Die Kreuzer-Alpe bei Stein. Von Professor Dr. Johannes Frischauf. Durch das Feistritzthal bei Stein ist der Zugang zu den Hochspitzen der Saunthaler Alpen auf deren Südseite. Dieses Thal wird gebildet vowden beiden nach Süden verlaufenden Zügen, von denen der östliche von der Ojstrica, der westliche vom Grintovec (am Kankersattel) abzweigt; sie beginnen mit schmalen Rücken, die sich dann zu weiten Almenplateaus verbreitern. Der am linken Ufer der Feistritz trägt die weite, mehr als 20 km? messende, mit Wald und Wiesen besetzte Fläche mit den Almen Erzenik, Dol, KonjKica, der Großen und Kleinen Stein eralpe, von denen letztere, in 1500 m Höhe, wegen des bequemen Zuganges von der Stadt Stein, der schönen Aussicht, des guten Wassers u. s. w. sich zu einem Höhencurort ersten Ranges eignet, der gewiss von den größeren Städten der Monarchie einen starken Besuch erfahren würde. Diesmal wollen wir nur die letzte Höhe «Kreuzer- Alpe» des westlichen Zuges schildern, die im Krvavec (1853 rn) culminiert und wegen der leichten Ersteig- barkeit zu den lohnendsten Aussichtspunkten nicht nur der Umgebung von Stein, sondern von ganz Kram gezählt werden muss. 2 Das schöne Wetter Anfangs November 1899 — dazu ein Ferialtag am 6. November — war zu ver¬ lockend, als dass selbes nicht für einen Ausflug ver¬ wertet werden sollte. Am 3. November kam ich abends nach Stein, wo ich bei Fischer einkehrte. Herr Fischer, dessen Restauration seit Jahrzehnten berühmt ist, be¬ sitzt seit mehreren Jahren ein den modernen Anforde¬ rungen entsprechendes Hotel, das Wohl als mustergiltig bezeichnet werden kann; die alte Gemüthlichkeit und die mäßigen Preise sind noch erhalten, man wird hier als Gast im besten Sinne des Wortes behandelt und kann auch auf angenehme Gesellschaft rechnen. Der 4. November war ein Prachttag; anfänglich wollte ich nur einen Spaziergang nach Ulrichsberg (673 ru), dem letzten Pfarrdorfe auf dem nach Süden steil abfallenden Rücken der Senturßka Gora unter¬ nehmen. Ein angenehmer Weg, größtentheils durch Wald, führt in 2'/^ Stunden dahin. Zunächst geht man durch Theinitz, dessen hochliegend?, aussichtsreiche Kirche links bleibt, dann auswärts nach Vrhovje uns von hier entweder über Uhojce oder (etwas weiter, aber bequemer) über Sidral. Die Kirche mit ihrem frei¬ stehenden Glockenthurme, daneben der stattliche Pfarr¬ hof, stehen knapp am Rande des Plateaus. Von der Mauer des kleinen Friedhofes genießt man eine herr¬ liche Aussicht nach Süden: in die große Ebene bei Krainburg mit den zahlreichen Ortschaften, auf den Schneeberg, Blegas, Nanos und den nördlichen Theil des Triglavstockes. Die Lage von Ulrichsberg ist sehr schön; diesmal befand sich die Vegetation in der prächtigen Herbst¬ färbung, die Sträucher waren noch größtentheils grün, bei den Laubhölzern wechselten die Farben von Grün durch Gelb bis Rothbraun und bildeten mit den dunkelgrünen Nadelhölzern einen grellen Contrast. Bei 3 der Kirche traf ich Herrn Pfarrer Johann Hromeč, der seit einigen Wochen die Pfarrstelle übernommen hatte; dieser lud mich freundlichst zum Mittagsessen ein. Daselbst traf ich noch Herrn Rafael Perme, einen jungen Mann aus Stein, der sich als eifriger Natur¬ freund entpuppte und in der Umgebung von Stein sehr bewandert ist. In Ulrichsberg gedeiht das schönste Obst. Calville- äpfel von einer Größe, wie man sie nur bei Bozen findet, wurden Heuer in großer Menge geerntet. Der Hauptort der Obstcultur ist das nahe Theinitz. Vor etwa hundert Jahren hat der Besitzer Sedusak, unter¬ halb Ulrichsberg. die Veredelung der Obstbäume unter¬ nommen; sein Schüler Gerkmann (jetzt Uebungsschul- lehrer i. P. in Laibach) ist trotz seines hohen Alters noch unermüdlich mit der Veredelung thätig. Leider wird durch Zwischenhandel der Preis den Producenten so tief herabgedrückt, dass diese Heuer loco Bahnhof Stein für das Kilo dieser prächtigen Aepfel, die jeder Tafel zur Zierde gereichen, nur fünf Kreuzer erhielten. Im Friedhöfe besichtigte ich das Grabdenkmal des ehemaligen Pfarrers von Ulrichsberg, Simon Robic, der für die Naturkunde von Krain Bedeutendes ge¬ leistet hatte und mit den wissenschaftlichen Vertretern aller Länder im Verkehre gestanden war. Ich zählte ihn seinerzeit zu meinen Freunden, die mir bei meinen Studien in den Sannthaler Alpen vielfach behilflich waren. Pfarrer Robic erzählte mir, wie seine natur¬ wissenschaftlichen Forschungen ihm anfänglich die Feind¬ seligkeit von Seite der unwissenden bäuerlichen Be¬ völkerung eintrugen, die schließlich seine Versetzung nach Ulrichsberg zur Folge hatte; hier hatte aber ge¬ rade Robic ein überaus dankbares Gebiet für seine Forschungen gefunden, so dass er später jedes Anbot einer besseren Pfarre ablehnte. 4 Die Umgebung von Ulrichsberg mit der nahen Kreuzer-Alpe und Mokrica ist naturwissenschaftlich hochinteressant, das Sammeln brachte Robic auch einen beträchtlichen materiellen Gewinn, den er aber vollständig zur Hebung der geistigen Interessen, be¬ sonders der höheren Schulen von Krain, verwendete. Sein Grabdenkmal aus Marmor erzählt inkürze sein Leben und Wirken. In deutscher Übersetzung lautet die Inschrift: Simon Robiö geboren am 11. Februar 1824 in Kronau, ordiniert am 30. Juli 1850, gestorben am St. Ulrichsberg den 7. März 1897. Deine Liebe zu Gott und dem Volke zu lohnen, Wachsen drei Blümlein aus Deines Grabes Beet; Würde, unter den Gläubigen zierend wie Kronen, Segen, den du im Volke rings gesäet. Und Dein tiefer Blick in verborgenem Reiche, Unter den Wäldern und der Wiesen Grün, Simon, möge vor Gott im Himmel dir gleiche Ehre, die wir dir vergönnen, dauernd blüh'n. Im angenehmen Verkehre mit dem freundlichen Pfarrherrn und Herrn Perme verflossen zu schnell einige Stunden; ich nahm daher gerne die Einladung zum Uebernachten an. Der nächste Tag sollte der Kreuzer-Alpe gewidmet werden, wobei mich Herr Perme zu begleiten versprach. Der Nachmittag wurde mit einem Besuche der Hochliegenden Kirche St. Ambrosi ausgefüllt. Der 5. November war noch schöner als der Vor¬ tag. In reinster Klarheit hoben sich im Westen die Bergspitzen vom blauen Himmel ab, in der Ebene lagerte Nebel, aus dem die Gipfel der Hügel wie Inseln hervorragten, als wir uns um 7 Uhr auf den 5 Weg machten. Dieser zieht an der Lehne bei Feldern und Wiesen vorbei an den Ostfuß der bewaldeten Höhe Vertace, hier in das Thal Jaska (auf der Karte «Pozanic-Gr.»), nordwestlich unterhalb der St. Leon¬ hard-Filialkirche vorbei an das Ende der Mulde, dann durch Wald in eine zweite Mulde mit Feldern, in einer Stunde zu einem Bildstocke nahe einer Ein¬ sattlung. Von hier geht es steil über Wiesen mit ein¬ zelnen Bäumen in einer Viertelstunde zur Kirche St Ambrosi (1086 in); etwas bequemer ist es, vom Bildstocke rechts den breiten Weg zum Bauernhöfe Lomberger einzuschlagen. Die Kirche steht auf einem Absätze des mäßig geneigten Hanges; sie ist 13'/2 Meter lang und über vier Meter breit. Ueber ihr Alter konnte ich nichts erfahren; in den Türkenkriegen soll sie nach der Volks¬ erzählung viel gelitten haben. Sie diente den Türken als Stall, der Altarstein, von dem man die Ambrosi- Statue herabstürzte, als Pferdetrog. Nach dem Abzüge der Türken wurde die Statue wieder aufgerichtet, und wie das Directorium von 1653 berichtet, wurden als Messtage angesetzt: Philipp und Jakob, Paulus, Laurentius, Katharina; später wurde noch der dritte Sonntag nach Ostern hinzugefügt. Der jetzige Altar mit den Statuen Ambrosi, Philipp und Jakob wurde 1881 von Franz Osole errichtet. Die Kirche hat drei Glocken, 7, 4 und 18 Centner schwer; sie ist im Besitze von 2 Joch 290 Quadratklafter Grund. In der Umgebung gedeiht noch Obst. Links von der Kirche steht das Messnerhaus, rechts davon ein großer gemauerter Bildstock mit dem Ambrosi- Bildnis, hinter dem Bildstocke ist eine starke, aus dem Fels entspringende Quelle; gewiss war dies die erste Anlage vor dem Kirchenbaue. Die Aussicht ist hier noch viel umfassender als vom Ulrichsberg, die ganze 6 Triglavgruppe ist sichtbar. Beim Bildstocke führt der Almweg, anfangs durch Nadelwald, bald durch Buchen¬ wald, ziemlich steil aufwärts, zuletzt mäßig steil durch Mischwald in drei Viertelstunden zur Höhe der See¬ alm (Ua söMros, 1500 in). Sechs Hütten, fünf aus Stein, die erste aus Holz, stehen am Beginne des Wiesenplateaus, ein kleiner Tümpel ist in der Nähe, ein kleiner See liegt auf der bewaldeten Höhe im Nordosten. Der Weg führt nun unbedeutend aufwärts über den Almboden, mit einzelnen Bäumen daneben, zuletzt etwas abwärts in den Grund der Rinka-Schlucht, dann wieder aufwärts in 25 Minuten zur Hütte der Kreuzer- Alm, einer großen gemauerten Steinhütte, die mit den Seehütten gleiche Höhe besitzt. Von der Hütte geht man anfangs weglos über Almboden aufwärts, dann führt ein Steig weiter schief durch die Lehne, wo die Nadelbäume wieder dichter stehen, zur Schneide des nach Südwesten abfallenden Nebenrückens. Zuletzt längs Steigspuren zwischen Krummholz, an zwei Mulden vorbei, erreicht man die sanft geneigte Kuppe des Krvavec (1853 m) in drei Viertelstunden. Der Weg ist vom Slovenischen Alpenvereine gut markiert; Herr Perme versprach mir, auch die Markierung des Weges nach Ulrichsberg zu erneuern, was sehr wünschens¬ wert ist. Eine herrliche Aussicht lohnte die geringen Mühen dieser Tour. Genau im Norden steht Grintavec, links die Kanker-Kocna. Diesmal war auf beiden Höhen nicht die geringste Spur von Schnee sichtbar. Dem Grin¬ tavec sind der felsige Greben und die breite Mokrica vorgelagert; über deren Vertiefungen erblickt man die Štruca und Skuta und die Planjava. Ueber die Niederung bei der Alm Dol des Steineralpen - Pla¬ teaus sind die Praßberger-Alpe und der Bacher sichtbar. 7 Links von der Kanker - Kocna steht die Košuta, nordwestlich erheben sich Theile der Hohen Tauern (Hoch- nar und Glocknergruppe), dann folgt Storzie; überaus großartig dehnt sich von Westnordwest bis Westsüdwest der Triglavstock (KukovaSp.,Rogica, Razor, Triglav, Krn), dessen Spitzen keine Spur von Neuschnee zeigten. Zwischen Storzie und dem Triglavstock sind einzelne Spitzen der Karawanken sichtbar, daran schließen sich die Wocheiner-Berge, Poresen, Blegaß, Nanos, Monte Maggiore, Schneeberg, Gotlscheer - Berge, Uskoken, Kum, Slemen und Menina. Im Süden lagerte noch Nebel über einem Theile der großen Ebene zwischen Krainburg, Bischoflack und Laibach; bei klarem Wetter sind mehr als hundert Ortschaften, Kirchen sowie die Städte Krainburg, Bischoflack, Laibach und Stein sichtbar; ebenso kann der Lauf der Flüsse Save, Kanker, Zeier und Feistritz auf große Strecken ver¬ folgt werden. Schön ist auch der Einblick in das obere Kankerthal, wie ein schmales Band zieht die Reichs¬ straße durch die enge Schlucht. Die Temperatur war an beiden Ausflugstagen sehr hoch, in der Sonne war die Hitze fast un¬ erträglich. Leider hatte ich kein Thermometer mit; die »Wetterkarte- notierte als höchste und niederste Tem¬ peratur: am 4. November Laibach 16", 12°, Obir 9°, 3"; am 5. November Laibach 17°, 4°, Obir 13", 6°. Auf der obersten Kuppe war die Flora noch sehr entwickelt; wir fanden in Menge den Frühlings- und Wimper- Enzian, vereinzelt die Goldranunkel und die Flocken¬ blumen. Die ausgedehnte Alpe, wo im Sommer infolge der vielen weidenden Pferde und Rinder ein reges Leben herrscht, ist Eigenthum der Herrschaft Kreuz; sie ist für 80 fl. jährlich verpachtet. Vom Gipfel führt ein guter Weg, anfangs west¬ lich über den Almboden, dann südwestlich durch Walv 8 am Rücken, zuletzt nördlich hinab in anderthalb Stunden zur Kirche von Kanker — der kürzeste und bequemste Zugang zu dieser lohnenden Höhe. Nach Norden fällt der Gipfel der Kreuzer-Alpe nur wenige Meter bis zur Einsattelung des nächsten breiten Plateaus -Mokrica, ab; auf dieser Ver¬ bindungsschneide sind zwei Lacken. Nördlich von der Mokrica zieht cin langer Rücken zum Greben, der nach Osten in steilen Wänden zum Feistritzthal ab¬ fällt, gegen Westen die weite Alpenmulde Ool^a njiva trägt; am Rücken weiter gelangt man ohne Schwierig¬ keit auf den Greben, dies ist der leichteste Weg zum höchsten Gipfel, 2224 m. Der Abstieg vom Rücken in die Mulde OoIZa njiva ist bequem, von hier führt ein Steig durch die Roblek- Schlucht in die Kanker zwischen Polschner und Kirche. Dieser Steig war bis vor wenigen Jahren schwer zu begehen, die Alpe ist aber jetzt im Besitze des Bauers Zavnik (Sulzbach), der 1898 durch Felssprengungen einen bequemen Weg zum Auftriebe von Rindern an legen ließ. An der Ostseite des Greben führt ein Steig in das Almengebiet Kauca, das von Ursit aus bewirtschaftet wird. Auf der Mokrica befindet sich eine Höhle, welche wegen der Funde von Knochen des llrsus spnlans be¬ rühmt ist. Pfarrer Robic hat mehrere vollständige Skelette aus derselben herausgeschafft. Der Zugang ist aber nur wenigen Aelplern bekannt, und diese halten ihn möglichst geheim, da der Aberglaube herrscht, dass diese Höhle große Schätze berge. Die Mokrica ist auch für den Botaniker äußerst lohnend, sie ist ein wahrer botanischer Garten; Freunde von Edelweiß finden diese Pflanze im Juli und August in großer Menge und in prächtigen Exemplaren. Nach etwa anderthalbstündigem Aufenthalte kehrten wir auf dem alten Wege zurück. Bei der Kreuzer- g Hütte hielten wir noch eine längere Rast; im Walde kamen wir kurze Zeit in den Nebel, doch dieser verzog sich bald, und bei herrlichem Sonnenscheine waren wir um 2^/, Uhr in Ulrichsberg angelangt. Es war ge¬ rade Gottesdienst; nach Schluss desselben hatte ich Ge¬ legenheit, den kräftigen Menschenschlag zu bewundern, der diese sonnigen Höhen bewohnt; die hiesigen Bauern sind noch ziemlich wohlhabend. Nach einer einstündigen Rast nahm ich dankend Abschied vom freundlichen Pfarrherrn; Herr Perms gab mir noch eine Stunde das Geleite, und um 5 V. Uhr betrat ich Fischers gast¬ liches Haus in Stein.