DER NAME »CARNICH« IN DER KOSMOGRAPHIE VON RAVENNA U t e S c h il l in g e r - H ä fe le Universität Konstanz Sieht man den Namensbestand der Kosmographie von Ravenna durch, so heben sich 4 Namen in auffallender Weise durch ihren W ortauslaut auf -ch heraus: Galliach, das ein zweites Mal in der Form Galliac genannt wird, Sarpach, Pretorich und Carnich bzw. Carnech. Der gleiche Wortausgang legt die Frage nahe, ob es sich um gleichar­ tige Namenbildungen handle. Einer solchen Annahme widerspricht aber sofort die Lokali­ sierung der Namen : Galliach bzw. Galliac nennt der Ravennas eine Insel im Ozean von India Therm antica,1 Sarpach wird aufgeführt als civitas Sardiniens,2 Pretorich gehört in die Reihe der dakischen Städte,3 die patria Carnich oder Carnech schließlich grenzt im Norden an Italien.4 Auf einer landschaftlichen Gemeinsamkeit der Namenbildung beruhen diese Formen also nicht. Daß sie vielmehr aus den Eigentümlichkeiten der Textüberlieferung erklärt werden können, soll im folgenden gezeigt werden. M it Sicherheit läßt sich sagen, daß Galliach und Galliac nur orthographische Varianten sind; denn der Wechsel von c und ch ist im Text der Kosmographie oft zu beobachten.3 D a aber nicht nur ursprüngliches c zu ch verändert, sondern — wohl als Folge einer U n­ sicherheit in der Schreibung — auch früheres ch zu c reduziert worden ist, läßt sich bei dem Fehlen anderer Zeugnisse die zeitliche Reihenfolge der Formen nicht bestimmen. Für den Namen Sarpach besitzen wir glücklicherweise noch eine andere Überlieferung; denn eine Anzahl der beim Ravennas aufgeführten civitates Sardiniens finden sich auch in der Aufzählung des Itinerarium A ntonini.6 Schon Pinder und Parthey haben in ihrer Ausgabe der Kosmographie das Sarcapos des Itinerars zu dem Sarpach des Ravennastextes gestellt, wenn auch mit Fragezeichen. Auch Philipp, RE Artikel Saeprus fluvius7 identi­ fiziert beide Namen. Wenn er sagt: » ... Landschaft Sarrabus, die mit dem Orte Sarcapos (It. Ant. 79) und Sarpach-Sar cap (Geogr. Rav. 412) zusammenzustellen ist«, deutet er an, wie die Form des Ravennas entstanden zu denken ist. Aus ursprünglichem Sarcapos muß durch Metathese, die im Text der Kosmographie häufig zu beobachten ist, Sarpacos entstan­ den und die Schlußsilbe verloren gegangen sein,8 Aus dem verschriebenen Sarpac hat dann offenbar ein späterer K opist Sarpach gemacht.9 Daß auch der Name Pretorich aus der patria D acia durch Verschreibung zustandege­ kommen sein muß, hat man ebenfalls schon gesehen. Die mit Drubetis beginnende Liste des Ravennas ist nämlich auch auf der Tabula Peutingeriana erhalten (Segm. VII 4), das Pretorìch des Ravennas dort aber in der Form Pretorio überliefert. Durch die W ort­ bedeutung ist klar, daß Pretorio-Praetorium die ursprüngliche Namensform ist. D a aber Pretorich als sprachliche W eiterentwicklung von Praetorium nicht verständlich wäre, muß es eine Verschreibung sein. Als solche hatesS chnetz aus einer Form Pretorion über die Verschreibungsstufe Pretorie abgeleitet (d. h. zueist nicht voll ausgeschriebenes o, dann Ergänzung des n zu h).'" Im Hinblick auf Sarpac — Sarpach läßt sich die Form Pretorich aber auch leicht aus ursprünglichem Pretorio über Pretorie (nicht voll ausgeschriebenes o) verstehen, bei dem dann ein K opist das c in eh änderte. Als einziger auf -eh auslautender Name bleibt dann noch Carnich bzw. Carnech übrig. Der Ravennas selbst kennt dafür noch den Nam en Carnium und das aus Paulus Diaconus bekannte Carneola.1 1 Um der besseren Übersicht willen seien die Stellen hier angeführt: Item iuxta ipsam Valeriam ponitur patria quae dicitur Carneola, que et Alpes Iuliana antiquitus dicebatur. quam patriam Carnech, que Valeria patria ipsi eandem descripserunt phylosophi. sed ego secundum super scriptum Marcomirum Gothorum phytosophum civitates inferius de si gnat as eiusdem Carnich patrie nominavi, in qua Carnich patria plurimas fuisse civitates legimus ex quibus aliquantas designare volumus: Carnium... (221, 6ff. = iV 21; Text nach der Ausgabe von Schnetz). ... quam patriam Luburniam superscripti, qui Carnich patriam, ipsi eandem descripserunt phylo­ sophi (223, 7ff. = IV 22). ...inter patriam Carnium et Italiam que iugus Carnium dicebatur ab antiquitus Alpis lulia (293 2ff. = IV 37). Die letzte Stelle lautet in dem Auszug des Guido folgendermaßen : ... inter patriam Carnuntum et Italiam, quod iugum Carnich ab antiquis Alpes Iutiae dicebantur (453, 1 Iff. = c. 5). Die Zusammenstellung zeigt sofort Folgendes: Die Nam en bei Guido c. 5 stimmen nicht überein mit denjenigen, die die uns bekannten Ravennashandschriften an der von ihm verwerteten Stelle bieten. Das Carnuntum des Guido ist eine offenkundige Verwechslung mit dem pannonischen O rt an der D onau, die auf Guido selbst, ebensogut aber auch schon auf seine Vorlage zurückgehen kann. Auffallend ist dagegen das Carnich im Text des Guido, da dieser Name in IV 21 u. 22 der Kosmographie ebenfalls überliefert ist. Zunächst sind zwei Möglichkeiten der Erklärung denkbar: 1) Das Carnich ist eine Änderung des Guido. Dann müßte es daraufhin erst in diejenige Handschrift der Kosmographie, von der die uns erhaltenen Codices abstammen, hineinkorrigiert worden sein, allerdings nur in IV 21 und 22, nicht auch in 37. 2) Guido hat in seiner Vorlage schon Carnich gelesen. Dann greifen wir mit den er­ haltenen Handschriften der Kosmographie und m it der Vorlage des Guido zwei verschiedene Überlieferungsstränge, die beide den Nam en Carnich enthielten. Derjenige, von dem unsere Ravennashandschriften stammen, hatte ihn aber nicht in IV 37, sondern stattdessen die Form Carnium. N un ist Carnich statt Carnium weder als paläographische Entstellung einleuchtend, noch läßt es sich als jüngere Fortbildung aus Carnium verstehen. Man wird darum die zweite Lösung vorziehen und annehmen, daß Guido die Form Carnich schon in seiner Vorlage fand. Zu fragen bleibt dann, wie sich die Namen Carnium und Carnich in unserer Überlieferung zueinander verhalten: D a eine W eiterentwicklung des Namens Carnium zu Carnich wie gesagt nicht als Erklärung in Frage kommt, möchte man von vorneherein Carnich als Verschreibung ansehen, erst recht aber, wenn sich eine plausible Erklärung der Verschreibung geben läßt. D azu verhilft nun die Analogie der drei anderen Nam en auf -ch. An der von Guido benutzten Stelle der Kosmographie ist der überlieferte W ortlaut unbefriedigend. Man würde hier in Verbindung mit iugum anstatt des Ländernamens eigentlich ein davon 25b abgeleitetes Adjektiv erwarten. Als solches ist Carnicus durch den Ortsnamen Iulium Carnicum (vgl. dazu CIL V p. 172) sowie die Bezeichnung Alpes Carnicae bei Plinius (n. h. 3, 147) bekannt. Nim m t man einmal an, es habe hier ursprünglich iugum Carnicum ge­ standen, dann ist leicht vorzustellen, daß ähnlich wie bei *Sarpacos durch Verlust der Schlußsilbe *Carnic entstand, das in einer Überlieferungsphase m it wechselnder Schre­ ibung c-ch zu Carnich umgebildet wurde. Der patria-Name Carnium im selben Satz blieb davon unberührt und verleitete irgendwann zu der Assoziation mit Carnuntum. In einer anderen Handschrift muß die Namenfolge Carnium — Carnicum ebenfalls, aber auf andere Weise verderbt worden sein. Als Angleichung an das vorangehende Carnium ist hier offenbar das c aus Carnicum ausgefallen. Irgendwann muß einem Kopisten dann ein Exemplar dieses Zweiges sowie eines m it der Lesart Carnich Vorgelegen haben. Er hat dann offenbar in IV 21 und 22 an Stelle des hier aller Wahrscheinlichkeit nach ursprünglich überlieferten Carnium die Form Carnich eingesetzt, hat diese Korrektur aber nicht auch auf c. 37 ausgedehnt. F ür eine nachträgliche Einfügung spricht auch der auffällige Umstand, daß der Name Carnich entgegen der sonstigen Gepflogenheit des Ravennastextes an keiner Stelle flektiert ist. D er N am e Carneola ist nach der einleuchtenden Vermutung von J. Schnetz erst später durch eine Glosse in den Text geraten.1 2 Ursprünglich war in der Kosmographie also wohl nur der Ländername Carnium sowie das Adjektiv Carnicus zu finden. Bedenkt man die mannigfachen Verderbnisse, die der Text der ravennatischen Kosmos- graphie an vielen Stellen ganz offenkundig erlitten hat, dann wird man eher die oben skiz­ zierte Textgeschichte für wahrscheinlich halten, als ein so isoliertes und unverständliches Namensgebilde wie Carnich als echte Überlieferung betrachten. 1 444, 14 (V 33); vgl. 421, 6 (V 29). 2 412, 13 (V 26). 3 203, 9 (IV 14). 4 221, 9; 13; 14 (IV 21) — 223, 8/9 (IV 22) und 453,13 (Guido). 6 Man vergleiche etwa Geogr. Rav. 182, 8 Macroticos, 372, 8 Machron Tycos = Tab. Peut. Macrontecos; Geogr. Rav. 154, 1 Chullu; 347, 5 Cullu — Tab. Peut. Chullu, It. Ant. Chulli municipium. 6 Man vergleiche It. Ant. 79 ff. und Geogr. Rav. 411, 3 ff. 7II. Reihe Bd. 2, Sp. 1724. 8 Als Beispiel für Metathese vergleiche man etwa Malaca (305, 6) und Macola (343, 18). Für Wegfall der Schlußsilbe siehe u. a. Tibis (204, 13), das auf der Tab. Peut. Tivisco, überliefert ist. Vgl. auch die Liste der verstümmelten N a m e n bei B . H. Sto lte, De Cosmographie van den Anonymus Ravennas (1949) S. 24. 9 Das Sarpath des Guido-Auszugs (500, 21) ist aus einer häufig zu beobachtenden Ver­ wechslung von c und t zu verstehen. 1 0 J. Sc h n e t z, Neue Beiträge zur Erklärung und Kritik des Textes der Ravennatischen Kosmographie, Philologus 89 (1934) S. 96. 1 1 Hist. Lang. VI, 53 : Corniola 1 2 Vgl. Ravennas Anonymus: Cosmographia, übersetzt von J. S c h n e t z, 1951 (Nomina Germanica 10), 63, Anm. 1 und dazu das Ergebnis von J. Šašel, wonach die Quellen, die der Ravennas für die nordöstlichen Re­ gionen Italiens benutzt hat, vor der Zeit des Langobardeneinbruchs (568) anzusetzen sind (J. S ašel, Alpes Iuliana, Arheološki vestnik 21/22 [1970/71] 33 ff.). IM E C A R N IC H PRI A NONIM NEM G EOG R AFU IZ RAVENE Povzetek Avtorica raziskuje imensko obliko Carnich oziroma Carnech s končnico -eh, ki jo imajo vsega skupaj le 4 imena v delu anonimnega geografa iz Ravene. Jezikovna posebnost kake dežele končnica -eh ne more biti, ker pripada vsako teh 4 imen drugi deželi in so te zelo oddaljene med seboj. Če izvzamemo ime Galliach oziroma njegovo ortografsko varianto Galliac, za katerega se even­ tualna drugačna prvotna oblika ne da ugotoviti, ker ga nimamo v nobenem drugem viru, se da za obe preostali imeni Sarpach in Pretorich s pomočjo drugih virov sklepati, da gre obakrat za popačenje imen oziroma napačna zapisa. Prvotni obliki sta bili Sarpacos in Pretorio (Praetorium). Obliko Carnich imamo v Kozmografiji na mestih IV 21 in IV 22. Isto obliko najdemo v izvlečku, ki ga je iz Kozmografije napravil Guido. Za mesto c. 5, kjer se omenja Carnich, je Guido uporabil stavek iz Kozmografije IV 37, kjer pa se ime glasi Carnium. Če predpostavljamo, kar je verjetno, da ni Guido spremenil imena, ampak ga je našel v predlogi, imamo opraviti z dvema različnima tekstnima izročiloma, ki sta imela sicer oba ime Carnich, vendar je ono, iz katerega izvirajo roko­ pisi, na mestu IV 37 imelo obliko Carnium. Možnost, da bi bila Carnich mlajša oblika, ki bi nastala iz Carnium, ne pride v poštev; nasprotuje ji tudi moderno ime Kranj. Pač pa nam pomagajo pojasniti obliko ostale analogije. Na mestu, ki ga je porabil Guido za izvleček, bi namesto oblike Carnium pričakovali adjektiv Carnicum, kar bi bilo v zvezi z iugum primernejše. Kot Sarpac iz Sarpacos, bi tu, potem ko se je zadnji zlog izgubil, ostalo Carnic oziroma Carnich, kar je ortografska varianta, medtem ko je v istem stavku zgoraj oblika Carnium pri besedi patria ostala nedotaknjena. V drugem rokopisu pa je na istem mestu bilo prvotno zaporedje Carnium. Carnicum drugače pokvarjeno, namreč tako, da je iz adjek- tiva Carnicum zaradi priličenja s prejšnjim Carnium izpadla črka c. Kasnejši kopist, ki je dobil v roke primerka iz ene in druge rokopisne veje, je nato nadomestil z obliko Carnech prvotni Carnium v IV 21 in IV 22 ne pa tudi v IV 37. Tudi Carneola v IV 21 je verjetno zašla v tekst preko neke glose. Prvotno je bilo v Kozmografij le ime Carnium z adjektivom Carnicum. 25S