>n die hohe Auszeichnung, daß man große Mühe hatte, ihn zur Annahme derselben zu nöthigen. Aber endlich gelang dieses doch und er wurde vor den Tbron geführt, von wcl chem herab ihm der Bey hochsteigenyändig den Orden umhängte. Nun noch einige Bücklinge beim abermaligen Ueberreichen ^'r Kaffeetassen und Besprengen mit Nossenessenz, dann noch zum Abschied einige schließliche Kratzfüße und die Audienz 5S war zu allseitiger Befriedigung und allgemeinem Wohlgefallen beendigt. Nachdem der Fremde unter denselben Ceremonien, welche seinen Eintritt bezeichnet hatten, abgeführt worden war, und als der Pascha sich eben bereits anschickte, in seine inneren Gemächer zurückzukehren, da trat plötzlich der erste Minister vor die Stufen des Thrones und überreichte seinem Herrn ein versiegeltes Schreiben, mit französischer Adresse an den Souverän gerichtet. Dieser Vrief, so erklärte er, sei von dem vornehmen Fremden bei seiner Ankunft am Thore abgegeben worden. Alle sahen sich erstaunt an und Niemand begriff, wozu ein solches Schreiben nöthig sein konnte. Aber der Bey gab seinem ersten Dolmetscher Befehl, dasselbe unverzüglich zu öffnen und dessen Inhalt zu verdolmetschen. Da der Brief in französischer Sprache abgefaßt war, so hätte dieses keine Schwierigkeit geboten. Dennoch gerieth der Dolmetscher beim Anblick der Schrift in große Verlegenheit, wurde roth und zitterte vor Scham und Beängstigung. Nur ein ausdrücklicher, scharf ausgesprochener Befehl des Herrschers konnte ihn dazu bringen, seine Verlegenheit zu bc-meistern und den Inhalt des Schreibens mitzutheilen. Dieses lautete zum allgemeinen verblüfften Erstaunen dahin, daß der Fürst Pückler - Muskau außerordentlich bedauere, heute nicht die hohe Ehre genießen zu können, Seiner Hoheit, dem Bey, die Aufwartung zu machen, da ihn ein plötzlicher Fiebcr-anfall an's Bett gefesselt halte. Er hoffe jedoch unverzüglich nach seiner Wiederherstellung sich dicse ausgezeichnete Ehre schenken zu können. Allgemeine sprachlose Ueberraschung folgte der Lesung dieses unerwarteten Schreibens. Am schnellsten jedoch erlangte der Pascha selbst die Fassung wieder. „Wenn also nicht der Fürst derjenige war", so fragte 57 kr, „welchen wir soeben empfangen haben, wer war es denn? Wahrscheinlich ein naher Verwandter desselben, vielleicht sein Bruder, jedenfalls eine ihm an Rang sehr nahe stehende Persönlichkeit: denn offenbar gehörte der Fremde dem höchsten Stande an, wie sein vornehmer Anstand, seine prächtige Generalsuniform, seine großen schonen silbernen Epaulette, seine schmuckvolle Waffe und namentlich seine pomphafte Kopfbedeckung mit dem großen, prachtvollen Federbusch wohl zur Genüge andeuten dürften." Der erste Minister wagte zwar eine sehr gesuchte Erklärung, indem er anzunehmen vorgab, der Fürst könne sich ia später, nachdem er schon das Schreiben abgefaßt hatte, besser gefühlt und zuletzt doch noch in Person herbegeben haben, so daß man schließlich dcnnoch den authentischen Fremden empfangen hätte. Aber der Bey wollte von dieser bei den Haaren herbeigezogenen Erklärung nichts wissen und gab beni, der sie gemacht hatte, den Auftrag, sich unverzüglich beim preußischen Consul zu erkundigen, wer der in Audienz statt des Fürsten empfangene Fremde denn eigentlich gewesen sei? Die Antwort des Consuls ließ nicht auf sich warten. Der durch die Audienz geehrte, mit Auszeichnungen überhäufte und mit dem Nischan Iftichar vom Vey eigenhändig dccorirte 3remde war Niemand anders gewesen, als der Leibjäger des 3ürstcn, welcher die gewohnliche grüne Iägerlivree mit Silber-eftauletten, Federbusch und Hirschfänger trug, die man für elne Generalsuniform angesehen hatte. Dieser Jäger war uur zur Ueberbringung des Schreibens nach dem Vardo gefahren und hatte sich dort alle die seinem Herrn zugedachten Ehrenbezeugungen unschuldig und absichtslos gleichsam mit Gewalt aufnöthigen lassen, deren Bedeutung er übrigens kci- 58 neswegs verstand, sondern des Glaubens war, das sei die gewöhnliche Manier orientalischer Höfe. Die tunisischen Großen geriethen in Consternation über diesen komischen Mißgriff und die europäische Colonie besaß für lange Zeit ein Thema, um sich über den Hof lustig zu machen. Aber der Herrscher selbst nahm diese Geschichte lange nicht so übel auf, wie seine Hofschranzen - er gab im Grunde genommen wenig auf Etiquette und hielt dieselbe nur für ein eitles Blendwerk für den Pöbel und für eine Nebensache. Bald fing er selbst an, über den Vorfall zu lachen und der Hof mußte sein Beispiel nachahmen. Aber den Orden mußte er denn doch zurückhaben. Der Leibjäger des Fürsten Pückler-Muskau soll auch diesem souveränen Wunsche des Bey keine Schwierigkeiten entgegengesetzt und den eitlen Tand bereitwillig gegen ein werthvolles Geldgeschenk ausgetauscht haben, welches für ihn ungleich brauchbarer erschien, als eine Decoration, die er doch wohl niemals in seinem Vaterlande, Schlesien, hätte tragen können, ohne ausgelacht zu werden. Neben seinen ausgezeichneten Eigenschaften besaß Ahmed Bey leider einen Hauptfehler, welcher zu seinen Lebzeiten von den Consuln und von der europäischen Colonie in Tunis ausschließlich hervorgehoben zu werden Pflegte, so daß man damals fast nur von dieser Nachtseite im Charakter des Fürsten sprach, bis man erst nach seinem Tode durch den Contrast seiner Negierung gegen die seiner unfähigen Nach-olger an seine wirklichen Vorzüge gemahnt werden sollte. Dieser Fehler bildete eine allzugroße Vorliebe für seine Günstlinge, oft ganz unwürdige Subjecte, welche sich durch nichts auszeichneten, als durch Jugend und ein vortheilhaftes Aeußcre. Manche derselben waren im zartesten Knabenalter an seinen Hof gekommen und hatten daselbst noch in den jugendlichsten Jahren die fabelhafteste Carriüre gemacht. Unter diesen be- 59 fand sich auch ein junger Grieche, welcher dem Pascha vom ^loßsuitan nebst andern jungen Sklaven geschenkt worden war, der sich so sehr des souveränen Wohlwollens erfreute und eine so reißend schnelle Carriere machte, daß er schon wit zwanzig Jahren als Minister und natürlich auch als General siguriren sollte. Aber damit zeigte sich die Gunst ^es Bey's noch nicht erschöpft. Der Grieche, welcher inzwischen Moslem geworden war, erhielt die eigene Schwester bes Souveräns zur Gemahlin und wurde durch ein Deeret Zu einem Mitglied der hcrrscherlichen Familie erklärt. Ich erwähne dieses Günstlings nur deshalb, weil er sich als Mauer Grieche, unter den beiden nachfolgenden Herrschern Ul Gunst und hoher Stellung zu erhalten gewußt hat und "och heut' zu Tage erhält, und weil er Niemand anders ist, als der schon seit fünfzehn Jahren die Geschicke dieser Ne-Ncntschaft lenkende erste Minister, Mustavha ei Chasnadar, der thatsächliche Beherrscher dieses Landes. Aber wie groß auch immer die Schwachheit Ahmed ^ey's seinen Günstlingen gegenüber gewesen fein mag, so ^eit ging diese doch nicht, denselben einen Einfluß auf die Staatsgeschäfte zu gestatten. Vr schmückte sie mit Orden und eitlen Titeln, zu denen selbst der unter ihm ganz em-'lußl»se Miuisterrang gehörte, er überschüttete sie mit Reich-ll)um, aber sie waren und blieben nichts, als seine Geschöpfe, willenlose Werkzeuge in der Hand des sclbstregicrenden Für-^n. Es würde heut' zu Tage besser um das unglückliche ^uniö stehen, wenn Ahmeds Nachfolger hierin sein Veisfticl '^chgeahmt hätten. Unter seinen Günstlingen befanden sich leider nicht nur viele unwürdige, sondern oft auch schreiend undankbare, welche die Güte des Mrsten, der sie aus dem Lichts hervorgezogen hatte, auf die schändlichste Weise durch Mißbrauch des Vertrauens und Verrath vergalten. Dje 60 Geschichte eines derselben hat ihrer Zeit m ganz Europa vieles Aufsehen erregt. Da sie dem Bereich der Zeitungen angehörte und manchem meiner Leser noch aus den vierziger Jahren dieses Jahrhunderts erinnerlich sein dürfte, so erwähne ich ihrer nur in aller Kürze. Dieser Günstling, ein gewisser Ben Ayet, hatte vom Bey das Amt eines Obersteucrverwal-ters erhalten und auf die wucherischste Weise durch Erpressungen und Betrug aller Art ausgebeutet, bis er schließlich ein sehr reicher Mann, man sagt ein zehn- oder zwölffacher Millionär, geworden war. Aber mit Ahmed Bey schien ihm denn doch nicht zu spaßen und die Furcht, endlich überführt und seiner gestohlenen Reichthümer beraubt zu werden, führte ihn zu einem Schritt, bei welchem ihm eine europäische Regierung, die französische, zu ihrer ewigen Schmach mit Rath und That an die Hand gehen sollte. Er ließ sich nämlich, Wie man sagt auf Anrathen des Consuls und durch dessen Vermittlung, in Frankreich naturalisiren, schasste den größten Theil seiner disponiblen Reichthümer dorthin und folgte ihnen dann selbst eines schönen Tages nach, um nicht wieder in seine Vaterstadt zurückzukehren. Der Bey hatte ihn nun gut vor seinen Nichterstuhl fordern, dessen Herausgabc von Frankreich zu verlangen, Alles half nichts. Ben Ayct war französischer Bürger und wurde von seinem ncucn Vaterland geschützt. Dieser Schutz machte ihn sogar so kühn, daß er es wagte, seinem frühern Herrn einen Proeeß anzuhängen, durch welchen er von diesem die Herausgabe seines noch in Tunis befindlichen Eigenthums verlangte. Aber damit sollte es ihm schlecht gehen. Er wurde von den französischen Advokaten so fürchterlich betrogen, daß er nicht nur seinen Proceß nicht gewann, sondern auch noch einen Theil seines Vermögens einbüßte. Schließlich erwachte auch das Schamgefühl der französischen Negierung, welche inzwischen die reftublika- 61 Nische Form angenommen hatte, und.diese ließ ihm den Rath ^theilen, sich ganz ruhig zu verhalten, oder lieber noch das ^and zu verlassen, da man gar nicht recht wisse, ob seine Naturalisation nach dm Gesetzen gültig sci. Ben Ayet liest ^ch das nicht zweimal sagen, wanderte noch einmal und zwar ^tzt nach Constantinoftel aus, wo er ein sehr erbauliches ^eben geführt und im Geruch der Heiligkeit gestorben sein soll. Als Ahmed Pascha endete, hinterließ er seinem Vetter und Erben Mohammed Bey ein in jeder Hinsicht blühendes, wohlhabendes und in sichtbarem Fortschritte begriffenes Land. Dieser hätte nur auf dem betretenen Wege fortzuschreiten brauchen und Tunis wäre vor dem Abgrund bewahrt wor-^n, in welchen es unter ihm und seinem Nachfolger sinken sollte. Aber Mohammed Bey verstand nicht selbst zu regieren, er besaß nicht die Charakterstärke seines Vorgängers, er war ^n sogenannter „gütiger" Fürst, daß heißt nachsichtig gegen seine Großen, Beamten und Offiziere, das Schlimmste, was ein orientalischer Fürst sein kann. Diese vermeintliche Güte hatte auch hier wie überall zur Folge, daß das Volk nun statt eines selbstregierenden Despoten hundert kleine Tyrannen belang, die sein Mark aussaugtcn und dabei doch die Staatskassen leer ließen, so daß jener finanzielle Nuin, welcher heut' öu Tage vollendet erscheint, damals eingeleitet wurde. Die-1cm Fürsten ging es grade entgegengesetzt, wie seinem Vorgänger. Bei Lebzeiten, wenigstens in den ersten Jahren, "^gemein gerühmt und von dcn Europäern einiger nichts' '"genden Reformen wegen gepriesen, ist er nun allgemein ^lgcssen, oder, wenn man seiner erwähnt, so geschieht es nicht "Uf lobende Weise. Diejenigen Eigenschaften, welche man "N ihm besonders rühmte, erschienen freilich mehr negativer Natur. Man rechnete es ihm sehr hoch an, daß er frei von l^ner Vorliebe für Günstlinge war, welche seinem Vorgänger 62 vorgeworfen wurde. Dies muß mm allerdings vom Standpunkt der Privatmoral als ein großer Vorzug erscheinen, aber vom politischen genügt eine solche rein negative Tugend nicht. Ahmed Pascha hatte, trotzdem daß er ein Heer von Günstlingen besaß, diese im Zaum gehalten, Mohammed dagegen, welcher frei von dieser Schwachheit war, ließ allen verderblichen Leidenschaften seiner Untergebenen freien Spielraum. Das ganze Heer von Mameluken, welches seines Vorgängers eiserne Energie in Schranken gehalten hatte, erhob nun sein vielköpfiges Haupt und dieses Ungeheuer schadete dem ^ande mehr, als zehn noch so tyrannische Regierungen selbstherrschendcr Monarchen. Aber selbst die Gunst der Europäer sollte Mohammed Bey in den letzten Jahren seiner Regierung verscherzen. Diesem schwachen, gutmüthigen Fürsten war es nämlich vorbehalten, in den Ruf des grausamsten, fanatischsten unter allen modernen orientalischen Herrschern zu kommen und zwar einzig in Folge seiner unglaublichen Schwachheit und Ungeschicklichkeit im Handhaben der souveränen Gewalt. Folgendes bedauerliche Ereignis; gab zu dieser Sinnesänderung der Europäer in Bezug auf den Pascha Anlaß. Ein betrunkener Jude hatte die Religion des Propheten gelästert und war deßhalb von der Polizei festgenommen worden. Diese brachte die Angelegenheit vor den Richterstuhl des Bey, welcher nach moslinüscher Sitte von Zeit zu Zeit persönlich zu Gericht sitzt, und der Vey beging die Ungeschicklichkeit, die Sache dem geistlichen Tribunal, das heißt einem fanatischen Collegium ultraorthodoxer Ulema's, zuzuweisen. Nicht leicht war es möglich, eine größere Dummheit zu begehen, denn in seiner Absicht konnte unmöglich die grausame Hinrichtung des Juden liegen, da er sich durch eine solche Maßregel den drohenden Vorstellungen der europäischen Negierungen, namentlich Eng' 63 lands und Frankreichs, aussetzte, welche in neucrcr Zeit überall ln fremden Bändern Humanität predigen, nur nicht in ihren eigenen Colonien dieselbe ausüben. Zugleich hätte er bcden-ken sollen, daß, sowie die Sache einmal dem geistlichen Tribunal übergeben war, dieselbe nur im Sinne des Fanatismus entschieden werden konnte, und daß alle seine Macht nicht hinreichen würde, diesen Nichtcrspruch zu ändern. Der kirchliche Gerichtshof verurtheilte natürlich den Lästerer zum ^ode. Nun findet nach »noslimischem Gesetz nach diesem Tribunal keine Appellation statt, ja dessen Aussprüche können Nicht einmal im Gnadenwege gemildert werden. Dennoch versuchten die Consuln ihr Möglichstes, um den Bey zur Ännullirung des Urtheils zu bewegen und dieser, nachgiebig Wie er von Natur war, zeigte sich auch wirklich bereit dazu. Aber nun drohte ihm ein neues Unheil. Der, gesammte geistliche Gerichtshof stellte seine Abdankung in Aussicht, wenn bas Urtheil nicht vollstreckt würde. Bei dem allgemeinen Ansehen, welches dieser Gerichtshof von Seiten der fanatischen Moslems genießt, welche ihn als das letzte schützende Bollwerk 'hrer Religion anzusehen lieben, hätte dessen Amtsniederlegung höchst wahrscheinlich zu einer Revolution geführt und jedenfalls dem Bey für immer die Herzen seiner Unterthanen entfremdet, denn ein Moslem verzeiht Alles, nur nicht Lauheit in der Religion. Der Fürst darf ihn schinden, bis auf's Hemd ausrauben, seine Kinder der Schande preisgeben, er barf in einem Sumpf des Lasters versinken, nur nicht gegen bie Religion, das heißt gegen die grausamen Vorschriften kines blinden Fanatismus handeln. Aus diesem einzigen Grunde findet der Moslem eine Revolution gerechtfertigt. Der Bey befand sich nun zwischen Scylla und (5harybdis, auf der einen Seite die Drohungen und die Feindschaft der Großmächte für den Fall, daß er den Juden hinrichten ließ, 64 auf der andern Seite Rebellion seines Volkes und möglicherweise seine Entthronung und sein Tod, wenn er den Juden nicht hinrichten ließ. Einem von beiden Nebeln mußte vor-gebeugt werden', cr zog deßhalb nur seine Schwachheit zu Rath und entschloß sich, die unmittelbar drohende Gefahr, welche doch von seinen eigncn Unterthanen, ja von seiner eignen Armee herrührte, denn diese war ebensosehr fanatisirt, wie der Pöbel, zu beschwören; er unterzeichnete das Urtheil und der Jude wurde auf jene grausame Weise hingerichtet, wie sie bei Moslems üblich und deren Grausamkeit durch die Ungeschicklichkeit des Scharfrichters noch erhöht erscheint. Nun hatte Mohammed Pascha zwar Ruhe vor seinem eignen Volke, sah sich aber den Vorstellungen der Großmächte desto offener preisgegeben, welche ihm den Rest seines Lebens mit Necriminationcn aller Art verbitterten, das Versprechen von Gleichstellung aller Religionen und andern ähnlichen, im europäischen Sinne liberalen Reformen von ihm erpreßten, Reformen, welche ihn wieder mit seinem Volt entzweien mußten. Zuletzt zwangen sie ihn gar noch zu dem Unerhörtesten, nämlich dazu, seine Zustimmung zu einer in jeder Hinsicht für einen moslimischen Staat unpassenden, lächerlichen, sogenannten Constitution zu geben. Die Ausführung dieser verrückten Maßregel erlebte der gutmüthige Fürst nicht mehr. Er starb, turz nachdem er seine Einwilligung zur sogenannten Verfassung gegeben hatte, und man schrieb seinen Tod allgemein dem dummer und den Sorgen zu, welche ihm die Geschichte mit dem Juden und deren Folgen bereitet hatte. Andere wollen freilich das frühe Ableben des Vey's den Harcmsgenüssen zuschreiben, welchen dieser Fürst sich ganz besonders ergeben zeigte. Darin nämlich erwies sich Mo-hammcd Pascha als ein ächter Nachfolger seines Propheten, und erfreute das Herz aller guten Moslems dadurch, daß er 65 b« alten orientalischen Harcmstraditionen, welche unter dem "ur einmal vermählten Ahmed Vey beinahe in Vergessenheit lierathcn waren, wieder mit all' ihrem Glanz und Pomp, "ut einer vollständigen Vierzahl von Gattinnen, einem kleinen Heer von Sklavinnen und Odalisken in's Dasein rief. Die->er Fürst schien sogar in einem solchen Grade für weibliche Schönheit eingenommen, daß ihm sein gewöhnlicher Stab von «räum und NcVengattinncn nicht genügte, und das; er, so oft ^ in den Straßen seiner Hauptstadt irgend eine Schönheit erblickte oder zu entdecken glaubte, denn bei der Verschleierung !st die Sache etwas schwierig, dieselbe für sein Harem recla-inirte und mochte sie auch die Verlobte oder gar schon die Gattin eines Andern sein. Cr zeigte sich auch so aufgeklart Und vorurtheilslos, daft selbst schöne Jüdinnen vor seinen ^Ugen Gnade fanden und hierbei soll ihm die sprichwörtliche ^crderbtheit der Israelite«: von Tunis, welche im Nufe stehen, ^« Ehre ihrer Frauen und Töchter zu verkaufen, auf mehr als halbem Wege entgegen gekommen sein, so daß ein Wink genügte, Um die Schöne in scine Arme zu liefern. Sogar auf hübsche Europäerinnen soll sich seine Gunst zuweilen ausgedehnt ha-^n- die grauen und Töchter der ärmeren Malteser und Ita U'Ncr zeigten sich auch keineswegs als uneinnehmbare Festungen. Die Sache pflegte freilich fast immer mit jenem Ge« '^iinniß betrieben zu werden, welches von den eigenthümlichen Zurichtungen orientalischer Höfe und Harems so sehr be-^u'ustigt erscheint. Aber mancher kostbare Schmuck fand seinen ^eg aus dem Serail in's europäische Viertel und offenbarte ^Utlich, welchen Verdiensten die Besitzerin ihn verdankte. , ^n munkelt sogar allerlei davon, daß nicht nur ärmere, ludern sogar oft ganz anständige Europäerinnen, deren Man-"^ eine gewisse höhere Stellung einnahmcn, auf solche Weise ^' dvn Besitz von Diamanten von hohem Werth gelangt seien. 5 66 Einmal soll cs auch vorgekommen sein, daß eine vornehme Touristin, welche allem Anschein nach bei dieser ihrer Handlungsweise keinen andern Zweck verfolgte, als dic Befriedigung einer auf moralische Abwege gerathenen Neugierdc, die Aufmerksamkeit des Fürsten auf sich zu lenken und ihr erwünschtes Ziel zu erreichen wußte. Ich will diesen Fall, sowie er mir in Tunis erzählt wurde, was hinreichend andeutet, daß ich keineswegs für die Wahrheit aller Einzelheiten einstehe, hier mittheilen, einesthcils weil er nicht ohne komische Seiten ist, anderntheils weil er einen kleinen Einblick in das sonst so undurchdringliche Harcmsleben gewähren kann. Die in Frage stehende Dame soll eine vornehme, reiche, etwas excentrische Engländerin gewesen sein. Sie stand zwar nicht mehr in der Blüthe der Jugend, aber sie besaß bei einem schönen, großen, regelmäßigen Gesicht, und einein reichen blonden Haarwuchs in hervorragendem Grade jenen im Orient geschätztesten körperlichen Vorzug, die Wohlbeleibtheit, so daß es nicht als eine unvernünftige Anmaßung von ihrer Seite erscheinen konnte, das Herz eines moslimischen Fürsten rühren zu wollen. Aber wie tonnte sie sich demselben nähern? Dies sollte ihr durch die Empfehlungsbriefe, welche sie mitgebracht hatte, wesentlich erleichtert werden. Einer derselben war an den englischen Consul gerichtet und dieser Herr zeigte sich bereit, Alles für die Dame zu thun, was in seiner Macht stände. Die Erfüllung ihres Herzenswunsches tonnte er ihr freilich nicht verbürgen, selbst wenn er ihn gekannt hätte, jedoch begreiflicher Weise hütete sich die Dame wohl, ihn zu verrathen. Aber er vermochte viel zur Erleichterung ihres Reisezweckes zu thun und zwar dadurch, daß er ihr eine Erlaubniß verschaffte, den fürstlichen Harem zu besuchen. Der Harem Mohammed Vey's bildete einen solchen Anziehungs« punkt für alle Touristinnen, daß es sehr oft vorkam, daß 67 solche um Erlaubniß nachsuchten, ihn besuchen zu dürfen, eine Erlaubniß, welche jedoch nur in den seltensten Fällen, nur dann, wenn sie von besonders vornehmen und gutempfohlcnm Damen verlangt wurde, ertheilt zu werden Pflegte. Da aber unsre Engländerin zu diesen gutempfohlcnen gehörte, so hatte die Sache keine Schwierigkeit. Sie fand sich also eines schönen Tages in kostbarster Toilette, und zwar, da sie ja an einen Hof ging, mit einem decol-letirtcn Kleide, mit Perlen und Diamanten auf ihrem weißen Alabastcrnacken, ihr blondes Haar auf's Künstlichste frisirt, im fürstlichen Harem ein. Dort wurde sie von den verschiedenen Gattinnen, Nebengattinnen und Sklavinnen auf die ausgezeichnetste Weise empfangen, mit Kaffee, Süßigkeiten aller Art tractirt, Alles wurde ihr gezeigt, was nur das Herz einer gewöhnlichen Touristin begehren konnte. Aber damit war der Dame nicht gedient. Die Conversation mit den Arabernmen, welche vermittelst einer jüdischen Dolmetscherin geführt wurde, besaß wenig Anziehungskraft für die gebildete Europäerin. Sie langweilte sich deßhalb bald entsetzlich und hatte große Mühe, das Gähnen zu unterdrücken, endlich aber schien sie alle Geduld verloren und einen Entschluß gefaßt zu haben, denn sie stellte nun gradezu die Frage, lvarum denn der Acy nicht käme? „Der Vey, unser Herr", erwiderte eine der Gattinnen, „Pflegt streng die moslimischcn Sittenvorschriften in Vczug auf die Harcmsgebräuche zu beochachtcn. Eine derselben Und nicht die unwichtigste schreibt vor, daß kein Ehemann ^inen eigenen Harem betreten darf, wenn er die Pantoffeln "Ner fremden Frau vor der Thüre stehen sieht, was hinreicht, ^)M anzudeuten, daß Besuch im Frauengcmache sei. In deinem Falle muß freilich von den Pantoffeln abgesehen 5* 68 werden, da Europäerinnen nicht die Sitte des Ablegens der Fußbekleidung theilen, aber wir haben statt dessen eine Sklavin an der Thüre aufgestellt, welche durch Worte dieselbe Warnung ertheilen soll, wie sonst die Pantoffeln durch ihre stumme, symbolische Sprache." Der Engländerin erschien jedoch eine solche Skrupel-haftigteit im Befolgen moslimischer Sitten, selbst dann wenn es sich um den Empfang einer Europäerin handele, übertrieben. Sie machte deßhalb die Bemerkung, daß in England der Anstand und die Höflichkeit grade das Gegentheil zu verlangen pflegten, daß der Mann nie abwesend bleibe, wenn man seiner Frau einen Besuch abstatte, sondern es vielmehr als feine Pflicht ansehe und sich zur höchsten Ehre rechne, die Gäste seiner Gemahlin persönlich zu empfangen und zu unterhalten. Die armen Haremsgeschöftfe, gewöhnlich die gutmüthigsten Wesen von der Welt, wenigstens ihren spärlichen Besucherinnen gegenüber, schienen untröstlich über die Unzufriedenheit der fremden Dame. Sie waren gern erbötig, zur Beseitigung dieser Unzufriedenheit, Alles zu thun, was nur immer in ihrer Macht stand, aber leider vermochten sie nicht, den Herrn des Harems so plötzlich herzuzaubern, wie es die Engländerin gewünscht hätte. Denn nach orientalischen Begriffen erscheint es durchaus unstatthaft und unschicklich, daß cine Frau ihren Mann rufen läßt, oder auch nur unter einem Vorwande herbeizulocken sucht. Sie gaben dieses ihrer Besucherin zu verstehen und, da deren Unwille bei einer so unliebsamen Eröffnung nur noch mehr wuchs, ja in Zorn auszubrechen drohte, so wandten sie nun alle Künste der Ueberredung, alle ihnen zu Gebot stehenden Schmeicheleien an, um sie zu besänftigen. Alles schien jedoch umsonst, den Unwillen der Dame zu bemeistcrn, bis endlich eine der jung' 69 sten und klügsten Favoritinnen hervortrat und durch folgende Worte das Wunder bewerkstelligte: „O schöne und hochedlc Rumiya! (Christin). Wie sehr fühlen wir uns geehrt dadurch, daß du es nicht verschmäht hast, die Strahlensonne deiner Schönheit über uns arme Geschöpfe leuchten zu lassen. Nie ist unserm Frauengemache ein solches Heil widerfahren, nie haben wir so viel Hoheit, so viele Huld, so fesselnde Reize und solche Pracht in einem weiblichen Wesen vereinigt gesehen, wie in Dir, o unvergleichliche Schönheit! Aber soll sich der hellstrahlende Tag, der uns beschien, nun in finstere Nacht verkehren? Soll die Strahlensonne deines Angesichts, jenes Licht der Welt, nun durch die Wolken des Zornes verfinstert und wir durch diese Sonnensinsterniß in größte Angst, Beklemmung und Trostlosigkeit versetzt werden? Und das Alles ohne wirkliche Schuld von unsrer Seite? Blos weil wir schwache, ohnmächtige Wesen sind, die es nicht vermögen, deinen Herzenswunsch augenblicklich zu erfüllen? Glaube, daß, wenn es in unsrer Macht stände, wir dein Begehren augenblicklich befriedigen würden, indem wir dasselbe als im höchsten Grade sserechtfertigt, ja sehr ehrenvoll für uns selbst, für unsern Hof und für unser ganzes Volk ansehen müssen. Denn was kann es für uns Schmeichelhafteres geben, als wenn eine Europäerin sich danach sehnt, mit uns in Bewunderung der souveränen Person zu wetteifern, welche unsern höchsten Stolz Und unsre größte Wonne bildet? Deßhalb betlagen wir es eben so tief, wie du selbst, daß heute dir dieses Glück nicht zu Theil werden tonnte. Aber wenn deine unterthänige Sklavin dir einen dcmuthsvollen Rath ertheilen darf, so ist es der, die Hoffnung nicht aufzugeben, fondern vielmehr sicher darauf zu rechnen, daß bei deinem nächsten Besuche in unserm Frauengemachc dein Wunsch durch Erfüllung gekrönt wer,' 70 den soll. Alle meine Schwestern hier und ich selbst versprechen es dir, unserm Herrn begreiflich zu machen, daß einer Europäerin gegenüber jene Skrupel, welche den Ehemann in gewissen Fällen vom Vetreten des eignen Harems abhalten, keine Anwendung finden. Ja ich glaube sogar, mich verbürgen zu können, daß derselbe unsern, Zureden nachgeben wird, denn deine demüthige Stlavin besitzt das Glück, nicht ohne Einfluß auf ihren Gebieter zu sein." Diese Worte, welche von allen übrigen Odalisken bekräftigt wurden, bewirkten das Wunder, die Engländerin einigermaßen zu besänftigen. Sie hatten auch den Vortheil, sie zur Einsicht zu bringen, daß die Harcmsschönheiten ihr von wesentlichem Nutzen sein könnten und deßhalb gab sie sich nun alle Mühe, den üblen Eindruck zu verwischen, welchen ihr vorher gezeigter Unwille zurücklassen konnte; sie schmeichelte den arglosen Geschöpfen, daß es eine Freude war, und gewann vollkommen ihr Herz durch kleine Geschenke europäischer Toilcttengegcnstände, welche sie eigens zu dem Zwecke mitgenommen hatte und nach welchen sich die Orientalinnen sehr begehrlich zu zeigen pflegen, wenn sie auch keinen Gebrauch von ihnen zu machen verstehen. Für dießmal mußte sich die vornehme Fremde also mit der unfruchtbaren Satisfaction begnügen, nur von weiblichen Wesen bewundert zu werden, sie verließ deßhalb auch bald den Harem, versprach jedoch in einigen Tagen wiederzukommen, was ihr gleichfalls wieder durch eine vom Consul erwirkte Erlaubniß möglich gemacht werden sollte. Als sie sich einige Tage später wieder auf den Weg nach dem Serail begab, erschien sie womöglich noch schöner und prächtiger gekleidet, noch kunstvoller frisirt, noch reichlicher mit werthvollem Schmuck behängen, als das erste Mal. Ja die bösen Jungen von Tunis wollten sogar behaupten, ihre 71 zarten Wangen hätten an diesem Tasse von einer erhöhten, sonst bei ihr ganz ungewöhnlichen Nöthe gestrahlt und Einige wagten selbst die Vermuthung auszusprechen, daß diese Nöthe aus dem Schminktupfe stamme. Doch dergleichen müssen Wir natürlich als Verläumdung entrüstet von uns weisen. Kurz sie sah sehr reizend aus, so reizend als es nur immer bei einer Frau in ihrem Alter möglich war. Im Palast des Bey angekommen, wurde sie sogleich in's Harem geführt und dort von denselben Odalisken, welche sie schon früher bewundert hatten, mit der höchsten Auszeichnung, wie im Triumphe empfangen. Aber leider suchten ihre lichtblauen Augen unter dem Meer von Musselin und Gaze, welches um sie her wogte, umsonst nach einem tuchenen Uniformsrock und ein Paar goldenen Epauletten. Der Herr des Harems war auch diesmal nicht zu erblicken. Abermals legten sich Wolken auf ihre weiße Stirne, abermals wurde ihr Unwille auf dem schönen, vollen Gesicht sichtbar. Aber die Araberinnen bemerkten das nahende Ungewitter kaum, als sie sich auch beeilten, es schleunigst zu zerstreuen. „Der Vey sitzt im Nebenzimmer!" Diese Worte bildeten den Talisman, welcher der Sonne ihres Angesichts wieder seinen vollen Strahlenglanz zurückgeben sollte. Es dauerte auch in der That nicht lange, ehe die Thür des Nebenzimmers aufging und der Pascha im einfachen Hauscostüm vor der Engländerin stand. Mohammed Bey war damals nicht mehr die imposante Erscheinung, welche er in seiner Jugend gewesen sein soll. Ein schwarzer grauwerden-dcr Bart beschattete die etwas erschlafften, frühgealtcrten Züge, seine Haltung schien gebückt und deutete auf Erschöpfung, sein Auge meist matt, nur zuweilen in einem sinnlichen Feuer aufleuchtend. Sem Venehmen verrieth übrigens den größten Anstand und die feinsten Manieren. Vor^ 72 nehmen Europäerinnen gegenüber, deren er manchmal zu empfangen Pflegte, zeigte er namentlich eine respectvolle und zugleich liebenswürdige Zuvorkommenheit, welche ihm das Herz aller Damen gewann. Nie hatte er übrigens vorher eine Fremde im Frauengemache empfangen und dieses Mal auch nur auf den ausdrücklichen Wunsch der Lady eine Aus' nähme gemacht. Er schien jedoch durch den Umstand ihrer Anwesenheit im Harem keineswegs veranlaßt, den ungewöhnlichen Gast auf eine freiere und ungezwungenere Weise zu behandeln, als jene übrigen Damen, welche er in Staats-Visiten in seinem Thronsaal empfangen hatte. Die Engländerin, welche dies merkte und der es höchst unwillkommen fein muhte, wußte jedoch durch ihr beredtes Mienenspiel, durch die schmachtenden Vlicke ihrer sanften Augen und schließlich sogar durch allerlei geschickte Anspielungen, welche die jüdische Dolmetscherin handwerksgemäß wortgetreu übersetzte, den Fürsten allmählich zu einer gewissen Vertraulichkeit herauszufordern. Zuletzt wurden die Andeutungen sogar so handgreiflich, daß der Pascha nicht mehr im Zweifel über die wahren Absichten der Dame bleiben konnte. Da der eigenthümliche Schönheitstypus der Engländerin glücklicherweise vollkommen dem orientalischen Geschmack entsprach, so hatte sie auch bald das leicht verwundbare Herz des für weibliche Schönheit nur zu empfänglichen Fürsten, wenigstens für den Augenblick nnd in vorübergehender Weise, gefesselt. AIs viclerfahrene Kennerin merkte sie dieses sehr bald an tausenderlei Anzeichen im Mienenspiel und selbst verschleierten Worten und Anspielungen des hohen Herrn. Sie erwartete deßhalb jeden Augenblick, daß dieser nun ihre Glückseligkeit durch das Zuwerfen des berühmten Schnupftuchs krönen würde. Sie hatte nämlich in Neisebeschreibungen über den Orient gelesen, daß moslimische Fürsten auf solche Weife 73 anzudeuten pflegten, welche Haremsschönheit im Augenblick Gnade vor ihren Augen gefunden habe, und sic war naiv genug, diese abgedroschene Erzählung zu glauben. Aber sie harrte umsonst dieser Offenbarung der souveränen Gunst. Das Werfen des Schnupftuchs war im Harem Mohammed Vey's offenbar nicht Mode. Indes; ihre Hoffnung sollte denn doch nicht betrogen, Und deren Erfüllung, wenn auch nicht auf die erwartete, so doch auf andere Weise unzweifelhaft angedeutet werden. Der hohe Herr, eben schon im Begriff, sich zu erheben und Abschied von den Damen zu nehmen, richtete scheinbar gleichgültig und in ganz unbefangenem Tone die Frage an die Engländerin, ob sie vielleicht wünsche, seine Diamanten zu schcn? Da dieses natürlich bejaht wurde, so verabschiedete sich der Bey mit den Worten, daß er die Lady in dem Schatzzimmer seines Harems erwarte und ihr dort selbst die frag« lichen Schmuckgegenstände zeigen würde. Die Fremde wunderte sich höchlich, daß der Bey nun allein wegging und sie nicht gleich in das Schatzzimmer mit° nahm, da er doch einmal nur deßhalb, um sie dort zu empfangen, dieses Gemach aufsuchte. Aber die Arme besaß ^om orientalischen Haremsleben nur sehr oberflächliche Begriffe Und sollte jetzt erst durch eigene Erfahrung ihre Kenntniß desselben ausbilden. Sie wußte nämlich nicht, daß jeder souveränen Gunstbezeugung einige ziemlich verwickelte Präliminarien vorhergehen, welchen sich die Dame, die den Gegenstand dieser Gunst bildet, nothwendiger Weise unterwerfen luuß. Die wichtigste dieser Vorbereitungen bildet ein voll-kvtnmncr orientalischer Badeproceß, welchen jede Odaliske vorher durchmachen muß, ehe sie den Gipfelpunkt des Glückes erreichen kann. Hiervon besaß die Arglose keine Ahnung und 74 wer weiß, ob sie bei ihrem Plane geblieben wäre, wenn sie Alles gekannt hätte, was ihr noch bevorstand? In der Einfalt ihres Herzens saß sie ganz gemüthlich auf dem Divan und bildete sich wahrscheinlich ein, dort sitzen bleiben zu können, bis man sie zum Ansehen der Diamanten in's Schatzzimmer rufen würde. Einstweilen schien ihr auch nur Angenehmes und Schmeichelhaftes zu Theil werden zu sollen. Auf dem Divan, diesem ihrem Thron, empfing sie nämlich jetzt die Huldigung ihrer neuen Vasallinnen, das heißt sämmtlicher Frauen des Harem, welche sehr gut Alles verstanden hatten, was vorgegangen war und durchaus nicht über die Bedeutung der Einladung in's Schayzimmer im Unklaren zu sein schienen. Mochten diese Frauen wirtlich keine Eifersucht empfinden, was am Ende möglich war, da ja die Gunst der Neuangelommenen, dieser Sultanin eines Tages, nur eine sehr schnell vorübergehende zu werden versprach, denn längere Zeit hatte es noch keine Europäerin im Harem ausgehalten, oder hegten sie wirtlich jene neidische Leidenschaft, wußten dieselbe aber mit der eingewurzelten orientalischen Verstellungstunst trefflich zu verbergen, jedenfalls zeigten sie in ihrem Benehmen nur die größte Verehrung und Bewunderung für den neuen Gegenstand der souveränen Gunst. Sie priesen die Lady in beredten Worten glücklich, daß sie das Herz eines so edlen Fürsten gerührt habe, sie nannten sie schon ihre Königin und Herrin und fich selbst ihre unterthä-nigen Sklavinnen. Ein junges Mädchen mit einer Quitzra oder arabischen Guitarre in der Hand setzte sich zu ihren Füßen und stimmte eine begeisterte Ode auf die Reize der neuen Odaliske an. Dieselbe verstand freilich von diesem Loblied auch nicht ein Sterbenswörtchen, aber sie merkte denn doch, daß es etwas Schmeichelhaftes für sie selbst enthalte, und sie sog den Weihrauch sowohl aus diesem, wie aus allen 75 andern ihr dargebrachten Opfern der Huldigung mit vollen Zügen ein. Nie hatte ihre Eitelkeit eine solche Befriedigung genossen. Nie hatte sie sich so glücklich gefühlt. Aber dieser glückseligen Gemüthsstimmung stand nun eine harte Prüfung bevor. Während sie noch den Tönen der jungen Muse lauschte, fühlte sie sich plötzlich von einigen kräftigen Negerinnen gepackt und mit starken Armen in ein Seitengemach gezogen. Erschreckt fragte sie, was das zu be« deuten habe. „Das Bad", war die einzige Antwort, welche sie auf ihre ängstliche Frage erhielt. Dieß berührte sie keineswegs angenehm. Sie sollte also ein Bad nehmen? Darauf schien sie offenbar nicht im Geringsten vorbereitet. Ganz abgesehen von dem Umstand, daß die türkischen oder arabischen Dampfbäder sich dem zarten Teint der Nordländerinnen keineswegs günstig zeigen, indem diese Schönen gewöhnlich so roth, wie gesottene Krebse, aus solchen Schwitzanstalten hervorzugehen Pflegen, so hatte die iliady auch noch ernstliche Bedenken wegen ihrer Toilette, ihrer Frisur u. s. w. Dies; Alles war so künstlich, daß, einmal zerstört, es nicht ohne Hülfe von Kammerjungfer und Friseur in seiner Vollständigkeit wieder hergestellt werden konnte. Indeß sie hatte einmal A gesagt, muhte folglich auch B sagen und so entschloß sie sich denn, wenn auch mit Widerwillen, sich diesem unvermeidlichen Bade» Proceß zu unterwerfen. Aber leider stand ihr noch etwas Unangenehmeres bevor. In jedem größeren orientalischen Harem befindet sich eine Person, deren Amt ungefähr demjenigen eines Barbiers und Chirurgen zugleich entspricht. Ein solcher weiblicher Chirurg hat die Aufgabe, Pflaster aufzulegen, die Nägel an Händen und Füßen nach arabischem Brauche ganz kurz abzuschneiden und seltsamerweise auch zu rasiren. Dieser hochwichtigen Person wurde die schöne Fremde zu Allererst übergeben und nun er- 76 fuhr sie zu ihrem Schreck, daß sie rasirt werden solle. Der Orientale sieht nämlich jenen zarten Haarflaum, welcher bei manchen Damcn Kinn und Oberlippe ziert und welcher bei einigen Südländerinnen sogar geradezu in ein Schnurbärtchcn ausartet, keineswegs für eine Schönheit an. Nur auf dem Haupte ist es einem weiblichen Wesen im Orient gestattet, Haare zu behalten. Alle andern, und sei es selbst nur ein kaum merklicher Flaum, müssen dem Rasirmesser zum Opfer fallen. Das Rasiren hat jedoch hier nicht die schreckliche Bedeutung, welche diese halsabschneiderische Kunst bei Männern annimmt. Das Messer dient nicht zum Abschneiden, sondern nur zum Abstreifen des Haarflaumes, da dieser schon vorher durch ein ätzendes Pflaster so erweicht worden ist, daß er bei der leisesten Berührung ausgeht. Arabische Chirurgen und Barbiere pflegen keineswegs sanft mit ihren Patienten umzugehen, weibliche, wie mir versichert wurde, ebensowenig, als ««ännliche: und deßhalb kann ich mir wohl die Qualen vorstellen, welche der unglücklichen ^ady durch Aetzpflaster und Rasümesser bereitet wurden, aber dieselben zu beschreiben, dieser schwierigen Aufgabe möchte doch nur eine weibliche Feder gewachsen sein, da nur eine Frau sich so ganz in die Lage einer solchen Patientin hineindenten kann, um die volle Kraft ihrer peinlichen Gefühle auszudrücken. Nachdem diese Strapaze überstanden war, begann das eigentliche Bad. Das maurische Vad, wenn es vollständig ist, besteht bekanntlich aus einer Reihe verschiedenartiger Operationen, deren hauptsächlichste folgende sind. In allen Fällen pflegt es damit anzufangen, daß der Badende dem Dampfe so lange ausgesetzt wird, bis sich eine reichliche Transpiration einstellt-. dann treten die Badeknechte an ihn heran, legen ihn auf eine Marmorplatte und beginnen das Kneten, Drücken, 7? Ziehen, Zerren und Ausrecken der Glieder, welche Operationen der Araber unter dem Gesammtnamen „Iedlek" begreift, cin Wort, welches buchstäblich übersetzt „Mit den Händen bearbeiten" bedeutet i darauf ziehen dieselben Diener die sehr harten, steifen und rauhen Roßhaarhandschuhe an und reiben mit diesen kleinen Folterinstrumenten den ganzen Körper so gründlich und kräftig ab, das; sie nicht nur die allenfalsige Unreinigkeit, sondern auch noch die oberste, dünne Hautum-hüllung mit abschälen- zuweilen, jedoch selten, erscheint diese Striegelung noch mit einer förmlichen Abbürstung vermittels einer sehr harten Bürste verbundeni ist dieses vollendet, so folgt die eigentliche Waschung, welche stets mit grober Seife, die man lange und gründlich auf den Kopf, die Haare, und den ganzen ^eib reibt, bis zuletzt der Mensch unter einer Masse weißen Schaumes zu verschwinden scheint; darauf findet eine sehr reichliche Begießung mit sehr heißem Nasser Statt, bis jedes Atom von Seifenschaum abgespült ist. Mit Trocknen pflegt man sich keine Mühe zu geben, sondern dieses lediglich der Natur zu überlassen. Auf diese Weise wird der menschliche Körper allerdings gründlich gereinigt, aber den meisten Europäern ist die Methode doch ein wenig zu gewaltsam, namentlich da die Äadetnechte meistcntheils sehr roh und unsanft beim Kneten, Abreiben u. s. w. zu Nege gehen. Früher dachte ich, daß die weiblichen Nesen, meist robuste Negerinnen, welche in Frauenbädcrn die Vadeknechte ersetzen, vielleicht sanftere Bewegungen, mehr Rücksicht und Zartheit im Behandeln der Badenden an den Tag legen dürften, dieses wurde mir jedoch auf meine vielfachen und zu verschiedenen Epochen meiner Reisen oft wiederholten Fragen allgemein verneint und im Gegentheil versichert, daß es nichts Roheres, plumperes und Barbarischeres gebe, als eben diese Negerinnen, und daß die Schönen wirklich oft beinahe geschunden 78 aus ihren Händen hervorzugehen pflegten, ein Umstand, der allerdings Keinen wundern wird, welcher den Orient kennt und weih, das; man den Frauen im Allgemeinen eine viel härtere Behandlung zu Theil werden läßt, als dem männlichen Geschlecht. So mag denn auch unsre Engländerin ihr gutes Theil von Leiden ausgestanden haben, während die rohen Negerinnen sic bürsteten, kneteten, abrieben und ihre Glieder verzogen. Was sie jedoch gewiß am Unangenehmsten berührt haben muß, war ohne Zweifel das gezwungene Waschen des Haupthaares mit ordinärer Badescife, welche sich gewöhnlich so fest in die natürliche Hauptbedeckung einsetzt, daß es kaum selbst der gründlichsten Naschung gelingt, sie gänzlich zu entfernen. Schließlich aber ging sie, wie Venus aus dem Schaum des Meeres, strahlend aus dem Bade und aus dieser harten Prüfung ihrer Geduld hervor, nur vielleicht ein wenig zu strahlend, denn sie soll so krebsroth ausgesehen haben, daß alle Damen im Harem erschraken, als sie sie wieber-erblickten. Nun stand jedoch der Besichtigung der Diamanten in Gesellschaft des Beherrschers von Tunis kein Hinderniß mehr im Nege. Ob die Lady dieselben sehr schön gefunden, weiß ich nicht zu sagen. Ueber den Verlauf der Audienz hat man natürlich auch nie das Geringste erfahren, da die Dame ein Staatsgeheimniß daraus machte. Für eine Verläumdung müssen wir jedoch das Gerücht erklären, welches einige unverschämte Europäer in Tunis, die dasselbe von der jüdischen Dolmetscherin gehört zu haben behaupteten, in Umlauf setzten, das Gerücht nämlich, Sc. Hoheit habe die Dame nach dem Bade, als sie mit krebsrothem Gesicht, fliegenden, halb nassen und von Seife strotzenden Haaren und mit deprimir-ten Formen vor ihm erschien, gar nicht mehr wicdergekannt 73 und so entstellt, plötzlich gealtert und häßlich gefunden, daß er sie schleunigst verabschiedete, ohne ihr auch nur einen einzigen von seinen schönen Diamanten gezeigt Zu haben. Nur die neidische Bosheit eifersüchtiger Odalistcn konnte ein solches Gerücht erfunden haben. Wir besitzen freilich keine bestimmten Gegenbeweise gegen dieses unverschämte Gerücht, aber in Ermangelung derselben müssen wir uns mit den« rignen Ausspruch der Lady begnügen, dem einzigen, welchen sie über ihre Visite beim Bey zu machen geruhte, den Ausspruch nämlich, daß ihr bei dieser Audienz nur Ehrenvolles und in jeder Hinsicht Schmeichelhaftes widerfahren sei. Würde die Engländerin, deren Nation ja wegen ihrer Wahrheitsliebe gerühmt wird, so etwas ausgesagt haben, wenn ihr, nachdem sie sich allen Leiden, welche weibliche Chirurgen und Nadedienerinnen über sie verhängten, ausgesetzt hatte, schließlich doch noch die Unbill widerfahren wäre, sich von der souveränen Gunst verschmäht zu sehen? Woher aber, werden meine Leser fragen, kann unser Erzähler denn alle diese Einzelheiten wissen, welche das sonst sv undurchdringliche Geheimniß orientalischer Harcmsangele-genheitcn enthüllen? Woher anders, antwortet dieser Erzähler darauf, als von der schon öfters genannten jüdischen Dolmetscherin, einer armen, jetzt zu ihrem größten pecuniären Nachtheil sehr unbeschäftigten Person, welche brodlos geworden ist, seit Mohammed Vey gestorben, und seit das Haremsleben bei Hofc wieder aufgehört hat. Diese sehr redselige Person zeigte sich bereit, nicht nur diese, sondern noch ganz andere, viel tiefer eingehende Schilderungen aus dem Harems-leben des letztvcrstorbencn Pascha von Tunis zu geben. Da dieselben jedoch meistenthcils an das Schlüpfrige streifen und der Verfasser fast schon fürchtet, selbst in dem vorher Mitgetheilten diesem Element ein wenig zu nahe gekommen zu 80 scin, so wird sich derselbe wohl hüten, Alles das wiederzuerzählen, was die arme jüdische Dolmetscherin ihm für eine kleine Geldcntschädigung zum Besten gab. Mohammed Bey starb nach einer kaum siebenjährigen Negierung und ihm folgte sein gleichnamiger Bruder, der jetzt «regierende Fürst, welcher, um sich doch auch im Namen von seinem Vorgänger zu unterscheiden, wie er sich in jeder an-dern Beziehung, nur nicht in der beiden gemeinsamen Unfähigkeit, von ihm unterschied, seinem Eigennamen noch das Pradicat „der Gerechte" beifügte und sich also „Mohammed cs Sadik" nannte. Ob er diesen Titel verdient, oder nicht verdient, das zu beurtheilen giebt er Niemandem die Gelegenheit, da er bis jetzt, obgleich er doch schon ziemlich lange den Thron inne hat, noch keinerlei selbstständige Handlung, weder gerechte noch ungerechte, ausgeführt hat und auch wohl schwerlich jemals ausführen wird. Eine so vollkommene Null auf dem Throne ist wohl schwerlich jemals dagewesen. Alle Regierungsgewalt befindet sich in den Händen des schon oben erwähnten griechischen Renegaten, Mustavha, welcher bereits unter Ahmed Bey einen Mmistervostcn bekleidete, unter Mohammed denselben beizubehalten wußte, und der nun, unter Mohammed es Sadik Bey, wenn er auch sich mit den bescheidenen Titeln Finanznnnister (arabisch Chasnadar), Minister des Acußern und zugleich Ministerpräsident begnügt, doch in Wirklichkeit der einzige Regent des Landes geworden ist. Daß er mit dieser hohen Berufung nicht die zu derselben nöthigen Fähigkeiten überkommen hat, beweist der traurige Zustand, in welchen das Land unter seiner Verwaltung gerathen ist. Der schlechte Zustand der Armee, die beständige Leere aller öffentlichen Kassen, die Nichtswürdigkeit der von Mustavha angestellten Beamten, seine eigene Naubsucht und un- 81 ersättliche Habgier und die gänzliche Unfähigkeit des nominellen Regenten, alle diese Umstände ließen die tunisische Ne-gierung bald als so schwach und verächtlich erscheinen, daß !ogar die feigen Unterthanen, welche unter Ahmed Bey auch nicht zu murren gewagt hatten, ihr Haupt erhoben, des Glaubens lebten, die Regierung stürzen zu tonnen, und zu diesem Zweck in Rebellion ausbrachen. Den Grund, zum Theil freilich nur den Vorwand hierzu sollte das ominöse politische Geschenk abgeben, welches der sterbende Mohammed Bey seinem Nachfolger hinterlassen hatte, nämlich die von den Großmächten dem Pascha abgezwungene Constitution, deren Hauptsrundsatz eine vollkommene Gleichstellung von Juden und Christen mit den Anhängern der bisher herrschenden Religion bildete. Dies; war natürlich den frommen Moslems ebenso sehr ein Gräuel, »vie die andere unsinnige Maßregel, welche Ätustapha zugleich mit der sogenannten Verfassung erließ, Und die gleichsam ein Anhängsel von ihr bilden sollte. Diese Naßregel, die blödsinnigste, welche schlechte Politiker und schlechtere Nationalökonomen in einem schwachen Staat in Anregung bringen konnten, bestand in nichts Geringerem, als in einer plötzlichen Verdoppelung der Steuern, so daß ^e armen Unterthanen, für welche die bisherige Kopfsteuer ^n 30 Piaster schon drückend genug erschien, nun auf ein-'"al nicht weniger, als 7Ä Piaster jährlich für jeden Kopf "hne Ausnahme, zahlen sollten. Das Resultat der Nebellion ist bekannt. Ihre Führer ^Urden zwar eingezogen, aber ihre beiden Hauptzwecke, Ab-^asfung der verhaßten sogenannten Constitution und der "eucn Steuer, wurden erreicht. Einen weniger günstigen ^folg hatte die dritte Forderung der Aufständischen, welche "uf Absetzung des verhaßten Mustapha bestand. Der schlaue ^liechc wußte sich, trotz all' seiner Feinde und selbst trotz des 0 82 Widerstands der französischen Regierung, welche er sich ungeschickter Weise gleichfalls zum Feind gemacht hatte, dennoch am Staatsrudcr zu halten und steht seitdem mehr als je in seiner Eigenschaft als thatsächlicher Negent des Landes befestigt. Kaum sah er sich wieder im unbestrittenen Besitz der Gewalt, als er daran dachte, für die fehlgcschlagcne Finanz-maßrcgel ein anderes Substitut zu erfinden, um die gänzliche Ebbe der öffentlichen Kassen in eine momentane Fluch zu verwandeln. Er fand kein anderes, als das verhängnißvollc Mittel der Staatsanleihen, welche, da Tunis eine beinahe völlige Creditlosigkcit genoß, zu den wucherischsten Zinsen aufgenommen werden mußten und die das Paschalik an den Rand des Abgrundes gebracht haben, an welchem es heute steht. Die Geschichte dieser Staatsanleihen bildet das tragikomische Element in der Chronik des modernen Tunis. Dem ^eser dieser Chronik dürfte es freilich oft vorkommen, als ob das Tragische etwas stärker in der Mischung vertreten sei, als das Komische, denn ich zweifle, ob wohl jemals Geschäfte abgeschlossen worden find, welche die Nichtswürdigkeit und Verderbthcit beider Partheien in ein schlagenderes Licht setz' ten. Der einzige Zweck dieser Anleihen schien derjenige, einen bereits der Insolvenz nahen Staat vollends bankrott zu machen. Diesen Staat zu betrügen und zwar auf die plum-peste Weise zu betrügen, das schien das passendste Mittel, um jenen Zweck zu erreichen. Von denjenigen Anleihen, welche von tunisischen Handelshäusern gemacht wurden, will ich hier ganz absehen, da ihre Geschichte so in's Dunkel gehüllt erscheint, daß man nicht recht weiß, ob überhaupt dabei wirklich dem Bey selbst Geld vorgeschossen wurde, ober ob das Ganze nur darin bestand, daß der Minister für eine Bestcchungssumme bescheinigte, sein Herr habe so und so viel geliehen und verpflichte sich zur Zahlung von so und so ho- 83 hen Zinsen. Als einzigen abcr recht schlagenden Beweis will lch das sogenannt ehrlichste Anlehn anführen, dasjenige, welches von einer franzosischen Gesellschaft, dem Comptoir b'Escomvte, vermittelt wurde, und aus den außerordentlichen Verhältnissen, welche der Betrug bei dieser von den hervorragendsten Vörsenmännern der „civilisirtcsten Nation der Erde" vorgeschossenen Anleihe annahm, mag der !l!eser sich einen Regriff ableiten, was wohl bei den übrigen, mehr in Nacht Und Geheinmiß gehüllten Finanzofterationen gestohlen wurde. Die Sache war überaus einfach. Der Bey wollte ein An-lehn von dreißig Millionen aufnehmen und war folglich bereit, sich zur Zahlung der Nucherzinsen dieser Summe zu verpflichten. Aber das bildete natürlich einen viel zu gerin-Yen Prosit für die Veranstalter der Anleihe. Der Bey mußte "Uch noch um zwei Dritthcile des Capitals betrogen werden, sonst schien die ganze Operation eine gcwinnlose. Dieß zeigte sich nicht so schwer auszuführen, als man vielleicht glauben 'nöchtc. Es giebt nämlich in den Portefeuilles tunisischer Vantiers und Kaufleute eine ganz außerordentliche Menge don solchen Wechseln, auf welche kein Mensch, der im Besitz seiner fünf Sinne ist, auch nur einen Kreuzer Werths legt. Diese Wechsel und Schuldpapiere stammen von jenen zahlreichen schwindelhaften sogenannten Geschäftshäusern, welche ^ Orient an der Tagesordnung find. Was that nun die sranzösischc Gesellschaft? Sie verschaffte sich so viele von ^'esen hochgeschätzten Papicrchen, bis die Gesammtziffer ihres ^v'ninellen Werthes die Summe von zwanzig Millionen danken auf dem Papier repräsentirte, und zahlte dann dem '"ey die Summe der Anleihe, zu einem Dritthcil in Geld, ^d zu zwei Drittheilen in jenen sogenannten „Effecten" aus. ^cr Iüyt verstand natürlich gar nichts von Finanzen und Raubte der Versicherung seines ersten Ministers, welcher wohl 6* 84 seme guten Gründe haben mochte, die Finanzofteration zu unterstützen, daß jene Wechsel tunisischer Bantroutiers so gut wic Gelb seien. Durch alle verschiedenen Anleihen hat der Staat nun die Verpflichtung einer Zinszahlung contrahirt, welche bei Weitem seine Kräfte übersteigt. Selbst in den besten Jahren kann dieselbe kaum geleistet werden- wenn aber in Folge einer so schrecklichen Calamität, wie die fast dreijährige Hungersnoth, welche jetzt (1«iese grellen Contraste finden wir aber noch heut' zu Tage in einer Stadt, wie Tunis. Vor dem Gesetz, oder richtiger gesagt vor der souveränen Willkür sind hier freilich alle Stande gleich, ja die Gleichheit erscheint vielleicht vollkommener, als in Eu-WPa; denn der Fürst kann ohne Grund, ohne Richtersftruch heute denjenigen zum Bettler machen, der gestern noch als 7 98 Millionär und höchster Veamtcr dastand, und ebenso gut, wenn es ihm beliebt, den Bettler, ohne Verdienst und ohne Tugend, auf die höchste Stufe erheben. Aber so lange dic Leute im Vesitz ihrer Reichthümer und Würden sind, so lange tritt der Contrast ihres Lebens gegen das ihrer ärmeren Mitbürger auf eine so auffallende Weise hervor, wie wir der« gleichen in Europa kaum im Vergleich eines Fürstenhofes mit dem Hause des ärmsten Unterthanen erblicken. Um dem Leser einen Begriff von dem Leben eines tu-nisischcn Großen zu verschaffen, möchte ich ihn einladen, mich auf einem Besuche zu begleiten, welchen ich im Hause des größten von Allen, des allmächtigen ersten Ministers, Sidi Mustavha Chasnadar, machte. Diesen Würdenträger selbst zu sehen, war nun freilich nicht der Zweck meines Besuches, nicht einmal seinen Palast sehnte ich mich in Augenschein zu nehmen, sondern die Triebfeder, welche mich in das Haus dieses großen Mannes führte, bildete lediglich ein wissenschaftliches Interesse. Der Leser mag staunen. Ein wissenschaftliches 'Interesse bei einem Großen von Tunis! Das wäre allerdings etwas Unerhörtes. Aber so unerhört, so war es doch Thatsache, daß der älteste Sohn dieses Ministers ein Museum besaß, Welches in seiner Specialität, den vhönicischeN und karthagischen Alterthümern, jedes andere Museum der Welt übertraf. Wie dieser kleine Sohn eines großen Vaters dazu gekommen ist so viel civilisirten Geist, den er sehr weit entfernt ist zu besitzen, dem äußern Anschein nach an de" Tag zu legen und, ohne es zu wissen oder zu wollen, der Wissenschaft einen so unschätzbaren Dienst zu leisten, dos kann ich mir nur durch eine wunderbare Schickung der Vorsehung erklären, welche sich ja manchmal auch eines Esels zum Tragen von Reliquien bedient. Aber, aus was für einem Grunde auch immer es gesammelt wurde, das Museuin 99 !var einmal vorhanden. Die Thatsache konnte nicht in Ab-lede gestellt werden, obgleich ich keinen Menschen zu finden vermochte, der es gesehen hätte. Das Gesehenwerden, was boch sonst der einzige Zweck bei einem Museum zu sein pflegt, schien nämlich bei diesem durchaus nicht beabsichtigt und in Anschlag gebracht. Es war vielmehr so schwer zugänglich, wie die vermauerte Bibliothek des Patriarchen von Alcxan-drien in Aegypten. Nie die Bücher jener Bibliothek dadurch, baß sie nie ein Mensch zu Gesicht bekommt, in den mysteriösen Nuf gekommen sind, die größten Seltenheiten der heidnischen und christlichen Literatur zu enthalten, so sollte auch das unzugängliche Museum des Ministerjungen von Tunis dadurch, daß Niemand seine geheimnißvollen Schätze in Augenschein nahm, den Nuhm erlangen, das erste der Welt zu sein; und damit ja dieser Zweck erfüllt werde, so wurde von Zeit zu Zeit irgend ein verunglückter Franzose, welcher in Tunis am Hungertuch nagte, dafür bezahlt, um einen Artikel über diese Sammlung in eine Pariser Zeitung zu setzen, einen Artikel voll Schwulst und Lobpreisungen, der alle Leser desto mehr auf den Inhalt des Museums gespannt machen Mußte, als er eigentlich über dasselbe durchaus keinen Aufschluß gab. Das Museum war also beinahe zur Fabel ge-lvorden, wie der Schatz des Kyffhciuscrs, an welchen jeder Bauer glaubt, den aber keiner gesehen hat. Dieses verschleierte Bild von Sais zu enthüllen, bildete eigentlich den Hauptzweck meiner letzten Anwesenheit in Tunis. Ich setzte deßhalb alle Triebfedern in Bewegung, um dio Erlaubniß zur Besichtigung des Museums zu erlangen. Die Sache erwies sich sehr umständlich. Erst mußte ich in Tunis selbst von Pontius zu Pilatus laufen, bis es mir endlich gelang, einen gutmüthigen alten Generalkonsul ausfindig zu wachen, welcher sich dazu verstehen wollte, einem Deutschen 7* 100 eine Empfehlung an den ersten Minister zu verschaffen, denn bekanntlich sind wir Deutsche im Orient das große unbekannte Volk, dessen sich kein Mensch annimmt und dessen Mitgliedern orientalische Despoten getrost die Bastonade geben könnten, wenn sie nur eine Idee davon hätten, zu was für einen Staat oder Staatenbund wir denn eigentlich gehören und nicht immer die verschiedenen Deutschen, je nachdem sie sich fremde Protection zu verschaffen wissen, für Engländer, Franzosen u. s. w. hielten. Der Norddeutsche Bund hat sich freilich insofern der Deutschen in Tunis angenommen, als er dieselben unter die gnädige Protection eines schwedischen Consuls stellte, so daß sie nun beim Repräsentanten dieser kleinen und noch dazu sehr antideutsch gesinnten Nation um Schutz betteln müssen. Einen so großen Dienst, wie denjenigen, dem ersten Minister empfohlen zu werden, kann natürlich kein Deutscher von dem zuletzt genannten Würdenträger erwarten. Aber, wie gesagt, ich fand einen alten Herrn, und zwar den östreichischen Generaleonsul, welcher aus alter Gewohnheit noch eine Schwachheit für Deutsche besaß, der diese große Verantwortlichkeit übernehmen wollte. Er war sogar so freundlich, mir seinen Lonsulatsdiener mitzugeben, einen gutmüthigen, weißbärtigen Alten, der eine Hauptmannsstelle im Dienste des Bey, wegen gänzlichem Besoldungsmangel, gegen den bescheideneren, aber doch bezahlten Posten eines sogenannten Ianitscharen (so nennt man in Tunis die Consulatsdiener) vertauscht hatte. Vaba Brahim, so hieß dieser gutmüthige Alte, bestieg mit mir den Nagen, der mich nach den: Palast des großen Mannes bringen sollte. Nach einer halbstündigen Fahrt langten wir in der Nähe des großen Palasts des Bey, el Bardo genannt, an demjenigen seines ersten Ministers an. Alles zeigte sich hier verschlossen, kein Portier zu erblicken und die ganze Gegend war l01 M tiefstes Schweigen gehüllt. Plötzlich jedoch ertönte aus einem Giebelfenster eine anscheinend weibliche Stimme, welche aussagte, der Minister wohne zur Zeit gar nicht hier. Wo er aber jetzt wohne, das sagte uns die Stimme nicht. Wie dieß nun erfahren? Vaba Vrahim gab sich zwar alle Miihe, die Stimme noch einmal zum Reden zu bringen, aber um-svnst. Er knüpfte ein Gespräch mit einigen Bettlern an, den einzigen Menschen, welche hier zu erblicken waren, aber diese guten Leute wußten vom Minister ebensoviel, wie vom Mond. Endlich kamen zwei Soldaten vorbei, welche alle beide Auskunft ertheilen konnten, da diese Auskunft jedoch bei jedem der zwei verschieden lautete, der eine den Minister am Meer, der andere tief im Innern wohnen ließ, so wurden wir dadurch auch um kein Haar klüger. Zuletzt blieb uns nichts übrig, als nach dem ziemlich nahen Bardo hinüberzufahren, in der Hoffnung, daß dort vielleicht irgend Jemand von den Hofbcamten zurückgeblieben sein möchte, der uns die gewünschte Auskunft ertheilen tonnte, denn der Hof selbst befand sich zur Zeit nicht in dieser Palaststadt. Nachdem wir viele labyrinthische Gänge durchschritten, kamen wir endlich auf einen offenen Hof, in welchem ich zu meinem nicht geringen Erstaunen eine europäische Dame auf einem Teppich dasitzend und Taback rauchend erblickte. Diese Dame schien offenbar ein großes Thier bei Hofe zu sein, denn sie wurde von Allen mit dem höchsten Respect behandelt. Auch Vaba Brahim schien sie zu kennen und be« grüßte sie ehrerbietig. Die Dame sprach sehr gut arabisch und vermochte auch an Baba Brahim die gewünschte Auskunft zu ertheilen; sie hatte nämlich den Minister vor einer Stunde erst verlassen und zwar im Hause seines Schwiegersohns Cheir-ed-Din, welcher, wie die Dame sich ausdrückte, m den Wochen lag. Ich wußte wohl, daß dieß eine jener M verschleierten Redensarten sei, welche man im Arabischen gebraucht, um nicht von jenem mißlichsten Gesprächsgegenstand, den Frauen, zu reden, deren kein gesitteter Mensch Erwähnung thun darf. Also der Minister war eben Großvater geworden und die Dame hatte dabei die wesentlichsten Dienste geleistet, denn sie war Niemand geringeres, als der Hof- und Haremsdoctor im Unterrock oder mit andern Worten die königlich tunisische Staatshcbamme. Diese hohe Würdenträgerin gab uns nun den Palast an, in welchem sich der große Mann befand und wir brachen sogleich dorthin auf, wo wir nach weiterer halbstündiger Fahrt auch anlangen sollten. Der Palast lag mitten in einem recht hübschen und blumenreichen Garten, durch welchen wir bis an die Thür der Hausflur, des Vestibüls, des Wartezimmers oder was es sonst noch sein mochte, fuhren, denn der unmittelbar beim Eingang beginnende Raum versah alle diese Dienste. Hier fand sich ein ganzes Häuflein jener Diener und livreetragender Faulenzer vereinigt, welche das Haus tunifischer Großen füllen. Der Portier strotzte von Goldstickerei und Troddeln auf seinem Mantel oder Capuzenrock, wie mqn das Ding nun nennen wollte, welches ihm zur obersten Umhüllung diente. Der dicke Koch schlummerte verdammgsselig in einein Winkel. Zwei Lakaien spielten eine Art von Damenbrett. Ein älterer feister Eunuche stiefelte stolzirend herum und ein jüngerer hüpfte von Zeit zu Zeit, nach Art großer Stelzvogel hinkend, durch den Raum zwischen Treppe und Harem. Dieser junge Eunuche hieß Bab es Saad, d. h. Pforte der Glückseligkeit, wie denn die Eunuchen meistentheils solche poetische Titel führen. Er war überaus mager, und sah nicht uninteressant und ziemlich intelligent aus, was bei einein fetten Eunuchen nie der Fall ist. Aber er schien außerordentlich nervös, machte jeden Augenblick seltsam zuckende Bewegungen, 103 U'ar dabei noch sehr kindisch, spielte eine eingebildete Violine wit einem imaginären Fiedelbogen oder tänzelte auch wohl balletartig auf einer Fensterbrüstung oder versuchte seinen Kupf durch ein Loch im Kaftan des Portiers zu stecken und Angleichen Zerstreuungen mehr. Er war auffallend elegant gekleidet und zwar nach der neuesten Pariser Mode, während bie älteren Nichtsthuer sich in europäischen Kleidungsstücken ssefielen, welche zu. Zeit unsrer Väter vielleicht einmal sich dcr Beliebtheit der Modeherren erfreut haben mochten. Diese „Pforte der Glückseligkeit" sollte in meinem Falle ihrem Na-wen Ehre machen, da sie mir die Glückseligkeit der Nähe seines Gebieters zu eröffnen bestimmt war. Bab es Saad hatte nämlich mein Empfehlungsschreiben bei meiner Ankunft in Empfang genommen und es sogleich in den Harem getragen, wo der große Mann, wie der beliebte Ausdruck lautete, „in den Wochen lag". Es dauerte indeß wohl eine halbe Stunde, ehe ich eine Antwort erhalten sollte. Kein Mensch kümmerte sich um mich, die Bedienten schienen ganz nur mit sich selbst und ihrem Nichtsthun beschäftigt. Sie sprachen wenig, wenn sie aber den Mund aufthaten, so redeten sie von einem eben nicht sehr heitern Gegenstand, welcher damals Alles in Tunis beschäftigte, der Epidemie des Typhus nämlich, an der zur Zeit einige 300 Menschen täglich starben. Ein blasser, Magerer Lakei schien offenbar schon ziemlich weit in der Krankheit vorgeschritten, schüttelte sich vor Fieberfrost und stieß i^den Augenblick wehklagende Töne aus; und der Portier, den es mir gelang, ein Mal, aber auch nur ein einziges Mal zum Sprechen zu bringen, deutete an, daß jener Morgen in's Spital gebracht werden müsse. Meine Frage, ob man daselbst gut behandelt und curirt zu werden pflege, schien er höchst naiv zu finden. Das Spital, meinte er, sei nur ein l04 Ort, nach welchem die Leute gebracht würden, um daselbst zu sterben, und in der That ist es fast beispiellos, daß irgend Jemand lebendig aus dem Tuniser Spital gekommen wäre. So hat denn „in's Spital Gehen" hier eine ganz besonders ominöse Bedeutung angenommen. Während meines langen Wartens ertönte sehr oft die helle Mingel des Harems und Bab es Saad hüpfte herbei, um irgend etwas, was jedoch nicht mein Vegchrcn betraf, auszurichten. Erst ganz zuletzt kam er mit dem Bescheid aus dem Harem heraus, daß ich den Minister zwar nicht sehen könne, da derselbe unpäßlich sei, daß aber sein Sohn mich empfangen würde. Ich wurde nun die Treppe hinan geführt und gelangte in ein halb europäisches, halb orientalisches Gemach, in dem einige sechs schwarzgekleidete Männer herumstanden, jeder mit einem Caftuzenrock nach altmodischem europäischen Schnitt, bedeckt. Der kleinste und unansehnlichste derselben war der Ministerjunge, ein sehr kleiner, schwärzlicher Kerl von 31—22 Jahren, mit matten, schwarzen Augen, mit etwas dünnem Bart bereits verschen, sehr schmächtig, ja fast hinfällig und so durchweg häßlich und unbedeutend, wie ich dergleichen an moslimischen Großen noch nie gesehen hatte. Ich wußte natürlich Anfangs nicht, welcher von den sechs Anwesenden der kleine Sohn des großen Mannes sei und wendete mich zuerst an eine stattliche fette Gestalt, die durchaus nichts Arabisches an sich hatte, aber ziemlich vornehm aussah. Das half mir jedoch wenig, denn der Angeredete sprach kein Wort einer mir geläufigen Sprache, sondern nur Griechisch und zwar den Dialect einer der Inseln bci Smyrna. Mit einem Andern ging es mir nicht besser. Auch hier war ich auf cinm Griechen gestoßen. Sämmtliche Anwesende mit Ausnahme des Ministcrjungen waren Griechen und sprachen nur ihre Muttersprache. Diese Griechen waren, 105 Wie ich später erfuhr, die Vettern des Renegaten Mustapha, oes ersten Ministers, und nach Tunis gekommen, sowie sie bom Glück und Reichthum ihres einst als Sklaven verkaufen Verwandten gehört hatten, um von nun an ausschließlich auf dessen Kosten zu lcbcn. Alle schienen völlig ohne Er-ziehuna,, wie ihr gänzlicher Mangel an fremder Sftrachkennt-"iß in dem Polyglotten Orient hinlänglich andeutete. Ich wäre vielleicht lange in meinem Irrthum geblieben, denn der Ministerjunge, obgleich er geläufig Französisch sprach, schien doch zu schüchtern, um den Mund aufzuthun und mich auf seine Person aufmerksam zu machen, wäre nicht nun noch ein anderer Grieche, ein gemein aussehender, verschmitzter junger Mann hinzugetreten, welcher das Amt eines Se-cretärs und Dolmetschers oci seinem Vetter versah, denn auch cr gehörte zu der zahlreichen Sippschaft des Renegaten. Dieser machte mich erst auf die vornehmste Person im Iimmer aufmerksam. Eidi Mohammed, so hieß der Ministersohn, schien jedoch so schüchtern und ungewohnt, mit Europäern umzugehen, daß er mich auf eine höchst eigenthümliche Weise empfing, die vielleicht europäisch und civilisirt sein sollte, aber weder in Europa, noch im Orient hatte ich jemals etwas Aehnliches gesehen. Er blieb nämlich wie angewurzelt stehen Und sprach tein Wort, so daß ich selbst die ganze Conversation führen mußte. Ich ging gleich zur Cache und trug Mein Anliegen vor, das Museum sehen zu dürfen. Dieß schien den jungen Mann fichtlich in Verlegenheit zu setzen. Bei der allgemeinen Geschmeidigkeit, welche am Tuniser Hof i»n directen Verkehr mit Europäern herrscht, schien er mein so unmittelbar an den Mann gebrachtes Gesuch kaum ausschla-sscn zu können. Er gebrauchte deßhalb die gewöhnliche mos-limischc Finte, indem er versuchte, die Sache auf die lange Äant zu schieben. Ich möchte, so meinte er, einen Tag be- 106 stimmen, an welchem ich das Museum in Augenschein nehmen Wolle. Ich wußte sehr wohl, was dieß zu bedeuten habe, und äußerte deßhalb den Wunsch, womöglich sogleich dahin aufzubrechen. Nun noch größere Verlegenheit. Endlich, nach langem Stillschweigen, schien er geneigt, meinem Gesuch Gehör zu geben und rief nun seinen Secretär herbei, um diesen zu fragen, ob die Sache jetzt ausführbar sei. Dieser merkte wohl, daß er nun Schwierigkeiten erheben solle und kam dem Wunsche seines Gebieters denn auch nach Kräften nach. Meine Sache schien schon rettungslos verloren. Aber ich kannte die Art, wie man mit orientalischen Höfen und Großen umgehen müsse. Durch Höflichkeit und Zuvorkommenheit erlangt man gar nichts. Aber die kleinste Anspielung auf die Consuln, auf den Schutz der Großmächte wird als Drohung aufgefaßt und verfehlt ihren Zweck nicht. So berief ich mich denn auf das Schreiben des einen Consuls, sprach von meiner Bekanntschaft mit den übrigen und schloß mit der Bemerkung, daß ich fürchtete, derjenige, welcher mir das Schreiben mitgegeben habe, sei nicht einflußreich genug, ich wolle mich deßhalb an einen andern, den französischen oder englischen, wenden. Die Intervention der Consuln ist den Tuniser Großen immer höchst unangenehm und auch Sidi Mohammed schien dieselbe so sehr zu fürchten, daß er sich nun beeilte, meinem Wunsch nachzukommen, und mir anzeigte , sein Secrctär selbst werde mich nach dem Museum führen und mir zugleich den Palast des ersten Ministers, seines Vaters, zeigen. Nachdem ich gegangen war, blieb jedoch der Sccrctär noch eine ganze Weile bei seinem Herrn, ohne Zweifel, um seine Instructions zu erhalten, was er mir zeigen und Ums nicht zeigen und wie er mich verhindern solle, auch nur die geringste Note über den Inhalt der phönieischen Inschriften zu Papier zu bringen. 107 Wir bestiegen nun den von mir mitgebrachten Wagen ber Secretär, der gute Baba Brahim, ich, und als vierter klner von den sprachlosen Griechen, welcher wahrscheinlich noch km besonderes Sftionirämtchen zu besorgen hatte, und jeden-salls dem andern beistehen sollte, mich an der Benutzung des Museums zu hindern. Auf dem ganzen Weg unterhielt mich ^r Secretär von dem Neichthum und der hohen Stellung bes ersten Ministers und vergaß nicht dabei, von Zeit zu Zeit "uf seine eigne Verwandtschaft mit dem großen Manne an-zuspielen. Mit dem Reichthum hatte es nun allerdings seine Nichtigkeit, aber in anderer Beziehung log er vielfach, indem kr nämlich behauptete, daß der Minister selbst zur Thronfolge berufen sei, seine Söhne dm Rang von Prinzen hätten und dergleichen Uebertreibungen mehr. Endlich kamen wir an dem Palast an, demjenigen, an lvelchem man uns das erste Mal so schnöde abgewiesen hatte und der nun seine Thore vor uns öffnete. Wahrscheinlich W der Hoffnung, mich vor dem Besuch des Museums, welcher bis zuletzt aufgespart werden sollte, zu ermüden, führte Man mich durch einige zwanzig Säle und Zimmer, alle prachtvoll, aber geschmacklos mit europäischen Möbeln überladen. Dergleichen, bilden sich die Leute hier ein, müsse ein Europäer immer besonders bewundern. Das Einzige jedoch, was in diesen Gemächern meine Neugierde erweckte, war ein Gegenstand, den man eigentlich gar nicht beabsichtigte, mir zu zeigen und den ich sehr zum Unwillen meiner Begleiter bemerkte. Dieser Gegenstand war nichts andres, als ein junges weibliches Wesen, und zwar eine Europäerin, allem Anschein nach' eine Maitresse des großen Würdenträgers, welche durch irgend ein unbegreifliches Verschen in dcn Gemächern, die ein Fremder besuchen sollte, gelassen worden war, denn natürlich mußte sie, als zeitweilige Haremsbcwohnerin, demselben Gesetz der 108 Abgeschlossenheit, wie die Araberinnen, unterliegen. Das junge Mädchen schien crst fünfzehn oder sechszehn Jahre alt zu sein und zeigte sich keineswegs von jener scheuen Schüchternheit der moslimischen Damen, welche vor jedem fremden Mann, wie Vor einem Pesttranken, die Flucht zu ergreifen pflegen. Sie kam mir vielmehr ganz unbefangen und natürlich entgegen und sing ein Gespräch auf Französisch an, grade als ob sie sich in gewöhnlichen europäischen Verhältnissen befunden hätte. Aber das konnten meine Begleiter nicht dulden. Schnell wurde ein Eunuche herbeigerufen, und die Schöne, nicht ohne einiges Widerstreben von ihrer Seite, abgeführt. Die ganze Sache schien mir höchst räthselhaft, denn Europäerinnen, namentlich» so junge Europäerinnen, bilden in moslimischen Harems große Seltenheiten. Ich vermuthete, daß hier irgend ein schmählicher Handel zu Grunde liegen müsse und darin täuschte ich mich nicht, denn später erfuhr ich, daß das unglückliche Mädchen von ihrem eignen Vater, einem in Tunis lebenden Franzosen, an den reichen Renegaten verkauft worden sei. Dieser wünscht aber ihre Existenz vor Jedermann, selbst vor seiner eignen Gattin, geheim zu halten. Denn da er eine Prinzessin, die Schwester des vorletzten Bey Ahmed Pascha zur Gemahlin hat, so findet hier die in moslimischcn Bändern allgemeine Negel ihre Anwendung, wonach, wenn die Frau vornehmer als ihr Mann ist, letzter von der Vielweiberei keinen Gebrauch machen darf. Ist sie nun gar eine Prinzessin, so muß der Mann den un-terthänigsten Diener und demüthigsten Sklaven spielen und sich wohl hüten, die Eifersucht der Dame zu erregen. Deßhalb erschien auch das Verhältniß des großen Mannes zu der Französin selbst nach moslimischen Begriffen in unmora-schem Licht, da sie nie die einer Gattin oder Nebengattin gebührende Stelle im Harem einnehmen tonnte, sondern im« 109 wer nur, wie eine verbotene Waare, aus emem Palast in ben andern geschmuggelt werden mußte, aber nie denjenigen betreten durfte, in welchem sich die Prinzessin und ihre Fa-wilie zur Zeit befanden. Die beiden Griechen waren natürlich wüthend darüber, baß ich diesen Einblick in die Geheimnisse des Palasts gethan hatte. Aber als schlaue Diplomaten verbargen sie ihre Wuth hinter einem sauersüßen Lächeln, suchten mich jedoch so schnell, wie möglich, aus dem Palast hinaus und in den Garten zu bringen, dessen Herrlichkeiten mich auf andere Gedanken bringen sollten. Der Garten erwies sich in der That als sehr kunstvoll angelegt, die Blumen waren die ausgesuchtesten', eine Menge labyrinthisch verschlungener Gänge, einzelne kleine Hügel, zwei Canäle, ein kleiner Eec mit einer Insel in der Mitte, Alles künstlich geschaffen, brachten Abwechslung in das blumenreiche Gefilde. Auch fehlte keine jener Spielereien, wie sie die Orientalen in ihren Gärten lieben: phantastisch gebaute Kioske, Gartenlauben, zierliche Volieren, Käfige und Hütten für merkwürdige Thiere, hie und da eine graciöse, über einen der vielgewundenen Canäle führende, luftige Brücke, lagen in dem weiten Gebiet zerstreut. Nie hatte ich bei einem Moslem einen so schönen und so gut gehaltenen Garten gesehen: dicsi wurde freilich nur dadurch erklärbar, daß der Minister einen europäischen Gärtner hielt. Am einen Ende dieses Gartens lag ein großer, zweistöckiger Pavillon, mit bunten glasirten Fließen außen wie innen übertäfelt. In diesem befand sich der Gegenstand meiner Sehnsucht, das Museum. Die Griechen versuchten zwar, Mich zu guter ^ctzt noch auf andere Gedanken zu bringen und mich womöglich den Zweck meines Hiehertommens vergessen zu machen, indem sie mich bei jedem seltenen Vamn, ieder Blume, jedem merkwürdigen Vogel aufhielten, aber ich U0 blieb leider bei meinem Vorsatz und da ich die Erlaubniß des Eigenthümers hatte, so konnten meine Führer schließlich kein Hinderniß mehr in den Weg legen. Nach langem Klopfen an der Thür des Museums warb uns dieses endlich geöffnet und zwar durch einen jungen Europäer, einen ausgehungerten Maler, den der Minister-söhn unterhielt, um seine Sammlung von Alterthümern abzuzeichnen, seine Ausgrabungen zu leiten und ihm selbst einige Kenntnisse derselben beizubringen, die aber sehr oberflächlich gewesen sein müssen, da, wie ich bald merkte, der junge Mann, ein Pariser, welcher nicht viel gelernt zu haben schien, selbst nichts von Alterthümern verstand. Das Museum übertraf alle meine Erwartungen, es enthielt nämlich einige hundert bis jetzt in Europa ganz unbekannte phönicische Inschriften, also ungefähr ebensoviel, als alle europäischen Museen Zusammen besitzen. Ich war entzückt über diese ungeahnte Entdeckung und brannte natürlich vor Begierde, wenigstens einige der interessantesten Inschriften abzuschreiben. Aber ich werde nie das komische Bild vergessen, welches die Griechen darboten, als ich ihnen diesen meinen Wunsch zu erkennen gab. Der Secretär schien dermaßen constcrnirt über diese meine Kühnheit, daß er lange nicht Zu Worte kommen konnte. Als er endlich Worte fand, war es nur, um auf's Lebhafteste gegen mein Vorhaben zu Protestiren. Der junge Franzose schien jedoch gar nicht einzusehen, daß ein Museum, wie das verschleierte Bild von Sais, unbekannt bleiben sollte, und machte mir nun die lebhafteste Freude, indem er ein kleines Album produeirte, in welchem er einige zwanzig dieser Inschriften mit dem Storchschnabel copirt hatte. Er erbot sich sogar, mir das Album auf einen Tag zu leihen. Aber wieder erhob der Sccretär Protest. Das war durchaus gegen die Instruktionen Sidi Mohammed's. Offenbar sollte Nie- til wand vom Inhalt dieses Museums etwas erfahren. Eine so Unintelligent,? Manier, mit Alterthümern umzugehen, war mir noch in meinem Leben nicht vorgekommen. Ich konnte mich jedoch unmöglich entschließen, so ganz unverrichteter Sache Zurückzukehren und brachte in aller Eile, und unter den beständigen Protestationen der Griechen, drei Inschriften zu Papier. Aber endlich gestalteten sich diese Protcstationen so heftig, daß es mir unmöglich wurde, fortzufahren. Ich beschränkte mich nun in Ermangelung von etwas Vcsserem auf ein Gespräch mit dem Franzosen, welches ich absichtlich recht lange hinaussftann, um während desselben die Alterthümer noch mehr beobachten zu können. Der junge Mann hatte hier eine sehr sonderbare Stellung. Er wohnte eigentlich im Harem, das heißt der Gar-tcn, in dem der Pavillon lag, bildete einen Theil des den Frauen bestimmten Raumes und aus diesem Umstand resul-tirten für den Maler eine Menge Unbequemlichkeiten, deren geringste nicht diejenige war, daß er, so oft es einer Dame gefiel, im Garten spazieren zu gehen, die Flucht ergreifen, seine Wohnung verlassen und zur Gartenthür hinaus in's freie Feld gehen mußte. Die Prinzessin, die Gattin des Ministers, erzählte er mir, hege namentlich eine für ihn sehr unangenehme Gewohnheit, nämlich diejenige, im Sommer schon um vier Uhr Morgens spazieren zu gehen. In diesem Falle pflege jedesmal schon um drei Uhr ein Eunuche zu kommen, ihn hcrauszutrommcln und aus dem Garten auf's offene Feld hinauszubegleiten, wo er ihn seinen Meditationen überlasse. Da nun dieser Palast weit von der Stadt und von andern Häusern liege, so bleibe ihm gar kein Zufluchtsort, als etwa Ngend ein schmutziges Veduinenzelt der Nachbarschaft. In den übrigen Stunden müsse er jedoch stets zu Hause bleiben, da der Minister nicht gern sähe, wenn Insassen seines Hau- 112 ses viel ausgingen. So führte dieser junge Mann ein fast fo abgeschlossenes Leben, wie eine Harcmsdamc und nur die größte Armuth konnte ihn bewogen haben, eine solche Stellung anzunehmen. Ueberhaupt sind die Europäer, welche im Dienste moslimischer Großen stehen, nicht zu beneiden, da ihre Herren sich gewöhnlich als die unwissendsten Barbaren zeigen, welche das Selbstgefühl eines gebildeten Mannes stets auf die härtesten Proben stellen. In diesem Falle kamen noch die Unverschämtheiten der griechischen Schmarotzer des Ministers hinzu, welche als Verwandte desselben sich einbildeten, alle Angestellten in dessen Hause wie ihre Diener behandeln zu können. Uebrigens soll im Augenblick kein tunisischer Großer mehr im Stande sein, Europäer in seinem Dienst zu halten, da diese sich's doch nicht gefallen lassen, Jahrelang ohne Gehalt zu bleiben, wie die armen Moslems, welche ähnliche Stellungen einnehmen: der einzige erste Minister bildet hierin noch eine Ausnahme, er allein hat in dem allgemeinen Elend seine übel erworbenen Schätze behalten und trägt noch einen Luxus Zur Schau, welcher für die Aermeren gradezu beleidigend und herausfordernd ist. Von dein unverschämten Luxus und üppigen Wohlleben im Palast der Großen zu der tiefsten Armuth und dem dürftigsten Dasein in der Hütte der Niedrigen ist in solchen Ländern, wie Tunis, nur ein Schritt. Beide, der Vornehme, wie der Geringe, wohnen oft dicht nebeneinander, beide gehören, was ihre Bildung betrifft, zu einer und derselben Classe, beidc sind von demselben Aberglauben und denselben Vorurtheilen erfüllt und unterscheiden sich eigentlich nur durch ihren Reichthum und ihre Armuth. Manchmal kommt es vor, daß der Vornehme, der mit goldenen Epauletten und dem Diamantnischan auf der Brust sich am Hofe des Fürsten spreizt, der nächste Verwandte, ja der eigene Bruder irgend 113 emcs bettelarmen Hüttenbewohners ist, und nicht selten, wenn wirIzwischen dem Werth dieser beiden Menschen einen Ver-gleich^anstellen, werden wir finden, daß sich die Wagschale zu Gunsten des Aermern hcrniederneigt. Mir wurde ein solcher Fall bekannt, in welchem der eine Bruder unter den Günstlingen des Bey eine hervorragende Stellung einnahm Und der andere, arm und unbeachtet geblieben, das bescheidene Aemtchen eines Fußbodenkchrers in einer kleinen Moschee verwaltete. Der erstere war ein völlig unwissender, wher junger Bengcl, der andere, nach arabischen Begriffen, ^n Gelehrter, wußte nicht nur den ganzen Koran auswendig, sondern hatte auch noch von den Commentaren einige vollkommen im Kopf, ja er erhob sich in seiner Kenntniß vom ^au der arabischen Sprache weit über das Niveau der stereotypen Classe arabischer Gelehrten, welche gewöhnlich sich von eingelernten Papageien wenig unterscheiden. Durch einen Zufall hatte ich diesen gutmüthigen Mann kennen gelernt und ein Besuch in seinem bescheidenen Haussen sollte mir einen Einblick in die Verhältnisse einer är-Meren Familie in Tunis verschaffen, das heißt einer Familie, welche man als die Repräsentantin von neun Zehntheilen der hiesigen Bevölkerung ansehen kann. Sidi Mahmud, so hieß ^'r arme Teufel, wohnte in einen; der abgelegensten Quar-tiere von Tunis, in der Nähe der etwas baufälligen kleinen Moschee, deren Reinlichhaltung seiner Fürsorge anvertraut luar. Nur einem ausnahmsweisen Umstand verdankte ich es, baß ich ihn überhaupt in seinem Häuschen aufsuchen konnte, ^'m nämlich, daß er mit einer Negerin vcrheirathet war. Denn in ein Haus, in welchem eine arabische Frau wohnt, ""rf eigentlich nie ein Besuchcr eingelassen werden, da die Äraberinnen der Stadt, und seien sie auch die häßlichsten, "le ältesten oder die ärmsten, streng dem moslimischen Sitten- S 114 gesctz der Abgeschlossenheit von der Welt im Allgemeinen und von allen Männern im Besondern unterliegen. Aber bei einer Negerin erscheinen derlei Sittcnvorschriften nie so streng angewandt; eine solche braucht ihr Gesicht nicht zu verschleiern, sie kann sich auf den Straßen viel freier bewegen, als ihre weißen Schwestern in Eva, und im Hause wird sie nur höchst selten m ein eigentliches Harem eingesperrt; dieß Alles, weil man sie doch eigentlich nur so halb und halb als ein mensch' liches Wesen ansieht, weil man nicht glaubt, daß ihr Gesicht, welches man oft sprichwörtlich „Utsch ei Kelba", das heißt „Hundsgcsicht" nennen hört, irgend Jemand verführen könne. Als Sklavinnen und gelegentlich auch als Ncbcngattinnen erscheinen allerdings die schwarzen Schönen sehr beliebt, aber nur die drückendste Armuth kann einen Araber bewegen, eine solche zu seiner legitimen Ehehälfte zu erwählen. Dieß war aber bei Sidi Mahmud der Fall gewesen. Als Beamter einer Moschee muhte er durchaus im Besitz einer gesetzmäßigen Gattin sein, da nach arabischen Sittenbegriffen jeder Junggeselle gradczu für unmoralisch gilt und die Gattin dao Palladium vorstellt, welches ihn vor Ausschweifungen schützen soll. Nun muß jedoch jede Arabcrin, dic ein Mann zu hei-rathen wünscht, von diesem eine Morgengabe erhalten, welche ihre Aeltern in Empfang nehmen und ohne die sie ihre Tochter nicht herausgeben. So gering aber auch cine solche Morgengabe oft zu sein pflegt (bei Äermeren übersteigt sie selten 500 Piaster, etwa 100 Gulden rheinisch), so hatte dennoch Sidi Mahmud nicht vermocht, sie aufzutreiben, dagegen war es ihm gelungen, die pflichtschuldigst gebotene Gattin in der Person einer freien Schwarzen zu finden und zwar ohne Geldausgabc, da sich die Negerin durch eine so ausnahmsweise Ehre, wie die war, die Frau eines weißen Arabers zu werden, schon hinlänglich bezahlt hielt. Ob diese Ehe eine 115 sehr zärtliche war, möchte ich fast bezweifeln, jedenfalls aber schien sie keine unglückliche. Die Negerin arbeitete für ihren Gatten, sie besorgte seinen kleinen Haushalt und sie machte es ihm möglich, mit der sehr spärlichen Summe von Piastern, welche seinen Gehalt bildeten, auszukommen. Das übertrieben lange Klopfen und Warten an der Hausthürc, welches sonst das unvermeidliche Präludium eines jeden Besuchs in arabischen Häusern bildet, sollte mir ^ießmal erspart bleiben. Sidi Mahmud öffnete vielmehr so-Äeich und führte mich unter sehr ceremoniösen Grüßen, woran es der Araber nie fehlen lästt, in das einzige größere Gemach, welches er sein eigen nennen konnte. Den Stubenboden desselben bildete die nackte Erde, auf der die meisten "rabischen Häuser der ärmeren Classe unmittelbar und ohne cine Spur von Fundament ruhen, aber dieser Boden war von einer skrupulösen Reinlichkeit und glich einem schön makada-Misirten Wege. Auch im Uebrigen herrschte dieselbe Nettigkeit, jeder Schmutz schien streng vermieden oder beseitigt, kurz jener einzige Comfort der Armuth, die Reinlichkeit, fehlte hier nicht, freilich gab es auch außer einer Strohmatte auf dem Fußboden keinen einzigen Gegenstand im Zimmer, an dem sich der Besen oder das Wischtuch einer Hausfrau be-hätigen konnte. Das ganze Gemach zeigte nämlich vier «hie Wände, kein einziges Möbel ließ sich entdecken, außer besagter Strohmatte, wenn man diese überhaupt ein Möbel "ennen konnte, welche zugleich Sopha, Tisch, Stühle, Kom-'node, kurz Alles in Allem ersetzen mußte und des Nachts "uch noch als Vett für die Erwachsenen, als Wiege für die '^nder diente. Bei Tage versah diesen letzteren Dienst der Zücken der Mutter, auf dem sich die Söhne Mahmuds, ein schwarzbraunes Zwillingspaar, nach Herzenslust schaukelten, "bcr für die Nacht war an einem Ende der Strohmatte eine t16 Vorrichtung angebracht, die eine Aehnlichkeit mit einer Hänge' matte zeigte, indem man hier die Matte zusammengenäht und mittels eines Stricks etwas in die Höhe gezogen hatte, so daß sie nach Art einer Wiege geschaukelt werden konnte. Eine Küche war gleichfalls vorhanden, aber von ihr wurde nur selten, nur bei besonders feierlichen Gelegenheiten Gebrauch gemacht, da im gewöhnlichen Leben die ganze Familie sich nur von ordinärem Gerstenbrod nährte, welches man beim Bäcker wohlfeiler taufen, als im Hause bereiten konnte. Die ganze Ausgabe für Mann, Frau und Kinder betrug täglich etwa sieben Kreuzer rheinisch oder zwei Silbergroschen und viel höher belief sich der Gehalt des armen Mannes nicht. Alle Küchengeschirre reducirten sich auf einen kupfernen Kessel und einen Kaffeetopf, alles übrige Geräth auf zwei Kaffeetäßchen, eine große hölzerne Schüssel und zwei Holzlöffel. Letztere wurden nur an Festtagen gebraucht, wenn irgend ein Wohlthäter der Moschee ein Almosen hinterlassen hatte, von denen jeder Beamte sein Theilchen erhielt und Sainab (so hieß die Negerin) ein 5ilisstussu, die Lieblingsspeise der Tuniser, kochte. Meinem Vesuch zu Ehren sollte das Außerordentliche geschehen und wirtlich das Kusstussu bereitet werden, ein Luxus, welcher im Hause Sidi Mahmuds so unerhört war, daß er schier vor Freude darüber den Verstand verlor. Er wurde nämlich durch das Erscheinen dieser luxuriösen Speise überrascht, denn ich hatte seiner Frau im Geheim das nöthige Geld eingehändigt und diese das Kuss-kussu ohne Nissen ihres Gebieters bereitet. Nie blinzelten die Augen des armen Mahmud, als die dicke Sainab, in hochaufgeschürzten Armen die große Holz-schüssel tragend, in das Gemach trat und dieselbe vor ihren Gemahl hinsetzte. Letzterer entwickelte nun den ganzen Pomp arabischer Höflichkeitsphrasen, indent er seinen Gast mit den IN ausgesuchtesten Redensarten bei Tische Platz zn nehmen aufforderte. Dieß Platznehmen beschränkte sich freilich darauf, daß wir uns neben der auf dem Boden stehenden Schüssel hinhockten und jeder einen Holzlöffel in die Hand nahm, um damit aus dem Holzgefäß zu schöpfen, denn von Messer, Gabel, Tellern und dergleichen ist schon bei reichen, geschweige denn bei ärmeren Arabern nie die Rede. Sainab selbst durfte nicht an der Tafel theilnehmen, das wäre gegen alle Schicklichkeit gewesen, ihre Gegenwart wurde überhaupt nur geduldet; aber was man ihr gern gestattete, war, die beiden Säug-linge uns und der Schüssel gegenüber niederzusetzen, um ihnen das Schauspiel (denn um selbst zu essen, waren sie noch zu klein) einer dampfenden Schüssel Kusstussu zu verschaffen, Welches gewiß einen tiefen Eindruck auf diese leichtempfäng-lichcn Gemüther machte. Die Negerin stand in bescheidener Entfernung und labte sich an dem Anblick ihres Gemahls, welcher so fürchterlich in das Kusskussu einhieb, daß sie bedroht schien, selbst nichts übrig zu behalten. Sainabs Kochkunst hatte sich heute vollkommen bewähren können, da keines der Ingredientien eines vollkommenen Kusskussu fehlte, das Grießmehl war das feinste, die Butter vollkommen so ranzig, wie es die arabischen Gastronomen so sehr lieben, die Ham-melsschnittchen, welche oben auflagen, trefflich geröstet, an Rosinen fehlte es nicht, einige Gemüse machten sich gleichfalls M der Mischung geltend und über das Ganze war noch eine Lage dicker Sauermilch ausgegossen; dieß Alles tüchtig mit wthem Pfeffer gewürzt, bildete ein Göttcrmahl, das freilich einem Europäer kaum behagen möchte, welches aber dem guten Mahmud wie ein Vorgeschmack des Paradieses vorzukommen schien. Als wir fertig waren, bereitete Sainab ihrem Eheherrn noch eine Ueberraschung. Sie war zu Ende der Mahlzeit 118 einen Augenblick verschwunden und kehrte nun zu Mahmuds sprachlosem Erstaunen mit dem Kaffeetoftf voll der köstlichen braunen Flüssigkeit, dicßmal im Hause bereitet, und also so viel besser, als die gewöhnliche, aus den, Kaffeehaus geholte, und mit den zwei Kaffeetassen zurück. Dazu hatte nämlich das Geld noch gelangt, welches ich ihr eingehändigt und so konnte der arme Mahmud heute einen Luxus genießen, der ihm vielleicht seit langer Zeit nicht zu Theil geworden war-Auch eine Pfeife, gefüllt mit gutem Tabak, hatte sich die unermüdliche Negerin verschafft und Mahmud, obgleich sonst kein Raucher, gab sich doch heute den« ungewohnten Genusse hin. Dieß Alles, das Kusskussu, der Kaffee, die Pfeife, dabei der Anblick seines stillen Familienglücks, seiner geschäftigen Gattin und seiner beiden schwarzbraunen Sprößlinge, die immer noch vor uns saßen, stimmte ihn so selig, daß er sich auf einmal poetisch angeregt fühlte. Sainab mußte von einem Nachbar eine alte Quitzra (arabische Guitarre) borgen und zu deren Tönen improvisirte Mahmud einige Verse, in welchem er sich selbst, trotz seiner Armuth, den glücklichsten der Menschen nannte, sein Loos mit dein der Reichen und Vornehmen verglich, welche von Sorgen schwer bedrängt würden, und sich selig pries, daß er nichts besitze und doch hie und da frohe Stunden genießen könne. In der That mußte ich mir sagen, daß er nicht so Unrecht hatte und daß Mahmud mit seinem einfachen Familienglück, seiner treu er-gebcnen Gattin, seinein emporblühendcn Kindersegen und seinem eignen heitern Gemüth glücklicher war, als jener oben-bcsftrochene größte Mann von Tunis, der viclbeneidete Minister, es mit seinen schlechterworbenen Reichthümern, seiner vermählten Prinzessin und gekauften Französin, seiner griechischen Schmarotzerbande und seinem Heer von Eunuchen und Dienern wohl jemals sein konnte. Das wahre Glück wohnt 119 "uch in Tunis nicht in den Palästen der Großen, sondern ^U'l häusiger in den Hütten solcher Annen, welche, wie unser Mahmud keinen Ehrgeiz, keine Erwerbsgier kennen, die von den Qualen der Entbehrung eigentlich viel weniger empfinden, als mancher Reiche durch einen kleinen Geldverlust leidet, und die im Stande sind, sich über die einfachsten, unschuldigsten Genüsse des Lebens wie Kinder zu freuen. IV. Straßenleben in Hunts. So früh am Tage, wie in orientalischen Städten, pflegt das Straßenlebcn wohl in keinem Bevölterungsmittelpunkt unsrer civilisirten Welt zu erwachen. Zu einer Stunde, Wenn bei uns noch Alles träge schlummert, herrscht in Tunis schon die größte Lebhaftigkeit und der regste Verkehr auf öffentlichen Plätzen, Straßen, Gassen und Gäßchen, ja ein viel regerer Verkehr, als zu irgend einer andern Tageszeit. — Alles ist geschäftig, Jedermann eilt dem Tagewert zu; viele haben es schon begonnen; die Kameele kommen in langen Zügen vom Lande herein, um Getreide und Früchte auf den Frühmarkt zu bringen; die Gärtner der Umgegend treiben ihre Eselchen herbei, mit Gemüsen und Vlumen beladen; der Kaufmann öffnet seinen Laden, der Krämer seine Bude und die Unzahl hausirender oder auf offener Straße ihr Lager aufschlagender Kleinhändler begiebt sich an ihre verschiedenen Standorte. Alles dieß geschieht mit Geräusch und Geschrei; das Grunzen der Kamecle, das Singen der Esel, die tiefen, rauhen Baßtöne der Landaraber, die feineren Stimmen der Städter und dazwischen der schreiend helle Ton jener unzüh' ligen Kinder und Knaben, welche irgend eine Waare feil' tragen, zuweilen noch übertönt und an Höhe der Stimmleiter übertroffen durch das wie Schakalsgebell klingende Geschrei einer Beduinin, erzeugen ein Tohu va Vohu, welches )eden 121 Morgcnschlaf in der „grünen Stadt" (Tunis el chadra) zur Unmöglichkeit macht. Auch ich pflegte täglich schon lange vor Sonnenaufgang ^urch den Lärm der Straße geweckt zu werden. Was in deinem speciellen Falle wohl am Meisten dazu beitrug, das ^ar eine überaus helle Kinderstimme, welche in meiner nachten Nähe ertönte, so nahe, das; ich oft wähnte, das kleine ^esen müsse im Hause selbst stecken, welches in Zwischcnräu-'Nen von einer oder zwei Minuten immer denselben Ruf erschallen ließ. Dieser Nuf war nicht sehr deutlich zu verstehen, endlich aber gelang es mir doch, seine Bedeutung ausfindig zu machen. Vr lautete „Ja ittania dschay, ja Siadi bschay", das heißt „Kommt, Bäcker, kommt! Kommt, ihr Herren, kommt!" Wozu solltcu die Bäcker kommen? Wahrscheinlich, U'n Getreide zu taufen. Ich steckte die Nase zum Fenster hinaus und erwartete, irgendwo auf der Straße oder m einem ^aden eine große Fruchtnicderlage zu erblicken. Aber umsonst, ^ch vermochte weder das Getreide zu entdecken, noch auch den Nufer ausfindig zu machen. Da aber die Kinderstimme immer von Neuem ertönte, so sollte sie mich endlich auf die richtige Spur lenken. In einem Winkel eines halbverfallenen Basars saß zu einem Ballen zusammengekauert eine kleine Gestalt, ^n Knabe, höchstens siebenjährig, trotz des Winters nur mit einem einzigen Fetzen, einem alten Burnus, behängen, die Haare glattweggeschoren und auf dem Haupte ein winzig kleines rothes Fes wiegend. Dieser Gnom war es, dessen ^ehle den fürchterlichen Lärm verursachte, welcher die ganze Nachbarschaft nöthigte, eine Stunde vor Sonnenaufgang dem Schlummer Lebewohl zu sagen. Wo aber befand sich seine Waare? Lange konnte ich sie nicht entdecken. Endlich aber, als der Kleine einen Augenblick aufstand, bemerkte ich, daß umer den Falten seines Burnus ein Korb, von biegsamem l22 dünnem Flechtwerk verfertigt und folglich sehr leicht zusammenzudrücken, verborgen gewesen war, der nun zum Vorschein lam. Dieser Korb schien etwa zur Hälfte mit Körnern gefüllt, welche, meiner Schätzung nach, im Ganzen höchstens fünf Pfund wiegen tonnten. Das war der Getrcidereichthum, aus welchem die Bäcker ihren Vorrath erneuern sollten und wegen dieses Handels, der auf einen täglichen Absatz von acht Groschen hinauslief, wurde das ganze Stadtviertel geweckt und während des lieben langen Vormittags in Aufregung gehalten, denn die Stimme des kleinen Verkäufers hatte etwas so Schneidendes und Durchdringendes, daß sie mich in allen meinen Beschäftigungen, beim ^esen wie Schreiben, beständig störte. Einmal gerieth ich auf den kühnen Gedanken, mir den kleinen Schreihals, wenigstens für die Dauer eines Vormittags, vom Halse zu schaffen und ließ ihm schon in der frühesten Morgenstunde seinen sämmtlichen Vorrath abkaufen, ein Geschäft, bei dem ich nur einen Franken auszulegen hatte. Aber das musite ich schwer bereuen. Denn bald kehrte das kleine Ungethüm mit erneuertem Handelseifer und beladen mit einem zweiten Korb voll Körnern, ermuthigt durch das glänzende Geschäft des Morgens, und mit einer solchen Po-tenzirung seines Organs zum gewohnten Treiben zurück, das; mir schier das Gehör darüber verging und ich an diesem Vormittag gezwungen wurde, auf die Straße zu eilen, und andere Gegenden der Stadt aufzusuchen, in welchen die kleinen Handelsgenies nicht mit so hohen Kehltönen begabt waren. Ehe ich von meiner Wohnung aus in «ine eigentliche Straße gelangte, mußte ich über einen Markt schreiten, auf welchem sich hauptsächlich die Landarabcr oder Beduinen ein-zufinden pflegten. Dieser Platz, der in den Nachmittagsstunden einer kleinen Wüste an Einsamkeit und Verödung 123 ^ch, bot am frühesten Morgen das Bild des regsten Treibens, des buntesten Gemisches und der mannichfaltigsten Abwechslung dar. An seinen Seiten waren lange Reihen schwär-Her, niederer, kegelförmiger Zelte, deren Wände aus Thier-häuten oder duntlen Kameelhaardecken bestanden, provisorisch, "- h. für die Dauer des Morgen«, aufgeschlagen, vor welchen >Hnnchen diesen Gruppen wanden sich die zerlumpten Veduinen, Hre Herren, herum, meist kleine, magere, schwarzbärtige Gehalten, fast alle von abschreckender Häßlichkeit, über die Ma->^n schmutzig, aber doch malerisch, wie alles Zerlumpte und ^'ie namentlich die Lumpengestalten des Orients, welche sich in ^itr, an die römische Toga erinnernde patriarchalische Ge-^ande hüllen, deren Normalzustand lumpen und Schmutz zu »ein scheint, denn ein reinlicher Veduine, wenn es überhaupt ^och heut' zu Tage einen solchen seltenen Vogel giebt, eriw '^rt allzusehr an etwas Theatralisches und Unnatürliches, ^nter sie mischten sich die Käufer, meist tunisische Kleinbür-3er, mitunter auch ein Pfiffiger Jude im langen fettigen ^aftcm oder ein verschmitzter, spitzbübischer Europäer in dem ^'Ugen Futteral französischer Meidung, mit der unvermeidlichen ^ngströ'hre auf dem Haupt. 124 Alle diese Leute zanken, schreien, brüllen und heulen durcheinander, denn ohne einen heftigen Wortstreit oder wenigstens, was jedem entfernten Zuhörer als ein solcher vorkommen muß, kann hier kein Geschäft abgemacht werden. Hie und da gerathen sich auch ein Paar Veduinen in die Haare oder vielmehr in die Haarzöpfe, denn alles Haupthaar ist abrasirt mit Ausnahme desjenigen, welches den höchsten Scheitelpunkt bedeckt, dieses aber erreicht auch eine schreckenerregende Länge, schrcckencrregcnd für denjenigen, welcher bedenkt, was in einem solchen Haarzopf Alles leiben und leben mag. Manchmal regnet es auch Prügel, aber selten wird Einer todtgeschlagen, da gewöhnlich die väterliche Polizei den Thäter in ihre Arme aufnimmt, ehe er es so weit gebracht hat. Dann erscheint der feiste Major mit seiner altmodischen Uniform und dem Commandeurkreuz des Nischan Iftichar, gefolgt von einer Schaar bettelhafter Soldaten in abgerissener Zuavcmmiform, welche die Streitenden, und nicht selten auch manchen Unschuldigen, packen, beim Schöpf oder beim Burnus entlang ziehen und mit Kolbenstößen und barbarischen Hieben so lange bearbeiten, bis sie ihn glücklich in's Gefängniß abgeliefert haben. An der einen Seite des Marktes hockt auf dem Boden die lange Neihe der Brodverkäuferinnen, alle ohne Ausnatnm' Negerinnen, die Kniee hochaufgereckt, und das dünne, wadenlose Vein unverhüllt der Bewunderung der Welt preisgebend. Jede hat fünf oder sechs Laib Brod vor sich, welche ihren sämmtlichen Vorrath bilden und ihr ganzes Vermögen vorstellen, bei deren Umsatz sie vielleicht einen Groschen, wenn es viel ist, gewinnt. Diese Negerinnen sind nicht verschleiert, sondern bieten ihre buldoggenartigen Reize, ihr abschreckendes Gebärdcnspiel, ihren hängenden Ziegenbusen zur Freude jedes 125 "egrophilen, welcher sich etwa in Tunis befinden könnte, unverhohlen dar. Das Vild eines etwas geregeltem Lebens erhalten wir, ^enn wir den Hexensabbat!) des Marktplatzes verlassen und ^ eine der Straßen einbiegen, in welchen die arabischen Kleinhändler ihre Läden haben, denn bei den andern Gassen, in denen sich keine Buden befinden, kann man überhaupt uicht von Leben reden, da in ihnen vielleicht nur jede Viertelstunde einmal ein menschliches Wesen zu erblicken ist. Auch vom europäischen Handelsvicrtel will ich hier nicht re-ben, da dasselbe nichts, als einen getreuen Abtlatsch der schmutzigsten Quartiere südeuroftäischer Hafenstädte darbietet. Aber höchst lebhaft und originell zugleich entfaltet sich der öffentliche Verkehr in den Zehn oder zwölf langen Buden-gasjen, Sut's oder Vasare genannt, in denen sich fast kein Wohnhaus, sondern eben nur Läden und Handwerkswerkstätten befinden. Fast in jedem Suk besaß ich einen oder den ändern VetOnnten, in dessen Laden ich nach arabischer Sitte lnein Lager Stunden ja Tage lang aufschlagen durfte, ohne bem Besitzer lästig zu fallen. In einen solchen Laden möchte ich den Leser einladen, mit nur einzutreten und von dessen schattiger Zurückgezogenheit aus, halbversteckt zwischen Waa-rcnballen und bunten Siebensachen aller Art, das tunisische Etrahenleben, wie die Zuschauer im Parterre eines Theaters, an uns vorbeigleiten zu lassen. Besuchen wir zum Beispiel den Laden meines Freundes, dcs dicken Abd-er-Nahman ben Omaya, im Suk der Attariya, ^- H. im Basar der Rosenölhändler, einem der schönsten und ^ornehmsten in Tunis. Der Besitzer, ein gutmüthiger, fei-stn Hcrr in den Fünfzigen, sehr schön lind stattlich aussehend, "üt strahlendem Schmerbauch, einem rundlichen Gesicht mit zwei kohlrabenschwarzen Aeuglcin darinnen, einer allerliebsten 126 kleinen Nase, genau von der Form eines Radieschens und ebenso roscnroth, heißt uns freundlich willkommen und wir nehmen in dem kleinen Raume Platz. Klein ist der Nauin allerdings und nicht viel größer, als eme Nische, in der man einige Statuen aufgestellt hat. Statt Statuen muß er freilich heute mit lebendigen Menschen vorlieb ,nchmcn, die sich jedoch nicht viel mehr rühren, als jene leblosen Bilder, denn die Gäste sitzen ganz stille, wie es der arabische gute Ton erheischt und der Wirth rührt sich nur dann, wenn eine Waare von ihm verlangt wird, was selten genug vorkommt- in solchen Fällen braucht er aber auch nur die Arme auszustrecken, um das Verlangte sogleich zu erfassen, da kein^Theil seiner Bude sich außer dem Vereich seiner Hände befindet, wenn er in der Mitte derselben sitzt. Finden wir uns in der frühesten Morgenstunde ein, so können wir die andern Attariya, unsre 'Nachbarn, beobachten, wie sie sich allmählich in ihren Buden niederlassen. Alle diese Leute betreiben dasselbe Geschäft, das heißt sie verkaufen neben dem Rosenöl, wovon sie den Namen herleiten, noch allerlei Luxusartikel, kleine Tischchen mit Perlmutter eingelegt, Gefäße und Vasen aller Art, Tabakspfeifen und Bernsteinspitzen, scidne und goldstoffne Tücher. Cashmirshawlc und gleich nützliche Gegenstände. Endlich sind sie alle für das wichtige Geschäft des Vormittags eingerichtet. In jedem Laden hockt der ehrwürdige Verkäufer, sich in dessen Mitte so breit als möglich machend, und in einem Winkel sitzt ein schmächtiges Bürschchen, sein Lehrling, dessen Hauptgeschäft Nichtsthun und gelegentlich irgend ein kleiner Ausgang für feinen Herrn bilden. An diesc Buden treten nun, einer nach dem andern, die verschiedenen Morgenbesuchc heran. Im Winter pflegt der erste dieser regelmäßigen Besucher gewöhnlich der sogenannte Svlobschi 127 HU sein. Dieser rechnet darauf, daß alle Vudenbesitzcr einen ^linden Morgenfrost enipfinden und sich deßhalb danach schien, sich durch das von ihm feilgebotene Getränk, den Sölob, einen kleistcrartigcn Absud von Malz, stark verzuckert und 'uit gepulvertem Ingwer bestreut, zu erwärmen. Die Zunge kann man sich allerdings daran verbrennen, ob aber die innere Erwärmung von langer Dauer, habe ich nie erprobt, da ich es brim ersten Schluck des tleisterartigen Gebräu's bewenden ^eß. Der Sölobschi schleppt seine ganze Bude mit sich auf dem Nucken, d. h. ein Gestell mit Tassen, Kohlenfeuer und ^'M dampfenden Sölobtopf. Ueberall, wo er sich auf der ^traßc niederläßt, imftrovisirt er eine Art von Kaffeehaus. Der wirtliche Kaffcewirth sieht ihn ungern und wird umgc-kehrt auch von ihm nur mit Mißgunst angesehen, da der eine den Andern für einen Concurrenten hält, denn wer Morgens Eölob trinkt, der schenkt sich den Kaffee und wer auf erstem verzichtet, der fällt dem Hausirenden Kaffeewirth in die Hände, letzterer dominirt übrigens den ganzen übrigen Tag, nach ^en ersten Morgenstunden hat er den Sölobschi aus dem Felde geschlagen, denn weiter, als bis zu einer Tasse Eölob bringt ^ der Araber nicht, während er doch unzählige Tassen Kaffee's zu sich nehmen kann. Der Kaffeewirth ist deßhalb eine wichtige Persönlichkeit lin arabischen Straßcnleben. Denn wenn er auch meisten-theils eine kleine Bude hält, wo er das duftende Getränk feilbietet, so bietet doch das wandernde Kaffeehaus ihm un-klleich mehr Vortheil und bessere Kunden. In den eigentlichen Kaffeehäusern findet sich nämlich fast nur Janhagel und Vaga-bundenpack ein; dagegen macht von dem wandernden Kaffeehaus cin jeder anständige Bürger von Tunis wenigstens vier ^al täglich Gebrauch- denn jeder verbringt einen großen Theil bes Tages im Basar-, sei er auch weder Käufer noch Ver- 126 käufer, so hat er doch immer einen Freund daselbst, der in letzterer Eigenschaft einen Ladcn besitzt und bei diesem Stunden lang zu sitzen, bildet seine größte Freude, nicht etwa des Freundes wegen, sundern um von dort aus das Straßenleben genießen zu können. Das wandernde Kaffeehaus befindet sich auf dem Nucken seines Wirths in Gestalt von Töpfen, Tassen, Kohlenbecken, einer Unzahl winzig kleiner Kaffeekännchen u. s. w. Gewöhnlich begleitet den Wirth sein Lehrling, eine kleine stumme Persönlichkeit, deren einziges Geschäft das Einschenken von Kaffee und das Hinhalten einer glühenden Kohle zum Anzünden der Pfeifen bildet. An jedem Laden wird Halt gemacht und immer ist einer oder der andere der Insassen gerade einer Tasse Kaffee bedürftig. Viel Nufen und Fragen, ob man zu trinken wünsche, findet dabei nicht Statt. Der Wirth kennt seine Kunden schon und das ganze Geschäft geht so regelmäßig, wie ein Uhrwerk. Hat er einen solchen Kunden gefunden, dann stellt er den Rohlentovf auf die Straße, bläst das Feuer ein wenig an, und hält eine winzig kleine Nasserkanne darüber. Siedet das Nasser, so gießt er es in eine andre womöglich noch kleinere Kanne, in welcher sich schon der gepulverte Kaffee befindet. Darauf setzt er diese kleine Kaffeekanne, welche stets nur so viel, wie für ein Täßchen hinreicht, enthält, auf die Kohlen und läßt das Wasser noch einmal aufsieden. Dann ist der Kaffee fertig. Der Diencr überreicht ihn und die wandernde Kaffeebudc begiebt sich an den nächsten Laden, ohne auf's Austrinten zu warten, denn die Tassen werden erst beim Rückweg abgeholt, da man noth' wendiger Weise einem gravitätischen Moslem eine Stunde Zeit lassen muß, um zwei oder drei Schlückchen Kaffee zu trinken. Im Laden meines Freundes, des dicken Abd-cr-Nahmcm, erfreut sich sowohl der Sölobschi, als der wandernde Kaffee- 129 Wirth vorzugsweiser Beliebtheit. Vom Kaffee namentlich ist ^er Besitzer der Vude ein großer Freund und fchlürft täglich wenigstens zwölfmal den Inhalt eines Täßchens hinab, was freilich Alles zusammen noch nicht so viel Flüssigkeit aus' inacht, als eine Kaffecschwester bei uns im Lauf einer halben Stunde zu verzehren pflegt. Den Sölob dagegen genießen Nur seine Freunde und Kunden, ihm selbst macht sein dicker Fettwanst jegliches Erwärmungsmittel überflüssig. Aber ein andrer Künstler findet Gnade vor seinen Augen und zwar in einem solchen Maße, daß er dessen Ankunft mit Ungeduld erwartet. Desto höher steigert sich oft die Ungeduld, als dieser Künstler große Unregelmäßigkeit in seinen Gewohnheiten zeigt: zuweilen kommt er schon in frühester Morgenstunde, Manchmal aber erst um Mittag, kurz sein Erscheinen ist lediglich bon seiner geistreichen Laune abhängig. Dieses Erscheinen kündet schon von Weitem ein Rufen an, ganze lange arabische Sätze werden hörbar, aber selten verständlich, denn das Organ bes Mannes ist so übertrieben näselnd, daß selbst der schönste arabische Gesang an Fülle der grunzenden Töne dagegen zurückstehen muß. Endlich taucht der Inhaber der schönsten ^asenstimme in Tunis am Horizont der Budenstraße auf. Nir erblicken eine kleine verwachsene Gestalt (ich spreche hier "atürlich von dem speciellen Lieferanten Abd - er - Rahmans) Mit einem, vielleicht auch zwei Höckern, wie das battrianische Trampelthier, die Gewände des Männleins erscheinen näm-lich auf solche Weise drapirt, daß Letzteres wahrscheinlich wird, wit dünnen spitzwinklichen Gliedern, aber einem sehr ausdruckst b°llcn, langen Gesicht, von schwachem, weißem Bart bewachsen, wit zwei übermäßig großen Augen, aus denen eine gewisse Gemüthlichkeit und nicht wenig Humor spricht. Gekleidet ist bie Gestalt in eine viel zu lange Dschubba (halbscidnes Aer-welhemd), auf dem Haupt schaukelt sie einen riesigen Tur- 9 130 ban und an den Füßen balancirt sie höchst künstlich ein Paar Schlappen, die eigentlich nur an Zwei Zehen wirklich angezogen sind, während sie dem übrigen Fuß nur als gelegentliche Unterlage dienen, gelegentlich, denn das kleine Original ist oft nahe daran, sie zu verlieren, verliert sie auch wohl manch' mal wirtlich, aber mit wahrer Akrobatenkunst weiß er sie sogleich wieder mit seiner großen Zehe zu erhäschen und ebenso solid und fest anzuziehen, wie vorher. Seines Handwerks ist jedoch unser Künstler keineswegs ein Akrobat, diese Fertigkeit bildet nur seinen Zeitvertreib, sondern ein sogenannter Haluatschi, das heißt Verfertigcr von Süßigkeiten und Vcr-süßer des Lebens. Denn er verfertigt nicht nur eine Unzahl arabischer Kuchen und Küchlein, sondern er weiß sie auch auf eine so angenehme und das Selbstgefühl des Empfängers lieblich kitzelnde Weise darzureichen, daft er ihren auf die Sinne wirkenden Reiz noch durch die Nürze geistiger Befriedigung erhöht. Seine Hauptmachwerke bilden Ogribia, ein kleines Oel< gcbäck, Luö, ein Mandeltuchen, Kteif, eine Art von dünner Nudeln, Elabia, ein hohles Vackwerk, dessen Höhlung mit Honig gefüllt ist, und unzählige andere. Für jedes Vackwerk und für jeden Empfänger besitzt er eigne schmeichelhafte Redens' arten, deren blumenreiche Sprache wir von den Märchen von Tausend und einer Nacht kaum übertroffen finden. Reicht cr dem dicken Abd-er-Rahman seinen Lieblingstuchen, die Ogribia, dar, so ruft er dabei: „Süß wie der Zucker dieses Vackwerks Deine Augen, wie die Form dieses Kuchens lieblich gerundet Deine Gestalt, wie Vollmond strahlend Dein Angesicht, o Glück und Seligkeit für uns, die es befchattct!" Man kann sich denken, daß ein Mensch, dem so schön geschmeichelt wird, die süßesten Nonnen der Selbstbefriedigung empfinden muß und Abd-er-Rahman scheint auch keineswegs unempfänglich dafür, denn sein Antlitz will plötzlich vor freudigem Lächeln m schier zerplatzen. Weniger schmeichelhaft, wenigstens nach Unscrn europäischen Begriffen, ist die Anrede, die der Ha-luatschi an einen zarten Jüngling richtet, der im Nachbarladen sitzt, während er ihm ein weißes Mandelgebäck dar-U'icht: „Weiß wie Mandeln Deine Wangen, fein wie Zuckerzangen Deine Finger, roth wie Zimmet Deine Lippen, bist Du ein Jüngling oder bist Du eine Huri des Paradieses, die nur dessen Gestalt angenommen hat?" Mit einem weiblichen Nesen pflegt sich sonst tein Mann gern verglichen zu hören, hier aber erregen diese hyperbolischen Redensarten nur allgemeinen Beifall und Heiterkeit und Jedermann lobt den Nitz und die gute Laune des Haluatschi, der für einige elende Kupfermünzen, welche seine Kuchen kosten, die Diamanten sei-Ncs Geistes leuchten läßt. Endlich sind die gewöhnlichen täglichen Verkäufer vorüber gewandelt und nun finden sich nach und nach auch die "Unden ein. Jetzt kommt eine arabische Dame tiefvcrschleiert vder vielmehr gesftensterartig vermummt, in lange weiße Bettlaken gehüllt: sie bleibt am Laden stehen, deutet, ohne ein Nort zu sagen, auf eine Waare und fragt durch Winke und seichen nach dein Preise, denn viel oder überhaupt zu reden, M für eine anständige Marktbesucherm als der schlechteste Ton der Welt. Ist der Preis ein vernünftiger, so zahlt die Dame, ohne ein Wort hervorzubringen. Ist er aber nach ihren Begriffen ein übertriebener, fo verläßt sie auf einmal aller Stoicismus und sie bricht in ein Geschrei von so überaus hellen und hohen Nascntöncn aus, wie dergleichen ein europäisches Organ, glaube ich, gar nicht hervorzubringen verjag: „Ja Sidi (O mein Herr)!" ruft sie, „ich bin ein armes ^eib, soviel kann ich unmöglich geben. Lasse dein Herz erreichen! Habe Mitleid mit einer armen Frau, die kein Brod ^w Hause hat" und so fort. Die arme Frau, die kein Brod 9* l32 im Hause hat und ein Tuch von Goldstoff kaufen will, erregt jedoch nicht das Mitleid des Kaufmanns. Er bleibt fest bei dem einmal verlangten Preis (denn Handeln und Markten darf man eigentlich in Tunis nur in jüdischen und in den weniger geachteten europäischen Läden), und die Dame entschließt sich, entweder doch zu zahlen, oder fie geht tiefaufseufzend mit einem: „Ja Allah! Allah irhamek" (O Gott! Möge Gott Dir verzeihen!)", ihres Weges weiter, um in einer andern Bude dieselbe Komödie noch einmal aufzuführen. Nach einer halben Stunde, denn die Kunden sind selten zahlreich und pflegen sich in großen Zwischenräumen zu folgen, tommt irgend ein Beduine des Innern vorbei, hält sich am Laden auf, fragt mit rauher, tiefer Baßstimme und mit unverschämtem Tone nach dem Preis einer Waare, die er seiner theuren Gattin als Liebesgabe aus der Stadt mitbringen möchte, findet sie zu theuer und geht murmelnd und nicht selten schimpfend von dannen. Ihm folgt nach einer längcrn Pause irgend ein Beamter, mit goldgestickter Uniform und dem Nischan auf der Vrust. Er muß natürlich mit großem Respect behandelt werden, da er, wenn er will, den Kauf' mann jeden Augenblick einstecken kann. Man lädt ihn zum Sitzen ein, tractirt ihn mit Kuchen und Kaffee, schmeichelt ihm und thut ihm schön, daß es eine Freude ist, aber, wenn er nach einer Waare fragt, so pflegt sie gewöhnlich nie vorhanden zu sein. Fast alle Artikel bleiben nämlich so lange in Papier eingeschlagen, bis sie ein Käufer zu sehen wünscht-Deßhalb kann der Verkäufer sehr gut das Vorhandensein dieser oder jener Waare leugnen. Dies thut er auch dem Beamten gegenüber, denn er kennt dessen Weise wohl, Geschäfte abzumachen. Der Beamte handelt und marktet nie, ja er fragt sogar nicht einmal nach dem Preise, dieser kann ihm auch höchst gleichgültig sein, da er doch entschlossen ist, 133 nie zu zahlen. Manchmal sieht sich freilich cin armer Krä-'Uer gezwungen, dem Beamten etwas zu verkaufen, oder viel« wehr sich von ihm ausrauben zu lassen, denn der Würdenträger verlangt zwar dic Rechnung, die man ihm auch in's Haus schickt, was aber dort aus ihr wird, das hat, glaube ich, noch Niemand ergründet. Kurz, bezahlt wird sie einmal gewiß nicht, und deßhalb ist eine Bcamtcnvifitc in einem Laden zwar eine hohe Ehre, aber keineswegs ein willkomm-Ucs Ereigniß. Erst dann, wenn der Veamtc sich mürrisch entfernt, indem er dem Kaufmann zuruft, er solle sich ein andermal besser mit Waaren versorgen, fängt dieser an, auf-Mathmcn und dankt seinem Marabut oder Schutzheiligen, daß der gefährliche Besuch ohne nachthciligc Folgen abgelaufen ist. Inzwischen ist die Straße immer lebhafter geworden. Da wandelt eine nach der andern jener bunten und abwechs-luncMollen Erscheinungen vorbei, welche diesem Straßenleben so viel Anziehendes verleihen. Dort geht oder wankt vielmehr der schwerfällige Kadi auf seinem doppelten Paar Pantoffeln gravitätisch einher, die kolossale Brille auf der ungeheuren Nase, von welcher röthliche Tropfen arabischen Schnupf-tabackssaftes hcrniederrinnen, das Haupt bedeckt mit der Ämama, einem ganz weißen, in hundert gekünstelte, steife Hältchen gebügelten, eigenthümlichen Amtsturban, den engen, grünen Kaftan auf den Schultern und den wallenden Vur-uus hinten herabhängend. Hier sehen wir cinc leichtfertige lunge Bande, aus einem übelberüchtigten Kaffeehause entschlüpft, sich mit sehr unstäten Bewegungen, welche auf einen länger Zugesetzten Natigenuß deuten, durch die Gassen winden und lencs schläfrige und beinahe weibische Sichgehenlassen zur Schau tragen, welches vielen arabischen Jünglingen eigentümlich ist. Einen grellen Contrast gegen dieses unstüte 134 Völkchen bildet cm militärisch cinhcrschrcitendcr sogenannter Ianitscharc (Consulatsdicner), im vollen Pomp orientalischer Tracht sich spreizend, dm silberbeschlagenen Stock in der Hand und den silbernen Nischan unterster Klasse im Knöpft loch. Ihm folgt einer jener in Tunis so häusigen sogenannten Heiligen, entweder ein Wahnsinniger oder cm Schlaukopf, der sich nur wahnsinnig stellt, um vom Mitleid und Aber' glauben der Gläubigen zu leben. Er würde wohl am Liebsten ganz nackt gehen, da die Polizei dieses aber nicht gestattet, so sieht er sich genöthigt, einen Fetzen alter Leinwand um seinen Mittelkörper zu schlingen; sonst bleiben alle Körpertheile unbedeckt: baarfuß, baarhäuptig, mit einem unge, kämmten Wald borstigen Haares und einem zottigen in eine dünne Spitze auflaufenden Bart bietet er sich unseren Blicken dar und verschafft unserm Gehör von Zeit zu Zeit die Ueber-raschung eines nachgeahmten Löwengebrülls, dessen Ausstoßen ein Vorrecht der Heiligen zu sein scheint. Ihm selbst folgt ein anderer Bettler, ein Blinder, geführt von einein alten Veduinenweib mit unverschleiertem, aber bauschig von dicken Nol-lentüchern eingerahmten Gesicht, mit einer härenen Kutte an, der ein kräftiger Kameeistrick als Gürtel dient. Trotz ihrer Armuth trägt fie doch Braeelets an den Armen und Füßen und eine silberne Spange am Kopftuch. Der Blinde hat die Augen ganz geschlossen und mit Pflaster beklebt, da die Araber an eine Blindheit bei offen stchcnden Augen nicht glauben wollen. Hier schleicht, in reinliche weiße Tücher und zwei, oft drei Burnusse gehüllt, eine noch junge, aber hinfällig aussehende Gestalt vorbei, die trotz ihrer warmen Umhüllungen dennoch zu frieren scheint. Es ist irgend ein Bade-diencr, dessen Geschäft nur die Nacht in Anspruch nimmt. Diesem Geschäft verdankt er seine schwache Gesundheit und Hinfälligkeit, denn der beständigen Schwitzkur, wie er sie 135 durchmachen muß, pflegt selten cm noch so kräftiger Körper ZU widerstehen. Unter dem Anschauen solcher und ähnlicher Bilder, hie Und da auch einen: Gespräch mit irgend einem Besucher der >Vudc, pflegt der Morgen im Basar immer auf eine unterhaltende Weise zu verstreichen. Je näher aber die Mittagsstunde heranrückt, desto spärlicher werden die Vorbeigehenden, desto dünner gesät die Besucher. Ein Kaufmann nach dein andern schließt seinen Laden, die Marttleute kehren nach Hause zurück, die Hausirenden Händler verschwinden, Stille tritt an die Stelle des früheren Lärms, Ausgcstorbenheit an die des eben noch so lebhaften Treibens. Endlich ist die Sonne im Meridian angekommen, der Mueddin besteigt den Minaret der nahen Moschee, zieht die weiße Fahne auf und verkündet in hclltönendem Singsang den Gläubigen die Gebetesstunde des Oelam (Mittagsgebets). Nun verlassen auch die letzten Nachzügler den Basar, die Einen, um in die Moschee zu gehen, die Meisten aber, um gleich zum Mittags-essen nach Hause zu eilen. Jetzt feiert der Vasar und mit ihm alle Straßen von Tunis eine oder zwei Stunden lang in vollkommener Verödung. Am Nachmittage erwacht zwar wieder einiges Leben, aber viele Vudenbesitzer bleiben in ihren Harems, da das Nachmittagsgeschäft sprichwörtlich für ledern gilt, um erst am andern Morgen wieder zu erscheinen, denn das eigentliche Straßenleben von Tunis beschränkt sich doch hauptsächlich auf die Morgenstunden. Zer Kaschischraucher von Algier. Wenn der europäische Tourist sich von den Ufern der kahlen Provence über das schöne, dunkelblaue Mittelmeer tragen läßt und nach achtundvierzigstündigcr Seefahrt in der weißen Hauptstadt Algeriens landet, dann wird es ihm am Anfang vorkommen, als habe er ein Stück von Europa mit dem andern vertauscht. Auch wird nichts ihm diesen ersten Eindruck rauben, so lange er nur in den geradlinigen Straßen und auf den weiten, streng nach dem Ninkelmaaß ab-gegränzten Plätzen des in der Obene gelegenen Stadtthcils weilt. Alles erscheint hier französisch und nur hie und da ein wallender, weiter, ehemals weißer Burnus, nur hie und da ein malerisch zerlumpter Araber des Inneren oder ein noch zerfetztercr Kabyle mit tausendfach geflickten und ebenso oft wieder zerrissenen, von Oel triefenden Gewänden erinnert den Reisenden daran, daß er in einem andern Wclttheil und unter Menschen weilt, deren Glaube und Gebräuche, Sitten und Anschauungen, ja selbst deren Tugenden und Laster ganz andere sind, als die der bleichgesichtigen Söhne Europa's. Wenn er aber den auf dem Hügel gelegenen, älteren Stadttheil, welcher noch grösitentheils von Eingeborenen bewohnt wird, aufsucht, dann wird er inne werden, daß er sich in einem Umkreis von Erscheinungen bewegt, welche von den gewohnten auffallend abweichen. Auf der Straße freilich 137 ^trd er die Sitten des fremden Volkes nur wenig, ich möchte '^3en, nur in ihrer negativen Form, studiren tonnen. Denn ^s ist die auffallende Seite in den Sitten aller mohammeda-^schen Völker, daß sie im öffentlichen Leben so affectslos 'vle möglich erscheinen. Das arabische Sprichwort: „Schweifn ist Gold, Reden ist nur Silber", dieses Sprichwort ha« "en sich diese Völker gründlich gemerkt, und das; sie dessen ^old keineswegs verachten und sehr gut seinen Mehrwerth vor dem Silber zu würdigen wissen, davon liefert ihre große Schweigsamkeit im öffentlichen Leben einen unwiderleglichen "rweis. Aber ihr Schweigen erstreckt sich nicht nur auf die Sprache. Auch in ihren Bewegungen, ihrem Mienenspicl, ^em Ausdruck ihrer Augen zeigt sich derselbe Wunsch, so we-^g als möglich zu sagen und nicht nur sprachlich, sondern ^Uch durch Geberden zu schweigen, und wenn sie ja einmal !^ch genöthigt sehen, den Mund aufzuthun, so geschieht dieß ^eist nur aus dem Grunde, um das allerdringendste Geschäft ^zumachen. Oder, müssen die gangbaren Höflichkeitsformen bischen Bekannten und Verwandten ausgetauscht werden, w pflegt der Araber zu diesem Zweck unwandelbar feststehende, ^geschriebene Sätze zu gebrauchen, welche man eigentlich ^ur eine andere Form des Schweigens nennen könnte, denn ^ erweisen sich vollkommen nichtssagend, so nichtssagend, daß ^'lbst die abgedroschensten europäischen Höflichkcitsphrasen darben noch bedeutungsvoll und abwechslungsreich erscheinen Ersten. Ist zum Beispiel ein Araber sterbenskrank, so gebetet ihm dennoch das eiserne Gesetz der Höflichkeit, auf ^^e Frage nach seiner Gesundheit mit der stereotypen Formel zu antworten: „Mein Befinden ist vortrefflich, Gott fei ^für gelobt und gepriesen." Worauf der Andere, selbst wenn ^ sich innerlich über den elenden Zustand seines kranken freundes entsetzt, nicht minder höflich zu entgegnen pflegt: 138 ,M freut mich, Dich so wohl zu sehen. Mögest Du Dich stets so ausgezeichnet befinden. Gott ist gnädig und bann-herzig." Ein Europäer würde hierin eine gelinde Ironie erblicken-Aber an solche denkt tein Araber. Ironie scheint ihm, we-nigstens dem algierischen Araber, fremd. Selbst zu einem gemüthlichen Lachen ist er nur sehr schwer und nur im vertrautesten Bekanntenkreise zu bringen. Auf der Straße zu lachen oder auch nur zu lächeln, das würde er fast für Sünde halten. Dennoch wäre es ein großer Irrthum, zu glauben, daß diese Leute, weil sie affectlos scheinen, es auch wirklich seien. Nein, sie fühlen Schmerz und Freude lebhaft, vielleicht mit erhöhterer Lebhaftigkeit, als irgend ein Europäer. Aber ihre Sittenlehre, welche ihnen schon in frühester Jugend den Gedenkspruch einflößet: „Dein Gesicht sei ein übertünchtes Grab", diese Sittenlehre macht es zum unumgänglichen Gesetz, im öffentlichen Leben alle Affecte zu bemeistern. Sie haben es auch wirklich meistentheils bis zu einer solchen Virtuosität W der Verstellungskunst gebracht, daß ihnen dieses vortrefflich gelingt. Nur dann, wenn abnorme Störungen in ihrem geistigen Leben eintreten, nur in diesem Ausnahmsfalle scheinen sie fähig, den eingelernten Sittenspruch zu vergessen, dann werfen sie aber auch alle Verstellung ab und zeigen sich plötzlich so reich an dem abwechslungsvollsten Geberdenspiel, so pantomimisch ausdrucksvoll, wie kaum jemals irgend ein Europäer, würde er selbst von dem heftigsten Affectc beherrscht-Ich meine hier nicht nur jene geistigen Störungen der ärg-sten Art, welche denjenigen Araber, den sie befallen habest, zum Heiligen stempeln, so daß derselbe, so wie er einmal als wahnsinnig anerkannt ist, sich von nun an Alles erlauben kann, was bei Andern das Vorurtheil seiner Glaubens- 139 cruder, ja selbst was die gute Sitte verbietet, und der trotz aller Verstöße gegen den Anstand dennoch stets mit der größten Ehrfurcht behandelt wird. Weniger Ehrfurcht, sondern vielmehr ein gewisses abergläubisches Grauen, mit Abscheu gemischt, erwecken bei dem gläubigen Moslem jene Arten von vorübergehender Geistesverwirrung, welche das Resultat vom Genusse gewisser Pflan-Ausäste sind. Diese Arten von Geistesverwirrung pflegen ^lr in Europa sehr prosaisch schlechtweg Betrunkenheit zu kennen und als eben kein übertrieben großes Uebel anzusehen, ^lber wie verschieden Zeigt sich die Berauschthcit eines Arabers bon der eines Europäers! Der Europäer, welcher Alcohol ^nter irgend einer Gestalt zu sich nimmt, thut dieses doch nur tu den wenigsten Fällen mit dem selbstbewußten Vorsatz, sich "le Besinnung Zu rauben. Dem Moslem dagegen, wenn er doch einmal das Gebot seines Korans übertreten will, ist einzig und allein die Betrunkenheit Zweck, der Geschmack des Getränks scheint ihm gleichgültig, die feinsten Weine schätzt er nicht, der Werth der Flüssigkeit hängt für ihn lediglich bon ihrer berauschenden Eigenschaft ab. Jeden andern Effect ^r lieblichen Gottesgabe, des Weines, verachtet er und hält-es für kindisch, Wein zu trinken, ohne den Zweck vollkommener Besinnungslosigkeit zu erreichen. Früher war es ^n- Naki oder Arak, welcher vor allen andern Betäubungsmitteln bei dem Uebertreten der ^orangesetze den Vorrang ^noß, denn der Wein selbst erfreut sich einer viel geringeren Beliebtheit, weil weniger berauschend. Seit aber die Franzosen ^'n Absynth in Rordafrita eingeführt haben, seitdem pflegen alle schlechten Moslems diesem grünlichen, bittersüßen Getränke ^n Vorzug zu geben, in welchem man sich einen höchst anständigen Rausch holen kann, besonders wenn man ihn in sehr großen Quantitäten und ohne Wasser beizumischen trinkt, in 140 welcher ungemilderten Form ihn die Araber mit Vorliebe zu sich nehmen. Man kann in den Straßen der cinst so streng muselmännischen Stadt Algier jetzt täglich Araber, freilich mehr solche, welche aus andern Provinzen eingewandert sind, jedoch auch hie und da ächte Mauren, sehen, welche sich unte< dem Einfluß irgend eines alcoholhaltigen Getränkes, Vorzug' lich aber des geliebten Absynth, einer ganz europäischen Leb« haftigteit hingeben, welche ebenso unsicher gehen, ebenso oft den Boden mit ihrem Körper messen oder in einer Gassen' Pfütze ein Bad nehmen, rechts und links Händel anzetteln, die unanständigsten Reden führen, kurz sich ebenso europäisch benehmen, wie ein hochcivilisirter französischer Soldat oder englischer Matrose. Aber dem wahren Orientalen ist diese lärmende und tobende Form der Betrunkenheit doch tief in der Seele verhaßt, um so mehr, als er ein andres Ideal von Berauscht« heit tcnnt und liebt, eine Vcrauschtheit, wie sie der Haschischoder Kif-Raucher dem Genusse jenes narkotischen Krautes verdankt, welches im Orient sich so allgemeiner Beliebtheit erfreut. Das Product dieser narkotischen Pflanze ist nicht der Opium, und die Pflanze selbst keineswegs die Mohnpflanze, wie die irrige Vorstellung der meisten Europäer anzunehmen pflegt. Eigentliche Opiumraucher giebt es im türkischen Reiche ebenso wenig, wie in den Provinzen von Afrika, welche einst mittelbar oder unmittelbar zu ihm gehörten. Diejenige Pflanze, welcher der Araber, sowie Türke, seine Vcrauschtheit a»n liebsten verdankt, ist weiter nichts als eine Abart unsres Hanfs, nämlich der indische oder afrikanische Hanf, in botanischer Sprache (>'lmlml)ig iin!^. Der Araber pflegt dieses Gewächs gewöhnlich schlechtweg den Haschisch (wörtlich übersetzt „das Kraut" oder „das Gras") zu nennen, oder auch den Kif, ein Name, welcher ursprünglich den Zustand bedeutet, 141 ^N der Genuß des Krautes hervorruft. Dieses narkotische "laut wird in dreifacher Form genossen, entWeber durch Nau-chen der getrockneten Blätter eingeathmet, oder in Gestalt klner durch deren Pressung bereiteten Essenz geschlürft oder endlich in Form von Kuchen, welche mit dieser Essenz getränkt wurden, gegessen. Die erste Form heißt schlechthin Haschisch oder Kif, die Weite Afiun, die dritte Madschun. Der Afiun ist sehr we-^g verbreitet, weil er am Verderblichsten wirkt. Am Gelindesten erscheint die Wirkung des Madschun. Die Mitte ^vischen beiden hält der Haschisch oder Kif in» engeren Sinne, das heißt das getrocknete Kraut, welches ganz ähnlich, wie Rauchtabak behandelt zu werden pflegt und dessen Einfluß !ich nur dann so höchst verderblich erweist, wenn man sich d^n Uebergenusse desselben hingiebt. Vei Weitem die meisten ^ebhaber des narkotischen Krautes genießen dasselbe unter der zuletzt erwähnten Form, sammeln sich in Kaffeebuden und kneipen, füllen die kleine Pfeife und verdanken einigen Stunden fortgesetzten Rauchens jenen halb blödsinnigen, halb träumerischen und verzückten Zustand, welcher das Ideal der orientalischen Berauschtheit bildet. Unter dem Einfluß dieses Zustands verhält sich der Mensch, was seine körperlichen Belegungen anbetrifft, vollkommen passiv. Gewöhnlich sitzt er als eine regungslose Masse im dunkelsten Winkel irgend eines dunklen Locales, welches den pomphaften Titel Kaffeehaus fuhrt, aber selten verdient, dort stiert er grade vor sich hin und rührt keine Muskel. In seinen« Aeußern ist gar keine Veränderung vorgegangen, außer vielleicht die, daß er noch stiller geworden erscheint, als er schon vorher war. Aber in ^inem Innern hat sich das Wichtigste ereignet. Er ist direct ^ die schönste Traumwelt eingegangen. Er ist auf einmal der Besitzer unendlicher Reichthümer geworden. Die schönsten !42 Sklavinnen, die unvergleichlichsten Huri's des Paradieses nut Gazcllenaugen,Mtoscnwangcn, Lilienhals und Kirschenlippen gehören ihm. Er vernimmt die süßeste Musik, den holdesten Gesang. Er saugt den Duft der üppigsten Nohlgerüche ein-Er sitzt nicht mehr auf der elenden hölzernen Bank im sogenannten Kaffeehaus. Nein! er ruht auf einem reichgc-polsterten, wollüstigen Diwan, unter einein goldgestickten Baldachin, Alles funkelt um ihn von Diamanten, Rubinen und Smaragden. Die schönsten Blumen wachsen zu seinen Füßen, die buntesten Vöglcin flattern durch die ^uft, er vernimmt das Nieseln einer lieblich murmelnden Fontäne, welche ihm in glühender Wüstenhitzc eiskühlc Labung zufächelt. Die größten Dichter Arabiens umstehen sein Ruhebette und lispeln ihm die begeistertsten Verse in die Ohren. Er ist tein elender halber Bettler mehr, was er noch vor einer Stunde war, nein, er hat Aladdins Wunderlampe gefunden, er ist ein Fürst, ein Sultan, ein Halbgott, mit ewiger Jugend und Schönheit begabt, welchem die ganze Welt gehört und der, wenn es ihm gefällt, selbst Wunder wirken kann. Das ist das Ideal der orientalischen Opiumverzückung und man wird leicht verstehen, daß der Araber eine solche Exstase der plum-pen, schwerfälligen europäischen Betrunkenheit vorzieht. Allerdings erscheint dieses Ideal eines vollkommenen orientalischen Rausches nicht immer in all' seinen Bedingungen verwirklicht. Nicht immer fühlt sich der Haschischraucher so ganz in das Paradies seines Propheten versetzt, wie es seinen höchsten und sehnlichsten Wunsch bildet. Aber in allen Fällen erreicht er doch in soweit seinen Zweck, daß er die Wirtlich-teit und ihr Elend auf Stunden vergißt und seine Phantasie an dem Trugbilde eines geträumten Glückes labt. Nie ft mancher Europäer, und nicht immer nur in den untersten Schichten unsrer Bevölkerungen, oft bei der Flasche einen 143 ^lost sucht und zu finden meint, so ist es auch bei dem Araber Ostens irgend ein Kummer, sei es ein Liebesschmerz oder ^trübte Familienvcrhältnisse, welcher ihn dazu treibt, bei dem Narkotischen Pflanzensafte Versessenheit seiner Leiden zu suchen. Zelten habe ich einen glücklichen und sorgenlosen, einen ge-lUnden und in der ungeschwächten Vlüthe der Kraft und des Mgrudalters stehenden Mann gesehen, welcher zu dem Haschisch Mne Zuflucht genommen Hütte. Warum auch? Ihm fehlt ^chts, er kennt keine Leiden, er hat nicht nöthig, irgend et' ^as zu vergessen. Die Wirklichkeit mit ihren nüchternen meuden bietet ihm mehr, als der Haschischrausch mit seinen gotischen, überspannten Phantasieen, welche sich am andern borgen in Nebel und Dampf auflösen. Aber wie viele Menschen habe ich gesehen, die, unfähig für ihre Leiden zu ^'n höheren Tröstungen der Vernunft ihre Zuflucht zu nehmen, das leichtere Mittel nicht verschmähten, bei dem Haschisch-^usch^ sei es auch nur eine sehr schnell vorübergehende Verlassenheit zu suchen. Ich möchte den Leser einladen, mit mir in eine Haschisch-"ude zu treten und zwar nicht in eine eingebildete, von ^r Phantasie des Dichters nur zum Novellenzwccke geschaffene, ^'m, in eine wirkliche, welche noch existirt und in der Rue "U Chameau in Algier von einem gewissen Omar ben Mohammed gehalten wird. Dieser Omar Pflegte mich stets, so "ft ich seine Bude besuchte, mit großem Respect zu behan-^ln, d^n ich war nn guter Kunde für ihn. Nicht, als ob ^ mir jemals seinen Haschisch verkauft hätte! Nein! aber ^cnn ich auch nichts in seinem Laden genoß, außer vielleicht hie und da ein Täßchen Kaffee, so zahlte ich doch besser, "ls ob ich ein eingefleischter Haschischrauchcr gewesen wäre, b"s heißt etwa das Doppelte dieser Vcrzückungslustigen, und dennoch machte es nach unsern Begriffen nur eine sehr elende 144 Summe. Ich zahlte für die Luft, die schlechte, dumpfige Luft, welche ich in diesem sogenannten Kaffeehause einathmete, und die, so dumpfig sie auch scin mochte, für mich dennoch einen großen Werth besaß, denn es war die Atmosphäre der Haschischraucher, welche seltsame Classe von Menschen ich zur Zeit zu meinem Studium erwählt hatte und die ich nirgends so gut beobachten tonnte, wie hier. Es mochten ihrer etwa zwanzig Stammgäste sein, welche die regelmäßigen Besucher der Haschischbude Omars ausmach' ten. Die meisten derselben schienen Männer in dcn reiferen Jahren. Ich tonnte nur einen cinzigen entdecken, welcher mir noch nicht die dreißig überschritten zu haben schien. Dieser eine sollte mich bald vorzüglich interessiren. Nach AlleM, was ich vom arabischen Keben kannte, dürfte ich mit ziemlicher Gewißheit annehmen, daß ein ungewöhnliches Schicksal ihn zum betäubenden Kraute geführt haben müsse. Natürlich brannte ich vor Begierde, dieses Schicksal kennen zu lernen, und gab mir deßhalb alle Mühe, die Bekanntschaft des jung-sten unter den Haschischrauchern in Omars Bude zu machen-Solches war jedoch gar nicht so leicht zu bewerkstelligen, wie man vielleicht annehmen möchte. Die Haschischrauchcr bilden ein apathisches Volk. Sie pflegen selbst untereinander nur wenig, oder so gut wie gar nicht zu reden, und einem Frew' den gegenüber tritt noch das dem Moslem eingewurzelte Mißtrauen gegen solche, welche sie Ungläubige nennen, hinzu und bewirkt eine desto größere Schweigsamkeit. Es kostete mich viele wiederholte Besuche in der Haschisch' bude, ehe ich es nur dahin bringen konnte, mit Ali — ^ hieß der junge Haschischraucher — jene nichtssagenden Höf' lichteiwphrasen, welche die kleine Münze der arabischen Conversation bilden, auszutauschen. Allmählig jedoch sollte es mir gelingen, ihn an mich zu gewöhnen. Wie mein GesiO 145 Und meine Vcrhaltungsweise ihm vertrauter zu werden an-Mgen, schwand auch immer mehr und mchr seine Zurückhaltung und bald merkte ich, daß ich ihm ein gewisses Zubauen einflößte. Ali schien von Natur ungleich mittheilsamer ^nd gemüthlicher, als die Mehrzahl der Araber. Allerdings hatte der Genuß des grünlich-gelblichen Krautes diese Mit-Hcilsamteit zur Zeit vollkommen gelähmt. Wenigstens Pflegte ^i ihm ebensogut, wie bei allen Andern, allabendlich nach dem Genuß der ersten drei oder vier Pfeifen eine mehr oder weniger vollkommene Apathie einzutreten. Wenn man ihn I^doch frühe an, Abend — denn bei Tage Pflegte er nicht vcn Haschisch zu rauchen — zu einer Stunde antraf, da er "och an seiner ersten oder zweiten Pfeife rauchte, so durfte ^an mit einiger Bestimmtheit darauf rechnen, daß das Eis ^er Schweigsamkeit leichter gebrochen werden könne. So sollte ich ihn auch eines Abends im Ramadan treffen, ^ heiligen Fastenmonat der Araber, in welchem die Jünger "es Propheten sich bei Tage jeglicher Speise, jeglichen Trantes ^nd selbst des Rauchens mit strengster Gewissenhaftigkeit entölten, einer Gewissenhaftigkeit, von welcher kein einziger Moslem, sei er selbst sonst auch der erbärmlichste Schuft, abzuweichen wagt. Für das tagelange Fasten entschädigt da-^uf nnch Sonnenuntergang eine desto reichlichere Mahlzeit, unter deren wohlthätigem Einfluß dann der Gesättigte nicht ^'lten aufzuthaucn pflegt, das heißt gemüthlicher und mittheil-!a»ner wird, als er sich gewöhnlich zeigt. Unter diesem wotil-^hatigen Einfluß schien auch Ali sich am besagten Abend zu befinden. Nach den ersten Begrüßungsformcln beeilte ich mich, ö'e gute Gelegenheit wahrzunehmen und brachte gleich das Gespräch auf das Kraut, welches den Gegenstand seines Genusses bildete, indem ich die Vcmertung machte, daß es mir 10 14« schwer werde, zu begreifen, was man denn an diesem Genusse so Anziehendes finden könne. Ich werde nie den Blick vergessen, welchen mir scim' großen, schwarzen, ursprünglich feurigen, aber nun von schwär' merischer Melancholie umschleierten Augen zuwarfen, als cr diese Bemerkung vernahm. Es lag ein gewisser Vorwurf in ihrem Ausdruck, gleichsam als wollten sie mir Folgendes sagen: „Weil Du gesund bist, so kannst Du nicht begreifen, daß der Kranke die Medicin willkommen heißt, ja selbst mit Gier, mit Wollust einschlürft, sogar dann, wenn sie bitter schmeckt." Aber seine beredten Gesichtswertzcugc waren es nicht allein, welche mir dieses ausdrückten. Auch seine Worte bestätigten dieselbe Sprache: „O Numi (Christ)", so sagte er, „glaubst Du denn, daß ich zu dem Kraute mcine Zuflucht genommen haben würde, wenn mir ein andres Heilmittel übrig geblieben wäre?" „Ein Heilmittel?" rief ich erstaunt, „ich glaubte nicht, daß Du krank seiest und noch weniger hielt ich den Haschisch für eine Medicin." „Der Haschisch", erwiderte er, „ist eine Medicin, welche den Körper auflöst, welche aber die Seele heilt." „Und ist Deine Seele krank?" so fragte ich. „Kranl zum Sterben", antwortete cr, und dabei legte sich sein Gesicht in so ausdrucksvolle Falte»», wie sie nur ei« Orientale zeigen kann und auch ein solcher blos im Moment des höchsten Affects, wenn cr all' die eingelernten Verstellungs-tünste plötzlich vergißt, und die volle Tiefe und Innerlichkeit seiner phantafiebeschwingten Seele in aller Ueppigkeit ihres abwechslungsreichen Spieles zu Tage tritt. Es lag zugleich eine so unbeschreibliche Wehmuth, ein so durchaus lebensmüder Ausdruck in diesen Gesichtszügcn, wie ich dergleichen bei 147 Europäern noch nie gesehen hatte. Ein Gefühl zwischen Mitleid und Grauen und doch zugleich eine gewisse qeheim-nihvolle Neugierde beschlich mich. Ich hätte im Augenblick biel darum gegeben, seine Geschichte zu erfahren. Aber ich Wagte kaum,, ihn nach derselben zu fragen. Indeß sollte mir jegliche Frage erspart bleiben, denn Ali schien heute ausnahmsweise mittheilsam und es gefiel ihm, statt meme Neugierde auf die Folterprobe zu stellen, gleich m mttlUa» run einzugehen. So überraschte er mich denn plötzlich durch die Frage: „Weiht Du was Liebe ist?" „Ich glaube, davon gehört zu haben", antwortete ich. „O, Ihr Europäer", erwiderte er, „seid kluge Leute. Ihr habt Eisenbahnen, Dampfschiffe, Telegraphen und wie alle diese Dinge heißen mögen, die nur Kaufleuten und Spitzbuben Nutzen bringen, erfunden, Ihr wißt eine Menge Dinge, ja Ihr wisset Alles, was der Verstand fassen kann. Aber von Gefühl ist bei Euch keine Spur. Ihr glaubt zu wissen, Was Liebe sei? Aber Ihr irrt Euch. Ihr habt keine Ahnung davon. Das, was Ihr Liebe nennt, das ist nur Nosenwasser, nur ein elendes Schattenbild, ein ohnmächtiger Schemen. Aber wie kann es auch anders sein bei Eurem Geschlecht, bei einem Geschlecht, welches Mandelmilch statt Blut in den Ädern hat, über welchem eine Sonne scheint, die so blaß wie der Mond ist, bei einem Geschlecht, dessen bleiche Hautfarbe hinlänglich seine Verwandtschaft mit dem Eis des Nordpols verräth. Nein! Wer die Liebe kennen will, der Wuß Blut in den Adern haben, heißes, kochendes Blut, wie wir Araber, Vlut — was sage ich Blut? — nein Feuer! Ieucr rollt durch unsre Pulse und unsre Liebe ist eine glü-hcnde verzehrende Flamme." Bei diesen Worten hatten seine Augen auf einmal einen 10* 148 ganz veränderten Ausdruck angenommen. Waren sie früher sanft, schwärmerisch, melancholisch verschleiert erschienen, so zeigte sich nun diese zarte Nebeldecke zerrissen und sie glänzten, Wie zwei feurige Sterne, welche das Dunkel der Nacht durchblitzen. Ein Vlick in diese Augen lehrte mich, daß es ihm mit dem gesagten heiligster Ernst war. Er fuhr fort: „Hast Du noch nie bemerkt, wie viel sonderbare Menschen hier in Algier herumgehen, Menschen von derjenigen Classe, welche man Derwische nennt? Derwische! Das Volk hält sie für heilig und giebt ihnen deßhalb den frommen Titel. Aber in Wirklichkeit sind es Wahnsinnige und weißt Du, warum sie wahnsinnig geworden sind? Aus Liebe, nur aus ^iebc. Ein Muselmann wird aus keinem andern Grunde wahnsinnig. Hast Du je in einer andern Stadt so viel Derwische gesehen, wie hier?" Ich mußte gestehen, daß ich allerdings nirgends so viele Derwische gesehen hatte, wie in Algier, das heißt so viel Wahnsinnige, denn in Algier ist die Sache gleichbedeutend. Im Orient bilden die Derwische religiöse Orden, im Nordwesten von Afrika dagegen sind es die wahnsinnigen Heiligen, welche diesen vermeintlichen Mönchstitel führen. „Du siehst mich an", redete Ali weiter, „und wunderst Dich vielleicht, warum ich nicht auch ein Derwisch geworden bin. O Numi! Ich war nahe daran, es zu werden. Aber ich hatte den Haschisch. Der Haschisch allein hat mich vor dem Wahnsinn behütet. Und nun sage man noch, daß er nicht ein Heilmittel sei. Hätten alle diese Menschen, welche jetzt als wahnsinnige Heilige die Straßen unsrer Stadt unsicher machen, bei dem heilsamen Kraute täglich auch nur für wenige Stunden Vergessenheit gesucht, so würde sie ihr gränzenloses Elend nicht zum Wahnsinn getrieben haben." Ich war immer neugieriger geworden. Soviel ich bis 149 ietzt die Araber kennen gelernt hatte, so bildete die Liebe, wenigstens das, was gebildete Europäer unter Liebe verstehen, kin ihrem Gefühlskreise mehr oder weniger fremdes Element. Natürlich dachte ich, tonne eheliche Liebe bei ihnen ebensogut existiren, wie in andern Ländern, aber selbst das war ich geneigt in Zweifel zu ziehen, denn einer Liebe zwischen gänzlich Unbekannten, die auf Mufti's Befehl am Hochzeitstage "uf einmal von völliger Fremdheit zur höchsten Vertraulichkeit übergehen, einer solchen Liebe fehlte etwas Wesentliches, ^as heiftt. ihr fehlte der Anfang, die Erinnerung, diese Liebe besaß keine Geschichte. Denn alle in Europa üblichen Präliminarien der Ehe, das allmählige Anknüpfen und Befestigen zarter Bande, alle jene feinen Ucbergänge von oberflächlicher Bekanntschaft zu gegenseitiger Würdigung, zur Vertraulichkeit Und endlich zur höchsten Innigkeit, kurz Alles das, was bei Europäern das Verhältniß des Liebhabers und Bräutigams zur Geliebten und Braut mit sich bringt, muß einem Volke Nothwendigerweise abgehen, bei welchem die Ehe durch Vermittlung Anderer ausschließlich zu Stande gebracht wird, bei welchem Braut und Bräutigam sich nie sehen und oft nie in ihrem Leben gesehen haben, bei welchem sogar die Verlobung und die gesetzlich gültige Trauung durch Procuration stattfinden. Ist es nun nicht einmal dem Verlobten gestattet, seine Braut zu sehen, so wird natürlich einem erst auf Freiersfüßen stehenden Manne die Besichtigung der schönern Hälfte der Menschheit womöglich noch mehr erschwert. Ehrbare Mädchen sind dem männlichen Auge durchaus unsichtbar und die-ienigen, welche diesen Namen nicht verdienen und deren Algier leider jetzt ein größeres Contingent zählt, als jemals, dürften wohl nur in den seltensten Fällen ein solches Gefühl ^zeugen, welches wir des Namens Liebe für würdig halten 150 können. Und dennoch war hier ein junger Araber, welcher die Liebe zu kennen, welcher von ihr Unsägliches gelitten z" haben behauptete. Die Sache schien mir cin vollkommenes Räthsel, zu dessen Auflösung ich den ersten Schritt unternahm, indem ich folgende Frage an Ali richtete: „Wie ist es denn möglich", sagte ich, „daß einer von Euch Arabern Liebe zu einem Mädchen fassen kann? Ihr bekommt ja niemals das schöne Geschlecht zu Gesicht." Ali zuckte die Achseln über diese meine Bemerkung. Ich hatte nach seiner Ansicht offenbar etwas sehr Einfältiges, Allzunaives gesagt. Sein Gesicht nahm fast einen Pfiffigen Ausdruck an, als er nun antwortete: „5D Rumi, Du scheinst auch Alles zu glauben, was die französischen Neisebeschreibungen über uns Algierer gesagt haben. Unsre Frauen und Mädchen sind unsichtbar, man bekommt nie eine unter die Augen, außer ticfverschleiert oder Vielmehr verhängt, denn unsre Frauen pflegen ihr Gesicht mit so dichten Tüchern zu verdecken, daß die Bezeichnung „Schleier" nicht mehr darauf anwendbar erscheint. Alles das ist wahr, aber glaubst Du denn nicht, daß ein Mann, der den ernsten Willen hat, cin Mädchen zu sehen, es trotz aller Hindernisse dennoch dahin bringen kann, sie in Augenschein zu nehmen?" Ich gestand zu, daß großer Vcharrlichteit und Ausdauer allerdings oft selbst das unmöglich Scheinende zu gelingen pflege, aber ich sah in diesem Falle nicht ein, auf welche Art und Weise. „Auf welche Art und Weise?" cntgegncte er. „Auf die einfachste von der Welt. Ich will es Dir durch mein eignes Bespiel erklären." Und nun begann Ali die Erzählung seiner Geschichte. Du weißt, daß die meisten Algierer den Winter in der Stadt, den Sommer auf ihrem Hausch (Landgut) zuzubringen 151 pflegen. Was Du aber vielleicht nicht weißt, ist, daß die Frauen ^Uf dem Lande eine verhältmsimäßig viel größere Freiheit genie-^'N, als in der Stadt. Nicht, als ob man ihnen gestattete, sich ans dem Landhaus zu entfernen, oder irgendwo anders zu lustwandeln, als innerhalb der Gartenmauern, aber der ein-snche Umstand, daft die Männer der Familie den ganzen ^nst in der Stadt zubringen, giebt den unglücklichen Harems-^'schöftfen trotz ihrer Abgesperrlheit dennoch eine freiere Belegung, namentlich die Möglichkeit, jede Gelegenheit zu benutzen, um sich etwas Abwechslung zu verschaffen. Doch ge-Uug vom Allgemeinen. Ich will Dir jetzt meinen eignen 3all schildern. Neben dem Landgute meines Vaters lag das eines gebissen Hadsch Omar, eines Mannes, welcher früher ein gro-sles Vermögen besessen hatte, das aber in letzterer Zeit be-beutend zusammengeschmolzen war. Dieser Hadsch Omar be° ^ß eine Tochter, Namens Hanifa, deren Schönheit von Frauen, b'e sie gesehen hatten, gerühmt wurde. Die Schönheit eines Rädchens ist bei uns Arabern der Gegenstand einer solchen ^eheimnißkrämerei, wie Ihr Europäer Euch das kaum den-lcn könnt. Bei Euch pflegen die jungen Männer ganz offen vvn der Schönheit dieses oder jenes Mädchens zu sprechen Und kein Mensch nimmt daran Aergerniß, wenn gesagt wird, dieser oder jener besitze eine schöne Tochter. Bei uns ist das 3anz anders. Ein Araber, der von der Schönheit eines Mädchens reden wollte, würde in den schlechtesten Nuf kommen, ^ würde nicht nur ihre Familie töotlich beleidigen, sondern ^uch von allen, die es hören sollten, unfehlbar mit dem Schimpfwort Kuat sKupftler) gcbrandmarkt werden und "ichts gilt uns schmählicher, als dieses Schimpfwort. So kommt es, daß ein Mädchen niemals im Rufe der Schönheit slchm kann, weil Jedermann es wie die Pest zu vermeiden 152 pflegt, auch nur auf dergleichen Dinge Anspielungen zu machen. Wenn ich dennoch etwas von der Schönheit Hamfa's erfuhr, fo geschah dieses durch die zu solchen Mittheilungen bei uns allein berufene Vermittlung der Frauen. Nicht, als ob eine Frau meiner eignen Verwandtschaft sich dazu hergegeben hätte, die Vermittlerin zu spielen. Nein! meine Mutter und Schwestern besuchten nie die Familie Omars, obgleich die beiden Hausväter vertraute Freunde waren. Aber so will es die arabische Sitte, dah Frauen nur ihre nächsten Verwandten besuchen, denn die Absperrung im Harem erstreckt sich nicht nur auf die Ausschließung allcr Männer, sondern selbst auf die aller Frauen, welche nicht die nächsten Blutsverwandten sind, eine Regel, von welcher nur bei Hochzeiten oder seltnen feierlichen Gelegenheiten eine Ausnahme gemacht wird. Aber es giebt bei uns Arabern eine Classe, freilich eine wenig zahlreiche Classe von Weibern, meist alten, oft uralten Mütterchen, welche zuweilen die Vermittlerinnen spielen. Jedoch auch das thun sie nicht offen, überhaupt betreiben sie ihr Vermittlerinncnamt in sehr vielen Fällen nicht grade als ein Gewerbe, sondern eher als eine Liebhaberei, wie es ja auch bei Euch Europäern Damen geben soll, welche ein besondres Vergnügen daran haben, Ehen zu Stande zu bringen. Ein altes Weib von diesen: Schlage pflegte öfters in unserm Landhause einzusprechen. Meist, wenn sie uns besuchte, kam sie direct von dem Landhause Omars, welches auf ihrem Wege lag. Da war sie denn immer des Lobes voll, was die Schönheit Hanifa's betraf. Da sie mich gewöhnlich nicht sah, indem ich mich in einem Nebenzimmer aufhielt, aus welchem ich sie jedoch sehr gut überhören tonnte, und da sie sich mit meinen weiblichen Verwandten allein glaubte, so gab sie sich gar keine Mühe, ihr Lob auch nur im Geringsten zu mäßigen. 153 ^a einmal ging sie sogar in ihrem Enthusiasmus fo weit, ^aß sie gradezu in die Worte des arabischen Dichters ausbrach: Nie die reine Wüstenquelle Der Oase, tief und licht Ist Dein Äug', selbst die Gazelle Hat so schöne Augen nicht. Ja, sie blenden nah und ferne, Und mit wunderbarer Pracht Wölben sich um diese Sterne Bogen dunkel wie die Nacht. Ach, sie haben mich gefangen, Wie ein himmlischer Gesang, In sie blicken voll Verlangen Möcht' ich Tage, Jahre lang. Ich bin krank und Null vergehen, Voller Lieb' und Sehnsucht ganz, Seit die Augen ich gesehen, Seit verwundet mich ihr Glanz. Euch phantasielosen Europäern mag es wohl lächerlich linken, wie ein altes Weib das Lob einer ihrer Geschlechts-3Mossinnen mit so glühenden Wortcn singen konnte, welche kin Liebhabet kaum feuriger ausstoften dürfte. Aber, um dieß n das eben nun nennen will, weniger auffallend erscheinen K" lassen. Ich gewann die Greisin ganz durch einige geschickte Schmeicheleien, für welche unsere Leute keineswegs unemvfin^ lich zu sein pflegen, und als ich sie mir für völlig günstig gestimmt ansehen konnte, wiederholte ich meine Frage, waru>n Hanifa die bisherigen Freier ausgcschlagen habe. „Mein Söhnchen!" entgegnete die Alte, „das ist ein G^ hcimnisi und zwar ist es mein Geheimniß ebensogut, wie das des jungen Mädchens, und wenn ich mich überreden lass^ es Dir dennoch mitzutheilen, so mußt Du mir vorher bcl 157 ^'bi Mohammed Scheriff schwören, daß Du keinem Menschen °"von auch nur das leiseste Wort verrathen wirst." Ich leistete den verlangten Schwur bei dem Grabe Sidi Mohammed's, den Du nicht etwa mit unserm gelobten Propheten, Elchen wir stets Sidna Mohammed nennen, verwechseln darfst: ^m Sidi Mohammed, zubenannt esch Scheriff ist unser algerischer Stadtheiliger, dessen Grabcaftelle sich in dem huge-^en Etadttheil befindet und noch heute von seinen Nach-^Mmen gehütet wird. Die Alte, durch den von mir geleisteten Schwur voll-bMnlcn zufriedengestellt, fuhr fort: „Du mußt nicht schlecht von dem Mädchen denken, mein ^ohnche,^ wenn das, was ich Dir nun über sie erzählen werde, '^ in einem ganz eigenthümlichen Lichte erscheinen läßt. Aber ^") versichere Dir, es war nicht eine verdorbene Sinnesart, Indern ein verzeihlicher, leichtertlärlicher, ja vielleicht sogar "benswerther Zug, welcher sie so handeln ließ. Es war ein "treben nach der Erkenntniß des für sie geeignetsten Lebens-öleles und nicht blos Neugierde, welche ihr den Wunsch ein-^ßte, ihren jedesmaligen Freier erst vorher zu sehen, ehe derselbe um ihre Hand anhalten sollte." „Wie", rief ich erstaunt, „sie wollte die Freier sehen? ^e konnte sie das ohne gegen alle Gesetze der Ehrbarkeit ^ guten Sitte zu verstoßen?" „Urtheile nicht zu streng, mein Söhnchen", erwiderte die ^e, „ich weiß wohl, daß es nach gewöhnlichen moslimischcn ^en nichts Strafbareres für ein junges Mädchen geben .^n, als der Wunsch, einen Mann zu sehen und sei es selbst ^ eigner Freier und baldiger Bräutigam. Aber ich habe ^r schon gesagt, daß Hanifa kein gewöhnliches Mädchen sei. "kßhalb mußt Du sie auch nicht mit dem gewöhnlichen Maß- 138 stab mcsscn. Sie besitzt so viel ausgezeichnete Eigenschaften daß man bei ihr schon eine Ausnahme machen kann." „Gut", cntgcgnctc ich, „ich bin gern bereit, ihr Vett^ gen mit großer Nachsicht zu beurtheilen, aber diese NachsiO kann sich unmöglich so weit erstrecken, daß ich entschuldigt was im höchsten Grade verwerflich ist. Denn was kann ^ Verwerflicheres geben, als wenn sich ein junges Mädch^ einem Manne zeigt, der noch nicht ihr Ehemann geworden ist- „Aber", erwiderte dic Alte, „wer hat Dir denn gesagt, dnß sie sich ihm gezeigt habe? Sehen wollte sie ihn, aber vo^ ihm gesehen werden, das ist etwas ganz Verschiedenes. I^ mußte den jedesmaligen Freier an eine eigens zu dem Zw^ ausgewählte Stelle in der Nähe der Gartenmauer von H"' nifa's Landhaus bringen und zwar mußte ich dieses unt^ irgend einem anderweitigen Vorwande thun, denn der junß^ Mann dürfte nicht ahnen, weßhalb er dahin geführt wurb^ In dieser Mauer hatte aber das schlaue Mädchen ein Lo'ch' lein angebracht, durch welches sie den Prätendenten ihrcl Hand mustern konnte." Ich war beruhigt, denn wenn auch das Benehmen H^ nifa's auffallend von demjenigen anderer junger Araberinn^ abwich, so war doch in dem bis jetzt Erzählten nichts, wa" mir eine schlechte Meinung von ihr geben konnte. „Und", fragte ich weiter, „fielen diese Musterungen bis jetzt immer zu Ungunsten der Freier aus?" „Immer", entgegnete die Greisin, „sie gefielen ihr Ä^' nicht." „Ist sie denn so schwer in ihrcm Geschmack zu befri^ digen?" fragte ich weiter. „Schwer oder auch nicht schwer", lautete die Antwort, „ich glaube nicht, daß sie Ansprüche erhebt, deren Verwirk' lichung unmöglich wäre, aber bis jetzt fand sie stets etw^ 159 6" den verschiedenen Männern auszusetzen, welche ihr gezeigt 'vurden. Sie entdeckte immer einen Fehler; meistens waren "leselbcn freilich rein äußerliche Fehler, aber die Kleine schloß bon diesen äußerlichen Mängeln auf die Schattenseiten des ^haratters und ich muß gestchen, daß ihre Schlüsse in den listen Fällen keineswegs der Nichtigkeit ermangelten." Hierüber wunderte ich mich nicht, denn ich wußte, daß "!c Frauen und Mädchen unsres Volkes, denen der Nmgang "ut dem andern Geschlechte, ja mit dem, was Ihr Welt nennt, Oberhaupt gänzlich untersagt ist, es im Beobachten der Phy-Iwssnomiecn sehr weit gebracht haben. Einem Europäer mag ^eses freilich unerklärlich erscheinen. Aber jeder Araber weis;, ^ß die Frauen seines Stammes, wenn sie auch eingesperrt ^Nd abgeschlossen leben müssen, dennoch zwischen den Falten Hres Schleiers, hinter dem Gitter ihrer winzig kleinen Fenster, ^us dem Versteck kaum zu entdeckender Mauerlöcher, selbst in ^tn Dickicht scheinbar undurchdringlicher Gartenhaine viel, ja >khr viel beobachten und sich im Beurtheilen des Beobachteten llben. Die Alte fuhr fort: „Als Beweis von der Klarheit von Hanifa's Urtheil Will ich Dir nur das Beispiel des letzten Freiers anführen, "a Du mir das Geheimniß geschworen hast, so kann ich sei-"en Namen wohl nennen. Kennst Du den HafsanbenetTabari?" „Ob ich ihn kenne?" rief ich entrüstet. „Ein Mensch, dcn ich hasse." „Du magst ihn hassen, mein Söhnchen", lispelte die Greisin, „aber Du wirst nicht leugnen können, daß er man-Derlei Vorzüge besitzt; er ist jung, er ist hübsch, er ist reich, l^ man behauptet, sogar sehr reich, er kann seiner Braut die 'Dünsten Diamanten schenken und Du weißt, wie sehr alle Unsre Mädchen an Schmuck hängen und wie ihr höchster Wunsch der ist, ihr Haupt mit Diamanten zieren zu können." 160 „Aber", fiel ich ein, „trotz all' dieser in Aussicht gestellten Diamanten scheint doch Hanifa's Gunst ihm nicht erworben worden zu sein." „Nein", sprach die Alte, „nein, das schlaue, verschmitzte Kind hat aus den Augen Hassan's einen Fehler herausgelesen. Kaum hatte sie diese großen, wässrigen, in die Nelt stierenden Augen erblickt, als sie ausrief: dieser Mensch muß ein Säufer sein!" „Und da hatte sie Recht", unterbrach ich, „denn Hassan ist allgemein als ein schlechter Muselmann verrufen, welcher den von den Franzosen bei uns eingeführten Absynth in sehr großen Quantitäten zu sich nimmt. Man will ihn sogar im heiligen Monate des Ramadan bei Tage betrunken gesehen haben." Die Alte schauderte, denn das war eine Sünde, welche kein Moslem verzeiht. Der Ramadan ist das Heiligste, was wir haben, und wer diesen heiligsten Brauch verletzt, der gilt bei uns für ärger, als der schändlichste Verbrecher. „Wenn er so ein schlechter Mensch ist", fuhr die Vermittlerin fort, „dann wundert mich's nicht, daß Hanifa seine Verworfenheit beim ersten Anblick entdeckte. Einem solchen Sünder muß ja das Kainszeichen auf der Stirn abgeprägt sein. Aber lasse mich endigen. Kurz, sie wollte ihn nicht, ihn ebensowenig, wie alle andern Freier. Ich weiß nicht, ob diese Männer dennoch um ihre Hand anhielten. Aber so viel weiß ich, daß Hanifa auf ihren Vater einen mächtigen Einfluß ausübt und dieser bis jetzt nicht den Muth besaß, seine einzige Tochter zur Ehe mit einem Manne Zu zwingen, welcher ihr durchaus zuwider war. So kommt es, daß die schone Hanifa noch heute Botra (Jungfrau) ist." Nun blieb mir noch übrig, die Alte um ihren Rath zu 161 ^'"gen, welche Schritte ich thun müsse, um mich Hanifa zu Nähern. „Zuerst", antwortete die Vermittlerin auf meine Bitte ">n ihrcn Rath, „mußt Du Dich derselben Bedingung untcr-^'rfen, welcher sich alle andern Freier, die nach Hanifa's Hand strebten, unterzogen haben, das heißt, du muht ihr Beledenheit geben, Dich zu sehen. Dann erst können wir ^'ber das Weitere unterhandeln, wohlverstanden auch nur in bem Falle, daß die Besichtigung zu Deinen Gunsten ausfällt." Natürlich war ich gern bereit, auf alle Vorschläge des ^lten Weibes einzugeyen und unser Gespräch endete für heute banüt, daß sie mich auf einen bestimmten Morgen an die Ecke der Gartenmauer, welche Omar's Landhaus umgiebt, bestellte. Zur anberaumten Zeit fand ich mich gewissenhaft ein ^nd traf auch die Alte getreu an ihrem Platze. Sie winkte "nr zu, leise und nur flüsternd zu sprechen, und sagte dann: „Halte Dich still, mein Söhnchen, Omar ist in die Stadt ^gangen und nichts verhindert seine Tochter, an das Mauer, loch zu kommen. Dort mußt Du Dich hinstellen", lispelte sie ^nd deutete auf einen Theil der Gartenmauer, in welchem ich 'Utr mit großer Mühe eine kleine Unterbrechung in der zu-^Mmenhängenden Masse der Bausteine zu erspähen ver-nwchtc. Ich' folgte der Anweisung und blieb nun wohl eine halbe Stunde lautlos an der angedeuteten Stelle stehen, ^eine Augen verharrten unablentbar an das tleine Mauer-^ch gefesselt. Lange aber tonnte ich gar nichts in dieser Öffnung zu Gesicht bekommen. Endlich jedoch wollte es mir ^rtommen, als sähe ich etwas Weißes, weißer als die Mcmer lklbst, die doch blendendhell angestrichen war. Natürlich er ^eth ich gleich, daß es der Schleier einer Araberin sein 11 162 müsse. Aber gern hätte ich doch noch etwas mehr erblickt, als diese feine, blendendweiße Umhüllung. Dieser mein sehn' licher Wunsch sollte auch wirklich erhört werden, zwar mn' einen Augenblick erhört werden, aber dieser Augenblick genügte mir, um einen Einblick in das Paradies unsres gelobten Prc>' pheten zu erlangen. Denke Dir, o Rumi, als ich so recht scharf hinsah und jede Bewegung des weihen Schleiers m^ den Augen verfolgte, da erblickte ich plötzlich einen schwarzen Punkt, dunkel wie die Mitternacht zur Zeit des Hleumondes, aber doch zugleich licht und blendend, wie der Morgenstern, wenn er der Erde am Nächsten ist. Dieser dunkle Punkt war ein Auge, ein weibliches Auge, o Gott! ich werde nie dieses Auge vergessen. Ich sah es nur einen Augenblick, aber dieser Augenblick reichte hin, um mich wahnsinnig verliebt zu machen. Endlich jedoch erblickte ich nichts mehr. Die Oeffnung war wieder leer geworden und die Alte winkte mir, daß ich mich zurückziehen müsse. Ehe sie von mir schied, gab sie mic noch ein Stelldichein für denselben Abend, bei welchem sie mir das Resultat der eben vorgegangenen Besichtigung melden wolle. Du kannst Dir denken, o Numi, mit welchen Gefühlen ich dem Abend entgegensah. Dieser Abend sollte mein Heil oder Wehe für immer entscheiden. Ich zitterte vor angstvoller Erwartung. Bald bebte mein Herz unter freudigen Schlägen, wenn ich mir die Möglichkeit der Erhörung vorspiegelte, meistens jedoch war ich niedergeschlagen und vergaß, besonders wenn ich daran dachte, wie viele Freier die schöne Hanifa schon ausgeschlagen habe. Dieser Tag war einer del bewegtesten meines Lebens. Ich brachte ihn in der Einsam-teit meines väterlichen Gartens zu, denn jede Gesellschaft wäre mir an diesem Tage unerträglich gewesen. Was ich 163 bort von den widerstrebcndsten Gefühlen gelitten, wie ick) bnld wein Herz in ein Meer von Seligkeit gebadet fühlte und wie ich dann wieder den Stachel der Eifersucht und unglücklichen Liebe ssleich einem giftigen Scorftionstiche empfand, das brauche ich Dir nicht zu schildern. Wenn Du niemals dergleichen selber emftfunden hast, so wirst Du mich doch nicht verstehen und wenn Du die Qualen und Wonnen, die Bitter? teit und Süßigkeit der Liebe kennen gelernt hast, so ist jede Schilderung überflüssig." Hier unterbrach ich die Erzählung des jungen Arabers, wdem ich ihm mein Erstaunen darüber nicht verhehlen konnte, wie es denn möglich sei, daß der bloße flüchtige, ja so überaus flüchtige Anblick eines Auges eine solche Leidenschaft wachrufen könne. Ali sah mich mit einein midleidigen Blicke an und sagte darauf: „Das ist eine ächt europäische Bemerkung. Nur ein Numi hätte eim'n solchen Einwand machen können. O ihr kaltblütiges Geschlecht! Habe ich es nicht gesagt, daß in Euren Adern nur Mandelmilch, nur weißer kraftloser Saft fließt? Das Blut des Arabers ist roth, roth wie das Feuer, dem seine Gefühle verwandt sind. Kannst Du denn nicht verstehen, welch' eine überwältigende Kraft, welch' eine zündende Flamme, welch' ein verheerendes Geschoß in einem einzigen Augenstrahl enthalten ist? kennst Du denn gar nicht jene geheimniswolle Ausströmung, welche von einem Auge in das andere dringt und sich von dem Auge tief in's Herz versenkt und daselbst die größten Verheerungen anrichtet? Jedoch es wäre unnütz, mit Dir über Gefühle zu streiten, welche Du doch nicht verstehen kannst. Ich will Dir deßhalb cmc andere Erklärung geben, welche Du vielleicht eher begreifen wirst. Du kennst das System der Absperrung, das geheimnißvolle, beinahe undurchdringliche Dasein der arabischen Frauen. 11* 164 Dieses System hat zur Folge, daß jede Frau, jedes Mädchen unsres Volkes für uns den Neiz des verbotenen Apfels im Paradiese Adams gewinnt. Außerdem weißt Du, welch' eine Gluth verzehrender Flammen in der Brust eines jeden jungen Arabers schlummert. So wirst Du vielleicht verstehen, dasi der erste Einblick in jenes verbotene Land diese Gluth zum flammenden Feuer anfachen kann. Vei Euch Europäern ist das etwas ganz andres. Ihr seht die Mädchen Eurer Natwn tagtäglich unverhüllten Angesichts vor Euch, für Euch besitzen sie gar nicht den Reiz des Verbotenen, und was Ihr Liebe nennt, das ist gewöhnlich das Ncsultat einer längeren Bekanntschaft, es ist mehr eine Art von Freundschaft, zu welcher die Liebe später hinzukommt und gewissen» cchen eine Nebew rolle spielt. Ganz das Gegentheil findet bei uns Arabern statt. Nenn wir, was freilich selten genug stattfindet, irgend ein Mädchen zu Geficht bekommen, dann bricht all' das in unserm Vusen lauernde Feuer plötzlich mit Sturmesgewalt hervor. Dann gleicht unser Innres dem zum Brande bereiteten Holzstoß oder dem Haufen vom Ctroh lange getrockneter Zwergpalmen, in welchen der Wüstenwind einen zündenden Funken vom Hecrdc des benachbarten Zeltes geweht hat und der auf einmal in lichtheller Flamme auflodert." Ich gab mir die Miene, als habe mich diese Erklärung vollkommen befriedigt und bat nun Ali, in seiner Erzählung fortzufahren, was er denn auch zu thun geruhte. „Zur anberaumten Stunde", erzählte er weiter, „fand ich mich getreulich an der von der Alten bezeichneten Stelle ein. Nicht lange dauerte es, so erschien diese. Ihr Gesicht hatte einen ungewöhnlich heitern, ich möchte sagen verklärten Ausdruck angenommen und dieser Anblick von glücklichster Vorbedeutung machte jeden Puls meines Herzen« vor Freude erbeben. Ich bat sie, nur alle Bcgrühungsformeln und sow 165 stigm Präliminarien des Gesprächs, welche es bei uns Arabern Sitte ist, oft in unbeschreibliche ^änge zu ziehen, zu ersparen und gleich zur Sache überzugehen. Dazu war sie auch gern bereit." „Du bist ein Glückskind!" rief sie, „ein Glückskind, mein Söhnchen, und wenn ich habsüchtig sein wollte, so könnte ich bvn Dir ein Geschenk verlangen, das einer Tultanin würdig Ware." Nach dieser für mich so überaus glücklichen Einleitung erzählte sie nur, daß die Besichtigung sehr zu meinen Gunsten ausgefallen wäre. Die schöne Hanifa sei mit meinen: Aeußern im Ganzen zufrieden. Zwar finde sie mich weder schün, noch überhaupt nut groften körperlichen Vorzügen begabt, aber mein Gesicht sei ein gutes, es liehe sich daraus Nicht auf allzuschlechte Eigenschaften schließen. „Was sie", so sagte die Greisin, „aber besonders für Dich eingenommen hat, das ist das kleine schwarze Fleckchen, welches Deine linke Wange ziert oder verunziert, wie man das nun eben nennen will." Dabei deutete die Vermittlerin auf ein kleines Mutter-maal, nicht größer als ein Nadeltopf, auf meiner linken Backe, von dem ich weit entfernt gewesen war, anzunehmen, daß dasselbe jemals auf mein Schicksal irgend einen Einfluß ausüben tonne. Und dennoch erwies es sich so, wie mir folgende Worte der Alten bestätigten. „Denke Dir", so sagte sie, „dieser Chana (Muttermaal) verdankst Du das Wohlgefallen der Tochter Omars. Eine alte Wahrsagerin hat ihr in ihrer .Kindheit Prophezeit, daß sie nur mit einem Manne glücklich sein würde, welcher ein Maal, nicht größer als ein Nadcltopf, auf seiner linken Wange aufweisen könne. Nun glaubt sie, diesen Mann gefunden zu haben und jetzt steht es nur an Dir, das Ziel Deines 166 Glückes zu erreichen, indem Du Deine Bewerbung fortsetzest, und sie durch die Erlangung der väterlichen Einwilligung zum geWünschen Ende führst." Nachdem ich der Alten gedankt und ihr einen schönen Smaragdring, ein Erbstück meiner Großmutter, den ich absichtlich zu diesem Zwecke heute am Finger trug, als den vorläufigen Beweis meiner Erkenntlichkeit, aufgedrungen hatte, zog ich mich zurück, nicht jedoch, ohne vorher den Tag, die Stunde und die Oertlichkeit festgesetzt zu haben, wann ich meine gütige Vermittlerin wiederfinden könne. Ich empfand nun das Bedürfniß, allein zu sein, um mein unaussprechliches Glück in der Einsamkeit zu genießen. Ein Europäer würde vielleicht in meinem Falle irgend einen vertrauten Freund aufgesucht haben, um durch Mittheilung seines freudigen Schicksals dasselbe doppelt zu genießen. Aber uns Moslems gebietet es die Sitte, alle unsre Verhältnisse zu dem schönen Geschlecht völlig geheim zu halten und so können wir niemals weder in der Freude über erhörte ^iebe Andere an unserm Glück Theil nehmen lassen, noch auch im Schmerz über die unglückliche Wendung unserer Gefühlsangclegenheiten durch Ausschütten unsres Herzens Erleichterung gewinnen. So suchte ich denn die Einsamkeit auf und ergab mich ganz den seligsten Gedanken und den lieblichsten Vorspiegelungen der Phantasie. O, wie genoß ich diese Augenblicke. Welch einen Vor-schmack von Seligkeit empfand ich da! Süßere Phantasiegebilde hat nie der Haschisch hervorgezaubert, denn seit ich mich dem elenden braute ergeben, habe ich zwar genug wache Träume durchdämmert, aber nie, nie habe ich etwas Aehnliches empfunden, als damals, da den wonnigen Ausmalungen meiner Einbildungskraft die Wirklichkeit zu Grunde lag. Ich hatte gleichsam einen Rausch von Glückseligkeit und dieser Rausch 111? ^'rrgte mein Hirn ebenso mächtig, wie wenn ich eine ganze Masche reinen Absynths getrunken oder eine ganze Nacht lang ben Haschisch geraucht hätte. Aber dieser Rausch glich anch in anderer Beziehung der Narkotischen Vetäubtheit. (5r glich ihr nämlich auch darin, daß er ^ach einiger Zeit verrauchte und das; eine gewisse Nüchternheit an seine Strlle trat. Diese Nüchternheit, als sie sich nach einigen Stunden jubelnden Freudentaumels endlich bei mir Anstellte, warnte mich, dem eitlen Träumen nicht allzusehr nachzuhängen und die Dinge auch nun einmal von ihrer Praktischen Seite anzuschauen. Wie viel Schritte blieben mir nicht Uoch zu thun übrig, ehe ich an's Ende des ersehnten Iieles, ^er ehelichen Verbindung mit Hanifa, gelangen tonnte? Bei ^uch Europäern sind dergleichen Angelegenheiten die einfachsten von der Welt. Der junge Mann erlangt zuerst die Einwilligung seiner eignen Aeltcrn und geht dann zum Vater 5>n Vraut, bei welchem er um ihre Hand anhält. Bei uns Moslems verhält es sich hiermit aber ganz anders. Ein Jüngling darf nicht einmal zu seinen eignen männlichen Verwandten von einem Mädchen reden, geschweige denn zu eineil: Fremden darüber sprechen. Es würde eine todtliche Beleidi-Mng sein, wenn ein junger Mann bei einem Familienvater ^rect um die Hand seiner Tochter anhalten wollte. Alles bleß muß auf Umwegen geschehen und solche Umwege sind uicht immer leicht zu finden. Selbst meinen eignen Vater surfte ich nicht von meinem Wunsche direct in Kenntniß ^l;en. Er mußte es durch meine weiblichen Angehörigen erfahren und diese mußten vorher durch eine Mittelsperson davon benachrichtigt werden. Dann mußte durch ähnliche Vermittlung die Mutter und zuletzt durch sie der Vater Omars lu die Angelegenheit gezogen werden. Diese Präliminarien haben wenigstens das Gute, daß sie Niemanden compromittircn 1tt8 und daß es Niemand erfährt, wenn ein Mann cincn Korb bekommen hat. Denn die Ansprache erfolgt durch diese ForM der Vermittlung Anfangs nie in unverhüllter Weise. Sie ist eigentlich gar keine Ansprache, sondern nur eine schlich-terne Anfrage, ob ein Hcirathsantrag von der bekannten Seite erwünscht kommen würde oder nicht. Zeigt sich dcr Vater der Braut damit einverstanden, so liegt es nun ihm ob, die nächsten Schritte zu thun. Im entgegengesetzten Falle braucht er nicht einmal eine abschlägige Antwort zu geben. Cr schweigt einfach und die ganze Sache bleibt auf sich beruhen. Indessen erscheint der Zustand dcr Ungewißheit, in welchem der Freier über das Schicksal seines Antrags schwebt, durch unsere Sitte oft entsetzlich verlängert. Denn der Anstand erheischt, daß der Vater der Braut, selbst im günstig' sten Falle, seine Antwort, das heißt seine Einwilligung, erst längere Zeit nach Stellung des Antrags ertheile. Ein andres Verfahren würde eine höchst verwerfliche Ungeduld verrathen. So bleibt also der Liebhaber oft mehrere Monate lang über sein Schicksal im Unklaren und oft ist es schon vorgekommen, daß ein Freier bereits alle Hoffnung aufgegeben hatte, als ihn die günstige Antwort Plötzlich überraschte. Ist endlich der Antrag angenommen, dann pflegt noch viel Zeit über der Regelung des Contracts zu verlaufen und zuletzt, wenn die Ceremonie dcr Trauung, die Lesung des Fatsha, des ersten Capitels des Koran, welche Ihr Europäer fälschlich oft für eine einfache Verlobung anseht, die aber in Wirklichkeit die Trauung selber ist, wenn diese Ceremonie abgeschlossen ist, dann findet noch eine neue Verzögerung statt, indem es die Schicklichteit erfordert, daß die Braut erst mehrere Monate nach dem officiellen Abschluß der Ehe dem Bräutigam zugeführt werde. Den meisten meiner heirathslustigm Landslcute fallen 1tt9 lleilich diese Verzögerungen nicht übertrieben lästig, da sie ^wohnlich von ihrer Braut nichts andres wissen, als daß ^e ein weibliches Wesen, fünfzehn oder sechszehn Jahre alt l'nd eine Jungfrau ist und folglich ihre Sehnsucht nach der-selben nicht durch eine Kenntniß von ihren besondern Vor-'^lgen angespornt erscheint. Für sie bildet die Sehnsucht nach ^'r Braut, wenn sie überhaupt eine solche empfinden, eben tuchts, als eine allgemeine Sehnsucht nach der Ehe. In deinem Falle gestaltete sich jedoch dieses ganz anders. Ich ^ußte, wie reizend die schöne Hanifa sei, ich liebte sie, ja ich ^ar wahnsinnig in sie verliebt. Du kannst Dir dentcn, daß lch bei diesem meinem Herzenszustande alle jene Verlängerungen und Verzögerungen herzlich verwünschte, welche die eherne Sitte der Araber meinem baldigen Zusammenkommen 'nit der Geliebten, selbst im allergünstigsten Falle, entgegensetzen mußte. Zwar war ich entschlossen, keinen Augenblick W verlieren, um meinen Antrag zu stellen oder, richtiger gesagt, stellen zu lassen. Aber, wenn ich bedachte, wie viel Heit noch verstreichen mußte, bis ich die Ersehnte heimführen könne, da wollte ich schier vor Ungeduld verzweifeln. O! wenn ich sie, so dachte ich, nur inzwischen von Zeit zu Zeit sehen könnte, sei es selbst nur auf Augenblicke, dann würde 'neine Ungeduld, wenn auch nicht gebrochen, so doch einigermaßen gelindert und mein Zustand erträglich geinacht werden. Während ich diesem scheinbar unfruchtbaren Wunsch mit aller Seelengewalt nachhing, da wollte er nur Plötzlich gar nicht so hoffnungslos vorkommen, denn auf einmal tauchte vor meinem Geiste die freundliche Erscheinung der gutmüthigen 2Uten mit einer solchen Lebhaftigkeit auf. daß ich sie wirklich vor mir zu sehen wähnte, und es schien mir, als könne ich m ihren Gesich^zügen die Bestätigung meiner Hoffnung lesen. Glücklicherweise hatte ich mit der Vermittlerin noch ein 170 Stelldichein verabredet. Ich versäumte natürlich nicht, mich zu demselben einzusinken. Aber wer beschreibt mein Entsetzen, als ich am Orte des Rendezvous Niemand antraf, während sonst doch sich die Greisin immer als die Pünktlichkeit selber bewährt hatte. Natürlich wartete ich, wartete lange, aber immer umsonst, bis ich zuletzt schon alle Hoffnung aufgab und mich anschickte, den Ort der verabredeten Zusammenkunft zu verlassen. Wie ich eben den ersten Schritt zum Weggehen thun wollte, da plötzlich drang an mein Ohr ein Laut, der mir von einem menschlichen Organe herzustammen schien. Ich lauschte und, wie ich genau hinhorchte, da vernahm ich statt des einzelnen lautes bald articulirte Klänge und zuletzt das wechselseitige Flüstern zweier Stimmen, deren Worte ich jedoch nicht mit verständlicher Deutlichkeit vernehmen konnte. Nur soviel merkte ich aus dem verschiedenen Ton der Organe, daß die Stimmen verschiedenen Geschlechtern angehörten. Die weibliche Stimme hörte ich am Seltensten, sie schien sich offenbar zu begnügen, auf die wortreichen Fragen der männlichen mit kurzen beschwichtigenden Sätzen zu antworten. Aber diese weibliche Stimme kam mir bekannt, ja sehr bekannt vor, und da ich, wie alle Araber, nur einen sehr beschränkten Kreis weiblicher Bekannten besaß, so sollte ich bald diejenige errathen, welcher diese Stimme angehören mußte. Wem anders, als der wohlbekannten Alten? Wer aber konnte mit ihr zu so ungewohnter Stunde in geheim vertraulichem Zwiegespräch begriffen sein? Auch dieses sollte mir nicht lange ein Räthsel bleiben. Denn, wie ich genauer hinhorchte, da wollte mir diese Stimme immer widerlicher vorkommen, einmal weil sie an und für sich schon unangenehm anzuhören war, denn es war so eine Stimme, wie sie nur ein Mensch haben kann, dessen ursprünglich klangvolles Organ durch den übermäßigen Genuß geistiger Getränke ge- m ^bt worden ist, dann auch und zwar vorzüglich deßhalb, veil ich — und diese Entdeckung machte mein Blut kochen ^b meine Zornesadern anschwellen — weil ich erkannte, daß ^ die Stimme meines Rivalen, des Säufers Hassan ben et ^abari, War. Ich war außer nur vor Wuth und, so nöthig '^r auch die Beherrschung meines Zornes sein mußte, so lohnte ich doch der Versuchung kaum widerstehen, das Zwiegespräch Hassans mit der Alten auf schreckliche Weise zu Unterbrechen. Aber glücklicherweise war das Gespräch grade in dem "Ugenblicke, da ich meiner Entdeckung gewiß geworden, zu ^"Nde gekommen, ich hörte Jemand eiligen Schrittes davon-^len und einen Moment darauf stand die Alte vor mir. Natürlich empfing ich sie mit den bittersten Vorwürfen, ^cht etwa deßhalb, weil sie mich so lange hatte warten las-'kn, nein, die Zeit besitzt keinen Werth für einen gläubigen Moslem, sondern deßhalb, weil ich sie für treulos und dem "Nteresse meines Rivalen ergeben hielt. Die Greisin ließ blle die Vorwürfe, mit welchen ich sie überschüttete, geduldig ^ber ihr ehrwürdiges Haupt ergehen. Sie schien an der-deichen schon gewohnt zu sein. Sie zuckte nur ein bischen "ut den spitzen, eckigen Schultern, schüttelte das magere, run-^ge Haupt und ihre trotz des Alters noch immer stechenden ^Ugen blinzelten schelmisch und schienen verrathen zu wollen, ^aß sie sich in ihrem Innern recht herzlich über mich lustig dachte. Dann unterbrach sie die Stille mit den Worten: „Du bist ein rechtes Kind, ein Kind, wie wenn Du noch "u Bcschneidungsalter ständest, und was ein solches Kind in «einer Narrheit schwätzt, das kann die alte Fatma nicht behüben. Glaubst Du denn, mein einfältiges Söhnchen, daß, ^'nn ich dem Interesse Hassan's ergeben wäre, ich überhaupt ^ir jemals ein williges Ohr geliehen hätte? Hassan ist reich, 172 er ist reicher, als Du bist, mein Söhnchen, und wenn ich an» Gelde hinge, so würde ich von Anfang an nur für ihn g^ handelt haben. Aber, was willst Du? Niemand kann ftl seine geheimen Abneigungen und Neigungen und, sowie ich den Hassan einmal von jeher nicht habe ausstehen können, s» hast Du gleich von Anfang an meine Gunst erworben und Du wirst sie auch behalten, Du magst Dich noch so unsinnig geberden und noch so ungerecht gegen die alte Fatma sein-Das ist einmal meine Art. Du kannst sie nicht ändern." Durch diese Worte, welche die Herzensgüte der Alte« beredt offenbarten, wurde mein anfänglicher Zorn in einen Affect ganz entgegengesetzter Art umgewandelt. Ich ergriff in meiner Dankbarkeit ihre Hand, führte sie an meine ^iippeu und dann umarmte ich die Alte so energisch, daß sie dabei beinahe das Gleichgewicht verlor und hingefallen wäre, hätte sie nicht mein Arm festgehalten. „Nur sachte", rief Fatma, „nur sachte mein Söhnchen'-Jetzt bist Du in Deiner Zärtlichkeit eben so ungestüm, als Du es vorher in Deinem Zorne warst. Aber das zeigt doch, daß Du ein gutes Herz hast und darum bin ich Dir wo-möglich noch mehr zugethan, als vorher. Tage nur, was D" von mir willst, und es soll nicht an mir fehlen, wenn cs nicht ausgeführt wird." „Huerst", so nahm ich das Wort, „sage mir, was Hassan ben et Tabari von Dir gewollt hat." „Nas er gewollt hat?" entgegnete sie, „das wirst D" wohl sehr leicht errathen. Was anders kann er gewollt ha' bon, als meine Vermittlung bei der Tochter Omars?" „Aber", entgegncte ich, „ich glaubte, er sei schon einmal entschieden abgewiesen worden." „Natürlich, aber er hält sich doch nicht für geschlagen-Ich glaube, er wird es sogar wagen, um ihre Hand anM 173 ^"lten und er schmeichelt sich. daß Omar sie ihm aus Inter-^ zusagen und seine Tochter zwingen wird, ihn zu nehmen, lur möchte er gern sich auch der Gunst der Schönen ver-aewissrrn." „Aber dazu hat er keine Aussicht." „Ich glaube nicht. Wenn es eine Andere wäre, so 'vürde ich nicht dafür einstehen. Aber Hanifa ist ein kleiner ^arakter, ja ein Charakter, ein Ding, was sonst bei uns ^raborinnen nie vorzukommen pflegt. Denn die meisten sind willenlose Wertzeuge in den Händen ihrer Väter, Brüder oder satten. Nicht so jedoch die Tochter Omar's und ich glaube, "nß, wenn es einem Mann, der ihr zuwider ist, trotz des Zuflusses, welchen sie auf ihren Vater hat, dennoch gelingen ^llte, ihre Hand zu erlangen, daft dieser Mann dann eine lecht harte Nuß aufzuknacken haben wird." „Aber es ist nicht wahrscheinlich, daß ihr Vater sie jemals gegen ihren Willen vermählen wird." „Nicht wahrscheinlich! Allerdings. Aber Du kennst ja ^nsre arabischen Sitten, welche den Frauen so wenig, oder ^chtiger gesagt, gar keinen freien Willen lassen. Du weiht la wohl, daß die Trauungsfeierlichteit, die Lesung des Fats-ha, auch stattfinden kann, wenn die Vraut selbst gar nicht einwilligt, wenn nur ihr Vater für sie ihr Jawort abgegeben Mt. Ist aber das Fatsha verlesen, dann ist sie die legitime Gattin, das heißt das willenlose Eigenthum eines Mannes, welchem sie einige Monate später ausgeliefert wird, sie mag Zollen oder nicht, und der sie in seinen Harem einsperrt und sklvst mißhandeln darf, wenn sie sich seinem Willen nicht UNterthänig erweist. Freilich bildet Omar als Vater eine ebenso große Ausnahme, wie Hanifa als Tochter, das heißt, ^ läßt sich von ihr auf eine beispiellose Art beherrschen und lir übt diese Herrschaft mit ebenso viel Tact, als Charakter- 174 stärke aus. Aber trotz alledem weiß man doch nicht, W^ lvmmcn kann, und deßhalb thätest Du wohl, Deine Ansprache um Hanifa's Hand gleich morgen früh stellen zu lassen, uw einem Antrag von Seiten Hassans zuvorzukommen." Dieser Rath war deßhalb überflüssig, weil ich die einleitenden Schritte zu meiner Antragstcllung schon gethan hatte und mit einiger Sicherheit darauf zählen konnte, daß mein Gesuch bereits am folgenden Murgen in Omar's Familie bt' kannt werden sollte. Nachdem ich dieses der Alten eröffnet/ war es noch an mir, mein anderes Anliegen vorzubringen, das nämlich, eine Zusammenkunft mit der Geliebten erlangen zu können. Ich rückte scheu und zaghaft mit diesem Anliegen hcrnus, denn ich wußte wohl, wie sehr dasselbe gegen den Begriff von Schicklichkeit, wie wir Araber sie aufzufassen pflegen, verstieß. Fatma konnte Anfangs ihres Erstaunens kaum Herrin werden, als sie diesen meinen kühnen Wunsch vernahm. Ihre Züge nahmen plötzlich einen ungewohnt ernsten Ausdruck au, wie sie mir erwiderte: „Wenn ein Anderer, als Du, so etwas von mir verlangt hätte, ich würde es als eine tödtliche Vcleidigung angesehen haben. Du lächelst und denkst vielleicht, daß man eine Frau ja gar nicht beleidigen könne. Ich weiß wohl, daß die meisten unserer Landsleutc so denken. Aber, ich versichere Dir, daß auch ich, wenn ich schon ein verachtetes, altes Weib bin, weiß, was Selbstgefühl bedeutet und eine Beleidigung empfinden kann. Aber mit Dir ist es etwas andres und, was mich von einem Andren tief tränken würde, das kann meine Sympathie, welche ich für Dich empfinde, entschuldigen. Ja, ich kann so' gar noch weiter gehen. Ich will Dir nicht nur verzeihen, sondern ich will auch sehen, was sich für Dich thun laßt-Wäre Hanifa ein charakterloses Geschöpf, besäße sie nicht jene 175 ^illensfestigteit, welche ich an ihr bewundere, kurz wäre sic Nn solches Mädchen, wie- alle andern jungen Araberinnen, "ünn würde ich die schwere Verantwortung gewiß nicht über-^hmen, ihr durch meine Vermittlung eine Zusammenkunft mit kMcm jungen Manne Zu verschaffen. Denn Du weißt sehr Wohl, was für traurige Folgen solche Zusammenkünfte gewöhnlich zu haben pflegen. Kein Mensch glaubt bei uns an ^e Tugend eines Mädchens und, sollte selbst das Stelldichein ^och so unschuldig verlaufen, so wird doch Niemand etwas "ndrcs, als das Schlechteste, von der Unglücklichen denken, bvn welcher es bekannt geworden ist, das; sie, sei es auch nur ^nen Augenblick, mit einem Manne allein gewesen ist. Sie wird für eine Ausgestoßene, für eine Verworfene gelten und ^ den meisten Fällen selbst von demjenigen verachtet werden, welcher sie wirtlich oder vermeintlich zu Fall gebracht hat. „Du siehst also, wie schwer die Verantwortung ist, welche ^u mir zumuthest zu übernehmen. Aber dennoch will ich Dir behülftich sein. Ich kenne die Willensfestigteit der schonn Hanifa und weiß gewiß, daß sie sich keine strafbare schwäche zu Schulden kommen lassen wird. Von ihrer Ein-Billigung, ob sie Dich sehen will oder nicht, oder vielmehr, "b sie von Dir gesehen werden will, davon hängt jetzt allein ^lles ab Nur Eins noch. Die Zusammenkunft kann nur "ei Nacht und im größten Geheimniß stattfinden, damit ja ^r Vater Deiner Geliebten nichts davon erfahre, denn er würde eine solche Freiheit von Deiner Seite natürlich als die größte Beleidigung ansehen." So sprach die Alte. Ich will Dich nicht mit Erzählung ^'v gedehnten Präliminarien langweilen, welche dem Zustande-^Mlnen meines ersten Stelldicheins mit Hanifa vorhergingen, ^urz, die Schöne willigte ein und eine Zusammenkunft wurde verabredet. !7li Dieselbe fand ohne Hindernisse statt. Obgleich cs Nacht war, so gestattete mir doch die große Nahe, in welcher ich mich zur Person meiner Geliebten befand, dieselbe beim mat' ten Schein des ersten Mondviertels ziemlich deutlich zu sehen« Da erkannte ich, daß alle die Beschreibungen, welche mir die alte Fatma von Hanifa's Schönheit gemacht hatte, weit entfernt davon »raren, übertrieben zu sein, ja es wollte mil scheinen, als ständen diese Beschreibungen noch hinter der Wirklichkeit zurück. Die Tochter Omars hatte den Ed'char (Schleier) von ihrem Besicht heruntergezogen und dieses Gesicht strahlte mir in seiner vollen natürlichen Schönheit entgegen, denn es war weder durch Schminke, noch Tätowirun-gen entstellt, von welchen doch andere arabische Frauen einen so freien Gebrauch zu inachen pflegen. Dieses Antlitz war eher fein und schmächtig oder, wenn man will, eher mager, als voll, zu nennen und sonnt weit entfernt von jener Auf' gedunsenheit, welche sonst von unsern Landsleuten am Meisten bewundert zu werden pflegt, eine Art von Schönheit, welche aber durchaus nicht der eigenthümlichen Richtung meines eignen Geschmacks zusagte. Ihr Teint erschien leichthin bräunlich, ohne jedoch allzuountel zu sein; ihre schwarzen Augen funkelten so feurig, daß ich Anfangs zweifelte, ihren Glanz ertragen zu können, und doch besaßen sie zugleich jene Sanft' heit und Milde, welche die arabische Poesie am Äuge der Gazelle bewundert, ein Bild, welches Euch blasirten Europäern nur abgedroschen und verbraucht vorzukommen pflegt, das aber auf uns Araber, die wir das liebliche Thicrchen mit seinen schönen ausdrucksvollen Augen in seiner freien Wildheit sehen und nicht, wie ihr Europäer, nur im Käfig in seiner trübseligen Gefangenschaft erblicken, seinen vollen Zauber behalten hat. Ihre Augenbrauen, zwei herrliche, tief-dunkle Bogen, die sich über dem schönsten Slernenpaar i" 17? Mder Nundung wölbten, erschienen so dick und voll, wie der-Ileichen nur bei Araberinnen vorzukommen Pflegt, und nicht Unmer, wenigstens im Hause nicht, durch schwarze Schminke hervorgehoben und unnatürlich vermehrt ist. Ihr kleiner Nund zeigte sich mit den niedlichsten Perlzähncn, welche ge-Icn das Kirschroch der Lippen blendend weiß abstachen, aus-^stattet. ,tturz, ohne Dich mit der Aufzählung ihrer Neize ^och weiter behelligen zu wollen, muß ich Dir gestehen, das; sie s» ganz meinem Ideal von einen: weiblichen Wesen entsprach, so daß ich mir nichts Vollendeteres auf Erden zu Briten vermochte. Wir konnten nur kurze, nur sehr kurze Zeit beisammen bleiben, aber diese kurze Zeit genügte uns zu einem vollkommenen EinVerständniß: sie versprach mir hoch und theuer, nie ^nem Andern als mir angehören zu wollen, ein Versprechen, welches im Munde einer andern Arabcrin freilich vollkom-^M nichtig und im höchsten Grade lächerlich gewesen wäre, ^as aber in ihrem Munde' eine ganz andere Bedeutung an-^nhm. Sie billigte natürlich alle meine Schritte, welche ich 5Ur Erlangung ihrer Hand gethan hatte, und ich wußte ihr ^'nn Scheiden das Versprechen zu entringen, uns von Zeit äu Zeit wiederzusehen, um meine Ungeduld nicht zur Ver-^veiflung zu treiben. Wir sahen uns nun fast alle acht oder zehn Tage ein-^al und unsere gegenseitige Liebe wuchs womöglich noch bei i^er neuen Zusammenkunft. Die Alte bildete immer die Vermittlerin dieser Zusammentünfte und hielt während der-salben eine treue Wacht, um uns gleich von jedem nahenden <^inde, das heißt von jedem nahenden menschlichen Wesen, ^'nn in diesem Falle war die ganze Welt unser Feind, zu benachrichtigen. 12 178 Unterdessen war mein Antrag gestellt worden, aber niit der beliebten arabischen Langsamkeit, welche durch unsre Schick' lichkeitsbcgriffe zu einer heiligen Pflicht erhoben erscheint, zögerte Omar mit seiner Antwort. Er zögerte lange, ja sehr lange und schon wollte ich verzweiflungsvoll aller Hoffnung entsagen, als mich eines Tages meine Mutter mit folgende" Worten anredete: „Weißt Du auch, mein Sohn, was für eine Nachricht ich Dir zu melden habe? Omar hat geantwortet." Da ich unsre Sitte sehr genau kannte, so wußte ich, daß die Antwort nur eine Einwilligung sein tonnte und war im Augenblick unfähig, meinen unaussprechlichen Jubel ZU unterdrücken, wie es doch unser Brauch selbst den nächsten Verwandten gegenüber vorschreibt. Aber meine Mutter sah nicht eher meine triumfthirendc Stimmung, als sie schnell hinzusehte: „Ja, Omar hat eingewilligt, aber triumfthirc deßhalb doch nicht zu früh, mein Sohn'. Denke Dir, der schlaue Mann hat einen so hohen Preis für die Hand feiner Toch-ter verlangt, daß Dein Vater ansteht, ihn zu bezahlen. Du weißt, daß bei unserm Volte der Mann immer eine Summe als Morgcngabe seiner Frau bezahlen muß, welche ihr Va' ter zu verwalten Pflegt, die aber in Wirklichkeit der Tochter angehört, was die Franzosen verläumderisch, da sie den wah' ren Grund der Auszahlung dieser Summe nicht kennen, cin Kaufen und Verkaufen unsrer Töchter nennen und deßhalb auch schon einmal nahe daran waren, diesen unsern vermeint-lich barbarischen Brauch zu verbieten. Du hast auch gewiß schon gehört, daß Omars Vermögensvcrhältnissc sehr zerrüttet sind, und da er nichts mehr besitzt, als eine schöne Tochter, so wirst Du Dich nicht wundern, wenn er für dieselbe eine so hohe Morgengabe zu gewinnen sucht, als ihm nur immer 1?» Möglich ist, denn obgleich die Summe der Tochter gehört, so k"nnnt doch ihr Nießbrauch dem Vater zu Gute. Die Kenntniß von diesem neuen Hinderniß, so groß es ^H erscheinen mochte, war doch nicht im Stande, meine Freude über Omars Einwilligung ganz zu dämpfen. Die k^nze Sache schien jetzt nur noch eine Geldfrage, und ich beiseite nicht, daß mein Vater, wie sehr er sich Anfangs ^uä, gegen eine so große Ausgabe sträuben mochte, schließlich ^ch nachgeben und die Habsucht Omars befriedigen würde, ^ur eins war noch zu befürchten, das nämlich, daß mein ^ater zu lange zaudern dürfte, ehe er auf Omars Geldfor-"erung eingehen, und daß dieser die Verzögerung für eine ^öschlägige Antwort ansehen und seine Tochter einem andern Essern und schnellern Zahler zusagen würde. Diese Be-lürchtung schien nicht grundlos, denn Omar, so sehr er auch ^ne Tochte liebte und so viel er auch im Allgemeinen sich bon ihr beherrschen ließ, wurde doch, das wußte ich, im Au-3enblick von Gelduoth so hart bedrängt, daß diese sogar über seine väterliche Liebe den Sieg davon tragen und ihn selbst 5Um Bruch mit der langjährigen Gewohnheit, den Willen Hanifa's in den meisten Dingen zu befolgen, zwingen konnte. Wie begründet diese meine Befürchtung war, das wurde ^ir noch an demselben Abend von der alten Fatma bestätigt, ^Ut welcher ich nach wie vor immer noch von Zeit zu Zeit Oheime Zusammenkünfte hatte. „Mein Iöhnchen", so redete sie mich an, „Du mußt mit "ller Gewalt in Deinen Vater dringen, daß er Omars For-^rung nicht zu lange Widerstand leiste. Zögert er mit seiger bejahenden Antwort nur noch einige Tage, dann ist Alles ^rloren. Denn ich weiß aus guter Quelle, daß Hassan ben ^ Tabari sich erboten hat, dem Vater Hanifa's eine noch Rohere Summe, als die von Euch geforderte, auszuzahlen, 12* /80 wenn er sein Versprechen rückgängig machen, seine Tochter unter irgend einem Porwlind dem bereits halb und halb an° genommenen Freier wieder abschlagen und ihm selbst zusagen Würde. Nun hat sich zwar ^mar bis jetzt immer als ein ehrlicher Mann und getreuer Vefolger der strengen arabischen Sitte bewährt, gegen welche nichts ärger verstoßen würde, als ein solches Eingehen aus Hassans Zumuthungen. Aber Du weißt, daft er in großer Geldnoth ist, daß die Iudc'.'., seine Gläubiger, schon mehrmals gedroht haben, ihn auszu' pfänden und sein Haus richterlich zu verkaufen. In seiner Angst, sich und seine Tochter obdachlos und beinahe als Vett-ler in den Straßen von Algier herumirrcn Zu sehen, ist cr im Stande, den schlimmsten Einflüsterungen Gehör zu geben und selbst seine geliebte Tochter aufzuopfern. Deßhalb kommt es nun vor allen Dingen darauf an, daß Du ihm nicht den geringsten Vorwand zur Zurücknahme seines Wortes gebest' Einen solchen Porwand würde aber die Verzögerung der Geld-frage bilden. Verliere darum keinm Augenblick Zeit, dieselbe zu Omars Zufriedenheit zu regeln." So sprach die Alte und ich erkannte, »vie sehr sie Necht hatte. Ich war außer mir über die Nachricht von diesem neuen Schritt Hassan's und sah immer deutlicher ein, daß ich in ihm einen recht gefährlichen Feind und Nebenbuhler besaß. Ja, einen Feind, der die List mit der allmächtigen Gewalt des Geldes unterstützen konnte und der selbst vor ärgerer Gewaltanwendung nicht zurückbebte, wie ich Dir gleich erzählen will. Du kannst Dir denken, daß ich nichts Eiligeres zu thun hatte, als den wohlgemeinten Rath der Greisin zu befolgen-Ich durfte freilich nicht persönlich in meinen Vater dringen, denn unsre Sitte gestattet selbst im dringendsten Falle nicht, daß zwischen Vater und Sohn von Hochzeit und dergleichen 181 "le Nedc sei. Aber ich wandte meine ganze Kraft der Be-rrdtsamkeit meinen weiblichen Angehörigen gegenüber an, ich ! Milderte ihnen meine Lage, im ungünstigsten Falle als so verzweifelt, daft diese, von Mitleid mit meinem Schicksal überwältigt, Alles anwandten, um meinen, Vater die Einwilligung 5U entreißen. Dieses gelang auch, zwar nicht ohne große Nühc, aber lurz, es gelang und mein Vater bediente sich "Un seinerseits wieder der weiblichen Vermittlung, um Omar bvn der Annahme seiner Forderungen in Kenntniß zu setzen, obgleich nun dieser vielleicht jeden Vorwand willkommen geheißen hätte, um mit mir brechen und von dem viel reiferen Hassan eine weit bedeutendere Summe zu fordern und Ehalten zu können, so war er doch durch sein im Voraus gegebenes Versprechen gefangen. Der Rückzug war ihm abschnitten und er tonnte nicht anders, als seine Einwilligung ^theilen. Der Tag zur Lesung des Fatsha wurde festgesetzt und ich war einer der glücklichsten der Menschen, denn Uun, glaubte ich, würde der Erfüllung meines sehnlichsten Wunsches nichts mehr im Wege stehen. Leider aber täuschte ich mich in dieser meiner frohen Zuversicht und noch derselbe Abend, dessen Mvrgen den Gipfelpunkt meines Jubels und Glückes gesehen hatte, sollte mir ^n schreckliches Verhängnis; bringen. Hiaum hatte ich die frohe Nachricht von der Einwilli-NUng Omars erhalten, als ich lebhaft von dem Wunsche beseelt wurde, dieselbe meiner Geliebten mitzutheilen, welche selbst vielleicht noch nichts davon wissen mochte, denn nach "rabischer Sitte pflegt man der Braut erst zu Allerletzt die Wahrheit zu sagen und ihr von der hochwichtigen und ernsten Verpflichtung, welche ihre Aeltern für sie eingegangen sind, Kenntniß zu geben. Ich hatte grade für diesen Abend eine Zusammenkunft mit Hanifa verabredet, welche unter derselben 182 strengen Geheimhaltung und nut denselben Vorsichtsmaßregeln vor sich gehen sollte, wie jede frühere, denn obgleich ich n»n ihr erklärter und angenommener Bräutigam war, so forderte doch der geheiligte Brauch unsres Volkes, daß ich sie erst einige Monate nach dcr Lesung des Fatsha sehen dürfte. Hätte man entdeckt, daß ich früher mit meiner Geliebten zusammengekommen sei, so würde dieses als der gröbste Verstoß von meiner Seite, ja beinahe als eine Sünde angesehen worden sein. Der Vater der Braut hätte sogar in diesem Falle einen vollgültigen Grund gehabt, um sein Versprechen zurückzunehmen. Als ich eben dem Orte der verabredeten Zusammenkunft zueilte, da traf ich zu meinem nicht geringen Erstaunen bereits auf halbem Wege die alte Patina an, welche sonst doch gewöhnlich mich in Gesellschaft meiner Braut zu erwarten pflegte. Ich war so sehr von freudigen Gedanken eingenommen, daß ich Anfangs gar nicht bemerkte, wie die Greisin heute besonders ernst und bedächtig aussah. Dieses fiel mir erst dann auf, als sie mich mit folgenden Worten anredete: „Wohin so eilig, Mi? Zu Deiner Vraut, nicht wahr? Aber trotz Deiner Ungeduld mußt Du einen Augenblick verziehen, um mich anzuhören. Denke Dir, Omar hat Wind davon bekommen, daß Du seine Tochter zuweilen im Geheimen gesehen hast und er ist aufs Aergste gegen Dich entrüstet. Glücklicherweise fehlen ihm jedoch die Beweise, das heißt das Zeugniß von zwei Männern, welche jene nach unsern Begriffen strafbaren Zusammenkünfte gesehen haben. Besäße er dieses Zcugniß, so zweifle ich keinen Augenblick, daß er sein Dir gegebenes Wort widerrufen würbe und lein Araber könnte ihn darum tadeln, denn Dein gesetzwidriges Benehmen entbindet ihn nach moslimischm Ideen von jeg- 183 ^chcr Verpflichtung, welche cr dem Ucbertreter gegenüber ein äegangen scin taun." Obgleich diese Bemerkung der Alten richtig war, so schien Nur doch dns dem Vater meiner Braut zugemuthete Verfahr l^n im höchsten Grade uwvahrscheinlich, weil es unvernünftig gewesen wäre, denn wenn er anch das Recht besaß, im be-,' cm altes Silo, eine unterirdische Grube, in welcher früher Omar Getreide aufzuspeichern pflegte. Nur aus diesem Silo heraus kann Hassan, durch das einzige Fenstcrchen oder viel' mehr das Loch, welches die Grube auf der einen Seite hat/ Euch geseh'en und belauscht haben. Wie er freilich davon Nachricht bekam, daß Hanifa Dir ein Stelldichein gegeben, das tann ich mir nur durch einen unglücklichen Zufall erklären, indem ich annehmen muß, daß er uns beide an dein Abend überhört hat, an welchem Du mir den ersten Vorschlag machtest, Dir Hanifa zu zeigen. Du erinnerst Dich ihn an jenem Abend mit mir gesehen zu haben. Ich meinte freilich, er sei weggegangen, ehe ich zu Dir kam, aber nun muß ich glauben, daß er uns nachgeschlichen ist und unser Gespräch überhört hat. Uebrigens brauchst Du deßhalb noch nicht zu verzweifeln, denn jedenfalls ist Hassan in dem Silo allein gewesen, er besitzt folglich keinen zweiten Zeugen für seine Behauptungen und tann auf diese Weise dem Vater Deiner Braut keinen unumstößlichen Beweis von Euren Zusammenkünften liefern, denn bekanntlich gilt nach unserm Gesetz dic Aussage eines einzigen Zellgen für nichtig." Diese Worte fachten das erlöschende Licht der Hoffnung in meinem Busen wieder an. Omar besaß keine Beweise, er hatte folglich teincn triftigen Grund, sein Versprechen zurück zu nehmen und schien gezwungen, sein Wort zu halten. Ich war fest entschlossen, mich in Zukunft mit der größten Vorsicht zu benehmen und dem Vater meiner Vraut jeden Vorwand zu rauben, wortbrüchig zu werden. Noch ein ein-ziges Mal wollte ich meine Geliebte sehen, noch ein einziges Mal und dann nie wieder bis zum glücklichen Tage, welcher sie für immer zu der meinigen machen sollte. Als ich diesen meinen Vorsatz der Alten mittheilte, war sie jedoch weit ent- 18? !ernt davon, mit demjenigen Theile desselben einverstanden zu sein, welcher darin bestand, daß ich Hanifa überhaupt noch einmal sehen wollte. „Du darfst", so warnte sie mich, „Deine Geliebte gar 'ucht wieder sehen, bis sie Dir als Deine rechtmäßige Gattin einige Monate nach der Lesung des Fatsha in's Haus geführt wird." Ich war jedoch nicht im Stande, so viel Entsagung zu ^ben. Ich hatte mich zu lebhaft auf die Zusammenkunft mit deiner Braut gefreut, um jetzt, da dieselbe bevorstand, der Nüchternen Vernunft Gehör zu schenken. Nur soviel Bedacht-samkeit hatte ich noch behalten, um an die drohendste Haupt-Üefahr zu denken, welche mir durch meinen Nebenbuhler be-reitet werden konnte und ftagte deßhalb die Greisin, ob sie ^'nn glaube, daß auch heute Abend Hassan im Silo versteckt sei? Worauf sie nicht umhin konnte, die Wahrheit zu berichten i „Nein", entgcgnete sie, „im Silo kann er nicht sein und wird auch wohl schwerlich wieder hineinkommen, da wir den Neg fast unzugänglich gemacht haben; sollte er aber selbst hineingelangen, so würde es ihm wenig helfen, denn wir haben das Loch in der Wand, durch welches er Euer Stelldichein belauschen konnte, vollkommen verstopft. Aber dennoch ^athe ich Dir dringend, heute nicht hinzugehen. Ein schreckliches Nnglück steht bevor, so sagt mir eine dunkle Ahnung, "nd meine Ahnungen haben mich noch nie betrogen." Diese Rede der guten Fatma kam mir nur wie ein Aberglaube eines geistesschwachen alten Weibes vor. O, hätte ich ihrer Warnung gefolgt, hätte ich nicht in meinem Hoch-lnuth. den ich für Aufklärung hielt, ihre Ahnungen verlacht, ich wäre heut ein glücklicher Mensch und nicht genöthigt, beim Haschisch Trost für meine Leiden zu suchen. 188 Was ich noch von meiner Geschichte zu melden habe, ist ihr traurigster Theil und Du wirst mir deßhalb verzeihen, wcnn ich diese Erzählung in lurze Worte zusammenfasse. Ich verließ cilig die alte Fatma, ohne auf ihre Warnungen zu hören, ja ich stich sie, als sie mir in wohlgemeinter Absicht den Weg versperren wollte, ziemlich unsanft zurück, so daß ich die hinfällige Greisin, glaube ich, in einen Graben warf. Ich sage „glaube ich", denn ich hatte weder Zeit noch Willen, mich umzusehen, so völlig war ich von del» einen Gedanken eingenommen, welcher meine ganze Seele ausschließlich beherrschte. Wer beschreibt mein Glück, als ich am Orte des Stelldicheins meine Geliebte richtig antraf. Ach! leider sollte es der letzte glückliche Moment in -meinem Leben sein. Aber diesen letzten Augenblick der Seligkeit, welcher mir gegönnt war, genoß ich mit einer Kraft des Gefühls, die mir ewig in der Erinnerung bleiben wird. Meine Sinne schienen jenen Abend mit einer übernatürlichen Empfindungsfähigkeit begabt, und dadurch wurde nur eine Tiefe des Genusses zu Theil, wie sie, glaube ich, nur lebhaft fühlende Menschen kennen lernen tonnen. Sie sogen das unbeschreiblich liebliche Bild meiner Geliebten in all' seinen Zügen so mächtig ein, daß ich den Gipfelpunkt der Augenlust empfand. O, wie schwelgte ich in diesem beseligenden Anblick, wie labten sich meine Sinne in dem Thaue der süßesten Genüsse. Welch' einen Vorschmack jener Seligkeit, die mir der Hochzeitstag erschließen sollte, empfand ich da! Aber nicht nur meine Sinne, auch meine edleren Gefühle feierten an diesem Abend das wonnigste Fest. Denn aus dem Gespräche meiner Braut errieth ich die edlen Eigenschaften des Herzens und Gemüthes, welche dieses unvergleichliche Mädchen auszeichneten. Ich fühlte, daß ich an ihr mehr als an irgend einem anderen Weibe besitzen, das; l89 lch in ihr eine geistig ebenbürtige Lebensgefährtin haben würde, das heißt eine solche Gattin, wie sie einem Araber !o selten, ja fast nie zu Theil wird. Nährend ich mich so ganz dem Nebermaaß meiner Ge->ühle hingab, halte ich nicht bemerkt, daß zwei Männer in "en Garten eingetreten waren, in welchem unsre Zusammenkunft stattfand. Der Augenblick meines Falles vom Gipfelpunkt der Glückseligkeit war gekommen, und dieser Fall sollte ein tiefer, ja ein unendlich tiefer sein. Plötzlich drängten sich zwei weiße, lmrnusumwallte Gestalten zwischen Hanifa Und mich. Die eine derselben, in welcher ich den Vater deiner Vraut erkannte, faßte den Arm meiner Geliebten und drängte sie schnell hinweg. Aber ich hatte nicht Zeit, ihr nachzublicken, denn in demselben Augenblick fühlte ich mich vom Begleiter Omars, der Niemand anders war, als mein Nebenbuhler, der verhaßte Hassan, ergriffen. Ich fühlte den scharfen Stahl eines arabischen Dolches in meiner Seite, ich !ah das Blut in Strömen über meinen weihen Burnus hinfallen und dann ^ dann sah und fühlte ich nichts mehr. Der Blutverlust hatte mir die Kräfte geraubt und ich war ln Ohnmacht gesunken. Wie lange ich so dalag, das habe ich nie mit Bestimmtheit erfahren können, da meine Familie über den Vorfall kme seltene Schweigsamkeit beobachtete. Als ich erwachte, fand ich mich in meinem väterlichen Hause. Meine Wunde >var verbunden und es wurde ihr die zärtlichste und eifrigste Pflege zu Theil. (5ine Zeit lang hielt man sie für lebensgefährlich, aber ein geschickter europäischer Arzt, welchen man im Geheimen, um bei unsren Glaubensgenossen keinen Anstoß Zu erregen, herbeigerufen hatte, erklärte, daß keines der wesentlichsten Organe verletzt sei. Mein körperlicher Theil ging der Besserung entgegen, aber meine Seele war so trank, wie M) sie es nur sein konnte. Denn ich besaß die Gewißheit, daß nun Omar den gesuchten Porwand gefunden habe, um sein Wort, welches mir die Hand seiner Tochter zusagte, zurück' zunehmen. Ich wußte, daß kein Araber ihm bei dieser Handlungsweise Unrecht geben würde. Denn er tonnte behaupten und diese seine Behauptung hatte die Wahrscheinlichkeit für sich, ich habe nur zu dein Zwecke die geheimen Zusammen-künfte mit seiner Tochter gesucht, um dieselbe zu verführen und ihr dann, nachdem sie ihr edelstes Gut verloren, die Ehe zu verweigern. Bo wenigstens würde jeder Araber die Sache auffassen. Daß bis jetzt die Verführung nicht stattgefunden, davon mußte zwar Omar überzeugt sein, da sonst die Bewerbung Hassans nicht erneuert worden wäre, aber er konnte dieses nach arabischen Begriffen nur für einen glücklichen Zufall, nicht für mein Verdienst ansehen. Wer konnte ihm jedoch dafür stehen, daß dieser glückliche Zufall auch in Zukunft die Unschuld Hamfa's beschützen werde? Deßhalb war er der Billigung aller unsrer ^andsleutc gewiß, wenn er in dem besagten Falle mir durch Zurücknahme seines Versprechens jeglichen selbst nur anscheinenden Vorwand raubte, meine Geliebte noch einmal zu sehen und die mir zugeschriebne schnöde Absicht auszuführen. Ich sage „Vorwand", denn ein Recht darauf, seine Braut zu sehen, besitzt kein Araber. In diesem Lichte betrachtete ich meine kiage und dieselbe konnte mir nicht trostloser vorlommcn. Wer schildert jedoch meine Ueberraschung, als meine Mutter, welcher ich meine Befürchtungen mittheilte, mich wegen derselben zurechtwies und mir mit heiter»» Gesicht versicherte, daß diese Befürchtungen ganz unbegründet seien. „Es ist nichts geändert", sprach sie, „zwischen Omar's Familie und der unsrigen. Die Hand Hanifa's bleibt Dir nil ^gesagt und sobald Du wieder geheilt sein wirst, steht der ^esung des Fatsha kein Hinderniß mehr im Wege." Diese Versicherung, obgleich sie von meiner Mutter aus-^ng, ja vielleicht grade deßhalb, weil sie von ihr ausging, ^ar nicht vermögend, meine Befürchtungen zu zerstreuen. Denn ich glaubte nur zu deutlich zu erkennen, daft man mich "Ut nichtigen Hoffnungen zu täuschen suche, damit mein trü-"?r Gemüthszustand meine körperliche Genesung nicht ver-5ögere oder möglicherweise verhindere. Ich war deßhalb ^schlössen, eine List zu gebrauchen, um die Wahrhaftigkeit ber Behauptungen meiner Familie auf die Probe zu stellen, ^iese sehr einfache List bestand darin, daß ich meiner Mutter, Zeiche ich an mein Krankenlager rief, Folgendes eröffnete: „Ich werde nicht eher glauben, daß Omar seinem Verbrechen treu geblieben ist, als wenn die Lesung des Fatsha ^'vtz Allem, was vorgefallen ist, dennoch an demselben Tage ^attfindet, welcher schon früher, das heißt vor meiner Verwundung dazu festgesetzt worden war." „Aber", entgegnete meine Mutter, „wie kannst Du Dich "Mn verheirathen, wenn Du an das Krankenlager gefesselt bist?" „Du weißt wohl", so erwiderte ich, „daß bei der Lesung ^es Fatsha die Anwesenheit des Bräutigams gar nicht nöthig lst. Im Gegentheil dieselbe würde sogar gegen unsere Sitten "uf's Auffallendste verstoßen. Ich brauche deßhalb gar nicht Nesund zu sein, damit die Trauungsceremonie, welche ja durch procuration stattfindet, vor sich gehe. Wenn aber der Zeit-punlt der Vollziehung der Ehe, welcher stets auf einige Monate nach Lesung des Fatsha verschoben zu werden pflegt, Blumen wird, dann hoffe ich schon längst wieder auf den Bei-ncn zu sein." Meine Mutter sah, daß ich nur durch ein vollkommenes Eingehen auf meine Wünsche die Gemüthsruhe, welche zu meiner Besserung so nöthig war, wiedergewinnen konnte. <2ie versprach nur deßhalb, die Sache meinem Vater vorzustellen, und schon nach einigen Stunden erhielt ich die Versicherung, das; die Lesung des Fatsha an demselben Tage vor sich gehen sollc, welcher ursprünglich dafür bestimmt worden war. Dennoch war meine Freude über diese Nachricht, welche mich unter andern Umständen in unaussprechlichen Jubel versetzt hätte, keine ungetrübte, denn ich tonnte ihr keinen unbedingten Glauben schenken. Anfangs war ich sogar entschieden der Ansicht, meine ganze Familie spiele nur eine consequent durch' geführte Eomödie, um mich an eine glückliche Entwicklung meiner Herzensangelegenheit glauben zu machen, da diese auf meinen Zustand von so heilsamem Einflüsse zu sein schien. Später jedoch, als der entscheidende Moment heranrückte und ich unser ganzes Hauswesen mit den Vorbereitungen zur Hochzeit beschäftigt sah, da fing mein Zweifel allmählich z" Weichen an. Als Europäer kennst Du natürlich nicht die Vorbereitungen zu einer Hochzeit, welche ein uralter Brauch in jedcw arabischen Hauswesen vorschreibt. Weder der Bräutigam, noch sein Vater haben dabei das Geringste zu thun, da es unanständig wäre, irgend einen Mann mit etwas in Verbindung zu bringen, was bei uns beinahe ausschließlich in das Vereich der Frauen gehört, wie eine Hochzeitsfeierlichteit' Nur die Lesung des Fatsha selbst, das heißt die religiöse Ceremonie findet in Gegenwart der Männer und zwar m^ Ausschluß aller Frauen, in der Moschee statt. Nach dieser feierlichen Handlung lassen dann die Verwandten sowohl dcr Vraut als des Bräutigams in der Moschee selbst zahllose Kruge voll Scherbet und wohlriechende Essenzen herumreichen. Aber alle Lustbarkeiten, welche die Hochzeit mit sich führt, 193 stnden ausschließlich im Kreise der Frauen statt. Es sind das ^ einzigen Gelegenheiten, bei welchen anständige Araberinnen Wammen kommen dürfen. Zu diesen Festen, welche acht ^er vierzehn Tage dauern, pflegt sich eine jede angesehene ^ud wohlhabende Familie mit einer großen Menge von Eß-^'aaren und Getränken zu versehen, welche stets im Hause ^lbst von den weiblichen Verwandten des Bräutigams zu-"^reitet werden und deren Vereitung oft längere Zeit in Aw Spruch nimmt. Alle unsre Frauen sind in der Kochkunst, Namentlich in der Verfertigung zahlloser Arten von Kuchen Und Süßigkeiten sehr erfahren und würden sich schämen, gemietheten Händen eine Arbeit anzuvertrauen, auf welche sie kl^oissermaften stolz sind und die ihnen in ihrem langweiligen ^insverrungsleben eine willkommene Zerstreuung bietet. Als ich nun uteine weiblichen Anverwandten alle mit Zubereitung der bei einer Hochzeit üblichen Süßigkeiten, namentlich mit dem Vacken des Hochzeitskuchcns, welchen wir "leschelwisch nennen, sowie mit Mischung des Scherbet und ^'r wohlriechenden Essenzen beschäftigt sah, welche bei der Lesung des Fatsha herumgereicht zu werden werden Pflegen, ^a wollte es mir doch scheinen, als sei dieses mehr als Comödie, "Is sei es diesesmal mit meiner Hochzeit Ernst und die Freude !ulg an, wieder in meiner Brust die Oberhand zu gewinnen. Dennoch stiegen noch von Zeit zu Zeit die Zweifel in ^'ur auf, ja dieselben wurden zuweilen sogar so mächtig, daß ^) mich fragte, ob nicht das Ganze dennoch nur Spiel sei, "b man sich nicht verabredet habe, meine Täuschung selbst "och nach dem Tage der Lesung des Fatsha aufrecht zu halten, Und mich dann glauben zu machen, daß ich nun der gesetzliche ^eniahl meiner geliebten Hanifa geworden sei, während in "Wirklichkeit die Trauungsceremonie gar nicht stattgefunden Mte. Diese ganze Comödie, wie ich mir dieselbe dachte, 13 l94 konnte ich mir am Ende durch die wohlmeinende Fürsorge meiner Familie für mcine Gesundheit erklären. Erst, wen« sie mich vollständig genesen sehen würde, erst dann mochte sie es wagen wollen, vor meinen Augen den Schleier, welcher die schreckliche Wahrheit verhüllte, aufzudecken. Bis dahin also sollte ich in der Ungewißheit bleiben? Dieser Gedanke war mir unerträglich. Ich beschloß deßhalb, hinter den, Nucken der Meinigen einen Schritt zu thun, der nur Aufklärung verschaffen sollte. Mein Entschluß war schnell gereift. Ich wollte mich an dew Hochzeitstage selbst in die Moschee begeben, um mit eignen Ohren mein Schicksal aus dem Munde des Mufti und der Stellvertreter der Braut und des Bräutigams zu vernehmen-Dieser Entschluß war nicht so übertrieben schwer auszuführen, als Du Dir dieses vielleicht vorstellen mochtest. Natürlich durfte kein Mitglied meiner Familie auch nur eine Sylbe davon erfahren. Er mußte eben so geheim ausgeführt wer' den, als er im Geheimen gefaßt und zur Neife gebracht worden war. Dieses war nicht schwer, denn an dein zur Lesung des Fatsha festgesetzten Morgen sollte sich meine sämmtliche Familie in die Stadt und zwar in das Haus eines Freundes zum Besuch begeben, um dort bis zu Vollendung der Ceremonie zu weilen. Ich dagegen sollte unter der Pflege einer einzigen alten Dienerin allein zu Hause gelassen werdcn-Diese Alte tonnte ich leicht unter irgend einem Vorwand eincn Augenblick entfernen und diesen Augenblick zu meiner Flucht benutzen. Freilich war ich noch so schwach, daß ich t'auw gehen konnte. Aber ich wußte, daß unweit von unserm Landhause ein Franzose wohnte, welcher einen Wagen besaß, den er, da er keineswegs wohlhabend war und das Fuhrwerk bloß seiner Geschäfte wegen hielt, bei Gelegenheit auch vcr-miethete. Glücklicherweise war der Tag der Lesung des Fatsha 195 auf cincn Sonntag festgesetzt worden, und an diesem Tage konnte ich mit einiger Bestimmtheit darauf rechnen, daß der Nagen unsres Nachbars nicht zu geschäftlichen Zwecken in Anspruch genommen werde. Vis zu der Wohnung des Franzosen glaubte ich mich am Ende mit vieler Anstrengung schleppen zu tönuen. Von dort würde ich dann in dem Wagen unsres Nachbars in die Stadt und bis vor die Thüre der Dschema el kebir, der großen Moschee von Algier, fahren, in welcher die religiöse Ceremonie vor sich gehen sollte. Da-burch, daß ich dieser beiwohnte und aus dem Munde der beiden Stellvertreter deutlich die Namen Ali und Hanifa zu hören betam, dadurch allein tonnte ich mir in der wichtigsten Angelegenheit meines Lebens die Gewißheit verschaffen, welche sich Alle verschworen zu haben schienen, mir vorzuenthalten Nachdem ich diesen Entschluß gefaßt hatte, ward ich ruhiger, da ich nun eine sichere Aussicht besaß, aus der so Peinlichen Ungewißheit herauszukommen. Ich war jetzt für Alles, was mir die Mcinigen sagen konnten, völlig gleichgültig geworden, ich hielt alle ihre Mittheilungen für leeren Schall, für sinnlose Worte, denn sie besaßen für mich keine Bedeutung Wehr. Um jedoch keinen Verdacht zu erregen, gab ich mir die Miene, als interessirten mich immer noch die Aufklärungen, welche uteine Familie mir über mein nahe bevorstehendes Schicksal von Zeit zu Zeit geben wollte. Ich stellte deßhalb auch diejenigen Fragen, welche man in meinen: speciellen Falle vernünftiger Weise von mir erwarten mußte. So erkundigte ich mich zum Beispiel danach, wen man denn zu meinem Stellvertreter, welcher für mich bei Lesung des Fatsha das Jawort aussprechcn sollte, gewählt habe, und erhielt zur Antwort, mein Ukil (Repräsentant) werde einer der Beamten der Moschee sein. Dieses entsprach vollkommen unsern Gebräuchen, denn die Beamten der Moschee werden, als Nespects- 13* 196 Personen, besonders gern mit dem vorübergehenden Amte des Ml betraut. Nun stellte ich mich sehr verwundert darüber, daß dieser mein gewählter Stellvertreter mich gar nicht besuche, um aus meinem eignen Munde die Bestätigung seines Amtes zu erhalten. Darauf wurde mir geantwortet, ein Besuch des Util würde mich bei meinem jetzigen Zustande ja nur stören, auch sei ein solcher nicht im Geringsten nothwendig, da ja mein Vater in allen Dingen mit voller rechtskräftiger Gültigkeit für mich handeln könne und das, was derselbe für mich aussage, grade so angesehen werde, ale> ob ich es selbst ausgesagt hätte. Auch dieses war vollkommen richtig, denn nach unseren Gesetzen bleibt der Sohn, so lange der Vater lebt, unmündig, und was dieser für jencn beschließt, besitzt vollkommene rechtskräftige Gültigkeit. Darauf wünschte ich zu wissen, wer den Stellvertreter meiner Braut machen solle und erfuhr, daß man einen Verwandten Omar's zu diesem Amte erwählt habe. Kurz auf alle meine Fragen wurden ganz plausible Antworten ertheilt und ich wurde durch dieselben auch um kein Haar klüger, oder über den Umstand aufgeklärt, ob das ganze nur Spiel oder Wirklichkeit sei. Endlich jedoch brach der langersehnte Tag an, welcher mir Gewißheit verschaffen sollte. An» Morgen schon in aller Frühe wurden zahllose Kruge voll Scherbet, welcher in unserm Hause'bereitet worden war, in die Stadt und, wie man mir sagte, in die Moschee gebracht, um dort den Zeugen der Lesung des Fatsha angeboten zu werden. Diese Scherbettrüge begleiteten silberne bannen voll wohlriechender Essenzen, mit welchen die zu diesem Zwecke eigens gemietheten Diener die Hochzeitszeugen zu besprengen pflegen. Ebenso schickte man einen ganzen Stoß feiner türkischer, mit Gold gestickter Handtücher in die Stadt, um den Gästen nach dem Trinken des Schcrbet und dem Besprengen mit Essenzen zum Abwischen 19? des Mundes und der Hände gereicht zu werden. Alles dieses war in schönster Ordnung und geschah gemäß der uralten arabischen Sitte, der zu Folge, wenn das Fatsha gelesen ist, zu jedem Hochzeitszeugen nach der Reihe drei Knaben treten, von welchem der erste ihm Scherbet zu trinken anbietet, der zweite ihn mit wohlriechenden Essenzen besprengt und der dritte ihm ein Handtuch überreicht. Du siehst, meine Familie hatte keine dieser Verpflichtungen vergessen und, war dieses Alles wirtlich nur Conwdie, so war es wenigstens eine sehr gut und consequent durchgeführte Comödie. Ungefähr zwei Stunden, ehe die Ceremonie vor sich gehen sollte, begab sich meine sämmtliche Familie in die Stadt. Ich blieb mit einer altersschwachen Araberin allein im Hause Und nun stand der Ausführung meines Planes kein Hinderniß mehr im Wege als eben diese Alte, welche entfernt werden mußte. Dieses war nicht schwer. Ich empfand plötzlich einen lebhaften Wunsch nach einigen Granatäpfeln, eine Erfrischung, welche wir Mauren Algiers den kranken zu geben pflegen und denen wir heilfamc Eigenschaften zuschreiben. Die Alte war gern erbötig, mir diese Frucht aus dem benachbarten Garten eines Freundes unsrer Familie zu holen, und entfernte fich in dieser Absicht. Kaum war sie fort, als ich mich im Nu ankleidete und das väterliche Haus verließ. Mein Kraftzustand war leidlich und gestattete nur, ohne Unfall das Haus unsres französischen Nachbars zu erreichen. Glücklicherweise war der Wagen frei Und ich konnte denselben bald besteigen und nach der Stadt fahren. Ich ließ das Fuhrwerk in einiger Entfernung von der großen Moschee halten, da es Aufsehen erregt hätte, wenn ein Araber im Wagen an dem gottcsdienstlichen Gebäude angekommen wäre. Dort stieg ich aus und schleppte mich 198 mühsam nach dem Thore der Dschcma el kebir. Wer beschreibt meine Freude, als ich sogleich beim Eintreten in den Tempel bemerkte, wie hier Alles zu einer Hochzeitsfeierlichkeit vorbereitet war. Große Kruge voll Scherbet lagen ncbeneiw ander da, dic silbernen Kannen und die Tücher fehlten nicht und ein Häuflein jener Diener umstand sie, welche man bei solchen Gelegenheiten zu miethen pflegt. Da ich nicht gesehen und erkannt sein wollte, so hielt ich mich so lange hinter einer der Thüren versteckt, bis die Versammlung vollzählig erschien. Dann schlich ich mich leise in das Innere der Moschee, was ich sehr gut, ohne beachtet zu werden, thun tonnte, denn die sämmtlichen Versammelten drehten mir und der Thüre den Rücken, indem sie alle sich mit dem Angesicht nach der Kibla (Gebetesrichtung) zugewendet hatten. Einmal im Innern der Moschee, konnte ich mich sehr leicht hinter einem der hundert massiven Pfeiler, welche ihr Dach stützen, verstecken. Aus diesem Versteck heraus blickte ich direct auf die kleine, in der Richtung nach Mekka angebrachte Wandnische, in welcher der Mufti sich aufzuhalten pflegt. Vor diesem Würdenträger standen in feierlicher Haltung und mit salbungsvollen Festmienen eben zwei ältere Männer, offenbar die Stellvertreter der Vraut und des Bräutigams, in deren einem ich in Folge der Amama (des weißen, steifen, cnggefalteten, oben zugerundetcn Turbans der Nichter und Moscheebeamten), welche er trug, cinen Bediensteten des gottesdienstlichen Hauses erkannte. Die Anwesenheit dieses Einen entsprach also vollkommen dem, was mich meine Verwandten hatten erwarten lassen. Wer aber tonnte der Ändere sein? Ich vermochte lange nicht, sein Gesicht deutlich zu erblicken, da sich das Licht in der Kibla sehr ungünstig erwies und ich verzweifelte schon, ihn erkennen zu können. Da plötzlich wandte er fein Antlitz zufälliger Weise grade in 1W seiner Nichtung mn und ich erkannte zu meinem unaussftrech-^chen Jubel in ihm einen Verwandten Omars, einen mütterlichen Oheim meiner geliebten Hanifa. Jetzt glaubte ich deiner Sache gewiß zu sein. Meine Verwandten hatten mich Nlcht getäuscht. Was ich für Comödie gehalten, das war Wahrheit gewesen, nur meiner krankhaften Phantasie, meinem ^Urch körperliche Leiden gesteigerten Mißtrauen war es wie rin Spiel vorgekommen. Ich sollte dennoch glücklich, was sage ich glücklich, ich sollte überselig werden, denn der Besitz deiner geliebten Braut war mir nun gesichert. So dachte lch wenigstens in jenem All genblicke und meine Seele schwelgte Nn Vorgefühle des höchsten Glücks. Aber leider sollte das Erwachen aus diesem süßen Traume, der mir schon fast wie Wirklichkeit vorkommen wollte, ein entsetzliches werden. Ich erwartete natürlich nichts Andres, als daß ich nun aus dem Munde des Moscheebeamtcn, welchen ich für meinen Stellvertreter bei der Lesung des Fatsha hielt, meinen eignen stamen und aus dem Munde seines Gefährten den Namen 'neiner Braut vernehmen würde. Diesen letzteren hörte ich Uun allerdings, zwar leise, wie dies immer bei ähnlichen Ge-lcgenheiten üblich zu sein Pflegt, jedoch deutlich und verständlich aussprechen. Aber der andere Name war nicht der mei-^lge. Der Beamte, welcher den Namen des Bräutigams auZsprach, besaß eine deutliche Stimme, er redete sogar lauter, als cs in ähnlichen Fällen sonst hergebracht ist, so daß mir nicht die geringste Selbsttäuschung übrig bleiben und ich mir nicht einmal mit der Hoffnung schmeicheln konnte, als habe lch den Namen falsch vernommen. Dieser Name war kein Andrer, als der meines Feindes und Nebenbuhlers, desjeni-3w, dessen Dolchstich in meiner Seite noch nicht vernarbt ^ar, es war der Name des Hassan ben et Tabari. Es war seine Trauungsceremonie, welche gefeiert wurde und nicht die 200 meinige. So war doch Alles nur Lug und Trug gewesen/ was man mir vorgespiegelt hatte, ich war verrathen und vei" kauft, ich war um das einzige irdische Glück betrogen, welches für mich einen Werth besaß. Vei dieser ebenso plötzlichen, als fürchterlichen Entdeckung vermochte ich nicht, meiner Sinne Herr zu bleiben. Wic wahnsinnig brach ich aus meinem Versteck hervor und eilte schnellen, aber doch wankenden Schrittes bis an die Stelle, wo der Mufti und die Hochzcitszeugcn saßen, und war cbcn im Vegriff, mit lauter Stimme gegen diese Schandthat zu protestircn, als mich Plötzlich meine in Folge der langen Krankheit noch hinfälligen Kräfte verließen. Ich stieß cinen lauten Schrei aus und sank dann zu den Füsien des Ptufti scheinbar leblos zu Boden. Hiermit ist meine Geschichte zu Ende. Mein weiteres Leben kann für keinen Menschen mehr ein Interesse darbieten-Körperlich zwar genas; ich, aber, wenn meine Seele nicht krank geblieben wäre, so würdest Du mich heutigen Tages nicht hier in der Haschischbude sitzen sehen. „Und Omar?" so fiel ich plötzlich mit einer vielleicht unwillkommenen Frage ein. „Ist er mit feinem Schwiegersohn zufrieden?" Dieß war eine indirecte Weise, mich nach Hanifa zu erkundigen, denn graden Weges nach ihr zu fragen, das würdc gegen alle arabische Sitte verstoßen haben und selbst nach europäischen Begriffen in diesem Falle vielleicht unzart gc-Wesen sein. „Omar?" cntgcgnete Ali, „ich kümmere mich nicht mehr um ihn. Cr ist mir ebenso gleichgültig geworden, wie die ganze übrige Welt. Alles, was ich von ihm weiß, ist, daß er sich seit einem Jahre ebenfalls dem Haschisch ergeben hat, woraus ich, wenn mir die Sache nicht zu gleichgültig wäre. 201 fließen möchte, daß irgend ein geheimer Kummer auch ihn niederdrückt." Diese Indifferenz des Haschischrauchers in Vez»g auf klnen Mann, welcher ihn früher doch lebhaft interessiren Mußte, entsprach zwar dem Wesen dieser Opfer des narkotischen Krautes, aber ich hielt sie bei Ali doch noch nicht für bolltommen begründet und hoffte deßhalb weitere Aufklärung ^n ihm erlangen zu können. „In welcher Haschischbude treibt er denn sein Wesen?" tutete meine weitere Frage. „In welcher Vude? Wo anders, als hier? Wie sollte ^ch denn sonst etwas von ihm wissen? Ich gehe mit Niemandem um, ich spreche beinahe mit Niemandem, ich crkun-^gc mich nach keinem Menschen. So weiß ich denn nichts bon all' dem, was in Algier seit einem Jahre geschieht und Irsprochen wird. Ich kenne Niemand mehr, als die Insassen "'escr Vudc und da Omar einer von ihnen ist, so konnte ich lücht umhin, ihn zu bemerken. Aber nie sprechen wir zusam-Mcn. Ich glaube, er erkennt mich gar nicht wieder. Siehst Du nicht das kleine, verrunzelte, in Lumpen gekleidete Männchen, welches dort in der Ecke, uns schräg gegenüber, sitzt?" Am bezeichneten Platze saß eine kleine, verschrumpfte Gestalt, ein hinfälliges Knochengeripfte, mit etwas gelblicher Haut überzogen, deren zahlreiche Runzeln eher von Sorgen, ^ls vom Alter, denn das Männchen war noch kein Greis, ^rzurühren schienen. Das Gerippe war in bescheidene Lum-^ntracht gehüllt, deren häufige Löcher hie nnd da einen der ^endcn Knochen der Jammergestalt offenbarten. Trotz jenes körperlichen Elends und trotz dieser tiefen Armuth, so trugen "och die Gesichtszüge des kleinen Mannes keineswegs einen ^zweifelnden Ausdruck zur Schau. Im Gegentheil, um seine Mundwinkel zuckte zuweilen ein beinahe verklärtes Lächeln, 202 seine schwarzbraunen Aeuglein erschienen in einem süßen Thau gebadet, dessen feuchte Ncbelhülle sie doch noch manchmal mit einem gewissen Feuer durchbrachen. In solchen Augenblicks funkelten sie licht und helle und sahen eher wie die Augen eines verzückten Derwischs, der die vermeintliche Anschauung Gottes genießt, als wie die eines ganz gewöhnlichen, prosaischen, verunglückten Familienvaters aus. Der Kopf erschien meist auf die Seite gesenkt, wie das Haupt eines Träumen' den und das eine in die Höhe gerichtete Ohr zeigte sich ganz besonders gespitzt, gleichsam als lausche es einer süßen überirdischen Melodie. Aus dem ganzen Wesen und Gebahren des hinfälligen kleinen Mannes errieth man, daß, was auch immer die ernsten Verhängnisse gewesen sein mochten, womit ein tückisches Schicksal ihn heimgesucht, er sich durch einen kühnen Phantasiesprung über dieselben hinweggesetzt hatte und nun eine eingebildete, chimärenhafte Glückseligkeit empfand, welche, während der Paar Stunden, die sie täglich andauern mochte, ihn alles Leib vergessen ließ. Jener kühne Phantasiesprung und diese eingebildete Glückseligkeit bildeten das Resultat des Haschisch, jenes allerdings betlagcnswerthcn und verdammungs-würdigcn, aber doch unleugbaren Sorgenbrechers. Das war also Omar, der Vater der schönen Hanifa, der Schwiegervater eines der reichsten jungen Männer von Algier! Wie konnte er sich seiner Tochter, welcher ich nach Ali's Erzählung doch mannichfache Vorzüge, nicht nur des Aeußern allein, sondern auch des Geistes und Charakters zu« schreiben mußte, so durchaus unwürdig zeigen? Nie tonnte er so tief gesunken sein, um sich hier, in Gesellschaft des liederlichsten Gesindels, oder vielmehr um einen Ausdruck zu gebrauchen, welcher im speeiellen Falle geeigneter sein möchte, in Mitte der Schiffbrüchigen auf dem Meere der socialen 203 Stellung, einer der verderblichsten Verirrungen hinzugeben? " "U diesem moralischen Fall kam noch sein gesellschaftlicher, elcher letztere namentlich mir die ganze Sache unerklärlich dachte. Denn ein reicher Araber läßt den Vater seiner Frau, ^ncntlich einer so geliebten Frau, wie Hanifa es doch sein /^ßte, nie dergestalt in's Elend sinken, daß er, nur mit ^Mften bekleidet, nur mit der dürftigsten Kost ernährt, deren ^pärlichkcit die skcletthafte Magerkeit deutlich verkündet, sich llr wenig, oder so gut wie gar nicht, von einem Vettler ^erscheidet. Für diese Räthsel suchte ich eine Lösung bei 7^: aber umsonst. Seit seinem Unglück hatte er sich um demand mehr bekümmert und wußte mir vom Schicksal T^ar's, Hanifa's oder Hassan's auch nicht das Geringste zu '"gen. Das kleine Männchen sprach kein Wort. Es schien das ^aschischrauchen mit einer gewissen Methode, ja ich möchte ^ sagen, mit einer an Stoicismus grenzenden Gewissen« ^stigkeit, mehr wie eine Pflicht, wie im Gehorsam gegen das ^ebot eines unerbittlichen Schicksals, als wie eine freiwillige ^ndlung zu betreiben. Diese Methode war jedoch nicht nur ^ seiner Art des Rauchens zu entdecken, nein, selbst in der ^'ch dasselbe erzeugten Vcrauschtheit schien eine Methode zu ^gen. Man konnte deutlich, beinahe mit mathematischer enauigkeit, bei ihm die verschiedenen Phasen berechnen, klche sein Haschischrauchen und sein Haschischrausch durch- ^n. Diese Phasen zeigten sich im Ganzen genommen zwar ^ die gewöhnlichen, welche jedem Genießer des narkotischen Lautes eigenthümlich sind, nur traten sie bei Omar mit mehr ^lä'cision ein, wie es seine methodische Natur mit sich brachte. "er in einem einzigen Eymftton unterschieden sich seine Phasen auf's Auffallendste von denen der andern Kifraucher. wahrend des Rauchens der ersten Pfeifen, als die Betäubung 304 noch nicht die Oberhand über seine Sinne und sein Gedacht' niß gewonnen hatte, da schien er in einer gewissen Unru^ befangen zu sein. Diese Unruhe gab sich besonders dadum kund, daß er immer nach der geöffneten Thür der Haschis^ bude hinblinzelte, gleichsam als erwarte er von dort irget^ eine Störung seiner beschaulichen Mußestundc. War er " hart von Schulden bedrängt, daß er das plötzliche Eintrete!' irgend eines Gläubigers befürchtete, welcher ihn aus de^ Tempel der traumhaften Glückseligkeit herausreißen und d^ prosaischen Wirklichkeit eines Schuldgefängnisses zuführt würde? Dieses war möglich, aber nicht wahrscheinlich, de>^ das bettelhafte Männchen hatte gewiß schon längst keim'" Credit mehr besessen, um irgendwelche Schulden machen H" können. Was auch immer der Grund dieser Unruhe sein mochte dieselbe war entschieden vorhanden, und für mich, der lch< seit mir Ali seine Geschichte erzählt hatte, das Männchen aur merksam beobachtete, im höchsten Grade auffallend. Ali frc'' lich, der für die Welt im Allgemeinen und für Omar i>" Besondern bis zur vollkommensten Gleichgültigkeit abgestump? erschien, hatte sie nicht bemerkt und wußte mir, als ich ih" nach dem muthmaßlichen Grunde derselben fragte, keine l"'' friedigende Antwort zu geben. Aber diese Unruhe dauerte nicht ewig. Je mehr Nau^ Wolken Omar aus dem kleinen Rohre der Nifpfeife gegen d^ geschwärzte Decke der Bude blies, desto ruhiger schien er 5" werden. Das Schielen nach der Thüre, welches Anfangs fa" bei jedem Zuge aus der Pfeife erfolgte, fand jetzt in g^' ßercn Zwichenräumen statt. Diese Zwischcnrä'ume wurde" immer ansehnlicher, bis zuletzt sein Auge gar nicht mehr dc" Neg nach der Oeffnung des Ladens fand. Nun war ^' narkotische Gewalt in ihr volles Recht eingetreten, die Sow' 205 ^keit war in dem Strom des Lethe ertränkt worden und ^ tiefste Friede malte sich auf dem Angesicht des zerlumpten ^Nnchens. Jetzt nahinen seine Züge jenen verklärten, ent-bitten Ausdruck an, welchen ich oben beschrieben habe, denn ^ einem solchen Augenblicke war es gewesen, daß ich den "Ner Hanifa's das erstemal erblickt hatte. Omar nahm jetzt fast alles Interesse in Anspruch, wel-^s ich früher für Ali und dessen Schicksal so lebhaft em-Mnden hatte.. Ich machte ihn zum ausschließlichen Gegen-'lltnd meines Studiums und besuchte von nun an nur feinet-Mben allabendlich die Haschischbude, wie ich es früher um ^t's willen gethan hatte. Was jedoch bei ihm am allermeiste« meine Neugierde reizte, das war immer wieder jene ^hselhafte Unruhe, welche sich jedesmal während der ersten ^lben oder ganzen Stunde des Haschischrauchens an dem ^ter Hanifa's offenbarte. Diese Unruhe war mir ein ^hchologisches Räthsel, dessen Lösung für mich einen mächti-^ Reiz gewann, denn bei keinem der andern Haschischraucher ^bachtetc ich etwas Aehnliches, wie bei Omar. Aber ich ^chte ihn noch so sehr beobachten, ich mochte noch so viel feinen Kopf über die Auflösung dieses Räthsels zerbrechen, bssrlbc wurde mir von Tag zu Tag eher duntler, als daß ^ seiner Enthüllung entgegen ging. Dennoch ließ ich mich durch diese bisherige Erfolglosig- ^ nicht in meinem Veobachtungseifer irre machen. Meine ^sdauer sollte denn auch bald durch etwas Außerordentliches klvhnt werden. Eines Abends, als ich wieder in der Haschisch- ^c so dasaß, und den mir gegenüber sitzenden Omar, wel- ^'l noch im ersten Stadium seines Rauchens und seines an-^'Nden, aber noch nicht zur gewünschten Neife gediehenen '^llscl^s begriffen schien, mit aufmerksamen Vlicken musterte, Ehrend das Blinzeln und Schielen nach der Thüre Anfangs 306 noch in beschleunigter und dann wic gewöhnlich mit imN'^ langsamerer Bewegung stattfand, da bemerkte ich auf einM" wie mit dem hinfälligen Männchen etwas Auffallendes vol' ging, was die bisher beobachteten Phasen semer Berausä^ heit auf eine völlig neue Art unterbrach und was sich v»" allen früher an ihm beobachteten Erscheinungen seltsam untc^ schied. Obgleich Omar zwar im gewöhnlichen Leben sch^ farblos genug war, so wurde er jedoch jetzt plötzlich völl's todtenbleich, seine Züge bekamen etwas Gespensterartiges, ^ Augen nahmen ein trübes, fast thrä'nenhaftes Aussehen ^ und ein heftiges Zittern befiel seine abgemagerten Glieder-Welcher Umstand mochte diese plötzliche Veränderung verursacht haben? Natürlich blickte ich gleich nach der Thü^ denn von dort, sagte mir mein Instinkt, müsse jedes si^ Omar zu fürchtende Unheil herkommen. Es war jedoch nich^ besonders Auffallendes, was ich dort sah, das heißt kci" Ding, was in Algier auffallend genannt werden kann, den" ein über die Maßen zerlumpter, an Wildheit einem reißet den Thiere gleichender Bettelderwisch oder ein von Gass^ koth triefender, nur mit Schmutz bekleideter Verrückter odcl ein sich auf's Unanständigste aufführender Betrunkener, das sind in den Straßen und Kaffeehäusern der schönen Sta^ Algier eben keine übertrieben seltnen Erscheinungen. D"^ Wesen, welches eben an der Thüre der Haschischbude crschi^ hatte mit all' diesen drei Charakteren, dem BettelderwiO dem Wahnsinnigen und dem Betrunkenen irgend etw^ gemein und man wußte bei seinem Anblick Anfangs kau^' in welche dieser drei schönen Kategorien man dasselbe vc^ weisen solle. Vom Betteldcrwisch besaß es die Zcrlumpthe^ vom Verrückten die Geberden und vom Betrunkenen b^ unstäten Gang. Auch wäre ich vielleicht heute noch darüb^ im Zweifel, was von diesen drei Dingen der elende VtensO 307 ^gentlich sei, hätte nicht der Chorus der Gassenjungen, welche in ^chst ansehnlicher Zahl ihm das Geleit gaben, mich hierüber Aufgeklärt. Diese hoffmmgsvolle Jugend schrie nämlich dem ^scheinend Verrückten oder Bettelderwisch aus voller Kehle ^U jcmn überaus hohen Soprantönen, welche nur arabische "lnder oder Frauen hervorzubringen im Stande sind, die Vtorte „Ja es Sgran! es Sgran!" nach. Da ich wußte, daß "ks Egian" ein Betrunkener bedeute, so waren meine Zweifel über "le Art der geistigen Störung, unter welcher dieser Mensch, "ber richtiger gesagt diese Ruine eines vernunftbegabten Wesens laborirte, beseitigt. Diese schaudererregende Gestalt ^ar es gewesen, deren bloßer Anblick das Zittern in den Gliedern des armen Omar verursacht hatte und zwar nicht ohne ^rund, wie ich mich sogleich überzeugen sollte, denn ihm im "esondern und der Haschischbudc nur im Allgemeinen war ^r Besuch des Betrunkenen zugedacht, und daß dieser Besuch ^in angenehmer sein tonnte, sondern im höchsten Grade den schrecken des Haschischrauchers rechtfertigte, davon war es ^r bestimmt, jetzt einen augenfälligen Beleg zu erhalten. Der elende Mensch entschloß sich bald, seinen proviso-^schen Platz an der Thür der Bude zu verlassen und in ^ese selbst einzutreten. Wankenden Schrittes schleppte er sich ^ den Banken entlang, auf welchen die Haschischraucher '"hen, fühlte seinen Weg mit den Händen, indem er hier ^tnen am Burnus packte, dort einem Andern die Faust auf ^n Turban legte, bis er endlich an dem Platz angekommen ^ar, wo das hinfällige Männchen saß. Dieses schien in-^isclM vom Zittern und Beben in einen Zustand der Ver« ^Merung übergegangen. Wie das Vögcllein der Fabel, wel-")es von einem Schlangenblick gebannt gehalten wird, so saß ^ Unbeweglich da und stierte starren. Auges dem kommenden "chreckniß entgegen. Aber der Betrunkene schien es Anfangs 208 auf nichts Entsetzliches abgesehen zu haben. Im Gegentheil, er geberdete sich so, als sei er für den kleinen Haschischrauchel von den zärtlichsten Gefühlen erfüllt. Diese suchte er den" auch bald dadurch zu beweisen, daß er einen verzweifelten Umarmungsuersuch bei seinem Opfer machte. Da sich dieses aber mit seiner ganzen Leibesgewalt dagegen sträubte, so begnügte er sich, dem Männchen seine beiden kräftigen Ellen' bogen auf die Schultern zu, legen und mit denselben den Hal6 so eng zu umschließen, daß ich jeden Augenblick ein ersticken' des Röcheln zu hören erwartete. Doch zum Glück blieb er nicht lange in dieser gefahrdrohenden Stellung, sondern er geruhte die Arme zurückzuziehen und dann zu Geschäften übelzugehen. Da ihm jedoch im Augenblick jene geistestlare Nüchternheit, welche sich zu geschäftlichen Gesprächen so günstig zeigt, gänzlich abging, so war er genöthigt, zu unarticU' lirten Tönen, welche sich nur hie und da zu einzelnen Sylben und Wörtern zu eonsolidiren vermochten, seine Zuflucht ZU nehmen. Das einzige, was ich von dem etwas mehr articu-Hirten Theil seiner Rede deutlich vernehmen konnte, waren die Worte „Baba" iVater) und „Sorbi" (Geld, eigentlich französische Sous, wofür die Araber das italienische Nort „Soldi" gebrauchen, welches sie aber gewöhnlich „Sordi" aussprechen). Aus der Anrufung „Vaba" würde ein Europäer geschlossen haben, daß der Bittsteller, welcher die „Sordi" verlangte, der hoffnungslose Sprößling des Angebettelten sciu müsse. Vei Arabern ist jedoch die Ansprache mit dem Worte „Vater" nicht nur den wirtlichen Erzeuger, sondern jeden? beliebigen älteren Manne gegenüber in häusig vortommcndeN Fällen üblich, besonders wenn es sich darum handelt, dem!" zärtlich Benannten zu schmeicheln oder etwas von ihm zu verlangen, da die Voraussetzung des höheren Alters, welche der Vatername mit sich bringt, eher für eine Schmeichelei als f^' 209 "6s Gegentheil gilt und keinen rechtgläubigen Moslem im-^gcnchm berührt, wie dergleichen bei Europäern nicht selten vrzutmumen Pflegt, die fast immer es für eine Beleidigung Aschen, wenn man sie für>alt hält oder mit einem dem Alter ^kommenden Namen benennt. Omar schien jedoch gar nicht durch die Schmeichelei beuchen worden zu sein, welche in der zärtlich kindlichen Be-^nnung für ihn etwa liegen mochte. Noch »reuiger zeigte ^ sich bereit, dein zudringlichen Bittgesuch zu entsprechen, und ^ar wahrscheinlich aus sehr guten Gründen, denn er sah keineswegs danach aus, als ob er selbst Ueberfluft an „Sordi" ^säße. (5r fragte deßhalb auch gar nicht, wozu der Bitt-Wer die gewünschten „Sordi" denn wohl nöthig habe? Eine ^lchc Frage wäre auch ganz überflüssig gewesen, da selbst I^er gleichgültige Beschauer sich die richtige Antwort darauf Neben konnte. Denn wozu anders pflegt ein Säufer Geld ^ verlangen, als um neue Selbstmordversuche vermittels ei-^r gehörigen Dosis jenes Giftes, welches man Alcohol nennt, ^zustellen? Die Sache schien nur zu klar. Der Betrunkene ^tte schon so viel „Sordi" in Gestalt von Absynth oder Arak ^ seine Gurgel hinabgleiten lassen, daß ihm der für seine "Wundheit besorgte Verläufer aus zarten Gewissensserupeln ^' sie seines Gleichen immer leeren Taschen gegenüber em-"lnden, zuletzt den Credit verweigert hatte. Da war es ihm k'M plötzlich eingefallen, daft er irgendwo, in einer Haschisch-"Ude, einen Busenfreund oder möglicherweise einen Verwanden besah, welcher vielleicht im Stande wäre, ihm zu neuem "Eordi" zu verhelfen. Natürlich tonnte ihm eine solche ^knnuthung. daß bei Omar irgend etwas zu holen wäre, ^r im höchsten Parozismus der Betrunkenheit gekommen ^"> Aber wenn er einmal diese Stufe erreicht hatte, dann ^vann auch jene sonst so unwahrscheinliche Vermuthung die 14 2!0 volle Kraft der Ueberzeugung. Diese Ueberzeugung mach^' ihn stark und flößte ihm die nöthige Energie ein, um s^' Anliegen durch alle ihm zu (Gebote stehenden Mittel zu u"' terstützen. Das erste Mittel waren die Bitten gewesen, ^ aber diese keinen Erfolg gehabt hatten, so schritt er nun ^ Drohungen, indem er, von den unartieulirten Tönen u»'" einzelnen Worten zu gebrochenen Sätzen übergehend, bei Ä'' lah, bei dem Propheten Muhammed und dessen höchsteigne^ Kinnbarte, sowie bei verschiedenen Stadtheiligen von Älgu'l schwur, daß er dem kleinen Manne alle Knochen im Lei^ zerbrechen werde, wenn derselbe nicht schnell die gewünscht „Sordi" verabreiche. Diesen bedeutungsschweren Drohung^ wurden noch als leichte Geschosse einige jener würzbaf^ Schimpfwörter nachgesandt, an denen die arabische Spraä" einen so beneidenswerthcn Reichthum besitzt und unter w^ chem „Hund" und „Schwein" noch als die allergelindest^ erscheinen. Ich wunderte mich, daß die andern Gäste der HaschM bude so gar nicht Miene machten, Omar zu beschützen u»^ der Ausführung jener vom Betrunkenen ausgesprochen^ Drohung, dadurch, daß sie den unzurechnungsfähigen Vl^ schen festhielten, zuvorzukommen, denn obgleich die Genießt des Kifs sprichwörtlich apathisch sein mögen, so schienenlos heute noch nicht alle Anwesenden in jenen Zustand übcrg^ gangen, in welchem ihnen die ganze Welt gleichgültig wurd^ und in dem sie auch keinen Finger rühren würden, um selb! das Leben ihres eignen Bruders zn retten. Ihre Nichtintcl' vention vermochte ich mir nur dadurch zu erklären, indc"' ich annahm, daß sie an dergleichen Drohungen von Seit^ des Betrunkenen schon gewohnt sein mochten, und hic^' täuschte ich mich nicht, denn wirtlich vernahm ich später, ^>' solche Vorkommnisse, wie das heutige, schon seit Mon^ 2U sehr »ft in der Haschischbudc zu spielen pflegten. Die Stammgäste derselben schienen über diese Excentricitäten des Betrunkenen Ichun blasirt und völlig abgestulupft gegen den Wortlaut seiner Drohungen und Schimpfwörter. Denn, wie es schien, so war ks bis jetzt immer noch bei dem Wortlaut geblieben und die Drohungen hatten nie die Gränze überschritten, welche Ab-stchten von Thaten trennt. Das Ganze hatte gewöhnlich da->nit scin erwünschtes Ende gefunden, daß der Bedrohte nach langein fruchtlosen Zaudern und Zögern schließlich doch noch ein oder das andere Kupferstück in seinen schwindsüchtigen laschen fand und dem Gegner überreichte. Die Stammgäste ber Haschischbude schienen gar nicht den möglichen Fall im Voraus zu berechnen, wann einmal die Taschen Omars sich in; traurigen Wittwenstande durch das Dahinscheiden selbst bes letzten Kupferstückes befinden würden. So sicher mochten sie an die gewöhnliche Entwicklung der kleinen Comödie glauben, daß sie auch nicht einmal bei dem folgenden Vorkommniß, dessen Zeuge ich nun werden sollte, Miene »nachten, Omar zu Hülfe zu eilen, als nämlich der kräftige Betrunkene den kleinen hinfälligen Mann mit der linken Hand gewaltsam ergriff und fcstpackte und mit der N'chten die fraglichen Taschen selbst untersuchte. Da jedoch ^e erste Untersuchung fruchtlos ablief, so schritt er nun zu ^'Mer noch genaueren Inspeetion seines Opfers. Wie eine Äinme, welche ein Kind wäscht oder ankleidet, das willenlose Geschöpf bald nach rechts, bald nach links umwendet, bald Nach vorne oder rückwärts dreht, so spielte der Säufer mit ^,n armen Omar, indem er ihn bald in die Höhe hob, um 5U sehen, ob er nicht etwa einige Kuftferstücke unter seinen Titz geschoben habe, bald ihn hoch in die Luft empor hielt und tüchtig schüttelte in der Hoffnung, daß etwas Klingendes 14-' 213 herunterfallen könne, bald auch dem hülflosen Männchen den Turban abnahm, und diesen aufwickelte, um dessen Falten einer genauen Untersuchung zu unterziehen, denn der Turban pflegt bei Arabern ein Haufttverstcck ihres Geldes zu bilden-Daraus, daß selbst bei diesem barbarischen Eingreifen in das Recht persönlicher, freier Eelbstbewegung die Haschisch' rancher sick) nicht rührten, schloß ich, daß auch dergleichen schon vorgekommen sein mochte. Der arme Omar lieft sich Alles gutmüthig gefallen, ja er machte sogar eine ganz resig' nirte Märtyrermiene, welche gewiß jeden Stein gerührt haben würde, deren Mitleid erregende Eigenschaft jedoch bci seinen betrunkenen Mißhandler gänzlich verloren ging. Dieser schien weitentfernt davon, mit seinem Opfer Mitleid z« empfinden, sondern im Gegentheil, sein Zorn war durch dic Fruchtlosigkeit der Untersuchung aufs Höchste getrieben wol' den. Sein ohnehin erhitztes Gesicht wurde purpurroth, seine Augen standen im Feuer, und vor seine kippen trat ein leiH ter, weißer Schaun», den höchsten Paroxismus der Wuth des Betrunkenen verkündend. Als er jetzt seine kräftigen Fäuste erhob und die oft ausgesprochene Drohung, welche nach An-ficht der Haschischraucher bestimmt sein sollte, niemals zur Thatsache zu werden, schließlich dennoch ausführte, nämlich das hinfällige Männchen mit fürchterlichen Hieben auf Kopf, Gesicht, Vrust und Schultern heimsuchte, da ward die Apathie der Haschischraucher allerdings einen Am^Mkl" unterbrochen. Sie eilten dem Geschlagenen schließlich doch noch zu Hülfe und suchten die zwistigen Parteien zu trennen. Es gelang ihnen auch wirklich, sich des Tobenden zu bemäch' tigen und von ihm loszureißen, aber leider kam ihre Intervention zu spät für den armen Omar, denn schon war die' ser von den Hieben ganz betäubt zu Boden gesunken und lag wie eine leblose Masse zu ihren Füßen. Im ersten Augen- 2l3 "uck kümnierte sich jedoch Niemand um Omar, da sein An-Geifer die allgemeine Aufinerksamkeit ausschließlich fesselte. Der jetzt ganz tobsüchtig gewordene Betrunkene nahm ^cht nur all' ihre Aufmerksamkeit, sondern auch all' ihre Kräfte in Anspruch, welche letztere, hinfällig wie bei allen Haschischrauchern, vielleicht nicht ausgereicht hätten, um ihn "u gezwungenen Ruhestande zu halten, wären sie bis aufs ^nde auf die Probe gestellt worden. Aber zum Glück kam ^u entscheidenden Augenblicke noch Hülfe. Einer jener arabi-Ichen Polizeiagenten, welche im Dienst der französischen Be-Horde stehen, hatte den Vorfall von der Thüre aus mitan-9rsehen und war schnell zum benachbarten Districtseommissar fangen, um diesen selbst, sowie einige bewaffnete Polizei' ^ener, an den Schauplatz der Ruhestörung herbeizurufen, ^er Stellvertreter der Behörde, ein französischer Untercom-'»issar der Polizei, erschien, begleitet von zwei wohlbewehrten Polizisten, kräftigen, breitschultrigen Kerlen, welche sich ohne "lühe des Ruhestörers beinächtigten, um ihn, nach Constati-^Ng seines Vergehens, in's Polizeigefängnift abzuführen. Zuerst mußte jedoch dieses Vergehen constatirt werden, welches vermittels des in Frankreich so genannten Verbal-^wcesses (pi-«^» voi-d-ll) geschehen sollte. Die Haschischbude ^'wandelte sich plötzlich in ein Verhörzimmer. Da alle Gejagten einstimmig in ihrer Beschuldigung des Betrunkenen 'varen, so wurde die Durchftrügelung, für welche die franzö-l^che Jurisprudenz die beschönigenden Ausdrücke „insulw» I'^r i?«8t«8" (Beleidigung durch Gesten) und „vuw» cle tnlt" thatsächliches Eingreifen) besitzt, leicht eonstatirt. Jetzt blieb ^ur noch übrig, die Namen der beiden Individuen, des Durch-^Prügelten und seines Nlißhandlers, zu erfahren. Welche Überraschung sollte mir jedoch der Name des letzteren berei-^>, als dieser nun durch einstimmige Zeugenaussagen ermib 214 telt wurde? Dieser Name war an sich schon eine Offenbarung, Welche em helles Streiflicht auf die traurigen Familien' zustande des armen Omar und seiner Tochter Hanifa warf, deren Schicksale durch Ali's Erzählung für mich cin besonderes Interesse gewonnen hatten. Ich hatte, nach der besass' ten Erzählung zu schließen, bisher immer geglaubt, das; Omar mit der Verheirathung seiner Tochter ein sehr gutes Geschäft gemacht, und daß, wenn auch diese einen ihr recht widerwärtigen Gatten, jener doch wenigstens einen ihm erwünschten, das heißt einen wohlhabenden Schwiegersohn bekommen habe. Wer schildert also meine Verwunderung, als ich nun vernehmen mußte, daß jener zerlumpte Vagabund, jener elende Mensch, welcher nun mit Necht von der französischen Polizei abgeführt wurde, jener verächtliche bettelhafte Säufer Niemand anders war, als der Gatte der schönen Hanifa. Ich tonnte meinen Ohren kaum trauen. Aber es schien nicht zu bezweifeln: ich hörte zu wiederholten Malen den Namen des Betrunkenen deutlich nennen und durch Zeugenaussagen bestätigen und dieser Name war kein anderer, als der des Hassan ben et Tabari, des vermeintlich reichen jungen Mannes, welchem zu ^iebe Omar gegen Ali wortbrüchig geworden war, indem er ihm seine Tochter, die er dem Andern schon zugesagt, zur Ehe gab und auf dessen Vermögen bauend er hoffte, als Schwiegervater eines reichen Mannes in Zukunft aller jener Sorgen enthoben zu sein, welche ihm seine eignen zerrütteten Vermögensverhältnisse bereitet hatten. In einen, solchen dichte sollte sich mir also der vielerwähnte Hassan ben et Tabari offenbaren, in dein Lichte eines verachteten Vagabunden, eines Bettlers, er, dessen einziger Vorzug ja sein Reichthum nach der Erzählung Ali's sein sollte. Inzwischen war der Durchgeprügelte, wenn er sich auch A5 ^neswegs erholt hatte, doch wenigstens wieder zur Besin-'^Nss gekommen. Er wurde von den mitleidigen Polizeidie-^^n voni Boden aufgehoben, auf eine Bank gesetzt und dann, ^t einziger Bclassung jener Umhüllung seiner unteren Kör-^'Hälfte, welche die Engländer „Unaussprechliche" genannt ^ben, nackt au^etleidet, uni die durch seinen theuren Schwic-^tsohn verllrsachten Beulen und sonstigen Beschädigungen, ^lvie die allenfalsigen Verwundungen durch genaue Unter-'^chung zu constatiren und in den Verbalproceß aufzunehmen, ^ch sage, er wurde an seinem Oberkörper nackt, das heißt ^ wurde nicht blos bis auf's Hemd ausgekleidet, womit man >tch doch sonst in ähnlichen Fällen zu begnügen pflegt, da das ^eite, offene arabische Hemd sehr gut eine Besichtigung des Oberkörpers gestattet: da aber der arme Omar mit jenem glücklichen Manne der arabischen Sage, welchen ein melancholischer Sultan, den seine Aerzte nur durch das Hemd des "glücklichsten Menschen" uon seiner Schwermuth heilen zu tön-'^n behaupteten, um dieses Kleidungsstück bat, em Kleidungs-^uck, das der glücklichste aller Erdensöhne jedoch leider nicht "rsaß, da Omar mit diesem „glücklichsten aller Menschen", ^'nn auch nicht an Glückseligkeit, so doch an Hemdelosigkcit wetteiferte, so mußte sein elender, spindeldürrer Oberkörper "kn profanen Blicken der Haschischraucher im natürlichen Zulande preisgegeben werden. Zum Glück für ihn konnte man ^'doch keine ernstliche Verletzung entdecken, nur war vorauszusehen, has; es sehr lange dauern dürfte, ehe Omar's Haut "ie verschiedenen Phasen des Farbenwechsels durchgemacht haben und ihre natürliche, gelbliche Pergamentfarbe wieder ^nehmen würde. Unsere deutsche Sprache besitzt in dem ^"Me „Durchblällung" einen so scharf präcisirenden, wenn "uch vielleicht von Manchen verschmähten Ausdruck für jenen höheren Grad der Durchprügclung, welche den ganzen Körper 216 des Oftfers mit blauen Flecken und indigofarbnen Mälern bedeckt, wie er leider der französischen gänzlich abgeht. I" Ernmnglung eines so buchstäblich richtigen Wortes, welche^ folglich den juristischen Zwecken trefflich entspricht, mußte bel französische Verbalproceß sich damit begnügen, zu constatireN, daft die Gesten und thatsächlichen Vergreifun^en, mit welche" Omar heimgesucht worden war, eine so energische Handlungsweise verriethen, daft es ein Wunder schien, wie nicht jeder Knochen im Leibe des kleinen Mannes zerschmettert worden war. Omar sollte auch noch lange in ^olge dcr schwiege^ söhnlichen Durchprügelung an vielen Theilen seines schwerheimgesuchten Körpers Schmerzen empfinden, aber dafür auä' wenigstens die Gewißheit erhalten, nun einige Wochen M't den Besuchen des theuren Eidams verschont zu bleiben, wel' chem wahrscheinlich eine monatliche Gefängnisstrafe bevorstand. Als nun endlich der Delinquent von den Polizeidienern abgeführt worden war, als Omar seine» Platz wieder ein-genommen und seine Haschischpfeifc wieder gefüllt hatte, welche ihn die neuen wie die alten Schmerzen vergessen machen sollte, da kehrte auch ich an jene Stelle an Ali's Seite wieder zurück, welche ich allabendlich einzunehmen pflegte. Ich glaubte, dieser würde sich lebhaft für das Vorgefallene inter' cssiren, da cs ihm eine Einsicht in die häuslichen Verhalt' nisse Hassans und somit seiner früheren Geliebten zu versprechen schien. Aber hierin täuschte ich mich gänzlich. Ali schien völlig abgestumpft. Me meine fragen nach Hassan, über seinen früheren Michthum, über seine jetzige, in die Augen fallende Armuth, über seinen trostlosen gesunkenen Zustand, als unverbesserlicher Säufer, alle meine Anspielungen auf das unglückliche ^!oos Hanifa's und selbst meine offen ausgesprochene Muthmaßung, daß Hassan, welcher nach Allem, was ich gesehen hatte, nicht mehr im Stande sein 2l7 konnte, eine Frau zu ernähren, wahrscheinlich zu der bei Arabern so häufigen Ehescheidung seine Zuflucht nehmen 'Nüsse, ja selbst meine geäußerte Hoffnung, daß Ali vielleicht schließlich doch noch in den Besitz seiner beliebten treten könne, ^lleü diese« lieft den apathischen Haschischraucher völlig kalt. ^r war bereits in jenes Stadium seines allabendlichen Rau-Icheö eingetreten, in welchem ihm die ganze Welt gleichgültig burtam, und befand sich höchst wahrscheinlich jetzt im Paradiese seines Propheten, umgeben von den verlockenden Gestalten ^'r ewigjugendlichcn Huris. Da Omar gleichfalls nun in denselben Zustand hineingerathen war, so bot auch er meiner ^ieugierde keinen wcitern Stoff mehr und ich verließ die Haschischbude, um sie jetzt längere Zeit hindurch gar nicht mehr iu besuchen, denn ich ahnte wohl, daß etwas Interessantes ui Betreff Ali's oder Omar's sich erst dann zutragen möchte, lvenn Hafsan aus dem Gefängnisse entlassen sein würde. Einstweilen interessirte mich nur Hassan und auch er uicht wegen seiner selbst oder wegen seines bevorstehenden Urtheils und der darauf folgenden Strafe, sondern einzig llnd allein wegen seiner Vergangenheit, in welcher die schöne Hanifa, wie ich theils wußte, theils errieth, eine so überaus wichtige Rolle spielte. Bei dem öffentlichen Verhör vor dem Polizeigericht, welches den Schwiegersohn Omar's zu einer vierwöchentlichen ^cfängniftstrafe verurtheilte, wollte es der Zufall, daß ich, ^r ich mich auch unter dem auf der Gallerie versammelten ^ublicum befand, neben einen alten Freund zu stehen kam, kinen Araber, welcher mir schon feit langer Zeit als ein besonders aufgeklärter und in gewisser Hinsicht civilisirter Ne-^'äscntant seiner Nasse bekannt war. Da dieser Mann schon viele von den Vorurtheilen seiner Glaubensbrüder ab-^'streift hatte, da er namentlich sich dadurch vortheilhaft von 218 ihnen unterschied, daft er sich dem Europäer gegenüber nicht in jene mißtrauische Schweigsamkeit verschloß, welche die gewöhnlichen Moslems charakterisirt, so wurde es mir nicht schwer, von ihm einige Aufklärung über das bisherige Schicksal des Verurtheilten zu erhalten. Was ich namentlich zu wissen wünschte, war, wie denn Hassan, welcher mir als ein junger Mann, der noch vor einem Jahre sich der Wohlhabenheit erfreute, geschildert worden war, in so kurzer Frist bis zu dem Grade der socialen Gesunkenheit gefallen sein konnte, daß er jetzt wie ein bettelhafter Vagabund erschien. Namentlich deßhalb war mir dieß ein Räthsel, weil ich nach Ali's Erzählung eine hohe Meinung von dem Charakter der Gattin des Säufers erhalten hatte und voraussetzte, daß diese, wenn es ihr Wille gewesen wäre, leicht durch ihren wohlthätigen Einfluß ihren Ehemann vor dem Abgrund des socialen und moralischen Verfalls hätte retten können. Wie konnte sie einen Mann so tief fallen lassen, mit welchem ihr Schicksal sie so eng verknüpft hatte? Auf meine Fragen, welche diese Zweifel ausdrückten, erwiderte mein vorurlheilsfreier alter Bekannter ungefähr Folgendes: „Es ist gut, o Rumi, daß Du Dich um Aufklärung über solche delicate Punkte an keinen andern Moslem gewendet hast, als an mich, der ich mit den Sitten der Europäer schon eine gewisse Vertrautheit erlangt habe. Denn Du weißt sehr wohl, daß meine !tiandsleute über alle Vorkommnisse, in welche ein weibliches Wesen verwickelt ist, eine eifersüchtige Schweigsamkeit beobachten, da sie es für Unrecht halten, von dem schonen Geschlecht anders, als in sehr allgemein gehaltenen Redensarten, Zu sprechen. Auch würde ich mich selbst gewiß wohl hüten, hierin von der nationalen Sitte abzuweichen, wenn Du einer unsrer Glaubensgenossen wärest- 219 ^a ich aber weiß, wie verschieden in diesen Dingen die euro-^lschc Sitte von der unsrigen ist, so bin ich weit entfernt ^vvn, zn fürchten, durch meine Mittheilsamteit in Deiner "chwug zu verlieren, während ich allerdings, wenn ich einem Moslem dasselbe wie Dir erzählen würde, in seinen Augen lllr den verächtlichsten aller Menschen gelten müßte, denn Nie-^and ist bei uns mehr verachtet, als derjenige, welcher Mit-^)rilungen über das häusliche Leben der Frauen macht oder l"nst viel Von Frauen spricht. Ein solcher wird bei allen "loolems mit dem Schimpfnamen Kuat (Kuppler) gcbrand-^artt, und nichts, selbst das ärgste Verbrechen nicht, dünkt l>ng ^ne größere Schande, als dieser Schimpfname. Da ich ^bcr bei Dir dergleichen nicht zu fürchten habe, so will ich Dir Alles sagen, was ich über die Geschichte Hassan's und Hanifa's weift, ja ich werde Dich vielleicht durch Enthüllungen sicher Geheimnisse ihres Familienlebens in Erstaunen setzen, ^aß Du Dich fragen wirst, wie denn überhaupt ein Dritter 'n s» intime Angelegenheiten eingeweiht sein könne. Aber hierüber mußt Du Dich nicht allzusehr wundern. Es giebt ^iele Widersprüche in unserm gesellschaftlichen Dasein und Ul dem, was unser Familienleben angeht, welche machen, daß ^Ibst der schlauste Europäer oft nicht den Geist unsrer Sitten flennt. Einer der auffallendsten dieser Widersprüche ist der, baß die Araber über die häuslichen Angelegenheiten ihrer Nächsten oft die geheimsten Aufschlüsse besitzen, während doch allgemein geglaubt wird, daß sie darüber nicht das Geringste ^sscn- und zwar wird dieses mit vielem anscheinenden Recht ^'glaubt, einmal, weil lein Mensch von solchen Angelegen-heiten spricht und dann, weil in Wirklichkeit ein großer Theil Unsrcr ^andsleute darüber in der vollkommensten Unwissen-l.'M ist. Diesen großen Theil unsrer Landsleute bildet die ^u allen Ländern so zahlreiche Classe der Dummköpfe, denen 220 es an Schlauheit mangelt, inn aus oft kaum bemerkbaren Anzeichen schwierige, aber untrügliche Schlüsse zn ziehen-Diejenigen aber, welche nicht auf den Kopf gefallen sind, haben bei uns tausenderlei Gelegenheiten, um die Geheimnisse Anderer zu durchdringcn. Wenn wir auch nicht viel reden, so hören wir doch desto mehr und unserm Gehörorgan entgeht nicht so leicht etwas, was nur irgendwie in seinen Be« reich fallen mag; selbst die Wände, welche uns von dem Ha' rcm eines Nachbarhauses trennen, bilden für dieses geschärfte Organ nicht immer ein Hinderniß, und in einem Harem, das tann ich Dir versichern, hat man das Sprichwort, daß Schweigen Gold ist, nicht zur ^ebensregel erhoben. Unsre Frauen sind ganz ebenso geschwätzig, wie die Eurigen. Nenn ich Dir nun sage, dasi mein Haus in Algier dicht an die Stadt' Wohnung des Hassan ben et Tabari grenzt, welche dieser seit seiner Verheirathung ausschließlich bewohnt hat, dann wird Dein Erstannen, wie ich über seine Verhältnisse so genau unterrichtet sein tonne, vielleicht ein Ende nehmen. „Doch nun zur Sache. Da Du für das Schicksal dcr schönen Hanifa ein so lebhaftes Interesse äußerst, so muß ich annehmen, daß Dir die Geschichte von ihrer früheren Verlobung mit einem gewissen Ali und deren unglücklicher Ausgang schon bekannt ist. Auch wirst Du davon gehört haben, daß Ali in einer gewissen Nacht, in welcher er eine Zusammenkunft mit seiner Braut hatte, von seinem Nebenbuhler, Hassan ben et Tabari, verwundet wurde. Der Verwundete hätte allerdings eine schöne Gelegenheit gehabt, sich seines Gegners zu entledigen, welcher, wenn ihn Aü wegen Mordversuchs angeklagt hätte, gewiß für längere Zeit auf den Vagno «die Galeeren) getommen wäre. Aber Ali unterließ es, sei es, daß ihm die Zeugen fehlten, sei es aus einem Nicht fo jedoch Hanifa. Sie erklärte ihm unumwunden, daß sie zwar vor den, Gesetze als seine Gattin anzusehen sei, daß sie ihm aber auch niemals mehr sein werde, als eben ein^ in den Augen des Gesetzes gültige Gattin. Ihr Herz ha^ stets einem Andern gehört und gehöre diesen: Andern aumte, daß er im Begriffe stehe, sein Vermögen zu verzehrn, so sammelte sich bald eine Anfangs kleine, aber in Schnelligkeit immer größer werdende Bande von Schmarotzern, ^lche ihm schmeichelten und schön thaten, daß es einem ver-^lnftigon Menschen darüber vor Ekel übel hätte werden müs-^n und ihn mit den süßesten Redensarten überhäuften, wie ^'gleichen durch unsre bilderreiche Sprache so leicht gemacht ^rd. Hassan sah sich auf einmal, wie ein tleiner Fürst, von ^Uer Vasallenschaar umgeben, welche seine leisesten Wünsche ^s Befehle zu betrachten schien. Diese Wünsche stimmten "brigens mit dem liederlichen Geschmack der sittenlosen Bande ^Mommen überein. Die Tage wurden in kostspieligen Geigen, die Nächte in ausschweifenden Orgieen zugebracht. Zu "lesen Festen ließ man Tänzerinnen und Sängerinnen in ^ußer Anzahl tominen, denen man die kostspieligsten Geschenke dachte. Hassans Vermögen war so ansehnlich, daß er, wäre er ^ den obengenannten Vergnügungen stehen geblieben, viel-^'cht dieses sinnlose Leben einige Jahre durchführen und da-^'i noch die Schmaroyerbande ernähren gekonnt hätte. Aber, ^e wenn ihm Allah völlig den Verstand geraubt, und wie ^'nn cr den Augenblick seiner Verarmung nicht hätte erwartn können, so ergab er sifh nun auch noch der verheerenden aller Leidenschaften, dem Spiel, und mit wem spielte ^r bethörte Mensch? Mit Leuten, welche alle viel ärmer ^'"ren, als er selbst, von denen viele gradezu für Bettler 6"Iten und die natürlich alle nur darauf speculirten, von ihm ^l gewinnen, während er, hätte er selbst gewonnen, doch wahr-peinlich nie feinen Gewinn ausbezahlt bekommen haben würde, ^ll Spielern herrscht in unsrer Stadt eben kein Mangel ^d alle drei Classen der Bevölkerung, Araber. Juden und fristen, besitzen deren eine nicht geringe Anzahl. Ja, so 15 226 streng sich auch sonst diese drei Classen von einander abgesoN' dert halten, so vermag sic doch der Spieltisch zu vereinigt Unter einer solchen Menge von Spielern giebt es natürl^' auch einige, welche, wie man gewöhnlich sagt, immer „Glü^ haben, wahrscheinlich, weil sie es verstehen, das launische OlM durch gewisse Talismane zu bannen, was die Franzose „corridor II», ic»rtnno" nennen und wofür wir den einfacher^ Ausdruck „betrügen" gebrauchen. Mit Hülfe einiger solcher Glücksritter gelang es dc"" auch Hassan, sein sämmtliches Gut in weniger als eine'" Jahre durchzubringen, Bald sah er sich qcnöthiqt, Geld ?" borgen, was ihm Anfangs zwar noch gelang, aber mit dcl Zeit immer schwieriger, zuletzt unmöglich wurde. Man erzählt, daß die Ratten ein dem Untersinken a>' weihtes Schiff mit größter Eile zu verlassen pflegen, ehe ^ völlig versinkt. Wenn das wahr ist, so können sie es gewiß nicht eiliger thun, als die Tchmarotzerbande sich von Hafsa" zurückzog, sowie sie merkte, daß er an allen Gütern der (5r^ Schiffbruch zu leiden im Begriffe stand. So lange noch ei" Duro (Thaler) in seiner Kasse erklang, so lange hielt die Bande freilich tapfer aus, als aber der letzte den Weg alles Silbers gegangen war, da empfand sie auf einmal zarte Oe' wissensscrupel, und erklärte ihrem bisherigen Amphitryon daß sie es nicht verantworten könne, zu seinem Ruin beiz"' tragen. Dann ließ sie den bethörten Menschen allein nüt seinem Elend. Es ist eben kein seltenes Vortommniß unter den Ma"' ren Algiers, daß junge Leute, die eben die Volljährigkeit "' reicht, oder eine Erdschaft gemacht haben, das ihnen plötzlich übergebene Vermögen auf die unsinnigste Weise in kürzest^ Frist durchbringcn. Du siehst unter den Handwerkern «nd den kleinen Krämern unsrer Stadt, welche jetzt ihr Br^ Nur kümmerlich verdienen, viele, welche einmal in ihrem Leben wohlhabend, selbst reich gewesen sind und die alle ihre "aarschaft in ähnlicher Weise, wie Hassan, vergeudet haben. Dergleichen Vorkommnisse werden von den meisten Moslems nicht einmal als ein Unglück angesehen. Da Allah alle Ereignisse vorausgewußt, vorausberechnet und vorausbestimmt hat, so hat er auch vorausbestimmt, daft der oder jener sein vermögen durchbringcn werde. Dieser Glaube an die absolute Abhängigkeit des Menschen von den dunklen Beschlüssen ^er Vorsehung flößt unsren Landsleuten eine solche Resigna-lwn ein, daß sie jedes erlittene Unrecht ohne Murren hin-Nehmen, jedes verschuldete Unrecht ohne übertriebene Selbst-vorwürfe wie ein von ihrem Willen gänzlich unabhängiges ^erhangniß ansehen und mit Stoieismuo ertragen. In den leisten Fällen ergicbt sich der zum Bettler gewordene Verschwender ruhig und gelassen in sein Schicksal, er fängt sein ^elien wieder von vorne an, arbeitet, um sich sein dürftiges tägliches Brod zu verdienen, acht oder zehn Stunden täglich ^iir einen elenden Lohn und ist bei alledem vielleicht noch Mcklicher, als er es früher inmitten der Schmarotzerbande feiner falschen Freunde, inmitten des Taumels der Verschwendung sein mochte. Hassan's Natur war jedoch von Anfang an so verderbt, daß er, statt in der Arbeit, welche 1o viele Leiden lindert, Trost zu suchen, zu nichts andcrm seine Zuflucht zu nehmen wußte, als zu neuer Betäubung. Da ^)ln jedoch alle Mittel fehlten, so blieb ihm jetzt nichts ^brig, als sich nach und nach aller Neste des Wohlstandes 5u entledigen, die ihm noch ankleben mochten, seinen Turban, ^'Me Meider zu verkaufen, statt deren ihn nun Lumpen be-^'ckten, alle Frauen seiner Verwandtschaft ihres Schmucks zu ^rauben und ihn zu Geld zu machen. Zuletzt besaß er kein Andres Hülfsmittel mehr, als hie und da von einem seiner 15* 228 früheren Freunde einige Kupferstückc zu borgen, und als zü betteln, Alles, um sich täglich die Genugthung zu verschaffen, alle seine Leiden in dem Meer der Betrunkenheit zu ersa^ fen. Da er nun auf die wohlfeilsten und schlechtesten Ve' täubungsmittcl angewiesen war, so trieb er sich nur in den elendesten Kneipen, in der allerschlechtesten Gesellschaft hcruM/ und wurde bald von Allen wie ein Auswurf der Menschheit, Wie ein gänzlich (Gesunkener und Verlorener angesehen. Die unglückliche Hauifa, welche diesem Menschen auf-geopfert worden war, sah sich nun auch des einzigen Preises/ um dessen Willeu man ihr Glück zerstört hatte, des irdische»' Gutes, beraubt und ihren Vater, der für die Enttäuschung, welche ihm der Schwiegersohn bereitet hatte, bei dem Haschisch Vergessenheit suchte, dem größten Elend preisgegeben. Abel ihr edler Charakter offenbarte sich auch im Unglück auf die glänzendste Weise. Sie war in feinen weiblichen Arbeiten nicht unerfahren und suchte nun aus diesen, welche sie früh^' nur zum Vergnügen betrieben hatte, eine Unterhaltsquelle zu machen, um sich uil5 ihren Vater zu ernähren, was ihl denn auch, freilich in mäßiger Weise, glückte. Der arntt Omar war jedoch nicht zur Energie aufzurütteln. Er ergab sich, wie gesagt, dem Haschisch, und in einer Bude, in welche dieses Kraut verkauft wird, sollte ihn, wie Du weißt, Hassan finden. Dieser elende Mensch war nämlich so tief gesunken, daß er nicht anstand, von dem Wenigen, was Hanifa verdiente, als ihr Gatte, seinen Theil zu verlangen, und d^ diese selbst ihn nach wie vor nicht sehen wollte, so quälte e'' den unglücklichen Omar tagtäglich, bis der arme Mann jedes' mal genöthigt wurde, ihm seine letzten Kupferstücke einzuhciN' digcn. Wie er jedoch das letzte Mal Hassans Bettelei nicht befriedigen tonnte und was er dafür litt, das hast Du nüt eigenen Augen gesellen. 32«) Hassan wird nun seine vier Wochen im Gefängniß zugingen und dann wahrscheinlich sein elendes Leben von neuem ^'ginnen. Wenn Hanifa sich von ihm scheiden lassen wollte, bann könnte sie vielleicht noch glücklich werden, aber einmal wftet die Scheidung bei uns mehr, als Omar besitzt, denn ^ müßte in diesem Falle dem Hassan die Morgengabe, selche jeder Moslem seiner Frau darbringt, zurückerstatten, llnd das kann er nicht, arldcrnthcils scheint ihr auch jetzt ^'cnig an der Scheidung gelegen zu sein, da sie von Ali so ^iel Schlechtes gehört hat, daß sie diesen, trotzdem, daß sie ihn vielleicht noch liebt, dennoch nicht heirathen würde." So erzählte der alte Araber und seine Erzählung stimmte 'n den meisten Zügen so ganz mit arabischen Zuständen über-^n, daß ich keinen Augenblick anstand, ihm Glauben zu schenkn. Ich sollte nun einen ganzen Monat nichts mehr von Ali, Omar oder Hassan hören. Nach dieser Frist wollte es der Zufall, daß ich eines Nachts zu später Stunde in Gesellschaft einiger einheimischen "etannten von einem arabischen Feste nach Hause ging und ^ich mein Weg in den ruinenhaften Theil der Stadt durch ^Ne jener halsbrecherischen Straßen, deren es in Algier nicht wenige giebt, führte. Wie alle solche Straßen, so war auch biesr theils von völligen Ruinen, theils von eben im Verfall begriffenen Bauten, theils von noch leidlich erhaltenen Häuern eingefaßt. Diese Straßen sind nicht ungefährlich zu Jassiren, denn viele Ruinen drohen jeden Augenblick Einsturz, ^sscn manchmal aber lange Zeit auch nicht einen Stein herunterfallen, so daß die gewohnten Passanten schon versucht >ind, cm die Festigkeit der Mauerreste zu glauben, bis sie auf ^Mnal grade dann, wenn sie es am wenigsten erwarten, 6u ihrem Nachtheil vom Gegentheil überzeugt werden, und ^lbtziich ein Fragment einer eingestürzten Wand auf die 230 Schulter bekommen, so das; sie oft mit dem Leben für ih^' unberechtigte Zuversicht zahlen müssen. Wie unberechtigt einc solche Zuversicht sei, davon sollte ich in dieser Nacht eine« traurigen Beleg bekommen. Plötzlich sperrte unsern Weg mitten in der Straße ein großer Steinhaufen, welcher von kürzlich, das heißt noch an demselben Tage herabgestürzten Mauerrestcn herrühren mußte, da die französische Polizei dafür sorgt, daß nach jeden: neuen Einsturz die Straße durch Hinwegräumen der Schutthaufen wieder gangbar gemacht wird. Wie wir mühsam über diese Trümmer hinwcgklettertcn, da wurden unsere Schritte plötzlich durch ein außerordentliches Ereigniß gehemmt. Wir vernahmen deutlich ein ach' zendes Stöhnen, dessen Ursprung Nur jedoch nicht zu entdecken vermochten. Meine Begleiter, abergläubisch wie alle Araber, wollten schon diesen Tönen eine übernatürliche Ursache zuschreiben, indem sie behaupteten, daß alle Ruinen von den Dschinn (Geistern) heimgesucht würden, aber ich bestand darauf, die Trümmer zu untersuchen, um die allein Anschein nach menschliche Ursache jener Iammertlänge zu cnt-decken. Die Araber würden freilich wenig auf mich gehört haben, wäre nicht in dem Augenblicke, als sie eben schon den Ruinenhaufen verlassen wollten, ein bekannter Klang an ihr Ohr gedrungen. Es war das von den Moslems bei jeder Gelegenheit, besonders aber im Augenblicke der Gefahr oft ausgesprochene Nort „Allah", welches wir nun von einer schwachen, wie sterbend klingenden Stimme, aber doch deutlich erkennbar, ausgestoßen vernahmen. Ein so geheiligtes Wort konnte nicht Von bösen Geistern herstammen. Diese Erwägung bestimmte meine Begleiter endlich, mir Necht zu gebe« und mir im Suchen nach der Ursache des Stöhncns behülflich zu sein. Wir konnten jedoch nicht eher etwas entdecken, 231 ^s bis einer unserer Gesellschaft aus einem der noch nicht befallenen Häuser dieser Ruinenstraße eine Laterne herbeigeholt hatte. Beim matten Schimmer dieser Leuchte gewahrten ^,^ ^nm weißen Gegenstand, der zwischen den bücken eines Trum-lnerhaufens sichtbar lvurde. Wir eilten hinzu und entdeckten "en Burnus eines Arabers. Der Eigenthümer dieses Klei' ^Mgsstückes tonnte nicht fern sein, denn das Stöhnen lvurde ^ dieser Nähe immer deutlicher vernehmbar. Endlich legten ^u Hand an und räumten einige der Nmnensteine hinweg ^nd da sahen wir die halbuerstümmeltc Gestalt eines Mengen, welche von Steinen noch zum Theil bedeckt war. Bald hatten wir ihn gänzlich befreit und nun richtete einer von ^ns das Licht der Laterne grade auf das Angesicht des Ver-^nglückten hin. Dieses Gesicht war jedoch nicht erkennbar, benn die darauf gestürzten Steine hatten eine starke, Blutung zur Folge gehabt und das Vlut bedeckte in geronnenen Mas-^'n das Antlitz und machte es unkenntlich. Ein Araber versuchte «rs, mit dem Unglücklichen zu svre-Hm, um seinen Namen und Wohnort zu erfragen, aber Al-^s erwies sich als vergebliche Mühe. Keine andere Antwort erfolgte, als schwache Seufzer, hie und da einige sinnlose ^ätze und einzelne kaun, verständliche Norte, die man ebew wgut für Anrufungen als für Flüche nehmen tonnte. Da kein Arzt oder Apotheker in der Nähe wohnte und ^' arabischen Häuser für Alle, welche nicht zur Familie ge-Mren, unzugänglich sind, so blieb uns nichts übrig, als das ^ftfer des Unfalls in das Haus des nächsten Polizeibeamtm 3U bringen. Dieser schickte sogleich nach dem von der Behörde eigens für dergleichen Fälle angestellten Arzt und nahm bis Hu dessen Ankunft die Aussagen der Zeugen entgegen. Da 333 die Sache höchst einfach war, so wurde dieses schnell al" gemacht. Als nun der Arzt erschien und seine erste Verordnung dahin lautete, daß dem Verunglückten das Gesicht gewaschn werde, da sollte ich zu meinem Erstaunen die EntdeckuB machen, daß dieses Gesicht nur nicht unbekannt war. O" aber hatte ich dasselbe schon gesehen? Ich nahm mein O^ dächtniß zu Rathe und da fiel mir ein, das; ich dieses Antlitz früher in einem ganz andern Zustande erblickt hatte. T"' mals war es fieberhaft erhitzt gewesen, die Wangen hatte" in Gluth, die Augen in Feuer gestanden, jetzt, nachdem die Lage geronnenen Blutes von ihm entfernt worden war, sah es blaß, ja todtenbleich aus, das Augenfeuer war erloschen, die Lippen hingen schlaff hernieder, kurz es war das Ange' ficht eines Sterbenden. Dennoch täuschte mich mein Gedacht niß nicht. Ich theilte meine Vermuthung den Anwesenden mit und diese bestätigten deren Wahrheit. Der Verunglückte war Niemand anders, als Hassan, der Sohn des Tabcw, der Gatte der schönen Hanifa, de5 Schwiegersohn Omar's. Nach einer kurzen Untersuchung erklärte der Arzt den Zustand des Unglücklichen für unrettbar. Eine Gehirnverletzung habe stattgefunden, welche den Tod unfehlbar herbei' führen müsse. Zugleich constatirte er, daß der Verunglück^' im Augenblick des Unfalls im Uebermaße betrunken gewesen sein müsse. Wer Hassans Gewohnheiten kannte, dem konnte dieses nur im höchsten Grade wahrscheinlich vorkommen. Dcr ganze Unfall war sehr leicht erklärlich. Der Gatte Hanifa's war in seinem gewohnten betrunkenen Zustande in der ruinen-haften Straße niedergestürzt, wahrscheinlich hatte sein Fall den Einsturz der ohnehin schon baufälligen Mauer herbeigeführt, oder sie war ihrer eignen Nuinenhaftigkeit erlegen, kurz er war von ihr begraben und tödtlich verletzt worden. 233 So starb der elende Hassan und so wurde die schöne Hanifa zur Wittwe. Natürlich werden sich meine Leser den-^n, daß sie nun- nichts Eiligeres zu thun hatte, als ihren geliebten Ali zu heirathen, denn bei Moslems pflegt es mit der Beobachtung des Trauerjahres nicht eben in allen Fällen sehr streng genommen zu werden. Freilich hatte sich Ali dem verderblichen Kraute ergeben und seine frühere Vraut hegte einen eben so großen Abscheu gegen Haschischrauchcr, wie ssegen Säufer. Aber selbst angenommen, daß sie diesen Nb->cheu überwunden hätte und trotz desselben bereit gewesen wäre, ihm ihre Hand zu reichen, so fehlte doch die erste Bedingung, welche zum Zustandekommen dieses Ereignisses nöthig war, die nämlich, daß Ali seine Bewerbung erneuerte, ^lli hielt nicht um ihre Hand an. Der Haschischraucher war so ganz von der Außenwelt abgeschieden, daß er sich für deren Ereignisse nicht im Geringsten interessirte und weit entfernt davon war, anzunehmen, als tonne sich noch irgend etwas in der Welt zutragen, was für ihn von Wichtigkeit wäre. Wahrscheinlich vernahm er wohl die Nachricht vom Tode Hassans. Aber er vernahm sie zwischen einem Haschischrcmsche und dem andern und in diesem Zustand der Betäubung konnte nichts auf ihn Eindruck Machen, außer die selbstgeschaffenen Bilder seiner eignen auf-sseregten Phantasie, welche so viel mehr Außerordentliches boten, als irgend etwas, das der Wirklichkeit entstammte. Vs war durchaus nöthig, daß es Jemand unternahm, ihn aus seiner Apathie aufzurütteln und ihn, begreiflich zu machen, daß nun der Augenblick, sich den Träumen zu entreißen und dem wirtlichen Leben wieder anzugehören, für ihn gekoiw Men sei. Ich war schon nahe daran, diese schwierige Aufgabe zu übernehmen. Aber glücklicherweise kam mir eine andere, hiezu 234 viel besser geeignete Person darin zuvor. Dieselbe war, man wird es errathen, Niemand anders, als die alte Fatma, Welche in Ali's früherer Geschichte eine so wichtige Nolle gespielt hatte. Diese gute Alte wurde der Schutzengel der beiden Liebenden. Sie ruhte nicht eher, als bis sie sich unter irgend einem Vorwande Einlaß in das älterlichc Haus des Haschischrauchcrs Verschafft hatte. Einmal darinnen, gab sie sich alle Mühe, Ali sprechen zu können. Dieser war jedoch nicht mehr ein regelmäßiger Insasse des Hauses. Meistens brachte er seine Nächte auf einer Vant der Haschischbude, seine Tage in irgend einem Kaffeehause zu. Die Seinigen sahen ihn fast nie und, wenn er, was selten vorkam, die Schwelle seines Vaterhauses überschritt, so blieb er doch nur wenige Augenblicke in ihrer Gesellschaft, um sich schnell in sein eignes Gemach zurückzuziehen und daselbst seinen nächtlichen Haschischrausch bei Tage auszuschlafen. Einen solchen Zeitpunkt benutzte Fatma, um sich in seine einsame Kammer einzuschleichen. Was hier zwischen beiden vorging, das hat mir Ali nie erzählt, auch wohl nicht der Mühe werth gehalten, um erzählt zu werden, da ich aus den Folgen, welche sein Gespräch mit der Alten haben sollte, leicht dessen Inhalt errathen konnte. Diese Folgen machten sich bald auffallend bemerkbar. Die erstaunlichste derselben war jedoch, daß Ali von nun an nie mehr ill der Haschischbude erschien. Ich fand mich noch von Zeit zu Zeit zur gewohnten Stunde in derselben ein, wenn ich mich aber nach Ali erkundigte, so erhielt ich Ant' Worten, wie folgende- „Wir wissen nicht, wo er sich jetzt herumtreibt. Zu uns kommt er nicht mehr. Wahrscheinlich hat er den Haschisch nicht betäubend genug gefunden und sich dem Branntwein- 235 Zinken ergeben. Du wirst ihn wohl in irgend einem fran-^sischcn Kaffeehause, wo Absynrh ausgeschenkt wird, antreffen." Aber Ali war ebensowenig in irgend einer Branntwein-"Ude Algiers zu finden. Diese großen Menschenkenner, die Haschischraucher, hatten sich geirrt. Diese Leute vermochten "Urchaus nicht zu begreifen, daß Jemand einem betäubenden Zaster entsagen könne, ohne einem andern in die Arme zu Imken, und in jener ihrer Voraussetzung hatten sie im allge« deinen allerdings die Erfahrung für sich. Es ist sehr schwer, ja säst unmöglich für einen Haschischrauchcr, dem geliebten Kraute Und der holdseligen Betäubung zu entsagen, an deren süße träume er sich einmal gewöhnt hat. Es kommt freilich vor, ^nß ein Haschischraucher sich eine Zeit lang dem Trunk er-lNebt, aber dann kehrt er schließlich doch gewöhnlich wieber zu dem theuren Kif zurück, um zuletzt beide Laster miteinander zu vereinigen und sich körperlich und geistig desto schneller zu Grunde zu richten. Nichts von Alledem war jedoch bei Ali der Fall gewesen. Die bekannte Behauptung, daß man eine Leidenschaft Nur durch eine andere austreiben tonne, eine Behauptung, welche sonst gewiß nicht unumstößlich sein möchte, fand in ^inem Falle wenigstens ihre Bestätigung. Die Leidenschaft für das betäubende Kraut war von der »nächtigsten aller Leidenschaften, der Liebe, ausgetrieben worden, und diese hatte ^as Wunder bewirkt, denn als ein Wunder wird es beinahe angesehen, wenn ein Haschischraucher mit seiner alten Gewohnheit bricht. Als ich Ali das nächste Mal wiedersah, — es mochten etwa sechs Monate seit dem Tode Hassans verstrichen sein -- da tonnte ich meinen Augen kaum trauen, eine so auffallende Veränderung war mit ihm vorgegangen. Statt des 236 früheren schleppenden, wankenden Ganges schritt er mm aufrecht und beinahe mit triumphirender Haltung einher. Sein sonst hinfälliger, abgemagerter Körper hatte eine zwar nicht übermäßige, aber gegen seinen früheren Zustand auffallende, Gesundheit verkündende, stattliche /Me angenommen. Der halbblödsinnige, halbverzückte Ausdruck seiner Gesichtszüge war ganz gewichen, statt dessen strahlten sie nun von jugendlichem Frohsinn, vom heiteren Bewußtsein einer glücklichen Wirtlichkeit wieder. Seine Augen, die sonst zwar auch des Ausdrucks nicht ermangelten, hatten nun jedoch einen ganz Veränderten angenommen, welcher allein geeignet war, sie in ihrer natürlichen Anmuth zu offenbaren. Kurz zum ersten Male entdeckte ich, was mir früher nie aufgefallen war, das; der bekehrte Haschischraucher von der Mutter Natur mit vielen Vorzügen ausgestattet worden war, welche erst jetzt sich in ihrem wahren Lichte zu zeigen vermochten. Es war genau dasselbe, wie wenn ich einen und denselben Menschen vorher auf dem Krankenlager gesehen und nun in völliger Gesundheit wiedererblickt hätte. Ali hatte sich jedoch auch darin verändert, daß er jetzt nicht mehr mittheilsam über seine Herzensangelegenheiten war. Der Schmerz der unglücklichen Liebe allein hatte ihn früher die moslemische Sitte überschreiten lassen, um seine gequälte Vrust ihrer Geheimnisse zu entladen. Jetzt aber traten der geheiligte Brauch, die Vorschrift des arabischen Sittenbnches „dein Gesicht sei ein übertünchtes Grab" und jener andere Spruch „Wer über Frauen spricht, der ist selbst nicht besser, als ein Weib" wieder in ihre vollen Rechte ein. Jetzt war er wieder ein so vollendeter Moslem, wie er ein vollendeter Mann geworden war. Aber, wenn auch die unerbittliche arabische Sitte streng verbot, daß Ali mir über die Erneuerung seines Verhältnisses 337 Zu Hanifa die geringste Aufklärung gab, so konnte ich mich ^och sehr gut ohne dieselbe begnügen, denn ich las zu deutsch sein Glück aus der auffallenden Veränderung, welche mit chm vorgegangen war, und, wenn er auch den wahren Ausdruck seines Gesichts hinter dem Schleier einer angenommenen Gleichgültigkeit mir gegenüber zu verhüllen suchte, um es dem "übertünchten Grabe" so ähnlich als möglich zu machen, so entging mir doch nicht ein gewisses triumvhirendes Wesen, Welches er nicht ganz zu unterdrücken vermochte und an welchem allein man im Orient die Bräutigame erkennen kann, 5>enn ihres Bräutigamstandes darf auch mit keinem Worte Erwähnung geschehen. Selbst der Haschischbude wurde bei unserem Wiedersehen mit keinem Worte gedacht. Jedoch auch dieß war nicht nöthig, denn ohne das; er mir es sagte, wußte ich, daß er dem betäubenden Kraute auf ewig abhold geworden war. Nachdem "wir eine Zeit lang von den gleichgültigsten Dingen der Welt geredet hatten, trennte ich mich von Ali. Aber im Scheiden tonnte ich doch nicht umhin, ihm die Frage nachzuschicken: „Und wann das Fatsha (die Trauungsceremonie), o Ali?" Aber, sei es, daß er mich nicht hörte, sei es, daß er auf eine nach arabischen Begriffen so unschickliche Frage nicht antworten wollte, Ali ging von dannen, ohne sich auch nur nach mir umzuwenden. Als ich aber einige Tage später in der stillen Einsamkeit meines Zimmers dasaß, da klopfte es plötzlich an meine Thüre und ein kleiner Maurenknabe, welcher zwei Teller und zwei Kruge in den Händen trug, trat ein. Er stellte den einen ^rug und den einen Teller auf meinen Tisch, indem er sagte: „von Sidi Omar". Darauf that er dasselbe mit dem andern Krug und dein andern Teller und sagte: „von Sid' Ali". 238 Dann entfernte er sich, ohne mir weitere Auskunft zu geben. Diese Auskunft war auch vollkommen überflüssig. Denn dic Teller enthielten den arabischen Hochzeitskuchen, Mescheltvisch genannt, welcher, nur bei dieser einzigen Gelegenheit üblich, ein sicheres Kennzeichen einer eben abgeschlossenen Ehe bildet, die Kruge waren mit Schcrbet gefüllt, welchen sowohl der Vater der Braut, als der Bräutigam unfehlbar am Hochzeitstage ihren Bekannten zu senden Pflegen, und der Umstand, daß diese Sendungen von Omar und Ali zugleich ausgingen sagte mir deutlich, daß dieser nun sein Ziel erreicht und Omar's schöne Tochter Hanifa endlich heimgeführt hatte. VI Me Ziamanten bcs Mascha, Es war ein eignes Ding mit der Herrschaft der alten Vascha's von Algier, jener Fürsten, welche uns Europäern unter dem in Afrika völlig ungangbaren, ja unverständlichen Namen „Dey" bekannt geworden sind. Diese von uns so ssenannten Dey's, welche von ihren Unterthanen jedoch officiell niemals anders, als Pascha betitelt und im gewöhnlichen Leben Sidna (unser Herr) genannt zu werden pflegten, waren dein Namen nach zwar die absoluten Beherrscher der ganzen Regentschaft. Aber in Wirtlichkeit zeigte sich ihre Gewalt äußerst beschränkt. Die wahre Herrschaft über das Land besaßen die Ianitscharen, die türkischen Soldaten von Algier, ein Haufe hergelaufenen Gesindcls, aus allen verschiedenen Provinzen der Türkei zusammengewürfelt, sittenlose, fanatische übermüthige Kerle, aber tapfere, muthige und abgehärtete Krieger, jeder Ausschweifung ergeben und doch zugleich jeder Verweichlichung fremd. Diese Leute waren die einzigen, welche in der Stadt Waffen tragen durften und die ganze Stadt schien auf Gnade oder Ungnade, wie es nur der Willtür eines jeden Einzelnen belieben mochte, in ihre Gewalt gegeben, denn von jeder andern Truppe unterschieden sie sich dadurch, daß sie ihre Oberen nur nominell und nur so lange es ihnen gefiel, anerkannten, die Befehle derselben aber fast nie berücksichtigten. Alle Würdenträger, ja der Pascha selbst, 240 mußten vor ihnen zittern und ihnen auf jede mögliche Weise schmeicheln. Alle diese Persönlichkeiten gingen aus ihrer Zahl hervor und wurden von ihnen durch Wahl ernannt. Aber selten begnügten sich die Ianitscharen damit, den Herrscher ernannt zu habeni sie wollten ihn gewöhnlich nach einer kurzen Regierung auch wieder absetzen. Da nun im Orient die Abdankung eines Regenten beinahe beispiellos ist, und, sollte sie selbst vorkommen, doch nie für aufrichtig gehalten wird, so bildete die Absetzung für den entthronten Fürsten zugleich jedesmal ein Todesurtheil. Die Verschwörungen gegen den regierenden Herrn waren an der Tagesordnung. Sehr oft gingen dieselben von gemeinen Soldaten, und zwar manchmal von einer ganz geringen Anzahl derselben aus. Das Geheimniß konnte so sicherer bewahrt werden und Viele waren auch in der That nicht nöthig, um die Regierung zu stürzen, da es sich ledig' lich darum handelte, den Fürsten zu ermorden und dieser keine andere Leibwache besaß, als eben diese Ianitscharemniliz. Die Verschworenen brauchten deßhalb nur ihre Reihe in der Vcwachung des Souveräns abzuwarten, um diesen unbehindert und unbestraft hinwegzuräumen. Ja nicht selten gelang es ihnen, einen der Ihrigen an seine Stelle zu setzen. Liner meiner Bekannten in Algier, ein alter Maure, erzählte mir, daß er als Kind einmal zufällig einer Versammlung von sol' chen Verschwörern beigewohnt habe. Etliche zehn Kerle, entschlossene, zu allem fähige Mitglieder der Miliz, waren in einem abgelegenen Kaffeehause zusammengekommen und hatten damit angefangen, sich in langen Klagen über die Negierung zu ergehen. Plötzlich, so erzählte der alte Maure, erhob sich Einer aus ihrer Mitte, zog seinen Iataghan aus der Scheide, schwang ihn drei oder vier Mal in der Luft herum, indem er sich Mühe gab, durch dieses Manöver die Handlung dc^ 241 Koftfabschneidcns darzustellen, und rief dann? „So möge es dem Pascha gehen!" Alle klatschten ihm Beifall, die Ermordung des Pascha wurde beschlossen, ebenso wurden alle Würdenträger einstimmig abgesetzt, und dann schritt man ohne weiteres dazu, deren Nachfolger, sowie den neuen Negenten zu erwählen. Diese Nachfolger und dieser neue Regent wurden natürlich nirgendswo anders, als in der eignen Mitte der Verschwörer gesucht und gefunden. Ein gemeiner Soldat wurde zum Pascha erkoren und, da derselbe, vorgeblich aus Bescheidenheit, in Wirtlichkeit aber aus Angst vor der gefährlichen Stellung, die uerhängnißvolle Ehre Anfangs abzulehnen Miene machte, so wurde er unter Androhung augenblicklichen Todes zu deren Annahme gezwungen, und er ließ sich auch gutwillig zwingen, denn er sah nur noch die Wahl zwischen augenblicklicher und aufs Unbestimmte hinaus verschobener Ermordung vor sich. Mein Erzähler, welcher, ohne daß es die Verschworenen geahnt hätten, der versteckte Zeuge ihrer Versammlung und lhrer Berathung geworden war, sollte erst am andern Morgen inne werden, daß die Scene im Kaffeehause, welcher er beigewohnt, nicht ein bloßer Scherz, eine Comödie gewesen war, wofür er sie in seiner kindlichen Unschuld gehalten hatte. Denn noch ehe die Mittagsstunde völlig abgelaufen war, vernahm er, daß der bisherige Pascha auf seinem Wege zur Moschee erdolcht und ein gewisser Ali Chodscha zu seinem Nachfolger ausgerufen worden sei. Dieser Ali Chodscha war Niemand anders, als der im Kaffeehause von den genieinen Ianitscharen zum Pascha erwählte Soldat. Drei der Verschworenen hatten genügt, um dem Pascha aufzulauern und feine Ermordung zu bewerkstelligen. Die andern Verschwörer hatten aber eine wichtigere, "der wenigstens ebenso wichtige Aufgabe zu erfüllen-, sie muß- 1« 242 ten nämlich sich des Staatsschatzes bemächtigen: Staatsschatz, so würden wir Europäer es nennen, die alten Algierer besaßen aber einen viel cinfachereren Ausdruck, sie sagten kurz' weg: „die Kasse". Aber so einfach auch der Ausdruck, s» war doch die Sache hochwichtig, wichtiger vielleicht, als ein Staatsschatz in Europa, wo meistentheils doch die Cinhebung der Steuern geregelt erscheint, jemals werden kann. In Algier aber geriethen bei jedem Regierungswechsel die Steuerzahlungen in Stockung. Da kam denn „die Kasse" dem neuen Fürsten sehr zu Statten, denn sie enthielt fast immer mehr Geld, als es irgend einem algierischcn Herrscher möglich gewesen wäre, in doppelter Jahresfrist an Steuern einzutreiben. Die Ausgaben der Negierung waren zwar gering, aber so gering sie auch sein mochten, so besaß doch die ganze Miliz zusammen nicht die dazu nöthige Summe und kein Maure oder Jude wagte es, sie ihr vorzuschießen, da es ein nicht ungewöhnliches Verfahren war, daß der zur Herrschaft gelangte Schuldner seine Gläubiger ohne Weiteres köpfen ließ' so wurden in Algier Schulden in summarischer Weise bezahlt. Da nun die Ianitscharen ihren Lohn nie im Voraus, sondern buchstäblich täglich ausgezahlt bekamen und eine Stockung in dieser Zahlung für sie das größte Schrecknis; bildete, so hatte sie derjenige in seiner Gewalt, welcher die Mittel zu dieser Zahlung besaß und nebenbei einer der Ihrigen war, denn ein Nichtjanitschare durfte in Algier nicht herrschen. Diese Mittel tonnte nur „die Kasse" liefern und der kühne Verschwörer, welcher sich derselben bemächtigt, hatte, der allein konnte die Soldaten für seine Sache gewinnen, und, hätte sich selbst eine Gegenparthei gebildet, so wäre dieselbe doch durch die klingenden Beweise, welche „die Kasse" zu liefern vermochte, bald zum Schweigen gebracht worden. So kam es, das; die Verschwörung, welche Ali Chodscha 243 M Jahre 1816 zum Herrscher von Algier ausrief, ebenso 6Ut gelang und auf ebenso wenig Widerstand stieß, wie so bicle ähnliche frühere Staatsstreiche. Ali Chodfcha war also jetzt Pascha, was wir Europäer „Dey" zu nennen pflegten, er war der Beherrscher eines ganzen großen Landstriches: er tonnte in Saus und Vraus, in Lust und Ueberfluß leben: Alles, was die Stadt Algier, was die fruchtbare» Provinzen zu bieten vermochten, gehörte ihm: cr war vom gemeinen Soldaten mit sechs Pfennigen täglicher Löhnung auf einmal zu einem steinreichen, mächtigen, im Staube verehrten Fürsten geworden. Aber er war dennoch weit entfernt davon, sich glücklich zu fühlen. Er sah das Damoklesschwert über seinem Haupte, und der Gedanke an die Art und Weise, wie er zum Thron gelangt war, schien besonders geeignet, ihm das drohende Schwert recht deutlich zu zeigen: ja, wenn auch hie und da die Nebel der Haschisch-betäubung oder des Aratrausches diesen schrecklichen Anblick umschleiertcn, so fühlte er doch die Spitze dieses scharfen Schwertes, die mitten im Taumel der Harcmsfrcuden tief in seine Seele einschnitt und ihm jede Lust, jede Freude zerstörte. Ali Chodscha Pascha war aber ein kluger Mann. Er fragte sich, was selbst die höchste Nangstellung, was aller Ueberfluß auf Erden werth seien, wenn den, Besitzer derselben stets eine solche Messerspitze das Herz titzelte, um es bei der ersten besten Gelegenheit zu durchbohren? Es schien ihm unbegreiflich, wie die Fürsten von Algier dreihundert Jahre lang einen solchen Zustand ertragen hatten, ohne Miene zu nmchen, sich von demselben zu emancipircn. Daß er selbst jedoch kein Mittel unversucht lassen wolle, um sich diesem Zustande zu entreißen, das war der gewagte Entschluß, zu welchem er bald tam. Freilich erschien dieser Entschluß ein 16* 244 sehr gewagter, ja ein tollkühner, aber ohne seine Ausführung, was besaß das Leben für einen Werth, welchen Reiz konnte die Macht und Herrlichkeit für Ali Ehodscha Pascha besitzen? Der neue Fürst war ein kluger Mann. Er hatte seim' Klugheit schon als gemeiner Soldat dadurch bethätigt, daß er es verstanden und bewerkstelligt hatte, in den Augen sei' ner Kameraden für einen Menschen von höchst beschränkten Geistcsgaben zu gelten, denn keine Eigenschaft wird in anarchischen sowohl wie in despotischen Staaten mehr geschätzt, als die kostbare Gabe der Dummheit. Er ahnte freilich damals nicht, daß seine verstellte Beschränktheit ihn bis zum Thron führen könne' und dennoch war es so. Die Ianit-scharen hatten ihn nur deßhalb zu ihrem Fürsten erkoren, weil sie von einem so einfältigen Manne kein selbstständiges Handeln, am Allerwenigsten ein Eingreifen in ihre verjährten Rechte, einen Staatsstreich erwarten konnten. Und dennoch sollte grade dieser vermeintliche Dummtopf einen ganz geschickt geplanten Staatsstreich versuchen und mit Glück durchführen. Ali Ehodscha Pascha war nicht nur ein tluger, sondern auch ein erfahrener Mann. In seinem Knabenalter, als er der Knecht eines Viehhirtcn in Kleinasien gewesen war, hattc er schon zu seiner richtigen Veurtheilung der Menschen den Gnmd gelegt, indem er einstweilen, in Ermangelung menschlicher Vcobachtungsgegenstände, dem lieben Vieh seine Aufmerksamkeit widmete, um dann später die an den niederen Organismen gemachten Erfahrungen bei den höheren bestätigt zu finden. Eine der wichtigsten dieser Erfahrungen war die gewesen, wie sehr Charakter und Temperament der ihm anvertrauten Thiere von der Reichhaltigkeit des Weideplatzes abhingen. Genau dasselbe sollte er als Mann, nachdem er in die Miliz der Ianitscharen eingetreten war, an den Men- 245 schcn bestätigt finden, nur daß in diesem Falle der Weideplatz durch das Wort „Kasse" übersetzt wurde. Die „Kasse" refträ-sentirte die menschliche Fütterung, wie der Weideplatz die thierische rcprä'sentirt hatte. Nur wer im Besitz der Kasse War, der konnte über guten Willen und kriegerischen Muth jener menschlichen Weidethiere, der Ianitscharcn, verfügen. Leider befand sich aber der Pascha nicht im Besitze der „Kasse". Zwar hatten sich seine Anhänger im Augenblick seiner Thronbesteigung derselben bemächtigt, aber, kaum war er zum Fürsten ausgerufen, so mußten sie dieselbe wieder, dem alten Brauch gemäß, der allgemeinen Bewachung der Ianitscharcn anvertrauen. Die „Kasse" befand sich in der Dschenina, dem Stadtpalaste der algierischen Herrscher, welcher unbefestigt und allezeit den Ianitscharcn geöffnet war. Ein solcher Zustand tonnte dem neuen Pascha unmöglich gefallen. Der einstige Viehhirt stellte bittere Betrachtungen darüber an, daß der Weideplatz seiner Heerde nicht sein Eigenthum, sondern Gemeingut war. Dieser Zustand durfte nicht fortdauern, so dachte Ali Chodscha Pascha. So hatte er nun denn auch keinen andern Gedanken, als den, sich zum alleinigen Herrn der „Kasse" zu machen, um so dm Vrodtorb in seiner Gewalt zu haben, ihn nach Belieben bald hoher, bald niedriger zu hängen, und auf diese Weise der wahre Herr der Ianitscharen zu werden. Ali Chudscha Pascha war aber nicht nur ein kluger und ein erfahrener, sondern auch ein entschlossener Mann. Seine Klugheit hatte ihm gezeigt, was er thun müsse, um nicht nur dem Namen nach, sondern auch in Wirklichkeit der Gebieter der Regentschaft zu werden; seine Entschlossenheit machte es ihn ausführen und zwar auf die rasche und summarische Weise ausführen, welche im Orient nur dann üblich ist, wenn es sich um Haupt- und Staatsactionen handelt. Aber wie A6 außerordentlich rasch und summarisch in diesen Ausnahmsfällen das Verfahren der Orientalen sei, davon sollte Ali Chodscha einen Veweis liefern. Sein Staatsstreich ward in einigen Stunden überdacht, beschlossen, den Helfershelfern mit' getheilt nnd ausgeführt. Natürlich mußte er seine Mitschuldigen haben. Diese Mitschuldigen hatte ihm das Schicksal von selbst an die Hand gegeben. Es waren dieselben Ianit-scharcn, welche die alte Nrgierung gestürzt und ihn auf den Thron erhoben hatten und die nun nach Ermordung ihrer sämmtlichen Amtsvorgänger die Großwürdenträger des Landes geworden waren. Diese Leute mußten natürlich das größte Interesse haben, die Herrschaft Ali's zu befestigen, denn deren Fall wäre auch der ihrige, des Pascha's Tod auch ihr Todesurtheil geworden. Anders war es nie in Algier zugegangen, das wußten sie nur zu gut. Darum nahmen sie auch des Fürsten Mittheilung über den auszuführenden Staatsstreich mit größtem Enthusiasmus und mit Bewunderung des (Genius, der ihn ersonnen hatte, auf, und boten Herzen und Hände zu dessen schleuniger Vewertstelligung. Der Staatsstreich ging auf eine kindlich einfache Weise von Statten. Die Helfershelfer warteten einen selbst für diesen Erdtheil recht erdrückenden, schwülen Sommertag ab, so einen Sommcrtag, wie er außerhalb Afrika's vielleicht nur in der Hölle einen ähnlichen Grad von Hitze erreicht. Der Wüstenwind wehte so heiß und verzehrend, wie der Hauch aus einem glühenden Ofen, und alle Menschen, welche dieser Hauch traf, glichen den geknickten Schilfrohren an dem Saume der Sahara-Oasen. War es deßhalb ein Wunder, wenn diejenigen Soldaten, welche die Wache bei dem Staatsschatz hatten, von der Hitze bewältigt, dem Schlummergotte in die Arme sanken, und in der Mittagsstunde die „Kasse" von den Helfershelfern des Pascha, welche der tollkühne Entschluß mit 347 einer übcr alle atuwsphärischcn Eindrücke erhabenen Energie stählte, entführen ließen? AIs sie aus ihrem Mittagsschlum-wer erwachten, war die Kasse fort, und wo war sie hinge-rathcn? Wohin anders, als in die Kassbah, die starkbefestigte Citadelle von Algier, nach welcher Ali Chodscha Pascha zu dcrsclben Zeit seinen Herrschersitz und den Mittelpunkt der Negierimg verlegte und deren wohlverschlossene Mauern und Schießscharten er mit Kanonen bespicken und von dem Häuflein seiner Helfershelfer, die nun auf einmal seine Leibgarde geworden waren, vertheidigen ließ. Die Ianitscharen von Algier sahen zu spät, daß sie ihren Meister gefunden hatten. Sie suchten zwar die Folgen des Staatsstreiches zu zerstören, aber sie wendeten dazu so ungeschickte Mittel an, daft sie die Geschlagenen blieben. Ihr erster Schritt war, daß sie beschlossen, die schlummersüchtigen Wächter des Staatsschatzes hinrichten zu lassen, worauf diese, welche man noch nicht einmal eingefangen hatte, nichts Eiligeres zu thun hatten, als zum Pascha überzugehen und so dessen Anhängerzahl zu vermehren. Ihr nächster Schritt war ein verrückter Angriff auf die Citadelle, aus welcher ihnen Ali Chodscha Pascha mit Kanonenschüssen antwortete, Antworten, welche eine so schlagende Veweisestraft besaßen, daß die Miliz bald ihre eigne Ohnmacht einsah und sich in das Unvermeidliche ergab. Seitdem haben die Pascha's von Algier stets als unumschränkte Fürsten geherrscht, bis es endlich, vierzehn Jahre später, einer europäischen Macht gelingen sollte, das auszuführen, was die Ianitscharen nicht vermocht hatten. Ali Chodscha Pascha war also nun der allmächtige Herr eines ganzen, großen Landes. Der erste Gebrauch, welchen er von seiner durch den Besitz der „Kasse" befestigten Gewalt machte, war der, daß er in besagte „Kasse" einige kühne 248 Griffe that, um sich und seine Familie zu bereichern. Seinc Frau, eine Person von sehr geringer Abkunft und noch geringerer Erziehung, welche ihre Jugendzeit und die ersten ihrer reiferen Jahre in Schmutz und Lumpen zugebracht hatte, empfand nun auf einmal ein lebhaftes Bedürfniß nach Allem, was die Erde Kostbarstes bieten tonnte. Ihre alternden Reize sollten auf jede m>r mögliche Weise hervorgehoben und durch Pracht der äußeren Ausstattungen womöglich verjüngt werden. Namentlich für Schmuck hatte sie urplötzlich eine Leidenschaft bekommen. Für ihr schon erbleichendes und bereits etwas spärliches, schlechtgcftflegtcs Haar, welches bisher keine andere Zierde als hinemgeschmiertc ranzige Butter gekannt hatte, schienen ihr nun keine Edelsteine zu kostbar. Namentlich nach einem Diamant schmuck hegte sie die größte Sehnsucht. Ein Diamantschmuck, das ist der Traun: jeder Algiererin, der Inbegriff der höchsten Glückseligkeit, die Vision des irdischen Paradieses für jede Äraberin, welche zu verwirklichen sie oft nicht ansteht, das ganze Gut ihrer Familie, Haus und Hof, ja ihr letztes Geldstück, das Vrod ihrer Kinder, wegzuwerfen. Zeigt sich dieser Wunsch schon bei einer gemeinen Arabcrin, welche in Armuth schinachtet, so allmächtig, welche Potenz muß derselbe nicht dann erlangen, wenn diese gemeine Araberin plötzlich reich und vornehm geworden ist? Die Pascha'sgattin mußte ihre Diamanten und zwar die kostbarsten der Welt haben, das war ausgemacht. Wie hätte sie sonst bei arabischen Hochzeiten glänzen, wie hätte sie ihre Gegnerinnen vor Neid bersten sehen können. Sie quälte den Pascha Tag und Nacht, bis dieser endlich einen Juden kommen lieh, dem er den Auftrag gab, einen so kostbaren Diamantenschmuck anzukaufen, wie man dergleichen noch niemals in der schönen Stadt Algier erblickt hatte. Der fragliche Sohn Abraham's war der geschickteste 249 Goldarbeitcr in Algier: dieß Gewerbe wurde nämlich fast ausschließlich von Leuten seines Volkes betrieben, er eignete !tch also sehr gut zu dem Auftrag. Er schien übrigens weit entfernt davon, über die hohe Ehre, welche ihm der Pascha erwies, entzückt zu sein. Der arme Mann wußte nur zu Ntt, daß es mit hohen Herren im Allgemeinen und mit den Mascha's von Algier im Besondern nicht gut Kirschen zu essen sei. Aber er durfte den Auftrag auch nicht von sich leisen. Solches wäre für ihn noch gefährlicher gewesen. Der Jude machte also einen tiefen Salamalek und behauptete, daß er nur in Europa das finden könne, was der Pascha verlangte. Ali Chudscha Pascha gab ihm das Reisegeld und schickte ihn übers Meer, nach Frankreich, von wo der Jude Nach mehreren Monaten mit Schmuck beladen nach Algier zurückkehrte. Kaum hatte die Pascha'sgattin die für sie so erfreuliche Nachricht von der Ankunft des Schiffes, welches den Juden zurückbrachte, vernommen, als sie lebhaft in ihren Herrn und Gemahl drang, den Händler doch ja nicht mit seinen Diamanten zugleich landen zu lassen. Wie leicht tonnte der verschmitzte Euhn Abraham's die schönsten Edelsteine bei sich in seinem Hause verstecken und dem Pascha zwar die ganze Rechnung, Nicht aber alle in derselben genannten Kostbarkeiten vorlegen. Da Ali Lhodscha wohl wußte, daß weder er, noch sonst irgend cin Algierer etwas Anderes, als die Geldziffern, von der europäischen Rechnung verstehen würde und daß folglich Niemand sagen könnte, welche Artikel eigentlich in derselben benanm wurden und welche mcht, so gab er seiner Gattin Recht und empfahl in Betreff des Zurückgekehrten ein summarisches Verfahren. Der Jude wurde an Bord festgenommen und, da sehr zu befürchten stand, daß er vielleicht einen Diamanten in seinen Kleidern versteckt oder möglicherweise 25l Ausbeutung ihres hohen Ranges ihre Zuflucht zu nehmen. Wenn sie recht keck behauptete, die Gewißheit von der Aecht' heit ihres Schmuckes erlangt zu haben, wer würde es dan" wagen, sie Lügen zu strafend Sollte es dennoch Jemand wagen, so würde schwere Strafe den Verläumdcr oder die Verläumderin treffen. Da sie jedoch auch darüber im Zweifel schwebte, ob überhaupt eine von den beidcn Diamantzierden ächt oder ob sie nicht am Ende gar alle beide falsch seien, so wußte sie sich dadurch aus der Verlegenheit zu ziehen, daß sie in ihrer Eigenschaft als souveränes Orakel aller Algiererinnen, apodiktisch alle zwei für ächt erklärte und ihren Willen kund gab, daß sie dieselben als gleich werthvoll und unverfälscht angesehen haben wolle. Wehe derjenigen, welche das Gegentheil behaupten würde! Von nun an erschien die Gemahlin Ali Chodscha Pascha 6 bei jeder arabischen Hochzeit, bei jedem Haremsfeste bald m^ dem einen, bald mit dem andern Schmuck bekleidet, und da alle Frauen sich vor der gewaltigen Dame, von der ein Wink genügte, um sie sämmtlich erdrosseln zu lassen, entsetzlich fürchteten, so erntete sie überall nur einen einstimmigen, krie-chenden, wenn auch vielleicht wenig aufrichtigen Beifall ein-Die Gewohnheit dieses Beifalls hatte schließlich zur Folge, daß die Pascha'sgattin zuletzt selbst noch an die Wahrheit ihrer Erdichtung, das heißt an die Aechtheit aller ihrer vo<^ Juden aus Paris gebrachten Schmucksachen zu glauben aN' sing und, da Niemand ihr diesen Glauben zu rauben vel' suchte, so blieb sie auch bis an ihr Lebensende in einem ^ süßen Wahne. Ali Chodscha Pascha war ein kluger Mann. Leidet war er aber nicht klug genug, um den Vorurthcilen se'' ncr Landoleute zu entsagen. Das ärgste dieser Vorurtheilb 259 ja mehr noch als ein Vorurtheil, ein Glaubenssatz, ist jener blinde Fatalismus, welcher dem Moslem untersagt, irgend etwas zur Abwendung einer drohenden Gefahr zu thun. Eine solche drohende Gefahr stand aber nun grade der Regentschaft Algier bevor. Die Pest war in dem benachbarten Tunis ausgebrochen und vor ihr konnte nur eine gut eingerichtete Quarantäne schützen. Hätte der Pascha dem Großsultan nachgeahmt, welcher dem Fatalismus insofern entsagt hatte, das; er sich der Einführung dieser wirksamen Vorsichtsmaßregel nicht widersetzte, sondern dieselbe sogar auf alle Weise begünstigte, so wäre vielleicht sein Tod nicht als unmittelbar bevorstehend von Allah vorausberechnet gefunden worden. Da aber Ali Ehodscha Pascha nur den: Fatalismus Gehör gab, so sollte bald die Seuche auf die verheerendste Art in Algier ausbrechen. Ein Drittheil seiner Einwohner fiel ihr zum Opfer, unter welchen auch der Pascha und seine Gattin sich befanden. Ali Lhodscha Pascha ließ seinen einzigen Sohn an sein .Sterbelager kommen, gab ihn» seinen Segen und ertheilte ihm schließlich noch folgende gute Lehren: „Mein Sohn!" so sprach der sterbende Pascha, „mit meinem Tode wirst Du höchst wahrscheinlich Alles verlieren, was Du auf dieser Erde jetzt Dein nennst. Der Sohn eines verstorbenen Pascha's hat keine Mngstellung, er gilt nichts, gar nichts, ja er gilt noch weniger, als ein gemeiner Ianit-schare, denn jeder Ianitschare ist wenigstens ein Türke, und ein Türke allein kann es in Algier zu etwas bringen. Du bist aber leider kein Türke, sondern nur ein Kulugli, das heißt der Sohn eines Türken und einer Araberin, folglich kannst Du niemals hoffen, irgend eine einflußreiche Stellung einzunehmen. Aber, wenn Du auch auf Rang und Macht verzichten mußt, so kannst Du möglicherweise doch Dein Theil 17" 260 von dm Gütern dieser Erde genießen, wenn Du genau nach den Vorschriften Deines sterbenden Vaters handelst. Ich hinterlasse Dir ein nicht unbedeutendes vermögen, welches theils in liegenden Gütern, die alle Welt kennt, theils in verscharrten Geldern, deren Verbcrgungsplatz nur ich kenne, besteht. Die verscharrten Gelder wirst Du an dein auf diesen: Papiere bezeichneten Ort finden. Außerdem bekommst Du die Diamanten Deiner Mutter. Verachte dieselben nicht, obgleich die ganze Welt sie für falsch hält, wvran Deine Mutter die Hauptschuld trägt, weil sie behauptete, von deren Aechtheit überzeugt zu sein. Ich glaube aber fest, daß wenigstens ein Schmuck von den beiden ächt ist. Da Du aber nicht Wissen kannst und ich Dir es auch nicht zu sagen vermag, welcher von beiden der ächte und welcher der falsche ist, und diejenigen, welche Du darüber um Rath fragen tonntest, Dich wahrscheinlich betrügen würden, so rathe ich Dir, behalte sie alle beide, veräußere sie nie. Es ist der letzte Nothpfennig für Deine Familie. Alles Andere wird man Dir vielleicht nehmen, denn Du weißt sehr wohl, daß der neue Pascha stets die Güter des alten zu eousisciren und dessen bindern nur ein sehr beschranktes Eigenthum, manchmal auch gar nichts, übrig zu lassen pflegt. So ist es den bindern aller meiner Vorgänger ergangen und so wird es Dir höchst wahrscheinlich auch gehen, wenn es Dir nicht allenfalls gelingen sollte, die Gunst des' neuen Pascha zu erwerben. Dir diese Gunst zu verschaffen, dazu giebt es nur ein Mittel, und dieses Mittel ist auch nur dann anwendbar, wenn der künftige Pascha eine unverheirathete Tochter besitzt. In diesem Falle bringe jedes nur erdenliiche Opfer, um ihre Hand zu eilan-gen. Schone nicht meine verscharrten Gelder, um den Pascha zu gewinnen. Solltest Du sie auch alle in Bestechungssummen ausgeben, so wirst Du immer noch dabei Vö^cheil haben, 2ßl denn als Dein Schwiegervater wird Dir der neue Pascha Meine Güter gewiß belassen. Gelingt es Dir nicht, der Eidam des Herrschers zu werden, dann freilich muftt Du Dich in Dein Schicksal ergeben. Allah kerim, Gott ist groß, er hat Alles vorausberechnet, was geschehen wird, nnd gegen diese Berechnung können wir nicht ankämpfen. Aber wie es auch ausfallen Mag, bleibe standhaft und veräußere nicht die Diamanten Deiner Mutter. Es ist zu Deinem Glück nicht Sitte unter Moslems, daß die Herrscher den Schmuck der Unterthanen wegnehmen, außerdem sichert Dir den Besitz der Diamanten auch noch der günstige Nmstand, daß Jedermann sie für falsch hält. An diesen Diamanten halte fest. Solltest Du auch für Geld arbeiten müssen, und am Hungcrtuche nagen, so verkaufe doch nie auch nur einen einzigen derselben. Denn bei dem Verlauf windest Du unter unseren jetzigen Zuständen ohne Zweifel um die Hälfte, vielleicht um den größten Theil des Werthes betrogen werden, und selbst die kleine Tumme, die man Dir dafür geben dürfte, möchte Dir höchst wahrscheinlich der neue Pascha nehmen lassen, denn baares Geld ist immer eine erlaubte Beute und wird durch keine wlche geheiligte Rücksicht vor Confiseatwn geschützt, wie der ^amilienschmuck. So lange Du den Schmuck behältst, bleibst Du ein reicher Mann, im Augenblick aber, da Du ihn veräußerst, wirst Du zum Bettler. Ich habe aber auf diesem meinem Sterbelager eine Ahnung, wie es in Zukunft in Algier gehen wird. Ich glaube, cs werden andere Zustände kommen, und, da es nicht gut schlimmer werden kann, als es jetzt ist, so muß nothwendiger Weise eine Aenderung zum Besseren eintreten. Eine solche Aenderung wird vielleicht auch eine größere Sicherheit des Besitzstandes, eine größere Ehrlichkeit des Handels in 262 ihrem Gefolge haben. Einen solchen Zeitpunkt warte ab, mein Sohn, und wenn er jemals kommen sollte, dann, aber auch nur dann, kannst Du mit Deinen Diamanten offen auftreten und durch ihren Verkauf ein reicher und angesehener Mann werden. Nur in diesem Falle einer völligen Aenderung unsrer soeialen Zustände magst Du die Edelsteine Dei' ner Mutter veräußern. Diesen meinen Rath zu befolgen mußt Tu mir bei Sidi Abd-el-^ader el Dschelani und bei Sidi Mohammed Scheriff, unsern beiden großen Heiligen, schwören. Nicht eher werde ich ruhig sterben." Nachdem der Sohn des Pascha diesen bei den Algierern besonders heilig gehaltenen Schwur geleistet, drehte sich Ali Chodscha in der Richtung nach Metta um, murmelte die Sure des jüngsten Tages und schien eben im Begriff, unter den Worten der Umstehenden: „Allah irhamuh" lGott sei ihm gnädig) dem Todeoengel in die erlösenden Arme zu sinken, als er sich plötzlich noch ein letztes Mal nach seinem trauernden Sohn umwendete, wie wenn er etwas ihm mitzutheilen vergessen habe. Er hatte in Wirtlichteit auch etwas, nach muslimischen Begriffen sehr Wichtiges, zu eröffnen vergessen. „Mein Sohn", so sprach er mit sterbender Stimme, „noch Eins muh ich Dir sagen. Sollte der Tag kommen, an welchem es Dir der eben abgelegte Schwur gestatten wird, die Diamanten Deiner Mutter zu veräußern, dann wirst Du in dem ^edcrüoerzug des einen Schmuckes ein Zettelchen eingenäht finden, das einen mächtigen Talisman enthält, welcher Dich und Deine Familie vor Elend bewahren wird. Diesen Talisman darfst Du aber erst dann seinem Gehäuse entziehen, wenn du im Begriffe stehst, den doppelten Schmuck zu verkaufen." Auch dieses mußte der Pascha'ssohn beschwören und erst 263 dann hatte seines Vaters Seele Ruhe und verließ in Frieden den irdischen Schauplatz. So starb 3lli Chodscha Pascha, welcher es scincm Staatsstreich verdankte, das; er zu den wenigen Herrschern von Algier gerechnet werden konnte, die eines natürlichen Todes endigten. Nach seinem Tode waren die Ianitscharen lange un-nns, wen sie wählen sollten. Darin waren sie jedoch alle einig, das; der Staatsstreich wieder rückgängig gemacht werden müsse und der neue Herrscher nur unter der Bedingung gewählt werden dürfe, daft er die „Kasse" wieder für Gemeingut erklärte. Endlich vereinigten sich die Stimmen in der Wahl eines gewissen Hussein, der für einen sehr unbedeutenden Menschen galt. Man nahm ihm das Versprechen ab, alle Folgen von Ali's Staatsstreich zu Nichte zu machen, und Hussein bestieg den Thron, in dessen Besitz er jedoch kaum gelangt war, als er sein Versprechen vergas; und nicht nur als Amtsnachfolger, sondern auch als Fortsetzer des Staatsstreiches in seines Vorgängers Fuhtaftfen trat. Die Ianitscharen waren von Neuem angeführt. Da der neue Pascha wirtlich eine unvcrmählte Tochter besaß, erinnerte sich nun Kadur, so hicft der Sohn Ali Chod-scha's, der guten kehren seines Vaters und fing an, dessen Nachfolger in unterwürfigster Weise den Hof zu machen, denn die orientalischen Sitten bringen es mit sich, daß der Vater in diesem Punkte an die Stelle der Tochter tritt, das heißt, daft ihm und nicht ihr die Cour geschnitten werden musi. Der Pascha nahm die Huldigungen des gefallenen Prinzen gnädig auf. Natürlich durfte von Heirathsplänen noch nicht die Nede sein. Dergleichen pflegt bei Orientalen nur sehr langsam von Statten zu gehen und wenn überhaupt eine Heirath zu Stande kommen soll, so dürfen die dabei intor-cssirten Personen kein Nort darüber zusammen wechseln. 264 Aber der schlaue Hussein errieth natürlich gleich die Absichten Kadur's. Er gab diesem sogar insofern einen Grund zur Hoffnung daß er dessen väterliche Güter vor der Hand nicht confiscirte. Kadur blieb in deren ungeschmälertem Besitze. Derselbe erinnerte sich nun jenes andern Rathes seines verstorbenen Erzeugers, tein Geld zu sparen, um sich die Gunst des neuen Herrschers zu gewinnen. C'r machte also von Zeit zu Zeit dem Fürsten recht ansehnliche Geschenke und die Sonne der Gnade traf ihn in vollen glänzenden Strahlen. Da die Gunst ihm vom Throne aus entgegenleuchtete, so war es kein Wunder, daft des Fürsten sämmtliche Schmarotzer und Hofschranzen nun dem 'ungcn Radur schmeichelten und schön thaten, daß es eine Freude war. Derselbe besaß auf einmal eine Menge der zärtlichsten Freunde, welche ihm mit Nath und That an die Hand gehen wollten. Diese Freunde waren sehr uneigennützig. Sie hatten nur das Wohl Kadur's und vielleicht auch das Interesse des Pascha's im Auge, aber aus ihren Gesprächen ging hervor, daß sie diese beiden Dinge für innigst verschwistert hielten. Sie hüteten sich zwar sehr, so weit gegen die moslimischc Sitte zu verstoßen, daß sie von der möglichen Vermählung Kadur's mit der Pascha'stochter gesprochen hätten, aber sie gaben durch ihr Benehmen, durch allerlei verstohlene Winke, durch geschickt verborgene Anspielungen dem jungen Manne zu verstehen, daß sie ihn eigentlich schon als den Schwiegersohn des Herrschers ansähen. Kadur war überglücklich. Sein Herz war schon im Voraus von Dankbarkeit gegen den künftigen Schwiegervater erfüllt und er wartete nur die Gelegenheit ab, diesem eine recht schätzenswcrthe Gefälligkeit erweisen zu tonnen, sich so in seiner Gunst noch mehr zu befestigen, und dann allmählich mit seiner Absicht herauszurücken und seinen Heirathsantrag 265 ^urch die in solchen Fällen üblichen Vermittlerinnen stellen ^u lassen. Diese Gelegenheit sollte nicht lange ausbleiben, ^ines Tages trat der alte Vrahim, Agha der Iamtscharm und vertrauter Freund des Regenten, ein schlauer, verschmitzter Kerl, der aber für den einstigen Pascha'ssohn nur die Aufrichtigkeit und das Wohlwollen in Person schien, zu dem iungen Manne und eröffnete ihm mit geheimnißkrämerischer Äliene Folgendes! „Denke Dir, o Kadur, der Pascha will Dir eine große ^nadc erweisen, welche für Dich ein unaussprechliches Glück ist, und Dir gewiß die Wege zu dem schönsten Ziel und den höchsten Ehren ebnen wird, Hussein hat in einigen Tagen rine gewisse Summe nöthig, die er nicht aus dem Staatsschätze erheben kann, da er zu gewissenhaft in Benutzung der 3tegierungsgclder ist. Denke Dir nun, in dieser Verlegenheit will er Dir die Gnade erweisen, ihm zu Hülfe kommen zu Hirsen. Er, der Allmächtige, welcher Dir, wenn er nicht die Ätilde und Gnade selber wäre, eigentlich all' Dein Geld und ^ut mit Gewalt wegnehmen könnte, er will sich großmüthig herablassen, diese Summe nur von Dir zu borgen! Kannst Tu den Umfang einer solchen Großmuth ermessen, kannst ^u so viel Gnade in dem Maße, wie es sich gebührt, bewundern?" iladur wußte wohl, was eo mit dem „Borgen" von Zeiten eines absoluten orientalischen Fürsten auf sich hatte, ^lber er war ja darauf vorbereitet, er war im Voraus schon Zuschlössen gewesen, dein Pascha ein recht ansehnliches Ge->chcnt zu machen. Er nahm also der Wahrheit gemäß das vermeintliche Vorgen nur als eine schönrednerische Form für em Geschenk auf. Was den andern Punkt betraf, welchen ^er Agha berührt hatte, daß nämlich der Fürst seinem Untertan ja Alles wegnehmen könne, so wußte er ebenfalls sehr 266 gut, Wie es sich damit verhielt, das heißt, er wußte, da>i seine liegenden Güter allerdings jeden Augenblick der Confiscation ausgesetzt seien, daß aber das verscharrte Geld s» sicher war, als ob es sich in einem ganz anderen Lande befunden hätte, denn Niemand, als er, kannte das Geheimniß seines Verstecks und Niemand, als er, wußte über die Summe desselben Bescheid. Dieses Geld tonnte man einzig und allein von seinein guten Villen, gegen diesen Wille» aber durch keine Gewalt der Erde erlangen. Da übrigens dieser sein guter Wille groß war, so rügte er nicht die Unrichtigkeit der Bemerkung Brahims. Nur eine Angst beklemmte ihn, dic nämlich, daß die vom Herrscher gewünschte Summe seine Mittel übersteigen könne. In schwerer Sorge über diesen Punkt, fragte er den Agha nach der Ziffer des zu leihenden Geldes. Diese Ziffer war allerdings groß, ja fehr groß, aber der junge Mann berechnete schnell, daß sie nicht seine Kräftt überstieg. Freilich würde ihm diese Zahlung beinahe seiner sämmtlichen Vaarschaft berauben, aber hatte er nicht noch die liegenden Güter und besaß er nicht die Hoffnung, der Eidam des Herrschers zu werden? Ner nichts wagt, der gewinnt nichts, so dachte er und sagte mit jugendlicher Freigiebigkeit dem Agha die gewünschte Summe zu. Der Pascha war tief gerührt von dieser edlen, uneigennützigen Handlung des jungen Mannes, ließ ihn zu sich kom men, erlaubte ihm, seine Hand zu küssen, und sprach dan" voll väterlicher Huld zu ihm: „O mein Sohn! Du bist fürwahr der Morgenstern unter den Jünglingen, der Mond am Iugendhimmel, dic Sonne im FrühIingMrahle des Bebens. Du hast eine Handlung begangen, deren Edelmuth nur unter den Thaten der Gefährten unsres gelobten Propheten, den Gott segnen mog«.', 26? ^res Gleichen finden kann. Darum will ich Dich auch mei-^en Sohn nennen!" Kadur war auf's Angenehmste überrascht durch diese so plötzliche Erfüllung seiner heißesten Wünsche. Der Pascha Zollte ihn seinen Sohn nennen! Nas tonnte das anders zu ^deuten haben/als das; er ihm seine Tochter zur Frau ge-bm würde? Aber mit dieser Wortauslegung irrte sich leider ber arme Kadur. Das Wort „Sohn" war hier nur in jenem allgemeinen, figürlichen, völlig nichtssagenden Sinne gebraucht worden, in welchem die Araber so oft die Worte „Sohn", "Vater", „Bruder" u. s. w. anwenden. Seine Enttäuschung lirß nicht lange auf sich warten, denn der Pascha fuhr bald darauf großmüthigst fort: „Um Dir zu zeigen, wie sehr ich Dich in mein Herz geschlossen habe, will ich Dich auch zur Hochzeitsfeierlichkeit deiner Tochter einladen, welche demnächst stattfinden wird." Das war ein harter Schlag für den armen Kadur. 6r sollte also nicht der Schwiegersohn Hussein's werden, sonst ^'ürdc man ihn nicht zur Feierlichkeit eingeladen haben, denn bei den Moslems wohnt der Bräutigam nie seiner eignen Trauung bei, da diese durch Procuration geschieht. Kadur sah plötzlich ein, daß man nur mit ihm gespielt, ^aß inan ihn mit der Hoffnung, der Eidam des Fürsten zu lverden, so lange geködert hatte, bis alle seine Gelder den ^!eg in die Privatschatulle des Herrschers gegangen waren. Als er sich betrübten Herzens eben aus dem Thronsaale sei-ücs Veraubers entfernen wollte, da ließ ihn jedoch dieser Plötzlich zurückrufen und redete folgendermaßen zu ihm: „Mein geliebter Sohn! Ick) kann Dir nicht genug Beweise meiner väterlichen Huld geben. Darum habe ich noch ^'sonders darüber nachgedacht, was ich noch mehr für Dich thun tonne, und da ist mir eingefallen, daß die Güter, welche 368 Dir Dein Vater hinterlassen hat, in sehr ungesunder Gegend befindlich, auch außerdem schwer zugänglich und nahe den' Gebiete rebellischer Stämme gelegen sind', deßhalb halte ui' es im Interesse Deiner Gesundheit, Deiner Bequemlichkeit, ja sogar aus Sorge für die Erhaltung Deines kostbaren 3e-bcns für meine Pflicht, Dir diese unvorteilhaften Vesitz-thümer wegzunehmen, um sie einem abgehärteten Krieger, nm-ncm zukünftigen Schwiegersohn, für welchen sie besser geeignet sind, zu verleihen. Dir aber werde ich für das Weggenommene tausendfältigen Ersatz geben." Ein neuer Schlag für den armen Kadur, welcher sich dvrch diese Kundgebung des allerhöchsten Willens vollkommen ruinirt sah. Denn er täuschte sich keinen Augenblick über dic wahre Bedeutung der Worte des Pascha. Er wußte sehr gut, was der „tausendfältige Ersatz für das Weggenommene" zu bedeuten habe. Dieser „tausendfältige Ersatz" war ebenso phrasenhaft, ebenso hohl und vollkommen nichtsbedeutend, wie es jene Wünsche der Sklaven orientalischer Despoten sind, welche ihrem Sultan zurufen „»lögest Du tausend Jahre leben!" Kadur bekam auf diese Weise eine noch weitere Einsicht in das Verrätherische Spiel, welches man mit ihm getrieben hatte. Hussein hatte ihm so lange die väterlichen Güter gelassen, als er noch etwas andres besaß, was man ihm nicht durch Gewalt nehmen konnte. Nun, da man ihm seine letzten Gelder durch gleißnerische Vorspiegelungen entlockt hatte, konnte der Pascha die Maske fallen lassen. So war Kadur in einem Tage von einem reichen Manne zum Bettler, von einem vornehmen Manne, welcher erwartete, der Schwiegersohn eines Monarchen zu werden, zu einem verachteten Proletarier herabgesunken. Er besaß nichts mehr, nichts mehr als die Diamanten seiner Mutter, aber diese Diamanten hatte er auf dem Sterbebette seines Vaters geschworen, 269 nMei" tapfere Krieger sei, von dem der Pascha gesagt hatte, ^aß er ihm mit der Hand seiner Tochter auch die eiugezoge--'U'lt Miter Kadurs geben würde. Da der Sohn des verstorbenen Pascl'a, der Worte sei-^s Paters eingedenk, den geerbten Schmuck nicht zu Gelde 'Nachen wollte und auch vielleicht nicht ohne die Gefahr, ^u Erlös desselben seinein übrigen BesilMmt nachfolgen 5U sehen, zu Geide machen tonnte, so mußte er natür-^ch jetzt irgend einen Erwerdszweig suchen. Ein solcher ^ar ihm durch den Umstand an die Hand gegeben, daß er ^ seinem Knabenalter, als Sohn eines armen Soldaten in ^r ^anitscharentrupve, welcher sich damals noch nicht trä'U' 'Uen ließ, daß er einst Pascha werden tonne, ein Handwerk erlernt hatte, wie überhaupt fast alle jungen Türken und ^tadtaraber, seien sie oft selbst Söhne der reichsten Familien, ^was hineinsehen, sich in ihrer Jugend irgeird eine Hand-^ertsgcschicklichkeit anzueignen, eine allgemeine Sitte, von ^'lchcr selbst die ottomanischen Prinzen keine Ausnahme bilden. 370 Das von Kadur erlernte Handwerk war eines, welches sich im Orient einer ungleich größeren Achtung erfreut, als bei uns Europäern, nämlich das edle Schuhmacherhandwerk, welches in diesen Ländern wegen der plumpen Beschaffenheit der Fußbekleidungen und der rohen Form des üblichen Schuh' materials einen besonders großen Kraftaufwand in Anspruch nimmt und deßhalb gewöhnlich auch nur von sehr kräftiges schon früh männlich gewordenen Knaben erlernt wird. Da' her kommt es, daß die Ausüber dieses Gewerbes als starke Männer angesehen zu werden pflegen und natürlich in einenl Lande, wo der barbarische Zustand die Sclbsthülfe so oft nothwendig macht, gefürchtet und geachtet sind. Diesem edlen Gewerbe also ergab sich der ehemalig^ Prinz von Algier, indem er sich mit seinen» früheren Meiste' associrte, dessen Tochter heirathetc und bald einer der geach' tetesten Fußbetleider der Stadt wurde. Er machte gute G^ schäfte, das heißt das, was man in seiner Vaterstadt gu^' Geschäfte nannte, er verdiente genug, um nicht Hungers ^ sterben und um seine Familie zu ernähren. Ein großes Glück, oder vielleicht richtiger gesagt, eine hohe Ehre stand ihm j^'' doch noch mitten in seiner Erniedrigung bevor. Hussein Pascha der Nachfolger seines Vaters und Räuber seines Vermögens, erinnerte sich plötzlich des von ihm gegebenen Versprechens, etwas für den Veraubten thun zu wollen, und verlieh W deßhalb großmüthigst das Amt eines königlich algierischen Hofschustcrs. Von nun an hatte Kadur nicht nur die Ch^' die allerhöchsten Pascha'sfüße mit Leder zu bekleiden, sondern auch die Gunst des ganzen Hofes wandte sich ihm zu, selb" sein früherer Nebenbuhler, der alte Vrahim Agha, geruht ihm seine Kundschaft zu verleihen. Die Leute vom H>^ zahlten zwar nicht oft, brachen auch zuweilen wohl in lieben^ würdiger Laune tumultuarisch in den Laden ein, welchen 1^ 37, vollkommen ausraubten, al^r die Ehre, diese hochgestellten Spitzbuben zu bedienen, war zu groß, um nicht von .^adur als das höchste irdische Glück geschäht zu werden, ein Glück, auf das er nicht einmal verzichten konnte, ohne des gröbsten Undanks beschuldigt und für die Verweigerung der Fußbekleidungen seine eigne Kopfbedeckung nebst dem darunter befindlichen, zum Leben leider so durchaus nothwendigen Körver-thcile zu verlieren. Kadur ertrug auch diese Ehre mit jener stummen Ergebung in das Schicksal, welches alle diese gebognen Fatalisten, »reiche man Moslems nennt, zu ihrem Glau-bensbckenntniß erwählt haben. Auf diese Weise lebte .ladur, ben Ali Chodscha Pascha?" „Ob ich dieses Haus kenne?" rief der Gefragte. „Wic sollte ich den arabischen Palast nicht wiederkennen, welchen mein Vater bei seiner Thronbesteigung meiner Mutter schenkte, in welchem ich selbst einen Theil meiner Jugend verlebte und in dem ich noch bis zu jenem Augenblicke wohnte, da das ungerechte Machtwort Hussein Pascha's mich zugleich mit allen meinen andern Gütern auch dieses Wohnsitzes beraubte?" „Nun antworte mir weiter", so fuhr der Jude fort, „weiht Du, was in diesem Hause in der Nacht des zweiten Ramadan im Jahre zwölfhundertdreiunddreifzig der Hedschra Eures Propheten vorging?" Kadurs Stirn umdüsterte sich einen Augenblick bei diescr unerwarteten Erwähnung eines Datums, welches ihm sehr gut im Gedächtnisse schwebte. Aber schnell hatte die arabische 37? Selbstbeherrschung oder zur zweiten Natur gewordene Gewohnheit der Verstellung, wie man das uun nennen will, ^iese flüchtige Affectsäußerung überwunden, und anscheinend ruhig und gelassen erwiderte er einfach: „Ich erinnere mich. Aber wer bist Du, daß Du von ^ncm Vorfall unterrichtet sein kannst, von dem gewiß kaum ein Europäer jemals gehört hat. Du bist nicht das, was Du scheinst. Wer bist Tu?" Der so rücksichtslos Gefragte sah seinen Gefährten des Augenblicks mit einem Ausdruck des Hasses und der Nachsucht an, welcher jedoch bald einem andern wich, aus dem ein ^hysiognomikcr dielleicht ein Gemisch von Schlauheit, Neu-Acrde und Habsucht herausgelesen hätte, drei Eigenschaften, von welchen in diesem Falle die zwei ersten die Mittel zur Befriedigung der letzteren bieten sollten. Nun stierte er seinem Fragesteller mit del» einzigen seiner beiden schielenden Augen, welches einer geraden Richtung fähig schien, direct in's An-sseficht hinein, lind sagte dann: „Sieh mich genau an, o Sohn des Pascha! und ziehe Dein Gedächtniß zu Nathe, ob Du mich nicht schon irgendwo einmal, und sei es selbst vor sehr langer Zeit, gesehen hast?" Kadur hielt den scharfen Vlick des stechenden Schakals-^ugoI männlich aus und musterte dann genau die verwitterten Äige des alten Mannes. Aber wie sehr er auch in den geheimsten Kammern seines Gedächtnisses forschen mochte, es Zollte ihm lange nicht einfallen, wo und wann er dieses Gesicht schon einmal erblickt habe. Nur eins wurde ihm bald klar, der Umstand nämlich, daß er dasselbe in Wirklichkeit schon einmal gesehen haben müsse; und wie er nachsann und Nachsann, da überkam ihn endlich eine dunkele Erinnerung, "ls sci^'n es schreckliche Umstände gewesen, unter welchen ihm "lescs Antlitz scholl gegenüber gestanden hatte, schreckliche Um- 278 stände nicht für ihn, wohl aber für einen Menschen, welche" er damals Unsägliches hatte leiden sehen. Vein Rückblick in die Vergangenheit wurde immer heller, und endlich sah er mit den Augen des Gedächtnisses, welchen seine mächtig arabische Phantasie vorzügliche Lebhaftigkeit der Anschauung^ kraft verlieh, ein ähnliches Angesicht, wie jenes, das ihm m>" gegenüberstand, so vor sich, wie es ihm früher einmal erschic' nen war. Es war ein zwar jugendliches, aber ein trauriges, von Schmerz verzerrtes lind von Leiden entstelltes Angesicht-Als er jedoch darüber nachdachte, wem dieses Angesicht gehört habe, da überkam ihn ein Grauen, wie wenn ein 3a>' men, aus dem Grabe entstiegen, plötzlich vor ihm aufgetaucht wäre. Der Jude bemerkte wohl, wie Kadur unter dem Eindruck dieses Grauens einen Augenblick vor Schaudern zitterte un^ nahm schnell das Wort: „Ich weiß, warum Du schauderst. Du glaubst eine" Todten vor Dir zu sehen, denn Du bist abergläubisch, n,üc alle Moslems." „In der That", entgegnete der Andere, „wenn ich nicht gt' Wih wüßte, daß Iehuda ben Taken gestorben ist, so würde ich glauben, daß Du es bist. Aber nun muß ich annehmen, dah Du vielleicht ein Bruder oder naher Verwandter des Ver< storbenen seiest, oder daß die große Aehnlichkeit, welche DU mit ihm besitzest, eines jener seltnen Spiele der Natur bilde, womit sie uns zuweilen in Erstaunen fetzt." „Und wer sagt Dir denn", fragte der falsche Engländer, „daß Iehuda ben Eaten gestorben ist?" „Die ganze Stadt ist Zeuge seines Begräbnisses gewesen"-lautete die Antwort. „Du bist ein ächter Moslem, ein ächter Ianitschare" söhn!" rief der Israelite, „Du denkst, wie alle Algierer, daß 379 die gefallene Regierung der Pascha's ein Ideal von einer wohlgercgclten Herrschaft war, daß alle ihre Unterthanen ihr blind gehorchten und daß Niemand sie zu täuschen vermochte. Aber sieh einmal mich an, ich bin ein lebendiger Beweis da-bon, wie leicht diese barbarische Negierung zu hintergehen War. Ich habe diese Regierung betrogen, und zwar um mein ^eben betrogen, welches sie mir rauben wollte, nachdem sie Mich auf die Folter gespannt hatte. Ich bin Iehuda bcn Eaten, welcher einen Andern an seiner Stelle begraben ließ, nach Marokko entkam, dann nach Gibraltar übersiedelte und Nun nach Algier zurückkehrte, um für das, was ich erlitten habe, Entgeltung zu fordern." Kadur konnte jetzt nicht länger im Zweifel über die Identität des vor ihm stehenden vermeintlichen Engländers Mit dem einstigen algierischen Iuwelenhändler bleiben. Aber, waren auch seine Zweifel über dessen Persönlichkeit gehoben, so war er doch weit entfernt davon, zu ahnen, was der wiederaufgetauchte Iehuda ben Saken von ihm wollen könne. Daß dieser, wenn er von Entgeltung für das Erlittene sprach, wit Rachcftlänen umgehen könne, das war ein Gedanke, welcher zwar Anfangs bei ihm auftauchte, aber vom Standpunkt seiner Kenntniß des eigenthümlichen Charakters dieser afrikanischen Israeliten aus schnell beseitigt wurde. Er konnte sich nur ein Motiv, die Geldgier, denken, welches mächtig genug war, um einen algierischen Juden zu bestimmen, eine weite Reise zu unternehmen und alte, unangenehme Erinnerungen heraufzubeschwören. Daß er sich hierin nicht irrte, sollte ihm durch ben Saken's Antwort auf seine Frage, was !cin Geschäft mit ihm sei, schnell genug bewiesen werden. „Was mein Geschäft mit Dir ist? o Ulid cl Pascha", Mtgegnete Iehuda, „das wirst Du Dir wohl ohne viel Kopfzerbrechens denken können. Ich habe durch die Deinigen viel 280 gelitten, ich bin von Euch Barbaren auf die Folter gespannt worden und, wenn ich noch lebe, so habe ich das keineswegs der Gnade Deines grausamen Vaters, sondern lediglich jene>n Grützchen Mutterwitz zu verdanken, mit welchem die Natur jedes Kind Israels ausgestattet hat, um uns eine Entschä digung für so viele andere Nachtheile, unter welchen wir leiden, zu geben. Wäre ich ein Türke, ein Araber, ein Kabyle oder selbst ein Europäer, so würde ich gewiß jetzt nach einer EnV geltung ganz anderer Art streben, ich würde keinen anderen Gedanken haben, als die erlittene Unbill im Blute der Nach' kommen meiner Peiniger zu rächen; und diese Nache würde mir unter den jetzigen veränderten Umständen vielleicht auch nicht so unmöglich werden, wie ein fanatischer Moslem etwa glauben dürfte. Denn jetzt hat Eure Vevorzugtheit aufge' hört, o Ihr Nachfolger eines falschen Propheten! Jetzt sind Juden und Moslems vor dem Gesetze gleich und wir Israeliten haben vor Euch noch den Vortheil voraus, daß wir über einc Menge von Mitteln verfügen, welche Eurem verarmten Volte gänzlich abgehen. Für Geld kann man heut' zu Tage in Algier Alles bekommen, man kann selbst für den Tod Anderer zahlen. Ich brauchte nur ein halbes Dutzend jener gewissenlosen, aber kräftigen und tollkühnen Abenteurer zu miethen, von denen unsre Stadt jetzt wimmelt, und im Nu wäre Dir und Deiner ganzen Familie der Garaus gemacht." Der Jude glaubte wohl etwas recht Hchreckenerregendes gesagt zu haben, aber er täuschte sich gänzlich, wenn er vermeinte, auf seinen Gefährten dadurch einen einschüchternden Eindruck hervorzubringen. Diesem vermochte der blutige Anschlag, welchen die Worte Iehuda's in Aussicht stellten, nur ein ungläubiges Achselzucken und ein halb mitleidiges, halb ironisches Lächeln zu entreißen. Feigheit kennt der Araber selten, und wenn er auch Anlage zu ihr haben sollte, 281 so würde doch der blinde Fatalismus sie nicht aufkommen lassen. Der kluge Israelite merkte bald, daß er keinen furchtsamen Menschen vor sich habe, aber er schien über den verfehlten Eindruck seiner Worte nicht übertrieben unangenehm enttäuscht. Er hatte dieselben nur aus einer alten Gewohnheit seines unterdrückten Stammes hingeworfen, welche darin bestand, alle thatsächlichen Handlungen in Worten abzumachen und alle blutigen und in die persönliche Freiheit der Mitmenschen eingreifenden Anschläge in einem schwülstigen Redefluß Zu erschöpfen, um alle Energie für das Wichtigere, das heißt für die Pläne auf den Geldbeutel des Nächsten aufzusparen. Er hatte nun seine vorbereitenden Worte gesprochen und wartete nicht weiter auf eine Aufforderung, zur Sache selbst zu kommen, da er wohl wußte, daß die moslemische Gravität und Langsamkeit nicht gestattete, eine solche Aufforderung ergchen Zn lassen, sondern fing nun gleich von selbst an, seinen, Gefährten das Geschäft auseinanderzusetzen, welches sein einziges Motiv gebildet hatte, um diese Zusammenkunft zu suchen: „Du hast wohl davon gehört, o Ulid cl Pascha!" so sprach Iehuda, „daß die französische Regierung, welche jetzt an Stelle der früheren barbarischen Pascha's herrscht, es in einem Stücke diesen ihren Porgängern nicht nur gleich thut, sondern sie auch noch an Eigenmächtigkeit und Rücksichtslosigkeit übertrifft. Die alten Pascha's von Algier nämlich begnügten sich bekannter Weise gewöhnlich damit, die größeren Güter, die fchönsten Häuser, die bedeutenderen Gelder der Familien ihrer Vorgänger einzuziehen, aber sie ließen denselben doch in den meisten Fällen ein ganz anständiges Privatvermögen, welches ihnen gestattete, immer noch eine angesehene Rolle zu spielen. In Deinem Falle hat freilich Hussein 282 Pascha eine Ausnahme gemacht. Vr hat Dir Alles genom-men und Dich genöthigt, bei einem bescheidenen Handwerk ein kümmerliches Auskommen zu suchen. Wenn ich abergläubisch sein wollte, so würde ich in dieser ausnahmsweise harten Vehandlung, welche Dir zu Theil ward, eine gerechte Vergeltung für das sehen, was Deine Aeltern einst an dem armen Iehuda ben Saken gesündigt baben. „Aber nicht allen Deinen Standesgenossen war es nach dem Tode ihrer fürstlichen Erzeuger so schlimm gegangen, wie Dir. Die Nachkommen der drei Herrscher, welche Dei-nem Vater in der Negierung unmittelbar vorangingen, die Söhne Mustapha Pascha's, Omar Pascha's und Hassan Pascha's, hatten von dem ihnen von ihren Aeltern hinterlassenen Vermögen mehr als den vierten Theil, beinahe ein Drittel behalten, und, da dieses Vermögen in allen drei Fällen höchst bedeutend war, so gestattete ihnen selbst der Vruchtheil desselben, den sie aus dem Schiffbruch retten konnten, noch zu den reichsten beuten unsrer Stadt zu zählen. Was glaubst Du aber, was nun die französische Negierung thut? Sie consiscirt alles Bcsitzthum, was den Familien der einstigen Fürsten noch übrig geblieben ist, indem sie Alles, was einst ein Pascha besessen hat, für Staatseigenthum erklärt, und zwar mit vielem anscheinenden Recht vom europäischen Standpunkt aus, da sie der Wahrheit gemäsi behauptet, daß die meisten Herrscher arme ^eute waren, als sie die Negierung antraten und daß alles von ihm zusammengescharrte Vermögen ein Rauh an dem Lande war. Die früheren Regenten von Algier ließen sich freilich durch andere Rücksichten bestimmen, indem sie annahmen, daß es einem Pascha immerhin in einein gewissen Maaße gestattet sei, seine Familie zu bereichern, und indem sie fürchteten, durch das Veispiel der Einziehung des gänzlichen Vermögens der Söhne ihrer Vor» 38:; ganger, einen gefährlichen Präcebenzfall fur ihre eignen Nachkommen zu statuiren. „Die französische Regierung hat jedoch keine solchen Rücksichten zu nehmen. Sie ist, nach der Sprache ihrer Rechtskundigen, eine sogenannte moralische oder juristische Persönlichkeit und eine solche ist in einer Beziehung den Engeln im Himmel gleich, daß hcis;t, sie freit nicht und läßt sich nicht freien, sie zeugt keine linder und kennt keine Aeltern. Deßhalb liebt sie es auch wenig, oder vielmehr gar nicht, Rücksichten auf verwandtschaftliche Verhältnisse Anderer zu nehmen. Aber, wenn sie auch eine juristische Persönlichkeit ist, die sich weder nährt, noch des Schlummers pflegt, noch um ihre Kleidung besorgt zu sein braucht, so besitzt sie doch Bedürfnisse, und zwar viel größere Bedürfnisse, das heißt sie hat unendlich viel mehr Geld nöthig, als alle die handgreiflichen, meist feisten und gierigen Persönlichkeiten, welche vor ihr dieses Land regierten. Um nun diese Bedürfnisse befriedigen zu können, hat sie die angenehme Theorie des FiScus nach Afrika verpflanzt, wo sie bereits viele goldene Früchte zu tragen anfängt. Du weißt vielleicht nicht, was der Fiscus ist, und über diese Deine Unwissenheit würde ich mich wenig wundern, denn ich selbst bin erst vor acht Tagen durch einen unsrer Neligionsgenosscn aus dem Elsaß darüber aufgeklärt worden. Der Fiscus ist eine vielköpfiges Ungeheuer, welches mit hundert Nachen zugleich und einem nie zu stillenden Hunger das Eigenthum aller Staatsunterthanen verschlingt. Es giebt jedoch, wenn ich mich so ausdrücken kann, zwei ver schiedene Arten des Perzehrens. welche diesem Monstrum eigenthümlich sind und da ich, um Dir dieselben anschaulich zu machen, nothwendig wieder zu Vildern meine Zuflucht nehmen muß, so vermag ich Dir keinen besseren Vergleich als den einer Schmetterlingsraupe zu geben. Wie dieses gefräßige 284 Thicrchen von einigen Blättern nur den Rarw abnagt, während cs andere gänzlich bis auf den Stiel aufißt, so greift auch der Fiscus das Eigenthum einiger Staatsunterthancn nur zum Theil an, während er das Besihthum anderer ganz-lich einzieht. Man nennt die erstere Art des Geldemtrcibens die Steuern, die zweite, die Confiscation. Diese letztere findet im Äugenblick in unsrer schönen Stadt Algier eine sehr ausgedehnte Anwendung, einestheils im Bezug auf die zahlreichen Besitzthümcr früherer Moscheen oder öffentlicher Anstalten, welche sich in den Händen einzelner Familien befinden, in denen die Vorstandämter besagter Anstalten schon seit Jahrhunderten erblich gewesen waren, und welche sich gewöhnt hatten, diese Vesitzthümer als ihr Privateigenthum anzusehen, anderntheils in Bezug auf das sämmtliche Eigenthum aller Derer, deren Vorfahren einst die höchste Würde im Staat bekleidet haben, und dieser letztere Fall ist es, mit welchem wir uns hier ausschließlich zu beschäftigen haben, denn dieser Fall geht uns Veide an." „In wie fern er Dich angeht, Iehuda", fiel hier Kadur ein, „das weiß ich nicht, darum kümmere ich mich auch nicht. Wie soll er aber mich angehen, der ich nicht in dem Falle der Söhne Omar Pascha's, Mustapha Pascha's und Hassan Pascha's bin, welche von ihren väterlichen Gütern noch etwas gerettet haben? Denn, wie Du weißt, hat in meinem Falle schon der vorige Pascha jenes System der vollkommenen Confiscation in Anwendung gebracht, welches nun die französische Regierung auf alle anderen einstigen Herrscher'Familien ausdehnt." „Wenn Du behauptest", so fuhr bcn Saken in seiner Rede fort, „daß der vorige Pascha Dir Dein sämmtliches Vermögen genommen hat, so hast Du insofern Necht, als Du unter Vermögen nur die liegenden Güter und die er- 285 sparten Gelder Deines Vaters verstehst, nicht aber, wenn Du dazu auch die Diamanten Deiner Mutter zählen würdest." „Die Diamanten meiner Mutter?" rief Kadur erschrocken aus. Seit vielen Jahren hatte kein Mensch mehr zu ihm von jenen Diamanten gesprochen, ja er schmeichelte sich beinahe schon, daß seine Landsleute deren Existenz vergessen hätten; und nun mußten sie in Verbindung mit der von der Regierung verordneten Confiscation erwähnt werden, und von wem erwähnt? Von einem Menschen, dessen einziges Motiv schmutzige Geldgier sein konnte. Ader, so unangenehm er sich durch diese Erwähnung berührt fühlen mußte, so bemeisterte er doch auch in diesem Falle bald jede Affectsäußerung, welche seine wahren Empfindungen verrathen tonnte, und sagte mit angenommener gleichgültiger Gelassenheit: „Diese Diamanten sind ein unveräußerliches Familien-eigenthum." „Unveräußerlich", entgegnete der Jude, „das ist möglich. Aber sie sind keineswegs vor Confiscation geschützt. Es bedarf nur eines Angebers, welcher die französische Regierung davon in Kenntniß setzt, daß Du aus den Besitzthümern des Pascha's, Deines Vaters, einen höchst kostbaren Schmuck gerettet hast, und schnurstracks werden Deine Diamanten in den Rachen des unersättlichen Fiscus wandern. An einem solchen Angeber wird es aber gewiß nicht mangeln, wenn Du nicht jeder Confiscation dadurch zuvorkommst, daß Du die Diamanten im Geheimen vertaufst und denjenigen, welcher Dein Angeber zu werden droht, mit einein Theile ihres Erlöses bestichst." Auf einmal wurde dem einstigen Prinzen die ganze Natur des Geschäftes klar, welches Iehuda ben Saken mit ihm abzumachen wünschte. Aber er war weit enfernt davon, auf dieses Geschäft eingehen zu wollen, denn, angenommen 286 selbst, daß er sich entschließen könnte, seinem Schwur und sei' nem Versprechen untreu zu werden, welche ihn dazu verpflichte-ten, die Diamanten als ein Familienhciligthum zu bewahren und den Schmuck nur in einem bestimmten, jetzt noch nicht eingetroffenen Falle zu verlaufen, angenommen selbst, daß er sich zu diesem Treubruch gegen sein gegebenes Wort verleiten ließ, so sah er doch nur zu deutlich voraus, unter welchen höchst unvorteilhaften Bedingungen für ihn dieser Verkauf stattfinden mußte, denn einmal würde der Jude gewiß im Voraus, als Preis für sein Stillschweigen, einen großen Theil der Verkaufssumme in Anspruch nehmen und schließlich den armen Kadur höchst wahrscheinlich auch noch um den Rest derselben betrügen. Aber, obgleich fest entschlossen, lieber der Gefahr der Confiscation muthig in's Angesicht zu sehen, als mit dem treulosen Iehuda das erwähnte Geschäft abzuschließen, so stellte ^er sich doch einen Augenblick, als wolle er auf dasselbe eingehen, und zwar that er dieses ausschließlich aus einer seltsamen Ncugierde, um zu sehen, wie weit denn die Prätentionen des Geschäftsmannes sich wohl versteigen möchten. Er fragte deßhalb ganz naiv, was denn Iehuda bcn Saken als seine Commission für den Verkauf und als seinen Preis dafür, daß er sich des Angebcns bei der Behörde enthalte, fordern würbe? „Ich sche, daß Du vernünftig bist", entgcgncte bcn Sa-km. „Ich hätte zwar kaum von einen, Moslem ein so schnelles Eingehen auf meine Geschäftsvorschläge erwartet. Aber ich freue mich desto mehr, daß Du dem alten arabischen Geschäftsgange, welcher Alles in unberechenbare ^änge zu dehnen und die kostbare Zeit durch unendbare Redefloskeln und vorbereitende Formen zu vergeuden liebt, entsagt hast, und da Du so kurz und bündig bist, so will ich es auch sein. Ich will Dir deßhalb meine Bedingungen in wenigen Wor- 387 ten auseinandersetzen. Erstens, lieferst Du mir den Schmuck aus, das heißt wohlverstanden, den ächten, denn nur eines der beiden Schmuckkästchen, welche Du besitzest, enthält ächte Diamanten-. der Inhalt des andern ist falsch, obgleich Deine Mutter, in lächerlicher Eitelkeit, den doppelten Schmuck für ächt erklärte, während die ganze Stadt Algier grade das Gegentheil annahm und Alles für falsch hielt. Ich weiß aber, das; der eine Schmuck ächt ist und dafür, daß der andere falsch ist, habe ich nur zu viel gelitten, um dessen Un-ächtheit vergessen zu haben. Du lieferst mir also den ächten Schmuck aus, ich verkaufe ihn, für welchen Verkauf Du mir cine nur sehr kleine Commissionsgebühr, etwa den zehnten Theil des Werthes zu zahlen brauchst; dann theilen wir den Nest der Verkaufssumme in zwei gleiche Hälften, von welchen Du die eine behalten kannst, während die andere mein Lohn dafür sein wird, daß ich die Behörde nicht davon in Kenntniß gesetzt habe, daß Du aus dein Vermögen Deines Vaters cinen so werthvollen Diamantenschmuck gerettet hast. Du siehst, wie genügsam ich bin und wie gut es ist, mit mir Geschäfte abzumachen." Hätte Kadur im Ernst jemals den bedanken gehegt, auf die Geschäftsvorschläge des Juden eingehen zu wollen, so würden solch' übertriebene wucherhafte Forderungen ihn höchst wahrscheinlich in den heftigsten Zorn versetzt haben. Da er aber blos mit ihm gespielt und ihn lediglich aus Neugierde auf die Probe gestellt hatte, so vermochten Iehuda's Unsinnige Ansprüche ihn nur zu belustigen. Er begnügte sich deßhalb, ihm mit einer beinahe gutmüthigen Ironie zu antworten : „Ja, Du bist sehr großmüthig, o Sohn des Saken! Aber Deine Großmuth ist so maßlos, daß mein Gewissen mir in Deinem eignen Interesse verbietet, von derselben 288 Gebrauch zu machen. Ich würde mir niemals verzeihen können, wenn ich mir den Vorwurf machen müßte, Dich durch ein Dir so unvortheilhaftes Geschäft betrogen zu haben. Du wirst mir deßhalb gestatten, daß ich die Diamanten meiner Mutter einstweilen noch behalte, selbst auf die Gefahr hin, daß Du mich, als deren Eigenthümer, bei der Behörde angiebst und daß diese mir dieselben wegnimmt. Allah Asys! Gott ist allmächtig! Ohne seine Vermittlung kann nichts geschehen und nichts ungeschehen bleiben. Wenn es sein Wille ist, daß ich die Diamanten meiner Mutter verlieren soll, s>> werde ich mich mit jener Resignation, welche jedem guten Moslem eigenthümlich ist, in diesen seinen allerhöchsten Willen ergeben. Und nun, da unser Geschäftsgespräch beendet ist, bleibt mir nichts übrig, als Dir zum Abschied alles nur erdenkbare Gute zu wünschen. Mögest Du der Liebling des Glückes werden, mögen tausend und ein Kameele auf Deinen» Landgute weiden, möge der Wohlgeruch der Rosen und des Jasmins nie in Deinem Garten zu duften aufhören und der Gesang der Nachtigall nie in Deinen Wäldern verstummen !" Mit dieser hyberbolischen Abschiedsformel verließ der arabische Schuhmacher den verblüfften Juden, der sich ein so gänzliches Fehlschlagen seiner Geschäftspläne kaum für möglich gedacht hatte. Die Ironie, welche in Kadurs Worten lag, traf ihn wenig, denn für dergleichen besitzt dieses Geschlecht der afrikanischen Israeliten eine sehr abgehärtete Haut. Wohl aber war das Mißlingen der Geldangelegenheit für ihn ein harter Schlag, dessen Eindruck er tief em-Pfand. Unter diesem Eindruck vergaß er sogar alle seine sonstige Ruhe und Nüchternheit des Temperaments, welche diesem Geschäftsvolke sonst eigenthümlich zu sein pflegt. Ja, so weit vergaß er sich, daß er dein einstigen Prinzen auf die 289 Straße nachfolgte, hinter ihm herlief und ihm folgende Droh-wvrte nachschrie: „O Du verfluchter Sohn eines gottverdammten Vaters Und einer sittenlosen Mutter! Du glaubst meiner spotten zu tonnen! Aber Du sollst bald inne werden, wie sehr ich Dir schaden kann. Noch heute gehe ich zur Behörde und gebe Dich als den Besitzer gestohlener Diamanten an, denn gestohlen hat sie Dein Vater, und gestohlen ist Alles, was Ihr Kinder der gefallenen Herrscher besitzet." Ein Araber läßt sich nicht leicht von irgend Jemand, am allerwenigsten von einen: Angehörigen eines von ihm tief verachteten Geschlechtes beschimpfen. So schwoll auch Kadur der Zorn, als er diese unehrerbietige Anspielung auf seine Aeltern vernahm. Aber, als er sich umwandte, um den Beschimpfer seiner Vorfahren zu züchtigen, da war dieser schon weit. Iehuda hatte mit der seinem Geschlechte eignen klugen Vorsicht sich schleunigst allen üblen Folgen entzogen, welche seine hitzköpfigen Worte nach sich ziehen konnten. Dem Sohn Ali Ehodscha Pascha's blieb nichts Anderes übrig, als seinen Zorn unbethätigt zu lassen und zu versuchen, ihn dadurch abzukühlen, das; er sich nnt neuer Energie der zwar die Muokeln anstrengenden, vielleicht jedoch auf die Nerven beruhigend wirtenden Beschäftigung seines Handwerks hingab. Wenn er darüber in Ungewißheit schwebte, ob Iehuda ben Taten jene vor ihm ausgesprochene Drohung verwirtlichen werde oder nicht, so sollten in diesem Punkte seine Zweifel zu seiner unangenehmen Enttäuschung nur zu bald aufgeklärt werden. Denn noch an demselben Tage erschienen in seiner Behausung vier Soldaten nebst einem Unteroffizier, begleitet von einem Polizeiagenten, und schattenhaft gefolgt von der dunklen, verhängnißvollen Gestalt des Juden. Dieser hatte sich schnell entschlossen, der Angeber 5ladur's zu 10 290 werden, und zwar leitete ihn bei diesem Vorgehen weniger sein Zorn, welcher bereits fast abgekühlt war, als vielmehr die Aussicht auf den Gewinn, welchen die Negicrung jedem Denuncianten von solchem Eigenthum versprach, das der Confiscation verfallen war. Freilich sollte dieser Gewinn ein fehr unbedeutender im Vergleich mit demjenigen fein, welchen er sich aus dem mit dem Diamantcnbesitzer selbst abzuschließenden Geschäfte versprochen hatte. Da dieses jedoch nicht ztt Stande gekommen war, so blieb dem Sfteculanten nichts übrig, als nun den einzigen Vortheil, welcher ihm noch vorschweben tonnte, aus seiner Kenntniß vom Vorhandensein der zur Confiscation bestimmten Edelsteine zu ziehen. Von diesem Gewinn bedang er sich aber mit der ihm eignen Vorsicht die Vorausbezahlung aus und dieselbe wurde ihm auch ausnahmsweise gewährt, da die Behörde ihn als ganzlich in ihren Händen ansah, und im Falle des Mißlingens die bezahlte Summe leicht wieder zurücknehmen zu können glaubte. Iehuda ben Taken hatte nur in der Absicht den Polizeiagenten begleitet, um einem sehr leicht denkbaren Irrthum bei der Confiscation der Diamanten vorzubeugen. Da nämlich ein ächter und ein falscher Diamantenschmuck vorhanden waren und Iehuda den einen wie den andern besser, alö irgend Jemand, kannte, so eignete sich auch Niemand so wie er dazu, dem Agenten den wahren Gegenstand der Confiscation anzudeuten, denn die falschen Diamanten sah die Behörde nicht als der Einziehung verfallen an, dieselben beabsichtigte sie vielmehr großmüthigst dem einstigen Prinzen von Algier zu belassen. Als Kadur diesen so unangenehmen Besuch erhielt, hegte er natürlich am Anfang keinen andern Gedanken, als auf die gewöhnliche arabische Weise dem Einschreiten der Polizei zu begegnen. Diese Weise besteht darin, daß derjenige, wel- 291 chem der Besuch der Polizei gilt, sich so apathisch wie möglich gebärdet, daß er vorgiebt, durchaus nichts davon zu verstehen, was man denn eigentlich von ihm wollen könne, daß er so wenig wie möglich antwortet und wenn er ja zuletzt irgend etwas zu sagen gezwungen wird, daß seine Antwort dann nur aus dem einzigen, stereotypen Satz „Ma narf" (Ich weiß nicht) besteht. Dieses ewige arabische „Ma narf" hat schon manchen' franzosischen Polizeiagentcn zur Verzweiflung gebracht. In der ersten Zeit der französischen Besitzergreifung kam es auch wirklich nicht selten vor, daß die Araber durch ihr System der vollkommenen Apathie ihren Zweck erreichten und sich der Polizist, von dieser vin ii,6»-tiiw besiegt, zurückzog. Aber, wenn in diesem Falle auch der Agent vielleicht im Stande gewesen wäre, aus Verzweiflung über die stoische Passivität des Arabers die Geduld zu verlieren und den Schauplatz seiner unfruchtbaren Nachforschungen unverrichte-ter Sache zu verlassen, so war er doch von einem Mann begleitet, welcher das arabische System zu gut kannte, um nicht alle seine Schliche und Ausflüchte zu durchschauen. Iehuda ben Saken kannte aber nicht nur das Vertheidigungssystem der Araber, sondern er besaß auch noch die ersprießliche Kenntniß anderer Einzelheiten in Bezug auf Sitten und Gewohnheiten der Araber, welche ihm in diesem speciellen Falle sehr von Nutzen sein und ihn mühelos zu seinem Ziele führen tonnte. Eine lange Erfahrung im Umgang mit Arabern hatte ihm nämlich einen so richtigen Einblick in die häuslichen Gewohnheiten dieses Voltes verschafft, daß er im Stande war, mit einiger Bestimmtheit anzugeben, welche Schlupfwinkel in seinem Hause ein Araber am Wahrscheinlichsten zur Aufbewahrung seiner kostbarsten Schätze wählen würde. Da alle arabischen Häuser von Algier nach einem und demselben gleichförmigen Plane gebaut sind, so konnte er 19* 293 leicht seine Kenntnis; über die verborgensten Winkel in andern Häusern im gegebenen Falle auch in der Wohnung Kadurs zur Anwendung bringen. Iehuda forderte also den Polizei-agenten auf, >uit dein Befragen des Hauseigenthümers, aus welchem man doch nie eine befriedigende Antwort herausbekommen würde, keine Zeit zu verlieren lind gleich zur Haussuchung zu schreiten. „Ich kenne", so behauptete er, „genau die Gewohnheiten dieser Leute. Wenn sie ihre Schätze nicht in Gärten oder Feldern vergraben, was sie jetzt der groften Anzahl von Schatzgräbern wegen nur mehr selten thun, so pflegen sie dieselben fast immer in einem oder dem andern Schlupfwinkel, welche in allen arabischen Häusern dieselben und mir wohlbekannt sind, zu verstecken. Solcher durch die stereotype Gewohnheit vorgeschriebener Schlupfwinkel giebt es in jedem maurischen Hause nahezu ein Dutzend und wir müssen, um des Schmuckes habhaft zu werden, mit dem wahrscheinlichsten derselben anfangen und sie dann der Reihe nach untersuchen, bis unsre Nachforschung von Erfolg gekrönt wird/' Der Polizeiagent zollte dem Scharfblick und der erfahrenen Kenntniß des Juden seine Bewunderung und befahl den Soldaten, an denjenigen Orten Nachforschungen anzustellen, welche derselbe bezeichnen würde. Zuerst führte sie der Jude in die Küche. Dort wurdm alle Steine der Fußboden^ beklcidung und des Herdes mit einem Hammer erprobt, ob keiner hohl klingen würde, aber umsonst. In der Küche war offenbar nichts zu suchen. Darauf begab sich die kleine Schaar in ein 'anderes Gemach, welches man gewöhnlich das geheimste des Hauses zu nennen pflegt und das nicht selten den Arabern zum Versteck ihrer Vaarschaft dient. Aber auch dort blieben alle Nachforschungen fruchtlos. Der dritte Schlupfwinkel, welchen Iehuda untersuchen lieft, sollte jedoch 3V ein ungleich günstigeres Resultat bieten. Dieser Schlupfwinkel war nichts Anderes, als der Ziehbrunnen, ein Gegenstand, welchen jedes maurische Haus in seinem inneren, von Säulenarcadcn umringten Hof besitzt. Der erprobende Ham-Mer ließ hier bald dcn gewünschten hohlen HUang ertönen und im Nu war der verdächtige Stein der Brunnenbrüstung ausgehobcn und man entdeckte ein kleines Schränt'chcn, in welchem sich zwei unförmige Packele in groben Paumwoll-swff eingewickelt befanden. „Gefunden!" rief ben Säten triumphirend. „Jetzt haben wir die Diamanten!" Hierin täuschte er sich nicht, denn der Packumschlag war bald entfernt und nun erblickte man zwei sehr schöne Schmuckkästchen, das eine von rothem, das andere von grünem Saffianleder. „Das grüne Schmuckkästchen enthält die falschen Dia manten", rief ben Taken und überreichte dem Polizeiagenten das rothe, welches dieser in Empfang nahm, und eben schon im Vegriffe stand, forttragen zu wollen, als jedoch der Jude ihn plötzlich zurückhielt'. „Ner weift", so sprach er, „ob diese Spitzbuben von Arabern nicht dic Diamanten vertauscht und die falschen in das rothe Schmuckkästchen gethan haben?" Um sich hierüber Gewißheit zu verschaffen, öffnete er das grüne Etui, untersuchte dessen Inhalt genau und gelangte bald zur Gewißheit, daß derselbe in den falschen Diamanten bestehe. Folglich mußte das rothe Schmuckkästchen die ächten enthalten. Aber ein Zweifel kam ihm noch im letzten Augenblick. Vielleicht war das rothe Etui leer, oder mit irgend cincm beliebigen Gegenstand angefüllt worden, welcher gleiches (Gewicht mit den Diamanten besaß. Er bat deßhalb dcn Agenten, der dasselbe nicht wieder aus dcn Händen lassen 2iN wollte, da er eine zu große Bewunderung für dic Schlauheit des Juden hegte, das rothe Schmuckkästchen zu öffnen und nachzusehen, was dasselbe in sich schließe. Dieser folgte der Aufforderung, öffnete das Kästchen, sah, daß es einen Dia' mantenschmuck enthielt, und schloß es dann schleunigst mit den Worten: „Die Sache ist in Ordnung, wir haben die Diamanten." Dann trat die Polizcischaar wieder in die Werkstatt des Schuhmachers ein, durch welche sie aus dem Hof in's Freie schreiten mußte. Eben schickte sie sich an, auch diese zu verlassen, als dem Agenten der Gedanke kam, daß der Jude, welcher allein von allen hier Anwesenden ein Kenner von Juwelen war, ihn vielleicht betrogen und die falschen für die wahren Edelsteine ausgegeben habe. Einen Augenblick stand er im Begriff, beide Schmuckkästchen mitzunehmen. Da er aber eine jener untergeordneteren Polizeiseelen war, welche dem Buchstaben des gegebenen Befehles sklavisch zu gehorchen pflegen und man ihm befohlen hatte, nur einen einzigen Schmuck zu confiseiren, so besann er sich sogleich wieder anders und übergab das Schinuckkästchen mit den falschen Diamanten, das heißt, das grüne Schmuckkästchen, dem arabischen Schuhmacher, indem er sagte: „Diesen Schmuck will Dir die Negierung gnädigst belassen. Du kannst ihn behalten, doch rathe ich Dir, wenn Du dem Gefängniß entgehen willst, ihn nicht ohne polizeiliche Erlaubniß zu veräußern. Es ist möglich, daß ich Befehl erhalte, auch diesen Schmuck abzuholen, und wenn ich ihn dann nicht mehr bei Dir finde, so steht Dir die schwerste Strafe bevor." Darauf entfernten fich die Besucher des armen Kadnr, welche ihm sein letztes Gut, die einzige Hoffnung seiner Familie, davontrugen. Der Jude warf ihm noch zum Abschied 293 einige triumphirende, schadenfrohe Blicke zu und schickte denselben einige jener zärtlichen Schimpfwörter nach, welche die lleine Münze der arabischen Conversation zwischen Leuten verschiedenen Glaubens bilden. Dann aber zog er sich schnell »lit der Polizei zurück, da er keineswegs versucht war, seinen Triumph in einem Zwiegespräch mit dem Schuhmacher weiter zu genießen. Die auserwählte Schaar, mit der kostbaren Beute beladen, begab sich sofort zum obersten Polizcivorstand, um dort den confiscirten Gegenstand zu deponiren. Der Sohn Ali Lhodscha Pascha's war kein eitler Prahler gewesen, als er sich gerühmt hatte, er würde im gegebenen Falle selbst den Verlust seiner Diamanten mit jenem Stoicismus ertragen, welcher dem wahren Moslem eigenthümlich ist. Obgleich er nun glauben mußte, daß man ihm wirklich die wahren Diamanten genommen habe, denn von Seiten des Juden konnte er keinen Irrthum voraussetzen, so war doch sein Kummer über deren Nichtbesitz ein verhä'Itnißmäßig geringer. Ja, wenn man ihm selbst die Wahl gelassen haben sollte, welches von beiden Schmuckkästchen er am liebsten behalten und welches er am Freiwilligsten der Polizei über' lassen wolle, so würde er sich sonderbarer Weise ganz für dieselbe Theilungsart, wie sie nun wirklich stattgefunden hatte, entschieden haben. Denn, obgleich das rothe Schmuckkästchen, wie ihm nun klar geworden war, die ächten Diamanten und folglich einen hohen Geldeswcrth enthielt, so barg doch das grüne einen Gegenstand, welcher für ihn eine unendlich größere Nichtigkeit besaß. Denn er erinnerte sich sehr wohl, daß jener geheimnißvolle Talisman, von welchem ihm sein sterbender Vater als dem letzten Hoffnungsankcr seiner Familie gesprochen hatte, sich in demjenigen Schmuckkästchen befand, welches in seinem Besitze geblieben war. Von diesem Talis-Nian hatte Kadur zwar niemals, nicht einmal zu denen, 396 welche ihm am Nächsten standen, zu seiner Frau und seinen' Sohne, ein Wort gesprochen, aber ihn auch nie aus dem Gedächtniß verloren, und, wenn er manchmal den Zeitpunkt herbeigesehnt hatte, welcher ihn zum Verkauf der Diamanten berechtigen würde, so bildete sein Motiv hierzu keineswegs der Wunsch einer Armuth zu entrinnen, welche er als stoischer Moslem nicht fühlte, sondern lediglich der Umstand, weil er in diesem ausnahmsweisen Falle allein sich berechtigt fühlen durfte, den Talisman seiner Hülle zu entreißen und ein wichtiges Geheimniß, von dem er sich die wunderbarsten Enthüllungen versprach, zu entdecken. Oft zwar hatte er Augenblicke der Versuchung gehabt, das grüne Saffianetui aufzutrennen, um sich des geheimnißvollen Inhalts zu bemächtigen. Da er aber, als ein ächter Orientale, von der Wundcrkraft dieses Talismans überzeugt war und diese Wundcrkraft, dein im Orient verbreiteten Aberglauben zu Folge, wonach die Wirkung der Talismane an gewisse vom Stifter gegebene Bedingungen geknüpft ist, von der getreuen (5rfüllung des väterlichen Willens für abhängig hielt, da er folglich glaubte, daß ein voreiliges Enthüllen des Geheimnisses ihm allen Portheil, den er aus dem Talisman ziehen konnte, entreiften würde, so hatte er der Versuchung bis jetzt ritterlich widerstanden. Nun aber schien ihm der Moment nahe gerückt, da er durch Veräußerung des Inhalts des ihm übriggelassenen Schmuckkästchens das Necht erlangen sollte, jenes kostbare Gut seinem langjährigen Verstecke zu entziehen. Denn in Bezug auf die falschen Diamanten hielt er sich nicht für verpflichtet, jenen unbestimmten Zeitpunkt abzuwarten, von dessen möglichem Eintreten der verstorbene Pascha geweissagt hatte. Diese falschen Diamanten bildeten zwar auch einen verkaufbaren Gegenstand, da aber die Summe ihres Erlöses nur eine sehr geringe sein würde, so war es klar, 297 ^as; man ihn in Betreff derselben nicht um Vieles betrügen tonnte, daß folglich jene außerordentliche Vorsichtigkeit beim Verkaufe, welche ihm sein Vater anempfohlen hatte, bei dem falschen Schmuck nicht ihre Anwendung fand. Um so mehr. hielt cr sich zu dieser Ansicht berechtigt, da er in dem Zufalle, welcher ihm offenbart hatte, welches die ächten und welches die falschen Edelsteine seien, der ihn folglich über einen Punkt aufgeklärt hatte, über den seine Aeltern stets in Unwissenheit geblieben waren, einen deutlichen Fingerzeig der Vorsehung zu erblicken glaubte. Hätte er die ächten Steine noch besessen, so würde er sich nicht zum Verkauf eines einzelnen Schmuckes ermächtigt gefühlt haben; nun waren diese ihm aber geraubt und so hielt er sich nicht mehr durch das dem sterbenden Pascha gegebene Wort gebunden. Leider war ihm jedoch von der Polizei ausdrücklich verboten worden, den ihm belassenen Schmuck ohne ihre Erlaubniß zu veräußern. Aber dieses Verbot hoffte er schnell aufgehoben zu sehen, so bald man sich von der Aechtheit der confiseirten Diamanten überzeugt haben würde. Er sah deßhalb stündlich einem neuen Besuch des Polizeiagenten entgegen, welcher ihm die freie Verfügung über den übriggelassenen Schmuck verleihen werde. Dieser Besuch sollte ihm in Wirklichkeit auch bald werden, aber aus ganz andern Gründen, als dcn von ihm vermutheten, aus Gründen, welche er sich selbst in seinen trübsten Phantasien nie geträumt hatte, und zwar war dieser neue Besuch bestimmt, für den unglücklichen Mann weit verhängnißvollere Folgen zu haben, als irgend ein früheres Ereignis; seines Lebens. Der Polizeidirector von Algier sah sich kaum im Besitz der confiseirten Diamanten des verstorbenen Pascha, als er in seinem officiellen Jubel einen triumvhirenden Bericht an das Ministerium in Paris schrieb, worin er demselben mit 298 allein amtlichen Pathos meldete, daß cs ihm endlich gelungen sei, sich jenes berühmten Diamantschmuckes zu bemächtigen, Welchen der große Ali Chodscha Pascha im Jahre I8il> unsrer Zeitrechnung von dem damalig berühmtesten Pariser Juwelier für eine ganz ungeheure Summe erstanden und dessen Ankauf seiner Zeit so viel Aufschen erregt habe. Der Schmuck solle wenigstens zwei Millionen Franten werth sein und werde gewiß einen schönen Zuwachs zu der Iuwelensammlung des französischen Staatsschatzes bilden und so weiter. Der hochgestellte Polizeibeamte hoffte natürlich, sich durch diesen Fang an allerhöchster Stelle ganz besonders gut anzuschreiben. Als er jedoch seinen pomphaften Bericht beendet hatte, da kam ihm auf einmal ein Scruftel, den er in seinein ersten übermächtigen Jubel gänzlich unbe-rücksichtigt gelassen hatte. Dieser Scrupel war ein sehr natürlicher und der Umstand, daß ihm derselbe nicht früher gekommen war, konnte nur in dem Enthusiasmus seiner ersten Freude über den gelungenen Fang eine Erklärung finden. Jetzt aber, da dieser Enthusiasmus in das erste Stadium der Abkühlung einzutreten anfing, siel ihm ein, daß er ja für die in seinem Briefe angegebene Werthbcstimmung des Schmuckes keine anderen beweisenden Zeugenaussagen besaß, als die Versicherung des jüdischen Angebers und die dunkle öffentliche Meinung einer vergangenen Generation, welcher er selbst allgehörte und welche sich erinnerte, den beiläufigen Werth des vor Zeiten für den Pascha von Algier in Paris erstandenen Schmuckes, als auf zwei Millionen sich belaufend, vernommen zu haben. Deßhalb sah er ein, daß er sich wohl hüten müsse, seinen Bericht nach Paris einzuschicken, ehe er durch Schätzung eines vertrauenswürdigen französischen Juweliers die niedergeschriebene Werthbestimmung bestätigt gefunden hätte. 399 Der Polizeidircctor ließ also denjenigen Juwelier kom-inen, welchen die Behörde für alle ähnlichen Fälle beeidigt hatte und befahl ihm, in seiner Gegenwart die Diamanten abzuschätzen. Der Juwelier öffnete das Kästchen, sah die Diamanten aufmerksam an und schien sich an ihrem Anblick nicht genug weiden zu können. Etwas so Schönes hatte er seit seiner Ankunft in Algier noch nicht zu Gesicht bekommen. Er nahm den Schmuck aus dem Etui, hielt ihn an's Licht, labte sich an seinem Glänze und schien so verliebt in denselben, daß er darüber ganz vergaß, dem Polizeidirector eine Antwort zu geben, so das; dieser endlich ungeduldig wurde und ausrief: „Aber was Teufel! Sie gerathen ja wahrhaft in Exstase! Ich habe Sie aber nicht blos deßhalb kommen lassen, um Ihnen die Diamanten zu zeigen, und keineswegs darum, um Zeuge ihres Enthusiasmus zu werden, sondern damit sie dieselben nach ihrem wahren Werthe gewissenhaft abschätzen, zu welchem Zwecke Sie von der Behörde beeidigt worden sind und wofür Sie gute Bezahlung erhalten." Der Juwelier schien unangenehm berührt von diesen Worten. Er sah den Polizeidircctor eine Zeit lang fragend an, dann erwiderte er: „Ich hätte nicht geglaubt, daß die Behörde, nach meinen langjährigen Diensten, noch so mißtrauisch gegen meine durch lange Uebung erworbene Geschäftstenntniß sein könne, um mich auf eine solche Probe zu stellen." „Eine Probe?" fiel der Director ein. „Was fabeln Sie da von einer Probe? Kein Mensch will sie auf die Probe stellen. Wir wissen wohl, daß es in Algier keinen besseren Iuwelentcnner giebt, als Sie. Sie sollen die Diamanten des Pascha abschätzen." Der Juwelier warf nochmals einen fragenden Blick erst 300 auf den Director, dann nach dem Schmuckkästchen hin, als ob er dasselbe zum Zeugen aufrufen wolle. Darauf sagtc er ruhig und gelassen: „Wenn ich Diamanten abschätzen soll, so muß ich bitten, mir dieselben zu zeigen." „Aber Sie haben sie ja in der Hand!" rief der Beamte ungeduldig. Der Juwelier begnügte sich mit der ^ragc: „Also Sie glauben wirklich, Herr Director, daß das Diamanten sind?" „Natürlich! Es sind die berühmten Diamanten Ali Chodscha Pascha's, welche zwei Millionen werth sein sollen. Glauben Sie, daß diese Werthbestimmung genau ist?" „Ich sehe jetzt", so entgcgnctc der Goldschmied, „worum es sich handelt. Anfangs glaubte ich, man wolle mich auf die Probe stellen, um zu sehen, ob ich Wahres von Falschem unterscheiden könne. Nun merke ich jedoch, das; man von mir verlangt, den Werth eines Originals nach der Covic zu bestimmen. So weit geht aber die Kenntniß keines meiner Fachgenossen. Ich muß inständigst bitten, mir das Original zu zeigen." „Das Original? Was wollen Sie damit sagen?" „Ich meine die wirklichen Diamanten Ali Chodscha Pascha's. Das, was ich da in der Hand habe, ist nur eine sehr schöne, sehr geschickte, im höchsten Grade kunstvolle Nachahmung, so getreu und natürlich, daß ich bei ihrem Anblick meines Enthusiasmus kaum Herr werden konnte, welchen Enthusiasmus Tic, Herr Director, bemerkt haben und den Sie meiner Bewunderung des reinen Wassers der Steinc zuschrieben, während er in Wirtlichkcit nur meine Huldigung vor dem Genie eines meiner geschicktesten Fachgcnosscn zum Grunde hatte." 301 „Also", rief der Director verblüfft, „diese Diamanten sind falsch?" „So falsch, wie sie nur sein können, aber ihre Falschheit ist nur von einem sehr geübten Kennerblicke zu entdecken." Der Polizeivorstand war ein Mann von entschlossener Und rascher Handlnngsweise. So war es für ihn ein Werk des Augenblicks, den Agenten, welcher die Confiscation vorgenommen hatte, herbeizurufen, auszufragen und ihn nach der Wohnung des Schuhmachers abzuschicken, um demselben den einen Diamantenschmuck, den man als falsch erkannt hatte, zurückzubringen und den andern, welcher der ächte sein wußte, abzuholen. Zugleich befahl der Director seinem Un« tergebcnen, sich der Person des Juden zu bemächtigen, welcher dafür, daß er der Behörde gegenüber einen falschen Schmuck für den ächten ausgegeben hatte, zur Rechenschaft gezogen werden mußte. Auf diese Weise war es gekommen, daß der arme Kadur so bald wieder den Besuch der Polizei erhalten hatte. Zu seinem Erstaunen erfuhr er, daß er, ohne es zu ahnen, die Wirklichen Diamanten bis jetzt in seinein Hause besessen und daß die Negierung sich bei der Confiscation geirrt hatte. Die Diamanten waren ihm übrigens so gleichgültig geworden, daß die Wegnahme der wahren und die Rückerstattung derjenigen, welche er nun mit Gewißheit für falsch halten konnte, fast spurlos an ihm vorübergegangen sein würde, hatte nicht ein anderer Umstand damit in Verbindung gestanden, der für ihn ungleich wichtiger war. Die unerbittliche Polizei nahm ihm nämlich nicht nur den Schmuck selbst, sondern leider auch dessen Behälter weg. Umsonst bat der arme Schuhmacher, ihm das grüne Etui zu lassen und statt dessen das rothe wegzunehmen, nachdem man den Inhalt des nnen mit dem andern vertauscht haben würde. Grade die- 302 fer Umstand erschien dem Agenten verdächtig und machte ihn desto erpichter darauf, dem Buchstaben des Befehles getreu zu handeln, welcher dahin lautete, das grüne Etui sammt dessen Inhalt zu confisciren. Der arme Kadur sah mit trüben Augen, wie man den Behälter, welcher seinen Talisman einschloß, davon trug und jetzt erst war für ihn das kostbarste Gut, der langjährig bewahrte theuerste Familienschatz, das geheiligte Kleinod, dem er eine abergläubische Bedeutung beilegte, verloren gegangen. Alle bisherigen Schläge des Schicksals hatte der Sohn Ali Chodscha Pascha's mit Gleichmuth und stummer Ergebung m den Willen seines fatalistischen Gottes ertragen, aber dieser letzte Schlag, der Verlust seines Talismans, war zu hart für ihn. Zwar auch in diesem verzweifelten Falle gab cr sich Mühe, seine Seele zu jenem Stoicismus zu zwingen, welcher das Grundgesetz des Islam ist, aber diese arme Scelc war einer solchen >iraftanstrengung leider nicht mehr gewach' sen. Wie ein metallener Ofen, welcher zwar einen gehörigen Grad von Gluth vertragen kann, dennoch zuletzt, wenn dic-ser Grad überstiegen wird, einen Sprung bekommt, so bekam auch Kadurs Seele, deren Maaß im Ertragen der Unbill endlich erschöpft war, jetzt einen Riß, und durch diesen Riß nahm der Verstand des Vielgeprüften seinen Flug in höhere Regionen, um, wie die Moslems glauben, von nun an bci Allah im Paradiese zu weilen, während die körperliche Hülle allein auf Erden zurückblieb. An demselben Abend erklärte der Schuhmacher seiner Familie, welche nur aus zwei Personen, seiner Frau und seinem Sohne, dem jungen Abd-cr-Nahman, bestand, daß " die Nacht im Freien, auf einem Hügel in Algiers Nähe zuzubringen gedenke, weil ihm Allah geoffenbart habe, daß die Sonne heute um Mitternacht scheinen werde. Am andern 303 Morgen kehrte er von dem Hügel zurück und wußte nicht genug wunderbare Dinge von semen nächtlichen Besichten zu melden. „Mir ist", so erzählte er, „heute Nacht eine große Gnade widerfahren. Der Engel Gabriel ist mir erschienen und hat mir geoffenbart, daß ich zum Heiligen auserkoren sei. Er hat mir geboten, von nun an teinc Kleider mehr zu tragen und als gotterwählter Derwisch in den Wüsten herumzuirren und den Vögeln und wilden Thieren zu predigen." Nach diesen Worten entledigte Kadur sich seiner Gewände und war nur mit großer Mühe zu bewegen, wenigstens das polizeilich vorgeschriebene Lendentuch zu behalten. Dann segnete er seine Familie und folgte dem Rufe des Geistes, welcher an ihn ergangen war. Er verließ sofort die Stadt und irrte von nun an bald in Wäldern, in Wüsten, auf öden Felsen oder in unwirthbaren Schluchten umher, kam auch manchmal wieder in die Nähe der Stadt, deren Bewohner er in Schrecken setzte und mit Ehrfurcht erfüllte, aber «us all' seinen Irrfahrten begleitete ihn die Verehrung der gläubigen Moslems, welche jeden Wahnsinnigen für einen Heiligen halten, und ihn, wenigstens in Nordafrika, mit dem ehrwürdigen Namen „Derwisch" anreden. In Europa pflegen die Angehörigen eines Wahnsinnigen diesem nicht zu gestatten, frei herumzugehen, sondern ihn einer Anstalt zur möglichen Heilung zu übergeben. In Afrika Und bei Mohammedanern ist das anders. Der Wahnsinnige steht höher, als alle übrigen Menschen, er ist von nun an kaum mehr ein irdisches Wesen, sondern ein verzückter Heili-Ner, dessen Geist im Himmel weilt und dessen Körper auf ^rden Zeugniß von der Gnade Gottes ablegt. Alles, was der wahnsinnige Heilige oder Derwisch thut, ist eine unmittelbare Eingebung des göttlichen Willens, und sich einer solchen widersetzen, wäre die gröbste Verletzung der himmlischen 304 Gebote. Abd-er-Rahman und seine Muwr waren zu gutc Äloslenis, um dem Willen der Gottheit auch nur im Gering-sten zu widerstreben. Sie verehrten die göttliche Vorsehung, welche ihrer Kamille eiue große Gnade erwiesen, indem sie das Haupt derselben zum Heiligen erkoren hatte. So ließen sie denn den Soyn Ali Chodscha Pascha's thun, was er wollte, und hingehen, wohin es ihm beliebte, wohlwissend, daß die Frömmigkeit der Gläubigen ihn an nichts Mangel leiden lassen, sondern ihn im Gegentheil mit Allein, was dic Erde Bestes besitzt, reichlich uersorgen würde. In ihren Augen hatte Kadur nun eiue höhere Rangstufe erstiegen, als sein Vater, der Pascha, jemals eingenommen hatte. Er war mehr, als ein Fürst, reicher, als ein Krösus, herrlicher, als der Mächtigste auf Erden und seine Familie durfte auf diesen stolzer sein, als auf irgend einen andern ihrer Vorfahren. Hier verlieren wir einstweilen Kadur aus den Augen, welcher von jetzt an fern von dem Schauplatz unsrer Erzählung da« ^eben eines wahnsinnigen Heiligen oder Derwischs führte. Ob wir ihn jemals wieder zu Gesicht bekommen werden, das wird das Ende dieser Geschichte enthüllen. Da jedoch die Familie eines Heiligen nicht immer selbst aus lauter wahnsinnigen Mitgliedern oder vielmehr aus Hei' ligen besteht, sondern sehr oft im Besitz ihres Verstandes bleibt, so fallen dieser nicht alle jene irdischen Vortheile zu, welche ihrem Haupte in seiner religiösen Eigenschaft zu Theil werden. Die Mildthätigkeit der Gläubigen hört gewöhnlich dann auf, eine solche Familie zu ernähren, wenn der große Heilige sich aus ihrem Kreise entfernt hat, und begnügt sich von nun an damit, dieselbe mit Hochachtung und Verehrung abzuspeisen. Da jedoch der Mensch leider nicht von Hoch' achtung und Verehrung allein leben kann, sondern unglü«5 licher Weise auch des irdischen Tandes bedarf, so sah sich der 305 Sohn Kadurs nun genöthigt, in dcr Fortsetzung dcs väterlichen Handworks cine Ernährungsquelle für sich und seine Mutter zu suchen. Diese Ernährungsquelle floß zwar nur sparsam, wie ein dünner, schmächtiger Wasserstrahl, aber der Äeiß und die Ausdauer dcs jungen Abd-cr-Nahmcm machte, baß sie doch genug Wasser gab, um beide vor dem Verschmachten zu retten. Abd-er-Nabman stand jetzt ungefähr in seinem sieben-zchnten oder achtzehnten Lebensjahre, das heißt er war bereits ebenso männlich entwickelt, als ein junger Europäer es in seinem zweiundzwanzigsten Jahre zu sein pflegt. Er konnte Wohl als ein Typus seines Volkes und seiner Altersgenossen, Und zwar als ein vortheilhafter Typus betrachtet werden. Nicht, als ob sein Körper sich durch auffallende Schönheit ausgezeichnet hatte, aber er war in jeder Veziehung edel und harmonisch. Sem Gliedcrbau hätte einem Bildhauer zum Modell für einen jugendlichen Herkules dienen können, jedoch keinem Künstler wäre es eingefallen, ihn etwa für einen Naechus oder Apollo sitzen zu lassen, so ganz fehlte seinem Körper jene weichliche Geschmeidigkeit, welche diese beiden Schöpfungen dcs antiken Kunstgeistcs zu charatterisircn scheint. Kraft war der Ausdruck seiner körperlichen Individualität, während ihm doch auch nicht jene Anmuth abging, welche der Noch nicht durch Mode und falsche Civilisation verkünstelten Und verfälschten Jugend innewohnt. Sein Angesicht hatte jene geschwollene Gedunsenheit verloren, welche dem Knabenalter bei ben Stadtarabern eigenthümlich ist, und zeigte nun jene sehnige, lrüftige Magerkeit der Züge, welche, wenn sie, wie es bei ihm der Fall war, mit großer Regelmäßigkeit gepaart ist, den Adel der ^iesichtsformen in voller männlicher Pracht offenbart. Das Haupt trug er nach algierischcr Sitte glatt geschoren, nur auf dem äußersten Scheitel mit dem kleinen 20 306 rothen Fes bedeckt, und so hinderte nichts den Beobachter daran, das glückliche Verhältniß seiner geistigen Organisation aus den ausdrucksvollen Formen seines Schädelbaues herauszulesen. Der Beobachter, welcher aus dieser edlen Schädel-bildung eine günstige Folgerung abgeleitet hätte, würde sich auch in seinen Schlüssen nicht geirrt haben, denn der Charakter und die Gemüthsart des jungen Mannes offenbarten sich in der That so vortheilhaft, als es bei der mangelhaften Entwickelung in den Verhältnissen, unter welchen er aufgewachsen, nur immer möglich sein konnte. Diese Verhältnisse waren allerdings sehr einseitig für den Bewohner einer Stadt, welche bereits anfing, zur Hälfte europäisch zu sein. Sein Vater war ein Moslem von alten» Schlage gewesen und hatte ihm teine andere Erziehung geben lassen, als die gewöhnliche arabische, welche im papageimäßigen Auswendig' lernen des Korans besteht. Von der Sprache, den Sitten, den Gesetzen der Franzosen besaß er kaum eine Ahnung, und doch lebte er in einen; ^ande, von Franzosen beherrscht, und konnte täglich mit Mitgliedern der herrschenden Nation in Berührung kommen. Dieser Umstand sollte ihn in Gefahr bringen, das Opfer einer Intrigue zu werden, mit welcher wir uns gleich zu beschäftigen haben werden, und deren Ausführbarkeit durch zwei Fehler des jungen Mannes noch begünstigt wurde. Diese Fehler waren freilich bei einem Jung' linge leichtverzeihliche, nämlich eine große Vorliebe zum schönen Geschlecht und eine gewisse Eitelkeit, welche machte, daß er sich leicht einbildete, von den Schönen ausgezeichnet und bevorzugt zu werden, zwei sehr gewöhnliche Fehler, welche bei den meisten Jünglingen nur Lächerlichkeiten znr Folge haben, welche ihn jedoch noch weiter führen konnten-Nei einer so mangelhaften Erziehung nach europäische Begriffen wird man verstehen, daß Abd-er-Nahman durch 307 Alles, was ihn nut Franzosen, mit französischen Sitten und Gesetzen in Verbindung bringen konnte, in Verlegenheit gesetzt wurde. Eine solche Verlegenheit sollte ihm bald durch «inen Besuch desselben Polizeiagentm bereitet werden, welcher seinem Vater so verhängnißvoll geworden war. Dieser Mann war kaum in den Besitz der, wie er mit Bestimmtheit annähn:, wirtlichen Diamanten Ali Chodscha Mascha's getreten, als er sich beeilt hatte, dieselben in das Amtslocal seines Vorgesetzten zu tragen. Der Director zeigte sich nicht wenig über diese schnelle glückliche Wendung erfreut Und wollte auch diesesmal im ersten Jubel seinen früher niedergeschriebenen Bericht nach Paris abgehen lassen. Aber Mlch diesesmal gab er der Stimme der Vorsichtigkeit Gehör Und ließ zuerst den beeidigten Juwelier kommen, um die Diamanten abzuschätzen. „Jetzt", so rief er diesem triumphircnd zu, „haben wir bie ächten Diamanten des Pascha! Sehen Sie dieselben nur an! Ist cs nicht gleich auf den ersten Blick klar, daß diese bie wahren Steine sein müssen?" Der Juwelier nahm das Schmuckkästchen und beobachtete seinen Inhalt genau. Dann sagte er zu dcm erstaunten Dircetor: „Ich muß wohl glauben, daß Sie jetzt die ächten Dia-Manten haben, da Sie dieses mit so vieler Zuversicht behaupten. Aber Sie besitzen eben nicht nur die ächten, die wahrscheinlich wohlaufbewahrt in einem Schrank ruhen, sow ^ern zugleich auch die falschen, und das, was Sie mir hier ^ie Güte haben zu zeigen, sind eben wieder die falschen. Ich ^uß deßhalb meine Bitte wiederholen, mir endlich einmal ^ie ächten zu zeigen." Der Polizeivorstand war wie vom Schlage getroffen: „Wie?" rief er, „auch diese Diamanten siud falsch?" 20^ 3l>8 „So falsch, wie die andern, welche man mir zeigte, wenn es nicht eben wieder dieselben sind", entgegnetc dcr Gold-arbeiter. „Nun in's Teufeln Namen!" schrie dcr Director, „dann fange ich an zu glauben, daß es gar teine ächten giebt. Aber dieser Sache muß ich auf die Spur kommen. Sie muß gerichtlich untersucht werden." Der Director war, wie gesagt, ein Mann, bei dem die That rasch auf den Entschluß folgte. (5r that schnell die gesetzlichen Schritte, um eine gerichtliche Untersuchung einzuleiten. Zuerst ließ er den Sohn Kadurs und dessen Mutter festnehmen-Der Jude saß bereits im Gefängniß. Dann wurden allc alten Moslems zusammengetrommelt, welche noch aus der Zeit Ali Chodscha Pascha's übrig waren und aus deren Zeugenaussagen man hoffte etwas über die Wahrheit zu ermitteln. Die gerichtliche Untersuchung ging also von Statten. Zuerst wurden die Angehörigen kadurs befragt. Dieselbcn wußten jedoch nicht das Geringste auszusagen, sie hatten von der Existenz der Diamanten, wclche der Pascha'ssohn stets geheim gehalten, erst im Moment ihrer Confiscation zum ersten Male etwas erfahren. Alle Kunstgriffe der französi schen Advocaten vermochten weder aus dem jungcn Abd-er-Rahman, noch seiner Mutter irgend ctw^s heranzubringen, was über den Vorfall mit den Diamanten einiges ^icht verbreiten tonnte. Dann lam die Neihe an den Juden. Von diesen» erwartete man, seinem Vorgehen gemäß, bestimmt die Aussage, daß er von der Existenz eines ächten Diamantschmuckes wisse. Aber mit Ichuda ben Saken war eine große Veränderung vorgegangen. Die französische Behörde hatte ihn nicht nur eingesperrt, sondern ihm auch den im Voraus enn 309 Pfangenen Angeberlohn wieder abgenommen. Diesen Lohn, das wußte er, würde er jetzt nicht wieder zurückbezahlt be^ kommen, da die Vehorde ihn als einen Betrüger ansehen mußte, da sie es für bewiesen oder wenigstens leicht beweisbar hielt, d.aß er, von dem Vorhandensein eines ächten Schmuckes wis^ send, den falschen ausgeliefert hatte. So kam es, das; ihm nun daran gelegen war, an einen Irrthum von semer Seite glauben zu machen, da ein solcher nicht bestraft werden konnte, während ihm für den Betrug, wenn ein solcher erwiesen werden sollte, noch eine gerichtliche Vestrafung bevorstand. Nen Säten sagte also zum Erstaunen der Polizeibeamten und Nichter ungefähr Folgendes aus: „Gestrenge Herren! Verfahrt nicht zu grausam mit einem armen Manne, welcher ebensowenig, wie alle übrigen Nenschen, vor Irrthum gesichert ist. Ich habe allerdings ausgesagt, daß .Nadur ben Ali Ehooscha Pascha den ächten Diamantschmuck seiner verstorbenen Mutter noch besitze. Da es aber nun erwiesen ist, daft der doppelte Schmuck aus falschen Steinen besteht, so muß ich wohl glauben, das; der schlaue Pascha, denn diese Moslems sind Pfiffiger, als man glaubt, aus irgend einem Grunde im Geheimen den ächten Schmuck vertauft und einen falschen an seiner Stelle hat verfertigen lassen, um ihn zusammen mit dein andern falschen, selchen er bereits befaß, aufzuheben. In der That erinnere uh mich jetzt, in meiner Verbannung in Marokko gehört zu haben, das; im letzten Ztegierungojahrc Ali Ehodscha's eine llroße Sendung von Juwelen nach Europa abging. Gewiß lvaren unter denselben auch die wahren Diamanten des Mascha, welche ich einst für ihn gekauft hatte, begriffen lMuesen. Diese letztere Behauptung machte zwar dem Erfindungs-Neiste ben Sakens, nicht aber seiner Ehrlichkeit Ehre, denn 310 an derselben war auch nicht cm wahres Wort. Da sic ih>n aber den Beweis seiner Unschuld sehr zu vereinfachen schien, so stand er nicht nur an, sie durch einen Meineid zu bekräftigen, sondern er hatte auch noch einen Entlastungszeugen mit zu Gericht gebracht, einen andern algierischen Juden, welcher nun hoch und theuer schwur, selbst den Verkauf der Diamanten auf Befehl Ali Chodscha's in Europa bewerkstelligt zu haben. Die Aussage dieses letzteren Zeugen war allerdings sehr verdächtig. Da aber die Berichte der alten Araber, welche aus Ali Chodscha's Zeit noch übrig geblieben waren, allc einstimmig dahin lauteten, daß die ganze Etadt Algier niemals den dovvelten Schmuck der Pascha'sgattin für ächt, sondern vielmehr beide Diamantengarnituren für Nachahmungen gehalten habe, so konnte man doch nicht umhin, ihr einigen Glauben beizumessen. Die Sache wurde also dahin erledigt, daß ben Eaken einen strengen Verweis erhielt, dafür, daß er der Polizcl eine ungerechtfertigte Angabe gemacht habe, daß man aber ihm sowohl, als den Angehörigen Kadurs die Freiheit wi^ dergab, und daß man beschloß, die falschen Diamanten, welche keinen confiscirbaren Gegenstand bildeten, ihrem rechtmäßigen Eigenthümer zurückzuerstatten. So kam also Abo-er-Rahman, als der Stellvertreter seines wahnsinnigen Vaters, nun in den Besitz der beiden Schmuckkästchen und ihres falschen, für ihn völlig werthlosen Inhalts, denn von der Existenz eines Talismans in deM Etui des einen Schmuckes besaß er nicht die geringste Ahnung-Ge»n hätte er nun diese Gegenstände veräußert, um a«s ihrem Verkauf die bescheidene Summe zu erlösen, welche f^' Nachahmungen von Edelsteinen zu erlangen ist. Aber er betrachtete sie nicht als sein, sondern als seines Vaters Eigen' 3l1 thum und, um ihn diesen lobenswerthen Scruftel überwinden zu lehren, dazu besaß das Motiv der Geldnot!) nicht Macht genug über die Seele des jungen Mannes. Freilich sollte bald ein andres Motiv, das mächtigste von allen, sich dieser Ceele bemächtigen, welches ihn nicht nur diesen Scruftcl zu überwinden, sondern ihn selbst seinen eignen Vortheil gänzlich aus den Augen zu lassen bewog. Die Folge jener öffentlichen gerichtlichen Verhandlung war natürlicher Weise die gewesen, daß nun die ganze Stadt mehr als jemals von der Falschheit der Diamanten Abd-er-Rabmans überzeugt war. Er selbst und seine Mutter mußten ebenfalls an deren Unä'chtheit glauben. Aber wenn auch die ganze Stadt daran glaubte, so fand sich doch ein Mann in derselben, welcher allein noch an der Nnächtheit beider Schmuckgegenstände zweifelte, und dieser Mann war Niemand anders, als Iehuda ben Saken. Dieser wußte nur zu gut, daß er gelogen hatte, als er vorgab, an den Verkauf der ächten Diamanten zu glauben. Er wußte, daß die ächten wirklich existirt, und war davon überzeugt, daß dieselben niemals Algier verlassen hatten. Wo sollten sie sich also anders befinden, als im Hause und im Besitze der Rachkommen Ali Ehodscha Pascha's? Sich dieser gcheimnißvollen Diamanten zu bemächtigen, das war nach wie vor sein vorzüglichster Wunsch, sein sehnlichstes Streben. Wie aber in ihren Besitz gelangen? Gewiß befanden sie sich in den Händen des jungen Abd-er-Nahman, so dachte der Jude, und zwar nahm er an, daß trotz aller Umsicht und Vorsichtigkeit der französischen Behörde dieselbe dennoch bei der Confiseation der Schmuckkästchen und ihres Inhalts von den Arabern hintergangen worden sei. „Die Araber", so sagte er bei sich selbst, „haben im Betrügen vor uns den großen Vortheil voraus, daß man sie 3!2 im Allgemeinen für viel zu schwerfällig, zu naiv und kindisch hält, um irgend einen verschmitzten, betrügerischen Plan fas' sen und »»it der nöthigen Schlauheit durchführen zu können, Von ihnen wird ein Franzose vielleicht wohl einen plumpen Ve-trug, welcher leicht zu entlarven ist, nie aber einen feinen Ueber-listungsplan erwarten. Dieser Umstand kam auch in diesem Falle der Familie Ali Chodscha Pascha's zu Statten. Dic Polizei traute derselben keinerlei Listanwendung zu und in diesem Glaube!» beging sie die Unvorsichtigkeit, nur einen einzigen Juwelier zu Nathe zu ziehen, welcher leicht von jener Familie durch die Allssicht auf Gewinn, welcher ihm nach Verkauf der ächten Steine zufallen würde, bestochen sein tonnte. Zudem giebt es unter diesem anscheinend so einfachen Volke einzelne Individuen, welche es in der Taschenspieler-tunst weiter, als irgend ein Europäer, gebracht haben. Alan braucht mir die Gaukeleien der Issaua, welche das Volk für eine Wunderwirtende religiöse Seete hält, deren vermeintliche Wundertraft aber nur in außerordentlicher Fingerfertigkeit und in einen: staunenerregenden Täuschungsvermögen besteht, anzusehen, um inne zu werden, was für vollendete Taschenspieler einzelne Araber sind. Wer weiß, ob nicht iladur oder fein Sohn, oder irgend einer ihrer nächsten Freunde ein der' artiges Geschick besaß, um bei den verschiedenen Confiscationen, von der französischen Polizei unbemerkt, jedesmal dic falschen Diamanten den wahren unterzuschieben? Zwei Dingc sind also möglich, entweder haben die Araber durch Bestechung oder durch Taschenspielerei die französische Behörde überlistet. Bei dieser Ueberlistung kam ihnen noch die kurzsichtige öffentliche Meinung, welche auch diesesmal, wie immer, von einem Extrem in's andre verfiel, und da sie nicht die beiden Dia-manteugarnituren für ächt ansehen konnte, das Gegentheil annahm, nämlich daß der doppelte Schmuck falsch sei, sehr 313 zu Statten^ und die Behörde beging in Bezug darauf die weitere Unvorsichtigkeit', das; sie nicht die Hohlheit dieser öffentlichen Meinung durchschaute, und daß sie nicht einmal auf den Gedanken kam, daß dieselbe von einseitigen Vorur-theilm beeinflußt, ja daß sie möglicherweise nur gespielt sein konnte. Die Araber Pflegen stets einander in allen ihren Rechtshändeln urt der Regierung beizustchen. Es ist wahr, das dumme Volk glaubte schon zu Zeiten Ali Chodscha Pascha's an die Unächtheit des doppelten Schmuckes. Aber gewiß waren einzeln« klügere Männer, von denen manche jetzt noch geachtete Aenckr bei der Moschee oder den arabisck'en Gerichten betleiden, und deren Stimme folglich mehr Gewicht hat, als die der ganzen übrigen Menge, von dem Gegentheil überzeugt, und dennoch stimmte ihre Aussage mit der allgemeinen überein. Was ist also wahrscheinlicher, als daß ihre Aussage gewissenlos war, als sie behaupteten, nie etwas andres gehört zu haben, als daß der doppelte Diamantenschmuck unächt sei. Ich weih aber nur zu gut, daß der eine Diamantenschmuck ächt war, und da er nicht durch ein Wunder vertauscht sein kann, und die Araber keinen zweiten fal« schcn Schmuck an der Stelle des einen ächten verfertigen konnten, so ist es llar, daß Abo-er-Rahman jetzt noch die ächten Diamanten sänes Großvaters besitzen muß. Freilich wird es mir schwer werden, in deren Besitz zu gelangen, aber daß ich in ihren Vejitz kommen muß, das steht bei mir fest. Verkaufen wird sie Nd-er-Nahman jetzt nicht, da cr sie als das Eigenthum seines wahnsinnigen Vaters ansieht, welcher jetzt Derwisch geworden, und dessen Wahnsinn und Heiligkeit meiner Ansicht nach mr gespielt ist. Aber vielleicht giebt es ein andres Mittel, eil Mittel, welches die eben erwachenden Leidenschaften des juigen Mannes mit in's Spiel Zieht, 3l4 mit Hülfe dessen es gelingen möchte, dem Cnkel des Pascha seinen Schmuck abzulisten." Unter solcherlei Gedanken reifte allmählich in dem verschmitzten, spitzfindigen Gehirn ben Satens ein neuer Plan, welcher ihn, seiner Meinung uach, unfehlbar zur Erlangung seines Zieles führen sollte. Dieses Ziel lief diesesmal darauf hinaus, sich des doppelten Schmuckes zu gleicher Zeit zu bemächtigen, das heißt nicht eines Scbmuckes nach dem anderen, da er mm von der Taschcnspielertunst der Familie Kadurs im Unterschieben eines Schmuckes an der Stelle des andern überzeugt zu sein glaubte. Von einer andern Sache war er gleichfalls jetzt vollkommen überzeugt, vollkommener vielleicht, als sein eben mitgetheiltes Selbstgespräch andeuten mochte, nämlich davon, daß Abd-er-Rahman wirklich noch den doppelten, den ächten wie den falschen Schmuck besitze und daß dieser doppelte Schmuck kein anderer sei, als der, welchen die französische Behörde, durch betrügerische Abschätzung oder falsche Zeugen oder durch beides zusammen in allen zwei Exemplaren für unächt erklärt hatte. In welcher neuen List, in welchen neuen Kniffen der jetzige Plan ben Sakens bestand, das brauchen wir hier einstweilen nicht naher auseinander zu setzen, da es sich aus dem Kortlauf unsrer Geschichte von selbst ergeben wirb. Um diesen Zeitpunkt war es, daH Algier, welches bereits für ein gesichertes Vesitzthum dc» französischen Nation galt, anfing, die Aufmerksamkeit und Neugierde europäischer Touristen zu erregen. Äm Anfang unmittelbar nach der Besitzergreifung hatte sich nur elendes Lumpengesindel, der Abschaum der Menschheit, Leute, we'chc sich alle durch einen sehr schwindsüchtigen und fadenscheinigen Geldbeutel und eine große Gier, denselben aus den haschen der Araber oder durch Betrügereien der Behörden, falsche Lieferungen, durch 315 Wucher, unerlaubte Sfteculationen, kurz durch alle mögliche Schwindeleien zu füllen, auszeichneten, in dieser schönen Stadt eingefunden. Nun aber begann dieses anders zu werden. Es kamen Engländer, selbst einige Deutsche, namentlich aber Franzosen und zwar Pariser, die neugierigsten aller Menschen, welche sich von den bisherigen Ankömmlingen auffallend unterschieden. Sie durchschifften das Mittelmeer nicht in der Absicht, um in der neueroberten, gleichsam neuentdecktcn Stadt Schätze zu finden, welche nicht vorhanden waren, son-dern um sich an der Originalität der dortigen Erscheinungen, an dem bunten Farbenspiel des Völtergemischs, an den exotischen Sitten und Gebräuchen, an der Mannigfaltigkeit der Vilder, welche ihnen hier geboten wurden, zu ergötzen. Zu jener Zeit wurde aber nicht nur der blos neugierigen, sondern selbst der kunstliebenden Geschmacksrichtung der Touristen noch ungleich mehr geboten, als in unseren Tagen, wo die utilitarische Zerstörungswuth der französischen Ingenieure fast alle Spuren der reizenden arabisch-maurischen Architektur zerstört hat. Damals standen noch jene schönen, zierlichen maurischen Paläste und Lusthäuser, mit ihrem innern säuleuumgebcnen Arcadenhof, in dessen Mitte die Plätschernde Fontäne aus dem Marmorbcckcn hervorsprudelte, mit ihren in buntem Farbenspiel schillernden Wänden von glasirtcn Fließen, welche den feinsten Porcellantäfelchcn an Schönheit gleich kamen, über-deckt; mit ihren Zimmerdecken von kunstvoller, buntbemalter Holzschnitzerei, oder von feiner, blendendweißer Stuceatur, deren Formen die Stalaktiten einer Tropfsteinhöhle nachzuahmen schienen: mit ihren luftigen Terrassen und graeiösen Kuppeln von verschiedenster Größe, mit ihrem duftigen maurischen Badezimmer, dessen Boden oft alle Marmorarten in schöner Vermittlung der verschiedensten Farbentöne vereinigte. 316 Man kann sich denken, daß diese allerliebsten Bonbomeren, welche man manrische Paläste nannte, zu jener Zeit, als man sie wie ein Ueberbleidsel aus den Tagen der Alhambra neu entdeckt hatte, einen ganz besonderen Anziehungspunkt für den gebildeten, kunstliebenden europäischen Touristen ausmachen mußten. Aber es waren nicht nur Touristen, welche sich von den Reizen dieser gleichsam neu entdeckten Stadt, dein damaligen Algier, anziehen ließen. Hie und da, wenn auch selten, fand sich unter der Schaar der Neisenden auch eine Touristin ein, eine Angehörige jenes Geschlechts, welches, wenn es eine höhere Bildungsstufe erreicht, zuweilen einen noch feineren Kunstgeschmack, ein zarteres Verständniß des Anmuthovollen, ein tieferes Eingehen in die dem roheren männlichen Blicke oft kaum bemerkbaren Einzelheiten einer Kunstschöpfung offenbart, als selbst der Alick des erfahrensten männlichen Künstlers. Die wenigen, ausnahmsweise« Touristinnen, welche, in jener ersten Zeit der beginnenden Wanderungen des reiselustigen Publieums nach Afrika, die neuerobcrte Stadt aufsuchten, waren fast durchgängig Französinnen, namentlich verfeinerte Vewohnerinncn der Hauptstadt, welche Alles, was die europäische Civilisation bieten konnte, bis zum Uebcrdruß kennen gelernt und gleichsam erschöpft haben mochten und nun vielleicht an einer gelinden Europamüdigteit, im einfacheren weltschmerzlosen Sinne dieses viclgcmißbrauchten Wortes, zu leiden anfingen. Unter diesen Damen befand sich auch eine junge Pariserin, welche sich so sehr von der Schönheit des Clima's, von der Anmuth der Landschaft, von der bezaubernden Pracht des afrikanischen Himmels, von der dunkelblauen Farbentiefc dieses Theiles des Mittclmeeres, von der künstlerischen Vollcndung der maurischen Villen und Paläste, von der Buntheit der Erscheinungen im öffentlichen 317 Leben, von der Seltsamkeit der zwar dem männlichen Beobachter unzugänglichen, ihr aber geoffenbarten Geheimnisse, welche das Fraucngemach, der vielgeschmähte und so wenig von Europäern verstandene Harem, enthüllte, kurz welche sich so sehr von der ganzen beinahe betäubenden Atmosphäre des Exotischen, des Neuen und künstlerisch Vollendeten überwältigen und hinreißen tieft, daß sie beschloß, diese Gestade, welche sie Anfangs nur in der Absicht eines flüchtigen Besuchs betreten hatte, für längere Zeit zu bewohnen. Zu diesem Zwecke miethete sie eines jener eben beschriebenen maurischen Gebäude, welches sie in sinnigem Verständniß des orientalischen Geschmacks mit Allem, was die Stadt Algier an ächt arabischen Möbeln Zierlichstes bieten konnte, ausstattete. In diesem reizenden Wohnorte führte sie in den ersten Wochen ein ganz auffallend zurückgezogenes Leben. Dann fing sie jedoch allmählich an, sich mehr in der Stadt umzusehen, aber den Umgang mit Europäern vermied sie beinahe gänzlich, da derselbe ihr nichts Neues, sondern nur längst Gewohntes und Abgedroschenes bieten konnte. Statt dessen suchte sie, so viel als thunlich, sich den eingeborenen Kreisen zu nähern, was ihr in ihrer doppelten Eigenschaft, als Frau und als Französin, bei beiden Geschlechtern ziemlich leicht gemacht werden sollte. Als Frau standen ihr alle Harems und somit die ganze weibliche Gesellschaft offen. Als Französin war sie von jener Zurückhaltung dem mann--lichen Geschlechte gegenüber, welche den Maurinnen und Araberinnen der eiserne Zwang der Sitte auferlegt, entbunden, ja im Umgang mit Arabern konnte sie sogar, ohne auffallend zu erscheinen, selbst eine größere Freiheit, als im Umgang mit Europäern genießen, da ihr ganzes Benehmen vom Standpunkt ihrer Unkenntniß der fremden Sitten aus entschuldigt wurde. 318 Die jungen französischen Offiziere, welche in ihrer Garnisonsstadt Algier zu jener Ieit besonders lebhaft den Mangel ciner gebildeten weiblichen Gesellschaft empfanden, hatten kaum von diesem damals außerordentlichen Ereigniß gehört, daß eine ihrer eleganten, reiche»,, jungen und schönen Lands' männinen sich hier niedergelassen habe, als sie aufs Lebhafteste den Wunsch hegten, sich derselben zu nähern, und über sie Erkundigungen einzogen. Die Annäherungsversuche scheiterten jedoch sämmtlich an dein Entschluß der Dame, wenn überhaupt mit irgend Jemand, dann nur mit Eingeborenen umzugehen: und die Erkundigungen hatten lein andres Resultat, als daß man auf der Polizei, wo alle neuen Ankömmlinge eingeschrieben werden mußten, ihren Namen erfuhr. Dort war die Unbekannte als Frau oder Fräulein Julie von Cla vicres eingeschrieben, ich sage als Frau oder Fräulein, denn sie selbst hatte nur ihren Namen und keine andere Standesbezeichnung abgegeben, als diejenige, daß sie sich eine lion-tiöw nannte, das heißt eine Person, welche kein Gewerbe ausübt und von wirklichen oder vermeintlichen Renten lebt, denn diese Worte Illmtior und Itontiörs sind in Frankreich keineswegs immer buchstäblich zu verstehen: sie werden oft alv eine allgemeine, nichtssagmde und doch den Anforderungen der Polizei genügende Äusfüllungsformel der polizeilich vorgeschriebenen Rubrit „Ttand" in aller Eile aufs Papier geworfen, und kein Mensch wird durch diese Standesangabe über den wirklichen Stand der sich so bezeichnenden Leute aufgeklärt. Nur war es in ihrem Falle wahrscheinlich und nach dem luxuriösen ^eben, welches sie führte, sogar beinahe mit Gewißheit zu schließen, daß die polizeilich angegebenen Renten wirklich vorhanden und zwar in höchst anständiger Menge vorhanden sein mußten. Jene andere Rubrik auf dem Polizeircgistcr, welche mit 319 „Alter" überschrieben ist, hatte sic, aus leichtverzeihlicher Weib' licher Eitelkeit oder vielleicht nur aus Bescheidenheit, auszufüllen unterlassen, eine Unterlassung, welche übrigens die galante französische Behörde keineswegs rügte. Da aber der Ordnung halber auf dem Register keine Rubrik unausgefüllt bleiben darf, so hatte die officielle Galanterie ihr cin Alter octroyirt und zwar ein so zartes Alter, daß sie sich gewiß nicht darüber beschweren konnte. Die unausgefüllte Rubrik war mit den Worten „achtzehn Jahre" von dem galanten Beamten ausgefüllt worden. Wenn auch dieses so sehr jugendliche Alter, welches ihr eine liebenswürdige officielle Laune octruvirt hatte, vielleicht nicht ganz das richtige sein mochte, so war doch klar, daß sie dasselbe noch nicht übertrieben lange überschritten haben könne, und hätte sie selbst dasselbe schon um sechs oder acht Jahre überschritten gehabt, so war doch ihre Schönheit von jener Vollendung, daß dieselbe den Reiz einer sehr großen Jugendlichkeit am Ende auch entbehren konnte. Sie besaß jene feingeschnittenen, scharf, aber nicht allzuscharf ausgeprägten Züge, jene offenen, feurigen, schwarzen Augen, jene übersprudelnde Fülle dunkler Locken, jenen durchsichtigen, leichthin gebräunten Teint der Südländerinnen, jene nicht allzuschmächtigcn, aber doch von gedunsener Fülle weitentfernten Formen, welche den Frauen gewöhnlich eine ziemlich lange Dauer ihrer Schönheit sichern. Wenn ich sage, sie besaß die leichthin angeduntelte Gesichtsfarbe der Südländerinnen, so will ich hiermit keineswegs zu verstehen geben, daß sie wirtlich eine Tochter des Südens war. Dieser südliche Teint stand trotzdem nicht in auffallenden: Widersprüche mit dem von ihr angegebenen Geburtsorte, denn sie hatte die auf dem Polizeiregister mit dem Worte „Heimath" über-jchriebenc Rubrik durch den magischen Klang „Paris" ausge- 320 füllt und diese kosmopolitische Stadt besitzt bekanntlich den Vorzug, die verschiedensten Schattirungen von Physiognomiken in ihren Bewohnerinnen zu vereinigen. Daß sie jener Stadt, welche allgemein als eine Ver-feinerin der Titten und selbst des Wesens angesehen wird, entstammte, das würde wohl kein genauerer Beobachter in Zweifel gezogen haben. Nicht nur zeigte sie in ihrer äuße-ren Ausstattung jene Eleganz, welche den Töchtern der Weltstadt eigenthümlich ist, nicht nur deutete ihre Geschmacksrichtung einen hohen Grad der Verfeinerung, ein geschärftes Verständniß der zarteren Schattirungen und Nuancirungen in Beurtheilung des künstlerisch Vollendeten an, nein, ihr ganzes Wesen schien eine Offenbarung des Culturgcistes einer superlativ verfeinerten Weltstadt. Jede ihrer Bewegungen war graciös, von allzugroßer Ungezwungenheit, wie von lin-tischer Schüchternheit gleichweit entfernt. Ihr Auftreten war sicher und selbstbewußt und dabei doch so ächt weiblich, daß Niemand ihr auch nur einen Augenblick den Vorwurf der Keckheit machen konnte. Schien alfo ihr ganzes Benehmen, obgleich durch den Einfluß der großstädtischen Umgebung, in welcher sie grlebt hatte, bis zur höchsten Potenz verfeinert, dennoch von aller Affectation frei, anspruchslos und natürlich, so war doch vielleicht ein Punkt, ein einziger Punkt, welcher dem scharfen Beobachter einiges Bedenken einflößen konnte. Das war die Art und Weise, »vie sic sich ihrer Gesichtswerkzeuge bediente. Diese dunklen, schönen, ausdrucksvollen Augcn, von langen, schwarzen, vollen Wimpern beschattet und von zwei femgezo-gencn, schön gerundeten, ticsduntlen Bogen überwölbt, wanderten doch ein bischen gar zu sehr in allen Richtungen umher, um von einer rein vestalischen Absicht und Gewohnheit Zeugniß abzulegen. Zwar senkten sie sich auch manchmal 331 wieder bescheiden und madonnenhaft zu Boden, und dann sahen sie so jungfräulich unschuldig aus, daß man sie kaum für dieselben Augen gehalten hätte, welche eben noch auf der Gestalt irgend eines jungen Mannes mit einen: Blicke geruht hatten, welchen ein boshafter Mensch vielleicht herausfordernd hätte nennen können. Denn das war eben das Auffallende in dem Gebrauch, welchen die junge Dame von ihren Gesichts-wertzcugen machte, daß jenes jungfräuliche Senken ihrer Vlicke nur dann stattfand, wenn das an ihr vorübergehende Individuum dem weiblichen Geschlechte angehörte, keineswegs aber im entgegengesetzten Falle. Doch vielleicht konnte diese Eigenthümlichkeit auch vom Standpunkt touristischer Neugicrde aus entschuldigt werden, besonders da es nicht so sehr ihre eignen jungen Landsleute waren, welche die Blicke der Unbekannten fesselten, als vielmehr die jungen Araber und Mauren in ihrer charakteristischen und graciösen Tracht, welche einen gutgebauten Körper so vorthcilhaft hervorhebt. Wie dem übrigens auch sein mochte, jedenfalls würde derjenige sich getäuscht haben, welcher aus dieser Eigenthümlichkeit uw vortheilhaftc Schlüsse über die Lebensweise der Dame gezogen hätte, denn dieselbe war durchaus untadelhaft. Frau oder Fräulein Julie von Clavieres — wir wollen sie auf grades Wohl hin einmal Fräulein nennen, obgleich das französische Polizeiregister, welches die in Deutschland übliche Rubrik „Verheirathet oder ledig" nicht enthält, uns hierüber keine Aufklärung giebt — also Fräulein Julie Von Clavieres führte ein sehr zurückgezogenes Leben. Sie empfing fast ausschließlich weibliche und nur einen einzigen männlichen Besucher, ihren Sprachlehrer, welcher der Schönen Unterricht im Arabischen ertheilte. Denn auffallender Weise für eine Französin, welche gewiß nicht leicht eine fremde, am aller-wenigsten eine orientalische Sprache erlernt, legte Fräulein 21 Julie einen großen philologischen Eifer an den Tag, und zwar war sie sehr aufgeklärt in ihrer Methode, indem sie die alten Scharteken der Orientalisten gänzlich bei Seite schob und sich einstweilen lediglich der Erlernung des gesprochenen Idioms widmete, eine Methode, welche, obgleich sie von den Stubengelehrten verdammt wird, jedenfalls leichter zum Verständniß des Sprachbaues führt, als alle einstudirten Grammatiken und Wörterbücher. Dieser Sprachlehrer war sonderbarer Weise unser alter Bekannter Ichuda ben Saken. Wic sie zu diesem Sprachlehrer gekommen, das wissen wir jetzt nicht näher zu erklären, aber jedenfalls eignete sich ben Säten Vortrefflich zu diesem Amte, da er die Sprache der Pariserin beinahe ebensogut, wie seine Muttersprache, das Arabische, redete. Fräulein von ClaviVres lernte aber nicht nur die Sprache der Araber, sie wollte auch einen tieferen Einblick in deren Sitten und Privatleben thun, und zu dem Zwecke umgab sie sich fast ausschließlich mit jungen Mädchen dieses Volkes. Eine derselben, eine gewisse Sora bent el Bey, hatte sie sogar in das von ihr gemiethete und bewohnte maurische Haus aufgenommen, wo dieselbe ihr als Gesellschafterin, gelegentlich auch als Dienerin zur Seite stand. Sora war eine Naisc, Tochter eines gewesenen Vey's, welcher aus dem Schissbruch seines Vermögens und seiner Würden nichts gerettet hatte, als diesen nichtssagenden Titel, der nach seinem Tode seiner hinterlassenen Tochter noch als Gespenst nachlief. Sora war ein noch sehr junges Mädchen, welches kaum die fünfzehn überschritten hatte, duntelbrünctt, wie alle Maurmnen, mit feinen zierlichen Formen ihres Gesichtchcns und ihres kleinen wohlgebauten Körpers. Sie schien die Beweglichkeit und Lev' haftigteit selbst. Spielen schien ihr ein Bedürfniß, und oft rollte sie sich wie ein tolles Kätzchen stundenlang auf den' 323 Teppich des Fußbodens herum. Wer sie so in ihrer kindischen Muthwilligkeit beobachtet hätte, der würde wohl taum geahnt haben, daß diese junge Araberin ernstere Eigenschaften besaß, welche ihr einen Vorzug vor vielen ihrer Geschlechtsgenossinnen sicherte. Nachdem die junge Pariserin sich also in einem maurischen Hause eingerichtet, nachdem sie sich mit jungen Mores-ten umgeben und die Anfangsgründe der arabischen Sprache oberflächlich erlernt hatte, schien sie auch das Bedürfniß zu fühlen, sich selbst allmählig, wenigstens in so fern, als dieses durch die Annahme des Lostüms geschehen konnte, in eine Araberin umzuwandeln. Nicht als ob sie sich bis zu der Excentrieität verstiegen hätte, im öffentlichen Leben arabisch gelleidet erscheinen zu wollen, aber für den Gebrauch in ihrem Hause schien ihr die orientalische Frauentracht nicht nur durch ihre größere Bequemlichkeit empfehlenswert!), sondern selbst vom künstlerischen Standpunkte aus geboten, indem ihr ihre französischen Kleider mitten in dieser ächtorientalischen Umgebung jetzt nur noch wie cbensoviele unharmonische Mißtöne vorkamen. Sie schaffte sich deßhalb mit Hülfe ihrer neuen Freundinnen die schönsten algierischen Fraucncostüme an, und wenn sie so mit dem goldbrocatnen Jäckchen, mit dem feinen türkischen Hemd von durchsichtiger Seide, mit der goldnen Schärpe, mit dem bauschigen rothseidnen Beinkleid angethan, mit dem zierlichen, von Goldstücken dicht bedeckten, rothen Fes auf dem langen, vollen, aufgelösten Haar, und den Perlschnüren und Iuwelcnbändern an Hals und Armen geschmückt erschien, da konnten die jungen Maurinnen, ihre neuen Bekannten, ihr ohne Schmeichelei das Compliment machen, daß das orientalische Costinn noch niemals mit mehr Grazie getragen worden sei. Nur in Betreff eines einzigen Stückes des maurischen 21* 324 Costüms schien die Dame nicht zufrieden zu stellen. Das war die Fußbekleidung, welche ihr plump und ungraciös vorkam, und durchaus nicht das zu erfüllen schien, was nach ihrer Ansicht den Hauptzweck einer Fußbekleidung bildete, nämlich den Zweck, den weiblichen Fuß so klein als möglich erscheinen zu lassen. Die Kleinheit des Fußes hielt sie, wic so viele ihrer Landsmänninen, für einen ganz besonderen Vorzug, und dieser Vorzug ging in den weiten, vorn allzu-breiten, Pantoffel-, oder vielmehr schlappenartigen arabischen Schuhen für den Veschauer gänzlich verloren. Sie sah sich darum nach einem besonders geschickten einheimischen Schuhmacher um, welcher es verstehen würde, die Kleinheit ihres Fußes durch Verfertigung einer ihren Schönheitsbegriffen entsprechenden Bekleidung hervorzuheben. Aber umsonst: dieser Phönix von einem Schuhmacher war unter den nach einer althergebrachten Routine arbeitenden arabischen Handwerkern schlechterdings nicht zu entdecken. Die Schöne verfiel deßhalb auf den Gedanken, selbst sich einen solchen Schuhmacher auszubilden, welchem sie ihre In structionen ertheilen und der nach denselben so lange arbeiten würde, bis er durch fortgesetzte Uebung zuletzt jene Meister-schaft erreichen würde, welche allein ihrem schwer zu befriedigenden Geschmacke genügen konnte. Natürlich mußte der fragliche Handwerker ein noch junger Mann, womöglich ein Jüngling sein, da nach ihrer Ansicht nur die Jugend jene Geschmeidigkeit und Lernfähigkeit besaß, welche zur Erreichung ihres Zweckes nöthig schien. Mehrere junge Schuhmacher der Stadt wurden ihr zu diesem Zwecke empfohlen, aber an allen fand sie irgend etwas auszusetzen, bis sie zuletzt von einein Jüngling aus guter, aber in gesellschaftlicher Beziehung herabgekommener Familie hörte, mit welchem sie beschloß, einmal einen Versuch zu 335 machen. Dieser Jüngling war Niemand anders, als der Enkel Ali Chodscha Pascha's, Abd-er-Rahman, der Sohn des großen Heiligen. Fräulein Julie von Clavieres erschien also eines schönen Morgens in dem bescheidenen Schuhmacherladrn des jungen Abd-er-Nahmcm und zwar zu dessen nicht geringer Verwunderung, da er gar nicht zu begreifen vermochte, was denn die elegante Europäerin bei ihm suchen könne, bei ihm, welcher nur für Araber und, da er ein Anfänger im Handwerk war, nur für die ärmsten und bescheidensten unter seinen Landsleuten arbeitete. Diese Verwunderung verwandelte sich jedoch bald in Bewunderung, als er die graciöse Gestalt, die schönen Gesichtszüge, die große Eleganz der Eintretenden musterte. Er hatte bisher nur sehr wenig Frauen unver-schleiert gesehen, von seinen eignen Landsmänninen nur einige verwitterte Mütterchen, Freundinnen seiner Familie, und von Europäerinnen, die er natürlich alle ohne Schleier erblickte, die aber keine große Auswahl boten, nur solche meist höchst unvorthcilhafte Erscheinungen, wie sie in der ersten Zeit nach der französischen Besitzergreifung in ihrer Eigenschaft als Marketenderinnen, Unteroffiziersgattinnen, oder zur Ausübung eines verachteten Gewerbes die siegreiche Armee begleiteten. Eine anständige, junge und schöne Europäerin war zu jener Zeit in Algier noch eine außerordentliche Seltenheit, und der unerfahrene Abd-er-Nahman hatte nie eine solche zu Gesicht betommen. Und nun sollte er plötzlich eine erblicken, welche alle reizenden und das männliche Herz bestürmenden Eigen« schaften im höchsten Grade in sich vereinigte. Man kann sich denken, daß sein achtzehnjähriges Herz einem solchen An-griff, wie ihn die in der Eroberungskunst besonders geübten Augen der Französin auf dasselbe machten, nicht zu widerstehen vermochte. Diese junge Dame konnte das cäsarische Wort: „Ich kam, ich sah. ich siegte", sehr gut in diesem Falle ihres ersten Zusammentreffens mit Md-er-Nahman anwenden. Sie merkte sehr bald an der übergroßen Schüchternheit, welche den jungen Mann plötzlich überkam, an dein häufigen Wechsel seiner Gesichtsfarbe, welche bald von glühender Mthc zu verhältnißmäßigcr Blässe überging, an dem erwartungsvollen Zittern, welches seinen Körper durchflog, daß etwas Ungewöhnliches mit ihm vorging. Aber wenn sie auch sehr gut inne ward, das; ihre Pfeile richtig getroffen hatten, so hütete sie sich doch wohl, dieses auch nur im Geringsten zu verrathen. Sie lieft sich vielmehr auf die natürlichste und unbefangendste Weise mit dem Jüngling in ein Geschä'ftsge-svräch ein. Um seine Schüchternheit nicht gleich am Anfang auf eine ungewohnte Probe zu stellen, so sprach sie vor der Hand noch kein Wort von ihrer Absicht, die handwerl'sgc-schicklichc Ausbildung des angehenden Schuhmachers übernehmen zu wollen, sondern sie geberdete sich ganz wie eine seiner gewöhnlichen .Minden, indem sie ihm zu verstehen gab, daß sie ein Paar maurische Frauenschuhe verfertigt zu hnbcn wünsche, und ihn bat, zu diesem Zwecke ihr Maaß zu nehmen. Als sie nun dem jungen Manne ihren kleinen, zierlichen Fuß hinhielt, und Abd-er-Rahman dieses Meisterstück der Natur in nächster Nähe bewundern konnte, da war es vollends um den armen Sohn Uadurs geschehen. Er wußte nicht mehr, was er dachte, geschweige denn, was er zu thun und zu lassen habe, er wußte kaum mehr, wo er war und was mit ihm vorging. Nie ein inbrünstiger Neliauienvcr-ehrer den geheiligten Gegenstand seines Glaubens oder Aberglaubens mit sehnsüchtigen Blicken verschlingt, so haftete sein Auge, wie von einen, Magnete gefesselt, an dem zierlichen, reizenden Gegenstand, welchen er in der Hand hielt. W^e 32? gern hätte er diesen Gegenstand mit brünstigen Küssen bedeckt, aber seine Schüchternheit verbot ihn: natürlich, auch nur den Entschluß zu einem so gewagten Schritt in sich aufkommen zu lassen, und eben so weit war er von dem Wagnis; entfernt, sein überströmendes Herz durch eine Erklärung sei' ncr Gefühle zu erleichtern, denn auch keinen Augenblick gab er dem Gedanken Naum, als tonne die elegante, anscheinend vornehme und reiche Europäerin sich so weit herablassen, die liebenden Worte eines armen arabischen Handwerkers wohlgefällig anhören zu wollen. Nein, alle jene Gefühle mußten in sein Herz 'zurückgedrängt und darin verschlossen werden, denn das geringste Verrathen derselben würde, so fürchtete er, ihm den Anblick seiner Unbekannten auf ewig rauben. Dieser Gedanke, daß nur ein völliges Verbergen seiner plötzlich aufgekeimten und im Nu gewachsenen Leidenschaft ihm die Möglichkeit verschaffen könne, den Gegenstand derselben wiederzusehen, dieser Gedanke allein war mächtig genug, ihn zur Selbstbeherrschung zu zwingen und zu machen, daß er sich stellte, als verrichte er nun mit Gleichgültigkeit seine gewöhnliche handwerksgemäße Beschäftigung. Aber die schlaue Französin merkte nur zu gut, daß diese Gleichgültigkeit nur eine erzwungene sei. Was jedoch auch immer ihre Absichten der aufkeimenden Neigung des Jünglings gegenüber, welche sie errathen hatte, sein mochten, ob sie vielleicht geneigt war, mit aufgeklärter Vorurteilslosigkeit den Gefühlen eines anscheinend so tief unter ihr stehenden Mannes Gehör zu schenken, jedenfalls lag es nicht in ihrem Plane, diese Gefühle jetzt schon zu einem Ausdruck in Worten kommen zu lassen. Sie mochte eine gewisse Erfahrung in Vezug auf die Regungen des männlichen Herzens besitzen und diese Erfahrung lehrte sie, daß eine in einein solchen Herzen aufkeimende Neigung unter Hindernissen besser wächst, 328 und durch scheinbares Zurückstoßen günstiger gedeiht, als durch ein allzubaldiges und allzugünstiges Entgegenkommen. Sie beschränkte sich deßhalb bei diesem ihrem ersten Zusammenkommen mit Abd-er-Rahman darauf, ihm in kurzen, zwar freundlichen, aber keineswegs für seine Neigung besonders ermuthigenden Worten ihre Aufträge zu geben. Aber beim Schlüsse warf sie noch dem Liebenden die schöne Perle der Hoffnung hin, indem sie ihn in ihr eignes Haus bestellte, dessen Lage sie ihm so genau beschrieb, daß er fast versucht war, zu glauben, es müsse auch ihr etwas an dem Wiedersehen gelegen sein. Ob er sich hierin täuschte oder nicht, das wird der Fortlauf unsrer Geschichte beweisen. Der Sohn Kadurs existirte nun die zwei folgenden Tage nur für das Andenken an die wunderbare Erscheinung, welche seine niedere Hütte auf Augenblicke zu einem Paradiese umgeschaffen hatte. Er schmiedete zwar keine Pläne, um zum Ziele, welches ihm seine Leidenschaft vorhielt, zu gelangen. Pläneschmieden das ist nicht die Art der Araber. Aber er träumte desto mehr, er gab seiner orientalisch schwungreichen Phantasie einen desto höheren Flug und dieser Flug führte ihn auf den Fittigen der Einbildungskraft in das Land der höchsten Glückseligkeit ein. Da sah er seine Schöne auf einem goldenen Diwan ruhend, von holden Sklavinnen umschwärmt, und sich selbst, als den Sultan dieses reizenden Harems zu den Füßen der Heißgeliebten daliegend, und den Becher der höchsten Wonne in vollen berauschenden Zügen schlürfend. Während jedoch sein Geist in einem solchen Feenreiche schwärmte, war sein Korper auf Erden mit einer sehr prosaischen Handirung beschäftigt, nämlich mit der Handwerksarbeit, die von der jungen Französin bestellte maurische Fußbekleidung zu verfertigen. Aber ihm kam diese Arbeit nicht prosaisch vor. Handelte es sich nicht darum, eine Umhüllung 329 für das höchste Meisterstück der Natur zu bilden? Begeisterte ihn nicht bei dieser anscheinend prosaischen Beschäftigung der Gedanke an die unübertreffliche Schönheit derer, für welche sie unternommen wurde? Endlich war der unter glühenden Seufzern heißersehnte Tag herbeigekommen, welchen die junge Dame ihrem Schuhmacher zur Ablieferung seiner Waare bestimmt hatte. Abd-er-Rahman begab sich mit bebender Brust und mit klopfenden Pulsen in das ihm wohlbekannte maurische Haus, welches früher von einem seiner Verwandten, jetzt aber von Allem, was die Erde nach seiner Ansicht Köstliches enthielt, bewohnt wurde. Er klopfte an der Thür, während sein Herz innerlich noch viel heftiger klopfte, und, als diese ihm nun von der jungen Araberin, Sora bent el Bey, aufgethan wurde, da glaubte er schon den Weg zum Paradiese geöffnet zu sehen, denn bald sollte er ja in der Nähe derer sein, welche sein einziges Denken und Sehnen war. Aber wer beschreibt seine Enttäuschung, als ihm seine Landsmännin mittheilte, daß ihre Herrin noch nicht nach Hause zurückgekehrt sei? Nur mit Mühe erlangte er von Sora die Erlaubniß, die Rückkunft der Französin in dem innern Hofe abwarten zu dürfen. Nährend er sich dort auf einer Bank niederlieh, gesellte sich die junge Araberin zu ihm und schien ihm durch ihre kindischen Scherze die Zeit verkürzen zu wollen. Dieses muhte dem Sohne Kadurs im höchsten Grade auffallen. Eine junge und keineswegs häßliche Araberin, welche sich einem Jüngling unvcrschleiert zeigte, ein Mädchen seines Voltes, welches beim Anblick eines Mannes nicht auf der Stelle die Flucht ergriff, sondern im Gegentheil sich demselben noch näherte, um sich in unbefangenem Gespräch mit ihm zu unterhalten, das war ein Ding, welches ihm bis jetzt noch nicht vorgekommen war. 330 Aber Sora hatte, seit sie im Hause und im nächsten Umgang mit einer Französin lebte, Vieles von jener klösterlichen Zurückhaltung ihrer Landsmänninnen abgelegt, zu welcher diese durch das Einsperrungssystem im Harem von zartester Kindheit an erzogen werden. Sie führte bei ihrer Herrin keineswegs ein Einsperrungsleben, sie war frei, aus- und einzugehen beinahe so oft sic wollte, und, wenn sie auch von dieser Freiheit grade keinen häufigen Gebrauch machte, so hatte dieselbe doch zur Folge, daß sie sich die Selbstständigteit und Unbefangenheit einer Europäerin bald zu eigen machte. Da sie dabei wirtlich unschuldig und eigentlich in ihrem Herzen noch ein halbes Kind war, so sah sie alle jene Versuchungen nicht, welche einem Mädchen ihres Alters in einer verderbten Stadt, wie Algier, nahe gelegt werden mochten. Unbefangen und natürlich, wie sie im Hause war, so zeigte sie sich auch auf der Straße. Ja, jene Versuchungen waren für sie gar nicht vorhanden. Ein Mann war für sie nicht jenes schreckliche Wesen, wie für ihre übrigen Landsmänninnen, welche den Herrn der Schöpfung als einen Popanz anzusehen scheinen, als eine Art von Blaubart, der Tag und Nacht leinen andern Gedanken hegt, als seinen Lüsten so viele Mädchen, wie möglich, zum Opfer zu bringen. Als der junge Abd-er-Rahman zuerst dieses ausnahmsweise Wesen in einer Araberin bemerkte, war er geneigt, schlecht von Sora zu denken. Denn, obgleich er in Bezug auf das weibliche Geschlecht nur wenig, oder vielmehr gar keine Erfahrung besaß, so wußte er doch, daß es in seiner Vaterstadt eine Classe von Frauen gebe, welche mit der hergebrachten Sitte der strengen Vlbgeschlossenheit, aber freilich zugleich auch mit aller weiblichen Scham gebrochen hatte. Daß dieses letztere jedoch bei Sora nicht der Fall war, das konnte seinen» erwachenden Beobachtungsvermogen nicht lange entgehen. So kam cr 33l denn bald zu der Einsicht, daß die Tochter des Bey, obgleich sie die Schüchternheit eines eingesperrten Harcmsgeschöpfes abgestreift hatte, dennoch der Achtung jedes anständigen Man-ncs würdig geblieben war. Ihre Unbefangenheit und Natürlichkeit im Umgänge selbst mit den Angehörigen eines andern Geschlechts hatte ihre kindliche Unschuld, und keineswegs einen für ihre Ehre nachthciligen Grund zur Ursache. Diese Unbefangenheit und Natürlichkeit wirkten bald ansteckend auf Abd-er-Nahman, so daß er sich im Gespräche mit ihr nach einiger Zeit ebenso frei von Schüchternheit und Gezwungenheit zu fühlen begann, als ob er mit einer langjährigen Bekannten redete. Als er sich dieser Thatsache bewußt wurde, ward er innerlich unwillkürlich zu einem Vergleich zwischen dieser semer Unbefangenheit im Umgänge mit Sora und seiner großen Befangenheit der Französin gegenüber geführt. In seiner Unerfahrenheit schrieb er letztere dem Umstände zu, daß diese eine Fremde, die andere eine Angehörige seines Voltes sei, während doch der wahre Grund derselben der sein mochte, daß die Europäerin ihm ein Gefühl einflößte, von welchem in Bezug auf seine Landsmännin nicht die Rede war. Nenn er aber an jene Bangigkeit und Zaghaftigkeit dachte, welche er der Fremden gegenüber empfunden hatte, so mußte er es tief beklagen, welch' ein Hinderungsgrund im Umgänge diese Schüchternheit sei. Nas konnte er thun, um sich derselben einigermaßen zu entledigen? Nie wenn er es versuchen würde, durch den vertrauten Umgang mit einer Frau, der gegenüber er sich ungcnirt fühlte, allmählig größere Uebung im Umgang mit Frauen im Allgemeinen und so zuletzt auch größere Sicherheit in seinem Benehmen derjenigen gegenüber zu erlangen, auf welche alle seine Gedanken gerichtet waren? Diese Idee lächelte ihm so günstig, das; er beschloß, die junge, unschuldige 332 Sora gleichsam zu seinem Uebungsmittel zu benutzen, und mit ihr sich in allen denjenigen Neden zu versuchen, welche er gern der Französin gegenüber gehalten hätte, welche er jedoch im Gespräch mit dieser letzteren jetzt noch nicht einmal hervorzustammeln wagte. Der Araberin gegenüber aber scheute er sich nicht, selbst die kühnsten Erklärungen hervorzubringen, um so mehr, da dieselbe in diesem Falle nur ein Werk des nüchternen Verstandes und nicht des Herzens, welches allein befangen »nacht, waren. Freilich dachte er nicht daran, daß er dadurch seiner jungen Landsmännin großes Unrecht zufügte. Seine jugendliche Unerfahrenheit glaubte, Sora würde in ihrer Unschuld seine Erklärungen nur als Scherze auffassen, und er ahnte nicht, daß diese Erklärungen, mit welchen es ihm so wenig Grnst war, allenfalls doch ernst aufgenommen werden konnten. Er setzte nun die Tochter des Bey nicht wenig in Erstaunen, als er, nach einem kurzen gleichgültigen Gespräch, auf einmal in einen ganz andern Ton verfiel und von Dingen zu reden anfing, von denen bisher noch Niemand zu ihr gesprochen hatte. Für ihn waren es nur Scherze, aber für die junge Araberin nahmen sie bald eine ernste Bedeutung an. Er ahnte nicht, wie gefährlich cs sei, mit den Gefühlen eines jungen Mädchens zu spielen. Daß aber eine solche Gefahr in diesem Falle wirklich vorhanden war, bewies die auffallende Veränderung, welche in kürzester Zeit in dem Ve-nehmen Sora's vorging. Ihre Unbefangenheit war auf einmal, wie mit einem Schlage, verscheucht. An die Stelle ihrer kindlichen, scherzhaften Laune trat eine Nachdenklichkeit, welche früher noch Niemand an ihr bemerkt hatte. Kein Mensch, welcher die Empfänglichkeit der Jugend kennt, wird cs auffallend finden, baß die junge Araberin, während sie Abd-er-Nahmans Erklärungen anhörte, allmählig 333 in ihrer Brust eine neue Regung aufkeimen fühlte, welche vielleicht zur Liebe führen konnte, welche vielleicht schon Liebe war. Der Sohn Kadurs muftte ihr nach den Begriffen ihres Volkes in jeder Beziehung als ein Wünschenswerther künftiger Bräutigam erscheinen, denn daß seine Erklärungen einen andern Zweck haben konnten, als die Einleitung eines Heiraths-antrags, das vermochte ihre Nnerfahrenheit nicht Zu begreifen. Daß er arm war, das tonnte für keine Araberin ein Hinderniß bilden, und seine übrigen Vorzüge waren in ihren Augen zu groß, um nicht diesen nach arabischen Begriffen so kleinen Mangel gänzlich in Schatten zu stellen. Seine Abkunft mußte ihn ohnehin schon jedem Mitgliede seines Volkes und seiner Religion theuer machen, denn einmal war er der Enkel eines Pascha's, dann hatte er einen abergläubisch verehrten Heiligen zum Vater, endlich erschien er dcn orthodoxen Moslems als eine Art Von Märtyrer, da er und sein Vater erst kürzlich von der ungläubigen Negierung Unbill erfahren hatten. Dieses Voll der langen Stammbäume, bei welchem oft ein gewöhnlicher Handwerker seine Geschlechtstafel mit einer Ahnenzahl, welche die mancher europäischer Herrscher übertrifft, schmücken kann, legt bekanntlich auf Abstammung einen ganz besondern Werth, und namentlich auf die Abstammung von hochverehrten, religiösen Persönlichkeiten. So erschien also Abd-er-Nahman, als der Sohn eines Heiligen, in den Augen der jungen Araberin mit dem ganzen Nimbus seiner hochehrwürdigen Abstammung umgeben, und dieser Nimbus flößte ihr eine Verehrung ein, welche leicht zu einem Gefühle anderer Natur übergehen konnte. Denn wenn der Gegenstand der Verehrung eines jungen Mädchens ein blühender Jüngling ist, dann ist diese Verehrung nicht weit davon entfernt, einen andern Namen anzunehmen, und wcnn dieser 334 Jüngling noch dazu durch eine Liebeserklärung diesem Gefühls-Übergänge Zu Hülfe kommt, dann ist jener Name schnell gefunden und dieser Name ist die Liebe. Abd-er-Nahman hatte keine Ahnung von dem, was in dem Herzen seiner jungen Landsmännin vorging. Vielleicht Wäre dieses seinem in der Entwicklung begriffenen Veobach-tungssinne, trotz seiner Unerfahrmheit, dennoch nicht entgangen, wenn er überhaupt seine Aufmerksamkeit besonders auf sie gelenkt hätte. Aber ein einziger Gedanke hatte in semein Hirn die Oberhand und dieser Gedanke konnte ihm zu keinem ernsteren Eingehen auf irgend etwas Andres Naum lassen, denn seine Erklärungen, welche er für nichtssagend hielt, welche freilich von Sora so ernst aufgefaßt werden sollten, hatten leinen großen Gedankenaufwand getostet. Sein Geist war, während er dieselben machte, eigentlich unaufhörlich mit der Abwesenden beschäftigt gewesen und kein anderer Wunsch stand in seinem Gemüthe obenan, als daß diese Abwesenheit ihr baldiges Ende erreichen möge. Dieser Wunsch des jungen Mannes wurde denn auch endlich erfüllt. Ein leises Klopfen an der Hausthür brachte Sora von der Seite des Jünglings an die Pforte und, als diese geöffnet war, da glaubte Abd-er-Nahman den Himmel vor seinen entzückten Blicken aufgethan zu sehen. Die Französin stand vor ihm, reizend durch die Eleganz eines allerliebsten Morgencostüms von großer Frische und glücklichster Farbenauswahl, aber unendlich reizender durch ihre natürlichen Vorzüge. Sie empfing ihn freundlich, freundlicher, als sie sich ihm das erste Mal gezeigt hatte, und lud ihn ein, ihr in eines der Seitenzimmer des innern Hofes zu folgen. Hier nahm sie ihm die bestellte Arbeit ab und musterte sie, aber nur sehr oberflächlich, und es schien fast, als habe stc ihre Meinung darüber schon vor Empfang derselben festgesetzt. 335 Sie schien sehr zufrieden mit der Leistung des jungen Handwerkers, so zufrieden, daß sie sich auf der Stelle zwei weitere Paare maurischer Fußbekleidungen bestellte, aber doch zugleich das eben verfertigte Paar dem Arbeiter zu einer geringfügigen Aenderung zurückgab, welche er schon am folgenden Tage vollendet haben tonnte. Zugleich sprach sie den Wunsch aus, daß Abd-er-Rahman jedes neue Paar, ehe es mit dem üblichen goldgestickten Sammet überzogen wurde, ihr erst zum Anprob irrn bringen möchte. Auf diese Ncise gab sie ihm eine sehr gute Entschuldigung für seine von nun an beinahe täglich in ihrem Hause zu machenden Besuche an die Hand. Man kann sich denken, daß der Enkel des Pascha von dieser Entschuldigung jeden nur möglichen Gebrauch machte. (5r fand sich täglich in dem Hause Fräulein Julie's von Clavieres ein. Wenn er, wie dieses oft vorkam, in Abwesenheit ihrer Herrin mit Sora auf Augenblicke allein blieb, so setzte er seine Uebungen zur Erlangung der nöthigen Keckheit im Umgänge mit Frauen auf die erwähnte Weise fort und endete damit, dem jungen Mädchen völlig den Kopf zu verrücken. Die Tochter des Vey träumte und dachte nichts Andres mehr, als ihre Liebe durch eine Verbindung mit deren Gegenstand gekrönt zu sehen. Ihr ganzes Sehnen, ihr ganzes Streben, ihr ganzes Sinnen füllte nur der einzige Name „Abd - er - Rahman" aus. Für ihn wäre sie zu dem größten Opfer bereit gewesen. Sie liebte mit jener Heftigkeit, wie, nach der Ansicht ihres Volkes, nur eine Araberin lieben tann. Dieser ihrer heftigen Liebe genügten bald nicht mehr die kurzen Augenblicke, während welcher sie mit ihrem Geliebten im Hause der Französin zusammentreffen konnte. Sie mußte ihn öfters, wenn auch nicht sprechen, so doch wenigstens zu Gesicht bekommen, sonst glaubte sie es vor Un- 336 geduld nicht aushalten zu können. Die Liebe machte sie erfinderisch und gab ihr dm Einfall an die Hand, mit der Mutter des jungen Mannes ein freundschaftliches Verhältniß anzubahnen. Dieses war nicht schwer. Die erste Einleitung dazu bildeten wirkliche oder vermeintliche Auftrüge ihrer Gebieterin in Handwerksangelcgenheiten, denn nach maurischem Gebrauch werden Bestellungen von Seiten arabischer Frauen nicht bei dem Handwerker selbst, sondern bei dessen weiblichen Angehörigen geinacht, da eine anständige Maurin weder einen Laden noch eine Werkstatt betreten darf. Sora's Besuche bei der Gattin Kadurs wurden immer häufiger und bald hatte sie es dahin gebracht, als eine Freundin des Hauses ihres Geliebten angesehen zu werden. Mit diesem brachten sie freilich diese Vesuche nie persönlich in Berührung, denn nach der strengen arabischen Sitte durfte der Sohn das Gemach seiner Mutter nur dann betreten, wenn diese allein war, nicht aber, wenn ein weiblicher Besuch bei ihr weilte. Aber die Tochter des Bey hatte die Genugthuung, durch ein kleines dichwergittertes Fenster, welches den Harem von der Werkstatt trennte, ihren Geliebten täglich sehen und ihr Herz an seinem Anblick erlaben zu tonnen. Der Mutter Abd-er-Rahmans konnte es nicht lange ein Geheimniß bleiben, was für eine Leidenschaft ihr Sohn der jungen Besucherin eingeflößt hatte. Sie schwankte auch nicht lange darin, ob sie dieser Liebe entgegen sein, oder ob sie dieselbe begünstigen solle. Arabische Aeltern hegen gewöhnlich leinen andern Wunsch, als ihre linder so schnell wie möglich vcrheirathct zu sehen, um sie vor den Versuchungen des Jung-gesellenstcmdes zu bewahren. Diesen Wunsch empfand auch die Gattin Kadurs und die Tochter des Vey fchien ihr zur Erfüllung desselben vom Schicksal unzweideutig prädestinirt. 337 So dauerte es nicht lange, bis sich das vertraulichste EinVerständniß zwischen der Frau und dem Mädchen herstellte, welches den beiderseitigen Wunsch, die eheliche Verbindung Abd-er-Rahmans und Sora's verwirklicht zu sehen, zur Grundlage hatte. Die Tochter des Vey machte also ihre ältere Freundin zur Vertrauten, indem sie dieser Alles erzählte, was zwischen ihr und dem Geliebten vorgegangen war. Tie sprach von seinen Erklärungen und zweifelte nicht, daß denselben bald ein Heirathsantrag folgen werde. Aber die Gattin Kadurs ward bald anderer Ansicht. Sie fand das Benehmen ihres Hohnes gar nicht im Einklänge mit diesen vermeintlichen Erklärungen. Derselbe mußte davon wissen, wie oft Sora sein älterliches Haus besuche und daß in den Stunden dieses Besuches nur ein dünnes Holzgitter ihn von der Geliebten trenne, und doch machte er auch nicht im Geringsten Miene, sich ihr zu nähern, sei es auch nur, um ihren Anblick aus seinem Verstecke verstohlen genießen zu können. Das war mehr als die gewöhnliche Anstandsvflicht, welche ein junger Liebhaber immer Mittel und Wege findet, zu umgehen. Das war Gleichgültigkeit. Von einer Liebe ihres Sohnes zu Sora, das wurde der Mutter bald klar, tonnte nicht die Nede sein, so sehr sie selbst auch diese Liebe wünschte und so sehr Sora auf dieselbe einzugehen brannte. Aber, wenn die Mutter von der Gleichgültigkeit ihres Sohnes für Sora bald überzeugt war, so entging ihr doch auch zugleich nicht, dcch derselbe anderswo liebte und auch den Gegenstand dieser Liebe konnte sie nicht lange umhin zu errathen. So einverstanden sie aber mit ihres Sohnes allen-fallsiger Neigung zu Sora oder zu irgend einer andern Tochter ihres Voltes gewesen sein würde, so sehr sah sie mit Schrecken die Leidenschaft Abd-er-Nahmans für die Französin. 22 338 In ihrer Naivetät mittelbaren Vlutrache von Seiten der Verwandten eines von ihm Erschlagenen, denn mit dieser pflegt man es noch ernster zu nehmen, als mit der nur von den Vorältcrn geerbten. Außerdem bewahrt sich der .ttabyle, wenn er überhaupt ein Gewehr besitzt und dessen Gebrauch kennt, mit seltnen Ausnahmen als ein nur schlechter Schütze. Seine Flinte erweist sich gewöhnlich so altmodisch und unbrauchbar, daß sie unter drei Schüssen zweimal zu versagen pflegt. Darum gestalten sich auch die Gefechte innerhalb oder außerhalb eines durch einen Hoff gespaltenen Dorfes gewöhnlich nur zu Scharmützeln, bei denen zwar Beulen und blaue Mäler in Hülle und Fülle, oft auch Verwundungen, aber doch nur selten wirtliche Todtschläge vortommcn, das heißt selten im Vergleich mit der Häufigkeit der Kämpfe, was keineswegs sagen will, das; nicht etwa durchschnittlich in jedem Dorfe einer auf den Monat käme. Ein Soff, welcher einen solchen religiös-fanatischen Entstehungsgrund hatte, war der der Tahtani und Fokani. Diese Erbfehde war auf folgende Weise entstanden. Ein hochverehrter Marabut oder Heiliger, Namens Sidi, ,ttalih, lebte in einem Dorfe des Dscherdschera. Er war mit einer Hiabylin vom edelsten Geschlechte verheirathet, welche ebenfalls im Geruch großer Heiligkeit stand und sich des religiösen Titels einer Marabuta erfreute. Das heilige Ehepaar schien jedoch die Eintracht und Verträglichkeit nicht zu dm einem Marabut und einer Marabuta unentbehrlichen Tugenden zu zählen, Ihre Haushaltung bildete vielmehr den Schauplatz steter Wort« Wechsel, und nicht selten führte der Worstrcit zu Thätlichkeiten, wobei dann die Fäuste des ehrwürdigen Heiligen der Marabuta übel mitzuspielen pflegten. So ging es eine Zeit lang, bis eines Abends das Mihverständniß soweit gediehen war, 392 daß die Marabuta mit blutender Nase und arg zcrblälttem Körper das Haus des allzu muskelkräftigen Heiligen verließ, bei ihren Aeltern Schutz suchte, und diese, sowie ihre sammt-liche zahlreiche Sippschaft zur Rache gegen den allzu aus' drucksvollcn Gemahl aufrief. Das Dorf, in welchen: das heilige Ehepaar wohnte, trennte sich auf der Stelle in zwei feindliche Lager. Auf der Seite des Heiligen standen außer seiner ebenfalls zahlreichen Sippe alle streng orthodoren Ausleger des Koran, welche jene Stelle der vierten Sure des heiligen Buches, wo es heißt, „schlaget eure Frauen, wcnn sie sich gegen euch vergangen haben" mit moslemischer Buch' stabendienerei deuteten und es als Ketzerei ansahen, daß irgend Jemand sich in den Streit zwischen Ehcleutcn einmische. Die Parthei der Marabuta erwies sich aber nicht minder zahlreich, denn zu ihrer Verwandtschaft gesellten sich die einflußreichen Männer im Dorfe, der Häuptling des Stammes, die Äeltesten, selbst der fromme Kadi (Richter) nicht ausg»,'' nommen, denn diese Würdenträger waren weit entfernt davon, der Theorie der Nichteinmischung in häusliche Angelegenheiten zu huldigen. Sie sahen es vielmehr als ihr Recht an, sich in solche zu mischen, denn diese Einmischung vermehrte ihren Einfluß und brachte ihnen mancherlei Vortheil. Die beiden feindlichen Partheien gingen bald vom Wortstreit zu Thätlichkeiten über und ehe man sich'o versah, hatte sich ein Soff gebildet, der hochberühmte, in der Kabylie am Weitesten verbreitete Soff der Tahtani und Fokani, denn wie ein Lauffeuer, so griff das ansteckende Partheielement mit reißender Schnelligkeit um sich, durchloderte das ganze Gebirgsland und in jedem tabylischen Dorfe gab es bald Tahtani und Fotani. Tahtani (die Untern) so bezeichnete man die Anhänger der Marabuta; Folani (die Oberen) nannte man die Partheigängcr des Heiligen. Warum? Hiefür wis- 393 son loir nur den Erklärungsgrund der kabylischen Gelehrten, welche behaupten, die Anhänger der Frau hießen deßhalb die Untern, weil diese bei den ehelichen Abftrügelungen die untere Rolle gespielt habe, und aus umgekehrtem Grunde die Anhänger des Marabut die Oberen. Was auch immer an dieser Erklärung Richtiges oder Falsches sein mag, jedenfalls bildeten Tahtani und Fokani von nun an zwei mächtige Spaltungen von großer Leidenschaftlichkeit und Zähigkeit des Partheihasses. Fast in allen Dörfern des ganzen Gebirgslandes, welches man Kabylien nennt, richtete dieser Partheihaß seine mehr oder weniger großen Verheerungen an. Aber kein Ort der Kabylie hat wohl so viel davon gelitten, als das reizend gelegene Dorf Schellata im Stammesgebiet der Ait Illula Usamör. Wenn der weisende das Ufer des Mittelmeers bei Vou-gie, der altspanischcn Festung ,ind einstigen Piratenstadt, verläßt und zwei Tagereisen zu Pferde dem Vaufe des Uid Sahcl folgt, so bietet sich ihm zur blechten eine unübersteig-lich scheinende Felsenmasse dar, deren höchste Gipfel zehntausend Fuß erreichen. Diese Felscnmasse ist das Gebirge des Dscherdschera, der alte Eisenberg (^Im^ tm^vtli^) der Römer, und bildet schon seit Jahrtausenden den Stammsitz und die natürliche Festung der autochthoncn Kabylcn, welche vor dem Jahre 1857 noch niemals völlig irgend einem Eroberer unterworfen waren. Ist der Neiter am Ende seiner zweiten Tagereise beinahe schon an der Quelle des immer schmäler werdenden Flüßchens angelangt, so sieht er auf dem linken Ufer desselben aus einem anmuthigen Hügelland, am Fuße der Felsenwand des Dscherdschera, eine liebliche Gruppe von großen, schattigen Wallnußbäumen und niedrigen Steinhäusern emporragen. Eine kleine kunstlose Moschee mit einem breiten viereckigen Minaret, das Haus des Agha, nach dem Plan 394 algicrischcr Stadthäuser gebaut, die Sauja lKoranschule) bib den die einzigen Gebäude, welche sich über dic nur cin Erdgeschoß besitzenden tabylischcn Dorfhäuser erheben. Dieses Dorf ist Schellata, der Schauplatz unsrer Erzählung. Wohl in keinem Dorfe Kabyliens hatt^ der Soff der Tahtani und Fotani, d. h. der Unteren und Oberen, eine dem Namen mehr entsprechende Anwendung gefunden, als in Echellala. Denn dort erwiesen sich die Folani wirtlich insofern als die Oberen, als sie auf dem höchsten Theile des Hügels wohnten, während die Tahtani ihrem Namen „die Unteren" dadurch entsprachen, daß sic den Hügelabhang nach der Flussesebenc zu inne hatten. Wohl nicht immer war es so gewesen. Früher mochten Tahtani und Fokani nebeneinander in denselben strafte,! gehaust haben, aber schon gleich zu Anfang der Parthcispaltung war cs den Fotani gelungen, ihre Feinde sämmtlich aus ihrem Stadttheil zu vertreiben. Eines der ansehnlichsten Häuser im Stadttheil der Fo-kam bildete das des Ammer bcn Abd ei Halim, dessen Gattin Chredidscha wir nun dem Leser vorführen wollen. Chredidscha war eine Frau, welche dein Alter nach mit unserm Jahrhundert ging, also in der Zeit, in welcher unsre Geschichte spielt, nämlich nicht lange uor der Unterwerfung zwbyliens etwa fünfzig Jahre zählen mochte. Daß sie einst von großer Schönheit gewesen, dao ließ sich trotz der Verwittertheit ihrer Züge und ihrer unzähligen Nunzeln dennoch deutlich erkennen. Vor der Thüre ihreü massiven Steinhauses sitzend, war sie eben damit beschäftigt, Oliven auszulesen, während sie zu gleicher Zeit dem Gespräch eines andern alten Weibes z»> hörte, welches neben ihr- kauerte. Diese Alte mochte etliche sechszig oder siebenzig Jahre zählen, erschien über alle Maaßen verrunzelt, dabei gekrümmt und sprach mit lallender 395 Stimme. Wer sie so, in ihre vor Alter und Schmutz geschwärzten Gewände gehüllt, beinahe unbeweglich und leichen-haft in der Ecke kauern sah, der hätte sie leicht für eine zusammengebrochene ägyptische Mumie halten können, wäre nicht das unheimliche Feuer ihrer trotz des Alters noch glühend funkelnden Augen gewesen. Diese Alte war eine der bekanntesten Personen im Dorfe, beinahe der berüchtigsten, denn sie führte und verdiente keinen schönen Titel. Man nannte sie nämlich die Kuata (Kupplerin) und obgleich ihre Kuftpelgeschäfte lediglich die Ehe zum Ziel hatten, so traf sie doch jene Verachtung, welche bei allen Moslems den Vermittlern und Vermittlerinnen in Herzenssachen zu Theil zu werden Pflegt. Chredidscha schien nur mit Unwillen der Alten zuzuhören, was aber diese, gegen dergleichen Dinge sehr abgehärtet, keineswegs störte, ihr Geschäft auseinanderzusetzen. „O Chredidscha!" so sprach sie zur Gattin Ammers, „Deine Tochter ist ein wahrer Edelstein. Bei ihrem Anblick muß ich unwillkürlich an die Worte unsres gelobten Propheten denken, welche er den Genossinnen der Gläubigen im Paradiese widmet, von denen es heißt: „Und wenn Du sie siehst, so glaubst Du, es sind ausgestreute Perlen, und wenn Du sie siehst, so siehst Du das höchste Heil und die reinste Glückseligkeit." Ja einer solchen gleicht Deine Neßla. Ihre fünfzehn Jahre, ihr zarter schlanker Körper (die Kabylen theilen nicht die orientalische Ansicht, daß nur fette Frauen schön seien), ihr liebliches braunes Gesichtchcn, ihr dickes, wallendes, pechschwarzes Haar, ihre stechenden, die Nacht durchleuchtenden Augen, ihre buschigen, dicken Augenbrauen, die sich über dem kleinen niedlichen Ttmnpfnäschen vereinigen, das Alles nenne ich Vorzüge, wie sie wenige so vollkommen in sich vereinigen, wie Deine Tochter." 396 „Aber bedenke, o Chredidscha, daß dic Blüthe des Jasmins ihren köstlichen Duft nicht umsonst ausstrahlen soll. Was nutzt der Wohlgeruch der Rose, wenn sich Niemand daran labt? So ist es denn auch m der Schöpfung bestimmt, daß gleichfalls die Neize des Weibes nicht ungenossen bleiben sollen. Du würdest Dich deßhalb schwer gegen Allah versündigen, wenn Du noch länger anstündest, Deine reizende Tochter einem geliebten Ehemann zuzuführen." Auf diese Worte, welche am Schluß beinahe in eine Predigt ausgeartet waren, erwiderte Chredidscha, deren Ungeduld sich unterdessen immer mehr gesteigert hatte, unmuthig: „Nie viel Mal hast Du mir nun schon dasselbe gesagt, o Habba?" Die alte Habba ließ sich durch den Unwillen der Andern nicht aus der Gemüthsruhe bringen, sondern antwortete mit großer Ehrlichkeit, ja mit einem Anflug von Cynismus: „Ich glaube etliche zwölf oder dreizehn Male. Seit Deine Neszla ihr zwölftes Jahr erreicht hat, habe ich soviel Heirathsanträge für sie zu bestellen gehabt. Da war zuerst der alte Kulugli, der Sohn des türkischen Ianitscharcn, der unten beim Agha wohnt, dann der dicke Kcrarsi, ein sehr angesehener Kaufmann, ferner der Mufti der Moschee, auch der Sohn des Dorfältesten der Ait Aurslagcn', und so weiter, ja der beste von Allen war dabei, unser eigner Agha, der Deine Tochter zu seiner vierten Gemahlin erheben wollte, und Du hast sie Alle ausgeschlagen, obgleich es lauter achtbare Par-thiccn waren. Wohl machtest Du mir den EinWurf, Du wollest Dein einziges kiind keinem alten Manne geben, und jung tvar freilich keiner von allen diesen. Das schien allerdings eine große Sonderbarkeit von Deiner Seite, denn gewöhnlich Pflegt eine Kabylin doch nicht auf das sogenannte Glück ihrer Tochter, sondern auf etwas, woran uns armen 397 Leuten mchr gelegen sein muß, zu sehen, nämlich auf das klingende Metall, welches ihr Verkauf einbringt. Aber trotz all' Deiner Sonderbarkeiten, o Chredidscha, so habe ich Dich doch in mein Herz geschlossen und mir vorgenommen, Dir selbst wider Deinen Willen einen recht großen Dienst zu erweisen. Dießmal komme ich nun mit einem neuen Heiraths-antrag, gegen welchen Du gewiß nicht dieselbe Einwendung inachen kannst, wie gegen meine frühern, denn der Bräutigam, den ich vorschlage, ist erst achtzehn Jahre alt." Chredidscha's llnmuth zeigte sich jedoch durch diese Erklärung keineswegs besänftigt. Einen Augenblick schien es freilich, als wolle er weichen, alö breche der flüchtige Schimmer einer Hoffnung aus ihrem Innern hervor, aber bald, gleichsam als habe sie das Chimärische dieser Hoffnung eingesehen, schwand er wieder und machte dem alten Ausdruck der Trostlosigkeit Platz. Doch störte sie den Redefluß der sprechscligen Alten nicht, welche fortfuhr: „Der junge Mann ist die Perle aller Jünglinge; doch ich will Dich nicht mit Herzählung seiner Vorzüge langweilen, sondern Dir nur sagen, daß er gewiß Deine Tochter glücklich machen wird, denn er ist der Sohn des reichsten Mannes im Dorf." „Nnd er heißt?" fragte Chredidscha wie mechanisch. „Mahmud ben Hamidu." „Dacht ich's doch! Nieder ein Fokani." Diese letzten Worte wurden nur gemurmelt und waren nicht bestimmt, von der alten Habba gehört zu werden. Aber dennoch tonnten sie dein feinen Gehör der Kupplerin nicht entgehen, welche diesen bei ihr ohnehin fcharfen Sinn durch eine mit ihrem Handwerk zusammenhängende langjährige Uebung im Sftioniren noch mchr verschärft hatte, und sollten bei derselben das höchste Staunen hervorrufen. 398 „Was", so sprach sie bei sich selbst, „die Gattin Ammers, des Fokani, eines der eifrigsten Männer der Parthei, findet es anstößig, daß man ihr einen Fot'ani zum Schwiegersohn vorschlägt? Der Sache muß ich auf den Grund kommen und sollte es mich auch noch so viele Mühe kosten." Es sollte die Alte jedoch gar keine Mühe kosten, ihre plötzlich erregte Neugierde zu befriedigen, denn Chrcdidscha kam ihr von selbst mit der gewünschten Aufklärung entgegen. „Ein für alle Mal", sprach sie, „muß ich Dir sagen, o Habba, daß Du mich in Zukunft mit keinen Heirathsan-trägen, welche einen Fokani zum Gegenstand haben, mehr belästigen sollst. Du staunst und denkst wohl: Kann so die Gattin Ammers reden? Zur Erklärung darüber will ich Dir meine Geschichte erzählen, welche Du nicht kennst, denn Du bist erst seit zehn Jahren von der andern Ceitc des Dscherdschera zu uns herübergekommen und meine Geschichte ist dreißig Jahre alt. Da wundert es mich nicht, daß man sie Dir noch nicht erzählt hat. Deiner Verschwiegenheit bin ich gewiß, denn bei Deinen« Handwerk muß man verschwiegen sein. Doch solltest Du jemals diese Dir selbst so ersprießliche Verschwiegenheit aus den Augen lassen, wohlan, so fürchte den da!" Bei diesen Worten zog Chredidscha aus ihrem Gürtel von Kammeelhaar einen Gegenstand hervor, welcher aussah wie ein vergrößerter Stricknädclbehälter von Holz. Es war jedoch kein solch' weibliches Utensil, sondern die hölzerne Scheide eines kabylischen Dolches. Diesen Dolch schwang sie in der Richtung der Alten, um der soeben ausgesprochenen Drohnng Nachdruck zu verleihen, was ihr auch dergestalt gelang, daß die Kupplerin schnell auf ihren Knieen in einen entfernten Winkel rutschte und da völlig, vor Schreck gelähmt, zusammenbrach. 399 Chredidscha war nicht so bösartiger Natur, lric man aus dem Gesamten vielleicht schließen dürfte, Ihr Heiz, obgleich durch trübe Erfahrungen verbittert, tannte doch noch das Mitleid. So erbarmte sie sich denn auch der Alten und holte ihr aus dein Haus ein Glas voll ungeläutcrtem !>I, das Nnivcrsalhcilmittcl und nebenbei die Lieblingsspeisc oder vielmehr der Lieblingstrank aller Kabylen. Davon mußte die Kupplerin die eine Hälfte trinken», die andere wurde ihr in's Gesicht gerieben und floß in fetten, braunen Tropfen auf ihre geschwärzten Gewände nieder, wo sich diese neuen 3)el-flecken zu unzähligen älteren gesellten. Als die Alte sich wieder erholt hatte, begann Chredidscha ihre Erzählung: „Du mußt wissen, daß ich keine Fokania bin. Wie, Du staunst? Du hattest es noch nie vernommen? Allerdings scheint es unerhört, daß eine Tahtania schon seit dreißig Jahren Gattin eines Fokani ist und noch nie versucht hat, sich dieses Mannes durch einen Dolchstoß in der Nacht zu entledigen. Nie leicht wäre mir das geworden, denn mein Mann liebt mich noch immer und beobachtet keinerlei Vorsicht gegen mich. Aber was willst Du? Ich bin nicht so wild wie ich aussehe. Mancher Tahtani freilich würde mich entartet nennen. Aber was meinen Muth entnervte, das sind meine Kinder gewesen, die jede gute Kabylin liebt, wie die Löwin in unsern Wäldern ihre Jungen, und diese unschuldigen Kleinen hätte ich durch Tödtung ihres Vaters zu meinen Erb-und Vlutfcinden gemacht. Leider hatte Allah beschlossen, daß ich sie alle verlieren sollte, alle bis auf ein einziges, und ihr rasches Hinsterben hat mir bei der Parthei, unter der ich wohne, den Namen der Kindsmörderin zugezogen. Du kennst diesen Namen. Ich sah's am plötzlichen AufblinZeln Deiner Augen. Aber, so wahr mir Allah beisteht, am jüngsten Tage, 400 der Name lügt, ich habe meine Kinder nicht gctödtet. Ich hätt' es leicht thun tonnen und jeder Tahtani würde mich als eine Heldin verehrt haben, welche dem Partheihaß selbst die Mutterliebe zum Opfer brachte. Aber ich vermochte es nicht! Ich habe sie nicht getödtet. Allah hat sie nur genommen, der Name Allah's sei gepriesen. „Unerklärlich muß es Dir freilich erscheinen, wie ich, eine Tahtania, dann überhaupt.dazu komme, die Gattin Ammer des Fokani zu sein, denn solche Ehen zwischen Partheifemden sind so naturwidrig, wie das Verschmelzen von Oel mit Wasser. Freiwillig bin ich es nicht geworden, das kann ich Dir versichern. Als ich ein Mädchen war, da raste der Par-theikampf zwischen Tahtani und Fokani noch heftiger als jetzt. Auch loir Weiber nahmen Parthei, und wenn wir einer Frau oder einem Mädchen der Feinde einen Dolchstich versetzen oder einen Stein an den Kopf werfen konnten, so galt das uns als höchste Wollust. Wie die Männer auf dem Gc^ meindefeld vor dem Dorfe mit Schwert und Flinte kämpften, so fochten wir Frauen am Brunnen mit Steinwürfen und nicht selten sehte es dabei schlimme Verwundungen ab. „Eines Tages entstand beim Wasserschöpfen eine wahre Weiberschlacht, in welcher wir, die Frauen der Tahtani, unsre Feindinnen schließlich unter einem Hagel von Steinwürfen m die Flucht jagten. Alle flohen, bis auf eine einzige, ein schwaches, kränkliches Mädchen, die, von einen« großen Stein am Kopf getroffen, blutend Zusammengebrochen war. Schon wollten meine Gefährtinnen ihr völlig den Garaus machen, als ich, von einem mir selbst unerklärlichen Mitleid bewegt, mich der Unglücklichen annähn», wofür ich reichlichen Hohn von meinen Gefährtinnen cinärndtete. „Sie ließen mich mit der Gefallenen allem, für welche ich etwas Oel holte und ihre Wunde damit einrieb. Während 401 wir beide so an« Vrunnenplatz, welcher, wie Du weißt, mitten zwischen den feindlichen Stadttheilen liegt, allein waren, da trat plötzlich ein Mann zu uns. Es war ein schöner, großer, wilder Mann, ein ächter Sohn Kabyliens, mit struppigem schwarzem Bart, die Flinte auf der Schulter und trotzig in die Nelt hineinsehend. Doch, was brauch' ich ihn Dir zu beschreiben? Du kennst ihn ja. Nur mußt Du Dir ihn dreißig Jahre jünger denken. Dieser Mann war Ammer. Das Mädchen war seine Verwandte. Er dankte mir nicht, er sprach nicht mit mir, kurz er verstieß nicht gegen die Sittenlehre, welche gebietet, fremden Mädchen fern zu bleiben. Aber er sah mich an. Er sah mich an mit seinen feurigen schwarzen Augen, wie ein Naubthier die Veute, die es verzehren will. Ich empfand diesen Blick und las in ihm eine unbezwingbare Leidenschaft. Natürlich entfloh ich, so schnell ich tonnte, aber so oft ich mich umwendete, sah ich in der Ferne den Aurnus Ammcrs, der mir bis an meine Wohnung nachschlich, unbekümmert um die Gefahr, die seiner im feindlichen Stadttheil harrte. Als er sich mit eignen Augen Gewißheit über meinen Wohnort verschafft hatte, kehrte er um. „Von diesem Augenblick verging kein Tag, ohne daß die feurigen Augen Ammers wenigstens einmal auf mir ruhten. Der trotzige Mann wagte sich jedesmal ganz allein in den feindlichen Stadttheil. Zwar sauste mancher Stein aus Frauen-Hand, zwar schwirrte manche Kugel aus eines Mannes Flinte um sein Haupt, aber Niemand wagte es, ihn im Handgemenge anzugreifen, denn Ammer war in« ganzen Dorfe der Tapferste und seine scharfe Flissa (kabylisches Schwert) die gefürchtctste iu Schellata. Ich inuftte mir sagen, daß all' dieser Muth mir zur Ehre an den Tag gelegt wurde, und das war für mich ein schreckliches Geständnis;. Noch liebte ich ihn nicht, ja selbst heut' zu Tage weiß ich nicht, ob ich ihn jemals 20 402 geliebt habe, denn in meiner Brust haben stets zwei gleich-mächtige Leidenschaften, der Parteihah und cm anderes Gefühl, sich mit Wuth bekämpft und nur auf Augenblicke hat eine über die andere gesiegt. Aber daß Ammer mich liebe, und zwar mit tollkühner Leidenschaft liebe, davon mußte ich überzeugt sein. Zu was sollte aber diese Liebe führen? Nie tonnte ich sein Weib werden, nie würde mein Vater seine Tochter einem Fokani geben. „Es mochten etwa zwei Wochen seit dein Tage, an dem ich Ammer zum ersten Male gesehen, verflossen sein, als mein Vater mit der Heerde unsres Dorfes auf die Hochtrift auf den Giftfein des Dscherdschera ging, um dort einige Monate zu verweilen, wie das bei uns immer üblich war und noch ist. Ich blieb im Tchutz einer zahlreichen und kampflustigen männlichen Sippschaft im Dorfe zurück. „Eines Tages war unser Haus in der größten Aufregung. Meine Mutter und eine Schaar von alten Weibern, ihre Verwandten, steckten die Köpfe zusammen und verhandelten mit zornsprühenden Alicken und Geberdcn eine Angelegenheit, von der man mir nichts sagen wollte, obgleich oder vielmehr grade weil sie mich am Allermeisten anging. Die alte Kabla, Deine Vorgängerin im sauberen Kuftpelgeschäft, war da gewesen und hatte meine Hand für Ammer den Fokani gefordert. Von einer Einwilligung konnte natürlich nicht die Rede sein. Man vermochte sich auch gar nichts andres zu denken, als daß Ammer diesen Vorwand nur benutzt habe, um durch eine so tödtliche Beleidigung, wie der Hei-rathsantrag eines Fokani für alle Tahtani sein muhte, sie sämmtlich zum Kampfe herauszufordern, welcher denn auch nicht auf sich warten lassen sollte. „Meine Brüder und Vettern und mit ihnen fast alle jungen Männer, welche im Dorfe geblieben waren, zogen noch 403 an demselben Nachmittag hinaus aufs Gemeindefeld, um dort ihre Gegner zu treffen, denn der Kampf im Dorfe selbst war an jenem Tage verboten. Dort muß es sehr hitzig hergegangen sein, denn später erfuhr ich, daß man fünf bis sechs schwer verwundete Tahtani vom Kampfplatz weggetragen habe: sehen konnte ich sie jedoch nicht, wie ich überhaupt seit jenem Tag keinen meiner Verwandten und Parteigenossen mehr anders sehen sollte, als aus der Ferne. Denn den Augenblick des hitzigsten Gefechtes benutzte Ammer, um einen längstge-hcgten Vorsatz auszuführen. Wir Frauen und Mädchen waren im Dorfe allein zurückgeblieben und warteten auf der Straße der Rückkehr unsrer Verwandten. Wir fühlten uns ganz ficher, da wir fast mit Bestimmtheit annehmen konnten, daß auch alle Männer der Fotani auf dein Kampfplatz seien. Unsre Zuversicht wurde jedoch schrecklich enttäuscht. Denn plötzlich sprengte ein Reiter mit wallenden, Burnus, die Flinte auf der Schulter, unsre Straße hinab. Ehe ich noch Zeit gehabt hatte, ihn zu erkennen, fühlte ich mich von zwei kräftigen Annen gepackt uud aufs Pferd gezogen. Nun ging's ebenso schnell wieder den Hügel hinauf, als vorher herunter, nur daß dieftmal zwei Menschen auf dein Pferd saßen, während vorher nur einer. Brauche ich zu sagen, daß dieser Eine Ammer war? „So wurde ich durch Raub Ammers Gattin. Ob ich sie werden wolle, danach war ich natürlich nicht gefragt worden. Seitdem habe ich von den Meinigen, ja von allen Tahtani abgesondert gelebt, denn der Parteihas; trennte unö durch eine unübersteiglichc Kluft. Nur einmal sollte ich noch mit einem der Meinigcn in Berührung tommm, und zwar in Folge eines schrecklichen Ereignisses. „Du weißt, daß kein Kabyle sich für einen rechtmäßigen Ehemann ansehen kann, wenn er nicht seinem Schwiegervater U6* 404 ben Preis für dessen Tochter bezahlt oder, in dem seltnen Fall, daß dieser aufgeschlagen werden sollte, wenigstens angeboten hat. Auch Ammer hielt sich durch die Sitte hiezu verpflichtet. Kaum war mein Vater vom Hochgebirge zurückgekehrt, es mochte dlei oder Vier Monate nach meiner Ver-heirathung gewesen sein, als Ammer wohlbewaffnet und begleitet von seiner sämmtlichen bewehrten Sippschaft in den Stadttheil der Tahtani niederstieß. Er hielt vor dem Hause meines Vaters, in welches einzutreten ihm der Parteihaß sowohl, wie die Sitte verbot, und rief ihn beim Namen. „Mein Vater erschien mit der Flinte in der Hand am Fenster lind rief „Ammer, was willst Du?" „Ich frage Dich", erwiderte Ammer, „ob Du das Kaufgeld für Deine Tochter nehmen willst, und wie viel Du verlangst?" „Von Dir will ich nichts, als Dem Leben", erwiderte mein Vater und drückte scin Gewehr ab. „Mein Vater fehlte jedoch. Wer aber nicht fehlten sollte, das war Ammer. Dieser rief zuerst seinen Gefährten zu: „Ihr alle seid Zeugen, daß ich dem Alten den Kaufpreis für seine Tochter geboten habe, daß folglich (5hredidscha nun meine rechtmäßige Frau ist; Ihr seid aber auch Zeugen, daß der Alte zuerst auf mich gefeuert hat und daß ich in meinem Recht stehe, wenn ich antworte." Tarauf schoß er los und mein Vater sank entseelt zu Avden. „Ammer sagte mir kein Nort Von dem Geschehenen. Ich erfuhr es erst einige Wochen spater, als ich zufällig einmal allein am Brunnen war, der zwischen unsern beiden Stadt-theilen liegt. Da tauchte plötzlich hinter der Brunnenmauer eine mir wohlbekannte Gestalt auf, welche ich an jenem Tage zum letztenmale sehen sollte. Os war einer meiner Brüder; er beschwichtigte schnell meine Furcht, indem er sprach: 405 „Sei unbesorgt, Chredidscha, es soll Dir kein Leid geschehen. Zwar Wäre es meine Pflicht, Dich zu todten, um Dich der Schande, das Weib eines Fokani zu sein, zu entziehen. Wcnn ich Dich aber am Leben lasse, so geschieht es nur, weil t>iott Dich zur Rächerin Deines Vaters erkoren hat. Denn wisse, Ammer hat unsern Vater getüdtet. Die Blutrache ssebietet Dir mm, ihn zu crnwrden. Als seine Frau kannst Du das mit Leichtigkeit. Nimm diesen Dolch da und zeige Dich als unsre würdige Schwester." „Dabei drückte er mir denselben Dolch in die Hand, welchen ich Dir vorhin gezeigt habe, und entfernte sich schnell. An mir wäre es nun gewesen, das Amt der Vlutrücherin zu üben. Aber, Gott sieh' mir bei am jüngsten Tage, ich vermochte es nicht. Oft hab' ich's versucht, oft, wcnn Ammer sorglos in meinen Armen schlummerte, den Dolch gehoben und ihn auf denjenigen gezückt, den ich haftte und liebte zugleich: aber eine Stimme unter meinem eignen Herzen hielt mich davon ab, ihn zu durchbohren. Diese Stimme sagte mir, du bist Mutter, willst du den Vater deines Kindes todten? Willst du die Blutschuld in deinem Geschlecht verewigen, damit dein Kind dir einst vergelte, was du am Vater verbrochen? „Als die Meinigen sahen, daß ich die Pflicht der Blutrache außer Acht ließ, da brachen sie völlig mit mir, ja ich durfte mich Jahrelang nicht aus dem Hause wagen, um nicht den Dolchstichen meiner Briber zum Opfer zu fallen. So, von den Tahtani verfolgt, von den Fokani meiner Abkunft wegen stets gemieden und verachtet, verbrachte ich dreißig Jahre eines trostlosen Lebens. Aber diese dreißig Jahre haben meinen Sinn nicht gebrochen. Als eine Tahtania bin ich geboren, Tahtania will ich bis zum Tode bleiben und mein Kind soll kein Fotani bekommen. 406 „Auch würde meine Tochter keinen Fokani, dem man sie vermählt hätte, am Leben lassen. Denn dies;, wozu ich zu feig war, den Mann in der Vrautnacht zu erdolchen, das Würde sie thun, dazu hab' ich sie erzogen. Das war nämlich die einzige Nache, die ich gegen meinen Gatten geübt, das; ich seine Kinder zu leidenschaftlichen Feinden seiner Partei erzogen habe. Alle meine verstorbenen Töhne und Töchter waren Tahtani und meine einzig übriggebliebene Tochter ist eine eifrige Tahtania l,nd geschworene Feindin der Sippschaft ihres Vaters. „Nun weißt Du, warum ich keinen Fokani zum Schwiegersohn haben will und nun rathe ich Dir. Dich nicht mehr bei mir blicken zu lassen, denn mit einen, nur willkommenen Heirathsantrag kannst Du doch nicht kommen, dazu kenne ich zu gut die Partei, der ich angehöre, deren keiner die Tochter eines Fokani zur Frau nehmen würde. Als die alte Kupplerin diese Erzählung angehört, schlich sie kleinlaut davon und wagte nur mit schwacher Ttimme einen Abschiedsgruß zu stammeln, auf welchen Chredidscha unter ihrer Würde fand, zu antworten. Chredidscha saß noch immer vor ihrem Hause, als gegen Abend der Zug der jungen und alten Kabylinnen, welche von der Feldarbeit heimkehrten, denn die Frauen bestellen vorzugsweise die Felder der Kabylen, an ihr vorüberkam. Ein Europäer würde die meisten dieser Frauen für alte Weiber gehalten haben, denn fast alle zeigten verwitterte, verrunzelte Gesichter, welche man sehr wohl sehen konnte, da die Kaby-linnen sich der Gesichtoumhüllung gewöhnlich nicht zu bedienen Pflegen. Aber die Mehrzahl war doch noch keineswegs alt, sondern stand in den kräftigsten Jahren. So bringt es indeß die barbarisch rauhe Lebensweise der Kabylmnen, ihre schlechte Nahrung, die viele harte Arbeit, die Uncrbittlichkeit, 40? mit der sie sich der glühendsten Sonne, dem Negen und der keineswegs in diesen Bergen geringen Winterkälte aussetzen müssen, mit sich, daß oft eine Dreißigjährige schon die Züge der Fünfzigerin trägt, ohne deßhalb irgendwie anders, als im Aussehen, gealtert zu sein. Frische, blühende Mädchen-gefichter sieht man unter diesem Volke nur bei den halben Kindern, den noch nicht völlig erwachsenen Jungfrauen, aber in diesem zarten Alter entwickelt sich die schnellvergängliche Blüthe der Schönheit oft desto üppiger, gleichsam als wolle die Natur durch Intensität der Schönheit für deren allzugroße Flüchtigkeit entschädigen. So zeigten sich auch unter diesen Kabylinnen einige wahrhaft bezaubernde Erscheinungen, deren Gesichter ein Gemisch aus dem Dunkel der Nacht und dem Gold der Sonne zu bilden schienen. Das Eigenthümliche besitzen diese tiefbraunen, beinahe schon angeschwärzten Gesichter, daß sie in der Jugend etwas wie ein goldner Schimmer zu durchdringen scheint', das ist die Form, unter welcher sich die Nöthe der Wangen bei ihnen offenbart. Dieser Schimmer ist im Grunde genommen weiter nichts, als eine hellere Schattirung der braunen Farbe, die auf dem Mittelpunkt der Wangen am hellsten, beinahe goldgelb, erscheint und von da aus nach den übrigen Gesichtstheilen hin alle Wechsclstufen zwischen Gold und Braun durchmacht. Das blendende Weiß des Auges und das glühende Schwarz des Augensternes stechen gegen diesen Farbenton des Antlitzes unbeschreiblich schön ab. Eine überaus reichliche Fülle rabenschwarzer, meist natürlich gelockter Haare umrahmt diese Gesichter, welche, wenn auch selten regelmäßig, doch meist eine solche Form darbieten, wie sie grade der Jugend und halben Kindheit am besten steht: etwas Neckisches und Schelmisches liegt in den kleinen kabylischen Naschen, so verschieden von der Adlerform der arabischen Nase; das in diesem zarten 408 Alter meist runde Gesichtchen, dessen Wangen, ohne jemals stark zu sein, doch noch voll hervortreten, das tieft Grübchen des Kinnes, die kleinen niedlichen Ohren, dieß Alles drückt eine Naivetät nnd Kindlichkeit aus, die wohl erklärt, warum die Araber und Mauren, ebenso wie die Kabylen selbst, welche ohnehin das Halbreife lieben, oft so leidenschaftliche Verehrer von blutjungen Kabylinncn werden. Aber, wie sehr auch manche dieser vorüberwandelnden Gestalten würdig gewesen wäre, das Auge zu fesseln, für Chredidscha schienen sie sännntlich nicht vorhanden oder nur insofern vorhanden, als sie bei ihr Flüche auf die Lippen riefen. „Für Euch", so murmelte sie vor sich hin, „halte ich bereit das Feuer der Holle, das siedende Wasser, den brennenden Durst und eine Speise, die erwürgt. Euer Halsband sei eine eiserne Kette, Eure Speise stinkende Fäulnis;, Euer Trank glühendes Pech. Eure Haut will ich im Höllenfeuer vernichten, und, so oft sie versengt ist, Euch eine neue Haut geben, damit auch sie verbrenne und Eure Leiden verdoppelt werden mögen." So weit ging nämlich bei Chredidscha der Parteihaß, daß sie jene Worte des Korans, welche auf die Ungläubigen die Qualen der Hölle herabbeschwörcn, auf die Töchter der feindlichen Partei anzuwenden pflegte, denn alle diese Mädchen und Frauen gehörten ja zu der Spaltung der Folani und waren ihre Todfeindinnen, obgleich sie, selbst die Gattin eines Fokani, diese Feindschaft in ihr Inneres verschließen mußte. Jedoch nur einen Augenblick gönnte sie dem Gedanken des Hasses. Bald suchte ihr Blick forschend nach einem Gegenstand, welcher ein ganz andres Gefühl in ihrem Vusen hervorzurufen geeignet war. Aber, wie sehr ihr Auge auch 4U9 forschen mochte, heute konnte es dcn geliebten Gegenstand nicht entdecken. Obgleich Neßla von ihrer Mutter zu einer Feindin aller Derer erzogen worden war, unter denen sie wohnte und sich bewegte, eine Erziehung, deren Resultat bis jetzt vollkommen der Erwartung Chrcdidscha's entsprochen hatte, und obgleich sie folglich auch keine einzige Freundin unter den Mädchen der Fokani besah, so zwang sie doch die Sitte und der Wille ihres Vaters, mit der Schaar dieser Frauen und Mädchen zusammen am Morgen zum Feld zu ziehen und Abends zurück' zukehren. (Gewöhnlich ging sie zuletzt in dem Zuge, abgesondert von allen Uebrigen. Aber heute spähte Chredidscha umsonst nach dem Ende des Zuges. Neßla war nicht dabei. Sie verschmähte es, irgend Jemand über diese so auffallende Abwesenheit zu befragen. Sie und ihre Tochter waren überhaupt unter den Fokani auch so verhaßt, daß kaum eine ihr geantwortet haben würde. So sah sie sich gezwungen, ihre mütterliche AengstlichtVit in ihr sorgenvolles Gemüth einzuschließen. Schon war die Sonne hinter der riesigen Felömaucr des Dscherdschcra hinuntergctaucht, schon hatte sich nächtliches Schweigen auf das Kabylendorf niedcrgescntt, als Chredidscha noch immer vor der Thür ihres Hauses dasaß. Ihr Blick war starr in einer Richtung nach den« Eingang des Dorfes hingewandt. Plötzlich ging eine freudige Verände-. rung in ihren Zügen vor sich. Ein weißer kabylischer Haik (Schleier) leuchtete ihr von ferne aus dem Dorfthore entgegen. Schnellen Schrittes bewegte sich eine schlanke weibliche Gestalt auf sie zu. Es war die langersehnte Tochter, welche, ganz gegen ihre Gewohnheit, erst in so später nächtlicher Stunde zu der erstaunten und beinahe unwilligen Mutter zurückkehrte. 4!0 Mutter und Tochter begrüßten sich nicht. Begrüßungen sind bei diesem Volke so ganz oberflächliche leere Förmliche keiten, daß die, welche sich wirklich lieben, sie gewöhnlich unterlassen. Chrcdidscha begnügte sich damit, ihrc Tochter scharf zu mustern, und da sie bei derselben eine gewisse Aufregung zu entdecken glaubte, so fragte sie: „Was ist Dir zugestoßen, mein Kind?" „Nichts Schlimmes, Mutter. Laß mich nur erst ein wenig aufathmen, denn ich bin schnell gelaufen, dann erzähl' ich's Dir." Nach einigen Minuten hub sie an: „Du weißt, Mutter, daß ich hier unter den Töchtern der Fokani auch keine einzige Freundin zähle. Freundschaft ist aber jedem Mädchenherzen ein Bedürfniß. So habe ich denn schon vor einiger Zeit die erste beste Gelegenheit benützt, um mit einem Mädchen Deines Volkes, der Tahtani, in Berührung zu treten. Dieß wurde mir nicht so schwer, als Du es vielleicht denken möchtest. Denn obgleich ich mit den Frauen und Mädchen der Fotani täglich zu Felde ziehen muß, so Pflege ich doch bei der Arbeit selbst von ihnen abgesondert zu sein. Neben unserem Acker liegt, wie Du weiht, der des Said, des Tahtani, der, glaube ich, sogar mit Dir verwandt ist." „Verwandt?" erwiderte Lhredidscha, „mein eigner Bruder ist's. Aber schon seit dreißig Jahren bin ich außer Berührung mit ihm." Die schlaue Äleftla hatte dies; wohl gewußt, aber, so instinktmäßig ist die Verstellung bei diesem Volte, daß ein Mädchen selbst der Mutter gegenüber Versteckens spielt. Deßhalb gab sic nun ein großes Erstaunen über die anscheinende Enthüllung eines Geheimnisses vor, indem sie antwortete: „So Wäre also seine Tochter Saida, welche meine beste und einzige Freundin geworden ist, meine eigne Base. Denn 4ll bald fanden sich Berührungspunkte zwischen uns beiden. Was zunächst zu denselben führen sollte, war ein Vorkomm-niß, zu dem der Parteihader Anlaß gab. In den ersten Wochen nämlich, nachdem ich zum erstenmal an Deiner Stelle die Bestellung unsres Ackers übernommen hatte, waren mir die Mädchen des Nachbarfeldes durchaus nicht hold, sondern schienen dielmehr mich, welche sie natürlich für eine ihrer Feindinnen halten mußten, durch Schimpfreden über den Soff meines Vaters und durch die stete, wie sie glaubten, beleidigende Wiederholung eines Parteiwortes gleichsam herausfordern zu wollen. So oft sie mit der Hacke einen Hieb auf den Boden ausführten, riefen die Mädchen: „Möge sie den Kopf eines Fokani treffen!" Wider ihr Erwarten blieb ich aber von dieser parteifeindlichen Sprache nicht nur ungereizt, sondern schien ihnen sogar mit unverkennbarem Wohlgefallen zuzuhören. Ja, als sie noch einmal den, ihrer Meinung nach, tödtlich beleidigenden Nuf ertönen ließen und dieser in meiner Vrust das Echo Deiner eignen kehren, o Mutter, erweckte, konnte ich mich nicht enthalten, selbst mit einzustimmen, und zu ihrem großen Erstaunen vernahmen die Frauen und Mädchen der Tahtani aus meinem Munde Verwünschungen über diejenigen, welche sie für meine Freunde halten mußten. Sie blickten mich deßhalb voll Ucberraschung an und schienen Anfangs ihren Ohren kaum trauen zu wollen. Um mich zu erproben, wurde der feindliche Nuf auf's Neue und immer auf's Neue wiederholt, aber zur Vollendung ihres verblüfften Erstaunens bildete meine Antwort ein stetes treues Echo. Indeß wäre es vielleicht trotz alledem doch nicht zu einer Annäherung gekommen, so unübcrsteiglich scheint ja die Kluft zwischen Tahtani und Fokani, hätte sich unter den ersteren nicht ein Mädchen meines Alters befunden, welches nur ganz besondere Aufmerksamkeit widmete. Dieses nä- 412 herte sich mir bald und rief zu nur übcr die Feldmark hinüber: „Was soils, Mädchen, daß Du Deine Brüder verwünschst?" „Ich verwünsche nur mcinc Feindc", erwiderte ich. „Dann wären Deine Feinde ja auch die unsrigen", sprach sie, „doch wie ist das möglich?" „Das will ich Dir heute Abend sagen", antwortete ich, „wenn Du mich am Brunnen erwarten willst, nachdem die letzten Schöpferinnen fortgegangen sind. Jetzt wäre es nicht möglich. Mein Vater kommt, und mein Vater ist ein leidenschaftlicher Fotani, der seine Tochter nicht im Gespräch mit einer Tahtania treffen darf." „Wir trennten uns also, um uns an demselben Abend beim Brunnen wiederzufinden. Dort erzählte ich meiner neuen Freundin meine und Deine Geschichte, an welcher sie den lebhaftesten Antheil nahm. Dieß fand vor ungefähr einem halben Jahre statt. Wir wurden bald durch die Bande einer engen Freundschaft verbunden und trafen uns von nun an fast an jedem Neumondstag zur verabredeten Stunde. Auch heute hatten wir wieder eine Zusammenkunft, und deß-halb bin ich so spät gekommen." „Du bist nicht nur spät gekommen", sprach die Mutter, „sondern Du bist heute noch später zurückgekehrt, als Du sonst einzutreffen gewohnt warst, selbst wenn Du Dich verspätet hattest. So lange Pflegt das Stelldichein mit einer Freun« din nicht zu dauern. Da muß noch etwas andres sein. Erzähle!" „Du hast Recht, Mutter", erwiderte Neßla, indem sie leichthin crröthcte, „es war auch noch etwas andres. Aber ich trau' mirs kaum zu sagen. Jedoch Du kennst mich, Du Weißt, daß ich nicht umsonst einen Dolch bei mir führe und 413 leine unehrerbietige Annäherung von Seiten eines Mannes dulden Würde." „Also ein Mann war doch im Spiel? Wer war's, Wenn's ein Fokani war, dann erfahre, daß auch ich einen Dolch führe und dah ich vergessen kann, daß ich Mutter bin!" „To wahr nur Gott helfe am jüngsten Tage!" betheuerte Neßla, mit dem beliebten moslimischen Schwur: „Es war kein Fokani. Ein Tahtani war's, mein eigner Vetter, der junge Said, der Bruder meiner vertrauten Freundin. Er stand, wie ich Anfangs glaubte durch Zufall, grade neben ihr, als ich sie heute Abend beim Brunnen traf. Ich dachte natürlich, er würde fortgeben, sobald ich mich seiner Schwester näherte, wie dieß jeder andre Kabyle gethan haben würde. Aber er ging nicht fort, und seine Schwester schickte ihn auch nicht fort, sondern schien ihn vielmehr absichtlich zurückzuhalten-Vr blieb und ich hörte die Beiden etwas zusammen murmeln. Endlich schien Eaida eine» Entschluß gefaßt zu haben. Sie nahm ihren Bruder bei der Hand und führte ihn, unbekümmert um meine Schamröthe und abwehrende Handbewegung, geraden Weges auf mich zu, indem sie sprach: „Das ist mein Bruder Said, Neßla, der bereit ist, Dich aus der Knechtschaft der Fotani zu erlösen und Dich zu seinem Weib, zum Weib eines rechtschaffenen Tahtani zu machen." „Ich hätte bei diesen Worten, die so unerhört gegen unsre Sitten verstießen, (denn wo wäre je ein Mann bei seinem eignen Heirathsantrag zugegen gewesen?) eigentlich gleich die flucht ergreifen sollen. Aber ich weiß nicht, was es war, was mich wie gebannt und willenlos an die Erdscholle geheftet festhielt? Statt zu fliehen, blieb ich stehen und starrte völlig bewußtlos vor Staunen dem jungen Mann in's Gesicht. „Zuerst schaute ich nur mechanisch und gedankenlos hin. 414 Aber bald fing meine Aufmerksamkeit an, erregt zu werden. Denn die Züge des jungen Mannes kamen nur so unbegreiflich bekannt vor. Ich forschte in meinem Gedächtniß, und bald ward mir's klar, an wem ich schon ähnliche Züge erblickt hatte. An went anders, als an Dir selbst, Mutter? Nas mir damals wie ein Räthsel vorkam, erscheint mir nun gelöst, da der Jüngling ja Dein Bruderssohn ist. Diese Aehnlichteit hatte die Folge, das; ich den jungen Eaid nicht mit Mißfallen ansah. Zwar sprachen wir nur wenig zusammen, (denn welch' junges Mädchen vermöchte es, in solchem Falle viel Zu reden?) aber unser Begegnen war doch tem abstoßendes. Zum Schlüsse lud mich meine Freundin zu einer Hochzeit in ihrem Stadttheil ein, zu welcher ich Dich, Mutter, auch mitbringen soll. Wir könnten ja verschleiert hingehen und bleiben, meinte sie, denn bei solchen Fällen Wäre es nicht auffallend, wenn Frauen im Schleier kämen, da ja auch die Gemahlinnen des Agha und einiger Vornehmen verschleiert zu gehen pflegten. Eo würde uns Niemand erkennen, wir aber könnten Alle sehen und beobachten. Obgleich sie nun zwar sagte „Alle", so hatte sie doch dabei nur einen Einzigen, nämlich ihren Bruder im Auge, den sie Dir, Mutter, bei dieser Gelegenheit zeigen will, um zu sehen, ob Du mit dem Heirathsftlan einverstanden bist. Was mich betrifft, so bin ich natürlich vor Allem Deine Tochter und werde nur nach Deiner Eingebung handeln." „Du scheinst", erwiderte Chredidscha, „aber bis jetzt doch eine gewisse Eelbstständigteit an den Tag gelegt zu haben. Doch ich tadle Dich darum nicht. Gott hat es so gefügt und ohne seinen Willen wäre das Ebenerzählte nicht geschehen! Jedoch was Du da sagtest, das sind ernste Dinge, und Du hast viel gewagt, daß Du es soweit kommen ließest. Zwar kann ich nichts Vessrcs wünschen, als daß mein Kind einen 415 Tahtani Heirathe. Aber dieser Tahtani muß kein gewöhnlicher Mensch sein, er muß Muth für hundert besitzen, um Dick) gegen seine eigne Sippschaft zu vertheidigen, denn als Tochter eines Fokani wirst Du Anfangs wenigstens im Quartier der andern Partei eine sehr feindliche Stellung haben. Darum will, ja muß ich ihn sehen, und darum kannst Du auch Deine Freundin wissen lassen, daß ich die Einladung zur Hochzeit annehme. Natürlich muß sie mein Kommen geheim halten." Chredidscha war zu diesem Entschlüsse nicht durch das zu entscheidende Schicksal ihrer Tochter allein bestimmt worden, nein, ihr eignes Herz zog sie nach dem Stadttheil ihrer Familie. Seid dreißig Jahren hatte sie unbefriedigt das Heimweh nach ihrem so nahgelegenen und doch durch eine unübersteigliche Kluft von ihr getrennten Geburtsort im Busen verschlossen. Run sollte der so lange ungestillte Trieb endlich eine, wenn auch noch so flüchtige Befriedigung erhalten. Bei diesem Gedanken wollte zum erstenmal nach so vielen Jahren der flüchtige Schimmer einer froheren Hoffnung wieder in ihr Herz eindringen. An dem zur Hochzeit bestimmten Tage begaben sich Chredidscha und ihre Tochter, durch dichte Schleier unkenntlich gemacht, nach dem Stadttheile der Tahtani. Mit seltsamen Gefühlen betrat die fünfzigjährige Frau die Schwelle eines Hauses, in welchem sie als Mädchen ein- und ausgegangen war und das, sowie alle Häuser der Tahtani, ihr eignes äl-terliches mit einbegriffen, ihr seitdem unnahbar gewesen Wat. Die Frauen wurden auf die übliche stumme Weise empfangen, bei der sie sich nicht einmal zu erkennen zu geben brauchten, denn bei moslimischen Festen dürfen auch ungebetene Gäste erscheinen, und wurden dann nach» dem oberen Stockwerk geführt, wo ein ringsum laufendes Geländer die Gallerie begränzte, von deren Vrüstung aus sie in den innern Hof des Hauses, in welchem alle arabischen und tabvlischen Feste abgehalten ;u werden pflegen, wie von einem luftigen Valcon hinabsehen konnten. Auf diesem Balcon befanden sich, der strengen Schei dungssitte der Geschlechter gemäß, nur Frauen, die meisten nacl' tadylischer Sitte unverschleiert, einige wenige, welche für sich das Privilegium der Vornehmheit in Anspruch nahmen, nach maurischem Etadtbrauche, verschleiert, wie auch, jedoch nicht aus eitlem Nangesdünl'el, sondern aus anderen uns wohlbekannten (Gründen, die beiden aus dem Quartier der Fokani Getonnnenen, l^hredidscha und ihre Tochter. Da die letztere Sitte für die vornehmere gilt, so wurde den Verschleierten der Ohrenvlak angewiesen. Im Hofe selbst gab es nur Männer. In einem Kreise im Mittelpunkte des Festraumes saßen die Musitanten und die Sänger. Erstere hielten jene dem europäischen Auge so seltsamen Instrumente in den Händen, aus welchen Araber und Hiabhlen ihre uns so disharmonisch klingenden Tonstücke hervorrufen, die jedoch dem an andere Begriffe von Harmonie und Melodie gewöhnten einheimischen Ohre den höchsten musitalischen Genuß zu gewähren scheinen. Da war zuerst die Quitzra, ein vierseitiges Instrument, zwischen einer Guitarre und einer Mandoline die Mitte haltend, dann der Nhe-bab, eine kleine rundliche, sehr dicke Geige, in ihrer Tonstimmung einer Art Altviole ähnlich; die Kamentscha, eine unförmige altmodische Violine. Neben diesen drei Saiteninstrument ten, welche stets den Grundton der Musikstücke festhielten, dienten zur Hervorbringung von Variationen verschiedene Arten von Tamtam's und Äendair (Tamburinen), eine große und eine kleine Trommel und schließlich fehlten nicht einige Kralab, große eiserne Castagnetten, der Regcrmusit entlehnt. Das einzige Blasinstrumcnt bildete eine seltsame Nohrflöte, 417 mit kunstvollen Arabesken verziert, aus welcher ein alter Neger schrillende Töne hervorlockte. Die Sänger waren durch Zwei alte Männer hinreichend repräsentirt, welche sich im Sologesang ablösten, während der Chorgesang, das Duett, Quartett ?c. diesen Völkern gänzlich zu fehlen scheint. Der eine Greis erwies sich als ein vielbekannter, algierischer, singender Vagabunde, welcher in directer Linie von irgend einem Heiligen abstammte, nnd der als Nachkomme desselben bei seiner Ahnentaftelle von der Verehrung der Gläubigen das schönste und bequemste Auskommen hätte genießen können; aber sein Genie und die Muse des Gesanges gönnten ihm keine Ruhe, so das; er es vorzog, selbst noch in seinen alten Tagen ausschließlich von seinem vermeintlichen musikalischen Talent zu leben und seine sogenannte schöne Stimme der Bewunderung der Gesangsfreunde, deren sich unter Arabern wie Kabylen keineswegs wenige finden, preiszugeben. Der Umstand, daß diese Stimme eine bereits sechszigjährige war, schadete ihrem Ruhme keineswegs, ja vermehrte ihn noch, denn, da der Gesang dieser Völker ausschließlich ein näselnder ist, so kommt es dabei auf Klarheit der Stimme viel weniger, als auf Uebung im Hervorstoßen dieser Nasentöne an und je älter der Sänger, desto mehr Triller und Modulationen weiß er gewöhnlich seiner Rase zu entlocken. Sollte er einen Schnupfen haben, so gewinnen diese Töne einen eigenthümlichen Neiz des Gehcim-nißvollen durch die mystische Umschleierung der Laute, welche sie wie aus über- oder unterirdischen Regionen stammend erscheinen läßt. Der andre Sänger war ein kleines dickes Männchen, zwar ein ächter Vollblutskabyle, aber durch seine Feistheit unter diesem fast durchweg spindeldürren Volke höchst auffallend. Die Töne, welche er seinem Niechorgan entlockte, liesaßen, wahrscheinlich der feisten Nasenwände wegen, durch welche sie sich hindurchwindcn mußten, etwas besonders Schwer- 27 418 wüthiges und Schmachtendes und rissen Alt und Jung beinahe bis zu Thränen hin. Außer diesem Ohrenschmaus war auch noch für eine Augenweide gesorgt und zwar m Gestalt von zwei blutjungen recht hübschen Kabylinnen, welche arabische Tänze aufführten. Diese schwarzbraunen, dunkcllockigcn Schönen zeigten sich in durchsichtige Gewände von dünnster Halbseide gekleidet, reich mit Schmuck von den seltsamsten und mannichfaltigsten Formen behängen, und schienen auf ihren niedlichen Gesichtern einen vollkommenen Cursus von Schminkstudien, denn ohne Schminke darf sich hicr keine Tänzerin zeigen, praktisch entwickelt zu haben. Nicht nur erwies sich das ganze Antlitz röthlich-weiß, aber vorherrschend weiß bemalt, nicht nur trugen die Wangen blühende, rothe Nosen, außerdem erschienen noch kleine, blaue Dreiecke auf dem Kinn, der Nase und dem Mittelpunkt der Backen angebracht und die Stirn zeigte einige aufgeklebte Figuren aus dünnstem Goldblech gebildet, während goldene Flitter auf der schwarzen Schmintlinie der durch Farbe vereinigten Augenbrauen einen schimmernden Glanz verbreiteten. Hände und Füße verdankten dem Färbetraute, Henna genannt (I^iunoni:!, i„6i-mi»), jenen orangeröthlichcn Farbenton, welchen diese Völker für so schön halten. Der Tanz dieser Schönen erwies sich als ein Gemisch des arabischen und kabylischen, wenn man überhaupt sagen kann, daß es einen tabylischen Tanz giebt. Viele halten nämlich den tabylischen Tanz für nichts, als eine nüchternere, langsamere und, wenn »nan will, anständigere Variante des arabischen. Beide Arten des Tanzes verdienen eigentlich nach unsern europäischen Begriffen diesen Namen kaum, da wir unter Tanzen doch hauptsächlich eine Bewegung der Beine und der Füße verstehen, während bei der hier beliebten choreographischen Bewegung, welche ich richtiger eine Pantomime 419 nennen möchte, die Füße beinahe ganz stille stehen und nur der Mitteltvrver in Anfangs langsamen, aber bald heftiger und immer heftiger werdenden Schwingungen bewegt wird. l5s ist cin ausdrucksvolles Ballet, welches gewöhnlich irgend eine glühende Liebcsscene voll Feuer und Sinnlichkeit wieder-zugeben strebt und deßhalb von der männlichen Hälfte der Zuschauer mit gierigen Blicken verschlungen zu werden pflegt. Aber begreiflicherweise besitzen die erotischen Verzückungen dieser Tänzerinnen für weibliche Zuschauer weniger Anziehungskraft. So erschienen auch (5hredidscha und ihre Tochter von dem Tanze nur sehr wenig und nur Anfangs gefesselt. Bald wanderten ihre Blicke im männlichen Zuschauerkreisc umher und schienen nach etwas zu suchen, was für sie unendlich mehr Nichtigkeit besaß, als alle Terpsichoren der Welt. Auch verging keine lange Zeit, ehe der gewünschte Gegenstand gefunden schien, und nun flüsterte Neßla der Mutter in's Ohr: „Das ist er, Mutter. Nun, wie gefällt er Dir?" Dabei blinzelte sie, nur ihrer Mutter bemerkbar, nach einem jungen Manne hinunter, welcher mitten im Zuschaucr-kreis mit untergeschlagenen Beinen dasaß. Es war cin Jüngling von etlichen neunzehn Jahren, schlank und muslelträftig, wie alle Kabylen, aber seine ZUge trugen nicht ganz den wildbarbarischen Ausdruck seiner Stammesgenossen. Es war gleichsam ein eivilsirteres Gesicht; wenn auch nicht so verfeinert, wie das eines gebildeten Europäers, so verrieth es doch eine gewisse Culturfähigkeit. Chredidscha, welche wie manche Kinder dieses mit Mutterwitz und natürlichen Anlagen reich-begabten Voltes, eine gute Kcnnerin der Physiognomien war, schien diese Eigenschaft zu errathen und in derselben für ihren Plan eine Begünstigung zu erblicken. Denn ein gewöhnlicher, halbwilder Kabylc würde ihr nie genügt haben, da ein sol- 27* 420 cher sich wohl nie in dem Maaße, als es das Gelingen ihres Zweckes erheischte, von dem Vorurtheil der Parteisucht frei gemacht haben würde. Sie äußerte also ihrer Tochter ihre einstweilige Zufriedenheit mit folgenden Worten: „Das Gesicht gefällt mir nicht übel. Es liegt etwas Kluges und Offenes zugleich darin. Doch diese Eigenschaften genügen nicht. Denn nun kommt es noch darauf an, ob er auch solche Proben seines Muthes ablegen wird, wie ich sie Von ihm verlangen will." „Von ihm verlangen, Mutter?" erwiderte Ncßla, „aber wo tonnen wir ihn denn sprechen? Soll ich vielleicht ein Stelldichein vermitteln?" „Das wird nicht nöthig sein", entgcgnete Ehredidscha, „siehst Du denn nicht, wie er sich anschickt heraufzukommen?" So unerhört diese Sache auch sein mochte, so war sie doch wahr. Der junge Said stand eben im Begriff, das Unglaubliche zu thun und sich, den geheiligten Gebräuchen zum Trotz, gegen alle Sitte und Gewohnheit, auf den Frauenplatz zu begeben. Wenn nämlich die beiden Frauen ihn demerit hatten, so waren sie ihrerseits keineswegs von ihm unbemerkt geblie-ben und noch ehe er es von seiner Schwester erfahren, hatte lss errathen, wer die Verschleierten seien. Sein lebhafter Punsch, sich denselben zu nähern und womöglich mit ihnen M/.hirechen, rief bald einen seltsamen Entschluß ins ^eben, Msjim und unerhört nach nwslimischer Sitte, welchen nur bjH.'lilolcher Moslem fassen t'onnte, dessen natürliche geistige AßhpflMnheit ihn die Vorurtheile seiner ^anosleute verachten IHxje, i,hen Entschluß nämlich, die Frauen noch während des ^tzW Hlbst aufzusuchen. Dazu umftte er freilich sich eben-fcAH,M'schleiern, um als vermeintliche Weibsperson auf den Ny5cM zu gelangen, auf welchen nur Frauen zugelassen 421 wurden. Die Ausführung dieses Entschlusses war für den unternehmenden und flinken Jüngling das Werk eines Augenblicks. Am Anfang des kurzen Zwiegesprächs Neßla's mit ihrer Mutter hatte er noch scheinbar ruhig dagesessen, dann war er einen Moment verschwunden und bald darauf am Fuß der Treppe, diesimal in dichte weibliche Schleier gehüllt, wiedererschienen, für Jedermann unkenntlich, außer für das scharfe Auge Chredidscha's, welche den jungen Mann ihrer Tochter zeigte, die ihrerseits bald in den weiblichen Gewänden, in welche Said nun vermummt erschien, die Kleider ihrer Freundin, der Schwester ihres Liebhabers, wiedererkannte. Alle Theilnehmerinnen am Feste «nachten der neuankommenden, vermeintlichen vornehmen Kabylin, denn auch sie trug ja jenes unterscheidende Merkmal des höheren Ranges, den dichtverhüllenden Schleier, respeetvoll Platz und dieselbe wurde auf den Ehrensitz dicht neben (5hredidscha geführt, welcher ebenfalls eine bevorzugte Stelle unter den Zuschauerinnen eingeräumt worden war. Nach den ersten üblichen Vegrüßungsformeln, welche der Sitte gemäß selbst zwischen völlig Fremden ausgetauscht werden müssen, blieb die Unbekannte lange stumm sitzen, als traute sie sich nicht den Mund aufzuthun. Aber allmählich schien ihre große Schüchternheit zu weichen und bald entspann sich ein flüsterndes (Gespräch zwischen dieser räthselhaften Schönen und der neben ihr sitzenden Mutter Neßla's, von Welchem wir nur den Schluß mittheilen wollen: „Zu Allem", sprach Chredidscha, „will ich ja sagen, nur sollst Du mir erst eine Probe Deines Muthes geben, denn Muth muß der Mann haben, der ein Mädchen einer feindlichen Partei entführen will." „Du zweifelst an meinem Muth?" erwiderte Said. 422 „Ich habe kein Recht, daran zu zweifeln, aber ich will eine Probe desselben." „Wohlan denn! Welche Probe?" „O eine sehr einfache, die Dir, wenn Du ein wahrer Tahtani bist, noch obendrein Vergnügen inachen muß. Mahmud, der Sohn des Hamidu, der Fokani, den Du gewiß von Ansehen kennst, hat sich erfrecht, um die Hand meiner Tochter anzuhalten. Da ich nun alle ^otani und besonders diejenigen unter ihnen hasse, welche nach Neßla's Hand streben, so gönne ich ihm für seine Unverschämtheit eine exemplarische Strafe, zum Beispiel eine gehörige Tracht Prügel, die Dn ihm geben sollst. Er ist ein sehr kräftiger Mann, in gleichem Alter wie Du; die Probe mag deßhalb keine leicht zu bestehende scheinen und darum auch erwähle ich sie. Ohne sieg' reich aus ihr hervorzugehen, bekommst Du meine Neßla nicht. Merke Dir jedoch zwei Dinge wohl: Du darfst keine Gefährten zu Hülfe nehmen und keine andern Waffen als den gewöhnlichen kabylischcn Stock gebrauchen, denn ich will keine neue Blutschuld auf meine Familie geladen haben." Die Verschleierte hatte kaum diese Worte vernommen, als sie sich erhob und mit dem üblichen Abschiedsgrus; die Nähe Chredidscha's verließ, um sich auch sofort vom Frauen-Platze hinwegzubegcben, nicht jedoch ohne ihrer Nachbarin vorher folgende Worte zugeflüstert zu haben: „Du follst nicht lange auf diese Genugthuung warten, Chredidscha!" Sämmtliche Kabyliunen machten der räthselhaften Dame, welche so spät gekommen war und so bald wieder ging, re-speetvoll Platz und sie verschwand. Der von ihr soeben noch eingenommene Platz blieb jedoch keineswegs leer. Schon hatte sich eine Andere daselbst eingefunden. Dieselbe zeigte sich nicht verschleiert, mochte auch wohl kaum die Mittel be- 423 sitzen, sich viel umhüllende Gewände anzuschaffen, da ihr Gewerbe, obwohl ein sehr nothwendiges und viel beschäftigtes, dennoch bei diesem geizigen Voll nur sehr wenig abzuwerfen pflegt. Die Neuangekommene war Niemand anders, als die alte Kuata, deren Eigenname Habba, das heißt „die Liebe", sehr gut zu ihrem Zarten Kupvclgeschäft paßte. Nicht ohne einen gewissen Ekel erblickte Ehredidscha die neue wenig willkommene Nachbarin. Sie hatte derselben zwar ihr Haus verboten, aber sie vermochte nicht, eine wenigstens raumliche Annäherung der Zudringlichen beim Feste zu verhindern. Freilich blieb ihr übrig, sich in vollkommenes Stillschweigen zu hüllen, um die räumliche Annäherung nicht zu einer persönlichen gedeihen zu lassen, obgleich sie Habba natürlich nicht davon abhalten tonnte, sie anzureden. Diese fetzte denn auch gleich nach Herzenslust ihr Sftrechorgan in Bewegung. Anfangs verharrte Chredidscha in ihrer vornehmen Neservirtheit und horchte kaum auf das, was Jene sagte. Da sie aber doch deren Worten nicht den Zugang zu ihrem Gehör versperren tonnte, so fing sie hie und da eines derselben auf, und diese Worte erwiesen sich verhängnisvoller Weise für sie von magnetischer Anziehungskraft, so daß sie zuletzt nicht mehr vermochte, auch nur einem derselben ihr Ohr zu verschließen. Bald war sie lebhaft von dem Gegenstande, welchen die Alte behandelte, interessirt und ihr Interesse wuchs m Kurzem dergestalt, daß sie alle Vorsätze der Zurückhaltung über Bord warf und sich mit Habba geradezu in ein Gespräch einließ. Dieser Gesprächsgegenstand bewährte sich denn auch in der That für Chredidscha als ein hochwichtiger. Es handelte sich nämlich dießmal nicht mehr um Ncßla, in deren Angelegenheiten sie der Kupplerin durchaus keine weitere Einmischung zu gestatten entschlossen war, sondern um sie selbst. 424 Es war Von einer verhängnisvollen Katastrophe für sie selbst die Rede, und zwar von der schlimmsten, welche eine verhci-rathete Kabylin bedrohen kann, in Gestalt nämlich einer Nebenbuhlerin, welche, mochte Chredidscha nun ihren Mann lieben oder nicht, jedenfalls eine höchst unbequeme Mitbewohnerin ihres Hauses werden muhte, denn Nebenbuhlerin bedeutet für eine Kabylin natürlich immer eine zweite, dritte, oder vierte Gemahlin ihres satten, vorausgesetzt, daß sie selbst die erste ist, wie dieses bei Chredidscha der Fall war. „Ja, ja, meine Tochter". lHabba nannte jede Frau ihre Tochter, war sie auch kaum jünger als sie selbst), so redete die Kuata, „Ammer ist nicht zu trauen. Schon lange geht er auf Schleichwegen, und mein scharfes Auge, das mir Allah in seiner Gnade trotz meines hohen Alters erhalten hat, ist ihm schon oft gefolgt, wenn er das Quartier der Folani verließ, um den zärtlichen Liebeseufzenden wo anders zu spielen." „Wo anders?" fiel ihr hier Chredidscha in's Wort, „was .willst Du damit sagen?" „Hm, hm", erwiderte die Alte, „es scheint, Du hast Ammer einen Geschmack für die Frauen und Mädchen der Tah-tani eingeflößt. In der That soll es auch niemals ein lieblicheres Gesichtchen, als das Deinige vor dreißig Jahren war, gegeben haben, und auch jetzt erscheinst Du noch als eine Perle unsres Geschlechts, so daß ich Ammer wirklich gar nicht begreife, wie er sich nach einer Andern umsehen mag." Chredidscha hörte diese abgeschmackten Complimente, welche zu den stereotypen Redensarten im Handwert der .Nuata gehörten, mit schlechtverhaltener Ungeduld an und rief dann: „Aber so komme doch zur Sache! Also eine Tahtania wäre es, welcher mein Mann nachspürt?" „Ja, mein Töchterchcn", entgegnete Habba, „nicht anders ist es. Es scheint, daß Ammer, da er einmal an einer Tah- 435 tania so viel Netzendes und Liebenswerthcs gefunden hat, dergleichen auch bei Anderen dieses Voltes voraussetzt. Vielleicht auch reizt den tollkühnen Mann die verbotene Frucht, das Mädchen vom feindlichen Stamme desto mehr, je schwe« rer sie für ihn zu erlangen scheint. .^urz, er ist Sterbens verliebt in die junge Omaja, eine schöne Tahtania, kaum sechzehnjährig, die aber troh ihrer Jugend doch nicht mit einer solchen Rose, wie Du bist, zu vergleichen sein tann. 5D die Männer, o die Männer, was für ein launisches (Geschlecht!" Ehrcdidscha wurde durch diese handwerksmäßigen Redensarten der Kuata immer ungeduldiger gestimmt. Zu ihrer Ungeduld tain nun noch die schlechtverhaltene Eifersucht, denn Eifersucht bildet ja nicht immer eine Frucht der Liebe, sondern sehr oft des Ehrgeizes. Sie sollte eine Nebenbuhlerin haben! Sie sollte Ammers Haus mit einer zweiten, wahrscheinlich geliebteren Gattin theilen! Sie schien also nun zur zweiten Stelle verurtheilt und welches Loos mochte nicht ihrer Tochter bevorstehen? Wuth und Zorn, Mißgunst und Neid, alle Leidenschaften des Hasses wogten in ihrem Ausen und drohten einen fürchterlichen Ausbruch. Diese Leidenschaft ten sind es grade, welche bei diesem Volle sich als die mäch tigstcn von allen bewähren. Es giebt keine besseren Hassel. als die .ttabylen und namentlich die itabvlinnen. Aber, wie gern auch Chredidscha das Feuer ihres Zornes hochaufflammen gelassen und sich in voller Schreckhaftigkeit als eine Meduse oder eine Furie enthüllt hätte, einstweilen erwies sich doch der eiserne Zwang der Sitte mächtig genug, um ihr Selbstbeherrschung aufzuerlegen. Scheinbar gleichgültig fuhr sie deschalb fort: „Aus welchen, Hause ist denn die, welche Du die schöne Tmaja nennst?" 426 „Sie ist", so entgegnete die Kuata, „die Tochter Kadurs ben el Kaukschi, eines febr angesehenen Tahtani. Tie wohnt .... doch was brauche ich Dir lange zu sagen, wo sie wohnt: Du kannst sie ja sehen, denn sie ist gar nicht weit von Dir, siehst Du dort, neben der alten Kuchenvertauferin sitzt sie ganz unverschleiert." Hiemit zeigte Habba auf ein taum erwachsenes, schmächtiges, schwarzbraunes Mädchen mit buschigen Augenbrauen, welche allerdings viele jener Neize, welche bei diesem Volke nur der zartesten Jugend eigen sind, in sich vereinigte. Chre-didscha sah ihre Nebenbuhlerin »üt Blicken an, denen man die Absicht zuschreiben tonnte, sie niederdonnern zu wollen, oder, wie es im Koran heißt, die Erde unter ihr Wanten zu machen, damit sie sich öffne und die Verhaßte verschlinge. Aber nur einen Augenblick gab sich Ammers Gattin diese unfruchtbare Genugthuung. Sie war vor allen Dingen eine praktische ,>rau und dachte schon auf Mittel und Wege, das drohende Unheil zu verhüten, oder, tonnte sie dieses nicht, Wenigsteno dessen folgen abzuschwächen. Denn für ihr Mutterherz inuftte eine der schlimmsten folgen, welche ihr durch die Nebenbuhlerin drohte, die sein, daß ihr Kind nun eine zurückgesetzte Stellung im Hause der Stiefmutter einnehmen würde. Deßhalb mußte Neßla schleunigst verhcirathet werden. Sie nahm sich vor, so bald als thunlich, ihren» Mann den Heirathsplan mit Said mitzutheilen und womöglich dessen Einwilligung zu erzwingen. Nach jener Mittheilung Habba's hatte das Fest aufgehört, für Chredidscha Anziehungstraft zu besitzen. So trat sie denn auch bald mit Neßla den Weg nach dem Stadttheil der Fokani wieder an. Schon am folgenden Tage vernahm Chredidscha aus dein aufgeregten Geplauder der vom Felde zurückkehrenden 427 Kabylinnen, daß etwas Interessantes sich zugetragen habe. Natürlich handelte es sich um ein neues Zusammentreffen feindlicher Parteigenossen. Dießmal bildete jedoch den interessanten Gesprächsgegenstand nur ein Zweitamftf zwischen zwei jungen Männern, und aus dem wenig leidenschaftlichen Tone des Gesprächs errieth Chredidscha, daß derselbe unblutig verlaufen war. Mehr konnte sie uon dcn ihr übelwollenden Frauen der Fokani nicht herausbringen. Als aber ihre Tochter, wie gewöhnlich die letzte im Zuge, endlich kam, da sollte ihr Alles haarklein auseinandergesetzt werden, denn Neßla war, wenn auch aus einiger Ferne, Augenzeugin des Kampfes gewesen. „Denke Dir, Mutter", so sprach das schöne Mädchen, deren Wangen heute die Nöthe freudiger Erregtheit trugen, „ich habe es selbst mit angesehen, wie Said den Fokani durchprügelte. Es ist ihm wider mein Erwarten, ich möchte sagen fast zu meinem Erstaunen gelungen. Doch erst muß ich Dir dcn Hergang erzählen. Mahmud ben Hamidu war heute um die Mittagsstunde auf's Feld herausgekommen, um, wie gewöhnlich, den Frauen seiner Sippschaft die Oliven und den Gerstenteig des Mittagsbrodes zu bringen. Kaum hatte er sich dieses Auftrags entledigt und stand eben im Begriff, hinwegzugehen, als ihn plötzlich eine Stimme unfreundlich und höhnisch anrief: „Ist das nicht der schöne Mahmud? Warum bleibst Du nicht auf dem Felde, um mit den Weibern zu arbeiten, da Du doch nicht besser als ein Weib bist?" „Eine solche Anrede an einen Menschen, wie Mahmud, besaß etwas so Belustigendes und durch den Contrast »nit der Wirklichkeit ^omische^, daß selbst die Frauen seiner eignen Partei, welche es hörten, statt in Zorn zu gerathen, in ' schallendes Gelächter ausbrachen, denn Niemand konnte wem- 428 gcr einem Weibe verglichen werden, als der ricfenstarke, mus-telträftige, bärtige Sohn des Hamidu. Aber du weiftt, es ist bei unsern Männern üblich, den Feigling mit einem Weibe zu vergleichen- jedoch bis jetzt hatte noch Niemand gewagt, Mahmud der Feigheit zu zeihen. Deßhalb schien er auch die Anrede keineswegs erheiternd zu finden, sondern sah sich, von Zorn schnaubend, gleich nach seinem Feinde um, welchen er in der Person Saids entdeckte. Schnell zog Mahmud sein Messer, aber ebcnsoschnell war Said auf ihn zugesprungen lind hatte es ihm durch eine geschickte Handbewegung auch schon entrungen. Nun hätte er freilich die blanke Waffe ziehen können, welcher sein Feind hülflos preisgegeben erschien. Aber er wollte es nicht, sondern rief: „O Mahmud, wir wollen weiter nicht Ernst machen, sondern nur ein wenig miteinander spielen. Du hast Deinen Stock, ich den meinigen. Antworte mir nur auf dieselbe Weise, wenn Du es kannst." „Dabei erfolgte ein tüchtiger Hieb auf Mahmuds Schul« ter, dieser ließ nicht mit der Antwort warten und nun regnete es Hiebe auf Hiebe, bis sie beide, glaube ich, blau am ganzen Leibe waren. Ich muß gestehen, ich war lange für Said besorgt, denn sein Gegner schien offenbar viel stärker, aber er erwies sich auch zugleich plumper, Said wußte gewandt vielen seiner Schläge auszuweichen und ihm dann plötzlich von einer Seite beizutommen, von welcher er ihn kaum erwartete. Lange trieb er so den Gegner immer im Kreise herum, stets von verschiedener Seite einen Hieb ausführend und dem Gegenhicb sich entziehend, bis zuletzt dieser, ganz schwindelnd von dem steten Drehen im engen Kreise, und ermattet von den vielen Schlägen, bei einem letzten verfehlten Hieb, in welchen er seine ganze Kraft gelegt zu haben schien, das Gleichgewicht verlor und niederstürzte, worauf 429 dann Said das Recht des Siegers, wie dich ja bei unsern Männern Brauch zu sein Pflegt, ausübend, auf den Gefallenen stieg und ihn bis zur Bewußtlosigkeit mit seinem Stocke bearbeitete. Mahmud wird wohl einige Wochen kein Glied rühren können, aber verletzt scheint er nicht auf ernstliche Weise zu sein." „Das ist mir lieb", rief Ehredidscha, „denn ich lvill leine neue Blutschuld, ^etzt taun ich Dir auch sagen, warum das geschah, was Du heute mitangesehen hast. ,'^ch selbst habe dem Said diese Probe auferlegt- er hat sie glücklich bestanden und nun freue Dich, denn jetzt steht Eurer Vermählung von meiner Seite tein Hinderniß mehr im Wege. Die Einwilligung Deines Vaters, die er mir zwar, als ich ihn heute Nacht drum anging, verweigerte, hoffe ich doch mit der Zeit durch ^ist, Geschicklichteit und Ausdauer zu erringen. Nur mußt Du dem Said sagen lassen, daß er sich persönlich eines jeden Schrittes enthalte. Ich kenne Ammer. Ein Einschreiten des jungen Mannes würde eine sichere und endgültige Weigerung hervorrufen und in diesem Falle wäre Alleo verloren." Ehredidscha ahnte nicht, wie schnell die Wirtlichfeit diesen Worten Bestätigung verleihen sollte. Aber nicht lange war ihr bestimmt, darüber in Unwissenheit zu bleiben. Eben war Ammer in das Dorf zurückgekehrt und schritt graden Weges auf seine Frau und Tochter zu. Ammer war ein Mann in den Fünfzigen, von regelmäßigen, scharfmarkirten Zügen, welche ein dichter Wald schwarzgrauer Varthaare beinahe unkenntlich »nachte. Der Schädel, nach labylischer Sitte glattgeschoren, offenbarte dagegen seine spitze Schatalsfonn unverhüllt. Sein weites kabylisches Hemd ließ die dichtbehaarte Brust und seine ebenfalls behaarten Arme hervorblicken. So glich er einem Waldmenschen, und schien ein Satyr ohne den 430 Vocksfuß, doch kein Silen, denn dazu fehlte ihm einestheils die Wohlbclcibtheit, statt luelcher eine sehnige, muslclkräftige Magerkeit seinen Körper, wie den aller Kabylen kennzeichnete, anderntheils der gutmüthige, friedliche Ausdruck des Nähr-Vaters des Vachus. Seine Glieder schienen wie aus Erz gegossen; sein Alter merkte man ihm nur an den unzähligen, tiefcinschneidenden Runzeln, welche sein wie aller ältern Ka-bylen Gesicht durchfurchten, nicht aber an irgend einer Abnahme der Kraft an. Der Ausdruck seines Gesichts, welcher stets etwas Finsteres, ja Unheimliches zeigte, schien heute noch besonders von den Wolken des Zornes verdunkelt. Zwei Leidenschaften verriethen sich Vorzugsweise in dem Spiel seiner Züge, zwei wilde verheerende Leidenschaften, eine maaßlose Sinnlichkeit und ein vielleicht eben so heftiges Nachegc« fühl. Aber im Augenblicke schien die erstere ganz verdrängt, und die letztere ausschließlich Besitz von dieser ingrimmigen Seele genommen zu haben. Er hielt einen Stock in der Rechten, welchen er stets krampfhaft hin - und herwand und oft wie aus überwallendem Zorngefühl gen Boden stieß. Das waren keine günstigen Zeichen. Ammer schiel» offenbar schr übler Laune. Er schien sich einen Augenblick zu besinnen, als schwanke er, ob er hier vor dem Hause mit seiner Frau reden oder ob er sie in dasselbe bescheiden wolle. Endlich entschied er sich für das Erstere: „Schicke Deine Tochter in's Haus", herrschte er seine Gattin an, „ich habe zwei Worte mit Dir allein zu reden." Neßla ging. Es waren auch wirtlich wenig mehr, als zwei Worte, welche Ammer zu sagen hatte, aber dieselben er-wiesen sich für Ehredidscha und ihre Tochter inhaltsschwer und vcrhängnißvoll. „Nisse", so sprach Ammer, „daß ein verfluchter Tahtam, 431 Said bm Said, derselbe, der heute mit Mahmud ben Ha-midu die Prügelei hatte, von der noch das ganze Dorf spricht, die Kühnheit gehabt hat, bei mir um die Hand meiner Tochter anzuhalten. Eine solche Verletzung der Sitte kann ich nicht vergeben. Es versteht sich von selbst, daß er schon deßhalb, weil er ein Tahtani ist, meine Tochter niemals bekommen kann. Das mußte der Hund wohl wissen und deßhalb kann sein Heirathsantrag auch keine andere Bedeutung, als die einer schimpflichen Beleidigung für mich, mein Haus und alle Fokani haben. Dem Burschen scheint durch seinen lächerlichen Kampf mit Mahmud der Kamm gewachsen, und nun will er sich mit mir messen. Jedoch Mahmud war ein schläfriger Schakal, daß er sich so behandeln ließ, in mir aber soll Said einen blutgierigen Panther finden. Denn ich habe für die mir angethane Schmach blutige Rache geschworen und ich werde sie durch Gewalt oder List erlangen. Damit übrigens etwas Aehnliches nie mehr vorkomme, so will ich, daß Deine Tochter, sobald als Mahmud wieder stehen kann, mit ihm vermählt werde, denn er hat schon einmal um sie angehalten, und seine Verwandten sagen mir, daß er sie noch immer zur Frau, wünscht. .Neme Widerrede gegen diesen meinen Willen! Das Weib muh dem Mann, die Tochter dem Vater gehorchen! Wenn Ihr Euch aber meinem Willen nicht fügt, dann fürchtet meinen Zorn. Ammer ist keine feige Hyäne, die nur von Leichnamen lebt, sondern ein reißender !^öwe, der die Lebenden anfällt." Mit diesen Worten verließ der finstre Mann seine Gattin, die jetzt vor Zorn, aber nicht vor Furcht bebende Chredidscha. Vor Zorn! denn eben war ihr in so gebieterischer Sprache, wie sie dieselbe nie während einer dreißigjährigen Ehe gehört hatte, das angetündigt worden, was ihr vor Allem unerwünscht, ja in den Tod verhaßt sein mußte. Aber 432 wie heftig ihr Zorn auch auflodern mochte, thatkräftig war er nicht. Vielleicht, das; am Anfang ihrer Ehe die Leidenschaft sie zu cinem blutigen Entschluß hätte hinreißen können. Aber jetzt, vom Alter gemäßigt, wenn auch nicht gebeugt, verabscheute sie vor Mom jenen Fluch ihres Volkes, die stets sich erneuernde Blutschuld, von der sie selbst so schreckliche Proben gesehen und welche sich wie ein höllischer Schemen zwischen sie und ihr Familienglück gestellt hatte. Dasselbe was sie Said anempfohlen hatte, das sollte auch ihr selbst als eine heilige Porschrift gelten. Sie wollte keine neue Blutschuld in ihrer Familie und deßhalb blieb auch dießmal, ebensogut wie die früheren Male, als sie in ähnliche Versuchung gekommen war, der Dolch, welchen ihr Vruder ihr vor dreißig Jahren zur Ermordung ihres Gatten eingehändigt hatte, ungezückt. Ammers Leben sollte geschont werden. Aber Neßla's Glück? konnte sie das hinopfern? Sie war fest entschlossen, Alles, was immer in ihrer Macht liegen konnte, anzuwenden, um die gefürchtete Verbindung mit Mahmud zu verhindern. Direct tonnte dem Unglück nicht begegnet, durch offnen Widerstand lonnte es nicht abgewendet werden. Zeit gewinnen, das schien ihr im Augenblick vor Allein das Wichtigste. Einstweilen muhte ja erst Mahmnds Genesung abgewartet werden. Dann tonnte sich Neßla krank stellen. Dann brächten vielleicht Ammers eigne Heirathsvläne auch eine Ver-zögerung. Dieses sie persönlich so schrecklich bedrohende Er-eigniß begrüßte sie jetzt um ihrer Tochter willen fast als etwas Erwünschtes, .^iurz, sie gab die Hoffnung nicht auf, den ganzen unwillkommenen Plan ihres Mannes vorerst auf die lange Bank zu schieben, und dann schließlich möglicherweise zu vereiteln. Aber Said? Said war offenbar ein Hinderniß. Muthig hatte er sich gezeigt, aber ungeschickt auch und zwar im höchsten Grade, denn einmal gilt es an und für 433 sich schon als eine Veleidigung, wenn ein Mann beim Vater um dessen Tochter dircrt anhält und in diesen« Falle machte die Parteiftellung beider den Schimpf noch größer, und dann mußte ihm die einfachste Klugheit, hätte er davon auch nnr ein Quentchen besessen, sagen, daß er keinen Schritt ohne vorheriges EinVerständniß mit Chredidscha thun dürfe. Ammer schien so gereizt, daft Saids fernere Anwesenheit viel-fache unangenehme Zwischenfälle herbeiführen, ja sein bloßer Anblick bei dem eigenfinnigen Manne als Sporn wirken konnte, Nchla desto schneller dem Fokani in die Arme zu liefern. Said muhte entfernt werden. Sie war deßhalb fest entschlossen, ihm den Rath zur zeitweiligen Selbstverbannung zu ertheilen. Dieß sollte auch zugleich eine Strafe für seine Ungeschicklichkeit bilden und nebenbei noch den menschenfreundlicheren Zweck erfüllen, ihn vor Ammers blutiger Nachstellung zu sichern, vor welcher Muth allein den Jüngling nicht zu bewahren vermochte, denn der Fokani war ebensogut eines offenen Angriffes, sowie auch, wenn dieser nicht dem Zwecke entsprach, eines Meuchelmords fähig. Wie aber ihm diesen Rath mittheilen? Zu schreiben verstand im ganzen Dorf nur ein einziger Marabut und Ic-sen konnte Said nicht. Er hätte sich den Brief eben von demselben Marabut, der ihn geschrieben, auch vorlesen lassen müssen. Dieser große Gelehrte und einzige ^esekundige des Dorfes, obgleich er sich des Titels eines Heiligen erfreute, hatte sich aber leider bei allen ähnlichen (Gelegenheiten als so geschwätzig bewährt, daß sie ihr Geheimniß ebensogut gleich der ganzen Gemeinde hätte anvertrauen können. An die gewöhnliche Votin in allen ähnlichen Fällen, die alte Habba, durfte sie auch nicht denken, denn dieselbe pflegte bei solchen Aufträgen immer des Ihrigen so viel hinzuzufügen, daß der Empfänger der Votschaft dieselbe leicht falsch auffassen konnte. 28 434 Da blieb ihr noch ein einfaches Mittel, eine Art von Zeichensprache. Die Kabylen pflegen nämlich einem Mitgliede ihrer Sippschaft, welches im Begriffe steht, auf kurze oder längere Zeit auszuwandern, eine Ledertasche zur Neiseausrüstung zu schenken und umzuhängen. Diese vertritt bei ihm die Stelle sämmtlicher Koffer, Nachtsäcke, Reisetaschen, Hutschachteln und jedweden Gepäckstückes, mit welchem sich der reisende Europäer zu belästigen pflegt, und dient nicht etwa zur Aufbewahrung von Wäsche oder von Kleidungsstücken, da solche doch niemals in doppelten Exemplaren vorhanden zu sein pflegen, und kein Kabyle einen andern Anzug, als den er auf dem Leibe trägt, besitzt, sondern nur dazu, um den nöthigen Imbiß, bestehend aus Oliven, etwas rohem Mehl und einem säuerlichen Gerstenteig, euphemistisch Brod genannt, einzuschließen. Manchmal steckt auch die kleine Oelflasche in diesem nützlichen Gepäckstück, damit der Reisende sich den Luxus verschaffen könne, das rohe Mehl seines Imbisses mit dem, was der Kabale für den köstlichsten Trank der Welt und für die süßeste Würze der Speisen hält, d. h. mit ungeläutertem, schwärzlichem, meist ranzigem Oel zu vermengen. Die Sendung einer solchen Ledertaschc an Said mußte ihm deutlich Chredidscha's Rath, auszuwandern, verkündigen. Zum Glück fand sich in Ammers Hause eine solche Ledertasche, ein Erbstück von dessen Urahn, vom Alter ehrwürdig und mit unzähligen Oelflecken gesalbt. Diesen kostbaren Gegenstand, gefüllt mit dem wünschenswerthestcn Neiseimbiß, übergab sie ihrer Tochter, aus deren Händen er durch Saida's Vermittlung in diejenigen des jungen Mannes gelangen sollte. Said hatte schon durch die alte Habba, welche als AI-lerweltsspionin auch von Ammers Zorn bereits unterrichtet war, vernommen, daß ihm so plötzlich, grade als er sich der Erfüllung des liebsten seiner Wünsche so nahe gewähnt hatte, 435 jegliche Aussicht, Neßla die semige zu nennen, geraubt sei. Tief entmuthigt und niedergedrückt durch diese Zerstörung seiner Hoffnung, schwankte er unschlüssig, welchen Weg er nun einschlagen solle, um sich von seinem Liebeskummer zu erholen, wenn anders ihm Erholung möglich war, als er Chredidscha's Sendung erhielt. Dieselbe zeigte ihm einen Ausweg, den er kaum wohl aus eignem Antrieb gewählt haben würde, welchen er aber nun, als von der Mutter seiner Geliebten und möglicherweise von dieser selbst kommend, getreulich zu befolgen gelobte. Dabei gab er sich, abergläubisch wie alle Kabylen, den« Hoffnungswahn hin, daß ein solcher Gehorsam, sowie die ihm übersandten Gegenstände, welche seiner Verehrung für Talismane galten, ihm auf irgend eine geheimnißvollc Weise Glück bringen würden. Ohne von irgend Jemand Abschied zu nehmen, verließ er das Dorf. Wenn ein junger Kabyle seine Hcimath für längere Zeit verläßt, so hängt gewöhnlich das Ziel seiner Wanderung lediglich davon ab, welcher Art die hervorragenden Eigenschaften, Neigungen, ich möchte fast sagen Instinkte seines Stammes sind. Gehört er zu einem gewerbsfleisngen Stamm, deren es nicht wenige unter dem geldlicbenden Kabylenvolke giebt, so wird er unfehlbar seine Schritte der Hauptstadt des Landes zuwenden, um dort in irgend einem industriellen oder mercantile« Etablissement Nnterhalt zu finden und mit vorschreitenden Jahren möglicherweise reichlichen Gewinn zu erzielen. Gehört er aber, wie dieses bei Said der Fall war, zu einem vorzugsweise kriegerischen Stamm, so wandert er, wie wir Aehnliches von den tollkühnen Taugenichtsen des Mittclalters lesen, welche zu den Fahnen der Landsknechte schaarenweise zu eilen pflegten, nach dem ersten besten militärischen Depot, um sich dort als Turco, in der officiellcn Sprache „Tirailleur Algerien" genannt, anwerben zu lassen. 28* 436 Diese Waffengattung, sowie diejenige der Spahis sind nämlich die einzigen, welche den Einheimischen offen stehen. Da aber zum Eintritt in die Spahis, d. h. unregelmäßige Reiterei, Geld gehört, um sich das selbst zu stellende Pferd zu kaufen, und die meisten Auswanderer hiermit nicht versehen sind, so bleibt ihnen nur der Eintritt in die algierische In fanterie. Der Umstand, daß er dann für die Feinde seines Glaubens und die Unterdrücker seines Voltes kämpft, pflegt dem Kabylen ebenso wenig Serupel zu verursachen, wie zum Beispiel den Schweizersöldlingen früherer Zeiten der Gedanke, daß sie, geborene Republikaner, ihr Leben zur Aufrechthaltung des Absolutismus zur Verfügung stellten. So hegte auch Said, vom Augenblick an, da er dem väterlichen Schellata den Rücken wandte, keinen andern Plan, als den, sich in Vougie, der nur zwei Tagereisen von Schellata entfernten Hauptstadt Kabyliens, als Turco, das heißt als Soldat im Dienste Frankreichs, einschreiben zu lassen. Die Tureo's oder algierischen Jäger bestehen vorzugsweise aus Kabylen, und dieselben eignen sich auch vielleicht am Besten zu solchem Militärdienst. Zwar geben ihnen die übrigen Eingeborenen au Tapferkeit nichts nach und stehen ihnen also im eigentlichen Felddienst gleich, aber die nomadischen Araber (Beduinen), welche die Mehrzahl der übrigen einheimischen Bevölkerung ausmachen, finden sich nur sehr schwer in das Soldatenleben im Frieden, und dieses bildet am Ende doch wenigstens drei Vierthcile alles Eoldatenlebens, in Algerien so gut, wie anderswo. Namentlich das Käser-nenll'ben besitzt für den Beduinen, den Zeltbewohncr, so viel Widerliches, daß er seine Abneigung gegen dasselbe durch häufige Desertionen kund zu geben pflegt. Der iwbyle ist aber schon von Haus aus an den festen Wohnsitz gewöhnt, (in der ganzen Kabylic giebt es weder Nomaden noch Zeltbewohner), so 43? daß ihm der geregelte Aufenthalt in einer Garnisonsstadt nicht lästig wird. Deßhalb werden auch Kabylcn als Rekruten immer gern gesehen. Da sich nun Said überdieß noch durch einen muskelkräftigen, fehlerlosen, kerngesunden Körperbau empfahl, so konnte er seiner Aufnahme in dieses Frei-willigencorfts so ziemlich gewiß sein. Der Weg von Schellata nach Bougie, dem arabischen und kabylischen Vidschaja, dem Saldae des Alterthums, der einstigen Hauptstadt Geiserichs, (ehe dieser Vandalentönig Karthago erobert hatte) und auch jetzt noch der Hauptstadt Kabyliens, zieht sich längs der malerischen Ufer des reißenden Gebirgsflusses, Mo Sahel, hin. Es war ein trüber, trostloser Wintertag, an welchem Said diesen Weg einschlug. Die Nebel hingen in dichten Schleiern bis zum Fuße des mächtigen Dschcrdschera, doch zeigte sich gerade in diesem Wol-tengewande die Gegend aufs Unbeschreiblichste fesselnd und abwcchslungsvoll. Denn diese Nebel ruhten nicht immer, sie wandelten vielmehr bald langsam bald schnell am Bergesfuße hin und her, zertheilten sich auch zuweilen plötzlich, wie der Vorhang, der das Allerhciligste in orientalischen Kirchen deckt, und ließen zwischen ihren Nissen bald ein größeres, bald ein kleineres Stück herrlicher Gebirgslandschaft erblicken' oft auch zogen sie sich vollends in die Höhe und ein ganzer Gebirgs-stock mit seinen schwarzen Wäldern, seinen üppig grünen Hochwiesen und seinen kahlen, von der Feuchtigkeit marmorglatt schimmernden Felswänden wurde sichtbar. Die Sonne, je nachdem sie auf Augenblicke bald halb, bald ganz die Nebelhülle durchdrang, brachte in diese Landschaftsbilder den Reiz des mannichfaltigsten Farbenwechsels. Auch sie selbst schien proteusartig die Farbe zu ändern. Bald leuchtete sie rothgelb aus einer Nebelmafse hervor, bald fahlgelb, wenn ein dichter Schleier ihren Schein, wie mattes Glas, dämpfte, 438 bald strahlte sie wieder golden, wenn die Wolke zerriß. Unter diesem so ewig wechselnden Schein nahm die Nebelmasse, je nach ihrer Dichtigkeit, je nach ihrem Hintergründe, je nach der Intensität des sie treffenden Lichts, bald einen weißgrauen, bald einen milchigweißcn, bald einen violetten, bald einen röthlichcn, bald einen gelblichen Farlienschimmer an. Da wo sie nicht mehr hindrang, in dem unter ihrer Wassersäule sich ausbreitenden Thale, glänzte die Winterlandschaft offen im Schmuck ihrer vollen Frische. Denn wenn auch in dem hochgelegenen Kabylenlande oft ein Frost das Gras erstarren macht, so ruft doch das nächste Thauwetter das Grün der Wiesen in seiner ganzen Ueppigkeit wieder hervor. Diese schmalzigen Wiesenteppichc zeigten sich beschattet von den phantastisch gewundenen wilden und zahmen Olivenbäumen, jenem Stolz und Reichthum Kabyliens, und eingerahmt von duftcw den Pistacicnbüschen, vom pho'nicischen Wachholder und von wilden Oleanderhccken, und mitten in dieser grünenden Winterlandschaft leuchtete aus einem Chaos von Kiesel und Steingeröll der Silberstrahl des U^d Sahel hervor. Doch wie sehr auch die Landschaft, durch welche Saids Weg ihn führte, würdig erscheinen mochte, das Auge des Wanderers zu fesseln, ihn ließ si».' ohne allen Eindruck. Ein Kabyle ist selten Naturfreund, und Said hatte ganz andere Dinge im Kopf, die Erinnerung dessen, was er im heimathlichen Dorfe zurückließ, und der Gedanke an das, was ihm die Zukunft vorbehalten würde. Nach zweitägiger Fußwanderung langte er in Bougie an, der ersten Stadt, welche er jemals betreten hatte. Diese ließ ihn freilich nicht ohne Eindruck, denn der Kabyle hat sich das «nil aämiruri« in weit geringerem Maaße zu eigen gemacht, als der stoische Araber, welcher selbst die Pariser Weltausstellung nicht merkwürdig findet. Mit unverhohlener Ueberraschung staunte Said die 43« französischen Häuser an, die nach seinen Begriffen äußerst luxuriösen Kaufläden, die Schiffe im Hafcn, dic Wagen der Europäer, die französischen Soldaten und Civilisten, dic ihm alle wie kleine Pascha's so vornehm vorkamen und durch Reichthum imponirten, denn nach seinen Begriffen waren sie lauter Crösusse! hatten sie doch unzerlumpte Kleidungsstücke an, ein Luxus, der bei den Kabylen, wenn überhaupt, doch nur bei den Allerreichsten und Mervornehmsten gefunden wird. Aber was halfen ihm alle die Herrlichkeiten der europäischen Civilisation? Dieselben waren nur für Geld zu genießen, und Geld besaß Said nicht. Selbst Nahrungssorgen fingen an, bei ihm zu erwachen, denn sein Olivenvorrath war auch schon zu Ende, die kleine Oelflasche leer und den letzten Gerstenteig hatte der Neisehunger längst verschlungen. So blieb ihn: nichts übrig, als so schnell als möglich in das Brod seines neuen Herrn, d. h. der französischen Negierung, zu treten und sich im Werbebureau anzumelden. Ein pausbäckiger französischer Capitän mit schöner strahlender Glatze, einem röthlichen Ziegenbartc und ein Paar umschwollener kleiner Schweinsaugen, der sehr negligirt, nur mit einer alten rothen Hose lind einem zerrissenen ehemals weißen Caban bekleidet erschien, empfing ihn dort in einer zwar äußerst burschikosen, aber doch freundlich gemeinten Weise-, er redete ihn allerdings mit „Du schmutziger Kabylenflegel" an, aber seinen kleinen, im Fett halb erstickten Aeugelchen mertte man es doch an, daß eine solche Anrede bei ihm eine Art von Zärtlichkeits-ausdruck vorstellen solle. Said wurde einer oberflächlichen Musterung unterworfen, und da der Caftitän erklärte: „<;'est nu« in-lg'üililM; d«ty"