Magnus Petursson Universität Hamburg* UDK 81'243:37 warum sollen wir sprachen lernen und erforschen? 1. EINLEITUNG Diese hartnäckige und immer wiederkehrende Frage, warum und wozu lernen und erforschen wir Sprachen, wird häufig gestellt. Obwohl es nicht den Anschein hat, ist dies eine sehr komplizierte Frage, auf die es keine einfache Antwort gibt und auch nicht geben kann. Trotzdem soll in diesem bescheidenen Beitrag versucht werden, auf diese Frage einige Antworten zu geben, weil selbst in Zeiten, in denen eng definierte wirtschaftliche Kriterien zum Maßstab aller Werte geworden sind, das Erforschen und Studieren von Sprachen eine sehr fruchtbare Tätigkeit ist. Sowohl aus gesellschaftlicher als auch aus wissenschaftlicher Perspektive ist Sprachen zu lernen eine Tätigkeit, die nicht nur lohnend ist, sondern auch durch keine andere Tätigkeit ersetzt werden kann. In diesem Beitrag möchten wir diesen Standpunkt begründen und die Aufmerksamkeit auf dieses Thema richten, das stark bisher vernachlässigt wurde, obwohl es sich letztendlich auch um einen bedeutenden sozialen und ökonomischen Faktor handelt. Sprache ist sowohl Forschungsgegenstand als auch Instrument für die Forschung. Darüber hinaus gehört Sprache zu unserem Alltag, da wir miteinander durch Sprache kommunizieren. In der Sprache drücken wir unsere Gefühle oder Meinungen aus. Durch die Sprache erfahren wir die Meinungen anderer, nehmen an Ereignissen in Gegenwart oder in Vergangenheit teil, und schaffen uns unsere eigene Gedankenwelt oder leben uns in die Gedankenwelt eines literarischen Werkes ein. Ein so umfassendes Thema kann in diesem Beitrag selbstverständlich nicht vollständig behandelt werden. Dazu würde ein ganzes Buch kaum genügen, aber stichwortartig soll hier die Aufmerksamkeit auf die Wichtigkeit dieses Themas gelenkt werden. 2. SPRACHERWERB UND KINDERSPRACHE Jeder gesunde Mensch besitzt eine Sprache, seine Muttersprache oder seine Erstsprache. Diese hat er normalerweise in den ersten Lebensjahren erworben. Der Spracherwerb war nicht mühelos, aber in dieser Sprache fühlt er sich jetzt sicher, um seinen Gefühlen, Gedanken und Meinungen Ausdruck zu geben. In dieser kommuniziert er ebenfalls mit den Menschen in seiner Umgebung und mit Menschen, denen er begegnet. Obwohl spielerische Elemente in dem Spracherwerb vielleicht eine gewisse Rolle spielen, wie einige Sprachforscher meinen (Pilch 1987), geschieht dieser nicht ohne * Anschrift des Autors: Haldesdorfer Str. 119 A, D-22179 Hamburg, Deutschland. Anstrengung. Vor dem eigentlichen Spracherwerb erwirbt das Kind das prosodische System und ebenfalls vor dem Spracherwerb muss das Kind eine Gurrphase und eine Lallphase hinter sich haben. In der Lallphase werden die Bewegungsabläufe der Sprechorgane trainiert. Das Kind testet alle Möglichkeiten seiner Sprechorgane, um Laute zu erzeugen und bereitet sich darauf vor, gewisse Laute in seiner künftigen Muttersprache zu verwenden. Offenbar werden die Laute auf der Grundlage der gehörten oder wahrgenommenen Laute ausgewählt und gestalten schließlich das Phonemsystem der Muttersprache. Obwohl alle möglichen Laute in der Lallphase vorkommen, haben Forschungen ergeben, dass die Sprechbewegungen häufiger ausgeführt werden, die später für die Bildung der Laute der Muttersprache erforderlich sind. Bewegungen, die für Laute erforderlich sind, die nie in der Muttersprache vorkommen, werden deutlich seltener ausgeführt. Diese Tatsache weist darauf hin, dass das Gehörte, d. h. die Sprache, welche in der Umgebung gehört wird, sehr früh im Erwerbsprozess bedeutsam wird. Dessen Rolle ist aber nicht vollständig geklärt. Es ist aber weitgehend geklärt, dass der Spracherwerbsprozess sehr systematisch abläuft. In seiner berühmten Untersuchung konnte Roman Jakobson (1941 [1972]) die Systematik des Erwerbs des Lautsystems des Kindes nachweisen und eine Verbindung zwischen der Kindersprache und den allgemeinen typologischen Eigenschaften von Sprachen herstellen. Gerade diese Systematik ist die Erklärung dafür, dass Kinder prinzipiell jede Sprache erwerben können. Sie sind nicht für eine bestimmte Sprache prädestiniert, sondern sie erwerben die Sprache, die sie in ihrer Umgebung erfahren. Die Lautstrukturen und die lautlichen Einheiten werden in der Kindersprache weitgehend in der gleichen Reihenfolge erworben, unabhängig davon welche Zielsprache das Kind erwirbt. Viele im Zusammenhang mit dem Spracherwerb gestellte Fragen bleiben aber ungelöst oder nicht zufriedenstellend beantwortet. Dazu gehört die Frage, warum bestimmte Elemente häufiger als andere vorkommen. Zwei Hauptthesen sind hierfür als Erklärung hervorgebracht worden. Einerseits die von Roman Jakobson in seinem soeben zitierten Werk, dass der maximale Kontrast das steuernde Prinzip sei. Danach werden die Elemente bevorzugt, die auf akustischer und artikulatorischer Ebene den größten Gegensatz aufweisen, welche dann auch am deutlichsten und einfachsten perzeptiv zu unterscheiden und artikulatorisch zu realisieren sind. Andererseits scheint auch das Prinzip zu gelten, dass die einfacheren Elemente vor den komplexeren erworben werden. Die Theorie der Natürlichkeit (Oresnik 2004) stellt dagegen fest, dass bestimmte Strukturen und Elemente in den Sprachen vorkommen, wenn sie natürlich sind. Die weniger natürlichen Elemente kommen seltener vor. Soweit ich es sehe, werden hierdurch keine Ursachen erklärt, sondern nur Tatsachen festgestellt. Die Erforschung der Kindersprache ermöglicht Einblicke in die Systematik und die Gesetzmäßigkeiten des Spracherwerbs und der Sprache überhaupt. Sie kann auch erklären, warum Sprachstrukturen so sind, wie sie in wirklichen Sprachen vorkommen und nicht anders. Und vor allem kann diese Kenntnis dafür eingesetzt werden, Kindern und Jugendlichen zu helfen, deren Spracherwerb nicht gesetzmäßig oder unregelmäßig abläuft. Die Kindersprache gleicht sich nach und nach der Erwachsenensprache an. Wie diese Angleichung im einzelnen geschieht und in welchem Alter sie vollzogen wird, ist wiederum ein Gebiet, in dem es viel zu erforschen gibt. Die Kindersprache ist aber alles andere als einfach oder primitiv. Während die Formenvielfalt in der ersten Zeit gering ist, ist das prosodische System sehr vielfältig und trägt zahlreiche semantische Elemente, die in der Erwachsenensprache durch Lexeme oder Morpheme ausgedrückt werden. Diese semantischen Einheiten werden im Verlauf der Entwicklung entweder an die Erwachsenensprache angeglichen oder sie werden eliminiert. Sie waren also nur Elemente der Kindersprache. In diesem Bereich gibt es noch viel zu erforschen. Die Erhebung authentischen Datenmaterials ist eine der großen Schwierigkeiten. Das Problem kann nur durch die Auswertung authentischen Datenmaterials gelöst werden. Nur begrenzt kann Material, das in experimentellen Versuchssituationen gesammelt wird, zur Erklärung der realen Verhältnisse herangezogen werden. Bestenfalls kann solches Material Hinweise darauf geben, in welche Richtung die Lösung gesucht werden soll. 3. DIE VIELZAHL VON SPRACHEN Wie viele Sprachen gibt es? Die Schätzungen schwanken zwischen 3500 und 6000 Sprachen (Crystal 2002: 3-4). Es können aber auch in der Fachliteratur noch höhere Zahlen gefunden werden. Was als Sprache zählt, hängt von den zugrunde gelegten Kriterien ab. Was wiederum als Sprache gilt und was als Dialekt gilt, muss auch geklärt werden. Im allgemeinen sind die Kriterien, um eine Sprachform als Dialekt einzustufen, nicht wissenschaftlicher Art, sondern politischer oder gesellschaftlicher Natur. Unter den gegenwärtig gesprochenen Sprachen ist die Formenvielfalt und die Kategorienvielfalt unwahrscheinlich groß (Corbett 1991; 2000; Cristoforo/Ramat 1999) und übersteigt bei weitem die Vorstellungen, die man haben könnte. Wenn dazu noch dokumentierte ausgestorbene bzw. rekonstruierte Sprachen gerechnet werden, ist die Vielfalt völlig überwältigend (Gippert 2003). Wichtig ist aber festzustellen, dass keine dieser Sprachen unter irgendeinem Gesichtspunkt einfach oder primitiv ist. Alle haben komplexe paradigmatische oder syntagmatische Strukturen. Prosodische Systeme von großer Kompliziertheit charakterisieren wiederum andere Sprachen. Von den bekannten Formen, in denen das Phänomen Sprache uns entgegentritt, kann keine Vorstellung davon gewonnen werden, wie eine primitive Sprache sein würde. Alle bekannten Sprachen werden durch die Arbitrarität des sprachlichen Zeichens charakterisiert, welche offensichtlich, so lange das Phänomen Sprache bekannt ist, ein fundamentales Prinzip geblieben ist. Sprachen sind prinzipiell verschieden. Dies müssen wissenschaftliche Theorien einkalkulieren. Trotz dieser Verschiedenheit kann jede Sprache in eine andere Sprache übersetzt werden, aber nicht Wort für Wort. Eine Übersetzung ist nur dann erfolgt, wenn der Text in einer Sprache in einer anderen Sprache gelesen werden kann. Der Übersetzer hat nur dann übersetzt, wenn er in der neuen Sprache den Text liest: Mit anderen Worten der Inhalt muss übersetzt werden. Diese Tatsache ist sehr bedeutend, weil sie darauf Hinweise gibt, dass das Wesen der Sprache vor allem in den semantischen Strukturen liegt. Diese können aber zur Zeit mit viel geringerer Genauigkeit als z.B. lautliche, syntaktische oder morphologische Strukturen beschrieben werden. Semantische Strukturen sind prinzipiell immateriell, benötigen jedoch eine materielle Basis, um verwirklicht werden zu können. Es ist auch nicht völlig geklärt, ob sie dem psychischen Manifestationsbereich der Sprache zuzurechnen sind. Wie sie materiell kodiert sind, ist weitgehend unbekannt und stellt zur Zeit eines der großen Probleme der Sprachwissenschaft dar. Sicher ist nur, dass die Kodierung in jeder Sprache auf verschiedene Formen erfolgt, welche dann lautlich realisiert werden. Allen Prozessen sprachlicher Kommunikation ist es gemeinsam, dass ihnen arti-kulatorische und physikalische Signale zugrunde liegen. In der Perzeption sind außerdem psychische Manifestationsbereiche der perzeptiven Qualitäten zu rechnen, welche nicht in die physikalische Kausalkette eingegliedert werden können, obwohl sie dazu in Beziehung stehen. Die Erforschung dieser Zusammenhänge steht noch am Anfang. Sie zu klären würde einen sehr großen Schritt bedeuten, der dazu führen könnte, die Natur eines so komplexen Kommunikationsmittels wie die menschliche Sprache zu verstehen. Dies ist im wahrsten Sinne des Wortes Grundlagenforschung, welche ungeahnte Anwendungsmöglichkeiten eröffnet. Es ist eine einfache Tatsache, die jedoch nicht immer gebührend beachtet wird, dass nichts angewandt werden kann, bevor es bekannt ist. Angewandte Sprachwissenschaft setzt grundlegende Kenntnis des Phänomens Sprache voraus. Diese Kenntnis ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht in allen Bereichen in dem notwendigen Ausmaß vorhanden und kann nur durch Forschung erworben werden. 4. Sprache und Sprachkrankheiten Die erworbene Sprache ist ein sehr empfindliches Gut, das in den sprachverarbeitenden Zentren des Gehirns lokalisiert ist (Springer/Deutsch 1995; gute allgemeine Übersicht geben Arnold (1970) und Luchsinger (1970)). Mühsam erworben ist die Sprachfunktion bzw. die Sprechfähigkeit, unter denen hier die Gesamtheit der mit Sprache verbundenen Fähigkeiten bzw. Tätigkeiten verstanden wird, leider auch sehr störanfällig. Verschiedene Erkrankungen können die Sprechfähigkeit ernsthaft gefährden oder sogar völlig blockieren. Die Aphasie ist die bekannteste aller Sprachkrankheiten. Sie tritt in verschiedenen Formen auf je nach dem, welche Gehirnzentren betroffen sind. Wenn es sich um Wortfindungsschwierigkeiten handelt, spricht man von Wernicke-Aphasie; wenn es sich um Sprechbewegungsschwierigkeiten handelt, spricht man von Broca-Aphasie. Wenn es sich um andere Krankheitsbilder handelt, werden sie entsprechend genannt (Peuser 1978). In der Aphasie ist das Lautsystem, das abgebaut wird, stark betroffen. Aber auch das prosodische System kann betroffen sein, obwohl dies seltener ist. Da das prosodische System vor dem segmentalen System erworben wird, ist es meistens stabiler und widerstandsfähiger. Wird es dennoch betroffen, hat es zur Folge eine kaum zu beschreibende Monotonie der sprachlichen Äußerungen. Wenn es so weit ist, dass das prosodische System betroffen wird, sind segmentale Einheiten meistens nicht mehr vorhanden. Wenn das gesamte Sprachsystem betroffen ist, spricht man von totaler Aphasie. Es kommen auch zahlreiche andere und feinere Unterschiede vor. Die Sprechapraxie, welche häufig in Verbindung mit Aphasie auftritt, weist auf Planungsschwierigkeiten beim Sprechen. Phonematische Paraphasien deuten darauf hin, dass das Phonemsystem betroffen ist, obwohl die Sprechbewegungen als solche möglich sind. Auch gehören stottern und Poltern zu bekannten Sprechstörungen. Sie können auf mehrere Ursachen zurückzuführen sein und sind daher häufig sehr schwer zu behandeln. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass die Probleme der Patienten, die an Sprachkrankheiten leiden, nur teilweise medizinische Probleme sind. Sie sind in ebenso großem Ausmaß linguistische Probleme (Dressler/Stark 1988). Sie können und müssen sogar, wenn Aussicht auf Erfolg gegeben sein soll, mit linguistischen Methoden behandelt und gelöst werden. Der klinische Phonetiker und der klinische Linguist sind unverzichtbar, wenn es darum geht, Therapiepläne für die betroffenen Patienten zu entwerfen und eine linguistisch fundierte Diagnostik durchzuführen. Die Wiederherstellung der Sprache erfordert linguistische bzw. phonetische Methoden. Diese setzen wiederum voraus, dass ein gutes und tiefgreifendes Verständnis der Prinzipien, nach denen Sprache funktioniert, vorhanden ist. Das kann nur durch Phonetik und Linguistik erreicht werden (Dogil 1989). Die Phonetik und die Linguistik stellen bedeutende Behandlungsmethoden zur Verfügung, die im Gesundheitssektor eingesetzt werden können. Bisher ist diese Tatsache zu wenig zur Kenntnis genommen worden. Sie sollte aber dazu Anlass werden, das Studium der Sprachen zu intensivieren, weil nur durch tiefgreifende Kenntnis der Sprache, ihrer Funktionen und ihrer Beschaffenheit, es möglich ist, dieses empfindliche Kommunikationsmittel für Therapiezwecke gezielt und erfolgreich einzusetzen. 5. SPRACHE UND SPRACHENLERNEN Die Lateralisierung der Gehirnfunktionen geschieht sehr früh. Einige Forscher meinen sogar, dass sie bei der Geburt schon vorhanden ist. Den Gehirnarealen werden bestimmte Funktionen zugewiesen, die dann ab einem bestimmten Alter und bis zum Lebensende dort lokalisiert sind. Warum das so ist, ist bis jetzt nicht völlig geklärt, aber die Lateralisierung scheint mit Vorteilen verbunden zu sein, da nicht eine Koordination des gesamten Gehirns für alle Aktivitäten notwendig ist und die Reaktion daher in vielen Fällen schneller erfolgen kann. Zu den lateralisierten Aufgaben des Gehirns gehört die Sprache, die für die überwiegende Mehrheit der Menschen in der dominanten linken Hemisphäre lokalisiert ist. Seit langem hat sich die Menschheit Gedanken über die Beziehung zwischen Sprache und Gehirn gemacht wie die Geschichte der Etymologie dieses Begriffs zeigt (Liberman 2004). Was rätselhaft erscheint, wenn die Kindersprache betrachtet wird, ist, dass Sprache im Erwachsenenalter (etwa ab 16 Jahren) nicht mehr mit der intuitiven Methode des Kindes erworben werden kann. Auch wenn es unter Erwachsenen große Unterschiede in der Fähigkeit des Erwerbs einer neuen Sprache gibt, gilt grundsätzlich, dass eine neue Sprache nicht intuitiv erworben werden kann, sondern nur analytisch und bewusst. Es ist sogar möglich, aber auch hier gibt es große individuelle Unterschiede, dass eine neue Fremdsprache, die im Erwachsenenalter erworben wird, nicht in der gleichen Hemisphäre lokalisiert ist wie die Muttersprache. Die Hemisphären können sich die Aufgaben bezüglich einzelner Sprachen unterschiedlich aufteilen. Da dies so ist, führt es dazu, dass für den Fremdsprachenunterricht im Erwachsenenalter bestimmte Methoden entwickelt werden müssen. Es kann hier nicht darum gehen, eine Methodendiskussion zu führen. Dafür soll der Hinweis auf Edmondson/House (1993) ausreichend sein. Als allgemeine Feststellung gilt jedoch festzuhalten, dass der Erwerb einer Fremdsprache von vielen Faktoren abhängt. Die Motivation des Lernenden ist ein sehr bedeutsamer Faktor, der Methodendefizite überwindet und sogar unter sehr ungünstigen Bedingungen zum Erfolg führt. Die Motivation muss als ein äußerer nicht vorhersehbarer Faktor gelten. In dem Erwerb einer neuen Sprache im Erwachsenenalter sind Kenntnisse der Grammatik und der Linguistik von großer Bedeutung, da solche Kenntnisse den Spracherwerbsprozess erheblich verkürzen und erleichtern. Sie unterstützen das analytische Denken und erleichtern dem Erwachsenen den bewussten Spracherwerb zu steuern und zu festigen. Aber die Unterrichtsmethoden sind nicht sprachunabhängig, auch wenn ihnen gewisse allgemeine Prinzipien zugrunde liegen. Je nachdem welche Sprachen als Zielsprache gelernt werden sollen, müssen bestimmte Aspekte stärker betont werden als andere. Mit anderen Worten die Methoden müssen nach der zu erwerbenden Sprache definiert und angepasst werden. Auch die Zielsetzung definiert die Methode. Wenn es nur um die Lesefähigkeit in der Fremdsprache gehen soll, ist die Methode eine andere als wenn die mündliche Kommunikationsfähigkeit das Ziel der Fremdsprachenerwerbs sein soll. In einer Zeit der Internationalisierung wie der heutigen ist die mündliche Kommunikationsfähigkeit in einer Fremdsprache ein sehr wichtiges Ziel. Es ist sehr wichtig, bewusst und zielgerichtet Lautdiskrimination in der Fremdsprache zu lehren und auf die Unterschiede hinzuweisen, die zwischen der Fremdsprache und der Muttersprache bestehen. Das Hörvermögen und die Hördiskriminationsfähigkeit müssen geschult werden (Schiller and Meyer 2003). Für dieses Ziel bietet das Sprachlabor einen unverzichtbaren Rahmen. Wenn größere Kenntnisse erworben worden sind, wird der Lernende diese automatisch einsetzen. Lernen einer Fremdsprache ermöglicht nicht nur den Erwerb einer neuen Kultur. Im günstigen Falle wird der Lernende sich sogar mit der neuen Kultur und der mit ihr verbundenen Gedankenwelt identifizieren. Er wird durch die Fremdsprache auch auf die Besonderheiten und Werte der Muttersprache aufmerksam gemacht. Er kann dadurch sein Sprachbewusstsein in der Muttersprache vertiefen und auch auf diese Weise besser in die Gedankenwelt der Sprache eindringen. Der Erwerb einer Fremdsprache verstärkt die Persönlichkeit und kann ein Beitrag zur Persönlichkeitsenwicklung sein. Er kann ebenso zur Weitsicht und Offenheit beitragen. Dies müssen als positive Faktoren gelten, in einer Zeit, in der die Kontakte unter Sprechern vieler Sprachen so intensiv geworden sind. 6. SPRACHE UND GEHIRNFORSCHUNG Eine Sprache zu sprechen ist keinesfalls eine triviale Feststellung oder eine unbedeutende Tatsache. Eine Sprache zu sprechen ist eine intellektuelle Höchstleistung, die angesichts der Kompliziertheit der Sprache bewundernswert ist. Eine Sprache zu sprechen geht weit darüber hinaus, was in der traditionellen Betrachtungsweise als Phonetik oder Sprachwissenschaft verstanden wurde. Hier ist es wichtig, sich an die Feststellung von Gerold Ungeheuer (1993: 107) zu erinnern, dass die Grenzen der Wissenschaften nicht künstlich herbeigeführt werden sollten. Sie sollten durch die Aufgabenstellung definiert werden oder sich durch die Aufgabenstellung sozusagen von selbst ergeben. In einer typischen Grenzwissenschaft wie der Phonetik ist dieser Gesichtspunkt besonders wichtig. Sprechen ist ein außerordentlich komplizierter Vorgang, der viele Gegensätze simultan beinhaltet. Wie Ferdinand de Saussure in seinem posthumen Werk cours de linguistique générale (1916 [1972]) mit seinen berühmten Dichotomien zum Ausdruck brachte, gilt dies auch für die Sprache. In neuerer Zeit hat Gunnar Fant (1977) diesen Gedanken wieder aufgegriffen, erweitert und darauf hingewiesen, dass Sprechen gleichzeitig diskret und kontinuierlich, deutlich und undeutlich, schnell und langsam, einfach und kompliziert ist. Es ist nicht möglich, den einen Aspekt untersuchen zu wollen und den anderen zu ignorieren. Beide Aspekte müssen untersucht werden, wenn eine einigermaßen ganzheitliche Vorstellung des Sprechens erreicht werden soll. Das ist aber nicht alles, denn Sprechen impliziert nicht nur Sprechbewegungen und Akustische Artikulation im Sinne von Ungeheuer (1993: 116), sondern auch kognitive Fähigkeiten. Unmittelbar an diese Tatsache verknüpft stellt sich die Frage nach der Informationsverarbeitung durch Sprache. Wie läuft die Informationsverarbeitung bzw. Informationsspeicherung durch Sprache ab? Wie arbeitet das Gehirn, um Information durch Sprache zu speichern und zu verarbeiten? Ist die Arbeitsweise des Gehirns für verschiedene Sprachen unterschiedlich? Gibt es Sprachen, in denen die Informationsverarbeitung schneller und leichter vor sich geht als in anderen Sprachen? Verarbeitet das Gehirn die Information auf die gleiche Weise in der Muttersprache und in einer Fremdsprache? Ist die Informationsverarbeitung durch Sprache anders als z. B. in der Mathematik? Dies sind alles Fragen von großem Interesse, die bisher keine befriedigende Antwort gefunden haben. Die traditionelle Sichtweise der Lokalisierung der Sprache in bestimmten Gehirnarealen ist zwar nicht aufgegeben worden, aber neuere Untersuchungen zeigen, dass eine Verbindung oder Vernetzung zu anderen Gehirnarealen vorhanden ist. Sprachliche Tätigkeit erfordert in vielfacher Weise eine Verbindung und ein Zusammenwirken vieler Gehirnareale, weit über das hinaus, was man zunächst gedacht hatte. Mit modernen nicht invasiven Methoden ist es möglich nachzuweisen, welche Gehirnareale aktiv sind und welche passiv bleiben, wenn sprachliche Tätigkeit abläuft, aber im einzelnen werden die Informationsverarbeitungsprozesse nicht vollständig verstanden. Untersuchungen zur Informationsverarbeitung sind bisher nur an wenigen Sprachen durchgeführt worden. Die Informationsverarbeitung kann aber kaum der Grund dafür sein, dass Sprachen unterschiedlich sind. Wäre sie das Kriterium, sollten alle Sprachen mehr oder weniger gleich sein. Sprachen sind aber prinzipiell verschieden. Es muss also andere Ursachen als die Informationsverarbeitung dafür geben, dass Sprachen so verschieden sind. Gerade die Verschiedenheit von Sprachen gibt uns eine Vorstellung davon, was in der Sprache möglich ist. Sie zeigt uns ebenfalls einige Möglichkeiten des menschlichen Gehirns, Information durch Sprache zu verarbeiten. Deshalb ist der Verlust einer Sprache nicht nur der Verlust einer Kultur, sondern schränkt auch die Möglichkeit der Wissenschaft ein, die kognitiven Kapazitäten des menschlichen Gehirns zu erforschen. Durch die Sprache sind wir im Besitz eines unvergleichbaren Instruments zur Erforschung des Gehirns. Mit etwas Zuversicht ist vielleicht vorauszusehen, dass die Frage nach dem Ursprung des menschlichen Geistes eines Tages gestellt werden kann. Wie entsteht Geist aus Materie? So könnte die Frage lauten. Wenn diese Frage gestellt werden und sogar vielleicht gelöst werden kann, kann dies nur mittels der Sprache geschehen. Dies ist im wahrsten Sinne des Wortes Grundlagenforschung und wird einerseits ungeahnte Möglichkeiten im wissenschaftlichen Bereich und andererseits im anwen-dungsbezogenen Bereich eröffnen. Dieser Forschungsbereich ist bisher stark vernachlässigt worden, aber seine Bedeutung ist vergleichbar mit dem der Teilchenphysik, welcher die Frage nach dem Ursprung und dem Wesen der Materie stellt oder der Astronomie, die nach dem Ursprung des Universums forscht. Große Mittel werden in die Forschung in der Luft- und Raumfahrt gesteckt. Mindestens den gleichen Stellenwert sollte die Forschung des menschlichen Gehirns und die Forschung in anderen Bereichen haben, in denen Sprache als Forschungsinstrument eingesetzt wird. 7. SCHLUSSFOLGERUNG Sprachen zu erforschen ist eine Aufgabe, die noch in den Anfängen steht, obwohl Sprachforschung eine lange Tradition hat (Malmberg 1991; Ottmer 2003). Einige Aspekte können sogar als beinahe unbekannt angesehen werden. Dazu gehört das Problem der Schnelligkeit der Informationsverarbeitung durch das Gehirn. Wegen der bewundernswerten Geschwindigkeit, mit der das Gehirn die sprachlichen Informationen verarbeitet, ist die Erforschung des Bereichs der Informationsverarbeitung im Gehirn außerordentlich kompliziert und schwierig. Die Zukunft wird zeigen, wie dieses Problem gelöst werden kann. Um hier zuverlässige Resultate zu erreichen, ist das Mitwirken von Sprachwissenschaftlern unerlässlich. Unsere Schlussfolgerung wäre daher, dass die Sprachforschung nicht eingeschränkt werden soll. Sie muss, ganz im Gegenteil, erweitert werden und ist ein sozialer und wirtschaftlicher Faktor ersten Ranges, obwohl sie nicht direkt in Handelsware umsetzbar ist. Bibliographie Arnold, Gottfried E. (31970) Die Sprache und ihre Störungen. Wien/New York: Springer-Verlag. Corbett, Greville G. (1991) Gender. Cambridge: Cambridge University Press. Corbett, Greville G. (2000) Number. Cambridge: Cambridge University Press. 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In Zeiten, in denen ein einseitig eng definierter Begriff der Wirtschaftlichkeit zum Maßstab aller Dinge geworden ist, wird in dem vorliegenden Artikel argumentiert, dass auch „Sprachenlernen" durchaus als ökonomischer Faktor betrachtet werden kann. Sprachen zu lernen ist für viele Menschen ein Element der Selbsterfüllung und Zufriedenheit, vielleicht sogar des Glücks, das in der menschlichen Gesellschaft nicht nur als sehr wichtig, sondern auch als Element gesellschaftlicher Stabilität betrachtet werden kann. Darüber hinaus liefert uns das Erforschen der Sprache den Schlüssel zum Verständnis, wie das Gehirn als informationsverarbeitendes Organ funktioniert und stellt die wichtige Frage, ob die Informationsverarbeitung in allen Sprachen gleich abläuft, oder ob es Unterschiede gibt und wie diese zu erklären sind. Letztendlich wird es nur durch die Sprache erklärt werden können, wenn es überhaupt erklärt werden kann, wie Geist aus der Materie entsteht. Diese fundamentale Frage kann nur eine Antwort durch das Verstehen des Mechanismus der menschlichen Sprache erfahren. Povzetek ZAKAJ SE MORAMO UČITI JEZIKOV IN JIH RAZISKOVATI Z mislijo na čas, ko je enostransko in ozko opredeljeni pojem gospodarnosti postal merilo vsega, se v tem članku argumentira, da se tudi „učenje jezikov" lahko šteje za ekonomski dejavnik. Učenje jezikov je mnogim prvina samoizpolnitve in zadovoljstva, morda celo sreče, kar vse v človeski družbi ni le zelo pomembno, temveč se lahko šteje tudi za prvino družbene stabilnosti. Razen tega nam raziskovanje jezika nudi ključ do razumevanja, kako možgani (kot organ, ki obdeluje podatke) delujejo, in odpira pomembno vprašanje, ali obdelava podatkov poteka v vseh jezikih enako - ali pa so v tem pogledu razločki, in kako se slednji razložijo. Navsezadnje se bo dalo samo z jezikom razložiti (če se sploh razložiti da), kako duh nastane iz materije. To temeljno vprašanje more dobiti odgovor samo, če dojamemo mehanizem človeškega jezika.