_ « _ 14362i -H auS MrHSKrKrrU, Vierte, verbesserte und vermehrte Auflage. Mailand bei -er k. k. StaatSdruckerei l887. Ausgewählte Stücke auS deutschen Prosaikern zu Sprachübungen für Italiener bearbeitet und herairsgegeberr von Professor der deutschen Sprache und Literatur am k. k. Lyceal-Gymnassum nächst St- Alexander in Mailand. Vierte, verbesserte und vermehrte Auflage. Mailand b« dec r. k. StaatSdruckercr 1887. La /vesenle Lcirrlone e prosta sotto /a tttte/a c^e//s osFÄantt' LeM o <7onos»Lronr. 143621 5°^! versione itslisna inker/i»ero e ciis v» unils ul lesiu kede- sco in tutlo il gorimo cspitoio dsil» presente Lsceoita di prvse seeitS, « eseguita lettersimente sin» siis Isvols XIII, ommessi pero gli srticoii si determinati čire indslerminsti, ed i vocsiioli AiL uns voliš trsdskti nel msdesimo numero. In seZuito, pre- supposlo il simuitsneo proZredire de^ii scoisri neiio studio teorico dei precstti Arsmmsticsii, si trsissciarono neiis trsdu- rions erisndio i prvnomi ed i veriii gusiiisri, ed in line del cspitoio, comineisndo dsi numero XXII, veuns pur vitre s cin ommssso lusicirs »Ikro termine ciie gis krovssi ripeluts- inente indieato nells Is vole snleriori. binisce il primo cspitoio con un disiogo trs il mssstro e lo Zcoisre, compiisto suli'arZomentv dells s»vola XXIX. — dvn tsle disiogo si el>1>s in mirs di dsre un l>reve ssZZio deiisp- plsudito metodo di 1'. Helrerson, spplicsko sil insegnsmenlo dellg lin^us tedescg ds I. Lavo^e, j^is Pu1>l>lico prosessore di sueško rsmo d istrurione nel tlvilegio I.ouis-Ie-Arsnd s ksriAi, e per esperienrs riconosciuto di non lieve vsnIsAgio per cluun- s si pose ad gpprenders. Lene in- teso el>e spekts sl maeslro di dsre s tule metodo, cjuslors il trovi opporluno, nel prstico insöAnsmento ^uells insZAior eslsn- sione clis non si svrelilis in ^nest opers potuto conseguire senrs ticerescsrne il volums vitre i iimiti per sitre rsZioni stslnliti. (lli shuarei contenuli nei cepitoli II, III v IV veunero eorre- dsli di alcune ennolerioni clie semkravano necesssris per ispis- xare le kresi meno lscili a rinvenirsi nei dirionarj di cui veuno d'ordinario munili gli studiosi, e per indicere seZnetamente, eomo nei cspo primo, il modo indslinito dsi verki gnomali. I.e vole clis nei cepitoli seAnent! si trovsno eppie di pezina erpresse in linZus ledesce, lisnno per iscopo di cliiarire elcuni pass! olis senrs di esse potevsno riuscire meno intelliZibili, sic- coms disziunti del conterco dell' opere de cni sono trstti. klL si trelascid d'indicsrs in vepo ed ogni scpiereio della pre¬ sente Reccolts, oltre il noms dell'sulore, eriandio il titolo del¬ l' opera dl cni esso le perle, e eiö all'nopo di rivolZere per tempo I'attenrione dei discenti eile prineipsli produrioni della letterelure alsmenne, cercendo in tsl guise di vieppin iavo- ßlisrli s leAAsre eppresso per inlero quelle opere elie gie co- noseono a lrrsni. 8i osssrvs in line, clie nella presente keccolie si sdottö l'or- toArslie comunemenls seguita nelle opere piu aeoreditate clre de circa due decennj surono puliblicate nella Oermunia. Klileno, aprile 1837. Erstes Kapitel. Fabeln. lVon G. C- Lessing.) I. Die Nachtigall und die Lerche. usiZnuolo e slloäola Was soll man zu den Dichtern sagen, die so gern ihren Oke äeve si a poeti äire eke 8i volontiert il loro Flug weit über alle Fassung de§ größten Theiles ihrer Leser volo lungi 80pra oZni intelligevra msggior Porte äei loro lettori nehmen? Was sonst, alS was die Nachtigall einst zu der Lerche prcilckono eke sttro eke cid eke uns volta sagte: Schwingst du dich, Freundin, nur darum so hoch, um llt886 lxrnei tu ti omiea 80I0 pereiü 8! slto per nicht gehört zu werden? NON uäita äi 688ere II. Die Wohlthaten, in zwei Fabeln. «tue a. Hast du wohl einen großem Wohlthäter unter den Thieren Klo! tu den moßZiore denekattore 1r» snimsli als uns? fragte die Biene den Menschen. — Ja wohl, erwiederte eke noi lliinclnäü ape uonro 8i dene ripre8e dieser. — Und wen? — Das Schaf! Denn seine Wolle ist mir questi o cki peeora poickö su» Ians e mi nothwendig, und dein Honig ist mir nur angenehm. tuo miete soltsnto LWrsäevole Und willst' du noch einen Grund wissen, warum ich das vuoi »neora motivo 88pere perekö io Schaf für einen großem Wohlthäter halte, als dich, Biene? — tevZo te DaS Schaf schenkt mir seine Wolle ohne die geringste Schwierigkeit- stona senra minima «iikliooUü 1 2 aber wenn du mir deinen Honig schenkest, muß' ich noch immer ma 86 tuo äoul äedbo sewxre deinen Stachel fürchten. xungiglioue temers 1 wollen; 2 müssen. III. Der kriegerische Wolf. Zuerriero lupo Mein Vater, glorreichen Andenkens, sagte ein junger Wolf Mo pilckre äi glorios» memori» äisse giovioe zu einem Fuchse, das war ein rechter Held! Wie fürchterlich hat a volpe questo era vero eroe eome terrlbile da er sich nicht in der ganzen Gegend gemacht! Er hat über mehr egli 8ö uou iu tutta reZioue reso sopra piü als zweihundert Feinde nach und nach' triumphirt, und ihre ede äue eeuto uemie! pol e pol trionkato le loro schwarzen Seelen in das Reich deS Verderbens gesandt" WaS Wunder also, daß er endlich doch einem unterliegen mußtet — weravlglia äuuque elie üualmeute pur soZZiaeere äovette So würde sich ein Leichenredner § ausdrücken, sagte der Fuchs; rosi ' si v-läsreri-orotore ' osxrimerebdo äisse volxo der trockene Geschichtschreiber aber würde hinzusetzen: Die zwei- sr!6o storiograko xoi sggiungerebbo hundert Feinde, über die er nach und nach triumphiret b, waren 80pra i quall erano Schafe und Esel; und der eine Feind, dem er unterlagt, war peeore asiui uemleo a eui soZgiaeque der erste Stier, den er anzufallen sich erkühnte. prlmo loro elie ä! assalire 8i arrlsoliiü 1 -> xooo Ä xoco; 2 senden; F müssen; 4 orstor fnnekre: 8 Fr hat, ds; 6 unterliegen. IV. Die Eiche und das Schwein, yuereia e poreo Ein gefräßiges Schwein mästete sich unter einer hohen Eiche voraee ivZrasssva si sotto «lta mit der herabgefallenen Frucht. Indem eS die eine Eichel zerbiß ', eon xiü cLällto kroUo meiNre esso gllisvä» sxerMV» 3 verschluckte es bereits eine andere mit dem Auge. — Undankbares ingojnvs orsmd sitrs ocevio ingrnto Bieh! rief^ endlich der Eichbaum herab. Du nährest dich von nnimsle ZridL tinslmente guereis ßiü tu mitri ti ck» meinen Fruchten, ohne einen einzigen dankbaren Blick auf mich miei krutti 86N2L unieo grato 8guuräo 8U me in die Hohe zu richten! — Das Schwein hielt einen Augenblick iv rrlto 6i äiriZere tenve momentu inne^, und grunzte zur Antwort: Meine dankbaren Blicke dentro gruZni per rispoztu Zrnti sgusrdi sollten nicht ausbleiben^, wenn ich nur^ wüßtet daß du deine äovrebero von kuori i'68t3re 86 io pur 8ap688i elie tue Eicheln meinetwegen hättest fallen lassen?, zkisnde schießen. VII Der Sperling und der Strauß. pÄ886ro 8trurro Sei auf deine Größe, aus deine Stärke so stolz' als du 8ii 8U tus ßranderra korra eo8i 8uperbo eke tu willst^, spracht der Sperling zu dem Strauße. Ich bin doch vuoi parlü u io souo perü mehr ein Vogel als du- Denn du kannstnicht fliegen; ich aber piü ucosllo olie poickö puoi uou volare poi fliege, obgleich nicht hoch, obgleich nur ruckweise. — Der leichte volo 86bb6U6 alto soltauto a 8piute kaeile Dichter eines fröhlichen Trinkliedes, eines kleinen verliebten poeta giojogo ditirarabo pioeolo iunamorsto Gesanges, ist mehr ein Genie, als der schwunglose Schreiber einer eanto L ßeuio di 8lsneio privo 8erittore langen Hcrmaniade. lunßa Lrmsmade 1 auf etwa6 stolz sein, anäare suxerdo äi e.; 2 wollen; 3 sprechen,- 4 können; 3 xooma 8p>ico äi L. o. Skünaicli, mau- osnto tli kuon gusko s äi slsnoio piostico. VIII, Die Eule und der Schatzgräber, oivotta «avalosoro Jener Schatzgräber war ein sehr unbilliger Mann. Er wagte üuel era sssai inlliscreto uomo cgli arriscliiü s sich in die Ruinen eines alten Raubschlosscs, und ward da gewahr', §! rovine rintieo äi rapiua ea8tello äi venne iv! aoeorto daß die Eule eine magere MauS ergrifft und verzehrte. Schickt e!ie magro 8oreio skferro inaugiö eouvieri sich das, spracht er, für den philosophischen Liebling — si eiü äi§86 per üio8oüeo kavorito äi Ninerva Warum nicht? versetzte die Eule. Weil ich stille Betrachtungen peredö non r!pre86 perekö io 8i1eu2io86 lueäituLioui liebe, kann^ ich dcßwegen von der Luft leben? Ich weiß zwar smo PO880 pererö äa aria vivere 80 invero wohl, daß ihr Menschen eS von euren Gelehrten verlanget, bene, vire voi somilli Io vvstri 6otti pretvlläete 1 gewahr werden, seearAki-si; 2 ergreifen; 3 sprechen; 4 kön¬ nen; 8 wissen. IX. Die Pfauen und die Krähe, pavoni eoruaoelöu Eine stolze Krähe schmückte sich mit den ausgefallenen Federn 8uperbsl orno 8i eon kuori eaäute penne der farbigen Pfauen, und mischte sich kühn, als sie genug evloriti misvki- sräitgiuvirte »Ilvrcils ess» »bbsstsor, geschmückt zu sein glaubte, unter diese glänzenden Bogel der orvata äi e88ere ereäeva kra yue8ti ri8plenäenti ueeelli Juno. Sie ward erkannt', und schnell fielen" die Pfauen mit Kiunone ku rioono8eiuta 8uditaivent6 enääero scharfen Schnäbeln auf sie, ihr den betrügerischen Putz aus- svuti beveki so ess»,» lei krsuaoleirto vrll»mento per zureißen. — Lasset nach! schrie sie endlich; ihr habt nun alle daS istrsxpsre eesssie j-ri aneara veri meine Brüder-ihr werdet eS mir nicht glauben, und doch krateUi * * ereäerete pure habe ich es mit meinen Augen gesehen — die auch einen Löwen eon oeoki veäuto anede nicht fürchten, und kühn mit ihm anbinden. Aber, fragte den temano arilitsmente si arrnllan« ma 6im»näü Pudel ein gesetzter Jagdhund, überwinden sie ihn den» auch, pO83to 6a eaeeia eaue vineouo poi den Löwen? — Ueberwinden? war die Antwort. Das kann^ ich risposts posso NUN eben nicht sagen. Gleichwohl, bedenke nur, einen Löwen ors sppuuto uouäimeno rille tti pure anzufallen! — O, fuhr^ der Jagdhund fort, wenn sie ihn nicht »ssalire cantlauö se s überwinden, so sind deine gepriesenen 5 Hunde in Indien — besser oosi essitsti Migliori als wir, so Viel wie nichts —aber ein gut Thcil dummer, cd« timto ooms niente du»»» psrte piü soioccki 1 ciie nvavs visggisto; 2 geben (es gibt, ktavvi); 3 können; 4 fortfahren; 3 preisen. xv. Die junge Schwalbe. ginvine rolläine Was macht ihr da? fragte eine Schwalbe die geschäftigen t!ke kste qui äimsuckö sikseoen6ste Ameisen. Wir sammeln Vorrath auf den Winter, war die kormicke rsecogiismo provvigione per inverno geschwinde Antwort. — DaS ist klug, sagte die Schwalbe; daS sollecit» rispost» pruüento Uisse will'ich auch thun- Und sogleich fing^ sie an, eine Menge todter voZIio pure kure tv8to eomineiü qnÄQtttä äi Wort! Spinnen und Fliegen in ihr Nest zu tragen. — Aber wozu soll rsgni mosclie »ick» s xortsro ms s olie rsceogli pur snciio haben mich diese Vorsicht gelehrt. » — O laß den irdischen preeaurione in8egnato Ia8eia terreue Ameisen diese kleine Klugheit, versetzte die Alte; waS sich für pieeola pruöenra r!pre86 veeeliis per sie schickt, schickt sich nicht für bessere Schwalben. Uns hat die eouviene mißljorl gütige Natur ein holderes Schicksal bestimmt. Wenn der reiche demgnu p!ü propiria 8orte 6e8tivsto quanäo r!ees Sommer sich endet, ziehen wir von hinnen; auf dieser Reise eststo linisee psrtiamo 6a qui in vlsggio entschlafen wir allgemach, und da empfangen uns warme Sümpfe, L880nniamo A poeo a P060 »Nora aeeolzono ealäe paluä! wo wir ohne Bedürfnisse rasten, bis uns ein neuer Frühling 6ove senia bisogni riposlsmo lineiiL nuovs primsvee» zu einem neuen Leben erwecket. » vits äests 1 wollen,- 2 anfangen. 10 XVI. Der Löwe lind der Tiger, leone tigre Der Löwe und der Hase, beide schlafen mit offenen Augen. Und lepre ambiäue äormono von »perti oeoki so schlief jener, ermüdet von der gewaltigen Jagd, einst vordem 008i äormiva 8t»ll60 violent» eneeia UN Ziorno »vanti Eingänge seiner fürchterlichen Höhle. — Da sprang' ein Tiger iozresso terridile ton» »Ilors soltü vorbei, und lachte dcS leichten Schlummers. -° Der nichtsfürchtende äsVLNti riso leggiero sonnaociiisre null» towonte Löwe! rief" er. Schlaft er nicht mit offenen Augen, natürlich wie 8el»inü äorme uaturalinente eowe der Hase! » — Wie der Hase? brüllte der aufspringende Löwe, und rußßi 8u dulrante war dem Spötter an der Gurgel. Der Tiger walzte sich in seinem bokernitore a Zola voltolü Blute, und der beruhigte Sieger legte sich wieder, zu schlafen. 8snßue tranquiilsto vineitore eorieü äi nuovo a Vorbeispringen, x3883r SÄltellone; 2 rufen. XVII. Das Schaf und die Schwalbe, xooors ronäino Cine Schwalbe siog' auf ein Schaf, ihm ein wenig Wolle für volü 80pr» P060 laus ihr Nest auSzurupfen. DaS Schaf sprang" unwillig hin und niäo per i8irappare 8»itava 8äegno8a lä wieder -^. Wie bist du denn nur gegen mich so karg? sagte die 6i nuovo 60M6 POL 8oltanto V6I-8O 008L 8pilorei» cii886 Schwalbe. Dem Hirten erlaubest du, daß er dich deiner Wolle über xostvro pormetti elio soxis und über entblößen darf^, und mir verweigerst du eine kleine e 8opr» äenuäare puo niegk! pieeolo Flocke. Woher kommt da§? — DaS kommt daher, antwortete liocon 886 veä! nna volta hochmüthig und trotzig dein Hahn einhertritt! 4 Und doch sagen orgoßUoso «rrogsste gsllo ioooile pure 6icvso die Menschen nicht: der stolze Hahn; sondern nur immer: der stolze uvmisi nnn ssperdo ms soltsoto sempre Pfau. — Das macht, sagte die Henne, weil der Mensch einen ka äi886 xereliö gegründeten Stolz übersteht^. Der Hahn ist aufseine Wachsamkeit, kovZsta 8uperdia tra8suäa 8a viZilanLa auf seine Mannheit stolz6,- aber worauf du? — Auf Farben und virilitL ms su oke colori Federn. piume 4 sprechen; 2 sehen; 3 un poco; 4 cinhertreten; 3 übersehen, non sdbsäsrc s <^. c.; 6 auf etwas stolz sein, ^snäsro superdo äi c. xxi. Zeus und das Pferd. kiiove csvsllo Vater der Thiere und Menschen, so sprach daS Pferd, und ssimsli uommi nahte sich dem Throne des ZeuS, man will, ich sei eines der avvicinü trono schönsten Geschöpfe, womit du die Welt gezieret', und meine ereature eoa eui monäo ornato Eigenliebe heißt mich cS glauben. Aber sollte gleichwohl nicht proprio smore oräins creäere nuIIMmeno 15 noch Verschiedenes an mir zu bessern sein?^— Und waS meinü v-uie eose miZUorsre opilli du denn, daß an dir zu bessern sei? Rede; ich nehme Lehre an, üunque Paris aeeetts istrurwlle sprach der gute Gott, und lächelte- — Vielleicht, sprach daS Pferd weiter, wurde ich flüchtiger sein, wenn meine Beine höher oltre * piü veloee * ßsmde xiü alte und schmächtiger wären; ein langer Schwanenhals würde mich xiü sottili 6i eizoo e»I1o ' nicht verstellen; eine breitere Brust würde meine Stärke vermehren; * 8ÜZur6i'evb6 PIÜ Isi-Zo xeUo * forrz * aumenterevbe und da du mich doch einmal bestimmt hast, deinen Liebling, den siccome pure äestill-Uo prediletta Menschen, zu tragen, so könnte mir ja wohl der Sattel ancrschaffen xortsre sei!» oollgellits sein, den mir der wohlthätige Reiter auflegt. — Gut, versetzte deiwLeo esvsliere sovrspxone ZeuS; gedulde dich einen Augenblick! ZeuS mit ernstem Gesichte, psrients Moments seris vslto sprach das Wort der Schöpfung. Da quoll^ Leben in den Staub; parsls eresLisne allsra beorse Vita polvero da verband^ sich organisirter Stoff; und plötzlich stand vor dem eolleßü msteri» 61 rcpeote stette svsllti Throne —das häßliche Kameel. —DaS Pferd sah, schauderte und äiüorme eammeHs inorriä! zitterte vor entsetzendem Abscheu. — Hier sind höhere und schwäch- tremü ä! spavevtsnte ridrsLrs yu! tigere Beine, sprach Zeus; hier ist ein langer Schwanenhals; hier ist eine breitere Brust; hier ist der anerschaffene Sattel! Willst du, Pferd, daß ich dich so umbilden soll? — DaS Pferd zitterte traskormare noch. — Geh, fuhr ZeuS fort^, dieieSmal sei belehrt, ohne eovtlmiö kg oreäers; 3 pure, non ei ssrsbbero vsris coss in ins äs correggsrs; 4 quellen; 8 ver¬ binden; 6 fortfahren; 7 äi rpisnäo in gusrräo; 8 con penti- inonto; 9 fortdauern, continusr sä esiüters; 10 werfen. xxii. Zeus und das Schaf. 6iove pecors DaS Schaf mußte von allen Thieren Vieles leiden. Da trat * üoveva animali molto 80Ürlre aUora eomparve es vor den ZeuS, und bat^, sein Elend zu mindern. — Zeus innanrü pregö 8oiagura äiminuire schien b willig und sprach zu dem Schafe: Ich sehe wohl, mein sembrü volontero8o frommes Geschöpf, ich habe dich allzu wehrlos erschaffen. Nun pia ereatura pur troppo Inerme ereata ora wähle, wie ich diesem Fehler am besten abhelfen soll- Soll ich deinen Mund mit schrecklichen Zähnen, und deine Fuße mit doeea terridil! äenti pieüi Krallen nisten? — O nein, sagte daß Schaf; ich will nichts mit artlßli munire den reißenden Thieren gemein haben- —Oder, fuhr^ Zeusfort, rapaei eomune pro86gui soll ich Gift in deinen Speichel legen? — Ach, versetzte das Schaf, veleno 8aUva porre die giftigen Schlangen werden ja so sehr gehastet. — Nun, waS ve1eno8i 8erpenti pur eotanto oäiati ebdene soll ich denn? Ich will Hörner auf deine Stirne pstanzen, und aäumlus eorna krönte plantare Stärke deinem Nacken geben. — Auch nicht, gütiger Vater, ich korra nuea neppure könnte leicht so stößig^ werden, als der Bock. —-Und gleichwohl, fileilmente corrsnte becco nuUs6inieso sprach ZeuS, mußt du selbst schaden können, wenn sich Andere, äevi vuoeere 18 dir zu schaden, hüten sollen.—Mußt' ich das! seufzte das Schaf, guaräare 808pirü O, so laß mich, gütiger Vater, wie ich bin- Denn da§ Vermögen kreoNa schaden zu können, erweckt, fürchte ich, die Luff, schaden zu Nest» temo pisoere wollen; und es ig besser Unrecht leiden, als Unrecht thum — torto ZcuS segnete da§ fromme Schaf, und eS vergaß § von beueclisse Mmeutieb ' Stund' an, zu klagen. ora In xoi Ingnar (8i) 1 treten/ 2 bitten; 3 scheinen; 4 fortfahren; 3 xroclive sl corro; 6 vergessen. XXIII. Die Z iegen. C3pr6 Die Ziegen baten' Zeus, auch ihnen Hörner zu geben; denn pregarono eornn Anfangs hatten die Ziegen keine Hörner. — Ueberlcgt es wohl, <>» priueipio riSettete wa§ ihr bittet, sagte Zeus. Es ist mit dem Geschenke der Hörner clono ein anderes unzertrennlich verbunden, das euch so angenehm nicht !v86p3i'abilm6nt6 umto Zrato sein möchtet —Doch die Ziegen beharrten auf ihrer Bitte, und xotrebbe pure iusistevsno xregkier» ZeuS sprach: So habet denn Hörner! — Und die Ziegen bekamen - äuuque ricovetlero Hörner — und Bart! Denn Anfangs hatten die Ziegen auch burbs poiobö keinen Bart. O wie schmerzte sie der häßliche Bart! Weit mehr, atüiMva äissorme piü alS sie die stolzen Hörner erfreuten. superbe ruNegrsvano I bitten; 2 mögen (cds non ssrsdde pur riuscirvi SI Ai-Lw); 3 bekommen. iS XXIV. Der Besitzer des Bogens. xo88688vre «reo Ein Mann hatte einen vortrefflichen Bogen von Ebenholz, mit uomo eeeelleate 6i edavo dem er sehr weit und sehr sicher schoß , und den er ungemein lovtsllo 8i6uro tirava 80mmamente wcrth hielte Einst aber, als er ihn aufmerksam betrachtete, coro tonov» un gioruo porü »tlentnmonle oontemxlsv» sprach er: Ein wenig zu plump bist du doch! Alle deine Zierde ist troppo mnssiceio pure ornsmonto die Glatte. Schade!^ —Doch dem ist abzuhelfen, siel ihm ein t!86622a äaimo a eiö 6a rimeäiare eaääe Zli 6entro Ich will hingehen und den besten Künstler Bilder in den Bogen smisre srtists immsgini schnitzen lassen. — Er ging hin, und der Künstler schnitzte eine intsziiare ksre »mit, vi ganze Jagd auf den Bogen; und waS hatte sich besser auf einen eaeeia. Bogen geschickt als eine Jagd? — Der Mann war voll Freuden, eonvenuto ßiHs Du Verdienst diese Zierrathen, mein lieber Bogen! — Indem will moriti krogi osro intonto er ihn Versuchen; er spannt, und der Bogen — zerbricht^. xrovare 8i 8perra I schießen; 2 halten; 3 xsccato; 4 einfallen, venir in meins; 8 zerbrechen. xxv- Der junge und der alte Hirsch. ßioviue veeekio eervo Ein Hirsch, den die gütige Natur Jahrhunderte hatte leben lassen i, sagte einst zu einem seiner Enkel: Ich kann mich der nipoti Zeit noch sehr wohl erinnern, da der Mensch das donnernde tempo ricorcksre ove tonsnte Feuerrohr noch nicht erfunden hatte. — Welche glückliche Zeit 6a kuoeo eavna ritrovato muß das für unser Geschlecht gewesen sein! seufzte der Enkel--Du rarrs rospirL 17 schließest zu geschwind! sagte der alte Hirsch. Die Zeit war anders, eonoviuäz troppo presto ittvriv8o !mpetrato 6ono zu ichicken noch fortfährt? Der Rabe erstaunte, und freute manckare continua stupi rollezi-o sich innig, für einen Adler gehalten zu werden. Ich muß, intimomcnte temUo dachte' er, den Fuchs aus diesem Jrrthume nicht bringen. — pensü g» orroi-e «i-oi-re Großmüthig dumm ließ» er ihm allo seinen Raub herabfallen, Zenervssmente 86w66o Ia8e!ü preä» giü ea6ere 18 und flogy stolz davon. Der Fuchs fing'° das Fleisch lachend auf, volö 8uperbo vir pre8e riüeQäo und fraß " eS mit boshafter Freude. Doch bald verkehrte sich die üivvrü m-Uign-l giojs converti Freude in ein schmerzhaftes Gefühl; das Gift fing'2 an zu äoloro8a 86N8ÄLiou6 velevo eomineiü wirken, und er verreckte. —Möchtet ihr euch nie etwas anderes vxersre erepo pote8t6 alS Gift erloben, verdammte Schmeichler! L6(jui8tsr loäsnäo maleäett! Läulator! 1 forttragen; 2 hinwcrfen; 3 herbeischleichen; 4zurufcn; 8 mi¬ schen; 6 fortfahren; 7 denken; 8 lassen; 9 davonflicgen; 10 auf¬ fangen, xielläsre s volo; 11 fressen; 12 anfangcn; 13 mögen. XXVII. Der Geizige, avar» Ich Unglücklicher! klagte ein Geizhals seinem Nachbar. Man inkeUee Isgirö (8i) avsraeelo vieino hat mir den Schatz, den ich in meinem Garten vergraben hatte, t68oro Zisräino 8otterrilto diese Nacht entwendet, und einen verdammten Stein an dessen iistte iilvolsto mslailetta pietr« Stelle gelegt. — Du würdest, antwortete ihm der Nachbar, luoZO PO8t0 deinen Schatz doch nicht genutzt haben. Bilde' dir also ein, aäoxerato immaßina der Stein sei dein Schatz, und du bist nichts armer- — Ware piü povero ich auch schon nichts armer, erwiedcrte der Geizhals, ist ein Anderer nicht um so viel reicher? Ein Anderer um so viel per tanto xiü rieeo reicher! Ich möchte rasend werden. kreiielioo 1 sich einbilden; 2 mögen (ich möchte rasend werden, io 6»rei »eile Iurie.) 19 XXVIII. Der Rangstreit der T-Hiere, ä! ranßo eont68a anlmali in vier Fabeln. -r. CS entstand' ein hitziger Rangstreit unter den Lhiercn. in8vrse ealorosa kra Ihn zu schlichten, sprach daS Pferd, lasset unS den Menschen zu eomxorre eavallo a Rathe ziehen"; er ist keiner von den streitenden Lheilcn, und 6on8iZl!o trarre eontenäenti psrti kann desto unparteiischer sein. — Aber hat er auch den Verstand tanto piü imparriale intenälmento dazu? ließ ßch ein Maulwurfhören. Er braucht wirklich den tt e!o keee talpa uäire abdi8ogv» renlmente allerfeinsten, unsere ost tief versteckten Vollkommenheiten zu erkennen.—DaS war sehr weislich erinnert! sprach der Hamster. rioono8eere 83gßinm6nt6 rleoräato erieeto Ja wohl! ricf^ auch der Igel- Ich glaube cS nimmermehr, daß -selmno rieeio ereäo mni piü der Mensch Scharfstchtigkeit genug besttzet. — Schweigt ihr! befahl daS Pferd. Wir wissen eS schon; wer sich auf die Güte IMP086 ßiä doni« seiner Sache am wenigsten zu verlassen hat, ist immer am 63U8L il meno a L6ur8i jl fertigsten, die Einsicht seines Richters in Zweifel zu ziehen, piü prouto penelrsrione ßiuüice üuvbio trsrre Der Mensch ward Richter. — Noch ein Wort, rief ihm xsrol» der majestätische Löwe zu, bevor du den AuSspruch thust!^' Nach ms68to8v leone primseke 6eei8!one kai 8eeonüo welcher Regel, Mensch, willst du unfern Werth bestimmen? — regols vslore üelerwivsre Nach welcher Regel? Nach dem Grade, ohne Zweifel, antwortete zrsüo der Mensch, in welchem ihr mir mehr oder weniger nützlich seid- — piü meno utili Vortrefflich! versetzte der beleidigte Löwe- Wie weit würde ich ekreziamcllle oüv->o lungi 20 alsdann unter den Clel zn stehen kommen! Du kannst unser »Ilors ssma s slsre Richter nicht sein, Mensch! Verlaß die Versammlung. abbanäoua aäunonra o. Der Mensch entfernte sich. — Nun, sprach der höhnische aUontanö beüaräo Maulwurf (und ihm stimmten der Hamster und der Igel wieder «88entiroii0 bei) stehst du, Pferd, der Löwe meint es auch, daß der Mensch opino unser Richter nicht sein kann. Der Löwe denkt, wie wir. — P6N8O Aber aus bessern Gründen, als ihr! sagte der Löwe, und warf? per motivi ßetto ihnen einen verächtlichen Blick zu. äisprerrsnte «gusrcko et. Der Löwe fuhr« weiter fort. Der Rangstreit, wenn ich es oontinuü oltre recht überlege, ist ein nichtswürdiger Streit. Haltet mich für den bene riüetto inäegna tonete Vornehmsten, oder für den Geringsten, es giltd mir gleichviel- ilpiüroßßuoräevole il piü obdietto vole eguolmente molto Genug, ich kenne mich! —Und so ging'° er auS der Versamm- eoiiosco snckü lung. — Ihm folgte der weise Clephant, der kühne Tiger, der sogui ssgzio «räit-i ernsthafte Bär, der kluge Fuchs, das edle Pferd, kurz'' alle, die ihren Werth fühlten, oder zu fühlen glaubten. — Die stch pregio sentivono ereäevono am letzten wegbegabenund über die zerrisseneVersammlung II piü tsräi viil reesrono Isovrilts am meisten murreten, waren — der Affe und der Esel. il piü mornwrsvsno scimis 1 entstehen; 2 zu Rathe ziehen, cvnsultars; 3 lassen; 4 ru¬ fen; 8 befehlen; 6 den Ausspruch thun, pronuociare la sen- tenrs; 7 zuwerfen; 8 fortfahren; 9 gelten; cs gilt mir gleich¬ viel, mi 6 tritt'uno; 40 gehen, 44 in sonnna; 42 stch weg¬ begebe»; 43 zerreißen, Irrearsre, -ll! sciogliere. 21 XXIX. Der Fuchs. >olxe Ein verfolgter Fuchs rettete sich auf eine Mauer. Um auf in86ßuita salvo onde der andern Seite gut herab zu kommen, ergriff' er einen nahen psrte sllerrü vieiiw Dornsirauch. Er ließ" sich auch glücklich daran nieder, nur daß spineto lasoiö keUeemevte Ziü 8vlo ihn die Dornen schmerzlich verwundeten. Elende Helfer, rief^ spine doiorossmente kerirono miseradili ajutatori seiamv der Fuchs, die nicht helfen können, ohne zugleich zu schaden. -glltiire insieme nuooere 1 ergreifen; 2 sich niederlassen; 5 rufen- Gespräch zwischen dem Lehrer und dem Schüler Vialogo tra msestro seolsre über diese Fabel. L. Wer rettete sich? — Sch. Ein verfolgter Fuchs rettete ßch. — L- Wohin rettete sich ein verfolgter Fuchs? — Sch. Auf eine Mauer. — L. Was ergriff er? Sch. Er ergriff einen nahen Dornsirauch. — L. Warum ergriff er einen nahen Dorn- sirauch? — Sch. Um ans der andern Seite gut herabzukom¬ men. — L. Ließ er sich auch glücklich daran nieder? — Sch. Ja, er ließ sich auch glücklich daran nieder? — L. Doch wer ver¬ wundete ihn schmerzlich? — Sch. Die Dornen verwundeten ihn schmerzlich. — L- Wie rief hierbei der Fuchs? — Sch. Der Fuchs rief: Elende Helfer, die nicht helfen können, ohne zugleich i» schaden. 22 Zweites Kapitel. Erzählungen. I- Der Weinberg. (Bon CH. Schmid). Ein Vater sagte kurz vor seinem Tode zu seinen drei Söhnen: -- Liebe Kinder! Ich kann' Euch nichts zurücklassen, alS diese un¬ sere Hütte und den Weinberg daran. In dem Weinberg aber liegt ein verborgener" Schatz- Grabt^ nur fleißig nach, so werdet Ihr ihn finden. » Nach dem Tode dcS VaterS gruben"' die Söhne den ganzen Weinberg mit dem größten Fleiße um — und fanden weder Gold noch Silber. Weil sie aber den Weinberg noch nie so fleißig bearbeitet hatten, so brachte^ er eine solche Menge Traub«» hervor, daß fie darüber erstaunten. Jetzt erst fiel? den Söhnen ein, was ihr seliger Vater mit dem Schatze gemeint habe, und sie schrieben an die Thüre deS Wein¬ berges mit großen Buchstaben: Die rechte Goldgrub' ist der Fleiß — Für den, der ihn zu üben wcißv. II. DaS Portrat. (Von CH. Schmid). Vor vielen hundert Jahren starb'° in einer großen Stadt ein Kaufmann, der ein ansehnliches Vermögen hinterließ''. Man wußte'" zwar, daß er einen einzigen Sohn habe, der sich auf Reisen befandallein Niemand in der Stadt kannte'"» den Sohn von Angesicht. 1 können, s>ot6L-s; 2 verbergen, nascov-lare; 3 nachgraben, soa- vsi-s; 4 umgraben, i-ivoltsi-e; 8 finden, trovsrs; 6 hervorbringen, xroäurra; 7 einfallcn, venir in insute; 8 schreiben, »criver-e; 9 wissen, ssxsra; 10 sterben, morwe; 11 hinterlassen, igsoiare; 12 wissen, ssxere; 13 sich befinden, wvvsrsi; 14 kennen, ooooscere. 23 Nach einiger Zeit kamen' drei Jünglinge in der Stadt an, und jeder behauptete, daß er der einzige Sohn und rechtmäßige Erbe sei. Der Richter ließ^ ein wohl getroffenes Bildniß des Vaters bringen, und spracht «Wer von Euch dreien das Zeichen, das ich hier auf der Brust des Bildes mache, mit einem Pfeile treffen kann, dessen soll die Erbschaft sein. » Der Erste schoßt und traf sehr nahe; der Zweite noch näher; der Dritte aber fing^, indem er zielte, zu zittern an, erblaßte, brach? in Thränen aus, warfb Pfeil und Bogen zur Erde, und rief^: Nein, ich kann nicht schießen; ich will lieber die ganze Erbschaft verlieren! -- Nun sprach der Richter zu ihm- <> Edler Jüngling, Du bist der wahre Sohn nnd der rechte Erbe; die andern zwei, die so gut geschossen, sind es nicht, denn ein echter Sohn kann daS Herz seines VaterS auch nicht einmal im Bilde mit einem Pfeile durchbohren. -> Ein Kind muß'° seine Aeltcrn lieben, Und ste um AlleS nicht betrüben. III. Die drei Räuber. (Von CH. Schmid.) Drei Räuber mordeten und plünderten einen Kaufmann, der mit einer Menge Gold und Kostbarkeiten durch einen Wald reifete Sie brachten" die geraubten Schätze in ihre Hohle,und schickten den jüngsten aus ihnen in die Stadt, Lebensmittel cinzukaufen. Als er fort war, sprachen die zwei zu einander: « Was sollen wir diese großen Reichthümcr mit diesem Burschen theilen?Wenn er zurückkommt, wollen wir ihn erstechen, so fällt" sein Anthei! uns zu. <- Der junge Näubcr aber dachte 'Z unterwegs: » Wie glücklich wäre ich, wenn alle diese Schätze mein wären! Ich will meine zwei Gefährten vergiften, so bleibt der Reichthum mir allein. » Er 1 ankommcn, Aiun^ere; 2 lassen, fgrs; 3 wolto soiniAlisnte: 4 sprechen, clire; s schießen, iirsre; 6 anfangen, cominoisre; 7 ausbreche», proroinpere; 8 werfen, Aettsre; s rufen, escls- msre; IO müssen, äovere; II bringen, reosre; 12 zufallen, roccsie, csäere in sorte; 13 denken, pensare. 24 kaufte ? in der Stadt Lebensmittel ein, that^ Gift in den Wein, und kehrte damit zurück. Als er in die Hohle tcat^, sprangen 4 die andern auf ihn zu, stießenb ihm ihre Dolche in das Herz, daß er todt zu Boden fiel^. Hierauf fetzten sie sich hin, aßen? — tranken^ den vergif¬ teten Wein — und starbenunter den schrecklichsten Schmerzen. Rings von aufgehäuften Schätzen umgeben, fand man sie todt. Gott läßt die Bolen hier auf Erden Oft ihre eignen Henker werden. IV. Die sieben Stäbe. (Bon CH. Schmid). Ein Bauer hatte sieben Sohne, die öfter mit einander uneins waren. Ueber dein Zanken und Streiten versäumten sie die Ar¬ beit. Ja, einige böse Menschen machten sich diese Uneinigkeit zu Nutzen, und trachteten, die Söhne nach dem Tode des BaterS um ihr väterliches Crbthcil zu bringen. Da ließ'° der Vater eines Tages alle sieben Söhne zusammen kommen, legte" ihnen sieben Stäbe vor, die fest zusammen ge¬ bunden waren, und sagte: « Dem, der dieses Bündel Stäbe äbbricbt'b, zahle ich hundert große Thaler baar. » Einer nach dem andern strengte^ lange alle seine Kräfte an, und jeder sagte am Ende: -- CS ist gar nicht möglich. » - Und doch sagte der Vater, «ist nichts leichter! -> Erlöste das Bündel auf, und zerbrach einen Stab nach dem andern mit geringer Mühe. « Ei, » riefen'6 die Söhne, -- so ist cs freilich leicht, so könnte es ein kleiner Knabe! „ Der Vater sprach » Wie cs mit diesen Stäben ist, so ist cs mit 4 einkaufen, compeeaee, z,eovveäei-6 ; 2 thun, meltere; 3 treten, snliare; 4 zuspringcn, avventaesi, sesgliarsi; 3 stoßen, iwmerKere; 6 fallen, c»stere; 7 eisen, mangiaes; 8 trinken, bere : s sterben, moeire; 40 lasten, fore; 44 Vorleger!, mettere inllrniri; 42 binden, leZsi-s; 43 abbrechen, sperrsl-e; 44 alle seine Kräfte anstrcngen, ssre ogni slorro, imxiegru-e tritt« le sue lor-re; 48 zerbrechen, rompere; 46 rufen, äire, esclamsre; 47 spre¬ chen, äire. 28 Euch, meine Söhne! So lange Ihr fest zusammen haltet, werdet Ihr bestehen, und niemand wird Euch überwältigen könne». Bleibt aber das Band der Eintracht, daS Euch verbinden sollte, aufgc-- löset, so wird es Euch gehen, wie den Stäbe», die hier zerbro¬ chen auf dem Boden umher liegen. » DaS Haus, wo Zwietracht herrscht, zerfällt Nur Einigkeit erhält die Welt. V. Die Hirtenflöte. (Von CH. Schmid.) Ein König hatte einen Schatzmeister, der sich vom Hirtenstabe zu diesem wichtigen Amte aufgeschwungen hatte. Der Schatz¬ meister wurde aber bei dem Könige verklagt, daß er die königlichen Schätze veruntreue und die geraubten Gelder und Kostbarkeiten in einem eigenen Gewölbe mit einer eisernen Thüre aufbewahrc- Der König besuchte den Schatzmeister, besaht dessen Pallast, kam^ an die eiserne Thüre und befahl ste zu öffnen. Als der König nun hineintrac?, war er nicht wenig erstaunt. Er sah nichts, alS vier leere Wände, einen ländlichen Tisch und einen Strohseffcl. Auf dem Tische lag^ eine Hirtensiöte, nebst einem Hirtenstabe und einer Hirtentasche. Durch daS Fenster sah man auf grüne Wiesen und waldige Berge. Der Schatzmeister aber sprach: » In meiner Jugend hütete ich die Schafe. Du, o König, zogst mich an deinen Hof. Hier in diesem Gewölbe brachte'° ich nun täglich eine Stunde zu, erinnerte mich mit Freuden meines vorigen Standes, und wiederholte die Lieder, die ich ehemals bei meinen Schafen zum Lobe deS Schöpfers gelungen " hatte. Ach, laß mich wieder zurückkehren auf meine väterlichen Fluren, wo ich glücklicher war, alS an deinem Hofe! » Der König ward über die Verläumder sehr unwillig, umarmte den edlen Mann und bat^ ihn, ferner in seinen Diensten zu bleiben. Ein ruhigeS Herz, nicht Gold und Pracht, Ist ' S, waS uns Menschen glücklich macht. 1 zerfallen, rovinare; 2 erhalten, eonservsre; 3 sich aufschwin- gcn, elevarsi, innslrsrsi; 4 besehen, osservare, visiwre; 8 kom¬ men, venire, giungere; 6 befehle», oräinsre; 7 hineintrctcn, eotrare; 8 liege», giücers; 9 ziehe», trsrre; 40 zubringc», Im¬ ages; 14 singe», esntare; 42 bitten, prexare. 26 V!. Der Pilger. (Von CH. Schmid.) In einem schönen Schlosse, von dem schon langst kein Stein auf dem andern geblieben ist, lebte einst ein sehr reicher Ritter. Er verwandte - sehr viel Geld darauf, sein Schloß recht prächtig auszuzieren, den Armen thac er aber wenig GuteS- Da kam nun einmal ein armer Pilger in daS Schloß, und bat um Nachtherberge. Der Ritter wieS^ ihn trotzig ab, und sprach: « Dieses Schloß ist kein Gasthaus. » Der Pilger sagte: « Erlaubt mir nur drei Fragen, so will ich wieder gehen. » Der Ritter sprach: « Auf diese Bedingung hin mögt Ihr immer fragen. Ich will Euch gerne antworten. -- Der Pilger fragte ihn nun: » Wer wohnte doch wohl vor Euch in diesem Schlosse?»—»Mein Vater! » sprach der Ritter. Der Pilger fragte weiter: » Wer wohnte vor Eurem Vater da? » » Mein Großvater! » antwortete der Ritter- » Und wer wird wohl nach Euch darin wohnen? » fragte der Pilger weiter. Der Ritter sagte: » So Gott will^, mein Sohn. » » Nun, » sprach der Pilger, » wenn Jeder nur seine Zeit in diesem Schlosse wohnet, und immer einer dem andern Platz macht — waS seid Ihr denn anders hier, alS Gäste? Dieses Schloß ist alw wirklich ein Gasthaus. Verwendet daher nicht so viel, dieses Haus so prächtig auSzuschmücken, daS Euch nur kurze Zeit beherberget. Tchut lieber den Armen GuccS, so bauet Ihr Euch eine bleibende Wohnung im Himmel. » Der Ritter nahm diese Worte zu Herzen, behielt? den Pilger über Nacht, und wurde von dieser Zeit an wohlthätiger gegen die Armen. Die Herrlichkeit der Welt vergeht, Nur was wir Gutes thun, besteht. 1 bleiben, riinauera; 2 verwenden, impieZarv; 3 thun, lsre; 4 abweisen, resxingere; 8 wollen, vulere; 6 nehmen, xrenäere; 7 behalten, riteuera. 27 vn. Der Negersohn. (Von W. Stern.) Ein Neger, der in den dänischen Besitzungen an der Küste Afrika' 6 wohnte, war durch Unglücksfälle in schwere Schulden gerathen, und sah, da er von dem Gläubiger gedrängt ward, kein Mittel, sie zu bezahlen. » Ich habe nichts weiter, » sagte der unglückliche Mann, » alS meine Person. Willst du also , so verkaufe mich, wenn es dir beliebt. » Der hartherzige, erbitterte Gläubiger ergriff' ihn sogleich und verkaufte ihn. Darauf ward er mit mehreren Sclaven an einer gemeinschaftlichen Halskette, wie eS Sitte ist, eingeschmiedct und nach dem Strande geführt. Hier blieb er, bis daS Schiff, welches die Sclaven nach Westindie» bringen sollte, seine ganze Ladung eingenommen b hatte. Vor der Abfahrt aber kam ein junger Neger, von mehreren seiner Ver¬ wandten begleitet, zum Strande, und erklärte, daß er Willens sei, für einen der hier versammelten Neger einzutreten. Der dänische Arzt, der herbeigerufen 4 ward, und ihn untersucht hatte, erklärte, daß der Umtausch der Schade deS Sklavenhändlers nicht sei. Nun führte man den verlangten ältern Neger herbei. Welch ein Auftritt, alS der Sohn seinen Vater in den Ketten erblickte, ihm um den Hals fiel und Thronen der Freude weinte, daß er so glücklich sei, seinen Vater noch erlösen zu können! Die Kette ward geöffnet, der Vater befreit und der Sohn eingeschmiedet. Dieser war vollkommen ruhig und bat den Vater dringend, sich seinetwegen nicht im mindesten zu betrüben. Aber tief bewegt zeigte der dänische Arzt den merkwürdigen Vorfall dem dänischen Statthalter an, und dieser, von gleicher Menschenliebe durch¬ drungen 6, ließ? sogleich den befreiten Vater und die Verwandten vor sich kommen, redete cs mit ihnen ab, daß der Kaufpreis nach und nach abbezahlt werden könnte, ließ nun auch den wackern Sohn frei, und alle reisten vergnügt nach ihrer Heimath zurück. 1 ergreifen, »ilsriars; 2 bleiben, restars; 3 einnehmen, xren- äere, secogliere; 4 herbeirufen, diiainars; S fallen, csäer«, geltarsi: k durchdringen, penetrare; 7 lasten, larcisie, kure. 28 VIII. Der Hund von St. Bernhard. (Bon H. O. Lenz.) Ueber den qroßen St. Bernhard führt ein sehr betriebener' Bergpaß auS Wallis nach Italien. In dem öden hohen Felsenthale, von Bergen umschlossen -, die ewiger Schnee bedeckt, steht die höchste menschliche Wohnung in der alten Welt, daS Kloster deS heiligen Bernhard. Hier wohnen zehn bis zwölf fromme Mönche, deren einziges Geschäft cS ist, die Reisenden unentgeltlich zu bewirthen und ihnen alle Hülfe angedeihen zu lassen. In den acht oder neun Monaten des Jahrs, wo Schnee, Nebel, Ungewitter und Schneelawinen den Weg sehr gefährlich machen, streifen diese Geistlichen oder ihre Diener täglich umher, um Verirrte aufzusuchen oder Versunkene zu retten. Schon viele Jahre her bedienen sse stch zur Rettung der Verunglückten auch besonders abgerichteter, großer Hunde. Diese gehen entweder allein aus, oder werden von den Mönchen mitgenommen Sobald der Hund einen Verunglückten ausgewittert hat, kehrt er in pfeilschnellem Laufe zu seinem Herrn zurück und gibt durch Bellen, Wedeln und unruhige Sprünge seine gemachte Entdeckung kund. Dann wendet er um, immer zurücksehcnd, ob man ihm auch Nachfolge, und führt seinen Herrn nach der Stelle hin, wo der Verunglückte liegt. Ost hängt man diesen Hunden ein Fläschchen mit Brantwein oder andern stärkenden Getränken, und Körbchen mit Brot um den Hals, um es einem ermüdeten Wanderer zur Erquickung darzubieten. Ein solcher Hund war Barry. Zwölf Jahre lang war er unermüdet thätig und treu im Dienste der Menschheit, und er allein hat in seinem Leben mehr alS vierzig Menschen das Le¬ ben gerettet. Der Eifer, den er hiebei bewies 5, war außerordent¬ lich. Nie ließ er stch an seinen Dienst malmen. Sobald der Himmel stch bedeckte, Nebel stch einstcllten, oder die gefährlichen Schneege¬ stöber stch von Weitem zeigten, so hieltihn nichts mehr im Kloster zurück. Nun strich-' er rastlos und bellend umher, und I frsiuentaro; 2 umschließen, riiceliiusteie; 3 mitnehmcn, zirenclere reoo; 4 kundgeben, msuikusture; 8 beweisen, cliino- Ltrsie; 6 zurückhaltcn, tl-attonere: 7 umhcrstreichen, v->A»r« ilNnrno. 29 ermüdete nicht, immer und immer wieder nach den gefährlichen Stellen zurückzukehrcn und zu sehen, ob er nicht einen Sinkenden halten oder einen Vergrabenen hcrvorscharrcn könnte, und konnte er nicht helfen, so setzte er in ungeheuren Sprüngen nach dem Klolier hin und holte Hülfe herbei. Als er kraftlos und alt war, sandte' ihn der würdige Prior nach Bern, wo er starb" und in dem Museum ausgestellt wurde. IX. Der Kampf mit dem Cisbären. (Von H. O. Lenz.) Im Jahre 1820 ereignete sich ein trauriger Vorfall im grön¬ ländischen Meere mit einem Matrosen eines Wallfischfängers von Hüll. Das Schiff lag b an einem Cisfelde vor Anker, aufwelchem man in einer beträchtliche» Entfernung einen großen Bären gewahr^ wurde, der auf Beute ausging Einer von der Mannschaft deS Schiffs, der sich aus seiner Rumsiasche, in welcher er absichtlich einen kleinen Vorrath für besondere Gelegenheiten aufzubewahrcn pficgtc, einigen Muth geholt hatte, machte sich anheischig'', dem Bären nachzuseycn. Bloß mit einer Wallfischlanze bewaffnet, ging er, ganz entschlossen und gegen alle Vorstellungen, die ihm von seinen Kameraden gemacht wurden, zu seiner abenteuerlichen Un¬ ternehmung aus?. Ein beschwerlicher Weg von ungefähr einer halben Stunde über lockern Schnee und schroffe Cisblöcke, brachte ihn ganz in die Nähe seines FeindeS, der, zu seinem Erstaunen, ihn unerschrocken anblickte und zum Kampse herauszufordern schien Sein Muth hatte unterdessen sehr abgenommen'°, theilS weil der Geist des Rums unterwegs verdunstet war, theils weil der Bär so gar keine Furcht vcrrieth", sondern selbst eine drohende Miene annahm'". Cc hielt daher anund schwangt seine Lanze ein paarmal hin und her, so daß man nicht recht wußte, ob er an- l senden, msnckare; 2 sterben, moril e; I vor Anker liegen, l-i-ere rmcursto; 4 gewahr werden, «corgero; 8 auf Beute aus- , gehen, snäars io oercs cll-IIs xreäs; 6 sich anheischig machen, >mj>egllsrsi, okbliggrsi; 7 ausgehen, usciro, xrocräere; 8 brin¬ gen, recare; 9 scheinen, ssmdrsro; 10 abnehmen, «limiauire; II verrathen, pslesure, moslrare; 12 annehmen, sssumere; 13 anhaltcn, lormsrsi; 14 schwingen, vibrare. 80 greifen oder sich vertheidigxn wollte. Der Bär stund' auch still, Vergebens suchte der Abenteurer sich ein Herz zu fassens um den Angriff zu beginnen; sein Gegner war zu furchbar und sein Ansehen zu schrecklich. Vergebens fing er an, ihn durch Schreien aufzuregcn, mit der Lanze zu bedrohen und Miene zu machens ihn anzugreifen, der Feind verstund dieß entweder nicht, oder verachtete solche leere Drohungen , und blieb hartnäckig auf seinem Platz. Schon fingen die Knie des Menschen an zu wanken, die Lanze zitterte in seiner Hand, sein Blick, der bisher noch fest gewesen war, fing an zu schauern; aber die Furcht, von seinen Kameraden ausgelacht zu werden, hatte noch einigen Einfluß, und er wagte nicht, zurück zu gehen. Meister Petz hingegen, der weniger Ueberlegung oder größere Sorglosigkeit besaßt fing mit der verwegensten Dreistigkeit an, vorzurücken. Seine Annäherung und fein ungeschlachtes Wesen löschten den noch übrigen Funken von Muth aus und überwanden die Furcht, sich lächerlich zu machen, die bisher noch unsern Helden aufrecht erhalten hatte; er wandte § sich um und fioh 7. Aber nun ging die Gefahr erst an. Die Flucht des Menschen machte dem Bären Muth, fetzt seinerseits die Verfolgung anzufangen, und da er mehr geübc war, über den Schnee zu laufen, so holte er den Flüchtling bald ein. Dieser warfd die Lanze, sein einziges Vercheidigungsmittel, weil sie ihn im Laufe beschwerte, von sich, und lief weiter. Glücklicher¬ weise zog'° diese die Aufmerksamkeit des Bären auf sich; er stutzte, betastete sie mit seinen Pfoten, biß" hinein und setzte dann seine Verfolgung fort. Schon war er dem keuchenden Schiffer wieder auf den Fersen, als dieser, in der Hoffnung einer ähnlichen Wirkung, als die Lanze gehabt hatte, einen Handschuh fallen ließ. Die List gelangt, und während der Bär wieder stehen blieb, um diesen zu untersuchen, gewann'3 her Flüchtling einen guten Vorsprung. Der Bär setzte ihm von Neuem mit dec 1 stillstehen, scsrs termo; 2 sich ein Herz fassen, farsi sirimo; 8 anfangen, incominciare; 4 Miene machen, fsr le vislo; 3 be¬ sitzen, posseäere; 6 sich umwenden, rivolgersi; 7 fliehen, kugßire; 8 angehen, incomiucisre; 9 werfen, geltsre; 10 ziehen, trarre; 11 hineinbcißen, morclere, escoiare i clenti ill er lsiie.i; 4 esigsre; 3 ssitUmg; 6 exitüma coräigls; 7 eulrssis oliicinsle; 8 erheben, innulraie. 38 Schon unter der Regierung König Johanns und seines ruhm¬ vollen SohneS glänzte es als eines der reichsten Stifter des Landes von welchem man Karl dem Vierten erzählte, cs sei daselbst ein »«geheurer Schatz an Gold und Kleinodien verborgenUm die Wahrheit dieses Berichtes zu erforschen, rict^ der Monarch, nur von zwei Hofieuten begleitet, nach dem Kloster, gab sich dem Abt zu erkennen, und sprach: » Man hat mir die Kunde gebracht, dass in Eurem Kloster ein großer Schatz sich befinde, und wenn solches wahr ist, habe ich Las Zutrauen zu Euch, Ihr werdet Eurem Fürsten ihn ent¬ decken. Ich gebe Euch mein Kaiserwort darauf, daß nicht das Geringste davon entfremdet werden solle. » Der Abt erbatsich vom Kaiser einen kurzen Urlaub, bevor er diele Frage beantwortete, und nach einer Weile kam er in Be¬ gleitung zweier Ordensbrüder zurück, und versetzte: ->Ja, Eure Majestät! wir besitzen einen Schatz; doch von allen unser« Mitbrüdern wissen nur wir drei von demselben, und erst wenn einer von dieser Zahl abstirbtwird wieder der älteste von den übrigen in unser Gcheimmß eingewciht, der jedoch den schwersten Cid ablegen muß, cs auf'6 Heiligste zu bewahren. » Der Kaiser that den frommen Vätern den Vorschlag, ihn zum vierten Bewahrer des Mysteriums aufzunehmcn, und erbot^ sich zum Eide. — Nach einigem Bedenken liessen die Priester dem Monarchen die Wahl, entweder den Schatz zu sehen, ohne zu erfahren, wo er liege, oder seinen Aufenthaltsort zu wissen, ohne ihn zu sehen, weil sie nach ihrem Schwur keinem Vierten das Geheimniß in seinem ganzen Umfange mittheilen dürften. Karl wählte das Erstere und wurde mit verbundenen Augen durch unterirdische Gänge in ein Gewölbe geführt, welches sich in drei Hallen theilte. Der Kaiser sah beim Scheine der Fackeln in der ersten große Massen von gegossenem Silber, in der zweiten einen ungeheuren Schatz an Goldstangen, und in der dritten eine zahllose Menge der kostbarsten Kirchengeräthe: Kreuze, Kelche, Monstranzen u. s. w., reich mit den edelsten Steinen besetzt. Alles dieses bewunderte der Monarch ohne ein Wort zu sprechen, und der Abt begann 1 verbergen, naseonckers; 2 reiten, allklsre s cavallo; 3 sich etwas erbitten, imxeu-sro g. c.; 4 absterbe», moril e; 8 sich er¬ bieten, esidirsi; 6 beginnen, incommcisre. 86 » Eure Majestät! dieser Schatz ist für Sie und Ihre Nach¬ kommen gespart — er ist Ihr Eigenthum — nehmen Sie davon so viel Ihnen beliebt. » Aber der gottesfürchtige Kaiser entgegnete: » Mit nichten; — nimmer werde ich daS Kirchengut antasten. » Zum Andenken dieses BesucheS bot der Abt seinem erlauchten Gaste einen kostbare» Demantring dar; dieser schwor dem Geber, daß sein Geschenk nie von seinem Finger kommen sollte, und wurde sodann abermals mit verhülltem Haupte auS den unterir¬ dischen Gewölben geleitet. Karl IV- bewahrte daS Geheimniß des Schatzes zu Oppatowitsch wohl, und erst auf seinem Lodtenbette sprach er davon mit Einigen feiner Getreuesten; doch kam eS sodann zur Kcnntniß Mehrerer, und ein mächtiger Raubritter, Johann von Herzmanninstez verband' sich mit Einigen seiner Genossen, um den Schatz fort- zutragen; sie kamen unter dem Anschein eines freundlichen Besuches zum Abt und wurden gastlich empfangen; aber allmählig mehrten sich ihre Knappen im Hofe, und sobald ihre Anzahl hinlänglich schien 2, die arglosen Klosterbewohner zu bezwingen, zeigten sie sich in ihrer wahren Gestalt und forderten unter den fürchterlichsten Drohungen von dem Abte die Auslieferung deS Schatzes. Der ehrwürdige Greis widerstand 2 dem Wüthen der Raubritter und selbst den Martern, wodurch sie ihn zum Geständniß zwingen wollten, standhaft, nnd als sie endlich einsahen, daß ihr Toben fruchtlos und entweder kein Schatz vorhanden, oder der Abt unbesiegbar sei, beraubten sie daS Kloster, schwelgten zwei Wochen in beständigen Festen, wozu sie die benachbarte Ritterschaft ein¬ luden und zogen 2 dann, noch mit großer Beute beladen, von dannen. König Wenzel lud die Raubritter zu wiederholten Malen vor sein Gericht; aber sie blieben auS, und in den Unruhen jener Zeit blieb ihr Frevel ganz unbestraft. Nach dem Abzüge der Ritter sammelten sich die Klosiergeist- lichen wieder und düngen? Waffenknechte zu ihrem Schutz; aber 1 sich verbinden, collsZsrsi; 2 scheinen, samdrsrs; 3 widerste¬ hen, resistsrs; 4 einladen, iuvitsre; 8 von dannen ziehen, sn- äarsens; 6 ausbleiben, von comxsril-e; 7 dingen, sssoläsre. 37 im Verlauf des HussitenkriegeS wurde das Kloster abermals beraubt und von Grund auS zerstört, so daß auch nicht eine Spur mehr von diesem weitläuftigen Gebäude zu sehen ich xm. Die Neujahrsnacht eines Unglücklichen. (Von J. P. F, Richter.) Ein alter Mensch stand in der Neujahrsmitternacht am Fen¬ ster, und schaute mit dem Mick einer bangen Verzweiflung auf zum unbeweglichen ewig blühenden Himmel, und herab auf die stille, reine, weiße Erde, worauf jetzt Niemand so freudcn-und schlaflos war, als er. Denn sein Grab stand nahe an ihm, cs war bloß vom Schnee des Alters, nicht vom Grün der Jugend verdeckt, und er brachte nichts mit aus dem ganzen, reichen Leben, nichts als Jrrthümer, Sünden und Krankheit, einen Verheerten Körper, eine verödete Seele, die Brust voll Gift und ein Alter voll Reue. Seine schönen Jugendtage wandten? sich heute als Gespenster um, und zogen ihn wieder vor den Hellen Morgen hin, wo ihn sein Vater zuerst auf den Scheideweg deS Lebens gestellt, der rechts auf der Sonnenbahn der Tugend in ein weites ruhiges Land voll Licht und Ernten, und voll Engel bringt, und welcher links in die Maulwurfsgänge des Lasters hinabzieht, in eine schwarze Höhle voll heruntertropfendcn Gifts, voll zielender Schlangen und finsterer schwüler Dämpfe. Ach! die Schlangen hingen um seine Brust und die Gifttropfen auf seiner Zunge, und er wußte nun, wo er war. Sinnlos und mit unaussprechlichem Grame rief er zum Himmel hinauf! » Gib mir die Jugend wieder! O Vater, stelle mich auf den Scheideweg wieder, damit ich anders wähle. » Aber sein Vater und seine Jugend waren längst dahin. - Er sah Irrlichter auf Sümpfen tanzen, und auf dem Got¬ tesacker erlöschen, und er sagte: » Cs sind meine thörichtcn Tage! » — Er sah einen Stern aus dem Himmel fliehen, und im Falle schimmern, und auf der Erde zerrinnen: » DaS bin ich, » sagte sein blutendes Herz, und die Schlangenzähne der Reue gruben darin in den Wunden weiter 1 o/oe freudenlos und schlaflos, xrivo äi ßiojr» e <1! sonno; 2 sich umwcnden, rivvlgersi; 3 hinziehcn, lrarre Is; 4 hangen, xenäses; 8 grüben, scsvsi-e. 88 Die lodernde Phantasie zeigte ihm schleichende Nachtwandler auf de» Dächern, und die Windmühle hob ° ihre Arme drohend zum Zerschlagen aus, und eine im leeren Todtenhauie zurückgebliebene Larve nahm allmählig seine Züge an- Mitten in dem Krampf stoß^ plötzlich die Musik für daS Neujahr vom Thurm hernieder, wie ferner Kirchengesang. Er wurde sanfter bewegt, — er schaute um den Horizont herum und über die weite Erde, und er dachte an seine Jugendfreunde, die nun glücklicher und besser als er, Lehrer der Erde, Väter glücklicher Kinder und gesegnete Menschen waren, und er sagte: » O ich konnte auch, wie ihr, diese erste Nacht mit trockenen Augen verschlummern, wenn ich gewollt hätte. — Ach! ich konnte glücklich sein, ihr theuren Aeltern, wenn ich eure NeujahrS-Wünsche und Lehren erfüllt hätte. Im fieberhaften Erinnern an seine JünglingSzeit kam eS ihm vor, als richte sich die Larve mit seinen Zügen im Todtenhause auf; — endlich wurde sie durch den Aberglauben, der in der Neujahrsnacht Geister und Zukunft erblickt, zu einem lebendigen Jüngling, der iu der Stellung des schönen Jünglings vom Kapitol sich einen Dorn auszieht, und seine vorige blühende Gestalt wurde ihm bitter vorgegaukelt. Er könnt' cs nicht mehr sehen, — er verhüllte das Auge, — tausend heiße Lhränen strömten versiegend in den Schnee, — er seufzte nur noch leise, trostlos und sinnlos: » Komme nur wieder, Jugend, komme wieder! » Und sie kam wieder; denn er hatte nur in der Ncujahrsnacht so fürchterlich geträumt, — er war noch ein Jüngling. Nur seine Verirrungen waren kein Traum gewesen; aber er dankte Gott, daß er, noch jung, in den schmutzigen Gängen des Lasters umkehren, und sich auf die Sonnenbahn zurückbegeben konnte, die in's reine Land der Ernten leitet. Kehre mit ihm, junger Leser, um, wenn du auf seinem Irrweg stehst! Dieser schreckende Traum wird künftig dein Richter werden; aber wenn du einst jammervoll rufen würdest: -> Komm wieder, schöne Jugend » — so würde sie nicht wieder kommen. 1 aufheben, slrars; 2 Zurückbleiben, rimsvei-s iaäimeo; 8 an¬ nehmen, sssumere; 4 stießen, scorreie; 8 denken, xenrsee. 39 Drittes Kapitel. Idyllen. I. Amyntas. (Bon S. Geßner.) Vei frühem Morgen kam der arme Amyntas auS dem dichten Hain, das Beil an seiner Rechten. Er hatte sich Stabe geschnitten' zu einem Zaun, und trug ihre Last gekrümmt auf der Schulter. Da sah er einen jungen Eichbaum neben einem hinrauschenden Bach, und der Bach hatte wild feine Wurzeln von der Erde entblößet; und der Baum stand da, traurig, und drohte zu sinken. Schade, sprach er, solltest du, Baum, in dicS wilde Wasser stürzen; nein, dein Wipfel Wil nicht zum Spiel seiner Wellen hingeworfcn sein! Itzt nahm er die schweren Stäbe von der Schulter. Ich kann mir andere Stäbe holen, sprach er, und Hub an, einen starken Damm vor den Baum hinzubauen, und grub^ frische Erde- Itzt war der Damm gebaut, und die entblößten Wurzeln mit frischer Erde bedeckt; und itzt nahm er sein Beil auf die Schulter, und lächelte noch einmal, zufrieden mit seiner Arbeit, in den Schatten des geretteten Baumes hin, und wollte in den Hain zurück, um andere Stäbe zu holen. Aber die Dryas? riefn ihm mit lieblicher Stimme auS der Eiche zu: Sollt' ich unbclohnet dich weglasscn, gütiger Hirt; sage mir's, was wünschest du zur Belohnung? Ich weiß, daß du arm bist, und nur fünf Schafe zur Weide führest. O, wenn du mir zu bitten vergönnest, Nymphe! (so sprach der arme Hirt) mein Nachbar Palcmon ist seit der Ernte schon krank; laß ihn gesund werden! So bat der Redliche, und Palemon ward gesund: aber Amyntas sah den mächtigen Segen an seiner Herde und bei seinen Bäumen «nd Früchten, und ward ein reicher Hirt; denn die Götter lassen den Redlichen nicht ungesegnet. 1 schneiden, laglisre; 2 dastehen, stsrsens; 3 hinwerfen, ge!- tsr lg; 4 nehmen, togliere; 8 anheben, coiniaciare; 6 graben, rcsvsre; 7 stivini!» tutel-il-i stelle guerce; 8 zurufen, stire, >i- volgere ast uno la xarols. 40 II. Mirtil. (Von S. Geßner. ) Bei stillem Abend hatte Mirtil noch den mondbeglänzten Sumpf besucht; die stille Gegend im Mondschein und das Lied der Nachtigall hatten ihn in stillem Entzücken aufgehalten b Aber itzt kam" er zurück in die grüne Laube von Reben vor seiner einsamen Hütte, und fand» seinen alten Vater sanftschlummernd am Mondschein hingesunken 4, sein graues Haupt auf den einen Arm hingelehnc- Da stellt er sich, die Arme in einander geschlungen^, vor ihn hin. Lang stand6 er da, sein Blick rnhete unverwandt" auf dem Greise; nur blickt' er zuweilen auf, durch daS glänzende Reblaub, zum Him¬ mel, und Freudenthränen stoßen» dem Sohn vom Auge. O, du! (so sprach er itzt!) du! den ich nächst den Göttern am meisten ehre! Vater! wie sanft schlummerst du da! Wie lächelnd ist der Schlaf des Frommen! Gewiß ging v dein zitternder Fuß aus der Hütte hervor, in stillem Gebete den Abend zu feiern und betend schliefest " du ein; du hast auch für mich gebetet, Vater! Ach wie glücklich bin ich! Die Götter hären dein Gebet; oder warum ruhet unsere Hütte so ffcher in den von Früchten gebogenen " Aesten, warum ist der Segen auf unserer Herde, und auf den Früchten unseres Feldes? Oft, wenn du bei meiner schwachen Sorge für die Ruhe deines matten AlterS Freudenthränen weinest; wenn du dann gen Himmel blickest und freudig mich segnest , ach, was empfind'ich dann, Vater! Ach, dann schwillt mir die Brust und häufige Thränen quellen vom Auge! Da du heut' an meinem Arm aus der Hütte gingest, an der wärmenden Sonne dich zu erquicken, und die frohe Herde um dich her sähest und die Bäume voll Früchte, und die fruchtbare Gegend umher, da sprachst du: <- Meine Haare sind unter Freuden grau geworden; seid immer gesegnet, Gefilde! Nicht lange mehr wird mein dunkelnder Blick euch durchirren, bald werd' ich euch an seligere Gefilde vertauschen. » Ach Vater! bester Freund! bald soll ich dich verlieren. Trauriger Gedanke! Ach! dann — dann 1 aufhalten, trsttenere; 2 zurückkommen, ritornare; 3 finden, trovsre; 4 hinstnken, pi-oslrsrsi; 8 schlingen, intreocisre ; 6 dll- siehcn, stgrssns, 7 Lsso, immobile ; 8 stießen, scorrers; 9 her¬ vorgehen , usoire; 40 einschlafen, aääoi-mentarsi ; 44 biegen, xiegsre; 42 schwellen, Aonstarsi; 43 sehen, veäere. 41 will ich einen Altar neben Lein Grab Hinpffanzen; und dann, so oft ein seliger Tag kommt, wo ich Nothleidenden Gutes thun kann, dann will ich, Vater! Milch unL Blumen auf Lein Grab¬ mal streuen. Itzt schwieg ' er unL sah mit thronendem Äug' auf Len Greis. Wie er lächelnd da liegt und schlummert! (sprach er itzt schluchzend) eS sind seine frommen Thaten im Traum vor seine Stirne ge¬ stiegen^ Wie der Mondschein sein kahles Haupt bescheint, und den glänzend weißen Bart! O Laß die kühlen Abendwinde dir nicht schaden, und der feuchte Thau! Itzt küßt er ihm die Stirne, sanft ihn zu wecken, und führt ihn in die Hütte, um sanfter auf weichen Fellen zu schlummern. in. Der Sturm. (Von S- Geßner-) Auf dem Vorgebirge, an dessen Seite der schilfreiche Tifcrnus ins Meer stießet, saßen § Lacon und Battus, die Hirten der Rinder. Ein schwarzes Gewitter stieg 2 fernher auf, ängstliche Stille war in den Wipfeln der Bäume, und die Seevögel und die Schwalben schwirreten in banger Unruhe hin und her. Schon hatten sie die Herden vom Gebirge nach ihrer Wohnung geschickt: ste aber blie¬ ben auf dem Gebirge zurück, die fürchterliche Ankunft des Ge- H^witterS und den Sturm auf dem Meere zu sehen. Fürchterlich ist die Stille, so sagte Lacon: Sieh'! die untergehende Sonne ver¬ birgt? sich in jenen Wolken, die, Gebirgen gleich, am Saume des Meeres aufsteigcn. Battus. Schwarz liegt LaS unabsehbare Meer vor unS. Noch ruhig — aber eine bange Stille, die bald mit fürchterlichem Tumulte wechseln wird. Ein dumpfes Geräusche tönt fernher, wie das Geheul der Angst und eines allgemeinen plötzlichen Unglücks etwa von Ferne gehört wird Lacon. Sieh'! langsam steigen die Gebirge der Wolken; immer schwarzer, immer fürchterlicher heben sie ihre Schultern hinter dem Meer hinauf. k schweigen, tscerk; 2 steigen, Lolire, appseirc; 3 ßiun- 4 sitzen, rrare secluto; 3 aufsteigcn, sslirs; 6 bleiben, rimsnere; 7 verbergen, linLconclere. 42 Battus. Immer fürchterlicher wird das dumpfe Geräusche; Nacht liegt auf dem Meere,- schon hat sie die Diomedischen Inseln verschlungen^ du siehst sie nicht mehr. Nur flimmert noch die Flamme des Leuchtthurms von jenem Borgebirge in der schauer¬ vollen Dunkelheit. Aber jetzt, jetzt fängt" das Geheul der Winde an; sieh'! sie zerreißen die Wolken — treiben sie wüthend empor: sie toben auf dem Meere; es schäumt. — Lacon. Fürchterlich kommt der Sturm daher- Doch gern will ich ihn wüthen sehen; mit Angst gemischte Wollust schwellt ganz meinen Busen. Wenn du willst, so bleiben wir; bald sind wir das Gebirge herunter in unsrer wohlverwahrten Hütte. Battus. Gut, ich bleibe mit dir. Schon ist das Gewitter da! Schon toben die Wellen an nnserm Ufer, und die Winde heulen durch die gebogenen Wipfel. Lacon. Ha! sieh', wie die Wellen toben, ihren Schaum in die Wolken emporspritzen , fürchterlich wie Felsengebirge sich heben, und fürchterlich in den Abgrund sich stürzen. Die Blitze flammen an ihren Rücken, und erleuchten die schreckenvolle Scene- Battus. Götter! Sieh', ein Schiff; wie ein Vogel auf einem Vorgebirge sitzt, sitzt es auf jener Welle. Ha! sie stürzt. Wo ist's nun, wo sind die Elenden? Begraben im Abgrund. Lacon. Trüg' ich mich nicht, so steigt's dort auf dem Rücken jener Welle wieder empor. Götter! Rettet, o rettet sie. Sieh'! sieh'! Die näheste Welle stürzt mit ihrer ganzen Last auf sie her. O was suchtet ihr, daß ihr so, euer väterliches Ufer verlassend, auf Ungeheuern Meeren schwebt! Hatte euer Geburtsland nicht Nahrung genug, euer» Hunger zu sättigen? Reichthum suchtet ihr, und fandet einen jammervollen Tod. Battus. Am väterlichen Ufer werden eure Väter und eure Weiber und eure Kinder vergebens weinen; vergebens für eure Rückkunft in den Tempeln Gelübde thun. Leer wird euer Grabmal sein; denn euch werden Raubvögel am Ufer fressen, verschlingen die Ungeheuer deS Meeres euch nicht. O Götter, laßt immer mich ruhig in armer Hütte wohnen! Zufrieden mit Wenigem, nähre mein Anger mich, und mein kleines Feld und meine Herde. 4 Verschlingen, iogojare; 2 anfangen, iocomiaeisre; 3 finden, ii-ovare. 43 : La con- Strafet mich, Götter! wie Diese, wen» je Unzu- > friedenhcit in meinem Busen seufzet; wenn ich je mehr wünsche, als was ich habe: Ruhe und mäßige Nahrung! BattuS. Laß unS hinuntergehcn; vielleicht daß die Wellen Einige von diesen Elenden ans Ufer werfen. Leben ße noch, so haben wir den Troff, ffe zu retten; sind sie todt, so beruhigen wir doch ihren Geiff, nnd geben ihnen ein ruhiges Grab. Sie gingen hinunter an'6 Ufer, nnd fanden im Sand aus- geffreckt einen schönen Jüngling todt. Mit Thränen begruben sie ihn am Ufer. Trümmer des Schiffes lagen' im Sande zerffreut; und sie fanden unter den Trümmern eine Kiffe, öffneten sie, und schwere Reichchümer von Gold waren darinnen- WaS soll unS das, sagte Battus? L acon. Behalten wollen wir '6, nicht um reich zu sein, davor bewahren mich die Götter! um's zurückzugeben, wenn'S ein Ci- genthümer sucht, oder Einem, der's mehr nöthig hat als wir. Ungenutzt und ungesucht lag der Schatz lange bei den Beiden; da ließen sie daraus am Ufer einen kleinen Tempel bauen. Sechs Säulen von weißem Marmor hielten den schattigen Vordcrgi'ebcl empor, und in der Vertiefung ffund" die Bildsäule des Pans- Der Zufriedenheit war dieser Tempel geweiht, und dir, gütiger Pan! IV- Die Lüge- (Von Fr. T- Brenner.) Erzählen soll ich dir, du lieber kleiner Heinrich? Aber wenn die Erzählung dich treffen sollte, willff du mir dann nicht böse werden? Nicht? So höre! Der kleine Lydas, ein hübscher, munterer Knabe, wie du, aber auch manchmal muthwillig und lose, wie du, hatte Morgens seinem Vater eine kleine Lüge gesagt; und das war schlimm. Da ging er Nachmittags, einen irdenen Topf in der Hand, an die Schleuße des Mühlbachs^ hinauf, um dort kleine Fischchen und Krebse un¬ ter den Kieselffeinen zu Haschen- Sein Schwefferchen Lide ging mit. » Ich fürchte, Brüderchen, » sagte daß fromme Mädchen,» ich fürchte, dein Fischfang werde heute nicht glücklich sein; denn die Mutter sagt immer: Wer lüget, den ffichet das Glück, wie ein Fischchen den laurendcn Hecht. » 1 liegen, ßiacere; 2 sichen, Stare; 3 canale 6el mulinv. 44 » O du leichtgläubiges Mädchen! » antwortete lächelnd der Knabe, » die Mutter drohte dir nur; das sollst du gleich sehen; denn wisse, Hamilton hat mich erst gestern eine neue Kunst ge- lchret; die wird mich nicht trügen. Da rie^ er stch die beiden Hände mit Brennnesselsaft und stieg b in den Mühlbach, der lieblich riselnd über stäche Kiesel dahinschlich 4. Der Bach war auf beiden Seiten mit alten mor¬ schen Pfälen, und halbvermoderten 5 Brettern befangen Ein klei¬ ner Damm hob? stch an den Brettern empor. Auf einen Pfahl an diesem Damme setzte der Knabe seinen mit Wasser gefüllten Topf, und begann» nach Schmerlend unter die Steine zu greifen. Lide lagerte stch an einer grünenden Rascnstätte, und schaute der Arbeit ihres Bruders zu. » Sieh', Schwesterchen! -> sagte itzt Lidas, und zeigte ihr in seiner Hand eine zappelnde Schmerle hin:» steh', wie stch heute die Fischchen unter meine Hände schmiegen! O ste entschlüpfen mir nicht; eS ist, als schwämmen'° die Närrchen mit Fleiße mir nach, daß ich ste bequemer Haschen kann. Sicher, Mädchen, stchcr werd'ich diesmal einen glücklichen Fang thun. » O warte du nur, noch hast du nicht viele,» antwortete stttsam daS Mädchen, und schwieg". Doch Lidas zog^ immer mehrere aus dem Wasser, und wußtestch groß damit. Lidchen staunte sehr darüber. Noch mehrere, bis der Topf gefüllt war. Itzt fing ste fast zu glauben an, dem Glücke sei eine kleine Lüge nicht sehr verhaßt. Der Knabe wollte nun wieder auS dem Bache steigen, und versuchte, an ein morsches Brett eingeklemmt stch auf den Damm zu schwingen. Wehe aber! da bracht daS faule Brett, und auch der unten vermoderte Pfahl brach, auf dem sein Schmer¬ lentopf stand. Knabe, Topf und Schmerlen stürzten allzusammcn in den Bach. 4 reiben, stiolinsrs; 2 Lugo
  • o pietä; 7 barilelto; 8 einsteigen, sslirvi; 9 con ogni slorro. 47 Kräutern und Röhricht ° vermochte er 's nimmer, den Kahn vom Platze zu bringen. Er arbeitete, daß ihm häufiger Schweiß in Tropfen von Stirn und Nacken quollAber alle seine Kräfte waren zu schwach. Nach einem Weilchen Ruhe bemühte er sich von Neuem, ge¬ waltiger an' S Ruder gestemmt, den Kahn auS dem Schilf zu schieben; da glitt» ihm daS Ruder vom Grunde, und er stürzte rücklings in ' Wasser hinaus. Jetzt liefen 4 die Jünglinge eilig herbei, besorgt, eS möchte ihm ein Unheil begegnen. AndrogeneS wälzte im Leiche sich nun und hatte Mühe, seine verstrickten Beine auS dem Binsengeflcchte wieder loszuwickcln. Nun wollt' er sich eben, wie er war, über und über mit gelblichem Schlamme beschmutzt und daS Angesichc Vom schneidenden Schilfröhricht wund geritzt, in den Kahn schwingen, als er plötzlich die Fischer am Strande erblickte. Wie erschrak 5 er da! Ruder und Hut, die er in der einen Hand hielt, Alles entfiel <> ihm vor Schrecken. » Fürchte nichts, du guter Mann! »> sagten jetzt freundlich die Jünglinge; »es drohet dir keine Strafe von »ns. Sei getrost! Wirf deinen Hut und daS Ruder, das dort neben dir im Kraute liegt, in den Kahn, und zeuch? ihn mit dir an 's Land. Naß bist du ohnehin! Komm nur auf unser Wort; wate vollends heraus. » » Ach! im Ernste, Ihr Jünglinge, vergebet Ihr mir? » stammelte furchtsam nach langem Zweifeln Androgenes: » O, schont doch meiner! denn ach! —die höchste Noth zwang» mich, zu diesem beschämenden Mittel zu greifen. » — » Bei unserer Hand und Treue, Fischer! » antworteten sie,-> du hast nichts zu fürchten. » — Da ließ er sich endlich bewegen und zog den Kahn watend an 's Ufer. » Warte hier, Freund! » sagten dann die beiden Jünglinge. » Weil du 's bedarfst 9, so sollst du die Fische dennoch nun haben. » Und sie stiegen ein und zwangen muthig das Fahrzeug mit vereinten Kräften durch die verwebten Binsen 4 in» in inerro »I pin iulrslcisto garduglio
  • »ggi e sti aannv; 2 quellen, gronclare; 8 gleiten, sckrucciolare; 4 herbci- laufen, sccoi-rere; 3 erschrecken, spsveatarsi; 6 entfallen, csäer cki rnsno; 7 zieh, ck« ziehen, trsrre; 8 zwingen, costl'ingere; 0 bedürfen, sbdiingnsre. 48 hindurch und hoben ihre Reusen aus dem Teiche. Die Lägel deS armen Fischers ward voll mit Fischen gefüllt. » Hier, Fischer, hast du Linderung Leiner Noth, » sprachen sie und reichten ihm lächelnd die Läge! hin, indeß ihm Thronen die Hagern Wangen begossen und Schaamröthe sein Angesicht färbte, » künftig aber komm zu uns und hilf unS bei der Arbeit im Leiche, und du sollst gewiß immer deinen reichlichen Antheil haben! » Ihr, denen für die Sicherheit des bürgerlichen Cigenthums zu wachen obliegt, handelt ihr auch so? O! es ist nicht genug, Verbrecher zu strafen! Weiset ihnen auch den Weg, sich ehrlich zu nähren. Viertes Kapitel. Paramythien und Parabeln. I. Sonne und Mond. (Von I. G. Herder.) Tochter der Schönheit, hüte vor Neid dich! Der Neid hat Engel vom Himmel gestürzt; er hat die holde Gestalt der Nacht, den schonen Mond, verdunkelt. — Vom Rath des Ewigen ging^ die schaffende Stimme aus: » Zwei Lichter sollen am Firmaments glänzen, als Könige der Erde, Entscheider der rollenden Zeit- » Er sprach; eS ward- Auf ging die Sonne, das erste Licht. Wie der Held sich freuet auf seiner Siegesbahn 4, so stand sie da, gekleidet in GotteS Glanz. Ein Kranz von allen Farben umfloßt ihr Haupt, die Erde jauchzete, ihr dufteten die Kräuter, die Blumen schmückte» sich. — 1 begießen, irrigai-e; 2 ausgehen, uscirs, xrocsäeis; F auf¬ gehen, sorgero; 4 cammino triorMe; 8 umstießen, circonäsre. 49 Neidend stand das andre Licht und sah, daß es die Herrliche nicht zu überglänzen" vermochte. <- Was sollen, » sprach sie mur¬ rend bei sich selbst, » zwei Fürsten auf Einem Throne? Warum mußte ich die Zweite und nicht die Erste sein? » Und plötzlich schwand 2, vom inner» Grame verjagt, ihr schönes Licht hinweg; hinweg von ihr floß es weit in die Luft und ward das Heer der Sterne. Wie eine Todte, bleich, stand Luna da, beschämt von allen Himmlischen, und weinte: » Erbarme dich, Vater der Wesen, erbarme dich! » Und Gottes Engel stand vor der Finstern da; er sprach zu ihr des heiligen Schicksals Wort: <- Weil du das Licht der Sonne beneidet hast, Unglückliche, so wirst du künftig nur von ihrem Lichte glänzen, und wenn dort jene Erde vor dich tritt, so stehest du halb oder ganz verfinstert da, wie jetzt. Doch, Kind des Irrthums, weine nicht. Der Erbarmende hat dir deinen Fehl verziehen und ihn in Wohl verwandelt. » Geh », sprach er, » sprich der Reuenden zu! Auch fie in ihrem Glanze sei Königin. Die Thronen ihrer Reue werden ein Balsam sein, der alles Lechzende 4 erquickt, der daS vom Sonnenstrahl Ermattete^ mit neuer Kraft belebt. » Getröstet wandte sich Luna, und siehe, da umfloß sie jener Glanz, in welchem sie jetzt noch glänzt; sie trat? ihn an, Len stillen Gang, den sie jetzt noch geht, die Königin der Nacht, die Führerin der Sterne. Beweinend ihre Schuld, mitleidig jeder Thräne, sucht sie, wen sie erquicke, suchet, wen sie tröste. Tochter der Schönheit! hüte vor Neid dich! Der Neid hat Engel vom Himmel gestürzt; er hat die holde Gestalt der Nacht, den schönen Mond, verdunkelt. n. Das Kind der Barmherzigkeit. (Von J. G- Herder.) Als der Allmächtige den Menschen erschaffen wollte, versammelte er rathschlagend die obersten Engel um sich. 1 überglänzen, vinosie iu is^lencloi-e; 2 Hinwegschwinden, 8PS- ru'e; 8 verzeihen, peräoasre; 4 sssetMo; ki illsllguickito; 6 sich Wenden, volgersi; 7 antreten, illlrgpwsnckees, comincisi-e. 4 50 » Erschaffe ihn nicht! -> so sprach der Engel der Gerechtigkeit; -> er wird unbillig gegen seine Bruder sein, und grausam gegen den Schwächeren handeln. » » Erschaffe ihn nicht! » so sprach der Engel des Friedens. » Er wird die Erde düngen mit Menschenblut; der Erstgeborne seines Geschlechts wird seinen Bruder morden. » » Dein Heiligthum wird er mit Lügen entweihen, » so sprach der Engel der Wahrheit, -> und ob' du ihm dein Bildniß selbst, der Treue Siegel, auf sein Antlitz prägtest. » Roch sprachen sie, als die Barmherzigkeit, des ewigen VatcrS jüngstes, liebstes Kind, zu seinem Throne trat - und seine Knie umfaßte. » Bild' ihn, » sprach ste, » Vater, zu deinem Bilde selbst 3, ein Liebling deiner Güte. Wenn alle deine Diener ihn verlassen, will ich ihn suchen, und ihm liebend beistchen, und seine Fehler selbst zum Guten lenken- Des Schwachen Herz will ich mit¬ leidig machen, und zum Erbarmen gegen Schwächere neige». Wen» er vom Frieden und von der Wahrheit irret, wenn er Gerechtigkeit und Billigkeit beleidigt: so sollen seines Jrrthums Folgen selbst zurück ihn führen, und mit Liebe bessern. » Der Vater der Menschen bildete den Menschen. Ein fehl- bar-schwacheS Geschöpf; aber in Fehlern selbst ein Zögling feiner Gute, Sohn der Barmherzigkeit, Sohn einer Liebe, die »immer ihn verläßt, ihn immer bessernd. — Erinnere dich deines Ursprungs, Mensch, wenn du hart und unbillig bist- Von allen GotteS Eigenschaften hat Barmherzigkeit zum Leben dich erwählt; und lebend reichte dir Erbarmung nur und Liebe die mütterliche Brust. ui. Der Rabe Noah' 6 (Von I. G. Herder.) Aengstlich blickte Noah umher aus seinem schwimmenden Kaste» und wartete, bis die Wasser der Sündfluth fielen 6, Kaum sahen? der Berge Spitzen hervor, als er alles Gefieder um sich riefel 1 e <^uan(l'anclis lu gl'impii imessi ece.; 2 treten, svvicL osesi; 3 sscoaclo la tua swssa immsgins; 4 iallidile e äedole: 5 äiluvio; 6 fallen, caäeie, calarc; 7 hervorsehen, sporgere: 5 rufen, ekiamare. Sl ; » Wer, » sprach er, -- unter euch will Bote sein, ob unsre Rettung nahe ist? » Da drängte sich vor allen der Rabe hervor mit großem Geschrei; r er witterte nach seiner Lieblingssxeise! Kaum war das Fenster § geöffnet, so flog er hin und kehrte nicht zurück. Der Undankbare vergaßt deS Retters und seines Geschäfts; er hing^ am Aase.— h Aber die Rache blieb nicht au§. Noch war die Luft von giftigen Dämpfen voll, und schwere Dünste hingen über den Leichen; die benebelten sein Gesicht, und schwärzten seine Federn. § Zur Strafe seiner Vergessenheit ward ihm auch sein Gcdächtniß e wie sein Auge düster, selbst seine neugebornen Jungen erkennt er e nicht; er genießt an ihnen keine Vatersrcude. Erschrocken über " ihre Häßlichkeit flicht er hinweg und verläßt^ sie. Der Undankbare e zeugt ein undankbares Geschlecht; entbehren muß er deS schönsten !- Lohns, des DankeS seiner Kinder. n t IV. Die Taube No ah'S. Ü (Von I. G. Herder.) g Acht Tage hatte der Vater der neuen Welt auf die Wiedcr- e kunft des trägen Raben gewartet, alS er aufs neue seine Schaarcn um sich rief?, Kundschafter auszuwählen. Schüchtern flog^ die b Taube auf seinen Arm, und bot'^ sich an zur Sendung. t » Tochter der Treue, » sprach Noah, » du wärest mir wohl d eine Dienerin guter Botschaft; wie aber willst du deine Reise thun, und dein Geschäft vollenden? Wie, wenn dein Flügel er¬ mattet; und dich der Sturm ergreift und wirft'° dich in die trübe Welle deS Todes? Auch scheuen deine Füße Schlamm, und deiner Zunge widert unreine Speise. » -> Wer, » sprach die Taube, » gibt dem Müden Kraft, und o Stärke genug dem Unvermögenden? Laß mich, ich werde dir ? gewiß eine Dienerin guter Botschaft. » z, 1 hinflicq-en, volsnsene; 2 vergessen, ckimsnties, e; 3 hangen, ! xenckens, essens sttsecuto; 4 ausbleiben, msiisars; s erschrecken, i spsvklltsrsi; tz verlassen, sbbsnilonure; 7 rufen, cliismüie; 8 fliegen, volsrs; 9 sich anbieten, otierii-si; 10 werfen, gettsre. 32 Sie entflog und schwebete hin und her,und nirgends fand' fle, wo fle ruhen könnte, alS schnell der Berg deS Paradieses flch vor ihr erhob mit seinem grünenden Wipfel. Ueber ihn hatten nichts vermocht 3 die Wasser dec Sündfluth, und der Taube war die Zuflucht zu ihm »»verboten^. Freudig cilcte fle und flog hinan, und ließ demüthig flch am Fuß des Berges nieder. Ein schöner Oelbaum blühete da: fle brach t einen Zweig des Baumes, eilete gestärkt zurück, und legete das Blatt aufdes schlummernden Noah Brust. Er erwachte und roch a daran den Geruch deS Paradieses. Da erquickte flch sein Herz; das grüne FriedcnSblatt erquickte die Seinigen,bis ihm sein Retter selbst erschien?, bekräftigend der Taube gute Botschaft. Seitdem ward die Taube Dienerin der Liebe und deS Friedens. Wie Silber glänzen ihre Flügel, sagt daS Lied; ein Schimmer noch vom Glanz des Paradieses, das fle auf ihrer Wanderschaft erquickte. V. Die Stimme der Thränen. (Von I. G. Herder.) Drei Tage war Isaac im Herzen seines VaterS todt: denn am vierten Lage hatte Gott flch ihn zum Opfer erkoren«. Schwei¬ gend zogy Abraham gen'" Moriah hin, in den tiefsten Gram versunken, als ihn die freundliche Stimme des KindeS weckte: -> Siehe ,mein Vater, hier ist Feuer und Holz, wo ist aber daS Lamm zum Opfer? » — » Mein Sohn, » sprach Abraham, » Gott hat ihm selbst er¬ sehen ein Opferlamm! » So gingen" die beiden schweigend mit einander. Und als fle kamen an die Opferstätte und der Altar gebauct und alles bereitet war, ergrifft der Vater seinen Sohn und legte ihn auf den Altar, und fastete das Messer in die Rechte, nnd sah gen Himmel hinauf. Der Knabe duldete, schwieg und blickte mit weinendem Auge zum Himmel hinauf. 1 finden, tl-ovai-e; 2 flch erheben, 8oIIevsr8i; 3 vermögen, potere, vslere; 4 noa proikito; 8 brechen, rompers, cogllers: 6 riechen, Lutars; 7 erscheinen, compsrire; 8 erküren, elsgzsrc: 9 hinziehen, recsrsi; 10 per gegen, vsr8o; 11 gehen, eamufl- »arez 12 ergreifen, Premiers. S5 Die stumme Thräne im Auge des Bakers und deS Kindes durch¬ drang' die Wolken und trat zum Herzen Gottes mit großem Ge¬ schrei. » Abraham! -- rief der Engel des Herrn von Himmel herab, -- Abraham! schone deS Knaben und thue ihm nichts. Es ist genug! » Freudig nahm der Vater den wicdergeschenktcn Sohn, daS Opfer Gottes, zurück, und hieß die schrecklich-frohe Statte: » Jehova schaut! » Er schaut die stumme Thräne im Auge deS Leidenden: er sieht des Herzens Jammer, der ängstlicher ruft als alles Geschrei. Dreifach ist das Gebet der Menschen zu Gott; und kräftiger ist eines als daS andere. Ein Gebet mit stiller Stimme gefällt4 ihm wohl: er hört es tief im Herzen, und nimmt eS auch von der stammelden Lippe gnädig auf. DaS Gebet der Noth mit großem Geschrei durchdringt die Wol¬ ken, und häufet glühende Kohlen auf des Unterdrückers Haupt. Doch mächtig über AlleS ist die Thräne des Verlassenen, der fest an Gott sich hält'' uud stirbt?. Sie sprenget Pforten und Riegel, und dringt b zum Herzen Gottes und bringt^ den Blick des Schauenden hernieder. VI. Der Jüngling Salomo. (Von I. G. Herder. Zu seinem Lieblinge sprach einst ein gütiger König: » Bitte von mir wa§ du willst; es soll dir werden. » Und der Jüngling sprach bei sich selbst: » Worum'" soll ick bitten, daß cs mich meines Wunsches nicht gereuen möge?" Ehre und Ansehen habe ich schon; Gold und Silber sind das ungetreueste Geschenk der Erde- Um des Königs Tochter will ich bitten; denn sie liebet mich ,wie ich sie liebe; und mit ihr empfange ich alles Andere. Vor allem auch daS Herz meines gütigen Wohl¬ täters; denn er wird durch dieses Geschenk mein Vater! » 1 durchdringen, xenetrsro, sttrsvorssi-e; 2 zurücknehmen, ri- prancksra; 3 heißen, cdismsre; 4 gefallen, xiaeere, essers tzrslo: ü aufnehmen, aceogliei-s; 6 sich halten, sttonersi; 7 sterben, ino- rire; 8 dringen, penetrare, ginogere; 9 herniederbringen, xorlsre gusAgiü; 10 UM waS; 11 xerckö non sbhis s pevtirmi äe! nn'o ckesiclerio. 54 Der Liebling bat, und die Bitte ward ihm gewährt. Als Gott dem Junglinge Salomo zuerst im Traume erschien sprach er zu ihm: -- Bitte, was ich dir geben soll, und ich will dir' s geben. » Und stehe, der Jüngling bat nicht um Silber nnd Gold, nicht um Ehre und Ruhm und langes Leben, er bat um die Tochter GotteS, die himmlische Weisheit, und empfing mit ihr, waS er je hätte bitten mögen Ihr also weihete er seine schönsten Gesänge, und prieS^steden Sterblichen an, alS die einzige Glückseligkeit der Erde. So lange er ste liebte, besaßt er daö Herz GotteS und die Liebe der Men¬ schen; ja § nur durch ste lebt er auch nach seinem Tode noch dieS- seitS deS GrabeS. VII. Die Pfirsichen. (Von F. A. Krummacher. ) Ein Landmann brachte? auS der Stadt Pfiirfichen mit, die schönsten, die man sehen konnte. Seine Kinder aber sahen diese Frucht zum ersten Male. Deßhalb wunderten und freuten ste stch über die schönen Aepfcl mit den röthlichen Backen und zartem Flaum. Der Vater vertheilte ste unter seine vier Knaben, und eine erhielts die Mutter. Am Abend, als die Kinder in das Schlafkämmerlein gingen^, fragte der Vater: Nun, wie haben euch die schönen Aepfel ge¬ schmeckt ? Herrlich, lieber Vater, sagte der Aelteste. CS ist eine schöne Frucht, so säuerlich und so angenehm von Geüchmacke. Ich habe mir den Stein" sorgsam bewahrt, und will mir daraus einen Baum ziehen. Brav! sagte der Vater, das heißt haushälterisch auch für die Zukunft gesorgt", wie cs dem Landmann geziemt! 4 erscheinen, appsrlrs; 2 empfangen, riesvere; 3 gemocht; 4 anpreisen, lostare, esaltare; ö besitzen, posgestsre; 6 anri; 7 mitbringen, portare seou; 8 erhalten, ricevere; 9 gehen, an- stare; 40 xiskra, nocoiolo; 44 ciö vuol stirs ^rovvsstero eeonomicamente anelre all'avvenire. öo Ich habe hie meinige sogleich aufgegcssen^ sagte der Jüngste, und den Stein fortgeworfen und die Mutter hat mir die Hälfte von der ihrigen gegeben. O das schmeckte so süß. und zerschmolzt einem im Munde!——Nun sagte der Vater: Du hast es zwar nicht sehr klug, aber doch sehr natürlich und nach kindischer Art gemacht. Für die Klugheit ist auch noch Raum genug im Leben. Da begann^ der zweite Sohn: Ich habe den Stein! den der kleine Bruder fortwarf, gesammelt und aufgeklopft Cs war ein Kern darin; der schmeckte so süß wie eine Nuß. Aber meine Pfiirsich habe ich verkauft und so viel Geld dafür erhalten, daß ich, wenn ich nach der Stadt komme, wohl zwölf dafür kaufen kann. Der Vater schüttelte den Kopf und sagte: Klug ist das wohl, aber — kindlich wenigstens und natürlich ist es nicht. Bewahre dich der Himmel, daß du ein Kaufmann werdest! — Und du, Cdmund! fragte der Vater. — Unbefangen und offen antwortete Edmund: Ich habe meine Pfirsich dem Sohne unserS Nachbars, dem kranken Georg, der das Fieber hat, gebracht. Er wollte sic nicht nehmen; da hab' ich sie ihm auf das Bett gelegt, und bin hinweggegangen Nun, sagte der Vater: Wer hat denn wohl den besten Gebrauch von seiner Pfirsich gemacht? Da riefen sie alle drei: DaS hat der Bruder Cdmund gethan!? — Cdmund aber schwieg still o, und die Mutter küßte ihn mit einer Throne im Auge. VIII. Die Lieblingsblumcn^. (Von F. A. Krummacher.) Gustav, Hermann und Alwina, die blühenden Kinder eines Pachters, wandelten an einem schönen Frühlingstage auf das Feld. Die Nachtigallen und Lerchen sangen'°, und die Blumen entfalteten stch im Thau und den milden Strahlen der Morgensonne. Die Kinder aber blickten voll Freude umher, und hüpften von einem Blümchen zum andern, und stochten" sich Blumenkränze. 1 aufeffen, msnZiai- tutw; 2 fortwerfen, gstisr via,- 3 zer¬ schmelzen, äilsAuarsi; 4 beginnen, iuooininciaee; 8 aufklopfen, sprii-e ksttenfio; 6 hinweggehen, unclaisens; 7 thun, l»re; 8 stillschweigeN, tscer-e; 9 tiori pweckiletti; 40 singen, cantses; siechten, illtl-sccisis. 86 Auch priesen ' sie in Liedern die Herrlichkeit deS Lenzes, und die Liebe deS allmächtigen Vaters, der die Erde mit Gras und Blumen bekleidet, und besangen die Blumen, von der Rose, die auf dem Strauche wächst", bis aufdaS Veilchen, das im Verborgenen blühet, und daS Heideblümchen an welchem die Bienen saugen. Denn die fromme Herzenseinfalt empfängt auch die kleinp Gabe der Natur mit Freude und dankbarer Empfindung- Darauf sprachen die Kinder unter einander: Lasset einen jeden von uns sich ein Blümchen wählen, daS sein Liebling sei vor andern! Und sie freuten sich ihres Vorsatzes und sprangen^ in das Feld, sich die Lieblingsblümchen zu suchen. Dort, in der Laube kommen wir zusammen, riefen sie 6. — So wandelten die drei Kinder in Eintracht ihre verschiedenen Wege, um LaS Schöne zu sammeln. Eine liebliche Blumenlese!? — Bald erschienen s sie wieder alle drei auf dem Wege zur Laube. Jeder trug v einen vollen Strauß seiner gewählten LieblingSblumen in der Hand. Als sie sich einander erblickten, da hielten '° sie die Blumen hoch empor, und jauchzetcn laut vor Freude- Darnach tra¬ ten "sie in der Laube zusammen, und beschlossen" einmüthig und sprachen: Nun soll ein jeder sagen, warum er sich diese erwählt hat! Gustav, der ältere, hatte sich das Veilchen erkoren Sehet, sprach er, cs blühet und duftet in bescheidener Stille zwischen Halmen und Gräsern, und sein Wirken ist so verborgen, wie das leise Kommen und Segnen des Frühlings. Aber eS wird von den Menschen geehrt und in schönen Liedern besungen, und jeder rragt ein Sträußlci», wenn er vom Felde kommt, und nennt das schöne Veilchen das crstgeborne Kind des Lenzes, und das Blümchen der Bescheidenheit. Darum hab' ich es mir zu meinem Blümchen erkoren. Also sagte Gustav, und reichte Hermann und Alwinen einige seiner Blumen. Diese aber empfingen sie mit inniger Freude. Denn eS waren nun auch die Blümchen des Bruders. Da trat^ Hermann hervor mit seinem Blumenstrauß. Cs war die zarte Feldlilie, die unter dem kühlen Schatten des Wäldchens 1 preisen, esalwie; 2 wachsen, oi-escsre; 3 liorellino äi I-inäa; 4 empfangen, ricsvare; 8 springe», coirei-6 ssllgiiäu; 6 rufen, esclumsre; 7 llurilex-io; 8 erscheinen, comparire; 9 tragen, xar- tsie; 10 cmporhalten, tenai-s alrato; 11 zlnammenkreten, rsstu- nsl-si; 12 beschließen, aonckiustere; 13 erküren, »ceZIlere; 14 her- vortretcn, svsnrarsi. 87 wachst, und ihre Blütcnglöckchenwie Perlen an einander gereihet, und weiß wie Sommerlicht, erhebet- Sehet, sprach er, dieses Blümchen hab' ich mir erwählt; denn es ist ein Bild der Unschuld und des reinen Herzens; auch verkündet es mir die Liebe dessen, der den Himmel mit Sternen und die Erde mit Blumen schmücket. — Ward nicht die Lilie des Feldes vor andern Blumen gewürdiget, Zeugniß zu geben von der Vaterliebe dessen, in dem Alles lebt und webt?^ — Sehet, darum hab' ich die kleine Lilie mir zu meinem Lieblingsblümchen erkoren! — Also sprach Hermann und reichte seine Blümchen dar.Und die beiden andern empfingen ste mit frommer Freude und Verehrung. Und so war das Blümchen geheiligt. Da kam auch Alwina, das fromme, liebe Mädchen, mit ihrem gesammelten Blumenstrauß. Es war das blaue zarte Vergißmeinnicht^. Sehet, ihr lieben Knaben, sprach das holde Mädchen, diese Blümchen hab' ich an dem Bächlein gefunden! Nicht wahr, sie glänzen wie ein Helles Sternchen am Himmel, und spiegeln sich in dem klaren Gewässer, an dessen Rande sie wachsen, uud das Bächlein fließt nun schöner, und wie bekränzet dahin? Darum ist eS auch daS Blümchen der Liebe und Zärtlichkeit, und ich habe es mir zum Liebling erkoren, und gebe es euch beiden. So gab sie eS den Brüdern mit einem Kuß, und die Brüder dankten mit einem Kuß. Und die Schutzengel der Kinder lächelten dem schönen Bunde der Unschuld. — So waren die Liblingsblumen erkoren. Da sprach Alwina -- Wir wollen in zwei Kränze sie flechten, und den lieben Aeltern sie weihen. So flochten sie zwei Kränze von den schönen Blumen, trugen sie zu den Aeltern, und erzählten ihr ganzes Beginnen, und die Wahl ihrer Blumen. Da freuten sich die Aeltern ihrer guten Kinder, und sprachen: Ein lieblicher Kranz! Liebe, fromme Unschuld und Bescheidenheit in einander verschlungen! Sehet, wie das eine Blümchen das andere hebet und verschönert, und so bilden sie gemeinsam die schönste Blumenkrone! Aber eS fehlt noch eins — antworteten die Kinder — und be¬ kränzten mit gerührter Dankbarkeit den Vater und die Mutter. 1 Io oampsoelle äs' suoi liori; 2 im vita e moto; 3 cals- manchrilla; 4 finden, trovai-e; 3 verschlingen, ioliecci-ire. 88 Da wurden die Aeltcrn bewegt vor Freude, und umarmten die Kinder herzlich und sprachen: Ein solcher Kranz ist doch herrlicher denn' Fürstenkronen! ix. Der Maler und sein Meister. (Bon F. A. Krummacher.) Ein junger Maler hatte ein vortreffliches Bild gefertigt, das beste, daS ihm je gelungen" war,- selbst sein Meister fand nichts daran zu tadeln. Der junge Maler aber war so entzückt darüber, daß er unaufhörlich das Werk seiner Kunst betrachtete, nnd seine Studien einstellte,- denn er glaubte sich nicht mehr übertreffen zu können. Eines Morgens, alS er von Neuem seines Bildes sich zu freuen gedachte 4, fand er, daß sein Meister das ganze Gemälde auSgelöscht hatte. Zürnend und weinend rannte er zu ihm und fragte nach der Ursache deS grausamen Verfahrens. Der Meister antwortete: » Ich hab'eS mit weisem Bedacht gethan. DaS Gemälde war gut, als Beweis deines Fortschrittes, aber eS war zugleich dein Verderben. » »Wie so? » fragte der junge Künstler.» Lieber», antwortete der Meister,» du liebtest nicht mehr die Kunst in deinem Bilde, sondern nur dich selbst. Glaube mir, eS war nicht vollendet, wenn eS auch unS so schien-', eS war nur eine Studie.—Da, nimm^ den Pinsel und siehe, waS du von Neuem erschaffst. Laß dich daS Opfer nicht gereuen. DaS Große muß in dir sein, ehe du eS ans die Leinwand zu bringen vermagst d, » Muthig und voll Zutrauen zu sich und seinem Lehrer ergriff'" er den Pinsel und vollendete sein herrlichstes Werk: DaS Opfer der Iphigenie. —Denn der Name deS Künstlers war LimantheS. X. Das Orakel. (Von F. A. Krummacher.) Strephon, ein vornehmer griechischer Jüngling, sprach eines LageS zu seinem Lehrer: » Ich möchte gern nach Delphi gehen, 1 clis; 2 gelingen, riusoirs; 3 finden, irovaes; 4 gedenken, penssi-s,- 3 rennen, coi-rare; 6 i-iklessiolls, xroposiw; 7 scheinen, rembr-ire; 8 nehmen, prsndars ; 9 Vermögen, xolera; 10 er¬ greifen, kllldrime, ä»r <1i xiglio. 89 mir meine Zukunft weissagen zu lassem Viel besser werd' ich alS- dann, so scheint es mir, mein Leben gestalten und sicherer de» Weg der Weisheit erwählen. » — » Wenn du meinst, -> ant¬ wortete der Lehrer, » so will ich dich begleiten. » Sie begaben" sich auf den Weg, und kamen nach Delphi.Mit eigenen Empfindungen der Ehrfurcht betrat"" der Jüngling die schauerliche Gegend, die das Heiligthum umgabt. Sie gelangten zum Tempel und setzten sich gegenüber. Da laS Strcphon die Aufschrift des Tempels über dessen Eingang: » Erkenne dich selbst.» — » WaS wollen diese Worte? » fragte er den Lehrer. Dieser anwortete: » Sie sind leicht zu deuten. Bedenke: wex du bist, und wozu du das Leben empfangen hast. Man muß doch wohl zuvor sich selbst erkennen, ehe man an die Erforschung seiner Zukunft sich wagt. 4. » » Wer bin ich denn? » fragte der Jüngling. » Du bist Stre- phon, » antwortete der Lehrer,» der Sohn de§ redlichen Aga- thias. Aber wenn dich jetzt, wie vor Kurzem deinen Bruder Kallias, der Tod überraschte, würde ich dann auch zu deinem entseelten 5 Körper, oder zu deiner Asche sprechen: Mein lieber Strephon? Siehe, daS Wesen, das in dir denkt, und nun bald seine Zukunft aus dem Munde des Priesters erfahren wird, — das bist du selbst. Dieses unsichtbare Wesen ist dazu bestimmt, dein Thun und Lassen zu leiten, und dein ganzes Leben zu einem rein gestimmten Ganzen zu bildend Dadurch wirst du der Gottheit ähnlich und mit dir selbst zufrieden werden. Denn der Mensch, in welchem der Geist herrscht, ist einer wohl gestimmten? Leier zu vergleichen, die nur liebliche Töne hcrvorbringt. Der Mensch aber, den die sinnliche Lust und Leidenschaft beherrscht, ist ein Sclave, und der niedere Trieb führt ihn, wohin sie will, auf ungöttlichen Wegen. Wer nun diese seine Bestimmung lebendig erkennt und sich selbst erforscht, wie weit er auf diesem Wege zu seinem Ziele gelangt, oder davon entfernt ist — der erkennt sich selbst. » 1 sich auf den Weg begeben, iacsmaainarsi; 2 betreten, «l>- liare, pori-e il pleäs; 3 umgeben, circoociaie; 4 pistma «sti ar- riscliiai-gi scl esawiaare il suo avveairs; 3 esaoime; 6 e<1 s lormsre clell'inlieea tua vila ua com^Iesso orstiaalo co» pu- >erra; 7 Ken aecoräata. 80 Der Jüngling schwieg. Darauf sagte der Lehrer- -> Wohlan, laß uns jetzt in das Heiligthum treten. -> Aber Strephon sprach: » Nein, mein theurer Lehrer, mir genügt die Inschrift; ich schäme mich meines thörichtcn Wunsches, und habe genug mit mir selbst und der Gegenwart zu thun, alS daß mich meine Zu¬ kunft bekümmern sollte.» » Wohl dir, -- sagte der Lehrer, » laß dich die Reise nicht gereuen, du hast deinen Endzweck erreicht, und GotteS Stimme vernommen'. Du bist auf dem Wege der Weisheit; dafür bürgt mir deine Demuth, die erste Frucht der Selbsterkenntuiß. » xi. Der Wein. (Von F- A. Krummacher.) Auf der herrlichen Insel ChioS lebte in alter Zeit ein edel¬ gesinnter Mann, der aus dem Lande Asien herübergekommcn war, und sich daselbst eine Wohnung erbaut hatte, nicht fern vom Gestade des Meeres- Auch hatte er hier an den sonnigen Hügeln Weinreben gepflanzt, die köstliche Frucht seines Vaterlandes. Diese wuchsen 3 schöner, als er gedachtund brachten den herrlichen Wein, den man Chier Wein nennt, den schönsten, den Griechen¬ land und die Inseln erzeugen. Der Mann aber, Philon hieß^ sein Name, war fromm und liebte die Menschen. Deßhalb dachte er bei sich selbst, wie er dem guten Wesen, daS die Erde befruchtet und die Menschen ernährt, seinen Dank bringen möchte^ für die herrliche Gabe deS Weines und den süßen Segen seiner Reben. Da sprach er - Er hat mir Gutes erzeigt und mein Herz erfreut, ich will wiederum andern Menschen Gutes thun und ihr Herz er¬ freuen. DaS möchte wohl der beste Dank sein, den ich dem Wesen, daS nichts bedarf?, zu bringen vermag«. So sprach er und that also, und erfreute und labte die Kran¬ ken und Traurigen ringsumher, und die Fremdlinge, die zu ihm kamen. 1 vernehmen, intenäere; 2 äi sentimenti nokili; 3 wachsen, xreseers; 4 denken, pensais; 8 heißen, cvmmgrsi; 6 mögen, pokere; 7 bedürfen, sdbisognsre; 8 vermögen, potere. 61 Und die Kranken und Traurigen priesen ' die Kraft des Weines und sagten: ES ist eine Gabe Gottes! Aber höher noch priesen sie die Güte und Wohlthätigkeit des Mannes. Denn ste sprachen: Er ist ein Mann GottcS l Eines TageS war ein Sturm auf der See, und das Meer ging hoch und brausete. Da schwankte in der Ferne ein Schiff, und die Schiffer zitterten und zagten vor der Gewalt de§ Sturmes. Philon aber stand am Gestade voll Angst und Mitleid- Denn der Sturm nahm überhand 2, und das Schiff trieb gegen die Insel Chios- RingSumher aber waren viele Klippen unter dem Meer. Da trieb daS Schiff gegen die Klippen und borst mitten entzwei, und ward verschlungen 6 von den Wellen. Aber die Schiffleute retteten sich und schwammen? auf Brettern, und die Wellen warfen sie an daS Gestade. Nur der Schiffsherr und der Steuermann waren blutrünstig an Haupt und Gliedern, den die Wellen hatten sie gegen dis Felsen geworfen. Da gebot') Philon sie in sein Hans zu tragen, und goß Wein und Ochl in ihre Wunden und erquickte sie mit dem ältesten und edelsten Saft seiner Reben. Und sie begannen" zu genesen und schlummerten; denn die Kraft dcS Weines stärkte und er¬ quickte sie. Zu dem Schiffsvolk aber sprach er: Gehet auch ihr jetzt hinein i» meine Wohnung, auf daß ihr erquickt werdet. Und seinen Dienern befahl" er, ihnen Brot und Wein zn reichen. Und es geschah also. Darauf führte Philon die Edleren des Schiffes, reisende Schüler deS weisen Pythagoras, unter die Citronen und Palmen seines Gartens, und labte sic mit seinem Weine. Und als ihr Herz erwärmt war, öffneten sich ihre Lippen, und sie redete» von Gott, von der Bestimmung deS Menschen und der unsterblichen Dauer der Seele, und stimmten Lobgesänge an; und ihre Seelen stossen in einander 1 preisen, lodare; 2 überhand nehmen, andgre crescendo; 3 treiben, svanrsrsi; 4 su spinr»; 8 bersten, spierrsrsi; 6 ver¬ schlingen, ingojors; 7 schwimme», nuowre; 8 werfen, geltors; 9 gebieten, ordinäre; 10 gießen, vers»re; 11 beginnen, inco- mincisre;12 befehlen, ordinäre; 13 geschehen, svvenire; 14 stießen, lvndersi. 62 so wie der Saft der Beeren in einander fleußt und einen köstlichen Trank bildet. So saßen sie bei den bekränzten Kelchen, und der Abendstern erhobsich über ihren Häuptern. Da erscholl plötzlich ein Getöse aus der Wohnung herüber und ein lautes Geschrei vieler Stimmen. Da sprangt Philon sammt den weisen Männern auf, und sie liefen <> hinein, und erschraken?. Denn die KraftdcS Weines hatte die rohe GemüthSart deS Schiffs- Volkes aufgeregt zum schrecklichen Streite. Sie hatten die Wohnung deS wohlthätigen Mannes und fei» HauSgeräthe zertrümmert und die friedsamen Becher deS Weins in Waffen verwandelt. Die Erde trofft vom Blut der Erschlagenen und Verwundeten und das Haus erscholl vom wüthigen Getöse. Da ergrimmte Philon in seinem Geiste und sprach: Ihr Frevler, ist dieses der Dank für meine Güte, womit ich euch von dem herr¬ lichen Getränk gereicht habe, daS ihr so schändlich entweihet. Wandelt zurück zu den Fluthen dcS MeereS, welchen ihr ähnlich seid, und die euch aufgeworfen haben! Ihr seid nicht würdig, unter meinem Dache zu wohnen und der köstlichen GottcSgabe zu genießen. So sprach er, und warf sie hinaus in die finstere Nacht. Die Andern aber führte er hinein und bewirthete fie köstlich, nnd verpflegte ste, uud erhob den funkelnden Kelch nud sprach: Wir wollen nicht die herrliche Gabe Gottes den frevelnden Mißmuth entarteter Menschen entgelten lassend Auch die Sonne, die das Gewächs der Reben erzeugte, und deren Glanz auS ihm hervorstrahlt, — wenn ste auf Moder scheint, brütet ste giftige Dünste auS. So mißbrauchen auch die Menschen die himmlische Weisheit, die ihnen zum Trost und zur Freude gegeben ward, zu Jammer und Blutvergießen. Aber den Weisen und Stillen im Lande bleibt ste ein Baum deS Lebens. 1 sttzen, -itsre seäulo; 2 L.spsro; 3 fich erheben, sirsrsi; 4 erschallen, risuonai-c; 6 aufspringeu, kolrai-s in piecki; 6 hin¬ einlaufen, voi-rers äontro; 7 erschrecken, sxsveotsrsi; 8 triefen, groncksoe; 9 non vogli-nno toi- pggsre >l lio insgnilico äono cii Dio psi trrieotants insl snirno
  • Krummacher.) Ein reicher Mann, Namens ChryseS, gebot' eine arme Wittwe sammt ihren Kinder» aus einem seiner Häuser zu vertreiben, weil sie den jährlichen Zins nicht zu zahlen vermochte Als die Diener nun kamen, sprach da§ Weib: -- Ach, verziehet ein wenig; vielleicht daß euer Herr sich unter erbarme: ich will zu ihm gehen und ihn bitten. » Darauf ging die Wittib zu dem reichen Mann mit ihren vier Kin¬ dern, denn eines lagb krank darnieder, und alle sieheten inbrünstig, sie nicht zu verstoßen. Chryses aber sprach: » Meine Befehle kann ich nicht ändern, es sei denn^, daß ihr eure Schuld sogleich bezahlet.» Da weinte die Mutter bitterlich und tagte: -- Ach, die Wege eines kranken KindeS hat al! meinen Verdienst verzehrt und meine Arbeit gehindert. » Und die Kinder sieheten mit der Mutter, sie nicht zu verstoßen. Aber ChryseS wandte b sich hinweg von ihnen, und ging in sein Gartenhaus und legte sich auf den Polster zu ruhen, wie er psiegte. CS war aber ein schwuler Lag, und dicht am Gartensaal sioßb ein Strom; der verbreitete Kühlung, und eS war eine Stille, daß kein Lüftchen sich regte. Da hörte ChryseS das Gelispel deS Schilfs am Ufer, aber eS tönte ihm gleich dem Gewinsel der Kinder der armen Wittwe; und er ward unruhig auf seinem Polster. Darnach horchte er aufdas Rauschen des Stromes, und eS däuchte ihm, als ruht' er an dem Gestade eines unendlichen Meeres, und er wälzte sich auf seinem Pfühle. — Als er nun wieder horchte, erscholl? auS der Ferne der Donner eines aufstcigenden Gewitters; da war ihm, als ver¬ nahm' 8 er die Stimme des Gerichtes. Nun stand v er plötzlich auf, eilte nach Hause und gebot seinen Knechten, der armen Wittib das HauS zu öffnen. Aber sie war sammt ihren Kindern in den Wald gegangen und nirgend zu finden. Untcrdeß war daS Wetter heraufgezogen °°, und eS donnerte und 1 gebieten, oräirisl-s; 2 vermögen, procers; 3 krank darnicdcr- liegen, sssors checomdknte mslsttis; 4 s meno clie toslo xsZIiiste, ecc.; ö sich Hinwegwenden, voIZLrsi vis; 6 siießen, scoi-i-ers; 7 erschallen, ri8llorisrs; 8 vernehmen, uäire; s auf¬ stehen, levsrsi; IO Heraufziehen, levsi-iii, sorgei-e. 64 fiel' ein gewaltiger Regen. ChryfeS aber war voll Unmuths und wandelte umher. — Am andern Tage vernahm ChyrfeS, daS kranke Kind sei im Walde gestorben und die Mutter mit den andern hinweggezogen. Da ward ihm sein Garten sammt dem Saal und Polster zuwider, und er genoß" nicht mehr der Kühlung deS rauschenden Stromes. Bald darnach siel ChryfeS in eine Krankheit, und immer in der Hitze deS Fiebers vernahm er deS SchilfeS Gelispel und den rauschenden Strom und daS dumpfe Tosen deS aufstcigcnden Wettere'. Also verschied er. VIII. Der Lorbeerkranz. (Bon AgneS Franz ) OdaciS, ein tapferer Krieger deS großen Alexander, kam einst bei einer armseligen Hütte vorbei"», auS der ihm das Stöhnen eines Kranken entgegentönte. Cr warfb einen Blick durch die offenstehende Thür; eine bleiche Gestalt ruhte auf einem dürftigen Lager, zu dessen Füßen ei» Lorbeerbaum stand-'. AlS er naher trat^, gewahrte cr be¬ kannte Züge. Cs war Clpinor, ein Freund seiner Jugend, den er seit langen Jahren nicht gesehen hatte. Ihn ebenfalls erkennend, reichte dieser ihm die matte Hand entgegen. OdaciS! begann d er leise, dich segneten die Götter mit Ehre und Ruhm! Nnn ist eS erfüllt, waS wir einst in den Jahren glücklicher Jugend geträumt! Wir sehen alS Helden uns wieder! AlS Helden? erwiederte OdaciS, ihn staunend betrachtend. Welchen Feind halfst'° du besiegen, und welchen Kampf hast du bestanden?" Clpinor entgegnete: Mein Kampf war ein langes Siechthum'", mein Feind die Verzweiflung ! Schon wollte ich deS unnützen LebenS Faden zerreißen, denn ich sah euch kämpfen und siegen mit ihm, dem großen Ueberwinder, und mußte zurückbleiben, gehalten von 1 fallen, Ciiäeee; 2 genießen, guäere; 3 verscheiden, sxirsr«; 4 Vorbeikommen, passare; 3 werfen, gkttsre; 6 »xerta; 7 stehen, Llui-e; 8 näher treten, svvieiusisi; 9 beginnen, incomincisrs; 10 helfen, sjulars; II bestehen, sosteusrn; 12 inlerkints. 68 Len Fesseln der Krankheit. Da träumte mir einst don einem freund¬ lichen Engel; der legte mir einen Lorbeerkranz auf' S Haupt, und des Engels Name war Geduld. Da fühlte ich mein Unrecht und meine Feigheit, daS schwere Leben nicht länger tragen zu wollen, und der Kranz wurde von nun an mein Verlangen. Darum ließ ich mir jenen Lorbeerbaum vor mein Lager stellen, damit der Gedanke deS SiegeS die Schmerzen deS Kampfes crleichtre, und eS war mir, als vergässe' ich so leichter mein trauriges Loos. Du glaubst alw, daß wir gleiche Kränze verdienen? sprach OdaciS, und ein spöttisches Lächeln flog über sein Gesicht- Der Unglückliche, crwicdcrte Elpinor, der mit unverdienten, körperlichen Leiden zu kämpfen hat, und nicht verzagt, ist ein Held, und steht so hoch wie jener, der Alexanders Schlachten schlug b. Dort ist der Tod ein schnellzuckendcr Blitz, hier ein langsamvcr- zehrender Sonnenstich; dort wird dem Sieger Ehre und Ruhm — hier Armuth und gänzliches' Vergessen. — Ach, OdaciS, der Kampf mit körperlichen Leiden ist lang und ermattend, gönne darum Clpinorn den Kranz! Da gereute OdaciS seine Frage, und er erkannte der Rede Wahrheit; er eilte zu seinem Gezelt und brachte den Lorbecrkranz, Len er bei dem SiegeSeinzug in Babylon empfangen hatte, und legte ihn auf deS Sterbenden Haupt. 1 vergessen, äinienticsre; 2 fliegen, volsre, Lcorrere; 3 eine Schlacht schlagen, äsre uns dsttsglis (cd« cnwbstte nellv dm- lciglie äi ecc.) S S6 Fünftes Kapitel. Bruchstücke aus Romanen und Novellen. I. Die Bildsamkeit des Menschen. (AuS CH. M. Wieland'S Roman: Der goldene Spiegel, oder die Könige von Scheschian.) Der Mensch (sagte DschengiS), kommt unvollendet, aber mit einer Anlage zu bewundernswürdigen Vollkommenheiten aus den Händen der Natur, Die nämliche Bildsamkeit macht ihn gleich fähig, sich die Form eines GotteS — oder die Mißgestalt eineS Ungeheuers aufdrucken zu lassen. Alles hängt von den Umständen ab, in welche er beim Eintritt in die Welt versetzt wurde, und von den Eindrücken, die sein wächsernes Gehirn in der ersten Jugend empfing- Bleibt er stch selbst überlassen, so wachsen seine Neigungen in wilder Ueppigkeit mit ihm aus, und seine edelsten Kräfte bleiben unentwickelt. Lebt er in Gesellschaft, so nimmt er unvermerkt die Sprache, die Manieren, die Sitten, die Mei¬ nungen, daS Interesse und den Geist der besonderen Gesellschaft an, die ihn umgibt; und so verbreitet stch daS Gift der physischen und sittlichen Vcrderbni'ß, wenn e§ einmal den Zugang in diese Gesellschaft gefunden hat, unvermerkt durch die ganze Masse. Der Mensch wird gut oder schlimm, aufrichtig oder falsch, sanft oder ungestüm, blödsinnig oder witzig, träge oder thätig, je nachdem eS Diejenigen sind, von welchen er sich umgeben sieht- Und wiewohl keiner ist, der nicht etwas von der besonderen Anlage zu einem eigcnthümlichen Charakter, womit ihn die Natur ge¬ stempelt hat, beibehielte, so dient doch dieS in großen Gesellschaften meistens nur die Anzahl der übel gebildeten und grotesken sittlichen Formen zu vermehren. Je größer diese Gesellschaften, uud je großer die Menge der kleineren ist, aus welchen sie, wie die Zirkel in dem Weltsystem unserer Stcrnscher, zusammen gesetzt sind, je mehr diese verschiedenen kleinen Kreise einander drücken und pressen, je häufiger die Leidenschaften, Vortheile und Ansprüche in diesem allgemeinen Gewimmel an einander stoßen: desto mehr 67 geht von der ursprünglichen Gestalt des Menschen verloren. Eine sehr kleine und von der übrigen Welt abgeschnittene Gesellschaft erhalt sich ohne Mühe bei der angebornen Einfalt und Güte der Natur. Hingegen ist es eine schlechterdings unmögliche Sache, daß etliche Millionen, welche zusammen in Einem Staate von mäßiger Größe, oder etliche hundert Tausend, welche in Einer Stadt zusammen gedrängt leben, einander nicht in ziemlich kurzer Zeit verderben sollten, wofern der Gesetzgeber nicht ganz besondere Sorge getragen hat, dem Uebel deS Zusammenstoßes der Inte¬ ressen, und dem noch größeren Uebel der sittlichen Ansteckung durch weise Einrichtungen zuvorzukommen. II. Plato am Hofe zu Syrakus (Aus CH. M. Wieland' 6 Roman: Geschichte des Agathon.) Die Berufung deS Plato war eine Sache, an welcher schon geraume Zeit gearbeitet worden war. Allein der Philosoph hatte große Schwierigkeiten gemacht, und würde (ungeachtet des Zu¬ spruchs seiner Freunde, der Pythagoräcr in Italien, welche die Bitten Dions unterstützten) auf seiner Weigerung bestanden sein, wenn die erfreulichen Nachrichten, welche Dion von der glücklichen Gemüthsvcrfaffung deS Tyrannen gab, und die drin¬ genden Einladungen, die in desselben Namen an ihn ergingen, ihm nicht Hoffnung gemacht hatten, der Schutzgeist SicilienS werden zu können. Plato erschien also am Hose zu Syrakus mit aller Majestät eines Weisen, der sich durch die Größe seines Geistes berechtigt halt, die Großen der Welt für etwas weniger als seines gleichen anzusehen. Denn, ob eS gleich damahlS noch keine Stoiker gab, so pstegten doch die Philosophen von Profession bereits sehr bescheiden zu verstehen zu geben, daß sie in ihren eignen Augen eine höhere Klasse von Wesen ausmachtcn, als die übrigen Erden¬ bewohner. Dieses Mal hatte die Philosophie das Glück eine Figur zu machen, deren Glanz der hohen Einbildung ihrer Günst¬ linge gemäß war- Plato wurde wie ein Gott ausgenommen, und wirkte durch seine bloße Gegenwart eine Veränderung, welche, in den Augen der erstaunten Syrakuser, nur ein Gott hervorzubcingcn mächtig genug schien. In der That glich das neue Schauspiel, welches sie Allen, die dielen Hof vor wenigen Wochen gesehen 68 hatten, darstellte, einem Werke der Zauberei. Aber — O! wie natürlich finden wir auch daS Außerordcntlichste, so bald wir die wahren Triebräder davon kennen! Der erste Schritt, welchen der göttliche Plato in den Palast deS DionysiuS that, wurde durch ein feierliches Opfer, und die erste Stunde, worin fie sich mit einander besprachen, durch eine Verbesserung, die sich sogleich über den ganzen Hof auSbreitete, bezeichnet.In wenigen Tagen glaubte Plato in fcinerAkadcmie zu Athen zu sein, so bescheiden und eingezogen sah Alles in dem Hause dcS Prinzen auS. Die asiatische Verschwendung machte auf einmal der philosophischen Einfalt Platz. Die Vorzimmer, welche kurz zuvor von schimmernden Gecken und allen Arten lustigmachen¬ der Personen gewimmelt hatten , stellten jetzt akademische Säle vor, wo man nichts alS langbärtige Weise sah, welche einzeln und paarweise, mit gesenktem Haupt und gerunzelter Stirne, in sich selbst und in ihre Mäntel cingehüllt, auf und ab schritten, bald alle zugleich, bald gar nichts, bald nur mit sich selbst spra¬ chen , und, wenn sie vielleicht gerade am wenigsten dachten, eine so wichtige Miene zogen, als ob der Geringste unter ihnen mit nichts Kleinerem umginge, alS die beste Gesetzgebung zu erfinden, oder den Gestirnen einen regelmäßigem Lauf anzuweisen. Die üppi¬ gen Bankette, bei denen KomuS und BacchuS mit tyrannischem Zepter die ganze Nacht durch geherrscht hatten, verwandelten sich in PytHag arische Mahlzeiten, wo man sich an Gesprä¬ chen über die erhabensten Gegenstände des menschlichen Verstandes sättigte. Statt frecher Pantomimen und wollüstiger Flöten, ließen sich Hymnen zum Lob der Götter und der Tugend hören; und um den Gaumen zum Reden anzufcuchten, trank man aus kleinen Sokrati schen Bechern Wasser mit Wein vermischt. Dionysius faßte eine Art von Leidenschaft für den Philosophen. Plato mußte immer um ihn sein, ihn aller Orten begleiten, zu Allem seine Meinung sagen. Die begeisterte Einbildungskraft LieseS sonderbaren Mannes, welche, vermöge der natürlichen Anstcckungskraft des Enthusiasmus, sich auch seinen Zuhörern mittheilte, wirkte so mächtig auf die Seele des Prinzen, daß er ihn nie genug hören konnte. Die Stunden däuchten ihn kürzer, wenn Plato sprach , alS ehmalS in der Gesellschaft der kunsterfah¬ rensten Buhlerinen. AlleS, was der Weise sagte, war so schön, so erhaben, so wunderbar! erhob den Geist so weit über sich 69 selbst! warf Strahlen von so göttlichem Licht in da§ Dunkel der Seele! In der Lhat konnte eS nicht anders sein, da die ge¬ meinsten Ideen der Philosophie für Dionysen den frischesten Reiz der Neuheit hatten- Und nehmen wir zu allem Diesem noch, daß er das Wenigste recht verstand (ob er gleich, wie viele andere seines gleichen, zu eitel war es merken zu lassen), noch Alles verstehen konnte, weil der begeisterte Plato sich in der Lhat zuweilen selbst nicht allzu wohl verstand; bedenken wir die erstaunliche Gewalt, die ein in schimmernde Bilder eingekleideteS mystisches Räthfel über die Unwissenden zu haben pflegt: so werden wir begreifen, daß niemals etwas natürlicher war, alS der außeror¬ dentliche Geschmack, welchen Dionysius an dem Gott der Phi¬ losophen (wie ihn Cicero betitelt) fand; zumal da er noch überdies ein feiner stattlicher Mann war, und sehr wohl zu le¬ ben wußte. Hl. Die Vorzüge des Dichters. (Aus I. W. Goethe' s Roman: Wilhelm Meisters Lehrjahre.) Wie sehr irrst du, lieber Freund, wenn du glaubst, daß ein Werk, dessen erste Vorstellung die ganze Seele füllen muß, in unterbrochenen, zusammengegeizten Stunden könne hervorgebracht werden. Nein, der Dichter muß ganz sich, ganz in seine» geliebten Gegenständen leben. Er, der vom Himmel innerlich auf daS köst¬ lichste begabt ist, der einen sich immer selbst vermehrenden Schatz im Busen bewahrt, er muß auch von außen ungestört mit seinen Schätzen in der stillen Glückseligkeit leben, die ein Reicher ver¬ gebens mit aufgehäuften Gütern um sich hervorzubringen sucht. Sich die Menschen an, wie sie nach Glück und Vergnügen rennen! Ihre Wünsche, ihre Mühe, ihr Geld jagen rastlos, und wonach? Nach dem, waS der Dichter von der Natur erhalten hat, nach dem Genuß der Welt, nach dem Mitgefühl seiner selbst in Andern, nach einem harmonischen Zusammensein mit vielen oft unverein¬ baren Dingen. Was beunruhigt die Menschen, als daß sie ihre Begriffe nicht mit den Sachen verbinden können, daß der Genuß sich ihnen unter den Händen wegstiehlt, daß das Gewünschte zu spät kommt, und daß alles Erreichte und Erlangte auf ihr Herz nicht die Wirkung thut, welche die Begierde uns in der Ferne ahnen läßt. Gleichsam wie einen Gott hat da§ Schicksal den Dichter über 70 dieses AlleS hinüber gesetzt- Er sieht das Gewirrs der Leidenschaften, Familien und Reiche sich zwecklos bewegen, er sieht die unauflöslichen Räthscl der Mißverständnisse, denen oft nur ein einsylbigeS Wort zur Entwickelung fehlt, unsäglich verderbliche Verwirrungen verur¬ sachen. Er fühlt daS Traurige und das Freudige jedes Menschen¬ schicksals mit. Wenn der Weltmensch in einer abzehrenden Melan¬ cholie über großen Verlust seine Lage hinschleicht, oder in ausge¬ lassener Freude seinem Schicksale entgegen geht, so schreitet die empfängliche leichtbewegliche Seele deS Dichters, wie die wandelnde Sonne, von Nacht zu Lag fort, und mit leisen Ucbergängen stimmt seine Harfe zu Freude und Leid. Eingeboren auf dem Grund seines Herzens wächst die schöne Blume der Weisheit hervor, und wenn die Andern träumen, und von ungeheuren Vorstellungen aus allen ihren Sinnen geängstigct werden, so lebt er den Traum des Lebens alS ein Wachender, und das Seltenste, waS geschieht, ist ihm zugleich Vergangenheit und Zukunft. Und so ist der Dichter zugleich Lehrer, Wahrsager, Freund der Götter und der Menschen. Wie! willst du, daß er zu einem kümmerlichen Gewerbe herunter steige? Er, der wie ein Vogel gebaut ist, um die Welt zu überschweben, auf hohen Gipfeln zu nisten, und seine Nahrung von Knospen und Früchten, einen Zweig mit dem andern leicht verwechselnd, zu nehmen, er sollte zugleich wie der Stier am Psiuge ziehen, wie der Hund sich auf eine Fährte gewöhnen, oder vielleicht gar an die Kette geschloffen einen Meierhof durch sein Bellen sichern? IV. Wir sind in Venedig. (AuS F. Schiller' s Roman: Der Geisterseher.) Den folgenden Abend (erzählen zwei Reisende, von denen der eine ein Prinz') fanden wir uns zeitlicher alS gewöhnlich auf dem MarkuSplatze ein. Ein plötzlicher Regenguß nöthiqte unS in ein Kaffeehaus einzukehren, wo gespielt wurde. Der Prinz stellte sich hinter den Stuhl eines Spaniers, und beobachtete daS Spiel. Ich war in ein anstoßendes Zimmer gegangen, wo ich Zeitungen laS. Eine Weile darauf hörte ich Lärmen- Vor der Ankunft deS Prinzen 1 Karl Alexander, Herzog von Würtemberg (1733-1737). 71 war der Spanier unaufhörlich im Verluste gewesen, jetzt gewann er auf alle Karten. DaS ganze Spiel ward auffallend verändert, und die Bank war in Gefahr, von dem Pointeur, den diese glückliche Wendung kühner gemacht hatte, gesprengt zu werden. Ein Venetianer, der sie hielt, sagte dem Prinzen mit beleidigendem Tone, er störe daS Glück, und er solle den Tisch verlassen- Dieser sah ihn kalt an, und blieb; diese Fassung behielt er, als der Vene¬ tianer seine Beleidigung französtsch wiederholte. Der Letztere glaubte, daß der Prinz beide Sprachen nicht verstehe, und wandte sich mit verachtungsvollem Lachen zu den Uebrigcn : -- Sagen Sie mir doch, meine Herren, wie ich mich diesem Balordo verständlich machen soll? „ Zugleich stand er auf, und wollte den Prinzen beim Arm ergreifen; diesen verließ hier die Geduld; er packte den Ve- netiancr mit starker Hand, und warf ihn unsanft zu Boden. DaS ganze Haus kam in Bewegung. AufdaS Geräusch stürzte ich herein; unwillkürlich rief ich ihn bei seinem Namen. -> Nehmen Sie sich in Acht, Prinz, » setzte ich mit Unbesonnenheit hinzu, » wir sind in Venedig! -> Der Name des Prinzen gebot eine allgemeine Stille, woraus bald ein Gemurmel wurde, daS mir gefährlich schien. Alle anwesenden Italiener rotteten sich zu Haufen, und traten bei Seite. Einer um den Andern verließ den Saal, bis wir uns beide mit dem Spanier und einigen Franzosen allein fanden. » Sie sind verloren, gnädiger Herr, » sagten Alle, » wenn Sie nicht sogleich die Stadt verlassen. Der Venetianer, den Sie so übel behandelt haben, ist reich genug, einen Bravo zu dingen. Cs kostet ihm nur fünfzig Zechincn, Sie aus der Welt zu schaffen. » Der Spanier bot sich an, zur Sicherheit des Prinzen Wache zu holen, und unS selbst nach Hause zu begleiten. Dasselbe wollten auch die Franzosen. Wir standen noch und überlegten, was zu thun wäre, als die Thüre sich öffnete, und einige Bedienten der Staats-Jnquisttion hereintraten. Sie zeigten uns eine Ordre der Regierung, worin uns beiden befohlen ward, ihnen schleunig zu folgen. Unter einer starken Bedeckung führte man unS bis zum Canal. Hier erwartete unS eine Gondel, in die wir uns setzen mußten- Ehe wir ausstiegen wurden unS die Augen verbunden. Man führte unS eine große steinerne Treppe hinauf, und dann durch einen langen gewundenen Gang über Gewölbe, wie ich aus dem vielfachen Echo schloß, das unter unfern Füßen hallte. Endlich gelangten wir vor eine andere Treppe, welche uns sechs und zwanzig Stufen in die Tiefe hinunter führte. 72 Hier öffnete sich ein Saal, wo man uns die Binde wieder von den Augen nahm. Wir befanden unS in einem Kreise ehrwürdiger alter Männer, alle schwarz gekleidet, der ganze Saal mit schwarzen Tüchern behangen und sparsam erleuchtet, eine Todtensiillc in der ganzen Versammlung, welches einen schaudervollen Eindruck machte. Einer von diesen Greisen, wahrscheinlich der oberste Staats- Inquisitor, näherte sich dem Prinzen, und fragte ihn mit einer feierlichen Miene, während man ihm den Venetianer vorführte: -- Erkennen Sie diesen Menschen für den nämlichen; der Sie auf dem Kaffeehause beleidiget hat? » » Ja, » antwortete der Prinz. — Darauf wandte Jener sich zu dem Gefangenen! » Ist daS dieselbe Person, die sie heute Abend wollten ermorden lassen?» Der Gefangene antwortete mit Ja. Sogleich öffnete sich der Kreis, und mit Entsetzen sahen wir den Kopf des VenetianerS vom Rumpfe trennen. » Sind Sie mit dieser Genugthuung zufrieden? » fragte der Staats-Inqui¬ sitor. — Der Prinz lag ohnmächtig in den Armen seiner Be¬ gleiter. — »Gehen Sie nun, »fuhr Jener mit einer schrecklichen Stimme fort, indem er sich gegen mich wandte, » und urtheilen Sie künftig weniger vorschnell von der Gerechtigkeit in Venedig.» Wer der verborgene Freund gewesen, der un§ durch den schnellen Arm der Justiz von einem gewissen Tode errettet hatte, konnte» wir nicht errathen. Starr vor Schrecken erreichten wir unsere Wohnung. CS war nach Mitternacht. v. Die Galeere zu Toulon. (Aus M. A- Lhümmel's Roman: » Reise in die mittäglichen Provinzen von Frankreich. » ) Ich habe zwar schon manche öffentliche Anstalten für das gemeine Beste gesehen, die wenig Raum einnahmen, aber noch keine, wo der Platz so benutzt und die Ersparniß alles Ueberstüssigcn so sichtbar war, alS hier. Ein schwankendes Brett brachte mich zuerst in eine Kajütte, wo ein alter Kapuziner zwischen einem Crucifir und einer Arznei¬ schachtel die Rolle eines geistlichen und leiblichen Arztes zugleich spielte und in feinen Bewegungen, ohne angekettet zu sein, keinen größer» Zirkel beschreiben konnte, als den ich jetzt durch meine Dazwischen¬ kunft ausfüllce. Seine feurigen Augen, die aus dem blaffen verfalle¬ nen Gesichte vorschimmertcn wie glimmende Kohlen in einem Aschen- 73 Haufen, sein langer vor Alter gebleichter Bart, der ihm bis aufdcn Gürtel in krausen Wellen herabsioß, und die trübe gefällige Miene, mit der er mir seinen hölzernen Sessel cinräumte, machten schon einen starken Eindruck auf mein Gefühl; alS ich aber von ihm ver¬ nahm, daß er, jung hieher versetzt, auf diesem Bereinigungspunkte der größten physischen und moralischen Herabwürdigungen des Men¬ schen grau geworden sei, alS er einen Blick voll hoher Ergebung gen Himmel schlug, und mit rührender Stimme bekannte, daß bloß der Gedanke an Gott und die Unsterblichkeit ihn so lange aufrecht erhal¬ ten habe: da beugte sich mein Geist mit so tiefer Ehrerbietung, als mir schwerlich je ein König durch den Höllenglanz seiner Zeughäuser abnöthigen wird, freiwillig vor diesem edeldenkenden, duldenden Greise. Ich wußte meiner Milzsucht, die mir doch allein daS weh¬ mütige BergnügeNzseinerBekanntschaft verschafft hatte,nicht freund¬ lich genug dafür zu danken- Von keiner Kanzel, keinem Katheder ist mir die wundervollste aller Lugenden, die Tugend der Aufopferung, näher an das Herz gelegt worden, alS an dieser mir heiligen Stätte. DaS erhabene Beispiel dieses frommen Dulders, wie groß und unver¬ dächtig es auch sein mochte, wurde jedoch von einem vielleicht einzi¬ gen übertroffen, dessen zu erwähnen ihm der Verfolg seines Gesprächs Gelegenheit gab. Er blickte mir sanft lächelnd in die feuchten Augen. » Bemitleiden Sie mich nicht zu sehr, -> sagte er. » So lange mich noch jugendliche Wünsche bestürmten, ich die Sonne noch nicht vergessen konnte, die mich in dem kleinen Klostergärtchen beschien, ich noch an den Lindenbaum dachte, den ich dort gepflanzt und gepflegt hatte, und der jetzt einen glücklichem alS mich beschattet, und ach, so lange sich noch mein Herz nach der Stille, der Ordnung und der Reinlich¬ keit meines Klosters zurücksehnte, drängten sich freilich wohl manche Seufzer deö Unmuths aus meiner Brust; doch nach und nach, Gott sei gelobt! bin ich meiner strafbaren Ungeduld Herr geworden. Die Zeit kam, die uns kühl genug macht, alle irdische Freuden so nichtig und verächtlich zu finden, als sie cs in Rücksicht ihres geschwinden VorübergehenS sind. Die Zeit kam, wo wir unsre schmeichelhaftesten Hoffnungen, unsre gelungensten Thatcn ungewiß anstaunen und nach einer redlichen Untersuchung in denjenigen allein einen bleibenden Werth entdecken, die unS mit jener Welt in Verbindung setzen. Sie kam und brachte mir Trost. Ich habe sogar in meinem trau¬ rigen Wirkungskreise Blumen der Freude aufwachsen sehen, die so herzstärkend keinem andern entsprießen. Oft nur eiu Trunk 74 WasserS, Len ich einem Verschmachtenden reichte, ein kurzes Trostwort, das einen Verzweifelnden aufhielt, erwarb mir das Zutrauen deS Genesenen, die Liebe des Getrösteten, erhob mich zu ihrem Wohlthäter und machte mir den Posten lieb, auf den mich die Vorsehung gestellt hat. Gewiß würde das Entsetzen ihrer Strafe Viele getüdtet haben, die dem Kreise ihrer Freunde wieder gegeben jetzt frohe Tage genießen , hätten sie nicht gewußt, daß am Ein¬ gänge ihres Gefängnisses eine Seele noch Theilnahme für sie empfände, für sie betete und. auf ihr standhaftes Bezeigen Acht gäbe. Dort» — indem er auf ein Paket deutete — » hebe ich Briefe auf, wie sie gewiß kein Roman rührender darlegen wird, echte Urkunden deS menschlichen Herzens, und sprechende Beweise, daß an keinem zu verzweifeln ist, so lange es der Dankbarkeit noch Zugang verstattct. Je unverdorbener, desto empfänglicher für diesen Naturtrieb, je mehr es verdient geliebt zu werden, desto gefühlvoller wird cs sich erwiedern. Da habe ich unter meinen der Kette entlassenen Correspondenten besonders Einen, der eS immer noch nicht vergessen kann, Laß ich um seine Frendschaft als um ein Almosen bettelte, während er auf der Ruderbank saß, ein Mann, mein Herr, den, sonderbar genug! kein Verbrechen, vielmehr die Lauterkeit seiner hohen Seele diesen Schrecknissen preis gab, der sich alS Jüngling allen sinnlichen Freuden entriß, um die Strafe unsrer strengen Gesetze für einen Schuldigen zu büßen, der — sein Vater war.» — »Was? unterbrach ich den Mönch,» sprechen Sie von dem edelmüthigen Faber auS Ganges? Der hat auf dieser Galeere — » und Thränen verhinderten mich fortzusprechen. » Sie kennen also, wie ich sehe, einen Thcil seiner Geschichte?» — »Nein, lieber Pater, schluchzte ich, ich kenne sie ganz, und habe auch den rechtschaffenen Mann selbst gesehen und gesprochen.» — » Ganz? wiederholte der Mönch mein Wort, o dessen, mein guter Herr, werden Sie sich erst rühmen dürfen, wenn Sie» — hier öffnete er die Thür nach dem Innern des Schiffs — » von daher zurückkommen.» —Mein Blick fuhr erschrocken über dieses Grab der Verzweiflung, und der verpestete Luftstrom, dcr mir entgegen stieß, versetzte mir den Athem- Hätte Faber nicht Jahre lang hier gelitten ohne zu murren, ich wäre keinen Schritt weiter gegangen- Der gutmüthige Alte, wie er mich dazu entschlossen sah, ergriff meine Hand. » Ich will Sie zwar, aus guten Gründen, von ihrem Unternehmen nicht abhalten: Sie 73 scheinen jedoch für solch eine Anstrengung des Körpers und Geistes kaum Kraft genug zu besitzen. Hier, lieber junger Herr, trinken Sie zuvor ein GlaS T'Nto, der mit einem Liquor gegen die Ansteckung versetzt ist, und nun gehen Sie in GotteS Namen. Diese Stunde der Wehmuth stärke alle Ihre übrigen Tage zur Geduld, zum Erbarmen und zu einem schuldlosen Leben! » Mir ward, indem ich trank, so bänglich zu Muthe, alS einem, der, durch da§ heilige Nachtmal vorbereitet, ein tödtlicheS Wagffück zu bestehen im Begriffe ist. WaS für ein Gang war daS! Ich mag noch so alt werden, ich vergesse ihn nie. Sobald nur der hohle Schall meiner ersten Schritte auf daS Zwischcnverdeck deS Schiffs den unglücklichen Bewohnern desselben die Ankunft eines freien Mitmenschen verrieth, bewillkommte mich ihr betäubendes Kettengerassel, daS sich von einem Ende zum andern um die offene Seitenvertiefung herum zog, die unter mir ihre faulenden Körper bis an die Köpfe verbarg — und in dem Augenblicke streckten sie solche wie Schildkröten auS ihren Schale» hervor. Ich blieb vor Schrecken gelähmt eine Weile auf dem Fußboden stehen, ehe ich Herz genug fassen konnte zwischen den beiden Reihen dieser Gespenster durchzuschlüpfen. — Ach, welche tief gesunkene Menschen! Bei jedem Schritte, der mich bei ihnen vorbeiführte, küßten sie mir die Füße, erhoben sie, flehend um ein Almosen, ihre gefesselten Hände, und sahen mit Auge» voll Schwermuth und Eifersucht mir auf dem folgenden nach, den ich zu dem Nachbar ihres Elendes that. AthemloS gelangte ich an daS Ende dieser schauderhaften Allee. Hier lehnte ich meinen Rücken an die brctterne Wand, und überblickte mit einem Herzen, daS immer höher schlug, das ganze bewegliche, grausenerregende Gemälde, hörte in erschütterndem Einklänge die Wehklagen dieser lebendig Begrabene» auS ihrer gemeinschaftlichen Gruft zu mir herauf steigen, und erst nach einigen feierlichen Minuten, die ich stillstehend der schreckenvollsten Betrachtung weihte, überwand ich die Angst vor meinem Rückwege und fühlte mich selbst stark genug, Meiner Eile, meiner Sehmucht nach freier Luft zu gebieten, um dem Elend, daS hier weilte, noch einmal bedächtlichcr in daS hohle Auge zu sehen und ohne mein blutiges Herz zu schonen, ihm die Dolche noch tiefer einzudrücken, die eS zerfleischten. 76 vi. Cola Pelce. (AuS L- Tieck's Novelle: Der Wassermensch.) Gegen das Ende des fünfzehnten Jahrhunderts war ein Mann an den Küsten von Neapel und Sicilien bekannt, der NicolauS, nach gemeiner Abkürzung Cola hieß, und der, weil er fast immer ini Meere lebte, unermüdet stch als kühner Schwimmer zeigte, nm feiten, da er mit dem Clement immer vertrauter wurde, stch an da§ Land begab, vom Volke auch wohl ost im Scherz und nachher aus Ge¬ wohnheit Cola Pesce, Nicola der Fisch, genannt ward. Cr konnte, so erzählt man, stundenlang unter dem Wasser zubringen, er schwamm meilenweit, im größten Sturm mit derselben Sicherheit wie bei stillem Meer; er trieb stch so an den Küsten deS Landes umher, vor einer Insel zur andern schwimmend. Cr war von Catania gebürtig und bald von Fischern und Seefahrern gekannt. Sah er ein Schiff, schwamm er, war es noch so weit, ihm nach, stieg an Bord, aß etwas und sprach mit den Leuten; dann ließ er stch Briefe geben, da-, dorthin*, nah und fern, die er in einem ledernen Gürtel bewahrte, den er deßhalb immer auf dem nackten Leibe trug. Wenn man ihm der Art nichts geben konnte, nahm er wenigstens Grüße mit ay Verwandte und Freunde, zu denen er hinschwamm. Das Leben im Meer war ihm lo vertraut und nothwendig ge¬ worden, daß er über Mißbehagen und Brustschmerzen klagte, wenn er stch einige Stunden auf dem Lande aufgehalten hatte, i Da er arm war und von geringen Aelcern erzeugt, so war es diese Leidenschaft und Fähigkeit, die ihm seinen Unterhalt gab. Cr holte Muscheln, Austern, Korallen, und was er sonst fand, von den Klippen und aus dem Grunde des Meeres. So wurde er auch als Bote für Geld von einem Hafen zum andern, von einer Insel zur andern geschickt. So lebte und nährre er stch, so trieb cr stch bei Bekannten und Fremden um, anfangs als Wunder angestaunt, nachher als gewöhnlich und nützlich betrachtet, bis stch nun dec Lag nahte, an welchem d eie Kraft und Geschicklichkeit, als wenn eS die Meergötter endlich müde wären, daß ihnen ein Sterblicher mit solchem Uebermukhe trotzen dürfe, ihn in sein Verderben zogen. * dahin, dorthin. 77 Bei einem grossen Feste in Messina, bei welchem stch unter der großen Masse des Volkes auch der wunderbare Nicola eingefundcn hatte, fiel der König darauf zu wissen, wie eS wohl unten in dem Grunde der bekannten Charybdis auSsehen möge, unter dem Strudel, welcher schäumt und tobt, der in wiederkehrenden Zeiträu¬ men zum Lheil verschluckt wird, und dann aus der Tiefe wieder nach einer Pause cmporbrauset. Nicola weigerte sich lange, so viel Unglaubliches er auch schon in seinem Leben unternommen hatte, sich dieser Tiefe, in welcher die Flut nie zu rasen aufhört, an¬ zuvertrauen. Cr fürchtete, daß er stch im Sturze dort in so enge Felsenriffe verlieren könnte, daß eS ihm unmöglich würde, den Rückweg wieder zu finden. Da warf der König den Becher hinein, und Nicola, auf vielseitiges Zureden der Umstehenden, die seine Eitelkeit reizten, stürzte stch ihm nach. Der Becher war an einem Korallenzweige hängen geblieben. Cola erschaute ihn mühsam, griff schnell darnach, und benützte die wie¬ derkehrende Flut, um stch auS den Felsenriffen und Spalten wieder an daS Tageslicht hervorzuarbeiten. Der kühne Taucher erzählte von ganz unbekannten Seeungeheucrn, die dort in der Tiefe wohnten zwischen den engen und weiteren Schlünden, die wie ein ungeheures Labyrinth, stch dort unten auSstreckten. Nun berichtet die Erzählung weiter, der König, dessen Neugier noch mehr sei gestachelt worden, habe einen zweiten Becher hin¬ unter geschleudert, und dem Schwimmer ausserdem eine große Summe Gold gezeigt, die er ihm schenken wolle, wenn cr auch den zweiten Becher dem Abgrunde wieder entführe- Nicola, so entsetzt er von den unterirdischen Schauspielen gewesen, habe stch von Eigennutz und Gier nach Geld blenden lassen, sei nach einigem Bedenken wieder in den Strudel gesprungen, aber niemals wieder erschienen. VII. Der Krieg. (AuSc » Allwin und Theodor, » von Friedrich Jacobs.) In den ersten Tagen des Mai führte ein Vater seine Kinder, Allwin und Theodor, in das Freie hinaus. Der Weg ging eine lange Allee hinab, a» deren Ende ein öffentlicher Garten lag. In leinen weit geöffneten Lhüren sahen ste schon von fern ein buntes Gewühl von Menschen, welche aus-und eingingen, und eine 78 lustige, auS dem Innern schallende Mustk lud die Spazierenden ein, an den Vergnügungen deS Gartens Theil zu nehmen. CS war ein Sonntag, und eine Menge vergnügter Menschen vergaß hier die Arbeiten und Mühen der vergangenen Tage. Viele spazierten müßig in den breiten Gängen auf und ab, und genossen den lauen Abend, der auS dem frischen Laube und den Blüthen der Baume süße Düfte hervorlockte. Männer wandelten mit Weibern, und vor ihnen hüpften ihre Kinder oder tummelten sich in fröhlicher Verwirrung auf den Grasplätzen umher- Alle schienen von einem Geiste friedlicher Eintracht und ruhigen Ge- nießenS beseelt-Die fröhlichen Töne, die sie umzogen, die heitern Strahlen der Abendsonne und die anmuthigcn Düfte, die auS tausend Blumen emporstiegen, .schienen alle Gemüther erheitert und in ein süßeS Vergessen ihrer Sorgen gewiegt zu haben. Allmählig verlor sich die größere Menge und die' laute Musik verstummte. Da erscholl auS einem Gebüsche zur Seite eine an- muthige Doppelpfeile, die von Zeit zu Zeit durch einen einfachen und rührenden Gesang unterbrochen wurde. Die meisten von denen, die noch in dem Garten zurückgeblieben waren, eilten jetzt neugierig nach jener Gegend hin, und Allivin und Theodor waren nicht unter den letzten. Sie fanden auf einem Rasenplatze einen Kna¬ ben sitzen, welcher zwei kleine Pfeifen blieS und zur Abwechslung dazwischen sang. DaS Lied, daS er sang, war ein Lob deS Friedens. Cr wieder¬ holte eS mehrmalen; aber immer, wenn er gegen daS Ende kam, wurde seine Stimme dumpfer und dumpfer, bis sie endlich bei den letzten Worten ganz zu erlöschen schien. Wer einmal gekommen war, blieb stehen und hörte-Der Knabe schien etwas über zwölf Jahre alt zu sein. Seine heitere Bildung gefiel jedermann, wie er denn auch die Umstehenden unbefangen und unschuldig mit großen blauen Augen ansah. Neben ihm lag ein grauer Hund, den er von Zeit zu Zeit liebkoset?. Sein Anzug war ärmlich, aber rein, und seine Bewegungen hatten eine gewisse natürliche Anmuth, die jedermann wohlgefiel. Man wollte wissen, wer er sei, wo cr hcrkomme, und wem cr angehöre. -> Ich komme weither vom Rhein antwortete er, » wo meine arme Mutter wohnt- Ich ziehe umher, um etwas zu verdienen- » Diese Worte erregten die Neugierde der Umstehenden noch mehr. Man verlangte seine Geschichte zu hören. Cr schwieg einige Augen- 79 bücke; dann legte er seine Mte bei Seite, druckte den Hund fester an sich, und erzählte mit gefalteten Händen folgendermaßen: » Ich komme aus der Pfalz, wo mein armer Vater Land- «irthschaft trieb. Wir hatten ein feines HauS , nicht weit vom Fluß, und einen Garten dabei, auch einen kleinen Weinberg dicht am Wasser. Wir hatten Pferde und Kühe und alles, was wir wünschten. Gar oft sagte'mein Vater: Unsere Nachbarn find zwar reicher, aber gewiß nicht vergnügter als wir. Denn wir find zufrieden mit dem, was unS Gott beschert , und begehren nicht mehr, als wir haben. » DaS war vor dem Kriege; da ging unS alles zu Glück. Als aber die Kriegsunruhen anfingen , fingen auch meiner Aeltcrn Sorgen an. Wir hörten oft von bösen Thaten , die verübt worden waren, und daß man niemand schone, weder Alt noch Jung. Auch kamen viele Flüchtlinge vom andern Ufer bei unS durch, mit wenigen Habseligkeiten- Die erzählten schauderhafte Dinge und machten unS sehr bange. Ost sahen wir auch schreck¬ liche Feuerzeichen von brennenden Dörfern am Himmel. Wir gingen mit Furcht zu Bette und standen mit Sorgen auf, denn alles Unglück, daS wir sahen und hörten, drohte unS ebenfalls. » Endlich fing die Noch auch in unserer Gegend an. Cs kamen oft Soldaten zu unS, bald Freunde, bald Feinde. Aber fie waren alle gleich, und verlangten immer dicß und das. Sic sagten zwar, der Krieg würde für unS geführt, damit es unS wohl ginge. Aber dabei nahmen fie unS alles, waS wir hatten; und wenn wir ihnen alles gegeben hatten, wußten fie uns doch keinen Dank. »CineS Tages hörten wir ein gewaltiges Kanonenfcucr , und gegen Abend hieß cS, der Feind sei geschlagen und ziehe fich mit großer Eile im Thale herab. Mit tödtlicher Angst sahen wir der Ankunft deS fliehenden FeindcS entgegen. Mein Vater ging nicht zu Bette, sondern verwahrte daS HauS und erwartete den Erfolg. » Früh, vor Tagesanbruch, alS ich noch scklicf, wurde mit großem Ungestüm an daS HauS geschlagen. Ich fuhr erschrocken auf und sah durchs Fenster einen Trupp Reiter, welche Anstalten machten, die Thüren aufzusprengcn. Da öffnete ihnen mein Vater gutwillig — denn eS waren ihrer zu viele, um fie abzuhalten — und fragte fie recht höflich, was den ihr Begehren sei. Da ver¬ langten fie Geld, aber viel und schnell; und einige zogen die Säbel, 80 andere spannten die Pistolen gegen ihn und drohten, ihn zu er¬ morden, wenn er sich einen Augenblick bedächte. >, Ich war unter der Zeit hinausgelaufen und bat meinen Vater, ihnen doch alles zu geben. Da schwang einer von den wilden Reitern lachend seinen Säbel über mir, um mich in Furcht zu setzen; aber ein anderer, der vom Pferde gestiegen war, faßte mich freundlich beim Kinn und streichelte mir den Kopf und sagte mir, ich sollte mich nicht fürchten. Ich fürchte mich nicht, anwortete ich, aber, um GotteS willen, thut nur dem Vater nichts! » Mein Vater war in das HauS gegangen, um Geld zu holen. Während der Zeit behielten ffe mich und die Mutter in Verhaft. Einige stießen schreckliche Worte aus und drohten, uns mitzu- nehmcn oder ums Leben zu bringen. Nun brachte mein Vater eine Summe Geldes, ich weiß nicht wie viel, und gab eS ihnen. Aber sie waren nicht zufrieden, sondern siuchten entsetzlich, und einige stiegen schon ab, um selbst zu suchen. Auf einmal hörte man einige Kanonenschüsse in der Nähe- Da erschraken sie, stiegen hastig wieder auf und jagten mit ihrer Beute davon. » AlS sie weg waren, dankten wir alle Gott, daß nichts Schlimmeres geschehen war. Aber mein Vater war still und meine Mutter weinte. Sie hat mir nachher gesagt, daS Unglück hclbe ihr geahnet, das unS bevorstund. -> Viele Reiter und Fußgänger eilten den ganzen Tag über vorbei, und keiner hielt sich auf, biS gegen Abend drei Reiter auf unfern Hof kamen und mit Ungestüm Geld verlangten. Mein Vater eilte hinaus, um ihnen zu sagen, daß er nichts mehr habe, und hielc unS zurück, ihm zu folgen. Wir horchten aber an der Thür und Härten einen schrecklichen Wortwechsel. Da liefen wir hinaus, als der Lärm so arg wurde, um meinem armen Vater zu Hilfe zu kommen. In dem Augenblick schwang ein Reiter den Säbel über ihm, und nannte ihn einen Hund, und ein anderer drückte sein Gewehr gegen ihn ab; und wir sahen meinen Vater in seinem Blute fallen. » Zer Knabe hielt bei diesen Worten inne, Thränen rollten über feine Wangen, und alle Umstehenden waren gerührt. » AlS meine Mutter daS große Unglück sah, » fuhr er nach einem kurzen Stillschweigen fort, » warf sie sich über meinen armen Vater her, und schrie und weinte, bis ihr die Stimme 8« verging. Da glaubte ich, sie sei auch todt, und setzte mich neben sie, und wollte auch Kerben. Die Reiter waren unterdessen in daS HauS gegangen, und rafften zusammen, was sie fanden. Dann ritten sie eilends davon, als cS schon ganz dunkel war, und kümmerten sich nicht weiter um uns. -° Ich wußte nicht, waS ich thun sollte; bald wollte ich in die Nachbarschaft laufen und Hilfe suchen. Aber ich war in einer so großen Angst, daß ich nicht fort konnte. Ich konnte nur rufen und schreien, und das hörte niemand; denn unser Haus lag einzeln. Endlich kam cS mir vor, als ob meine Mutter wieder Athem holte. Ich rief sie mit lauter Stimme, und sie schlug die Augen auf und fragte, wo sie wäre? Ich konnte vor Freude nicht antworten, und auch vor Traurigkeit nicht; denn die Thronen erstickten meine Worte. Aber, ach! in dem Augenblicke schlug die Flamme aus dem Dache unseres HauseS empor. Meine Mutter raffte sich auf, und wollte in das brennende HauS hinein. Aber ich hielt sie fest und ließ sie nicht los. Denn sie wäre gewiß in den Flammen umgekommen. DaS Haus stund mit einem Mal in vollen Flammen. CS kamen einige Leute herbei, um zu helfen; aber alle Hilfe war umsonst; das Haus brannte nieder, und wir hatten nichts gerettet, als was wir an uns trugen. Nun versam¬ melten sich viele Leute um uns, und beklagte» unser Unglück. Und jeder erzählte etwas, das ihm begegnet war, der eine dies, der andere das; denn es war niemand verschont geblieben. Aber umgekommen war doch niemand, als mein armer Vater. » Als der Morgen anbrach, war meine Mutter sehr krank, denn wir waren die ganze Nacht unter freiem Himmel gewesen, und uoch wußten wir nicht, wo wir uns hinwenden sollten. Meine Mutter saß immer neben meinem todten Vater und hielt mich fest auf ihrem Schooße: damit sie mich nicht auch verlöre, sagte sie- Da kam eine arme Wittwe auS der Nachbarschaft, der mein Vater in bessern Zeiten einiges Gute gethan hatte. Die bat meine Mutter, aufzustehen und mit in ihre Hütte zu gehen. Sie wollte alles mit unS thcilen, sagte sie, waS sie in ihrer Armuth hätte. -> Den andern Tag begruben sie meinen Vater, und der Pfarrer predigte an dem Grabe und sagte: mein Vater wäre nun im Himmel, denn er hätte Gott gefürchtet und geliebt. Und das ist auch gewiß wahr; denn mein Vater war fromm und that allen Menschen Gutes. « 82 -> Da Alle weg waren, blieb ich allein auf dem Gottesacker, und setzte mich auf daS Grab, und weinte, und rief meinen Vater mit Namen; und dann berete ich, und nahm mir vor, auch so gut zu werden, wie er. So saß ich lange auf dem Grabe, und konnte nicht weg. Der Hund lag neben mir und sah mich traurig an; und da mußte ich noch mehr weinen, wenn ich dachte, wie lieb mein Vater das treue Thier gehabt hatte. -> Bei diesen Worten legte der Knabe sein Gesicht auf den Kopf des HundeS und drückte ihn fest dagegen. Dann fuhr er fort: » Meine Mutter war nun lange krank, und wir lebten sehr kärglich. Unsere gute Wirthin hatte nur wenig, und meine Mutter konnte nichts verdienen- Da ich nun sah, daß sie immer betrüb! war und sich härmte, weil wir der armen Frau zur Last fielen, sagte ich eines TagS zu ihr: » Liebe Mutter, Ihr seid so traurig, daß wir nichts haben und nichts verdienen können. Aber seid nm getrost! Kann ich nicht die Doppelpfeife spielen und allerlei Lieder fingen? Ich will mich aufdie Reise begeben, und Musik machen, wie der blinde Nepomuk, der sonst immer mit seinem Enkel hierher kam; so seid Ihr eine Sorge los, und ich denke etwas zu Verdienen. Dann komme ich wieder zurück und bringe Euch mit, was ich erworben habe. » — Meine Mutter antwortete nichtS; ich aber schickte mich zur Reise an, bat meine Wirthin um etwas Brot, rief den Hund und wollte hinaus. Da meine Mutter nun sah, daß cs mein Ernst war, wollte sie mich nicht fortlaffen, sondern schalt mich, und stritt und bat. Da war gerade ein alter Nachbar zugegen, dem die Soldaten auch alles genommen hatten; der sagte: -> Laßt ihn ziehen, Mutter! Cs hat wohl mancher brave Mann so angefangen; Gott wird ihn behüten! » Und da ich auf meinem Vorhaben bestund, sagte sie endlich unter viele» Thronen: «Nun so geh in Gottes Namen! Ich will für dich beten, daß dir kein Unglück begegne, und daß du gut bleibest. » » Da gab ich ihr die Hand und ging fort; und eS sind nun zwei Monate, daß ich herumziehe und Musik mache, und noch ist mir nichtS UebclS begegnet. Ich habe mir schon einiges gespart, und wenn eS noch mehr ist, kehre ich wieder nach Hause zurück und erfreue meine arme Mutter, die wohl manche Sorge um mich haben mag. Mit diesen Worten endigte der Knabe seine Geschichte, und zog ein kleines Beutelchen heraus, daS er mit Wohlgefallen wog 83 und zwischen beide Hände druckte- Alle Umstehenden zeigten sich freigebig und liebkoseten den Knaben und lobten ihn. Da trat unter der Menge ein ältlicher Mann hervor, der ein ansehnliches Vermögen besaß und seine Kinder verloren hatte. Der faßte den Knaben bei der Hand und sagte: » Willst du mit mir kommen? » -- Der Knabe sah ihn mit großen Augen an und sagte: » Ich will Euch so viele Lieder spielen, alS ich weiß.» — Der Mann lächelte und ging mit dem Knaben weg. Bald darauf erfuhr man, Laß er ihn an Kindes statt angenommen hatte und für seine Mutter Sorge trug. Sechstes Kapitel. Bruchstücke aus dramatischen Werken. t. Aus dem Lustspiele: »Minna von Barnhelm, oder das Soldat en glück, » von G- E. Lessing. Ersten Aufzugs erster Auftritt. (Just, deS Majors von Tellheim Diener, sitzt in einem Winkel, schlummert und redet im Traum.) Just. Schurke von einem Wirthe! Du, uns? — Frisch, Bruder! — Schlag zu, Bruder! — (Er holt auS, und erwacht Lurch die Bewegung.) He da! schon wieder? Ich mache kein Auge zu, so schlage ich mich mit ihm herum. Hätte er nur erst die Hälfte von allen den Schlägen? — — Doch sieh', es ist Tag. Ich muß nun bald meinen armen Herrn aufsuchcn. Mit meinem Willen soll er keinen Fuß mehr in Las vermaledeite Haus setzen. Wo wird er die Nacht zugebracht haben? 84 Zweiter Auftritt- (Der Wirth. Just) Wirth- Guten Morgen, Herr Just, guten Morgen! Ei schon so früh auf? Oder soll ich sagen: noch so spät auf? Just. Sag' Er, waS Er will- Wirth. Ich sage nichts, als guten Morgen! und das ver¬ dient doch wohl, daß Herr Just: großen Dank! darauf sagt. Just. Großen Dank! Wirth. Man ist verdrießlich, wenn man seine gehörige Ruhe nicht haben kann. Was gilt'S, der Herr Major ist nicht nach Hause gekommen, und Er hat auf ihn gelauert? Just. Was der Mann nicht alles errathen kann? Wirth. Ich vermuthe, ich vermuthc. Just- (kehrt sich um und will gehen) Sein Diener. Wirth, (hält ihn) Richt doch, Herr Just! Just. Nun gut, nicht sein Diener! Wirth. Ci, Herr Just, ich will doch nicht hoffen, Herr Just, daß Er noch von gestern her böse ist? Wer wird seinen Zorn iiber die Nacht behalten? Just- Ich, und über alle folgende Nächte. Wirth. Ist das christlich? Just- Eben so christlich als einen ehrlichen Mann, der nicht gleich bezahlen kann, aus dem Hause stoßen, auf die Straße werfen. Wirth. Pfui, wer konnte so gottlos sein? Just. Ein christlicher Gastwirth. — Meinen Herrn! so einen Mann! so einen Officier! Wirth. Den hätte ich aus dem Hause gestoßen? auf die Straße geworfen? Dazu habe ich zu viel Achtung für einen Of¬ ficier, und viel zu viel Mitleid mit einem abgedankten! Ich habe ihm a»S Noth ein anderes Zimmer einräumen müffen. — Denke Er nicht mehr daran, Herr Just! (Er ruft in die Scene) Holla! — Ich will's aus andere Weise wieder gut machen. (Ein Junge kommt) Bring ein Gläschen; Herr Just will ein Gläschen haben, und was GuteS! Just. Mach' Er sich keine Mühe, Herr Wirth. Der Tropfen soll zu Gift werden, den — doch ich will nicht schwören; ich bin noch nüchtern. 83 Wirth, (zu dem Jungen, -er eine Flasche Liqueur und ein GlaS bringt) Gib her; geh! — Nun, Herr Just, was ganz Vor¬ treffliches; stark, lieb, gesund. (Er füllt, und reicht ihm zu.) Das kann einen überwachten Magen wieder in Ordnung bringen! Just. Bald dürfte ich nicht!-Doch warum soll ich mei¬ ner Gesundheit seine Grobheit entgelten lassen? — (Er nimmt und trinkt.) Wirth. Wohl bekomm'6, Herr Just! Just, (indem er daS Gläschen wieder zurückgibt) Nicht übel! — Aber Herr Wirth, Er ist doch ein Grobian! Wirth. Nicht doch! —Geschwind, noch einS; auf Einem Beine ist nicht gut stehen. Just, (nachdem er getrunken) DaS muß ich sagen, gut, sehr gut! Selbst gemacht, Herr Wirth? Wirth. Behüte, veritabler Danziger! echter, doppelter LachS!* Just. Seh' Er, Herr Wirth, wenn ich heucheln könnte, so würde ich für so was' heucheln; aber ich kann nicht; e§ muß heraus — Er ist doch ein Grobian, Herr Wirth! Wirth. In meinem Leben hat mir daS noch Niemand gesagt. — Noch einS, Herr Just; aller guten Dinge find drei. Just. Meinetwegen! (Er trinkt.) Gut Ding, wahrlich gut Ding! — Aber auch die Wahrheit ist gut Ding- — Herr Wirth, Er ist doch ein Grobian! Wirth. Wenn ich eS wäre, würde ich daS wohl so mit anhören? Just. O ja! denn selten hat ein Grobian Galle. Wirth. Nicht noch einS, Herr Just? Eine vierfache Schnur hält desto besser. Just. Nein, zu viel ist zu viel. Und was hilft'6 Ihm, Herr Wirth? Bis auf den letzten Tropfen in der Flasche würde ich bei meiner Rede bleiben. Pfui, Herr Wirth, so guten Danziger zu ha¬ ben, und so schlechte MoreS! — Einem Mann, wie meinem Herrn, der Jahr und Lag bei ihm gewohnt, von dem Er schon so manchen schönen Thaler gezogen hat, der in seinem Leben keinen Heller schul¬ dig geblieben ist, weil er ein Paar Monate nicht prompt bezahlt, weil er nicht mehr so viel aufgehen läßt, in der Abwesenheit daS Zimmer auSzuräumen. Wirth- Da ich aber das Zimmer nothwendig brauchte? da ich Home äi ua li^uore. 86 voraus sah, daß der Herr Major es selbst gutwillig würde geräumt haben, wenn wir nur so lange aus seine Zurückkunft hätten warten können? Sollte ich denn so eine fremde Herrschaft wieder von mei¬ ner Thür wegfahren lassen? Sollte ich einem andern Wirthe so einen Verdienst muthwillig in den Rachen jagen? Und ich glaube nicht einmal, daß ße sonst wo untergekommen wäre. Die Mrthshäuser sind jetzt alle stark besetzt. Sollte eine so junge, schöne, liebenswürdige Dame auf der Straße bleiben? Dazu ist sein Herr zu galant. Und was verliert er denn dabei? Habe ich ihm nicht ein anderes Zimmer dafür eingeräumt? Just- Hinten an dem Laubenschlage, die Aussicht zwischen des Nachbars Feuermauern. — Wirth. DieAussichtwarwohl sehr schön, ehe sie der verzweifelte Nachbar verbaute. DaS Zimmer ist doch sonst galant und tapezirt. — Just. Gewesen- Wirth. Richt doch, die eine Wand ist es noch. Und sein Stübchen daneben, Herr Just; was fehlt dem Stübchen? Es hat einen Kamin, der zwar im Winter ein wenig raucht- Just. Aber doch im Sommer recht hübsch läßt. Herr, ich glaube gar, Er vexirt unS noch oben darein? Wirth. Nu, nu! Herr Just, Herr Just! Just. Mach' er Herrn Justen den Kopf nicht warm, oder — Wirth. Ich mach'ihm warm? Der Danziger thut' s- — Just. Ein Officier, wie mein Herr! oder meint Er, daß ein abgedankter Officier nicht auch ein Officier ist, der Ihm den HalS brechen kann? Warum wäret Ihr im Kriege so geschmeidig, Ihr Herren Wirthe! Warum war denn da jeder Officier ein würdiger Mann, und jeder Soldat ein ehrlicher, braver Kerl? Macht Euch das Bißchen Friede schon so übermüthig? Wirth. WaS ereifert Er sich nun, Herr Just? Just. Ich will mich ereifern- Dritter Auftritt. (von Tellheim. Der Wirth. Just.) v. Lellheim. (im Hereintreten) Just! Just, (in der Meinung, daß ihn der Wirth Just nenne.) So bekannt sind wir? — v. Tellheim. Just! 87 Just. Ich dachte, ich wäre wohl Herr Juff für Ihn. Wirth, (der dm Major gewahr wird) St! St! Herr, Herr, Herr Just, — seh' Er sich doch um. Sein Herr- v- Lellheim. Just, ich glaube, du zankst. Was habe ich dir befohlen? Wirth. O, Jhro Gnaden! zanken? Da sei Gott vor! Ihr unterthänigster Knecht sollte sich unterstehen mit einem, der die Gnade hat, Ihnen anzugehören, zu zanken? Just. Wenn ich ihm doch eins auf den Katzenbuckel geben dürfte!- Wirth. CS ist wahr, Herr Just spricht für seinen Herrn, und ein wenig hitzig. Aber daran thut er recht; ich schätze ihn um so viel höher, ich liebe ihn darum. — Just- Daß ich ihm nicht die Zähne austretcn soll! Wirth. Nur Schade, daß er sich umsonst erhitzet.Denn ich bin gewiß versichert, daß Jhro Gnaden keine Ungnade deßwegen auf mich geworfen haben, weil — die Noth — mich nothwendig — v. Lellheim. Schon zu viel mein Herr! Ich bin Ihnen schul¬ dig; Sie räumen mir in meiner Abwesenheit das Zimmer aus; Sie müssen bezahlt werden; ich muß wo anders untcrzukommen suchen. Sehr narürlich. Wirth. Wo anders? Sie wollen ausziehen, gnädiger Herr? Ich unglücklicher Mann! ich geschlagener Mann! Nein, nimmer¬ mehr! Eher muß die Dame daS Quartier wieder räumen. Der Herr Major kann ihr, will ihr sein Zimmer nicht lassen: daS Zimmer ist sein; sie muß fort, ich kann ihr nicht helfen. — Ich gehe, gnädiger Herr — b. Lellheim. Freund! nicht zwei dumme Streiche für Einen. Die Dame muß in dem Besitz deS Zimmers bleiben- Wirth. Und Jhro Gnaden sollten glauben, daß ich auS Mi߬ trauen, aus Sorge für meine Bezahlung? Als wenn ich nicht wüßte, daß mich Jhro Gnaden bezahlen können, sobald Sie nur wollen!-Das versiegelte Bcutelchen—SOO Thaler Louisdor, steht darauf-welches Jhro Gnaden in dem Schreibepultc stehen gehabt — — ist in guter Verwahrung. v. Lellheim. Das will ich hoffen! so wie meine übrigen Sachen. — Just soll sie in Empfang nehmen, wenn er Ihnen die Rechnung bezahlt hat- Wirth. Wahrhaftig, ich erschrak recht, als ich das Beutelchcn 88 fand. — Ich habe immer Jhro Gnaden für einen ordentlichen und vorsichtigen Mann gehalten, der sich niemals ganz auö- gibt.-Aber dennoch-wenn ich baar Geld in dem Schreibepulte vermuthet hätte- v. Tellheim. Würden Sie hösiicher mit mir verfahren sein. Ich versiehe Sie. — Gehen Sie nur, mein Herr; lassen Sie mich: ich habe mit meinem Bedienten zu sprechen.- Wirth- Aber gnädiger Herr- v. Tellheim. Komm Jusi, der Herr will nicht erlauben, daß ich dir in seinem Hause sage, waS du thun sollsi- Wirth. Ich gehe ja schon, gnädiger Herr! — Mein ganzes Haus isi zu Ihren Diensien. II AuS dem Familiengemälde: »Verbrechen auS Ehrsucht,» von A. W. I ffland. Zweiten Auszugs, siebenter Auftritt. (Eduard und Louise- In der Folge Christian.) Louise. Guten Morgen, Eduard! Eduard. Guten Morgen, meine Liebe! L ou! se. Du bist wieder diese Nacht nicht nach Hause gekommen? Eduard, (leichthin) Sehr gegen meinen Vorsatz. Inder That. Louise, (gütig) Du bist ein arger Schwärmer- Eduard. Angenehme Gesellschaft, ein interessantes Gespräch, und dazu daS Nachtaufbleibcn — meine Schooßsünde — da thut man denn manchmal. waS man den andern Tag bei sich selbst nicht verantworten kann. Louise- Aber, du mußt mir meine Besorgniß verzeihen — du hast doch nicht Verdruß gehabt? Eduard. Keinen, auf der Welt keinen. Louife Gewiß? Eduard. Gewiß! — wie kommst du auf die Frage? Louise. Wie eine Schwester, die ihren Bruder herzlich liebt, auf die Frage kommt, wenn sie alle seine Züge entstellt findet - alle. Eduard. Gewöhnliche Folge der Nachtwache. — Nichts sonst! Gewiß, du kannst mir glauben. Louise- Ich sehe — ich werde dir lästig. CS war eine Zeit, 8S wo es nicht so war. Ich kann deinem Schicksal nur eine fiille Thräne weinen, und es betrübt mich, daß ich nicht mehr kann- Aber schone doch der väterlichen Sorgen, der mütterlichen Angst. Eduard- (etwas betroffen) Louise.' Louise. Denk', wie sie die Nächte mit Schrecken auffahren, um dich und dein Schicksal weinen, während du in der großen Welt, ohne Freund, ohne Rath umherirrest! Dein Herz — unser Stolz —hat die große Welt u»S geraubt; wenn stc gar dich noch mit falscher Hoffnung träge? Eduard. Unmöglich! ich weiß — Louise. Kann der Unterschied des Standes dir jemals eine Verbindung mit der Kannenstein gewähren? Eduard. Sie liebt mich. Davon bin ich überzeugt. Louise. Ueberzeugt? Eduard. Ueberzeugt — durch — tausend Kleinigkeiten—die — redender noch stnd, alS deutliche Worte selbst. Louise. Man sagt laut —fie würde den Herrn von Damm¬ dorf heirathen. Jndeß — das müßte dir zuerst aufgefallen sein, wenn eS wäre. Eduard. Schwester, du kränkst mich, wenn du an der Er¬ habenheit ihrer DenkungSart zweifeln kannst. Zudem habe ich Beweise ihrer Zärtlichkeit erhalten. Sie ist daS edelste Geschöpf —und nur eine Buhlerin kann mit der Hoffnung eines ManneS spielen-. Allo kränke nicht ein Herz, daS ich zu schätzen Ur¬ sache habe. Louise. In dem glänzenden Getümmel, worin diese Leute auferzogcn werden — in dieser immerwährenden Nahrung ihrer Eitelkeit — dieser fortdauernden Zerstreuung, wie wollten sich die Eindrücke einer uneigennützigen Liebe auSdauern lassen? Wie könnte ihre Liebe und Entsagung bestehen — und kann dich die Kannenstein ohne große Entsagung jemals besitzen? Eduard. DaS alles wird sich nächstens entscheiden. Louise. Nächstens? nächstens sagst du? bald — jetzt! denn — unsere Kräfte können deinen Aufwand nicht mehr ertragen. Eduard. Wahr — Wahr! Louise. Hättest du gestern deine Mutter mit dem Ausdruck des innigsten Schmerzes an dein Zimmer gehen, und ahnungsvoll von der verschloßnen Thür zurückkommen sehen — hättest du bis Mitternacht sie fragen hören: » Ist Eduard noch nicht da?»— eS 90 stände anders um uys — oder dein Herz verschlösse sich dem Guten. Eduard. Du bist ein gutes, licbesMädchen, eine edle Schwe¬ ster. Denkst du, ich ringe nach Glück allein für mich? O nicht für mich, um euch, um dich — dir ein glückliches Schicksal wieder zu verschaffen. Louise. Lieber Bruder — ich habe gewählt und werde Sorge tragen, daß mein Herz deinen Stand nicht entehre. —Aber werden wir ruhigen Bürger zu dir passen? — Dein Glanz wird unsere herzliche Anhänglichkeit verschmähen. Wie oft wird deine gute Schwester an deiner Thür abgewiesen werden, weil ihre unge¬ schmückte Erscheinung daS Gespötte der glänzenden Assemblee werden müßte. Doch — einen Verlust fvollte ich tragen — wenn du nur glücklich wärest. Aber du würdest eö nicht sein. Ich kenne dich. Du hast Alles empfangen, um unter den Menschen für sie zu handeln. Im Genuß der glänzenden Schwelgerei, dir selbst zur Last, wird endlich die Urheberin deines Glückes Leinen Uebcr- druß entgelten- Eduard. Du denkst ohne Noth daS Schrecklichste. Louise. Du bist unglücklich, wenn du deinen Zweck erreichst; solltest du ihn nicht erreichen, dann fällst du auS Pracht und Fröh¬ lichkeit in Dürftigkeit und Trübsinn. AuS der großen Welt hinauS- gewiesen, in das väterliche Haus verbannt, wo jede Einschränkung dir Vorwurf, Alles freudenlos und finster ist. In deinen Planen hintergangcn, von einzelnen Menschen betrogen, deine verder¬ bende Leidenschaft, umgeben von Ehrgeiz und Heftigkeit--. Eduard, du könntest ein gefährlicher Mensch werden! Eduard. Treibt mich Ehrgeiz zu Dingen, die euch Sorge ma¬ chen können: so wird er mich vor Allem hüten, waS euch Schande machen könnte. Louise. Nicht das, was war, macht mir diese Sorge, aber daß diese Ehrsucht täglich wächst — Eduard. Du thnst mir zu viel — Louise. Daß sie auf die unbedeutendsten Kleinigkeiten sich er¬ streckt, daß du Alles nur au§ dem Gesichtspunkte sichst; daß ich zu gut weiß, daß der Ehrgeizige eine Ehre mit dem Verlust der andern — die Ehre, worauf er in dem Augenblick Alles setzt, mit Schande sogar erkaufen kann — daS bekümmert mich, wenn ich an die Zukunft denke. 91 Eduard. Der, von dem dusprichst,iff ein Niederträchtiger. — Louise. Verzeih mir — unser Gespräch nahm zufällig diese Wendung. Ich kam, um —bin ich nicht eine Närrin — so wie du mich da anstehst, fürchte ich dich zu beleidigen, —ich kam — um dich zu bitten —dies (sie gibt ihm zwei Uhren) nicht wegzugebcn. Eduard. Christian! Christian! (Christian kommt — nachdem Eduard ihm die Uhren gegeben, stößt er ihn fort.) Zu Aaron Moses, Schurke! Louise. Sei doch nicht so hart, so rauh! — Sieh, wenn du Geld brauchst — eS ist freilich wenig — aber ich gebe es dir gern. Eduard. Louise! (wirft sich auf einen Sessel.) Louise. Gönne mir doch die Freude, deinem Bedürfniß abge¬ holfen zu haben. Ich konnte dir ja so lange keine Freude machen! Eduard. Nein, nein! Ich will nicht. Ich bin nicht werth, ich bin nicht werth — ich bin ein unglücklicher Mensch! Louise. Du brauchst wohl mehr! — freilich dies ist wenig — aber ich habe nicht mehr! (weinend) wenn ich eS hätte — Eduard. Gib her, Louise, gib her! Ich nahm euch Alles —ich will auch daS noch nehmen. Bin ich glücklich in der Welt — so habe ich dann meinen Wunsch erfüllt.... Bin ich unglücklich?Bin ich es? und das muß sich jetzt entscheiden — so nehme ich dies¬ es ist dein Letztes — nehme es, um dich ganz geplündert zn haben, nehme es, damit der Gedanke an deine herzliche Güte mir Höl¬ lenmarter werde, wo ich gehe und stehe. III. Aus dem Schauspiele: » Graf Benjowsky, oder die Verschwörung auf Kamtschatka, » von A. v. Kotzebue. Zweiten Aufzugs erster Auftritt. Ein armseliges Gemach in Cruffiew's Hause. Benjowsky und Crusti ew.) Crustiew. Guten Morgen, Freund und Bruder! (ste reichen stch die Hände) Ich frage nicht, wie du geschlafen hast. Uns schied nur eine Bretterwand: du gingst die lange Nacht umher und seufztest; ich lag und seufzte mit. Benjowsky- Vergib mir, guter Alter! Zeit und Gewohnheit sollen bald die große Kunst mich lehren, meine Ruhe zu vermissen und die deinige zu schonen. S2 Crustiew. Schlaf ist nicht immer Ruhe, und wehe dem Ar¬ men, dem Schlaf die einzige Ruhe ist. — Da entfielen gestern dir zwei Worte von Möglichkeit der Rettung, von Hoffnung besserer Zukunft; gleich fing daS alte Herz den Funken, und loderte in Flammen auf. Benjowsky. Eine Flamme ohne Nahrung. Crustiew. Wie? sie wird nie verlöschen — (heimlich, feierlich) Seit drei und zwanzig Jahren trage ich den großen Entwurf mit mir herum. Er reifte langsam wie daS Gold im Schooße der Gebirge. Manches hab'ich vorbereitet, viel ist gethan, viel bleibt zu thun noch übrig. Zwanzig Manner schworen mir. Mit großen Kräften ist mein Haufe ausgerüstet: Verwegenheit — Verstand- Erfahrung— Muth—Verzweistung! Nur Eines fehlte noch. Der Oberherrschaft echten Geist fand ich in Keinem. Diesen kitzelte die Ruhmgier; Jener pochte noch in Fesseln auf Geburt und Rang; Dieser hat keinen Sinn für daS geordnete planmäßige Ganze; Jener wollte morgen nach dem Zwecke ringen, und übermorgen an die Mittel denken; kurz Jeder füllte seine Stelle so gut alS übel aus, doch Jedem mangelte der Stempel eines wahrhaft großen Geistes- Räder überall, nirgends eine Feder. Benjowsky. Du selbst — C rustiew. Ich kenne mich- Der Knabe kann ein rascher Jüngling werden, der Greis wird nie ein Mann. Gib mir Zeit, ein Ding von allen-Seiten zu beschauen, so ist mein Muth oft der Erfahrung gleich. Wo aber plötzliche Gefahren wie Blitze vor mir in den Boden schlagen, wo Jahre an Minuten hangen, so oder so,—da schwin¬ delt mir, da bin ich unentschlossen, da taugt mein Alter nicht. B e n j owsky. Gesetzt, du fändest einen Mann, wie deine Phan¬ tasie ihn heischt, was soll ihm jener Haufe niedriger Verbrecher? Tollkühn ohne Muth, furchtlos ohne Seelengröße, ein Rausch ohne Dauer! wer bürgt für ihre Treue? Crustiew. Ich—und ihr Elend. Soll ich das letztere dir, samwt deiner eigenen Zukunft schildern?—(mit steigendem Feuer) Glaube mir, nicht alle sind Verbrecher. Ein übereiltes Wort hat Manchem schon dies Grab geöffnet. Elend ist der Schuldige, elender noch der Arme, dem eine Unbesonnenheit die schweren Fesseln reichte- Von Schmerz und Reue gebeugt, betritt er diese unwirthbaren Ufer; ihn heißt der Mangel willkommen. Gesichter, auf welche die gerechte Strafe — oft auch Natur — das Zeichen des Verbrechers stempelte, 93 grinsen ihm entgegen, er sucht vergebens einen Freund, daS Bild der Liebe, von welchem er auf ewig schied —Sehnsucht und Rück¬ erinnerung—dem Hoffenden ein Labsal, dem Hoffnungslosen eine Marter. Fleiß und Arbeit schaffen nur seinem Elend eine längere Dauer. Er darf kein Eigenthum besitzen, ihn plündert Jeder un¬ gestraft. Duldend muß er Uebcrmuth ertragen, und reizt ein Frevel zur Vergeltung ihn, so leidet er den Hungertod. Verbannt auS jeder ehrlichen Gesellschaft, gleich der Indier verworfenen Kaste — Frohndienst und niedrige Gewerbe — gedörrter Fisch und eine Sclavenpeitsche — ach, welch ei» Jammerbild! — Gesundheic bringt ihm keine Freude, dem Kranken mangelt jeder Trost, der Sterbende ist von der Welt verlassen, ehe er die Welt verließ. In öder Stille verhallt sein letzter Seufzer, unabgctrocknet bleibt der TodeSschweiß auf seiner Stirn, Tage und Wochen kriechen vorüber, man wird eS nicht einmal gewahr, daß der Opfer Zahl sich verminderte. Die Verwesung nur rrotzt seinen Tyrannen die letzte Gnade ab — in dem Schnee verscharrt zu werden — Benjowsky Halt ein, du langsam Mordender! Hinweg mit deinem Gifte! Leih mir einen Dolch! Crustiew. Schon Mancher senkte in Verzweiflung daS Messer tief in seine eigene Brust, und seine Henker lächelten. Noch Keiner gab der kühnen Hoffnung Raum, nicht durch Barmherzigkeit de§ TodcS oder Fürstengnade, nein, durch Klugheit, Muth, vereinte Kraft, Erlösung zu erringen. Dir war cS Vorbehalten — Graf Benjowsky — Magnat von Ungarn — Gatte — Vater — Held! — Benjowsky. (feurig) Hier bin ich! rede! waS willst du mit mir? Crustiew. Nur Worte hat der Greis, der Mann ist reich an Thaten. Benjowsky. Genug deS OelS in diese Glut! Sprich, waS soll, waS kann ich thun? Crustiew. Dich und unS befreien. Benjowsky. Hier ist mein Arm, leih mir deinen Kopf. Crustiew. Zu herrschen formte die Natur den deinigen. Nicht . meiner Klugheit, meiner Vorsicht nur bedarfst du. Sie wird dir in Gefahren treu zur Seite wandeln. Benjowsky. Aber wie? Ich tappe noch im Finstern. Gewalt der Menschen hat mit der allgewaltigen Natur sich gegen unS verbunden. Auf dieser Seite trennen wüste Steppen, grenzenlose Schnecgefilde, aufjener ungebahnte Meere unS von der bewohnten 94 Welt. Ohne Schiffe, ohne Wegweiser, ohne Waffen, ohne Brot, heute gegen Menschen, morgen gegen Hunger kämpfend, heute frei und morgen todt. Crustiew. Todt und frei — wohlan! und wär'eS auch — Benjowsky. Recht Alter! rede weiter. Crustiew. Wir spielen großes Spiel; gewinnen läßt ffch viel, verlieren nur das Leben. Benjowsky. Wohlan! laß in daS Innere deines großen Ent¬ wurfs mich blicken. Crustiew. (schließt einen kleinen Schrank auf, nimmt ein Buch heraus und reicht eS Bcnjowfky.) Benjowsky. (schlägt eS auf und liest) Anson'S Reise um die Welt. WaS soll daS? Crustiew. Du hast den Namen eines Freundes ausgesprochen. Bei meiner Ankunft wandten die Barbaren mir alle Taschen um, mein Bißchen Geld ward ihrer Raubsucht Beute, nebst ander» Kleinigkeiten. Ich zitterte — man lachte höhnisch — die Thoren wußten nicht, ich zitterte für meine Bücher- Drei Freunde haben brüderlich in die Verbannung mich begleitet: Amon, Phädon und Plutarch. Dem zweiten dank' ich meinen Glauben an Gott und eine bessere Zukunft, der dritte malte mir die Helden Grie¬ chenlands, er lehrte mich der Menschheit Kraft und Würde ken¬ nen-und hoffen —ach Benjowsky! — (auf daS Buch deutend! hoffen lehrte mich Lord Anson. Benjowsky. Er? wie daS? Crustiew. (heimlich, vertraut, mit JünglingSfeucr) Fliehen! fliehen! n ach de»' Marianischen Inseln ! Die Möglichkeit hat dieser Seemann mir erwiesen. Die Insel Tinian — ein Pa¬ radies auf Erden! Frei! Frei! Ein milder Himmel! Eine neue Sonne! Harmlose Bewohner, gesunde Früchte —und Freiheit! Ruhe! — Ack Benjowsky, rette dich und unS! Benjowsky. Mit staunendem Entzücken sehe ich an deinem Riesengeist hinauf. — Schlag ei»! ich will! — Mit diesem Hand¬ schlag weih' ich dir mein Leben. Tod oder Freiheit löse dieses Band. Umarme mich! Fest, brüderlich, wie Elend und Verzweif¬ lung sich umarmen. Crustiew. Nicht also, du bist unser Herr! (er kniet nieder) Ich schwöre dir den Eid der Treue und Unterwürfigkeit! Benjowsky. (auf ihn herabßnkcnd) Vergelten will ich dies Vec- S8 trauen , stegen oder fallen. Doch soll bei meinem Fall Kam¬ tschatka'6 Boden zittern. iv. Aus dem Trauerspiel: „ Cmilia Galotti. » von G. C. Lessing. Fünften Auszugs, siebenter Auftritt. Emilia. Odoardo- Cmilia. Wie? Sie hier, mein Vater?—Und nur Sie? — Und meine Mutter? — nicht hier? — Und der Graf? nicht hier? — Und Sie so unruhig, mein Vater? Odoardo. Und du so ruhig, meine Tochter? Emilia. Warum nicht, mein Vater? — Entweder ist nichts verloren oder AlleS- Ruhig sein können und ruhig sein müssen, kommt es nicht auf einest? Odoardo. Aber, waS meinest du, daß der Fall ist? Emilia. Daß AlleS verloren ist,- — und daß wir wohl ruhig sein müssen, mein Vater. Odoardo. Und du wärest ruhig, weil du ruhig sein mußt? — Wer bist du? Ein Mädchen? und meine Tochter? So sollte der Mann, und der Vater stch wohl vor dir schämen? Aber laß doch hören: waS nennest du AlleS verloren? — daß der Graf* todt ist? Cmilia. Und warum er todt ist! warum! — Ha, so ist eS wahr, mein Vater? So ist ste wahr, die ganze schreckliche Geschichte, die ich in dem nasse» und wilden Auge meiner Mutter laS? — Wo ist meine Mutter? Wo ist ste hin, mein Vater? Odoardo. Voraus; — wenn wir anders ihr Nachkommen. Cmilia. Je eher, je besser. Denn wenn der Graf todt ist, wenn er darum todt ist — darum! waS verweilen wir noch hier? Lassen Sie uns fliehen, mein Vater. Odoardo. Fliehen? — WaS hätt'es dann für Noch? —Du bist, du bleibst in den Händen deines RäubcrS. Cmilia. Ich bleibe in seinen Händen? * Graf Appiani, Emiliens Verlobter, worauf Anstiftcn Mari- nelh's, eines GünstlingS de§ Prinzen von Guastalla, Hector Gon¬ zaga, meuchlerisch um' S Lebengebrachtworden, damit der Prinz Emilien in seine Gewalt bekäme. 96 Odoardo. Und allein; ohne deine Mutter; ohne mich. Emilia. Ich allein in seinen Händen? — Nimmermehr, mein Vater! — Oder Sie sind nicht mein Vater. — Ich allein in sei¬ nen Händen? Gut, lassen Sie mich nur,- lassen Sie mich nur! — Ich will doch sehn, wer mich hält, —wer mich zwingt, wer der Mensch ist, der einen Menschen zwingen kann. Odoardo. Ich meine, du bist ruhig, mein Kind. Emilia. DaS bin ich. Mer waS nennen Sie ruhig sein? Die Hände in den Schoost legen? Leiden, waö man nicht sollte? Dulden, waS man nicht dürfte? Odoardo. Ha! wenn du so denkest! — Laß dich umarmen, meine Tochter! — Ich hab' cS immer gesagt: DaS Weib wollte die Natur zu ihrem Meisterstücke machen. Aber sie vergriff sich im Thone; sie nahm ihn zu fein. Sonst ist AlleS besser an euch, alS an unS. — Ha, wenn daS deine Ruhe ist, so habe ich meine in ihr wieder gefunden! Laß dich umarmen meine Tochter! — Denke nur: unter dem Vorwande einer gerichtlichen Untersuchung — o deS höllischen Gaukelspieles! — reißt er' dich auS unfern Armen und bringt dich zur Grimaldi * **. Emilia. Reißt mich? bringt mich? — Will mich reißen; will mich bringen; will! will! — als ob wir, wir keinen Willen hätten, mein Vater! Odoardo. Ich ward auch so wüthend, daß ich schon nach die¬ sem Dolche griff (ihn herauSziehend), um einem von beiden — beiden! — daS Herz zu durchstoßen. Emilia. Um deS Himmels willen nicht, mein Vater! — Dieses Leben ist AlleS, waS die Lasterhaften haben.—Mir, mein Vater, mir geben Sie diesen Dolch! Odoardo. Kind, eö ist keine Haarnadel. Emilia. So werde die Haarnadel zum Dolche!—Gleichviel. Odoardo. WaS? Dahin wäre eS gekommen? Nicht doch! nicht doch I Besinne dich! — Auch du hast nur Ein Leben zu verlieren. Emilia. Und nur Eine Unschuld. Odoardo. Die über alle Gewalt erhaben ist. Emilia. Aber nicht über alle Verführung. — Gewalt! Gewalt! wer kann der Gewalt nicht trotzen? WaS Gewalt heißt, ist nichtS: * Der Prinz. " Gemahlin deS Kanzlers Grimaldi. 97 Verführung ist die wahre Gewalt. — Ich habe Blut, mein Vater: so jugendliches, so warmcS Blut, als eine. Auch meine Sinne sind Sinne. Ich stehe für nichts. Ich bin für nichts gut. Ich kenne das Haus der Grimaldi. CS ist daS HauS der Freude. Eine Stunde da, unter den Auge» meiner Mutter: —und eS erhob sich so mancher Tumult in meiner Seele, den die strengsten Ucbungcn der Religion kaum in Wochen besänftigen konnten! —der Religion! und welcher Religion! — Nichts Schlimmeres zu vermeiden, spran¬ gen Tausende in die Fluthen und sind Heilige! — Geben Sie mir, mein Vater, geben Sie mir diesen Dolch. Odoardo. Und wenn du ihn kenntest, diesen Dolch! * Emilia. Wenn ich ihn auch nicht kenne! —Ein unbekannter Freund ist auch ein Freund— Geben Sie mir ihn, mein Vater! geben Sie mir ihn! Odoardo- Wenn ich dir ihn nun gebe —da! (gibt ihr ihn.) Emilia. Und da! (im Begriffe, sich damit zu durchstoßen: der Vater reißt ihr ihn wieder auS der Hand.) Odoardo. Sieh, wie rasch! — Nein, daS ist nicht für deine Hand. Emilia. CS ist wahr, mit einer Haarnadel soll ich (sie fährt mit der Hand nach dem Haare, eine zu suchen, und bekommt eine Rose zu fassen".) Du noch hier? — Herunter mit dir! Du gehörst nicht in daS Haar Einer, — wie mein Vater will, daß ich werden soll! Odoardo. O, meine Tochter! — Emilia. O, mein Vater, wenn ich Sie erriethe! Doch nein, daS «ollen Sie auch nicht. Warum zauderten Sie sonst? (in einem iittern Tone, während daß sie die Rose zerpflückt.) Ehedem wohl gab es einen Vater, der, seine Tochter von der Schande zu retten, ihr den ersten, den besten Stahl in das Herz senkte —ihr zum zwei¬ ten daS Leben gab. Aber alle solche Thatcn sind von ehedem! Solcher Väter gibt es keinen mehr. Odoardo. Doch, meine Tochter, doch! (indem er sie durchsticht) — Gott! was hab'ich gcthan! (sie will sinken, und er faßt sic in icine Arme.) * Odoardo hatte diesen Dolch von einer früheren Vertrauten deS Prinzen, der Gräfin Orsina. " Appiani hatte sie zuerst im einfachen Kleide, eine Rose im Haar, gesehen, und so hatte sich auch Emilia wieder zur Trauung geschmückt- 7 V8 Cmilia. Cine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblättert.— Lassen Sie mich sie küssen, diese väterliche Hand. Letzter Auftritt. Der Prinz. Marinelli. Die Vorigen. Prinz, (im Hereinkommen) Was ist daS?—-Ist Emilien nicht wohl? Odoardo. Sehr wohl; sehr wohl! Prinz, (indem er näher kommt) Was seh' ich? — Entsetze»! Marinelli. Weh mir! Prinz. Grausamer Vater, waS haben Sie gethan? Odoardo. Eine Rose gebrochen, ehe dec Sturm sie entblättert.- War es nicht so, meine Tochter? Cmilia. Nicht Sie, mein Vater —Ich selbst —ich selbst — Odoardo. Nicht du, meine Tochter: —nicht du! Gehe mit ! keiner Unwahrheit auS der Welt. Nicht du, meine Tochter! Dein Vater, dein unglücklicher Vater! Cmilia. Ah —mein Vater —(sie stirbt, und er legt sie sanft auf den Boden.) Odoardo- Zieh hin! Nun da, Prinz! Gefälltste Ihnen noch? ! Reizt sie noch Ihre Lüste? Noch in diesem Blute, das' wider Sic um Rache schreit? (nach einer Pause) Aber Sie erwarten, wo das' Alles hinaus soll? Sie erwarten vielleicht, daß ich den Stahl wider mich selbst kehren werde, um meine That wie eine schaale Tragödie zu beschließen?—Sie irren sich. Hier! (indem er ihm den Dolch vor die Füße wirft) Hier liegt er, der blutige Zeuge meines Verbrechens! Ich gehe und liefere mich selbst in daS Gefängniß. Ich gehe und er¬ warte Sie als Richter. —Und dann dort—erwarte ich Sie vor dem Richter unser aller! Prinz, (nach einigem Stillschweigen, unter welchem er den Körper mit Entsetzen und Verzweiflung betrachtet, zu Marinelli) Hier! heb ' ihn auf. — Nun? Du bedenkst dich? Elender — (indem er ihm den Dolch auS der Hand reißt.) Nein, dein Blut soll mit diesem Blute ! sich nicht mischen. — Geh, dich auf ewig zu verbergen! Geh! sag' ich- — Gott! Gott! —Ist eS, zum Unglücke so Mancher, nicht genug, daß Fürsten Menschen sind; müssen sich auch noch Teufel in ihre» Freund verstellen? Siedmtes Kapitel. 89 Bruchstücke aus geschichtlichen Wetten. i. Liebe des Kaisers Hadrian zu den Künsten. (AuS J. I. Winkclmann' s: » Geschichte der Kunst des Alterthums. --) Hadrianus, welcher auf den TrajanuS folgte, der größte Freund, Beförderer und Kenner der Kunst, soll sogar mit eigener Hand Statuen verfertiget haben: so daß daher Victor, als ein unver¬ schämter Schmeichler, sagt, es könne dieser Kaiser als ein Künstler neben den berühmten Bildhauern, dem PolykletuS und dem Eu- phranor stehen. Wenn man von keiner Neigung gegen den alccn Styl der römischen Sprache im Schreiben auf die Kunst schließen könnte, würde er auch in dieser jenen herzustellen gesucht haben. Nebst der Liebe zur Kunst war seine Begierde, Alles zu wissen und zu sehen, ohne Schranken; und es war dieselbe der vornehmste Grund der großen Reisen, die er im sechsten Jahre seiner Regie¬ rung nach allen römischen Provinzen antrat, so daß sich Münzen finden von fiebenzehn Landern, die er durchreiset ist. Cr ging sogar nach Arabien und Aegypten, welches Land er, wie er selbst in einem Briefe an den Consul Sevcrianus sagt, völlig auSstudirt hatte. Durch den HadrianuS wurde die Kunst auf den Thron erhoben, und die Griechen, so zu reden, mit derselben, so daß seit dem Ver¬ luste der Freiheit Griechenland keine glücklichere Zeit erlebte, und keinen mächtigem Freund gehabt hatte. Denn dieser Kaiser nahm stch Vox, Griechenland in die vorige Freiheit zu setzen, indem er cS für ein freies Land erklärte, und suchte den griechischen Städten ihren vorigen Glanz wieder geben. In Lieser Abficht ließ er nicht allein in Athen so stark bauen, wie Perikles vor Zeiten gethan hatte, sondern cs wurden auch alle berühmte Städte in Griechenland sowohl als in Kleinasien mit öffentlichen Gebäuden, Wasserleitungen und Bädern ausgeziert. Ein Tempel, welchen er zu Cyzikum aufführen ließ, wurde unter die fieben Wunder 400 der Welt gezählt: und vielleicht sind von demselben übrig die erstaunenden Trümmer daselbst, die seit langer Zeit den dortigen Einwohnern zu ihrem Baue dienen. Cr trat den Parthen ein großes Land ab, um, wie eS scheint, zugleich zu diesen seinen großen Absichten Ruhe zn haben- Gegen Athen aber äußerte Hadrianus eine ganz vorzügliche Nei¬ gung, theils weil diese Stadt der Sitz der Künste gewesen war, theilS weil er viele Jahre daselbst gelebt hatte. Er gab den Athe- nicnsern die Insel Cephalenia wieder, bauete den Tempel des BachuS und vollendete den Tempel des olympischen Jupiters zu Athen, nachdem derselbe an siebenhundert Jahre, von PisistratuS an, gelegen hatte, und es wurde ein Werk, welches viele Stadien im Umfange hatte. In demselben ließ cr, wie Pausanias berichtet, unter andern Statuen, von Golde und Elfenbein verfertiget, eine solche kolossalische Statue deS Jupiters setzen; eine jede römische Stadt ließ in diesem Tempel dem Kaisex selbst eine Statue errichten. Der Eifer dieses Kaisers um die Kunst erweckte eben den Trieb auch in andern Griechen, so daß der einzige Redner HerodeS von Athen, und daher Atticus zubenannt, in verschiedenen griechischen Städten Statuen errichten ließ, welcher auch außer Athen ein ganz neueö Stadium von weißem Marmor an dem Flusse Jlissus nebst einem Theater in Athen und zu Korinth, und dieses auS eigenen Mitteln, erbauete. ES war jedoch dieses Kaisers Lust, zu bauen und der Kunst Nahrung zu geben, nicht bloß auf Griechenland eingeschränkt, sondern die Städte in Italien hatten sich gleicher Freigebigkeit zu rühmen. II. Kaschmir. (Aus I. G. Herder's: » Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit.->) Mitten im Schooße der höchsten Gebirge liegt das Königreich Kaschmir, verborgen wie ein Paradies der Welt- Fruchtbare und schöne Hügel sind mit höhern und höheren Bergen umschlossen, deren letzte sich, mit ewigem Schnee bedeckt, zu den Wolken er¬ heben. Hier rinnen schöne Bäche und Ströme: das Erdreich schmückt sich mit gesunden Kräutern und Früchten: Inseln und Gärten stehen im erquickenden Grün: mit Viehweiden ist Alles überdeckt-- 401 giftige und wilde Thiere sind au§ diesem Paradiese verbannet. Man könnte, wie Bernicr sagt, diese die unschuldigen Berge nennen, auf Lenen Milch und Honig stiesst, und die Menschengattung daselbst ist der Natur nicht unwerth. Die Kaschmiren werden für die geistreich¬ sten und witzigsten Indier gehalten, zur Poesie und Wissenschaft, zu Hantierungen nnd Künsten gleich geschickt, die wohlgebildetstcn Menschen, und ihre Weiber ost Muster der Schönheit- - — Wie glücklich könnte Jndostan sein, wenn nicht Menschenhände sich vereinigt hätten, den Garten der Natur zu verwüsten und die unschuldigste derMenschengestalten mit Aberglauben und Unterdrük- kung zu quälen! Die Hindus sind der sanstmüthigste Stamm der Menschen. Kein Lebendiges beleidigen sie gern; sie ehren waö Leben bringt, und nähren sich mit der unschuldigsten Speist, der Milch, dem Reiß, den Baumfrüchten, den gesunden Kräutern, die ihnen ihr Mutterland darbeut. » Ihre Gestalt,-, sagt ein neuer Reisender, » ist gerade, schlank und schön, ihre Glieder fei» proportionirt, ihre Finger lang und zart tastend; ihr Gesicht offen und gefällig; die Züge desselben sind bei dem weiblichen Geschlechte die zartesten Linien der Schönheit, bei dem männlichen einer männlich sanften Seele. Ihr Gang und ihr ganzes Tragen deS Körpers ist im höchsten Grade anmuthig und reizend. -- Die Beine und Schenkel, die in allen nord¬ östlichen Ländern litten oder affenartig verkürzt wurden, verlängern sich hier und tragen eine spriessende Mcnschcnsstwnheit. Selbst die mongolische Bildung, die sich mit diesem Geschlechte vermählte, hat sich in Würde und Freundlichkeit verwandelt. Und wie die LeibeSge- stalt, ist auch die ursprüngliche Gestalt ihres GcisteS; ja, sofern man sie ohne den Druck deS Aberglaubens oder der Sklaverei betrachtet, ihre Lebensweise. Mäßigkeit und Ruhe, ein sanftes Gefühl und eine stille Tiefe der Seele bezeichnen ihre Arbeit und ihren Ge¬ nuß, ihre Sittenlehre und Mythologie, ihre Künste und selbst ihre Duldsamkeit unter dem äußersten Joche der Menschheit. Glückliche Lämmer, warum konntet ihr nicht auf eurer Aue der Natur ungestört und sorglos weiden? 102 III. Lod des Dichters Kleist. l Aus der: »Geschichte d e s siebenjährigen Krieges», von I. W. Archenholz.) Unter den Preussen, die in der Schlacht bei Kunersdorf als Opfer des Kriegs-DämonS sielen, befand sich auch der Major Kleist, ein edler Deutscher, verehrungswürdig durch seinen Charakter, unsterblich durch seine Gesänge, von seinem Könige wegen seiner Deutschheit verkannt, von seinen Zeitgenossen kalt bewundert, aber gewiß von der späten Nachwelt gepriesen. Er sagte in einem seiner Gedichte: -- Vielleicht sterb' einst auch ich Den Tod für 'S Vaterland. » Die Ahnung traf zum Unglück für die deutsche gelehrte Republik an dem mordvollen Tage der Schlacht bei Kunersdorf ein. Kleist führte ein Bataillon gegen den Feind an, und eroberte damit drei Batterien. Die rechte Hand wird ihm durch eineKugel zerschmettert, er nimmt den Degen in die linke, und nun rückt er mit seinen Sol¬ daten, die ihn wie ihren Vater liebten, auf die vierte Batterie los. Ein Kartätschenschuß streckt ihn zu Boden. Cr wird aus dem Schlacht¬ getümmel getragen, in einen Graben gelegt, und so seinem Schicksal überlassen. ES war grausam gegen ihn. Die Kosaken, den Mensche» an Gestalt ähnlich, in allem Uebrigen aber den Raubthieren auS Libyens Wüste gleich, bei denen Rauben, Morden und Brennen gleichsam Instinkt, und Mitleid ein fremdes Gefühl war, sielen über den im Blut schwimmenden Kleist her. Sie rissen ihm Alles vom Leibe herunter, selbst daS von Blut triefende Hemde; und nun lag der Held, der Weise, der unsterbliche Dichter des Früh¬ lings nackend wie ein Wurm, im Morast und wünschte sich Lumpen. Sein Zustand jammerte einigen russischen Husaren, die vorbeiritten; sie warfen ihm einen alten Mantel, etwas Brot und einen halben Gulden zu. Allein andere Kosaken kamen und nahmen auch diese Almosen weg. Cr mußte also nackend und ohne Verband die ganze Nacht durch bis am folgenden Tage in seinem Blute schwimmen- Kleist war schwer, aber nicht tädtlich verwundet. Dieser schreckliche Zustand aber, und das Wasser deS Morastes, daS in seine Wunden drang, machten solche tödtlich. Er starb in Frankfurt als ein Ge¬ fangener einige Tage nach der Schlacht. Die Russen gaben ihm 105 ein ehrenvolles Leichenbegängniß. Viele ihrer Officiere vereinigten sich mit den academischen Lehrern und begleiteten den Trauerzug. Der Sarg war ohne Degen. Diesen Mangel zu ersetzen nahm ein russischer Officier den scinigen, legte ihn darauf, und nun ging der Weg zum Grabe, an dem Preußens Krieger wehklagten und die deutschen Musen trauerten, daS die Barden besangen und gefühlvolle Mädchen mit Rosen bestreuten. IV. Arabien. (Aus: «Vier und zwanzig Bucher der allgemeinen Geschichte, » von Joh. von Müller.) Zwei tief in daS Land gehende Meeresbuchten bilden die Halb¬ insel Arabien. Das ganze Land wird auf fünf und fünfzig tau¬ send Quadratmeilen geschätzt. Die Wüste zeigt todte Natur; unaufgehalten brennt von immer trockenem Himmel die Sonne; die nackten Höhen scheinen durch die Winde geschunden, und öffnen unermeßliche Aussichten, wo kein Schatten den Wanderer erquickt, wo an keinem Gegenstände sein Auge ruhet; unübersehbar zwischen ihm und aller lebenden Kreatur auSgebreiteter Raum stellt sich dar; selten im Schatten einsamer Palmenwäldchcn ein bald im Sande versiegender Bach. Nur der Araber kennt solche Rastplätze; nur er bewohnt sie, frei, in über¬ flüssiger Befriedigung seiner einfachen Bedürfnisse; hierher führt er Sclaven und Schätze, die er von Karavanen erbeutet, welche mit den Leuten deS großen CmirS der Wüste sich in GeleitSstreitig- keiten einzulaffen die Unvorsichtigkeit hatten. Diese Inseln im Sandmcere zu verbinden, taugt nur das Kameel; wie die Einwohner, so lernt von Jugend auf dieses Thier Durst, Hunger und Schlaflosigkeit ertragen; drei-, vierhundert Stunden rennt eS, ohne in acht oder zehn Tagen mehr alS Ein Mal zu trinken, und, außer wenigen Disteln, Wermuth- Wurzeln und Nesseln, in vier und zwanzig Stunden etwas zu genießen; bis dreizehn Centner trägt eS, Wochen lang unabgepackt; in ihm ist deS Arabers Sicherheit, Rcichthum, treuester Lebens¬ gefährte; indem cs die gedoppelte Last eines Maulesels trägt, ist es genügsamer als der Esel, milchreich wie die beste Kuh, schmackhaft, wie Kalbfleisch, im Werth seiner Haarwolle mit den Schafen wett- 104 eifernd: sein Mist dient für Brennholz, sein Harn zu Salmiack; ein Wink regiert seinen Schritt; ein Lied erneuert seine Kraft. Am Euphrat, unter Obstgarten, dehnt stch in langer Strecke der Hauptflecken der Wüste, die uralte Anah, wo der große Emir der Beduinen (der Wüstebewohner), zu bestimmten Zeiten den Sitz aufschlägt. Nämlich mehrere Familien gehorchen dem Vorsteher der Edelsten und Reichsten, als Scheich; alle Scheichs in ihren Händeln dem beschützenden Groß-Emir. Sein Lager ist eine ungemein regelmäßige, bewegliche Stadt; alle Gassen laufen bei dem Gezelte seiner Wohnung zusammen. Ihm bezahlen die Reisenden für sichern, freie» Durchzug eine Gabe. Die berühmten Schulen und Handelsstädte Kufa und Baffora liegen an der Grenze der Wüste. Viele Namen der Stämme erinnern an Moses , an Hiob. Der einzige furchtbare Feind ist Samum, der Engel deS Todes, ein aus den Wüsten sich erhe¬ bender, schwesiichter Wind, dessen Flamme alle begegnenden Lhiere und Menschen erstickt; durch Arabien und Afrika ist er bis in Spanien fühlbar. Aon Jemen oder dem glückseligen Arabien sind nur die Küsten genau bekannt. Man weiß, daß es von einem freien, muntern, edlen Volke bewonht ist, welches bei Herden, bei Gärten, wo die Weihrauchpsianze, der Balsam, der Zimmt, Kaffia und Kaffee wachsen, in stolzer Unabhängigkeit lebt. Nach den vornehmsten Städten sind Wege gebahnt; um dieselben, bis auf die Gipfel der Berge, ist Kultur. Von einem Gesträuch, wie die Wachhol- derstaude, wird Weihrauch gesammelt, welcher von Indien bis zu uns die Tempel durchdampft. Von einer, auS Habesch — so glaubt man — auf die Berge Jemens verpflanzten Staude wird der Bohnentrank (Kahweh, Kaffee) bereitet. Wie wenig vermuthete der Arzt Prosper Alpinus, da er ihn um das Jahr 1883 in Aegypten beschrieb und für den Magen empfahl, daß er in wenigen Gcschlechtsaltern das Licblingsgetränk von Europa, von dem Serail des Großherrn der Türken bis in die Alpenhüttcn Bedürfniß, eine Quelle vieler guten und bösen Dinge sein, und daß die Aerzte wider seinen Mißbrauch schreiben würden! Eben dieses Arabien ist an den edelsten Pferden sehr reich. So schön, nur nicht so groß als in Afrika, ist das Pferd bei den Arabern; eS ist schnell wie Strauße, eigentlich für die Jagd. Eine Klaffe der arabischen Pferde ist mit urkundlichen, weit hinauf- 10g reichenden Geschlcchtsregistcrn versehen. Sie sind Tag und Nacht Gesellschaft für den Araber, der für ihre Reinlichkeit äußerst sorgt; sie stehen den Tag über gesattelt, Nachts fressen sie; alle Stutereien der Morgenländer und Afrikaner werden von hier angepstanzt. Die Küste Jemens läuft an der arabischen Bucht nach der Meerenge Mandab. In der Nähe liegt Okad, wo in alten Zeiten Dichter um den Preis der Lieder kämpften. Hier liegt, von Garten nnd Kaffeewäldchen umringt, Moka, Mittelpunkt deS Handels, die vornehmste Zollstadt Jemens. V. Herzog von Alba bei einem Frühstück auf dem Schlosse Rudolstadt im Jahre 1847. (Von F. v. Schiller.) Cine deutsche Dame aus einem Hause, daS schon ehedem durch Heldenmuth geglänzt und dem deutschen Reich einen Kaiser ge¬ geben hat, war cs, die den fürchterlichen Herzog von Alba durch ihr entschlossenes Betragen beinahe zum Zittern gebracht hätte. Als Karl V. im Jahre 1847 nach der Schlacht bei Mühlberg auf feinem Zuge nach Franken nnd Schwaben auch durch Thü¬ ringen kam, wirkte die verwictwcte Gräfin Katharina von Schwarzburg, eine geborne Fürstin von Henneberg, einen Sauve- Garde-Bricf bei ihm aus, daß ihre Unterthancn von der durch¬ ziehenden spanischen Armee nichts zu leiden haben sollten. Dagegen verband sie sich, Brot, Bier und andere Lebensmittel gegen billige Bezahlung aus Rudolstadt an die Saalbrücke schaffen zu lassen, und die spanischen Truppen, die dort übersetzen würden, zu versorgen. Doch gebrauchte sie dabei die Vorsicht, die Brücke, welche dicht bei der Stadt war, in der Geschwindigkeit abbrechen, und in einer großem Entfernung über daS Wasser schlagen zu lassen, damit die allzu große Nähe der Stadt ihre raublustigen Gäste nicht in Versuchung führte. Zugleich wurde den Einwohnern aller Ortschaften, durch welche der Zug ging, vergönnt, ihre besten Habseligkeiten auf daS Rudolstadter Schloß zu flüchten. Mittlerweile näherte sich der spanische General, vom Herzog Heinrich von Braunschweig und dessen Söhnen begleitet, der Stadt, und bat sich durch einen Boten, den er voran schickte, 106 bei der Gräfin von Schwarzburg auf ein Morgenbrot zu Gaste. Eine so bescheidene Bitte, an der Spitze eines KriegSheeres gcthan, konnte nicht wohl abgeschlagen werden. Man würde geben, was das HauS vermöchte, war die Antwort; Seine Cxcel- lenz möchten kommen, und vorlieb nehmen. Zugleich unterließ man nicht, der Sauve-Garde noch einmal zu gedenken, und dem spanischen General die gewissenhafte Beobachtung derselben an 's Herz zu legen. Ein freundlicher Empfang und eine gut besetzte Tafel erwar¬ teten den Herzog auf dem Schlosse. Er muß gestehen, daß die thüringischen Damen eine sehr gute Küche führen, und auf die Ehre des GastrechtS halten. Noch hat man ßch kaum nicdergesetzt, «IS ein Eilbote die Gräfin auS dem Saal ruft. Cs wird ihr gemeldet, daß in einigen Dörfern unterwegs die spanischen Soldaten Gewalt gebraucht, und den Bauern daS Vieh wegge¬ trieben hätten. Katharina war eine Mutter ihres Volkes; was dem Aermsten ihrer Unterthemen widerfuhr, war ihr selbst zuge¬ stoßen. Auf'S Acußcrste über diese Wortbrüchigkeit entrüstet, doch von ihrer Geistesgegenwart nicht verlassen, befiehlt sie ihrer ganzen Dienerschaft sich in aller Geschwindigkeit und Stille zu bewaffnen, und die Schloßpforten wohl zu verriegeln; sie selbst begibt sich wieder nach dem Saale, wo die Fürsten noch bei Tische sitzen. Hier klagt sie ihnen in den beweglichsten Ausdrücken, was ihr eben hintcrbracht worden, und wie schlecht man das gegebene Kaiserwort gehalten. Man erwiedert ihr mit Lachen, daß dies nun einmal Kriegsgcbrauch sei, und daß bei einem Durchmarsch von Soldaten dergleichen kleine Unfälle nicht zu verhüten stünden. » Das wollen wir doch sehen, » antwortete sie aufgebracht. » Meinen armen Unterthanen muß das Ihrige wieder werden, oder bei Gott! » — indem sie drohend ihre Stimme anstrengte — » Fürstcnblnt für Ochsenblut! » Mit dieser bündigen Erklärung verließ sie daS Zimmer, das in wenigen Augenblicken von Bewaffneten erfüllt war, die sich, daS Schwert in der Hand, doch mit vieler Ehrerbietigkeit hinter die Stühle der Fürsten pflanzten, und das Frühstück bedienten. Beim Eintritt dieser kampflustigen Schaar veränderte Herzog Alba die Farbe; stumm und betreten sah man einander an. Abgeschnitten von der Armee, von einer überlegenen, handfesten Menge umgeben, was blieb ihm übrig, als sich in Geduld zu fassen, und auf welche Bedingung 107 eS auch sei, die beleidigte Dame zu versöhnen- Heinrich von Braunschweig faßte sich zuerst, und brach in ein lauteS Gelächter aus. Er ergriff den vernünftigen Ausweg, Len ganzen Vorgang in 's Lustige zu kehren, und hielt der Gräfin eine Lobrede über ihre landeSmütterliche Sorgfalt und den entschlossenen Muth, den ste bewiesen. Er bat sie, sich ruhig zu Verhalten, und nahm cs auf sich, den Herzog von Alba zu Allem, was billig sei, zu vermögen. Auch brachte er es bei dem Letzteren wirklich dahin, daß er auf der Stelle einen Befehl an die Armee ausfertigte, das geraubte Vieh den Eigenthümern ohne Verzug wieder aus¬ zuliefern. Sobald die Gräfin von Schwarzburg der Zurückgabe gewiß war, bedankte sie sich auf's Schönste bei ihren Gästen, die sehr höflich von ihr Abschied nahmen. Ohne Zweifel war es diele Begebenheit, die der Gräfin Katharina von Schwarzburg den Beinamen der Heldcnmüthigen erworben. VI. Wilhelm von Orani en. Sie bat hierauf die beiden Grafen, ihr bei dem letzten Auftritte ihres LebenS die Gegenwart cineS Beichtvaters nicht zu versagen; aber diese Bitte that sie umsonst; man antwortete ihr, daß der Dechant von Peterborough sie nach den Grundsätzen der wahren Religion unterrichten und trösten würde.- Als die Grafen sie verlassen hatten, bereitete sie sich mit großer Ruhe und Besonnenheit zu dem Schritte, der ihr bevorstand. Sie setzte ihr Testament mit eigener Hand auf; sie vertheilte daS Geld, die Juwelen und die Kleider, die ihr noch übrig geblieben waren, unter die Personen ihres kleinen Gefolges. Sie schrieb einen kurzen, aber edlen und würdevollen Brief an den König von Frankreich, einen andern an den Herzog von Guise, denen sie, den Grundsätzen der Religion gemäß, die Sorge für die Ruhe ihrer Seele, außerdem aber die Sorge für ihren guten Namen und für den Unterhalt ihrer zurückbleibenden Bedienten empfahl- Darauf nahm sie ihr Abendessen mit ihrer gewöhnlichen Heiterkeit zu sich. Gegen das Ende desselben rief sie alle ihre Leute in daS Zimmer, trank einem Jeden unter ihnen mit liebreichem Anstande zu, erbat sich ihre Verzeihung, wenn sie sich auf irgend eine Weise von ihr beleidigt glaubten, und verzieh ihnen wechselseitig jeden begangenen Fehler Alle waren in Thränen gebadet und in namenlosen Schmerz ver¬ sunken; sie allein blieb aufrecht und entschlossen unter der Last des Jammers, der Alles um sie her darnieder warf. Sie legte sich zur gewöhnlichen Stunde zum Schlafe nieder und schlief einige Stunden sehr ruhig; den übrigen Theil der Nacht brachte sie mit Religionsübungcn zu. Gegen Morgen zog sie ei» sammtncs Trauerkleid an, und schmückte sich mit einer Sorgfalt, die man lange nicht mehr an ihr bemerkt hatte. Um acht Uhr trat der Oberrichter und sein Begleiter in ihr Zimmer; sie erhob sich so- ur gleich und folgte ihm, ans zwei von Pauket' 6 Leuten gelehnt, weil eine Schwäche in den Gliedern ihr seit einiger Zeit daS Gehen er¬ schwerte, in den Saal, wo das TodeSurtheil vollzogen werden sollte. Ein Agnus Dei hing an einem Rosenkränze um ihren Hals; in der Hand trug sie ein Crucifix von Elfenbein. In dem Gemache, welches unmittelbar an ihr Zimmer stieß, fand sie Shrewsbury, Kent, Pauket und Drury, außer ihnen aber Sir Andreas Mclvil, ihren Haushofmeister, einen treuen Diener, dem sse mit ganz besonderem Wohlgefallen zugethan war. Er warf sich, von Schmerz und Ver¬ zweigung zerrissen, zu ihren Füßen nieder, und stammelte einige Worte des Jammers über daS unglückliche Verhängniß, welches ihn ausersehen hatte, der Ueberbringer solcher traurigen Neuigkeiten in Schottland zu sein. » Höre auf zu weinen, » rief ihm die Königin zu, » guter Melvil; hier ist volle Ursache zur Fröhlichkeit, denn heute wird Maria Stuart von allen ihren Leiden befreit; die Welt ist eine Wohnstätte des Jammers, so reich an Elend, daß ein ganzes Meer von Thränen nicht hinrcichte, eS zu beweinen.—Ich sterbe mit der Uebcrzeugung, meiner Religion getreu geblieben zu sein, und meinem Königreiche nichts von seinen Rechten und Vor- thcilen vergeben zu haben. Sage dies meinem Sohne! Der Himmel verzeihe allen denen, die so lange nach meinem Blute dürsteten. - Sie verlangte die Crlaubniß, drei männliche Bedienten und zwei weibliche mit zum Richtplatz zu nehmen. Der Graf von Kent wei¬ gerte stch lange, ihr dicS zu gewähren: er fürchtete, daß das Betragen dieser Begleiter ihn in Verlegenheit setzen möchte. Seine Weigerung schien einen tiefen und empörenden Eindruck auf Maria zu machen. » Ich bin die nächste Verwandte Eurer Monarchin, » rief sie mit majestätischem Stolze aus, » von dem königlichen Blute Heinrich des Siebenten entsprossen, eine vermählte Königin von Frankreich, eine gesalbte Königin von Schottland. Wie könnt ihr mir einen Troff versagen, den man einer Frau von weit geringerem Stande unbedenklich gewähren würde? » Die Commiffarien beratschlagten mit einander, und gestanden ihr endlich die sehnlich gewünschte Be¬ gleitung zu. Das Blutgerüst war in eben dem Saale, wo vier Monate zuvor ihr Criminalprozeß geführt wurde, errichtet, nur wenig über den Fußboden erhoben, und lammt dem Stuhle, dem Kissen und dem Blocke mit schwarzem Tuche bekleidet. Sie bestieg eS mit ruhiger und unveränderter Miene, setzte sich in den für sie bestimmten «2 Stuhl, und hörte den Befehl zu ihrer Hinrichtung mit voll¬ kommener Gleichgültigkeit, und so, alS wenn er eine fremde Person betroffen hatte, ablesen. Das Zimmer war gedrängt voll Menschen, welche das außerordentliche Schauspiel herbcigezogen hatte, und welche der Kontrast zwischen so viel großen und lie¬ benswürdigen Eigenschaften und einem so jammervollen Ende, zur innigsten Bewunderung und zur tiefsten Wehmuth hinriß. Der Dechant von Peterborough begann nunmehr seinen frucht¬ losen und traurigen Zuspruch, ermahnte die Königin zur Bekeh¬ rung, zeigte ihr den Himmel bei der protestantischen Lehre, die Hölle bei der ihrigen. Sie schien anfänglich gar nicht auf ihn zu hören; zuletzt unterbrach sie seine unzeitige Rede mit sichtbarer Ungeduld. Die beiden Grafen bemerkten nun selbst, daß es eben so thöricht als unmenschlich war, sie länger durch diese eitcln Versuche zu quälen; sie überließen sie einige Augenblicke der Nei¬ gung ihres GemüthS, und Maria benutzte diese Augenblicke, um für eine baldige glückliche Auflösung, für die tiefgebeugte Kirche, für ihren Sohn, endlich für die Königin Elisabeth, der sie eine lange und glückliche Negierung wünschte, zu beten. AlS sie ihr Crucisix mit vieler Inbrunst küßte, rief ihr der Graf von Kent, noch einmal vom protestantischen Eifer ergriffen, zu, sie möchte doch Christum lieber im Herzen alS in den Händen haben- Sie antwortete ihm mit völliger Geistesgegenwart: es sei nicht möglich, einen solchen Gegenstand in der Hand zu tragen, ohne die Rüh¬ rung , die er errege, auch tief im Herzen zu fühlen. Endlich fing sie an, sich mit Hülfe ihrer beiden Frauen zu entkleiden; da der Nachrichter ihr Beistand leisten wollte, wendete sie sich um und bemerkte mit Lächeln, sie sei nicht gewohnt, sich vor einer so großen Gesellschaft, und von solchen Dienern um¬ ringt, auSzuziehen. Einige ihrer Leute wollten von neuem in Wehklagen ausbrechen,- sie hielt den Finger auf den Mund, zum Zeichen, daß sie ihnen Stillschweigen geböte. Gleich darauf band eine ihrer Frauen ihr ein Luch um die Augen, und Maria legte, ohne das geringste Merkmal von Muthlosigkeit oder Angst, ihr Haupt auf den Block. Jndeß einer von den Nachrichtern sie sanft bei den Händen faßte, machte der andere auf den zweiten Streich ihrem Leben ein Ende. Nachdem er das Haupt abgelöset hatte, hielt er es von Blut strömend de» Zuschauern vor. Der Dechant von Peterborough rief allein: 113 » So muffen alle Feinde der Königin Elisabeth umkommen. -> Der Graf von Kent antwortete allein: » Amen- -> Alle übrigen Anwesenden waren mit starrem Erstaunen und sprachloser Trau¬ rigkeit auf das entsetzliche Schauspiel geheftet, und der Empfin¬ dung , die dieses Schauspiel gebot, mußten für einen Augenblick Furcht, und Haß, und Eifersucht, und Parteigeist, und Stre¬ be» nach Gunst, und Anbetung der Macht, und alle anderen Empfindungen weichen. VIII. Das Seetreffen bei Nacht- (Eine historische Skizze von CH. E> Houwald.) Um ihren ausgebreiteten Handel kräftiger zu schützen, rüstete die ostindifchc Compagnie in Holland im Jahre 1618 eine Flotte bon 7 Schiffen aus, und untergab fie dem Befehl eines sehr geübten Seemannes, deS Joris van Spiclbergen. Der königlich spanische Rath in Peru hatte jedoch kaum hiervon Nachricht erhalten, al§ er diese Flotte, die ihm trotz ihrer geringen Schiffszahl dennoch höchst gefährlich schien, auf jede mögliche Weise zu vernichten beschloß, und, weil er den geübten Holländern auf offner See nicht zu begegnen wagte, es vorzog, ihnen in den Häfen aufzulauern, um fie dort von der Land- und Seeseite zu gleicher Zeit angreifeu zu können. Nur der spanische Admiral, Don Rodrigo, ein Verwandter deS VicekönigS in Peru, setzte diesem bedachten Plane seinen jugend¬ lichen Ucbermuth entgegen und verficherte, daß er (so lauteten seine eignen Worte) diese jungen holländischen Hunde und ver¬ zagten Bruthühner bloß mit zwei Schiffen einzufangan sich ge¬ traue, zumal fie, fichern Nachrichten zufolge, bei der Durchfahrt in der Magellanischen Straße einen schweren Sturm ausgchalten hätten, und hierdurch bis aufs Aeußcrste abgemattet, sich ihm gewiß ohne Schuß ergeben würden. Dem Vicekönig gefiel diese stolze Vermessenheit; er vertraute dem Don Rodrigo und gab ihm eine Flotte von acht Schiffen, um die Holländer wirklich in offner See aufzusuchen. Las Ad¬ miralschiff, Jesu Maria genannt, war mit 460 Mann und 24 Kanonen besetzt; daS Vice-Admiralschiff, Santa Anna, mit 300 Mann und 14 Kanonen; daS dritte Schiff, de Carmes, führte 200 Mann und 8 Stücke an Bord; das vierte Schiff, St. Diego, eine gleiche Anzahl von Leuten und Geschütz; daS fünfte Schiff, Maria del Rosario 130 Mann und 4 Stücke, und die drei letzter» Schiffe waren ohne schweres Geschütz, nur mit Soldaten bemannt. Der holländische Admiral van Spielbergen erfuhr zwar seiner¬ seits auch bald genug, daß diese feindliche Flotte zu seiner Ver¬ nichtung in See gestochen sei, er stieg aber nichts destoweniger mit seiner Mannschaft auf dem Eilande Santa Maria anS Land, machte in den dort befindlichen spanischen Niederlassungen große Beute und eroberte, alS er kaum von dort wieder abgelchifft war, ein mit Oliven und baarem Gelds reich beladenes spanisches Schiff, welches er, nachdem die gefangene Mannschaft und die Ladung geborgen worden, versenken ließ. Kaum war jedoch diese Beute errungen, alS man von fern auch schon die Wimpel der feindlichen spanischen Flotte erblickte, die mit vollen Segeln auf die Holländer antrieb, so, daß am Abend beide Flotten schon einander dicht gegenüber lagen. Der spanische Vice- Admiral, Don Pedro Alvarez de Piger, einer der erfahrensten See¬ leute jener Zeit, ließ seinen jugendlichen Admiral warnen, den An¬ griff bei einbrechender Nacht nichc zu wagen. Allein der leichtsinnige, allzuhitzige Rodrigo blieb taub für jeden verständigen Rath, segelte dreist auf daS holländische Admiralschiff, die Sonne genannt, loS, und kam ihm in der zehnten Abendstunde so nahe, daß er ihm die stolze Aufforderung, sich ohne WeiterS zu ergeben, selbst zurufen konnte. — Spielbergen aber beantwortete dieses Gebot mit einer vollen Salve auS grobem und kleinem Geschütz, und so begann denn wirklich unter dem Schatten der einbrechenden Nacht daS Sec- treffen. Der Himmel war zwar allenthalben mit finstern Wolken überhangen, alS habe auch er sich zum Kampfe gewaffnet; dennoch aber ruhten die Elemente und wollten stumme Zeugen sein, und die tiefe Windstille ließ daS Toben des unsichtbaren menschlichen Kam¬ pfes nur desto grausenhaster vernehmen. Trommeln wirbelten, Trompeten schmetterten, der Ruf der Befehlshaber ertönte; — aber die Nacht verhüllte Alles, waS geschah; keine Schiffslaterne war angezündet, um dem Feinde nicht zum Zielpunkte zu dienen, und nur in den bläulichen Blitzen deS krachenden Geschützes erkannten sich die Feinde für den Augenblick, und hörten, nachdem das fiüchtige Licht von der Nachtwieder verschlungen worden war, nur daS Jam¬ mergeschrei der Verwundeten und Sterbenden, die der leuchtende «s Schuß getroffen hatte. Selbst die Freunde suchten stch oft vergebens; ffe durften trotz der Besorgnis stch einander selbst zu vernichten, die Wuth deS Kampfes nicht hemmen, und der Zufall wurde beschwo¬ ren, die Kugeln nur auf Fcindesherzcn zu leiten. Die Holländer hatten eine glückliche Stellung genommen, und trafen fast mit jedem Schüsse, dergestalt, daß stch daS spanische Ad¬ miralschiff, sehr beschädigt, endlich auS dem Kampfe zurückzuziehen versuchte; allein die gänzliche Windstille hielt eS fest; eS mußte Stand halten, und würde wahrscheinlich in den Grund gebohrt worden sein, wenn nicht ein anderes spanisches Schiffzufällig dem holländischen Admiral in die Flanke gerathcn wäre. — Spielbergen wendete nunmehr den Kampf auf diese Seite, und setzte auch dem zweiten feindlichen Schiffe so zu, daß eS zu stnken begann. In dieser Noth trieb eS auf eine holländische Jacht, an deren Bord eS stch in der Todesangst festklammern und so feine Mann¬ schaft retten wollte. Allein eS wurde auch hier abgeschlagen, und so versank eS denn bald darauf mit Allem in der Fluth. Kaum hatte die holländische Jacht hier gestegt, alS der spanische Admiral aufS neue die Flucht versuchend, ebenfalls auf dieselbe stieß und gezwungen auch den Kampf mit ihr bestehen mußte- Bei den häufigen Pulverblitzen bemerkte man alsbald auf dem hollän¬ dischen Bice-Admiralschiff die große Bedrängniß, in welcher stch die Jacht befand, und ein Officier auf demselben, ein alter vertrauter Waffenbruder deS CapitänS der Jacht, bat den Vice-Admiral, seinem Freunde zu Hülfe eilen zu dürfen. Er bestieg in kühner Hast mit bewaffneter Mannschaft ein Boot und steuerte jubelnd mit SiegeSgeschrei auf die Jacht los, um ihr Rettung zu brin¬ gen. Allein der Capitän, von dem Feuer deS Geschützes geblendet, hielt auch dieses Boot für nahende Feinde, und während er den Angriff deS feindlichen AdmiralS tapfer abschlug, schoß er das Fahr- ieug seines treuesten rettenden Freundes in den Grund- — — AlS der Morgen endlich nach dieser schaudervollen Nacht auf¬ dämmerte und AlleS übersehen ließ, strebten mehrere Schiffe, welche in der Finsterniß abgetrieben worden waren, den Ihrigen wieder zu Hülfe zu eilen. Don Rodrigo hatte stch hinter daSfast noch unbeschädigte Schiff seines Vice-AdmiralS gelegt, wo er Schutz zu finden glaubte.. Allein van Spielbergen griff beide aufs neue an, und eS kam zwischen den Admiral- und Vice-Admiral¬ schiffen beider Theile zu einem neuen mörderischen Kampfe, der so 116 lange unentschieden blieb, bis das holländische Schiff AeoluS auch heröeieilte, und die Spanier dergestalt beschießen hals, daß ße endlich ihre beiden Schiffe an einander trieben, und Bord an Bord legten, um aus einem derselben sich in das andere flüchten zu können. DaS Vice-Admiralschiff war jetzt am härtesten getroffen worden, cs drohte zuerst zu sinken; AllcS floh daher auf das Admiralschiff hinüber. Allein dieses befand sich in einem nicht minder elenden Zustande; der geringe Theil der Mannschaft, welche noch am Leben war, eilte auf das Vordcrtheil des Schiffes, wo Einige die weiße Fahne aussteckten, Andere sie wieder herabrissen und lieber zu sterben, als sich zu ergeben beschlossen. Verzweiflung kämpfte hier gegen Verzweiflung, Feigheit gegen Muth, Lebens¬ lust gegen Todesverachtung, und so den Kampf gegen die Feinde vergessend, trieben sich die Spanier, taub gegen die Stimme der Befehlshaber, selbst aus einem der beiden Schiffe in das andere. Da hatte sich endlich der Wind erhoben, und die Mellen warfen den holländischen Vice-Admiral wie einen Schiedsrichter zwischen die beiden spanischen Schiffe; dieS gab den Spaniern die Besin¬ nung wieder; sie klammerten sich nun sofort an den Bord dcS feindlichen Schiffes, um es siegend zu ersteigen, wurden aber auch hier abgeschlagen, und der spanische Admiral versuchte nun, mit vollen Segeln und vom Winde begünstigt, endlich seine letzte Rettung in der Flucht. Zwei holländische Schiffe verfolgten ihn, bis die Nacht ihn wieder Verbarg, — man hat aber niemals wieder etwas von ihm erfahren. Während dem hatte Van Spielberge» das spanische Vice-Admiralschiff nach langem hartnäckigen Wider¬ stände endlich doch erobert und die Mannschaft desselben zu Ge¬ fangenen gemacht. Sie sollte nebst ihrem Befehlshaber, dem Vice- Admiral , Don Pedro Alvarez de Piger, nunmehr vor dem Sieger erscheinen. Allein Don Pedro bestand darauf, sein Schiff nicht eher als nach Verlauf der nächsten Nacht verlassen zn wollen, in¬ dem er deßhalb ein Gelübde gethan zu haben vorgab. ES ward ihm zugestanden, und Van Spielberge», der Sieger, vermochte cs über sich , den heldenmüthigen Besiegten ans seinem halbzcrtrüm- merten Schiffe selbst zu besuchen. Hier fand er Don Pedro mit dem Reste seiner Officicre ruhig beim Abendbrot; zwei stattliche Jünglinge, seine Söhne, sagen ihm zur Seite. Der alte Vice- Admiral erhob sich langsam von seinem Sitze, als Van Spielberge» in die Kajüte trat; seine grauen Haare waren noch voll Blut, 117 und seine zitternde Hand reichte dem Sieger einen Becher Wein entgegen. » Seid mir willkommen, Herr Admiral! » rief er auS- » Ihr habt ein volles Recht mein Gast zu sein. Nehmt den Becher! wir trinken so leicht nicht wieder zusammen!» Spielbergen trank, und als er wieder gehen wollte und er dem Gefangenen die Hand bot, sprach Don Pedro: »Ich wünsch' Euch von Herzen heut' eine gute Nacht, denn Ihr habt ste verdient; mögt Ihr mir morgen früh dafür doch auch von Herzen wieder einen guten Morgen wünschen! » So schieden ste. Als aber der nächste Morgen aufging, war daS eroberte Schiff verschwunden. Don Pedro hatte nämlich wohl berechnet, daß cS stch, seiner großen Beschädigungen wegen, nur noch wenige Stun¬ den über dem Wasser werde halten können, und entschlossen, lieber den Tod alS die Gefangenschaft zu wählen, hatte er die Sei- nigen vermocht, hier den Untergang heldenmüthig zu erwarten. So waren ste denn Alle im tiefsten Schweigen, damit kein Laut ihre Flucht nach dem Grunde des MecreS vcrrathe, und gcheim- nißvoll während der Dunkelheit der Nacht in der Fluth versunken. Spielbergen stand betroffen auf dem Bcrdcck, blickte wehmüthig auf die Wimpel deS versunkenen Schiffes hin, die noch oben auf der Meeresfläche schwammen, und die Hand nach den Wolken cmpor- stceckend, rief er auS: »Doch güten Morgen, Don Pedro!» IX. Die Erstürmung Consta ntinopelS. Ist denn kein Christ vorhanden, der mir den Kopf nehme! » rief's und fiel unter den Schwertstreichen zweier Türken, deren einer ihm inS Gesicht, der andere vom Rücken einhieb, unerkannt mit den Erschlagenen vermengt, der siebente Paläologe, Constantin Dragoses, der letzte der griechischen Kaiser, in Vertheidigung der vom ersten Constantin erbauten Mauern der Haupstadt des von diesem gegründeten tausendjährigen byzantinischen Reiches. Die Türken brachen nun zugleich auf der Lan-seite durch das Thor 421 Charsias oder Kaligaria (Egrikapu,d. i. das krumme Thor) über einen Damm von Erschlagenen, welche den Graben und die Bresche füllten, in die Stadt ein, die von den Mauern fliehenden Sol¬ daten niedermetzelnd, weil sie die Besatzung wenigsicnS fünfzig tausend Mann stark glaubten. So fielen ein paar Tausend, bis die wahre Schwäche der Griechen entdeckt, und hieraufdas Blutbad eingestellt ward. Auch diese paar Lausend würden nicht dem Schwerte geopfert worden sein, hätten die Türken gleich Anfangs gewußt, daß die Besatzung nicht mehr, als sieben bis acht tausend Mann stark sei; so groß war ihre Gier nach Sclaven und Scla- vinen, deren Person ihren Lüsten oder deren Werth ihrer Habsucht stöhnen konnte, daß sie gewiß lieber alle lebendig in die Sclaverei geschleppt hätten, als durch Mord die doppelte Aussicht auf Lust und Gold zu verlieren. Diese Opfer der ersten Uebereilung wurden aber ohne allen Widerstand niedergemetzelt, denn von den Türken blieben kaum Einer oder zwei. Alles flüchtete gegen die Hafenseite, deren sich der Feind noch nicht bemächtiget hatte, denn die durch die unterirdische Pforte de§ ReifthorS eingedrungencn fünfzig Türken waren wieder zurückgeschlagen worden, und mehreren der Fliehenden gelang cs, sich durch die offenen Thore der Hafenseite auf griechi¬ sche und genuesische Schiffe zu rette»; als aber die Thorwachen den Andrang der Menge sahen, und den Grund der Flucht ver¬ nahmen, sperrten sie die Thore und warfen die Schlüssel über die Mauer, auS Aberglauben an eine alte Prophezeiung, daß die Türken bis in die Mitte der Stadt, bi'S auf daS Forum tauri (heute Taukbasari) Vordringen, und von dort erst von den Be¬ wohnern zurückzeschlagen werden würden. Nun strömte die Volksmenge von der Hafcnscite der große» Kirche Aja Sofia zu. Männer, Weiber, Greise, Kinder, Mönche, Nonnen, und dies abermals aus Aberglauben an dieselbe seit Jahren gang und gäbe Prophezeiung, daß, wenn die Türken bis zur Säule Constantins deS Großen vorgedrungcn sein würden, ein Engel vom Himmel steigen, und einem an der Säule sitzenden, armen und niedrige» Manne ein gezogenes Schwert mit den Worten übergeben werde: Nimm dies Schwert, und räche daS Volk GotteS! — darauf würden die Türken sogleich den Rücken wenden, und, von den Griechen verfolgt, nicht nur aus der Stadt und auS ganz Kleinasien, sondern bi§ an die Grenze PcrsienS ge¬ trieben werden. So wogte die Volksmenge nach Aja Sofia hin, 122 und in Kurzem war die weite Kirche sammt allen Vorhallen, Gängen und Gallerien, mit Menschen dicht ungefüllt, welche bei verschlossenen Thüren in derselben ihr Lebensheil zu finden hofften. Die Türken brachen die verschlossenen Thore mit Beilen auf, und schleppten daS gcfiüchtete Volk nie zahme Schlachtthiere in die Sclavere! fort. Die Männer wurden mit Stricken, die Weiber mit ihren Gürteln zwei und zwei zusammengebunden, ohne Rück¬ sicht des AlterS und deS Standes, der Archimandrite mit feinem Thürhüter, die Frau mit ihrer Magd, die zarte Nonne mit dem Mönche. Die ganze Kirche ein großer Gräuel. Die Heiligenbilder wurden ihres Schmuckes beraubt und zerbrochen, die goldenen und silbernen Geschirre geraubt, die Meßgewänder zu Schabracken ver¬ wendet, die Kreuzigung erneut, und daS Crucifix mit einer Ja- nitscharenhaube im Spotte herumgetragen. Der Leichnam deS letzten byzantinischen Thronbesitzers war un¬ ter der Menge der Erschlagenen an der kaiserlichen purpurnen Fußbekleidung, in welche goldene Adler gestickt waren, erkannt worden; der Kopf wurde auf dem Burgplatze an der Porphyr¬ saule angeheftet, wo Constantin der Große seiner Mutter He¬ lena zu Ehren eine Säule errichtet hatte; an die Stelle der Statue Helenens hatte Kaiser Theodosius die seinige aus Silber gesetzt, sieben Centner schwer, auf einer bleiernen Säule aufge¬ stellt; Kaiser Justinian l- statt der bleiernen eine porphyrne errichtet, und die sieben Centner der silbernen Statue zum Gusse seiner Statue aus Erz verwendet, welche, in der linken Hand die Erdkugel mit dem Kreuze tragend, die rechte drohend ge¬ gen Osten ausstreckte, des Kaisers Herrschaft über daS Mor¬ genland anzudeuten. Schrecklich höhnte der Eroberer Constanti- nopels die drohende Geberde der alten Statue, indem er an die Säule derselben das Haupt Constantins anheftcn ließ; daS Haupt des letzcen griechischen Kaisers an der Stelle, wo der erste seiner Mutter ein Ehrendenkmal errichtet hatte, cs gleichsam de» Hufen des Pferdes des triumphircnden Justinian unter¬ werfend, Lessen Rechte, wie Procopius sagt, den östlichen Fein¬ den des Reiches weiter zu schreiten verbot; daS Haupt des Kai¬ sers, der ihm mit einem Thronnebenbuhler zu drohen gewagt, unter des Pferdes Hufe! ein Hohn, dessen Liefe nur von dem ganz gefühlt wird, wer da weiß, daß östlichen Triumpha¬ toren der Segenswunsch zugerufcn wird: » daß die Köpfe ihrer 123 Feinde unter den Hufen ihrer Pferde rollen sollen.»Den ganzen Tag hindurch blieb der Kopf an der Säule auSgesetzt; Abends wurde die abgezogene Haut auSgestopft, und der Kopf als Sicgestrophäe in die astatischen Städte zur Schau gesandt, wie der Kopf deS unglücklichen LadislauS nach der Schlacht von Warna nach Brussa gesendet worden war. Die Bestattung LeS Leichnams wurde den Griechen gestattet. X. Verurtheilung und Hinrichtung KonradinS. (Aus F. L. G- Raumer'S: » G «schichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit. ») — Auf unpartheiifchem, leidenschaftslosem, rechtlichem Wege, so hieß cs jetzo, müsse über das Schicksal der Gefangenen entschieden werden; deßhalb ließ der König Richter und RechtSgelehrte aaS mehreren Theilen des Reiches nach Neapel kommen, welche un¬ tersuchen und das Urthcil sprechen sollten. Jeder von ihnen, daS hoffte er, werde der Anklage bcistimmen: » Konradin sei ein Frevler gegen die Kirche, ein Empörer und Hochverräter an seinem recht¬ mäßigen Könige, und gleich allen seinen Freunden und Mitge¬ fangenen, des TodeS schuldig. » Als die Richter diese Anklage hörten, erschraken ste sehr, wagten aber der wilden Grausamkeit Karls eingedenk, lange nicht, ihre entgegengesetzte Anstcht unverholen darzulegcn. Da trat endlich der edle Guido von Suzara hervor und sagte mit lauter und fester Stimme: » Konradin ist nicht gekommen als ein Räuber oder Em¬ pörer, sondern im Glauben und Vertrauen auf sein guteS Recht. Er frevelte nicht, indem er versuchte sein angestammtes väterliches Reich durch offenen Krieg wieder zu gewinnen: er ist nicht einmal im Angrif¬ fe, sondern auf der Flucht gefangen worden, und Gefangene schonend zu behandeln, gebietet göttliches wie menschliches Recht. -> Erstaunt über diese unerwartete Erklärung, wandte König Karl, das nidrige Geschäft eines Anklägers übernehmend, hiegcgen ein, daß KonradinS Leute sogar Klöster angezündet hätten; worauf aber Guido unge¬ schreckt erwiederte: »Wer kann beweisen, daß Konradin und seine Freunde dies anbefohlen haben? Ist nicht Aehnliches von andern Heeren geschehen? Und steht es nicht allein der Kirche zu, über Ver- Karl von Anjou- 124 gehen wider die Kirche zu urtheilen? » Alle Richter, bis auf Einen, den unbedeutenden, knechtisch gesinnten Robert von Bari, sprachen jetzt Konradin und seine Gefährten frei; welches preiswiirdige Be¬ nehmen den König indeß so wenig zur Mäßigung und zur Besonnen¬ heit zurückbrachte, daß er vielmehr in verdoppelter Leidenschaft jeden Schein von Form und Recht selbst zerstörte und frech jener einzelnen KnechteSstimme folgend, aus eigener Macht daS TodeSurtheil über alle Gefangenen auSsprach. AlS Konradin diese Nachricht beim Schachspiele erhielt, verlor er die Fassung nicht, sondern benutzte, gleich seinen UnglückSgefährtcn, die wenige ihm gelassene Zeit, um sein Testament zu machen und sich mit Gott durch Beichte und Gebet auszusöhnen. Unterdessen errichtete man in aller Stille das Blutgerüst dicht vor der Stadt, nahe bei dem später sogenannten neuen Markte und der Kirche der Karmeliter. Es schien, als sei dieser Ort boshaft ausge- " wählt worden, um Konradin alle Herrlichkeiten seines Reiches vor dem Tode noch einmal zu zeigen. Die Wogen deS hier so schönen als friedlichen Meeres dringen nämlich bis dahin, und der diesen herrlichsten aller Meerbusen einschließende Zauberkreis von Portici, Kastellamare, Sorrento und Massa stellt sich, durch den blendenden Glanz südlich reiner Lüfte noch verklärt, dem erstaunten Beob¬ achter dar. Auf furchtbare Mächte der Natur deutet jedoch daS zur Linken sich erhebende schwarze Haupt des Vesuvs, und rechts begrenzen den Gesichtskreis die schroffen zackigen Felsen der Insel Kapri, wo einst TiberiuS, ein würdiger Genosse Karls von Anjou, frevelte. Am 29. Oktober 1268, zwei Monate nach der Schlacht bei Scurcola, wurden die Vcrurtheilten zum Richtplatze geführt, wo der Henker mit bloßen Füßen und aufgestreiften Aermeln fchon ihrer wartete. Nachdem König Karl in dem Fenster einer benach¬ barten Burg einen angeblichen Ehrenplatz eingenommen hatte, sprach Robert von Bari, jener ungerechte Richter, auf-dessen Befehl: » Versammelte Männer! Dieser Konradin, Konrads Sohn, kam aus Deutschland, um alS ein Verführer seines Volks fremde Saaten zu ernten, und mit Unrecht rechtmäßige Herrscher anzugreifcn- Anfangs siegte er durch Zufall, dann aber wurde durch deS Königs Tüchtigkeit der Sieger zum Besiegten, und der, welcher sich durch kein Gesetz für gebunden hielt, wird jetzt ge¬ bunden vor daS Gericht des Königs geführt, welches er zu ver- 428 Nichten trachtete. Dafür wird, mit Erlaubniß der Geistlichen und nach dem Rathe der Weisen und Gesctzverständigcn über ihn und seine Mitschuldigen als Räuber, Empörer, Aufwiegler, Verräther, LaS Todesurtheil gesprochen, und damit keine weitere Gefahr entstehe, auch sogleich vor Aller Augen vollzogen. -> Als die Gegenwärtigen dieS ste größtcntheils überraschende Urtheil hörten, entstand ein dumpfes Gemurmel, welches die lebhafte Bewegung der Gcmüther verkündete; Alle aber beherrschte die Furcht, und nur Graf Robert von Flandern, de§ Königs eigener Schwiegersohn, ein so schöner alS edler Mann, sprang, seinem gerechten Zorne freien Lauf lassend, hervor, und sprach zu Robert von Bari- -- Wie darfst du, frecher, ungerechter Schurke, einen so große» und herrlichen Ritter zum Lode vcrurtheilen? » und zu gleicher Zeit traf er ihn mit feinem Schwerte dergestalt, daß er für todt hinweggetragen wurde. Der König verbiß feinen Zorn, als er sah, daß die französischen Ritter des Grafen That billigten; das Urtheil aber blieb ungeändert. Hierauf bat Konradin, daß man ihm noch einmal das Wort verstatte, und sprach mit großer Fassung: » Vor Gott habe ich alS Sünder den Tod verdient; hier aber werde ich ungerecht verdammt. Ich frage alle die Ge¬ treuen, für welche meine Vorfahren hier väterlich sorgten, ich frage alle Häupter und Fürsten dieser Erde, ob der des Todes schuldig sei, welcher feine und seiner Völker Rechte vertheidigt? Und wenn auch ich schuldig wäre, wie darf man die Unschuldigen grausam strafen, welche, keinem Andern verpflichtet, in löblicher Treue mir anhingen? » Diese Worte erzeugten Rührung, aber keine That, und der, dessen Rührung allein hätte in Thaten übergehen können, blieb nicht bloß versteinert gegen die Gründe des RechtS, sondern auch gegen die Eindrücke, welche Stand, Jugend und Schönheit der Verurtheilten auf Jeden machten. Da warf Konradin seinen Handschuh vom Blutgerüste hinab, damit er dem Könige Peter von Arragonicn als ein Zeichen gebracht werde, daß er ihm alle Rechte auf Apulien und Sicilien über¬ trage- Ritter Truchseß von Waldburg nahm den Handschuh auf und erfüllte den letzten Wunsch seines' Fürsten. Dieser, aller Hoffnung einer Aenderung des ungerechten Spruches beraubt, umarmte seine Lodesgenossen, besonders Friedrich von Oesterreich, zog dann fein Oberkleid aus und sagte, Arme und Hände gen Himmel hebend; » JcsuS Christus, Herr aller Krea- 126 turen, König der Ehren! Wenn dieser Kelch nicht vor mir vor- übergehcn soll, so befehle ich meinen Geist in deine Hände! » Jetzo kniete er nieder, rief aber dann noch einmal sich empor¬ richtend aus; » O Mutter, welches Leiden bereite ich dir!» Nach diesen Worten empfing er den Todesstreich. Als Friedrich von Oesterreich das Haupt seines Freundes fallen sah, schrie er in unermeßlichem Schmerze so gewaltsam auf, daß Alle anfingen zu weinen. Aber auch sein Haupt fiel; auch das des Grafen Gerhard von Pisa. Vergeblich hatte Graf Galvan Lancia fiir sich und seine Söhne 100000 Unccn GoldcS als Lösungssumme geboten: der König rechnete sich aus dem Einziehen aller Güter der Er¬ mordeten einen großem Gewinn herauS; auch überwog sein Blut¬ durst noch seine Habsucht. Denn er befahl itzt ausdrücklich, daß die beiden Söhne deS Grafen Galvan in dessen Armen, und dann erst er selbst getödtet werde. Nach diesen mordete man noch Meh¬ rere: wer von den Beobachtern hätte aber ihre Namen erfragen, wer kaltblütig zählen sollen? Nur im Allgemeinen findet sich bezeugt, daß über tausend allmahlig auf solche Weise ihr Leben verloren. Die Leichen der Hingerichteten wurden nicht in geweihter Erde begraben, sondern am Strande des Meeres, oder, wie Andere erzählen, auf dem Judenkirchhose verscharrt. XI. Die Gastfreundschaft der alten Deutschen. (Aus W. Menzel'S: »Geschichte der Deutschen.») Diese schöne Sitte der alten Zeit war bei den Deutschen in der vollsten Blüthe. Einen friedlichen Wanderer von seiner Thür zu weisen, hielt Jeder für den größten Frevel. Kam ein Fremdling, so lud der Deutsche ihn freiwillig ein, unter sein Dach zu treten, auszuruhen, Speise, Trank und Nachtlager zu nehmen. Cs wäre eine Schande gewesen, ihn erst auszufragcn, wer er sei, woher und wohin er wandere? So lange der Fremde im Hause war, war er Gastfreund, und Niemand durfte ihn beleidigen bei hoher Strafe, selbst wenn er ein flüchtiger Verbrecher war. Der Haus¬ herr mußte ihn, wenn es darauf ankam, auf Tod und Leben beschützen. Ihm mußte man für jede Beleidigung des GastfreundeS büßen,- aber auch er mußte an seiner Statt büßen, wenn Der¬ selbe, währenddem er in seinem Schutze war, einen Frevel beging. Niemand durfte seinen Gast sortschicken, er wäre denn sehr arm 127 gewesen. Alsdann führte er ihn bis ins nächste Haus und bereitete ihm dort die Bequemlichkeiten, die er ihm selbst nicht gewahren konnte. Beim Abschied gab man dem Gastfrcund ein Geschenk, und dieser pstcgte cS zu erwiedern, wenn er etwas besaß. In spätem Zeiten nahm mit dem Verfall der guten Sitten auch die Gastfreundschaft ab, und man mußte sie in den Gesetzen befehlen. Gewöhnlich durfte man alsdann einen Gastfreund nur drei Tage lang beherbergen , daher das Sprichwort entstanden ist: - Ein dreitägiger Gast ist Jedem eine Last. » Freilich mochte auch später mit der guten Sitte Mißbrauch getrieben worden sein. Auch auf offener Straße durfte Niemand den friedlichen Wan¬ derer beleidigen, oder er mußte ihm doppelt so viel Buße geben, als hätte er einen Einheimischen beleidiget. Jeder fremde Wan¬ derer durste unterwegs drei Früchte vom Baume brechen, oder drei Garben vom Felde, oder drei Fische auS dem Teiche nehmen für seinen nächsten Gebrauch, daher daS Sprichwort: » Drei find frei.-- Wenn ein Flüchtling bei einem andern Volke Schutz suchte, so war es die größte Schande, ihn seinen Verfolgern auszuliefern. Das war bei den alten Deutschen etwas Unerhörtes. Die Gepiden beschlossen eher unterzugehen, als eine so abscheuliche Sünde, wie die Verletzung der Gastfreundschaft, auf fich zu laden. Eine nor¬ wegische Königin entfloh einst nach Schweden. Die Norweger ver¬ langten ihre Auslieferung, und der schwedische König schickte selber seine Kriegsleute aus, fie zu fangen. Hakon aber, ein wohlhabender Bauer, der fie bei fich ausgenommen, beschützte fie so lange mit den Waffen in der Hand gegen seines eigenen Königs Leute, bis er fie an einen sichern Ort retten konnte. Die Gastfreundschaft war das schönste Band der Geselligkeit. Durch fie lernte man fich kennen und liebgewinnen- Durch fie wurden Freundschaften und Chen gestiftet, durch fie erfuhr man, wie es in der Welt hcrging. Die Wanderer trugen die Kunde von großen Begebenheiten und Thaten aus einem Gau in den andern. xii. Altdeutsche Dichtkunst (Aus W- Menzel's: » Geschichte der Deutschen. ») Die alten Deutschen hatten eine Schrift mit eigenen Buch¬ staben, die man Runen nannte. Man sieht aus der Form dieser Buchstaben, daß fie aus den verschiedenen Stellungen, welche 428 zusammengeworfene kleine Holzstückchen von abgebrochenen Zweigen bilden, entstanden sind. Ursprünglich pflegte man auS den Stel¬ lungen solcher Holzstnckchen zu wahrsage», indem man mit jeder einzelnen einen besonder» Sinn verband, und diesen geheimniß- vollen S>nn erhielt jede Rune auch noch dann, alS sie schon als bloßer Buchstabe gebraucht wurde. Daher war mit der Runenschrift immer Zauberei verbunden. Da man noch kein Papier hatte, so wurden die Runen in Stein gehauen oder in Holz geschnitten. Ein dänischer König ließ eine 80 Ellen lange Runenschrift in einen Felsen hauen. Noch jetzt findet man viele mit Runenschrift beschriebene Grabsteine, welche man überhaupt Runensteine nennt. Für den gewöhnlichen Gebrauch aber wurden die Runen in weiches Holz geschnitten, vorzüglich in Buchenholz, woher noch jetzt der Name Buch und Buchstabe. Zu diesem Geschäfte taugte fast immer nur die zartere Hand der Weiber. Es haben sich noch bis jetzt dergleichen beschriebene Hölzer, die man Runcnstäbc nennt, erhalten. Die Gesetze pflegte man ebenfalls in Runenschrift auf Holz zu schneiden, und zwar ihrer Lange we¬ gen auf ganze Balken. Daher werden noch jetzt die Bücher, in welche die nordischen Gesetze eingetheilt sind, Balken genannt. Die Dichtkunst diente in jener alten Zeit durchaus dem Heldenle¬ ben, und war ausschließlich dazu bestimmt, das Andenken großer Thaten den Nachkommen ins Gedächtniß zu rufen. Non diesem Heldengeist ergriffen, verwandelten die Dichter sogar die alten Göt¬ tersagen in kriegerische Heldensagen, und stellten Elemente, Gestirne und alle Naturkräfte im Kampfe dar. Die Erzählung großer Kämpfe, die Vorherfagung des Untergangs, der Triumph deS Sie¬ gers oder die Wehklagen der Uebcrlebendcn,dies war der Inhalt fast aller alten Lieder, die uns aus der heidnischen Zeit erhalten sind. Ganz cigenthümlich war der deutschen Dichtkunst von Alters her der Glcichklang zweier Consonantcn (die Alliteration) oder zweier Nocalc (die Assonanz) oder der letzten Sylbcn eines ganzen Verses (der Reim). Alle alten Lieder zeichnen sich ferner durch Stolz, Trotz, erhabene Kürze und Bilder auS. Non dieser Art ist die ganze alte Edda deS Nordens. Man liebte die Metaphern so, daß man z. B statt Schiff immer lieber Schlange oder Bogel, statt Schwert Feuer sagte, und wieder umgekehrt. Schon der alte Grieche Diodor erwähnt die kühnen Bilder und Hyperbeln der nordischen Kelten am Meer, worunter er die Skandinavier versteht. 429 Tacitus rühmt die Liebe der Deutschen zum Gesang. Die nordi¬ schen Sagen erzählen Wunder von der Wirkung des Liedes' auf die Gemüther der alten Helden. Einst achteten die Dänen nur den für würdig, ihr König zu sein, der das beste Gedicht machen würde, und daS ganze Volk saß darüber zu Gericht. Ein andermal machten die Isländer ein Spottlied auf die Dänen, und diese achteten daS so hoch, daß ste einen großen Seczug gegen jenes Jnselvolk unternah¬ men. Durch die Kraft des Gesanges wurden alle Leidenschaften er¬ regt oder beschwichtigt- Cm grausamer König im Norden ward durch ein einziges Lied zum mildesten Regenten umgestimmt, ein ver¬ derbter Weichling plötzlich zu männlichen Lhatcn begeistert. Haß und Liebe, Trauer und Wonne der Zuhörer folgten den Worten des Sängers, wie er es wollte. Ein hochgebildeter Sänger kam einst zu einem nordischen König und sang vor ihm und seinem Gefolge ein Lied; da brachen ste alle in laute Lust auS, und tanzten und jubelten durch den Saal- Dann sang er das zweite, und sie begannen zu trauern und herzinnig zu weinen. Dann sang er das dritte, und sic wurden rasend und fielen mörderisch über einander her. So sehr auch alle altdeutschen und altnordischen Lieder vorzugs¬ weise kriegerischer Geist durchdringt, hinderte dieS doch nicht die größte Mannigfaltigkeit der Tonarten. Schon in der alten Edda finden wir den gewaltigsten Zorn, die erschütterndste Trauer, und den gefälligsten Scherz gepaart. xili. Karl V. entsagt der Herrschaft über die Niederlande. (Aus: »Historischer Bildcrsaal», von CH. F. Schulze.) — Zuerst entäußerte er sich der Niederlande. In dieser Absicht bcschied er seinen Sohn Philipp auS England, wo sich derselbe als Gemahl der Königin Marie seit dem 49. Julius 4884 auf¬ gehalten hatte, so wie auch die niederländischen Stände zu sich nach Brüssel, und veranstaltete dann (am 28. Sctober 4888) eine glänzende Versammlung. Er setzte sich auf den Thron; ihm zur Rechten sein Sohn Philipp, zur linken seine Schwester Marie, verwittwete Königin von Ungarn, bisherige Statthalterin der Niederlande; weiterhin stellte sich ein schimmerndes Gefolge deS höhcrn Adels; vor ihm standen die versammelten Stände der Niederländer. Eröffnet wurden die Verhandlungen durch den Prä- 130 sidencen des Rathes von Flandern, den Staatsrath Jmanuel Philibert, der auf Karls Befehl den Zweck dieser Versammlung andeutete und die Urkunde vom 28. October 1338 vorlas, kraft welcher Karl der Regierung über die Niederlande entsagte, die Bewohner derselben ihrer ihm geleisteten Eide entband und ste auf seinen Sohn Philipp, als ihren nunmehrigen Herrn hinwies. Darauf erhob sich Karl und hielt, auf den Prinzen von Oranicn gestützt (er war nicht im Stande sich ohne Beihülfe aufrecht zu erhalten), eine Rede in französischer Sprache, die er thcilweise ablas. Er hob von dem Satze an: ein guter Fürst müsse, so lange er könne, den Staat leiten und schützen; könne er es wegen Krankheit nicht, so müsse er seine Würde auf den über¬ tragen, dem sie am ersten zukomme, um bei Niedcrlegung der Herrschaft gleiche Liebe, wie durch Führung derselben zu beweisen. Diesen Satz wendete er dann auf sich an. Gern, sagte er, habe er sich den vielen Mühen seiner beschwerdevollen Regierung un¬ terzogen, so lange eS ihm seine Gesundheit erlaubt hätte; nun aber, durch Alter und Krankheit erschöpft, fühle er sich außer Stand länger zu regieren; er trete darum von der Regierung zurück, und übergebe sie seinem Sohne, der mit Jugend und Gesundheit Kraft und Eifer für sie verbinde, und dem nun die Stände Treue schwören und halten sollten.— Hierauf wendete er sich an seinen Sohn, der aufstand, das Haupt entblößte, vor ihm auf die Knie siel und ihm die Hand küßte. Karl umarmte ihn, legte dann seine Hand auf dessen Haupt, erklärte ihn im Namen der heiligen Dreifaltigkeit zum Herrn der Niederlande, und ver¬ mahnte ihn für dieselben zu sorgen und Liebe ihnen zu beweisen, was er als den schönsten Beweis kindlicher Erkenntlichkeit ansehen werde. -> Cs steht », setzte er hinzu, »in Eurer Gewalt, durch eine weise und tugendhafte Regierung das außerordentliche Zeichen meiner väterlichen Liebe zu rechtfertigen und der Welt zu bewei¬ sen , daß Ihr des Vertrauens würdig seid, das ich auf Euch setze. Achtet immer die Religion, schützt den katholischen Glauben, haltet die Gesetze EureS Landes heilig, thut Niemand wissentlich Un¬ recht. — Und sollte jemals die Zeit kommen, wo Ihr euch nach der Ruhe des Privatlebens sehntet, so wünsche ich, daß Ihr als¬ dann einen Sohn von solchen Eigenschaften haben möget, dem Ihr Euer Scepter mit eben der Zufriedenheit abtreten könnet, mit der ich Euch jetzt das meinige abtrete. » — Nach Endigung 131 dieser Rede sank er erschöpft und fast ohnmächtig in seinen Lehn¬ stuhl zurück. Nun erhob stch Philipp, der biS dahin gekniet hatte, dankte seinem Vater und Versicherte, daß er den Wünschen des¬ selben mit Eifer nachkommen werde. Da rief Karl mit bewegtem Herzen auS: »Mich dauert mein Sohn, auf dessen Schultern jetzt eine so schwere Last kommt, daß er unter Beschwerden und Mühen sein Leben hinbringen wird. » Er weinte, auch die ganze Versammlung war gerührt, und Viele, ergriffen von dem, was sie sahen und hörten, vergossen Thrakien. Selbst Philipp gab Rührung zu erkennen. Er deutete der Versammlung an, daß, da er der französischen Sprache nicht mächtig genug sei, um seine Gesinnungen in derselben auszudrücken, der Bischof von ArraS, Cardinal Granvella, in seinem Namen reden sollte. DieS geschah in einer weitläuftigen Rede, die dann der Staatsrath Jacob Masius (Maes), ein geschickter Rechtsgelehrter und Redner, im Namen der Stände eben so weitläuftig beantwortete. Als diese Reden gehalten waren, erklärte die Königin Marie, daß sie die Statthalterschaft, die sie bisher im Namen ihres Bruders, des Kaisers Karl, verwaltet habe, niederlege und um Verzeihung bitte, wenn sie nicht überall so, wie der Kaiser oder die Stände gewünscht hätten, Verfahren sei. Der vorher erwähnte Jacob MaffuS antwortete ihr im Namen der Stände mit Dank und Lob für ihr Verfahren. Nun zog sich der Kaiser, gestützt auf die Schultern des Prinzen von Oranien, in seine Zimmer zurück, und diese Feierlichkeit war geendigt. XIV. Adalbert, der Apostel der Preußen. (Aus der: » Geschichte von Preußen » von I. Voigt.) Lange sann Adalbert schwankend, welchem der nachbarlichen Heidenvölker er sich widmen sollte, ob den Preußen oder den Lutizicrn, einem Slavenvolke in Pommern. Er entschied sich endlich für die erstem, weil sie die nächsten, ihre Länder dem Herzoge von Polen am meisten bekannt waren, und dieser dorthin auch am leichtesten die nöthige Hülfe und Unterstützung bringen konnte. Deß freute sich Herzog Boleslaw, denn der rohen Preußen Bekeh¬ rung im Nachbarlande mußte ihm allerdings wohl am erwünsch¬ testen sein. Von ihm erhielt Adalbert ein Schiff nebst dreißig Bewaffneten zu Begleitern. Es befand sich aber damals bei ihm 132 noch ein anderer frommer Mann, der bisher fast alle Schicksale mit ihm gctheilt und deßhalb AdalbertS innigstes Vertrauen und wärmste Bruderliebe stch erworben hatte: dieS war Gaudentius. Beide umschlang ein so festes Band der innigsten Freundschaft und der treuesten HcczenSliebc, daß man sie für leibliche Brüder gehalten, denn seit der frühesten Jugend waren ffe unzertrennlich. Mit diesem Gaudcntius und einem andern getreuen Gehülfen, dem Presbyter Benedict, trat Adalbert, voll des Vertrauens auf dessen Beistand, dessen Wort des LichteS und deS Lebens er verkün¬ digen wollte, die gefahrvolle Reise ins heidnische Land an. Begleitet von jener bewaffneten Schaar fuhr er die Weichsel hinab bis Danzig. Hier vernahm er das erste Zeichen der göttlichen Gnade,die seinWerk zu begünstigen schien. Große Schaaren, die sich um ihn versammelten, sein Wort zu hören, empfingen von ihm in der Laufe die Weihe deS Christenthums. Hier laS er die erste Messe und opferte dem Er¬ löser, dem er nach wenigen Lagen selbst zum Opfer werden sollte. WaS von dem heiligen Opferbrotc übrig blieb, ließ er sammeln und in einem reinen Luche zu weiterer Wegezehrung aufbewahren. Non hier beschloß Adalbert sich inS östliche Preußen zu begeben, und bestieg daher deS andern LageS, nachdem er die Neugetauften gesegnet, mit seiner Begleitung daS Schiff und fuhr den Weichsel¬ strom hinab in die offene See. Mit günstigem Winde gelangte er in schneller Fahrt an das Ufer des Haffes, wo er landend das Schist nebst den bewaffneten Begleitern zurücksandte. Bei ihm blieben mir seine beiden vertraute» Gefährten Gaudentius und Benedict; den» gewiß hatte Adalbert die gerechte Bclorgniß, daß dis bewaffnete Begleitung auS einem Volke, welches mit den Preußen schon öftere Kriege geführt hatte und deßhalb gefürchtet und gehaßt war, weit mehr Mißtrauen und Erbitterung erregen, alS ihm und den Seim- gen Schutz gewähren werde. In solcher Weise nun von aller äußeren Hülfe entblößt, aber voll des Vertrauens auf den Beistand des Er¬ lösers. betraten sic hierauf eine kleine Insel, die ein heranstromender Fluß in gekrümmtem Laufe ringsum einschloß. ES war dieS wahr¬ scheinlich in der Nähe der damals ganz anders gestalteten Mündung des Pregelstromes inS frische Haff. Kaum aber hatten die Bewohner des OrteS den Zweck der Ankunft der Fremdlinge vernommen, alS sie in Haufen herbeieilten, sie zu vertreiben.Unerschrocken und unbeküm¬ mert um des Volkes wildeS Geschrei sang Adalbert einen Psalm, als plötzlich einer auS dem Haufen, der ihm zunächst stand, das Ruder 133 eines Schiffs ergreifend, dem Betenden einen gewaltigen Schlag zwi¬ schen die Schultern versetzte. Der Psalter flog aus der Hand, Adalbert kürzte wie todt zu Boden; doch bald flch wieder ermannend rief er seuf¬ zend aus:» Dank dir, Herr IcM, daß ich gewürdigt worden, wenig¬ stens einen Schlag für meinen Gekreuzigten zu erdulden!» Da begab stch Adalbert auf das andere Ufer des Flusses- Cs war an einem Sab- bath, und als der Abend herankam, führte ihn nebst seinen Gefährten der Herr eines Dorfes in seine Bcsttzung, die, wie es scheint, ein Han- delsortwar.Hiervmammelce stch abermals ein großer Haufe des um- herwohnendcnBolkS, voll Erwartung,was die Fremdlinge wollten, und zu welchem Zwecke ste gekommen seien. Es wird gefragt, wer sie seien, woher ste kämen, und auS welcher Ursache ste hier gelandet. Darauf crwiederte Adalbert: » Bon Geburt bin ich ein Sclave, meinem Volke nach ein Böhme. Ich heiße Adalbert, war vormals Bischof, bin Mönch, und jetzt meinem Amte nach euer Apostel. Der Zweck meiner Reise ist euer Heil: ich bin gekommen, auf daß ihr eure stummen und tauben Götzen verlasset und euren Schöpfer erken¬ net, der nur em Einiger ist, und außer welchem eS ke'nen andern Gott mehr gibt, daß ihr glaubet in seinen Namen und der himmlischen Freuden Belohnung empfanget. »Kaum hatte Adalbert diese Worte gesprochen, so erhebt das Volk ein lästerndes Geschrei gegen ihn und den Gott, den er hm verkündigen wollte. Voll Grimm drohen die Erbitterten ihm den Tod, zerstampfen die Erde, schwingen ihre Keulen über sein Haupt und rufen von Wuth entbrannt ihm zu: -- Es sei dir genug, daß du ungestraste ln'erher gekommen bist, jetzt rettet dein Leben nur die schnellste Rückkehr; der geringste Verzug bringt dir den Tod. Uns und dieleS ganze Reich, an dessen Eingang wir wohn-», beherrscht nur Ein Gesetz und Eine Lebensweise. Ihr aber, einem andern uns fremden Gesetze untergeben, findet mor¬ gen den Tod, wenn ihr nicht diese Nacht noch entweichet. » Da begaben stch in folgender Nacht die frommen Pilger auf ein Schifflein, fuhren wieder rückwärts und landeten an der südwestlichen Küste Samlands, wo ste in einem Dorfe fünfTage lang verweilten. Hier bcrieth stäi Adalbert mit seinen Begleitern, ob cs nicht besser sei, dieses hartnäckige Volk wieder zu verlassen und den Lutizicrn die Lehre desChristcnthums zu verkündigen. Mittlerweile aber offenbarte stch Adalberts nahes Schicksal durch mancherlei Träume und Erschei¬ nungen n cht bloß einem seiner früher» Mitbrüder iu einem ferne» Kloster Italiens, sondern selbst auch seinem treuen Gefährten Gau- 134 dentiuS. So sah dieser im Traume einen goldenen Kelch halb voll Wein auf einem Altäre. Kein Wächter war in der Nähe. Da er aber des WeinS kosten wollte, trat ihm ein Altardiencr entgegen, und wehrte ihm mit Ernst den Kelch zu berühren, sprechend, der Kelch sei am nächsten Lage für Adalbert gefüllt. Bei diesen Worten er¬ wachte Gaudenkius aus dem Schlafe und zitternd erzählte er Adal¬ berten daS Traumgeflcht. Da rief dieser ihm zu: -> Füge c§ Gott, mein Sohn, daß deine Ahnung in Erfüllung gehe! Doch soll man dem trügerischen Traume nicht trauen. » AlS nun der Morgen anbrach, wanderten sie weiter, Christum im Gebete preisend und sich den Weg durch den Gelang eines PsalmeS verkürzend. ES war schon Mittag, als sie aus der wilden Waldgegend, die sie durchzogen hatten, auf freies angcbautes Feldland heraustraten. Während hier Gaudentius Messe las, nahm Adalbert das heilige Mahl und genoß dann einige Speise, um sich nach kurzem Schlummer zur neuen Reise zu stärken. Darauf legten ßch die frommen Männer zur Ruhe nieder, Adalbert einen Steinwurf weit von den Freunden entfernt. Aber eine schreckliche Gefahr schwebte über ihren Häuptern. Ohne es zu ahnen, hatten ste den heiligen Wald durchwandert und daS heilige Feld betreten, welches ßch von hier bis nach Romowe hinaufzog. Auch da noch, wo ste ruhten, war geweihtes heiliges Land, welches nach des Landes Gesetzen kein Ungeweihter, am wenigsten ein Christ berühren durfte, ohne mit dem Leben zu büßen. So hatten die frommen Pilger in den Augen des heidnischen Volkes ein Verbrechen be¬ gangen, für welches eS keine Begnadigung und keine andere Sühne als die durch den Tod gab- Dessen unbewußt ruhten die frommen Pilger sorglos im Schlafe; da schreckte ste plötzlich ein wildeS Geschrei auf. Ein ergrimmter Haufe heranstürmender Heiden stürzte über ste her, umringte und fesselte ste im schrecklichsten Ungestüm. Und alS Adalbert so in Banden seinen beiden Getreuen gegenüber stand, da gedachte er des Kelches, der ihm gefüllt war; doch unverzagt und standhaften Geistes sprach erden Freunden die tröstenden Worte zu: » Trau¬ ert nicht, meine Brüder! denn ihr wisset, wir erleiden solches alles nur für den Glauben, für den glorreichen Namen Gottes und unseres Herrn Jem Christi, welcher allein Herr ist über Leben und Tod, dessen Tugend über alle Tugenden, dessen Herr¬ lichkeit über alle Zierde gehet, dessen Macht unaussprechlich, dessen 138 Gute ohne Ende, dessen Frömmigkeit unerreicht ist. WaS iss erhabner, was herrlicher, waS süßer, als für ChristuS den Heiland das Leben hinzugebcn? » Und kaum waren diese Worte des Troßes und der Begeisterung gesprochen, da stürzt plötzlich aus dem ergrimmten Hausen ein Siggo, ein Priester, hervor und stößt mit aller Kraft einen starken Wurfspwsi durch Adalberts Brust. Der Götzenpriester, Führer dcS wilden HaufenS, schien es der Wicht schuldig zu sein, die ersten Wunden zu versetzen , denn nun stürzen Alle herbei und kühlen ihren Rachczorn im Blute deS Heiligen. Von sieben Lanzen wird er durchbohrt, aus sieben Wunden rinnt daS Blut: noch steht er aufrecht, 'Augen und Hände betend gen Himmel- Die Bande werden gelöwt; die Arme auSbreitend und für seine Mörder bei Gott um Gnade sichend stürzt er in Form eines KreuzeS zu Boden, und gibt den frommen Geist auf So starb Adalbert am drei und zwanzigsten April des Jahres 997. xv. Papst Sixtus v. (Aus L- Ranke's: » Fürsten und Völker von Süd-Eu¬ ropa. ») -Bei den ersten glücklichen Fortschritten der Osmancn in den illyrischen und dalmatischen Provinzen flohen viele Einwohner derselben nach Italien. Man sah sie ankommen, in Gruppen ge¬ schaht an dem Ufer sitzen und die Hände gegen den Himmel aus¬ strecken. Unter solchen Flüchtlingen ist wahrscheinlich auch der Ahn¬ herr Sixtus V., Zaneteo Perecci, herüber gekommen: er war von slawischer Nation. Wie es aber Flüchtlingen geht, weder er noch auch seine Nachkommen, die sich in Montalto' niedergelassen, hatten sich in ihrem neuen Vaterlande eines bewndern GlückeS zu rühmen. Pcrctto Pcretci, der Vater Sixtus V., mußte sogar Schulden halber oiew Stadt verlassen: erst durch seine Verhei¬ ratung wurde er in Stand gesetzt, einen Garten in Grotte a Mare bei Fermo zu pachten. Es war das eine merkwürdige Lo¬ kalität: zwischen den Gartengewächsen entdeckte man die Ruinen eines Tempels der etruskischen Juno, der Cupra: es fehlte nicht an den schönsten Südfrüchten, wie denn Fermo sich eines mildern Ein Städtchen in der Mark Ancona. 136 Klimas erfreut, als die übrige Mark. Hier ward dem Pcretti am 18ten December 1821 ei» Sohn geboren. Kurz vorher war ihm im Traume vorgekommen, als werde er, indem er seine man¬ cherlei Widerwärtigkeiten beklage, durch eine heilige Stimme mit der Versicherung getröstet, er werde einen Sohn bekommen, der sein Haus glücklich machen solle. Mit aller Lebhaftigkeit eines träumerischen, durch daS Bcdürfniß erhöhten, schon ohnehin den Regionen des Gehcimnißvollcn zugewandten Selbstgefühls ergriff er diese Hoffnung: er nannte den Knaben Felix. In welchem Zustande die Familie war, sicht man wohl, wenn z. B. das Kind in einen Teich fällt, und die Tante, die an dem Teiche wäscht, eS herauszieht. Der Knabe muff das Obst bewachen, ja die Schweine hüten: die Buchstaben lernt er aus den Fibeln kennen, welche andere Kinder, die über Feld nach der Schule ge¬ gangen, und von da zurückkommen, bei ihm liegen lassen: der Vater hat nicht die fünf Bajocchi übrig, die der nächste Schul¬ meister monatlich fordert. Glücklicherweise hat die Familie ein Mitglied in dem geistlichen Stande, einen Franciscaner, Fra Salvatore, der sich endlich erweichen läßt , das Schulgeld zu zahlen. Dann ging auch der junge Felix mit den übrigen zum Unterricht: er bekam ein Stück Brot mit: zu Mittag pflegte er dies an dem Brunnen sitzend zu verzehren, der ihm das Wasser dazu gab. Trotz so kümmerlicher Umstände waren doch die Hoffnungen des Vaters auch bald auf den Sohn übergegangen. Als dieser sehr früh, im zwölften Jahre, denn noch verbot kein Tridcnrinisches Concilium so frühe Gelübde, in den Franciscanerorden trat, behielt er den Namen Felix bei. Fra Salvatore hielt ihn streng: er brauchte die Autorität eines Oheims, der zugleich Vaterstelle vertritt! doch schickte er ihn auch auf Schulen. Oft studierte Felix, ohne zu Abend gegessen zu haben, bei dem Schein einer Laterne im Kreuzgang, oder wenn diese ausging, bei der Lampe, die in der Kirche brannte: es findet sich nicht gerade etwas bemerkt, was eine ursprüngliche religiöse Anschauung, oder eine tiefere wnsscnschaftliche Richtung in ihm andeutete; wir erfahren nur, daß er rasche Fortschritte gemacht habe sowohl auf der Schule zu Frrmo, als auf den Schulen und Universitäten zu Ferrara und Bologna: mit vielem Lob erwarb er die akademischen Würden. Besonders entwickelte er ein dialektisches Talent. Die Fertigkeit, verworrene theologische Fragen zu behandeln, machte er sich in hohem Grade eigen. Bei dem Gencralconvcnt der 137 FranciScaner im Jahre 1349, der zugleich mit literarischen Wett¬ kämpfen begangen wurde, bestritt er einen Telestancr, Antonio Perstco auS Calabrien, der stch damals zu Perugia viel Ruf erworben, mit Gewandtheit und Geistesgegenwart. Dies verschaffte ihm zuerst ein gewisses Ansehen : der Protektor des OrdenS, Cardinal Pio von Carpi, nahm stch seitdem seiner eifrig an. Sein eigentliches' Gluck aber schreibt stch von einem andern Vor¬ fall her. Im Jahre 1882 hielt er die Fastenpredigten in der Kirche S. Apostoli zu Rom mit dem größten Beifall. Man fand seinen Vortrag lebhaft, wortreich, fließend, ohne Floskeln, sehr wohl geordnet! er sprach deutlich und angenehm. AlS er nun einst dort bei vollem Auditorium in der Mitte der Predigt innehielt, wie eS in Italien Sirte ist, und nachdem er ausgeruht, die ei'ngclaufenen Eingaben ablaö, welche Bitten und Fürbitten zu enthalten pstegen, stieß er auf eine, die versiegelt auf der Kanzel gefunden worden, und ganz etwas Anderes enthielt. Alle Hauptsätze der bisherigen Predigten Perctti'S, vornehmlich in Bezug auf die Lehre von der Prädestination, waren darin verzeichnet: neben einem jeden stand mit großen Buchstaben: Du lügst. Nicht ganz konnte Perctti sein Erstaunen verbergen: er eilte zum Schluß. So wie er nach Hauke gekommen, schickte er den Zettel an die Inquisition. Gar bald sah er den Großinquisitor, Michel GhiSlieri in seinem Gemach anlangen. Die strengste Prüfung begann. Oft hat Perctti später erzählt, wie sehr ihn der Anblick dieses ManneS mit seinen strengen Braunen, den tiefliegenden Augen, den scharf markircen Gcstchkczügen in Furcht gesetzt habe. Doch faßte er stch, antwortete gut, und gab keine Blöße. AlS GhiSlieri sah, daß der Frater nicht allein unschuldig, sondern in der katholischen Lehre so bewandert und fest war, wurde er gleichsam ein anderer Mensch: er umarmte ihn mit Thränen: er ward sein zweiter Beschützer. Auf daS Entschiedenste hielt stch seitdem Fra Felice Pcretti zu der strengen Partei, die so eben in der Kirche cmporkam. Mit Jgnazio Felmo, Filippo Neri, welche alle drei den Namen von Heiligen erworben, war er in vertrautem Verhältniß. Daß er in seinem Orden, den er zu rcformiren suchte, Widerstand fand und von den Ordensbrüdern einmal auS Venedig Vertrieben wurde, vermehrte nur sein Ansehen bei den Vertretern der zur Macht gelangenden Gesinnung. Er ward bei Paul IV. eingeführc und oft in schwierigen Fällen zu Rathc gezogen- er arbeitete als 138 Theolog in der Congregation für das Tridentinische Concilium, als Consultor bei der Inquisition: an der Verurtheilung des Erzbischofs Caranza hatte er großen Antheil: er hat sich die Mühe nicht verdrießen lassen, in den Schriften der Protestanten die Stellen aufzusuchen, welche Caranza in die seinen ausgenommen. Das' Vertrauen Pius V. erwarb er völlig. Dieser Papst ernannte ihn zum Generalvicar der Franciscaner — ausdrücklich in der Ab¬ sicht, um ihn zur Reformation des Ordens zu autorisircn —, und in der Lchat fuhr Peretti gewaltig durch; er setzte die Gcneralcom- miffäre ab, die bisher die höchste Gewalt in demselben besessen: er stellte die alte Verfassung her, nach welcher diese den Provincialen zustand, und führte die strengste Visitation aus. Pius sah seine Erwartungen nicht allein erfüllt, sondern noch übertroffen: die Zuneigung, die er für Peretti hatte, hielt er für eine Art gött¬ licher Eingebung: ohne auf die Afterreden zu hören, die denselben verfolgten, ernannte er ihn zum Bischof von S- Agatha, im Jahre 1370 zum Cardinal. Auch daS Biöthum Fermo ward ihm crtheilt- In dem Purpur der Kirche kam Felice Peretti in sein Vaterland zurück, wo er einst Obst und Vieh gehütet: doch waren die Vorhcrsagungen seines Vaters und seine eigenen Hoffnungen noch 'nicht völlig erfüllt. Es ist zwar unzählige Mal wiederholt worden, welche Ränke Cardinal Montalto — so nannte man ihn jetzt — angewendet habe, um zur Tiara zu gelangen: wie dcmüthig er sich angestellt, wie er gebeugt, hustend und am Stocke einhergeschlichen: — der Kenner wird von vorn herein erachten, daß daran nicht viel Wahres ist: nicht auf diese Weise werden die höchsten Würden erworben. Montalto lebte still, sparsam und fleißig für sich hin. Sein Ver¬ gnügen war in seiner Vigna bei Santa Maria Maggiore, die man noch besucht, Bäume, Weinstöcke zu pflanzen, und seiner Vaterstadt einiges Gute zu erweisen. In ernsteren Stunden beschäftigten ihn dis Werke des h. Ambrosius, die er 1380 herausgab. So vielen Fleiß er auch darauf wandte, so war seine Behandlung doch etwas willkürlich.-Er zeigte eine ungemeine Selbstbeherrschung. Als sein Neffe, der Gemahl der Vittoria Ac- corambuona ermordet worden, war er der erste, der den Papst bat, die Untersuchung fallen zu lassen. Diese Eigenschaft, die Jedermann bewunderte, hat vielleicht am meisten dazu beigetrage», daß die Wahl des Conclave von 1388 auf ihn siel. Auch beachtete 13S man, wie eS in der unverfälschten Erzählung des Vorgangs aus¬ drücklich heißt, daß er nach den Umständen noch in ziemlich frischem Alter, nämlich 64 Jahre, und von starker und guter Complexion war. Jedermann gestand, daß man unter den damaligen Umständen vor Allem eineS kräftigen MauneS bedurfte. Und so sah sich Fra Felice an seinem Ziele. ES mußte auch ein menschenwürdiges Gefühl sein, einen so erhabenen und le¬ galen Ehrgeiz erfüllt zu sehen. Ihm stellte sich AlleS vor die Seele, worin er'jemals eine höhere Bestimmung zu erkennen gemeint hatte. Er wählte zu seinem Sinnspruch: » Von Mutterleib an bist du, o Gott, mein Beschützer. » XVl. Einnahme von Jerusalem. (Aus F. Wilken'S: » Geschichte der Kreuzzüge. ») Schon wurde der Tag auSersehen, an welchem die Stadt be¬ kennt werden sollte. Da gedachten die Priester, daß einst Gott die Stadt Jericho in die Hände der Israeliten nach einem siebenma¬ ligen feierlichen Umgänge um ihre Mauern gegeben, und riethen diesem Beispiele nachzuahmen. Um ihrem Rathe mehr Gewicht zu geben, erschien der heilige Erzbischof Ademar einem Priester und forderte ihn auf, die Fürsten zu einem feierlichen Umgang zu ermahnen. Denselben Rath gab ein alter, in einem hohen Thurme auf dem Oelberge wohnender, und durch die Gabe der Weissagung berühmter Einsiedler. Zugleich sollte diese Prozession benutzt wer¬ den, um Tankred und Raimund, welche aufS Neue wegen deS Geldes, welckeS dieser jenem zu bezahlen versprochen, aber nicht bezahlt hatte, zankten, und andere mit einander streitende Fürsten, auf dem Oelberge, wo der Heiland so schmerzlich für die Menschen gelitten, zu verlohnen. Am Freitage, den 8ten Julius (1099), versammelte» sich alle Priester, die Ritter und daS Volk, und verließen daS Lager zum feierlichen Umgang um die Stadt. Die Priester zogen in weißen Gewändern mit Kreuzen, den Reliquien und den Bildern der Heiligen voran, und ihnen folgten alle Ritter und daS Volk, in völliger Waffenrüstung, Trompeten und Fähnlein tragend, und mit entblößten Füßen, indem sie die Heiligen um ibre Fürsprache bei Gott stehentlich anriesen. Die Prozession begab sich zuerst auf den tausend Schritte von der Stadt östlich liegenden 140 Oelberg, wo Arnulf, ein sehr beredter Geistlicher aus' Flandern, von einem erhabenen Orte herab in einer so cindringenden Rede den Fürsten die Eintracht empfahl, daß alle Streitenden versöhnt einander die Rechte gaben. Auch Peter der Cinstedler trat auf und ermunterte das Volk auszudauern , um den Heiland, der noch im¬ mer in der heiligen Stadt gekreuziget werde, zu befreien. Von da zogen die Wallbrüder zu der Kirche der Mutter Gottes auf dem Berge Zion, südlich von der Stadt. Die Ungläubigen sahen zum Theil, auf der Mauer stehend, den Umgang mit Verwunderung an, andere warfen Pfeile nach den andächtigen Kreuzfahrern und Verwundeten ihrer mehrere, andere richteten aufdcn Mauern Kreuze auf nnd übten an ihnen ihren Muthwillen; andere, die Prozession nachäffend, folgten auf dec Mauer den Christen und kränkten sie durch ihren Spott. Nachdem die Prozession ins Lager zurückgekehrt, ward auf den nächsten Donnerstag der allgemeine Angriff auf die heilige Stadt bestimmt. In der Nacht vor diesem ersehnten Tage brachten Herzog Gott¬ fried, der Herzog von der Normandie und der Graf von Flandern, mit unsäglicher Mühe ihre Maschinen stückweise von dem Orte, wo sie erbauet waren, fast tausend Schritte weit, an die östliche Mauer, zwischen dem Thore des heiligen Stephan und dem eckigen Thurme, welcher nördlich über dem Thale Josaphat stand, und verlegten dahin auch ihr Lager, weil diese Gegend Kundschafter ihnen als die am schwächsten besetzte bezeichnet hatten. Als der Tag anbrach, waren die kleinen Maschinen aufgerichtct., und die Wallbrüder erkannten aus der Uebcrwmdung der Schwierigkeiten, welche sich diesem Beginnen entgegengestellt, daß Gottes Hand mit ihnen war-Auch Raimund und die andern Fürsten hatten in der Nacht da, wo sie Mauer zu bestürmen übernommen, Maschinen aufgerichtct. Alle »ahme» hier¬ auf daS heilige Abendmahl, und begaben sich zu ihren Führern. Selbst Greise und Weiber erschienen bewaffnet, um zur Eroberung der heiligen Stadt zu Helsen. Um aber die großen Thürme an die Mauer zu bringen, mußte zuvor die vordere Mauer der Stadt nie¬ dergeworfen und das Thal auSgefüllt werden. Beides war ein nicht geringes Werk. Die Mauer wurde zwar mit Mauerbrechern bcrcnnt, aus großen und kleinen Maschinen wurden Steine auf die Bcrthei- diger der Mauern geschleudert: aber die Belagerten minderten durch Säcke voll Wolle und Stroh, und durch schräge Dalken, welche sie an der Mauer befestigt hatten, ihre Wirkung, die schon wegen der 141 Breite des Thales, welche ste von der Mauer trennte, schwach war. Mel größer war die Heftigkeit, mit welcher die Belagerten aus ihren Maschinen von der Höhe herab Steine auf die Kreuzfahrer schleuderten; ihre Feuerbrande und die mit Schwefel, Pech und andern brennbaren Dingen versehenen Pfeile setzten bald die christli¬ chen Maschinen w in Brand, daß daS Löschen alle Hände der Kreuz¬ fahrer beschäftigte. Wenige wagten daher zur Ausfüllung des Tha¬ les Steine und Erde herbeizutragen , obgleich Graf Raimund durch den Rufder Herolde Jedem, welcher da, wo er stehe, drei große Steine ins Thal werfen würde, einen Denar als Belohnung verhieß. Die Nacht fiel ein, ehe die Wallbcüder ihr Ziel erreicht hatten. Kaum aber war das Morgenroth des folgenden Tages erschienen, als jeder Wallbruder in den Waffen wieder an den Ort elltc, welchen er gestern verlassen. Die Ungläubigen warfen nicht nur Steine und Pfeile wider die Wallbrüder, sondern auch Töpfe mit brennbaren Materien und Balken, von einem mit Wasser unlöschbaren Feuer ergriffen, wider ihre Maschinen; den Wallbrüdern aber war verra- then worden, daß Weinessig dies Feuer lösche, und damit hatten sie reichlich stch versehen. Als durch Feuer nnd Steine die Maschinen der Christen nicht verderbt wurden, wurden Hexen auf die Mauern ge¬ führt, um durch Zauberformeln ihre Wirksamkeit zu hemmen; aber ein ungeheurer Stein, aus einer Maschine geworfen, zerschmet¬ terte zwei Hexen, welche diese Maschinen zu besprechen auf die Mauer gekommen waren, und drei Mädchen, welche ste begleiteten. Zwei Boten, welche von Askalon kamen, um die Verkheidiger von Jerusalem zur ausharrendcn Gegenwehr zu ermuntern, indem in vierzehn Tagen ein Heer zum Entsatz der Stadt kommen werde , wurden ergriffen, weil es an Tankred durch zwei Muselmänner ver- rathen war, daß durch das unbesetzte Thor im Lhale Josaphat die Boten von Askalon gewöhnlich eingelassen wurden. Der eine von ihnen ward von einem hitzigen Jünglinge mit einer Lanze durch¬ bohrt, der andere, nachdem er seinen Auftrag ausgesagt, auS einer Maschine gegen die Mauer geschleudert. Ungeachtet aller dieser Bortheile war um die siebente Stunde, selbst nachdem der Herzog von der Normandie und Tankred beim Stephanskhorc die Mauer durchbrochen hatten, so wenig Hoffnung zur Eroberung der heiligen Stadt, daß die Fürsten beschlossen, die von dem Feuer und den Steinen der Belagerten sehr beichä- digten Maschinen zu entfernen, und an dem folgenden Tage den 142 Angriff zu erneuern. Die Ritter jammerten laut, daß Gott sie nicht für würdig halte, die heilige Stadt einzunehmen, das Kreuz anzubeten und daS heilige Grab zu erblicken; daS Volk kehrte betrübt ins Lager zurück. Plötzlich, um die Stunde, in welcher der Heiland an§ Kreuz gebracht war, erblickte Herzog Gottfried von Bouillon auf dem Oclberge einen Ritter, welcher seinen blitzenden Schild schwenkte und damit dem Volke Gottes daS Zeichen zur Fortsetzung des Kampfes gab. Herzog Gottfried rief die Ritter und daS Volk zurück; alle begannen die Arbeit mit neuen Kräften, deS SiegeS gewiß; die Weiber erquickten die Männer durch Speise und Getränke, und ermunterten sie zu muthigem Kampfe und unverdrossener Arbeit. Binnen einer Stunde war die vordere Mauer niedergeworfen, das T-Hal ausgcfüllt und deS Herzogs Thurm stand an der Mauer. Das auf seiner Spitze von Gold blitzende Kreuz mit des Herrn Jesu Bilde, nach welchem die Ungläubigen immer vergeblich gezielt, kündigte den Sieg Christi über Mohammed dem Volke GotteS an- Bald darauf ward auch des Grafen Raimund Thurm der Mauer so nahe gebracht, daß die Wallbrüder mit ihren Lanzen die Ungläubigen auf der Mauer erreichen konnten. Die Wallbrüder erneuerten nun den Kampf mit hoffendem Mu- the. Die Muselmänner widerstanden mit verzweifelter Tapferkeit; aber dem nahe an die Mauer gerücktenThurme des Herzogs konnten ihre Maschinen wenig schaden; und wo die Hürden, womit er bedeckt war, beschädigt wurden, da halfHerzog Gottfried mit eigener Hand den Schaden verbessern. Desto wirksamer waren die Wurfmaschinen auS den Thürmen, indem Herzog Gottfried Diejenigen, welche sie bedienten, zu unverdrossener Arbeit aufmunterte. CS gelang endlich einigen Jünglingen, die mit Stroh und Baumwolle gefüllten Säcke, womit die Ungläubigen die Mauer zu schützen gesucht, ver¬ mittelst brennender Pfeile in Brand zu bringen; der Rauch ward durch einen Wind von Norden auf die Mauer getrieben; die Strei¬ ter, durch ihn im Kämpfen gehindert, verließen verzweifelnd ihren Stand, und auS dem zweiten Stockwerke des ThurmeS fiel die Fall¬ brücke auf die Mauer, unterstützt von zwei Balken, mit welchen die Ungläubigen die Steine der Belagerer abgewehrt hatten. Die beiden Brüder Ludolph und Engelbert waren die ersten, welche die Mauer Jerusalems erstiegen, und ihnen folgten bald Herzog Gottfried selbst, der in dem obersten Stockwerke sich befand, sein Bruder Cu- 143 stach, der Herzog von der Normandie und der Graf von Flandern nach. Die andern Wallbrüder, welche nicht vurch den Thurm auf die Mauer kommen konnten, erstiegen sie mit Leitern, und bald war die Mauer da, wo der Herzog stand, ganz verlassen von den Ungläu¬ bigen, welche in die Gaffen der Stadt flohen. Die Wallbrüder eilten ihnen nach; der Herzog Gottfried ließ durch einige Ritterdas Ste- phansthor öffnen; das übrige Volk drang thcils durch dieses, theils da, wo der Herzog der Normandie und Tankred die Mauer durch¬ brochen hatten, in die Stadt, und bald erschallte sie von dem Ge¬ schrei der siegenden Wallbrüder: » Gott hilft, Gott will eS.» In daS Siegesgeschrei mischte sich bald das Angstgewinscl der Sterben¬ den, und daS Flehen um Gnade der fliehenden Ungläubigen; denn Ritter und Knechte verbreiteten sich in die Stadt, und würgte», wen sie antrafen, ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht. Die hei¬ lige Stadt war schon mit Leichen angefüllt, als wider den Grafen Raimund, der bei der Burg Zion stand, die Ungläubigen noch im¬ mer tapfer stritten, und seinem Belagerungszeuge großen Schaden zufügten; denn von den vierzehn Maschinen auf der Mauer waren gegen des Grafen Werke neun gerichtet. Raimund erfuhr erst durch das Waffengetöse in der Stadt und durch die Flucht der wider ihn streitenden Ungläubigen von der Mauer, daß der Heiland den an¬ dern Fürsten den Sieg verliehen habe. » Was weilt ihr jetzt noch länger?» rief Raimund den Scinigen zu, und die begeisterten Provenzalen drangen mit Leitern über die Mauern in die Stadt. Dann ward auch das südliche Thor geöffnet, und das vor ihm war¬ tende Volk drang mit solcher Heftigkeit hinein, daß sechszehn Wallbrüdcr im Gedränge umkamen. Jetzt wurde daS Würgen der Ungläubigen in der Stadt allge¬ mein. Welche den Schwertern derer unter Gottfried, dem Norman¬ nen und dem Flanderer entrannen, liefen in die Schwerter der Provenzalen. In die verborgensten Winkel, wo die Muselmänner Sicherheit suchten, drang daS spähende Auge der wilden Mörder. Hätten sie nur mit dem Blute der Ungläubigen die Schmach des Heilandes und das Blut der vor Jerusalem erschlagenen Wallbrüder rächen wollen! — aber Viele, nicht zufrieden, das Blut der Un¬ gläubigen fließen zn sehen, weidete» sich an ihren Qualen, indem sic bald sie nöthigten, von hohen Thürmen sich herabzustürzen, bald mit schwachem Feuer bis zum langsamen Tode sie marterten. Wenige entkamen in die Burg Zion. Aber eine weit größere Anzahl gewann 144 den Tempel SalomoniS, damals eine Moschee, hinter dessen festen Mauern Sicherheit suchend. Aber Tankred durchbrach mit den Sei- nigen diese Feste. Mehr als zehntausend Muselmänner und unter ihnen viele Imams, Ulemas, nnd Fakirs fielen von ihrem Schwerte. Drei Hunderten von diesen, welche auf das Dach des Tempels gestehen waren, gab Tankred Gnade, und steckte sein Panier dort aus; aber dennoch wurden diese von andern Wallbrüdern am an¬ dern Tage ermordet, worüber Tankred so ergrimmte, daß er mit dem Schwerte den Frevel gerochen hätte, wenn nicht den andern Fürsten es gelungen wäre, ihn zu besänftigen. Die Beute, welche Tankred im Tempel SalomoniS fand, war unermeßlich. Zwei Tage wurden erfordert, um sie wegzubringen; denn Tankred ließ nichts zurück, als daS goldene Gefäß, zweihundert Mark an Gewicht, welches nach Einiger Meinung Manna, nach Andern Blut des Erlösers enthielt. Vierzig große silberne Leuchter, hundert und fünfzig kleinere, von denen zwanzig von ägyptischem Golde, die übrigen von Silber waren, einen großen silbernen Kronleuchter, und viele andere Geräthe konnte Tankred sich und den Seinigen zueignen, weil ausgemacht war, daß Jedem die Beute bleiben sollte, welche er gewänne; er theiltc sie aber mit Gottfried, weil er in dessen Solde stand. Jedem Wallbruder blieb das HauS, dessen er sich bemächtigte. Darum wurde die Stadt nicht wie eine ero¬ berte Stadt behandelt, sondern die Wallbrüder schonten ihrer als ihrer künftigen Heimath, und mancher Arme ward der Besitzer eines prächtigen Palastes. Als die Wallbrüder des Blutes der Muselmänner satt waren, traf die Juden ihre Mordlust. Sie wurden in ihre Synagoge zusammen getrieben, und mit ihr verbrannt. Weder an den Gräueln, noch an dem Jagen nach Beute nahm Herzog Gottfried Antheil. Er rächte zwar tapfer mit dem Schwerte das Blut der Seinigen, welche während der Belagerung gefallen waren, und die Beschimpfung, welche die Pilgrime so oft von den ungläubigen Beherrschern der heiligen Stadt erfahren. Dann aber begab er sich, noch während deS Mordgetümmcls, von drei Rittern begleitet, in wollenem Pilgerhemd und mit entblößten Füßen aus der Stadt, wallte nm ihre Mauern, ging durch das Thor, welches gegen den Oelberg liegt, nach der Kirche deS heiligen Grabes, und überließ sich der Andacht. Plötzlich änderte sich auch in der Stadt die Scene. Die Wall- 148 brüder, Les MorLenS müde, legten, nachdem Lurch ausgestellte Wächter die Stadt gegen einen plötzlichen Ueberfall gesichert war, ihre Waffen ab, reinigten sich von dem Blute der erschlagenen Türken, und eilten mit entblößtem Haupt und entblößten Füßen zu den noch von Blut rauchenden heiligen Orten, Die Stadt, in welcher kurz vorher nur das wilde Geschrei der Würger und das Gewinsel der Sterbenden gehört wurden, erschallte jetzt von den Lobgesängen zur Ehre GotteS, und den Gebeten der zum Grabe LeS Heilandes Wallenden, und die grausamen Krieger, deren Gcmüth'jeder milden Empfindung noch eben verschlossen war, beugten jetzt demüthig ihre Knie, und vergossen Thränen der Andacht an den Orten, wo das noch warm fließende Blut an ihre Grausamkeiten sie erinnerte. Viele, die mit gieriger Habsucht ge¬ raubt, opferten jetzt mit ausschweifender Freigebigkeit ihren Raub dem Herrn, oder brachten ihn als Almosen den Alten, den Armen und den Kranken. Andere bekannten lauc ihre Sünden, und ge¬ lobten Besserung. Wo sah man je eine so schnelle Umwandlung? An der Thür der Kirche des heiligen Grabes standen die Christen von Jerusalem mir ihren Geistlichen, außer dem Patriarchen, der vor dem Anfänge der Belagerung nach Cypern gereiset war, um Almosen zu sammeln, und von hier auS die christlichen Fürsten in den Mühseligkeiten und Entbehrungen während der Belagerung der heiligen Stadt mit Granatäpfeln, Ccdernapfeln vom Libanon, köstlichem Wein und gemästeten Pfauen erfreut hatte. Sie führten die Wallbrüder in die Kirche, und erhüben mit ihnen ihre Stim¬ me, um Gott zu danken für die Befreiung seiner heiligen Stadt von dem schmählichen Joche der Türken. Die größte Ehre wi¬ derfuhr Petern dem Einsiedler, welchem die christlichen Priester kniend dankten, und nächst Gott den meisten Antheil an ihrer Rettung aus den bisherigen Lrübsalen zuschrieben. Peter hatte damit sein Gelübde erfüllt nnd nahm seitdem an den Unternehmungen der Wallbrüder keinen Antheil. Er kehrte in seine Heimath zurück bald nach der Eroberung der heiligen Stadt, und stiftete zu "Huy ein Kloster, in welchem er im sechzehnten Jahre nach der Befreiung Jerusalems begraben wurde. 1V 146 Achtes Kapitel. Bruchstücke aus Reisebeschreibungen. i. O-Lahiti. (Aus I. G. A. Forster'S, »Reise um die Welt.») Ein Morgen war'S — schöner hat ihn schwerlich je ein Dichter beschrieben — an welchem wir die Insel O-T.ahiti zwei Meilen vor uns sahen. Der Ostwind, unser bisheriger Begleiter, hatte sich gelegt; ein vom Lande wehendes Lüftchen führte unS die erfrischendsten und herrlichsten Wohlgerüche entgegen und kräuselte die Fläche der See. Waldgekrönte Berge erhoben ihre stolzen Gipfel in mancherlei majestätischen Gestalten und glühten bereits im ersten Morgenstrahl der Sonne. Unterhalb derselben erblickte das Auge Reihen von niedrigern, sanft abhängenden Hügeln, die, den Bergen gleich, mit Waldung bedeckt, und mit verschie¬ denem anmuthigen Grün und herbstlichem Braun schactirt waren. Vor diesen her lag die Ebene, von tragbaren Brotfruchtbäumen und unzählbaren Palmen beschattet, deren königliche Wipfel weit über jene emporragten. Noch erschien AlleS im tiefsten Schlaf: kaum tagte der Morgen und stille Schatten schwebten noch auf der Landschaft dahin. Allmälig aber konnte man unter den Bäumen eine Menge von Häusern und Canots unterscheiden, die auf den sandigen Strand hinaufgezogen waren. Eine halbe Meile vom Ufer lief eine Reihe niedriger Klippen parallel mit dem Lande hin, und über diesen brach sich die See in schäumender Brandung; hinter ihnen aber war das Wasser spiegelglatt und versprach den sichersten Ankerplatz. Nunmehr fing die Sonne an die Ebene zu beleuchten. Die Einwohner erwachten und die Aussicht begann zu leben. Kaum bemerkte man die großen Schiffe ander Küste, so eilten ei¬ nige unverzüglich nach dem Strande herab, stießen ihre Canots ins Wasser und ruderten auf uns zu. Es dauerte nicht lange, so waren sic durch die Oeffnung des Riffs, und eines kam unS so nahe, daß wir eS anrufen konnten. Zwei fast ganz nackte Leute, mit einer Art 447 von Turban auf dem Kopfe und mit einer Schärpe um die Husten, saßen darin. Sie schwenkten ein großes grüneö Blatt in der Luft und kamen mit einem oft wiederholten lauten Tayo! heran, ein AuSruf, den wir ohne Mühe und ohne Wörterbücher alS einen FreundschaftSgruß auSleqen konnten. DaS Kanot ruderte dicht unter da§ Hintertheil deS SchiffS, und wir ließen ihnen sogleich ein Geschenk von GlaScorallen, Nägeln und Medaillen hinab. Sie hinwiederum reichten unS einen grünen Pisangschoß zu, der bei ihnen ein Sinn¬ bild de§ Friedens ist, und baten solchen dergestalt anS Schiff zu befe¬ stigen, daß er einem Jeden in die Augen fiele. Dem zufolge ward er an die Wand (daS Tauwerk) deS Hauptmastes fest gemacht; worauf unsere Freunde sogleich nach dem Lande zurückkehrten. CS währte nicht lange, so sah man daS Ufer mit einer Menge Menschen be¬ deckt, die nach uns herguckten, indessen daß andere, boll Zutrauens auf daS geschlossene FriedenSbündniß, ihre EanotS inS Wasser stießen und ste mit ihren LandeSproduktc» beladeten. In weniger als einer Stunde umgaben unS Hunderte von dergleichen Fahrzeugen, in deren jedem stch ein, zwei, drei, zuweilen vier Mann befanden. Ihr Ver¬ trauen zu unS ging so weit, daß ste sämmtlich unbewaffnet kamen. Von allen Seiten erschallte daS willkommene Tayo! und wir erwie- dertcn eS mit wahrhaftem und herzlichem Vergnügen über eine so günstige Veränderung unsrer Umstände. Sie brachten unS CocoSnüsse und PisangS in Uebcrfluß, nebst Brotfrucht und andern Gewächsen, welche ste sehr eifrig gegen GlaScorallen und kleine Nägel vertauschten. Stücke Zeug, Fisthangeln, eiserne Acxtc, und allerhand Arten von Werkzeugen wurden gleichfalls zum Verkauf auSgeboten und leicht angebracht. Die Menge von EanotS, welche zwischen unS und der Küste ab-und zugingen, stellte ein schönes Schauspiel, gewissermaßen eine neue Art von Messe auf dem Wasser dar. Ich fing sogleich an, durch die Kajüttenftnster um Naturalien zu handeln, und in einer halben Stunde hatte ich schon zwei biS drei Arten unbekannter Vögel and eine große Anzahl neuer Fische beisammen. Die Farben der letz¬ teren waren, so lange ste lebten, von ausnehmender Schönheit; daher gleich diesen Morgen dazu anwendete, ste zu zeichnen und die Hellen Farben anzulegeu, ehe ste mit dem Leben verschwanden. Die Leute, welche unS umgaben, hatten so viel SanfteS in ihren Zügen, als Gefälliges in ihrem Betragen. Sie waren ungefähr von unserer Größe, blaß, mahagonibraun, hatten schöne schwarze Augen «nd Haare, und trugen ein Stück Zeug von ihrer eigenen Arbeit 148 mitten um den Leib, ein anderes aber in mancherlei malerische» Formen alS einen Turban um den Kopf gewickelt. Die Kleidung der Frauen, welche sich unter ihnen befanden, be¬ stand in einem Stuck von Zeug, welches in der Mitte ein Loch hatte, um den Kopf durchzusteckcn, und hinten und vorne bis auf die Knie herabhing. Hierüber trugen sic ein anderes Stück von Zeuge, daS so fein alS Neffeltuch und auf mannigfaltige, jedoch zierliche Weise, etwas unterhalb der Brust als eine Tunica um den Leib geschlagen war, so daß ein Lheil davon, zuweilen mit Vieler Grazie, über die Schulter hing. War diese Tracht gleich nicht vollkommen so schon alS jene an den griechischen Statuen bewunderten Draperien, so übertraf sie doch unsere Erwartung gar sehr und dünkte unS der menschlichen Bildung ungleich vortheilhaftcr alS jede andere, die wir bis jetzt gesehen. Beide Geschlechter waren durch die von andern Reisenden bereits beschriebenen, sonderbaren, schwarzen Flecke ge¬ ziert oder vielmehr verstellt, die auS dem Punctiren der Haut und durch nachheriges Cinreiben einer schwarzen Farbe in die Stiche entstehen. Bei den gemeinen Leuten, die mehrentheiS nackt gin¬ gen, waren dergleichen vornehmlich auf den Lenden zu sehen, ein augenscheinlicher Beweis, wie verschieden die Menschen in An¬ sehung deS äußerlichen Schmuckes denken, und wie cinmüthig sic gliechwohl alle darauf gefallen sind, ihre persönlichen Vollkommen¬ heiten auf eine oder die andere Weise zu erhöhen. Cs dauerte nicht lange, so kamen verschiedene dieser guten Leute an Bord DaS ungewöhnlich sanfte Wesen, welches ein Hauptzug ihre? Nationalcharakters ist , leuchtete sogleich auS allen ihren Gebcrden und Handlungen hervor, und gab einem Jeden, der daS menschliche Herz studierte, zu Betrachtungen Anlaß. Die äußern Merkmale, durch welche sie un§ ihre Zuneigung zu erkennen geben wollten, waren von verschiedener Art; Einige ergriffen unsere Hande, Andere lehnten sich auf unsere Schultern, noch Andere umarmten unS. Zu gleicher Zeit bewunderten sic die weiße Farbe umercr Haut und schoben unS zuweilen die Kleider von der Brust, alS ob sic sich¬ erst überzeugen wollten, daß wir ebenso beschaffen waren, alS sie Da sie merkten, daß wir Lust hatten, ihre Sprache zu lernen, weil wir unS nach den Benennungen der gewöhnlichsten Gegenstände er¬ kundigten, oder sic auS den Wörterbüchern voriger Reisenden hcr- sagtcn, so gaben sic sich viel Mühe uns zu unterrichten, und freuten sich, wenn wir die rechte Aussprache eines Wortes treffen konnten. 149 Was mich anlangt, so schien mir keine Sprache leichter, als diese. Alle harte und zischende Consonanten sind daraus verbannt, und fast jedes Wort endigt sich mit einem Sclbstlauter. Was dazu erfordert ward, war bloß ein scharfes Ohr, um die mannigfalcigen Modifi¬ kationen der Selbstlauter zu unterscheiden, welche natürlicherweise in einer Sprache Vorkommen müssen, die auf so wenig Mitlauter ein¬ geschränkt ist, und die, wenn man sie einmal recht gefaßt hat, die Unterredung sehr angenehm und wohlklingend machen. Unter andern Eigenschaften der Sprache bemerkten wir sogleich, daß das O und E,womit sich die mehrsten Nennwörter und Namen in Herrn Cook' s erster Reise ansangen, nichts als Artikel sind, welche in vielen mor¬ genländischen Sprachen vordcn Nennwörtern herzugehen pfiegen,die ich aber im Verfolg dieser Erzählung entweder weglassen, oder durch einen Strich von dem Nennwort trennen werde. Ich habe bereits im Vorhergehenden angemcrkt, daß Herr von Bougainville daS Glück hatte, den wahrcnNamen der Insel, ohne Artikel, sogleich ausfindig zu machen; er hat ihn auch, so weit es die Beschaffenheit der fran¬ zösischen Sprache erlauben will, in der Beschreibung seiner Reise Vermittelst des Wortes l'atti, ganz richtig ausgedrückt; doch sprechen eS die Indianer mit einer leichten Aspiration, nämlich Tahiti, aus. II. Beschreibung eines Erdbebens in Messina. (AuS: -> Briefe über Calabrien und Sicilien -- von I. H. Bartels.) Messina, im Oktober 1786. Heute müssen Sie mit mir, mein Freund, eine Weile aus Ihrem frohen Zirkel hinweg zu Messina'S Schutthaufen eilen, hierMeu- schenclcnd in seiner ganzen Größe entdecken, und alle Schreckender empörten Naturhereinbrechensehen; sehen, daß in einem Moment Ruhe und Glück in Zerstörung, Verwirrung und Elend, Zufrieden¬ heit und Ucberfiuß in bittere Verzweiflung und verzehrenden Mange! umgeschaffen werden. DaS Erdbeben rollte unter der Erde fürch¬ terlich daher, und Messina sank in Ruinen dahin! Ich will versuchen, Ihnen ein schwaches Gemälde von den Verwü¬ stungen, die das Erdbeben in Messina anrichtete, zu entwerfen. Un¬ willkürliche Thränen drangen auS meinen Augen beim Anblick des Schutthaufens hervor, und ich sah bei der neuen Erinnerung Aeltcrn ihre Linder, Weiber ihre Gatten, und Freunde ihre Freunde noch 180 einmal beweinen. Einer meiner schätzbaren und dienstfertigen Freunds führte mich unter den Ruinen umher, und bei ihm merkte ich dar allmalige Steigen des Schmerzgefühles bis zum endlichen beftigef Ausbruch desselben, wie ich's noch nie sah. Wenn cs einem Künstler, wie Schröder*, möglich gewesen wäre, bei dieser Scem ruhig zu bemerken, so hätte ich ihn an meiner Stelle gewünscht, um für die Kunst, allmälig steigende Affekte darzustellen, neue Bemerkungen aus der Natur zu schöpfen. Wir eilten über manchen Ruinenhaufen hin, und mein Führer machte mit inniger Theil- nahme hie und da Bemerkungen über das Elend, das die Leute, die dort wohnten, erlitten hatten, blieb aber sonst noch munter und froh: allmälig nahm seine Theilnahme zu, und je weiter wir gingen, desto lebhafter ward seine Erzählung und desto heftiger seine Action, bis wir endlich auf einen Fleck kamen, wo eine Menge Bruchstücke vereinigt lagen. Beim Anblick derselben faßte er einen geborstenen Quaderstein an und rief mit wildem Blick verschiedentlich aus: » Ist daS nicht ein trauriger Anblick! » Dann ergriff er plötzlich mit heftig emporströmcnden Thränen meine Hand, und sagte: » Hier stand einst mein Haus! Ich war reich, und bin setzt arm, wie der Taglöhner! Nichts habe ich gerettet, und bin kaum selbst der epidemischen Seuche, die nach dem Erd¬ beben eindrang, entgangen. -> Die Bilder jener unglücklichen Nacht erwachten nun immer heftiger; er malte sie aus mit einem Feuer, daß ich für seine Gesundheit bange war, und eS für meine Psticht hielt, ihn von dem Fleck so bald wie möglich hinwegzuziehen. Wir eilten fort, und e§ folgte unmittelbar auf diese leidenschaft¬ liche Aeußerung eine Stille in ihm, deren Grund sonst in seinem Charakter nicht lag; es schien mir beinah', als folgte nach der überspannten Empfindung eine Erschlaffung, und die Munterkeit, die er vorher hatte, kehrte den ganzen Tag nicht wieder zurück. Alle Beschreibungen von Messina scheinen in der Schilderung des trefflichen Anblicks zu wetteifern, den die ungefähr eine Milie längs dem Hafen hinlaufenden Gebäude verursachten, in denen edle Simplicität mit hoher Schönheit vereinigt war. Meine Beschreibung macht hier eine Ausnahme; denn ich fand die Pa¬ lästenreihe in Ruinen. Jndeß konnte ich doch noch so viel davon entdecken, daß ich's zu behaupten wage, keine mir bekannte Ein berühmter deutscher Schauspieler und Lheater-Director. 18t Schilderung ihrer ehemaligen Schönheit war übertrieben. Der Name Palazzata kommt ihr mit Recht zu. Sie gehörte zu den vorzüglichsten Werken der neuen Kunst, und der Künstler bewies nicht weniger Scharfstnn bei ihrer Erfindung, als Kunst bei der Ausführung. Er scheint die stolze Idee gefaßt zu haben, daß mit dem Meisterstück der Natur — so kann man mit Recht den stolzen Hafen Messina's nennen, der vielleicht nirgends seines gleichen findet — seine Kunst einen Wettstreit beginnen sollte, ob eS ihr nicht gelingen würde, das Ange des Bemcrkers von jenem hinweg und auf sich zu ziehen. Aber die Solidität der Natur verstand er seinem Kunstwerke nicht zu geben; sie trug bei dem zerstörenden Unglück von 1783 den Preis davon. Obgleich das Erdbeben gleichsam übers Meer von Italien nach Sicilien herüber rollte, und von der Mecrseite seinen ersten Angriff auf Messina wagte, so trotzte doch der Hafen den zerstörenden Wellen, und steht noch jetzt in seiner ganzen Schöne da; da hingegen die Meisterstücke der Kunst in einen Schutthaufen zusammen fielen. Man sagt, es sei aufs neue der Plan im Werke, die Pracht der alten Gebäude wieder herzustcllcn: aber wer weiß wie viele Jahrzehende noch darüber hingehen? Jetzt wenigstens fällt noch täglich mehr ein, und jeder neue Einsturz, den man so leicht verhindern könnte, zerstört neue Lheile des Ganzen. Ganz dieser Unthätigkeit ähnlich fanden wir es im Innern der Stadt. Noch war nichts für Hinwegräumung des Schutts geschehen. Kirchen, Paläste, öffentliche Gebäude und Häuser aller Art lagen noch eingestürzt über einander, die schönen, großen, parallel mit dem Hafen laufenden Straßen fanden wir gänzlich menschenleer, und nur hie und da nach besänftigter Erde zwischen den Ruinen ein kleines Hüttchen zur armseligen Bewohnung erbaut; wie wenig allgemein dies aber war, können Sie daraus schließen, daß in den besten Gassen der Stadt noch Einen Fuß hoch und darüber, Staub, Sand und Schutt lagen, und cs beinah' unmöglich machten, durch die Stadt hinzugehen. Noch wohnt Alles in Baraken, die außer Messina auf der Höhe errichtet find, aus denen die Einwohner, wie man mir sagte, ungern wieder heraus wollen, nachdem sie einmal gegen Nässe und Kälte abge¬ härtet zu sein glauben. — — Das Meer verkündete in Messina zuerst die kommenden Schrecken. Man bemerkte einige Tage vorher eine ungewöhnliche Unordnung in 182 Ebbe und Fluth; die Natur schien gleichsam von ihren Gesetzen los- gerissen, und ohne bestimmte Regeln tobte daS Meer bald wüthend daher, und brauste plötzlich hoch auf, als wollte es den Damm über¬ steigen und Messina verschlingen, bald legte eS auf einmal und uner¬ wartet seine Wuth. In dem bekannten Meerstrudel von Charibdis zeigten stch Wirbel, wie wir stein unseren Tagen nicht mehr zu sehen gewohnt stnd; es schien, alS würde das Zeitalter jener Dichter zurück- kehren, die uns die Wuth derselben mit schrecklichen Farben schildern. Boten von der großen Empörung im Innern des Meeres waren ferner ganze Schaaren Fische, die stch fast nie zu diesen Zeiten auf der Oberfläche des Wassers sehen lassen. Bei jedem hernach erfolgten Crdbebenstoße waren ste immer die ersten Vorboten der einbrechenden Verwüstung. Daher hörte man auch in der Stadt, so oft stch dieses Phänomen aufS neue zeigte, schreckliche Verwünschungen gegen ste ausstoßen, und sah einen Jeden verzweiflungsvoll dem Unglück ent¬ gegen gehen. Bei dem Toben des MeereS verspürte man zugleich ein beständiges Getöse im Innern der Erde, dem Schall eines entfernten DonnerS zu vergleichen, und dieses rollte ganze Tage hindurch lang¬ sam und schwach fort, ward aber bei jedem Aufbrausen des Meeces stärker. Vom Anfang des Februars an bis zum 8ten dauerten, ohne Zerstörung zu bringen, diese Vorzeichen fort. Am 8ten Februar end¬ lich siel Messina, gleich nach Mittag, in einer Stunde mit so vielen Städten CalabrienS. Der Tag selbst war in der Stadt ein finsterer, neblichter Tag, und durch die Nebel schien am Hellen Mittage das Licht der Sonne schwach und blaß wie Mondschein. Cs war eine Stille in der Natur, die etwas Schauervolles gehabt haben soll; man nannte ste mir ein schreckliches, fürchterliches Warten, und wollte selbst bei Menschen an diesem Tage eine gewisse Trägheit, Erschlaffung und Unlust wahrgenommen haben. Endlich um Mittag hörte man ein Getöse von Calabrien herüber ertönen; eS schien all- mälig näher zu kommen, und das Meer empörte stch immer mehr; so rollte daS Erdbeben fürchterlich und langsam in der Tiefe des Meeres und auf den Wellen daher. Wie eS endlich Messina'S Ufer erreicht hatte, so war zuerst die schöne Palazzata seiner Wuth ausge¬ setzt; ein großer Theil derselben ward zerstört, und dann nur noch hie und da im Innern der Stadt einige Gebäude nicdergeworfen. Der eigentliche Schaden war damals noch sehr geringe: aber um desto größer und allgemeiner war der Schrecken, und um desto quälender die Furcht , den» vom Mittage an bis zum Abend hin war die Erde 133 nur wenige Augenblicke ruhig. Wie eS endlich finster war, schien die Empörung in der Natur vermehrt; daö Getöse im Innern der Erde rollte heftiger, daS Meer wüthete fürchterlicher, und außer diesen Phänomenen vermehrte da§ Geächze und Geheule verunglückter, be¬ schädigter, verzweifelnder und sterbender Menschen die Schreckens¬ scene noch um Vieles. Eine der schrecklichsten Nächte folgte jetzt; in ihr ward der größte und beste Lheil der Stadt gänzlich zerstört. Freilich am 7ten, am 43ten Februar, am 28 März und mehrere folgende Tage und Nächte wiederholte das Erdbeben seinen Angriff und stürzte das ein, was diese Nacht nur in seiner Grundfestc erschütterte, nicht umwarf; aber nie kehrte es so heftig wieder, wie damals, gerade um Mitternacht, 42 Stunden nach dem ersten heftigen Stoße. CS wurde selbst die 42 Fug dicke Mauer der Cittadclle, die man für unzerstörbar gehalten hatte, von oben bis unten gespalten, und diese Nacht raffte in Messina die meisten Menschen hinweg. Der Zustand der Einwohner war während der ganzen Crdrevolution sehr traurig. Gleich »ach dem ersten zerstö¬ renden Stoße flüchtete sich Alles aufs Freie, und mußte ohne Schutz und Dach mehrere Tage hindurch unterbrochen heftige Platzregen, Hagelschauer und Stürme ertragen. Da man nicht Baumaterialien, weder Holz noch Ziegel genug hatte, um die Baraken mit Dächern zu versehen, so mußten selbst die Ange¬ sehenem der Stadt mehrere Nächte hindurch, nur einen Schirm über sich haltend, auf einem Stuhl unter freiem Himmel schla¬ fen, und mehrere Tage zubringcn, ohne ihr genäßtes Zeug, aus Mangel an Kleidung , wechseln zu können. DieS war die traurige Ursache von so vielen nachmaligen Krankheiten, die mehr Men¬ schen wie das Erdbeben hinwegrafften. in. Piano di Sorrento. (AuS der - » R c i se in Deutschland, Schweiz, Italien,» von Fried. Leop. Grasen zu Stolberg.) Um noch einige Sommermonate in einer der schönsten Gegenden Italiens zuzubringen, und ihrer in ungestörter Freiheit zu ge¬ nießen, schifften wir am 24. Julius dcS Nachmittags hinüber nach diesem Thale, welches große Reize hat von einer ihm eigen- thümlichcn Art. ES ward durch die Natur von der ganzen übrigen Welt abgesondert. Acußcrst beschwerlich sind seine Zugänge von 184 der Landseite, und nur die Hande der Menschen haben es von der Seite des Meeres zugänglich gemacht. CS mag ungefähr vier Stunden im Umfang haben. In Gestalt eines halben Mondes liegt eS eingerückt in die Berge des Gestades, welche seine Run¬ dung umkränzen- Sem Ufer besteht auS steilen Fellen, die in furchtbarer Höhe bald senkrecht im Meere stehen, bald einem schmalen Strande Raum zu Wohnungen der Fischer und Schiffer gestatten, deren Fahrzeuge zum Theil in den Grotten der Küste aufbewahrt werden- Die Wege, welche vom Strande hinauf ins T-Hal fuhren, stnd in die Felsen des UferS eingehauen- Oben schatten große Bäume, unter andern die schönsten Pinien, so ich jemals sah. Wenig Bäume machen eine so große Wirkung, als Liese Ungeheuern Pinien, die, auf geradem Stamme sich hoch auf dem Felsengestads erhebend, ihr einem Sonnenschirm ähnliches Haupt mit breiten Aesten in den Lufthorizont auSstrecken. Die höheren Berge werden von Eichen und Kastanien beschattet, auch von Oclbäumcn. DaS Piano oder die hohe Ebene selbst ist bedeckt mit Wohnungen; bei jeder ist ein Plätzchen Erde mit Weingärten, Obstbäumen und Agrumi bepstanzt.-Wir wohnen in einem angenehmen Landhause, eine halbe Stunde von dem Städtchen Sor- rento,nahe beim Flecken Carotta. Zwischen Pomeranzen und Reben, welche beide weit über das zweite Stockwerk dcS HauseS emporstreben, sehen wir auS den Fenstern und von zwei großen, freien Söllern, auf der einen Seite hinter vielen Gärten hohe mit Wald bewachsene Berge, auf der andern, auch hinter Reben und Obstbäumen, das Meer, die krummen Ufer, Neapel und Portici, mit dazwischen lie¬ genden Landhäusern, welche in dieser Ferne, beide vereinigend, den Anblick Einer Ungeheuern Stadt hervorbringen, und uns unsere paradiesische Einsamkeit desto werther machen. Im Hintergründe der Aussicht unterscheidet das Auge vierfache Gebirgsreihcn, deren letzte sich im Abruzzo thürmet. Nahe scheinend erhebt sich links die hohe Insel Ischia, welche alle Abende, wenn neben ihr die Sonne sinket, im Abendroth zu schwimmen scheint. Aehnliche Schönheiten findet man in vielen Gegenden beider Sicilien; aber diesem T-Hale eigenthümlich sind die vielen Felsenthäler, oder Fclsenspalten, in welchen man auf engen Pfaden tief hinab in den Schooß der Erde steigt. Hier findet man in den heißesten Stunden die frischeste Kühlung. Bald erweitern sich diese Spalten so, daß man von unten einen ansehnlichen Lhcil deS durch die Oeffnung dunkler scheinenden Himmels, die Wipfel ISS von mancherlei Bäumen, welche den obersten Rand umschatten, den bis! hinab in die Tiefe rankenden Cpheu, und viele Arten von Sträuchen und Kräutern steht, die stch dem Felsen entwinden; bald werden ste gegen oben eben so eng, dass man bei Tag in ewiger Nacht tappet, und die Feldcrmause über stch schwirren hört. Ich sah zugleich an der einen Seite den goldnen Sonnenstrahl durch die Wipfel der obern Bäume aufden schwebenden Cpheu fallen, und an der andern Seite leuchtete am Blatte daS Johanniswürmchen, wie bei Nacht. Ein solches Thal auf dem Wege nach Castellamare ist so breit, daß unten ein ganzer Hain von Agrumi grünet. In einem andern sehr tiefen Lhale, nahe vor Sorrento, stürzet ein kleiner Wasserfall über Fel¬ sen. In der Mittlern Höhe steht auf einem vorspringenden Stein eine kleine Kapelle, deren brennende Kerzen in dunkeln Stunden eine schöne Wirkung im schauerlichen Lhale hervorbringen. Von einem ähnlichen, jenseits Sorrento, habe ich dir schon in meinem Briefe vom 19. April erzählt. Gleich hinter unserm Garten ist eine lange Felsenkluft. Durch solche werden viele Weingärten verschiedener Be- fitzcrvon einander abgesondert- Ich begreife nicht, welche Begebenheit der Natur diese langen und tiefen Spalten der Erde habe hervorbriu- geu können. In einem Lande, wo auch die schauerlichsten Naturscenen stch mit Blüthen ewiger Jugend schmücken, haben solche Thaler und Felsen einen unaussprechlichen Reiz- Das Piano di Sorrento lehnt stch an die Bergkette, welche, mit dem Capo Campanello endigend, die eine Seite des Meerbusens von Neapel rundet, und diesen vom Salerner Meerbusen scheidet. Beide steht man zugleich an verschiedenen Stellen der vom Aroma vieler Pflanzen duftenden Berge. Hier übersteht das Auge Meere, Länder und Inseln, vom Capo Licosa an bis zum Monte Circello. Dicht am Gestade stehen im Golfo di Salerno die einzelnen Klippen, welche von vielen Alten und Neuern für die Homerische Sireneninsel gehalten wurden. Sie heißen le Galle. Eine der schönsten Stellen, die ich auf meiner ganzen Reise gesehen, ist der Kapuzincrgarten, nahe bei Sorrento. Ec ruhet auf den Fellen des Gestades. Aus seinen schattenden Gängen übersteht man den ganzen Meerbusen von Neapel, außer einigen Buchten, welche rechts und links durch vorlaufende Küsten, deren eine die Insel Capri verbirgt, gebildet werden- Nirgends erscheint der Vesuv so Vortheilhaft, nirgends die hohe Insel Ischia. Aber selbst Von diesen großen entfernten Gegenständen kehrt dec Blick 1S6 ost zurück, und verweilet beim nahen Fclsengestade, dessen Hallen und zackige Klippen, die schaumenden Wogen einschlürfend und wieder hervorwcrfend, eine donnernde Brandung des Meeres ver¬ ursachen. Mancherlei Gewächse, insonderheit die Capcrnpssanze mit ihrer schönen Blüthe, sprossen auS den Felsen, welche mit hohen überhangenden Bäumen bekränzet sind. Aus dem Garten steigt man durch eine in Felsen gehauene Treppe hinab an§ Meer, wo die Brandung am stärksten ist- In den Stein hinein ist eine weite Halle gehauen, deren beide Seiten von ungleicher Tiefe sind, so daß man in der einen badend fußen kann, und schwimmen in der andern. Du erinnerst dich vielleicht, daß schon im April mich die Lage dieses Klosters reizte, als ich unten aus dem Nachen einen Mönch oben stehen sah, welcher Wachteln ein Retz stellte. In den Gegenden des Meerbusens von Neapel wird jährlich zwei Mal, im Frühling und im Herbst, eine ungeheure Menge dieser Zugvögel gefangen, besonders in der Insel Capri. DeS Piano di Sorrento Volksmenge soll sich, wenn man die gegen viertausend Einwohner enthaltende Stadt mit dazu.rechnet, auf achtzehn tausend Menschen belaufen. Welche Bevölkerung in einem Umkreise von kaum vier Stunden! EhemalS gehörte das ganze Piano der Stadt Sorrento, in welcher viel Adel wohnet; ihre Einwohner verarmten aber, als sie vor einigen Jahrhunderten von afrikanischen Seeräubern überfallen wurden, welche Weiber und Jungfrauen in großer Zahl entführten. Männer, Väter unb Brüder löseten die geliebten Gefangenen wieder auS, und sahen sich gezwungen ihre Landgüter zu verkaufen. Eine sanfte Melan¬ cholie, welche Ernst mit Freundlichkeit verbindet, charakterisier die Sorrentiner wie des Piano Bewohner, und unterscheidet sie am eine auffallende Art sowohl von den sanguinischen, rauschenden Neapolitanern, als von den, gleich ihrem Himmel, immer heitern Jschiestn. Die Einwohner des Piano sind wohlhabend, und geben keine Abgabe alS von der Seide, die sie spinnen, und vom Wein, den sie auSführen. IV. Das Erdbeben in Calabrie». (Von Fried. Leop. Grafen zu Stolberg.) Diesen Morgen ritten wir ins Gebirge hinein auf neuem, meistentheils fast unwegsamem Pfad, über Höhen, welche ehemals 4S7 " Thaler, durch Thaler, welche ehemals Hohen waren. Wenn das Erdbeben nur Cine Richtung nimmt, so wankt zwar von den Wurzeln der Berge bis zu den Gipfeln die Erde, aber ohne große, oft ohne einige Verheerungen anzurichten: der Boden beruhigt sich wie das Meer, wenn der Sturm nachläßt. Begegnen sich aber verschiedene Erschütterungen, so vereinigen sie sich in einer wir- ! beluden Bewegung, welche Strome hemmt und Berge zerreißt. Das Erdbeben war hier desto fürchterlicher, da die Berge auS fester Thonerde bestehend, der unterirdischen Gewalt, die in gegen einander gekehrten Richtungen sie faßte, widerstrebten. Wir sahen Berge, welche von oben bis unten gespalten mit auseinander fallenden Hälften alte Thäler gefüllt und ein neues Thal gebildet hatten. Oft rissen sich Theile der Erde mit ihren Pflanzungen los, mit halb entblößten Wurzeln stehen hier am Rande deS Abgrundes überhangende Bäume; fern von ihnen grünet gegenüber der versetzte Wald, der neben jenen aufwuchs und jetzt von andern Quellen getränkt wird. Ein Mann, ein Weib und ein Maulesel wurden zusammen unbeschädigt mit dem Boden, welcher sic trug, vom elektrischen Schlage über einen Fluß geworfen, von Ufer zu Ufer. Ein Mann im Städchen Seminara, der eben Citroncn pflückend auf dem Baume stand, ward mit dem Baum und mit der Erde, die den Baum noch jetzt nährt, unverletzt weit fort- geschleudcrt. Manche wurden von fluthenden Erdschollen wie von Wogen einer Wasserfluch verfolgt, ereilt, verschlungen, unbeschä¬ digt aus geöffnetem Schlunde wieder ausgeworfen. Selbst Ströme wurden gefangen in ihrem flüchtigen Lauf; plötzlich entstehende Dämme verwandelten sie in Landsern, deren schädliche Ausdün¬ stung, da ihre stockenden Gewässer von dem lebendigen Fluß ge¬ trennt worden, die Luft ansteckce. Ich sah einige dieser Seen, andere sind versiegt, einige auf Unkosten des Königs ausgetrocknct worden. Einen hat man durch auSgehauene Fellen abgeleitet. Es entstanden Rechtshändcl von einer neuen Art, zwischen den Cigenthümern der überschüttenden und den Besitzern der über¬ schütteten Erde, zwischen Dem, welcher einen Baum gestanzt hatte, und dem, auf dessen Boden er nun steht. Mancher Baum steht zwischen andern, deren Cigenthümer ungewiß sind. Ick mH ei¬ nen Haufen von Oelbäumen, welche mit der Erde, die sie nährt, aus den gereiheten Pflanzungen weit fortgerissen, durch die wirbelnde Bewegung zusammengedrängt, nun eine große Laube bilden. 188 Oppido ward in einen Steinhaufen verwandelt. Ganze Stücke von Mauern, die vom Erdstrudel ergriffen und gedreht endlich mit der Erde stehen blieben, liegen nicht stach, sondern stehen aufgerichtet, mit der Ecke wie eingewurzelt, wie gehalten von Riesenhand. Ergriffen vom Anblick standen wir und unser Führer, ein Jüngling von 20 Jahren, unter diesen Ruinen, staunend und wchmüthig wir, er bettroffen von schmerzlicher Erinnerung, neben deS väterlichen HauseS Trümmern, welche ihn und seine Mutter fünf Stunden lang bedeckten, seinen Bruder und seine Schwester mit stch vergruben. Auf dem Wege hatten wir schon hier Steine gesehen, welche Menschen zermalmet, dort Hügel mit jungen Reben bedeckt, welche ganze Gesellschaften überschüttet hatten. Im alten Städchen wohnten dreitausend Menschen, und fünfhundert wohnen in den Baraken des neuen. Ungefähr zwölf- hundcrt kamen um am Tage des Jammers. Einige verbrannten lebendig, als in einstürzenden Häusern die Flamme des Herdes um stch griff. So wurden die Mönche eines Klosters der Flammen Raub. Eine Frau, welche jetzt in Messina lebt, blieb eilf Tage mit ihrem Kinde unter ihres Hauses Schutt. Beide nährten stch von Kastanien, welche die Mutter nicht ohne Vorsehung in den Taschen hatte. Da ste aber nichts zu trinken hatte, so starb das Kind am fünften Lage. Sehr viele starben theils aus Ungemach und Noth, cheilS an Krankheiten, welche durch Ausdünstungen stockender Wasser, der frischen Erde, der verwesenden Körper von Menschen und Vieh entstanden. Der Verlust, den die Provinz theils an Verschütteten, theilS an Verkümmerten oder durch böse Ausdünstung Getödtctcn erlitten hat, wird auf 32000 Menschen angegeben. Als die Erschütterung die Einwohner von Scilla, einer kleinen Stadt EalabricuS, schreckte, begaben stch die meisten an das Ufer. Auch der Prinz von Scilla verließ sein hohes Schloß, größere Si¬ cherheit, und mit Recht, am flachen Strande zu finden hoffend. Plötz¬ lich stürzte vom südlichen Gestade hoch her ein ganzer Berg in das Meer. Die mit schneller Gewalt vom Lande getriebenen Fluthen kehrten mit verdoppeltem Ungestüm weit überschwemmend zurück »ud rafften 1430 Menschen mit stch dahin. Einige hatten in Schifferbooten, die auf dem Strande standen, Sicherheit gesucht: mit den Booten wurden ste ergriffen, und weder eine Leiche, noch eine Planke dieser Boote ist je wieder gesehen worden. 189 So kam auch der Prinz von Scilla mit den Seinigen um; nur ein Fischerknabe ward aus diesem Boote gerettet. Eine hohe Woge muß ihn schonend ergriffen haben, denn man fand ihn betäubt auf einem Felsen, der ziemlich weit von der Scilla mit ihr einen klei¬ nen Meerbusen bildet. So groß war der Wogen Gewalt, daß ffe das steinerne Gewölbe eines Hauses sprengten; so hoch erhoben sie sich, daß eine Frau durch ein Fenster des dritten Stockwerks in eben dieses Haus hineingeworfen ward. Eine andere blieb mit den Haaren in einem hohen Maulbeerbaume hangen und ward gerettet. Eine ganze Gesellschaft erhielt das Leben, weil ihr ans Ufer gebundenes Boot zwar so hoch als daS Tau lang war, in die Höhe gehoben, aber nicht dahingeriffen ward. V. Venedig. Rom. Neapel. (Aus I. W. Goethe' s: --Italienische Reise. ») Den 29. September, Michaelistag Abends. Von Venedig ist schon so viel erzählt und gedruckt, das ich mit Beschreibung nicht umständlich sein will; ich sage nur wie es mir entgegen kommt- WaS sich mir aber vor allem Andern aufdringt, ist abermals das Volk, eine große Masse, ein nothwendigcs un¬ willkürliches Dasein. Dieses Geschlecht hat sich nicht zum Spaß auf diese Jubeln ge- siuchtet, eS war keine Willkür, welche die Folgenden trieb sich mit ihnen zu vereinigen;die Noth lehrte stcihre Sicherheit in der unoor- thcilhaftesten Lage suchen, die ihnen nachher so Vortheilhaft ward, und sie klug machte, als noch die ganze nördliche Welt im Düstern gefangen lag; ihre Vermehrung, ihr Reichthum war nothwendige Folge. Run drängten sich die Wohnungen empor und empor, Sand und Sumpf wurden durch Felsen ersetzt, die Häuser suchten die Luft, wie Bäume, die geschlossen stehen; sie mußten an Höhe zu gewinnen suchen, waS ihnen an Breite abging. Auf jede Spanne des Bodens geizig, und gleich Anfangs in enge Räume gedrängt, ließen sie zu Gassen nicht mehr Breite, als nöthig war, eine HauSreihe von der gegenüberstehenden zu trennen, und dem Bürger nothdürftige Durchgänge zu erhalten. Uebrigens war ihnen daö Wasser statt Straße, Platz und Spaziergang. Dec Venetianer mußte eine neue Art von Geschöpf werden, wie man denn auch Venedig nur mit 160 sich selbst vergleichen kann. Der große, schlangenförmig gewundene Canal weicht keiner Straße in der Welt, dem Raum vor dem Marcusplatze kann wohl nichts an die Seite gesetzt werden. Ich meine den großen Wasserspiegel, der diesseits von dem eigentlichen Venedig, im halben Mond umfaßt wird. Ueber der Wafferstäche steht man links die Insel St. Giorgio maggiore, etwas weiter rechtS die Giudecca und ihren Canal, noch weiter rechts die Do- gane und die Einfahrt in den Canal Grande, wo unS gleich ein Paar ungeheure Marmortempel entgegen leuchten. Dies stnd mit wenigen Zügen die Hauptgegenstande, die uns in die Augen fallen, wenn wir zwischen den zwei Säulen des MarcuSplatzes hervortreten. Die sämmtlichen Aus-und Anstchtcn stnd so oft in Kupfer gestochen, daß die Freunde davon stch gar leicht einen anschaulichen Begriff machen können. Nach Tische eilte ich mir erst einen Eindruck des Ganzen zu verstchcrn, und warf mich, ohne Begleiter, nur die Himmels¬ gegenden merkend, in's Labyrinth der Stadt, welche, obgleich durchaus von Canälen und Canälchen durchschnitten, durch Brük- ken und Brückchen wieder zusammenhängt. Die Enge und Ge¬ drängtheit des Ganzen denkt man nicht, ohne eS gesehen zu haben. Gewöhnlich kann man die Breite der Gasse mit ausgereckten Armen entweder ganz oder beinahe messen , in den engsten stößt man schon mit den Clbogcn an, wenn man die Hände in die Seite stemmt; es gibt wohl breitere, auch hie und da ein Plätzchen, verhälniß- mäßig aber kann AlleS enge genannt werden. Ich fand leicht den großen Canal und die Hauptbrücke Rialto; ste besteht aus einem einzigen Bogen von weißem Marmor. Von oben herunter ist es eine große Ansicht, der Canal gesäet voll Schiffe, die alles Bedürfniß vom festen Lande herbeiführen und hier hauptsächlich anlegen und ausladen; dazwischen wimmelt es von Gondeln. Besonders heute, als am Michaelisfeste, gab es einen Anblick wunderschön lebendig. Rom, den 1 November 1786. Ja ich bin endlich in dieser Hauptstadt der Welt angelangt! Wenn ich ste in guter Begleitung, angeführt von einem recht verständigen Manne, vor fünfzehn Jahren gesehn hätte, wollte ich mich glücklich preisen. Sollte ich ste aber allein, mit eignen Augen sehen und besuchen, so ist es gut, daß mir diese Freude so spät zu Thcil ward. 161 Ueöcr das Tyrolcr Gebirge bin ich gleichsam weggcflogen. Ve¬ rona, Vicenza, Padua, Venedig habe ich gut, Ferrara, Cento, Bologna süchtig, und Florenz kaum gesehen. Die Begierde nach Rom zu kommen war so groß, wuchs so sehr mit jedem Au¬ genblicke, daß kein Bleiben mehr war, und ich mich nur drei Stunden in Florenz aushielt. Nun bin ich hier und ruhig, und wie es scheint auf mein ganzes Leben beruhigt. Denn eS geht, man darf wohl sagen, ein neues Leben an, wenn man das Ganze mit Augen steht, das man theilweiw in-und auswendig kennt. Alle Träume meiner Jugend seh'ich nun lebendig; die ersten Kupferbilder, deren ich mich erinnere (mein Vater hatte die Prospekte von Rom auf einem Vorsaale aufgehängt), seh'ich nun in Wahrheit, und Alles was ich in Gemälden und Zeich¬ nungen, Kupfern und Holzschnitten, in GypS und Kork schon lange gekannt, steht nun beisammen vor mir, wohin ich gehe, stnde ich eine Bekanntschaft in einer neuen Welt; eö ist AlleS, wie ich mir' S dachte, und AlleS neu. Eben so kann ich von mei¬ nen Beobachtungen, von meinen Ideen sagen. Ich habe keinen ganz neuen Gedanken gehabt, »ichtS ganz fremd gefunden; aber die alten stnd so bestimmt, so lebendig, so zusammenhängend ge¬ worden , daß fie für neu gelten können. Da Pygmalions Clise, die er stch ganz nach seinen Wünschen geformt, und ihr so viel Wahrheit und Dasein gegeben hatte, alS der Künstler vermag, endlich auf ihn zukam und sagte: ich bin'S! wie anders war die Lebendige alS der gebildete Stein. Rom, den 7. November. Nun bin ich fieben Tage hier, und nach und nach tritt in meiner Seele der allgemeine Begriff dieser Stadt hervor. Wir gehen steißiq hin und wieder, ich mache mir die Plane deS alten und neue» Roms bekannt, betrachte die Ruinen, die Gebäude, besuche ein und die andere Villa; die größten Merkwürdigkeiten werden ganz langsam behandelt, ich thue nur die Augen auf, und seh' und geh' und komme wieder, denn man kann stch nur in Rom auf Rom vorbereiten. Gestehen wir jedoch, cS ist ein saures und trauriges Geschäft, daS alte Rom aus dem neuen herauszuklaubcn; aber man muß eS denn doch thun, und zuletzt eine unschätzbare Befriedigung hoffe«. Mau trifft Spuren einer Herrlichkeit und einer Zerstörung, die 11 162 beide Uber unsere Begriffe gehen. Was die Barbaren stehen ließen, haben die Baumeister deS neuen RomS verwüstet. Wenn man so eine Existenz ansicht, die zwei tausend Jahre und darüber alt ist, durch den Wechsel der Zeiten so mannig¬ faltig und vom Grund aus verändert, und doch noch derselbe Boden, derselbe Berg, ja oft dieselbe Säule und Mauer, und im Bolke noch die Spuren deS alten Charakters, so wird man ein Mitgcnosse der großen Rathschlüffe des Schicksals, und so wird cS dem Betrachter von Anfang schwer zu entwickeln, wie Rom auf Rom folgt, und nicht allein daS neue auf daS alte, sondern die verschiedenen Epochen des alten und neuen selbst aus einander. Ich suche nur erst selbst die halbverdeckten Punkte hcr- avSzufühlen, dann lassen sich erst die schönen Borarbeiten recht vollständig nutzen; denn seit dem fünfzehnten Jahrhundert bis auf un'ere Lage haben sich treffliche Künstler und Gelehrte mit diesen Gegenständen ihr ganzes Leben durch beschäftigt. Und dieses Ungeheure wirkt ganz ruhig auf unS ein, wenn wir in Rom hin und her eilen, um zu den höchsten Gegenstände» zu gelangen. Anderer Orten muß man daS Bedeutende aufsuchen, hier werden wir davon überdrängt und überfüllt. Wie man geht und steht, zeigt sich ein landschaftliches Bild aller Art und Weise, Paläste und Ruinen, Gärten und Wildniß, Fernen und Engen, Häuschen, Ställe, Triumphbögen und Säulen, oft alles zusammen so nah, daß eS auf ein Blatt gebracht werden könnte. Man müßte mit tausend Griffeln schreiben, was soll hier eine Feder! und dann ist man Abends müde und erschöpft vom Schauen und Staunen. FraScati, den 13. November. Die Gesellschaft ist zu Bette, und ich schreibe noch aus der Lufch-Muschel, auS welcher gezeichnet worden ist. Wir haben ein Aaar schöne, regenfreie Tage hier gehabt, warm und freundlichen Sonnenschein, daß man den Sommer nicht vermißt. Die Gegend ist sehr angenehm, der Ort liegt auf einem Hügel, vielmehr an einem Berge, und jeder Schritt bietet dem Zeichner die herrlichsten Gegenstände. Die Aussicht ist unbegränzt, man sicht Rom liegen und weiter die See, an der rechten Seite die Gebirge von Tivoli und so fort. In dieser lustigen Gegend sind Landhäuser recht zur Lust angelegt, und wie die alten Römer schon hier ihre Villen 163 hatten, so haben vor hundert Jahren und mehr, reiche und über- müthige Römer ihre Landhäuser auch auf die schönsten Flecke gcpsianzt. Zwei Tage gehn wir schon hier herum und es ist immer ctwaS Neues und Reizendes. Und Loch läßt stch kaum sagen, ob nicht die Abende noch vergnüg¬ ter als der Tag, hingchen. Sobald die stattliche Wirthin die messin¬ gene dreiarmige Lampe auf den großen runden Tisch geletzt, und lelicissiw-i nvt!e! gesagt hat, versammelt stch Alles im Kreise und legt die Blätter vor, welche den Tag über gezeichnet und skizzirt worden. Darüber spricht man, ob der Gegenstand hätte günstiger ausgenommen werden sollen, ob der Charakter getroffen ist, und wa§ solche erste allgemeine Fordernissc stnd, wovon man stch schon bei dem ersten Entwurf Rechenschaft geben kann. Hofrath Reifen- stein weiß diese Sitzungen durch seine Einstcht und Autorität zu ordnen und zu leiten. Diese löbliche Anstalt aber schreibt stch ei¬ gentlich von Philipp Hackert* her, welcher höchst geschmackvoll die wirklichen Aussichten zu zeichnen und auszuführen wußte. Künstler und Liebhaber, Männer und Frauen, Alte und Junge ließ er nicht ruhen, er munterte Jeden auf, nach seinen Gaben und Kräften stch gleichfalls zu versuchen, und ging mit gutem Beispiel vor- Diese Art, eine Gesellschaft zu versammeln und zu unterhalten, hat Hofrath Reifenstein nach der Abreise jenes Freundes treulich fortgesetzt, und wir finden wie löblich cs sei, den thätigen Antheil eines Jeden zu wecken. Die Natur und Eigenschaft der verschie¬ denen Gescllschafsglieder tritt auf eine anmuthige Weise hervor. Tischbein z. B. steht alS Historienmaler die Landschaft ganz anders an, als der Landschaftszcichner. Er findet bedeutende Gruppen und andere anmuthige vielsagende Gegenstände da, wo ein Anderer nichts gewahr würde, und so glückt eS ihm auch manchen mensch¬ lichen naiven Zug zu erhaschen, cs sei nun an Kindern, Landleuten, Bettlern und andern dergleichen Naturmenschen, oder auch an Thicren, die er mit wenigen charakteristischen Strichen gar glücklich darzustellen weiß, und dadurch der Unterhaltung immer neuen angenehmen Stoff unterlegt. Will das Gespräch ausgehen, so wird gleichfalls nach Hackerc's Vermächtniß in Sulzer's Theorie" gelesen, und wenn man gleich * Ein berühmter Landschaftsmaler " Allgemeine Theorie der schönen Künste. 164 von einem höher» Standpunkte mit diesem Werke nicht ganz zufrieden sein kann, so bemerkt man doch mit Vergnügen den guten Cinstuß auf Personen, die auf einer Mittlern Stufe der Bildung stehen- Neapel, den 6. März 4787. Obgleich ungern, doch aus treuer Geselligkeit, begleitete Tisch¬ bein mich heute auf den Vesuv. Ihm, dem bildenden Künstler, der sich nur immer mit den schönsten Menschen- und Thierformen beschäftigt, ja das Ungeformte selbst, Felsen und Landschaften, durch Sinn und Geschmack vermenschlicht, ihm wird eine solche furchtbare, ungestalte Aufhäufung, die sich immer wieder selbst verzehrt und allem Schönheitsgefühl den Krieg ankündigt, ganz abscheulich Vorkommen. Wir fuhren auf zwei Caleffen, weil wir uns als Selbstführer durch das Gewühl der Stadt nicht durchzuwindcn getrauten. Der Fahrende schreit unaufhörlich: Platz, Platz! damit Esel, Holz oder Kehricht Tragende, entgegen rollende Calesscn, lastschleppende oder frei wandelnde Menschen, Kinder und Greise sich vorsehen, ausweichen, ungehindert aber der scharfe Trab fortgesetzt werde- Der Weg durch die äußersten Vorstädte und Gärten sollte schon auf etwas PlutonischeS hindeutcn. Denn da es lange nicht geregnet, waren von dickem aschgrauen Staube die von Natur immergrünen Blätter überdeckt, alle Dächer, Gurtengestmse und was nur irgend eine Flächt bot, gleichfalls übergraut, so daß nur der herrliche blaue Himmel und die hereinscheinende mächtige Sonne ein Zeugniß gab, daß man unter den Lebendigen wandle. Am Fuße des steilen Hanges empfingen uns zwei Führer, ein älterer und ein jüngerer, beides tüchtige Leute. Der erste schleppte mich, der zweite Tischbein den Berg hinauf. Sie schleppten, sage ich: denn ein solcher Führer umgürtet sich mit einem ledernen Riemen, in welchen der Reisende greife, und hinaufwärts gezogen, sich an einem Stabe, auf seinen eigenen Füßen desto leichter emporhilft- So erlangten wir die Fläche, über welcher sich der Kcgelberg erhebt, gegen Norden die Trümmer der Somma. Ein Blick westwärts über die Gegend nahm, wie ein heilsames Bad, alle Schmerzen der Anstrengung und alle Müdigkeit hinweg, und wir umkreis' tcn nunmehr den immer qualmenden, Steine und Asche auswerfenden Kegelberg. So lange der Raum gestattete in 163 gehöriger Entfernung zu bleiben, war es' ein großes, geißerhebendeS Schauspiel. Erst ein gewaltsamer Donner, der aus dem tiefsten Schlunde hcrvortönte, sodann Steine, größere und kleinere, zu Lau¬ senden in die Luft geschleudert, von Aschcnwolken eingehüllt. Der grüßte Tcheil fiel in den Schlund zurück. Die andern nach dec Seite zu getriebenen Brocken, auf die Außenseite deS KegekS niedcrfallend, machten ein wunderbares Geräusch; erst plumpten die schwereren und hüpften mit dumpfem Getön an die Kegclseice hinab, die geringeren klapperten hinterdrein, und zuletzt rieselte die Asche nieder. Dieses alles geschah in regelmäßigen Pausen, die wir durch ein ruhiges Zählen sehr wohl abmcssen konnten. Zwischen der Somma und dem Kegelberge ward aber der Raum enge genug; schon fielen mehrere Steine um unS her und machten den Umgang unerfreulich. Tischbein fühlte ffch nunmehr auf dem Berge noch verdrießlicher, da dieses Ungethüm, nicht zufrieden häßlich zu sein, auch noch gefährlich werden wollte. Wie aber durchaus eine gegenwärtige Gefahr etwas Reizendes hat und den Widerspruchsgeist im Menschen aufsordert ihr zu trotzen , so bedachte ich, daß es möglich sein müsse in der Zwischen¬ zeit von zwei Eruptionen, den Kegelberg hinauf an den Schlund zu gelangen, und auch in diesem Zeitraum den Rückweg zu gewinnen. Ich rathschlagte darüber mit den Führern unter einem übcrhän- genden Felsen der Somma, wo wir, in Sicherheit gelagert, unS an den mitgcbrachten Vorräthcn erquickten. Der jüngere getraute sich LaS Wagestück mit mir zu bestehen; unsere Hutküpfe fütterten wir mit leinenen und seidenen Tüchern, wir stellte» unS bereit, die Stäbe in der Hand, ich seinen Gürtel fassend. Noch klapperten die kleinen Steine um uns herum, noch rieselte die Asche, als der rüstige Jüngling mich schon über das glühende Gerolle hinaufriß. Hier standen wir an dem ungeheuren Rachen, dessen Ranch eine lene Luft von unS ablcnkte, aber zugleich das Innere des Schlundes verhüllte, der ringsum auS tausend Ritzen dampfte. Durch einen Zwischenraum des QualmcS erblickte man hie und da geborstene Fellcnwände.Der Anblick war weder unterrichtend noch erfreulich; aber eben deßwcgen weil man nichts sah, verweilte man um etwas heraus zu sehen. Das ruhige Zählen ward versäumt; wir standen auf einem scharfen Rande vor dem Ungeheuern Ab¬ grund. Auf einmal erscholl der Donner, die furchtbare Ladung stog an unS vorbei, wir duckten uns unwillkürlich, als wen» 466 unS das vor den niedecstürzenden Massen gerettet hätte; die klei¬ neren Steine klapperten schon, und wir, ohne zu bedenken, daß wir abermals eine Paule vor unS hatten, froh die Gefahr über¬ standen zu haben, kamen mit der noch rieselnden Asche am Fuße LeS KegelS an, Hüte und Schultern genugsam eingeäschert. Von Tischbein aufS freundlichste empfangen, gescholten und erquickt, konnte ich nun den älteren und neueren Laven eine be¬ sondere Aufmerksamkeit widmen. Der betagte Führer wußte genau die Jahrgänge zu bezeichnen. Aeltcre waren schon mit Asche bedeckt und ausgeglichen; neuere, besonders die langsam gestossenen, boten einen seltsamen Anblick: denn indem sic, fortschlcichcnd, die auf ihrer Oberstäche erstarrten Massen eine Zeit lang mit sich hin¬ schleppen, so muß es doch begegnen, daß diese von Zeit zu Zeit stocken, aber, von den Gluthströmen noch fortbewegt, übereinander geschoben wunderbar zackig erstarrt verharren, seltsamer als im ähnlichen Fall die über einander getriebenen Eisschollen. Unter diesem geschmolzenen wüsten Wesen fanden sich auch große Blocke, welche angeschlagen, auf dem frischen Bruch einer UrgebirgSart völlig ähnlich sehen. Die Führer behaupteten, eS seien alte Laven dcS tiefsten Grundes, welche der Berg manchmal auSwcrfe. VI. Palermo. (AuS Fried. Münter 'S: »Nachrichten von Neapel und Sicilien. ») Palermo hat in seinem Bezirk keine beträchtlichen Uebcrbleilssel auS dem Alterthum. Erdbeben, die Herrschaft der Saraccnen und Spanier haben allcS vernichtet, was übrig geblieben sein könnte, und waS etwa hie und da noch zu finden wäre, kann bei so vielen andern großen Denkmalen der Vorzeit in den übrigen Theilen SicilicnS gar nicht in Betrachtung kommen. Man weiß nur, daß dort zwei berühmte Tempel gewesen sind: der eine dem Jupiter, und der andre dem Herkules heilig, wovon nicht die geringste Spur mehr ist; und ein Theater, daS erst im 16. Jahrhundert nieder- gerissen wurde, als man den Schloßplatz vergrößern wollte. Es kann also nur daS jetzige Palermo den aufmerksamen Reisenden interessiren.- Die Stadt liegt in einer sich gegen das Meer herabsenkcndcn Ebene, die voy hohen und steilen' Bergen umgeben ist. ES ist 187 wahrscheinlich, daß diese Berge in den ältesten Zeiten das BolKverk gegen die See gewesen sind, und daß die Ebene, wo jetzt Palermo steht, ein späterer Absatz des Meeres ist, daß sich in dieser Gegend der mittelländischen See zurückgezogen zu haben scheint. Der Hafen geht tief ins Land mit einer schmalen Mündung, und wird durch zwei Crdzungen gebildet, wovon die eine sich mit einem Berge endiget, und die andere ganz bergicht ist. Auf der linken Seite deS HafcnS steht ein ungeheurer steiler Felsen, vier italienische Meilen im Umkreise, der bei den Alten mons Lisi» hieß, und dessen Spitze im ersten panischen Kriege von Hamilear stark befestiget wurde. Jetzt heißt er Monte Pcllegrino, und hat nichts SchenS- werthes als eine in den Felsen gehauene Kirche, worin die heilige Rosalia, die Schutzheilige der Palermitaner, begraben liegt. Palermo ist sehr groß, und sehr regelmäßig gebaut. CS wird durch zwei gerade Straßen, die sich im Mittelpunkt der Stadt durchschneidcn, in vier gleich große T-Heile getheilt- Diese beiden Straßen sind breit, hell, und völlig nach der Schnur gcbauet, so daß man, wenn man in dem Octogon steht, das von vier Palästen gerade da, wo die beiden Straßen Zusammenstößen, gebildet wird, die Aussicht noch allen Hauptchoren der Stadt hat. In beiden Straßen sind große und zum Thcil schöne Gebäude; selbst viele von den kleineren Seitengassen sind regelmäßig angelegt. Uebcrall sind Springbrunnen, Inschriften und Statuen, die zum Andenken von Heiligen oder sicilianischen Fürsten errichtet worden. Klöster und Kirchen findet man in großer Anzahl, und sie sind mit un¬ glaublicher Pracht an kostbarem Marmor, Porphyr, Lapis Lazuli ii. s. w. überladen. Selbst der Fußboden in vielen Kirchen ist mit Mosaik ausgelegt, und der größte Lupus herrscht in den Altären, wovon einige ungeheure Summen gekostet haben müssen. Dem- ungeachtet findet ein Auge, das an die edle römnche Simplicität, und an die Majestät gewöhnt ist, die in den alten und neuen Gebäuden Roms herrscht, kein Vergnügen an der Betrachtung dieser ermüdenden Pracht; so wenig als an den andern Monu¬ menten, die auf den öffentlichen Plätzen der Stadt zerstreut stehen. Die Paläste sind zum Tcheil lehr bequem gebauet. Die Verbindung mit Frankreich bringt die französischen Moden sehr frühe von Paris nach Palermo, und viele vermögende Edelleute haben schon ihre Paläste, und noch mehr ihre Landhäuser »ach dem neueste» französischen Geschmack eingerichtet- An dem einen 168 Ende der Stadt steht daS alte königliche Schloß, ein nach und nach von den Saracene», Normannen, und übrigen Beherrschern SicilienS zusammengebauteS, unregelmäßiges aber ungeheuer großes Gebäude. DaS Merkwürdigste in diesem Schlosse ist eine lange dunkle Kapelle, die König Roger gebaut haben soll. Sie ist überall, sogar an den Wänden, mit Mosaik von verschiedenen Marmorarten eingelegt, und hat einen erhöhten Chor und Altar, wie man ste in allen griechische» Kirchen findet. Die Kathedralkirchc, die in der Nähe deS Schlosses steht, ist ebenfalls sehr alt und außerordentlich groß. Sie wurde gerade reparirt, alS ich in Palermo war, so daß ich ste fast ganz aufgeräumt fand. DaS Wichtigste, waS in dieser Kirche gezeigt wird, sind vier Sarkophagen von sehr schönem Porphyr, mit den Leichen einiger siciliani'chen Könige. Als man ste im Jahr 1784 öffnete, sand man beide Constantien (Fried¬ richs des II. Mutter und Gemahlin), Kaiser Heinrich VI., Friedrich II. und Friedrich von Arragonicn darin. Kaiser Fried¬ richs Körper war ganz unverweset, und cS fehlte bloß ein kleines Stück von der Nase. Er war in seinem völligen kaiserli¬ chen Ornat gekleidet, sein Pallium war mit arabischen Inschriften in Gold gestickt (eben wie daS kaiserliche Pallium in Nürnberg), und sein ganzes Gesicht war so kenntlich, daß man ihn genau zeichnen konnte. AlleS wurde abgezeichnct, die Särge darauf wieder zugemacht, und der königliche Historiograph für Neapel, Don FranccSco Daniele, gab in Neapel 1786 eine Beschreibung davon mit vielen Kupfern, unter dem Titel: I reali Sexolcri äi kslermo, in Folio heraus. VII. SyrakuS. (AuS I. G. Seume'S: » Spaziergang nach SyrakuS. ») Jetzt sitze ich hier und lese den Theokrit in se-ner Vaterstadt. Ich wollte, du wärest bei mir und wir konnten daS Vergnügen theilen, so würde eS größer werden. Mein eigenes Exemplar hatte ich. um ganz leicht zu sein, auS Unachtsamkeit mit in Palermo gelassen, bat mir ihn aEo von Landolina auS. Dieser gab mir mit vieler Artigkeit die AuSgabc eines' Deutschen, unsers Stroth: und dieses nämliche Exemplar war ein Geschenk von Stroth an Münter und von Müntcr an Landolina, und ich laS nun darin an der Arcthnsa. Der Jdecngang hat etwas Magisches. — j KS Auch heute komme ich do» einem Spaziergange mit Landolina zurück. Wir waren nur in der Nähe, in der alten NeapoliS, die aber wirklich daS Interessanteste der alten Ucbcrreste enthält. Die Anti¬ quare stnddem unermüdlichen patriotischen Eifer Landolina'S unend¬ lich viel schuldig. Er hat eine Menge Säulen des alten Forums wieder aufgcfunden, welche die Lage desselben genauer bestimmen. Es lag natürlich gleich an dem Hafen, und besteht jetzt meistens auS Gärten und einem offenen Platze gleich vor dem jetzigen einzigen Landthore. Etwas rechts weiter hinauf hat Landolina das Römische Amphitheater besser aufgeräumt und hier und da Corridore zu Tage gefördert, die jetzt zu Mauleseleien dienen. Die Römer trugen ihre blutigen Schauspiele überall hin. Die Arena gibt jetzt einen schönen Garten mit der üppigsten Vegetation. Weiter rechts hinauf ist das alte große griechische Theater, fast rund herum in Fellen gehauen. Rechts, wo der natürliche Felsen nicht weit genug hinaus reichte, war etwas angebaut, und dort hat es natürlich am meisten gelitten. Die Inschrift, über deren Echtheit und Alter man stch zankt, ist jetzt »och ziemlich deutlich zu lesen- Es läßt stch viel dawider sagen, und ste beweist weiter nichts, als die Existenz einer Königin Philistis, von welcher auch Münzen vorhanden sind, von der aber die Geschichte weiter nichts sagt- Die Wasserleitung geht nahe am Theater weg; vermuthlich brachte ste ehemals auch das Wasser hinein. Die Leute waren etwas nachlässig gewesen, so daß ein Zug Wasser gerade auf den Stein mit der Inschrift stoß, die etwas mit Gesträuchen über¬ wachsen war. Landolina gcrieth darüber billig in heftigen Unwillen, schalt den Müller und ließ es auf der Stelle abändern. Gegenüber steht eine Kapelle an dem Orte, wo Cicero das Grab des ArchimedeS gefunden haben will. Wir fanden freilich nichts mehr: aber es ist doch schon ein eignes Gefühl, daß wir es finden würden, wenn cs noch da wäre, und daß vermuthlich in dieser kleinen Peripherie der große Mann begraben liegt. Nun gingen wir durch den Begräbnißwcg hinauf und oben rechts herum auf der Fläche von Neapolis fort. CS würde zu weitläufig werden, wenn ich dir alle die verschiedenen Gestalten der kleinen und größer» Begräbnißkammern beschreiben wollte. Wir gingen zu den Latomicn, und zwar zu dem berüchtigten Ohre des Dionystus. Akustisch genug ist cs auSqehauen, und man hat ihm nicht ohne Grund diesen Namen gegeben. Ein Blättchen Papier, das man am Eingänge zerreißt, macht ein betäubendes Geräusch, und wenn man stark in die Hand klatscht, gibt cS einen Knall wie einen 170 Büchsenschuß, nur etwas dumpfer. Wir wandelten durch die ganze Tiefe und darin hin und her. Landolina zeigte mir vorzüglich di- Art wie cs auSgehauen war, die ich dir aber als Laie nicht mechanisch genau beschreiben kann. Man hob sich von unten hinauf auf Ge¬ rüsten, wovon man noch die Vertiefungen in dem Felsen sieht, und erhielt dadurch eine Höhlung von einem etwas schneckenförmigen Gang, der ihm wohl vorzüglich die lange Dauer gesichert hat. Bei Neapel habe ich, wenn ich nicht irre, etwas AchnlicheS in Len Stcin- gruben deS Posilippo bemerkt. Nirgends ist aber die Methode w vollendet ausgearbeitet, wie hier in diesem Ohre. Ob Dionysius dasselbe habe hauen lassen, ließe sich noch bezweifeln, obgleich Cicero der Meinung zu sein scheint; aber daß er es zu einem Gefängnisse habe einrichcen lassen, hat wohl seine Richtigkeit. Cicero nennt eS einen schrecklichen Kerker. Hin und wieder sieht man noch Ringe m dem Felsen, in der Höhe und an dem Boden, und auch einige durchbrochene Höhlungen, in denen Ringe gewesen sein mögen. Diese gelten für Maschinen, die Gefangenen anzuschließen. Wer kann darüber etwas bestimmen? Oben am Eingänge ist daS Käm¬ merchen, welches ehemals für das Lauscheplatzchen deS DionysiuS galt- ES gehört jetzt viel Maschinerie dazu, von unten hinauf oder von oben herab dahin zu kommen. Ich bin also nicht darin gewesen. Landolina erklärt daS Ganze für eine Fabel, die TzetzeS zuerst erzählt habe. DielcS Behältniß hat durch Erdbeben sehr gelitten; an der tiefen Höhle selbst aber, oder an dem eigentli¬ chen Ohre, ist kein Schaden geschehen. Gleich an dem Eingang hat Landolina eine eingestürzte Treppe entdeckt, die er mir zeigte. Die Stufen in den zMammengestürzten Fclsenstückcn sind zu deut¬ lich; und eS läßt sich wohl etwas anders nicht daraus machen als eine Treppe. Man nimmt an, diele habe durch einen ver¬ deckten Gang in das Gefängniß geführt, durch welche der Tyrann selbst Gefangene von Bedeutung hierher brachte. Mit dem Dich¬ ter, der seine Verse mcht loben wollte, wird er wohl nicht so viel Umstände gemacht haben- Landolina sagte mir, er habe sich vor einigen Jahren Lurch Maschinen mit einigen Engländern in das obere kleine Behältniß bringen lassen und eine Menge Experi¬ mente gemacht; man höre aber »ichtS alS ein verworrenes LumpfeS Geräusch. VIII. Das Kreuz des Südens. 171 (Ans der: „ Reise in die Aequinoctialge g enden des neuen Continents », von F. H. Aler. Humboldt.) Nichts gleicht der Schönheit und Milde des Klimas in der Aequinoctialgegend des Oceans. Wahrend der regelmäßige Wind stark wehte, hielt fich der Wärmemesser den Lag über auf 23 und 24 Graden, und während der Nacht zwischen 22 und 22,8 Graden. Um allen Reiz dieser glücklichen dem Aequator nahen Gegenden vollkommen zu empfinden, muß man in einer sehr rauhen Jahreszeit die Reise von Acapulco oder von den Küsten von Chili nach Europa gemacht haben. Welcher Contrast zwischen den stür¬ mischen Meeren der nördlichen Breiten und diesen Gegenden, wo die Ruhe der Natur niemals gestört wird! Wenn die Rückkehr von Mexico oder von dem südlichen Amerika nach den Küsten von Spanien eben so schnell und angenehm wäre als die Ucberkahrt von dem alten in den neuen Contincnt . so würde die Zahl der Europäer, welche stch in den Colonien niedergelassen haben, weit unbeträchtlicher sein alS wir es gegenwärtig scfien. DaS Meer, welches die Azorischcn und Bcrmudischcn Inseln umströmt, und welches man durchschifft, wenn man in hohen Breiten nach Europa zurückkehrt, wird von den Spaniern durch die sonderbare Benen¬ nung Golfo de las AeguaS (Golf der Lastchiere) bezeichnet. Die Colonisten, welche nicht an das Meer gewöhnt sind, und welche lange Zeit abgesondert in den Wäldern von Guiana, in den Sa- vanen von Caracas oder auf den Cordilleren von Peru gelebt haben, fürchten die Nähe der Bcrmudischcn Inseln mehr als die Cinwohncr von Lima heut' zu Tage die Fahrt ums Cap Horn. Sie übertreiben sich die Gefahr einer Schifffahrt, welche nur im Winter gefährlich ist. Sic verschieben von Jahr zu Jahr die Ausführung eines Vorhabens, welches ihnen gewagt scheint, und sehr oft überrascht sie der Lod mitten unter den Zubereitungen, welche sie zu ihrer Rückkehr machen. Seit wir in die heiße Zone eingetrcten waren, konnten wir jede Nacht die Schönheit des südlichen Himmels nicht genugsam bewundern, welcher in dem Maß, alS wir nach Süden vorrücktett, neue Sternbilder unsern Augen entfaltete- Man hat ein wun¬ derbar bekanntes Gefühl, wenn man bei der Annäherung gegen 172 den Aequator, und besonders wenn man von der einen Hemisphäre in die andere übergeht, allmälich die Sterne niederer werden und zuletzt verschwinden sieht, welche man von seiner ersten Kindheit an kennt. Nichts erinnert einen Reisenden lebhafter an die uner¬ meßliche Entfernung scineS Vaterlandes als der Anblick cineS neuen HimmelS. Die Gruppirung der großen Sterne, einige zerstreute Nebelstcrnc, welche an Glanz mit der Milchstraße wetteifern, und Räume, welche durch eine außerordentliche Schwärze ausgezeichnet find, geben dem südlichen Himmel eine eigenthümliche Physiogno¬ mie- DieseS Schauspiel setzt selbst die Einbildungskraft Derjenigen in Bewegung, welche ohne Unterricht in den Hähern Wissenschaften daS Himmelsgewölbe gern betrachten, wie man eine schöne Land¬ schaft oder eine majestätische Aussicht bewundert. Man hat nicht nöthig Botaniker zu sein, um die heiße Zone bei dem bloßen Anblicke der Vegetation zu erkennen; ohne Kenntniß in der Astro¬ nomie erlangt zu haben, ohne mit den Himmelscharten von Flam- strad und la Caille vertraut zu sein, fühlt man, daß man nicht in Europa ist, wenn man daS ungeheure Sternbild deS SchissS oder die phoSphoreScirenden Wolken MagellanS am Horizont aufstcigen steht. Die Erde und der Himmel, alleS nimmt in der Aequinoctialgegend einen exotischen Charakter an. Die. niedern Gegenden der Luft waren seit einigen Tagen mit Dämpfen angcschwängert. Wir sahen erst in der Nacht vom 4rcn zum 8tcn JuliuS, im löten Grad der Breite daS Kreuz deS Südens zum ersten Mal deutlich; eS war stark geneigt und erschien von Zeit zu Zeit zwischen Wolken, deren Mittelpunkt von dem Wetterleuchten gefurcht ein silberfarbener- Licht zuriickwarf. Wenn eS einem Reisenden erlaubt ist von seinen persönlichen Rührungen zu reden, so setze ich hinzu, daß ich in dieser Nacht einen der Träume meiner ersten Jugend in Erfüllung gehen sah. Wenn man anfängt, den Blick auf geographische Charten zu heften und die Beschreibungen der Ressenden zu lesen, so fühlt man eine Art von Vorliebe für gewisse Länder und Klimata, von welcher man sich in einem höheren Alter nicht wohl Rechenschaft geben kann. Diese Eindrücke haben einen merkbaren Einstuß auf unsere Entschlüsse, und wir suchen unS wie instinktmäßig mit den Ge¬ genständen in Beziehung zu setzen, welche seit langer Zeit einen geheimen Reiz für unS hatten. In einer Epoche, wo ich den Himmel studirte, nicht um mich der Astronomie zu widmen, 473 sondern um die Sterne kennen zu lernen, wurde ich von einer Furcht in Bewegung gesetzt, welche Denjenigen unbekannt ist, die eine sitzende Lebensart lieben. Cs schien mir schmerzhaft, der Hoffnung zu entsagen, die schönen Sternbilder zu sehen, welche in der Nähe des Südpols liegen. Ungeduldig, die Gegenden deS AequatorS zu durchwandern, konnte ich die Augen nicht gegen daS gestirnte Gewölbe des Himmels erheben, ohne an das Kreuz deS Südens zu denken nnd ohne mir die erhabene Stelle des Danke mS Gedächtniß zurückzurufen, welche die berühmtesten Commcn- tatoren auf dieses Sternbild bezogen haben *. Die Befriedigung, welche wir bei der Entdeckung diews Kreuzes deS Südens empfanden, wurde lebhaft von denjenigen Personen der Schiffsmannschaft gethcilt, welche die Colonien bewohnt hatten. In der Einsamkeit der Meere grüßt man einen Stern wie einen Freund, von dem man lange Zeit getrennt war. Bei den Portugiesen und Spaniern scheinen noch besondere Gründe dieses Jntercffc zu vermehren: ein religiöses Gefühl macht ihnen ein Sternbild lieb, dessen Form ihnen das Zeichen des Glaubens inS Gedächtniß ruft, welches von ihren Vorältcrn in den Wüsten der neuen Welt aufgeflanzt wurde. IX. Die Ruine von Karnak in Aegypten. mi volsi a men ckesle», e ^x,si Meute ^Il'allio polo, s vi
  • Herr Gott, dich loben wir. » Ich habe noch mehrere von un¬ fern besten und am häufigsten gesungenen Liedern verändert, nicht umgearbeitet. Ich werde Ihnen bald einige Stucke, sowohl von meinen eigenen, als von den veränderten, äbcrschicken, Ich empfehle Sie alle der Vorsehung unseres GotteS! V. Klopstock an seine Mutter- Kopenhagen, den 16. November 1786. Wie sehr uns die Nachricht von unserS so theuren, geliebten, seligen VaterS Tode gerührt hat, können Sie sich verstellen. Wir danken Ihnen, daß Sie durch Gisekcn haben an Cramer schreiben lassen. ES war unS sehr nöthig, daß wir sie nicht durch eine» schwarzen Brief empfingen. Cs war am Sonnabend, daß uns Cra¬ mer davon sagte, und am Sonntage bekamen wir Ihren Brief. Ich will unsere Wunde nicht weiter aufrcißcn. Unser Gott hat eS so gewollt. Sein Name sei gelobt, daß er unserm theuren Vater ein so schönes Ende gegeben hat! Er ist nun viel glück¬ seliger, als wir! — Der Name des Herrn sei gelobt! Sobald es Ihnen Ihr Schmerz zuläßt, liebste Mama! w schreiben Sie mir doch noch umständlicher von unserS theuren, seligen VaterS Krankheit und Tode. Meine lieben Geschwister, die beiden Kleinen nicht ausgenommen, sollen dieses auch, ein jeder besonders, thun. Es ist gut, daß wir unS insgesammt mit dielen Vorstellungen unterhalten; denn es ist überhaupt Nichts heilsamer, als öftere TodeSbetrachtungen. — Wenn ich mir eine umständ¬ lichere Nachricht auSbittc, lo verstehe ich sogar die kleinste» Um- 183 stände, die Ihnen nur einfallen, darunter. Ich will Ihnen einige kleinere und größere anzeigen. — In welcher Stube oder Kammer ist er gestorben? Wer war nach Ihnen in seiner Krankheit am meisten zugegen ? Glaubte er vom Anfänge des BlutsturzeS an, daß er daran sterben wurde? Und wenn er es nicht gleich Anfangs glaubte, wann fing er an, eS zu glauben? Cr erinnerte sich gewiß seiner abwesenden Kinder, die ihn so sehr geliebt haben und noch lieben; auf welche Art, mit welchen Worten that er eS? — Ich hoffe zu Gott, daß wir so leben werden, daß der Segen seines Gebets auf unS ruhen wird. Mein Schmerz ist zwar durch die Gnade Gottes ruhig; aber er wird lange dauern- Ich habe ihn sehr, sehr geliebt! Ich habe viel an meine selige Großmutter, die mich zuerst in der Religion un¬ terrichtet hat, und an den seligen Johann Christian * gedacht. Nun find diese drei, von mir so sehr Geliebten, in der Ruhe der Ewigkeit bei einander. VI. Lessing an Gleim. Berlin, den 6. September 1788. Ach, liebster Freund, es ist leider wahr. Cr ist todt. **. Wir haben ihn gehabt. Er ist in dem Hause und in den Armen des Professors Nicolai gestorben. Er ist beständig, auch unter den größten Schmerzen, gelassen und heiter gewesen. Cr hat sehr verlangt, seine Freunde noch zu sehen. Wäre es doch möglich gewesen! Meine Traurigkeit über diesen Fall ist eine sehr wilde Traurigkeit. Ich verlange zwar nicht, daß die Kugeln einen än¬ dern Weg nehmen sollen, weil ein ehrlicher Mann dasteht. Aber ich verlange, daß der ehrliche Mann — Sehen Sie, manchmal verleitet mich der Schmerz, auf den Mann selbst zu zürnen, den cr angeht. Cr hatte schon drei, vier Wunden, warum ging er nicht? Cs haben sich Generale mit wenigem und kleinern Wunden unschimpßich bei Seite gemacht- Er hat sterben wollen. Vergeben Sie mir, wenn ich ihm zu viel thue- Er wäre auch an der letzten * Vermuthlich Klopstochs Großvater. ** Der Dichter Ew. CH. von Kleist, Verfasser des » Frühlings «, starb als Major am 24. Aug. 1788 z» Frankfurta, d. Oder an den Folgen der in der Schlacht bei Kunersdorf erhaltenen Wunden. 184 Wunde nicht gestorben, sagt man: aber er ist versäumt worden. Versäumt worden! Ich weiß nicht, gegen wen ich rasen soll? Die Elenden, die ihn versäumt haben! — Ich muß abbrechen. Der Professor wird Ihnen ohne Zweifel geschrieben haben. Er hat ihm eine Standrede gehalten. Ein An¬ derer, ich weiß nicht wer, hat auch ein Trauergedicht auf ihn gemacht. Sie müssen nicht viel an Kleist verloren haben, die das itzt im Stande waren! Der Professor will seine Rede drucken lassen, und sie ist so elend! Ich weiß gewiß, Kleist hatte lieber eine Wunde mehr mit ins Grab genommen, als sich solches Zeug nachschwatzen lassen. Hat ein Professor wohl ein Herz? Er verlangt itzt auch von mir und Ramler Verse, die er mit seiner Rede zugleich will drucken lassen. Wenn er eben das auch von Ihnen verlangt hat, und Sie erfüllen sein Verlangen! — Liebster Gleim, das müssen Sie nicht thun- Sic empfinden itzt mehr, als daß Sie, waS Sie empfinden, sagen könnten. Ihnen ist cs auch nicht, wie einem Professor, gleich viel, was Sie sagen, und wie Sie cs sagen. — Leben Sie wohl. Ich werde Ihnen mehr schreiben, wenn ich werde ruhig sein, Ihr ergebenster Lessing. vil. Schiller an Goethe. Hochwohlgeborncr Herr, Hochzuverehrender Herr Geheimer Rath! Beiliegendes Blatt enthält den Wunsch einer Sie unbegränzt hochschätzenden Gesellschaft, die Zeitschrift*, von der die Rede ist, mir Ihren Beiträgen zu beehren, über deren Rang und Werth nur Eine Stimme unter uns sein kann. Der Entschluß Eurer Hochwohlgeboren, diese Unternehmung durch Ihren Beitritt zu unterstütze», wird für den glücklichen Erfolg derselben entscheidend sein, und mit größter Bereitwilligkeit unterwerfen wir uns allen Bedingungen, unter welchen Sie unS denselben zusagen wollen. Hier in Jena haben sich die Herren Fichte, Weltmann und von Humboldt zur Herausgabe dieser Zeitschrift vereinigt, und da einer nothwendigen Einrichtung gemäß über alle einlaufenden Die Horen. 188 Manmcripte die Urtheile eines engeren Ausschusses cingeholt werden sollen, so würden Ew. Hochwohlgeboren uns unendlich verpflichten, wenn Sie erlauben wollten , daß Ihnen zu Zeiten eines der eingc- sandtcn Manuskripte dürfte zur Beurtheilung vorgelcgt werden. Je großer und naher der Antheil ist, dessen Sie unsere Unter¬ nehmungen würdigen, desto mehr wird der Werth derselben bei demjenigen Publicum steigen, dessen Beifall un§ der wichtigste ist. Hochachtungsvoll verharre ich Eurer Hochwohlgeboren gehorsamster Diener und aufrichtigster Verehrer Jena, de» 13. Juni 1794. Fr. Schiller. VIII. Goethe an Schiller. Cure Wohlgeboren Eröffne» mir eine doppelt angenehme Aussicht, sowohl auf die Zeitschrift, welche Sie herauszugcben gedenken, als auf die Teil¬ nahme, zu der Sie mich einladen. Ich werde mit Freuden und mit ganzem Herzen von der Gesellschaft sein. Sollte unter mei¬ nen ungedruckten Sachen sich etwas finden, daS zu einer solchen Sammlung zweckmäßig wäre, so theile ich eS gern mit; gewiß aber wird eine nähere, Verbindung mit so wackern Männern als die Unternehmer sind, Manches, das bei mir inS Stocken gcrathen ist, wieder in einen lebhaften Gang bringen. Schon eine sehr interessante Unterhaltung wird es werden, sich über die Grundsätze zu vereinigen, nach welchen man die cinge- sendeten Schriften zu prüfen hat, wie über Gehalt und Form zu wachen, um diese Zeitschrift vor andern auszuzcichncn, und fie bei ihre» Vorzügen wenigstens eine Reihe von Jahren zu erhalten. Ich hoffe bald mündlich hierüber zu sprechen und empfehle mich Ihnen und Ihren geschätzten Mitarbeitern auf' 6 beste. Goethe. Weimar, den 24. Juni 1794. ix. Goethe an Schiller. Nach einer vierzehntägigcn Abwesenheit bin ich glücklich wieder zurückgckommen, war mit meiner Reise sehr wohl zusriede», auf 186 der mir manches Angenehme und nichts Unangenehmes begegnet ist. Ich habe viel davon zu erzählen, und werde, so bald ich nur wieder hier ein wenig Ordnung gemacht, wenn es auch nur auf Einen'Tag ist, zu Ihnen hinüber kommen. Leider kann ich nicht sogleich, so sehr ich auch wünschte, Herrn Oberbergrath Humboldt noch zu sprechen. Grüßen Sie beide Brüder auf' s beste und schönste, und sagen Sie, daß ich sogleich Anstalt machen werde, die ver¬ zeichneten Bücher Herrn Gentz zu verschaffen. Ich verlange sehr, Sie wieder zu sehen, denn ich bin bald in dem Zustande, daß ich vor lauter Materie nicht mehr schreiben kann, bis wir unS wie- Lergesehen und recht ausgeschwätzt haben. Poetisches hat mir die Reise nichts eingetragen, als daß ich den Schluß meines epischen GedichtS * vollkommen schematiffrt habe. Schreiben Sie mir, waS Ihnen die Muse indessen gegönnt hat. Grüßen Sie Ihre liebe Frau, und sagen Sie mir, wie die Kleinen ßäi befinden. Goethe. Weimar, den 11. Jänner 17S7. X. Schiller an Goethe. Eben bekomme ich Ihren lieben Brief, der mich mit der Nach¬ richt von Ihrer Zurückkunft herzlich erfreut. Diese Zeit Ihrer Abwesenheit von Jena währte mir umbeschreiblich lange: wiewohl es mir gar nicht an Umgang fehlte, so hat eS mir doch gerade an der nöthigsten Stärkung bei meinem Geschäft gemangelt. Kommen Sie ja so bald Sie können. Ich zwar habe nicht viel gesammelt, was ich mittheilcn könnte; desto begieriger aber und bedürftiger werde ich AlleS aufnehmen, waS ich von Ihnen hören kann. Wir find alle so wohl wie wir zu sein pßegcn; unthätig bin ich gar nicht gewesen, wiewohl in diesen drückenden, düster» Wintcrtagen Alles später reift, und die rechte Gestalt fich schwerer findet- Indessen sehe ich doch in's Helle, und mein Stoff unter¬ wirft sich mir immer mehr. Die erste Bedingung eines glücklichen Fortgangs meiner Arbeit ist eine leichtere Luft und Bewegung; Hermann und Dorothea. 187 ich bin daher entschlossen , mit den ersten Regungen des Frühjahre den Ort zu verändern und mir, wo möglich, in Weimar ein Gartenhaus, wo heizbare Zimmer sind, auszusuchen. Das ist mir jetzt ein dringendes Bcdürfniß, und kann ich dielen Zweck zugleich mit einer größer» und leichtern Comunication mit Ihnen verei¬ nigen, so find vor der Hand meine Wünsche erfüllt. Ich denke wohl, daß es gehen wird. Wir umarmen Sie alle herzlich. Schiller. Jena, den 11. Januar 1797. Xi. Schiller an den Herzog von Weimar. Durchlauchtigster Herzog, Gnädigster Fürst und Herr! Die wenigen Wochen meines Aufenthalts zu Weimar und in der größten Nähe Eurer Durchlaucht im letzten Winter und Frühjahr haben einen so belebenden Einfluß auf meine Geistesstimmung geäußert, daß ich die Leere und den Mangel jedes Kunstgenusses und jeder Mittheilung , die hier in Jena mein Loos sind, doppelt lebhaft empfinde. So lange ich mich mit Philosophie beschäftigte, fand ich mich hier vollkommen an meinem Platz; nunmehr aber, da meine Neigung und meine verbesserte Gesundheit mich mit neuem Eifer zur Poesie zurückgeführt haben, finde ich mich hier wie in eine Wüste versetzt- Ein Platz, wo nur die Gelehrsamkeit , und vorzüglich die metaphysische im Schwange geht, ist den Dichtern nicht günstig; diese haben von jeher nur unter dem Einfluß der Künste und eines geistreichen Umgangs' gedeihen können. Da zugleich meine dramatischen Beschäftigungen mir die Anschauung des Theaters zum nächsten Bedürfniß machen und ich von dem glücklichen Einfluß desselben auf meine Arbeiten vollkommen über¬ zeugt bin, so hat alles dieS ein lebhaftes Verlangen in mir erweckt, künftighin die Wintermonate in Weimar zuzubringen. Indem ich aber dieses Vorhaben mit meinen ökonomischen Mitteln vergleiche, finde ich, daß cS über meine Kräfte geht, die Kosten einer doppelten Einrichtung und den erhöhten Preis der meisten Nothwendigkeiten in Weimar zu erschwingen. In dieser Verlegenheit wage ich cS, meine Zuflucht unmittelbar zu 188 der Gnade Eurer Durchlaucht zu nehmen, und ich wage es mit um so größerem Vertrauen, da ich mich in Ansehung der Gründe, die mich zu dieser Ortsveränderung antreiben, Ihrer höchsteigenen, gnädigsten Beistimmung versichert halten darf. Cs ist der Wunsch, der mich antreibt, Ihnen selbst, gnädigster Herr, und den durchlauchtigsten Herzogincn näher zu sein, und mich durch das lebhafte Streben nach Ihrem Beifall, in meiner Kunst selbst vollkommener zu machen, ja vielleicht etwas Weniges zu Ihrer eigenen Erheiterung dadurch beizutragen. Da ich mich in der Hauptsache auf die Früchte meines Fleißes verlassen kann, und meine Absicht keineswegs ist, darin nachzulassen, sondern meine Thätigkeit vielmehr zu verdoppeln, so wage ich die unterhänigste Bitte an Cure Durchlaucht, mir die Kosten¬ vermehrung, welche mir durch die TranSlocation nach Weimar »nd eine zweifache Einrichtung jährlich zuwächst, durch eine Ver¬ mehrung meines Gehaltes gnädigst zu erleichtern. Der ich in tiefster Devotion ersterbe Eurer Herzoglichen Durchlaucht, meines gnädigsten Herrn unterthänigst treugehorsamster Jena, den 1. September 1799. Fr. Schiller. xn. Gcntz an Johannes von Müller. Berlin, den 4. März 1799. Cure Hochwohlgeboren vergebe» es mir gewiß, wenn ich mich ohne umständliche Curialien Ihnen nähere. ES st der große Mann, eS ist der eminente Schriftsteller, an den ich meine Worte richte. Rach der nicht geringen Kühnheit, Ihnen mit einem Produkte gerade unter die Augen zu treten, ist überdies kein Schritt, den ich thun könnte, mehr kühn zu nennen. Ich fühle meine Unvollkommenheit und meine Schwäche na¬ türlich nie lebhafter, als wenn ich ein hervorragendes Genie, einen der wenigen Meister, die Deutschland aufzuweisen hat, zum Richter über meine Arbeiten mache. Wenn ich irgend ein schrift¬ stellerisches Verdienst besitze, so ist es allein dieses wahre und tief liegende Gefühl- Gleichwohl ist der Wunsch, einem solchen Richter wirklich unterworfen zu werden, gleichwohl ist die Hoffnung auch 18S nur in einzelnen Theilen, in einzelnen Bestrebungen seinen Beifall zu erhalten, so verführerisch, daß ich eS wenigstens darauf wagen muß, mich vor sein Tribunal zu stellen. Hierzu kommt, daß ich mich längst nach einer Gelegenheit sehnte, Sie unmittelbar anzuredcn, und Ihnen einen Lheil der Verehrung auszudrücken, die Ihre großen und vielseitigen Verdienste so mächtig in meinem Gcmüth hcrvorriefen. WaS ich Ihnen hier verlege, ist eine Arbeit*, die schon des¬ halb von großen Unvollkommenheiten nicht frei sein kann, weil der Zeitpunkt ihrer jedesmaligen Erscheinung bestimmt und enge beschränkt ist, weil die Gegenstände schon ihrer Neuheit wegen unstcher und schwer zu behandeln sind, weil endlich, selbst unter den günstigsten äußern Umständen, tausendfältige Rücksichten und Schranken den Schriftsteller fesseln. — Auch würde ich überglücklich sein, wenn nur Einiges in dieser Zeitschrift nach Ihrem Sinne wäre; wenn besonders daS, waS ich über die frühere Geschichte der Revolution gesagt habe, und noch sagen werde, Ihrem Kcnnerauge nicht ganz verwerflich scheinen sollte.-— Mein Freund Bötticher in Weimar, der das Glück hat, mit Ihnen in Briefwechsel zu stehe», meldete mir vor einiger Zeit, daß er Ihnen ein kleines historisches Probestück, » Maria Stuart welches ich für einen Kalender bearbeitet hatte, zusenden wollte. Sollte er dieses unterlassen habe», so würde ich selbst so frei sein, eS nachzuholen. Denn auch über dieses kleine Stück ist mir Ihr Urthcil — günstig oder ungünstig, darauf halte ich mick- gefaßt — von ganz außerordentlicher Wichtigkeit. Verzeihung, edler Mann, für diese große Zudringlichkeit! Nichts kann sie allenfalls rechtfertigen, alS die Lebhaftigkeit des Wunsches, Ihnen näher zu rücken, und die unbegränzte Ehr¬ furcht, mit der ich mich auS vollem Herzen nenne Eurer Hochwohlgeboren u. s. w. * Historisches Journal. Herausgegcbcn von F. Gcntz 17S9. Berlin, bei Vicweg. iso XIII. Heeren an Gcntz. Hochwohlgeborner, Hochzuverehrendcr Herr Hofrath! Wenn eS vielleicht den Anschein einer Zudringlichkeit haben könnte, daß ein Schriftsteller, der nicht das Glück hat, Ihnen persönlich bekannt zu sein, eines seiner Werke Ihnen überschickt, so bitte ich Sie, die Ursache davon in nichts Anderm zu suche» als darin, daß unter allen meinen Zeitgenossen durchhaus keiner ist, auf dessen Beifall ich gerade bei der beikommenden Schrift* einen großem Werth legen würde, alS auf den Ihrigen. Sie werden diese Acußerung gewiß für keines der gewöhnlichen Com- plimente halten, da sie auS einer edlem und reinem Quelle, der der Uebercinstimmung der politischen Anstchtcn und Gesinnungen, stießt. Wie viel ich Ihren Schriften verdanke, wird Ihnen daS gegenwärtige Werk zwar einigermaßen, jedoch nur unvollkommen sagen. Sie haben wcsenrlich dazu beigekragen, mich vor den Verirrungen zu bewahre», in welche die Mehrzahl unserer Histo¬ riker durch Einmischung ihrer abstrakten und spekulativen Ideen verfallen ist. CS erschien die beiden ersten Male in einem Zeit- punct, wo man sich lieber in eine frühere Zeit versetzte, und wo die Erinnerung daran fast das einzige Mittel blieb, die Grundsätze einer bessern und gesunden Politik in den Gemüthcrn lebendig zu erhalten. Ich hoffe dazu sowohl durch dies Handbuch, als auch durch meine öfteren Vorträge darüber etwas beigetragen zu haben; wenigstens war es mein Wunsch und mein Ziel; und in so fern kamen zum mindesten meine Bestrebungen mit den Ihrigen überein. Aber freilich! Sie standen Len Begebenheiten selbst näher; Sie kannten und kennen die handelnden Hauptpersonen; Sie genossen und genießen ihreS Vertrauens; Sie hatten von Allem die lebendige Ansicht, da Sie fast immer in dec Mitte des poli¬ tischen Lebens und Treibens standen. DaS AlleS geht mir ab; ich fühle die ganze Wichtigkeit davon, und ich bin weit entfernt zu glauben, daß Fleiß und Studien dafür einen hinreichenden Ersatz geben könnten. Jndeß geben sie doch einigen; und daneben werden Sie, so hoffe ich, auch daS Streben nicht verkennen, mir Geschichte deS europäischen Staatcnsystems, 3. AuSgabe. 191 einen durch keine Vorurtheile getrübten Blich zu erhalten. Bei dem Men aber fühle ich es, wie sehr mein Werk, besonders in den letzten Zeitabschnitten, Ihrer Nachsicht bedarf, und wenn ich mir diese erbitte, so geschieht eS in der Ueberzeugung, daß Sie mir dieselbe nicht versagen werden. Der so lange gehegte Wunsch, Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen — welche könnte bei dem ganzen Gange meiner Studien und literarischen Arbeiten mir interessanter sein? — wird bei der weiten Entfernung, die unS trennt, wahrscheinlich unerfüllt bleiben. Ich muß mich begnügen, Ihnen den innigen Dank für den so wesentlichen Antheil, den Sie an meiner historischen Bildung gehabt haben, schriftlich zu sagen. Sagen aber mußte ich Ihnen denselben wenigstens einmal, und glücklich würde ich sein zu hören, daß derselbe für Sie nicht ganz ohne Werch sei. Mit dieser Versicherung empfehle ich mich Ihrer Gewogenheit, und bitte Sie, der tiefsten Achtung gewiß zu sei», mit der ich verharre Eurer Hochwohlgeboren gehorsamster Diener A. H- L- Heeren Hofrach und Professor. Göttingen, den 27 April 1819. XI V. Wilhelm von Humboldt an Gentz. Meine Frau, unsere älteste Tochter und ich, liebster Gentz, werden vom 28. Julius an in Gastein sein, und die gewöhnliche Badezeit dort zubringen. Wir alle wünschen unendlich, daß Sie zugleich mit unS da wären. Ich würde eine große Freude haben, Sie wiederzmehen, um wieder ruhig über so viele Dinge zu sprechen, und dazu wäre der Aufenthalt zu Gastein recht eigentlich gemacht. Meiner Frau ist daS Bad vortrefflich bekommen. Sie ist auch nicht Einen Lag den ganzen Winter hindurch krank, oder nur leidend gewesen. Wenn die Kur diesmal nur eine ähnliche Wirkung thut, kann sie sich fast als geheilt ansehen. Wir gehen daher dicS Jahr mit Muth und Freude hin. Ich Lenke auch zu baden, nicht gegen ein bestimmtes Uebel, denn ich bin eigentlich wohl, aber zur allgemeinen Stärkung. — Mir geht eS übrigens sehr wohl. Außer dem Leben in meiner Familie, und den wenigen 1S2 meine Privatangelegenheiten betreffenden Geschäften, lebe ich al¬ lein in Studien und wissenschaftlichem Treiben, und die An¬ nehmlichkeit sogar des bloßen Lernens war auch Ihnen sonst eine nicht fremde Empfindung. Ich habe mir in dem Sprachstudium einen eignen Weg gebahnt, und habe darin noch mehr zu ver¬ folgen , als die Jahre erlauben werden, die mir zu leben übrig bleiben. Eben dies Studium hat mich vorzüglich tief in das Indische geführt und mir von einer andern Seite her den Genuß deS Alterthums verschafft, der im Griechischen schon immer einen großen Reiz für mich hatte. Ich habe ein philosophisches Gedicht halb in Auszug, halb in Übersetzung bearbeitet, das ich Ihnen mit nach Gastein bringen werde. Es ist wohl daS tiefste und erha¬ benste, das die Welt aufzuweisen hat. — Alexander ist nun auch hier, nnd hat ganz eigentlich seinen Wohnsitz hier genommen. Er ist thätiger und lebendiger als je, und wir reden oft von Ihnen. — Hier habe ich mir eine Wohnung mit Gypsen und Marmor eingerichtet, die Ihnen auch Freude machen würden- Sie haben noch daS alte Haus gekannt. Jetzt wandelt man unter lauter schönen Gestalten umher, von denen besonders die in meinem Zimmer nicht an einem Uebersiuß von Toilette leiden. So, liebster Gcntz, bin ich den alten Ideen und alten Späßen treu, und gewiß auch den alte» Freunden- Leben Sie wohl; sagen Sie mir bald, daß wir Sie in Gastein sehen werden, und erhalten Sie mir Ihr Andenken und Ihre Freundschaft. Mit der herzlichsten und unveränderlichsten der Ihrige. Humboldt. Tegel, den 21. Mai 1827 Ende. Inhalt Erstes Kapitel. Fabeln do» G. C- Lessing - -.:.-.Seite 1 Zweites Kapitel- Erzählungen.» 22 Drittes Kapitel. Idyllen.-- 39 Viertes Kapitel. Paramythicn und Parabeln...» »8 Fünftes Kapitel. Bruchstücke auS Romanen und Novellen...» «6 Sechstes Kapitel. Bruchstücke auS dramatischen Werken..-> 83 Siebentes Kapitel. Bruchstücke auS geschichtlichen Werken, nämlich: l. Liebe deS Kaisers Hadrian zu den Künsten, von 3. I. Mnkclmann....» 99 H. Kaschmir, von I. G- Herder.-> 100 Iil. Tod des DichterS Kleist, von I. W. Archenholz...» 102 iv. Arabien, von Johannes von Müller.» 103 v. Herzog Alba bei einem Frühstück auf dem Schlosse Rudolstadt im Jahre 1847, von F. Schiller -Seite 408 VI. Wilhelm von Oranien, von F. Schiller.» 407 vii. Tod der Königin Maria Stuart, von F. Gentz...» 40S vili. Das Seetreffen bei Nacht, von CH. C. Houwald ...» 443 ix. Die Erstürmung Constantinopels, von I. Hammer- Purgstall... 447 x. Verurtheilung und Hinrichtung Konradins, von F. L- Raumer. -- 423 XI. Gastfreundschaft der alten Deutschen, von W. Menzel.» 426 xii. Altdeutsche Dichtkunst, von W. Menzel.» 427 XIII. Karl V. entsagt der Herrschaft über die Niederlande, von CH. F- Schulze.» 429 xiv. Adalbert, der Apostel der Preußen, von I- Voigt.» 434 xv. Papst Siptus V., von 2- Ranke.»433 xvi. Einnahme von Jerusalem, von F. Wilken--- - .» 439 Achtes Kapitel. Bruchstücke aus Reisebeschreibungen, nämlich: i. O-Tahiti, von J. G. A. Forster. 446 ii. Beschreibung eines Erdbebens in Messina, von I. H. BartelS. » 44» ui. Piano di Sorento, von F. Leop. Grafen zu Stolberg.» 433 iv. DaS Erdbeben in Calabrie», von F. Leop' Grafen zu Stolberg..» 436 v. Venedig, Rom, Neapel, von I. W- Goethe.» 43» VI. Palermo, von Fried. Müntcr.» 466 VII. SyraknS, von I. G Seume..-.» 468 Vlil. DaS Kreuz des Südens, von F. H. A. von Humboldt.» 474 ix. Die Ruine von Karnak in Aegypten, von Pückler- MuSkau.»473 Neuntes Kapitel. Briefe .» '??