagrammbildern, die dem Verfasser zum Studium gedient haben, sind nach den Aufzeichnungen des Vicentini-Apparates diese vier Teile jedes Nahbebendiagrammbildes leicht zu erkennen. Dafi diese vier Hauptteile, so wie sie im Schema Tafel I dargestellt sind, nicht bei jedem Diagramm zum Ausdrucke kommen, wird beim Vicentini-Apparat wohl auf den Umstand zuruckzufilhren sein, dafi den Diagrammbildern durch die Zerlegung in zwei Komponenten ein Eintrag geschieht, was zur Folge hat, dafi bald die eine, bald die andere Komponente die regel- mafiigen Stofigruppen einzeichnet, je nachdem eben die Richtung in der Fortpflanzung der Wellen eine entsprechende Anderung erfahrt. Auch noch ein anderes Moment ist zu berucksichtigen, um das Bild eines Nahbebens richtig deuten zu konnen. Die Theorie der mechanischen Bewegungen, wie wir sie von der Entstehung des Ortsbebens gegeben haben, wtirde zunachst nach der Ferne hin ein Diagramm ergeben, wie es als ideales in der Tafel I dar¬ gestellt ist. Dabei wurde aber vollends der Umstand vernachlassigt, dafi die Stofiimpulse, die ihren Weg teils durch die Erde nehmen, teils sich auf der Erdoberflache fortbewegen, in den Beobachtungsorten zu ver- schiedenen Zeiten eintreffen werden, je nach der Fortpflanzungsgeschwindig- keit der verschiedenartigen Wellensysteme. Es ist klar, dafi eine Reihe von Interferenzen und Reflexionen auftreten werden, bei welchen die elastischen Wellen bald verstarkt, bald abgeschwacht werden. Beriicksichtigt man ferner noch den Umstand, dafi der Erdbebenherd in Wirklichkeit nicht punktformig wie bei den theoretischen Annahmen, sondern ein grofieres Schollenstuck der Erde ist, so mufi man sich gegenwartig halten, dafi auf dem ganzen Schiitter- gebiete (siehe Tafel II [I, II, II']) Stofiimpulse vom Herde zur Erdoberflache ausstrahlen, und zwar je entfernter von derHauptschiitterzone, desto schwacher. Jetzt wird man es vprstandlich .finden, dafi die Instrumente in einiger Ent- fernung vom Herde zuerst die Wirkungen der Erdstofie von den der Beobachtungsstation nachst gelegenen Gebieten II, also die Auslaufer der schwacheren Stofiimpulse zunachst, darauf die immer mehr an Starke zu- nehmenden Schiitterwellen vom Hauptherde 1 und endlich von der ent- fernteren sekundaren Schiitterzone II' II die neuerlich schwacher werdenden Wellenbewegungen empfangen werden. Nach dem Vorausgeschickten ware 4 zu erwarten, daG jede einzelne StoGgruppe in allen vier Hauptteilen des Diagrammes durch ein allmahliches Anschwellen und Abschwachen sich auszeichnen wird, was man in der Tat an den gut ausgepragten Diagramm- bildern auch verfolgen kann. Wenn diese RegelmaGigkeit jederzeit nicht zum Ausdrucke kommt, so tragen daran Schuld, wie schon oben betont wurde, die Richtungsanderung der Wellensysteme sowie die zahllosen Inter- ferenzen, vvelche bei Nahbeben die knapp aufeinander folgenden Wellen- systeme der Oberflachen- und Erdwellen erleiden mtissen. Bei Nahbeben sind die vier Hauptgruppen noch ineinandergeschachtelt, der Unterschied in der Fortpflanzungsgeschwindigkeit der verschiedenen Wellensysteme ist viel zu gering, um die Differenzierung moglich zu machen, erst bei den Fernbebendiagrammen kommt eine vollstandige Trennung der einzelnen Diagrammteile gut zum Ausdrucke, aber die vier Hauptgruppen konnen vom «Hunderter» angefangen, wenigstens in ihrer Anlage, schon erkannt werden. Nach den instrumentellen Aufzeichnungen charakterisieren eine Nah- bebenaufzeichnung folgende Merkmale: 1. ) Erste Vorlaufer (Impulse der direkten Erdwellen), 2. ) Zweite » ( » » Kompressionswellen), 3. ) Hauptgruppe mit dem Maximum (Transversalwellen von der I. Schiitterzone), 4. ) Nachlaufer (wahrscheinlich Reflexe, Echos, Vagabunden an der Erdoberflache). Die einzelnen StoGgruppen in den genannten Diagrammteilen zeigen noch deutlicher wie die Bebenbilder der sekundaren Schiitterzone ein Anschwellen und Abnehmen an der Intensitat der Ausschlage. Die StoG- reihe kommt in den ersten Vorlaufern nicht gut zum Ausdrucke. Aus der Tafel II kann aus den zehn Musterbildern die ungefahre Intensitatsabnahme, welche empirisch durch Vergleichung bestimmt wurde, entnommen, im tibrigen kann fiir je 100 km Entfernung die Dauer der ganzen Bebenaufzeichnung sowie jeder einzelnen Wellengruppe bestimmt vverden. Ebenso ist es moglich, aus der Aufzeichnung die Fortpflanzungs- geschwindigkeit der Wellensysteme zu ermitteln; auch darauf wurde bei der Anlage der Tafel Riicksicht genommen. Der Verfasser war davon weit entfernt, absolute Werte aufzustellen, aber fiir eine ungefahre Abschatzung der Herddistanz dtirfte die Tafel immerhin gute Dienste leisten. Noch auf einen Umstand muG hingewiesen werden, namlich auf die Bestimmung der Herddistanz eines auGerordentlich starken Nahbebens, was am besten an einem praktischen Fali erlautert werden konnte. Eine Erdbebenkatastrophe ereignet sich in Padua. Die Stadt Padua ware zerstort und unsere Instru¬ mente zeichnen mit Riesenschrift ein Nahbeben ein. Padua liegt liber 200 km von Laibach entfernt und die libliche Kalkulation des Bebenherdes nach dem Laibacher Diagramm laGt kaum auf einen Herd von uber 200 km Entfernung schlieGen. Die Vorlaufergruppen gehen viel zu rasch 5 in die Hauptbewegung iiber — man darf nicht wieder in den Fehler ver- fallen und den Herd punktformig annehmen. Wenn Padua zerstort wurde, so ist wahrscheinlich die Haupt- oder primare Schutterzone auch sehr ausgedehnt (50 bis 100 km), dann stehen wir in Laibach noch auf der sekundaren, fiir Menschen fiihlbaren Schiitterzone und dieser Umstand macht die Art der Aufzeichnung und den Fehler der Herddistanzbestim- mung vollkommen erklarlich. Es beziehen sich unsere Herddistanzschatzungen stets auf den Rand der Hauptschiitterzone; ist dieselbe zufallig unbewohnt, so wird der Herd bekanntlich immer nach dem Orte benannt, der auf der Hauptschiitterzone uberhaupt gelegen und daher am starksten erschiittert worden ist. Werden Nahbeben empfunden? Nahbeben werden ahnlich, jedoch immer von langerer Dauer, wie Ortsbeben auf der sekundaren Schutterzone empfunden. Die ersten Vorlaufer als ruckweise StoGe nach aufwarts, die beim Auftreten der zweiten Vorlaufer starker werden. Die Empfindung der StoGreihe, welche sich am Diagramm als Hauptgruppe mit dem Maximum einzeichnet, wird hingegen als eine schaukelnde, wellenformige Bewegung mit deutlichen Intervallen wahrgenommen, so daG die einzelnen StoGgruppen von Menschen noch viel leichter wie auf der primaren und sekundaren Schutterzone unterschieden werden. Gewohnlich geben daher die Beobachter in der Nachbarschaft der sekundaren Schutterzone eine groGere Anzahl von StoGgruppen an. Auch Schallphanomene werden vernommen, am haufigsten vor und nach dem Beben, ihre Entstehungsursache durfte nun- mehr dieselbe sein, wie bei den eigentlichen Ortsbeben. Buchdruckerei Ig. v. Kleinmayr & Fetl. Bamberg, Laibach. NARODNA IN UNIVERZITETNA KNJIŽNICA II 00000075894 Tafel I. Schematische Darstellung einer Nahbebenaufzeichnung, Herddistanz 300 km. Mah beben.