Z, H^^F«, Drei Inkre im Nortmesten von Afrika. MeöfeN ^ in Mgerien und Marokko von Heinrich Freiherr von Maltzan. Dritter Band./ Leipzig, 1863. Verlag der Dürr'schcn Buchhandlung. Inhalts-Verzeichniß. Seite Fünftes Buch. Die Provinz Constantinc. (Fortschling.) Neuntes Capitel. Ritt von Tebessa nach Conftan-tine. Abreise von Tcbessa. — Rückkehr nach Kasr cl Bu. — Das ^Kifrauchcn" unsrer Araber, — Berauschung derselben durch den Kis. — Ad Piscinas. — Marcimcri. —' Ain Bida, — Rückkehr der berauschten Araber, — Das Kif „essen". — Der Madschnn oder Kifkuchcn. — Föns Potomianus. — Maco» madeö. — Signs, — Ankunft in Konstantine. ..... 3 Zehntes Kapitel. Const antiuc. Gründung von Constan-tiue. — Kirtha. — Massinissa. — Viicipsa. Inba I. - Lit-tianoluni (^oionia. — Wiederaufbau durch Constantm. — Blühender Handel im Mittclaltcr. — Tic Beys von Eonstan-tine — Ihre Grausamkeit, — General Nugricr. — Der Er-schießungsgencral. — Lage der Stadt Konstantine. — Die Brücke El' Kantrah. — Römische Gräber, — 3000 Inschriften. — Der Palast der Vcys. — (mi hiiirichtnngslustiger Bey und die drei Jünglinge. — Ein Fest der Issani. — Ein Negerfest oder Dadebch, — Eine jüdische Hochzeit........17 Elftes Capitel, DerRamadan in Constant! n e. Mein letzter Äesuch in Konstantine. — Mnselmännische Bekanntschaften. — Der Fastcumonat, — Die Gcbctcsstuudcu. — Drei maurische Typen. — Anfang des Ramadan. — Ter Kanonenschuß am Abend des Ramadan. — Hungrige Araber. — Sid Ali und seine Gäste. — Anständige Manieren. — Arabische süße Gerichte. — Der „Vater der Kanone". — Ein wichtiges Amt. — Unangenehmes Versehen. — Die Vergnügungen des Ramadan. — Der türkische Polichinell. — Ende des heiligen Monats. — Der Ait es Scrhir. — Fcstanzllgc, — Die arabischen Weihnachten. Die „Söhne des Platzes", — Sid Ali's Vermählung. — Hochzcitsfeierlichkcilcn........46 Zwölftes Capitel, Der Medrassen. Reise von Gonstan-tine nach Bistarah. — Die Karawanserais. — Nin el Bey. — El Krub. — Silae Municivium. — 8»Iinae Hubuneuenseg. — Der Medrasscu oder das Grab des Suphax. — Die Basis IV Scite des Monuments. — Grabpyramide. — Alter und Bestimmung des Denkmals. — Architektonische Epoche. — Die Dynastie des Massylicr. — Die Nachgrabungen Carbnccia's.....66 Dreizehntes Capitel, Ba 'thna u n d L a m b e s s a. Ankunft in Bathna. — Winterkälte. — Schneegestöber. — Der Camin im Hause deö öpioierZ. — Fahrt nach Lambcssa. — Lamaöbua. — Lambiridis. — Lambcsis. — Das Prätorium des Legaten. — Tempel des Aesculap. — Tempel der Pallas. — Rückkehr nach Bathna. — Fest im Hause dcö spicier». — Seltsames Soldatenlied. — Die Gattin des «ipieier«. — Endliche Erlösung aus dem eingeschneiten Bathna, — Aufbrnch nach der Wilste.....'..............76 Sechstes Ouch. Vie Wüste Sahara. Grftes Capitel. Erste Wüstenfahrt.^ Ncise von Vathna nach Biskarah. — Sehnsucht nach der Sahara. — Hameds Verstimmthcit und Vorunheile gcgcu die Wüste. — Die Schluchten Des Ued Breniö. — Hamcds Sturz lm Flusse. — Die Oase El Kautarah. — Herrlicher Palmcnwald. — Karawanserai. — Barbarischer Sittenzng der Wiisttnaraber. — Ritt durch die Wiistc. — Bedeutung des Wortes Sahara. — El Maja. — Biölarah..................93 Zweites Capitel. Biskarah, Daö „kleine Paris". — Abermals ein Epicier. — Unruhiges Leben nnd Treiben in Bis-tarah. — Die Straßen, — Die Kaffeehäuser, — Stetes Per-gnilgungsleben der Viskrihs. —- Die Tänzerinnen. — Drei verschleierte Männer, — Die Tnareqgs, — Besuch eines Kaffeehauses in Biskarah, — Seltsame Stellungen der Anwesenden. — Dcrj Tan; der Nailijas. — Die Siltlicht'eitsbcgriffc des Stammes der Mad-Nail.............104 Drittes Capitel. Bislarah. Der verliebic Epicier, — Spaziergang im Palmcnwald. — Intcrcssirte Begleitung, — Hamcds Abreise. — Nciscpläue fur's Innele der Wüste. — Wunsch, nach Tuggurt zu reisen. — Abmahnungen von Seiten des Hul-sau arabe. — Bekanntschaft mit Vidi Omar. — Wir laden ihn ein. — Wir gewinnen durch List seine Protection. — Aufbruch nach Tnggurt........ .... 119 Viertes Capitel. Der Uüd Rhir. Reise von Viötarah nach Tngqurt. — Dauer des Weges und Etapen, — Das Kamcel. — Seekrankheit anf dem Wüstenschiff. — Die Oase Sidi Otba. — Der Wald von Saada. — Nachtlager bei dem Veni Thins. — Infernalische Kost. — Nachtlager in El Baadfch, — Die Sebkah Melrhir, — Fata Morgana. — Sidi Khelil, — Der See und seine Salzvc^eiation. — Die Oase Tanebla. — Tamerna. — Sidi Raschid, — Die artesischen Brunnen. — Der Ued Nhir. — Ntaa's. — Letzle Tagereise im strömenden Regen. — Ankunft in Tuggnrt......128 Fünftes Capitel. Tuggurt. Ritt durch die Straßen von V Seite Tuggurt. — Dcr „luxe l'aduieux". — Nässe und Koth. — Lehmgcbäude. — Die Moschee, — Minaret. — Palast dcr Dfchellabe. — Die vermeintlichen „piei-re« äe tllilie^. — General Danma's Liigenberichte, — Äntnnft beim Dschellab. — Ein Kothpalast. — Der Scheilh von Tuggurt. — Ungesundheit von Tngguit. — Das „unterirdische Meer". — Sage über Entstehun.q der Sahara.............148 Sechstes Capitel. Tuggurl. Die Zimmer des Palastes dcr Dschellab'«. — Der Thronsaal. — Die „Hauptmertwür-digkeil^ des Palastes, — Ein Perückcnstock. — Die unbekannte Schöne in Constantine. — Liebe des Scheikh. — Brant-Werber. — Mißlingen dcr Werbung. — Emsperrung der Brautwerber. — Dcr Kadi. — Ankanf der Schönen. — Ihre Bcinelosigkeit. — Rückkehr der Brautwerber nach Tuggurt. ^ Verzweiflung des Scheith. — Bewunderung für daö Kunstweil.................l«6 Siebentes Capitel- Tn g gn r t. Aufenthalt in Tuggutt. — Schlechtes Wetter. — Temassiu. — Die Tsidschani's. — Krieg zwischen dem Dschellab und dem Marabut. — Die Dynastie der Dschellab's. — Die französüche Polnil in Tnggnrt. — Tnggurc el Kediiua. — Der Ba;ar in Tuggnrt, — Sonderbare Medicin. — Converfation ;>vischcn dein Scheitk don Tu^gnrt und ciuem feiner Better, nns betreffend, — Wir werden ;ur Abreise gezwungen. — Rückkehr nach Bitzkarah nnd Constantine................177 Achtes Capitel. Zweite Wustenfahrt. i. — Salzhügel. — Trostlose Gegend. — Ankunft in Dscrelfa. — Das Hoiel. — Zwei reisende Engländerinnen. — Die Einladung znni Absinthlrinten. — ^andparthie in der Steppe. — Si Schcnff. — Falkenjagd. — Dlffa. — Si Scheriff« Erzählungcl,. — Grausamer Slt-tenzug. — Abreise von Dschelfa, — Die militärliebendeu Damen..................207 Zehntes Capitel. El-Aghnat. Reise von Dschelfa nach El-Aghuat. — Immer noch keine Wüste, — Eine Halfacbcne. — El Hamra, das Ruineudorf, — Sidi Makhluf. — Die ersten Palmen. — Steppengräser. — Erster Aüblicl der Wüste. — El-Acchuat- — Einzug' in die Oasenstadt. — Sensation. — Der Miicddiu auf dem Minaret.........224 Glftes Capitel. El-Ag h uat. Das llotel 6e« 1'oui'i8te8. Seite ^ Kälte in El-Agbnat. — Morgcnspazicrgang. Die Slraßen El-Rghuats, — Läden imd Bude», — Der alte Sllber.nbei-ter. — Die Frauen am Brunnen. — Der Engländer und ein arabischer (5bcf. — Kaffeehaus. — Die Parteien in Cl-Aghuat. — Die Halaff und Beni Serrin. — Besuch bei Ben-Salem. — linropäisirte arabische Wolmnng. — Die Kippschaft dei, Beil'Salem — Die rolhhaarige Schöne. — Wir geben wider Willen ein Aergerniß. — Komische Folgen davon, — Wir werden beim Blneau arabe verklagt........233 Zwölftes Capitel. Niu Mad hi, Nothwendigkeit baldiger Rückkehr, — Reise nach Aiu Madhi. — Die Wüste beim Mondschein, — Dämmerung. —> Sonnenaufgang. — Uüd Msi. — Tadschamut. — Der Kc,id. — Unüberwindliches «Vchlafbcdürfniß. — Ich stürze schlafend in einen Graben. — Genuß deö Neiseni, in der Wüste. — Ankunft in Ain Madhi. — Fcstnngsartiges Aufsehen. — Der Kaid und der Tsidschani. — Ein kleiner Neger, — Krieg Abd-el-Kaders gegen Äin Madhi. — Rückkehr nach (5l-Äghuat und Algier.....255 Siebentes Ouch. Marokko. Erstes Capitel. Grenze Algeriens und Marokko's, Falnl von Oran nach Tauger, — Osficielleö Dampfschiff, — Schlechte (Einrichtungen, — Mitreisende Juden. — Ein englischer Iudenmissiouar. — Bctchrungsdispiilation, — (5c>p Falcon. — Ponuö Divini, — (^ap Flgali. — Ued Tafna. — Siga. — l5^,p Nc6. — Nmiours. — ^ä l'iAtreZ. — Neue Scene mildem Iudeinnifsionar, — Abd-el-Kaderö lctzle Waffen« that, — Grenze der Algerie............273 Zweites Capitel. T ie K ü st e von der M ü ndung der Mulujah biö Ceuta. Cl Gharb, — Das (lap Milonia. — Der Ucid Aiulnjah. — Molochath uud Äialua, — Die Inseln Zefsanni, — Der >!lifsdistrict, — Melitta, - Nnsad'r, — Das Cav treöFoicas, — Die Vuchten der Seeräuber, — Die Niffpiralen, — Prinz Adalbert von Preußen. — Gebirgöpano-rama, — ^<1 Zex >il8u1ü8, — Pegnon de Alhucemaö. — Vadi^, — Pariaiina. — Ras Vordsch Uslrah. — Der Nöo Marlil. —t Die Berge von Kalpe und Abyle, — Fabeln von den Hercnleesäulen,..............28« Drittes Capitel. Ceuta. Fahrt auf dem Dampfschiff von Wgösira« nach Ceuta. — Unmöglichkeit, Ceuta vom marokkanischen Festland aus zu besuchen. — Mitreisende Galeerensträflinge, — Der excentrische lniglä'ndcr, — Gefährliche Excursion desselben. — Hä ^ptem sratre?, — Abyle. — Die Fabeln des Solinuö. — Einstige Moschee in Ceuta, — Berber und Araber, — Die Galeerensträflinge, — Ihr Entfliehen zu den Marokkanern. — Die labylischen Vorposten bei Ceuta, — Der Engländer überschreitet sie. — Unangenehmer Empfang auf marokkanischem Boden.............. 303 eric V, vol. 12, 13, 1-1 > auch HulUi-eindic numusrrl^tZ c1s 1» ^id!iut1,e^u« du lioi. I'ome XII. 1? führen. In der Notitia Nnmidiae findet sich ein Bischof Victor, welker Suggutanns, wahrscheinlich statt Sigcusis genannt wird. Das Itiucrar und die Tafel stimmen in, der GntfcrnungsangabevouGasaupnla nach Signs genau üdcrein, welche sie beide zu 33 Milliaricn angeben. Am vierten Morgen nach unserer Abreise von Tcbessa überschritten wir eine von wilden Lanbeswäldcrn bewachsene Hügelkette, anf welcher ein kleines, elend scheinendes Flüßchcu seinen Ursprnng nimmt, nämlich der Zcinati, welcher in seinem tieferen Vanfe kein, anderer ist, als die Scybnse, der Rnbricatus der Nömer, der mächtigste Fluß dieser Provinz. Die Hügelkette, auf wclcber der Rubricates seinen Urfprung nimmt, ist der südlickstc Ausläufer jenes Gebirges, welches sich zwischen Hippo und Conftautine hiudehnt und welches Ptolemäos Thambes (G«^/3^^) nennt. Maunert hält das Thambesgcbirgc für den Pappua des Prokop, für jenen Vcrg, auf welchem der letzte Vandalcnkönig Gelimcr sich dem Vclisar ergab. Wahrscheinlich ist jedoch der Pappna des Prokop nichts Anderes, als der Dschcbel Edugh bei V«ne. Ueber das Thambcsgcbirgc, führte in frühester Zeit der Nö-mcrhcrrschaft die große Heerstraße von Karthago uach Kirtha. Später wurde sie südlicher gezogen. Die letzte Mittagsrast machten wir in einer felsigen romantischen Thalschlucht am Fuße des 400O hoheu Um-Selas, und folgten dann dem reißenden Laufe eines wilden Vergstromes, des U«d Rummel, bis dahin, wo er die Mauern Coustantincs, des afrikanischen Adleruestes, umspült. „Constantine!" rief Hamcd, als wir noch eine Viertel- Trci Iahlc im '.'lrlNv^sll'N ven Anila, III. 2 18 stunde davon entfernt waren. „In Constantine werden Sie Sich doch anfhalten?" „Ja!" erwiderte ich; „aber nnr so lange, biZ ich das Nothwendigste gesehen habe, dann reise ich weiter nach dem Süden, nach Vathna nnd der Wüste Sahara." „Die Sahara! Das rathe ich Ihnen nicht! Die Sahara ist der Tod des Nordländers!" Das glauben nämlich alle Algierer. „Dir wäre es wohl lieber, fauler Schlingel, in Con-stantinc zu bleiben und Deinen „Kif" zu rauchen V" „O! lassen Sie mir mcincn Kif," sprach Hamed. „Der bringt uns armen Teufeln, die wir sonst nichts auf der Welt besitzen, die süßesten Träume. Sie haben ja auch Ihren Kif!" „Ich meinen Kif?" fragte ich erstaunt. „Ja! haben Sie nicht Ihre alten Steine? Die römischen Ruinen? Wenn Sie die anschancn, dann tränmen Sie auch mit wachen Augen. Dann denken Sie sich zurück in die Zeit Ihrer Vorfahren" (die Araber glauben nämlich, die Römer seien die Vorfahren aller Europäer). „Dann träumeu Sie von der einstigen Pracht und Herrlichkeit dieser alten Numihs, die die großen Tempel gebaut haben nnd gegen die die heutigen Nmnihs nichts als Maulwürfe sind. Diese Träume, das sind Ihr Kif uud auch der Kif des Herrn da!" Dabei deutete er auf meinen Reisegefährten. Die Entfernung vou Slgus nach Cirta (Constantine) 1!> wird vom Itincrar auf 25 MiNiarien angegeben. Dies stimmt genau zu den 35 Kilometern der neuesten Messungen. Jetzt hielten wir unsern Einzug in die uralte Hauptstadt Numidiens. Zehntes Kapitel. Conftantine. Gründung von Constautiuc. — Kittha. — Massimssa. — Micipsa. Inba I. — 8ittiauc>i-uin Oawuia. — Wiederaufbau durch Coustautiü. - Mühender Handel i,n Mittclaltcr. — Die BeyS von Constantinc. — Ihre Grausamkeit. — General N^ricr. — Der Eischicßungsgeneml. — ^age dcr Stadt Constantinc. — Die Brücke El Kcmtrah. — Römische Gväbcr. — 30N0 Inschriften. — Der Palast der Veys. — Ein hiinichtuugslusii^er Bey nnb die drei Jünglinge. — (iin Fest der Issauih. — Ein Ncgcrscst oder Teroebeh. — üwc jüdische Hochzeit. Wie der Name sagt, so verdankt die einstige Hauptstadt Numidiens ihre jetzige Benenuung ihrem zweiten Gründer, dem ersten christlichen Kaiser Constantin. Denn in jenem Kriege, welcher der Thronbesteigung dieses Herrschers um einige Jahre vorherging, zwischenMarentius und dcm Gcgcn-kaiser Alexander, war die Stadt fast gänzlich zerstört worden. Um den Bewohnern seine Dankbarkeit dafür zu beweisen, daß dieselben gleich nach dein Tode des MaxentiuZ ihn als einzigen Herrscher anerkannt hatten, ließ Constantin das afrikanische Ablernest wieder aufbauen und gab ihm seinen eigenen Namen. Bi? u dieser Epoche führte Constantine der fthöni- 2* 20 ciscken oder karthagischen Namen Kirtha (römisäi Cirta) oder Stadt Katerochen, weil es lailge in ganzNnmidicn der einzige Ort war, der diesen Namen verdiente. Dennoch war Kirtha von Numidiern, d. h. Eingeborenen, nnd nicht von Karthagern bewohnt; aber sonderbarer Weise fehlte in der Sprache der Berber jeder Ausdruck für Stadt, weshalb die Alten ihn durch ein fthönicisches Wort ersetzen mußten, wie noch hente die Kabylen für Stadt das arabiscbe Medinct gebrauchen. Die karthagischen Banmcister, welche dem Vnndesgenossen ihrer Vaterstadt, dem nnmidischen König, diese seine Hauptstadt, wahrscheinlich anf Befehl ihrer Regierung, erbanten, hatten nach antiken Begriffen in der Localitä't eine besonders glückliche Wahl getroffen. Auf eiuem einsamen Fclsblock, raubvogclartig laucrud, ragt Kirtha hoch ans der Ebene hervor; Abgründe nmstarreu es von allen Seiten; ein rauschender Fluß rollt seine Fluthcn um seine Felsenfundamente mit mächtigem Brausen, als wollte er sie erschüttern. Die tiefen Schluchten, welche die fclfigc Hochfläche umringeu, mußten bei der antiken Kriegsführuug jede« Zugang zu dieser natürlichsten aller Fcstuugcn einem belagernden Feinde fast unmöglich machen. Dieß erklärt, warum Constantine dem zerstörenden Strome der Zeit nnd dem Zernichtungstriebe so vieler Eroberer Afrika's hat trotzen können. Kirtha war vor dem zweiten punischen Kriege nur die Hauptstadt der Könige der Masfylicr, der Numidcn im engern Sinne. Später bildete es die Residenz Massinissa des Ersten, welcher die Herrschaft über Massylicr und Massäsylicr vereinigte und so das Königreich Nmnidien schuf. Indessen sagt 21 PomponiuZ Mela*) deutlich, daß Cirta die Hauptstadt des Syphar gewesen sei, der doch König der Massäsylicr war: (ültli <^uanclliill return <1c»iQU8 et Z^piiaois oum köret opuien» tisLiuia; und auch Livius**) sagt von dieser Stadt: Oirta LaMt reFui 8^pliaoi8 erat. Aber die Herrschaft des Syphar über Kirtha war nur vorübergehend. Seine eigentliche Residenz war Siga, die alte .Hauptstadt der Massäsylier. Syphar eroberte, Kirtha zur Zeit des zweiten puuischeu Krieges, behielt es aber nnyt lauge, sondern verlor bald sein ganzes Reich an Massinissa und die Römer. Massinissa's Sohn und Nachfolger Mass-UftZ (Mieipsa) mußte fiudcu, daß die Bevölkerung seiucr Hauptstadt doch aus ein weuig gar zu barbarischeu Elementen bestehe, weshalb er eiuc Colonic von Griechen hierher verpflanzte, durch deren Hülfe Kirtha bald eine blühende, Industrie und einen lebhaften Handel besaß. Strabo*s*) m^het das Unglaubliche, daß Kirtha zu jener Zeit im Staude gewesen sei, 10,000 Reiter und 20,000 Mann Fnßtruppcn zu stelleu. Im Kriege der Römer gegen Iugurtha siel mit ganz Numidicn auch sciue Hauptstadt in die Hände der Sieger. Aber Nom ließ, klug berechnend, die noch allzn barbarische Provinz einstweilen in den Händen eines eiuheimischeu Königs. Es war dies Iuba I., der letzte König des eigentlichen Nnmidicus. Sein Sohn war jener Inba ll., welcher der von Rom abhängige vorletzte König *) Pomponius Mela, de Situ orbis, Libr. I. Caput VI. **) Titus Livius Libv. XXX. ***) ^rgußwvog rioyqutpixöv. L. XVII. 22 von Mauritanien werden sollte. Iuba II. wurde das Muster aller ro^es iugervisutes oder gekrönten Sklaven. Iuba I. war vielleicht noch nicht in allen Stücken ein rex insei-vieuZ. Aber Inba I. war fern voll jener stolzen Freiheit der Mass-Nass, der Mass-Ups und der Iub. Nom stellte dem letzten Könige Numidicns die Aufgabe, sein Volk allmählig zu ro-manisiren, und Iuba hat bewiesen, daß er dieser eines freien Mannes unwürdigen Aufgabe gewachsen war. So bereitete er die Pfade vor, welche bald den Römern es leicht machen sollten, Numidien als unmittelbare römische Provinz zu verwalten. Den Vorwand, um seiner Väter Erbe dem römischen Neichc einzuverleiben, den sollte Iuba I. dem Welt-volt selber liefern. Er nahm nämlich Partei für Pompejus, kämpfte für ihn und unterlag in der Schlacht bei Ascurus. Der siegende Caesar vertheilte die Verwaltung Numidiens unter seine Günstlinge. Die Administration Numidiens verlieh er dem berühmten Geschichtschreiber Sallust, welcher jedoch sich dieser Aufgabe vollkommen unwürdig zeigte. Sallust war einer der geizigsten, raubsüchtigsten und ungerechtesten Proconsuln in Afrika. Kirtha gab Caesar einem seiner Legionsführcr, dem Publius Sittius Nuecrinus, dessen Namen von nun an die numidische Hauptstadt eine Zeit lang geführt zu haben scheint; denn Pomponius Mela bczcichuet sie als Sittianorum Colonia. Unter dieser obscuren Benennung vegetirte die einstige Königsstadt drei Jahrhunderte lang fort, bis es Constantiu gefiel, ihr neue Bedeutung und einen neueu königlichen Namen zu verleihe«. Diesen Namen sollte es jedoch bald schänden durch das 23 berüchtigte Concil, welches hierSccundus von Tigisis abhielt und in dem er alle Bischöfe rechtfertigte, welche den Götzen Weihrauch gestreut oder die Evangelien ausgeliefert hatten. Auch der Bischof von Cirta, Paullus, hatte znr Zeit der letzten Christenverfolgnng die Evangelien und alle heiligen Gefäße dcm heidnischen Lictor ansgclicfcrt. Sein Hypodiaconns Silvanns, der am meisten zu dieser strafbaren Auslieferung gerathen hatte, wnrde nach des Paullus Tode durch den genannten Sccnndus von Tigisis zum Bischof ordinirt. Im Ganzen sind uns die Namen von nenn Bischöfen von Cirta überliefert worden. Der zerstörenden Wuth der Wandalen entging Constan-tine. Diese begnügten sich, die Mauern zu zertrümmern, welche jedoch später Justinian wieder auferbanen ließ und der Stadt nach sich selbst einen neuen Namen, „Iustinianea", oc? troyirte, den sie jedoch nicht behalten zu haben scheint. Unter der arabischen Herrschaft nnd später uuter der türkischen war , Constautine die Hauptstadt des gleichnamigen Beyliks, Anfangs unter der Oberhoheit von Tunis, später unter der von Algier. Im Mittclaltcr, vor Beginn jener barbarischen, allem Handel ein Ende machenden türkischen Herrschaft, war die Hauptstadt Numidieus das Centrum eines lebhaften Verkehrs. Die Kaufleute von Pisa, Genua und Venedig hatten ihre Handelscomptoire in der Felsenstadt. Die Kabylcn und Araber waren noä, nicht zu der Verarmung hcrabgesunkcn, zu welcher sie die türkische Herrschaft rcducircn sollte, uud noch im Staude, den europäischen Handelsleuten ihre Waaren, namentlich Tuch, besonders das hochgeschätzte rothe, Baum- 24 Wollenstoffe, feine Leinwand und Schmncksachcn abzukaufen, wogegen die Italiener Nohprodnctc ausführten. Unter letzteren nahm die Wolle, bei weiten: den ersten Rang ein. Damals genossen die Europäer volle Freiheit, nicht nur in der Stadt, sondern selbst bei den benachbarten Stämmen uugcstört ein- und auszugehen und mit den Eingeborenen zu verkehren, ohne daß sich die Regieruug im geringsten um ihr Thuu bekümmert hätte. Tie fanatische türkische Hcrrsckaft verjagte die Kaufleute und machte allem Handel hier, wie überall in Algerien, ein Ende. Anf dicseWcisc kam es, daß Constantinc, wie überhaupt ganz Algerien in den letzten drei Jahrhunderten, den Europäern so unzugänglich, wie kanm eine Stadt in(5bina war, ungefähr so, wie es Marokko noch hcnte ist. Der einzige intelligente reisende Europäer, welcher Algerien und auch Coustautine während dieser dreihundertjährigcu Epoche besuchte, war der nicht genug zu rühmende Engländer Dr. Shaw, und von ihm sogar behauptet Mannert, er habe das Innere dieses Landes nicht wirklich bereist, sondern nur nach den Berichten der Araber beschrieben. Die Geschichte der Veys von Constantine in den letzten drei Iahrhundertcu ist kaum etwas Anderes, als ein langes Register von Mordthaten, welche diese Würdenträger an ihren Unterthanen verübten, um zuletzt beinahe ohne Ausuahmc selbst die Opfer der blutigen Befehle ihrer Oberherren, der Deys von Algier, zu wcrdcu. Ein Vey von Constantine, welcher natürlichen Todes starb, war eine äußerste Seltenheit. Die meisten regierten nur weuige Jahre, viele nur wcuige Monate. Der letzte Vey, Hadsch Hamed, welchen die Fran- 25 zosen, nach einer ersten unglücklichen Expedition vom Jahre 1836, im daranf folgenden Jahre seiner Macht bcranbtcn, war wo möglich noch gransamer, als seine Vorgänger, gewesen. Die Bewohner von Constantinc waren so an Grausamkeiten gewöhnt, daß sie eine Negierung ohne beständiges Kopfabschnciden, Ersäufen, Hängen nnd Erdrosseln sich gar nicht denken konnten. Dieß scheint einen der ersten französischen Gouverneure dieser Provinz, den General N^gricr, bestimmt zn haben, seine mnselmännischcn Vorgänger in ihrer etwas altzn summarischen Justiz nachzuahmen; und zahlreiche Erschießungen traten nun an die Stelle der früheren, mannich-faltigeren Arten vonHinricIUuugen. Dieser grausame General, Welcher ans der französischen Deputirtentammcr einen Stnrm von Verwünschungen durch seine Schlächtereien auf sich heraufbeschwor, erfreute sich sonderbarer Weise der größten Beliebtheit bei den Mnselmänncrn Eonstantine's, die ihn nie anders als ihren „gnten Negro" nannten. Noch ietzt nehmen sie einen besonders zärtlichen GcsicbtZauZdrnct an, wenn sie vou ihrem lieben N^gricr reden: „I^o<;r0 doua" hörte ich einen alten Araber in der Lingua franca sich ausdrücken. „XeFi-o doun de^ass" ^N^gricr war sehr gnt), „MZro okapar tßLtan" (N^grier schnitt Köpfe ab), „Hla^^cii ^ranoig kit XoFla" (kein Franzose kommt dem N^gricr gleich). In o zärtlichem Andenken hielt dieser, an das Schauspiel der Hinrichtnngen von Ingcnd anf gewöhnte alte, Mnselmann den französischen Erschießungsgeneral. Ein anderer alter Bewohner Eonstantine's, den ich in einem kleinen arabischen Kaffeehanse seiner Vaterstadt kennen lernte, versicherte mir, 2U der jetzige Gouverneur, wie überhaupt alle Gouverneure, welche dein „guten Negro" gefolgt seien, genössen durchaus nicht das Vertrauen der Bürger Constantinc's, weil man sie für feige hielte, und zwar aus keinem andern Grunde, als dem, daß sie es an zahlreichen Hinrichtungen fehlen ließen. „So einen, wie den „guteu Negro", kriegen wir nicht wieder," sagte er seufzend. Milde und Mcuschlichkcit, welche die Araber durchaus nicht verstehen können, scheinen ihucu stets nur das Resultat der Furcht und Feigheit. Cirta gleicdt, was seine Lage betrifft, keiner einzigen Stadt, welche mir bis jetzt auf meinen Reisen in drei Welttheilen vorgekommen war. Das einzige Toledo in Spanien wäre wegen seines fclfigen, flnßumgürteten Piedcstals viel; leicht im Stande, für einen matten Abglanz von Konstantine zn gelten. Hehr und stolz, mächtig und konigliäi, trägt das afrikanische Adlernest seine Krone von Stein drohend in die dunkelblauen Lüfte empor: eine Felseninasse von weißlich-grauem Kalkstein, welche auf allen Seiten von Abgründen umstarrt wird; ein isolirtcr Stcinblock von gigantischen Proportionen, der einsam wie ein Fremdling aus der blüheuden Ebene emporragt. Drei der Seiten dieses riesigen Felsen-schlosses werden von den schäumcudeu Fluthcn des U«d Rummel bespült, ähnlich wie der Tajo die Fundamente des schwermüthigcn Toledo umkreist. Viele Häuser erheben sich unmittelbar über dem grauenvollen Abgrund und hängen, gleich den luftigen phantastischen Burgen der Dschin, gefahrlos über der schaurigen Tiefe. Drei Seiten der Stadt waren int Alterthum ohne irgend eine Ringmauer gelassen worden, 2? weil ihnen der natürliche Graden, welchen die vom Rummel durchrauschte jähe Schlucht bildete, jede von Menschenhänden geschaffene Vcfestignng reichlich ersetzte. Zu Edrissi's Zeiten scheinen diese drei Seiten eine niedrige Mauer besessen zu haben, die jedoch kaum einen Schuh hoch war. Die einzige Seite Con-stantine's, welche eine Stadtmancr nöthig macht, ist die, welche gegen Südwcst etwas weniger steil, als die andern drei, abfällt. Das Thor Valsc, in dieser Mauer angebracht, bezeichnet den Platz der Bresche, durch welche die Eroberer im Jahre 1837 in die Hauptstadt des Beyliks eindrangen. Vor dieser Pforte befindet sich ein kleines Platean, auf welchem das Monument des hier gefallenen Generals Damrs-mont sich erhebt. Auf diesem Plateau allein konnte sich die französische Armee der Stadt nähern. Auf diese einzige Seite der Stadt konnte sicihrenAngriff ricktcn, alle andern Seiten waren unzugänglich. Jedoch selbst hier scheiterte in einem ersten Fcld-zuge die Macht Frankreichs an der natürlichen Stärke dieses Fel-senncstes. Der heutige General Inssuff wnrde damals als Verräther vor ein Kriegsgericht gestellt, weil er vor dem Feldznge behauptet hatte, man würde Consiantine mit Leichtigkeit nehmen können. Bekanntlich kam die französische Armee in einem elenden Zustande von der verfehlten Erpedition von 1836, Welche dieser Stadt gegolten hatte, zurück. In dem zweiten Fcldzugc sollte die Eroberung gelingen. Pulvermincn können selbst Felsen sprengen! nnd das Adlernest erlag dem Er-findungsgciste europäischer Strategik. Die Hanptmcrkwürdigkeit Constantinc's, anßcr der Stadt selbst, schien mir vor Allem jene mächtige antileVrücke, 28 Welche die Ricsenschlncht des Nnmmel überwölbte und auf dieser Seite den einzigen Zugang von anßen zu dieser Insel mitten im Lande bildete. Diese Brücke setzte die Pforte Bab el Kantrah (d. h. das Nrückenthor) unmittelbar mit dem gegenüberliegenden Hügel Mansurah in Verbindung, beider war diese Brücke in Folge des jüngst erfolgten Einsturzes, zur Zeit dieser meiner Reise, ein Nuineuhaufen. Bis zum 9. Juni 1857 stand sie jedoch nocl) unversehrt, und ich hatte sie bei einem früheren Besuche in Constantinc, im Jahre 1853, in ihrer ganzen antiken Pracüt bcwnndern tonnen. Sie bestand eigentlich aus drei übereinander ruhenden Brücken. Die höchste derselben wurde von vier kolossalen Bogen gestützt. Diese ruheten auf einer mittleren Brücke von zwei ^ogcn und diese wieder anf einer natürlichen Brücke, einem die Schlucht unmittelbar überwölbenden riesigen Felseilbogen. Die mittlere war bis znr Zeit des Einsturzes nock unzweifelhaft die antike, von Antoninus Pins im Jahre 161 erbaute Nömcrbrückc. Die nnterste, welche auch jetzt dem Einstürze getrotzt hat, verdankt ihre Entstehung einzig und allein der launcnvollcn Natur. Die höchste der 3 Brücken war ursprünglich ebenfalls eine römische Brücke gewesen, wurde aber im Jahre 1790 von Salab Bey, dem damaligen türkischen Gouvcrncnr von Constantine, neu aufgebaut. Mit ihr war eine Wasserleitung verbunden, welche das brunnenlosc Constantinc mit dem Quellwasser des Dschebel Mansurah versah. Auf der mittleren, auf der römischen Brücke, sah ich damals ein seltsames, in einem ihrer Pfeiler angebrachtes Basrelief. Es stellte eine Frau vor, welche, nur mit einer Tuuica be- 29 kleidet, diese bis an die Brust emporhob und die Stadt mit höhnischer Micnc anzublicken schien. Auf beiden Seiten die-ser Figur waren zwei Elephanten abgebildet. Ueber die Bedeutung dieses Basreliefs haben Dr. Shaw und viele Archäologen nach ihm die erfindungsreichsten Auslegungen gegeben, welche jedoch alle mehr oder weniger phantastisch erscheinen. Einige wollten in der Frau das Vild einer gefallenen Hcrr-schcrmacht, vielleicht NumidienZ, oder möglicherweise Karthago's, erkennen, welche sich ihrem Sieger zwar hinzugeben gezwungen war, aber doch zugleich ihren Haß dnrch Hohn zu erkennen gab. Andere wollten behanptcn, dieselbe sei ein Sinnbild der römischen Macht, welches die Verachtung gegen die besiegte Hauptstadt Nnmidiens ausdrucken sollte. Die zwei Elephanten wurden bald ein Symbol der Stärke, bald eine, Anspielung auf die Kriegskunst Karthago's gcuannt. Jetzt ist man so ziemlich einig, daß diese Basreliefs, die Frau und die Elephanten, durchaus keine symbolische Bedeutung haben, sondern lediglich als Baumaterial benutzte Neste antiker Gebäude sind, welche vielleicht von Theatern oder Thermen herstammcn, denn die tnnstvcrfallcne späteste Zeit der Römcrherrschaft benutzte oft kostbare Kunstgcgenstände als bloße Bausteine. Denn obgleich jene Brücke unter Antoninus Pius erbaut wurde, so ward sie doch ohne Zweifel später, vielleicht von den Byzantinern, restanrirt. Jetzt war diese herrliche Brücke, die ich vor fünf Jahren so majestätisch dathroncn gesehen hatte, ein Trümmcrhanfcn. Sie war eingestürzt und die Franzosen hatten mit Kanonen noch hineingcschosscn, um sie vollends zum Sturze zu bringen 30 und um bald ihr eigenes modernes Machwerk an die Stelle der Werke des Königsvolkcs zu setzen. Im Innern der Stadt kann der nachgrabende Forscher fast täglich eine reiche Ausbeute antiker Reste finden. Die Kaßbah, das einstige Capitol, enthält noch ausgedehnte Cisterncn von vortrefflicher Ansführuug., Das Tctraftylon, eine Nninc von nicht geringer Bedeutung, und eine Menge römischer Häuserfundamente bieten dem Archäologen reichlichen Stoff. Die Neste einer christlichen Basilika, welche der abgesetzte Bischof von Algier, Monscigncnr Dupuch, hier anf-gefuudcn haben wollte, konnte ich jedoch nicht entdecken. Constantinc besitzt ein Museum, reichhaltig ^ln Inschriften, sowohl römischen als auch phönicischen und uumidischen Ur-spruugs. Eine Menge Votivtafeln, welche dem phönicischen Gotte Baal gewidmet waren, beweisen, daß Sprache nnd Ne-ligion von Karthago in Kirtha vor der Nömerhcrrschaft einen festen Halt gewonnen hatten und später anch behielten. Nicht weniger als dreitausend antike Grabinschriften sind seit Beginn der französischen Herrschaft in Constantine und gleichnamiger Provinz entdeckt worden. Sonderbarerweise befindet sick unter diesen dreitansend die beziehungsweise beträchtliche Anzahl von fünf nnd fünfzig Inschriften, welche dem Andenken von Männern gewidmet waren, die das hnn-dcrtste Lebensalter überschritten hatten. Der Aeltcste dieser mehr als Greise hatte sogar das Jahrhundert nm zwei nnd dreißig Jahre überlebt. Non diesen Hochbetagten gehörten nicht weniger, als zwölf, der Stadt Constantine selbst an — ein Beweis, daß schon zur Nömerzeit die Stadt sich derselben 3l Gesundheit erfreut hatte, welche ihr uoch heute angcrühmt wird. Viele dieser Denkmäler rühren aus der Zeit des Verfalls der römischen Civilisation, ja, wie die, orthographische Ungenauigkcit ihrer Inschriften uns zu erkennen giebt, aus der Zeit der angehenden Verderbtheit der Sprache her. Die orthographischen Fehler einiger dieser Mausoleen könnten eine Klasse von Gymnasiasten, welche eben erst luenZa zu decli-niren beginnen, in allgemeine Heiterkeit versehen, so plump sind sie. Einige enthalten Hexameter von den lächerlichsten metrischen Verhältnissen. Folgendes möge genügen, nm durch ein Beispiel darzuthun, daß heut zu Tage fast jeder deutsche Schuljunge bessere lateinische Verse macht, als man-chcr Römer (freilich nicht aus Cicero's Zeit), der in seiner Muttersprache dichtete: Cassa pmlica fui, Mnesitheona inarito nafi In h'do qua pottii, aurelia conjux Qai mecum sine lite suit, vixit que inaiito, Natos amavit una mecum et laua referenda Rogatione tibi, vixi festinans viveres semper. Wer bewundert nicht Hier auch das echt römische „WLoum sillL lito kuit?" Eine Ehehälfte findet es das größte Verdienst an der anderen, daß diese mit ihr niemals Prozesse geführt Hat. In der That eine große Tngend bei einem Volke von so eingefleischten Juristen, wie die Römer waren! Ein so seltenes Verdienst mußte lauf einem Grabstein Erwähnung finden. Das am 15. April 1855 am Fnße des Bordsch Asus in der Mauer Constantinc's entdeckte Grab- 32 denkmal eines Goldarbeitcrs, Namens Präcilius, besitzt einen ganzen Schatz ähnlicher entsetzlich schlechter Hexameter. Einige griechische Inschriften aus der byzantinischen Zeit enthalten in ihrer Sprache wo möglich noch komischere orthographische nnd metrische Monstruositäten, als die lateinischen Dcnktafeln in der ihrigen bilden. Die französischen Bewohner von Constantinc sind nicht ganz ohne Interesse für die Alterthümer, mit denen die Provinz so überreich gesegnet ist. Es hat sich daselbst eine archäologische Gesellschaft gebildet, die einzige in der Algerie — denn die 8ooi6t« Ingtori^ue in Algier ist nicht ausschließ-lich archäologisch. An der Spitze dieser Gesellschaft steht Herr Cherdonncau, Professor des Arabischen, und einer der wenigen Franzosen in Afrita, welche, wirklich etwas vom Lande wissen, welches sie bewohnen. Unter den neueren Merkwürdigkeiten Constantine's zeichnet sich der Palast des früheren Bey aus. Dieser ist vielleicht das wohlerhaltenste maurische Gebäude in der Algcric. Vielleicht ist er nur ans dem Grnnde, weil er neu, neueren und modernen Begriffen entsprechend war, dein civilisirtenWandalismus der Franzosen entgangen, indem ihn dieselben mit Leichtigkeit in eine Menge von Bureaus umwandeln konnten. Der Palast der Vcys wnrdc nämlich erst in diesem Jahrhunderte aufcrbaut. Seine künstlerischen Herrlichkeiten sind sehr gering. Einige dem Moreskcnstylc nachgeahmte Zimmerdecken und der schöne geräumige arabische Hof, von Säulen-arcadcn umgeben, mit Orangen bepflanzt und mit einer plätschernden Fontaine in der Mitte, das ist Alles, was 33 hier noch an den Glanz islamitischer Fürstenhäuser erinnert. Hier war es, wo jene grimmigsten allerKlcintyrannen, die BcysvouConstantinc, thronten. Von hier ans erließen sie ihre meist blutigen, znweilcn iedoch nnr närrischen Befehle. Sie gefielen sich nämlich, mit tyrannischer Kleinigkeitskrämerei nicht selten den unbedeutendsten Dingen ihre Aufmerksamkeit znznwendcn. Einer ließ sich die Straßenpolizei besonders angelegen sein. Cr erließ unter anderem den Befehl, daß kein Mensch nach Sonnenuntergang sich auf der Straße sehen lasscu dürfe. Wen seine Häscher dennoch Abends im Freien finden würden, der solle des Todes sein. Vorher aber befahl er, die Schuldigen noch vor ihn, den Herrscher, zn führen. Eines Tages ergriffen die Häscher des Ney's drei höchst elegant gekleidete Jünglinge, welche, unbekümmert um die Befehle des Fürstcu, gauz gemüthlich des Abends spazieren gingen. Als sie zum Bey geführt wurdcu, rief dieser ihnen wuthschnaubcud zu: „Bereitet Euch zum Tode, Ihr Hunde! die Ihr meine Befehle übcrtrctcu habt." Die Jünglinge mußten sich uatürlich resigniren. Sie fingen an, ihre Tnrbane abzulegen und ihren Hals frei zu machen, damit der Liebling des Bey — der Scharfrichter war stets der Liebling der Vcy's von Constantinc — sie köpfen könne. Plötzlich siel dem Bey die reiche Kleidung der Jünglinge in die Augen. „Das können nur Söhne von meinen höchsten Beamten sein," so sagte er zu sich selbst, „denn ein Bür- Diei Jahre im Noibwestcn von Nftila. III. 3 34 gerssohn würde es nicht wagen, einen solchen Lurus zur Schau zu tragen. Sein Tod wäre gewiß! Habe ich doch auch den Bürgern verboten, gute Kleider zu tragen!" Er wurde neugierig, zu wissen, wer die Jünglinge seien, und befahl seinem Liebling, einstweilen mit der Ausübung seines heitern Handwerkes zu verziehen. „Wer seid Ihr? Huude!" rief der Bey den zu Köpfcu-den zu. ,,^,ch bin," sprach der Erste, „der Sohn des Mannes, in dessen Brode die halbe Stadt steht/' „So!" sagte der Bey, ,,Deinen Vater möäUe ich wohl tenncn!" lind matt'te seinem Liebling ein Zeichen, welches sagen wollte: der würde auch gut zum Köpfen sein. „Ich bin," sprach der Zweite, „der Sohn dessen, vor dem selbst der Pascha die Schuhe ablegt." „So, so?" sagte der Bey und begann zu ahnen, daß die Jünglinge wohl in Räthseln sprechen möchteil. „Ich bin," sprach endlich dkr Tritte, „der Sohn dessen, vor dem sich alle Häupter beugen." „Das heißt," rief der Bey, der einiges Geschick im Räthsclerrathcn besaß, „Du bist cinBarbicrssohu, der andere ein Schusterssohn und der dritte ein Bäckerssohn." Der Bey hatte die Räthsel errathen uud da die drei Jünglinge ihm Gelegenheit gegeben, seine Klugheit zu beweisen, so fühlte er Sympathie für sie, verzieh ihnen großmüthig, schenkte ihnen das Leben nnd — begnadigte sie zu einer Vastonade von fünfhundert Stoclschlägen. Constantine ist eine Stadt, in welchen die Issauah, jene 83 Sccte von Gauklern, welche vorgeben, Feuer zu essen und ungestraft mit giftigen Thieren zu spielen, eincn besonders großen Anhang haben. In Algier sind sie ziemlich verachtet und kein besserer Maure gehört zu ihren: Orden. Aber hier ist dieß nicht in dem Grade der Fall. Mein alter arabischer Lehrer aus Algier, der schon erwähnte Hadsch Mohamed, der nach Constan-tinopcl ausgewandert, aber enttäuscht und verarmt von dort wieder zurückgekehrt war und welcher jetzt in Constantine lebte, hatte sich aus Armuth bewegen lassen, in diese lächerliche Sccte einzutreten. Ich begegnete ihm zufällig und der arme alte Hadsch klagte mir seine Leiden vor. Alle seine Pläne waren fehlgeschlagen. Sein Geld hatte er anf seinen Reisen ausgegeben und lein neues dazn verdient. Jetzt wußte er nicht, von was er sich ernähren sollte. Sogar Issallah hatte er werden müssen! Kann doch ein Issauah darauf rechnen, daß er wenigstens einmal in der Woche umsonst Knßkussuh zu essen bekommt nnd da ist ihm schon für drei Tage geholfen, denn die Indigestion, die er sich bei dieser un-entgcldlichcn Mahlzeit zuzieht, macht ihu fast immer eine Zeit lang cssensunfähig. Da Hadsch Mohamed so kläglich anssah, so schenkte ich ihm etwas Silbcrgcld. Ueber diese unerwartete Spende gerührt und von Dank für den Geber erfüllt, lud er mich ein, ihu zu einer Lilah zu begleiten. Lilah sind die nächtlichen Feste der Issauah. Am fcstbcstimmten Abend holte mich der Hadsch in einem maurischen Kaffeehause ab, uud wir gingen von dort in ein niedriges arabisches Haus, wo einige fünfzig zerlumpte, Kerle auf dem Boden des Us-ud-Dar hockten uud kaucrteu. Sie hatten flache Trommeln, 3ft Tamtam genannt, vor sich und Mugen mit aller Gewalt darauf. Dazu sangen sie ein ohrenzcrreißendes Lied, welches, wie mich der Hadsch belehrte, ein „Gebet" war. Mitten während dieses ,,Gebetes" erhob sich ein Neger und fing an zu tanzen. „Es war ein religiöser Tanz," belehrte mich ebenfalls mein Führer. Als sich der Schwarze in einen rechten Fanatismus hincingetanzt hatte, begann er seine gefährlichen Kunststücke auszuüben. Er steckte zuerst einen feurigen Stahl iu den Mund, dann stieß er sich ein Federmesser ill's Auge, fraß zcr-brocheues Fensterglas, sowie Hnfeiscunägel, nahm einen Scorpion in den Mund und beendete die Mahlzeit mit Ncr-zchrung ciucr lebendigen Schlange. Nach dieser etwas starken Probe seines guten Appetits sehte sich der Neger zur Nuhe. Sogleich singeu fünf andere Kerle an, denselben religiösen Tanz auszuführen, der ebenfalls mit dem Essen von Nägeln und Glas und Verzehrung einer Schlange endigte. Die Schlange wurde auf eigenthümliche Weise verspeist. Man zerriß sie der Länge nach in eine Menge dünner, bandartiger Streifen, welche eine entfernte Achnlichkeit mit Maccaroni besaßen. Diese wurden über dem Mnndc in die Höhe gehalten und ganz in der Art verzehrt, wie neapolitanische Lazzaroni ihr Lieblingsgcricht, die Maccaroni, sich in den Mund hinein zu wiudcn oder hincinzuschläugcln pflegen. Ich fragte den Hadsch, ob auch er Schlangen gegessen habe und ob dieses Gericht schmackhaft sei? „Was wollen Sie," erwiderte der arme Teufel, „man Würde mich nicht unter den Issauah dulden, weun ich nicht auch Schlangen essen wollte. Daß es augeuchm schmecke, das 37 taun ich gerade nicht behaupten. Aber was mnß ein armer Mensch nicht Alles thnn, nin sich sein tägliches Vrod zn verdienen?" „Betrachtest Dn denn," fragte ich ihn, „Deinen Stand als Issauah als ein Gewerbe?" „Er hat, wenn Sie wollen, große Aehnlichkcit mit einem Gewerbe. Man ißt Schlangen, taut zerbrochenes Glas, nimmt Scorpionc zn sich, schlingt Nägel hinab, das ist die Arbeit. Mail bctommt Knßknssnh zn essen, das ist der Lohn." „Also um des elenden Kußkussnh willen werden die Lente Issauah?" „Die Meisten nur deßwegen. Sehen Sie alle diese armen Teufel, die da hernm hocken. Wenn sie nicht Issauah wären, würde teiner von ilmcn in seinem kleben jemals Kuß-kussuh zu essen bekommen." „Ja, aber wer zahlt denn sür das Kußknssuh, welches Ihr verzehrt?" fragte ich. „Fromme Leute, Leute, welche daran glandcn, meistens alte Weiber, Negerinneu, ansgcdiente Priesterinncu der Liebe und solches Volt." „Also die Gabcu fließen nicht immer aus reinen Händen?" „Das ist auch nicht nöthig. Die Issanal) nehmen Alles. So sind die Statnten nnsercs Ordens. Wir nehmen selbst als Mitglieder nnsercs Ordens alles mögliche Gcsindel, ja sogar Christen, anf, natürlich uuter einer Vcdinguug, denn diese Bedingung reinigt jeden Unreinen. Wer sie erfüllt hat, der ist von all' seinen früheren Sünden losgesprochen." - „Und ist diese Vediuguug schwer zu erfüllen?" 88 „Schwer?'Nicht im Geringsten. Trotzdem habe ich noch keinen Christen gesehen, welcher sich ihr unterziehen wollte." „Und was ist diese Vedingnng?" „Sie ist sehr einfach. Wer Issauäh werden will, mnß sich vom Mokkadcm, nnscnn Ordcnschef, — in den Mund spucken lassen." Man wird begreifen, daß mir bei dieser Enthüllung alle Lust, welche ich etwa hätte haben können, jemals Issauah zu werden, völlig verging. „Ekelt Euch denn das nicht, Euch in den Mnnd spucken zu lassen?" fragte ich weiter. „Ekeln?" erwiderte er. „Das ist ein Wort, welches ein Issauah nicht kennen darf. Glauben Sie, daß man Schlangen essen könne, wenn man für Ekel empfänglich sei?" „Aber," brach ich plötzlich mit einer etwas indiscreten Frage hervor, „wenn Ihr Nägel verschlingt, Glas esset, Euch Säbel in den Vauch rennt, Schlangen und Scorpione in den Mund nehmt, so ist das wohl so eingerichtet, daß es Niemand von Euch Schaden bringen kann?" „Also Sie glauben, wir treiben Taschenspiclerkünste?" „Der Name wäre nicht höflich," erwiderte ich, „ich wollte nnr sagen, daß Ihr vielleicht in einer kleinen Selbst-tänschnng begriffen sein möchtet. Ihr rennt Euch einen Dolch in den Leib und glaubt, Allah thue das Wunder, daß die Klinge zurück in die Hebe fährt, wenn sie eben Gnren Vauch berührt hat. Aber in Wirklichkeit ist es der Waffenschmied, der dieses Wunder vorbereitet hat, indem er die Feder anbrachte, welche den Dolch zurückfahren macht." 39 „Hören Sie," sagte der Hadsch, „was ich auch über solche Dinge wissen kann, das darf ich nicht sagen. Wenn ich selbst zweifeln wollte, ich dürfte es nicht, ich muß glauben. Unbedingter Glaube ist unsere erste Ordensregel!" „Und zwingen sich alle Deine Ordensbrüder zu demselben blinden Glauben?" „Sie müssen es, nnd Vieleil gelingt es anck. Es ist kein Glaube so seltsam, daß man sick nickt in ihn hineinarbeiten könuc, wenn mail festen Willen dazu hat. Ick habe junge Issanal, gesehen, welche so viel Glas aßen, daß ihnen das Vlnt in Strömen alls dem Muudc hiuabrannte. Andere sah ich, die sich die Znnge gänzlich mit einem glühenden Eisen verbrannten. Sie waren noch nngesckickt im Essen des Glases und im Lecken des glühenden Eisens. Aber sie hatten den Glauben. Sie lächelten unter ihren Qualen, deuu sie waren der Ansicht, daß sie mit dcr Zeit noch stärkeren Glauben bekommen würden nnd dann würden sie bei diesen Verrichtungen keine Schmerzen mehr fühlen." Nach Beendigung der Nerzucknngen, der Taschenspiclc-reien nnd möglichen Selbstanälereicn der Issauah kam die Ncihc an das Kußkussuh. Da hätten meine Leser sie sehen sollen! So wohlfunctionirendc Kinnladen, als die dieser Issanah, hatte ich noch in meinem Leben nickt erblickt. Diese armen Teufel hatten offenbar aus Sparsamkeit eiuigc Tage gefastet, nm bei der nnentgeldlichen Mahlzeit recht bei Appetit zu sein. Im Nu waren ganze Thürme von Knßkussuh verschlungen. Die sckönste Indigestion mußte natürlich die Folge von dieser Fresserei sein. Aber da war anch wieder so 4« viel gewonnen, daß sie nun einige Tage nicht zum Essen Lust bekamen. Die meisten gemeinen Araber sind so; Mäßigkeit und Völlerei findet man bei ihnen in einem und demselben Individuum vereinigt: Mäßigkeit, so lange sie^ihre Mahlzeiten selbst bestreitcn müssen, Völlerei, so bald ihnen ein Mahl uncntgcldlick verabreicht wird. Sie erweisen stet» ihrem Gastgeber die größte Ehre, denn sie verzehren, was ihnen vorgesetzt wird, bis auf die Neige. Was das Schlangcncsscn nnd die Schlanqcugaukeleien der Issanah betrifft, so sind dies schon sehr alte Untugenden einzelner afrikanischer Stämme. Scbon Solinus (I'oiy Iiistor. lüllp. 31.) sagt: „Homing i«t.i oarnidus vivunt «or-Pentium." Plinius spricht von einem Kraute, welches den Afrikanern bekannt sei nud dessen Genuß sie fähig mache, Schlangenbisse ungestraft zu ertragen slligtoria nnturaUs I/id. V, I. 15.) Sollten die Issaual) von diesem Kraute Kenntniß haben? Der römische Dichter Silius Italiens Cäs delio I'nnioo I, 411.) spricht von den im .handhaben giftiger Schlangen gcübteu afrikanischen Psillcu nnd beschreibt dieselben so, daß man fast in ihnen die heutigen Issanah wieder zu sehen glaubt: Nee non serpentem diro ex armare veneno, Doctus Athyr tactuque graves sopire Chelydros. Die afrikaniscbell Schlangengankler, das gebt aus dicseu Versen klar Hervor, waren also schon den Römern bekannt gewesen. Diese Gaukeleien gehören also »licht dem Islam eigenthümlich au. Sie stud aus dem uralten afrikanischen Schlangendienst der libyschen Heiden in die Religion Mo- 4l hamcds mit hinnbcrgcnommcn w'ordcn. Achnlichen Ursprungs sind wohl im Princip allc religiösen Ordcn Afrika's, denn dcr Islam kcnnt solclic Verbindnngcn strenggenommen gar nicht. Deßhalb stehen anG alle OrdenZbriider mehr oder weniger im Nnsc dcr Ketzerei. Am folgenden Tage hatte icb Gelegenheit, ein Fest anderer Art in Augenschein zu nehmen, d's war dies ein Neger-fest von der Art, welche man Derdebah nennt. Dic Negcr und Negerinnen genießen del den abcrgläubigen Arabern den Ruf und geben sogar selbst vor, mit den Dschin, jenen seltsamen wnndcrthätigcn Geistern, an welche jeder gute Muselmann glauben must, deun dcr Koran spricht von ihnen, in unmittelbarer Verbindung zu stehen. Diese schwarzen Tausendkünstler bebaupten dnrcb Opfer, welche sie ihren unsichtbaren Herren, den Dscbin, darbringen, die Krankheiten aller Derer zu heilen, welche das Geld zu besagten Opfern hergeben. Neger uud Negerinnen verwalten so eine Art von Pricsterthnm der unsichtbaren Geister, jener,,Fürsten in der Lnft," von denen ancb die heilige Schrift spricht. Der Aberglaube der Araber, besonders aber ihrer Franen, verleiht diesem (^nltns der Dschin große Wichtigkeit. Jeder gute strengglänbige Muselmann jedoch hält diesen Negcrcultns fnr große Sünde, denn dcr Koran gebietet zwar, an die Cristenz dcr Dschin zu glauben, aber er verbietet es anch strenge, dieselben nm Hülfe anzuflehen; da der Gläubige nnr von Allah Hülfe verlangen darf. Ucbrigens ist dcr bei weitem größere Theil dcr Dschin böse, von Gott abgefallen; mit ihncn darf Hcr Moslem gar nicht verkehren, obgleich sie sehr mächtig sind 42 und alle Wunder thun und folglich auch Krankheiten keilen und Schätze verleihen können. Ein kleiner Theil der Dschin ist gut, d. h. hat sich zum Islam bekehrt, man nennt sie die Dschin Moslem; diese haben jedoch ihre Wunderkraft verlo-reu oder dürfen sie, als gute Muselmänner, nicht ausüben. Etliche zwanzig Negerinnen, ihre schwarzen, unschönen Gestalten in goldgestickte Gewände gehüllt, bildeten die Priesterinnen des Opferfestcs, welchem wir beiwohnten. Zu einer olu'zcrrcißcuden, hauptsächlich ans Trommelschlag bestebcuden Musik tanzten diese häßlichen Schöllen einen langsamen gewiegten Opfertanz um einen in ihrer Mitte stehenden Stnbl herum, auf welchem die Hohepriestern! saß; letztere war eine besonders häßliche, aber sehr gepntzte dicke, alte, Negerin, welche sich einer solchen Verehrung zu erfreuen schien, daß alle, eintretenden Frauen, Negerinnen oder Moresten, ihr in Demnth die Hand küßten. Nach beendetem Tanze wurden die Opfcrthiere in den Us-ud-^ar, in welchem das Fest stattfand, hineingeführt. Die Pricsterin sprach den Segen über dieselben und steckte jedem Thier — es waren zwölf Schaafe, vier Kälber und zwei große Ochsen — einen Löffel voll gekochtem Reis in den Mund, worauf sie nach mnselmännischer Manier geschlachtet, b. h. geköpft wnrden; jedoch so, daß der Kopf noch an dem Leibe hängen blieb. Dies ekelhafte Schauspiel faud nnter dem wahnsinnigen Geschrei der Schwarzen statt, welches fortdauerte, bis sämmtliche Opfer verblutet hatten, woranf der Hof gewaschen wurde nnd der sonderbare Tau; von Neuem begann und bis spät in die Nacht währte. Gegen das Wiederbeginnen des Tanzes hätte ich nichts 43 gehabt. Aber daß die entsetzliche Musik wieder von Neuem ertönen mußte, das war eine schwere Prüfung für meine gc-marterten Gehörsorganc. Man denke sich etwa sechs Trommeln, darunter eine fürchterlich große, gegen welche die ,,großen Trommeln" europäischer Musikbanden Zwerge waren. Das Trommelconcert war jedoch noch nicht genug. Ein Dutzend Neger schlugen ihre Krakab, eine Art von immensen eisernen Castagnetten, die ein Getöse hervorbrachten, als ob alle Dämonen losgelassen seien und auf die Kessel uud Marmiten einer Höllenküche lostrommeltcn. Dies Alles geschah in meiner nächsten Nähe nnd es war unmöglich, dem Getöse einigermaßen zu entfliehen, da der Raum sehr klein war. Zum Schluß der Derdcbah wurde die Mahlzeit aufgetragen, Welche aus zwei der geopferten Schafe bestand, die man in aller Eile gebraten hatte. Diese Thiere wurden ganz aufgetragen uud von den heißhuugrigcu Negern mit den Fingern zerrissen uud bis auf die Knochen verspeist. Dazu kreisten Tassen voll Scherbet, jenes orientalischen Getränkes, welches man sich in Europa so köstlich denkt, und welches nichts Anderes ist, als Zuckerwasser, mit ein wenig Rosenessenz gewürzt. Zuckcrwasser zu einer Fleischspeise zn genießen, das würde freilich keinem Enropäer angenehm vorkommen, aber es gilt bei diesen barbarische» Feinschmeckern von Negern für ein köstliches Gemenge und darf bei keiner Festmahlzeit fehlen. Um Mitternacht verließ ich die Derdebah und noch lange dröhnte in meinen gemarterten Gehörswerkzeugen der Lärm der großen Trommeln, das Gerassel der Krakab, und das barbarische Gebeut der wahusinnsbcranschtcn Neger nacb. 44 Auch einer Iudcnhochzeit wohnte ich in Constantine bei. Die Juden Constantine's sind im Ganzen ein schöner Mcn-sckcnschlag. Sie tragen das maurische Costnm in seiner vollen Reinheit nnd verhunzen es nickt, wie die algierischen Israelite» , durch die Annahme europäischer Mützen, Schuhe und Vatermörder. Auf der Hochzeit, zu der wir geladen waren, herrschte ein besonders großer Lurus. Die Braut, eiu kaum elfjähriges, ader bereits nahezu erwachsenes Mädchen, war in kostbare Gewände von Goldbroeat gehüllt. Die Hochzeitsccrcmonic begann mit dem Abschneiden der Haare der Verlobten, denn keine vcrheirathete Indin darf ihr eigenes Haar tragen, sondern muß statt dessen ciue Perücke oder eine Hanbe anfsetzen. Das Bräutchen wurde in die Mitte des Zimmers gesetzt. Ihr Haar war aufgelöst und bedeckte iu dunkler Pracht die herrlichen Schultern und das kostbare Kleid. Nun traten die weiblichen Verwandten, eine nach der andern, heran, nahmen jede einen Büschel von den Haaren der Brant in die Hand nnd wanden ihn in Zöpfchen, die sie mit bnntcn Seidenbändern nmwickelten. Bald sah der Kopf der juugen Braut aus, wie der Gipfel eines bebänderten, buntgeschmückten Kletterbanmes auf einem Jahrmarkt. Dann kam ein dicker, dummaussehender Rabbiner nnd schnitt ihr die Haare unbarmherzig ab, welche jedoch sorgfältig aufgelesen wurden, worauf man jeder Verwandten das von ihr geflochtene, nun abgeschnittene Zöpfchen zum Andenken überreichte. Das kahlcHanpt der jungen Vrant wurde mit einerlostbarenHaubc von schwarzem Sammet, anf welchem Diamanten aufgenäht waren, bedeckt. Dann schritt man zur eigentlichen Trauung. 45 DcrNräutigam, ein langer, magerer, 17jähriger Bursche, führte seinc Braut unter einen kostbaren Baldachin. Hier steckte der Rabbiner der zu Vermählenden den Ring des Bräutigams an den Finger. Dann wurden zwei vergoldete Gläser gebracht, aus deren einem die Vrantleutc Wein tranken. Nachdem sie getrunken hatten, warf der Bräntigam das Glas auf den Boden und zertrat es. Jetzt waren sie verhcirathct. Das Zerbrechen des Glases besiegelt ihr Bnndnift. Nach der Trauungscercmonie wurden unzählige Süßigkeiten, Kuchen von allen Formen und Farben, hereingebracht, genug, nm einem ganzen Regiment Soldaten den Magen damit zn verderben. Alle Anwesenden, uns beide, dcu Franzosen nnd mich, ausgenommen, aßen gierig davon. Ich hatte schon in Algier gehört, daß bei maurischen sowohl, wie bei jüdischen Hochzeiten gewöhnlich so viel gegessen werde, daß die meisten Hochzcitsgäste am folgenden Tage an Unverdaulichkeit krank darniedcrlägen. Jetzt wnndcrte ich mich nicht mehr über das Krankwcrdcn der Hochzcitsgäste. Eher mußte ich stanncn, daß diese Leute sich nicht vor lauter Indigestion ihren Tod holten. Wie die Juden, so kleiden sich auch die Manren Con-stantine's besser, als die von Algier. Auch sind sie im Ganzen schöne, cdelgcwachscne Gestalten, denen die bunte maurische Tracht, wenn sie unzcrlnmpt getragen wird, einen hohen Anstand gewährt. Die Schönheit und Eleganz der Constantiner ist überhaupt in ganz Algerien sprichwörtlich. 4« Elftes Capitel. Der Ramadan in Conftantine. Mein letzter Bchich in Constant,ne. — Muselmännische Bekanntschaften, — Der Fastcmnonat. — Die Gcbctesstnndcn. — Drei maurische Typen. — Anfang des Ramadan. — Der Kanonenschuß am Abend des Ramadan. — Hungrige Araber, — Sid Ali und seine Gäste. — Anständige Manure«, — Arabische süße Gerichte. — Der „Pater der Kanone", — Ein wichtiges Amt. Unangenehmes Pcncbcn, — Die Vergnügungen dcS Ramadan. Der türkische Polichinell. — Ende dcS hciligcn Monats. — Der Ait cs serhir, — Fcstanziige. — Die arabischen Weihnachten. Die „Eöhnc des Platzes". — Sid Ali's Vermahlung. — Hoch-zcitsfeierlichkeiten. Als ich Constantino das letzte Mal (im Frühjahr 1862) besuchte, hatte ich Gelegenheit, daselbst den heiligen Monat der Muselmänner, den Ramadan, mitzumackcn. T"urch meinen Frcuud, Hadsch Hamed cl Gadiri in Algier, war ich an einige der besseren Mauren vou Constantine empfohlen worden, nnd hatte somit Gelegenheit, in ihrer Gesellschaft die Sitten der Eingeborenen deutlicher zu beobachten, als es dem Europäer, der meist nur wenig VerührungZpuutte mit Muselmännern hat, gewöhnlich gegönnt ist. Zu keiner Zeit des Jahres kaun mau die Sitten, Gebräuche, Anschannngen, Fehler nnd guten Scitcu der Muselmänner charakteristischer sich darbicteu sehen, als zur Zeit dieses Fcstmonats, der von allcu Völkern auf Erdeu den Mohamedancrn allein eigenthümlich ist. Der Ramadan ist bekanntlich die Fastenzeit der Moha- 47 mcdaner. Ihr Fasten besteht aber nicht darin, daß sic sich blos des Fleisches enthalten, wie die Angehörigen mancher christlichen Vkeenntnissc. Nein, das Fasten der Muselmänner ist das alte jüdische strenge Fasten, d. h. die völlige Enthaltsamkeit von allen ^ebcnsmitteln während des ganzen Tagcs. Die, Israelitcn beobachten dieses strenge Fasten jetzt nur mehr an einem einzigen Tage im ganzen Jahre, an ihrem Versöhnuugstage, dem sogenannten „langen Tage." Die Muselmänner haben aber 30 solcher ,,langen Tage" im Jahre, d. h. den ganzen Monat Ramadan. >>ine sonderbare, Inconseqnenz herrscht in ihrer Gesehgebnng in Betreff dcr Bestimmung über Anfang und ^nde, des Fasttages. Der Fasttag beginnt nämlich schon lange vor Sonnenaufgang mit dem sogenannten Fedschcr, der ersten Morgendämmernng, er endet aber mit Sonnenuutergang und wird nicht bis zu Ende der Abenddämmerung hinausgeschoben, was man, um consequent zn sein, doch annehmen sollte. Die Israeliten sind consequcnter, denn dei ihnen endet dcr „langeTag" erst dann, wann bereits Sterile am Abcndhimmel sichtbar werden. Ich habe oft mit Muselmännern über diese Inconscqucnz ihres Propheten gestritten. Nie habe ich aber vermocht, cinen Mohamcdancr dazn zn bringen, auch nur einzusehen, daß eine, solche Inconsequeuz eristirc. Diese, Leute theilen den Tag nicht nach Stunden, sondern nach Zeiten, ein. Das Sahör ist die erste Zeit, welche nnmittelbar der Tagcsdämmernng vorhergeht und während welcher man im Ramadan noch essen darf. Dann kommt das Fcdschcr (Morgendämmerung). Dcr eigentliche Morgen (Es Sbäh) ist nur eine bürgerlicke, 48 nicht eine religiöse Zeit. Um Mittag findet das Oelam und um 1 Uhr das Dohor statt, aber Oclam und Dohor bilden zusammen nur eine Gebeteszeit. Das Ässer hält die Mitte zwischen Mittag und Sonnenuntergang, findet also im Sommer von 34 bis 4 Uhr, im Winter von ^ bis 2^ Uhr statt. Der Maghreb (strenggenommen sollte man Marhrcb schreiben), ist der Sonnenuntergang. Nach dem Maghreb darf man im Ramadan essen. Dann kommt noch die Aschijah, welche 2H. Stunden nach dem Maghreb stattfindet, und die fünfte und letzte GebctcZzeit bildet, denn das Sahör gilt nicht als Gebctesstundc. Meine Bekannten in Konstantine waren hauptsächlich: Erstens, ein reicher Kanfmann, Namens Sid' Ali ElSchcbab. Wie er zu letzterem Namen gekommen war, das vermochte ich nicht, mir zu erklären, denn El Schcbab heißt „der Schöne", und Sid' Ali war keineswegs schön. Meine Leser mögen urtheilen, ob ihm dieses Prädieat „der Schöne" gebührte. Sid' Ali war bucklig, hatte vorncn und rückwärts Höcker; er besaß nur ein Auge, eiuc Ncgcrnase, einen sehr großen nnd breiten Mnnd und war nebenbei Fartass (grind-köpfig), was, beiläufig gesagt, wenigstens ein Drittel aller Mauren sind. Mein zweiter Bekannter war Sidi Ammer Ven Schcith Omar, eine bescheidene Größe; ein Mann, der von seinem Gelde lebte, obgleich dieß blutweuig war, aber der sich ausschließlich dem Rauchen von Tabakspfeifen uud dem Einschlürfcn von Kaffee widmete. Sidi Auimer hätte eher das Prädieat „der Schöne" verdient. Wenigstens war er ein schöner Greis. Alles an seinem Gesicht war weiß, sciu 49 Teint, sein Vart, ja ich möchte sagen, seine Augen, denn dieselben waren so blaßgran, so bell, daß sie beinahe für weiß gelten konnten. Eine dritte Bekanntschaft war Sidi Mo-hamed el Slotsch. Ob Sidi Mohamed das Prädicat „El Slotsch", welches „der Kahlköpfige" bedentct, verdiente, das habe ich nie ermitteln können, denn stets war sein ehrwürdiger Scheitel mit einem Tnrban von wenigstens 20 Ellen Banm-wollstoff nmwickett. Sidi Mohamed hatte eine kräftige, kühn gebogene Adlernase, ein paar volle Wangen, einen schönen grancn Vart (er mochte etwa 45 Jahre alt sein), ein feingeschnittenes Kinn nnd ein paar tiefschwarze Angen. Leider störte der Umstand, daß letztere schielten, sehr den Eindruck dieses sonst harmonisch schönen Kopfes. Sidi Mo-hamcd war ein Talcb (Schriftgelchrter) und hatte immer Hoffnung, man würde ihn einmal in irgend einem Neste zum Kadi (Richter) ernennen. So oft eine Kadistellc frei war, schickte Sidi Mohamed eine Petition an den Gouverneur ein, aber immer wurde ilnn ein Anderer vorgezogen. Warum? das war schwer zu sagen. Sidi Mohamed behauptete, er sei der französischen Regierung nicht schlecht genug, denn dieselbe nehme bekanntlich nnr Spitzbuben zu Kadi's uud überhaupt zu Würdenträgern. Dieses behaupten nämlich alle Muselmänner Algeriens. Diese drei bildeten so recht den Kern meiner maurischen Bekanntschaften in Conftantinc. Nei Sid' Ali pflegten wir UN5 jedeu Abend nach dem Maghreb zu , versammeln. Dieser hatte eben seiner Ehehälfte den Scheidcbricf gegeben, weil sie, wie er behauptete, für ihn zu alt geworden war, nnd Drei Iah« im Nmdwcslcu von Äsnla. III. 4 so da er auch keine Töchter besaß, so war sein Haus ohne Harem und folglich allen seinen Freunden zugänglich. Gewöhnlich saßen wir in dem offenen inneren Hofe, dem Us-ud-dar, welcher freilich für die Jahreszeit (Ende Februar) ein etwas kühles Plätzchen war. Der Ramadan begann in diesem Jahre (1862) am 1. März. Da jedoch die Esch-Schehud (gerichtlichen Zeugen) das Erscheinen des Neumondes bezeugt haben müssen, ehe man den Fastenmonat beginnen lassen kann und diese Esch-Schchnd diesmal in Constantine ganz besonders blind waren und den Mond uicht zu scheu vermochten, so fing für Constantinc in diesem Jahre der Ramadan eilten Tag später an, als in der übrigen gläubigen Welt. Mau bilde sich jedoch nicht ein, daß die Bürger von Coustautiue auf diese Weise ciuen Fasttag schwänzen tonnten. Nein! Im Islam läßt sich nichts schwänzen. Jeder muß, was er schuldig ist, an Allah abtragen. Ein durch Unwissenheit versäumter Fasttag muß durch einen andern ersetzt werden, wogegen ein wissentlich versäumter Fasttag nur durch sechzig-tägigcs Fasten gesühnt werden kann. Die Bürger Constan-tine's mußtcu in diesem Jahre alle einen Tag nachfasten. Doch steht bei solchem Nachfasten jedem die Wahl frei, wann er es uutcrnehmeu will. Der Ramadan wird dadurch nicht verlängert, denn der A'it el Serhir (wörtlich das kleine Fest, türkisch Vciram), welches Fest immer auf den Namadau folgt, muß überall an einem uud demselben bestimmten Tage beginnen. Die französische Regierung läßt sich gnädigst dazu herab, den Muselmänner« jeden Abend im Ramadan ciuen Kanonen- 31 schuß zur Verfügung zu stellen, welcher das Aufhören des Fasttages verkündet. Alle Abende zwischen 6 und 7 Uhr ertönte die Kanone und meldete den ansgehnngerten Gläubigen, daß fie nun effen durften. Um diese Zeit sah ich oft die arabischen und kabylischen Arbeiter in Schaareu auf dem Haupt-Platze Constantinc's versammelt. Jeder hielt ein Stück Brod, eine Orange oder soust etwas Eßbares in der Hand. Viele hatten auch noch die Pfeife in der Rechten, welche gestopft und bereit war, angezündet zu werden, wann der Abend genaht sein würde, denn im Ramadan darf rein Muselmann bei Tage rauchen, sämupfen, ja nicht einmal an einer Blume riechen. So erwarteten die Ausgehungerten den heißer-sehnten ttanoneuschuß. Fast alle sahen blas; und gelblich aus, denn einen ganzen Tag arbeiten und keine Speise, keinen Traut zu sich nehmen, das ist keine kleine Strapatze. Endlich sahen sie ans der Kaßbah das kleine weiße Rauchwöllchcn, Welches der Detonation des Schnsscs vorherging, uud gleich darauf vernahmen sie diesen. In diesen: Augcublicle vergaßen fie Gott uud die Welt uud verseukten sich einzig und allein in die Befriedigung ihres aufs Acußcrste gereizten Hungers. Bei Sid' Ali ging es feiner her. Er war aus gutem altarabischcm Geschlecht und hielt auf anständige Sitten und auf Manieren. Gewöhnlich, ehe der Kanonenschnß ertönte, Waren die beiden, oben geschilderten Frennde, Sidi Au'iimr und Sidi Mohamed, und noch eine kleine Bande von Schmarotzern im Hanse des buckligen Amphytrion versammelt; denn Sid' Ali war wohlhabend uud gastfrei uud, seit er die 4« S3 Gattin weggeschickt hatte, stand sein Hans Jedermann offen und sein Tisch war Allen zugänglich. Ließ die Kanone ihren Schnß erschallen, da fnhren diese Lentc nicht etwa gleich mit der Hand in die Schüssel voll Kußkussuh, welche vor ihnen stand, denn die Mahlzeit wird stets pünttlicl) so angerichtet, daß sie für den Augenblick des Maghrebs bereit steht. Sid' Ali's Gäste sielen nicht gierig über die Speisen her. Je besser sich ein Araber zn verstellen weiß, für desto gesitteter gilt er. Deßhalb' stellten sie sich Alle, als sei ihnen nicht das Geringste daran gelegen, daß das Gebot des Fastens nun gehoben war. Die Mahlzeit stand vor ihnen lind sie waren fürchterlich ausgehungert; die Tabakspfeife war da nud sie sehnteil sich nach dem langcntbchrtcn Rauche; die Schnupftabaksdose hielten sie in der Hand nnd ihr Herz jubelte dem Augenblick entgegen, wo sie ihrem Niechorgane den angenehmen Kihcl verschaffen konnten. Aber ihre Züge heuchelten die größte Indifferenz. Diese kleine Eomödie wurde immer eine Viertelstunde lang gespielt nnd zwar anf Kosten des Kußt'ussnh, welches kalt wurde. Endlich bot Einer seine Dose dem Nachbar an. Dieser schnupfte und nieste. Man rief ihm zu: „Ur Hamuk Allah!" (Gott gesegne es Dir). Jetzt schnupften nnd niesten Alle. Dann fing Einer oder der Andere an, zn rauchen; denn allgemein ist das Nanchcn im Maghreb nicht, wenigstens nicht bei den besseren Klassen. Endlich gab der Hansherr das Signal znm Angriff des Berges von Kußknssul). Allmahlig nahm jeder seinen reinlichen weißen Holzlöffel znr Hand nnd mm wurde gegessen, aber auch nicht gierig, wie man es beiHnngrigen voranssetzen sollte, 33 sondern mit dcm größten Anstand nnd der civilisirtesten Ge-nügsamkeit. Dennoch kamen die Leute nicht zu kurz dabei. Vci Sid' Ali gab es immcr viele Gerichte, so daß, selbst bei mäßigem Genuß von jeder Speise, doch Alle satt werden konnten. Ein einziges dieser Gerichte war jedoch allein nicht süß; das war das Kußkussuh. Alle auderu zahlreicheu Spciseu waren Kucken und Backwcrke von allen Formen nnd Farben. Mir wareil sie leider alle ungenießbar, denn in ihnen herschtcu zwei Dinge vor, welche, schon einzeln genossen, manchem Europäer uicht muudeu, welche aber, wenn sie in holder Vermischung vorkommen, wohl kann: irgend einem civilisirten Gcschmacksorganc genießbar erscheinen möchten. Diese beiden Dinge waren — Honig und Ocl. Ohne Honig nnd Oel mögen die Mauren kein süßes Vackwcrk macheu. Eine dieser Speisen hieß Mschelwisch und bestand aus kleinen, nndelartigcn Mchlteigschnittcn, welche in Honig gekocht, in Oel getagt, mit Gucker überstreut waren, und worauf Stückchen von hartgesottenen Eiern gelegt wnrden. Eine andere Speise wnrde Slabijah genannt. Dieß war ein übcrans fettes, öliges, weiches Gebäck, nach Art von dcm, was man in der Schweiz „Küchle" nenut. Die Slabijah schwamm in einer Vrühe von Honig. Der Vurak war ein drittes süßes Gericht nnd nnd zeichnete sich durch Härte ans. Er war hohl nnd im Innern befand sich kleingehacktes, verzuckertes uud mit Honig getränktes Fleisch. Eine vierte Eßwaare hieß Kta'i'ff. Dieß war ebenfalls ein nndelartigcr, jedoch sehr dünn, nach Art der Vermicelli, geschnittener Mehltcig. Der Kta'lff war dergestalt versüßt dnrch Honig 64 und Zucker, daß dem Essenden von ihm die Zähne wehe thaten. Vakläua war eine fernere, sehr beliebte süße Speise,, eigentlich ans der Türkei stammend. Sie glich einem deutschen Kuchen an Form, war voller Mandeln, Rosinen, sehr fett und ölig und ebenfalls in Honig getränkt. Diese Gerichte hatten, wenigstens noch etwas Menschliches. Einige andere jedoch, die auch zuweilen auf Sid' Ali's Tisch figurirtcn, schienen eine auffallende Aehnlichtcit mit Kleister, Leim, Schuhwichse nnd andern uneßbaren Dingen zn haben. Valusah war ein Präparat von Zuckcrwasser und Stärkemehl. Es war offenbar bestimmt, den inneren Menschen zusammenzukleben, so kleisterartig war es. Kalh war eine Abscheulichkeit aus Oel und einer schwarzen Masse zusammeugeseM, welche ihm ein Ansehen von Stiefelwichse gab. Das Unangenehmste bei Sid' Ali's Gastfreundschaft war, daß mau von allen diesen Dingen tosten mußte. Je mehr man aß, desto freundlicher wurde er. Leider war es mir nicht immer möglich, ihm diese Satisfaetion zu verschaffen, deuu viele dieser Gerichte ekelteu mich geradezu an. Alle diese süßen Speisen erfreuten sich des enthusiastischen Beifalls der Mauren. Das gesalzene und Fleisch enthaltende Kußkussuh wurde nur sehr schwach augegriffen, desto mehr aber die endlosen Kuchen, denn alle Araber uud Mauren sind wie Kinder in jede Art von Süßigkeiten verliebt. Wegen seiner mit Süßigkeiten reichlich besetzten Tafel war denn auch Sid' Ali besonders beliebt. Den ganzen Abend gingen Gäste in seinem Hause ein und aus. In den Nächten des Ramadan will es die Sitte der Mauren, daß jeder Muselmann so gut. als es nur immer für ihn erschwinglich ist, speise. Gutessen bedeutet aber bei diesen Leuten fast ausschließlich Süßessen. Der Ramadan ist deßhalb besonders die Zeit der Kuchen. Sidi Auüncr, mein anderer Bekannter, wiederholte mir oft, daß ich es besonders glücklich getroffen habe, weil ich im Namadan nach Constantinc gekommen sei und so Gelegenheit haben werde, alle die süßen Gerichte der Mauren kennen zu lernen, und die Kenntniß von den Speisen eines Volkes gehöre doch auch zur Kenntniß von deu Sitteu dcssclbeu. So ward ich deuu mit einem unzählbaren Heer von süßen Gerichten bekannt, voll denen die eben geschilderten die berühmtesten sind. Ich glaubte sie dem Leser nicht vorenthalten zu dürfen, da ich finde, daß Sidi Au'imcr Recht bat, nämlich, daß die Speisen eines Voltes wirklich dazn beitragen, ein Licht, wenn aucb nur ein bescheidenes Licht, anf dessen Sitten zu werfen. Unter den Gästen Sid' Ali's befand sich aiic^ ein altes, verrunzeltes, weißbärtiges Männchen, Namens Ven Aissa. Diesem wurde vou allen Auwcsendcn eine gewisse Ehrerbietung bewieseu. Diese Ehrerbietung hatte einen mystischen Zu-samnienhang mit einem sonderbaren Titel, welken man dem alten Männchen gab. Es führte nämlich den Ehrennamen: Vu el Metfab, das heißt „Vater der Kanone". Eine eigenthümliche Äencuuuug für dieseu hiufalligeu Greis, der, von Kopf bis zu Fuß in weißgclbliche Baumwollstoffe getleidet, eher wie ein Koch, alo wie ein Kanonier, aussah. Sein friedliches Gesicht coutrastirtc seltsam mit diesem kriegerischen, Titel. Gewiß hatte er niemals in seinem Leben eine Kanone. 5« H losgeschossen Sidi Mohamed, mein dritter Bekannter, befriedigte meine Neugicrdc in Vezng auf den „Vater der Kanone". Ben Aisfa besaß, so wurde mir erklärt, ein kleines Acmtchcn, welches jedoch nnr i»n Ramadan eine Wirksamkeit entwickeln lonnte. Er war nämlicl^ beauftragt, jeneil französischen Kanonieren, welche jeden Abend im Ramadan den Muselmännern durch einen Schuß das Aufhören des Fasttages anzeigen müssen, den richtigen Zeitpuutt anzugeben, wann dieser Schuß zu erfolgen hade, da ein französischer Soldat sonst uu-möglich diesen Zeitpunkt wisseu kann, denn das Fasten hört zwar mit Sonnenuntergang auf, aber nicht mit dem wirklichen Sonneunutergaug, sondern mit dem Sonneumttcrgang, wie der Kalender des Mufti in der Moschee ihn angiebt. Dieses Amt ist hochwichtig, denn von seiner trennn Befolgung häugt die Gewissensruhe aller guten Muselmänner ab. Weun der ,,Vater der Kanone" sich nnr um eiue Minute irrt und den Kanonenschnß vor der Zeit erfolgen läßt, so müssen alle Diejenigen, welche das fasten gleich beim Ertönen des Schusses gebrochen haben, den Fasttag nachholeil. Man erzählt, daß in einem kleinen Städtchen Algeriens die Muselmänner einmal gezwungen wnrden, den ganzen Monat nachzuholen., da es sich am Ende des Ramadan herausstellte, daß der dortige „Vater der Kanone" in der Stundeuangabe seines Kalenders jeden Tag nm eine Minute gegen den Kalender des Mufti voraus war. Es giebt nämlich eigene Namadanstalendcr, welche für jeden Fastenmonat eigens von dein 5oloa (Schrift-gelehrten) angefertigt werden und worin genau die Stunde des Anfangs und des Endes des Fasttages angegeben wird, 57 denn dicsc Stunde ist jeden Tag eine andere. In diesem I cihre begegnete es dem armen Ben Aissa, -daß er den Kanonenschuß einmal, nicht um eine, sondern nm zehn Minuten zu früh erfolgen liest. Es war wirttick komisch anzusehen, welche Consternation dieses Unglück unter den Mnselmäuuern Constantine's erregte. Fast Alle hatten das Kasten gebrochen, als der unzeitige Kanonenschust ertönte, denn es war trübes Wetter nnd man tonnte nickt gnt nntersckeiden, od die Sonne wirklich bereits untcrgangeu, oder ob sie eben erst im Unter-gehen begriffen sei. Bcn Aissa durste sich an jenem Abend, und anck die folgenden Tage in keinem maurischen Kaffeehaus, allf keinem öffentlicken Pla^e sehen lassen. Er war der Gegenstand allgemeiner ^erwünsckung. ^n Sid' Ali's Hallse verbot es die Höflichkeit, dem ,,Vater der Kanone" etwas Unangenehmes nüt Worten zu sagen. Desto mehr drückten aber die Blicke der Muselmänner ihren Zorn gegen den ,,Vater der Kanone" aus. Der arme Ben Aissa war wie in den Bann erklärt, Er säst kleinlaut in einer Ecke nnd schien bitter seine läckerlicke Zerstreutheit zu bereuen, welcke ihn diesen grosteil Fehler hatte begehen lassen. Erst nach vielen Tagen stellte man sich, als habe man ihm vergeben, wenn man anck seine Dummheit nicht vergessen konnte, da ja Jeder durch das gezwungene Nachfasten noch nack dem Ramadan daran erinnert werden mnsttc. Mancher Europäer wird denken: ,,Nun, die Muselmänner werden es auch nicht Alle so genan mit dem Ramadan nehmen." Wer so denkt, der ist durchaus nn Irrthum. Das Fasten im Ramadan ist diejenige religiöse Pflicht, welche von allen Muselmännern, besonders den from- 38 men Maleki, am strengsten beobachtet wird. Selbst die Ausschweifendsten linder den jnngcn Manren Algiers bessern sich znr Zeit des Ramadan, fasten bei Tage und enthalten sich vieler strafbarer Handlnngen, deren sie sich in andern Monaten schuldig zn machcu pflegen. Dein Muselmann ist es mit dem Ramadan durchaus crust. Der Ramadan ist jcdock nicht allein der Fasteumonat der Muselmänner; er ist anch zugleich ihr Fcstmonat. Die Nächte sind jedesmal der Lustbarkeit gewidmet. Doch sind die Ver-gnügungen, denen sich die Maghrebincr hingeben, durchaus nicht lärmend uud rauschcud, wie die Namadauuächtc in Constan-tinopcl. Hier ist nickts von Tänzern und Tänzerinneil zu sehcu, nur selten wird milsieirt, gcwo'lmlich beschräult sich die Festlich-kcit auf freundschaftliche gemeinschaftliche Mahlzeiten nnd trau-lickc Conversation. Tas einzige geräuschvollere Namadanver-guügcu, was vou den eheinaligcnHcrreu dc-Z ^atldcs, den türkischen Iauitscharcu, hierder verftflailzt wurde uud sich hier erhalten bat, ist dcr„Karaghis", der türkische Polichiuell. Eiue Vude, woriu dicscrHauswurstvomVosphorus sciuWescutrieb, eristirtcauch in Konstantine. Ich hatte große ^ust, dieses Schauspiel kennen zu lernen. Jedoch konnte ich keinen meiucv maurischen Bekauntcu dazu driugeu, mich dorthiu zu begleiten. „Kara-ghis" steht in einem sebr schlechten Rufe uud kein anständiger Maure will eingcstehcu, daß er ihu jemals gcsclnu habe, geschweige denn, öffentlich zn ilnn bingehen. So mußte ich denn allein dieses Fastnachtsspiel aufsüßen. Tie Vude des ,,Ka-raghis" lag in einem duut'len, wiutligcu, äußerst cugeu Gäß-chen Constantinc's. Man gelangte über halsbrecherisches 59 Pflaster an die, Pforte des sogenannten Theaters. Dasselbe befand fich in einem halb unterirdischen Gewölbe, welches zu--gleich dem allcrnicdrigstcn Proletariat als Kaffecbaus diente. In dieser Höhle saßen etliche hundert Araber und Kabylen; nur wenige Mailren Constantine's und zwar nur ein Paar leichtsinnige Jünglinge hatten sich unter diese rohen Landbewohner und Taglöhncr gemischt. Dennoch herrschte ein weit größerer Anstand, als nuter einem europäischen Janhagel von demselben Schlage geherrscht baben würde. Ehe die Vorstellung begann, wnrden die Paar ^cllämpchcu, welche die Höhle spärlich erhellten, völlig ausgelöscht. Gänzliche Dnn-kclheit war nötbig, da „Karaghis" ein Schattenspiel ist. Eine Art von spanischer Wand, mit grauem Vaumwolleustoff über-«spannt, stand in dein einen Winkel des Zimmers. Auf dieser Fläckc zeigten sich nun nach der Reihe die Sckatteu, die im Schanspiel eine Rolle hatten. Zuerst trat „Karaghis" selber auf. Dieser türkische Polichinell ist eine bockst anstößige Persönlichkeit. „Karaghis" ist eine Mißgeburt, die jedoch bei einem rol,eu Pnblicnm dachen erregen kann. Was diesen musclmänuischen Hanswnrst charakterisirt, ist eine lächerliche, übertriebene Verliebtheit. Alle Personen des Drama, gleichviel ob jung oder alt, bäßlick oder schön, sind die Gegenstände der galanten Passionen des „Karaghis". Er erklärt seine Leidenschaft nicht immer in den gewähltesten Ausdrücken. Dabei reißt er Wihc, die vom Staudpuukt der Aestbctik selten zn billigen sind. Eine junge Dame bat besonders die zarten Seiten im Herzen des „Karaghis" erregt. Sie steht am Fenster nnd „Karagbis" macht ihr eine bnrleske Liebeserklärung; die 60 Scho'ncwird von eincmHaremswächter abgeführt. Gleich darauf erscheint ihre Mutter und macht dcm„Karaghis" Vorwürfe über sein Benehmen, ihrer Tochter gegenüber. Aber Kara-gbis ist die Wandelbarkcit selbst. Er verliebt sich auf der Stelle in die Mutter und verlangt von ihr Gegenliebe. Diese sträubt sich und ihr Hülferuf lockt ein altes Weib herbei, welches die Mutter der Mutter, die Großmutter der ersten Schönheit ist. Die Mutter verschwindet und Karaghis bleibt mit der Großmutter allein, die ihn mit einer Wolke von Schimpfreden überscbüttet. Karaghis kennt jedoch das Mittel, anch die Großmntter für sich einzunehmen. Er spricht auch zu ihr vou ^iebc und die Alte hört ibn wohlgefällig an. So geht es fort. Es kommen noch etliche zwanzig Pcrsonen nacheinander, jede der andern, die sich durch Karaghis bedroht sieht, zu Hülfe und einer jeden macht Karaghis ^dieselbe Liebeserklärung, nur mit einigen Variationen in den Worten. Das Schallspiel war im Ganzen niebt eben ästhetisch zu nennen. Auch gcschab es obne .Heuchelei, daß ich Sid' Ali am andern Tage versicherte, ich würde „Karaghis" nicht wieder besucheil. Haben am Ende des Ramadan die Esch-Sckehnd (Heugen) die blasse Scheibe des Neumondes erblickt, so wird das Fasten für geschlossen erklärt und der Ait es serbir, d. h. „das kleine Fest", imGcgcnsal; znm„Ait eltabir", dem großen Feste, so genannt, beginnt. Der A'it es serhir ist uus Eu-ropäeru mehr unter seinem türkischen Namen „Korban Bairam" delannt. Am Ait es Serhir gicbt sich der Muselmann der ungchcuchcltsten Freude hin. Er gesteht es offeu ein, daß er froh ist, den Ramadan übcrwnndcn zu haben. Jetzt steht 0l cr Morgens in aller Frühe schon auf und genießt mit Wonne sein Ftur (Frühstück). <5r kleidet sich iu seiilc schönsten Gc-wande. Selbst die Aermsten »vollen am Ait es Serbir etwas ^ieues airziehen, verstebt sich nur die Städter, denn die Ve-duiuen und Kabylen geben nach wie vor iu ihren ^nmpen. Am Ait eo Serhir erschienen im Hanse Sid' Ali's alle Bekannten iu neuen Anzügen oder, war anck der ganze Anzug nickt ueu, so war e5 doch ein Stück desselben, entweder das Hosäm (Schärpe) oder das Sarnal (Beinkleid) oder derKath (Collectivausdruck für die, 2 Westen und die Schnürjacke). Sogar der arme Ben Ai'ssa erschien in einein neueu Costüm von gedrucktem Cattuu, welcher Stoff sich sehr gut zu einem ordinären Sophanderzng geeignet haben würde, aber unendlich tomisch anf dein ehrwürdigen Körper des greisenhaften, hinfälligen, tleincn Mannes anssah. Manche der Gäste Sid' Ali's zeigton sich in recht geschmackvollen Anzügen, die mitunter sogar reich waren, Dennoch waren die meisten dieser ^!ente, nach europäischen Begriffen, keineswegs wohlhabend zn nennen. Aber die Sitte will, daß mau am Ai't es Scrlnr sich so gnt, als nur immer möglich, tlcide. So bringen den viele Mauren kleine peeuniare Opfer, nm sich einen schönen Festtagsstaat zu verschaffeu. Ist aber der Ait vorbei, dann wird der theuer getanfte Festanzng in den meisten Fällen um einen Spottpreis versteigert, oft, ehe er dem Schneider, der ihn gemacht hat, bezahlt worden ist. So gro>; ist die Sorglosigkeit dieser ^ente nnd so unpraktisch sind sie. (iiuigc Tage nach dem Ait erschienen mit wenigen Ausnahmen Sid' Ali's Gäste wieder alle in ibren srüberen unscheinbaren Anzügen. 62 Ihre gutcn Kleider hatten sie nicht etwa aufgehoben, wie Christen ihre Sonntagskleider oder Inden ihren Sabbathstaat anfznheben Pflegen. Nein! die Mauren schließen ihre guten Kleider nie ein, sie tragen stets ihre besten Anzüge, gewöhnlich besitzen sie übrigens nur ein Kleid. Daß Sid' Ali's Gäste nicbt mehr ihre Festtagskleider trngen, das war ein sicherer Beweis, daß sie dieselben zu Geld gemacht hatten. Den Erlös derselben batten sie wahrscheinlich verjubelt, denn ein Manre dentt selten an's Sparen und auch nicht oft an's Bezahlen seiner Schulden. Geiz und Sparsamkeit, diese Nationalzüge der Kabylen und die auch alle Bcdninen, mit einziger Ausnahme derjenigen von rein arabischem Ursprung, im höchsten Grade üben, ist den gutmüthigen Mauren durchans fremd. Sie leben wie Kinder in den Tag hinein, machen rechts und lints Schulden nnd haben selten einen Heller Geld in der Tasche, den sie nicht ans der Stelle vcrjnbeln. Der A'it es Serhir ist anch hauptsächlich ein Kinderfest. Man könnte ihn in dieser Beziehung mit uusern Weihnachten oder dem französischen Nenjahr vergleichen. Alle Kinder bekommen an diesem Tage Geschenke, theils in Geld, von dein gewöhnlich ein oder zwei Sons genügen, um sie in großen Jubel zn versehen, oder in Spiclsachen. Die Sordi (arabisch für Solls) sind jedoch dasjenige Geschenk, welches die Kinder bei weitem vorziehen. Die maurischen Kinder sind meist bescheiden lind gesittet in ihrem Auftreten und unterscheiden sich in dieser Beziehung höchst vortbeildaft von jenen kleinen Monstra, welche man französische Kinder nennt. Letztere sind, wenigstens in Algerien die keckesten, unverschäm- «3 testen „Lnkautg terrible", die man sich denken kann. Sie ranchcn, flncken, trinken, kurz haben schon alle nnanständigcn Gewohnheiten der Erwachsenen. Nicht so die kleinen Manrcn, die sich meist anständig beuelnnen, d. h. diejenigen, welche Söhne achtbarer Eltern sind nnd nicht jene kleinen arabischen Vagabunden, die keine andere Heimat!), als die Gasse, haben. Diese Gassenjungen nennt der Manrc höchst bezeichnend Ulad cl Nlasa, d. h. die Kinder der öffentlichen Plätze nnd der Straßen. Diese Ula-d el Blasa sind über die Maßen verachtet. Es ist gcnng, wenn man einem Erwachsenen vor-werfen kann, er sei in seiner Ingcnd ein Mid cl Blasa gewesen, nin denselben bei allen anständigen Mauren in den Sann zu erklären. Es ist bezeichnend, daß die Race der Nlad (Plural von Ulid, Sohu) cl Vlasa erst der Epoche der französischen Herrschaft ihre Eristcnz verdankt, wie ja auch das Wort Blasa nicht arabisch, sondern nur eine Entstellung des französischen „1^ pwoe" (der öffentliche Platz) ist. Sid' Ali satge oft: „Als noch die Bey's von Constantine regierten, da hatte die Vlasa (der öffentliche Platz) noch keine Kinder hervorgebracht. Erst die sogenannte Civilisation hat diese häßliche Race in's Dasein gerufen." Man könnte Manches von den Sitten dieser „Söhne des Platzes" erzählen, aber ich muß in Bezug auf sie des Anstandes halber dieselbe Discretion beobachten, welche mich oben verhinderte, den türkischen Polichinell oder Karaghis mit wahren Farben zu schildern. Es giebt gewissen moralischen Schinutz, den man nicht aufrühren darf. Etliche vierzehn Tage uach Beendigung des Ramadan verließ ich Constantine. Ehe ich ging, hatte ich jedoch noch «4 Gelegenheit, einem Familienfeste beizuwohnen. Es war die Vermählung meines Freundes Sid' Ali. Der gutmüthige Mann hatte endlich doch die Schmarotzerbandc satt gekriegt und sehnte sich wieder nach den Freuden der Häuslichkeit. An Stelle der geschiedenen Ehehälfte, welche für ihn zn alt geworden war, hatte er sich die zwölfjährige Tochter des Kadi von Eonstantine erwählt. Ich detain die Braut natürlich nicht zu sehen. Ueberhaupt fand während meiner Anwesenheit nur die religiose Eeremonie statt, welche die beiden Brautleute bindet. Diese Eeremonie bestel't in der Lesung des ersten Eapitels des Koran, des sogenannten Fats'ha, im Orient Fat'ha genannt. Das Fats'ha soll eigentlich in Gegenwart der Vrantlente gelesen werden. Aber die Sitte will, daß jeder von beiden Theilen sich durch einen Stellvertreter rcvräscntircn läßt. - So findet bei diesen Völkern immer die Vermählung durch Procnration statt. Der Anstand erheischt, daß die Ehe erst einige Zeit, oft viele Monate, nach der Lesung des Fats'ha vollzogen werde. Deßhalb haben manche Enroftäer die Lesung des Fats'ha für eine bloße Verlobung gehalten. Dieß ist jedoch nnrichtig, denn, stirbt der Vermählte zwischen der Lesnng des Fats'ha und dem eigentlichen Anfang der Ehe, so erbt die Frau ihren Pflichttheil eben so gut, als wäre sie zehn Jahre verhcirathet gewesen. Am Tage der Lesnng des Fats'ha schickt der Verlobte allen seinen Freunden Kuchen, fast immer den oben beschriebenen Mschclwisch, nnd jedem eincnKrug voll Schcrbetsvarfümirtes Zuckerwasser) in's Haus. Am Abcud seines Hochzeittages war der Andrang groß im Hause Sid' Ali's. Aber Niemand dnrfte von Hei- «5 rath auch ein Wort fvrechen. Hochzcitsgratnlationen gelten bei den Mauren für eben so unanständig, als, wenn man sich nach dem Befinden einer Frau ertnndigen wollte. Die Vermählte bleibt stets nach dem Fats'ha noch eine Zeit lang bei ihren Eltern. Nach abgelaufener Wartzeit wird sie dem Mann, begleitet von Schaarcn ihrer Verwandten, zugeführt. Dann erfolgt noch eine Hockzcitsfeicr. Dieselbe ist jedoch nur für Frauen zugänglich, denn nur Frauen dürfen das Haus eines vermählten Mannes betreten. Eine dentsche Dame, meine hochgeehrte Freundin, besuchte eine solche Hoch-zeitsfcicr diesen Winter (1862 ) in Algier. Sie tonnte mir nicht genug von dem Luxus, den die Frauen dabei in ihren Anzügen entwickelten, erzählen. Die Braut war des Morgens in weißes goldgesticktes Moire antiqnc nnd Abends in schweren reinen Goldbrocat gekleidet und trug die Diamanten der ganzen Verwandtschaft auf sich, welche man sich gewöhnlich zu solchen Festen znsammcnborgt. Es ist Sitte, daß acht Tage nach der Hochzeitsvollstreckung die geliehenen Sachen von den Freundinnen, die dieselben geborgt hatten, abgeholt werden. Oft soll es vorkommen, daß man so viel geborgt hat, daß die Braut bis anf's Hemd ausgezogen wird, um der fremden Federn beraubt ;n werden. T>«i Jahre im Nortwesleii vrn Afiila. IU. 5 Ulj Zwölftes Capitel. Der Medrassen. Reise von Constantine nach Biskarah. — Die Karawanserais. — Am el Bey. — El Krub. — Silae Municipium. — 8a-livae HudoueuLU868. — Der Mebrassen oder das Grab deö Syphax. — Die Basis des Monuments. — Grabpurümibe. — Alter und Bestimmung des Denkmal«. — Architektonische Epoche. — Die Dynastie des Maffäsylier. ^- Die Nachgrabungen Car-buccia's. Nach einem längeren Aufenthalt in Constantinc rückten wir endlich anf die von uns schon langersehnte Wüstcnfahrt aus. Unsere Absicht war es, so viel als möglich von der algierischen Sahara in Augenschein zu nehmen. Der Oase Viskarah sollten sich zunächst unsere Schritte zuwenden, da dieß der erste bedeutendere Punkt der Wüste ist, welcher Constantinc nahe, liegt. Um jedoch zu dieser Oase zu gelangen, mußten wir zuerst einen bedeutenden Theil des Tell (der Nichtwttste) durchwandern. Vier Tagereisen lagen vor uns. Zwei brauchten wir, um das Plateau vou Bathna zu erklimmen, welches das stolze Auresgebirge zwischen Constan-tine und der Sahara hingeworfen hat, zwei weitere, nm von diesem Platean ans der entgegengesetzten Seite wieder hernieder zn steigen nnd das palmenrciche Biskarah zu erreichen. Für die ersteren zwei Tagereisen konnten wir den Omnibus benutzen, welcher alle Tage von Constantine nach Bathna fährt. Da dies Beförderungsmittel mehr Eile versprach, als der Ritt, dennderOmnibuswcchscltediePfcrde, so erwähl- 67 ten wir dießmal dasselbe, zur großen Freude Hameds, der in einem Winkel dieses holprigen Fahrzeuges sich mit Mnßc dem „Kifmachen" ergeben konnte. Kif zu „rauchen", das gestattete ich ihm jedoch nicht mehr. Für meinen Reisegefährten und mich war freilich diese Art der Beförderung keineswegs angenehm. Wir hatten uns an die Freiheit, welche man als Reiter genießt, zu sehr gewöhnt. Jetzt konnten wir nicht absteigen und mit dem Itinerar in der Hand zu jedem Ruinen-Haufen hineilen, um uns» darüber Rechenschaft zu geben, welches Munieipium oder welche Colonia des Königsvolkes hier gestanden haben mochte; und doch folgten wir einer der interessantesten Routen, der Straße, welche die Hauptstadt Nu-midicns, Kirtha, mit der berühmten Legionsstadt Lambesis verband. Freilich folgten wir dieser Straße nicht direct, denn wir ließen Tamugadis, die hochwichtige Nuincnstadt, links liegen, auch führte unser Weg nicht nach Lambessa selbst, sondern nach dem nahen Bathna. Der Omnibus, der hier, wie überall in Afrika, wo es solche Fuhrwerke giebt, äußerst schlechte Federn, wenn überhaupt Federn, besaß, durchwackelte eine Gegend, welche, nachdem wir das afrikanische Adlernest aus den Augen verloren hatten, allmählig die Physiognomie einer Gebirgslandschaft mit Steppcncharaktcr annahm, die sie auch bis nach Vathna beibehielt. Wir stiegen langsam, aber fortwährend in die Höhe. Steile Berge hatten wir zwar nicht zu erklimmen; dennoch sollten wir von einer Höhe von nur 1500^, welche die von Constantinc ist, in zwei Tagen bis zu einer Höhe von 4000^ über der Meeresflächc aufwärts steigen. Gegen Mitte des 5* «8 ersten Reisetages in diesen: unbequemen Fuhrwerk hielt der Omnibus bei einem großen, von den Franzosen erbantcn Karawanserai in dem Eolonistcndörfchen Am- el-Bcy. Diese Karawanserai's, welche man nirgends so gut findet, als auf der Route, welche von Constantine nach Viskarah führt, sind eine Bequemlichkeit für die Reisenden, für deren Errichtung die französische Regierung wirklich Anerkennung verdient. Diese Fremdenhäuser bestehen aus einer Ncihe von Stnben für die Uebernachtcudeu und aus zweckmäßigen Ställen für ihre Thiere; eine gute Küche, gewöhnlich von einer ehemaligen Cantiniörc gehalten, ist immer damit verbuudcn. Sie bieten unendlich viel mehr Comfort, als die kleinen Gasthöfe, die man in einzelnen größeren Colonistendörferu und Städtchen findet. Anf diese Weise gilt, was Unterkommen betrifft, vom Reisen in Afrika gerade das Umgekehrte, was vom Reisen in Europa gesagt wird. In Europa findet man in größeren Orten immer ein besseres Unterkommen als in Dörfern. In Afrika haben die Städte, zwei oder drei der größeren abgerechnet, meist iufamc Gasthäuser, dagegeu bieten die weniger bewohnten Orte, wo Niemand es der Mühe werth hält, einen Gasthof zu crrichteu, oft iu ihren Karawanserais dem Reisenden den größten) Comfort. Ich war immer froh, wenn ich ein Karawanserai, die freilich nicht überall sind, antraf; während der Anblick eines Gasthofcs mich immer unangenehm anfprach. Wer liebt auch ein Vild des Schmutzes, der Unordnung und des Elends? Kurz »ach Ain-el-Vey kamen wir dnrch das mit einer Kirche im sogenannten gothischen Style beglückte Colonistcn- no dorfElKrub, wo allwöchentlich ein bedeutender Viehmarkt abgehalten wird. Das gothische Nngeheuer, denn es war natürlich in einem französischen pscudogothischcn Style erbant, zog uns wenig an. Statt dessen eilten wir, die Alterthümer von El Krub in Augenschein zu nehmen. Denn El Krub vertritt die Stelle cincs römischen Mnnicivium. Mit großer Wahrscheinlichkeit kann man annehmen, daß hier das alte Sila gestanden habe. Ein Haufe von Ruinen, die Neste eines römischen Hauses, einige Säulcnfragmcnte: das war jedoch Alles, was sich anfangs unsern aufmerkfamcu Blicken darbot. Ein armer Colonist, der uns in diesen Nninen herumstöbern sah, kam plötzlich auf uns zugelaufen uud sagte uus, daß in seinem Garten sick eine römische Denkfaule befände. Wir eilten dahin nnd fanden wirtlich eine höchst interessante co> lounll milliaria oder Mcilenzeigcr, welche die Entfernnng von hier bis nach Constautiuc so angab, daß wohl kein Zweifel darüber bleiben kann, El Krub sei wirklich das autite Sila gewesen. Was war aber die Bedeutung von Sila? Wir wissen so gnt wie nichts darüber. Daß es im fünften Jahrhundert ein Visthnm war, das trägt wenig zu seinem Ruhme bei, denn wclckcs Dorf in Nordafrika hätte nicht damals seinen Bischof gehabt? Bischof Donatns von Sila wird auf der Liste der von Hunerich im Jahre 464, nach dem Concil von Karthago, verbannten Bischöfe als der zwei und achtzigste aufgeführt. Dieser Donatus war also auch einer von jenen ehrwürdigen Vätern, welche der entsetzliche Hnncrich nackt vor die Thore von Karthago werfen ließ, wo ihre venerable» Leiber einige Tage 70 allem Wind und Netter ausgesetzt blieben und das Alles, weil die Bischöfe über die zweite Person der Trinität andere Ansichten hegten, als der arianische König. Victor Vitcusis meldet komische Geschichtchen von dem fanatischen Vekehrungseifer der Arianer. Ein vandalischer Bischof zog im Lande herum, ließ die Bauern durch seine Häscher festhalten und knebeln und vollzog dann an diesen Geknebelten das Sacrament der Taufe. Jetzt gehörten sie unwiederbringlich dem arianischen Bekenntnisse an. Unter allen Arianern, zeichnete sich der Patriach Cyrilla durch seinenBekehrnngseifcr aus. Die Katholiken warfen ihm vor, daß er sich das Ansehen gegeben habe, als wirke er Wunder. Aber diese Wunder waren nur falsche Wunder. Victor behauptet, Cyrilla habe einmal einen Mann bestochen, daß er sich öffentlich blind stelle und dann von Cyrilla die Heilung verlange. Der armeMensch that dieß, uud als eben Cyrilla seine Hände erhob, nm dein, vcrmeindlich Blinden das Augenlicht wiederzugeben, siehe! da war dieser wirtlich blind geworden, so daß hier ein Gc-genwunder stattgefunden hatte. Unser Nachtquartier nahmen wir vor Schluß der ersten Tagereise in einem einsamen Wirthshause bei A'in Melilla. In der Nähe besuchten wir römische Ruinen, welche für die der ßaliuae Hudoueneuge» der pcutingcrischen Tafel gehalten werden. - Nichts Bcmerkenswcrthes zeigt sich hier. Am andern Morgen brachen wir in aller Frühe auf, da wir eine gute Tagereise, selbst für den pferdewcchselnden Omnibus, zurückzulegen hatten. Wir fuhren zwifchen zwei Salzseen oder richtiger Salzmorästen, welche den Bewolmern der 7l einstigen »Iaiinae Ilnbousuengeg ihr Material geliefert hatten. Plötzlich rief uns der Conductcur der wackeligen Nädcrmaschinc zu, ob unter uns etwa Liebhaber von Alterthümern seien. Man kann sich denken, welches unsere Antwort auf diese, in solchem Munde unerwartete Frage war. Nnn theilte er uns zu unserer großen Freude mit, daß wir uns nicht mehr weit von dem „Tombean de Syphar" befänden und erklärte, er würde uns gegen eine Vergütung in die Nähe dieses Grabmals führen und dort eine Stunde auf uns warten, bis wir die Alterthümer besehen hätten: ein Plan, auf den wir natürlich eingingen. Das sogenannte „Tombeau de Syphar", wußten wir wohl, sei nicht Anderes, als der berühmte Mcdrassen, das wichtigste, jedenfalls das älteste größere Monnment in Algerien. Nci Ai'n Hadschar verließen wir den Fahrweg und gelangten in kurzer Zeit — der faule Hamed blieb natürlich im Omnibus zurück, um seinen „Kif" zu macheu — an eins der großartigsten Monumente des Alterthums, welches die afrikanische Erde trägt. Der Medrassen, welcher sich nnscrn Blicken darbot, besaß zwar, was seinen allgemeinen Umriß betraf, die größte Aehnlichkeit mit dem mir schon bekannten Grab der Christin in der Provinz Algier, aber seine cdle«n Verhältnisse, sein majestätischeres Gepräge, sein leicht erkennbares, unweit ehrwürdigeres Alter uud ein räthselhaft'es, ge-heimnißvolles Etwas, welches diese stumme und doch so beredte Steinmasse zu umschweben schien: dieß Alles verfehlte nicht, eincu mächtigen Eindruck auf unfcre Gemüther hervorzubringen. Nicht wenig zu diesem Eindruck trug auch die 78 großartige Steppeneiusamkeit bei, in welcher das Monument dalag. Hier waren weit und breit weder Hügel noch Berge zn erblicken, kaum ein Baum ragt über die ebene Fläche hervor: das Nerk des Alterthums bildete den einzigen Gipfelpunkt in dieser Landschaft. Stumm und hehr, ernst und majestätisch lag das von Jahrtausenden geheiligte Denkmal vor uns. War seine Masse imposant, so war seine Form doch nicht minder edel. Sechzig riesige Halbsäuleu umgaben die vieleckige Basis, auf welcher sich die das Niesenmonumcnt krönende Pyramide gen .Himmel trng. Diese Architektur glich im Ganzen Manchem, was ich schon früher gesehen hatte und doä,, im Einzelnen genommen, wie verschieden war die Anwendung des Vaustyls von dem mir Bekannten! Das Räthsel, welchcm Vaustyl diese« Denkmal angehört, ist nur dann zu lösen, wenn man die Zeit entdeckt, der es seine Entstehung verdankte. Aus welcher Zeit stammt aber dieses Monument? und welches war seine Bestimmung? Letztere war offenbar dieselbe, wie die der Pyramideu Acgypteus und wie die des sogenannten Grabes der Christin, d. h.: der Mc-drasscn war ein Grabdenkmal. Erstere Frage ist jedoch in tiefes Duukel gehüllt, welches die unvollkommenen ^iaäigra-bmigeu, welche der frauzöfische General Earbuceia hier anstellte, bis jetzt noch nicht aufzuhellen vermocht haben. Einige Archäologen wollen, nach der Eigenthümlichkeit des Banstyls des Melassen schließend, in seiner Architektur ein verbindendes Glied zwischen der ArchitekturAltägyfttcns und den ersten Anfängen hellenischer Kunst erblicken, nnd vielleicht sind sie nickt im Unrecht. Die Pyramide ist beinahe durchaus alt' 73 ägyptisch. Die Säulen sind nicht toscanisch, wie Pcyssoncl fälschlick behauptet hat, sondern gehören einer bis jetzt gänzlich unbekannten Ordnung an, welche sich jedoch der ältesten dorischen ain meisten nähert. Wie die des ältesten der drei Tempel von Pästum bei Neapel, so sind die Sänlcn des Me-drasscn tonisch und ihre kegelartige Gestalt ist in inniger Harmonie mit der Pyramidenforin des Daches. Was diese Säulen von den ältesten dorischeu unterscheidet, das ist, dafl ihnen jene flachen Cannellirungen abgehen, welche man bei den griechischen findet. Anch ist die konische Form viel ausgeprägter, als bei den althcllenischen Beispielen jenes Baustyls. Ferner fehlen den Sänlen des Medrasscn die Picdestale gänzlich. Alle diese Verschiedenheiten sckeincn, wie ein verdienstvoller Berichterstatter in der „Nevue arc^olagi^ue von Constantine" bemerkt, eher auf eine protodonsche als auf eine nachdorische Zeit zu deuten. Die Stnfenpyramidc auf einer im Vergleich zu ihrer Höhe allzu niedrigen Basis ruhcu zu lassen, wie dieß hier der Fall ist, das würde ein hellenischer Baumeister wohl nicht gebilligt haven. So bildet denn der Banstyl des Mcdrasscn viclleickt ein kostbares Verbindungsglied zwischen den Stylen der zwei größten Knnstvölker des Alterthums, der Acgypter und Hellenen. Da es ansgemacht ist, daß der Medrasscu ein Grabdenkmal war, so bleibt uns uoch die Frage übrig: wessen Grabdenkmal war er? Eines Königsgeschlechts ohne Zweifel. Aber wclckcn Königsgeschlechts? Es gab in diesem Theile von Numidieu nnr eine Königsracc, die der Massylier, d. h. der Iuba, Massimssa, Micipsa und Iugnrtha, aber sie 74 war in frühester Zeit in viele Dynastien getheilt gewesen. Eine dieser Dynastien hatte wahrscheinlich in der Nähe der Schotts oder Salzseen ihre Hauptstadt, die freilich nur eine Hüttenstadt war, da außer Kirtha Numidicn in ältester Zeit keine einzige eigentliche Stadt besaß. Znr Nömerzcit hieß einer der Schotts „laous i-eßius") d. h. der „königliche See" und an ihm lag die Station „»6, laouia re^inm". Närc es mcht anzunehmen, daß diese spätere römische Station ihren, Namen der „königlichen" von der einstigen nnmidischen Königsstadt überkommen habe? Sollte man aus dem Vorhergehenden schließen, daß jene Könige vonOberuumidicn (dcnnNnmidien war im hohen Alterthume in viele kleine Königreiche getheilt) sich in Me-drassen ein steinernes Grabmal von ewiger Daner errichtet hätten, während ihre eigenen Paläste nur Lehmhütten waren? Diese Annahme, so sonderbar sie auch scheinen mag, wäre nicht in Disharmonie mit den Sitten vieler Völker des Alterthums, welche ihre Gräber für die Ewigkeit, ihre Häuser aber nur für ihre Lebensdauer bauten. Man hat eine Stammes-vcrwandtscyaft zwischen den Altacgypteru und den Numiden erkennen wollen. Aus der Sprachälmlichteit hat man freilich bis jetzt uoch nicht den Beweis führen können, daß diese Völker einer und derselben Familie angehören. Aber auffallend ist doch der gleichartige Sittcnzug der Errichtung von massenhaften Grabdenkmälern, während die Häuser dieser Völker im hohen Alterthum fast alle unr vou Lehm waren; denn selbst in Aegyptcn waren die Privatgebäude selten von Stein. Wenn der Mcdrasscn allein daständc, so würde er Verhältniß-. 7» mäßig wenig beweisen, abcr das Grab der Christin und ein ähnliches massenhaftes Grabmonumcnt im Marokkanischen, zwischen Mekines und Fäs, welches Jackson eine Pyramide nennt, zeugen davon, daß vielleicht jede afrikanische Dynastie in einem solchen Kolosse ihrc ewige Ruhestätte gesucht hat. Der französische General Carbuccia hat im Mcdrasfen nachgraben lassen und wirklich cincn Corridor entdeckt, der zu einem Grabgemach zu führcu sclncu. Leider hat er aber die Nachgrabungen grade am interessantesten Punkte aufgegeben, als er nämlich nicht mehr weit von der Grabkammer war. Seitdem hat Niemand etwas Achnliches versucht. Wir sind also über das Innere des Mcdrassen fast noch eben so sehr im Dunkeln, als über das Innere des Grabes der Christin. Es ist unverzeihlich von einer Regierung, den antiken Denkmälern ihrer Provinzen nicht mehr Aufmerksamkeit zu schenken, namentlich wenn dieselbe so hohes historisches Interesse bieten. Der Name, welchen der Mcdrassen bei den Franzosen, führt, die ihn das „Grab des Syphar" nennen, ist beinahe eben so lächerlich, als der Name des „Grabes der Christin" für das Kubb er - Numijah. Syphar war betauntlich König der Massäsylicr und nicht der Massylier, welche letztere doch diesen Theil Nunüdicns inne hatten. Es ist wahr, Syphar kam anf knrze Zeit in der Epoche des 2. punischen Krieges in Besitz von Kirtha (Constantine) und anderer Gegenden der Massylicr. Aber der siegreiche Massinissa vertrieb ihn bald mit Hülfe der Nömer nicht nur aus den eroberten Landen, sondern beraubte ihn selbst seines angestammten Königreichs. Syphar vergiftete sich und sein Leichnam erfuhr höchst wahr- scheinlich durchaus keine königliche Bestattung, da ja sein Feind nun an seiner Stelle herrschte und sein Andenken der Verwünschung preisgegeben wurde. Nackdcm wir eine Stuude in Betrachtung des Denkmals verweilt hatten, eilten wir nach dem Omnibus zurück, wo wir Hanicd in den Armen des Schlummergottes ruhend antrafen. Dreizehntes Capitel. Bathna und Lambessa. Ankunft in Vathna. — Winterkälte. — Schneegestöber. — Der Ca-min im Hause des 6pi«i«i-8. — Fahrt nach Lambessa. — La-masbua. — Lambiridi?. — Lainbesi«. — Das Prätorimn des Legaten. —Tempel deb Aecclilap. — Tempel der Pallas. —Rückkehr nach Bathna, — Fest im Hause dcs spioierZ. — Seltsames Soldatenlied. — Die Gauin des 6pi(.>i«i-5. — Endliche »trlösuna, aus dem eingeschneiten Bathua. — Äufbrnch nach der Wüste. Der Abend des zweiten Tagcs seit unserer Abreise von Constantine brachte uns nach dem400(V hoch übcrderMeeres-fläche gelegenen Bcrgstädchcn Bathna. Die Jahreszeit war bereits schon so vorgerückt, daß wir uns nun mitten im Winter befanden, nnd hier auf dieser Äergcshöhe sollten wir empfinden, daß es auch in Afrika im vollen Sinne des Wortes Winter sein könne. Ein empfindlich kühler Wind, welcher von den nahen Auresgebirgcnherabwehte, der finstere, wotten-bedeckte Himmel und ein leichter dünner Schnee, eine Er- 77 fcheinung, die ich hier zum erstenmale seit meiner Ankunft in Afrika zu sehen bekam, gab dem kleinen Orte ein wahrhaft nordisches, an einen dcntschen Iamiar erinnerndes Aussehen. Ein wärmender Camin wäre uns sehr erwünscht gewesen; aber so vernünftig war dieses ncufranzösische Städtchen gebaut, daß es fast in allen seinen Häusern durcbaus an Heiz-mittcln fehlte und doch siel die Temperatur während meines Aufenthaltes (es war Ende December) bis auf mehrere Grade unter dem Gefrierpunkte. In meinem Zimmer hatte ich die ergötzliche Wärme von einem Grade über Null. Die Küche war in dem kleinem Gasthofe, welches den pomphaften Titel „Hotel äs ?rauo6" führte, der einzige Qrt, wo man sich einigermaßen erwärmen tonnte. Dort mußten wir denn, so uuangenehm es auch war, unseren Aufenthalt aufschlagen, da man in dem Zimmer nur dann eristiren konnte, wenn man im Bette lag und zwar mußte man angezogen im Vettc liegen, da wegen des „milden Klimas" von Bathna alle Betten nnr die dünnsten Vaumwolldeckeu besaßen. Eine andere lächerliche, aber nicht minder empfindliche Unannehmlichkeit in Bathna war der gänzliche Mangel in den Häusern an einem gewissen Cabinet, welcher Mangel wenigstens einmal täglich jeden der Bewohner zu gezwungenen Promcuaden vor die Stadtthore uöthigte. Da waudeltcn sie auf ihren unfreiwilligen Spaziergangen und sahen wehmüthig aus. Mir fielen bei ihrem Anblick jene Stadtpoeten Heine's ein, welche, wenn sic vor die Thore ihres väterlichen Nestes zn lustwau-deln gingen, stets Papier und Bleistift mitzunehmen pflegten. Die Bewohner Vathna's ließen freilich den Bleistift zu Hause. 78 Man kann sich denken, daß einc solche Excursion in frischgefallenen nnd noch fallenden Schnee nicht eben zu den Annehmlichkeiten des Lebens gehörte, besonders wenn man, wie ich, den Schnupfen hatte. Es schien unbegreiflich, wie man eine Stadt so unpraktisch hatte erbauen können. Zum Glück besaß ich ein Empfehlungsschreiben an einen großen Mann im Orte. Dieser große Mann war zwar nur ein „Npioier", jedoch die Gewürzträmcr find einmal in Co-lonistenstädtchen hochgeachtete Persönlichkeiten. Dieser Biedermann besaß ein Zimmer, in welchen, einer der sonst in Va-thna fehlenden Gegenstände, der Camin nämlich, vorhanden war. Ich glaube, es war der einzige Camin im ganzen Ort, der, beiläufig gesagt, 2000 europäische Einwohner haben soll. In dieser Stnbe gestattete mir der Gewürzkrämer großmüthigst, mich niederzulassen. Der andere fehlende Gegenstand war freilich nicht zu erlangen. Die Gattin des Colonels und Commandanten von Bathna selbst besaß ihn nicht in ihrem Hause. Vatnha war ein kleines, ziemlich reinlich aussehendes Städtchen. Verunreinigungen sind im Orte untersagt, desto weniger jedoch dicht vor seinen Stadtthoren. Mir war noch nie ein Ort vorgekommen, der mehr einer Aneinanderreihung von Kartenhäusern glich. Alle seine Häuser schienen wie von Papiermache gebaut, so dünne Wände hatten sie und so blies der Wind hindurch. Es war December und die Temperatur kam einem deutschen und keinem afrikanischen December gleich und dabei wohnte man in Hänsern und schlief in Betten, die .für 20 Grad Wärme eingerichtet waren. Freilich das Nest 79 lag so unvernünftig hoch über der Mceresfläche, daß diese Höhe die Kälte schon erklärte. Aber wenn wir daran dachten, daß Biskarah und die Wüste uns jetzt so nahe gerückt waren und daß dort eine Sommertemperatur im Vergleich zu der von Vathna herrschen müsse, da wurde es uns schwer, unsere Schritte noch länger in dem Städtchen der Hochebene festzubannen. Aber wir hatten die eine deutsche Meile von Vathna entfernte berühmte Lcgionsstaat Lambcssa noch nicht gesehen und der Ausflug dorthin schien bei den stets noch fortdauernden Schnecstürmcn keineswegs ergötzlich ausfallen zu wollen. Dennoch mußte er gewagt werden. Wer weiß, wie lange wir noch auf das Aufhören des Schneiens hätten warten müssen? Trotz des Schnees also, welcher noch immer fiel, entschlossen wir uns, mein Reisegefährte und ich, nach den Ruinen von Lambcssa aufzubrechen. Wir führten dieß in dem einzigen Micthwagen aus, welcher inBathna aufzntrcibcn und der bei der großen „Milde des Wintcrklimas" natürlich vollkommen offen, Wind und Schnee nach Herzenslust ausgesetzt war. Die Schneeflocken flogen und tanzten uns recht lustig auf dem Gesichte herum, als wir aus dem kleinen Städtchen durch die „Porte dc Lambcsfc" unsern Auszug hielten. Der Weg vonVathna nachLambessa folgte der Richtung, welcher, man hat Grund, es anznnehmcn, die alte Nömerstraße auch gefolgt war. Aathna war nämlich ebenfalls eine römische Station gewesen. Shaw und Pelissier haben in ihm das La-masba des Itinarars, das Lamasbua der pcutingerischcn Tafel wiedererkannt. Dieser Name Lamasba wird von Gcsenius von den phönicischcn Worten „Ahel Am Zabu" (->2X v« ^.i«) 80 abgeleitet, welches „Stadt des Voltes der Hyänen" bcdcntet. Lamasba hieß also wahrscheinlich „Stadt der Hyänenjäger". Zwischen Lamasbna lind Sambesis giebt uns die pentingerische Tafel die kleine Station Lambiridis an. Ick sah mich jedoch umsonst nach den Ruinen von Lambiridis nm. Desto lohnender waren die von Lambesis Iselbst. Die pcutiugerischc Tafel allein giebt die Straße von Lamasbua nach Sambesis an, nnd zwar führt sie dieselbe von Lambcsis bis nach Tamngadis weiter. Das Itinerar dagegen verbindet Tamugadis direct mit Lamasbua, ohne über Lambcsis zu führen. Dagegen berührt die Straße des Autoniu die Station Ad Diauam, deren Ruinen Shaw beschrieben hat. Wenn ich bei Lambessa von Ruinen spreche, so geschieht dieß nnr, um mich dem Sprachgebrauch anzubequemen, doch scheiut es mir, daß man eine zum großen Theile noch erhaltene Stadt, deren Häuser oft nur den einzigen Fehler haben, daß ihre Dächer im Laufe der Jahrhunderte eingestürzt sind, tanm Ruinen nennen tauu, dcun der Ausdruck Nuiuc criunert doch etwas gar zu sehr au die Haufe« mittelalterlicher Vurgcn-trümmcr, von denen oft lein Stein an seiner ursprüuglichen Stelle steht. Nein! Lambessa ist eine Art von Pompeji; cin Pompeji freilich, welches nicht unter der Asche eines Vulcans conservirt wurde, statt dessen aber seiner einsamen Lage, namentlich seiner Abgelegenheit von Städten, zu deren Erbauung man seine Steine hätte benutzen können, eine ähnliche Erhaltung verdankte, wie jene Stadt dem anfangs zerstö-rcüdcn, später bewahrenden Elemente. Auf dem Flächenraum einer halben Quadratmcile reihen 81 sich in Lambessa mit nicht allzu großen Unterbrechungen Haus an Haus, Tempel au Tempel: Triumphpfortcn, Theater, Aqnaducte, Thermen, Kasernen, Paläste, Piscinen, ein Capitol, ein Forum sind noch vorhanden. Die alte Stadt besaß die Form eines länglichen Vierecks. Die schmälere Seite desselben erstreckte sich von Ost nach West, rcickte fast bis an's Gebirge und war durch zwei Flußbette begrenzt. Denn die Ebene von Lambcsis war rings von Bergen umringt nnd nur nach Nordwcst in der Richtung gegen Vathna hin offen. Keine der Zierden einer mächtigen römischen Colonie hatte dieser einstigen Militärstadt gefehlt, welche von der dritten Legion, der I^ia ^u^usta, gegründet, von ihr bewohnt und nach ihr mit dem Ehrentitel der Herrlichen, der Frommen nnd der Siegreicken zubcnannt wordeu war. Das Zeichen nnd die Zahl der dritten Legion ist fast auf allen Hänsern und Denkmälern Lambessa'Z zu lesen. Unser Wagen setzte uns bei einem 45' hohen und 250< im Umkreis zählenden Gebäude ab, in dessen Innern man eine Art von Mnseuin aus den hier aufgefundenen antiken Resten angelegt hatte. Das Gcbändc war jedoch selbst höchst interessant. Es bestand ans einem großen Atrium und einem Ehalcidicum mit einem Krydtoporticus von entsprechen-dcn Dimensionen. Kin solches Chalcidicnm kam, so viel ich weiß, nur in Basiliken vor. Der Voden war mit Mosaiken belegt und an den Wänden konnte man architektonische Verschönerungen unterscheiden. Die Facade war besonders reich mit Scnlptnrcn bedeckt. Hier standen auch uoch zwei große, 40^ hohe korinthische Säulen vou den edelsten ProDrei Iah« im Noibwcsten von Asriln. III. 6 82 Portionen. Sie hatten vielleicht dazu gedient, um den Vordergiebel des Gebäudes zu stützen. Man nimmt gewöhnlich an, daß es das Prätorium des Legaten, des Commandant >n von Lambesis, gewesen sei. Dic Macht dieses Würdenträgers kann nicht gering gewesen sein, wenn mall bedenkt, daß in ganz Numidien nur eine Legion stationirt war, und daß der Commandant von Lambessa, der ohne Zweifel über sie dis-ponirtc, so äs kaoto die höchste militärische Würde im Lande bekleidete. In Lambesis selbst muß die Herrschaft des Legaten beinahe unumschränkt gewesen sein. Man ist übrigens gar nicht darüber einig, ob dieserPalast wirtlich das Prätorium des Legaten gewesen sei. Aus den häufig auf den Wänden vorkommenden Nbbildnngen der Siegesgöttin hat man geschlossen, er könne vielleicht zu einem Tempel besagter Göttin gedient haben. Vielleicht war er nur eine Basilika, nicht eine christliche Kirche, sondern das, was das Wort „Basilika" ursprünglich bedeutet: ein öffentlicher Gcrichtspalast, was auch das vorhandene Chaleidieum andeutet. Einige dreißig Statuen, leider entsetzlich verstümmelt, und meist, wie die von Inlia Cäsarea, der Nase beraubt, bildeten die Hauptzierden des im sogenanten Prätorium befindlichen Museums. Unter den Statuen zeichneten sich ein Jupiter und ein Aesculap durch ihre Wohlerhaltenheit aus. Eine reiche Ausbeute von Inschriften, welche fast alle Legionäre der Augusta zum Gcgeustande haben, findet sich ebenfalls zur Seite dieser Knnstschöpfungen aufbewahrt. Nachdem wir dem Prätorium den Zoll unserer Neugierde gespendet hatten, wendeten wir unsere Schritte dem einstigen 83 Heiligthum des Sohucs dos Hercules, welches nur etliche hundert Schritte entfernt lag, zu. Eine deutlich zu entziffernde Aufschrift auf dem Tempel selbst sagt aus, daß dies Gebäude dem Aesculap und der Salus gewidmet war. Der Name Salus ist bekanntlich die wenig geläufige römische lleoersetzung des in seiner griechischen Form viel öfter vorkommenden Namens: H^icin. Salus war die Gesundhcits-göttin, wie Aesculap der GesundheitZgott war. Dieser Tempel schien mir, das wohlerhaltenstc aller religiösen Gc-bände der einstigen Legionsstadt. Eine jonischc, Säulen-fayade mit keuschen, einfachen Verzierungen, das war die Außenseite. Ein dorisches Tcmpelschiff, umringt von stolzen massenhaften Pilasteru mit den zarten stachen Cannel-lirungen jener edlen Säulenordnung, das war das Innere. Der Haupteingang lag auf der ost-süd-östlichen Seite. Der Vordergicbel war dnrch vier schöne dorische Vollsäulen gestützt gewesen. Er war eingestürzt, aber die Säulen standen noch anfrecht da. In dicfem Tempel war cs, wo man die reichste Ausbeute von Statuen gemacht hatte. Den Tempel des Acsculap und der Salus verlassend, gingen wir zu dem der Weisheit. Das Haus, in welchem die hehre Pallas gethront hatte, war zwar von außen unr unscheinbar. Aber wie zart und fein, wie sinnig war dieses kleine Heiligthum ausgeschmückt! Da fehlte es au keinem Zierrath, den die Architektur des künstlerischsten Volkes der Erde, der Hellenen, ibrer attischen Göttin hatte weihen k."n-nen. Eine Colonie von Griechen mußte dieses Heiligthum geschaffen haben. Es war zu zart für die etwas plumpen 6* 84 Gebieter dcr alten Welt, die Römer, die sich mehr anfErrich-richtung von Kolosseen und Monstertcmpeln verstanden, als auf die Schöpfung zierlicher Denkmäler des reineren Knnst-geistes. Mehrere Trimnphpforteu standen noch anfrecht in den Straßen von Lainbcsis nnd nnsere unwürdigen Häupter dnrf-tcn sich unter die Bogen bengen, welche einst der stolzen Legio .Augusta zmn Durchgang gedient hatten. Im Süden des Prätoriums liegt cine 3teihe ilntcr-irdischcr Gemächer, welche eine Sage, die sich bei den Arabern erhalten zu haben scheint, für die Gefängnisse von Christen erklärt, welche hier ihre Hinrichtungszcit abwarteten. Von dieser Stelle hatten die unglücklichen Märtyrer nnr 300 Schritte nach dem Circus zu gehen, wo sie den wildenThicren vorgeworfen werden sollten. Dcr Circus ist zwar jetzt nichts, als ein nngchcnrer Schutthaufen. Aber sein höchst bedeutender Umfang läßt darauf schließen, daß er einst wohl nicht weniger, als etwa 10,000 Personen in sich zu fassen im Stande war. Eine andere Ncihe uuterirdischcr Gauge nut Gewölben von Menschenhöhe, nnweit des Circns gelegen, erweckte meine Aufmerksamkeit. Ich halte sie für einen gc: räumigen Aquaduct, welcher bestimmt war, das Wasser ans cincr pisoiun I^maria in eine Cistcrne zu leiten. Andere wollen in ihnen Kloaken erkennen. Noch Andere behaupten, es seien dieß unterirdische Wege, zn strategischen Zwecken angelegt. In einem kleinen, von den Franzosen ;mn Schutz gegen Stürme augelegten Blockhaus sah ich eine herrliche Mosaik, die 4 Jahreszeiten darstellend: vielleicht das schönste 8S antike Kunstwerk in Algerien. An Wasserleitungen hatte Lambesis ebenfalls keinen Mangel gehabt. Zwei sind noch erhalten und führen im Munde der Araber die Namen A'in Tarsul und Aw Arsnn. Doch welcher Folioband wäre hinreichend, die Alterthümer Lambcssa'Z zu nennen, geschweige denn zu beschreiben? Dieses bescheidene Werk vermag es nicht. Eins jedoch möge noch genannt sein. Es ist dieß das Grab des Präfectcn der dritten Legion, welches — ein stolzes Mausoleum — mit seinen mächtigen Quadersteinen auf dem Schauplätze des einstigen Wirkungskreises 'dieses Truppcnführcrs thront. Auf dem Wege, welcher vou dem schon erwähnten Tempel des Acscnlap zum Präfectcngrabc führt, bemerkte ich eine mit noch wohlerhaltcueu Steinplatten gepflasterte römische Stadt-straßc. Hier sah ich sogar noch Spuren der römischen Fuhrwerke, welche das Jahrtausend überlebt hatten. General Carbuccia, der schou erwähnte Erforscher des Medrassen, welcher die in Bathna stationirte Fremdenlegion befehligte, hatte in Lambessa und in der Umgegend über dreitausend römische Inschriften gesammelt, wozu ihm das ganze zweite Regiment der französischen Fremdenlegion wichtige Dienste leistete. Dieser französische Lcgionschef hat auch das Grab des erwähnten römischen Legionschcfs, der E. F. Marimus hieß, welches Grab zum Theil ciugestürzt war, restaurireu lassen und eine pomphafte Inschrift darauf gesetzt. Wie gerne geben sich die Söhne der „Fi-anäe nation" das Ansehen, als wandelten sie auf den Spuren des alten wcltbchcrrschendcn Volkes! 80 Die Franzosen habcn in ncucrer Zeit die Profanation der Neste des Alterthums so weit getrieben, daß sic auf den Ruinen von Lambcsis ein — Zcllengefängniß errichteten. Ich sah diefcs Monstrum bereits dastehen. Es enthält meist politische Verbrecher. Der Name Lambcsis soll ebenfalls, wie dcr Name so vieler afrikanischen Städte, phönicischcn Ursprungs sein. Gcscnius leitet ihn von Ahcl Am Besä siiu,-v2-o^'^7!t<) ab. Welches „Zelt dcr Arbeiter" bcdcntet. Lambessa wird von Ptolemäos Lamboesa, vom Itincrar des Antonin Lambesis und von der Pcutiugcrschcu Tafcl Lambcse genannt. (5Z wird in dcn „^.ota lsauLtoinm Nar-warii et, snciorum'' erwähnt. Cyprianus ncuut es Lam-besttaua Colonia in seinem Briefe an Cornelius und spricht von eincm im Iahrc 240 in Lambcsis gehaltenen Coucil, wo ein gewisser Bischof Privatus, als Ketzer, anathcmatisirt wurde. Dieser Privatus war Bischof von Lambesis sclbst. Zwei andere Bischöfe von Lambcsis werden erwähnt, doch keiner später, als das Jahr 411. Hieraus schlicht man mit Nccht, daß Lambcsis im Laufe des fünfteu Jahrhunderts von den rebellischen Numidcn zerstört wurde, wahrscheinlich wcil die Vandalcn dic Stadtmauern niedergerissen uud so Lambcsis jcdcm Feinde offen gclcgt hattcn. Nach Vathna zurückgekehrt, fand ich Hamed in cincm türkischen Kaffeehause, wo er durch Einschlürfung zahlreicher Tassen des schwarzen Getränkes die in dem Gebirgsstädtchm fehlende Wärme herzustellen versuchte. Der Schelm hatte nicht schlecht gewählt, denn besagtes Kaffcchaus war wirMch 87 so ziemlich der einzige Ort im ganzen Städtchen, wo man sich einigermaßen erwärmen tonnte. Bei meinem Epicier zurück, fand ich diesen in sehr guter Laune und dazn in seinem Fcstanzug aufgeputzt. Er theilte mir mit, daß er heute eiu Diner gebe, wo^u er nickt weniger als zwanzig französische Offiziere gebeten habe. Er lnd mich ebenfalls dazu ein. Dies Diner zeichnete sich vor allen ähnlichen Gastlichkeiten, denen ich in meinem Leben beigewohnt habe, dnrch eine entschieden komische Seite ans. Tie Offiziere aßen tüchtig, sprachen aber ciufaugs so gut wie gar nichts, weil sie zu sehr mit Nahruugsstndien beschäftigt waren. Der Epicicr aß jc-dock gar nichts, sondern tbronte stninm in seiner Wirthsglorie und in seinem lächerlichen Eostüm an der Spitze des Tisches und sah schmunzelnd den Vcrschliugnngskunststücken seiner Gäste zu. Diese leisteten denn auch das Mögliche. Das Essen schien für vierzig uud nicht für zwanzig berechnet. Alles war in einem lächerlichen Ueberftuß vorhanden. Das Eostüm des Wirths war ungewöhnlich. Es bestand nämlich aus einer banschigen weißen Hose, einer canariengelben Weste und einem grünen Frack mit Pevlmntterknövfcn. Das Komischste jedoch bei dieser ganzen Fste war der seltsame Platz, welchen mau der Dame des Hauses, der Gattin des Epiciers, und ihren Kindern angewiesen hatte. Diese Dame saß nämlich nicht an der Tafel, sondern — nntcr dem Tisch, wo fie mit ihren Sprößlingen sich dnrch Spielen und Balgen unterhielt. Die Offiziere machten wenig Umstände mit ihr und wenn diefelben, was oft geschah, der zu ihren Füßen Sitzenden einen Tritt versetzten, so riefen sie nur: »Kare» 88 toi! la Nose." Diese Dame hieß nämlich ,,1.3, Nose" und wurde vou Allen mit ihrem Vornamen angeredet nnd gedutzt. Vielleicht war sie schön; ich betam sie jedoch nicht zn Gesicht, da sie ihren unterirdischen Platz den ganzen Abend hindurch nicht verließ. Warnm sie diese Stelle gewählt hatte? das habe ich niemals erfahren rönnen. Znm Schlnß des gargantnaschen Mahles betranken sich alle Offiziere und stimmten nnn ein berühmtes französisches Soldatenlied an. Dieß war ebenfalls cigcnthnmlick. Vs hatte nnr einen einzigen, alls acht Worten bestehenden ^>erZ, der aü innnitnui wiederholt wurde, wozn alle Singenden fürchterlich mit den Glasern klapperten. Dieser ewig repe-tirte Vers lantcte geistreicher Weise folgendermaßen: ,,Ver8L2 a doii-« !>. nog I)i'llFc>n8!^ (gießt nnsern Dragonern zum Trinken ein!) Alle sangen es, klapperten mit den Gläsern, sangen wieder, klapperten von Ncnem nnd so die ganze Nacht hindurch. Um Mitternacht, als ich mich zurückzog, klapperten sie noch fort und die Gattin des Epicicrs saß noch unter dem Tische. Am andern Morgen fiel noch immer Schilee. (is sah also ans, als ob wir nnscreAbreise nach derWüste noch lange nicht auzutrcten im Staude sein würden; denn man konnte annehmen, daß die Wege nnpassirbar geworden seien. Ich saß schon rcsignirt, aber dennoch verstimmt darüber, daß ich noch so lange in dem kalten nnd unbequemen Ncrgstädtchen bleiben solle, bei dem kostbaren Kamin im Hanse des Cpicicrs. Letzterer saß neben mir nnd erzählte mir eben von dem ,,Versez a boire a nos Dragons!" (gießt unsern Tragonern zum Trinken ein!) Alle sangen es, klapperten mit den Gläsern, sangen wieder, klapperten von Neuen: und so die ganze Nacht hindurch. Um Mitternacht, als ich mich zurückzog, klapperten sie noch fort und die Gattin des Epicicrs saß noch unter dem Tische. Am andern Morgen fiel noch immer Schilee. (i'Z sah also ans, als ob wir nnscreAbreise nach derWüste noch lange nicht anzntrcten im Stande sein würden; denn man konnte anuchmen, daß die Wege uupassirbar geworden seien. Ich saß schon rcsignirt, aber dennoch verstimmt darüber, daß ich noch so lange in dem kalten und unbequemen Ncrgstädtchen bleiben solle, bei dem kostbaren Kamin im Hause desCpicicrs. Letzterer saß neben mir und erzählte mir eben von dem 89 ,,immensen Vergnügen" des vergangenen Abends. Die Offiziere hatten fast alle von ihren Vnrschen nach Hause getragen werden müssen, so sehr hatten sie den guten Weinen des Epiciers zugesprochen. „Diese Fäten, deren ich monatlich eine gebe," sagte mein Wirth, „machen mich znm populärsten Manne denn Militär in ganz Vathna." Während er noch mich von seinem gestrigen „snooög" unterhielt, trat plötzlich mein Reisegefährte herein und rief: „Die Negc sind frei von hier bis nach Viskarah! Ich habe einen Araber anf Kundschaft ansgcschickt nnd er tam mit der Antwort zurück, daß schon drei Stunden von hier aller Schnee aufhöre. Unser Weg geht immer bcrgad und bald kommen wir in eine Gegend, wo wir gar keinen Schnee mehr ,zn erwarten haben. Also, wenn es Ihnen recht ist, so brechen wir noch heute nach der Wüste auf." „Ob es mir Recht ist?" rief ich jubelud. „Auf! anf nach der Wüste!" Iu weniger als einer Stunde war ich zum Aufvruch bereit. Das Bureau arade erwies sich wundcrwirkend, indem es nns in dieser t'nrzen Zeit die nöthigen Thiere verschaffte. Am schwierigsten war es, meinen Dolmetscher Hamed hervor-zntrommeln. Derselbe hatte sich nämlich in dem oben erwähnten Kaffeehause verkrochen. Dort lag er wie ein Maulwurf iil seiner Höhle. Als ich, um ihu aus derselben hcraus-znzichcn, mich dahin verfügte, fand ich ihn von einer dewuu-dernden Menge von Nlad el Vlasa (Gassenjungen) umgebcu, denen er Wnndcrdingc über seine wichtige Stellung als «0 Tragoman zweier Europäer von nickt geringer Vedeutuug, so meinte er, erzählte. Denn obgleich gegen uns unverschämt und ungehorsam, so sprach er doch stets mit dem größten Nc-spect von unsern Personen einem Tritten gegenüber. Hierin Nlackte er es wie die italieniscken Couriere, jene civilisirten Vauditen, die auch ihre Herreu stets betrügen nnd sich aufs Frechste gegen sie bcnchmcu, aber dock, wenn man sie über dieselbeu ausfragt, immer bebaupten, daft sie weuigstens i.'ords seien. Endlick gelang es mir, deu fauleu juugeu Maureu seiner Znhörersckaft zu entreißen und anf ein Maulthier zu setzeu. Nun ging es der uubet'anuteu, mit dem Zauber des Gehcimnißvolleu für uus uock umschlcicrten Sahara ;n. Keckäteä Huck. Zie Wüste Sahara. Erstes Capitel. Erste Wüftenfahrt. Reise Von Vathn: nach Biökarah. — Sehnsucht nach der Sahara. — Hamcds Vcrstinnnthcit und Vormtheile gegen die Wüste. — Die Schluchten des Neb Brcnis. — Hamcds Sturz im Flnsse. — Tie Oase El Kantarah. — Herrlicher Palmeuwald. — Karavanscrai. — Barbarischer Sittcnzug dcr Wüstenarabcr. — Ritt durch die Wüste. — Bedruttmg des Wortes Sahara. — El Utajah. - Biskarah. Dcr Anres, ein verlorener Sohn dcs mächtigen Atlas-gebirgcs nnd scin südlichster Ausläufer gegen den östlichen Theil dcr algicrischcn Sahara, trennt Bathna uud das denkwürdige Lambessa von dcr hciligeu, stilleu Wüste. Eine enge Schlucht, durch welche der rcißcndc Ued Vrcnis seine silberhellen Fluthen ergießt, bietet den einzigen Weg aus diesem afrikanischen Hollcnthal zu der paradiesischen, blühenden Oase ElKantarah, dcr ersten, welche unsere Blicke begrüßen sollten. Der- Dschcbcl Aurcs, der östliche Ausläufer des südlichen Höhenzugcs dcr Algcric, welcher Tell nnd Sahara von ein- 94 ander trennt, ist nichts Anderes, als der Mons Aurasius der Alten. Protopios erwähnt ihn vielfach in scincin „Vanda-lischen Kriege.". Der byzantinische, Geschichtschreiber spricht möglicherweise ans eigner Anschauung. Er behauptet nämlich, demFcldzug des Patricius Salomon gegen die Völker des Anrasius beigewohnt zu haben. Der edle Patricius beschloß, wie Protopios erzählt, diesen Feldzug mit der völligen Unterjochung der Numidcnstämmc dieses Gebirges. Er nahm die Festung Zebnlc Castellum (deren Lage wir nicht kennen). Auch eroberte er die Stadt Tamar. Dieselbe ist uns gleichfalls unbekannt. Dagegen scheint dcr von Prokopios angeführte Fluß Abigas, welcher im MonsAurasius seine Quelle hatte, der U«d Vrenis zu sein. Vin Schneegestöber war das Abschicdswort, welches Vathua bei unserem Wegritt uns noch nachrief. Mein Reisegefährte und ich waren trotz des schlechten Wetters in der heitersten Stimmung. Wir jubelten, das kalte Bcrgnest hinter uns zu haben und der heiligen, stillen Wüste mit ihrer goldenen Sonne — jetzt mittcn im Winter ein herrliches Geschenk — nnd dem lieblichen Palmenschatten ihrer qnelldurch-rieselten Oasen zu nahen. Unsere fröhliche Laune fand jedoch ein unharmonisches Gegenstück in der finstern Verstimmtheit Hamcds. Dieser verwöhnte Sohn Algiers war dnrchans nicht für die kleinen Strapatzen der Ncise gewappnet. War ihm die Kälte in Vathna sehr unangenehm gewesen, so hatte er doch zugleich eine lächerliche Furcht vor der vermeintlichen Hitze, welcke er in der Wüste selbst im Winter anzutreffen befürchtete. Die echten Algierer reisen nur äußerst wenig 96 und hegen, was fremde Klima's betrifft, dic läckerlichstenVor-urthcilc. Eines derselben ist, daß es kein Kind ihrer Vater-stadt in der Wüste anszuhalten vermöge. Fieber und Tod, das würden für sie die unausbleiblichen Folgen eines Anfent-haltes in der Sahara sein. So hängte Hamcd dcn Kopf nnd nuninelte hill nnd wieder in gcbroä'cllenl Französisch vor sich hin: ,,D^8ert. ^>»8 dnn, moi t-rever üuu6 ä^ert" (Wüste nicht gnt, ich crepiren in Wüste). Ans Arabisch tränte er sich nicht diesen Unsinn zn sagen, denn wir hatten drei arabische Maulthiertrciber bei nns, die, als abgehärtete Söhne der Zelte, sich weder vor Wüste noch Berg, weder vor Hitze noch Kälte fürchteten, nnd unsern Hamed schon ohnedies un: barmherzig genng wegen seiner Verweichlichung nnd seiner städtischen Vorurthcilc verspotteten. Der Weg — wenn man dieß nberhanpt einen Weg nennen konnte — dnrch das felsmnstarrtc Schluchteuthal des Ui-d Nrenis bot äußerste Schwierigkeiten. Nicht weniger als vierzehn Male nnterbrach der Fluß nusere Straße nnd wir mußten dnrch sein rieselndes Wasser hindnrchwaten, um am andern Ufer den unstchcrn Pfad wieder zu gewinnen, welcher nicht selten mit l'oboldartiger Launenhaftigkeit, kaum daß wir ihn gewonnen hatten, auf das verlassene Ufer von neuem wieder hinübersprang und uns zu abermaliger Durchwatnng nöthigte. Einmal sogar mußten wir eine Viertelstunde in dem nnebenen, zum Theil von Stcingcröllc ausgefüllten Bette des Flusses hinreiten, wobei der zwar lächerliche, aber für denBetrosfencu uicht wenig unangenehme Fall begegnete, daß eines der Sanmthiere schenete und seinen Reiter mitten im Flusse ab- 06 setzte. Der arme Hamed war das Opfer dieses Unfalles. Mit durchnäßtem Vernns mußte er mm weiter reiten; sein Gesicht bot in diesem Augenblick eben nicht die allcrheitcrste Grimasse. Wir beklagten ihn zwar, tonnten aber nicht umhin, in dieser unfreiwilligen Durchnässnng eine gerechte Strafe für seine Fanlhcit nnd Wcibischkeit zu erblicken, > welche ihm unter Anderm auch nicht gestattete, wie andere männliche Wesen, rittlings anf dem Thiere zu sitzen, sondern es ilm vorziehen ließ, damenartig, wie auf einem Sopha ruhend, sich dem Nucken des sattcllosen Mäulers anzuvertrauen. Zum Glück für den armeil Schelm war das Ziel unserer Tagereise, die Oase M Kantarah, welche halbwegs zwischen Vathna und Biskarah liegt uud unser erstes Nachtqnartier bilden sollte, nicht mehr fern. Je mehr wir nns der Wüste näherten, desto mehr verengte sich das ohnehin schon enge Schluchtenthal. Gleich riesigen Oötterbnrgen starrten die weißen Kalkfelscn zu beiden Seiten uuscrcs Wegs in die Höhe uud darüber war der nächtliche Himmel durch ciue schmale Spalte, wie ein dünner dunkelblauer Streifen, zu erspähen. Jetzt überschritten wir die alte Nömerbrücke, an dem schmälstcn Pnnttc der Felscnschlucht, welche an dieser Stelle so enge geworden war, daß der Strom sich mit schäumender Gewalt durch sie Bahn brach und den Wanderer, der ihn hier, wie weiter oben, zu durchwaten versucht haben würde, gewiß unbarmherzig mit sich fortgerissen hätte. Aber die alten Nö-mer hatten dafür gesorgt, daß wir den engsten Pnnkt dieser Schlucht sicher nnd trocknen Fußes hinter uns lassen konnten. 9? Doch dieser schinälste Punkt des Flußthalcs des U«d Breuis war auch zugleich die erlösende Pforte, welche uns das offene Vand »nd zwar die Wüste erschließen sollte. Indes; empfing nns nicht die Sahara gleich ani Anfang mit ihrer ehrwürdigen, ernsten <>insamkeit. Dem liedlichen Spiele der Natur hattc cs gefallen, gerade an diese Pforte der Wüste — dieses Oeeans von Sand — eine blühende, lachende Oase hinzuzaubern, welche uns bald in die Schatteil ihrer Palmenfächer bullen sollte. Jetzt öffnete sich plötzlich die Gegend vor uuscren Blicken. Die finstere Felsenschlncht lag Hinternn»; der Wanderer hatte endlich ilne dunkeln grauenvollen Pfade durcbkencht uud vor unsern Angen malte sich ein herrliches, niegesehenes, kanin gcträumtes Schauspiel. Da lag am Horizonte die weite heilige, stille Wüste, — das Bild der Unendlichkeit. Die zar-'ten, kaum gewnndeilen Wellenlinien ihrer sanftcrhobencn Sandbiigel schlvcbten gleich weißen Wolt'enzügen am tiefsten ^'anme des sternenhellen Himmels hin. Aber ein köstlicher Empfang wartete unserer an diesem Pnnlte. Die Wüste lag zwar vor uns nnd dehnte sich in ihrer Unermeßlichfeit gleich dem Weltmeer nach allen Gegenden des Himmels ans. Jedoch unmittelbar in der nächsten Nähe des entzückten Anges lachte nns die reizendste der Oasen entgegen, mit ihrem Meer grüner, blühender Bäume, mit ihren von trystallreincn Bächlein durchrieselten Gefilden. Da blühte die dnftende Orange in stillem Haine, nnd die schwermüthige Nachtigall zog singend von Zweig zn Zweig. Da bot das matte Grün der trauernden Oliven der goldenen Lotosblume seinen liebenden Schatten. Aber vor Allem, was unsere Sinne und Gemüther blZ zu?' Drei Iahve im Nordwcsicn von AMa. IU. - 7 !»8 Entzückung hinriß, war der höbe Wald voil sclilanteu, fäckcr-getrönten Palinenstämmen, welcl'e in unzählbarer Menge ibre mondbeschienenen Häupter in den tiefblauen Abendbimniel cmportrugen. Da schwebten sic am Horizonte hin diese berr-licl'stcn Söhne des Pflanzenreichs, glcicli einer luftigcilSckaar von Engeln, welche, znr Erde heradgestiegeil, ans Vicbc zn deni Menschengeschlecht hienieden ^nrzel gcfastt litten, dcrenHänp-ter jedoch in heiliger Andacht stets gen Hiinniel gericktel blieben. Geisterhaft ergoß sich das Mondeolicht nber ihre pban-tastischen fedcrartigen Zweige nnd inalte ihre schlanten Schatten weithin über die nnendlicl'e, stille Wüste. Und auswäric< aus der moüdbeglänz^li 3iacht, Wie hohe Säulen, die gen Himmel streben, Sah tausend Palnic» ich die H.iupter heben, Und geisterhaft die Fächer rauschen sacht. ^) Es war einer der begeistertsten Momente meines Lebens,' als micb, eben in die ewige Wüste eingetreten, die herrliebste der Oasen, vom Naebtgestirne bestrabtt, in ihre gastlicben Statten anfnahm. Da lag fern ausgestreckt die Wüstenei, Doch nahe lächelt thauig schmelz'ger Nasen: El Kantrah war's, die erste der Oasen, Bezaubernd grauer Wüste Einerlei. Wir waren mitten in einem dichten Wald von Dattelpalmen hineingeritten, in welchem versteckt das kleine, ans Lehmhütten erbante Oafendorf El Kantarah lag. Selbst die Moschee war aus Lehm aufgebant nnd hatte einen runden Minaret von demselben Material. Diese Stadt der nngc- ") Pilgermnscheln. 99 brannten Lehmziegcl erinnerte mich lebhaft an die Dörfer der Fellab's, welche dic Ufer des Nils nmgeben. Selbst die Vegetation war hier dieselbe wie in Acgyten. freilich fehlte der Nil; statt desfen hatlen wir das Meer, — das große Meer des Sandes, die unermeßliche Sahara. Mitten zwiseben den Lehmhäusern nnd Palinen stach das weiße, moderne, französische Karawanserai hervor, in feinein Aussehen ;war wenig poetisch, aber doch eine» Eomfovt versprechend, den wir selbst in der Wüste nicht verschmäl'ten. Leider kann der Mensch nicht von Poesie allein eristiren, ob-w'obl er anch nicht vom Brode allein lebt. In dein Speiscsaal des Karawanserai's trafen wir mebrere Offiziere der Fremdenlegion. Es waren höchst gesellige, mit-nntcr nicht ungebildete Männer, fast alle Nichtfranzosen, welche das launenhafte Schicksal, vor Allem aber ibr eigeiler Hang zll Abenteilcrn, ans aller Herren Lander hierher verschlagen hatte. (5'iuer derselben war ein Delltscher und hatte bereits die höchste, ihm zngängliche Stufe der Militärhier-archic erreicht; höher nämlich als bis zum Oberlientenant kann es kein Fremder in der französischen Armee bringen, wohlverstanden, wenn er nicht dnrch Naturalisation aufhört, Fremder zu sein. Dennoch war dieser Deutsche schou seit 26 Jahren im Dienste der Fremdenlegion. Er hatte, sich zn Anfang der dreißiger Jahre engagirt. Damals, als nämlich das Kanonenfutter in Frankreich einigermaßen zu mangeln schien, hatte die, Negieruug Louis Philippe's für gut befundcu, sich fremdes zu verschreiben. Mein ncncr Bekannter, zu jcuer Zeit kaum 16 Jahre alt, hatte sich anwerben lassen. Er wnßte viel 7* 10ft von dem karten Dienst der Fremdenlegion zu erzžihlen. Dieser war ader tein ^elddienst, dei dem der d'hr.'n alif dcn (>l^niss^cn und an-dcrn '.'linönität^il. Di^.Vlciftcn untcvla^n dci» ,v>^d».'v. Adcv d^>? ri'muin'rtc dic ^ic^i^rnn^ ivcnig. ^ar dock >X'v .>iaä'Nlq an^l allcv Hcvrcn ^ändov dcrcv, dic zu jcncin R^u^luul pccca-torum, dcr m'.'mdcnlcqion, cilt^n, stcts cill dcdcutcnd^v. <5in->ual svlnv' ^'cl^^u-dcil, dicsco (5oipö an Spanicn Zll vcrschachcrn. l>s lft oc-^annt, i?.i^ dic ^riiicn Tcnfcl gcu'ifscrnlaßcn vcvünift ivurdcn, n»i für V'bviftinos >^'^cn d'arlistoo zu tänipfcn. Hic ocnah-mcn sick ^nt, focktcn taps^r, sicqlcu aiich I,ic und da und N'ur-dcn zum Dant dafür von Spanicn ohnc cincu Maravcdi cnt-lasscn, pcr Zchuo üvcv dic Grcnzc gebracht und danu „an dic ,^uft" gcscbt. Mc dicsc Schictsalc hatto dicsor ^audsmaun auck niit,^'inackt. ^in „Vihr nach dcr ^rausaincu ^ullassung ails dciu spanischen Dienst ficl cs dcm loi bourguoi« plötzlich ciUs ivicdcr ciuc Frcmdculcgion habcu zu wollcn. Dann fano sich nicin ucucr Bctanutcr auch adcriuals cill uud nach Vcr-ricktung voil zivanzia, Iahrcn Stciittlovscvdicust hat cr cö clld-lich zum Ofsizicr gcdvackt. Ucovi^cus licbt dcr Franzose die Frcmdculcgiou cbcn so wcuig, als crallc audcrnFrcmdcu ticbt. Währcnd wir uns noch a.cmüthlick iiu Karawanserai ixi Tische uutcrhiclteu, wurdc auf ciumal uilscre Aufmcrlsauttcit auf's lebhafteste durch ein lautes sckrilleudes Geschrei odcr 101 richtiger Geheul erregt, welches von der Straße berzutounuen schien. Von Neugierde getriedeu, eilten wir hinaus in's <^reie, wo wir cine Voltsmcugc fanden, welche ein auf dcm Boden liegendes Neib in stummer Schanlust umringte. Das Weib stieß die entsedlicheu Vehklagetöue ans, welche uns hcrgc-fiibrt batten. Wir wunderten uu>5, d^si ^iiemand dieser anscheinend Leidenden Hülfe zu leisten Miene machte. Auf uu-scre Nackfraqcn wurde ui^s bald ein Vesckcid, welcher uns mit einein sonderbare» und oardaris^eu Titteuzug dieser Sahara-belrobner bekannt niackte. Das arme Weid war nämlich in Oebm'töweheu begriffen und war deshalb, uach einem al'er-gläul)ischcnVorurtheil ciuigerAraber, welche teiue Gedurt im Hause vor sich gehen lassen wollen, ans offcuer Straße gebettet wordeu. Der Augenblick des Gedärens war getommeu, und nun sollten unsere AugcnZeuge einer neuen, fast unglaublichen Barbarei werdeu. Diese Vente gestatten uäiulich nicht, datz die Gebnrt ilnen gewöhnlichen (^iaug nelnne. Die Hedamme, ein häßliches, megäreuhaftes, altes Weid packte das Kind, als es halbwegs dem Mutterleide entrückt war, mit deideu Händen fest und hielt, ja drückte es wohl eine Viertelstunde in der besagten Stellung fest. Das arme Weib erhielt so einen Zuwachs vou Dualen, welche die Natur ibr uicht bc: stimmt hatte und welche ein darbarisches, unerklärliches Vorurtheil dieser Wüstenarader ibr auferlegte. Ihr Klagegeschrei war entsetzlich, ihre Schmerzenstöne hätten einen Stein erweichen tonnen, aber sie erweichten nicht die Herzen der sie Umstehcndcu, ja nicht einmal das ihres Gatten nnd am wenigsten das der Vollstreckerin des grausamen Gebrauchs. Ich 102 habe nicht entdecken können, worauf sich dicscr abergläubische, barbariscke Gebrauch berufen soll. Vielleicht soll es mir eine falschverstandene bygicuische Maßregel sein. Vielleicht mögen die Araber ancl, eine mystische Bedeutung dem Umstände beilegen, das! der im werden begriffene Mensch, an der Schwelle seine« Das,.ins stehend, so in «ui-pon«« zwischen Geborensein und Richtgeborenseiu gehalteu werde; gleichsam um seinem Gcuins einen Augenblick des Verzngs zu gönnen, damit er Zeit babe, sich noch zu entschließeil, ob er die schicksalsvolle Pilgcrschast des irdischen Daseins wirtlich antreten wolle oder nicht. Als wir von diesem entsetzlichen Schauspiel znr Mahlzeit zurückgetebrt waren, fand es sich, daß Keiuer mehr Appetit besaß. Das fürchterliche Drama auf der Strafe hatte unsern tiefsten Etcl erregt. Am folgenden Tage setzten wir in Gesellschaft unserer nenen Bet'annten, der Offiziere der Fremdenlegion, den Weg weiter fort und erreichten gegen Mittag d'l Iltajah, eine zweite Oase, ivelche leider in einem kriege dcr Wüsteilstämine aller ihrer Palmen beraubt worden war, und gegen Abend Bist'aral), die Hauptoase dieses Theiles der algierischen Sahara. Der Weg dahin war eiuförmig, die Gegend stumm, eine prachtvolle Sandfläche, an5 der hie und da ein Hügel hervorragte. Man stelle sich jedoch diese Wüste nicht ganz pflanzenlos vor, sie war im Gegentheil dci der ictzigcn regenbringcnden winter-licken Iabrcszeit mit Feldblnmcn aller Art und phantastisch wucherndem Nittraut bedeckt. Jene einförmige graue, vegetationslose, ewige Sandflächc, in welcher Negen niemals fällt, muß mau erst am anderen ^ndc der Sahara suchen, wo die 103 eigentliche Wüste, das beinahe völlig wasscrlose ,^and, anfäilgt. Die früheren geographischen Benennungen waren, was Wüste und was Sahara betrifft, der heutigen Anwendung dieser Na-nien nickt entsprechend. Alan glänzte, Sahara sei die wasserarme, beinahe pflanzenlose große Wüste. Dagegenhalte man tein Wort fiir jene Pflanzenreiche, noch von Bächen durchrieselte, mit Winterregen gesegnete, verhältnißmäßig fruchtbare Vor-wüste, welche die Araber Sahara nennen: eine Benennung, welche die Franzosen von ihnen angenommen haben. Man thäte, glaube ich, wohl daran, auch in Denlschlaud allen Begriffsverwirrungen zn entsagen nnd anzufangen, zwischen eigentlicher Wüste nnd Sahara zn nnterscheideu. Die Sahara ist freilich immer noch eine Wüste, aber sie hat so viele Oasen, daß sie durchaus uicht dem Begriffe entspricht, den sich nun einmal die Böller (5nropas von der „Wüste" geinacht haben. Was ist die Bcdcntung des Wortes Sahara? Die Vc-dnincn der Wüste geben ihm eine sehr einsacke: das Wort Sa-I^ra Hedeule das Vaud der großen I>ald steppeuartigcu, halb weidenartlgcn Ebenen. Aber damit waren die arabischen Gc-.lehrten nicht zufrieden. Die Vedrutuug mußte complicirtcr sein. Deßhalb haben sie entdeckt, daß Sahara von Sahör berstainme. Sahör ist aber jener unmertliche Zeitabschnitt, vor dein Souuenanfgang, welcher mit seiuem unsichern Zwie-lickt der cigeiltlichen ^iorgendannnernng sFedscher) vorhergeht nnd bei dessen uugewissem Scheine man noch nicht im Stande ist, einen weißen Faden von einem schwarzen zu unterscheiden. Diese 7>eit tennen alle Muselmänner sehr gut, weil man im Fastenmonat, im Ramadan, znr Zeit des Sahörnoch essen 104 darf, während es zur Zeit des Fedschcr verboten ist. Nun soll in dcr Sahara das Sahör länger dauern, als in irgend einer andern Erdgegcnd. So führt die Sahara den Namen dieser Tageszeit, deren größere Länge eine ihrer Specialitäten ausmacht. Mau sieht, diese Vedcntung kann nichts dafür, wenn sie bei den Haaren herbeigezogen worden ist. Zweites Capitel. Biskarah. Das „kleine Paris". — Abermals ein Epieicr. — Unruhiges ^'cben und Treiben in Biskarah. — Die Straßen, — Tie Kaffeehäuser. — Stetes Pergnügungsleben dcrVistrih's, — Die Tänzerinnen. — Drei verschleierte Männer. — Die Tn^reggs. — Besuch eincS Kaffeehauses in Biskarah. — Seltsame 3tcllimgcn der Anwesenden. — Der Tanz dcr Neilijas, — Die Sittlich-teirsbegriffc dcS Etammcs der Ulad-N> il, Weun die llcstigen Bnrschen in Allerbachs Keller „ihr Leipzig loben", und es ,,ein klein Paris" nennen, so thun die Bewohner von BiZkarah ihrer Vaterstadt leine geringere Ehre an. Viskarah, das ist bei diesen Phä'aten der ^üste ansgcmacht, ist das „Paris der Sahara". Freilich gehen sie nicht so weit, behanpten zu ivolleu, daß „es seiue Leute, bilde". - Vildeu thut es gewiß Niemand, das taun mau ihm ^nicht vorwerfen. Viskarah ist kein „bildendes" Paris der Wüste, ein solches „Paris" besitzt die Wüste überhaupt nicht. Aber Viskarah ist das „amüsante" Paris der Wüste. Es 105 ist eine Stadt der beständigen Vergnügungen, in der lein Mensch zu arbeiten scheint und iu welcher alle Industrien, welche mit dein äoloo lar uientb vereinbar sind, anf's höchste florircn. Wenn daher irqend cin Bewolmer einer Wüstenoasc sich eine Ferienzeit inachen will, so geht er nach dem „Paris" der Wüste. Wenn die Vist'rihs, jene Söhne von Vistarah, welche in Algier alle groben Arbeiten verrichten, sich gebörig abgequält und ein Paar hundert Franken zusammengespart haben, dann tebreu sie nach Vistarah znrück, nack ihrem Paris, wo,sie von nun an nur zwischen ^ludiiio und l^lmtoan äß« üeur«, d. h. zwischen dem Tamtam des Negertanzes und der Darbnt'a der Beni-M;ab in steter genlls^süclttiger Aufregung lebcu. Viskarad war schon ;ur Nömerzeit nicht ol'ne Wichtigkeit. Es führte schon damals den Namen Zaba, welchen noch jetzt dieser ganze Theil der Sahara behalten hat. Die Araber nennen nämlich diesen ganzen Theil der Wüste „Zab", oder am liebsten in der Plnralform „Ziban". ,Im Alterthnm bildete Zaba die Hauptstadt des nach ihm benannten „Limos Zabcnsis." Ein römischer Offizier verwaltete diesen District als Präpositus limitis. Dieses Zaba Numidiae ist nicbt ;n verwechfeln mit dem Zaba Mauritauiae, Sitifensis, welches das heutige Msila ist uud schon im Itiuerar erwähnt wird. Die beiden Zaba la^ gen nicht sehr weit von einander. Dieser Umstand hat Manche irregeführt, welche nicht wußte», daß es zwei Zaba gegeben habe. In der christlichen Epoche waren nicht nur diese beidcu Zaba Visthümer, sonderu es gab auch noch ein 106 drittes Bisthum, welches von Zaba seinen Namen führte und zwar der Hpi8eo^atu8 Hleaianoruiu ^ladenioriiiu, dessen Sitz in der -Nähe des heutigen Batdan gewesen sein muß. Alle diese drei Zabischcn Visthümer lageu im Umkreis von 20 O.uadratmcilen beisannnen. In der Kirckengcsckickte tom-men 2 Bischöfe von ^aba iitumidiae vor, der Donatist^ueius, um 411, und (>reseonius, nin 484. Onnerich verbannte viele Bischöfe in die Brüste, vielleicht bierher. Sonderbar ist es, daß unter diesen Bischöfen so viele Podagristen waren. Victor Vitensis sagt: 1u guidn« ei-aut, poül,^ri ciullm^lurimi. (^l Bckri erwähnt Bistaral) und lobt namentlich die Güte seiner satteln. Was letztere betrifft, fo habe ich mich jedoch davon überzeugt, das? der aradifche Oeo^rapb nicht die Wahrheit saqte. Die Datteln von Bistarah sind hauptsächlich ein vorzügliches — Pferdefnttcr. D ie M en s ch e, n dagegen ziehen die Früchte der südlicheren und wärmeren 3^asen vor. Daß der «alls ^deid ÄUal), wie (>l Belri sagt, sich aus Bis-karah Datteln znm Essen schicken ließ, will wohl heißen, daß er die Datteln aus südlicheren Oasen über Biskarah bezog. Derselbe Kalif bediente sich anch nnr des Salzes von Vis-t'arah, welches allerdings besser ist, als seine Datteln. Kaum waren wir in Bist'arah angekommen und hatten unser Absteigequartier bei einem dortigen ()'vieier genommen — Spielers sind einmal in diesen Gegenden unvermeidlich — als wir von der ganzen lärmenden Atmosphäre dieses afrikanischen Babels betäubt und wie trunten gemacht wurden. In meinem Zimmer war es unmöglich zu schlafen, zn lesen, zu schreiben, überhaupt etwas Anderes zu machen, als dem 107 beständigen >.'ärm zuzuhören, welcher aus den zahlreichen arabischen Kaffeehänsern zu uns drang. Ich schlng meinein Reisegefährten deßhalb vor, da wir doch einmal zur Anhörnng dieses ^ärms verurthcilt seien, lieber ans der Noth eine Tngend zn maeben nnd diese Anhörung N'eiligstens mit Studien über das Volksleben von Bislarah zn verbinden. Dieß konilte »nr an 3^rt nnd Stelle, da, wo der ^arm seinen Ursprnng nalmi, gründlich geschcheil. Wir begaben nils also in die Hauptstraße von Bistarah in der Absicht, ulrs i>l eineiil der vielen arabischen Kaffeehän-ser, von denen sie wie belagert sauen, niederzulassen. Wir wollten nns natürlnii ein solebes aussuchen, iu wclel'em das Treiben am ^cbhastesien und ^riginellsreu siä' darzubieten verspräche. Aber da wurde uus die Wahl schwer. Alle schienen gleicl» lebhaft, gleich originell und von einer gleich bunten Menge von Kaffeetrintern, Tänzern nnd Tänzerinnen besnä't. Unentschlossen aus „einb^-i-as äe i-ioke««««", w'andel-ten w'ir einslwcileu iu den Siraßen ans uud ab uild sahen nilv vor der Hand nur die 'Außeuseite der I^inge an. Die Straßen »raren breit und nicht lang, denn Viskarah, obgleiä, man eo ein,,Paris" genauut bat, ist eben uur ein Neine^ nnd zwar ein sebr Neines ,,Paris", dem ieb tanm wagen würdc, 3000 Einwohner znznselneiben. Dic Hänscr hatten alle nur eiu Erdgeschoß. Das einzige Hans des Commandanten, eine Kaserne nnd das Fort ragten über die gewöbuliche Höhe dieser Maulwurfshügcl empor. Fast alle Gebäude waren neu und mit französischem Banmaterial, das heißt mit Backsteinen erbant; denn den 108 Standpunkt der ungebrannten Lehmziegel, auf welchem sonst allcOasenortschaften standen, battedas bockeivilisirteBiskarah bereits überwunden. Doch glichen diese Häuser nicht französischen. Sie besaßen noch etwas eckt Orientalisches; wozn ihre Niedrigkeit lind die 'Adwesenheit europäisier Dächer, statt deren Terrassen die bauten krönten, a,u meisten bei-trngcn. In der Hanptstraße waren ziemlich viele kleine arabische Buden', welche mehr zum ^arinnensiyen niüßiger, ivlaulafseu feilhaltender Eingeborenen, als zn Geschäftslocalen bestimmt schienen. Ein Dutzend europäischer Kaufläden und eiu Paar große Indenmagazine versorgten den kleinen Drt mit dem ^urus und den Bedürfnissen der Civilisation, diejenige Industrie, welche jedoch am meisten zn blühen schien, das waren die Kaffcebäuser uud ;war fast ausschließlich die arabi-scheu. Denn die französische Bevölkerung war so geriug, daß eiu oder zw>ei solcher ^oeale fiir ibre Bedürfnisse geiliigteu. Europäer gab es außer dem bicr garnisonirenden Bataillon der Fremdenlegion nur sehr weilige. Unter den wenigen glänzte natürlich mein Epicier als Stern erster Größe. Was mir jedoch, in Bezng auf Bevölkerung, am meisten ill deu Straßeu vou Niskarah auffiel, das war die große "Anzahl jugendlicher weiblicher Biesen von der blasse, welche man in Aegyptcn Almeh's zu nennen pflegt. Hier denennt man diese Mädchen mit dem Namen des Stammes, zu welchem sie fast ausnahmslos geboren, Nailisah. Ihr Stamm sind nämlich die Ulad Nail, welche einen großen Theil der Saharah als Nomaden regelmäßig dnrckziehen. Alle diese 109 Mädchen gingen vöNig unvcrschleicrt und waren reich mit seltsam geformtem Geschmeide behängen. Zhr Haar siel entfesselt in langen dunklen Wellen anf ihre braunen, nackten Busen hinab. Ihr Costüm war ciue Art von weitem Aermel-hcmd, aus buntem Stoffe gemacht, ebenfalls reichverziert. So wandelten sie durch die Straßen, sahen die Vorübergehenden freundlich an, machten ihnen wohl anch geheiinnißvollc Zeichen, blieben hier bei hinein stehen, wechselten einige Worte, gingen dann wieder weiter, blickten zur Thür eines Kaffeehauses binein, betraten dasselbe anch wohl, entweder um zu tanzen oder nch von einem ihrer vielen Verehrer mit Kaffee traetircn zu lasseil; liefen zuwcileu auch, wie tolle Kätzchen, in muthwilligem Spiele mit jnngen Viskrihs schäkernd durch die Gassen, oder setzten fich, wenn sie müde waren, vor ihre eigenen kleinen bndenartigen Rischeu, welche sie gemiethet hatten, nm dort die Menge ihrer Bewunderer halb öffentlich, halb privatim, empfangen zn können. Wir waren eben damit beschäftigt, den Typus der Nailijahs an den vorübcrwandclndcn Exemplaren zn stndiren, als^löhlich unsere Anfmerkfamteit durch drei feltsame neue Erscheinungen abgelenkt und ausschließlich in Ansprnch genommen wurde. Wer waren jene masl'enartig verhüllten Gestatten, welche sich langsam und gravitätisch durch die Straßen von Bislarah bewegten? Granen konnteil sie nicht sein; deun fic waren viel zu groß, um einem andern, als dem häßlichen Geschlechte, anzugehören. Dennoch waren sie wie maurische Frauen verhüllt. Bis au die Augen reichte von nuten hinauf ihr Gesichtslappen, und ihre Stirnlappen sanken 110 von oben derab U'ieder bis an die Ange». ^iese Gesichtslappen ivaren jedoch nickt, wie bei den Moresteil, von weißem Kattun, sondern, statt dessen, von dickem, sch>oarze,n Wollenstoff. Diese dicken schwarzen Tücher gaben den Gesichtern etwas unendlich Tüsteres, Abschreckendes, ja ich möchte sagen, OranencrregcndcZ. Wenn diesc Männer sprachen, oder sonst ihre Kinnladen öffneten, so theilte dich den schwarzen Tüchern Vewcgnngen mit, welcbe sie wie die Rachen dämonischer Ungehener aussehen machten. Dazn waren die, mit diesem scheinbaren Rachen bebafteten Männer in ein solches Ilebermast von banschiqen Ilmdnllnn^en eingewickelt, daß ihre Gestalten alles Menschliche verloren nnd die formen cines Hippotamus angenommen zu haben schienen. Die Bewolmer von Bistarab tbeitten jedoch gar nicht nnsere Nengicrde. Sie benahmen sich den seltsamen Wesen gegenüber ganz so, als ob dieselben Menschen wie sie anch nnd nicht Monstra von dämonischer Widermenschlichkeit seien. Tiese Wesen bewegten sich schwerfällig, wanteilden Ganges an nns vorbei nnd dann nns gerade gegenüber znr Thür eines arabischen Kaffeehauses hinein. Mein Reisegefährte und ich, nnscrer Nengicrdc nicht mehr Herr werdend, folgten ihnen. Das Kaffeehaus, in welches wir eintraten, entsprach wenig dem Namen des ,,tleinen Paris", den die Stadt, in welcher es lag, im Munde der ehrgeizigen Viskrih's führte. Seine Wände waren nackt, schmuck- uud geschmacklos. Sitze waren nicht vorhanden; statt derselben war es einem Jeden gestattet, sich auf dem Fußboden in einer iener verkrümmten, Ill in sich selbst zusammengcwnndcncn Stellungen hinznlegcn, die der Eingeborene so gnt anzunehmen weiß nnd für welche, unsere allzuarme Sprache nnr die aunäbc-rndeu Begriffe ,,lnn-Einern", „hinräkeln^, ,,hinhocken^ besitzt. Tort lagen ans der dünnen Strohmatte, welche, den Fußboden bedeckte, eiilige fünfzig ^cntc: Araber, Biskrih's, Kabylen, Mozabiten, Nai-litcn, Tuggurtaner, ^aghuaten, kurz Meusckcu ans allen Gegenden des südöstlichen Tell sowobl, wie ans allen verschiedenen Oasen der Sabara zusammengewürfelt. Diese Kerle hockten (denn von Sitzen kann nnr bei einer sehr kleinen Zahl Eingeborener die Nede sein) in den verschiedensten Stellungen da, in welcbeu sie dao sämmtliä'e Tluer-reich in allen Posen seiner cicrlegenden oder säugenden Erem-plarc nachgeahmt zn haben schienen. Da hockte ein junger Biskrih, der sick den Scbalal znm Vorbilde gewählt zu habeu schien; seine ^t niee ragten aufwärts in die Höhe nnd sein düuner langer Kopf ruhte zwischen ihnen; jetzt erhob er das Hanpt, gähnte — welcher Araber gähnt nicht zehnmal in fünf Minuten? — nnd öffnete dabei so weit und krampfhaft feinen rackenartigen Mund, daß die lange dünne Zunge hundcartig herausznhängen kam. Diefer Mcnfch mnßtc der Natur zürnen, daß fie ihm in schuödcr Uufrcigicbigkeit die Gabe des Bellcus verweigert hatte. Neben dem Schakal tanerte jenes andere Cremplar der afrikanischen Fauna: das Stachelschwein. Es war repräsen-tirt durch einen fetten Laghnatih, der, in sich selbst gekrümmt, einen monströsen Ball bildend, dalag. Sein Gesicht konnte man nicht sehen, man ahnte aber dunkel, daß 112 cs in der I^ähc der Schenkel wieder zuui Vorschein kommen müsse. Ctil Tritt^r gad sick alle dcntbare Ätühc, einem Frosch so ähnlich als möglich zu seheu. Vs war dieß ein Tuggur-tancr, der auf den unteren Gelenken der Beine in jener Siel-lnng, welche die Franzosen „porcl^r" nenileu, hockte. Sein stumpfnasiges, qroszmundiges Gesicht l,atte etwa>? entschieden Krötcnartiges. b'r streckte seine langen, dnnnen, froschoein-ähnlichcn Arme und Finger nach vorne auei u>ld man tonnte ihm ohne groften Answand vou Pbantasie die 'Xbsicht zuschreiben, als wollte er eben wieder in den väterlichen Sumpf hineinglciteu. ^'iele hatteu, wie es aussah, sich Vögel zn Vorbildern gewählt. Da saß die l^nle, ihre kleinen Beinchen tanm sichtbar nnd den Fedcrschweif wedelnd. Tort die Gans dnmm nnd glotzend in die Welt hineinschanend. Taneben der Ulnl, in sich salbst gekauert und mit gläsernen Augen vor sich hinstarrend. Keine dieser Gestalten hatte eine Stellung augeuommen, die man Siden nennen konnte. Das klassische orientalische Sitzen mit nntergeschlageuen Beineu, das verstehen in ganz Algerien nur (iinige der besseren Manrcn der Stadt Algier selbst. Mc Uebrigen hocken, kauern oder räkeln sich nnr auf dem Vodcn hin. Die drei verschleierten Männer, denen wir hichcr gefolgt waren, ließen sich ebenfalls auf dem Fußboden des Kaffeehauses nieder und zwar in sehr originellen Posen. Der eine bemühte sich, statt anf dem Gesäß anf dem Rücken zn sitzen. Der andere kniete. Dem dritten schien es lange unklar, was 113 er mit seinem Kopfe anfangen solle; endlich entschloß er sich und legte dieses unnütze Möbel unter die Waden eines Andern. Diese drei räthselhaften Wesen bestellten Kaffee. Wie es freilich der Kauadschi (Kaffeewirth) Virstehen konnte, das ahnte ich nicht. Aber der Kaffee kam und nun tränten sie. Sie schienen den Kaffee aber nicht in ihren Mund, sondern in den dunklen Wollenlapftcn, der das Gesicht bedeckte, hineinzuschütten. Von ihrem Gesicht bekam man bci dieser Operation nicht mehr zu sehen, als vorher. Endlich, von Neugierdc auf'sAeußerste getrieben, fragte ich einen neben mir kanerndcn Viskrih, wer diese Drei seien? „Tuaregg," war die Antwort. „Tuaregg?" dachte ich bcimirselbst, das ist ja der Name eines Volkes der Wüste. Wäre es möglich, daß ein ganzes Volk sich diese unsinnige Sitte des Vcrschlcicrus der Männer auferlegt hätte? Ich fragte nochmals und da wurde mir das Unglaubliche gesagt, daß wirtlich alle Tuarcgg sich verschleiern; und was fü5 ein Verschleiern! Kalfatern wäre ein besseres Wort für dieses Verschleiern. Diese Tuarcgg wohnten im Süden der französifchcu Besitzungen, also im Süden der Sahara, in der eigentlichen Wüste. Die südlichen Tuaregg sind noch so gut wie unbekannt. Bekannter sind die östlichen Tuaregg, welche Barth und in neuester Zeit (1860—1862) Duvcyrier besucht haben. Von diesen östlichen Tuarcgg ist es sogar Duveyrier gelungen, drei sogenannte Stammeshäuptcr zu beschwatzen, eine Ncise nach Paris zu unternehmen. In diesem Eommer (1862) Drei Jahre im Norbweslcn vo» Afrila. III. 6 114 sind sie dort angekommen und man hat für gut gefunden, sie auch nach England zu führen, um ihnen die große Weltausstellung zu zeigen. Ich sah diese drei von Duvcyrier in Beschlag genommenen Tuarcgg vor ihrer Einschiffung iu Algier, .häßlichere Monstra hätte man wohl kaum erblicken tonnen. Ter junge, bereits berühmte Duveyrier führte sie iu der Stadt hcrnm, mehr um fie als Merkwürdigkeiten, als um ihnen die Merkwürdigkeiten Algiers zu zeigen, beider konnte sich der junge Tourist nicht viel mit diesen Barbaren unterhalten, da in Folge eines schlimmen Fiebers, welches ihn nach seiner Rückkehr vom Lande der Tnaregg befallen, sein Verstand und Gedächtuiß noch sehr angegriffen waren und er unter An-dcrm sein Tmaschck (so heißt die Sprache der Tuaregg), welches er früher geläufig gesprochen, beinahe gänzlich vergessen hatte. Diese von Duvcyrier in Beschlag genommenen Tuarcgg werden wohl sehr civilisirt in ihr Vaterland zurück-kchrcu. Die drei, wclcbe icl, im Kaffeehaus in Biskarah fah, warcn es weniger. Sie sprachen ni>chts, gähnten aber sehr viel, was man an den rachenartigen Vewegungcu ihrer Gc-sichtslappcu errathen konnte. Leider, so interessant mir ihre Nähe auch war, so konnte ich es doch nicht lange iu derselben aushalten, denn diese gnten Leute vcrbreitctcu einen pestartigen Geruch. ,, Ich setzte mich iu einen andern Winkel und sand mich dort in der Nähe eines sehr anständig aussehenden alten Vis-krih. Ich redete ihn an und er sagte mir, daß er zwar in Viskarah geboren, aber doch kein ViZkrih sei, sondern ein IIS Kuluglih, dessen Familie jedoch schon seit Jahrhunderten hier ansässig wäre. Kuluglih sind bekanntlich die Mischlinge zwischen Arabern nnd Türken. Das türkische Blut hält sich immer für besser nnd kein Kuluglih, sei er auch in Wirklichkeit noch so sehr BiZtrih geworden, will, daß man ihn Biskrih nenne. Jetzt machte eine Bande leichtfüßiger Na'üijah ihre Irruption in's Kaffeehaus. Diese leichten schlanken Mädchen — fast alle Mädchen der Sahara!), welche ich sah, waren schlank, während im Tell Fettheit vorherrscht nud in hohen Ehren steht — warfen sich erst, wie ein Zng von lnftigcn Sommervögeln, die vom Fluge müde sind, in launigen Posen ans der Strohmatte des Fußbodens hin. Hier schlürften sie den Kaffee, mit welchem ihre zahlreichen Verehrer sie tractir-ten. Dann sprangen sie schnell wieder anf nnd begannen zu hüpfen nnd zu springen nnd endlich zn tanzen. Aber was für ein Tanzen! Die Nbitsa, die ich in Algier gesehen hatte, war Ruhe, ihre leidenschaftlichen Bewegungen waren Eis gegen diese Beweglichkeit, gegen dieses Feuer. Wie bei der Nbitsa, so fing anch hier die Bewegung erst oberhalb der Füße an nud pflanzte sich von da in aufsteigender Linie, fort bis zu der Stelle, wo sie ihren Gipfelpnnkt erreichte; dann nahm sie wieder ab, wurde sanfter und sanfter nnd um Brust und Kopf spielte nur noch ein kaum merkliches Zittern. Aber wie viel heftiger, als bei der Nbitsa, wareu diese Parorismen! Wie viel leidenschaftlicher waren diese Geber-den! Mit solchcrWnth, mit solchem bacchantischen Wahnsinn drehten und wanden diese Mädchen ihre zarten Leiber, daß 11« man zu glauben versucht war, sic wollten aus sich selbst hcr-auZhnpfcn: gleichsam als fänden sie die irdische Hülle zu zart und zu schwächlich, um noch länger dcnVulean ihrer glühenden Triebe und Gefühle in sich beherbergen zn können. „Ist dieß das erste Mal, daß Sie die NaMjah sehen?" fragte mein Nachbar, der Kuluglih. „Ja," erwiderte ich, „und ich bin hockerstaunt, eine solche Menge noch so sehr jugendlicher Wesen" — die meisten waren zwischen 12 nnd 14 Jahre alt — „einem so traurigen Gewerbe ergeben zn sehen." „Trauriges Gewerbe?" bemerkte der Kulnglih. „Ja! so würde man es in Algier nennen; und anch hier in Bis-tarah würde ein Mädchen aus dem Orte selbst, welches diesen Stand erwählen wollte, als ehrlos von ihrer Familie ausgeschlossen werden. Aber die Mad-Na'il, der Stamm, zu welchem diese NaNijah gehören, haben andere, Ideen über den (5hreupuntt. Alle diese Mädchen, welche Sie hier sehen, und die jetzt das Gewerbe der Almel) ausüben, werden in einigen Jahren in ihr Vaterland zurücktehrrn, uud ohne Zweifel alle sehr gute Parthieen machen." „Uud," fragte ich, „bringen sie den ^!ohu ihres unregelmäßigen Lebenswandels ihrem Gatten als Mitgift?" „Mitgift? Nein! Keine Frau bringt ihrem Manne eine Mitgift bei arabischen Stämmen. Das Geld, was sich eine Na'i'lijab, während sie das Gewerbe eincrAlmch ausübte, verdient hat, das gehört weder ihrem Manne, noch ihr selbst, sondern ihrem Vater." 117 „Also profitirt der Vater von dcr Unehre seiner eigenen Tockter?" „So ist es! Es gilt den Ulad-Na'i'l aber nicht als Un-chre. Eine Unchre würde es ihnen nnr dann scheinen, wenn das Mädchen dabei Vergnügen oder Vortheil hätte. Das würden sie für eine Depravation ansehen. So geschieht es aber nur im Gehorsam gegen den väterlichen Willen und als Speculation, denn der Zweck des Geldverdienens nimmt der Sache in ihren Angen jeden sündhaften Charakter. Es ist nicht mehr Wollust, es ist Erwerb und nicht einmal Erwerb für sich selbst, sondern für ihre Eltern. Der Vater zieht auf diese Weise doppelten Vortheil aus seiner Tochter; er profi-tirt von ihren schönsten Jahren dadurch, daß er sie dem Gewerbe derAlmch widmet und nachber,'wenn sie hiezu untauglich geworden ist, vcrl'anft er sie noch an einen Mann seines Stammes und gcwiunt wieder ein Paar hundert Francs dadurch." „Aber," fragte ich weiter, „ist es deuu möglich, daß ein Mann einen so cntwertheten Gegenstand zum Weibe begehren kann?" „Dafür," erwiderte der Knlnglib, „haben die Ulad-Na'il gesorgt. Sie lassen alle ihre Mädchen dasselbe Gewerbe treiben, die Töchter des Schcikhs vielleicht allein ausgenommen. Anf diese Weise hat man keine andere Wahl, als eine Almeh zu heiratheu; deun an eine Verbindung mit einem fremden Stamme, daran denkt kein Mann der Illad-Na'il. Außerdem sind diese Mädchen alle noch reich." 118 „Ich glaubte, Sie sägten, das Geld, welches sich eine Na'i'lijah verdient, gehöre dem Vater?" „Das Geld, ja! aber nickt der Schmnck. Der Schmnck einer Muselmännin ist heilig und tanm die ärgste Noth kann zu seiner Veräußerung zwingen. Den Schmuck, den die Nailijah als Almch getragen hat, den behält sie und der ist oft wcrthvoll. Sie sehen, viele dieser Mädchen huben schwere Silberketten, drei oder vier Mal nm ihren Hals geschlungen, und eine Menge Goldstücke in die Kette hincingclöthet. Ve-achten Sie anch anßcrdcm noch die Menge der Korallen in ihren Haaren nnd die silbernen Armbänder von der Ticke von Ankcrkcttcn, uud die Vcinringe, ebenfalls massiv nnd von cd? lem Metalle. Neulich war ein Engländer hier, der für den Schmnck einer einzigen NaNijah 2000 Francs bot." „Und hat sie ibn verkauft?" „Nein! Sie dachte nicht daran. Diese Schmucksachcn gehen von Generation ans Generation. Nenn diese eine Tochter hat, so wird dieselbe in 12 Jahren mit demselben Schmuck als Almeh erscheinen, in welchem heute die Mnttcr glänzt. Ucbrigcns kommt es vor, daß nnter den Münzen, welche in ihre Halsketten cingclöthct sind, sich oft höchst werthvolle nnd seltene alte arabische Goldstücke befinden, von deren Werth diese Leute jedoch keine Idee haben. Seit Iabrlnm-derten vererbt sich ein solcher Schmuck, und auf demselben erhalten sich so Gcldsorten, die längst außer Cours gekommcn sind." Der Kuluglih hatte nicht Unrecht. Ich überzeugte mich durch eigenes Anschauen, daß einige der Schmuckmcdaillen 119 dieser Na'iliiab böchst seltene arabische Goldstücke waren. Aber zmn Vcrtanf au^!) nur einer einzigen war kein Vcädchen zn bewegen. Drittes Capitel. Biskarah. Der verliebte Epieicr. — iln'en, der jedoch durchaus keinen großen Respect vor seinem Principal zu haben schien. Im Gegentheil zog er diesen anf's Unbarmherzigste wegen eincr heftigen Passion ans, die der Npioioi- für eine Na'ilijah gefaßt haben sollte und an die er nun Tag nnd Nacht dächte. Es war nicht an uns, dies Hcrzcnögehcimniß unsers Wirths zu ergründen. Aber es war bezeichnend für die Luft von Bis- 120 karah, daß sie sogar NpiciorZ, diesen prosaMsten aller Menschen, Passionen cinznflößen im Stande war. Des Abends machte ich einen kleinen Spaziergang in den Palmenwäldcrn, welcheBiskarah überall mnrahinen. Die Lnft war mild und wann im Vergleich mit Bathna, obgleich die Bewohner von Viskarah über Winterkaltc klagten. Wir hatten Abends nngefähr 12" N. nach 'worden. Ueberhanpt fand ich das Klima von Nistarah im Winter höchst angenehm. Vei diesem abendlichen oder richtiger nächtlichen Sftaziergang durch die Palnienwäldcr drängten sich mir plötzlich zwei eingeborene Jünglinge als Gesellschafter anf. Ich hätte diese Begleitung gut entbehren könnew, denn die Einsamkeit in einer herrlichen fremdartigen Landschaft gewährt meiner Phantasie immer einen nngleich höheren Genuß, als ich aus dem Gespräch mit irgend Jemand schöpfen könnte. Aber, da es nebenbei bei mir Grundsatz war, nie eine Gelegenheit, arabisch zu reden, nnbenntzt zu lassen, so ließ ich die Burschen neben mir herlaufen und plandertc mit ihnen. Es waren uninteressante Geschöpfe. Das Komische bei der Geschichte war jcdocl/ daß die Kerle nach einem halbstündigen Spaziergang nnd Ge-plandcr — bezahlt sein wollten. Sie glanbten, etwas gethan zu haben, was für einen Numih Gcldeswerth besitze. Die Araber sind äußerst schlau im Beobachten ihres Nächsten. Diese Bursche mußten mir angemerkt haben, daß ich es liebe, arabisch zu reden, folglich hatte Arabisch einen Werth für mich; sie hatten mir eine Dosis davon verabreicht und heischten mm den GeldcZwerth derselben. Ich schlug diese Dosis jedoch nur auf zwei Sous an, welche ich den Jünglingen verabreichte. 121 Ich lies? mick verlocken, einen Monat in Viskarah zu bleiben, nm die Wüstcnlandschaft so recht genießen zu können. Mein Reisegefährte that dasselbe. Wer aber nicht zn bewegen war, auch nur eine Woche in dieser lieblichen Oase, ja überhaupt irgendwo in der Wüste zu verweilen, das war Ha-mcd. Seine Vorurthcilc gegen die Sahara waren .so groß, daß sie sogar über seine Liebe zum Gelde dcu Sieg davon trugen. Er verlangte plötzlich seinen Abschied nnd ich gab ihm denselben mit Freuden. Hamed wurde durch Hülfe des ^lirßliu arade nach Constantine zurückbcfördcrt, wo er sich zweifelsohne ruhig seinem Kif ergeben hat. Ich habe ihn nie wieder gesehen. Mein Reisegefährte und ich hatten kaum ein wenig von den landschaftlichen Genüssen der Wüste und Oase gekostet, als in uns der Wunsch entstand, unsere Pfade noch weiter auszudehnen, um noch ein beträchtlicheres Stück Wüste und >einc größere Anzahl von Oasen- leimen zu lernen. Man rieth uns, von Viskarah über Vusadah nach El Aghuat zu reisen. EI Aghnat ist nämlich eine Oase, im Süden der Provinz Algier gelegen, wie Viskarah in» Süden von Konstantine liegt. Nun betrug die Entfernung von Viskarah über Vusadah nach El Aghuat ungefähr 30 deutsche Meilen. Wenn wir aber doch einmal eine so lauge Wüstcnreise machen wollten, so war es wünschcnswerther, lieber tiefer in die Wüste einzu-dringcu, als in paralleler Richtung mit der Meeresküste, in welcher Richtung uns die Reise uack El Aghnat geführt hätte, die Sahara zu durchschneiden, denn auf letztere Art hätten wir uus nie sehr viel vom Tell (der Nicht-Wüste) entfernt. Nun lag 122 aber cine Reihe hockst interessanter Oasen etwa 30 deutsche Meilen in dirccter südlicher Ricktnng von Biskarah. Es waren dieß die so äußerst wenig noch von Europäern besuchten Oasen des Ued Nhir, deren bedeutendste, Tuggurt ist. Auf dieser Reise wären wir mitten in das Herz der Sahara eingcdruugen uud hätten eine viel interessantere, weit weniger bereiste Oase kennen gelernt, als El Aghuat war, welches vou Algier ans sehr leicht zu erreichen war und bereits ebenso civilisirt, als Biskaral,, sein sollte. Zudem hofften wir Beide die Reise nach EI Aghuat iu einem andern Jahre machen zu können, denn wir hatten uns Beide vorgcuommeu, denalgierischcnGestaden nach Beendigung dieser Winterreise nicht für immer den Rücken zuznwenden und von Algier war die Reise nach El Aghuat eine Kleinigkeit. So entschlossen wir uns denn für die Reise nach Tnggnrt. Nir batten freilich nickt gedacht, daß diese Reise so große Schwierigkeiten bieten würde. Die Offiziere des Lureau arade in Biskavah, an welche wir empfohlen waren, wollten gar nichts davon hören, als wir ihnen unsere Reiscpläne mit: theilten uud fie um ihren Rath baten. „Rath," sagte der Eapitain, „den tann ick Ihnen geben, aber weder Escorte noch Sattclthierc könnte ich Ihnen zu diesem Ausflüge verschaffen, uud mein Rath wäre der, daß Sie vou diesem unsiuuigen Plane abständen; denn der Weg ist entschieden unsicher. Obgleich die Stämme des U«d Nhir seit 1854 unsere Oberhoheit anerkennen, so sind sind sie doch noch weit entfernt davon, mit einer französifchcn Polizei ge: segnet zu sein, wie Biskarah dies Glück genießt. Der Schcikh 123 von Tnggnrt könnte persönlich noch so gntc Absichten Ihnen gegenüber hegen, er wäre doch nicht im Stande, zn verhindern, wenn es einem seiner Unterthanen einfallen sollte, Sie zn beschimpfen oder gar zn mißhandeln. Diese Scheichs haben in ihren Stämmen nnr eine höchst limitirte Gewalt. Dazu bedenken Sie die Unbequemlichkeiten der Reise, welche für einen Gnropäer immense sind. Sie können niemals auf ein Bett rechnen, müssen stets in Zelten oder Lchmhäusern übernachten, die so sehr allen Winden und Wettern offenstehen, daß es fast besser wäre, wenn Sie im Freien schliefen, und im Winter sind die Nächte selbst in der Sahara oft sebr kühl, ja kalt. Sie müssen ferner sich nur von Knßknsfnl) nähren und rönnen noä, froh sein, wenn Sie letzteres überhaupt bekommen. Dann müssen Sie manchmal angestrengte Tagereisen machen, welche Sie vielleicht nicht im Stande sein werden, zu ertragen." Alles dieß war nicht geeignet, uno zn ermnthigen. Der Efticier, nnser Wirth, trug nocb dickere Farben auf dem Gemälde der Gefahren und Strapatzen auf, welche die Reise nach Tuggnrt für uus mit sich bringen sollte. Wenn man ihn hörte so gingen wir unserm sicheren Untergänge entgegen und hatten nnr noch die Wahl, welche Todesart wir vorziehen möchten. Wir ließen uns jedoch uicht abschrecken. Der wahre Touristencifcr wächst nntcr Hindernissen. Wir verschoben uur die Ausübung unseres Neiseplanes, bis daß sich eine günstige Gelegenheit zu seiner Wiederaufnahme bieten würde. Wir wnßtcn fetzt, daß wir uur mit Hülfe der Eingeborenen unsern Zweck erreichen konnten und wir waren entschlossen, uns den Letzteren gänzlich anzuvertrauen. 124 Dic, erwünschte Gelegenheit ließ nicht sehr lange auf sich warten. Wir waren etwa einen Monat in Biskarah gewesen, hatten während dieser Zeit täglich die arabischen Kaffeehäuser besucht und daselbst zahlreiche Bekanntschaften mit Eingeborenen angeknüpft, denn die arabischen Kaffeehäuser in der Sahara werden von allen Stammeshänptern besucht und man kann daselbst oft die wichtigsten Bekanntschaften machen. In Algier dagegen, wie überhaupt in den Städten des Tell, sind die Kaffeehänscr nur das Stelldichein des nnbcrcckeubarsten Lumpengesindels. Eines Tages machten wir in einem solchen Kaffeehause auck die Bekanntschaft eines älteren Mannes, der hockst reiulick iu drei weiße Bernnssc gekleidet war. Seine Züge waren edelgcformt, seine Stirn hoch, seine Nase habichtsartig, seiu Mund fein geschnitten und ernst; ei» grancr Bart bedeckte das alternde Angesicht. Wir hörten ihn Sid.i Omar neunen und erfuhren, daß er der Scheikh eines Stammes der Ued-Nhir sei, welcher in der Nähe von Tnggurt wohne. Sidi Omar hatte höfliche nnd gebildete Manieren. Wir wurden bald näher mit ihm bekannt, hüteten uns jedoch auf's Acngst-lichstc, irgend Etwas von unseren Neiseplänen fallen zu lassen. Dieß würde ihn auf der Stelle von uns entfernt haben, deun cin Araber dient nicht gerne einem fremden als Eieerone nach oder in seinem Hcimathlande. Nur durck ^'ist touute er für unsere Pläne gewonnen werden. Diese List, welche wir zu gebrauchen bescklosseu nud auch mit günstigem Gelingen ausführten, war folgende: Sidi Omar wurde eingeladen, in unserer Wohnung den Kaffee, zu trinken. Mit uns zu csscu, das würde er ausgeschlagcn haben; 125 aber der Kaffee eines Numih ist eben so koscher als der Kaff« eines Muselmanns. Gegenden Kaffee konnte er nichts einwenden. Er kam. Er nahm den Kaffee bei uns ein nnd wir plauderten gemüthlich etwa cine Stnnde lang zusammen. Von der Neise wurde noch kein Wort gesprochen; gleich das erste Mal damit herauszuplatzen, hätte unsere List, als solche, zu sehr geoffenbart. Uns lag daran, die List womöglich vergessen zn machen. Der Scheich wnrde am folgenden Tage wieder eingeladen. Immer noch keine Ncde von der Neise. Das dritte, vierte, ja bis zum achten Male verlautete ebenfalls immer noch keine Sylbe davon. Sidi Omar mochte schon glauben, es läge uns entsetzlich viel an seiner Persönlichkeit um seiner Persönlichkeit willen. Gr fing an, Zutraueu zu uns zn fafsen nnd wir hätschelten ihn und thaten ihm schön, daß es eine Freude war. Eines Tages kam er anch, sah aber etwas nustät geschäftig aus und wir fragten ihn deßhalb, was diese ungewöhnliche geschäftsvolle Miene zn bedcutcu habe. „Morgen reise ich nach Tnggurt zurück," erwiderte er. d'r glaubte jedoch vom Schlage getroffen zn werden, alö wir, die wir ihn schon lange an diesem Punlt erwartet hatten, nun plötzlich jubelnd ausriefen: ,,U nd wir reise n m itDi r." Er tonnte uns da» Recht des MitreisenZ nickt verweigern. Ja er mußte uus dei demselben allen Schutz angcdeihen lassen, über welcbcn er gebieten konnte: So wollte es die Sitte der Araber im Allgemeinen nnd derWüstcnstämme im Besonderen. War er doch unser Gast geworden und uns folglich mit dem 13« unauflöslichen Bande verknüpft, welches Gast und Gastfreund umschlingt. Wir hatten ihn angeführt. Denn, hätte er geahnt, daß wir Reiseplänc nach Tuggurt schmiedeten, keine hundert Pferde würden ihn zn uns gebracht haben. Nun war er aber gezwungen, uns die Reise machen zu lafscn. Denn selbst, hätte er die Heiligkeit der Sitte gering geachtet, so verlangte doch seine Ehre, daß er nns seinen Scbuk nicht verweigere. Denn alle Leute in Biskarah wnßten, daß er nnscr Gast geworden war nnd wir hatten gute Vorkehrung getroffen, daß das Aus-sprcchcn unseres Wnnschcs, mit Sidi Omar nach Tuggurt zu reisen, ebenfalls recht schnell bekannt werden sollte. GanzVis-karah mußte noch heute erfahren, daß wir ihn, der unser Gast geworden war, um ciucn wichtigen Dienst ersticht hatten und hätte er uns diesen Dienst nicbl gewährt, er winde nie mehr sich in Biskarah haben zeigen tonnen, ohne das Gespött der Menge zn werden. Sidi Omar war also angeführt. Er war also gezwnngen, uns mit sich. nach Tuggurt zu uehmcn. Er hätte freilich Grimassen schneiden können. Aber ich muß ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen: er machte „dunno uiiuo u mauvaig ^sn." So sehr er innerlich anch geflucht haben mag, sein Antlitz athmete nnr Amönität. Da saß er: „ii voita «erono" — im italienischen Opcrnstyl. Er kündigte uns an: Da wir doch einmal mit ihm reistcu, so hättcu wir uns sehr zu eilen. Wir müßten Kameclc mietheu, weuu wir keine eigenen Pferde hätten, denn Pferde zu miethen, würde uns schwer werden. Wir sollten uns anch Matratzen mitnehmen, da er gehört habe, daß Europäer anf solchen Dingern schliefen, denn sonst 127 müßten wir meist auf nackter Erde übernachten. Lebensmittcl, dafür wolle er sorgen. Sidi Omar hätte nicht nöthig gehabt, uns dieß anzuempfehlen. Wir hatten alle Vorbereitungen znr Reife fchon längst getroffen. Wir standen bereit, wie der Maschinist im Theater, der nur die Schelle zum Dekorationswechsel erwartet. Sldi Omar hatte dicfe Schelle gezogen. Ich gtaubc übrigens, der Biedermann hegte die stille Hoffnung, daß wir denn doch nicht so schnell zum Aufbruch bereit sein würden. Er hatte überdieß den Moment des Auf-brnchB am nächsten Morgen so sehr früh bezeichnet, daß er gewiß hoffte, wir würden ihn verschlafen. Aber zu seinem unangenehmen Erstaunen fanden wir uns pünktlich ein. Um 5 Uhr Morgens, in voller Dnntelheit, rückten wir aus Vistarah ans, und zwar hoch zu Kamcel. Wir hatten fünf dieser Thiere sowohl für uns als für's Gepäck gemiethet. Unscre gnten Matratzen befanden sich auf einein derselben. 128 viertes Capitel. Der Md Rhir. Reise oon Äiötarah nach Tnggnrt. — Dauer des Weges nnc> ^tavcn. — Das Kameel. — Seekrankheit auf dem Wüstenschiff. -— Die Oase Sidi Otba. — Der Walo von Zaada. — Nachtlager bei dem Beni Thiu?. — Infernalische Kost. — Nackillaacr in El Baadsch. — Die Seblab Melrhir. — Fata Morgana. — Sidi Kl,«« lil. ^ Der See und seine Salzvegetation. — Die Oase Tanedla. — Tamerna. — Sidi '.Kaschio. — Die artesischen Brunnen. — Der Uöd R!ii>'. — Rtaa'i». — Letzte Tagereise im strömenden Regen. — Anwnft in Tnggurt. Der Wc^ vonBiskarab nach Tllggllrt beträgt in dircctcr Linie etwa 27 deutsche Meilen. Diese l^ntfernnng sollten wir in 6 Tellereisen zurncklcgen, so daß im Durchschnitt auf den Tag vier und einc halbe deutsche Mcilc gekommen wären. Da nun nnsere Kanieele nicbt mehr als einc deutsche Meile in 2 Stunden znriicklcgten, so folgte darans, daß wir im Durchschuitt 9 Stunden täglich hoch zu Kamecl hätten zubringen sollen. (5s wurdeu sedoch viel mehr daraus. Denn ciumal waren die l5'tapen nicht gleichmäßig eingetheilt und dieß hatte größere Reisen fnr einzelne Tage zur Folge. Es hätte ebenso kleinere Reisen für andere Tage zur Folge haben sollen, aber der Zufall wollte es so, daß grade diese vermeintlichen kleineren Tagereisen noch größer ansfallcn sollten, als die sogenannten großen. Denn die Route war zwar ziemlich grade nach Süden strebend, aber sie machte doch anch Umwege 129 und diese Umwege sielen sonderbarer Weise grade auf die Tagereisen, welche, nach der directen Entfernung zu schließen, die kürzesten hätten sein sollen. Das Resultat war, daß, statt neun täglichen Stnnden der Reise, es ihrer 11 — 12 wurden, nnd die 6 Tage, lang hintereinander auf Kamcclörücken zugebracht nnd dann nach kurzem Aufenthalt in Tuggurt besagte 10—12 Stunden täglich abermals 6 Tage lang hintereinander auf dem wackeligen Höcker des Wüstenschiffes zugebracht, das war keine kleine Straftatzc, besonders da Kameelreiten früher doch nicht dei uns das tägliche Brod gewesen war nnd wir viel von dem Ungewohnten dieses Beförderungsmittels zu leide» hatten. Wir jubelten laut auf, als wir die Thore von Bislarah hinter uns ließen, so hocherfreut waren wir über das Gelingen unsres Planes, durch welchen wir uns Sidi Omar's Schutz versickert hatten, und so glücklich waren wir, in derHoffnnng, nun bald ein Land kennen zn lernen, welches so wenig Reisende vor uns besucht hatten: Der echte Tourist empfindet kühn den Stachel, welcher zur Befriedigung einer mäkligen Ncngicrdc oder Wißbegierde treibt, welche dort ilne Stillung crwavtct, wo nnr Wenigen vor ihm es gec^.uut war, fie zu stillen. Ein Dorf aus Lehmhütten gebaut, welches noch Niemand gesehen hat, besitzt für ihn mehr Reiz, wenn auch nicht mehr Werth, als z. B. das von Knuftwerkeu strotzende Florenz oder Rom, welche täglich von tausend Neugierigen überlaufen werden. In unser», l5ifer, so recht schnell weiter in die Wüste einzudringen, wollten wir womöglich in raschem Fluge die erste Drei Hahie im Nordwcsle»! von Afnla. M. 130 Meile durchjagen; aber die inerte Masse des Kameelcs war zu keiner Beschleunigung seiner schwerfälligen Schritte zu bringen. Gebannt waren unsere Leiber auf dem Nucken dieses Ungethümcs. Unser Geist mochte noch so schnell voranfticgen, die stumpfe Materie versagte ihm den Dienst. Das Kamecl siegte zuletzt über uns, denn welche Siege feierte nicht die vis iiisltiu^ ? Das Kameel siegte auch noch in anderer Beziehung über nns. (5s zwang uns nämlich zur abscheulichen Kameelskrant-hcit, jener Seekrankheit der Wüste, welche dieses Monstrum, das Schiff der Wüste uämlich, durch seine unvernünftige Art des Gehens seinem Neitcr bereitet. Welchem andern Vierfüßler wäre es auch eingefallen, mit den zwei rechten Füßen zngleich anzusetzen und dann die 2 linken im Tact nachfolgen zu lassen, um darauf vou Neuem mit den zwei Rechten auf dieselbe unverzeihliche Art anzusetzen? Auf diese Weise bildet die eine Seite des Thieres, so lange es wandelt, immer eine Höhe nnd die andere ein Thal und der Reiter wird in jeder Minute mehrmals von dieser Höhe in dieses Thal und von diesem Thal anf diese Höhe geschleudert. Man muß wirklich ein Kameel sein, um einen solchen Gang erfunden zu.haben. Manchen höre ich sagen: „das Kameel in seiner Dummheit weiß es nicht besser." Aber das Kamcel ist garnicht so dumm wie man glaubt. Das Kameel hat besagten Gang nur deßhalb erfunden, weil er stets ein langsamer Gang bleiben muß. Das Schiff der Wüste ist ein ächter Orientale und das Fanl-lenzcn ist demnach seine einzige Freude. Nie tonnte es dem lieblichen Nichtsthun, oder in Ermangelung dessen dem Necht- 131 langsamthun auch fröhnen, wenn es wie ein Pferd oder ein Maulthicr liefe. Nein! das Kameel ist nicht dnmm. Es ist schlau und pfiffig: ein Beweis davon seine Erfindung dieser für es so bequemen, weil langsamen Gehart, welche leider für den Reiter die Kamcelskrantheit zur Folge hat. Den ganzen ersten Tag konnten wir die Gegend, da unsre Blicke vom Schleier der Kameclskranthcit getrübt waren, nur höchst unvollkommen durch diesen häßlichen Schleier hindurch in Augenschein nehmen. Anfangs begleitete uns noch der Palmcnwald von Bistarah, dieser Wald, dessen Bäume alle gezählt und auf dem Steuerregister numcrirt aufgeführt stud. Jeder dieser numeviNen Bäume zahlt jährlich die Steuer vou 8 Sous. Welche Prosa haben die Franzysen in diese Oasen gebracht! Was giebt es Poetischeres als einen Palmenwald? Aber was giebt es Prosaischeres, als einen gezahlten, nu-merirten und einregistrirten Palmenwald? Freilich wird man sagen, der Palmenwali) bleibt derselbe. Ader nein! Er bleibt uicht derselbe. Man sieht die entsetzlichen Nummern gleich häßlicheil Dämonen über ihm schweben, man sieht das abscheuliche Register gleich ciuem scheußlichen Gesftcnstc den Wald durchwandeln. Als der Palmenwald vorbei war, kam die Wüste, die echte Sahara mit ihren graucu Flächen lints uud ihren im Winter steppcnartig bewachsenen Harden rechts. Hie und da hob N'ch ein tlciner Hügel von weißem, in der Sonne glänzendem Steinsalz ans der Ebene. Unser Blick schweifte weit in die Ferne und fast überall begegnete er demselben granen oder stcppenartigcn Horizonte. 9» 132 Gegen Mittag erreichten wir die kleine Oase Sidi Okba. Ein neuer Palmenwald umragte uns, aber leider auch eiu gezählter, sorgfältig iu's Register eingetragener. Mir zerstört einmal Alles, was au Bureaucratic erinnert, jeden poetischen Genuß. Diese Oase ist berühmt durch das Grab des ara, bischen Helden und Eroberers Sidi Okba, von dein sie ihren Namen führt. Hier war es, wo dieser Sohn Nafeh's, im Jahre 682 im Kampf mit den Einheimischen bei Tehurda uu-weit Viskarah gctödtct, seiuc ewige Ruhestätte faud. Die autochthoucn Stämme Afrika's siud jetzt die eifrigsteu in Verehrung seines Mausoleums, wahrscheinlich um wieder gnt zu machen, was ihre Väter gesüudigt haben, als sie diesen großen Heiligen, Sidi Okba, bekämpften. Sidi Okba's Pferd wnrdemit ihm begraben. Ab-nl-Fcda, der berühmte arabische Historiker, nannt iu seinen Annalen (Näitio lieislcii 1^ 369) Sidi Okba als einen der Gefährten des Propheten. Er erzählt, daß dieser Heilige, sich bestrebte, die früher unter dem Khalifen Othmann bereits bekehrten, aber wieder abtrünnig gewordenen Verber mit den Waffen in der Hand abermals zn bekehren. Dabei fand er seinen Tod. Sein Ruhebett, in einer schönen Kubba gelegeu, ist reich mit Decken von Goldbrocat überdeckt. Jetzt kam wieder die Wüste uud zwar dießmal eine lange öde Strecke. Hier fehlte selbst jene stcppcnartige Vegetation, welche sonst in der Sahara so viel herrscht nnd mit der die Wüstenuomaden ihr Vieh füttern. Am Ende dieser kahlen Strecke begrüßte uns dcr schöne große Wald von Saada. Wir durchwaudelten sein dunkles Gehölz. Die Pinien und Tamarisken breiteten ilnc herrlichen 133 Aeste zu Baldachinen fiber unsern Häuptern ans. Aber leider hatte dieser Wald feine Stimme, iiein Ton eines noch so elenden Vögleins ließ sich in ihm vernehmen. In dentschen Wäldern webt nnd tönt es, da singt nnd schallt es: In afrikanischen Wäldern herrscht eine tiefe Stille — ein finsteres Grauen lagert sick über diese schwarzen Massen. Nachdem nur Vordsck Saada, ein kleines Dorf ans Lehm, hinter nns gelassen, langten wir Abends in einem Lager von Nomaden, bei den Veni Thins, an. Unsere Ankunft brachte offenbar eine Sensation hervor. Nnser Empfang war dem entsprechend geräuschvoll: Hunde bellten so zahlreich, so lant und so andauernd, daß man glanben mochte, sie hätten lange nicht zu bellen Gelegenheit gefnnden und wollten fich jetzt für das Versäumte entschädigen; Kamcelc schrieen; Esel sangen; Pferde wieherten; Francn stießen jene thicrartigcn Tone aus, welche die Araber das Iujuh ucnnen uud die etwas noch viel Schril-lendercs haben, als Sckakalsgebell; Kinder weinten; Hähne krähten, kurz es war eiu wahres Tohu vabohu und das Alles uus zu (5hren. Dieß war entschieden schmeichelhaft. Wir ließen uns im leeren Zelte der Gastfreundschaft nieder: Sidi Omar natürlich mit nns und bald waren wir von den Honoratioren des Stammes umringt. Man brachte uns Kaffee. Wir mnßteu rauchen nnd erzählen, viel erzählen, denn die Wüstcnaraber sind neugierig uud hallen nicht, wie die Araber des Tells, die Stumpfheit ihrer unberechenbaren Stupidität für das nil aämii-ari des Horaz. Ja! dicfe Leute schienen das uil aämirui-i, welches sonst alle Araber affectircn, gar nicht nöthig zu finden. Sie wunderten sich im Gegentheil 134 unverholcn über uns, uusrc europäischen Kleider, unsre Neise-utensilicn, vor Allem aber über unsre Matratzen. Meine Matratze war frcilick ein kostbares Möbel, aber schön konnte man sie nickt nennen, denn die arme batte viel Strapatzeu durchgemacht nnd sah etwas abgelebt ans. Dennoch erregte sie Bewunderung. <5iu, Araber fragte mich, ob ich denn ein Geheimniß daraus macbc, oder ob es mich sonst gcnircn würde, ihm zu sagen, was denn eigentlich der Zweck dieses Möbels sei. Ich gab mir Mühe, es zu erklären. Aber sie konnten sich nicht Denken, daß der Gcbrauck einer Matratze so einfach sei. Sie schienen offcubar zu glauben, es sei irgend ein Geheimniß damit verbunden, irgend ein luustvoller Mechanismus, vielleicht ein Schräubchen, woran man drehe und dann mit ihr durch die ^uft fliege oder eine maskirte Kauonendatteric, welche diese Tausendkünstler von Numihs iu so kleiuen Naum zusammengepreßt hatten. Bald wurde die Diffa (das Gastmahl) aufgetragen. Sie war in einer großen hölzernen Schüssel und mit ciucm Teppich bedeckt. Als dieser Teppich abgenommen wurde, sahen wir eine der schönsten Aufthürmnngen vou Kuß-kussuh, welche man sich denken konnte. Da fehlte nichts: Kuß-knssuh, Pfeffer, Sauermilch, Rosinen, Hammelfleisch uud nock hundert andere Ingredienzen waren in der Schüssel übereinander geschichtet oder nebeneinander aufgehäuft. <5s war eine Diffa, welche Wirth und Gast gleich ehrte. Wir nahmen um das Holzgefäß mit Sidi ^mar und drei Vornehmen des bewirthenden Stammes Plak, d. h. wir hockten nns auf dem Fußboden um dasselbe herum. Jeder detain einen hölzernen Löffel uud nun ging's an's Verzehren des Kuhkussub. Aber 135 wer dcntt sich meinen Schreck, als nach den zwei ersten Löffeln ich einen stechenden Schmerz im Mnnde fühle, als ob ich Vitriol odcr Schcidcwasser getrunken hätte. Mein ganzer Mund brannte, meine Lippen glühten, mein Ganmen stand im Feuer, meine Zunge schien abgebrüht oder gesotten zu sein, mcine Kehle war ein Vnlcan geworden. Ich sah meinen Reisegefährten an und bemerkte, daß dieser nnter dem Ginfluß des Höllcngcrichts cinc recht häßliche Grimasse machte, wie ich wahrscheinlich keine bessere schnitt. „Es kann nnr der Pfeffer fein," sagte ich zu ihm. „Essen wir weiter, sonst lassen uns diese Biedermänner uickts mehr übrig." Die Nebrigen hatten nämlich, nngcstört durch unser plötzliches Aufhören, weiter gegessen, und waren sehr schnell auch ohne uns mit dein Diffa fertig geworden. Aber uns lag daran, etwas Fleischkost zu uns zu nehmen und das Kußkussuh bot die einzige Gclegcuheit hiczu. So zwangen wir uns denn zu essen und merkwürdiger Weise nach ein Paar weiteren Löffeln verschwand das Brennen im Muudc oder vielmehr wir waren dagegen abgestumpft uud fühlten es nicht mehr. In der kürzesten Frist war die ganze große Schüssel mit Kußkussuh ausg eg essen. Die Araber sagten ihrElHamd-ul-Ilah (Lob sei Gott), ließen uns mit Sidi Omar und dessen Knechten Mein und derSchlummcrgott empfing uns bald in seinen Armen. Am nächsten Morgen reisten wir schon lange vor Sonnenaufgang ab. Es war noch ganz duukcl, selbst der Moud verschmähte zu scheinen, uud dabei war es grimmig kalt, und wir hatten die Kameclskrankheit: lauter Dinge, die keineswegs er- 136 freulich stimmten. Um 7 Uhr (es war Januar) erhob sich die Sonne mit einer Glorie, wie man sie nnr in der Wüste sehen lann. Da schwebte ihr goldner Fcuerball herein in den Wüstenhorizont nnd sah aus, als begrüßte er dieses Stück Grde mit ganz besonderer Liebe und als wollte er zu der Wüste sagen: „In dir bin ich zn Hause, o Wüste! Sonuc nnd Wüste sind für einander geschaffen. In jeder andern Gegend din ich nnr ein Fremdling!" So sprach der Feucrball, crhob sick langsam und sandte seine Strahlen über d.ie Wüstencbeue, aus der unzählige kleine Salzthcilchcn deinantfunkelnd ihr Glanzesmccr znrücksandtcn, wie sich das Licht der Sonne in ihren hellen Krystallen brach. Tiesc ganze Grde war mit Salztheilchen geschwängert. Nach einem zehnstündigen Nitt hoch zn Kamccl, nntcrbrochen von zwei Ruhestunden, die wir in unbewohnter öder Gegend abhalten mußten, erreichten wir gegen Sonnenuntergang (um 5 Uhr) den t'leiuen, ans Lehmhütten gebauten Ort Gl Baadsch, am U«d el Vaadsck gelegen. Auch hier wurden wir, wie bei den Veni Thius, höchst anständig bewirthet. Nebcrhaupt sind die Wnstenaraber bei weitem gastfreier, als die Araber des Tell. Ich aß zwar wenig von der Mahlzeit, denn die Kameclskrankhcit bringt beständige Ueblichkeit mit sich. Aber ich genoß die Nuhc nach dem Ritt nnd seiner Krankheit erregenden Bewegung wie ein ambrosisches Göttermahl. Durch Strapatzcn lernt man die einfachsten Bequemlichkeiten als himmlische Verleihnngen eines vorher uugeahnten Wollnstgennsses erkennen. Am dritten Tag ritten wir ebenfalls in der Dunkelheit zwei Stunden vor Tagesanbruch aus. Als die Soune anf- 137 ging, say ich vor mir einen nnermeßlicb scheinenden Spiegel, der in den ersten Strahlen dos Tagcsgestirns wie ein millionenfacher Diamant erglänzte. Ich konnte mir Anfangs gar nicht denken, was es sein möchte nnd fragte Sidi Omar: „Das ist die Scbkha," erwiderte er „unser großer Salz-see der Wüste. Im Sommer ist er beinahe trocken, glänzt aber fast ebenso wie jetzt. Sein Weihes Salz lenchtct von ferne un> dient dem Wanderer als Wegweiser in diesen monotonen b'benen, die an Orientirnngspunkte» so arm sind." „Uno gestattet," fragte ich weiter, ,,dic Anslrolfnung im Sommer, daß man die Scbkha passiren kann?" „Davor," erwiderte er, „muß man sich wohl hüten. Das Salz bildet eine Ernste über dem See. Das ist, was wir seine Austroctnung nennen. Unter dieser Rinde aber bleibt stets noch sumpfiges Wasser und man würde einbrechen nnd fast bodenlos versinken, wollte man sich anf diese Salzkruste wagen. Es giebt freilicb mehrere, Stellen, an welchen der See cineFnrtbildct nnd dort kann man ihn gefahrlos passiren: aber nicht in jetziger Jahreszeit." Dieser Salzsee heißt anf den Karten Scbkha Melrhir oder Schott Mclrhir. Sebkha oder Schott bedentet diese eigenthümliche Form von Salzsceen, deren man in ganz Algerien viele sieht, und von welchen die meisten nnr 4—5 Monate im Jahre Wasser haben nnd die übrige Zeit wie große Flächen von Steinsalz aussehen. Der Schott Mclrhir, welcher der größte dieser Salzsecen in ganz Algerien ist, besitzt eine Länge von 10 nnd an seiner weitesten Stelle eine Breite von etwa 4—5 deutschen Meilen. 138 Die Sebkha Melrhir trägt jedoch, was ihre Umgrenzungen betrifft, einen andern Charakter, als alle übrigen Seb-kha's und Schott's der Algeric. Hier fehlt selbst jene spärliche Vegetation, die Salsolacccn, Chenopodeen und Fran-kenien, welche die nördlichen Seen umrahmen. Eine völlige Vegetationslosigkeit herrscht nm die Scbkba Melrhir. Es ist als sei ein Flnck über diese Scbtha ausgesprochen. Sie entspricht mir eher dem Namen eines todten Meeres, als Has wirkliche „todte Meer" in Palästina, au dessen Ufer ich Schilf nnd Blümchen in Menge stehen sah. Nichts dagegen umwächst die Sebkha Melrirh. Uebrigcns kann man diese Sebkha kaum einen See nennen, welchen Namen die andern Sebkha's im Norden Algeriens wenigstens 4 Monate im Jahre verdienen. Der Melrhir ist eine große flache Versenkung des Bodens, in welcher Dreierlei mit einander abwechselt: 1) der Grund ist bald vollkommen trocken und sandig. An diesen Stellen kann man ihn natürlich betreten. Oft jedoch ist es uumöglich, zu diesen trockenen Stellen zu gelangen, da sie von Wasser umschlossen sind. 2) Die Sebkha bietet eine mehr oder weniger dicke Salzkruste. Diese Salzkruste hüte man sich zu betreten. Sie ist ein übertüuchtcs Grab. Denn unter ihr lauert ein ewiger Sumpf. 3) Der Melrhir bildet Wasscrflächeu, die wie eben so viele kleiuc Secu in diesem Meer vou Salz und Sand aussehen. Diese Sccn trocknen jedoch im Sommer ein. Dann gleicht ihre 139 Physiognomie der eben beschriebenen, einen Morast bedeckenden Salzkruste. Wir waren vielleicht eine Stnndc lang längs der Sebkha geritten, als sich plötzlich ein herrliches Schanfpicl unsern Blicken darbot. Ich gewahrte eine schöne Stadt am Scees-ufcr liegend, von einem Wald von Citronen- nnd Orangenbäumen, wie es schien, nmgebcn. Thürme ragten in die höhe, Moscheen ließen ihre Kuppeln im Sonncngoldc erglänzen nnd ein Häuscrmeer erhob sich über dem demantschillcrndcn Ufer. „Ich wußte nicht," sprach ich zu Sidi Omar, „daß Eure Wüste so schöne Städte habe? Und gar an der unfruchtbaren Sebkha erwartete ich keine." Sidi Omar antwortete nnr durch ein bedeutungsvolles Lächeln. Ich schloß daraus, daß ich nach seinen Begriffen etwas sehr Dummes gesagt haben mochte. Als jedoch nun mein Reisegefährte in seinem, dem in Paris gelernten Arabisch, welches Sidi Omar seltsamerweise einigermaßen verstand, ungefähr dieselbe Frage that, wie ich, da fing der gutmüthige Mann vollends zn lachen an. Sidi Omar belehrte nns nnn über den wahren Charakter von dem, was wir zn sehen glanbtcn. Wir hatten die in der Wüste so häufige Mirage oder Fata Morgana für Wirklichkeit gehalten! Doch fast allen Anfängern, im Wüstenreisen soll dieses passircn. Wir sollten die Scbkha Mclrhir den ganzen Tag zu unsrer Linken behalten. Abends wählten wir unser Nachtquartier uuweit dem Ufer des Schott bei dem Stamme der Nsigha. Unsre Uebligkeit hatte sich etwas gelegt nnd wir thaten den, gastlichen Kußkusfuh heute alle Ebrc an. 140 Am 4. Tage seit nnsrcr Abreise von Biskarah ritten wir die ersten 3 Stuuden immer noch dem Schott 3)tclrhir cnt-lang. Dann drehten wir dieser funkelnden Salzinasse dcn Rücken und hatten unn wieder die monotone abwechslungs-losc Wiiste vor uns. Jedoch nicht lauge verding, so kamen wir in das Thal des U«d Rhir, eines Wüstcnflusses, der jetzt, da es Winter und Regeuzcit war, Wasser hatte, der aoer im Sommer völlig trocken sein soll. Dieser U«d sollte uns von hier an bis nach Tuggurt begleiten. In seinem ,>Inßthal lagen eine Menge von Oasen, welcbe zusanunen die »lach dem Flusse benannte topographische sowohl wie poliliscke Einheit der Stämme von U<>d Rhir dildetcn. Tnggnrt war die Hauptstadt des Districtcs des U«d Nhir. Wir waren also jetzt schon in dem ^aude angekommen, dessen Hauptstadt das Ziel unserer Reise bildete. Dieß kam uns bereits fast wie die Erreichuug unsres Endziels vor, obgleich zwischen ihm und uns jetzt noch 2.^ Tagereisen lagen. Um Mittag erreichten wir Sidi Khalil, ein Dorf aus Lehmhütten gebaut, von Stämmeu des Nhir bewohnt. Jetzt waren wir schon aus dem District der zcltbcwohncnden Nomaden herausgekommen und sollten von uun au bis Tuggurt lautcrDörfer, aus ungebrannten Lchmziegeln errichtet, finden. Spät, sehr spät am Aheud gelangten wir nach der Oase Tinedla, ebenfalls am U«d Rhir gelegen. Wir hatten heute unsre größte Tour hoch zu Kamccl zurückgelegt uud waren wohl 14 Stunden unterwegs geblieben, nnd da der Tag in jetziger Jahreszeit wenig mehr als 10 Stunden dauerte, so hatten wir vier in der Dunkelheit zugebracht. Aber diese Strapabc 141 empfanden wir vcrhältnißmäßig wenig, so erleichtert fühlten wir nns dadnrcb, daß wir nun endlich die entsetzliche Kameels-trankheit überwunden hatten. Dieses Nebel war, wie mail sieht, nickt so bartnäckig, wie seine Schwesterkrautbeit, das Mcerleideu, es bei manchen Menschen ist, zn deren freilich nicht sehr großen Zahl ich anch gehöre. In Tincdla wartete nnser im Hanse des Scheichs ein glänzender Empfang, denn Sidi Omar wurde von diesem Würdenträger als College tractirt. War er doch anch ein Schcikh des Nhir. Im Gastzimmer, wo man nns zncrst einführte, war der Boden nut Teppichcn belegt, ein fast unerhörter Lnxus bei diesen beuten, denen eine Strohmatte schon als etwas Snmptuöses erscbcint. Wir legten nnsere Schuhe ab, theils aus Respect für einen so vornehmen Gastgeber, welcher sogar Teppiche besaß, tdeils aus Achtung und Schonung für die Teppiche scldst, und tauerteil unc> in der beliebten Araberstellnng, halb liegend, halb sitzend, halb knicend, auf den Boden hin. Der Scheikh von !1ne?la, nnscr Wirth, war ein »loch junger Maun, niit einenl fetten Gesicht, kleinen triefenden Schweinoaugeu, einem schönen runden Sckmeroanch, einem großen Mnnde mit sehr vielen Zälmen darin (er hatte gewiß niebr alel 32), die perlenartig glänzten nnd welche er affenartig zu ftetscken liebte. Bart besaß er nicht. Dieß sowohl, wie seine feine belle Stimme nnd seine kleinen fetten Weiberbciuchen machte, daß man versucht war, ihn für einen Geschlechtsgeuossen der Haremswächter zn halten. Dennoch theilte er nicht die Eigenschaften eines solchen. Denn wir sahen im Hofe seine Sprößlinge umhcrwaudcln, genan das 142 Ebenbild ihres Erzeugers: dieselben fetten Beiuchen, der-.selbeBauch, dicsclbcuBausbackeu und dieselben Schwcinsaugcn. Dieser feiste Würdenträger nahin neben uns Platz nnd zeigte sich von ei>ler ganz besondern Amöuität (fette Leute habe ich oft liebenswürdig gefunden). Nach den heitren Wonnen der Conversation kam die Diffa nnd zwar war sie zu Ehren Sidi Omars dergestalt gepfeffert, daß wir glaubten, wir würden nichts davon zu genießeil im Stande sein. Dennoch (so elastisch ist der menschliche Gaumen nnd Magen) gelang es uns auch dicßmal, diese infernalische Kost zu uus zu nehmen. Abends wnrde uns gestattet, unsere Matraken auf den Teppicheil auszubreiten, was wir auch thaten und eine recht anständige Nachtruhe realisirtcn. Denn wenn man bei Arabern 5 Stunden Schlafes zu Wege bringt, fo ist das schon ein sehr eisrculiches Nesultat. Mehr gestattcu das späte Essen, das späte zu Bette Gehen und dabei doch frühe Anf-stchcn, sowie der beständige Lärm, den die Araber die Nacht hindnrch entweder schnarchend oder schwatzend inachen, tcinem Uciscuden. Am füuftcn Tage unserer Abreise von Vislarah waren wir schon um 4 Uhr auf zt'ameclesrücken in Vewegung. Nach drei Stnnden uuscres Rittes brach der Tag erst an. Wir sahen uns jetzt in der Nähe eines kleinen See's, welchen der U«d Nhir hier bildet nnd dem wir zwei Stunden entlang reisten. Die Ufer dieses erweiterten Flnsses waren zwar weit entfernt davon, die schöne Vegetation zn bieten, welche ein Seecsgcstade in Europa anfzuwcisen hat. Aber der Erde fehlte hier doch nicht, wic bci der Scbkha Mclrhir, jegliche Pflan- 143 zendeckc. Binsen und Schilfpflanzcn waren allerdings nicht vorhanden. Statt dessen bedeckte ein Meer von Salsolaeccn die Ränder des See's. Einige Schritte von ihnen bildete schon die ßaliouriiiä trutioos» dunkelgrüne, freilich blattlose Gebüsche. Ihre änßcren Aeste waren von einer schimmern-den, weißen Salzkruste überzogen, welche gegen den dunklen Farbenton der inneren Zweige des Gebüsches nnd die schwarzen Tinten des Stammes einen seltsamen Gegensatz ausmachten. Hie und da aus der im Ganzen einförmig mattgrün gefärbten Salzvcgctation ragte eine Frantenia hervor, welche anf polsterähnlichen Büschen ihre rosenrothcn Blüthen entfaltete. Je monotoner im Ganzen diese Vegetation gewesen war, desto freundlicher erschien uns die Oase Tamcrna, welche wir gegen Mittag erreichten. Nieder hüllten uns die stolzen Palmen in ihre Schatten ein, welcbcn mau keinen dnnklen Schatten neuuen kann, denn diese feinen, federartigen Zweige lassen die Sonnenstrahlen sehr gut durch. Das war jedoch kein Ncbelstand, denn in dieser Jahreszeit war die Soune sehr erwüuscht. Es war des Morgens um 4 Uhr grimmig kalt gcweseu nnd wir waren ganz durchgefroren. Desto wohlthuender kam nus natürlich der Sonnenschein vor. Tamcrua lag in einiger Entfernung vom Flnsse selbst. Es war ein lleincr unbedeutender Ort, aus Lehmhütten be-steheud. Sidi Omar wurde daselbst vou dcu Honoratioren aufs Ehrendste empfangen. Wir nahmen in tamcrna den artesischen Brunnen in Augenschein, den diese Localität den Rathschlägen eines französischen Ingenieurs verdankte. Die- 144 fer Vrnnnen gab die bedeutende Wasscnncnge von etwa 3000 Maaß in einer Minnte. Me Orte des U«d Nhir haben übrigens ibre artesischen Brunnen nnd zwar war das Bohren derselben cine Erfindnng der Eingeborenen gewesen. Sie hatten ihre Ntaa's oder Vrnnnenbohrer: Männer, welche die Stellen, wo man Wasser erwarten tonnte, ausfindig zn inachen wnßten und die Grabung der Brunnen leiteten. War man so weit gekommen, daß, wie man annahm, nnr eine dünne Steinschicht das Wasser von dem Boden trennte, so-stieg der Ntaa selbst hinab und arbeitete au del'Durchbohrung dieser Steinschicht. Da die Ntaa's jedoch immer sehr große Löcher bohrten, so war die Folge davon, daß auf einmal eine ungeheure Wassermenge hervorsprudelte. Deßhalb mußte der Rtaa die Vorficht gebrauchen, siä' ein Seil um den Leib binden zu lassen, mit welchem man ihn nach dem Hervordringen des Wassers schnell emporziehcn konnte, um so sein Ertrinken zu verhindern. Denn augenblicklich bildete sich eine große und tiefe ^ache des Wassers, welche allmählig zu eiuem kleinen See auwuchs. In neuester Zeit habeu jedoch die Ntaa's von französischen Ingenieuren die europäische Art des Bohrens artesischer Brunnen erlernt. Ein Resultat da-von war der in Tamerna, welcher seit 1856 eristirte. Am Abend des fünften Tages langten wir in einem Dorfe, Namens Sidi Nafchid, an, wo wir im Hanse dcs Schcikh's, eines gutmüthigen, uralten Greises, mit einem Kußtnssnh, in dem sehr viel Honig war, gespeist wurden und übernachteten. In Sidi Naschid sahen wir einen andern artesischen Vrnnncn, welcher noch mehr Wasser als der von Ta- 145 merna gab. Ich erfuhr hicr weitere Details über die Grabung der artesischen Brunnen bei den Bewohnern des Uüd Nhir. Der ncne Brunnen in Zidi Rafchid war freilich schon nach europäischer Art gebohrt. Ader die Oasenbewohner können nicht immer warten, bis man ihnen die kostspieligen Instrumente zu diesem europäischen Verfahren schickt. Sie unternehmen es deßhalb noch öfters, Brunnen auf ihre alte Weise zu graben. Eine solche Grabung wurde eben in der Nähe von Sidi Naschid — etwa eine Viertelmeile davon entfernt — bewerkstelligt. Hiebei war das Verfahren folgendes: Man grub erst einen viereckigen Brunnenkesscl von einigen Schuh Tiefe. Die inneren Wänhe desselben wurden mit Rahmen aus Palmholz gestützt. Dann wurden zwei Palm-stamme über das Loch gelegt und eine Rolle, an der ein Strick hing, an denselben befestigt. Am Ende des Strickes hing ein Korb, Welcher dazu, bestimmt war, die Erde, die man beim Weitergraben im Brunnenkesscl gewann, aufzunehmen. Diese Erde wurde nach oben gefördert und entfernt; dann wurde im Kessel immer weiter gegraben und das ansgegrabcne Loch immer wieder mit Palmholz eingerahmt. Bei dein Brunnen, welchen ich unweit Sidi Naschid sah, war man bereits sechzig Fuß tief getommcn und noch immer hatte sich kein Wasser gezeigt. Die Stein- oder Erdschichten, welche man bis jetzt angetroffen hatte, waren zuerst erdiger Gyps, dann rother Mergel, daun gelber Thon gewesen, daranf war man auf rothen wässerigen Sand und endlich auf grünlich-weißen Thon gestoßen. Dieser letztere zeigt größere Schwierigt'eitcu für die Durchgrabung. Das steinige Terrain, in welckcm mau Drei Jahre im Noidwchc» von Ainla. IN, 1l> 14« solche Brunnen anlegt, bietet jedoch vor dem erdigen einen Vortheil. Es verspricht nämlich dem Vruuen, wenn er einmal gegraben ist, größere Dauer. Freilich währt sein Graben auch desto länger. Die größere Dauer der Brunnen in steinigem Terrain ruht daher, weil man bei ihnen die Wände des BrunnenkcssclZ nicht mit Holz einzurahmen braucht. Denn das Holz fault gewöhnlich bald und seine Fäulniß hat das Nachgeben der erdigen Wände, das Einstürzen des Brun-neukcsscls uud das Verdecken des Brunnens zur Folge. Im steinigen Terrain bildet jedoch das felsige Erdreich selbst schon cinen vortrefflichen und höchst dauerhaften Nahmen. Durch das Faulen der Holzrahiucn und Nachgeben des erdigen Terrains sind fchon ganze Oasen des U«d Nhir, welche früher blühcud waren, wasserarm und unfruchtbar geworden. Das Wasser des U«d Rhir, des Flusses selbst, ist nicht zu gebrau-chcu, da es Kalk enthält uud salzig schmeckt. Bis hichcr war uns das Wetter höchst günstig gewesen. Wir hatten keinen Augeublick Negeu gehabt und der war doch in dieser Jahreszeit sehr zu befürchten. Zwar besitzt die Algerie, sowohl Tell, wie Wüste, keine eigentliche Regenzeit, wie die Länder zwischen den Tropen; aber in den drei Winter-mouatcn kann man sich täglich auf Rcgeu gefaßt haltcu und, W ann er einmal anfängt, dann darf man nicht so bald anf fein Aufhören rechnen. Als wir am sechsten Nciscmorgen unsere Häupter zum Feustcr hinansstrccktcn, da — schüttete es in dichten Güssen vom Himmel herab. Der Ncgcn hatte seit zwei Stunden angefangen und wann er etwa aufhören könne, darüber 14? hatte Niemand eine Idee. Wir waren übrigens die Einzigen, welche sein Aufhören wünschten. Der Regen gilt bei den Wüstcnstäimnen als eine solche Wohlthat, daß sie sich, je mehr, je lieber, davon wünschen. Selbst Sidi Omar, obgleich er nnn eine recht nasse Reise vor sich hatte, freute sich über die wohlthätige Naturerscheinung. An ein etwaiges Abwarten, daß es sich lichten möge, war nicht zn denken. Wir hätten wenigstens acht Tage warten müssen. Nnch war Sidi Omar viel zu ungeduldig, bald naä, Hause zu kommen, um länger zu verziehen. Wir hatten, im Grunde genommen, doch nnr noch eine Tagereise zurückznlegen und konnten ja in Tuggurt die Wiederkehr schöneren Wetters zu nnserer Rückkehr abwarten. Wir machten uus also troh des schlechten Wetters auf den Weg. Freilich wareu uns die Regengüsse unangenehm. Denn welcher Europäer wäre gewohnt, sich ruhig und wehrlos ciuen ganzen Tag auvegneu zn lassen? Regen bringt Ungc-dnld. Denn der, welcher sich darin befindet, strebt natürlich so schnell als möglich hcransznkommen. So wollten anch wir schneller vorwärts streben, um. wenigstens nm etwas die Stundeilzahl abzukürzen, die wir in dieser Nässe zuzubringen hatten. Aber wieder war das Kamcel unerbittlich. Dieses Ungethüm genoß nämlich den Regen sichtlich; es hatte keine Ungeduld, aus demselben herauszukommen. So waren auch wir gezwungen, geduldig zu sei». Wir behängten uns mit dicken arabischen Bernusscn, die wir in Biskarah gekauft hatten und fanden sie wirklich, wenn auch nicht wasserdicht, doch wenigstens anfangs einen sehr wesentlichen Schnh gewährend. 10* 148 Der ganze Tag verging tranrig. Immer derselbe Negen, immer dieselbe grane Ncbellnft; Wüste im Himmel, Wüste auf Erden, das waren unsere Umgebungen. In der palmenrcichen Oase Nhamra »lachten wir einen kurzen Halt. Da wir jedoch außer Slande waren, uns in diesem natürlich t'amüüoseu Orte zn trocknen nnd da die Nässe unserer Kleider sonderbarerweise im Hause noch unan-genehmer ans nnserc Hant zu wirken schien, als draußen im Regen, und auch Sidi Omar baldige Abreise wünschte, so brachen wir schnell wieder anf und erreichten nach weiterem sechsstündigen Nitt noch vor Souncnnntcrgang Tuggurt. Fünftes Capitel. Tuggurt. Nttt durch die Straßen von Tuggurt. — Der „luxe laduleux", — Nässe und Koth. — Lehmgebäude. — Die Moschee. — Minaret. — Palast der Dschellab's. — Die vermeintlichen „pierre» äe tuille". — General Daumaö' Lügeubenchte. — Ankunft beim Dschellab. — Ein Kochpalast. — Der Scheilh von Tuggnrt, — Ungesundheit von Tuggurt. — Das „unterirdische Meer". — Sage über Entstehung der Sahara. Tuggnrt hatten wir also endlich erreicht. Tuggurt, die langersehnte tanmgetränmte Stadt, dieheiligeStadt derNüste, die Stadt der berühmten Dynastie der Dschcllab, welche von hier aus, aus ihrem Palaste von Lehm, ihr Scepter von Vinsenrohr schon seit Iahrhnndcrtcn über die Stämme des Nhir schwangen. 149 Jetzt sollte ich alle jene berrlichen Dinge scbcn, welche mir meine Reisehandbücher über Tuggurt mitgetheilt hatten. Was hatten sie nicht Alles mir versprochen! Namentlich der wundervolle Palast der Dschellab's, den General Danmas in seinem „Zakarci, al^i-ien" so herrlich beschreibt und von dem der „luäioateur äo l^i^rie" von V«rard sagt: „nn luxe la,dul6ux i-ö^ns äau8 ce palais!" (ein fabelhafter Lurus herrscht in diesem Palaste). Tiefen „luxe taduleux" sollte ich also jetzt scheu. Den Lurus, welchen man orientalisch nennt, hatte ich bisher im Orient überall nmsonst gesucht. Ich hatte in Constautinopcl den Großsnttan aus einer gemeinen Tasse seinen Kaffee trinken sehen, wie man sie in französischen Oat^'8 okauwuts findet! Ich hatte den Vicekönig von Egyptcn einen Pariser Paletot tragen sehen! Da war kein orientalischer Lurus gewesen! Aber hier, im Palaste der Dschellab's, hier soNtc ick endlich befriedigt werden! Der „orientalische Lnrus", den man im Orient nicht mehr findet, der sollte sich Hieher geflüchtet haben, wo er, wie die einsame Lotosblume, den Augen der Welt entrückt, von der Dynastie der Dscbellab'Z gepflegt wurde. Wer beschreibt meine unsägliche Freude, als, anf meine an Sidi Omar gerichtete Frage, wo er nns in Tuggurt absetzen würde, mir der Bescheid ward: „Im Palast der Dschellab's." Dort also sollte ich wohnen! Inmitten dcs „luxs ladn-lßux" sollte ich mein Quartier auffchlagcn! Wonne nnd Genuß ohne Gleichen! Von Regen triefend, traten wir in das Thor der Stadt 130 Tuggurt ein. Von Negen triefend, durchritten wir ihre Straßen. Die Stadt hatte freilich nichts von dem versprochenen Lurns. Sie war ans Lehm gebaut, ans Lehm, wie El Kantrah, wie Sidi Okba, wie alle andern Wüstenotte, mit einziger Ausnahme des eleganten Biskarah, welche» dcreits Backsteine besaß. Also bis anf Battstcine erslrcclte sich der Lurus nicht. Freilich waren Vackstcine tein o r ient a lischer Lurus. Das Häßliche dieser Lehmbauten ist übrigens, daß sie nacb einigen Jahren ihres Bestehens immer das Aussehen bekommen, als wären sie „aus dem Leim" gegangen. Hier ist eine Mauer vanchartig angeschwollen und steht in die Straße hinans; dort ist eine andere zusammengeschrumpft und concav geworden, wie eingefallene bangen. Ein Hans, welches nrsprünglich grade war, hat jebt drei verschiedene Niveaus bekommen, indem ein Theil sich senkte, ein anderer Theil unbegreiflicherweise höher als ursprünglich zn stehen kam nnd der dritte sein erstes Nivean beibehielt. Architektonische Verzierungen an Hänsern von Lehm anznbringen, wäre die unnützeste, nndanldarstc Mühe, welche man sich machen könnte; denn bald würde der Einfluß der verschiedenen Temperatnren auf den Lehm ans tünstlerischen Formen Eari-caturen hergestellt haben. Dennoch sah ich einen schwachen Versuch von architektonischen Verzierungen an der aus Lehm gebanten Moschee. Es war eine Neihc winzig kleiner Halbnischen, welche eine Umtränznng nm die Moschecmaucr darstellten. Aber alle diese Haldnischen hatten ihr ursprüngliches Niveau verloren nnd standen nebeneinander, wie die Buchstaben eines Schulknaben, der noch nicht grade zn schrei- 131 beu gelernt hat. Am Minaret waren i>n Lehul ebenfalls Verzierungen angebracht U'ordcn. Diese hatten ganz die Form wie unzählige aneinandergereihte Waffcltnchcn. Man hatte, so schien es, der Außenseite des Minarets, als sie noch im nassen Lchmzustaude war, das Waffelmodell einige hnndert Male aufgedrückt. Jetzt, da es regnete oder vielmehr goß, sah all dieser ^ehm, aus welchem Häuser uud Moschee erbaut waren, wie Gasscnkoth ans, den inan aufgeschichtet hätte. Der Koth in den Straßen derHanvtstadt der Dschellab's war ebenfalls von höchst anständigen Proportionen. Koth unter nns, Koth zur Rechten, Koth znr Linken, Koth an Privatwohuuugen nud an Tempclil und über uu^ der kothbcreitende Stegen, das war Alles, was wir erblickten, je läuger wir durch die Straßen von Tnggnrt ritten. Aber es danertc glücklicherweise uicht lange. Tuggnrt war leine große Stadt uud bald hatten wir sie durchritten. Jetzt langten wir an dein Thor der Kaßbah (Citadelle) an, welche eine tlcine Stadt aus Koth, mitten in der größeren Stadt ans Koth, bildete. Die «aßbah hatte ihre eignen Thore, wie eine eigne Stadt. In ihr suchte ich umsonst die „six oc-iit,8 iuai8«n8", welche nach Vurard innerhalb ihrer Ringmauern liegen sollten. Ich konnte nnr etliche hnn-dcrt ^chmhäuser und vielleicht noch hundert Lehmrnincn erblicken. Plötzlich hielten wir mitten im Stadttheil der Kaßbah vor einem großen Gebäude aus Lehm, welches aussah wie eine Karavanserai und noch ein wenig schlechter. Wir ritten 1S2 in den Hof dieses Gebäudes und Sidi Omar sagte zu uns, währenddem er sich abzusteigen anschickte: „Hier sind wir!" „Hicr sind wir?!" rief ich hocherstaunt. „W o sind Wir? Sie werden doch nicht behaupten wollen, daß dies Kothgcbäude der Palast der Dschcllab's sei?" „Allerdings ist es der Palast der Dschcllab's und ein sehr schöner Palast, dessengleichcn Sie im ganzen Ued nicht mehr finden," erwiderte Sidi Omar. „Es kaun nicht sein," fiel hier plötzlich mein Reisegefährte ein. „Da steht es in General Daumas' „Zakara »Iß«risii", daß der Palast der Dschellab's aus „pieries äs Wille" (Bausteinen) errichtet sei und wo sehen Sie hier Bausteine?" Allerdings, wir t'ouuten unsere Gcsichtswcrtzeuge uoch so sehr anstrengen, wir vcrnwchteu dennoch keine Spur von „xieiiss äs taiiis" zu erblicken. Weit und breit war nichts als Koth zu sehen; Koth oben, Koth nuten, Koth überall und wir selbst koth- uud rcgcntricfend in Mitte dieses Chaos von Koth. „Sidi Omar will uns anführen," sagte mein Reisegefährte zu mir. „Er briugt uus zu irgeud eiuem Unterchef und nicht zu dem Dschellab selbst." „Sidi Omar!" riefeu wir nun beide im Chorus zu dem überraschten Manne, „das ist nicht schön von Dir! Bis jetzt hast Du Dich als treuer Frcuud bewiesen und nuu am Ende willst Du uns verhöhnen, indem Du uns in diese Koth-Hütte führst und sie uns als Palast der Dschellab's vorstellst/ 133 „O Rumih's!" erwiderte, etwas außer Fassung gebracht, Sidi Omar, „glaubt nicht Alles, was in Enrcn dummen Büchern steht. Was weiß denn der General, der das Vuch geschrieben, hat, über Tuggurt? Ist er etwa je dagewesen?" „Dagewesen ist er freilich nicht," cntgcgncte mciuReise: gefährte; „aber hier sagt er selbst in der Vorrede, daß cr Alles von glaubwürdigen Arabern gehört habe." „Diese „„glaubwürdigen Araber"" haben ihn angeführt," versetzte Sidi Omar. „Im ganzen Md Rhir ist seit Meuschcngcdcnken kein Baustein erblickt worden." EZ half uus uichts. Wir mußtcu uus jetzt dareinfinden, den Glauben an die Unfehlbarkeit von General Dau-mas' „Zakara alFerisu" aufzugeben. Wir waren genöthigt, in diesem Lchmgebäude, welches vor uns stand, den wirtlichen Palast der Dschcllab's anzucrkeuneu. Dieser General, der von den Franzosen als Autorität angesehen wird, hatte also nicht die Wahrheit gesagt. Dieß gab mir einen Maßstab für die Wahrhaftigkeit dessen, was cr von den Städten des tieferen Innern, z. V. Uargla, sagt. Doch war der General eher betrogen, als Betrüger. Die Araber, seine Berichterstatter, hatten sich ganz einfach über ihn lustig gemacht. Wahrscheinlich wollten sie den Beweis'liefern, daß auch sie zu blaguiren verstchcu, und daß Vlagniren nicht ein Privilegium der Franzosen im Allgemeinen und des großcu GcueralZ im Besonderen sei. Aber im Innern des Palastes konnte immer noch jener ,,wxo kaduiLux", von dem B^rard spricht, cristircn. Giebt es 134 doch Erzählnngcn von Räuberhöhlen, in deren Tiefe sich ein Fecnpalast befand! Wir stiegen, von Ncgen triefend, ab. Sidi Omar führte nns in den Palast ein, znerst in einen großen, aber schmucklosen Saal des Erdgeschosses, wo etliche zwölf Männer anf dem Fußboden saßen. Einer davon war der Kaid. Freilich war dieser Kaid nicht mehr der wahre Dschellab. Dieses alte Herrschergeschlecht war zn Anfang der fnnfziger Jahre dieses Jahrhunderts vom Throne verdrängt worden. Der letzte unabhängige Scheikh von Tuggurt, der den Thron der DschcUab's usurpirt hatte, hieß Sidi Mohamed Ven Solman. Er hatte sich mit dem Scheriff von Naregla verbnnden, mit ihm gegen die Franzosen gekämpft nnd war ader am 29. November 1854 bei der Oase, Meggarin geschlagen worden. Dock auch der jetzige, von den Franzosen eingesetzte Kaid macht Ansprücke daranf, ein Dschellab zu sein. Er nennt sich selbst so. Es war dieß ein Manu von etlichen vierzig Jahren mit vollem schwarzen Bart,' braunem Gesicht und kleinen funkelnden Augen. Er sah im Ganzen würdig aus. Er uud drei oder vier der ihm Zuuächstsitzendcn waren mit ziemlich reinlichen weißen Bernnssen behängen; die Andern dra-pirten sich malerisch in jene Livree des Orients, die Lumpen. Wir waren dergestalt durchnäßt, daß kein trockener Fleck an nnserem ganzen Körper blieb. Unser Gepäck war ebenfalls durch nnd durch naß geworden, so daß wir nicht einmal Kleider wechseln tonnten. Wären wir in Europa gewesen, so würden wir uns ohne Zweifel bei unserer Ankunft gleich in's Bett gelegt haben, um wenigstens dort etwas Trockenheit 135 zu finden. Aber hier war nicht an Veiten, ja nicht einmal an ein abgesondertes Zimmer für uns zu dcukcn. Trocknen hätten wir unsere Kleider ebenfalls nicht können, da im ganzen Hause lein ^euer war. Erst spät des Abends wurde gekocht und dann dnrftc Niemand außer Fraueu dcm Heerdc nahen, denn das Kochen geschah im Harem, Wir mußten also die Nässe auf uns leiden und in diesem unbequemen Znstaude mit dem >taid und den Honoratioren der Ztadt Eonversalion machen. Tiese guten .V^nte tonnten durchaus nicht begreifen, was denn eigentlich uus naä, Tllggnrt gefübrt habe. Wir gestanden iynen ein, daft e» der ,,wxo taduic-ux" des Palastes der Dschellad sei, den lvir vor Neugicrde glühte», in Augenschein zu nehmen. Der >Kaid lächelte bcdcntuugsvoll, als er diese Worte vernahm und sagte: „Morgen, wein, ,^br ansgernht haben werdet, dann will ich Ench die Hanptmerttvnrdigkcit meines Palastes zeigen.^ Also Alles, was Börard über den „Inxs kabuiLux" sagte, war doch vielleicht nicht eine ^üge, der Kaid selbst sprach ja von einer „Hauptmertwürdigteit"! Diese frohe Hoffnung hielt nns den ganzen Abend aufrecht und verhinderte, das; wir allznsedr an das l'öchst llueoinfortable, ja Unhygienischc »lnseres Zustaudes dachten. Wir behielten den ganzen Abend uuserc nassen Kleider an. Erst gegen 11 Uhr erschien die Disfa (das Gastmahls nnd es war Zeit. Wir waren völlig ausgehungert. Turch diese innerliche Stärkung etwas erwärmt, faßten wir den nöthigen Mnth, uusern nasfcn Zustand auch ferner zu ertragen. Bald daranf wurde es uns vergönnt, unsere Matratzen in dem Empfangssaale aufzu- IS« schlagen, in welchem außcr nns nnd Sidi Omar noch die Knechte des Schcikhs schliefen. Denn so weit erstreckte sich der „luxe wduisux" im Palast derDschcllab's nicht, nns mit einem eigenen Schlafzimmer zu versehen. Unsere Matratzen waren ebenso naß wie wir selbst; aber da half nichts, wir hätten in der ganzen Sahara keine andern gcfnndcn. Wie all' diese durchnäßten Kleider nm und an nns, das dnrämäßte Vctt nnd nnscre eigene gründlicbe Turämässung nicht unsere Erkrantnng oder wenigstens das Verfaulen unserer Effecten zur Folge hatte, das ist mir noch heute ein Räthsel. Wir schliefen trotz unserer Durchnässuug ein nnd hatten am andern Morgen die Genugthuung, halbgetrocknet aufzustehen. Am Morgen regnete es noch immer. Ueberhanpt hörte es während der vollen acht Tage, welche wir in Tuggurt zubrachten, keinen Augeublick auf zu regnen. Tnggurt ist von einem Sumpfe, welchen dieTuggurtauer komischer Weise El Bhar (das Meer) nennen, rings umgeben; jetzt bei dem Regen sah es aber aus, als sei der ganze Ort selbst in eiucn Sumpf verwandelt. Das Klima Tuggurts ist höchst ungcsnnd. Fast in allen Monaten herrschen Fieber. Nur mitten im Winter, nnd wir waren grade in dieser glücklichen Jahreszeit, sollen die Fieber eine kurze Pause gewähren. Diese Ungcsuudheit theilt Tuggurt mit allen Oasen der Sahara, während die Sahara im engeren Sinne, das heißt, der oasenlose Raum, sich durchweg des gesundesten Klima's erfreut. Die Fieber rühren von einem Umstände her, welcher in anderem Sinne zugleich die größte Wohlthat des Landes 'bildet. Es ist dieß das Regime der artesischen 157 Brunnen. Diese Brunnen geben stets mehr Wasser, als nöthig ist, und das überfließende Nasser bildet Lachen und Sümpfe, welche die, gefährlichsten Miasmen erzeugen. Wer sich hier vom Fieber heilen will, der schlägt sein Zelt auf eine Zeitlang im Wüstcnraum auf. Aehnliches habe ich in Egyp-tcn gesehen, wo man in die Wüste geht, um sich von den Au-gentrant'heiten zu heilen, welche die Miasmen des Nilschlammes crzcngteu. Die Wüste ist überall gesund. Die Oase ist ein übcrtünchtes Grab, mit ihren Palmenwäldern paradiesisch lachend uud birgt doch den Tod in ihrem Schooße. Es ist erstaunlich, welche Masse von Wasser in diesem Theile der Sahara unter dem Boden lauert. Fast überall, wo man ciu einigermaßen tiefes Loch bohrt, erhält man gleich solche Wasscrmeugcn, wie sie in Europa füuf artesische Brunnen zusammcngeuommen oft uicht bieten. Die Wüstenstämme haben über dieses Phänomen ihre eigenen Ideen. Sie besitzen eine Theorie von einem unterirdischen Meere, welches sich unter dem Sande der ganzen Sahara hinstrecke. An die Entstehung dieses uuterirdischeu Meeres knüpfen sich bei ihucn eine Menge von Fabeln und Legenden. Eine dieser Legenden wurde mir vom Kaid von Tuggurt selbst erzählt. Ich will sie hier wicderholeu, bedaurc jedoch, uicht die Erzählungsgabe dieses großen Manucs zu haben: „Da, wo jetzt sich die große Sandflächc der Sahara mit ihren zahlreichen inselartigen Oasen ausdehnt/' so sprach der Kaid, „da lag vor vielen hundert Jahren ein großes Meer, ebenfalls mit Inseln reich gesegnet. Diese Inseln waren alle von außerordentlicher Fruchtbarkeit. Ihre Be- 138 wohner dienten dein wahren Gott und seinem Propheten Mo-hamcd und dieser segnete sie mit Wohlstand und Reichthum, so daß es ans Erden kein glücklicheres Volk, als die Bewohner dieser Inseln, gab. Die Herrschaft über diese Eilande gehörte nicht einem einzigen Könige an. Im Anfang hatte jede der vielen Inseln ihren eigenen Sultan gehabt; aber im Laufe der Zeiten gestaltete es sich so, daß drei Sultane sich die sämmtlichen Inselreiche theilten. Diese drei Sultane waren: der Snltan des U«d Rhir, der Sultan des Utid Suf und der Sultan des Zab." „Zwei dieser Snltanc waren junge Männer; der dritte, der von Zab, war jedoch ein ehrwürdiger Greis, welcher zwar keine Söhne, aber statt deren eine, Tochter von wunderbarer Schönheit besaß. Die jungcu Fürsten hatten beide die Königstochter von Zab zu erblicken Gelegenheit gehabt, und von dem Augenblick an waren sie beide in heftiger Liebe zu ihr entbrannt. Jeder von Neiden strebte nach dem Besitz ihrer Hand. Der Sultan von Zab hatte jedoch andere Ideen. Er wollte seine Tochter bei sich an seinem Hofe behalten, sie mit einem seiner Unterthanen vermählen und ihren Kindern dann nach seinem Tode das Reich hinterlassen. Gr fürchtete, daß, wenn einer der fremden Snltaue seine Tochter Heirathe und so das Neich des Zab mit der Zeit an diesen seinen Schwiegersohn käme, daß dann die Bewohner von Zab von denen des anderen Reiches wie Sclaven behandelt und ihr Land wie eine unterjochte Provinz angesehen werden würde. Diese Furcht war nicht ungegründet, denn jedes der drei Reiche hatte schon seit lange nach der Eroberung der andern 139 gestrebt. Der Sultan, des Zab verweigerte also die Hand seiner Tochter jedem der beiden gelröuten Freier. „Als der Sultan von Uiid Nhir dieß vernahm, schwur er, sich dennoch nicht abschrecken zu lassen, sondern Alles, sei es List oder Gewalt, anzuwenden, um in den Besitz seiner Geliebten zu gelangen. Er rüstete eine Flotte ans und waffncte eine Kricgcrschaar, welche er auf der Hauptinsel des Zab landen ließ. Aber dcr Sultau des Zab kam ihm mit seinem Heer entgegen und schlug ihu völlig aufs Haupt. Beschämt und wuthknirschcnd kehrte der König des Nhir nach Hause zurück. Als er eben wieder in seinen Palast einritt, fand er vor dem Thore desselben einen alten Bettler fitzen, der ihm kund gab, er habe ihm etwas sehr Wichtiges mitzutheilen. Der König ließ den Vcttclderwisch in dm Palast eintreten und als beide allein waren: „Wisse," sprach der Bcttelgrcis, „daß ich nicht das bin, wofür Du mich hältst. Ich bin ein mächtiger Dschin, einer jener Geister, die in der Lust wohnen, und die Macht über alle Menschen haben und ich kann und will, wenn Du meine Bedingungen erfüllst, Dir Deine Geliebte noch heute verschaffen." „Und was sind Deine Bedingungen? o großer Dschin!" frug der König. „Daß Du die Tempel Allah's nnd des Propheten Mo-hamcd zerstörst uud daß Du und Dein Volk mich allein als Gottheit anbetest," sprach der Dschin. „Was Du da forderst, das darf kein Muselmann erfüllen. Weiche von mir, o Versucher!" rief der Sultau. Der Iß« Dschinverschwand: aber nicht, ohne vorher dem Könige desUed Nhir zuznrnfen: „Wenn Du jc Deinen Sinn ändern solltest, so hast Dn nur das Wort ausznsprechen: „Ich bete Dich an, o Dschin!" und von dem Augenblick an wird Dir meine Hülfe erworben sein und Dn wirst in den Besitz Deiner Geliebten treten." „Der Sultan des Nhir vermochte nicht das Versprechen des schändlichen Dschin ans seinen Gedanken zn verdrängen. Seilte Liebe zur Prinzessin des Zab wnchs immer heftiger und heftiger nnd ward so mächtig, daß er sich zuweilen fragte: „Liebe ich sie nicht schon mehr als meinen Gott? Warum sollte ich ihr meinen Gott nicht opfern?" In einem solchen Augenblicke, ganz von seiner wahnsinnigen Liebe besiegt, sprach er die Worte aus: „Ich bete Dich an, o Dschin!" und plötzlich erbebte sein ganzer Palast uud der Dschin erschien in einer Glorie, hielt die Prinzessin auf seinem Arm und gab sie dem glücklichen Könige des U«d Nhir. Von diesem Augenblicke an zerstörte dieser Fürst alle Moscheen in seinem Ncichc und ließ überall das Standbild des Dschin errichten, den seine Völker von nun an allein anbeteten. „Unterdessen war der Sultan desU^d Snf nicht weniger thätig gewesen. Anch er hatte eine Armee gerüstet. Auch er hatte mit den Waffen in der Hand sich seine Schöne erringen wollen. Aber auch er war vou dem Heere des Sultans des Zab zurückgeschlagen worden. Als der König des Suf eines Tages so recht trostlos in seinem Palaste dasaß und an seine hoffnungslose Liebe dachte, da erschien ihm der Dschin und versprach ihm den Besitz der Prinzessin unter denselben 1<51 Bedingungen als dem König des Ui5d Nhir. Wie aber der Dschin ein Wort vom König dcs Nhir fallen ließ, da fuhr der Sultan dcZ Ui^d Snf auf uud fchrie wnthtnirschend: „Wie? grausamer Geist! Du hattest die Prinzessin Jenem schon ausgeliefert uud Du versprichst mir nun die Nachlese. Glaubst Du, daß ich sie vou dcu Umarmuugen eines Andern besndelt noch annehmen werde?" „Tröste Dich, o König!" sprach der Dschin, „den Snltan des Nhir habe ich hintergangen und ihm nur eiu Truggebilde vorgeführt. Wir Dschin haben die Gabe, alle Gestalteu anzunehmen uud so habe ich einen meiner ältesten Knechte, einen dienstbaren Geist, der bereits 1600 Jahre alt ist, in eine Prinzessin verwandelt und ihn als Braut dem Sultan des Rhir zugeführt. Dir jedoch werde ich die wahre Priuzessiu ausliefern. Du kennst meine Bedingungcu." „Der Sultan dcs Uüd Suf entschloß sich schneller, als es der König des U«d Nhir gethan hatte. Denn er glaubte, der Dschin habe Letzteren nnr deßhalb hintergangen, weil dieser nicht gleich anf seine Bedingungen eingegangen war. Er erwies also dem Dschin göttliche Ehre und erhob den Cultus dieses schändlichen Abgottes zur Staatsrcligiouiu scinemLaude. Als Lohn dafür brachte ihm der Dschin die Prinzessin des Zab. „Während dieses vorging, ereignete es sich, daß der Sultan des Zab eines Tages in das Gemach seiner Tochter trat und dasselbe leer fand. Die Prinzessin war nirgends zu erblicken. Kein Mensch hatte sie weggehen sehen. Ihre Sclavinnen hatten sie Abends zu Bett gebracht, ihr Zimmer nach Hofessittc verschlossen nnd am Morgen fanden sie das Lager Drei Jahre im Nordiristen von Ascila. Ill, I). 162 leer. Die Prinzessin war verschwunden. Der König war trostlos. Er schickte Boten in seinem ganzen Reiche umher und ließ die Prinzessin suchen, al>cr Alles war nmsonst. In seiner Verzweiflung wollte sich der unglückliche Greis den Tod geben; denn erhalte seineTochtcruuendlich geliebt. In diesem Angenblicke erschien ihm aber der Dschin und rief: „Halte ein, o König! Ich will die Freude wieder in Dein Haus zurückbringen. Ich will Dir Deine Tochter wieder verschaffeil; aber Du mußt dieselbe Bedingung erfüllen, die der Sultan deöUüdSuf erfüllt hat. Denn derSultan des Suf hat mich angebetet. Dafür habe ich ihm seine Geliebte verschafft." „Als der Sultan des Zab diese Worte vernahm, wurde er jedoch noch trauriger und klagte: „Wie, meine Tochter ist also die Beute eines Verführers geworden und Du glaubst, höhnischer Geist, daß ich sie noch zurücknehmen werde, jetzt, wo sie ihr kostbares Gut verloren hat?" „Vernhige Dich, o König!" sprach der Dschin, „der Sultan des Suf ist ebeuso durch ein Trugbild angeführt worden, wie der Sultan des Rhir. Er wähnt, eine junge Prinzessin in seinen Armen zu halten und er liebkost meinen ältesten Stallknecht, einen dienstbaren Geist, der schon wenigstens siebcnzehn-hundert Jahre alt ist, denn Ihr wißt, daß wir Dschins, obgleich wir sterblich sind, doch ein nncndlich viel längeres Leben haben, als Ihr Menschen. Deine Tochter dagegen ist in meinem Wolkenpalast gut aufgehoben, wo jnngc Fccen sie bedienen und ihre Reinheit sich unter dein heiligsten Schutze be-sindet." 163 „Als dieß der König des Zab hörte, ward er hocherfreut. Die Liebe zu seiner Tochter übermannte ihn nnd er fiel nieder und betete den Dschin an. Er errichtete ihm Altäre in all' seinen Landen und zerschlug die Altäre des wahren Gottes. Zum Lohn dafür brachte ihm der Dschin uun seine Tochter zurück. „Der treulose Dschin hatte jedoch den König von Zab ? Kunstwerk. Vis jetzt hatte der Ka'i'd kein Wort mehr fallen lassen, Welches andeutete, daß er sick seines Versprechens, uns die „Hauptmerkwürdigkeit von Tnggnrt" zu zeigen, erinnere. Denn was den,,1^X6 kabrÜLux" im Paläste der Dschellab's betraf, so hatten wir uns bald überzeugt, daß dieser auf keinen . solideren Füßen stehe, als die „pierre« <1s Wille", ans denen besagter Palast in den Reisehandbüchern erbaut war. Der ganze Palast der Dschellab's hatte nur drei bewohnbare Zimmer. Eines davon war der Empfangssaal, in welchem wir aßen, schliefen, wohnten, schrieben, knrz Alles machten, was wir in einem Zimmer machen konnten, welches wir mit etlichen fünfzig Arabern des Tages nnd etlichen zehn Arabern des Nachts theilen mußten. Von den zwei andern Zimmern enthielt das eine den Harem des ScheitbZ nnd war folglich ein unantastbares Hciligthum und das andere war die Küche, in welcher das weibliche Dienstpersonal nnd ich glaube der Schcikh selbst schliefen. Dennoch war der Kothpalast der 16? Dschellab's gerade kein kleines Gebäude. Er hatte vielmehr außer den 3 genannten Piöccn noch eine Menge anderer. Aber diese wurden, so viel ich entdecken konnte, denn ich durfte der Frauen wegen, nickt im Palast berumgeheu, alle zu Ställen benutzt. Im ersten Stock wohnten die Hühner, im Erdgeschoß die Ziegen, Schafe, die Kühe nnd Ochsen ; und ich glaube, die Schakals hatten auch irgendwo im Palast der Tschellab's iln- Absteigequartier, wenigstens hörte ich sie des Nachts dicht neben meinen ^hrcn heulen. T'cr ,/Thronsaal", von dein General Daumas spricht, den hatte ich gleichfalls bis jetzt eben so wenig als die „Bansteine" und den „Fabcllurus" zu Gesicht bekommen. Ich wagte es, den Ka'id danach zu fragen, ,,Tl,ronsaal? Was ist das für ein Ding?" erwiderte er erstaunt. Ich that mein Möglichstes, es zu erklären, aber dcrKaid rief plötzlich, mich unterbrechend, aus: „Ich habe Sie verstauben!" Er winkte einem seiner Diener uud dieser führte mich nach einer Localitat, welche mir der Anstand zn ucnncn verbietet. Das hatten sie nach meiner Erklärung für — einen Tbronsaal gehalten! Endlich wick der Kaid unsern Bitten nnd versprach, heute noch uns die größte Merkwürdigkeit seines Palastes zn zeigen. Aber das war nickt so leicht auszuführen, da sich diese Merkwürdigkeit im Harem dc? Kai'ds befand. Alle Gattinnen und Nebengattinuen dieses Würdenträgers mnßten zuerst in die Kucke gebracht nud dort ciugescklossen werden, ebc unsre profanen Schritte das Hciligthnm betreten durften. Endlick kam 1«8 cm Diener und meldete dem KaW, Alles sei in Ordnung und dcr Kaid fi'chrteuns nun uacb de,n jetzt geleertcnHaremsziuimcr. Ein Gegenstand, den ich gleich, als ich hincintrat, bemerkte, war eine Wachsbüstc, ein Mädchen darstellend, gc-nau von dcr Art, wie sie Perückenmackcr vor die Fenster zu stellen pflegen. „Nun, wie gefällt Ihnen die Merkwürdigkeit?" fragte mich dcr Kaid. „Welche Merkwürdigkeit?" erwiderte ich. „Aber sehen Sie denn nicht dort? dort!" rief er und zeigte mit dem Finger nach der Vachsonste. Also das war die Merkwürdigkeit? ein — Pcrückcnstoct! Es wurde uns schwer, dem Kaid den Ausbruä'uuserer Heiterkeit zu verbergen. Als wir in den Saal zurücl'gclehrt wareu nnd der Ka'id sich einen Augenblick entfernt hatte, sing einer seiner ältesten Knechte an, das Nort zu ergreifen: „Sie werden sich wohl nicht vorstellen, was mich dic „Dame" im Harem für Mühe gelostet hat, bis ich sie dem Ka'ld verschaffe konntnc." „Also Du hast diese Mnc Acqnisition für Deinen Herrn gemacht? Das macht Deinem Geschmack wenig Ehre," cnt-gegneten wir. „Sie mögen so denken," fuhr dcr alte Knecht fort. „Aber dcr Kaid dachte nicht so. Er wäre vielleicht gestorben, wenn sie noch lange ausgeblieben wäre, so verliebt war er in sie." „Verliebt? in eine Wachsfigur!" riefen wir erstaunt und belustigt zugleich. 189 „Ja, das mag Ihnen tomisch vorkommen nnd ist es vielleicht auch für Jeden, welcher weiß, daß die Dame von Wachs ist. Aber ehe der Kaid nm ihre Hand anhielt, da hatten wir keine Idee davon, daß sie von Wachs sei." „Dein Herr hielt um ihre Hand an?" fragten wir mit gesteigertem Erstaunen und verdoppelter Heiterkeit. „Ja und ich selbst war der Brautwerber!" antwortete der Alte. „Aber wo hatte sie denn derKaid gesehen? Wo verliebte er fich in sie?" „Er hatte sie nie gesehen. Ader ein Kaufmann unsres Stammes, der jährlich 2 Mal nack Eonstautine rciste, hatte sie daselbst in einem Laden erblickt. Er schilderte fie uuserm Herrn so schön, mit solchen Nosenwangcn, solchen langen Zöpfen, solchen Zähnen und so schön gefärbten Vraueu, daß sich meiu Herr fürchterlich in fie verliebte. Er fand keine Ruhe mehr. Tag uud Nacht dachte er nnr an die Schöne in Constantine." „Und wie kam ihm die Idee, um ihre Hand zu bitten?" frug ick. „Eiu Franzose in Viskarah hatte dem Kaufmaun gesagt, daß die Christen zwar ihre Töchter gewöhnlich nicht verkauften, daß jedoch diese Dame für baarcs Geld käuflich sei. Dieß berichtete der Kaufmaun meinem Herrn, und dieser entschloß sich, mich als Brautwerber nach Constantinc abzuschicken." „Und Dn hast sie erlangt?" „Ich habe sie erlangt. Aber nicht ohne Mühe. Lassen sie es sich erzählen. Ich kam nach Constantinc und kaum war ich bis zur Hälfte der Hauptstraße vorgeschritten, als ich plötz- 170 die Dame an e'incm Ladenfenster siebend erblickte. Es konnte kein Zweifel darüber sein: sie war es. S o lch eRosenwangcn! Solche Lippen! Augen so schön wie Glas! Zöpfe so groß wie Pferdemähncn! nnd solchc Angenbranen! Ich battc in meinem Leben niemals etwas Schöneres erblickt. Ich fragte mich: „Wirst dn im Stande sein, deinem Herrn die Treue zn bewabrcn nnd seine Braut unversehrt zu ihm zu bringen?" „Und wie austäudig, wie bescheiden sie sich hielt! Sie warf kcine herausfordernden Blicke um sich bernm, wie andere Schöncn. Sie hielt die Angen stets in einer Nichtnng. Ihre Bewegungen ware», gemessen, ruhig und würdevoll. Sie drehte sich nämlich langsam nach dem Innern des Ladens um, wahrscheinlich um dort ihreu Vater voll kindlicher Liebe anzublicken, nud wandte sich dann eben so gravitätisch wieder nach der Straße znrück. Auch sprach sie t'ciu Wort, was mich hochcntznckte; denn eine Fran, die nicht geschwätzig ist, welche Perle! welcher ssdelstcin! Vor Bewunderung außer mir trat ich in dl,-n Laden und suchte ihren Vater. Da jedoch außer dcr Geliebten meines Herrn im Angcnolick Niemand im Laden war, so fing ich damit au, dcr Schö'uen einige tiefe Bücklinge zu machen. Sie schien mich icdcsmal freundlich anzublicken, so oft sie sich nach dem Innern des Ladens nmdrehte nnd jedesmal machte ich ibr einen ncucu Bückling, denn ich batte gebort, daß das französische Sitte sei. Plötzlich jedoch trat ein Mann in den Laden herein, wahrscheinlich ihr Vater, doch als er sah, wie ich seine Tochter bccomplimentirtc, ward er zornig und rief: ,,8atÄN« V^äouin! was machst Dn in meinem Laden?" 171 „Und ebc ich mich desscn versab, packte mich der grausame Vater der Schönen, warf mich zur Thüre hinaus und stieß mick mit einem Tritt unterhalb des Rückens mitten auf die Straße. ^ „Das war kein ermuthigeilder Empfaug für einen Vraut-Werber. Ein Anderer hätte sich abschrecken lassen, weitere Scbrittc zu unternehmen; aber nicht ich. Ich ging nach dem arabischen Kaffeehaus, wo die Tuggurtancr sich zu versammeln pflegten, nnd erzählte meinen dort sitzenden Landolenten mein Abenteuer. Diese versprachen alle, mir ihre Hülfe augedeihen zu lassen. Wir kamen übcrein, daß sechs von nns als Deputation zu dem Vater der Scköneu gehen, das Hcirathsgefuch dcsKa'id vorbringen und den Kaufcoutraet mit ibm abschließen sollten. Wir batten srcic Hand vom Kai'd bekommen, bis auf 2000 Francs für den Aukauf seiner Geliebten auszugeben. Ich gehörte natürlich als Brautwerber auch zur Deputatiou. „Wir gingcu also nach dem Laden. Als wir eintraten, fanden wir ebeufaUZ wieder nnr die Scböue. Ihr Valer, der ein Haarkünstler zu sein schien, hielt sich in einem Nebengc-maH, welches jedoch ein Fenster nach dem Laden zn hatte, auf. Durch dieses Fenster sahen wir ihn in den Laden hineinblicken. Als er nus jedocb gewahrte, scbien er vor-Angst zurückznbcben, denn wir waren eben nicht fein gekleidet uud er mochte uns wohl für Plünderer baltcn. Der Pcrückenmachcr verfchwand nnd bald darauf saheu wir ihu zur Hausthür lnnanslanfen. Or rannte mitten auf die Straße, zerranftc sich die Haare und schrie mit lauter, kläglicher Stimme: 172 „^,ux voieurg! aux voisurs! die L^äouinÄ sind in meinem Laden eingebrochen und wollen ihu ausplündern. i)ülfe! Hülfe! Hülfe!" „Bald sammelte sich cine Menge Volkes in der Straße. Polizei fand sich ein. Gensdarmeu kamen. Man draug in den Laden ein. Jeder von uns sah sich plötzlich von zwei bewaffneten Leuten gepackt, die ihn festnahmen und nach dem Polizeigefänguiß abführten. „Dort saßen wir volle acht Tage, ehe unsere Sache verhört wurde. Als die, Ncihe an uns kam, wollte kein Mensch an die Vrautwcrbuug glauben. Nir wnrden jeder zu 100 Fraucs Strafgeld und einem Monat Gefängniß vcrurtheilt, welchen wir gleich absaßen; denn wir appellirtcu nicht, da wir wußteu, daß das doch vor dem französischen Tribunal einem armcu Muselmann niemals etwas helfe. „Als ich endlich aus dem Gefängniß befreit wurde, detain ich einen Brief vou dem Kai'd, worin dieser, der von nichts wußte, mir seine volle Ungeduld zu erkennen gab. Er befahl mir, meine Vrantbcwerbung schnell znm Ende zu führen und mit der Schönen nach Tuggurt zu reiseu. „Was sollte ich machen? Mich noch einmal in den Laden des Haarschneidcrs wagen? dafür war ich zn sehr gewitzigt. Iu meiner Nathlosigkeit ging ich zum Kadi und bat ihn, ein Wort für mich oder vielmehr für meincu Herrn bei dem Vater der Schönen einzulegcu. Der Kadi versprach es und wir gingen zusammen zu dem Haarkünstler. Als dieser den Kadi sah, empfing er ihn höfllich und ließ anch mich, da ich in desfen 173 Gefolge war, unangetastet. Der Kadi eröffnete die Verhandlung. „Der Haarkünstler konnte lange nicht verstehen, um was es sich handle, endlich schien er etwas mehr Einsicht in die Sache zu gewinnen und rief: „Meine Tochter? Ihr verlangt die'Hand mcinerTochter? Ich habe gar keine Tochter! Ich bin ja gar nicht verhcirathet!" „Nun," wandte der Kadi ein, „die junge Dame ist vielleicht Eure Nichte. Wir meinen diejenige, welche immer am Ladcnfcnstcr steht." „Ab! I,» ?o8tio1is wollen Sie fagen?" rief der Haarkünstler uud brach in ein unmäßiges Lachen aus. „Es schien daft diese jnnge Dame ,>I.a ^ostioks" hieß, ein ^ame, welcher mir jedoch gar nicht gefiel und ich beschloß, sobald sie in Tuggurt sciu würde, mciuem Herrn vorzuschlagen, dieselbe Fatmeh zu nennen. „Nun," fragte der Kadi, als der Onkel der Schönen sich etwas von seinem Lachkrainpf erholt hatte, „was ist Ihre Antwort?" „Meine Antwort?" schrie der Haarkünstler unter neuen Lachanfällen, „meine Antwort? ha! ha! ha! das ist ein drolliger Spaß! Man verlangt die Hand von I,a lostiotie! Ha! Ha! Ha!" „Wir fanden das Lachen des Pcruauicrs sehr unschicklich. Aber wir ließen uns doch dadurch nicht abschrecken und der Kadi fuhr fort: ' „Wollen Sie sie nicht dem Ka'id von Tuggurt zur Ehe geben?" 174 „Zur l5hc geben?" ricf der Franzose immer noch mehr lachend. „Das ist vollkommen unmöglich/' „Also das ist Ihr letztes Wort?" frug der Kadi, „Sie wollen sic nicht verkanfen?" „Verkaufen?" erwiderte der Onkel der Schönen, „das ist ctivas ganz Anderes. V erkauf eu werde ich sie immer, wenn ich eineu guteu Preis für sie finde. Warum sagten Sie das nicht gleich? Was machten Sie dumme Späße mit „zur Ehe geben" und dergleichen?" „Und wieviel verlangen Sie für das juuge Mädcken?" war des Kadi Frage. „Sie ist kein junges Mädchcu!" fiel ihm der Haarkünstler ins Wort. „Nun! Nlfo ist sie eine jnnge Frau, vielleicht eine Wittwe?" cntgeguete der Kadi. „Wieviel verlangen Sie für die juuge Frau?" „Sie ist kciuc junge Frau!" rief auf'Z ucue der Onkel. „Nie wollen Sie dcuu, daß wir fie nennen sollen?" frug der Kadi. „Nennen Sie dieselbe I.a I'oäticke!" antwortete der Franzose. „Nun und wieviel verlangen fie für I.al'oLtio^L?" lautete auf's neue die Frage des Kadi. „Tausend Francs," war die Antwort. „Wir hatten uns anf das Doppelte gefaßt gemacht. Tausend Francs sclncn uns nicht zn viel für eine so unvergleichliche Schönheit. Wir zahlten deßhalb gleich, erhielten eine fran- l75 zösische Quittung, die wir nicht lesen konnten nnd nahmen die gekaufte Scköne in Empfang. „Anfangs trug ick sic. Als ick aber müde geworden war, da bat ick die Schöne, sell'st zu gehen. Aber wie groß war nicht mein Schreck, als ich nun gewahren mnßtc, daß sie teine Beine hatte! Ebenfalls battc sie keinen Magen. Aber das war eher ein Vortheil, denn ihr Unterhalt sollte nichts tostcu. Aber meinem Herrn eine Braut ohne Beine zu bringen nnd für tausend Francs noch dazu: Das wäre eine ewige Schande für mich gewesen! „Ich berieth mich mit den auderu Tuggurtanern uud wir beschlossen, einen französischen Advocatcn zn srageu, da ein solcker allein im Slande wäre, gegen einen Franzosen mit Nachdrnck vor Gericht anfzntrcteu. Der Advocat fragte uns gleich bei uuserm Eintritt in sein Schreibzimmer, ob wir eine Quittung über den Ankauf der Schönen besäßen. Wir bejahten und zeigten die Quittung vor. Der Advocat nahm sie, las sie, zuckte nut den Achseln, las sie noch einmal, zuckte noch einmal mit den Achseln und sagte eudlich zu uus: „Was wollt Ihr, was ich da machen soll? Eure Sache ist faul, sehr faul. Die Quittung ist sür eiue Wachsbüste ausgestellt und Ihr habt eiue Wachsbüste in Enspfang genommen. Jedes Gericht muß und wird dem Haarschueider Reckt gcbcu." „Von diesemAdvocaten, den wir von nnscrm Feinde für bestochen hielten, gingen wir noch zu mehreren anderen, ja zu allen Advocaten in Eonstantine, und überall ward nns derselbe Bescheid. 178 „Trostlos traten wir uusere Rückreise nach Tuggurr an und nahmen La ?08tioli6 init. „Als derKaid seine Sä'öue sah, trug er sie in dcu Harem, wo sie als Dame hingehörte. Er war entzückt von ihrer unvergleichlichen Schönheit. Als er jedoch entdeckte, daß sie keine Beine habe und überhaupt nur eine Nachsbüstc sei, da kannte seine Verzweiflung keine Grenzen. Ich wurde zur Strafe für die von mir so unverschuldete Beinelosigkeit der Schönen anf lange Zeit vom Hofe, verbannt. „Jetzt hat sick der Sckeill, von seinem ersten Liebesschmcrz erholt. An die Stelle seiner wahnsinnigen k!iebe für das Weib, ist nun eine bohc Bewunderung für das Kunstwerk getreten. Er hat Ihucu übrigens eine große Ehre erwiesen, daß er Ihnen dieselbe zeigte, denn seit Jahren hat sie kein Mann gesehen, da sie ihres Geschlechtes wegen den Harem bewohnen muß/' So erzählte der Knecht des Kai'd. Ich hatte von dieser seltsamen Geschichte schon in Con-stantine gehört, aber kaum daran glauben können. Vielen meiner Leser wird es ebenso gehen. Es giebt oft nichts Un-glanblichercs, als die Wirklichkeit. l?7 Siebentes Capitel. Tuggurt. Aufenthalt in Tuggurt. — Schlechtes Wetter. — Tcmassin. — Die Tsidschani'e«. — Krieg zwischen dem Dschcllab und d.'M Mara» but. — Die Dynastie der Dschellab's. — Die französische Poluik m Tuggurt. — Tuggurt el Kvdima. — Dcr Bazar iu Tuggurt. — Sonderbare Medicin. — Conversation zwischen dc:n Scheith von Tn^giirt nnd einem seiner Vetter, u>^ betreffend. — Wir weiden zur Abreise gezwungen. — NiiÄkelir nach Biskarah und Constantine. Wir bliedcn im Ganzen acht Tage in Tuggurt. Sidi ^mar war schon den Ta>i nach unsrer Ankunft nach scincm heimathlichen Dorfe, etwa 2 Meilen von Tuggurt entfernt abgegangen. Er hatte uns eingeladen, ihn dort zn besuch?!! was nns jedoch das schlechte Wetter nicht gestattete; denn es rcgnetc während unsrer Anwesenheit in Tnggnrt unnifbörlich. Aus demselben Grunde konnten wir auch nicht den Ausflug nach Tcmassin unternehme», welchen wir, beabsichtigt hatten. Diese letztere Oase ist zwar gar nicht w^it von Tuzgurt, ab^r dcr beständige Regen zwang nns, selbst diese kurze Ercunion aufzugrbcu. Wir hofften das Ende des Regens würde uns gestatten, diese, interessante Oasc zn besuchen, aber leider sollte am Schluß dieser himmlischen Vcgießnng dcr Kaid uns einen Streich spielen, der uusere Abreise nöthig machte. Temassin wurdc bis zum Jahre 1844 von dem Oberhaupt eines berühmten musclmännischcn Ordens, der Tsid Drei Jahre im 'Tlotdwesten von Nflila. III. ^ 178 schäm, bewohnt. Der Orden der Tsidschani ist neueren Ursprungs nnd wurde erst Ende dcs vorigen Jahrhunderts von Sidi Hamed Tsidschani gegründet, welcher seine Residenz in Ain Madhy bei El-Aghnat hatte. Die Türken von Algier sahen nngern den großen Einfluß, welken dieser Heilige über die Araber gewann. Der Pascha selbst war besonders gegen den nenen Orden eingenommen. Er verfolgte die Anhänger desselben, wo er tonnte. Aber ein Tranm belehrte ihn. In diesem erblickte er nämlich zu seiner höchst unangenehmen Ucberraschnng sich selbst in ein Weib verwandelt. O Entsetzen! Der Pascha von Algier war ein Weib geworden! Wer würde in Zukunft noch Angst nnd Schrecken vor ihm empfinden? Wer würde ihm in Zukunft noch huldigen und gehorchen? In dieser seiner Noth kam ihm der verschmähte Heilige El Tsidschani zn Hülfe und gab ihm durch Wuudcrkraft sein ursprüngliches Geschlecht znrück. Von dieser Nacht an zeigte sich der Dcy aus Dankbarkeit sür die geträumte, wunderbare Hülfe des .Heiligen immer als ein Freund des Ordens und alle Dcy's nach ihm folgten seinem Beispiele. Als El Tsidschani starb und nnr nnmündigc Kinder hinterließ, wurdeSidi El Hadsch Ali auZTemassin das Oberhaupt dieses Ordens, und blieb es bis zu seinem Tode im Jahre 1844. Er residirte nicht in Ain Madhy der Stadt Tsidschani'Z, sondern in seiner Vaterstadt Tcmassin bei Tuggurt. Ali genoß so allgemeine Verehrung unter den Muselmännern aller umwohncndcn'Ländcr, daß ihm z. V. der Pascha von Tunis in Temassin eine Moschee, ein Bad nnd einen Palast für die Summe von 80,000 Francs erbauen ließ. 179 beider habe ich diese von Tnniser Baumeistern errichteten Gebäude nicht in Augenschein nehmen können, weiß also nicht, od sic auch aus Lehm, wie der Pallast der Dschellab's, oder ob sie vielleicht ans Bausteinen errichtet sind. Hadsch Ali hatte nnr einen Feind gehabt und der wohnte in seiner nächsten Nähe. Das war der mächtige Dschcllab, der Schcith von Tuggurt. Dieser tonnte den Gedanken nicht ausstehen, einen so großen Mann in seiner Nähe zu haben, dessen Ruhm den seinen so ganz verdunkelte. Um so mehr waren die Dschcllabs gegen deu Orden der Tsidfchanis aufgebracht, da sie selbst zn einem andern, dem des Mulcy Ta'i'eb, gehörten. Der Dschcllab beschloß, dein Oberhaupt des Tsidschaui den Krieg zu machen. Der Heilige hatte tcinc Armee. Sein Voos wäre zu seinem Nngunsten entschieden gewesen, und er hätte sich ohne Kampf in die Hände, seines Feindes ergeben müssen, wenn nicht jene gewöhnliche Ressource aller Heiligen, ein Wunder, ihm zur Hülfe gelommcn wäre. Eben, als der wilde Dschellab mit seiner bewaffneten Macht vor Temassin rückte, und ohne Schwertstreich in die Oase eindrang, da plötzlich entluden sich unsichtbare Gewehre: jeder Palmbaum verwandelte sich in eine Batterie und beschoß unerbittlich die Angreifenden, bis diese sich geschlagen zurückzogen. Da dieses losschießen der Palmbäume ciu verhältuißmäßig neues Wunder ist, (es geschah nämlich in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts,) so ist es begreiflich, daß jetzt noch viele ^cute leben, die es gesehen haben wollen. In der That fand ich in Tnggurt mehrere alte Araber, welche mich allen Ernstes versicherten, Zeugcu davon gelvefen zu sein. 1? " 180 Der jetzige Ka'ld war nicht der Nachkomme jenes uuheiligcn Mannes, welcher demTsidschaui den Krieg gemacht hatte. Ja vieleTnggnrtaner wollcnbchanpteu, der heutige HerrvouTug-gnrt sei gar kein echter Dschellab. Er wurde, wie gesagt, im Jahre 1654 nacb dem Gefecht bei Meggarin, welches den Franzosen Tnggnrt unterwarf, von den Siegern eingesetzt. Die eigentliche Dynastie der Dschellab's, welche von 1514 — 1850 nn-nntcrbrochcn in dirceter ^inie regiert hatte, war schon früber beseitigt worden. In den letzten Zeiten vor ihrem Fall hatten die Dschellab's höchst uneinig in ihrer eigenen Familie, gelebt. Stets gab es Prätendenten, welche ebenfalls Dfchcllab's waren nnd welche den regierenden Dschellab vom Throne zn stoßen versuchten, was ihnen auch oft gelang, nnd dann hatten sie es selbst mit neuen Prätendenten zn thun. Alle diese gehörten znr Sippschaft der Dschcllab's, welche sehr ausgebreitet war nnd es ist bei deren zahlreicher Verwandtschaft nicht unmöglich, daß auch der jetzige Kaid von Tuggmt ein wirklicher Dschcllab ist. Er selbst behauptet es natürlich, denn die Berufung anf diese Abstammung giebt ihm zuviel Gewicht in einer Stadt, welche seit 340 Iahreu nur Dschellab's zn Herrschern gehabt hat. Die Franzosen hatten dein Dschellab (da er sich selbst so nennt, so ist es meine Gastespflicht, ihn auch so zn nennen) ihrer bureancratischcn Eintheilnng gemäß den Titel „Ka'id" octroyirt. Da jedoch alle Dschellab's vor ihm nnr den Titel „Schcikh" geführt hattcu und er gerne für cineu von ihrem Schlage gelten wollte, so bediente er sich des Titels „Ka'id" nur der Regierung gegenüber. lleberhaupt ist es ganz illu- 181 sorisch, wenn man bei dem Araber von Nangverschiedenheit zwischen cinein Titel und dein andern reden will. Man lann eigentlich kaum sagen, Ka'id sei mehr als Scheikh. Dieses Mchrsein ist eine officiclle Ersindnng der Franzosen. Bei den Arabern war nnd ist jeder Scheikh in seinem eigenen Stamme König. In nächster Nähe von Tuggurt lag Tnggurt el Kcdima oder das alte Tuggurt. Es dot jetzt nnr einen Hansen von Ruinen, welche malerisch in dem Palmenwalde der Oase von Ncßlah versteckt lagen. Außerdem liegen nock einige zn" streute Dorfer von Lehmhütten, welche ebenfalls zn Tuggurt gehören und gewissermaßen seine Vorstädte bilden, in der nächsten Nähe der Siadt. Tuggurt mit den Dörfern mochte etwa 3000 Einwohner zählen, alle Eingeborene. Kein einziger Franzose hatte es noch gewagt oder es voNheilhaft gefunden, diese ferne Oase zn bewohnen. Tuggnrt desaß einen sogenannten Snk oder Vazar. Es war dies eine Reihe von stallartig aussehenden Vudeu ohne Thüren, ja ohne eine Wand nach der Straßenseite zn, in welcher man eine Thüre hätte, anbringen können, nnd nnr durch Pfeiler von einander getrennt. Die Verkäufer in diesem Sut waren zum größten Theile Mzabiten, deren heimatlilichc Oasen nnr etwa 4 Tagereisen von Tuggurt entfernt liegen. Diefc Mzabiten find, was commerciclle Fähigkeit anbelangt, die Juden der Wüste; der Handel ist Haupt' sächlich in ihren Händen. Dieß verhindert jedoch die wirklichen Juden gar nicht, ebenfalls in jeder Wüstenoase, vertreten zu 182 scin. Aber die Juden handeln hier mebr on ^ro«, kleinere Krämer ihres Stammes verlieren sich nicht oft so tief in die S abara. So gab es aucb in Tnggnrt einige große Indcn^. magazine, wo die Stämme der Umgebung sich versahen, wenn sie bedentendc Einkäufe zn machen hatten. Namentlich Cattun war einer der gesuchtesten Artikel. Eattnn, das ist der Traum jeder Arabcrin, jedes Schcikhs, jedes Kaids nnd man wird selten bei Zusammenkünften der Eingeborenen mit Europäern finden, daß jene nicht von diesen ein Stück von ihrem geliebten Cattuu sich cmsbätcn. Dieser Eattunhaudel mackt d^n Reichthum der Israelitcn iu der Algcrie aus. Es ist unglaublich , welche Massen von Vanmwollstosf und zwar je ordinärer desto lieber, jährlich von dcn Stämmen des Innern gekauft werden. Ein Artikel, welcher ebenfalls in Tilggurt sehr gcsuckt war, aber begreiflicher Weise nicbt en Fron verkauft wnrdc, war eine Arznei, oder vielmehr ein Elirir, die sogenannte „meäioiue pou,r kortiüer'," so nennen nämlich dic Araber, wenn sie diese Mirtur von dcn Franzosen verlangen, heuchlerischer Weise, ein abscheuliches Avhrodisiacnm, welches bestimmt ist, dem durch Ucbcrgcnuß eutnervteu Mauncstricbe neue Kraft zu verleihen. Eine Menge noch gar nicht einmal alter Araber aus Tnggurt und der Umgegend pflegten diesen Artikel einznkanfcn und gcnirtcn sich dabei nicht im Geringsten, ihre Schwäche offen zn verrathen. Sonderbarerweise schämten sich die Leute in Tnggurt, dieses Aphrodisiacum arabisch zu benennen. Wenn sie zn dein Iudcu, welcher allein es verkaufte, und zwar sehr theuer verkaufte, kamen, so vcr- 183 langten sie cZ immer unter dem französischen, euphemistischen Namen „msäioiiiL poni lortitwi/' welche französische Worte sie natürlich unendlich verstümmelten. Ueberhaupt fiel es mir ans, wie weit schon einzelne französische Wörter gedrungen waren. Die Züudhölzchen benannten diese Stämme fast nur mit dem französischen Wort „ ^IIumstteL," woraus sie „Aümott" machten. Unter Aümott verstanden sie Phos-ph or Hölzchen, Tie arabische Sprache hat, was feuergebeude Hölzchen betrifft, nur für Schwefel Hölzer ein Wort: „Kabritz" die Wachszündhölzchen, welche die Franzosen überall einführen, benannten die Tuggurtauer ebeufalls frauzösifch, nämlich: „Ladies," woraus sie Vusih machten. Eines Tages, als wir im Empfangzimmcr des Kaids saßen, in jenem Zimmer, welches zugleich unser Schlafgcmach, Gßsaal und Alles in Allcm war, und während wir trostlos dem draußen gießenden Regen zuschcmtcu, trat unser Wirth mit einem alten Araber herein. Veide setzten sich auf den Fußboden, wo eine Strohmatte lag, und nun begann dic Conversation. „Also Tn willst die Rumih's mitnehmen?" sagte cr zu dem Alten. „Es ist zwar eine unangenehme Zugabe zu mciucr Karawane. Aber um Dir ciuen Gefallen zu thun, will ich sie mitnehmen," erwiderte dieser. Ich hörte ans diesem Gespräch, daß unsere Rückreise nach Vistarah verhandelt wnrde. Man fragte nns weiter nicht. Man hatte beschlossen, wir seien genug in Tuggurt gewesen und müßten nnn zurückkchreu. 184 „Und wann wirst Du abreisen?" frug der Ka'id den Alten weiter. „Sobald der Regen aufgehört habeu wird," war die Antwort. Nun wendete sich der Kai'd zn nns nnd sprach: „O Nnmih's! Ich habe Euch mil meiner zärtlichen Fürsorge, die ich als Wirth stets für meine Gäste hege, eine herrliche Gelegenheit verschafft, wieder in voller Sicherheit nach BiZkarah znrückreisen. Hier, mein Vetter, Sidi Animcr den Dschcttab el Komschani hat sich anf meine Bitten bewegen lassen, (5'nch mitzilnehmen. Danket ihm, o Nnmih's!" . „Aber wir wollen gar nicht reisen, o Kaid!" riefen wir, „ehe wir das Land gesehen haben." „Das könnt Ihr machen wie Ihr wollt, o Numih's! Aber ich bedanre eine Sache: in acht Tagen muß ich nämlich eine Neise unternehmen und während meiner Abwesenheit kann ich Euch nicht mehr meinen Schutz augedcihen lassen. Ihr wäret dann allen möglichen Veschimpfnngen und Mißhandlungen ausgesetzt, denn das Volk von Tnggnrt liebt die Christen gar nicht, dessen könnt Ihr versichen sein. Uebrigens ist es meine Pflicht, als im Dienste Frankreichs stehend, zu verhindern, daß Euch, o Rumih's! etwas zn 5!eide geschieht. Deßhalb bcdaurc ich, Euch sagen zu müssen, daß, wenn Ihr nicht freiwillig geht, Ihr mich nöthigen werdet, Euch zur Abreise zn zwingen, denn ich kann die Verantwortung Eures Hierseins nicht mehr länger übernehmen. Denn gesetzt, Ihr wolltet auch bis zu meiner Abreise hier bleiben, so 185 würde sich doch dann vielleicht leine so gute Gelegenheit finden, nach Viskarah zurückzukehren, als jetzt durch Sidi Ammer." Das war mit Offenheit gesprochen und wir wußten nun, wieviel Uhr es geschlagen hatte. Aber was wollten wir machen? Was konnten wir machen? Nichts als, nns re-siguiren. Der Ka'id hatte unsere Abreise beschlossen, wir waren völlig in seiner Hand und wir mußten sagen: I'iclt vo-1u,nt28 tua! Ich habe später den wahren Grund vernommen, weßhalb uns der Ka'id durchaus los sein wollte. Derselbe beabsichtigte nämlich eine Oers (Hochzeit) zu veranstalten. Einer seiner Söhne sollte sich vermählen. Nun, finden bei solchen Oers so viel Mißbrauche statt, daß es dem Kaid nicht lieb war, europäische Zcngen seines unregelmäßigen Gebahreus zu haben, welche später iu Bistarah dem üuroau arabe, you dem er doch abhängt, von dem strafbaren Treiben des Kaid Vericht erstatteu tonnten. Einer der Hauptmißbräuche bei der Oers ist die förmliche Plünderung der Gäste durch den Gastgeber. Die Gäste sind nämlieb stets die Untergebenen des Kaid. Wenn sie eingeladen werden, so m ü s s e n sie erscheinen oder, bleibt Einer dennoch aus, so trifft ihn schwere Geldstrafe. Bei der Hochzeit müsscu sie aber stets so viel Geschenke für das Brautpaar mitbringen, daß diese Oers einer Vcraudnng gleichsieht. Frankreich hat diese Stener der Oers verboten, aber Tuggurt liegt zu weit, als daß man die Polizeivorschriften genan befolgte. Zudem war der Kaid selbst der Uebertreter. Die Armen und kleinen Lente leiden stets 18« bei dcuOcrs am meisten, dcnn wcnn sic eine Hochzeit haben, so kommt dcr Kaid nicht zu ihnen nnd sie erhalten kein Gegengeschenk, während die Reicheren immer etwas bei solchen Gelegenheiten vom Kaid geschenkt bekommen. Nach eiuwöchentlicbem Regen kam wieder einmal ein schöner Tag nnd an diesem erschien der entsetzliche Sidi Ammer und wir mnßten, wir mochten wollen oder nicht, mit ihm nach Viskarah zurückreisen. Diese Neise geschah nnter genau denselben Umständen, als die Hinreise, mit der Ausualnuc, daß uns uun das schöne Wetter trcn blieb, welches während unseres ganzen Anf-cnthaltcs in Tuggurt verschmäht hatte, sich zn zeigen. Sidi Au'imcr bewies sich übrigens als ein freundlicher Reisebegleiter für nns, die ihm anfgedrungenen, gewiß nicht willkommenen Numih's. Von Biskarah kehrten wir wieder nach Constantinc zurück. 18? A ck t es Capitel. Zweite Wüstenfahrt. Ein lühner Neiseplanmacher. — Aufforderung ;nr Neise nach El Aghnat, — Komische Ovation bei der Abfahrt von Algier, — Medeab. — Entfernung der Wüste. — Meine zwei Reisegefährten. — Der Neqerlutscker, — Zwischen Medeab und Bogbar. — GeWl;. — Vegetation der Vergesschluckten. — Boghar und Voghari, — Trostlose Gegend, — Halbwüste. ^ Nin el Ilsera. — Sumpfgegend. — Karawanserai, „Tombukto ist auck cinc sckönc Gegend," sagte zu mir Monsieur V., ein französischer Maler, den ich eben (zurHcit meines letzten Aufenthaltes in Algerien, Winter 1861—1862), im Caf« Valentin in Algier angetroffen hatte. „Wer zweifelt an der landschaftlichen Schönheit Tom-bukto's?" erwiderte ich. „Haben Sie etwa Lust, daselbst Skizzen zu machen?" „Dieß ist meine festc Absicht," antwortete der unternehmende Mann, „denn was sind alle anderen Reisen in Afrika gegen Tombukto, wo noch lein Mensch gewesen ist, außer vielleicht irgend ein ausgestopfter deutscher Professor." „Sie vergessen Reu6 Caill«, Mungo Park, Major Laing," fiel ich ihm ins Wort. „Zwei von diesen dreien, welche Sie da nennen, sind nicht wieder zurückgekehrt und der eine war unfähig, seine eigene Reise zu schreiben," erwiderte Mr. B. „Ich dagegen 188 schmeickle mir ein ganz anderer Kerl ;n sein, als alle diese Gelehrten, und Ungelehrteil, wenn sie anck, wie Ren6 CM«, weder lesen noch schreiben können." „Ich gestehe/' entgcgnete ick: „es ist hentzutage ein seltenes Verdienst, weder lesen nock schreiben zn tonnen. Wollte Gott, es wäre nicht so selten, namentlich das letztere. Aber sagen Sie mir: haben Sie schon eineil Reiseplan gemacht?" „Nichts ist cinfacker; ich nehme einen Nagen von hier bis El Aghuat, nnd dann din ich schon im Herzen der Sahara. Dort miethe ich ein Kameel lind reite schnurstracks nach Tom-bnkto." „Also," rief ick; „so weit mußte es kommen? ein Wagen nach El Aghuat! eine Fahrt in einem entsetzlichen Vier-räderl'astcn nack dem Innern der heiligen, stillen Nüste! Franzosen, Ihr hadt alle Poesie in diesem Lande, zerstört! O Gallier, warum habt Ihr mir das gethan?" „Klageil Sie nickt so sehr. Die Poesie ist nur etwas weiter gerückt. Sie fängt jetzt hinter 6l Aghuat an, nnd danert von da nnnntcrbrockeu fort bis uach Tombukto." „Aber," fiel ick ein, „ick habe keineswegs die Absicht, nach Tombukto zu geheu. Deun selbst augeuommeu, ich machte diese Reise und hätte das Unglück, unversehrt von ihr zurückzukehren, wer würde mir dann glanben, daß ick dort gewesen sei?" „Trösten Sie sich, Sie würden nickt von ihr zurückkehren," wandte der Franzose ein. 189 Und mit solchen Ideen/' frug ich, „wollen Sie die Reise wagen?" „Ich und Sic, das sind zwei ganz verschiedene Menschen," sprach dc.r Gallier und darin hatte er leider Recht. „Sie thäten übrigens wohl daran, mit uns zn Wagen nach El Aghuat zu reisen. Das köuutc Ihrem physischen und moralischen Individuum nur zn Gnte kommen." ' „Meinetwegen!" rief ick;- ,,haben Sie etwa nocb einen andern Reisegefährten?" „Ob ich einen habe! Mister S., ein junger Engländer, der zn den schönsten Hoffnungen berechtigt." ,,Gnt!" sagte ich, ,,ich reise mit Ihnen, sei es auch nnr, um in El Aghuat Zeuge davon zn sein, daß Sie nicht nach Tombnkto gehen." hingenommen!" rief der Franzose. „Nun, um die Reise mit der gcbö'rigen Langsamkeit vorznbereiten, welche wir uns selber als algierische Tonristcn schnldig sind, und die leider noch immer hinter der klassischen Langsamkeit des Arabers zuriickblcibcu muß, Wolleu wir es so machen: Morgen oder übermorgen stelle ich Ihnen Mister S. vor. Nach drei Tagen beginnen wir dann von der Reise zu reden. In einer Woche erkundigen wir uns, ob irgend Jemand unserer Freunde einen Kutscher kennt. Nach vierzehn Tagen gelingt es uns dann vielleicht, einen Wagen zn miethen und in drei Wochen können wir reisefertig sein!" „Beeilen Sie sich nicht zu sehr!" fiel ich ein; „eiliges Thun könnte uus iu den übelsten Ruf bringen." „Nun, wenn Sie wollen," sprach der Franzose, „bcstim- 190 men wir die Zeit unserer Abreise von hcute in einem Monat. Bis dahin werden wir das pflichtschnldige Gähnen nnd uns Langweilen, welches jeder Toilrist in diesem Lande in anständigen Tosen zu sich nehmen muß, vielleicht durchgemacht haben." „Gut! es sei, in einem Monat! Tann wird man wenigstens uns nicht »der Neberstürzung anklagen, was unfehlbar geschehen würde, wenn wir den ebengefaßlen Entschluß allzurasch ausführen würden. Ein Monat war nach obigem Gespräch mit Monsienr P. vergangen, als ein dreispänniger Rciscwagcn vor dem Hotel de la Regenee stand nnd der Franzose, Mister S. nnd ich darin Platz nahmen. Die kleinen arabischen Stiefelputzer, jene Diogencn in Miniatur, welche das Hotel bei Tag und Nacht zu umlagern pflegen, hatten davon gehört, ^aß ein großer Tourist den Plan gefaßt habe, nach Tombulto zu kutschiren und sie ließen es sich uicht nehmen, nils eine Ovation zum Abschied darzubringen. „Es lebe der große Tonrist!" riefen die kleinen arabischen Stiefelputzer, und schwenkten ihre schwarzen Vnrstcn und mit Schuhwichse getränkten rothen Mützen, als der Räderkasten sich in Bewegung setzte. Bon Algier nach Medeah kennen meine Leser schon Weg nnd Gegeni). Nir erreichten letzteren Ort nach zweitägiger Fahrt. Von Medeah sollten wir in zwei Tagen nach Boghar, vonVoghar in vier Tagen nach Dschelfa uud von Tschelfa in vier Tagen nach El Aghuat gelangen, so daß die ganze Wagen-reise von Algier bis El Aghuat zwölfTagc inAnspruch uahm. 191 Mau sieht, auf der Neise touute uus ebeufalls uicht jeucr Vorwurf der Neber stürznng und aUzngroßen Schnelligkeit gemacht werden, welcher im Orient schlinnner klingt, als eine Beschuldigung schrecklicker Verbrechen. Hier sei uoch die Bemertnng voransgesänckt, daß der Ort, welcher gewöhnlich von Europäeru El Aghuat oder, in der frauzösischeu Vcrstinumeluug, Laghuat geuauut wird, cigeutlich ,<ÜÄt« äu ä^ert," (Kaffeehaus zur Wüstc) hieß, !,atte ihnen mitgetheilt, besagte Wüstc fange in Voghar an. Sie hofften also schon nach vier Tagen von Algier aus die Wüstc zu erreicheu und von da an immer zwischen Oasen? schatten und Wüstcnstille abzuwechseln. So war denn ihre ganze Wüstenfahrt nichts, als eine beständige Enttäuschung; denn die Wüste, die in Voghar anfangen sollte, fing erst acht Tage später an nnd während acht Tagen kochte es in ihnen wie siedendes Wasser, und hüpfte iu ihnen wie Quecksilber vor stets mächtig in Anspannung gehaltener und stets unbefriedigter Ncugierdc. Diese Wüstc führte sich sehr ungezogen auf und meine Reisegefährten schimpften gehörig über sie. Hier sei noch bemerkt, daß die Franzosen die Wüste schon einige Tagereisen vor El Aghuat anfangen lassen, aber nach der Beschaffenheit des Bodens und der Vegetation habe ich mich überzeugt, daß dieß durchaus unrichtig ist. Ein Bergland, welches Gewächse der Steppen trägt, ist keine Wüste, und mag es huudert Mal auf dcu Karten als Wüste aufgeführt seiu. Meinen Reisegefährten din ich schuldig, hier ihr Portrait zu eutwcrfeu. Der Franzose war ein dicker, pausbäckiger, stumpfnasiger Vierziger mit rother Nase, rothen Backen, rv-tl^- — ja was war nicht Alles an ihm roth? Als Künstler verschmähte er es, eine Perücke zu tragen, uud bot statt dessen 194 seine schöne strahlende Glade der Bewunderung der Welt dar. Er trug einen Schnnrbart nnd eine Impcriale, welche seine fetten Lippen so hervorstehen machten, daß es ihm das Aussehen eines Kampfhahncs gad. Uebrigcns war er der gnt-müthigstc Mensch von der Welt, nnd wenn man ihn nnr renommircn und immer renonuniren ließ, dann war er znfric-den nnd versöhnt mit Gott und seinen Nächsten. Mister S. war ein jnnger Engländer im bencidenswcr-then Alter von 21 Jahren. Wenn man ihn das erste Mal und nur oberflächlich ansah, machte er den Eindruck eines ziemlich vortheilhaften Acnßeren. Wenn man ihn aber ge-nancr anschaute, so konnte man nicht umhin, znr Heiterkeit gestimmt zu werden, so viel KomischcZ und Lächerliches lag in sci-nenZügen. Man denke sich anf einem Manneskörper das ver-schrumpfte Oesichtchen eines kleinen, mageren, altanssehenden Kindes. Es giebt solche kränkliche, magere Kinderchen, deren Gesichter etwas Greisenartigcs haben. Ein solches war es, dessen Kopf auf dcu Schultern des jnngcn Engländers saß. Angcn, Nase, Mnnd, Ohren, alles Das war in den schmälstcn Raun: znsaminengcdrängt. Wer das Illstiti, jenes winzige indische Acffchen, kannte, der mnßte in diesem Gesicht die größte Ael)n-lichkcit mit jenem Vicrhänder entdecken. Dieses vcrschrnmpfte Kindcrgcsicht loar stets znm Lachen aufgelegt, was ihm jedesmal etwas besonders Schelmisches gab. Es fletschte affenartig seine kleinen Zähnchen, sein kleines Naschen schien in die Höhe fliegen zu wollen nnd seine Acuglcin funkelten dämonisch. Ueber diesen Miniaturlopf wa^ eine Fülle unordentlichen, dunklen Haares, wie eine Perücke von ersticken- 193 dem Umfang, ausgegossen. Die Unordnung dieses Haares war jedoch keine natürliche, sie war ein tiefdurchdachtes Kuust-product; denn das Organ de^r Beifallsliebe, vulxo Eitelkeit, schien in dem Kinderkopfe auf Manuesschultcrn gauz besonders entwickelt zu sein. Der junge Engländer war, wie es seinem Alter geziemte, natürlich verliebter Natur. Er trug ein Medaillon an einer goldenen Kette, welches erIedermau» zeigte und welches das Portrait einer jungenDame mit rothen Haaren enthielt. Dieses Medaillon war berufen, auf unserer Reise noch eine Rolle zu spieleu. Im Uebrigcn war Mister S. ein wenig „stnnrüi", wie die Franzosen sagen, aber sonst, im Ganzen genommen, nicht viel unerträglicher, als andere unerträgliche Menschen. Der Kutscher, welcher wahreud so lauger Zeit uuseru uuzertrcunlichen Begleiter abgeben sollte, verdient auch eine Erwähnung. Es war dieß ein Sohn der Nace Chans. Es giebt Leute, welche für Alles, was Neger und Negcriu ist, schwärmen. Freilich, die Zeit des Onkel Tom, welcher Noman die schwarzen Unholde zur Mode gemacht hatte, ist längst vorbei. Aber dennoch sah ick in Algier mehrere Deutsche, frisch hergcschneit aus irgend einem Nest im Haunoveranischen, die vor jedem Ncgergcstcht voll Bewuuderung stehen blieben. Was mich betrifft, so theile ich diese Bewunderung nicht. Ein Neger erinnert mich immer nur au eine Bulldogge, oder an ein Schwein, ersteres, was sein Gesicht, letzteres, was seineil Instinkt betrifft. Schwarz ist nicht an und für sich häßlich. Schwarz kaun sogar schr schön sein. Aber einen thicrartigen, immensen Mund, eine plattgedrückte Nase und ein Paar Au- 13" gen, dcrcn Ausdruck von nichts, als der unberechenbarsten Stupidität redet, das wird Niemaud, sei cr auch noch so sehr Negcrfreuud, schön fiudcu. Ab.cr als ob sciue Häßlichkeit nock uicht abschreckend genug gewesen sei, so fand unser Neger nock für gut, sich täglich das Gesickt dick mit ranzigem Fett zu beschmieren, welckcs einen repulsiven Geruch verursachte. Zwischen Mcdcah nnd Boghar durchfuhren wir aufangs eine höchst abwcchselnngsvolle Gebirgsgegend. Eiue unregelmäßige Aucinandcrrciluing kegelförmiger Berggipfel, zwischen deren Massen zahllose Schlnchten sick hinzogen. Jede dieser Schluchten, trichterförmig gebildet, trug in ihrem tiefsten Abgrnnd eine Quelle, ciueu Wasserstrahl, um den die üppig-grüne Vegetation halbtropisckcr ^andschaftcn ilt bunter Unordnung aufsproß. Besonders der Oleander war hier zahlreich vertreten. Die Abhänge der Berge bedeckte wildwucherndes Strauchwerk nnd die höchsten Gipfel krönte nicht selten ein Wald immergrüner Eichen oder Pinien. Aus der Mitte dieser Wälder drang der aromatische Duft der Vistaoia, at,1»n-tie» hervor: jener baumartigen Sckirester der im Tell so häufigen strauchartigeu 1>i«t,»oiu, loMiuoug. Auch der schöne große gegliederte Lebensbaum, OaiestliL artieulata, breitete über dieser afrikauischcu Flora seine Zweige aus. Uuter deu Sträuchcru zeigte sich besouders der phönicischc Wachholder, 5unipei-u8 ^iioouioea. Am Fuße der Vänme und Gesträuche sproßte ein Heer von niederen Büschen: das zarte Hpartium lsoupai-iiiiu und der lebhaft blühende rohrartigc spanische Ginster, Kpaltium^uueLuin; daneben die?IiMirea latikulia i.nd die stranchartige Kngclbluine, (^lubularia ^.I)^um. 197 Bald verließ uns jedoch diese schöne, vegetationsreiche Gebirgsgegend. Je weiter wir vorrückten, desto monotoner wurde die Landschaft. Eiuc einförmige Hochebene, von wellenförmigen niedern Hügeln durchzogen, zwischen welchen Wir hie und da einen lichteren Pnntt, ein kleines Thal, ein bebautes Feld hervorleuchten sahen. Zuweilcu ragte eine einsame ^amai-ix F2,1Iiea aus dieser bereits baumarm gewordenen Gegend empor. Gegen Abcud boten alle diese Hügel, diese gewellte Ebene, einen ciuzigen einförmigen Farbenton dar: ein düsteres Graubraun, welches nicht einmal von dem Weiß arabischer Häuser unterbrochen wurde. Deun alle Eingeborenen waren hier Zeltbcwohncr. Der Araber dieser Gegend, der sich selbst in den schwarzen Vernus einzuhüllen liebte, zog anch für sein Zelt das unscheinbare Gewand des Schwarz oder Braun vor. Wenn man diese Zelte nicht sehr aufmerksam suchte, man würde sie nicht entdeckt haben und hätte die Gegend für undewohut halten tonnen, .An Unterkommen fehlte es uus übrigens nicht auf der Fahrt von Mcdcah uach Voghar, da man auf ihr uicht weniger als sechs französische Wirthshänser am Wege antrifft. In Bir-cl-Gni-ah, unserer ersten Station von Mcdeah aus, übernachteten wir in einem solchen. Der zweite Neiscmorgen bot uus, gcgeu uuser Erwarten, deun wir glaubten schon in das Land der Steppe eingedrungen zusein, noch eine letzte blühende Landschaft. Wir tameu durch eiueuWalo vou immergrünen Eichen. Zwischen dem Laubesmecr dieser grünen Umhüllungen zeigte sich hie und da eine gelichtete Stelle, von üppigen Gräseru bewachsen, deren Farbentöne, je nachdem 198 sic im Schatten oder im Sonnenlicht ruhten, bald blau, bald golden sich malten. Als wir unter einem Baume dieses Gebölzes vorbeifuhren, bemerkte das scharfe Auge des Engländers plötzlich ein Thier, welches mit nnendlicker Flinkheit sich von Ast zu Ast schwang. Wir zogen alle drei unsere Gcwebre bervor und legten darauf an. Das Thier fiel nnd beim Untersuchen zeigte sich das Sonderbare, daß es alle drei Schüsse empfangen hatte. Es war eine Gencttkatze, (Viverin Fenetw Von». xartii.) Das Fell hatte eine .nißeror^cntli^e ZaNbcit und Wcicbe. Diese Gcncttkatzc scheint in den afril'aniscben Wäldern die Stelle des Eichhörnchens zu vertreten. Sonderbarerweise fehlt dieses letztere Thier hier gänzlich. Plötzlich verließ nns dicse grüne, an den worden erinnernde Umgebung. Wir traten aus dem Waldesdunkcl hervor nnd ein echt afrikanisches Ponorama bot sich unseren Blicken dar. In seiner ganzen Länge vor uns hingestreckt, lag ein wcitgedehntes Thal, das Thal des Uiid el Hakum, eines kleinen wasserarmen Flüßchens, welches nicht im Stande war, seinen Ufern eine frische Vegetation zu verleiben. In diesem weiten Nahmen nahm sich sein dünner <>aden besonders dürftig aus. Zwei parallele Hügelketten faßten dies Thal ein, deren eine, noch ein Kind des Nordens, sich mit üppigem Strauchwerk bedeckte, während die andere schon die kahlen Bergcsrücken, jene Vorboten der Wüste, darbot. Wir folgten dem Thalweg des Ued cl Haknm bis dorthin, wo sich dieses Flüßchcn am Fuße der Mauern von Bogbar in den Sckcliff ergießt. Im Scbeliff begrüßte ich einen alten 100 Bekannten. War ich doch vor mcbreren Iabren Tage lang an dem Ufer dieses antiken Ebinalaph entlang geritten. Bogbar batten wir schon von weitem als einen grancn Punkt, von düsteren Bcrgesmassen umragt, erblickt. Unser )iacktauartier sollte jedoch nicht Bogbar selbst, welches ausschließlich ein französisches Soldatenstädtchen, eine Citadelle von fast nichts als rothen Hosen bevölkert zn sein schien, sondern das freundliche, östlich von ihm gelegene Boghari bilden. Es gab zwei Orte, welche diesen Namen führten: das eine, ein altes arabisches Städtchen, LoF^ari arado gedcißcn, das andere, eine neue französische Schöpfung, zum Theil von Franzosen bewohnt und Lnßkari kran^aiL genannt. Letzteres Dorf war die eigentliche Station auf der Noutc nach El Aghuat und bot dem Wanderer Bequemlichkeit in seinen Gasthöfcn und Sehenswerthes iu der maunichfaltigen Form seiner bunt zusammengewürfelten Bewohner dar; während Boghar selbst finster uud abgeschlossen in seinem militärischen Tummstolz seitab lbronte und den Touristen seiner soldatischen Vcrach-tnng zu weil'eu schien. Von Boghar erlaube man mir denn auch weiter uichts zu sagen, als daß es von Berbruggcr für das OägteUuN Hünoritanuiu des Itiuerars gehalten wird. Das arabische Bogbari war ein kleines weißes Dorf, von braunen Adern, seinen Straßen, durchzogen. Es lag auf einem Felfen, welcher eine Schlncht beherrschte, deren Wände jeden Geologen in Entzücken verfcht haben würden, eine solche Manniü'faltigkcit zusammengewürfelten Gesteins boten sie dar. Hier fcbltc weder die purpurne Gluth des Porphyr, noch das glänzende Weiß des Achats' Marnioi 200 schien vorzuhcrrschen, aber seine Adern schillerten in allen Farben vom Veilchenblau bis zum Blutroth. Drei oder vier Feigenbäume, welche im Grunde dieser Schlucht ihre Laubeskronen ausdehnten, das war Alles, was in und um Voghari von baumartiger Vegetation sick sehen ließ. Boghari erinnerte mich in einer Beziehung lebhaft an Biskarah. Es war dieselbe beständige Lustbarkeit, dasselbe ewige Tohuva Vvhu in den Straßen, dieselbe uuaufbörlichc Musik. Dieselben Na'i'lijah oder Tänzerinnen vom Stamme der Ulad Nail durchzöge» seine Straßen, jubelnd, lachend, singend, ihre langen Locken schüttelnd nnd ihre üppigeu Körper in phantastischen Tänzen im Tact wiegend. Boghari besaß eine ziemliche Anzahl Buden und Läden, worunter auch einige große Iudeinnagazine. Wie iu Biskarah und Tuggurt, so waren außer den Iudeu hier die M'zabitcn vorzüglich als Haudclsvolk vertreten. Beide Haudelsvölker geuosseu hier nicht eben des besten Rufes, was Ehrlichkeit betrifft. Die Bürger von Voghari waren ange durübcr im Uuklareu gewesen, wer von beiden besser zu betrügen verstehe, ein Jude oder ein M'zabite. Ueber diesen. Punkt sollen sie vor Kurzem durch ein Geschichtchen, welches sich hier zutrug, aufgeklärt worden sein. Es ergab sich nämlich eine Gelegenheit, bei welcher M'zabitcn und Iudeu miteinander ein Geschäft abschlössen und so ihre größere oder geringere Fähigkeit in llcl'crvortheilung des Nächsten an den Tag legen konnten. Die Scheikhs der Stämme des Innern pflegen auf den Märkten der Algcrie gewöhnlich die Einkäufe für ihren gauzeu Stamm zu besorgen. 201 So kam auch ein Scheikh der Bein M'zab (M'zabiten) nach Boghari, um daselbst iu ciucm Indcnmagazine einc große ^luau-tität von dem bei den Eingcborcncu so überaus beliebten ordinären Eattun einzutanfeu. Der Scheikh trat iu deu ^adcu des Iudeuund kündigte au, er wolle sound so viel Ellen Cattun kaufen. Dcr Cattuu wurde ihin zugemessen uud dcr schlaue Jude irrte sich beim Zumessen absichtlich um einige 20 Men zu Guusten seines Kuudeu, mau wird gleich scheu, warum? Jetzt wurde dcr Preis festgesetzt. Der Jude verlangte mehr, als dcr Eattun werth war, für die Elle. Aber der Schcikh hatte wohl gemerkt, daß der Jude ihm 20 Ellen zu viel gegeben habe uud berechnete, daß, selbst wcun er dcn höheren Preis für die Elle zahle und nur schnell die Waare davontrage, ehe der Jude seinen Irrthnm merke, er immer noch ge-wiuuen würde. Der Scheikh stellte sich zufrieden, zahlte, um keine Zeit durch Handeln zu verlieren, und nahm schon die Waare unter den Arm, um mit ihr davonznlanfen. Aber, als er eben zur Thür Hinausgeyen wollte, rief ihm dcr Jude zu: „Ich glaube, ick habe mich deim Messen geirrt!" Nnn mußte die Waare nochmals gemessen werden, der Schcikh mußte die 20 Ellen herausgeben nnd det'am sein Geld nicht wieder, denn er war ja auf dcn höheren Preis eingegangen. So hatte dcr Indc dem Scheilh geschickter Weise einen Köder zugeworfen, dcr »lachte, daß derselbe auf dcu höhereu Preis eiuging. Als fein Zweck erreicht war, zog dcrIude dcnKödcr zurück uud dcr Schcikh der M'zabiten warangeführt. Die Beduinen besitzen übrigens auch eine große Fertigkeit im Betrügen uud Schwindeln. Ein Fall, der hier als Beispiel 2V2 dienen mag, soll sich ebenfalls vor Kurzen, in Boghari zugetragen haben. Ein arabischer Schcikh, in einen präcbtigcu Vernus gekleidet, trat in einen Iudcnladcn, gefolgt von zwei Dienern, welche einen schweren Sack trngen, der allein Anschein nach voller Fünffrankcnstücke war, denn, wenn die Schcikh'Z ihre Einkäufe machen, so pflegen sie stets ihr Geld anf diese Weise mit sich herumzutragen nnd zwar immer in Silber. Der Inde witterte in dem Scheikh einen gntcn Knnden, nannte ihn ,,Ia Sidi" (O mein Herr!) nnd sprach zn ibm: „Was stcbt zn Deinen Diensten, o mein Gebieters' DcrSchcith wählte sich etliche 20Ellen des schönen, zcinsten rothen Tnchcs aus, auch 10 Ellen Goldbrocat für seine Gattin nnd eine Menge Kostbarkeiten. Eben schickte er sich an, zn zahlen. Da siel ihm aber plötzlich ein, daß er erst zum Schneider gehen müsse, um ihm das Tuch und den Brocat zn zeigen, ob dieß sich ancb gut für die Gewände eignen würde, welche der Scheikh wollte machen lassen. Er verschob deßhalb die Zahlung nnd bat den Juden, ihm bis zu seiner Surückkuuft den Sack mit Fünffrankenstücken aufheben zn wollen. Der Jude schöpfte keinen Verdacht; er ließ den Schcith die Waare mitnehmen uud dachte: „Nnn, wenn er nicht zurückkommt, so bin ich durch diesen Geldsack hinlänglich entschädigt." Der Scheith ging nnd — kam nicht zurück. Nach eiuigen Tagen öffnete der Jude deu Sack und was fand er? — die schönste Sammlnng von Fenersteinen, die man sich denken kann. Wir brachten den Abend inNoghari im arabischen Kaffeehause zu, wo getanzt, gesungen, gesprungen wurde nnd des 203 Jubels kein Ende war. Voghari war cine echte Vcrgnü-gungsstadt. Aber obgleich Voghari cin Capua war, so waren wir doch keine Krieger Hannibals, und blieben nur die eine pflichtschuldige Nacht daselbst. „Heute," so sprach der Franzose, als wir eben aus Voghari ausführen, ,,werden wir hoffentlich in die Wüste eintreten." „Wenn Sie unter Wüste das verstehen, was viele Franzosen so nennen, so mögen Sie Recht haben," erwiderte ich. „Es ist wohl eine Wüste, durch die wir kommen werden, aber es ist uicht die Nüstc. Die wahre Sahara, die werdeu wir weder heilte, noch morgen, noch übermorgen, noch auch in sieben Tagen zu Gesicht bekommen." So war es auch. Es war eine Wüste, in welche wir gleich hinter Voghari eintraten. Es war eine Wüste an Trostlosigkeit nnd Vegetations-armuth, aber es war nicht die Wüste. Hier waren keine quelldurchrieselteu Oasen, leine stolzen Palmen hoben ihre geisterartigcn Häupter empor, wie in Biskarah, wo sie mir zugerufen hatten: „Nur wo wir siud, da ist die Wüste." Es war cin Land, ganz von Stein oder von einer Erde, welche eine steinartige Härte nnd einen steinartigcn Abglanz hatte, von einer Erde, welche anssab, als sei sie in der Hollen-küchc eines Vulkans gebacken und wieder gebacken worden. Kein Grashalm, kein Moos, kein Unkraut, i,a jnickt einmal die trockene Distel wucbcrtc hier. Dieses seltsame Land war keine Ebene. Freilich verdiente es auch nickt den Namen eines Gebirges. Es war eine Aneinanderrcibung abgeflach- 204 ter Felsenplatten, welche sich nur hie lind da phantastisch zerrissen zeigten. In diesen Nissen lagen enge Thäler, ebenso kahl, ebenso nackt wie die Fclscnplatten über ihnen. Dies ganze monotone Panorama war von einem einzigen Farbenton überzogen, wekberzwar weder roth, noch gelb, noch brann sich darbot, aber ein unschönes Gemisch aus allen diesen dreien bildete. In dieser öden Gegend war Alles einsam. Kein Laut regte sich um uns, weder fern noch nah. Nur hie und da stieß ein Geieradler ^0^»«tc>8 bardatog) seinen grellen-Schrei ans, wie er über die öden Felsenplatten dahinjagte und enttäuscht, denn hier hatte er keine Nahrung gefunden, seinen Flug glücklicheren Zonen zuwandte. Diese trostlose Landschaft sollte uns jedoch nicht länger als einen Halden Tag begleiten. Bald erreichten wir Nas el-A'i'n, welches wörtlich Vorgebirg der Quelle bedeutet, denn die Araber haben in ihrer bilderreichen Sprache anch jene Vorspränge von Gebirgsketten Vorgebirge genannt, welche in weite Ebenen oder Wüsten hinausragen. Sind doch diese Ebenen oder Wüsten gleichsam irdische Meere. Von diesem Ras-cl-AlN erblickten wir plötzlich ein neues nnendlich weiteres Panorama, als das verlassene, vor uns. Unser Auge beherrschte einen Flachcnranm von vielleicht 12 deutschen Quadratmeilen. Diese weite Ebene war zwar nicht mehr von jener gänzlichen Abwesenheit der Vegetation, wie die Fei seilplatten des Hochlandes. Hie und da boten sich Gefilde, von einem matten Pflanzcnlebcn dnrchdrnngen. Hie und da zeigten sich einstgrünbewachsenc, jeht verdorrte Glasflächen. Hie und da streckte sich eine Wildniß von Strauchwert dahin. 203 Aber diese Ebene war denuock arm, und tonnte nur dein willkommen sein, welcher die noch trostlosere Gegend verlassen hatte, ans der wir eben erlöst waren. War das Hochland der Fclscnplatten gcwißcrmaßcn eine U e b ert r e i d u n g der Wüste in Allem, was sie Schauerliches hat, gewesen, so ersckien diese Ebene mehr als cm mißlungener Vcrsnch zn einer Wüste, als ein charakterloses Zwittcrdiug zwischen Wüste nnd Steppe. Dennoch war diese au und für sich so avme Landschaft nicht ohne Reiz, aber dieser Reiz lag nicht iu ihr selbst, sonder» iu der Beleuchtung. So wahr ist es, daß das göttliche Himmels -licht selbst aus der tranrigstcn Erscheinung etwas Schönes zu schaffen vermag. Die Wolken flogen hin über diese Ebene und wie sie bald ihre Schatten über einen Tbeil derselben warfen, bald sich zurückzogen um die Gefilde der Sonue bloszulegen, da brachten sie die phantastischste Abwechsinngin den Tinten, welche sich anf dem Steppengruude malten, hervor. Dort zog ein Streifen veilchenblauer Nebel dahin. Dort wandelte eine lichtwcißc Wolke und das Land unter ihr glich einem bcleuchtetcu Dome, während daneben das ungetrübte Sonnengold ciuc hellvcrbranute Ebcue gelb uud roth, wie die Wände eines glühcuden Ofens, malte. Dort theilte sich eine Masse lenchtcndcr Wasserdämpfe: die ciuc Hälfte stieg zur Erde nieder uud schuf die Flur für das vou ferne hinschauende Auge iu ciueu Sec um; die andere Hälfte strebte Himmclan, wurde dichter und dichter und erschien zuletzt wie der Kern eines leichten rosigen Wölkchens, welches jnbclud vor der Sonne hinwandclte. In dieser Ebene erstreckte sich noch vor wenig Jahren 20« ein Sumpf, welcher die tödtlichsten Miasmen aushauchte. Jetzt hat ihn die französische Regierung austrocknen lassen und mit väterlicher Fürsorge an seiner Stelle ein Colonistcn-dorf, Namens A'M cl-Usera, gegründet. Der Sumpf war zwar verschwunden, aber die Miasmen waren geblieben und die Gesichter der spärlichen Colonisten, welche das Danaergeschenk dieses Sumpflandcs angenommen hatten, sahen aus wie jene Schatten von Menschen, welche mir in den pontini-schcn Sümpfen zwischen Nom und Tcrracina begegnet waren. Ein französisches Karawanserai, mitten in diesem Sumpfort erbaut, sollte uns zum Nachtquartier dienen. Monsieur V. behauptete, man müsse in Sumpfgegenden nur recht tüchtig essen, daun werde man ficberfest. Diesem Rathe folgten wir beim Souper nach Kräften. Eine junge Spanierin, deren Mutter eiuen Franzosen znm Manne hatte, welcher die Wirthschaft im Karawanserai verwaltete, bediente uns beim Abendessen. Dies jugendliche, bildschöne Mädchen wurde vom Fieber geschüttelt. Sie hatte ein Maricngcsicht. Aber sie war eine bleiche, abgemagerte Madonna. Dennoch hatte das Fieber nicht vermockt, ihr auch nnr einen ihrer Reize zu rauben. Blaß und fahl, eingefallen, aber nicht welk, mit großen schwarzen Augen, vou zartem, wie verschleiertem Feuer nnd laugen wallenden Locken, glich sie einer Zlawr ä,«1orc>8cl. 207 Neuntes Capitel. Dschelfa. Waldig Ocgei'd. — Gnell°es-2thcl. — Haifa. — Salzhügel. — Troft!o,'e Gegend. — Antunfl lu Dschelfa. — Das Hotel, — Zwei reifende Engländerinnen. — Die Einladung zum Ab-siiithlniiteü. — Landparthie in der Steppe. — Si Scheriff. — Falkenjagd. — Diffa. — Si Scheriff's Erzählungen. — Grau^ famer Sittenzug. — Abreise von Dschelfa. — Die mililärlieben-den Damen. Wir befanden uns in A'in-cl-Usera ungefähr in der Mitte jener großen Ebene, welche sich zwischen Boghar nnd Guelt-cs-Sthel hinzog. Diese Ebene brachten wir am zweiten Tag nach unsrer Abreise von Boghar hinter nns nnd drangen in das Thal von Guelt-cs-Sthel selber ein. Hier änderte sich plötzlich der Charakter der Landschaft auf's Ausfallendste. Eine Aneinanderreihung von steinigen Bcrgen mit bizarren Formen, welche mehr aus Kieselgeröll als aus Felsen zusammengewürfelt nnd phantastisch aufgc-thürmt schienen, umragte auf beideu Seitcu das schmale Längenthal. Diese seltsam geformten Berge trugen auf ihren höchstcu Gipseln Wälder von Pinien und Eederu. Von letzteren bemerkte ich zwei Arten, die Oeällig ar^ntea mid OeälliL viliäiä. Diese herrlichen Kinder südlicher nnd doch zugleich dem Norden verwandter Pflanzenzonen streckten ihre dunkelgrünen wagerechten Aestc majestätisch aus, auf welchen 208 der Schlangenadler (0'ironet.os dlüc^äaot^ioL) sein mächtiges Gefieder auf kurze Zeit zur Ruhe zusammengefaltet hatte. Pinien und immergrüne wichen bildete» iiu Thal grünende Haine, so daß mau sich plötzlich au dem Punkte, den mau schon für die Schwelle der Wüste hätte lialteu »lögen, in eine europäische Laudscbaft verseht fand. Mitten iu diesem Thal, vou Stci» und Bäume» eiuqc-schlossen, lag das Karawanserai vou Guclt-es-Sthel, wo wir ein Obdach fanden. Am Morgen nach Gnclt-cs-Sthel nahm uns die Ebene von Neuem auf. Ihre südlichste Grcuzc bildete eine Gebirgskette, welche, sich wie ein dunkler Wolkenstreifcn am fernen Horizonte abzeichnete. Diese weite Bodcnflächc war mit dem Halfa lMaruokiLI tsnkoiuuim»), einem buschigen Grase, reichlich bewachsen, welcbcs auf diesem undankbaren Boden ncbcu wenigen ander» Steppeupflauzcu allein zu gedeihen schien. Dieses Halfa starrte schilfartig iu die Höhe. Es wuchs überall in kleinen Vüscheln und bildete folglich keine gleichmäßige Grasflächc. Es glich in Farbe und Form eiucm kleinen Rohre, welches nuter dem Hauch des Luftzugs sich beugte uud dessen dichte Büschel dann, wie Menschenhaar, im Winde hinwehte». Anfangs kam mir die Hlaroolile», tunaciggiiuä, weil neu, auch iuteressaut vor. Hatte ich sie doch nie in so zahlreichen Ercmplaren gesehen. Aber sehr bald wurde mau gegen die Neize dieser subtropischen Pflanze abgestumpft, so mouoto» war sie. Ein Busch Haifa gleich dem andern: immer derselbe borstige Büschel, auf einem kleinen Erdhöcker sich erhebend. Eine ganze Ebene voll dieser Höcker und voll 209 dieser Borsten, das war eine Probe für unsere Geduld. Wir bestanden sie triumphirend und erreichten am Abend den Had-schra-cl-Mhel oder Fels des Salzes, einen einzeln aus der Gbcnc hervorragenden Berg, der, wie sein Name, sagt, viel von dem bitter schmeckenden Mineral enthält. Gran war die vorherrschende Farbe dieses Salzberges. Grau! aber nicht ein ein einziges Gran, sondern Grau von allen nur denkbaren Schattivungen und Nüaneirungeu. Da war das weißliche Grau des Kalksteines, das gelbliche, das rö'thlichc Gran, welches scine Schattiruug dem Vorhandensein lehmiger Bestandtheile verdankte, malten sich in bunter Unordnung durcheinander, das schwarze Gran des Salzes, welches in schieferhaltigcm Boden vorkam, blickte ernst und finster in das Thal hernieder, uud das grünliche Grau, welches von kaum merklicher Vegetation durchdrungen schien, glich eiucr Oase mitten in diesem bunten Farbeuchaos, auf welcher allein der Blick befriedigt ruhen mochte. Dieser Satzberg hatte zwei Häupter, von denen mehrere Bächlein niedcrströmteu. Aber es waren keine krystallreinen Bächlein, welche licht nnd durchsichtig über Diesel dahiurieselteu. Sie trugen auch nicht jene gelbliche Farbe, welche Schlamm und Lehm den Flüsseu zu verleihen pflcgeu. Nciu! sie, waren milchig, wey>, talkig, trübe uud flössen langsam mit dicker, malzartiger Flüssigkeit. Nach einer bei Hadsclna el Mhel, in dem dortigen 5ta-rawanscrai zugebrachten Nacht, setzten wir unsere Neise nach Dschelfa weiter fort. Diese kleine Ortschaft, welche den Mittelpunkt des Weges zwischen Baghar uud El-Aghuat beDrei Jahre im Nordwesleu von Asrila. III. 14 21ft zeichnet, erreichten wir gegen Abend nach einer neuen, tage-Wagen, trostlosen Wallfahrt durch eine Halbstcftpc oder Halbwüste. Wir waren seit Boghar zw,ir nnmerllich gestiegen, aber immer gestiegen, so daß wir uns am <5nd e viertägigen Steigcns auf einer Höhe von 3500' über der Mecresfläche befanden. In dieser einsamen nnd öden Hoch ebene bot sich Dschelfa unsern Blicken dar. Seine ,^age erinn erte mich lebhaft an die von Bathna. Glücklicherweise sollte ich jedoch jetzt nicht hier jene für Afrika so große Winterka'lte ausznstehen bekommen, welche mir in dein ofen- und kaminloscn Bathna so viele kleine Leiden verursacht hatte. Jetzt war es ja erst (5ndc i)iovember und, obgleich schon empfindlich kühl, so fehlte doch dcr Schnee, und der Frost sollte sich vielleicht erst in einem Monat melden. Diese beiden, mir überall antipathischen, aber besonders in Afrika unangenehmen Dinge, Schnee und Frost, sollten wir dann auch auf nnsrcr Mickreise von El-Aghuat nach Herzenslust zu genießen bekommen. Dschelfa war eine ganz neue Schöpfung und bestand bis jetzt erst aus etwa 10 Häusern, in welchen eine europäische Bevölkerung von siebzig Seelen traurig vegetirt e. Es war ein kleiner Gasthof daselbst. Wir konnten also nicht zu dem Karawanserai nnsere Zuflucht nehmen, welches immer, was Küche, was Betten, was Reinlichkeit betrifft, den Oasthöfen kleiner afrikanischer Städte und Dörfer vorzuzieheu ist. Aber das Karawanserai nimmt eigentlich nur Militär Personen und Civilisten nur dann auf, wenn ihnen jede andere Unterkunft fehlt. Anf den kleineren Stationen konnten wir immer in 211 Karawanserais übernachten, aber in sogenannten Städten oder Dörfern, wie Boghar, Dschclfa, Cl-Aghuat, mußten wir den Gasthof aufsuchen. Wir glaubten wenigstens die Paar Zimmer des Gasthofs für uns allciu haben zn können; denn die Zahl der Reisenden nach El-Aghuat war nur sehr gering. Wer beschreibt jedoch unser Erstaunen, als man bei unsrer Ankunft uns sagte, wir könnten alle Drei znsammen nur ein einziges Zimmer bekommen, da der ganze Gasthof durch zwei „6,3,11168 knziaiLeu" ciugenommcn sei. Das war etwas Neues. So weit hatte ich nicht geglaubt, würden sich fashionable englische Touristinnen verlieren. Nicht als ob solche nicht wcit uud uoch viel weiter, als die Sahara, reisten! Aber sie reisen gewöhnlich doch nur da, wo genug männliches Publi-cum vorhanden ist, um sie reisen zu s eh eu und zu bcwuudcrn, und hier war ein trauriger Maugel au einem solchen Pudli-cum, denn wir waren seit zwei Monaten die einzigen Touristen, die nach El-Aghuat fuhren. „Das müssen keine Ladies sein," sagte der naseweise Mister S. „Es sind vielleicht sehr amüsante Frauenzimmer," rief der Franzose. „Tort sehe ich eine am Feuster," fiel ich ein. „Sie hält etwas in der Hand, aber ich kann nicht unterscheiden, was es ist." „Ick unterscheide es sehr wohl," unterbrach mich Monsieur V.; „es ist ein Glas Absinth, pui-bien!" Ich hatte es wohl bemerkt, aber nicht auszusftrecken gewagt. An dem Fenster stand eine Dame von etwa 40 14* 212 Jahren, die aber so schön „znrecht gemacht" war, daß man sie für 30 hätte halten können und man errieth, daß sie selbst für 25 gelten wollte. Diese Schöne hielt, — meine Leserinnen verzeihen es mir, aber die Wahrheit vor Allem, ^ ein Glas Absinth in der Hand. Vald erschien neben ihr eine jüngere Tame von großer Schönheit, die ebenfalls — ein Glas Absinth in der Hand hielt. Zwei Engländerinnen, mitten in einer afrikanischen Steppe, antreffen und sehen müssen, daß diese zarten Wesen sich mit Absiuthtrinkcn die Zeit vertreiben, das war allerdings etwas Ungewöhnliches. Wir zogen uns trostlos in nnser kleines Zinnner znrücf, welches wir verurtheilt waren, zu Dreienzn bewohnen. Plötzlich öffnete sich jedoch die Thür und ein junges Mädchen von fremdartigem Anssehen, aber dnrchaus nicht häßlick, trat ein. „Was steht zu Ihren Diensten, mein Fränlein?" frugen wir. „Ich bin die Kammcrjnngfer von Missis M. . . .", sprach das Mädchen, „welche bedauert. Ihnen die besten Zimmer im Hütel vorweg genommen zu haben." „Sie bedauert es!" rief der Franzose, „o wie rührend! Können wir etwas für Ihre Gebieterin thun, mein schönes Kind?" „Meine Herrin," erwiderte das Kammermädchen, „läßt Sie einladen, Ihren Absinth vor Tisch bei ihr, in ihrem Sa-Ion einzunehmen." Also anf Ahsinthtrinkcn war es entschieden abgesehen. „Sagen Sie Ihrer Gebieterin," rief Monsieur V., Während er versuchte, Kunststndien an der Taille der jugend- 213 lichen Erscheinung anzustellen, „wir würden uns glücklich schätzen, in Gesellschaft von so schönen, so höflichen und so verständigen Damen unsern Absinth einzunehmen." „Habe ich es nicht gesagt," bemerkte der Engländer, als die Zofe fort war, „daß es keine Ladies sein könnten'^" „Und hal'c ich es nicht gesagt," siel der Franzose, ein, „daß c,s vielleicht höchst amüsante Frauenzimmer scinmöchtcn?" Der Künstler mochte, in seiner Eigenschaft als Franzose, schon allerlei galante Plane nndTränmcvon „bonne kortuns" gemacht haben, als wir bei den Damen eintraten. Aber hier wurde uns gleich beim erstcnVlick klar, daß diese Damen uns nicht hatten in der Absicht rufen lassen, welcke der,M" von Franzose vielleicht vermntbcte. Die Festnng war bereits in allen Regeln eingenommen und zwar durch — zwei französische Offiziere, welche bei diesen Damen in sehr nonchalanten Posen auf dem Sopha faßen und Absinth tranken. Dennoch wurden wir mit Jubel begrüßt, denn Touristen in Dschelfa waren eine Seltenheit. Es entwickelte stch sogleich eine Intimität und Kameradcric, welche nur unter Touristen und Touristinnen möglich ist, die sich an solchen Orten autreffen, welche gewisscrmaßeu außerhalb der Welt liegen. „Sie werden doch einige Tage in Dschelfa zubringen?" sprach die eine Dame. ,,Es ist ein sehr angenehmer Aufcuthalt." Dieß angenebm wurde aeeentnirt nnd dabei blickte sie zärtlich naä', einem kahlköpfigen Cavitain, der sie mit abfinth-trunkencn Angcn firirtc. „Angenehm muß der Aufenthalt immer sein, wo 214 solche Göttinnen weilen," erwiderte unser Künstler poetisch. „Sie scheinen gute Kerle zu sein/' rief die ältere, etwas burschikose Dame. ,,Bleiben Sie doch hier. Wir werden zusammen Landparthien machen und uns recht gut unter-halten." „Laudparthicu?" frugen wir erstaunt. ,,Landparthicn in dieser Steppcneinsamteit?" „Nicht so einsam, als Sie glauben," sprach Missis M— „Ein Paar Schritte von hier wohnt mein Freund, der Kaid der Ulad Nail, der uns mit Frenden empfangen nnd uus vielleicht eine Jagd zum Besten geben wird." Solcher Perspective,vermochten wir nicht zu widerstehen. Ein Kaid von der Bedeutung des Häuptlings des großen Stammes der Nlad NaN nnd eine arabische Jagd: das waren Dinge, die wir auf nusercrganzeuTour noch nicht angetroffen hatten. Wir versprachen zu bleiben nnd die ^andparthic wurde auf den kommenden Tag festgesetzt. Am folgenden Morgen fand die Erftedition statt. Der kahlköpfige Capitaiu, welcher Chef des Bureau arabe in Dschelfa war, hatte den Engländerinnen nnd nns Neitpjcrdc verschafft und er selbst, sowie, der andere Offizier, begleiteten unsere kleine Karawane, welche dnrch einige 20 hinten nachlaufende zerlumpte Araber beinahe zu einer großen geworden war. Die Töchter Albions saßen hoch zu Noß in eleganten Amazoncutrachten. Wir erregten bei den siebzig Bewohnern 215 Dschclfa's cine nicht geringe Sensation, als wir, zwei Frauen und fünf Mann stark, durch die halbe oder Vicrtelsstraße dieses im Werden begriffenen Nestes ritten. Unfcrc Landftar-thie galt, wie die Engländerin angekündigt hatte, dein Lager des Schcith's der Ulad Nail, welcherWürdenträgerSiSchcriff hieß. Dieser Si Sckeriff hatte zwar auch in Dschclfa eine Wohnung, aber, uns dort zu empfangen, das wäre ohne alle Originalität gewesen nnd zudem wollte er uns eine Falkenjagd zum Besten geben. Unferc Rosse wieherten, die Araber schrieen, dicVcwob-ncr von Tschclfa schwatzten und steckten die Köpfe zusammen, die Hähne krähten, die Hunde bellten, als wir ausrückten. Vor dcu Thoren Dschclfa's cmpfig uns eine weniger geräuschvolle Atmosphäre. Hier war Alles Stille. Unermeßlich streckte sick die Ebene hin, in der nichts, nichts zu wachsen schien: nickt einmal das Halfa, welches nns bis jetzt begleitet hatte. Durch diese Stepvcnwüste oder Wüstcnsteppe zog sick jubclud unsere kleine Karwanc hin. Mit ihrer curo-päiscben Lustigkeit bot sie cinc Dissonanz in diesem großartigen, aber sckwermüthigcn Gemälde, in welchem man sich höchstens als Staffage ein Paar betende Eremiten oder einen Marabut, der, der Welt entrückt, hier fromme Wunder ausübte, vorstellen konnte. Statt dessen waren hicr ein Paar frivoler Engländerinnen, die an nichts weniger, als beschaulichen Gcnnß der hehren Wüsteneinsamkeit dachten, sondern sich vielmehr die trivialen Vergnüguugendcr Civilisation hichcr zu wünschen schienen. Wir waren vielleicht cinc halbe Stunde geritten, als eine schwarz-braune, am Boden 21ß kauernde Masse vor unsern Blicken auftauchte. Diese Masse zeichnete sich in größeren uud immer größeren Umrissen vor uns ab, und znlctzt wurde sie deutlich und wir sahen etliche dreißig niedriger, schmutz färb cner Kegel über der horizontalen Steppcnlinie in die Höhe ragen. Es waren die dunklen Zelte Si Scheriff's. Als uus nur noch etwa 100 Schritt von diesen Zelten trennten, sahen wir plötzlich einen Neitertruvp, der in jenem wahnsinnigen Galopp, welchen die Araber Phantasia nennen, auf uus zugespreugt kam. Wir glaubten schon von ihnen überritten werden zn müssen, wenn wir ihnen nicht Platz machten. Aber die Engländerinnen, vertraut mit den Sitten der Araber, riefen nns zu, nur ruhig anf demselben Wege weiter zu rcitcu. Jetzt war der wild dahcrsauseudc Neiter-schwarm nur uoch wenige Schritte von nns entfernt. Noch ein Augenblick dieses verrückten Galopps und wir wären zu Staub und Asche gestampft worden. Aber da, im Moment, als eben das vorderste Pferd uuserc Karawane berührte, zogen alle Araber ihre Zügel an. Die Rosse bäumten sich zu-rück; sie schnanbten zwar, wie zornerfüllt über dieses unerwartete, gezwungene Einhalten ihrer wahnsinnigen Earri<^re, aber sie hielten an. Wie ein Mann, so standen alle Rosse und Reiter plötzlich still. Ehe wir jedoch uns von nnserer bewuudernden Nebcrraschuug über dieses geschickte Rciter-manöver einigermaßen erholt hatten, da traf unsere Ohren plötzlich ein donnerndes Geknalle, wie die Detonation einer Höllenmaschine, welche man anf nns abgebrannt hätte. Kaum batten uämlich die Araber ihre Rosse gewaltsam zurückgestemmt, 21? als jeder von ihnen seine Büchse nahm, auf uns anlegte, und zwar in viel größerer Nähe von uns, als Pistolcuschußweitc, und auf uns — losschoß. Aber die tollkühnen Schützen fehlten sämmtlich. Wir standen unversehrt da und, nach der ersten Nebcrraschung, lachten wir herzlich über diese allzube-redtc Bcgrüßungsart. Denn das Abfeuern ihrer Gewehri auf uns und das nahezu Ucbcrrcnnen unserer Leiber war uichts als Begrüßung und noch dazu eine sehr ehrende, böf-lichc Begrüßung gewcfen, wie man sie nur Ncspcctspersoncn zu Theil werden läßt. Die Araber nennen dieß: „das Pulver reden machen". Niemand kann scineu Gastfrcnnd mehr ehren, als wenn er im wahnsinnigen Galopp der Pyantasia auf ihn zusprcngt uud „das Pulver reden macht" und zwar ihm ins Angesicht hinein. Freilich sind die Gewehre, wie man sagt, nur mit Pulver geladeu, aber nicht selten geschehen trotzdem Unfälle dei diesem „Pulver reden machen". Papier wird anch oft in die Läufe hineingesteckt und dieß Papier fliegt nicht selten Einem oder dem Andern in'Z Angc nnd hinterläßt dem so höflich Begrüßten ein unangenehmes Andeuten von der „Beredtsaml'eit" des Pulvers. Aber Wenige sterben in Folge vom „Pulver reden macben", obgleich dieß anch nicht ohne Beispiel ist. Ich hatte mit dieser originellen Begrüßungsart trotz meiner langen und öfteren Anwesenheit in Algerien bis jetzt noch nicht persönliche Bekanntschaft gemacht, da sie von der Regierung ihrer Gefährlichkeit wegen durchaus verboten worden ist. Die Araber haben aber eine Passion für dicfcs gefährliche Spiel. Si Scheriff mußte übrigcus mit dem Capitain des Bureau arabe sehr gut stehen, um sich 218 dergleichen unerlaubte Ehrenbezeigungen in sciner Gegenwart zu erlauben. Jetzt nahmen nns die Araber in ihre Mitte und bald stiegen wir vor den schwarzen Zelten Si Schcrifs's ab. In einem dieser Zelte lag ein kostbarer Tcppich auf dem Boden, ein französischer Tisch stand darauf, französische Stühle standen um diesen herum und ein französisches Dejeuner wartete unser. Ich war unangenehm enttäuscht. Dazu also waren wir zu den Beduinen gekommeu, nm eine Carieatnr europäischer Sitten zu findcu? Die Damen und meine Reisegefährten schienen jedoch gar nicht meiner Anficht, sondern sprachen dein pseudofranzösischen Dejeuner, so gut sie konnten, zu, und so 0ut es das Dejeuner gestattete, welches herzlich schlecht war, denn es bestaud aus französischen Gerichten, von einem arabischen Koche zubereitet. Als das langweilige Dejeuner beendet war, traten wir vor das Zelt und da wartete unsrer ein echt bedninisches Säiau-spiel. Der Scheith, an der Spitze von etlichen vierzig Reitern, ritt anf die Jagd mit Falten aus. Ihm folgte eine Schaar seltsam aussehender Windhunde, geführt von den Hnndeknechten, halbnackten, malerisch zerlumpten Burschen. Diese Hunde, die ich Windhunde nenne, weil man mir versicherte, daß sie zu dieser Nacc gehörten und nicht etwa, weil sie unsern Windhunden glichen, hatten kurze, kleine Neinc, lange Ohren, einen länglichen Körper — so weit waren sie Dachshunde; sie besaßeu aber auch ciueu langen Hals, einen schmalen Kopf und ganz glattes Fell—und in so weit waren sie Windhunde. Eigentlich waren diese Thiere häßlich. Aber 219 wenn man sie aufmerksam beobachtete, so ward man inne, wie viel Spuren edlen Blutes, wie viel Naeenhaftigkeit in diesen Gnomcngestalten lag. Wie arabische Pferde ihre Naecnreinhcit bewahren, so hatten auch diese kleinen Monstra einen höchst ahncurcichen Stammbaum, der freilich nicht aufgeschrieben war, den ich aber errathen haben würde, wenn mir anch Si Schcriff nichts davon gesagt hätte. Dies waren die echten arabischen Windhunde, jene Windhunde, wie sie die Kreuzfahrer vor 800 Jahren im Orient antrafen. Unsere jetzigen Windhnndc sind nur Bastarde von jener edlen orientalischen Nace, welche die Kreuzritter mit sich zurückbrachten', Bastarde, aus der Vermischung ihres edlen Blutes mit dein irgend eiues gemeinen, plebejischen Hofhundes entstanden. Diese kleinen, arabischen Hunde waren anch ganz andere Iagdhnnde, als irgend ein cnropaischer! Der Schcikh, eine edel aussehende Gestalt im reiferen Mannesalter, saß stolz zn Pferde; sein dunkles Gesicht uud schwarzer Bart stachcu grell gegen die blendende Weiße seines Ncrnus ab. Ihm zur Seite ritt sein Brnder, ein blaß aussehender, junger Mann mit Geisterzüge» und einem gespenstcr-artigen, dünnen, langen Barte, der seinem Gesicht etwas allzn Längliches gad. Sein troclnes hüsteln kündete an, daß anch nnter den Söhnen der Helte verletzte Lnngcuflügcl cri-stiren. Diese Beiden waren die einzigen reinlich Gekleideten von der ganzen Schaar. Alle Andern hüllten sich mit künstlerischer Drapirungsgabc in zerfetzte Bcrnussc. <5in langes Reisen in Ländern, von Arabern, Beduinen und Kabylen bewohnt, bringt zuletzt das Auge dahin, daß ihm die Lumpen 220 als die einzige normale Umhüllung einer afrikanischen Gestalt erscheinen und daß alle reinlich oder elegant gekleideten Araber ihm disharmonisch anffallcn. In ihre nationalen Lumpen gekleidet, haben die Araber eine patriarchalische Würde. In feinen Vermissen oder gestickten hacken seheil sie wie mißlungene Theaterstatisten ans. Abraham, Isaak nnd Jakob, jene Ideale aller Patriarchen, hüllten sich wohl nie in kostbare oder sorgfältig gewaschene Gewände. Sie hatten gewiß die größte Achnlicbkcit mit einem heutigen zerlumpten Arabev und Horace Vernet hat es wohlverstanden, wenn er hier seine Modelle für die alten Vibelfigureu suchte. Denu daß diese Patriarchenfürstcu reich warcu, das brauchte sie gar nickt zu hindern, zerlumpt zu geheu; hindert es doch heut zu Tage keinen echten Arabcrchef daran. Nur diejenigen Araber, welche, wieSi Scheriff, ihrer nationalen Sitte zum Theil entsagt haben, nehmen die Idee in sich anf, daß gute oder reinliche Kleider dem Manne Ansehen nnd Würde zu verleihen vermögen. Kleider machen bei den echten Veduiueu keine Leute. Der Bruder des Schcikh hielt ciucu Falken auf sciuer mit einem schwarzen Nitterhaudsckuh versehenen Linken. Kühn funkelten die Augen dieses kleinen, nnschöncn Thieres, wie sich der Zng in Bewegung scbte. Die Araber bedienen sich zu dieser Jagd dreierlei Falkcugattungcn. Der ?n,1oo laniu,-liuu und der küoo tau^ptLru« stehen jedoch nach ihrer Ansicht dem ialoo persFrinug an Tüchtigkeit nach. Auch gebrauchen sie am liebsten die letztere Species. In der Provinz Constantine sah ich jedoch hauptsächlich die erste Gattuug. 221 Da die, uns vom Bureau arabe auf Requisition verschafften Pferde zu schlecht waren, so konnten wir leider der Jagd nicht folgen. Statt dessen schlugen die, Engländerinnen vor, bis zur Rückkehr des Schcikh uns die Zeit mit Kartenspielen und Absinthtrinkcn zn vertreiben, aus welcheu Plan Alles mit Jubel einging. Ich floh jedoch bald diese allzu lustige Gesellschaft und wandelte einsam auf und ab in der großartigen, tiefstillcn Steppe. Nach mehreren Stnnden lam die Jagd zurück. Die kleineu Huude hatten Vortreffliches geleistet. Der Falte hatte ebenfalls seine Pflicht gethan und eine Menge Nildprct sollte die Diffa zieren. Das Abendessen war pomphaft. Die Damen entwickelten bei demselben eine Eßfähigteit, die uns in Erstanucn setzte. Der Scheikh war sehr wohl gclannt und gab uns in überströmender Freundlichkeit einige Geschichtchcn zum Besten. Das erste' Geschichtchen drehte sich um die Falkenjagd.' Es ist nämlich bei den Arabern Brauch, daß nur Vornehme, Leute von altem Stammbaum, dieser noblen Passion fröhnen. Wer nicht edler Abkunft ist nnd sich dennoch einfallen laßt, Jagdfalken zn halten, der setzt sich oft den größten Beschimpfungen ans. So war auch ein Scheikh, ein Nachbar Si Scheriff's, der sich keiner vornehmen Abkuuft rühmte, so kühn gewefen, sich Falken zn halten. Si Scheriff bestrafte ihn dafür. Er richtete ein Paar jnngcAdler ab, welche, wenn jener Scheikh auf die Jagd giug, auf dessen Falken loßstießen und ihnen die Schädel brachen. So waren die Jäger selbst Wild geworden. Si Scheriff verhinderte dadurch, daß 222 der plebejische Schcikh dieser noblen Passion obzuliegen fortfuhr. Das andere Geschichtchen war nicht so harmloser Natur. In ihm floß nicht Faltenblut, sondern Menschenblut nnd zwar auf die grausamste Weise. Ein Kaid unweit El Aghuat war von einem Andern nach der Gesundheit seiner Gemahlin gefragt worden. Eine solche Beleidigung darf nur mit Blut gerächt werden. Der beleidigte Kaid wolmte jcdock weit vom Stamme des Vek'idigcrs. Die Waffen so weit zn tragen, das hätte Jener nicht ohne Erlaubniß der Regierung thun können und diese Erlaubniß wäre ihm wohl verweigert worden. So beschloß er, zur List seine Zuflucht zu nehmen. Er und zwölf seiner Leute verkleideten sich als Frauen. So wanderten sie nach den Zelten ihres Feindes. Dieser sah ciue Schaar fremder Weiber kommen nnd neugierig, wer sie sein mochten, ging er ihnen entgegen. Kaum war er in Mitte der vermeintlichen Weiber, als diese sich entschleierten und fürchterliche Kriegergesichter enthüllten. Die Todesart des Kaid war entschlich. Man schnitt ihm den Vauck auf, riß die Eingeweide heraus, füllte deu Leib mit Steinen an uud uähte ihn vermittelst einer großen Nadel, wie man sie zum Nähen der Wasserschläuche gebraucht, wieder zn. So fanden den Kaid die Seinen. Das Seltsame dabei ist, daß dieser Gemarterte noch einen ganzen Tag gelebt haben soll. Während dieses Tages hatte er noch Zeit, den Angriff des feindlichen Stammes dnrch die Seinen vorzubereiten. Es tam zum Kriege zwischeu beiden Stämmen. Aber die französische Negieruug legte sich in's Mittel. Sie bestrafte beide Theile 223 mit gehörigen Geldbußen und veranstaltete, als sie das Geld nicht schnell genug anftricbcn, verheerende Razzia's gegen sie. Gegen Abend trat die lustige Karawane den Rückweg nach Dschelfa an. Die Engländerinnen hatten sich sehr gut unterhalten, die Offiziere sehr viel Absinth getrunken, Monsieur V. war zufrieden, denn er hatte seine Pläne, Tombukto betreffend, aufgetischt, der Engländer war glücklich, denn er hatte das Portrait seiner Geliebten zeigen können, und so kam Alles iu heiterster Laune in Dftbclsa an. Am andern Morgen empfablen wir uus deidcu Damen und dr/hten Dschclfa den Rücken. Die Engländerinnen schienen gar nicht Miene zu machen, weiter reisen zu wollen. Sie schienen offenbar in Dschelfa fest zu fitzen. Wer waren diese Damen uud was hatte sie hicher gebracht? Di^ Aeltere, so vernahm ich später, verdanke der Liede eines britischen Lord ein bedeutendes Vermögen und irre jetzt, Vergnügen snchcnd, in der Welt herum. Wie aber hatte sie solches in Dschelfa gefunden? Es schien, daß hier ernstlich zärtliche Motive im Spiele waren und daß der kahlköpfige Eapitain wirtlich ihr Herz verwundet hatte. Die Andere war eiueSchwester in Eva, die als Gesellschaftsdame figurirte. Die etwas burschikosen Sitten dieser Damen ließen sich nur durch eine langeFreauen-tatiou der Easernen erklären. Das Militär war die Passion dieser zarten Wesen, nnr Militär und immer Militär, und dein Militär zn Liebe tonnten sie wohl hie und da und zwar recht oft auch eiu Glas des beliebten Getränkes, Absinth genannt, hinunterstürzen. 224 Zehntes Capitel. ElAghuat. Reise von Dschelfa nach ElAghuat. — Immer noch leine Wüste. — Eine Halfaebcne. — El Hamra, das Nninendorf. — Sidi Makhluf. — Die ersten Palmen. — Steppengräser. — Erster Anblick der Wüste. — El-Aghnat. — Einzug in die Oasenstadt. — Sensation. — Ter Mneddin auf dem Minaret. „Heute," so sprach mcin französier ^Reisegefährte, als luir aus Dschelfa ausfnhrcu, „heute bin ich gewiß, werden wir die Wüste erreichen." „Es wäre Zeit, daß sie endlicb einmal käme!" erwähnte Mister S. „Es werden keine zwei Stunden vergehen, so sind wir mitten in ihr," rief der Maler venrauungsvoll. Keine zwei Stunden vergingen, so traten wir allerdings in ein völlig verschiedenes Laud ein, völlig verschieden von der öden, graslosen Steppenwüste nm Dschelfa. Aber dies Land war keine Sahara! Wir befanden uns plötzlich mitten im Halfa (Naroekiea t<-ug,oi,88imli). So weit unsere Blicke reichten, überall war der Boden mit Halfa bedeckt nnd was für ein Halfa! Hier sproßte es nicht dürftig auf abgesonderten kleineu Erdhöckern. Nein! es drängte sich dicht aneinander, es wuchs dick wie Gras und lang wie Frauenhaar und wogte im Winde her uud hiu, überall grün, überall frisch. Ein wahres grünes Meer umgab uns. 223 „Das ist keine Wüstc," sprach ich zu meinen Reisegefährten, „das ist eine üppige Wiese, die statt des Grases das Halfa trägt." Die Beiden waren jel-,t freilich genöthigt, einzngcstchen, daß diese lebhaft gefärbte Landschaft, die wie ein großmach-tigcs Salatbeet überall grünte nnd sproßte, leine Wüste sei. Eine Aneinanderreihung von länglichen Hochebenen, welche sich terrassenförmig ablösten nnd die mit der größten Regelmäßigkeit aufeinander folgten; eine Hügelkette im Süden, die vor nns zu fliehen fchien, nnd deren höchster Gipfel, eine grane Pyramide, immer gleiä' fern anssah; hie n»d da das versandete Bett cincs wasserlosen Flüßckens; nnd nin uns herum das grüne, ewig grüne Halfa dahinwogcnd, wie Ros-scsmähnen, die der Sturm durchpeitscht: das war das ^and-schaftsgemälde, welches nns den ganzen Tag begleiten sollte, bis wir am Abend in dem Dörfchen Hamra, nnserm Nachtquartier, die erste Staffage in diesem etwas monotonen Bilde zu erblicken bekamen. Diese Staffage, wenn man überhaupt ein Dorf Staffage nennen kann, aber ein arabisches Dorf hat etwas so wenig an der Sckolle Haftendes, daß es wohl diesen Namen verdienen mag, diese Staffage war malerifch, wenn auch nicht heiter. Hamra war ein Hansen von bewolmten Ruinen oder von lialbeingestürzten Wohnungen, wie mail wollte. Etliche vierzig kleine niedrige Hütten, von ungebrannten Ziegeln gebaut, lagen vlanlos durcheinander. Viele batten sich auf eine Seite gesenkt, andere, Sprünge bekommen, andere waren ganz verfallen, noch andere schienen eben im Fallen begriffen, und Drei Iah« im Noidireslcn von Afrtta, m, 15 22ß in diesem Chaos labten etwa huudert Menschen, die in vollkommener Seelenruhe uud Zufricdeuheit, als bewohnten sic die schönsten der Paläste, vor ihren KothlMten saßen und „Kif machten"; denn„Kifmachcn" nnd Nichtsthun nnd nichts thnn nnd „Kif machen", das sind hier wie überall die, einzigen Beschäftigungen der Araber. Man frage nicht: wie können diese Menschen ihren Lebensunterhalt sindcn, wenn sie, nicht arbeiten? Sie leben auch ohne zu arbeiten, nud wenn es ja einmal ein bischen zu arbeiten giebt, so müssen es die Franen besorgen. Der Herr der Schöpfung arbeitet hier nie. Der Krieg und die Jagd allein sind seiner würdig. Ersterer ist ihm freilich seit der Franzosenhcrrschaft benommen und zu letzterer ist er oft zu fanl. Aber dennoch teunt der Eingeborene teiue Langeweile. Langeweile scheint ein Product der Civilisation zu sein. Laugcweile wird den Araber uie zur Arbeit treiben. Da bliebe freilich die Armuth als Hebel. Aber sei er auch noch so arm, der Araber arbeitet nicht. Armuth ist keine Schande, aber Arbeit ist ciue Schaudc; das ist sein Grundsatz. Nud m n ß am Ende gearbeitet werden, siud uicht sciuc geborenen Sklavinnen, das weibliche Geschlecht, dazu da? In Hamra fandeil wir im Karawanserai Unterkommen. Der zweite Tag seit unserer Abreise vou Dschelfa brachte uns wieder dnrch eincHalfa-Eoene. UnsereAngen ruhten auf einem weiten Panorama. Im Süden erblickten wir immer noch jeue vor uus wie fliehende Hügelkette; hie und da jedoch schien es, als wollte sic uns zwischen, zweien ihrer Häupter eine Durchsicht iu ein ncncs, langersehntes Land gewahren. Eine lange, flache Linie schien sich, wie man mchr ahnte, als er- 227 blickte, hinter der Hügelkette hinzuziehen und sah aus wie ein Meer am Horizont. Diese lange flache Linie, sollte sie die Wüste bedeuten? Die dritte Tagereise versprach uns am Abend jene ersten Vorboten der Wüste, die herrlichen schlanken Palmen. Unser Weg ging langsam bergab, hernieder von jener Hochebene, auf welcher wir seit Boghar eiuhergefahrcn waren. Die Landschaft bot den gan;en Tag dieselbe Monotonie. (5rst in Sidi Makhlnf, unserm Nachtquartier, fandeil wir ein wenig Abwechslung. Hier dehnte sich eine weite Schlucht aus, in welcher jeue langersehnten Nüfteukindcr, die Palmen, sich befanden. (5-Z waren ihrer freilich nur fünf, denn Sidi Makhluf verdient weder den Namen einer Wüste, noch einer Oase. Aber diese fünf Palmen, mit welchen Blicken der Sehnsucht verschlangen wir sie nicht? Was redeten sie nicht Alles zn uns! Zu mir redeten sie folgende Sprache: „Wir sind die Vorboten der heiligen, stillen Wüste! Sic h.^t nns ausgeschickt, um dem Wanderer, der durch die traurige Hochebene trostlos lange dahin wallte, einen Vorschmack ihrer Wonne zn gewahren. Sie hat uns ausgeschickt, um dem Pilger einen Lohn zu bieten für all' die Müh' uud Seeleuqual, welche er auf dem einsamen Felsen- und Steppeuwege ausgestanden hat. Sie rnft dir Willkommen zu, o Pilger! durch uns, ihre Kinder! Pilger! verzweifle nicht, du bist am Ende deiner Wallfahrt. Pilger! freue dich, morgen hüllt dich die heilige, stille Wüste in ihren Oafenschatteu eiu." So redeten die Palmen. So redeten sie noch lange forl uud ich sog ihre Worte ein voll Entzücken und 15* 228 meiner Seele, ward wohl, wie ihr noch selten gewesen war. Aber die Palmen von Sidi Makhlnf waren Märtyrer; diesePalmen hatten sich selbst aus ihrer freundlieben, grünenden Oase in diese Steppeneinsamkeit verbannt , um bicr als Wegweiser nach dcr heiligen, stillen Wüste zu dieuen. Aber cs gefiel ihuen hier nicht. Diese Palmen langweilten sich in dieser nnsympathischcn Atmosphäre. Darum hatten sie sich anch in die Felseuschlucht versteckt uud tailm sah man ihre Häupter über den Rand hervorragen. In dieser Felsenschlucht wuchsen am Fnßc der schianten Palmen mannichfaltigc Steppengräser: die Drispflanzc, ^kapsia ß2rFu,uioÄ, dcren Wnrzel der Araber kocbt nild als Medicin bennht; die Otöfpflauze, ^.triplox II^mu» ; die ^.ruuäo loätoiäLL, eiu vortreffliches Viehfutter, klammerte sich mit ihren Wurzeln an der Felsenplatte fest; nnd die ^.rtemisin ^uäaioa, von den Arabern Schiel) genauut, sproßte mit ihrem mattcu Griin zwischen den Halfabüschcn. Alle diese Steppengräser waren zwar auch in der großen Halfa-cbene, die wir jetzt hinter uns hatten, vorgetoinmen, aber das Halfa hatte sie fast überdeckt. Eine kleine Kubba (arabische Kapelle), von eigenthümlicher Form, zeigte über dem Nande dieser Fclsenschlncht ihr weißes Haupt. Sie lief oben nicht in eine Knppel ans, wie alle ihre Schwestern, sondern in eine phantastisch geformte, zuckerhutartige Pyramide. Dcr Heilige, dem sie geweiht war, hieß Sidi Makhluf. <5r war vou Allers her hochverehrt von allen Arabern der Umgegend. Noch jetzt lassen sich viele 229 Gläubige in der Nähe seiner Kubba begraben, uin in seiner Nachbarschaft an den Segnungen theilzunchmen, welche ein so groß« Heiliger selbst noch ün Tode ausstrahlen muß. Jetzt trennte uns nnr noch eine Tagereise vonVl-Aghuat nud von der wahren, del eigentlichen, der einzigen Sahara. Meine Mitreisenden brannten vor Ungeduld, die erste Pal-mcnoase zu erblicken. Für sie war dieser unser vierter Reisetag seit unserer Abfahrt von Dschclfa eine wahre Tortur. Jeden Augenblick glaubten sie die Wüste und El-Aghuat zu sehen. Endlicb, nachdem wir einen halben Tag vor einer nnend-lich scheinenden Hügelkette dahin gcfahreu waren, sing der Neg an sich tiefer zu senkeil. Die Hügelkette öffnete sich. Wir sahen, vom Sonnenlicht übergössen, eine Fläche, wie ciu Meer, vor uns liegen: Ein Meer des Sandes. Das war die Sahara! Mitten aus diesem Meere ragte ein einzelner weißer Fels empor, anf welchem eine Neihe dnnkler Linien nnd Pnnkte sich hinzog, aus dercu Umrissen man eine Stadtmauer mit ihren Thürmen errathen konnte. Das war (5'l-Aghnat! Aber noch trennte uns eine lauge weite Sandflächc vou der eiusameu Wüstcnstadt. Keuchend bahnten sich unsere Pferde durch diese Dünen des Sandes ihren mühsamen Weg. DcrWagen krachte, schwankte nnd schaukelte auf der unebenen Sandftäche und nahm etwas von den Bewegungen eines Schiffes auf dem Meere au. Je näher wir tameu, desto lebhafter fing die Oase an, aus dem Unbestimmten hcrvorzntrcten. Wir sahen die ersten 23ft Palmen, wie zierliche Federwische, im Winde wehen. Jetzt sahen wir noch einen zweiten weißlichen Hügel, welcher hinter dem ersten auftauchte nnd, wic er, von dunklen Pnnktcn bedeckt war. Zwischen beiden Hügeln lag ein weißes Denkmal, ohne Zweifel eine fromme Kapelle, im Schatten der Verge. Plötzlich ward noch ein dritter Erdkcgel sichtbar: Eine Znsammenhäufung gelblicher Kaltsteine, anf deren Gipfel ein kleiner Marabnt silbern leuchtete. Endlich tauchte noch ein vierter Kegel anf. Sein Gestein bestand aus rothem Thon uud Mcrgelerde. Röther, als Alles um ihn her, schien dieser Hügel in sich allein die größte Menge der Sonnenstrahlen cingcsogen zu haben. Jetzt fingen alle diese Bilder an, sich mit deutlicheren, schärferen Umrissen abzuzcichuen. Wir erkannten anf den zwei ersten Hügeln El-Aghuat, die Zweihngelstadt, welche, ob ihrer Palmenoase, wie cinc Königin ob unterjochten wandern thronte. Die Stadt war von einein Garten von Palmen eingerahmt, von denen viele innerhalb der Stadtmauern selbst sich erhoben. Nichts von dem, uns Europäern Bekannten kaun einen annähernden Begriff von der Schönheit dieser Palmengärten El-Aghnats gewähren. Man denke sich einen Raum von etwa zweitausend Morgeu Bandes, in eine Menge Abtheilnn-gen zerfallend, von denen jede von Mauern, ähnlich wie die Ningmanern der Stadt selbst, nmringt ist. Jede dieser Ab-theilnngen bildet für sich eine Terrasse, von grüner, dnflender Vegetation bedeckt, und über diesem Heere niederer oder höherer Terrassen erhebt sich ein Wald von etwa sechzigtanseud Pal- 23 l menstännnen, deren niederste 24 und^eren höchste .60 Fuß und noch höher über dcm Bodcu emporrage». Am Fuße dieser herrlichen Nicscnsöhne des Pflanzenreiches sproßten in wilder und doch harmonischer Unordnung die niederen Bäume und Sträuche, die Granate mit ibrem lebhaften Grün, die Olive mit ihren matten, Mvermiithigen Blättern, die Cactus Opuntia mit ihren phantastischen Verzacknugen, die Agave amerieana mit ihrem schlanken sänlenartigcn Stiele, die Karuba mit der dunk-lcu Pracht ihres ticfgefärbten Lanbes. Nicht weniger lieblich war die näher am Boden haftende Pflanzcnschicht. — Da grünte und blühte es von Gräsern, Gemüsen und Blumen, dcm Menschen Wohlsein und Genuß verheißend. Zahlreiche rieselnde Wasserströme, deren labendes Naß eine wohleingc-theiltc Bewässerung allen Gärten in gleicher Menge zukom-mcn ließ, zogen silbern durch diese üppigen Gefilde, Frische nnd Kühle auf ihreu Pfaden verbreitend. Pin zarter Halbschatten, jener Schatten, wie ihn die dünnen, federartig feinen Palmenzweige gewähren, lag kühlend nnd wärmend zugleich auf der bcglücktcu Flur. Vin frischer Luftzug zog, von aromatischen Düften geschwängert, durck diese Säuleutempel der Natur. <1^Agl)il^t unscr AdMgcPi.lNicr in dcin Dasthof, dcm cinzigcn i)es Ortcs, nchnicn »lüsfctt, da, wie schon bcmcrkt, dicKarawanscmi'« unc, nur dort off»,'n swndcn, Wo kein Wirthshano sich idncn znr Scite dcfaild. Dicscr Gasthoffi'chrlcdcn pomphaftcn:>lamcn: ,,U6W1 äi»>cns N'ürdig, sondcrn verdiente el)cr ,.ü6tt!i äo« Lnumiig vc>)aFeni-«" genannt zn wcrden, donn cr war ganz in dcin Stylns, wclchcn dicsc Hcrrcn, wenigstens die französischcn, lieben, gehalten. Ich verstehe nn-tcr diesem Stylns etwas Marktschreierisches nnd Hohles, den Flitterstaat eines „Oato olumwut^, cine theatermäßigeNnßen-seitc nnd inwendig Würmer. Diese Würmer sollten wir zn essen bekommen, in Gestalt von entsetzlich schlechten Coteletten und Vcefsteat's, die den Namen von Vcdl,rbearbeitnngen verdienten. Wir zogcn uns nach Einnahme eines pomphaften, 234 abcr stoffarmen Diners in nnsere Zimmer znrück, um nach, dem Sprichwort „gui äoi-t cliue" in den Armen des Schlummergottes Ersatz für dieUngestilltheit nnsercs Eßbedürfnisses zu suchen. Als ich vor dcm Schlafengehen mein Thermometer aufhängte, da beobachtete ich, was ich, meinem leicht sich täuschenden Wärmcgefühl nach, vorber wohl empfunden, aber nicht auszusprechcu gewagt hatte, daß wir in El-Aghuatuns keineswegs einer Wüstentemperatur erfreuten. Vor mehreren Jahren hatte ich im December und Januar in Biskarah nie weniger als 14" N. in meincm, natürlich ungeheizten und unheizbarcn Zimmer gehabt. Hier dagegen fiel das Quecksilber in der Stube bis auf 7" N., eine Temperatur, bei welcher ein Deutscher im Zimmer sich schon nnbehaglich fühlt. Woher kam diese auffallende Kühle? Wir befanden uns in El-Aghuat beinahe einen Grad südlicher, als iu Biskarah, und die Jahreszeit war noch nicht so weit vorgeschritten, als damals; der Calender zeigte erst Ende November. Eine genaue Beobachtung des Barometers erklärte mir das Räthsel. El-Aghuat liegt uämlich für eine Nüstenoase ungewöhnlich hoch, beinahe zwcitauscud Fuß über der Mecressläche, während Biskarah fast anf dcm Niveau des Mittelmeeres sich befindet. Der erste Morgen unseres Aufenthaltes in El-Agbnat sah uus schon frühe auf den Beinen, d. h. den Franzosen und mich; Mister S. ruhte noch sanft auf seiner Wollmatratzc und träumte wahrscheinlich von der Dame mit rothen Haaren, deren Portrait er als Medaillon am Halse trug. 283 Es galt, uns einen ersten, recht gründlichen Eindruck von der Stadt, ihrer Bauart, der Anlage ihrer Straßen, und überhaupt des Charakters ihres städtischen Prosits zu verschaffen. Wie alle Städte der Wüste, sowarCl-Aghuatnach einem höchst einsacken Plane oder vielmehr nach einem Instinct (denn wo wäre ein heutiger Araber ciues Planes fähig?) erbaut worden. Das Bcdiirfniß lehrte, denNaum znverringern, um recht viel von dem in Afrika fo uöthigeu Schatten zu gewinnen. Enge winklige Straßen, Sackgasseu, kleine, mit Brettern bedeckte, von Buden umgebene Gäßchen, Fonduks vou Säulen-arcaden umringt, ein Wirrwarr von Gängen nnd labyrinthi-schcn Corridoren bildeten ein Ganzes, in welchem sick der Fremde anfangs, um sich zurechtfinden zu lonnen, einen ariadnischen Faden wünschte. Inmitten dieses Chaos ließen sich jedoch zwei Straßen nnterscheiden, welche mit einer gewissen Methode, wenn auck nickt mit Regelmäßigkeit, von Nord nach Süd und von Ost nach West liefen. Die eine dieser Straßen, bei weitem die wichtigste, dieHauptartcrie des el-aghuatischen Verkehrs, begann beim Vab-csch-Scharki (dem Thor des Ostwinds), uud mündete beim Vab-cl-Nharbi (Thor des Westwinds). In der Wüste, dem ^indc der steten und mächtigen Winde nnd der häufigen Stürme, lag es am nächsten, nicht nack den Himmelsgegenden, die stck ja am Ende so ziemlich alle glcickcn, sondern nach den Winden, welche sick ihrem Charatter nach so fedr von einander unterscheiden, die Namen zu wählen. Die Franzofen haben dieser Hauptstraße vou El-Aglmat jeuem alten Haudegen, dem jetzigen Gouverneur, zu Ehren, welcher El-Aghuat im Jahre 23V 1852 eroberte, die Benennung ,,^ue Pelisster" beigelegt. Die Rue Pclissier war euge, wie alle andern Straßen, und von ziemlich hohen Häusern überragt, deren obere Geschosse über die unteren in die Bre-itc der Straße hinansstan-den und so dicSounenstrahlen völlig ausschlössen: sie erwiesen uns da einen Dienst, den wir im Sommer gewiß sehr geschätzt haben würden, aber bei der herrschenden Kühle wäre ein wenig Sonnenschein höchst erwünscht gewesen. Alle diese Häuser, mit Ausnahme einiger wenigen von den Franzosen erbanten, waren ans nngebranntenZicgeln aufgeführt, d.h. sie bildeten nnförmige Massen von zusammcugehäufter v>'rde, Kothpalästc, als dereit Bausteine trockenerKothnnd als deren Mörtel feuchter Koth gedient hatte. — Die Ruc Pelissier war offenbar die Geschäftsstraße ^ l-Agl uats. Hier reihten sich eine Menge jener nischenartigen Löcher aneinander, welche der Araber ^äden uennt. Einige, maurische itaffeehauser, in denen die Almeh's der Wüste, die, leichtfüßigen Hiailijah's, ihr lockeres Spiel trieben lind ans welchem die Nohrflöte »nd der Tamtam fast Tag und Nacdt ertönte»; einige arabische Specereilädeu, w'o Hennah, Kohol nnd eine Menge anderer, dem Europäer fremdartiger Dinge vcrkanft wurden; einige ikleiderbndeu, von deu M'zabiteu, jenen Juden der Sahara, gehalten; hie nnd da die Nische eines algierischen Schuhmachers; dort in einem Winkel der Straße ein Neines Mädchen, in dem derHaffaf die Mnselmän-ncr ihres Kopfhaares entledigte; und, disharmonisch zwischen diesen orientalischen Umgebuugen, ein französisches Kaffeehaus, vor dessen Thüre sitzend schnnrbärtige Soldaten ihren 237 geliebten Absinth schlürften: das war das Bild, welches uns die Nuc Pclissier darbot. Nnter all' den Läden, Vndeu und bischen dieser Straße fiel nur ein lleineo Lädcbeu besonders anf, welkes sich in drei oder vier Gremplaren, die il'm getreu gliel'en, in derselben Gasse vervielfältigt zn haben sckien. In ihm sas; ein dünner, abgezebrter Greis, mit langem, spitzzulaufendem, weißem VaUe, halberloscbenem Augenfell^r nnd blassen, zitternden Lippen. (>r trng den unscheinbaren scbwarzen Tnr-ban, war höchst sebmnkig nnd sasz stets allein in seiner Nische, ^ nie nahm ein Besncher neben ihm Pla>5. V's stlnen, als ruhte eine Interdiction auf diesem Greise und seinem Gewerbe. Welches war das Gewerbe dieses seltsamen Grcises? In der Hand hielt er einen Hammer, mit welchem er auf einem Stück Blech, so sah wenigstens das Metall ans, berumhämmerte. Vor ihm stand ein Kohlenbecken, alls welkem andere scheinbare Vlcchstückc lagen. Jetzt nalxn er einen tleinen Blasebalg und blies das Fener des Kohlenbeckens an. Nun zog er eines dieser Metallstnckc aus dem Fener hervor nnd gab ihm vermittelst seines Hammers irgend eine phantastische Form, welche teinein brauchbaren oder nützlichen Gcrä'the irgend welcher Art angehören konnte. (5r machte daraus bald Kamme, mit denen jedoch jedes Kämmen nnansfnhrbar schien; bald weite Reifen, die einem Hippopotamos als Bracelets hätten dienen tonnen; bald seltsam gestaltete Ketten; Nadeln von bizarrer Form; und eine Anzahl kleiner, namenloser Monstra, die wie Spielzcnge für nnirdischc, koboldcrzcngte Kinder aussahen. Der Greis war ein arabischer Bijoutier; 238 Me diese phantastischen Gegenstände, welche er verfertigte, waren Schmucksacln-u, mit denen sich die Bewohnerinnen El-Aghuats, vorzüglich aber die vu!,'süchtigen ^iailijah's, zn behängen liebten. Warum aber diese Interdiction, welche auf dem Silberarbeiter (denn das blechartig aussehende Metall war wirklich Silber, jedoch mit starter Beimischuug von Kupfer), zn rnhen schien? Tafür gab es mehrere Gründe: Erstens, weil die Frauen seinen Laden, zu besuchen pflegten und weil jeder guteMnselmann, mit obligaterHcuchelci, jedes öffentliche Zusammentreffen mit dem weiblichen Geschlecht streng vermeidet. Ferner stand der Greis anch sonst in schlechtem ^iuf und das hatte vielleicht sein Gewerbe mit sich gebracht; denu da mau wußte, daß sein Laden ein Stelldichein des schonen Geschlechts sei, so bat man ihn oft, zarte Botschaften an il,re Adresse zu befördern. Der Alte wurde so eine Mittelsperson und Niemand, Niemand, selbst nicht die schändlichsten Verbrecher, sind bei den Aralxrn so grüudlich verachtet nud werde» so allgemein iu den Baun erklärt, als solche Mittelspersonen. Es giebt bei ihnen tein größeres Schimpfwort, als Knut (Kuppler). Sonderbar war es zu sehen, wie sehr die anderen Greise, welche dassclbeHandwert trieben, dem ersten glichen. Alle waren sie uugefähr gleich alt, gleich verwittert und ihre Magerkeit schieu darauf hinzudeuten, daß ihr Gewerbe uiM das allercinträglickste sein mußte: was ziemlich leicht erklärlich war, dann die Mode, jcue Haupter-nähruugsquelle aller Fabricanteu von Luxusartikeln, wechselt, Was Schmuck wie alles Andere betrifft, bei dem Araber so gut wie gar nicht. Tie meisten Frauen sind schon im Besitz 23Ä von Schmucksachen, die sic von Mutter und Großmutter erbten, und haben gewöhulich teiu Gcld, um sick ueue dazu zu kaufen. Naä' der Hauptstraße galt unser Besuch dem Haupl-platze. Dieser war zum Theil sckon von französischen, schwerfälligen, kasernenartigen nud weißaugcstrichencn, zuiu Theil noch von arabische», uugeweißteu, farblosen oderviellnchr nach der jcmaligen Beleuchtung in allen Farben abwechselnden, Häu-sernumgeben. Au einer seinerSeiten zog sich einFlüßchen dahin, das einzige der Oase, der Befrucht er ihrerPalmeugärtcn, von welchem abgeleitet sich huudert Wasserstrahlen nach allen Gegenden ergösse», das kostbare Naß in gleichen Massen vcr-theilend. Dieser Flnß war jedocb weit eutferut davou, hell und einladeud zum Bade oder Trunk zu sein. Eine schlammige, gelbliche Masse, wälzte er sich durch eiu schwarzbraunes Bette. Dennoch war es hier, wo die Araberinncn das Wasser für ihren Hausbedarf schöpften. Da sahen wir sie, diese seltsamen Gestalten, die Araberinnen von El-Aghuat. Nicht buut, nicht lebhaft gekleidet, wie die Frauen von Bistarah, nicht mit viel Schmuck behaugen, wie die Töchter der Ulad NaN. Nein! in ein einförmiges, staubfardenes Grauweiß gehüllt, aus dem nichts hervorblickte, als die Augen dieser Kinder der Wüste, und diese Augeu, fast durchgängig schielend, blickten seurig uud unstät, wild uud thierisch um sich. Neberhanpt ist mir noch nie ein Meuschen-auge als so entschieden thierisch vorgekommen, wle das einer erwachsenen jungen Araberin oder das eines arabischen Jünglings ; die Kinder haben reizend funkelnde, gazcllenartige Au- 240 gcn, die der Greise sehen in, Ganzen sanft und harmonisch aus, die der reiferen Männer haben das Stupide, welches ihnen ihre Beschäftigung, das stete Nichtsthun, aufprägt. Aber Diejenigen, Jungfrauen oder Jünglinge, welche eben erst beim vollen Alter der Pubertät augekommen sind, die strahlen aus ihre» Augen das Feuer eines unberechenbaren sinnlichen Bedürfnisses aus, wie mau es bei Europäern uic sieht, wie mau es selbst bei Thieren nur danu beobachtet, wenn die Periode ihrer Bruust gekommen ist. Nicht als ob alle der hier anwesenden Frauen in einem so jugendlichen Alter gestanden hätten! Aber Viele von ihnen waren entschieden noch jung, obgleich diese Iugcud sich nur an dem Feuer ihrer Angen erkennen ließ, denn ihre Züge sahen bereits verwittert uud abgelebt aus, was man um so besser beobachteu tonnte, da sie alle nach der Sitte der Wüstenbcwohner unverschleiert gingen. Zwischen der reifen Frau uud dem kleiueuMädchen giebt es hier keine Abstufung; eine in voller Iugeudfrische strahlende erwachsene Iuugfrau cristirt hier nicht. Die Jungfrauen sind eben alle kleine Mädchen, halbe Kiudcr zwischen 10 nnd 13 Jahren. Mit 10 Iahreu verlobt, mit 12 Iahreu vermählt, mit 14 Jahren Mütter, siud diese jungen Frauen schon mit 18 Jahren abgewelkt. So waren auch die Frauen am Bruuuen ill (< l-Aghuat keineswegs schön. Nur hie nnd da zeigte sich uuter ihrer Schaar ein kleines Mädchen von vielleicht nicht mehr als zehn Iahreu, uoch ciuKind und doch bereits sich bewußt, eine Frau zu sein, noch nicht voll, aber wohl wissend, daß bei ihrem Volke das Unreife am meisten Neiz besitzt; denn man würde 241 sich irren, wollte man glauben, daß alle diese zwölfjährigen Mädchen, welche man vcrheirathet, bereits erwachsen seien. Oft sind sie erst mit 16 Jahren erwachsen, dann, wann ihr Gesicht bereits den Stempel der angehenden Vcrwcltthcit trägt. Alle diese Araberinncn trngen dcnHa'ik und den Tnrban. Im ersteren drapirten sie sich malerisch. Ihre Klcidnngs-stille waren zwar fast ausnahmslos zerlumpt, aber die Lumpen bei diesen weiten nmhiUlendcn Gewänden haben nicht das Widerliche, wie bei engen europäischen Kleidern: Ein zer-lnmpter Araber oder Araberin ist doch immer drapirt. Nie sieht man den nackten Ellenbogen hervorgucken wie bei europäischer Misöre. Man gewöhnt sich so sehr an diese Lumpen, daß, wenn man einen besser aussehenden Vernus oder Hait sieht, das Ange nnwilltürlich sncht und sucht und nicht eher zufricdcu ist, als bis man auch an ihm ein Loch, einen Flick-läppen oder einen Flecken entdeckt hat. Wir kehrten jetzt nach unserem Hütel znrück. Dort fanden wir Mister S. aufgestanden nnd bereits beim Gabcl-friibstnck sitzend und ihm gegenüber einen seltsamen Kauz von Araber, in einem pomphaften Vernus mit einem halbseidenen Hatt' und einer besonders großen Schnur von Kaincclhaarcn um sein Haupt gewickelt: alles Zeichen großer Eleganz. Diese Persönlichkeit war ein arabischer Chef oder richtiger, der Sohn eines einstigen arabischen Chefs, der zwar t'einm officicllen Nang besaß, aber dessen Vater so viel zusammen-gestohlen uud zusammengeraubt hatte, daß der Sohn jetzt als reicher Mann von seinen Renten leben tonnte. Dieses Wesen Drci Jahre im Nordwcstcn «cn Afrila. III. 16 242 war eine nationale Monstrosität, wie ein jeder Araber erscheint, welcher französische Sitten nnd Gebräuche, sei es anch nur in einzelnen Punkten, nachahmt. Wir hatten ein Empfehlungsschreiben an ihn mitgebracht nnd er war, davon unterrichtet, uns mit seinem Besuche zuvorgekommen. Der Engländer wußte nichts Besseres zn thnn, nm diesem Halb-barbareu die Zeit zu vertreiben, als daß er ihm das Porträt der jungen Dame mit rothen Haaren zeigte, welches von Algier bis nach El-Aghuat Jedermann hatte ansehen müssen, mit dem wir zusammengetroffen waren. Kaum hatte unser neuer Betauuter das Porträt dieser Schöubeit Albions erblickt, als er eiue Frage that, welche bewies, daß es mit seiner Enro-väisiruug dcuu doch uoch uicht sehr weit gediehen sein mußte. Diese lautete nämlich: „Ist dieses junge Mädchen zn verkaufen?" Die plötzliche Explosion uuserer Heiterkeit belehrte ihu, daß er etwas Komisches gesagt habeu mußte. Er schämte sich deßhalb uud zog sich bald daranf zurück, jedoch uicht ohne uns vorher eingeladen zu haben, ihn uud seiu völlig europäisch eingerichtetes Haus zu besuchen. Beim Gabelfrühstück machte uuö der Kellucr, ein verschmitzt aussehender ehemaliger Zephyr, anf etwas anfmerk-sam, was sonst spurlos an nns vorübergegangen wäre: ,,Sie verspeisen da," so sagte er zu uus, „eiue große Rarität." „Eiue Rarität?" fragte ich. „Neunen Sie Hühner-bratcn eine Rarität?" „Hier in El-Aghuat," antwortete der Er-Zephyr, „ist 243 es cine große Seltenheit. Erst vor wenigen Jahren ist dic Hülmerraec hier eingeführt worden. Als wir diese Stadt einnahmen, befand sich in ganzEl-Aghuat tein einziges Stück Federvieh." Es war sonderbar, aber wabr; die El-Aghuati batten früher weder Henne noch Hahn gekannt, und eines dieser Thiere wäre hier würdig gewesen, in einer Menagerie gezeigt zu werden. Jetzt hatte die ^ranäs nation den gallischen Hahn eingeführt; aber noch gab es nur wenige; eines dieser seltenen Eremplare, übrigens ein zähes und lederartigcs, hatten wir das Glück zn verspeisen. -^ach Tisch gingen wir auf den Hauptplatz znrück, mn in dem dort gelegenen arabischen Kaffeehause, beim Einnehmen des schwarzen Getränkes, El-Aghuat und seine Bewohner noch gründlicher zu studiren. Ta saßen diese bernusumwallten Männer in langen Reihen nebeneinander. Jeder hielt seine Tasse oder Cigarette in der Nechten. Gähnen schien ihre Hauptbeschäftigung nnd tiefer Friede war über sie ausgegosscu. Wenn man sie so einträchtig und faul bcisammen kauern fah, da hielt man es lanm für möglich, daß eben diese Männer noch vor nicht langer Zeit in beständigem Hader nnd oft in offenem Kriege mit einander gelebt hatten. Und dennoch war es so. El-Aghnat war von Alters her in zwei feindliche Lager gespalten gewesen, von denen keines dem andern Nuhe gönnte, bis eine Partei die andere aus der Stadt vertrieben hatte. Der herrschende Theil trinmphirte eine Zeitlang, aber sonderbarerweise selten lange. Bald kehrte der verbannte Feind, 244 verstärkt durch Bednincn der Nachbarschaft, zurück und vertrieb seinen Gegner, niu sich an dessen Stelle zu installireu. Diese beiden feindlichen Parteien waren die Halaff und die Veni-Scrrin. Wahrscheinlich haben sie eine sehr alte Geschichte, die mit der einer italienischen Nepnblit' des Mittcl-alters große Aehnlichteit haben mag. Aber diese alte Geschichte ist nicht aufgezeichnet. Alles, was man von der Chronik Gl-Aghuats weiß, sind Begebenheiten der neueren oder neuesten Zeit. Im Jahre 1828 war es dem Häuptling der Halaff gelungen, die Veni-Serrin wieder einmal aus der Stadt zu vertreiben. Zehn Jahre lang herrschte dieser nun ungetheilt. Aber im Jahre 1838 zeigte sich ein neuer Feind, auf den man nicht gerechnet hatte und welcher sich der nntcrdrückten und vertriebenen Partei der Bcni-Scrrin annahm. Dieß war Niemand anders als der Emir Abd-el-Kader. Damals im Frieden mit den Franzosen, hatte sich der Emir nach Ain Madhi, einer Oase, etwa eine Tagereise von El-Aghnat entfernt, gewandt, um sie zu unterjochen und den dort herrschenden hochverehrten Marabnt Tsidschani darans zu vertreiben. Abd-cl-Kader war siegreich uud setzte eiuen Khalifa in Ain Madhi ein. Nnn wollte er auch El-Aghuat unter sein Scepter bringen und verbündete sich zu diesem Zweet mit El-Arbi, dem Häuptling der Beui.Serriu. Das Resultat ihrer gemeinsamen Bestrebungen wnrde die Einnahme der Wüstenstadt, in welcher Abd-el-Kadcr den Marabut El-Arb.i als seinen Khalifa installirtc, dem er, als er sich bald darauf wieder seiuer Hauptstadt, Mastarah, znwandte, ein kleines 245 Trnppencontingent zurückließ. Aber nut der Vestürmnng Aw Madhi's war des Emir's Glücksstern gewichen; einen so heiligen Marabut, wie deu Tsidschaui, bekämpft zu haben, das war ein ewiger Schandfleck im 5!eben des Sultans der Araber. Wenigstens schrieben diesem Umstände nnd dem darauf lastenden Flnche die Muselmänner die nuu siä, schnell aufeinander folgenden Niederlagen Abd-cl-Kaders zu: Mit dem Emir fiel anch El-Arbi uud Ven Salem, der Häuptling der Halaff wurde wieder Herr von (!»l-Aghnat. Aber nicht weniger als drei Schlachten mußten vor den Maueru der Nüsteustadt gckämpft werden, ehe Cl-Arbi völlig unterlag. Im Jahre 1844 batBen Salein die Franzofen nm ihren Schntz uud erkannte sich freiwillig als deren Vasall an. Man schickte ihm zwar keine Truppen, aber einen Kommissär der Negierung, welcher dem Scheikh als Nath zur Seite stcheu sollte, der aber in Wirklichkeit die Rolle eines Gouverneurs spielte. Dieser Zustaud dauerte acht Jahre, bis zum Sommer 1852, als mau plötzlich deu (5ommissär nebst seinem Schützling, Vcn Salem, in einem völlig entblößten Zustande in Dschclfa ankommen sah. Sie waren ans Ei-Aglmat vertrieben worden nnd zwar von dem Serifs von Uärgla, einer 2 Grad südlicher gelegenen Oasc. Tiefer Scheriff, damals einer der mächtigsten Häuptlinge der Sahara, hatte M-Aghuat für sich selbst eingenommen; er tränmte eine Art von Abd-el-Kadcr der Wüste zn werden. Aber die Franzosen ließen ihn nicht lange im Besitz der felsigen Qasc. Der Fcldzng des Generals Pelissier, des jetzigen Herzogs von Malakofs, im 246 November 1852, nnterwarf die Stadt den Herren Algiers definitiv. Die Vertheidigung El-Aghuats durch den Sckeriff und die Bewohner war verzwciflungsvoll. Als sie nämlich weichen mns^ten, beschlossen sic, den Frailzosen wenigstens nnr die leeren Mauern zn hinterlassen. Fast alle O'l-Aghuati's wanderten ans und folgten dein Scheriff nach llü,rgla. Als die Sieger in (5'l-Aghnat einzogen, fanden sie nnr einige wenige grauen und linder, Bettler uud ein Paar Greise in den verlassenen Kothgebänden. Dem Beispiel der Menschen waren die Thiere gefolgt: Alle Hnnde von El-Aghuat, nnd ihre Zahl war nicht gering, hatten die Answan-derung vorgezogen, olme Zweifel, um nicht das Brod eines ungläubigen Siegers offen zn müssen. Diese gut mnselmän-nischen Hnndc zogen sich hinter einen Felsen zurück, den man jetzt nach ihnen den Berg der Hnndc nennt. Bis jetzt sind sie noch nicht wieder nach El-Aghnat zurüttgetebrt. Wir dnrften es nickt unterlassen, dem Araber, welcher uns am Morgen nach unserer Anlnnft ausgesncht hatte, unsern Gegenbesuch zn machen. Ick, versprach mir freilich hiervon wenig Interessantes, denn ein Eingeborener, der sich franzö-sirt oder halb franzönrt, gehört zn jener ^wittergattnng, welche ich schon aus Algier lunlänglicb kannte und die mir durchaus jeder Bcooachtnug unwerth schien. Aber dieser Besuch sollte uns dennoch eine Seite der arabischen Sitten offenbaren, welche mir bis jetzt nock nicbt in der Weise entgegengetreten war. Unser Bekannter war niemand Geringeres, als der Sohn jenes Bcn Salem, welcher vor den Franzosen in El-Aghnat 247 gcherrsckt hatte und ihr Verbündeter gewesen war. Aber die Gallier hatten sich wohl gehütet, Ven Salem wieder in die Herrschaft dcr von ihnen eroberten Stadt einzusehen, ans welcher jener vom Schcikh von Uärgla vertrieben worden war. Wie die Römer, so ließen ans) die Franzosen ihre „liebes inljLi'vientes" fallen, wann die Zeit gekommen war, die Provinzen unmittelbar zu verwalten; denn darin ahmten sie dem Köuigsvolke vortrefflich nach: fast in jeder Stadt der Algerie giug der unmittelbaren Frauzosenhcrrschaft eine mittelbare voraus, d.h. ein Bey, cin Ka'l'd, ein Scheitt» regierte cine Zeitlang als Vasall der Gallier. Vald jedoch wnrdc er bei Seite geschoben. Dcr Itox iugorviou» hatte seine Anfgabe erfiUlt llnd sank nuu zuin Privatmaun herab. Ein solcNer entthronter liex iuservieuZ war Ven Salem's Vater. Man hatte ihm seine Neickthümer gelassen, da er immer ein trener Sklave gewesen war. Sein Sohn hatte sic geerbt, zum Tdeil vergeudet, zum Theil besaß er sie noch. Im Kothpalast dcr Ven Salem's wurdeu wir dnrck zwei schwarze Diener empfangen, welche nns in den ersten Stott führten, wo sich das Staatsgcmach befand. Hier traten wir in ein völlig europäisch mcublirtcsZimmer ein, welches jedoch den traurigen Anblick der Nnordnnng nnd Verwahrlosung bot. Denn die Araber, an gar keine Möbel gewöhnt, verstehen es dnrchans nicht, diesen Gegenständen die Fürsorge zu widmeu, welche die Reinlichkeit erfordert. Die Möbel Ben Salem's wan'» wohl ursprüuglick scbon und kostbar gewesen; aber nun bildctcn sie nnr noch die Lumpen von Möbeln: Lnmpcn, freilich immer noch glänzend, aber dennoch Lumpen. 248 Ben Salem besaß seine Möbel noch nicht lange und bei einen: Europärr würden sie nach eben so kurzem Besitze noch wie neu ausgesehen haben. Aber ein Araber ruinirt in kürzester Zeit Alles, was er an sich oder nm sich hat: Er spuckt auf den Tcppich an: Boden, er schläft Tag und Nacht auf den So-ftha's, er stellt Kochgeschirr darauf, läßt Oel oder Kaffee darauf träufeln, kurz, er legt für Möbel nicht mehr oder noch weniger Sorgfalt, als für seine Kleider, an den Tag. Es scheint, als sei ihm nicht eher wohl, als bis er ans beiden Lumpen gemacht habe. Auf diesen Lnmpen von Sammet nnd Mahagoni saßen etliche zwanzig El-Aghnati's: Frcnnde oder Verwandte Ben Salem's, welche hier ihren Tag im lieblichen «loloe tainiLuto zuzubringen pflegten; denn an'Z Arbeiten denkt inEl-Aghuat uatürlich keiu Mann; Arbeiten ist die Sache der Weiber; für den Herrn der Schöpfung, besonders für einen Ben Salem, gilt es als eine Schande. Alle diefe Araber faßen auf den Sopha's und Divans in solcheu Stellungen, daß man es ihnen ansah, wie unbequem ihnen der Gebranch von Möbeln sein müsse. Einige hockten cruf Nohrstühlen, in der Weise ungefähr, wie Vögel auf einem Ast zu sitzen pflegen, was die Franzosen „pt-roliLr" nennen. Andere hatten für gut gcfnnden, sich mit dein Banch nach unten anf den Divans auszustrecken nud reckten die Füße hinter sich in die Luft empor. Ein altes schneeweißes Männchen kanerte in einer Sophaecke, sein Gesicht zwischen den Knieen haltend, welche, hoch emporgerichtet, diesem menschlichen Bündel auf einer Seite wenigstens eine grade Linie gaben. Gin Jüngling versuchte das Kuuststück, 249 . sich auf dcm einen Schenkel zu balanciren, während alle übrigcu Theile sciucs Körpers frei iu der Luft fchwebten. Einige Knaben lagen auf dcm Noden herum, als stellten sie Fußschemel vor. Ben Salem allein saß auf europäische Weise, seine Füße auf dem Boden haltend, seine Arme grade vor sich hingestreckt. Man sah ihm aber au, daß diese Stellung ihm höchst uubequcm sciu müsse, so gczwuugcu uahm er sich dabei aus. Er hatte sie nur uns zu Ehreu gewählt. Von aU' diesen Personen waren etwa vier in reinliche Kleider gehüllt; allcAuderu drapirten sich mehr oder weniger malerisch iu zerfetzte oder befleckte Bernusse. Man lud uus ein, auf eiuem Sopha — es waren vier solche Möbel im Zimmer — Platz zu nehmen. Kaffee wurde uns augeboteu, aber leiue Pfeifen, kein Tabak. Tabakrauchen gilt überhaupt bei deu El-Aghuati's, wie fast bei altcu Ve-wolmeru des Iuuern Algeriens, für unanständig. Höchstens einige Jünglinge ohne Sitten erlauben sich, in den Kaffeehäusern ihre Cigarette zu raucheu. Beu Salem war, trotz seiner halben Enropäisiruug, diesem angestammten Vorurtheile treu geblieben, da er durch Tabakraucheu die Achtuug aller Cl-Aghuati'Z eingebüßt hätte, und dem armen Teufel war wenig mehr vou seiner einstigen Größe übrig geblieben, als dieser mystische Nimbus einer Hochachtung, welche man ihm als dem Sohne der früberen Herrscher noch zollte. Die Conversation begann nun; Anfangs war nnr von gleichgültigen Dingen die Rede. Bald jedocb bemerkte ich, daß Bcn Salem etwas auf dcm Herzen habe, was zu sageu er vor Begierde brannte. Alle Auderu schieueu gleichfalls in 230 einem Zustande neugieriger Spaimuug. Endlich tonnte sich unser Wirth nicht mehr zurückhalten und rückte nüt seinem Begehren heraus, worin ihn Alle einstimmig llnterstübten. Dies Begehren war, — ich hatte es geahnt, — der Wunsch, das Porträt der inugeu Dame mit rothen Haaren, welches Mister S. als Medaillon bei sich trug, in Augenschein uebmen zu dürfen. Beu Salem hatte es im Hütel gesehen und seiner Sippschaft als ein Wunder von Schönheit angepriesen. Man tonnte meinem englischen Reisegefährten kein größeres Vergnügen bereiten, als weun man dies Bild zn betrachten verlangte. Mit Wonne zog er es heraus und nun eirenlirte das Konterfei der rothborstigcn Schönen. Diese junge Dame, welche vielleicht in irgend einem Dorfe Altenglands obscur vegctirte, ahnte gewiß nicht, welche Bewnndcrung ihre feuer-farbcneu Locken bei den Sölmen der Wüste erwecken sollten. Denn sonderbarerweise war es gvade »>u dieser Haarfarbe willeu, daß die Araber das Porträt schön fauden. Noth, bei ihnen eine äußerste Seltenheit als Haarfarbe, erfreut sich mehr als irgend ein anderer Farbenton ihres Beifalls. Dieser Zug ist nralt bei dcn semitischen Völkern. Schon bei den altcu Israeliten galt rothes Haar als etwas Wunderschönes. Das höbe Lied Salomonis beschreibt die Sulamilb mit rothen Haaren: (Cap. VII, 6. rabbinische Uebersel5nng). „Deines Hauptes Locken wie Purpur, iu den der König gebullt, so in dem Rebatim er wallet." Den Kindern nnd jnngen, oft schon hcirathsfähigen Mädchen färben die Araber die Haare mit dem Hennab, bis sie ganz roth werden. Natürlich glaubten die Kinder der 251 Oase, die junge Geliebte des Engländers besitze ebenfalls gefärbte» Haar. Als sie nun aber vernahmen, das? dieses Noth keinKunstproduet, sondern die reine Natur sei, da kannte ihre Bewunderung keine Grenzen mehr. Alle wollten das Medaillon besehen, befühlen, betasten. Alle schwelgten vollSchnsuckt i» diesem holden Anblick. Ihre Augen hafteten darauf, wie von cinem mächtigen Magnet angezogen nnd iä) glanbc, sie würden, eo alle mit brünstigen Küssen bedeckt haben, hätten sie sick nickt, m^br vor einander, als vor uns, geschämt. Ieyt sollte jedoch eine Wendung unseres Gespräckcs eintreten, deren Anögang nils belehrte, wie vorsicktig man im llmgangc mit einem Volte seinmnß, dessen Sitten man nicht ganz genan kennt, ft ine Frage, eine höchst einsacke Frage führte zu dieser verhängnisvollen Wendung: „Wer ist diese junge Tame?" frng Ben Salem. Mister S., der uns bis jetzt immer gesagt hatte, die rothloctige Schöne sei seine Braut, giug nun, olme Zweifel, um an der Bewunderung der Araber nock direeter Theil zn nehmen, nock eincn Stritt lveit^r und bchanptete: ,,Tiese jnnge Tame ist meine ^ran." Wenn eine Bombe auf einmal in die Vcrsammlnng gefahren wäre, wenn der Blitz plötzlick über uusern Häuptern eingescklagcn hätte, dieß würde teinen gröberen Aufrllhr unter den Anwesendeu bervorgernfen haben, alx> diese Worte des Engländers. Alle sprangen auf, gingen, liefen, rannten znr Thüre hinans nnd der einzige Ben Salem blieb in ge-zwnngencr, höchst genirler Stellung vor uns sitzen. Wie 252 Spreu im Wiude war die ganze Versammlung auseinander-gestoben und wir saßen, wie vom Schlag gerührt, da und blickten uns verblüfft au. Als wir nns einigermaßen von nnserer unangenehmen Ueberraschuug erholt hattcu, begannen sich imscre Augen zu fragen, was denn wohl eine solche Erplosion hervorgcrnfen haben könnte. Ich ahnte wohl, daß wir die Besucher Vcn Salem's beleidigt habeu-mußteu und frug deßhalb diesen: „Haben wir vielleicht einen Verstoß gegen Eure Sitten begangen?" ^ange wollte jedoch Vcn Salem keine Autwort geben. Er sah selbst höchst beleidigt aus. Endlich aber entschloß er sich: „Einen Verstoß?" sagte er. „Ich »lochte wissen, ob man einen gröberen begehen könnte!" „Und, um'sHimmcls willen," rief der Engländer, „was ist denn das für ein Unglück, wenn ich diesen Renten das Bild meiner Frau zeigte?" „Hören Sie, juuger Maun," sprach Ben Salem, „Sie scheinen mir noch wenig Lebenserfahrung zu besitzen uud ich will Ihnen deßhalb verzeihen, obgleich ich ein Recht hätte, höchst beleidigt zu sein über Ihr uuschickliches Benehmen. Aber wenn auch ich Ihueu verzeihe, so werden es doch nicht die Andern thun. Man wird Sie wahrscheinlich beim Bureau arabe verklagen. Uebrigens rathe ich Ihnen, von nun an alle Orte zn meiden, wo sie mit El-Aghnati's zusammenkom-men können." „Aber, o Veu Salem!" riefen wir nuu alle ^?rei im 233 Chorus, „thue uns doch den Gefallen, uns auseinanderzusetzen, worin unser Verbrechen denn eigentlich bestanden hat." „Wißt Ihr denn wirklich nicht," sagte nnscr Wirth, „daß kein Muselmann die Gattin eines andern Mannes — und ein Porträt gilt uns fast wie Wirklichkeit — sehen darf? Und wenn wir dieß auch hier, wo alle Frauen nnverschleicrt gehen, nicht ganz vermeiden können, so hüten wir uns doch immer, einer fremden Frau in's Angesicht zu blicken. Eine tödtlicheVclcidignng ist es aber, wenn Jemand die Frau eiues Audern als schön preist und Ihr habt allen diesen Lenten Gelegenheit gegeben, die Gattin des jnngen Mannes da zu loben uud zu preisen. Diese Leute glauben nun, Ihr habt sie provociren und zur Beleidigung gegen Euä' gewissermaßen nöthigen wollen; denn wenn Ihr gleich gesagt hättet, daß dieses Porträt das der Gattin" eines von Euch Dreien sei, so würde kein Muselmann es aucb nur angcsckant haben. Nun werden Sie Euch vielleicht beim Bureau arabe verklagen und dort behaupten, Ihr habet den Frieden stören uud durch Eure Provoeatiou sie zu gewaltthätigen Handlungen verleiten wollen, um dann ein Recht zn haben, gegen sie mit polizeilicher Hülfe eiuzusckreiten. Denn der Muselmann fürchtet den Rumih, und zwar thnt er dieß weniger wegen dessen Wasfen, als wegen der List der Nazareuer, die er aller möglichen Dinge für fähig hält. Eiucr solchen List halteu sie Euch nnu sür schuldig. Sie denken vielleicht, Ihr seid Ncgierungs-spionc. Denn das vermuthen unwissende Araber von jedem Europäer. Ich theile freilich nicht jene Vorurtheilc. Ich weiß allerdings wohl, daß Ihr das nicht so schlimm gemeint 254 habt. Ikr habt nur eine Unschicklichkeit und keine Verrä-therei begehen wollen." Nach dieser Strafpredigt unseres früher so freuildlich^n Wirthes zogen wir uns, drei Mann hock' und mit moglirbstcr Würde, zurück, um nie wieder diesen Kothpalast zu detreten, wo wir obnc Nullen und Wissen ein solckcs Aergerniß ge-^ebcn hatten. Noch am selben Tage kam der Caftitän des Bureau arabc zu uns und crzäbltc nus unter Lachen, wir seien wirklich von einigen Eingeborenen bei ibm verklagt worden. Zum Glück war dieser Capitän ein vernünftiger Mensch nnd die ganze Sache hatte leine andern Folgen, als daß wir nun in <5l-Aghuat bei allen Eingeborenen nnmöglicb geworden waren. Und das hatten wir den rothen Borsten einer obsenren jungeil Engländerin zu verdanken. 253 Zwölftes Capitel. Am Madhi. Nothwendigkeit baldiger Rückkehr, — ilteise nach M„ Maohi, — Die Wüste beim Mondschein, — Dämincriing, — Sonnenaufgang, — Uöd Msi. — Tadschamnt, — Der .N^io, — Unüberwindliches Scklafbedürfniß. — Ick stürze schlafend in einen Graben. — Gennß des Reifens in der Wüsle. —Ankunft in A'i'n Madhi, — Festungsartigeo Aussehen. — Der Kai'o und der Tsidfchani. — «iin kleiner Neger, — Krieg Add-el-Kaders gegen AI'n Madhi. — Rückkehr nach El-Agbuat n»d Algier. So gern ich auch längere Zeit in der herrlichen Oase El-Aghnat geweilt hätte, so sollten die Tage unjcrcs dortigen Aufenthaltes doch schnell gezählt sein, denn mciNc Reisegefährten drangen auf baldige Rückkehr und dieß aus sehr begreiflichen Gründen, ^ir hatten nänilich den Wagen, sowie die Pferde, welche uns von Algier hiehergebracht, nur tageweise miethen können, nnd jcder Tag des Aufenthalts in El-Aghuat vernrsachte nns dieselben Kosten, wie ein, Reisetag. Auf diese Weise wäre ein längerer Aufenthalt von sehr unangenehmen Folgen für unsern Geldbeutel geworden. Mein französischer Reisegefährte hatte seinen tomischen Plan, nach Tombntto zn reisen, nach einigen in Cl-Aghuat eingezogenen Ertundignngen, mit demselben Leichtsinn wieder aufgegeben, mit welchem er ihn einst gefaßt. Aber mit El-Aghuat allein waren wir doch nicht zufrieden zu stellen. Wir wollten wenigstens noch zwci andere 256 Oasen, da's palmenreiche, Tadfchamut und das historisch gewordene Ain Madhi, besuchen. Unser Wage>l konnte llns freilich hier von keinem Nutzcil sein. Denn, waren die Wege von Boghar nach El-Aghnat schlecht gewesen, so eristirten von (>I-' Aghuat nach Ain Madhi gar keine. Wir mietheten uns deßhalb dnrch Vermittelung des freundlichen Capitans vom Bureau arabe Pferde, und traten unsern zweitägigen Nitt uach Ain Äiadhi an. Die Palmen umgaben uns noch eine halbe Stunde nn-seres Weges. Dann kam die Wüste. Die Wüste, freiliäi nicht so, wie mau sich in Europa die Wüste vorstellt: Nicht eine unuuterbrochene (5'beue voll Sand nnd wieder Sand. Einc solche Wüste eriftirt nnr in der l^inbilduugstraft von Europäern, welche nie gereist find. Selbst die oasenlose Wüste jenseits der Sahara sieht nicht so ans. Der Theil der Wüste, welcheu wir jetzt durchritten, bot eine ungleiche Oberfläche: hier eiuc Vertiefung, dort einen niedern Hügel, hier einen Fels, dort eine kleine Strecke spärlicher Vegetation. Dies Alles war aber von einem nnd demselben Farbenton übergössen, welcher jedoch nicht immer derselbe blieb. Nein! wie oft wechselte er! Als wir ansritten, war das Tagcsgeftirn noch nicht aufgegangen nnd die blaffe Sichel des Mondes schlummerte noch schwermüthig in einem Winkel des Himmels. Sie warf einen mattenSchimmer, ein ungewisses blaues Licht über die Wüste. Dieser Mond und die Kälte, die wir ausstanden, denn es war 5 Uhr Morgens und Winter, undEl-Aghuat liegt 2000' über der Mccrcsfläche, zwangen mich, unwillkürlich an einc 257 arktische Sommernacht zurückdenken, die ich einmal in Hammerfest, im Norden Norwegens, erlebt hatte. Damals war es eben so t'alt gewesen, die <5rdc eben so vegetationslos, und die Sonne schien wahrliaftig nicht viel heller und eben so schwcrmüthig, als hier der Mond. langsam, höchst langsam veränderte sich diese Beleuchtung. Der Mond senkte sich allmählig, senkte sich immer mehr und mehr; endlich tauchte ein Horn in dem Wüsteusaude unter, dann cin anderes. Jetzt ward dic Wüste schwarz, oder vielmehr schwarzgrau. Aber je mehr sich unsre Augen an das, was nns anfangs schwarz vorkam, gewöhnten, desto weniger fanden wir es schwarz. Es wurde grau, graublau, dunkclviolctt. Dabei war es durchsichtig wie ein Quell. Wir sahen vor uns, freilich nicht sebr weit; aber wir sahen gcnng, um unsern Weg zn finden. Dieses Dahinrciten in dem Nachtdnnkel dutte einen mächtigen fesselnden Reiz. (>s schien mir, als sei dicß der normale Zustand eines Wüstenreisenden: graue d'rde, graue Luft, grauer Himmel; uud inmitten diesem Gran schwebte und flog die Phantasie desto schwungvoller und wod sich goldene Träume. Wie gerne wäre ick noä, lange in diesem Nachtdnnlel dabingeritten! Allein nur zn bald schwand cs. Ein häßliches Licht nahm seinen Platz ein, jenes Licht der Morgendämmerung, welches dein Menschen, der in Ungeduld den Tag erwartet, zu lauge dauert, uud dem, der die Nacht festhalten möchte, zn frühe lömntt. Dieses Licht hatte etwas Trauriges. Die Wüste schien sich ungern in ibm zu sehen, wie eine alternde Schöne, die sich des Morgeno nicht zn frühe Drei Jahre im siordwcslcn von Afiiia. NI. 17 238 zeigen mag. Dieses Licht war auch grau, abcr es war ciu anderes Grau. Es war stcinfarben, aschgrau. Die Wüste sah in ihm aus, wie wenn sie gar nicht ein Stück Afrika wäre, wie wenn man sie etwa mit der Lüneburger Haidc vertauscht hätte. Sie sah aus, wie irgend eine recht häßliche Gegend in Europa, über welcher Wolken, schwere graue und schwarze Wolken hängen, und den Tag in ein Tämmerungs-grau umgewandelt haben. Doch dieses Licht dauerte nicht lange. Ein Paar senkrechte Strahlen schössen qncr über die Ebene hin. Das waren die ersten Boten des Morgenroths. Nun kam das Morgenroth! Aber kein starkgefärbtes, dick-aufgetragenes, plumpes, indiscrctes europäisches Morgenroth! Nicht jcues abgedroschene, verbrauchte, triviale Mor^ gcnroth, mit welchem nnsere Schriftsteller einen solchen Mißbrauch getrieben haben. Nein! ein zartes, liebliches Morgenroth von kurzer, von nur sehr kurzer Dauer! Da schwebte es hin: — Ein Gebilde violetter Nebel, — dann ein rosiger Strahl, — dann ein rothes Licht, — dann ein gelber Schimmer und — es war vorbei! Jetzt giug die Sonne rein, heiter und ungestört mn wolkenlosen Himmel auf. Die Sonnc ging gelb auf; golden konnte man das nicht nennen; es war ein reines zartes Gelb. Diese gelbe Scheibe erhob sich hinter einem Salzhügel, der wcißgrau aussah. Sein Kegel ragte mitten in den Discus hinein und schien ihn in zwei Hälften theilen zu wollen. Aber die Sonne spottete des frevlen Beginnens dieser Erdscholle. Sie erhob sich und erhob sich uud bald sah der Gipfel dcZ Salzhügcls nur mehr wie ein winzig kleines Dreieck an ihrem untern Rande hinschwebcnd aus. Dieser 259 häßliche Flecken verschwand bald und der gelde Lichtball stieg aufwärts und aufwärts und nahm jetzt erst einen röthlichen und zuletzt einen goldenen Glanz an. Das Licht des Sonnenballs hatte sich über die ganze Wüste ergossen und ihre hehre Unermeßlichkcit wurde uns nun offenbar. Hehre, heilige, stille Wüste! Wie lagst du da so gedankenvoll, mannichfaltig in deiner Einförmigkeit, lieblich in deiner Großartigkeit. Kein Baum ragte aus ihr empor, kein Strauch erhob sich, ja selbst die spärliche Vegetation, die unsrer Nosse Huf bis jetzt getreteu, hatte aufgehört. Es war ein uucrmcßliches Meer, aus Stein und Saud bestehend, dessen Welle» von niederen, flacheu Hügeln gebildet wurden. Durch dieses Meer schifften wir dahin, bis wir eine Insel erreichten. Diese Insel war die kleine Oase des Ued M'si. C'iu kleines Bächleiu hatte diese Oase geschaffen. Um seine Ufer herum ragte Schilfsrohr und ein Dickicht grüner Bäume dehnte sich aus. Iu ihrem Schatten ruhten wir, mehr weil einmal dort der übliche Nnheplatz war, als weil wir dc^ Schattens bedurften. Es war freilich nicht mehr kalt, wie vor Sonnenaufgang, aber die Strahlen des Tagsgcstirns, in dieser Jahreszeit selbst in Afrika angenehm wärmend und nicht erhitzend, waren uus immerhin sehr erwünscht. Die Sonne malte die Blätter der Tamarisken staumrix ^lliiiea) über uns brauugold. Sie lenchtete im Schilf (arnuäa äonÄx) safran-qelb und dem kleinen Vächlein, welches ohne diese Veleuch-tuug traurig ausgesehen haben würde, verlieh sie violette Tinten. 1?* 260 Vom U«d M'si nach Tadschcmut kamen ivir durch ein völlig flaches Land, eine echte, wahre, unzweifelhafte Wüste: ein irdischer Ocean, über dem der lummlische, gleich einem flachen Araberzclte, ausgespannt erschien. Nachmittags erreichten wir Tadschcmut. Vs lag auf einem felsigen Erdhöckcr, welchen die phantastische Laune des Wüstcnbodens hier bildete. Dieses kleine Plateau, auf welchem das Städtchen und seine Gärten ruhten, hatte eine dreieckige Form. Um die Basis dieses Felsendreiecks zog sich ein Wald schlankstämmiger hoher Palmen, vom Sonnenscheine goldgelb gemalt. (s-inc von Weitem stattlich aussehende Ringmauer, in Wirklichkeit freilich nnr ein Kothgcbilde, umgab den Ort uud zog sich vom Hügel herab, um auch die Palmeugärten zu umringen. Auf dieser Mauer erhob sich hie und da ein Thurm, mit Zinnen und Schießscharten vcrseben und pyramidenartig angelegt. Zwei kleine Knbdas, Orabtapellen hier verstorbener Marabuts, erhoben ihre zierlichen Kuppeln zur Seite des Felsendreiecks, anf welchem Tadschemut lag. Wir wurden in Tadschemut im ,,Hause der Gastfrennd-schaft" ziemlich gut bewirthet und zwar mit einer großmächtigen Schüssel voll Knßkussnh, welches besonders stark mit Pfeffer und — Zncker, zwei sonst feindlichen Ingredienzen, bestreut war. Ter Kaii) des Ortes, welchem wir dieses Gastmahl verdankten, machte uns erst spät Abends und zwar so spät, als 10 Ukr, eine Visite. Wir hätten dieß unhöflich finden können. Aber der nns begleitende arabische Spahis, ein gutmüthiges Subject, Namens Müamer, erklärte uns, 2«1 hier in der Wüste lege man sich spät schlafen und mache gewöhnlich Abends Visiten. Ich schenkte dem Kaid, der ein schwarzbärtiger, stnpid aussehender 2)iann voir etwa 40 Jahren war, eines der Kinderspielzeuge, deren ich'immer als Geschenke für arabische Große einen Vorrath mit mir führte. Er nahm es dankbar an, spielte jedoch erst damit, als seine Begleiter einen Augenblick hinausgegangen waren und er, ohne seiner Würde vor seinen Untergebenen zn entsagen, nach Herzenslust kindisch sein dnrftc. Alle erwachsenen Araber lieben Kindcrspiclzeugc unendlich, aber sie schämen sich gewöhnlich, es cinzngcstehen. Sie kaufen dergleichen unter dem Vorwand, es sei für ihre Kinder, aber die großen Kinder spielen selbst damit, wenn sie sich unbeobachtet glauben. Vor uns branchte sich der Kaid natürlich nicht zu geuiren. Sagt doch ein arabisches Sprichwort: ,,Numih maschi Ben Adam", d. h. ein Christ ist kein Mensch. Wir waren Gegenstände, vor denen man Alles thnn dnrfte. Wenn ich Rumih hier mit Christ übersetze, so geschieht es nur, um mich dem allgemeinen Gebranch anzubequemen. Aber eigentlich verbindet der Araber mit dem Worte Numih mehr die Bedeutung eines Europäers, eines Kindes der verhaßten Civilisation, als daß er dabei viel an die Religion des so Benannten dächte. Die Religion des Christen ist freilich strafbar nnd verächtlich, aber noch viel strafbarer nnd verächtlicher sind die entsetzlichen Manieren der Europäer. Die Schuhe nicht Ausziehen, wenn man in ein Haus tritt, das Tragen von Strümpfen und von langen Beinkleidern, das Essen von Schweinefleisch, der Gebrauch 262 von Messern und Gabeln, das Trinken aus einem Glase, während der Araber stets alls dein Kruge trinkt, die Sorgfalt inKlcidern ukd das mögliche Vermeiden der dem Eingeborncn so theuern Lumpen, das Nichtliebcn des Ungeziefers, nnd vor allen Dingen das Nichtrasircn des Kopfes, nnd das Tragen der Gott verhaßten Mützen und Hüte, das Alles sind Verbrecken, die dem algicrischcn Muselmann fast noch größer scheinen, als der Uuglaubc. Um Mitternacht empfahl sich der Ka'id und wir legten uns gegen 1 Uhr nieder, um nach einer höchst gestörten und unbequemen Nachtruhe scbon um 5 llhr wieder aufzubrechen. Ich hatte die ganze Nacht, des Iusectenkampfes wegcn, nur 2 bis 3 Stnndcn gescllafcu uud war so müde, daß ich, was ich bisher gar uicht für möglich gehalten hätte, auf dem Pferde einschlief. Jedoch der Spahis Mäamer weckte mich und stellte mir vor, daß ich auf dem besten Wege sei, mir den Hals zu brechen. Da ich, auf dem Pferde sitzeud, mciues Schlafes nicht Herr werdeu konnte, so stieg ich ab nnd fübrtc nun mein Pferd am Zaum. Aber so mächtig war das Bedürfniß des Schlummers, daß mir jetzt etwas begegnete, welches, wenn es mir ein Andrer erzählt hätte, ich dreist für Lüge erklärt haben würde. — Plötzlich fand ich mich in einem tiefen Graben liegend und mein Pferd lag neben mir. Wir waren glücklicherweise beide uicht ernstlich beschädigt. Wie ich in diesen Graben hineingekommen war, davon hatte ich nicht die geringste Ahnung. Meine Reisegefährten stiegen zu mir herab nnd aus ihrcu Vcrichtcu ward mir erst klar, wie 2«3 es gekommen sein inußte. ,.Vt) war nämlich — g eh end eingeschlafen. Dahinwandelnd und das Pferd an, Zaum führend, war ich von Morpheus übermannt worden. Meine Ncise-gcfährtcn hatten mein Schlafen erst bemerlt, als ich plötzlich strauchelte und mit dcm geführten Pferd in den Graben stürzte. Man lernt immer Nencs. An diesem Morgen battc ich gelernt, daß man reitend sowohl, wie zu Fuße gehend, schlafen könne. Hätte ich das in einem Vncke gelesen, nie würde ick es für etwas Anderes, als für müncw hauscnartige Erfindung gehalten haben! Tie Sonne ging ebenso herrlich, so rein, so umunwölkt auf, als am vorhergehenden Tage. Sie lencktete über Wüste: Wüste rings nm nns, Wüste, so weit wir scheu> tonnten. Nur hinter uns malte ncb nock die grüne 57ase von Tadschc-.niut. Wie ritten etwa 6 Stnndcn in dieser monotonen und doch reizenden Landschaft. Die Wüste hat immer einen mächtigen Nciz. Woher tommt dieses Fesselnde, was die Wüste für so viele Reifende hat? Einmal fühlt sich nnfer thierischer Theil in dieser klaren, reinen Atmosphäre nen belebt und neugc-trä'ftigt. Aber unsre Seele saugt aus der Wüste einen unendlich größeren Zauber. Woher tommt dieser Zauber? Ein Grund davon ist gewiß die Seltenheit auffallender k!and-fckaftsbilder, die Sparfamteit der Natur in der Wüste, welche macht, daß wir dieienigcn Naturerscheinungen, welche die Wüste uns bietet, mit hungrigen Sinnen einsangen und desto mehr genießen. Das Auge bemerkt in der Wüste Tinge unö freut sich an Dingen, die es in üppigeren Gegenden gar nicht 2N4 beachtet. Die Wüste ist ein hehres Bild der Keuschheit, denn sie verschmäht alles Ucppige. Die Wüste ist nüchtern ohne unpoetisch zu sein. Diese Nüchternheit und Poesie zugleich findet sich in den Glaubenslehren der Wüstenvölker abgespiegelt. Indcnthnm und Islam und selbst das ursprüngliche Christenthum waren vou dieser Vermischung von Nüchternheit und Poesie durchdrungen, welche den semitischen Nacen entschieden inncwohnt. Endlich sahen wirAinMadhi vor uns auftauckcu. Aber da war keine liebliche Oase, da war kein Palmeuwald. Eine braune dunkle Masse, so blickte das Städtchen mitten ans der vom Sonueuftrahlc röthlichgelb gemalten Wüste hervor. Alle Palmen, deren die Oase von El Madhi früher viele taufende trug, waren zur Zeit der langen Belagerung durck den Emir Abd-el-Kadcr niedergcfällt worden. Nachmittags erreichten wir das Städtchen. Es war von einer großen und starken Ringmauer umgeben, deren zahlreiche Wartthürmc pyramidenförmige Dächer trugen. Durch das Vab-el-kcbir (große Thor) hielten wir unsern Einzug. Dieses Thor hatte etwas recht Festnngsartiges. Es war viel höher als die Thore anderer arabischer Städte, von soliden Mauern nmringt, und zwei große viereckige Thürme an seinen beiden Seiten gaben ihm ein sehr stattliches Aussehen. Die erste Straße, welche wir dnrchritten, hatte ebenfalls twas Großartiges. Ihre Häuser waren hoch, ernst und finster. Die Straße war öde lind menschenleer, aber anch zuglcicb ohne jenen Schmutz, den man sonst in arabischen Straßen immer findet. Durch sie gelangten wir nach dem 263 Hause dcs Tsidschani, des berühmten Marabuts von Ni'n Madhi. Dieß war ein wcißangestrichenes malirischcs Haus, das einzige in Ain-Madhi, welches nicht ans ungebrannter Erde aufgehäuft war. Unweit desselben lag unser Nachtquartier, das „Haus der Gastfreundschaft", ebenfalls eine Kothhütte, wie alles andere. Wir besuchten den Kaid,' einen höchst unbedentendcn Menschen, der von den Franzosen cingcseht worden war und der nicht die geringste Achtung in A'i'n Madhi zu genießen schien. Die Bewohner von A'i'n Madhi können ihr wahres Oberhaupt nuu in dem Tsidschani, dem großen Marabnt, erkennen, welcher ihr Stolz nnd ihr Segen ist. Ich drückte dem Kaid meinen Wnnsch ans, diese Hauptmerkwürdigkeit von A'in Madhi, den Tsidschani nämlich, zn scbcn. Der Würdenträger schien ungern darauf einzugeben, nns zum Tsidschani zn führen. Aber da wir vom Bureau arabc gut empfohlen waren, so dürfte er nns keinen vernünftigen Wunsch verweigern. Wir gingen also zum Tsidschani. Ich hatte mir erwartet, einen Mann von ehrwürdigem Aeußcren, von asketischer Miene und stolzem, Ehrfurcht gebietendem Angesicht zn sehen. Nnd was mußte ick nun erblicken? Man zeigte mir, anf dem Fußboden sitzend, eine kleine fette Gestalt, die ganz schwarz ausgesehen haben würde, hätte sie nicht einen weißen Vcrnus angehabt. Nie ich dieses menschliche Bündel etwas genauer analysirtc, fand ick, daß der Tsidschani ein kleiner Ncgcrjunge von etwa elf Jahren war. Ich war höchst unangenehm enttäuscht. 2«« Ter Kaid erklärte mir die Sache. Der Tsidschani, der wahre Marabut und der Sohn dcs großen Stifters des Ordens der Tsidschani, war ini Jahre 1657 gestorben. Er hatte nnr Töchter hinterlassen; wenigstens wußte Niemand etwa» von einem Sohne desselben. So wäre also die berühmte Familie ohnc Haupt Ablieben, oder wenigstens hätte man warten müssen, bis eine der Töchter einen Sohn geboren haben würde. Da jedoch lränmte plötzlich der Imam der Moschee, daß der Verehrte Marabut von einer Negerin einen Sohn gehabt habe. Kanm war der Imam wach, als er jubelnd seinen Traum den Vcwolmcrn von Am Madhi erzählte. Diese waren hochbeglückt. Man erinnerte sich, daß der Tsidschani wirklich eine Negerin in seinem Harem gehabt habe. Aber diese Negerin war nicht mehr in Ai'n Madhi. Sie war ausgewandert nnd ihr Sohn ebenfalls. Man snchte und forschte in allen Stämmen der Sahara nach der Negerin uud ihrem Sohn. Endlich entdeckte man letzteren in der Nähe von Vusada, wo der Sohn dieser großen Race die beschriebene Rolle des kleinen Knechtes eines Qcksenhirten spielte. Er wnrde im Triumph nach A'in- Madhi geführt. Auf seinem Wege dorthin bewerkstelligte der kleine Marabut einige obligate Wunder, welche seinen heiligen Ursprung bestätigen halfen. Dieß kleine Monstrnm war ganz fchwarz, ein vollkommener Neger, mit sicb von selbst fletschenden, schneeweißen Zähnen, dicken Lippen und großer Nundheit im Mitteltörper. Wie hatte der Tsidschani, der doch ein weißer Araber gewesen war, ein solches Monstrum zum Kinde haben können? 267 Wenigstens hätte der von ilmi mit eiuer Negerin erzeugte Sprößling ein Mulatte sein müssen. Aber ein vollkommener Neger! Das war auch eines der Wunder, welche in der Familie der Tsidschani das tägliche Brod sind. Dieser kleine Unhold ist berufen, das vierte Ordenshaupt des berühmten Khnan der Tsidschani zu bilden. Das erste Haupt dieses Khuan (religiöser Orden) war der Stifter desselben, der erste Tsidschani. Dessen unmittelbarer Nachfolger war nicbt sein, bci seinem Tode minderjähriger Sohn, sondern der in Temassin rcsidirendc nnd von mir bei der Schilderung mcincs Aufenthalts in Tnggnrt erwähnte Sidi Omar. Sidi Omar starb 1844. ^a er cm großer Heiliger war, so hatte mau ilm alo Großmeister sein Veb^n lang gelten lassen, obgleick der Solm des Tsidschani lange vor Sidi Omar's Tode mündig wurde. Der Solm des Tsidschani wnrde nun Großmeister uud starb 1857. Jetzt läßt man den tleinen Neger tro>5 seiner Minderjährigkeit als Großmeister gelten. Nach nnscrm Besuche bei diesem kleinen Unhold mackten wir noch einen Spaziergang durch die Stadt. Wir stiegen auf einen etwas erhöhten Pnntt, nm Ortschaft und Umgegend deutlich im Panorama vor nns zu haben. Das Städtchen lag ans einer clliptistl, geformten Erderhölmng. Die Araber sagen deßhalb, „A'm Madhi ist die Hälfte eines der Länge nach durchschnittenen Stranßcncies." Die Oase bot einen tranrigen Anblick. Die Felder grünten zwar und blühten, wie immer im Winter. Aber ihnen fehlte der Hauptschmnck einer Oase, die Palmen. Abd-el-Kadcr hat nur zwei Palm- 288 bäume stehen lassen, welche vereinzelt aus diesem Felde der Verwüstung aufragen und zu sagen scheinen: „Wir waren Zcngcn des Zornes des Emir!" Hier, in A'in Madhi, war es, wo dieser Sultan der Araber sich die Zähne ausbiß. Dnrch Waffengewalt hatte er die Oascnstadt nicht nehmen können. A'i'n Madhi war die beste Festung vielleicht in ganz Algerien, — wenigstens die beste von Arabern gebante. Schon hatte der Emir ein Jahr die Wüstcnfestung belagert und noch war er nickt weiter als am erstell Tage. Seinen Zorn lies! er an den Bäumeil aus und die armen nuschnldigen Palmen, jene Töchter nnd Symbole des Friedens, mußten für das Mißlingen des Krieges zahlen. Aber kein Araber verschmäht es, zur 5/,ist zu greifen, selbst dann nicht, wenn diese List ein Verrath sein sollte. Der Emir forderte den Tsidsckani auf, ihn wenigstens in der Moschee von A'M Madhi beten zu lassen; dann würde cr befriedigt abziehen. Das dürfte ein so frommer Mann, wie der Marabnt war, nicht abschlagen. Tsidschani zog sich mit den Scinigen ans A'in Madhi zurück, um die Oascnstadt anf einige Tage dem Emir und seinen Truppen zu überlassen, damit diese daselbst ihre Andacht ungestört verrichten könnten. Aber kaum befand sich Abd-cl-Kader in A'in Madhi, als er die Festungswerke schleifen ließ und Besitz von Stadt und Dasc nahm. Der durch diesen, des Emirs so uuwürdigeu Verrath überlistete Tsidschani soll seinen Feind zum Zweikampfe aufgefordert haben. Aber Abd-el-Kader schlng dieß ritterliche 3«9 Ansinnen aus; dcnn der Tsidschani war ein Wundcrmann: l^r lonntc verwunde», aber nic verwundet wcrdcn. War cr doch am ganzen ^eibc mit Ainuletten uud Talismanen behängen ! Der Emir war abergläubisch und fürchtete sich vor dem Wundcrmannc. Von dicscm Tage an fing icdoch das Unglück an auf dem Sultan der Araber zu lasten, und dic Beduinen erzählen sich, er habe im Gefängnis; zu Amboise ausgerufen.- „Dein Fluck hat Früchte getragen, o Tsidschani!" Wir belamcn im „Hause der Oastfreundsd'aft" ein zicmlicl' schleclitco Kus;lussul,, schliefen aber desto besser. 9iach Ltägigem Aufenthalt in Dn Madhi, wandten wir unsre Schritte wieder Ol-Aghnat z„, ^,^> dießmal unscrs Bleibens nicht war. Wir bestiegen den Wagen und riefen der Wüste unser lchtes Lebewohl zn/ Tcr dicke Franzose, der, wie alle fetten k'eutc, zuweilen sentimental wurde, weinte eine Tlirä'nc, und ich stieß einen Seufzer aus, als wir die letzten heiligen hchren P.ilmcn im Morgendämmer-schcin verschwinden sahen. Ter unauöstchücl'e junge Liebhaber der rothborstigcn Scliönen allein rauckte eine (5igarrc! Nacki 12 Tagen waren wir wieder in Algier. Ehe ick von Algerien Abschied nclnnc, »ms; ich ein Wort einem Ereignisse widmen, welches dieses ^and in neuester Zeit (März 1863) wieder zum Gegenstand von Zeitungsberichten gemacht hat. ^ch meine die von ^ouis Napoleon ergangcne Proclamation des sogenannten Kaiscrthums der Araber. Man will das arabische Eigenthum wiederherstellen! Diesi llingt äusierst liberal und human. Wenn man aber 27« weiß, was dieß wirkliä, bcdentet, so schwindet unsre Bewun-dernug vor diesem verincintlichen Act der Hnmanität. Bisher war bei den Bcdninenstämmeu das System des Cantonne-ments von der französischen Regierung befolgt worden. Dieß arbeitete darauf hin, die grossen Weide- nnd Iagdgründe der Beduinen abzngränzen, nnd in den abgcgränztcn nnd allerdings verkleinerten Bezirken allmählig eine Civilverwaltung einzuführen, welche die Stämme dcr Willtühr des Bureau arabe entzogen hatte. ^)inn geht man hiervon wieder ab. Man läßt den Beduinen ihre viel zu großen, viel zu weitschweifigen Besitzungen. Für diese vermeintliche Großmuth üiüsscn die Eingeborenen aber dadurch leiden, daß sie dem raudsüchtigcn, tyrannischen Bureau arabe nach wie vor unterworfen blciden. Das Einzige, was hiebei gewonnen wird, ist die Beschränkung des Systems dcr Concessionen arabischen Landes an europäische Colonislen, welche meist nur falsche Colonisten waren und einzig nnd allein auf die Preiserhöhung des Bodens spceulirtcn. Die Colonisation Algeriens, das scheint die Regierung durch diesen Act selbst ciuzugestehcn, ist jetzt ein für allcinal aufgegeben. Iiedente« Huck. Marokk o. Erstes Capitel. Grenze Algeriens und Marokko's. Fahrt von Oran nach Tanger. — Officielles Dampfschiff, — Schlechte Einrichtungen. — Mitreisende Juden. — Ein englischer Juden-Missionar, — Betehrungsdiöputation, — Cap Falcon. — Por» tus Divini. — Cap Figali. — Ned Tafna. — Sigä. — Cap Noe. — Nemours. — Hä ^rutre«. — Neue Scene mit dem Iubemnissiouar. ^ Abd-el°Kaderö letzte Waffenthat, — Grenze der Algerie. Das Schiff, welches mich von Oran westwärts befördern sollte, war cin französischer Marinedampfer mit vier Kanonen von ^ener Art, welche die officiclle Seefprachc „aviso 5 va-Veil" nennt. Einige dieser Dampfschiffe versehen den Küstendienst Nordafrika's von Tunis bis nach Tanger, führen Depeschen und Briefe und nehmen anch Paffagiere auf, sind aber gar nicht besonders gut für letztere eingerichtet. Ja, der Nei-sende wird offenbar als eine unwillkommene Nebensache betrachtet und meist mit officieUer Geringschätzung behandelt. Das Reglement felbst hat für ihn demüthigende Beftimmnngen. So kann er z. ^. nnr auf dem zweiten Platze fahren, indem der crstc den Marineoffizieren und besonderen Schützlingen 274 der Regierung vorbehalten bleibt. Auf dem zweiten Platz aber sind die Bequemlichkeiten höchst unvollkommen, die Kojen eng und klein, Betttücher in denselben etwas Unbekanntes, Waschbecken und andere Geschirre, die in keiner Eabine eines Handelsdampfers fehlen, glänzen hier durch ihre Abwesenheit. Letzterer Mangel wird besonders dann fühlbar, wenn die Seekrankheit den Reisenden heimsucht, wo dann der leidende, den dieses „lächerliche Uebel" im Bett befallen sollte, genöthigt ist, plötzlich vom Lager aufzuspringen, sich in aller Eile anzukleiden und aufs Verdeck zu eilen, wo ihn nicht selten ein kaltes Bad überstürzender Wellen empfängt. Ist Jemand recht elend, so kommt wohl hie und da ein mitleidiger Schiffsjunge, durch versprochenes Trinkgeld angelockt, mit einem großen Feuereimcr an einem langen Stricke und hält ihn dem Unglücklichen in die Koje. Diese Leiden, lächerlich in der Erinnerung, aber im Augenblicke schwer fühlbar, sollte auch ich später auf meiner Reise mittelst eines Rcgierungsdampfers von Algier nach Philippcville vollständig zu kosten bekommen. Dießmal erlaubte jedoch das herrliche, windstille Wetter fast immer der Reisegesellschaft, anf dem Verdeck zu blcibcu und das wellcnlose Meer ließ keinen Gedanken an Seekrankheit aufkommen. Die Gesellschaft an Bord bestand begreiflicherweise ungefähr aus denselben Elementen, wie die Einwohnerschaft von Oran, nur, daß hier womöglich die Iudcu, dieses handelnde und vielreiscnde Volk, noch etwas mehr vorherrschten. Frcnnd Schmuhl hatte den zweiten Platz uud das äußerste Vorderdeck, welches euphemistisch ,,dritter Platz" betitelt war, 'fast 275 ausschließlich inne. Mein Kojennachbar war ein sechszigjäh-rigcr jüdischer Millionär aus Oran, den drei klng berechnete Bankerotte in den Besitz eines sehr großen Vermögens gesetzt hatten. Dieser Biedermann war ein so strenger und frommer Vefolger des mosaischen Gesetzes, daß er für die beinahe dreitägige Neise alle nöthigen Lcbensmittel in einer großen hölzernen Lade mit sich führte, nm ja nichts von dem nnheiligen Restaurateur Zubereitetes essen zu müssen. Alles, was er zu sich nahm, war koscher, vom Wein bis zum Brode, ja er trank nicht einmal aus der Küche des Wirthes Kaffee, sondern bereitete ihn iu einer kleinen mitgebrachten Maschin selbst. Als eine bittre Pille für die Söhne Israels hatte sich auf dem Dampfschiff ein englischer Geistlicher eingcfuuden, der zwar anfangs sehr harmlos aussah, aber sich bald in seiner wahren Eigenschaft entpuppte, nämlich als ein höchst eifriger, bckehrungssüchtiger Iudenmissionär. Er war vor. der Londoner „society lar tko z)ropnF»t,5c>n ok tlie Fogpei aiuciiiFLt ^«^»^ ausgcsandt worden und ließ keine Gelegenheit linbemcht, um seinem Mandat, Juden zu bekehren, nachkommen: mit welchem Erfolge, davon möge eine au Bord stattgehabte Scene ein Beispiel liefern. Kaum war der Missionär auf dem Schiffe angekommen, als er ein Gespräch mit einigen der jüdischen Honoratioren des zweiten Platzes anknüpfte, welches anfangs auf freundlichem Fuße sich zu entwickeln schien. Eine Zeit lang verlief es eben, wie ein lieblich rauschendes Bächlcin über glatte Wieseu dahinfließt. Einen baldigen Wendepunkt bereitete jedoch der Umstand vor, 18* 2?» daß der Missionär im Laufe des Gesprächs eine etwas verdächtige Vertrautheit mit dem Iudenthumc an den Tag legte und dafür von Freund Schmuhl mit der unvermeidlichen Frage angegangen wurde, ob er uicht etwa selbst ein Jude sei. Zu meiner Ueberraschuug bejahte der „Reverend" diese Frage. Freilich wurde bald klar, daß der Engländer dem Worte „Jude" einen anderen Sinn unterlegte, als die Kinder Israels. Er sagte z. V. mit biblischer Salbung: „Ich bin ein wahrer IZraelit und Ihr seid falsche. Nur wer meinen Glauben theilt, darf sich einen wahren Sohn Abrahams nennen; die ihn aber nicht theilen, sind nicht seine echten Kinder, sondern nur Bastarde u. s. w." Letzteres Wort mißfiel diesen arabischen Juden sehr, welche gewohnt waren, nicht dessen figürliche, rciu geistige Bedeutung, sondern lediglich seine alltägliche, in welcher es im Orient als gemeines Schimpfwort verpönt ist, in's Auge zu fassen. Aber trotzdem nahmen sie sich noch zusammen und verschluckten die Beleidigung. Als jcdvch nun der Missionär anfing, ans dem alten Testamente Stelle auf Stelle, Weissagung auf Weissagung auszukramen und all' seine Beweise und Gründe in geordneten Schlachtrcihcn zum Augriff auf das eingefleischte Iu-denthum aufführte uud Freund Schmuhl, nicht auf so ernste Feindseligkeiten vorbereitet, oft mit schlagenden Gegenbeweisen zurückblicb, da sing der Zorn Israels an zu steigen und einige Worte fielen, die dem Missionär keineswegs angenehm im Ohr geklungen haben mögen. So wurde das in Disputation ausgeartete Gespräch allmahligzu ciucm wahren Streit, dcr vielleicht mit diesen hitzköpfigen orientalischen Juden, die 27? weit entfernt sind, jede Beleidigung geduldig hinzunehmen, am Ende noch mit Prügel für den unwillkommenen Vckehrer geendet hätte, wäre Letzterer nicht glücklicherweise durch die Anzeige des Kellners, daß der von ihm bestellte Thee bereit stünde, abgerufen worden. So endete die erste Phase dieses unfruchtbaren Ncligionsgezänkcs, um bei nächster Gelegenheit eine zweite zur Folge zu haben. Der Iudcnmissionär war übrigens keiu geborncr Engländer, wovon sein Mangel an Kaltblütigkeit und Würde in den Disputationen, ebenso wie sein fremder Accent, wenn er englisch sprach, mich bald überzeugten; sondern er war ein getaufter, polnischer Jude. Aus seinen Landsleuteu recrutirt diese englische Missionsgesellschaft ihre meisten Missionäre. Nach 2stündigcr Fahrt hatten wir den Golf von Oran hinter uns. Das Vorgebirge, welches diesen Portus Magnus der Römer gegen Westen abschließt, ist das Ras cl Areschfa der Araber, das Cap Falcon der mittelalterlichen und modernen Geographie. Auf beiden Seiten des Cap Falcon befinden sich zwei schone geräumige Buchten, welche von Pelissier für die Portus Divini des Itincrar des Antonin, von Manncrt jedoch für den Portus Dcoruiu des Ptolcmäus und Strabon gehalten werden. Mannert scheint mir übrigens etwas sehr Gewagtes aufzustellen, wenn er die Portus Divini und den. Portus Dcorum für synonym hält; denn derPortusDeorum wird von Ptolemäos ostlich vom Portus magnus und von Quiza angegeben, während die Portus Divini doch westlich von diesen beiden Punkten lagen. Die im Itincrar vorkommende Beschreibung der Portus Divini, daß nämlich dieselben die 278 ersten sichern Buchten gewesen seien, welche sick den von Tin-gis (Tanger) kommenden Schiffen darboten, paßt vollkommen anf die Buchten beim Cap Falcon. Die östliche dieser beiden Buchten, von den Spaniern „Las Aguadas" benannt, war im Jahre 1505 von ihnen bei ihrer ersten nnd 1732 bei der zweiten Erpedition gegen Mers-el-Kebir und Oran znr Landung benutzt worden. In die westliche Bückt, welche die Karten des Mittelalters Argozaba nennen, ergießt sich der kleine UiH el-Khab, der Fluß der hoben Gräser nnd Schilfpflanzen, dessen Flutken einem grünen Teppiche gleichen. Einige wollen ihn für den Chylemath des Ptolemäus halten. Der Mündung dieses Flüßchens gegenüber, etwa eine deutsche Meile vom Ufer entfernt, sahen wir vier nackte, kahle, kleine Felscninseln, von den Arabern Habiba genannt, über den Meeresspiegel hervorragen, in deren größeren man die Insel Bartas des Skylar erkannt hat. Aus dem Umstände, daß Edrissi diese Insel Dsai'r er-Rhenim (Insel der Lämmer) nennt, möchte man vielleicht schließen, daß sie einst von Hirten besncht oder bewohnt gewesen sei. Jetzt jedoch athmet anf ihr kein menschliches, noch bedeutenderes thierisches Wesen. Dieser Insel gegenüber müssen die Neste von Castra Pncrornm und etwa eine dentsche Meile Niestlicher die von Gilda Colonia gesucht werden. Das Cap Sigalo, des Ras Asinthur der Araber, bildet die westliche Spitze einer beinahe viereckigen Halbinsel, welche vom Golf von Oran im Osten, vom offenen Meer im Norden nnd vom Golf von Tlcmsen oder Naschgnhn im Westen begrenzt wird. Kühn ringt sich das Ras Afinthur mit seiner 27« Felscnspihe vom Fcstlande hiinoeg und in's offene Mcer hinaus. Mit dein Strande wird es nur durch einen lucdcren Streifen Erde verbnnden, so daß es, von Weitem gesehen, fast wie ein (5iland crfcheint. Sein Anblick war eiil düsterer, wie überhaupt der der Ufer des ganzen Golfs von Tlcmseu oder Naschguhn, welchen wir jetzt durchsegelten: hohe Felsenwände, auf deren schwindelnder Krone weder Baum noch Strauch dic Monotonie dieser öden Gestade unterbrach. Das ^.6, 0iiupü8 des Itincrarium Antonini befand sich ohne Zweifel auf dem östlichen Rande dieses Golfes. Vier der Flüsse ergießen sich in den Golf von Naschguhn. Der westlichste ist der Md-el:Maleh, oder „Fluß des Salzes", der Nio Salado der Spanier und wahrscheinlich auch dcrFlu-uien Salsmn des Itincrar's des Antonin. Der zweite Fluß ist der kleine H,«d Halluf (Fluß der Schweine) und in seiner Nähe der ebenfalls höchst unbedeutende Uiid Rafar, welche beide zusammen mit ibrcn Mündungen eine tlcinc Bucht, Mersa Si-Dschcllnl genannt, bilden, in der Mac Carthy den Hafen des Camerata Opftidum des Itinerarö crwnnt hat. Der östliche und bedeutendste Fluß, welcher in diesen Golf seine gelben, schlammigen Fluthcn ergießt, ist der U«d Tafna der Araber, der Sigac Flumcu oder Siga der Nömcr, an welchem die alte Hauptstadt der Massacsylicr, Siga, lag, die Mac Earthy in dem heutigen, eine halbe Meile vom Meere entfernten Takbrit wiedererkannt hat. Der Portus Sigcusis des Itincrarium Antonini lag ohne Zweifel an der Mündung des Ued Tafna, die Hauptstadt Siga selbst war drei Millia-rien von ibrem Hafen entfernt. Der Name Siga xi^o ist 280 ohne Zweifel vhönicischen Ursprungs und heißt nach Ge-senws „Versammlung" oder „Heer". Aus mehreren, noch vorhandenen Münzen von Siga ersehen wir, daß diese Stadt dem Melkarth, dem phönicischcn Hercules, geweiht war. Ursprünglich phönicischc Colonie, ward Siga später die Hauptstadt der Massäsylier, bis König Syphar einen Theil des Reiches der Massylicr mit dem seinigen vereinigte und seine Residenz zuerst nach Rusucurrum, dem heutigen Dcllys, und zuletzt nach Kirtha (Constantme) verlegte. Aber der zweite punischc Krieg, in welchem Syphar die Parthei der Karthager ergriffen hatte, brach seine Macht. Er fiel und Massinissa, König der Massul oder Massylicr, erhielt von den siegreichen Römern den größten Theil der Staaten des Syphar. Siga Ward aber wahrscheinlich demVocchus, König der Mauritania Tingitana, zugetheilt. Vei PtolcmäoZ wird Siga eine Stadt und Colonia genannt, in dein später verfaßten Itinerarium Antonini wird es nur als ein bescheidenes Munieipium aufgeführt und zur christlichen Periode suchen wir es umsonst unter den Visthümern Afrikas. Dieser Umstand deutet genügend an, daß Siga vor dem 4. Jahrhundert zerstört worden sein muß, -^ von wem? das hat uns die Geschichte nicht überliefert. Nach Mannert ist derSigä-Flumen, der Fluß Sigus des Ptolemäus, mit dem Sardabal des Plinius und Pomponius Mela identisch. Die Tafna ist einer der wenigen Flüsse des Maghreb, welche bis zn einer gewissen Entfernung von ihrer Mündung schiffbar sind. Eine Sandbank trennt zwar ihre Wasser vom offenen Meere; dieselbe kann jedoch von kleinen 281 Schiffen überfahren werden. Gegenüber besagter Mündung befindet sich auch die kleine Schncckeninscl, dir „Isla dc los Caracoles" der Spanier, die „lie äs I^ima^ous" der Franzosen, das alte Akra des Skylar. Sie ist, wie der griechische Name ausdrückt, hochgelegen; sie bildet einen Felsen von 20 liegt die kleine Bückt von Amelsin, zwischen zwei brüderlichen Felsen von etwa gleickcr Größe eingeengt, welche an die Station der Brüder, des Ad Fratres des Autonin, erinnern. Es ist das heutige Ncmours oder Dschcma Rhafuat. Hier legte das Dampfschiff vor Anker und machte einen Halt von mehreren Stunden. Ich benutzte diese Zeit, um an's ^and zu steigen. Wer dasselbe that, das war unser Judenmissiouar, der am Morgen unsres zweiten Reisetages seit Oran mit den unbelehrbaren Kindern Israels einen neuen Streit begonnen hatte, welcher sich am Lande weiter entwickeln sollte. Jetzt war nämlich die Disputation so weit gediehen, daß alles Necht oder Unrecht an dem Buchstaben eines Bibeltertes zn hängen schien, und da keiner der streitenden Theile eine vollständige hebräische Ausgabe des alten Testamentes mit sich führte, so eilte der ganze zankende Schwärm in T schema Nhasuat an's Land und zwar ins Haus des Rabbiners, um bei ibm im gedruckten Tert des heiligen Buches sick Klarbeit zu verschaffen. Was dort vorgefallen sein mag, das konnte ich nicht m all' seinen Details erfahren, da sich der Betroffene wohl hütete, es zu erzählen und die Juden in dieser Sache eine seltene Discretion bewiesen. Nur so viel weiß ick, daß der 283 Psendoengländcr mit violetter Nase und einem blauen Ange wieder an Bord erschien nnd seine Toilette Spnren ernster Heimsuclning an sich trng. Von jetzt an enthielt sich der Mis-!ionär, welcher vielleicht nicht in seinen Beweisgründen, jedenfalls aber anßer ihnen geschlagen worden war, aller weiteren kontroverse mit den dekehrnngsschencn Juden. Statt dessen widmete er sich von nnn an ausschließlich seiner mitreisenden Gattin nnd dem unvermeidlichen zahlreichen Kindersckwarm, ohne den kein englischer Geistlicher eristircn kann. Nemours oder Dschema Nhasuat ist der äußerste westliche Punkt der Algeric. Der kleine Ort zählt nnr etwa hundert, meist hölzerne Häuser, besitzt jedoch eine Caserne mit Garnison von zwei Bataillonen. Die Vegetation der Umgegend trng in ihrer südlichen Pracht ganz denselben herrlichen subtropischen Charakter, wie die Algiers. Der arabische Name Dschcma Rhasuat bedeutet sonderbarer Weise „Moschee der Secränbcr", ein Zeichen, daß diese Biedermänner ebenfalls das Bedürfniß der Frömmigkeit empfanden. See-ra'nber war übrigens bei den Mauren ein keineswegs verachtetes Gewerbe. Nnr die frömmeren Muselmänner, die streng religiösen, echten Manren Algiers, welche znm Ritns Maleki gehören, haben einen Abscheu vor dieser unheiligcn Beschäftigung. Die Türken und Bedninen hielten die Seeräuberei für etwas sehr Achtbares. Sie nannten dieselbe jedoch niemals mit ihrem wahren Namen, sondern bezeichneten sie stets als „Krieg". Oft wurde mir in Algier irgend ein verwitterter Greis gezeigt und dabei gesagt, derselbe habe in seiner Jugend viele „Kriege" mitgemacht. Daraus konnte ich den 284 sichern Schluß ziehen, daß dicser Alte ein eingefleischter Seeräuber gewesen sei. Im Jahre 1845 war die Umgegend von Nemours der blutige Schauplatz einer der letzten Waffenthatcn Abd-el-Ka-ders geworden. Es gelang nämlich am 22. September besagten Jahres dem Emir, welcher damals bereits aller seiner Staaten beranbtwar und mit wenigen treu gebliebenen Stämmen an der marokkanischen Grenze umherirrte, aus einem Hinterhalte ein französisches Detachement zn überfallen. Der französische Oberst Montagnac und 350 Okaggsui-s äe Vin» oennes, sowie 60 Husaren eampirtcn ruhig bei Sidi Vrahim, 1^ Meile von Ncmours, als plötzlich die Araber aus ihrem Versteck losbrachen und sie angriffcu. Fast alle hier über-fallenen Franzosen blieben auf dem Schlachtfclde. Einige vertheidigten sich drei Tage lang in der Kapelle eines Mara-buts bei Sidi Brahim, in welche sie sich verzweifelnd geworfen hatten. Aber auch sie erlagen zum größten Theil. Nur vierzehn von den hier Uebcrfallencn erschienen wieder in Nemours. Unweit von Dschema Rhasuat liegt im Innern des Landes die altmaurische Stadt Nedroma, welche Mac Carthy*) für das Calama des Itincrars hält. Hier fängt also nach Mac Carthy jene Römcrstraße an, welche von der Tingitani-schcn Grenze bis nach Rnsucurnmi durch das Innere des *) Mac Carlhy's Wert ^I^eri» koman» ist in den Monatsheften der historischen Gesellschaft von Algier erschienen. 285 Mauritania Cacsariensis führte. Jetzt soll Nedroma fast nur uoch cm Trüminerhaufc sein. Dennoch wird hier allwöchentlich ein bedeutender Markt gehalten, welcher den Verkehr der marokkanischen Stämme mit den Grenzstämmcn der Algcric unterhält. Gleich bei Nemours ist die westliche Grenze der Algcrie. Sie ist schlecht gewählt und schwer zu definircn. Natürlicher und historischer zugleich wäre es gewesen, den einige Meilen westlicher gelegenen Usd Mulujah, den Flumen Malva der Nömer, zur Ländcrscheidc zu machen. Dieser Flnß war nämlich von Alters her die Grenze zwischen den beiden Mauri-tanicn. Schon in vorrömischcr Zeit trennte er die Länder der Maurusier von denen der Massäsylicr, später bildete er den Grenzfluß zwischen den Staaten des Vocchus und denen des Vogud und endlich zur Nömcrzcit zwischen der Mauritania Tingitana und der Mauritania Cacsaricnsis. Aber die Araber und Türken, mit ihren uuklaren geographischen Unterscheidungen, hatten einmal die Grenze zwischen den Staaten des Kaisers von Marokko und denen des Dcy's von Algier an die heutige Linie verlegt. Von den Dcy's haben die Franzosen auch ihre wenig strategischen Grenzen überkommen und die moderne Diplomatie wagt es keinen Finger breit an einer so uuvernünftigen Einthcilung zu rücken. 28« Zweites Capit e l. Die Küste von der Mündung der Mulujah bis Ceuta. El Gharb. — DaS Cap Milonia. — Der Usd Mulujah, — Mo-lochath und Malua. — Die Inseln Zeffarini, -— Der Mffdistnct, — Melilla, — Nusadir, — Das Cap treö Forcas. — Die Buchten der Seeräuber. — Die Niffpiraten, — Pnnz Adalbert von Preußen, — Gebirgspanorama. — Ää »ex in8ul»8. — Pegnon be Alhncemas. — Badis, — Pcriaüna. — Nas Borbsch Ustrah. — Der Uöd Martil. — Die Verge don Kalpe und Abyle, — Fädeln von den HerculeZsäulen. Dschema Nhasuat ist dcr äußerste wcstlichc Küstcnpunkt der Algeric, dcren natürliche Grenze nach der Ansicht vieler Geographen der Fluß Mnlujah bildet, während die politische schon einige Meilen östlich von demselben gezogen wnrdc. Wir hatten nun die Algcric im Rücken und segelten im vollen marokkanischen Fahrwasser. Hinter uus lag ein Land, dessen Barbarei durch das übertünchende Gewand modernen Franzoscnthums scklccbt verdeckt wurde; vor uns ein Reich, dessen unverfälschte Naturwüchsigteit sich noch nicht der usur-pircnden Sitte ciucs Siegers gefügt hatte. El Gharb, der afrikanische äußerste Westen, lag vor uus! — El Gharb! bei dessen Namen das Herz jedes Arabers höher schlägt; das selbst die dnrch zweiunddreißigjährigc Knechtschaft entnervten Algierer mit stiller Wonne nennen! El Gharb — die lebte Zufluchtsstätte des Islams im Nordwcsten von Afrika, wo 287 die Moschee noch uneutwciht, wo der Harem noch uncntehrt steht, wo als einziges Gesetz noch der Koran gilt; dcr Koran! die einzige, ewige Richtschnur der Gläubigen! Die letzte Vorgebirgsspitzc der Algerie, welche mir den Abschied aus diesem Lande, das ich so viel durchstreift hatte, zuwiuttc, war das Cap Milonia, zwischen Dschema Rhasuat und der Mündung der Mulujah gelegen, welcdcs von Pelissier für das Promontorium Magnum des Ptolemäos gehalten wird. Cine halbe Meile westlich vom Cap Milonia liegt dus Cap Cl-Aghua, in dessen Nähe zwei Flüsse sich in das Mittclmecr ergießen und mit ihrem schlammigen Wasser dessen sonst so klaren Wogen eine graue, schmutzige Farbe verleihen, welche die See fast eine halbe Meile vom Ufer uoch beibehält. Die beiden Flüsse sind der kleine UödAggierut und der historische'Uiid Mulujah. Die Tafeln des Ptolemäos nennen den ersteren Malna lind den andern Molochat. Gescuius hält diesen Namen Molochat für das phöniciscke Wort Mnlncha (.in-,'?!?); dcmnacb hieße die Mulujah „der salzige Fluß". Es will mir jedoch scheinen, daß man dies Wort ebensogut von Mcleth (^v), d. h. „König" ableiten tann und demnach würde dieser Name „der königliche Fluß" bedeuten; eine wehr entspreckende Vezcichnnng,'da dieser Strom die Grenze zweier Königreiche dildete, als der Name ,,der salzigc Fluß", denn die Mulujah ist durchaus nicht salzig. Der Name Ma-lua (^^u) ist ebenfalls phönicisch und bedeutet „Fülle". Also hieß dieser Strom „der wasserreiche Fluß". Man möchte annehmen, daß diese letztere Vencunung dem größeren der beiden Flüsse gegolten habe und nicht dem elenden Uüd Ag- 288 gierut. In diesem Falle müßtc man glauben, daß Ptolemäus sich geirrt und zwei verschiedene Namen eines und desselben Flusses für die Namen zweier verschiedener Flüsse gehalten habe, denn die Identität des heutigen Mulujah mit dein römischen Malua, kann wohl kaum angezweifelt werden. Diese Lösung wäre in der That die leichteste Art der Erklärung. Die andern alten Schriftsteller nannten den größeren der beiden Flüsse bald Mulucha, bald Malua, wie aus der Ver-gleichuug zweier Stclleu, eiucr des Pomponius Mela (lidi. I. oap. V.) und einer des Itinerars des Antonin (x. 12.) ersichtlich wird. Ersterer sagt nämlich: ^ue termiuuZ Loce^i, ^uFui-tliaeciue." (Der Fluß Mulucha ist jetzt die Greuzc zwischen zwei Völkern, früher war er es auch zwischen zwei Reichen, des Reiches des Vocchus und des Neiches des Iugurtha.) Der Fluß Malua scheidet die beiden Mauritanicn von einander wie das Itincrar sagt: „Malua Humen diriinit Mauritanias duas." So war also Mulucha, dessen Namensähnlichkeit mit dem Molochat des PtolemäuZ Nicmaud verkennen wird, wahrscheinlich der ältere phönicischc, Malua dcr spätere, den Nö-mern geläufigere Name für eiuen und denselben Fluß: den heutigen U«d Ätulujah. Beide Namen sind freilich phönicisch. Es geht jedoch recht gut zusammen, daß ein Strom, der „der wasserreiche" hieß, zugleich der „Königliche" genannt wurde. Dcr U«d Aggicrut wurde wohl von dcn alten Geographen zu uubcdeutcnd gefunden, als daß sie uns dessen Namen hätten hintcvlafscn wollc». 28« Einige Geographen ix« vorigen Jahrhunderts haben, durch dcn Umstand verleitet, das; Ptolemäos Mawa und Molochat als verschiedene Flüsse nennt, nachzuweisen gesucht, daß der Molochat mit dem Chylamath (östlich von Oran) identisch sei. Ja ich besitze einen Atlas der alten Welt, (David Koder bei Christoph Weigel, Nürnberg), in welchem sich eine Karte Manritaniens befindet, die ein ganzes Ncich zwischen diese beiden Flüsse hineinzwängt, welches sic Mauritania Bochi-ana nennt. Die Mauritania Vochiana ist aber nichts Anderes, als die spätere Mauritania Cacsariensis. Nach jener Karte käme Iol (Julia Eaesarea) außerhalb des Reiches zu liegen, dessen Hauptstadt es war. Plinius belehrt uns, daß die Malna zu seinerzeit schiffbar war, eine Eigenschaft, welche sie jetzt verloren bat. Die drei kleinen Inseln Dschafarin oder Zaffarini, eine halbe dcntschc Meile nördlich von der Küste gelegen, begrüßten nun unsre Blicke, als die dampfbeschwingte Diele, welche uns trug, zwischen ihnen und dem Festlande ihre Pfade wählte. Es waren kahle Felsen, auf denen nichts zu wachsen schien. Die spanische Garnison von siebcnzig Mann, welche seit 1848 diese unfruchtbaren Eilande besetzt hält, muß hier auch nicht die rosigsten Tage spinnen. Die Spanier sind genöthigt, alle ihreLebensmittcl ans Malaga t'ommcn zn lassen. InZaffarini erblickt man mit Recht die Station ^ä, drosiuLniag des Itiuerars. Manucrt zieht aus dem Umstände, daß Antonin dieser Inseln Erwähnung thut, dcn Schluß, daß sich an dem gegenüberliegenden Theil derKüste keine Nömerstraßemehr befunden habe. Wie mir scheint, ist diese Annahme völlig berechtigt. Drei Iah« im Notdwcstcn von Asnla. «I. 19 290 Je mehr wir uns in diesem Theile von Afrika nach Westen wenden, desto sparsamer werden die Angaben der alten Geographen. Das Itincrar des Antonin »nd die Geographie des Ptolemäns sind zwar schon mangelhaft nnd dazu unzuverlässig genug in Vczug anf die Mallritania Eae-sarienfis: ^u Bezug auf dic Mauritania Tingitana find sie cs jedoch noch mehr. Die Notitia Impcrii (Näitio kauci-ruii Veiiktii« 1602^ giebt in der Tingitana nur acht Orte an. Die Landung an den meisten Punkten der Küste zwischen dem U«d Mnlujah nnd Tanger ist fast unmöglich wegen des Fanatismus der diese Ufer bewolmenden, als Seeräuber berüchtigten Niffsta'mmc. Die Riffberge, in welchen diese Stämme hausen, sind vielleicht die iV?lNiai n^at dcs Strabo. Sie wurden im Alterthum von völlig wilden Stämmen bc: wohnt, ganz wie heut zu Tage. Eine Nömerstraße scheint nicht durch ihr Gebiet geführt zu haben. Dieses Land war auch wohl nie den Römern vollkommen unterworfen. Der Riffdistrict gehörte zwar nominell zur Mauritania Tingitana. Aber er war in Wirklichkeit stets unabhängig. Der Umstand, daß die Mauritania tingitana zur Zeit Dioclctians von dem Proconsul Spnüeus und nicht von dem Afrika's verwaltet wnrde, was doch geographischer gewesen wäre, deutet an, daß zwischen dci Manritania Caesariensis und der Mauritania Tingitana sich eine unübcrsteigliche Kluft befand. Diese Kluft war der ununt^rjochtc Riffdistrict. Es war dem spanischen Proeousnl leichter, über ein Meer hinans seine Herrschaft auszuüben, als cs dem afrikanischen Proconsul 291 gcweseu wäre, die Tingitana von der östlichen Seite des Niff-gebirqes aus zu verwalten. Als wir die Mündung des Uich Millnjah hinter uns hatten, nahm die Küste zuerst eine entschieden nordwestliche Nichtung an, um sich dann, nachdem sie die kleine Halbinsel, aus welcher Melilla liegt, gebildet batte, direct nach Norden zu wenden. Melilla, das alte Rnsadir, welches schon von den Karthagern, wie der phönieische Ursprnng des Namens vermuthen läßt, gegründet worden war, und später als römische Eolonia erwähnt wird, tauchte jetzt vor uuscrn Blicken aus dem tiefblauen Mittelmeer hervor. Mit dem Fcstlande nur durch eiue schmale Landzunge verbunden, bildet Melilla fast eine Insel. Die Araber vergleichen es wegen seinem steinernen Panzer mittelalterlicher Bcfestiguugswerke, welche die Stadt von allen Seiten nmragen, mit einer aus dem Meere cmportauchcnden Nicsenschildkröte von undenkbar großen Proportionen, welche mit ihrem ciscnfesten Schilde aller Feinde spottet. Das heutige Mclilla, welches dnrchaus europäisch ist, zählt etwa 2000 Einwohner, alle Spanier. Es bildet eines der größeren „Presidios" Spaniens in Africa und dient dieser Macht als Verbaunungsort ihrer Verbrecher. In der That ist Melilla für alle sciue Bewohner uichts als ein großes Gefängniß, denn dieselben tonnen Nch t'anm über deu schmalen Isthmus, welcher die Stadt mit dem Festlande in Verbindung se!,tt, hinaus wagen, ohne vor den feindlichen, im östlichen Niffgebirge hausenden Kabylen- Itämmen, den Beni Sidell, den Beni Buifurou, deu Beni 19" 392 Bulafun, den Manusah uud den besonders übel berüchtigten Bcui Sikar aufs Ernstlichste und Gefährlichste beunruhigt zu werden. Melitta ist eines der seltnen Beispiele antiker Orte in Afrika, welche ihren alten Namen dnrchaus verloren haben, denn, daß es das phönicischc und später römische Rusadir war, dessen Name sich jetzt nur in dem naln'n Vorgebirge Cap Ras-ed Dir erhalten hat, darüber kann wohl kaum ein Zweifel sein. Ptolemäos giebt Nusadir, welches er Nyssadiron nennt, als 3^ östlich von Cotes, dem heutigen Cap Sftartel, an. Dieß trifft bis auf einen halben Grad zu. Ueberhaupt sind die Angaben der Längengrade des Ptolema'os für die Mauritania Tiugitana sonderbarer Weise viel zutreffender, als für die Mauritania Caesariensis, Sitifensis und für Numidien. Die Nordküste der Tingitana hat bei dein Alexandriner eine Ausdehnung von vier Längengraden, was der Wirklichkeit bis auf einen Drittel Grad entspricht. Vei der Caesaricnsis, haben wirloben gesehen, giebt Ptolcmäos durchschnittlich fast das Doppelte der wirklichen Entfernungen in seinen Längengraden an. Vci der Tingitana kann dieser Maaßstab nicht mehr dienen. U,m ein annäherndes, mittleres Resultat, was der Wirklichkeit entspricht, zu bekommen, braucht man an der Nordküste Marokko's die Grade des Ptolemäos nur um ein lOtel oder 12tel zu rcduciren. Nusadir war auck ohne Zweifel der Bischofssitz jenes Idonius Nusaditanus, welcher 484 auf dem von Huuerich in Kartbago zusammeuberufcueu Coueil erschien nnd der mit 2U3 den andern katholischen Bischöfen von dein ariamschen König in die Verbannung geschickt wnrde. Sonst wissen wir nichts vom Visthum Nnsadir. Moreelli scheint inir zn irren, wenn er das Nusadis der Notitia statt in Nusadir, in dem Rusazus bei Saldae sncht. ^!eo Africanus, welcher Melilla mit seinein arabischen Namen Mclcla benennt, leitet diesen von dein Ucbcrflnß an Honig, dessen sich die Gegend erfreut, ab. O'r spricht auch von einer pcrlerzeugcndcn Gattung von Austern, welche im Hafen Mclcla's gefischt wurde. Leo erzählt die Eroberung der Stadt dnrch den Herzog von Medina Sidouia im Jahre 896 der Hadschra (1496 unserer Zeitrechuuug). Die Spanier führten dcu Angriff auf Melilla so plötzlich ans, daß die Mauren nicht Zeit übrig hatten, sich gehörig zur Vertheidigung vorzubereiten. Sie beschlossen deßhalb, die Stadt zn ränmcn. Alle maurischen Bewohner Melilla's ^ogen sich nach dem benachbarten Dschebel Vuthria, einem Ausläufer des Niffgebirges, znrück, während der arabische Coinmandailt die Stadt in Brand steckte nnd so den verhaßten Christen nur einen Trümmerhaufen überließ. Seitdem ist Melilla stets, was es Anfangs war, eine unfnicktbare, zwecklose Besitzung Spaniens geblieben, die ihm nur Kosten verursacht und keiucn andern Nutzen hat, als einigen Verbrechern znm Aufenthalt zu dienen. Von Mclilla wendet sich die Küste nördlich uud bildet das kühn in die See hinausragende Cap tres Forcas, dessen arabischer Name Ras-ed Dir eine anffallcnde Aehnlichkeit mit dem phönicischcn Namen Melillas, Nllsadir, zeigt. In der 294 That sind beide Namen ähnlichen Ursprnngs, wie Phönieisch und Arabisch verwandte Sprachen sind. Nach Gescnius bedeutet Nusadir (i''-»«^ «.'«->) das „herrliche oder berühmte Vorgebirge", ein Name, den dies Cap sehr gut verdient. Ohne Zweifel ist dieses Vorgebirge, welches Antonin als Rusaddns anführt, das Metagoninm des Strabon, dessen Angabe, daß von hier bis Cotes (Cap Sparte!) sich eine ununterbrochene Bergkette (das Niffgebirge^ hinziehe, vollkom-mcn eintrifft. Ptolemäus nennt dasselbe Vorgebirge Pro-montorium MetagonitiZ ^). Die Ausläufer des Riffgebirgcs erstrecken sich durch die ganze Länge und Breite der mehrere dentschc Meilen langen Halbinsel des Cap tres Forcas. Diese Halbinsel bildet beinahe ein rechtwinkliges Dreieck, dessen eine Kathete und dessen Hypothenuse die Küstenstriche bilden, während die andere Kathete auf dem Festlande ruht. Das westliche Ufer der Halbinsel besitzt eine Menge kleiner Buchten, welche unter dem Namen der „Vnchten der Seeräuber" bekannt sind. Die Bnchtcn der Sccränber l Der geheimnißvolle, schreckenerregende Znflnchtsort jener Risfpiraten, deren Namen einst im ganzen Mittelmecr so gefürchtet war nnd die jetzt von allen Corsaren der Babaresken allein ihr entsetzliches Handwerk noch nicht aufgegeben haben. Die drei hauptsächlichsten dieser Nuchtcu sind die von Kiert, osfen nnd unsicher, die von Tra-montan, welche allein vor drin Nordwind einigen Schutz gewährt, und die des Nas Ben Rifns. ^) Scylax in seinem Pcrivlns spricht von oinem Akros, welches Müller fiir das Cap von Melilla hält (8^1llx lld, Nülwr § lil). 2!)5 An dieser Küste war es, daß Prinz Adalbert von Preußen vor wenigen Jahren eine der preußischen Flagge angethane Vclcidigmu-, dnrch ^rstürmnng eines Hügels im Gebiete der Feinde und durcb Anfpflanznng der schwarzweißen Falme auf dessen oberstem Gipfel rächte, wobei er selbst eine namhafte Verwundung davontrug. <5ine schöne, ritterliche Wafsenthat! beider vollkommen nntzlos, da der ^weck derselben, die (5insckm>,1'terung der '!liffpiratcn, niä't erreill't unirde. ^ieß wäre nilr dann erlangt worden, wenii man den eroderlen Hügel hätte behaupten wollen, wovau natürlich nicht gedacht werden tonnte. Etwa sieben dentsche Meilen nördlicd vom Cap tres Forcas saheu wir die tlcine Insel Alboran, eiueu uufrucht-barcn Felsen, 150^ hoch, auf de»l die Spanier grade ein Fort errichteten, aus der salzigen Welle emporragen. Die (5asti-liancr scheinen noch nicht genug uudloscr und unfruchtbarer Besitzungen an dieser Küste zu haben. Die Besetzung dcr Inseln Dschafarin uud jetzt die der Iusel Alboran und sprechende Beweise für ihr Beharreu in einer ebenso zwecklosen, als lächerlichen Oeeupationspolitik. Vier deutsche Meilen von der Nordspitzc der Halbinsel von Rnsadir entfernt liegt unweit des Meeres die tleine Stadt Sidi Hossein, zwei deutsche Meilen weiter westlich Sidi Dris und in dessen Nähe Sidi Schcib, kleine Orte, deren blendendweiße Hänsermassen vom Schiffe ans deutlich zu unterscheiden waren. Uederhaupt tonute ich im Vorüberfalnen in dcr ganzen Niffgegend von Zeit zu Zeit auf dem ^ande zerstreute Häuser gewahren, was daranf bindentete, daß die 296 hier wohnenden Stämme, gleick ihren Stammverwandten in dcr großen Kabylie,Hänscr bewohnen und nicht Zeltnomadcn, wie die Beduinen, sind. Das Niffgebirge, dessen höchste Gipfel drei- bis viertausend Fnß über dcr Meeresfläche emporragen, bildete von mm an bis nach dcr Meerenge von Gibraltar den südlichen Hintergrund des Küstenpanoramas, welches fich vor unferen Blicken entwickelte. Ein majestätischer Hintergrund eines herrlichen Gemäldes! Voll Mannichfaltigteit in dcr launenhaften Zeichnung ihrer Linien, in dcr Abwechslung ihrer Formen, boten diese Verge dem in Beobachtung dcr Natur gern schwelgenden Auge den herrlichsten Stoff dar. Dort ragten schwarze Felsenkämme empor, welche mit ihrem finstern Schatten gehcimnißvollc Schluchten bedeckte«, die niemals der Fuß eines Europäers betreten hatte. Da erhob sich ein bewaldeter Bergrücken, welcher »lit Millionen seiner ^aubcst'roncn zum blaueu Aether hinanstrebte: eine noch gänzlich unerforfchtc Wildniß. Hier schlummerte eiu grün-bewackscnes Hocl'thal, auf dem der milcbweiße Stier des Berg-kabylen die zarten Gräser pflückte. Am Fnßc des Gebirges blinkten, wie Perlen ans einem Kranze von Smaragden, die weißen Dörfer aus dem Dickicht der Olivenhaine hervor. Ungefähr zwei deutsche Meilen von Sidi Scheib entfernt sahen wir die kleine spanische, Inselfestung Pcgnou de Alhuccmas unweit der Küste sich auf des Riffs stolzem Hintergründe abzeichnen. Dieser Pnntt wird mit großer Wahrscheinlichkeit für die im Itincrar erwähnte Station ^.ä «ex insulag gehalten. Antonin giebt 224 Milliarien als die Entfernung dieses 297 Ortes von Tingis (Tanger) an. Dieß entspricht ungefähr den 42 deutschen Meilen, welche die Kiiftc von Tanger bis zum Pegnon beschreibt. Die „sechs Inseln" sind llcine unbedeutende Felsen. Das größte dieser Eilande hat jedoch einen etwas bedeutenderen Umfang. Anf ihm befindet sich die mittelalterliche spanische Niederlassung., ^ic romische Station lag aber wohl am Festlandc, sonst würde fie nicht ^.ä «ex iugu1»8, sondevn schlechthin 8l)x in^ulao geheißen haben. Das dem Pegnon gegenüberliegende Vorgebirge ist auch wahrscheinlich das Scsti.nion 'Alron des Ptolemaos. Dieses Sestiarion Mikron wird ancl' vom Itincrar erwähnt nnd zwar ohne jeden ^usa>5 unter dem Xiamen„I'lalnuutuiinm" allein. Da diese Geographie gleich darauf die Station ^,<1 L«x in8u1»8 erwähnt, so hielt sie es wohl für überflüssig, denselben Namen zweimal aufzuführen und sagte, man hat Grund es anzunehmen, jlalt „!?i')hl das Parie tina des Itinerars wiedererkennen. Wenigstens entspricht die Entfernnng von 37 Milliarien, welche Antoniil von ^.ä «ex iu«l,ilä8 nach Parietina angiebt, ungefähr den 7 bis 8 deutschen Meilen, welche Badis von Mscmmah trennen. Die Notitia Imperii nennt diesen Ort: Baris, ein Castrum Ulld Sitz der 2. Ityraischeu (sohorte. sA'otitill utra^ue Diß» niwwm, Lä. Veuotiiu 1002). Parietina war ami, möglicherweise mit dem Bi^chnnl Panotoria identisch, dessen Bischöfe Pelagino uud Crcseens anf den Concilen zu Karthago von 411 und von 484 erschienen. Pelagius war ohue donatistischen ^liebeubuhler, wie überhaupt iu der Mauritania ^ingitana der Tonatismus wenig Anhänger gehabt zn haben scheint. Dieß kam jedoch wohl nur daher, daß die eingeborenen Mauruncr fast alle Hcideu bliebcu uud die Christen meistens Römer ware». Zwischen Badis nnd dem Cap Pescadores erwähnt ^co eine StadtZellis (das alte Cobncla?), welche jeltt niebt mehr vorhanden ist. Unweit von Badis hat die Küste des Mittelmeercs in 300 Marokko ihren südlichsten Punkt erreicht. Von hier bis zu dem fünf Meilen entfernten O'au Pescadores sdem Akrath des Ptolemäoö?) beginnt sie wieder, sich gen Nord West zn ziehen, bis sie von jenem Vorgebirge an sich beinahe nördlich wendet und das weit in die See hinausragende Ras Vordsch Ustrah bildet, welches nnter gleichem Breitegradc mit den, Oap tres ForcaZ gelegen ist. Zwischen diesen beiden Vorgebirgen liegt der kleine Ort Tagasa, in welchem Mannert das Tenia longa des Itincrars Wiedererkennen will und welches wohl das Pacatianaeder Notitia sein möchte, das Prokopios Paeati nennt. Der Name Pacati ist derselbe wie der der Vaqnaten, eines Volkes, welches hier Wohnte nnd auch schlechthin Narbari genannt wurde. Das Ras Vordsch Ustrah selbst ist höchst wahrscheinlich das Oleastrnm Akron des Ptolcmäos. Der Name llstrah lantct ganz wie eine arabische Verstümmelung von ^leastrum. Das Itincrar giebt in dieser Gegend das Promontorinm Varl'ari sVaanati). Es ist möglich, daß dieses mit dem ^Dteastrum Akron identisch war. Fünf deutsche Meilen von Nstrah entfernt, sahen wir die Mündung des Nüd Marlil, des Thaluda des Ptolemäos, sich wie einen niatteu weißen Fleck am Strande abzeichnen. Das Itinerar erwähnt dieses Flusses nickt. Aber die römische Station, welche es in diese Gegend verlegt und die es ^.ä ^,Huiwm ili^oi-Sin nennt, lag wahrscheinlich am thaluda. Diese Station wird von Vielen für das heutige Tetuau gehalten. Die Mündung des antiken Thalnda ist der heutige Hafen dieser marokkanischen Stadt. 301 Vom Hafen von Tetnan wendet sich dann die Küste wieder beinahe nördlich bis nach (5cuta, in dessen Nähe sie ihren nördlichsten Punkt in Morokt'o erreicht. Da es mir gegönnt war Tetuan nnd (>euta später zu besuchen, so übergehe ich hier die Schilderung ihrer Küstcngegcndcn. Das Dampfschiff ging nicht direet nach Tanger, sondern nach Gibraltar. Deßhalb mußte ich für einige Tage mein Absteigeqnarticr in jener berühmten englischen Festungsstadt nehmen, welche am Fuß des historischen Felsens von Kalpe hingelagert ruht. Wie wir uns Gibraltar näherten und ich die beiden änßersten Berge von Afrika nnd Europa, Abyla bei Ceuta, nnd Kalpe bei Gibraltar, in geringer Oiltfernnng von einander aufragen sah, da wurde es mir so recht vergegenwärtigt, warnm die Alten diese Felsen „die Säulen des Hercules" genannt haben, ^ekauutlich nannten die Nöiner OalumiaL Hsreulas jene Doppelsäulen, wie sie die Seefahrer, welche in unbekannte Länder vordrangen, als Denkmäler ihrer kühnen Wagnisse aufzustellen pflegten, wie sie besonders die Phönicier auf ihren Zangen Seefahrten an entfernten Stationen errichteten. Diese Doppelsäulen wurden meistens der Lieblings-gottheit der phönicischen Seefahrer, dem Melkarth (worin die Nömer ihren Hcrcnles erkennen wollten) gewidmet. Solche Denkmäler dienten dem ältesten Handelsvolke des Mittelmeeres als Lä'ndcrmarkcn. Man nannte sie anch phönicische Säuleu. Prokopios erzählt uns vou zwei solcheu Säulcu, welche sich uoch zu seiner Zeit (im 6. Iahrhuudert) in Tigisis (in der Mauritania Sitifensis) bcfundcu hättcu. Abyla nnd 3<»2 Kalpc, diese beiden aus verschiedenen Wclttheilen sich ent-gegcublictenden Vergeshäupter, scbienell den Griechen und Römern wie riesige phoniciscbe Säulen, welche nicdt Menschenhände, sondern die viatnr sich selber qcsctzt hattc: so vicl größer, licrrliä'er und niää'ti.^-r, ^ls die von der Kunst qe-sckaffenen, U'ic dic i^atur crl^N'ener, als der Schöftflln^stri^d selbst des verständigsten Volles der (^rde ist. Die griechische Mythologie hat später an die Benennung der Säulen des Hercules die schöne Fabel von den Reisen dieses Helden nac!, dcni änßerstcn Westen von Afrika getnüftft. Ja! sie inacl't ans diesen beiden Gebirgen, aus Kalftc und Abyla, z,rei Tcnksänlen, welche der Fabclgott lu'cr zum Audcilten an seine ferne Wallfahrt erricbtet hätle. Belanittlicd läsu ancb die Sage diese bcidcn (^cbirge i»l grauen Wtertlnmi nur cin einzigem bildcn, wclcl,es das ^tittclmeer vom Ocean trennte, bis Melt'artd, der pböniciscke Hercules, diese Scheidewand spaltete und so die Meerenge von Gibraltar schuf. Ein gcwisses gcheiinnißvollcs Granen umschwebte im Altcr-thum stets den Namen Palpe's. Der römische Dichter Silins ^>ta-liens erwähnt Kalpe nud dic Sälllen des Hereillcs als die änßer-steu von Menschen besuchten Orte: (Bcllum Punicum I. 141.) Atque hoinimiin finom Hades Calpcnquc secutu.s Dum fert Herculeis Garamantca signa columnis. Icvt hatten wir den mächtigen, ti'chngcformteu ,vels von Gibraltar dicbt vor nns: Gibraltar, diese änßerste Warte der Civilisation, einem der civilisirtestcn Völker der Erde angehörend, mitten hineingeworfen zwischen zwei barbarische Länder: das barbarische Marotto nnd das, zwar vom änstern 303 Firniß der Civilisation übcrtüuchte, aber wie ich mich durcb langen Aufenthalt in den ^audc selbst überzeugt habe, im Grunde genommen, doch noch sehr barbarische Spanien. Stolz, wie im Bewußtsein seiner Snperiolat als Bcsihthum jenes hocheivilisirten uordcuropäischen Volkes, lag der englischt Fcstnngsfelsen mit der freundlichen, dem Reisenden so willkommenen britischen Colonie an seinem Fuße, da. Mir fielen beim Anblick des Felsens von Kalpe ^reiligratbs scböne Vers^ ein! Trotzig wie ein Wüstenleu, Aus dem Meer, cin Felscnaltar In die gelbe Berbcrei Wachsam schauend, ragt Gibraltar. Drittes Capitel. Ceuta Fahrt auf dem Dampfschiff von Nlgesiras nach Ceuta. — linmög-lichleit, Ceuta vom n'arotlamschei, Festland aus zu besuclieu, — Mitreisende Oalccrcuslräfliüsse. — Der excentrische Engländer, — Gefährliche Excursion desselben. — ^.6 nettem 5ratre8. — Ädyle. — Die Fabeln des Solinus. — Einstige Moschee in Ceuta. — Berber uud Araber, — Die Galeereusträslinge. — Ihr Entfliehen zu deu Marolkaueru. — Die tabylischcn Vor-posteu bei Ceuta. — Der E,igläuder überschreitet fie. — Unangenehmer Empfang auf marokkanischem Bodeu. Nach einem knrzenAnfenthalt in Gibraltar, am Fuße dcv europäischen Säule des Hcreules, wollte ich auch der afrikanischen Schwcsterstadt meinen Besuch abstatten. Die Verbindung zwischen den beiden, an den Säulen des Hercules gelegenen Städten wird durch ein kleines Dampf- 304 schift unterhalten, welches von Algcsiras, einem spanischen Städtchen, das Gibraltar nahe liegt, einmal wöchentlich die afrikanische Küste besncht. Es möchte wohl Jedermann, der nnr nach der Karte nrthcilt, natürlicher scheinen, Eeuta auf einer Landreise in Marokko mitzunehmen, als eigens, um diesen Ort zu besncbcn, von Algesiras aus die Meerenge hin und zurück zn passireu. Dennoch war Letzteres nothwendig, denn Eeuta war von dem übrigen Afrika wie dnrch eine unübersteigliche Mauer getrennt. Heute ist dieß dnrch den siegreichen Krieg der Spanier vielleicht anders geworden, aber wenige Zeit wird vergehen, so wird gewiß dnrck den doppelten Fanatismus der beiden sich gegenüberstehenden, mehr oder weniger noch barbarischen Nationen, Spanier und Manrcn, die alte Scheidewand wieder hergestellt sein. Es sind jetzt vier Jahre, seit ich diese Gestade besuchte. Damals dachte man noch an keinen Krieg und an keine Aenderung der marokkanischen Politik in Folge von Niederlagen. Muley Abderrahman regierte noch in süßem Frieden mit.dem alten tausendjährigen Schlendrian und Sidi Mohamcd, der jetzige Kaiser, war nichts, als ein cinflnßloscr Prinz. Neide hohe Personen sollte ich in ihrer Residenz Marokko persönlich kennen lernen. Centa war noch von einer Bande von Kabylen aus der Sierra Vnllones nmlagert, welche keinen Europäer ungestraft weiter, als ein Paar Schritte vor die Thore der verhaßten Ehristenstadt dringen ließen. Das kleine spanische Dampfschiff, welches mich nach Ceuta hinnbertrng, war mit einem lieblichen Gemisch von Passagieren beladen. Einige hundert Galeerensträflinge von 305 denen die meisten sich erlaub hatten, in der Hitze des Gesprächs ihrem Widersacher ohne weiteres einige tödtlichc Messerstiche beizubringen (ein in Spanien gar nicht selten vorkommendes Verfahren) bildeten das Hauvtpublicum. Diese liebenswürdigen Jünglinge sdeun die meisten erfrenten sich noch der blühendsten Jugend) sahen eben nicht alle so grausam aus, wie ihre Missethat hätte vermuthen lassen. Sie schienen besonders gut dazu aufgelegt zu sein, sich mit den Passagieren des ersten Platzes in ein Gespräch einzulassen wozu ich sie mciucs Theils freilich wenig ermuthigtc. Dagegen knüpfte eiu ereentrischer (Engländer, welcher anßcr mir der einzige Tourist auf dem Schiffe war, bald mit diesen interessanten Verbrechern ein freundschaftliches Zwiegespräch an. Diese liebenswürdigen Bösewichte wollten alle so gut wie nichts begangen haben. Sie wußte», sich dein Briten im vortrefflichsten Lichte darzustellen. Die komische Folge davon war, daß der Engländer sich von sämmtlichen Sträflingen zum Glauben bekehren ließ, als seien dieselben dnrch die Vauk unschuldig. Von nun an bis znr Anlunft in Ceuta hörte man ihn denn auch nur gegen die Grausamkeit und den Unverstand einer Regierung deelamiren, welche sich ihrer werthvollsten Untertbaneu dnrch willkürliche ^inspcrrnng beraubte. Die Ueberfahrt war ciue höchst angenehme; die Hitze der Sonne wurde durch die liebliche Brise, welche vom offenen Ocean hcrwchte, gemäßigt. Der Wellenschlag war ein sanfter, regelmäßiger, so daß kein Passagier von dem bewußten Uebel ergriffen wurde. T,l> Jahre im Norbwesten von Afrila. III. ^0 30« Näher und immer näher schwamm die dampfbcschwingte Diele der afrikanischen Küste. Der Berg von Abyle zeichnete sich immer deutlicher in seinen majestätischen Umrissen ab. Allmählig sahen wir das kleine blendend weiße, reinlich aussehende Städtchen aus den Fluthen emportaucken, sich immer schärfer und schärfer anf dein bergigen Hintergründe entwickeln und zuletzt sich in wahrer Größe uusercn Vlickcn offenbaren. Wie allc spanischen Besitzungen an der afrikanischen Küste, so war anch diese von massenhaften Festungswerken mngebeu. Sic beherrschten, ja überwältigten mit ihrer verhältnißmäßig riesigen Wucht gewissermaßen die kleine Stadt. Unsre Landung crfo.lgtc erst, nachdem die in Spanien, wie in Marokko tyrannisch herrschenden, langweiligen Formalitäten mit der Duanc absolvirt waren. Obgleich ich all mein Gepäck in Gibraltar gelassen hatte, so wußten dennoch diese Beamten mir ein Trinkgeld abzulocken. Der crccntrische Engländer schickte sich sogleich zu einem Ausflüge in das Innere an. Mit einigen archäologischen Kenntnissen versehen, wollte er dnrchaus Forschungen anstellen. So machte er sich denn nach dem nahen Gebirge auf, wo er die Berge der sieben Brüder, welche schon Strabon erwähnt nnd die der Station ^ä «optem I^ntre» (dem heutigen Ccuta) ihren Namen verliehen hatten, suchen wollte. Umsonst stellte man ihm vor, daß kein Europäer ohne Lebensgefahr sich weiter, als eine Viertelstunde, vor die Thore wagen könne. Das Original blieb bei seinem Vorsätze. Dieser war nebenbei auch in archäologischer Beziehung völlig sinnlos. Denn die Station ^Vä, go^tem kratiLg war zwar 307 nach diesen Bergen, in deren Nähe sie lag, benannt worden, diese Berge selbst bildeten aber gar leine Nömerstationcn. Aber der Brite fabelte etwas von Altären, welche die Phönicier anf diesen Vergspitzcn errichtet hätten. Ich sollte ihn später hart bestraft von seinem ebenso gewagten, als zwecklosen Versuche zurückkehren sehen. Alle alten Geographen sind darin einig, diese Station Afrikas die „sieben Brüder", ^,6 «eptem fratro», zn nennen: woraus im Mittclalter der Name Septa und heut zu Tage Ccuta entstanden ist. Die Bezeichnung ^.ä, »Latein kratres soll von sieben Berggipfeln herrühren, welche sich so glichen, daß der Name „sieben Brüder" sich für sie als Beneunung von selbst aufdrang. Ich konnte die „sieben Brüder", nach deren Gipfeln mein excentrischer Reisegefährte ins. Innere, geeilt war, wie sehr ich mich auch anstrengte, nicht unterscheiden. Ich sah zwar eine Anzahl Bergesgipfel, Ausläufer der Sierra Bullones, aber daß gerade sieben von ihnen besonders unterscheidbar seien, das kann ich nicht behaupten. Desto unzweifelhafter erkennt man den Berg Abyle, welcher die afrikanische Säule des Hercules bildet. Kühn jedoch mit milderen Formen, als sein ZwiUingsbruder Kalpc, zeichnet der majestätische Kegel seine harmonischen Linien am Horizonte ab. Der Name Abila kommt nach Bochart von dem Phönicischcn Ab Ilah (.i^p.^'), welches „der hohe Wald" bedeutet. Also würde „Abila" der waldige Berg geheißen haben. An seinem Fuße lagen im Alterthum zwei römische Co- loniccn, die eine war ,,^.ä »eptem tratres", das heutige Ccuta, 20 5 308 die andere das weiter östlicl, gelegene Ad Abylem. GZ ist anzunehmen, daß dir Entfernnng von vierzehn römischen Meilen, welche das Itinerarinm Antonini zwischen beiden Städten angiebt, zu groß war und daß die Eolonie Ad Abylem einfach am östlichen Abhang des gleichnamigen Berges in imitt großer Entfernung von ^,6, »eptoili lrutr^L zil suchen sein mochte. Von ^.6, »eptsin ii-atie» wissen wir wcnig Historisches, aber desto mehr Fabeln haben nns Plinins, Strabon und Solinns, diesen Ort betreffend, überliefert. Daß es im Nordwesten von Afrila im Alterthum Elephanten gegeben hat, das ift jetzt so ziemlich bewiesen. Aber was für wunderbare Elephanten müssen diejenigen gewesen sein, welche nach Solinus iu der Nähe der sieben Brüder hausten? Der Polyhistor meldet uns von ihnen: „Diese Elephanten haben einen beinahe menschlichen Verstand; sie besitzen ein vortreffliches Gedächtniß, sie üben einen religiösen Cultus und vcrehreu die Gestiruc; den Sonnenaufgang begrüßen sie mit ausdrucksvollen Vewegungeu." Die Krone setzt jedocd Solinus seinen fabelhaften Behauptnngen auf, wenn er erzählt, daß diese Elephanten sich auch feierlich vermählten und daß der Ehebruch unter ihnen etwas Unbekanntes sei. Ja! dem verirrten Wanderer uud den fehlgelaufenen Hausthiereu dieuten diese ^nudcrelephanten zu Wegweisern nach der Heünath. Es ist wohl taum zu zweifelu, daß ^.6, «L^tem kratre« oder Septa, wie es schon znr Zeit des Prokopios hieß, in der christlichen Periode ein Bisthum war. Aber keiner seiner 30ft Bischöfe wird bei den Concilen zu Karthago angeführt. Dieß mag von der großen Entfernung dcrTiugitaua von jener Hauptstadt Afrika's herrühren. Kirchlich gehörte zwar diese Provinz stets zu Afrika, obgleich politisch zu Spanien. Derselbe Umstand, welcher letztere politische Cintheilnug bedingte, die große Unsicherheit des Niffdistrietcs, mag wohl die Bischöfe vorzüglich abgehalten haben, sich zn den Concilen zu begeben. Ich war kaum einige Stunden in ^euta, war ein paar Mal dnrch die wenig bevölkerten, aber reinlichen Straßen zwischen den grell weiß angestrichenen Häusern auf uud ab gegangen, hatte die geschmacklose Kathedrale besucht und die langweiligen Festungswerke besichtigt, als ich die Ueberzeugung gewann, daß in dem einstigen ^.ä ßoptem kratro» gar nichts zu sehen sei. Der Fanatismus der Spanier hat von der maurischen Stadt fast uichts bcstchcu laffcn. Nur eine ehemalige Moschee, jetzt in eine Kirche verwandelt, steht noch auf dem Hauptplatze. Der Minaret, jetzt ein Olocken-thurm, enthält eine arabische Inschrift, welche die Spanier sonderbar Weise unangetastet ließen, wahrscheinlich weil sie sie nicht verstanden; sie lantct: „Der Segen sei mit Mohamed, dem Propheten Gottes; Gott gebe ihm Gnade und Frieden." Die orthodorcn Castiliancr ahnen in ihrer Unwissenheit nicht die Bedeutung dieser Inschrift, sonst wäre sie ohne Zweifel von der Unduldsamkeit ihrer Inquisitoren längst zerstört worden. Nach mehreren Jahrhunderten eines nutzlosen, kostspieligen Besitzes hat Spanien die einzige Genugthuung, wenn 31« es eine ift, erlangt, einem ursprünglich maurischen Städtchen den Charakter seiner eigenen steifen Grandezza vollkommen aufgeprägt zu haben, so daß Centa heute sich ebenso gut in der Maucha, dem Vaterland Don Quijotc's, befinden tonnte, ohne daß irgend Jemand es für fremdartig halten würde. Im Mittclaltcr war Septa oder Sebda, wie es damals hieß, unter arabischer Herrschaft eine industrielle Stadt, wo unter Anderm die erste Papierfabrik des Occidents von einem Araber, der diese Industrie in China erlernt hatte, errichtet worden war. Wie alle Städte des MaghrcbZ, so blieb auch Ceuta nicht lange im ausschließlichen Besitz der arabiscbcn Eroberer. Die Verber (so nannten die Araber die AutochthoncnAfrika's, die alten Numidcn und Manrnsier) wußten sich bald wieder in den Besitz der ihnen von deu fremden Eindringlingen geraubten Orte zu setzen. Freilich waren diese Berber Muselmänner geworden und hatten sich auch in der Sprache arabisirt. El Vekri erzählt uns, daß ein Berberstamm, welcher Tanger bereits wiedercrobert hatte, von dort ans Truppen nach Ceuta schickte uud auch dieses wieder einnahm. Ja! der erste bcrbe-rischc Wicdcrcrobercr Ceuta'Z soll sogar noch ein Heide gewesen sein. Aber bald bekehrte er sich zum Islam und arabisirte sich und seiu Volk vollkommen. Aehnlich ging es fast mit allen Orten Marokko's. Die arabischen Eroberer waren zu schwach, um ihre Herrschaft den Eingeborenen gegenüber behaupten zu können. Aber diejenigen Berber, welche in Städten wohnten, entnationalisirten sich gewissermaßen, indem sie arabische Sprache und Sitten annahmen^ 311 Noch heute ist der größte Theil der Städtebewohner Marokko's unstreitig berbcrischcn Ursprungs. Ja! die Beherrscher Marokko's waren bis znr Thronbesteigung der gegenwärtigen Dynastie stets Berber gewesen und selbst die jetzigen Kaiser find, obgleich sie sich selbst Araber nennen, doch wahrscheinlich kabylischen Ursprungs. Daß sie ^nkel des Propheten sind, hindert nichts, da dieser Titel auch durch die Frauen fortgepflanzt wird. Im Jahre 1415 wurde Ceuta von Portugal erobert und fiel nach-dein Tode des unglücklichen Königs, Don Sebastian, mit welchem das portugiesische Königshaus ausstarb, zugleich mit diesem Reiche an Spanien. Portngal riß sich zwar durch Nevolutiou wieder von Spanien- los. Aber Castilieu ließ doch Ceuta, diese ciustige portugiesische, Besitzung, nicht wieder fahren. Ccuta ist jetzt das bedeutendste der vier spanischen Presidios in Afrika und crsreut sich einer besonders großen Menge von Galeerensträflingen. Diese interessanten Menschen laufen in der kleinen Festungsstadt vollkommen frei umher, nur die schlimmsten Verbrecher schleppen eine eiserne Kugel an einer Kette mit sich herum, welche sie jedoch gar nicht hindert, sich täglich auf der Alamcda lustwandelud zu ergchen. Diese Freiheit benutzcu die Vortrefflichen nicht selten zu einer Escapade, das heißt zur Flucht zu deu Arabern. Die Regierung läßt es, ohne ihnen große Hindernisse in den Weg zu legen, geschehen, wohl wisfend, daß ein schlimmeres Loos ihre Pensionäre im andern ^!ager erwartet. In der That müssen dic.unglücklichcu Uebcrläufer damit anfaugeu, 312 ihren Glauben abzuschwören, was ihnen freilich für eine Kleinigkeit gelten mag, aber die schmerzvolle Ceremonie der Veschneidung, welche der Ablegung des neuen Glaubensbe^ kcnntnisses anf den, Fuße folgt, möchte ihnen wohl weniger wie Znckerbrod vorkommen. Manche träumten wohl davon, sic würden für ihre Avostasie durch Reichthum nud Wohlleben belohnt werden. Mer hier erwartet den Neophytcn die grausamste Enttäuschung. Diejenigen Renegaten, welche Paschas wurden, sind wohl früher sckon sehr gezählt gewesen, jetzt kommen solche, wenigstens in Marokko, nie mcbr vor. Die meisten dieser unglücklichen Ucberläufer müsseu sich mühsam und mit den beschwerlichsten Arbeiten einen erbärmlichen Lohn erwerben, der ihr Leben elend fristet, während vorher Müßiggang und uucutgeldlichc Kost ihr Loos in dcn Präsidios war. Ich nenne das Veben in den Presidios Müßiggang, denn die nominelle Arbeit, welche die Galeerensträflinge scheinbar verrichten, gestattet ilmcn stets das lieblichste Dolce farniente. Einige lmndert Schritte vor den Thoren Centas befand sich das marokkanische Lager, wo die Kabylcn der Umgegeud eine strenge eifersüchtige Wacht luelten. Wehe dem Numih, der e» gewagt hätte, diese Grenze hinaus zu übertreten. Dennoch hatte es Einer gewagt: nämlich das mit mir zugleich in Ecuta angekommene britische Original, welches zur Anfsuchuug fabelhafter phönieischcr Altäre nach den nahen Bergen geeilt war. Der englische consularische Agent in Ccuta erwarte seinen tollkühnen Landsmann, den er vorher umsonst gewarnt batte, icl^t mit Schmerzen znrück. Diese kühne 313 Escapade des Engländers erregte in Ceuta gewissermaßen eine Sensation. Ich saß in dem einzigen Kaffeehause des Ortes, wo die Honoratioren sich zu versammeln pflegten. Dort fanden sich mehrere spanische Offiziere und Beamte und alleinCeuta lebenden Consuls uudViceconsulsein,nnd debat-tirtcn die interessante Angelegenheit. So etwas Wichtiges hatte sich in Eeuta lange nicht ereignet. Der englische Vice-consul mußte sich seines Landsmanns nicht wenig schämen, als er die Bemerkungen, welche über dessen verrücktes Unternehmen gemacht wnrden, anzuhören bekam. Warum der Brite das tolle Wagniß unternommen hatte, das wußte. Niemand zu erklären. Natürlich schrieb man es einer Gcistes-vcrwirrnng zn, deren die Spanier nnr zu gerne alle Engländer beschuldigen. I.u« I0008 lu^iese» hört man sehr oft in Spanien sagen uud auch in Deutschland ist die Ucbcrsctzung dieser spanischen Worte „die verrückten Engländer", Jedermann geläufig. Endlich sahen wir den Sohn Albions von seiner Excursion nach den sieben Vrüderu zurückkehren, aber anders, als er gegangen war. Er war nuch El Serallo, dem Punkte, wo sich der spanische und gleich dauebcu der marokkauischc Vorposten befindet, geritten uud hatte, trotz der Warnung der dortigen spanischen Soldaten, in seinem Forschnngscifer die Grenze überschritteu. Ein mißliches Loos erwartete ihn auf dem marokkanischen Boden. Kaum war er einige hundert Schritte vom Vorposten entfernt, so wurde er angefallen, mußte seine Uhr und Vaarschaft in den Häuden einiger Kabyleu zurücklassen und entkam selbst nur unter großer Oe- 314 fahr, indem er den Augenblick benutzte, da die Kabylen sich in das gcranbtc Geld theilten, und seine Flucht bewerkstelligte. Daß ihm dieselbe gelang, das verdankte er lediglich der Schnelligkeit seines Pferdes. Diesem in Ceuta gemietheten Thiere schnldctc er die Nettnng seines Bebens. Die Kabylcu waren aber offenbar sehr unsanft mit ihm nmgegangcn, denn er trug sichtlich die Spuren der rauhesten Behandlung an sich. Einer hatte ihm mit dem Kolben seiner Pistole in's Gesicht geschlagen, ein Andrer hatte einen Ring, den der Brite trug, mit solcher Gewalt abgerissen, daß er beinahe den Finger mitgenommen hätte. So »nachte dieser unberufene Anfsncher phönicischer Altäre denn nicht cbcn die allerheiterste Grimasse, als er, die ßoptemtratrsn verwünschend, sich auf dem nach Gibraltar zurückkehrenden Dampfschiffe wieder mit mir einschiffte. Der Engländer hatte alfo in seiner Person jene Grausamkeit, Ungastlichkeit nnd Raubsucht der Bewohner des Landes bei der afrikanischen Hcrculessäule erprobt, die schon Rufus Festus Avieuus in seiner Vo8»lipti« Orbi« schildert. (B. 277.) Propter proceras zephyri regione columnas Mauri habitant; his fluxa sides, et inhoapita semper Corda rigent; trahitur duris vaga vita rapinis. Leipzla, ^^>cl Ä^< V^!ZMm