1 ? Die Sede unserer IDutter ist dabingegangen! UJas i$t die Seele? Gin ratselbafter 0ast aus einer bobern CUelt, ein Jremdling, angetan mit dicbten Scbleiern, der versucbt, in diesen dunkeln Regionen des Staubes ein licbtes Bebilde zu gestalten, wie er e$ gesebaut bat in seiner fieimat in ewiger Scbonbeit. JHucb im unvollkommenen Eebensvmke der Kleinsten konnen wir nocb immer abnen, was die Seele im rastlos verrinnenden Zeitenstrome zu gestalten versucbte, wenn ibr aud) „ein Grdenrest, zu tragen peinlicb" anbaftete. Gine Seele ist von uns gegangen. Crotz aller ibrer mange! eine gute, eine starke, eine reicbe Seele. Sie ist dabingegangen aus viel Jammer und Criinen. JTuf oft sturmbewegter See dureb graue mogenrnassen „nirgends Boffnung, nirgends Cand bei des Sturnuvinds Sd)lHgen“, wie bat sie da jenes Cied so oft trostend sid) selbst gespielt: „Gs leucbtet mir ein 5arbenbogen, Der beli auf dunkeln (Uolken rubt; Der blickt so stili, so friedlid) nieder, Der spiegelt alte Zeiten voieder Und neu besanftigt wallt mein Blut. Komm, Roffnung, lafe den letzten Štern, Den letzten Štern der miiden nid)t erbleicben, O komm, erbell, erbell mein Ziel, sei’s nod) so fern, Die £iebe wird’s erreid)en.“ Die £iebe wird’s crreicben. „$ie bat vici geliebet", sagt ein Hlund der ervigen Ulabrbeit. Ibr fierz war erfiillt von der Sebnsucbt nad) dem Scbonen und 0uten, da$ sie geliebt bat bis ans €nde. Begabtere 3iinger und Jiingerinnen als die 6ntsd)lafene bat die bolde Kunst der TTlusik gebabt. €ine begeistertere, eine unersattlicbere nie. Sie umscbrvebte eine CJJelt der Barmonien, sie, deren Eeben so voli von Itlijsklangen war. In der CUelt, da „Eeid und Bescbrei ist und Scbmerz und tod“ (Offb.21,4), ging sie dabin, das Band der Cone mit der Seele sucbend. Bobensebnsucbt lebte in ibrer Seele. Bis zur €ršcbopfung der letzten pbysiscben Kraft strebte sie empor zur bebren majestat unserer Blpenberge, da in bebrem Uleben die Seele erscbauert vor ibrem 0ott. Da bat sie den Ulander-- stab erst abgesetzt, als die vollige Unmoglicbkeit bei binfalligem Ceibe es gebieterisd) erzvvang. CUie bat sie aber nocb am letzten Cage vor der dunkeln Sabrt zum lkarterbette — scbon durcbscbiittelt vom Codesleiden — ibr Jluge gevveidet mit durstiger Seele „an der licbten 01orie“ der 5riiblingslandscbaft unserer Berge. Und sie wuf)te ferner, daf? bober wie das Scbone das 0ute stebt. Unsaglicben 3ammer bat sie auf sicb geladen, weil ibr in allen Pbasen ibres Cebens jede klare, bevvufcte Berecbnung iiber Ziel und Zweck ibrer fjandlungen abging. Jld), wie so kummerlicb und klaglid) oft ibr 6rdenwallen, wieviel trotzige Bleicbgiiltigkeit, wieviel Bitternis, wieviel ljobn, die bei etwas niicbterner Cebensklugbeit ibr erspart gewesen waren. Jlber war denn nicbt gerade dieser Hlangel ibre starkste, ibre scbonste Seite? klit flammender Zunge bat ]esus aufter der Ijeudrelei nur den lTlammonsdienst bekampft, der 4 seines Reicbes starkstcs Bemmnis ist. GJenn ibre Scclc aucb nicbt rcin war von Scblacken, cines war ibr fremd: die gemeine, selbstsiicbtige Bered)nung. Uleltenferne lag $ie binter ibr und d ar in war jenes Dicbtervvort ibr cigcn: „Und binter ibr, in cvesenlosem $cine, Cag, was uns alle bandigt, das Gemeine. “ Zn belfen, zu geben, zu scbenken war ibre Berzens-- freude, ibre Seligkeit. „Belfsucbt“, „Scbenksucbt“ bat man ibr oft vorgevvorfen. Unter dem Drucke solcber flnklagen bat sie oft mit Sdrmerz Gaben unterlassen, die sie so willig gerne gespendet batte. „$ie war gewib nicbt beilig, aucb selig war sie nicbt“, aber an ibrem Grabe glanzt, wie am Grabe einer Reiligen und Seligen, das Reilandswort: „bUer dieser Geringsten einen nur mit einem Becber kalten Glassers tranket, vvabrlicb, icb sage eucb, es wird ibm nicbt unbelobnt bleiben.“ Und wer bineinsdrauen konnte in ibr Berz, der wuf5te, dab es ein lTlutterberz war voli bei^er Creue, trotz allen Seblgriffen, die sie in Bast und Unrube begangen baben mag: * t „ 6 in einzig Berz auf Grden ist, Das immer gut und treu, Das immerdar sid) selbst vergifet, De{5 Ciebe immer neu. Gin Berz, das sicb begniiget stili, UJenn es nur gliicklicb macbt, Gin Berz, das keine Opfer will Und sorget Cag und Dad)t! 5 Das fierz, das taglicb Klunder scbafft, Uon jeder Selbstsucbt reiti, Das ist in CiebesfiiH’ und --kraft Das fflutterberz allein." Oft ein blutendes 6cce bomo, das sid) zermarterte in IDeb und Selbstanklage, eine evvige „berzeIoide“ in immer neugestaltetem Scbmerze, ist sie docb nie ver= bittert gevvorden, und das letzte, vvas die allzugescbaftige band niedergesebrieben — unter bitteren Cranen —, vvaren die innigsten Segensvvunscbe fiir alle ibre Kinder und 6nkel. Sie bat viel geliebet i Sie bat ibr evangelisebes Be-- kenntnis geliebt mit beijjem, bobem Stolze. Die Jreude, evangeliscb und nicbt katboliseb zu sein, vvar ibr Rocbstes. Scbon als Kind sei es ibr grofster IDunscb gevvesen, sagte sie nocb kurz vor dem Code, es moge jemand den Ratboliken ibre Irrtiimer nacbvveisen und sie gab ibrer Jreude Husdruck, daf? einer ibrer Sobne sid) eine solebe Eebensaufgabe ervvablt. Rn allen evangeliseben kircblicben CDerken innerer und au()erer lRission nabm sie regsten, tatigsten JInteil. Daj) sie, die tocbter des Rbeins, nun im temen Grenzland der siidlicbsten IDark deutseben und evangeliseben Eebens gebettet ist, auf traulicbem Sriedensacker, vvie ein gefallener Uorposten, ist es nicbt aucb vvie ein Siegel auf ibr treues deutseb-- evangeliscbes Streben? Rber es lebte mebr in ibr, vvie blo() protestantiseber Ronfessionsgeist, es lebte 0ottes= sebnsucbt in ibr. Ruf ibrem Scbmerzenslager verglid) sie sid) nocb dem Scbvvimmer, der unaufborlid) $cbvvimm= bevvegungen macbt und versinkt, sobald er aufbort, sid) zu bevvegen. So babe ibre Seele sid) evvig bevvegt, zu 0ott zu beten. „Und an diesen 0ott, zu dem icb 6 uitaufborlid) gebetet, kann id) nicbt glauben“, meinte sie. Das war das tiefste Glend ibrcr Seele, da() sie ibres 0ottes nid)t inne und nicbt gewib vverden konnte. Und oft bat sie sicb dem Honigsgreisc verglid)en, der die 0eistesbarmonie verloren, bis cine Eiebesband sid) auf die beibe Štirne legte mit dem 0ebet: „0iit’ge 0otter, beilt Den grofjen Rib des scbwer gekrankten 0eistes: Der Sinne rauben IDibklang, stimmt ibn rein." fld), ivenn aud) licbte Eiebesgeister Balsam legten auf die Rerzensvvunde, da war keine Seele, die wabr-- baft erlosend den Bann batte losen konnen, der sie in Sesseln gescblagen. JHcbt Jabre eingescblossen in einen „0eisterfriedbof“ — bei vollem Cagesbewu[)t$ein — batte sie es aber wobl ertragen, obne ibr millionen= facbes 0ebet: „Cieber bimmlisdrer Uater, bilf mir die Ceiden, die du mir auferlegt bast, zu ertragen"? Und bat sie es nicbt ertragen: der Quelle abnlid), auf die Bergeslasten sid) walzen, die aber froblicb sprudelnd wieder bervorkommt, von finsterer Rast erlost? Jenes f)eilandswort: „Ibr ist viel vergeben" gilt aud) ibr, wie es uns allen gilt. Die Uielangefocbtene, Uielgetadelte, Uielverurteilte stebt nun nicbt mebr vor menseblicbem 0ericbt. Das Rpostelu»ort bat nun fiir sie 0eltung: „(Der gestorben ist, der ist gerecbtfertigt von der $iinde.“ Gin Richter spricbt jetzt iiber sie sein Urteil, dessen IDafestabe andere sind als die unseren. 5ast das allerletzte UJort, das sie selbst gesprocben, als „$d)on die finsteren Scbatten sie ganz umgeben batten", als sebon die Zunge sebever, die flugen triibe geworden waren, gibt uns Bestatigung. Uiermal sprad) sie es 7 feierlid) aus, wie um es emst zu bekraftigen, als sic bingewiesen vuard auf 0ottes unergriindlicbes Grbarmen: „6r verzeibt uns allcs“. Gr vergibt uns alles. Ibre Fjerzensstellung war dic der Uergebung. Sic bezeugte unendlicbe Dcmut, ticfste Beugung unter dic Band dcs beiligen Ricbters, vor dem sic nid)t besteben konnte. Sic maf? nod) zuletzt ibr abgcscblosscncs Ceben an der Ricbtscbnur ibres Konfirmationssprucbcs: „ITkine Sede ist stillc zu 0ott, der mir bilft“ (Ps. 62, 2) und sagtc sicb, daf? sic scincr Uerbeifeung nicbt tcilbaftig gcwordcn sci, weil sic scincr TRabnung nid>t gciolgt sci. Jene 0rabscbrift dcs grofeten Grforscbers dcs f)immeI$gewoIbes darf aud) auf ibr 0rab gesetzt wcrdcn: „Ricbt wie dem Petrus du verziebn, Rucb nicbt des Paulus 0nade icb bcgcbrc: Rcin, wic dem Scbacber Ccbcn du verliebn Jim Rreuzc, solebes Bcil aud) mir gewabrc.“ Da() Sd)ad)crbubc, $d)ad)crgnadc ibr besebieden sci, offenbarte sid) in der Sanftmut, mit der sic dic bittersten Rrankungcn, dic man ibr angetan, vergab. Uergebung, dic sic anderen spendete, ko'$tlid)es 01, das einem zcr-- tretenen, mi(5banddtcn Rerzen cntstromtc, war der Bevveis der Uergebung, dic sic sclbst crlangt batte. „$o ibr den IRenscben ibre Jcblcr vergebet, so wird cud) cucr bimmlisd)cr Uater aud) vergeben“ (IRattb. 6, 14). 0ottcs Uergebung aber bestebt darin, daf? er ncucs Ccben verleibt. So crbliibte ibr aus langer Dacbt cin ncucs Ccbcn, so miindete ibr viclvcrdiistcrtcr Pfad zuletzt cin in cine Uia triumpbalis, so dat? de nod) 8 unmittelbar vor dem 6nde im trauten Kreise ibrer Eieben, von Eiebe sicber gebalten, Jest um Jest begeben, ibre zwolf Gnkelkinder voli grobmiitterlicben Stolzes ans Rerz scblieftett durfte. Und sie durfte sicb fragen und bat sicb gefragt, wer reicber sei als sie? in solebem Eiebessegen, da iiber diesen zwolf jungen Rauptern — iiber jedem einzelnen — ein bellerer Štern ibr zu gldnzen sebien, als er ibr eigenes, tragisebes Eos besebienen. Und sie spracb es aus, daj) es immer licbter um sie selbst gevvorden und fast alles, was sie gequalt, sicb gelost — in fjarmonie. Und dann vvandelte sicb diese Uia triumpbalis un- mittelbar vor dem letzten Jlbstieg in eine Uia dolorosa voli scbtverer Qualen! Und war nicbt aucb dies eine Gottesgnade? (Uar diese kurze letzte Uorbereitungszeit nicbt unumganglid), um die Rande aller ibrer Cieben ineinander zu fiigen, um ibr den vollsten Riickglanz aller Eiebe, die sie ausgestrablt, zu sebenken, um sie selbst zu lautern in Criibsalsgluten zur letzten Uollendung? Und kaum batte sie die neue scbwere Ceidens-- strafte betreten, so breitete sicb nad) nur fiinftvocbent- lidrem Scbmerzenslager ein dicbter Scbleier des Uer- gessens iiber ibr leiderprobtes fiaupt. Ulie das Hleer im Jlbendsonnenscbein verebbt, langsam, unmerklicb, unaufborlicb, so verebbte dann auf einmal scbmerzlos, kampflos ibr Ceben. „Rabe gerne mein miides Ceben, Scbopfer der Geister, dir bingegeben." Und so sebritt sie empor zum oberen Reiligtume. Sie bat nie einer vollen Gevvibbeit und einer sicberen Roffnung der 6wigkeit JTusdrudc gegeben. „JIber was Ibensdrenaugen nicbt fassen, nicbt seben, dort oben ist einer, der wird es versteben." Zweimal spricbt Jesus vom Reiligtume. €r spracb von einer Jrau, die am wenigsten 9 von allen einlegte in den gotteskasten, und docb meinte der fjerr: „Sie bat mebr, denn sic alle eingelegt,“ denn in ibrem Scberflein vvar ein seliger Scbatz cin-- gescblossen, die ecbte, lauterc Ciebc, und von einem Sunder spracb er, der binaufging zu beten. 6r war viel, viel anfecbtbarer als der tadellose Gerecbte, und docb sagt der fierr von ibm: „6r ging binab gerecbtfertigt in sein Raus vor jenem." Denn vollig gleicb der 6nt-- scblafenen, beifit es von ibm: „Und der Zollner stand von ferne, wollte audi seine flugen nicbt aufbeben gen Rimmel, sondern sd)lug an seine Brust und spracb: 0ott, sei mir Sunder gnadig." Im Sinne des Ijeilandes sprecben wir von der entscblafenen Scbvvester und mutter: „lbr sind viele Siinden vergeben, denn sie bat viel geliebt; vvelcbem aber wenig vergeben wird, der liebet wenig“. Amen. 10 derade bevor der Sargdeckcl sid) iiber dem teuren Baupte scbloj), erreicbte, im diistem $d)eine der Sterbe-- kandelaber, ein Scbreiben das trauerbaus, in dem es beifet: „Die Bimmelsmacbt der Ciebe! flucb sie ist eine CUeltkraft, ebenbiirtig, ja, edler und macbtiger nod) wie andere KrHfte, die blind und zerstorend walten, obne nad) unserem Berzen und seinem Ceid zu fragen. Und diese Ciebe — in der des Gesetzes 6r(iillung liegt — iiberwindet wobl aud) Zeit und Raum. O, wie oft be-- daure id) das stumpfe Gefitblsieben, in dem man die Cage dabinbringt. Hur in der Grbebung des Gemiits, in den Jeierstunden, da wir innerlicb gepackt sind, ist durcbdringende Klarbeit aud) des Geistes, ist ecbtes, reges Ceben. Und aud) ecbtes, tiefes Ceid riittelt uns auf und sagt uns, daj) wir lieben, wie wir lieben. Und diese veebmutsvolle Ciebe ist zugleid) eine soldte, wie sie 3«us uns gelebrt bat, eine, die alles im Cicbte einer bdberen Grkenntnis verstebt, verzeibt und die uns in anderen Ulesen wiedererkennen laf?t. „Das bist du!“ so lautet ja wobl eine indiscbe, mystisd)e Jormel. Sie ist binter den Uorbang getreten, den wir Cod nennen. Ibre Ciebe aber wirkt weiter und wird ibre Cieben stets umbiillen, wie aud) diese sid), wenn ibr Gemiit spricbt und Ciebesstrablen aussendet, mit ibr im Geiste wieder vereinigen konnen. Das bobere Ceben ist von einer anderen JTrt und Cebensdauer, als unser ll leiblicbes Sein. 6s ist die Quinte$$enz dcs Eebens, die Spitze, in voelcbe die menscblicbe Gntvvicklung auslauft. Die flbnung eines Seelen--Radium$, das in uns korperlid) vorbanden ist und welcbes das 5ortwirken unseres etbiscben Seins bevvirkt, das ist mein Glaube an die Unsterblicbkeit. UJer zum bobern Sein ervvacbt, der erzeugt diesen Stoff in sicb, der erst wieder in 3abr= millionen zerfallt. Die Gntscblafene war religios, ibr geistiges Jiuge durcbstrablte das Gemiitsleben, sie lebt also fort. mit der leiblicben Riille bat sie nur das Grdenleid abgestreift. Durcb die Eiebe, dieses Gesetz der geistigen Jinziebung, steben wir mit ibr immer im Bunde. Der beste Croster ist die Jirbeit. tUirken, ivirken, bis es aucb fiir uns tag wird. mit beiterer, lacbelnder Tronie iiber dem Eeben zu steben — das sei unser Streben." 12 6s rausd)ten dic Ulellen, dumpf stobnte das TTleer, Der Dad)twind stric!) drtibcr so scbaurig. lilie war es so ode, so wiist um mid) ber, leb fiiblte mid) elend und traurig. Dod) jetzt nabt der IDorgen, im Rerzen wird’s licbt, Den Dacben zum Ufer zu lenken, Die jRnker sicb lid)ten, die Reimat in Sicbt: KJer konnte der Dacbt nod) gedenken? Und war aucb des Cebens TTlubsal so scbwer, Das Dunkel der €rde so driickendl — €s dammert der fRorgen so klar um uns ber, $o traulicb das JFuge entziickend. Bald sd)winden die Debel, im Rerzen wird’s licbt, Zum Rimmel die Scbritte wir lenken. Bald landet der Dacben, die Reimat in Sicbt: UUer konnte der Dad)t nod) gedenken? flus einem von der Uerewigten gearbeiteten (Uandsprud). 13 Druck von Ig. v. K1einmayr $ Jed. Bamberg in Caibad). 25$0 11 NARODNA IN UNIVERZITETNA KNJIŽNICA