I 45105 Meinen Kritikern Erläuterungen und Ergänzungen zu „Grundriß der Statistik" und zu „Fünf Hauptprobleme der statistischen Methodenlehre" Von V v Professor Dr. Franz Zizek Frankfurt a. M. Sonderdruck aus „Ällg. Statistischen Ärchiv" Bd. XIV 19 2 4 J, Schweitzer Ve r 1 a g (Ärthur Sellier) München, Berlin und Leipzig Allgemeines Statistisches Archiv Organ der Deutschen Statistischen Gesellschaft Herausgegeben von Dr. Georg von Mayr, und Dr. Friedrich Zahn, o. Professor der Statistik, Finanz Wirtschaft Bayer. Ministerialrat, Präsident des und Nationalökonomie an der Universität Bayer. Statistischen Landesamts und München, Kaiserl. Unterstaatssekretär z. D. Universitätsprofessor in München. Vierteljährlich ein Heft. Vier Hefte bilden einen Band zu 30 Bogen. Preis des Bandes ca. GM. 25,—, des einzelnen Heftes ca. GM. 7.50. Das Archiv ist ein von der ganzen Fachwelt des In- und Auslandes anerkannter literarischer Mittelpunkt für die wissenschaftliche statistische Forschung. Das Hauptgewicht liegt nicht auf der Veröffentlichung von Zahlen, sondern auf deren Auswertung von Wirtschaft u. Gesetzgebung. Bosenick, Dr. A., Berlin Neudeutsche gemischte Bankwirtschaft, i. Bd.: Grund- legende Tatsachen: Die entwicklungsgeschichtliche Analyse der großen Aktienbanken in Berlin. Gr. 8°. 376 S. 1912. Geh. GM. 12.—. Eßlen, Dr. J., Professor in Göttingen Das Gesetz des abnehmenden Bodenertrags seit j. von Liebig. Lex. 8°. 298 S. 1905. Geh. GM. 8.—. Jaenisch, Dr. E., Mannheim Die bayerischen Bierbrauereien während des Krieges und nach dem Kriege. Gr. 89. 252 S. 1922. Geh. GM- 6.—. Lederer, Dr. C., Prag Metallgeld oder Zeichengeld. Erörterungen zur „staatlichen Theorie des Geldes" unter bes. Berücksichtigung desr^Geldwertpro- blems. Gr. 8°. 53 S. 1923. Geh. GM. 1.40. Moufang, Dr. W., München Die gegenwärtige Lage des deutschen Buchwesens. Gr. 8°. 62 S. 1921._____Geh. GM. 1.50. Pesl, Dr. Dan., Privatdozent in )iVürzburg Das Dumping. Preisunterbietungen im Welthandel. Lex. 8°. 147 S. 1921.___________Geh. GM. 3.70. Stern, Dr. E., Regierungsrat in Berlin Der Höchstpreis. Eine systematische Untersuchung auf Grund der Erfahrungen der deutschen Kriegswirtschaft. Gr. 8°. 313 S. 1923. Geh. GM. 10.—. vStöhr> Dr. Karl F., München Der Baukrbdit. Gr. 8°. 172 s. 1921. Geh. gm. 3.60. Wegelin, Dr. W., Zürich Tauschsozialismus und Freigeld. Eine dogmengeschicht- liche-kritische Untersuchung zur Freigeldlehre. Gr. 8°. 126 S. 1921. Geh. GM. 3.50. Zahn, Dr. F., Professor, Präs. d. Bayer. Stat. Landesamts Die Statistik in Deutschland nach ihrem heutigen Stand. Ehrengabe f. Georg von Mayr zum 70. Geburtstag. Lex. 8°. 2 Bände.' 849 u. 1031 S. 1911. Geh. GM. 34.—. Das Sammelwerk gilt auch heute noch als ein Standard work der statistischen Wissenschaft. J. Schweitzer Verlag (Arthur Sedier) München, Berlin und Leipzig. Meinen Kritikern Erläuterungen und Ergänzungen zu „Grundriß der Statistik" und zu „Fünf Hauptprobleme der statistischen Methodenlehre" Von V y Professor Dr. Franz Zizek Frankfurt a. M. Sonderdruck aus „Ällg. Statistischen Ärchiv" Bd. XIV 19 2 4 J. Schweitzer Verlag (Ärthur Sellier) München, Berlin und Leipzig Inhaltsübersicht A. Ausbau der allgemeinen statistischen Methodenlehre..............5 B. Theorie von den vier entscheidenden Begriffen..................9 C. Verhältnis zwischen allgemeiner und besonderer Methodenlehre, namentlich hinsichtlich der Begriffsbildung....................13 D. Einheitlichkeit der gesamten Statistik..........................18 E. Beschränkung auf die Statistik der gesellschaftlichen Erscheinungen 20 F. System der „Praktischen Statistik"............................21 G. Die Statistik als besondere Wissenschaft......................25 H. Technik der Statistik......................................29 I. Theorie der Statistik........................................31 K. Anforderungen an ein Lehrbuch der Statistik..................35 Einleitung. Eine Reihe hochgeschätzter Fachgenossen haben in verschiedenen Zeitschriften Besprechungen meiner Schriften „Grundriß der Statistik" und „Fünf Hauptprobleme der statistischen Methodenlehre" veröffent- licht. Die folgenden Zeilen bezwecken nicht etwa gegen meine Kri- tiker, soweit sie Einwendungen dieser oder jener Art erhoben haben, zu polemisieren. Ich möchte vielmehr den wissenschaftlichen Gehalt dieser Besprechungen nach bestimmten Richtungen für die weitere Entwicklung unserer statistischen Wissenschaft fruchtbar machen. Die in Rede stehenden Rezensionen enthalten ja eine Fülle wertvoller Ge- danken, sie lassen die Auffassungen hervorragendster Vertreter der Statistik erkennen. Im folgenden möchte ich daher, durch die über meine Schriften erschienenen Kritiken angeregt und mit systematischer, materienweiser Verwertung dieser Kritiken, einige bedeutsame und aktuelle allgemeine Fragen erörtern, über die — wie die Äuße- rungen meiner Rezensenten zeigen — noch beträchtliche Meinungs- verschiedenheiten herrschen; so wird sich für diese Fragen ein in mancher Hinsicht interessantes Bild des neuesten Standes unserer Wissenschaft ergeben1). Der Titel dieser Abhandlung möge als Wid- mung, die Abhandlung selbst als Ausdruck aufrichtigen Dankes für die meinen Schriften geschenkte Beachtung aufgefaßt werden2). Wenn ich im folgenden die Gelegenheit dazu benutze, meine eigenen Auffassungen und Bestrebungen, die ich zum Verständnis der an ihnen geübten Kritik ohnehin kurz wiedergeben muß, möglichst präzis zu kennzeichnen — gewissermaßen durch eine.in die allgemeinen Erörterungen eingeflochtene Selbstanzeige —, so möchte ich dies einerseits damit motivieren, daß die Rezensionen erkennen lassen, daß meine Ansichten und Ziele in mancher Hinsicht noch einer Erläuterung und Präzisierung bedürfen, andererseits damit, daß die Besprechungen Natürlich können im folgenden die Besprechungen meiner Schriften nur insoweit berücksichtigt werden, als sie sich mit jenen allgemeinen Fragen be- schäftigt haben, die im folgenden erörtert werden sollen; hieraus ergibt sich eine in der Natur der Sache gelegene Ungleichmäßigkeit im Ausmaße der Ver- wertung der einzelnen Rezensionen; dieses Ausmaß ist von der den einzelnen Rezensionen als solchen beigemessenen Bedeutung unabhängig. 2) Leider habe ich die über die 1. Auflage meines Grundrisses erschienenen Besprechungen bei der Bearbeitung der 2. Auflage zumeist nicht berücksichtigen können, da sie erst erschienen, bzw. mir bekannt wurden, als die Drucklegung der 2. Auflage schon weit vorgeschritten war. — Eine kurze Darlegung der hauptsächlichsten Unterschiede zwischen der 1. und der 2. Auflage meines Grund- risses der Statistik findet sich im Deutschen Statistischen iZentralblatt 1923 Nr. 7/8 S. 115. 5 meiner Schriften auf einige Eigentümlichkeiten derselben, die meines Erachtens für die Weiterentwicklung unserer Wissenschaft nutzbar gemacht werden können, nicht näher eingegangen sind, wohl aus dem Grunde, weil ich die mich in letzter Linie leitenden Gedanken nirgends besonders formuliert, sie vielmehr sofort, im „Grundriß der Statistik", in den Dienst der praktischen Aufgabe einer Gesamtdarstellung der Statistik gestellt habe. A. Ausbau der allgemeinen statistischen Methodenlehre. Die meisten methodologischen Probleme tauchen zuerst auf ein- zelnen Gebieten der Statistik (bei Durchführung von Volkszählungen, bei Ernteerhebungen, in der Handelsstatistik usw.) auf und werden da vielfach mit hervorragendem Scharfsinn untersucht. Es handelt sich aber auf den verschiedenen Einzelgebieten meist nur um Spezialfälle der gleichen allgemeinen Kategorien, was die Einzelforscher in der Regel nicht erkennen. Das statistische Verfahren und die damit zu- sammenhängenden Streitfragen aus der zersplitterten, die einzelnen Ge- biete behandelnden „besonderen Methodik" (Methodik der Volks- zählungen, der Ernteerhebungen usw.) in die höhere Sphäre der „allge- meinen Methodenlehre" zu heben, ist meines Erachtens jetzt unsere vornehmste Aufgabe. Die Statistik hat auch schon ein gutes Stück Weges in dieser Richtung zurückgelegt; wir sind natürlich imstande die verschiedenen Verfahrensarten generell zu kennzeichnen und be- grifflich zu definieren (z. B. primäre und sekundäre Statistik, Zählungen und Verzeichnungen, zentralisierte und dezentralisierte Bearbeitung), wir haben allgemeine Begriffe für verschiedene Arten statistischer Ausdrucksmittel (absolute Zahlen, Verhältniszahlen, Mittelwerte, gra- phische Darstellungen) und für deren Unterarten, wir unterscheiden „in genereller Fassung"3) verschiedene Arten von statistischen Reihen, von statistischen Regelmäßigkeiten, von Erhebungsformularen, Ta- bellen usw. Die allgemeine Methodenlehre unternimmt es auch, die Vorzüge und Nachteile der verschiedenen Verfahrensarten und Aus- drucksmittel grundsätzlich, in allgemeiner Fassung, zu erörtern (Vor- züge und Nachteile von Zählkarten, von Stichprobenerhebungen usw.); 3) Diesen mir unentbehrlich gewordenen Ausdruck habe ich imir aus v. Bortkiewicz' „Grundriß einer Vorlesung über allgemeine Theorie der Statistik" angeeignet; v. Bortkiewicz stellt dort (S. 4) der materiellen Statistik (den sta- tistischen Ergebnissen) die formelle Statistik gegenüber, als Inbegriff der Methoden und Veranstaltungen, die zur Ausführung statistischer Beobachtungen und zu ihrer wissenschaftlichen Verarbeitung dienen. Die allgemeine Theorie der Statistik — die allgemeine statistische Methodenlehre in unserer Terminologie — hat nach v. Bortkiewicz zunächst die statistischen Methoden in genereller Fassung (d. h. unabhängig von ihrem jeweiligen Anwendungsgebiet) zu be- sprechen und zu begründen; es ist sodann ihre Aufgabe, das Verhalten und die Bedeutung der statistischen Zahlenwerte im allgemeinen zu charakterisieren. — Sehr wertvoll waren mir auch v. Bortkiewicz kritische Bemerkungen — in seiner Besprechung meines Grundrisses — zu meinem Postulate der Berechnung von Verhältniszahlen und Mittelwerten für möglichst homogene Massen (Deutsche Literaturzeitung 1921 Nr. 49 S. 710); sie führten mich zur Feststellung des Zu- sammenhanges zwischen den „allgemeinen Ursachen" und den „kausalen Fak- toren" (Grundriß, 2. Aufl. S. 175/176 und DStZ. 1922 Nr. 3/4 S. 55). 6 sie muß danach streben, gewisse Verfahrensarten vom allgemein metho- dologischen Standpunkt aus als empfehlenswert, andere als minder- wertig nachzuweisen. Den Ausbau der allgemeinen Methodenlehre zu fördern war bei der Abfassung meiner eingangs erwähnten Schriften mein Hauptziel und ich glaube verschiedene neue Beiträge geliefert zu haben, über die ich einige Bemerkungen — als Bestandteil der Selbstanzeige, die ich mir einzuflechten gestatten möchte — folgen lasse. Ich führe zu- nächst ein Beispiel an: auf den verschiedensten Einzelgebieten be- schäftigen sich die Statistiker seit langem mit dem Problem der „Zähl- einheit" oder „Erhebungseinheit"; man hat auf zahlreichen Einzel- gebieten erkannt, daß sich das statistische Verfahren auf Erhebungs- einheiten aufbaut, ferner, daß es von der größten Tragweite ist, wie man diese Erhebungseinheiten festsetzt; häufig standen da verschiedene Erhebungseinheiten mit verschiedenein Begriffsdefinitionen zur Wahl und es wurde diskutiert, welche die zweckmäßigste sei (Zählung der Ortsanwesenden oder der im Ort wohnenden Personen bei der Volks- zählung, Zählung zusammengesetzter gewerblicher Betriebe als ein Betrieb oder besondere Zählung der einzelnen Betriebsabteilungen als Einheiten); Schwierigkeiten entstanden auf manchen Gebieten dadurch, daß nicht alle eigentlich interessierenden Fälle in die Statistik einbe- zogen werden können (Erfassung nur der unterstützten Armen, nur der Besitzer eines steuerpflichtigen Vermögens). In der bisher vor- handenen Literatur spielen in den einzelnen Abschnitten der „Prak- tischen Statistik" Erörterungen über die Erhebungseinheiten eine große Rolle; aber die „Allgemeine statistische Methodenlehre" bot bisher darüber sehr wenig — gewisse Hinweise finden sich immerhin bei Schott (Statistik, 2. und 3. Auflage, S. 36) und bei Kaufmann (Theorie und Methode der Statistik, S. 262); daß unsere Wissenschaft der „Er- hebungseinheit" als allgemeinem Problem noch nicht genügende Be- achtung schenkte, beweist wohl der Umstand, daß unsere repräsenta- tivste und anerkannteste Theorie der Statistik — jene von Georg v. Mayr (2. Auflage vom Jahre 1914) — keinen besonderen Abschnitt über die Erhebungseinheiten aufweist und die Termiini Erhebungs- einheit und Zähleinheit im Sachregister gar nicht vorkommen. Mein Ziel war nun, die Bedeutung der Erhebungseinheit in genereller Fas- sung auf Grundlage des Materials aller statistischen Einzelzweige klar- zulegen. Es galt eine allgemeine Definition zu bieten, es ergab sich, daß jede Erhebungseinheit, um welches Gebiet der Statistik es sich auch handeln möge, in räumlicher, zeitlicher und sachlicher Hinsicht definiert sein muß (wie sie auf einem konkreten Einzelgebiet am besten definiert wird, ist natürlich Sache der besonderen Methodik des betreffenden Einzelgebiets), es ergaben sich eine Reihe interessanter Analogien: auf zahlreichen statistischen Einzelgebieten werden bewußt Fälle von geringer Bedeutung ausgeschlossen (kleine Vorräte, kleine Schiffe), auf mehreren Gebieten finden wir, daß nur gewisse Unter- arten von Fällen in die Erhebung einbezogen werden (nur die Preise gewisser Warengattungen, nur gewisse häusliche Nutztiere), auf ver- 7 schiedenen Gebieten zeigt sich die Spaltung der Erhebungseinheiten in „Personen" und „Fälle". Auch über die Erhebungsmerkmale gab es bisher meines Wissens keine gründliche Untersuchung vom allgemeinen methodologischen Standpunkt. G. v. Mayr bietet (Theo- retische Statistik, 2. Auflage, S. 251) nur eine Einteilung der Merk- male (in der jedoch die in meiner Darstellung des statistischen Ver- fahrens für das ganze Bearbeitungsstadium grundlegende Unterschei- dung von qualitativen und quantitativen Merkmalen nicht genannt ist), Schott hat — vielleicht nur wegen des beschränkten ihm zur Verfügung stehenden Raums — nur einige Andeutungen (a. a. O. S. 39), ebenso Kaufmann (S. 264ff.). Besonderes Gewicht habe ich auf die Dar- stellung der Bearbeitung des Erhebungsmaterials gelegt, auf die Klarlegung des grundsätzlichen logischen Charakters derselben, auf Grund der speziellen Verfahren in den verschiedensten Einzel- zweigen; da entstanden — ein Novum in der statistischen Literatur — auch besondere ausführliche Abschnitte über die statistischen Größen- klassen und die systematischen Klassifikationen, sowie über die Bil- dung räumlicher und zeitlicher Gruppen, wobei ich überall die Ab- grenzung der Gruppen und die Aussagen über die gebildeten Gruppen unterscheide, eine Unterscheidung, die meines Erachtens das ganze Bearbeitungsverfahren, als Umwandlungsprozeß, erst verständlich macht. Ein besonderer Abschnitt behandelt die Kombinierung mehrerer Er- hebungsmerkmale bei der Gruppenbildung, ein Problem, das bisher in der Literatur fast gar nicht dargelegt wurde, obwohl diese Kombi- nierung geradezu das für den Wert der zu erzielenden Statistik ent- scheidende Kriterium der statistischen Bearbeitung bildet. Der Sta- tistiker, der hierüber weitaus am meisten gesagt hat, ist Kaufmann (a. a. O. S. 426); auf ihn verweist auch G. v. Mayr (a. a. O. S. 108); aber bei Kaufmann ist die Untersuchung noch dem technischen Ge- sichtspunkte der Tabellengestaltung- untergeordnet, während ich bei dieser Frage, sowie überhaupt, bestrebt bin, die logischen Kategorien von der technischen Durchführung, in der sie zunächst in der stati- stischen Praxis stecken, loszulösen. Ich erwähne auch den neuen, m. E. unentbehrlichen Begriff der von den Erhebungseinheiten verschiedenen „Bearbeitungseinheiten". Und in ähnlichem Sinn glaube ich auch in verschiedenen anderen Abschnitten der allgemeinen Methodenlehre (hinsichtlich der Verhältniszahlen, der Mittelwerte, der statistischen Reihen, der statistischen Regelmäßigkeiten, bei der Darstellung der neueren Geschichte der Statistik usw.) Neues geboten zu haben usw. Die Kritik hat sich mit meiner allgemeinen Methodenlehre relativ wenig beschäftigt. G. v. Mayr hat in seiner Besprechung meines Grundrisses (Allg. Statist. Archiv, 13. Bd. 1921/22, Heft 1—3, S.319) auf meine Ausführungen über die Bearbeitung des Erhebungsmaterials durch Gruppenbildung besonders hingewiesen; Tschuprow hat zu- stimmend hervorgehoben, daß meine Darstellung „dem Problem der Gruppenbildung die ihm gebührende zentrale Stellung" zuweise (Nor- disk Statistisk Tidskrift, Bd. 1, 1922, Heft 2). Mein sehr geschätzter Wiener Kollege W. Winkler hat dagegen in seiner Besprechung meines 8 Grundrisses (Zeitschr. f. Volkswirtschaft u. Sozialpolitik, Wien, N. F. 2. Bd. S. 253) bemerkt, meine allgemeine Methodenlehre bringe in methodologischer Hinsicht kaum etwas Neues, die Hauptstärke meines Werkes liege in dem zweiten, die angewandte Statistik behandelnden Teile4). Dieser Ansicht Winklers über meine allgemeine Methoden- lehre darf ich aber wohl die Beurteilung G. v. Mayrs entgegenhalten, der in seiner oben zitierten Besprechung meines Grundrisses von den von mir „den bisherigen wissenschaftlichen Errungenschaften hinzu- gesetzten neuen Auffassungen und Anregungen" sagt, er habe „deut- lich empfunden, wie wertvoll ihm die Nutzbarmachung! der Darlegungen des Verfassers und der Anregungen, die er bietet, für eine Neubear- beitung seiner Theoretischen Statistik sein werden". Sehr richtig hat m. E. Maximilian Meyer (DStZ. 1921 Nr. 9/10, S. 146, und ähnlich in der Sozialen Praxis, Bd. 30, 1921, Heft 46, S. 1215) meine Bestre- bungen erfaßt, der sagt, mein Grundriß unterscheide sich von anderen Arbeiten dadurch, „daß Zizek sich bemüht, die statistische Theorie, wenn ich mich so ausdrücken darf, auf einen Generalnenner zu bringen und nicht, wie es bisher mehr oder weniger der Fall war, eine Dar- stellung der Theorien der einzelnen Statistiken zu geben". Pfennig (Stuttgarter Neues Tagblatt vom 30. Sept. 1921) bemerkt: „Wir werden mit einer großen Zahl von neuen oder neuartig gefaßten Be- griffen bekannt gemacht." Für die Weiterentwicklung der allgemeinen statistischen Metho- denlehre scheint es mir zurzeit am wichtigsten, ganz genau zu unter- suchen, wie wir auf den verschiedenen Einzelgebieten der statistischen Praxis vorgehen und gleichzeitig eifrig danach zu streben, das Gleich- artige und Gemeinsame in unseren Methoden herauszuschälen. Wir müssen meines Erachtens das logische Wesen der statistischen Me- thode sozusagen von innen heraus noch besser studieren, und so eine inhaltsreichere allgemeine statistische Methodenlehre aufbauen. In diesem Sinne geht meine Arbeitsweise — wenn ich es erwähnen darf — in erster Linie von den einzelnen statistischen Erhebungen selbst aus, aber mit der Tendenz ins Generelle. Hatte sich z. B. das Verfahren der „Fortschreibung" bei den Volkszählungsergebnissen, bei dem Bestand der Aktiengesellschaften und bei jenem der Wohnungen ge- funden, so konnte ein allgemeiner Begriff der „Fortschreibung" aut- gestellt werden; nachdem sich gezeigt hatte, daß die Unterscheidung von „Personen" und „Fällen" in zahlreichen Zweigen der Statistik auftritt, konnten alle einschlägigen Erscheinungen auf eine kleine Zahl von allgemeinen Kategorien zurückgeführt werden; nachdem ich ge- sammelt hatte, wie sich verschiedene Zweige der Statistik bei der Be- arbeitung von „Merkmalen mit Häufungsmöglichkeit" — in verschie- 4) Brieflich hat mir W. Winkler mitgeteilt — ich1 erwähne dies hier mit seiner Zustimmung —, er hätte bei dieser Beurteilung meinen Grundriß vor allem mit meinen „Statistischen Mittelwerten" verglichen; diesen gegenüber bringe der Grundriß an allgemeiner Methodenlehre nicht viel neues. Natürlich halte ich mich In manchen Fragen an meine eigene frühere Schrift; der Kreis der behandelten Fragen ist jedoch im Grundrisse ein außerordentlich viel weiterer. 9 dener Weise — behelfen, gelang es auch da, eine bestimmte Zahl grundsätzlich möglicher Lösungen festzustellen; nachdem ich auf ver- schiedenen Gebieten die Beobachtung gemacht hatte, daß häufig Glie- derungs- und Beziehungszahlen auftreten, die einander äußerlich ähn- lich sind, aber doch ganz verschiedenes besagen, konnte ich schließlich die Beziehungen zwischen diesen beiden Arten von Verhältniszahlen allgemein kennzeichnen5), usw. Natürlich konnte ich nur schrittweise im Laufe der Jahre vorwärts kommen und war Voraussetzung, daß ich mich immer wieder mit allen Einzelzweigen der Statistik beschäftigte. B. „Theorie von den vier entscheidenden Begriffen." Was ich hier jetzt mit diesem Kennwort bezeichnen möchte, ist eine spezifische Eigentümlichkeit meiner Methodenlehre im Rahmen meiner Auffassung von allgemeiner und besonderer Methodenlehre. Um mich mit der Kritik auseinandersetzen zu können, muß ich diese meine Theorie kurz wiedergeben. Ich fand zunächst auf zahlreichen statistischen 'Einzelgebieten, daß, was eine statistische Zahl eigentlich besagt, davon abhängig ist, wie bei ihrer Gewinnung die Erhebungs- einheit und die betreffenden Erhebungsmerkmale verstanden worden sind, wie die betreffenden Gruppen (Teilmassen) abgegrenzt wurden, worin die über die betreffenden Gruppen — zu ihrer Charakterisierung — gemachte Aussage besteht; nur wer dies alles genau weiß, kann eine statistische Zahl richtig verstehen und richtig beurteilen. Auf Grund dieser Beobachtungen kam ich zu dem allgemeinen Satz, daß die statistischen Zahlen von den bei ihrer Gewinnung zugrunde gelegten Begriffen abhängig sind — denn die Statistik erfaßt die Wirklichkeit mit Hilfe einer Anzahl von Begriffen, die sich zwischen den statisti- schen Forscher und die Wirklichkeit einschieben — und zwar ist meines Erachtens jede statistische Zahl bestimmt (determiniert) durch die vier Begriffe der bei der betreffenden konkreten Statistik zugrunde gelegten Erhebungseinheit, des betreffenden Erhebungsmerkmals, der betreffenden Gruppe (ihrer Abgrenzung, ihrem Umfang nach) und der betreffenden Aussage (über die betreffende Gruppe). Eine statistische Zahl ist meines Erachtens durch diese Begriffe in ähnlicher Weise bestimmt, wie geometrische Gebilde bestimmter Art durch gewisse Größen — z. B. ein Rechteck durch die Länge der beiden Seiten — determiniert werden; ändert sich bei der Gewinnung der betreffenden statistischen Zahl auch nur einer der vier maßgebenden Begriffe, so ändert sich auch das zahlenmäßige Ergebnis und dessen Sinn. Die vier entscheidenden Begriffe sind ferner meines Erachtens etwas ähnliches wie die „Bestimmungsgründe" des Preises, der Lohnhöhe usw. in der theoretischen Nationalökonomie. Ein Beispiel: die Angabe, daß es bei der letzten deutschen landwirtschaftlichen Betriebszählung vom 5) Mein Aufsatz „Zur Methode der statistischen Verhältniszahlen" im Allg. Stat. Archiv, 12. Bd. 1920, war in .diesem Punktes. 240) noch unvollständig; erst in der 2. Auflage des Grundrisses, S. 145, ist die Lösung gegeben, die ich noch zur Zeit für richtig halte. 10 12. Juni 1907 3,4 Millionen Parzellenbetriebe gab, ist nur verständlich, wenn man zunächst weiß, was bei der Erhebung unter der Erhebungs- einheit „landwirtschaftlicher Betrieb" verstanden wurde (hierzu gehört auch die Kenntnis des Stichtags der Zählung, denin nur die an diesem Tag vorhandenen Betriebe wurden gezählt); ferner muß das an den Erhebungseinheiten ermittelte Erhebungsmerkmal (nach dem die Be- triebe in Größenklassen eingeteilt wurden) bekannt sein: die Größe der zum Betrieb gehörigen landwirtschaftlichen Fläche (nicht etwa die Größe der gesamten Fläche des Betriebs); sodann muß bekannt sein, wie die Gruppe (Teilmasse, Größenklasse) der „Parzellenbetriebe" umgrenzt wurde: Betriebe unter 2 ha landwirtschaftlicher Fläche; schließlich ist von Wichtigkeit, worin die Aussage über die Gruppe der Parzellenbetriebe besteht; hier relativ einfach: die absolute Zahl der auf die Gruppe entfallenden Erhebungseinheiten (es könnte aber z. B. auch der Prozentsatz von allen Betrieben oder die auf die Gruppe der Parzellenbetriebe insgesamt entfallende landwirtschaftliche Fläche an- gegeben sein). Es ist nun für die Statistik charakteristisch — in gewissem Sinn liegt darin eine Tragik —, daß auf den meisten Anwendungsgebieten bei der Begriffsbildung in verschiedener Weise vorgegangen werden kann — es kann die Erhebungseinheit (z. B. der gewerbliche Betrieb, die Wohnung) verschieden definiert werden, es können Erhebungs- merkmale (z. B. die Größe der Wohnungen oder die Größe der Streiks) verschieden aufgefaßt, es können Gruppen verschieden abgegrenzt, es können Aussagen verschiedener Art gemacht werden — ich spreche da von einer gewissen „Willkür" in der Statistik — und hierauf führte ich die Erscheinung zurück, daß so häufig der statistische Konsument eine bestimmte Ziffer, deren er benötigt, nicht findet, obwohl eine Statistik über die betreffende Erscheinung vorhanden ist; diese legt jedoch andere Begriffe zugrunde, als vom statistischen Konsumenten bei seiner Fragestellung zugrunde gelegt werden. Die verschiedenen Begriffsdefinitionen sind sodann die Ursache, daß statistische Zahlen sich so häufig widersprechen : tatsächlich reden sie nur aneinander vorbei, denn auf verschiedenen Begriffen beruhende Zahlen können grundsätz- lich gar nicht übereinstimmen. Diese meine Auffassungen sind in den „Fünf Hauptproblemen" näher ausgeführt, sie beherrschen aber auch den ganzen „Grundriß". In diesem werden einerseits in fast jedem Abschnitt des besonderen Teils die Begriffe, die der betreffenden Sta- tistik zugrunde liegen, mit den daraus sich ergebenden Konsequenzen dargelegt und eventuell kritisiert (z. B. im Abschnitt über die gewerb- liche Betriebsstatistik der Begriff des gewerblichen Betriebs, der Be- griff der Betriebsgröße—nach der Zahl der beschäftigten Personen—, die Begriffe der Gewerbezweige und der Aussagen — Zahl der Be- triebe, der beschäftigten Personen, der Pferdestärken — über die einzelnen Gewerbezweige; andererseits wird im Grundriß die Wich- tigkeit der Begriffsbildung für die einzelnen Statistiken auch in der allgemeinen Methodenlehre erörtert, namentlich in den Paragraphen 11 über die Erhebungseinheit, über die Erhebungsmerkmale und über die Gruppierung des Erhebungsmaterials. Die Besprechungen des „Grundrisses" haben sich mit meiner „Theorie von den vier entscheidenden Begriffen", wie ich sie jetzt kennwortartig nennen möchte, die in dieser Schrift zwar wirksam war, aber nirgends zusammenfassend formuliert auftrat, nicht beschäftigt Diese Theorie herauszuschälen und ausdrücklich zur Diskussion zu stellen, war dann der Zweck der „Fünf Hauptprobleme". Die Be- sprechungen dieser Schrift haben, soweit sie nicht lediglich referierten, meist zustimmend mein Postulat hervorgehoben, daß jeder Statistik eindeutige Begriffe zugrunde liegen müssen; so z. B. v. Bortkiewicz (Deutsche Literaturzeitung Nr. 48/49 vom 17. Dez. 1922), Eulenburg (Sozialwissenschaftl. Literaturblatt, Januar 1923), Maximilian Meyer (Conrads Jahrbücher, 3. Folge, 65. Bd. S. 86), 5. Schott (DStZ. 1922 S. 117). Es hat sich jedoch kein Rezensent ausdrücklich mit der Frage beschäftigt, ob es in der Tat auf die vier von mir als entscheidend an- geführten Begriffe — und nur auf diese — ankommt, ob das die wirk- lichen Bestimmungsstücke der statistischen Zahl sind. Gewisse Vorbehalte machten E. I. Gumbel (Archiv für Sozial- wissenschaft und Sozialpolitik, 50. Bd. 1923, S. 835) und IV. Winkler