Hundert Tage auf Reisen in den österreichischen Staaten von A G. Kohl. Dritter Theil. Reise in Ungarn. Erste Abtheilung. Drcs'om ,md LcipM, in bsi Arnoldisck en Buck) Handlung, 1842. Hundert Tage auf Reisen in den österreichischen Staaten, von A G. Kohl. W „Gesegnet werde, wer da IM, „Gesegnet wcibr, >vel da zischt." Dritter Theil. Reise in Ungarn. Erste Abtheilung. Mit einem Titellupfer und einer Karte von Ungarn. Dresden und Leipzig, ln der Arnol bischen Buchhandlung. 18 4 2. Reise in Ungarn, von A W. Kohl. „Bereitet mir, was «uer Hau« vermag!" Trste Abtheilung. Pesth und dic mittlere Donau. Mit einem Titellupfer und einer Karte von Ungarn. Dresden und Leipzig, Die Hirten und Hmden. —« Wildes Vieh. — 6u!^ä«nii5. — Sumpfgetrankc. — Der Mo-rast-Ntephan. — Ungarische Cretins. — „ein prächtiger Kerl." — Die „Daken." — Das „Zict." — „Es fallt mir im Traum nit ein." VI Gelt« Die Raab au und Na ab.......... 53 Die westliche Ebene Ungarns. — Mittagshitze und Schattn. — Heerden. — Büffel im Sumpft. — Luftspiegelungen. — Kroatischer und magyarischer Sonntagsschmuck. — Politik der Schweinehirten. — Adelige Bauern. — Gewitter. — Magyarischer Volksball. — ' „IVlaß^r! kla^ar!" — Ungarischer Morpheus. — Ein Comitatshaus. — Verschiedene Sprachen in den Acten. — „t^'urla nublliwri-j." — „Hirlap! Hirlap!" — Revenuecn der ungarischen Geistlichen. — Lutherische Kirche. Das Erzstift Martinsberg und die Ganassen ................. 82 Die Schlacht bei Raab. — Die Faßbinder des Klosters. >— Stcphan's I. Stuhl. — I^oru» cr«llil,ili«. — Münzen von Attila. — Aussicht auf 14 Comitate. — Die Veuedictiner Herren. — Des Batony Eingeweide. — Die Räubereien der Gonassen. — Ihre Erziehung. — Das Hackerl. — Die Gevattcrsleute im Balonyer Walde. — Sobri. — Gyulasi's Heimkehr. Don au fahrt üon Raab nach Pesth . . . . 112 Die klcine Donau. — Raab's Wcl,ifffah»t. — Getreide« Handel, Viehhandrl. — Freihn't! ««seh! — Neue Worte. — Gott mit uns! — Zwiestlstnck. — Die Bakomm Schweine. — Der seibische Viehhändler. — Goldwäschereien. — I^eßlo krim» »lljutrix. — Komorn. — Der gerechte Bettelknabe. — Donauebenen und Donauqebirge. — Gran. <— Mathias Corvinus und die Blncherin. — Die Graubündener Zuckerbäcker. Buda-Pssth ................158 Neues Emporkommen dieser Stadt. — Vergleich mit Prag. — BaS Metropolengebiet Ungarns. VII Seit« Die Pesther Messe.............169 Die Telyfohajo'S. — Harte und weiche Schiff«. — Topfmarkt. — Die Tschuttora's. — Der Tschdmdr. — Deutsche Colomsten.— Debrehiner Seife. — Die Me« loncnmesse. — Die Gehöfte im Iudenvicrtel. — Der Bcttsedernmarkt. — Paprikahändler. — Leinwand verkaufende Tschikosen. — Zigeunermusik. — „Nun spielt 'mal ein Ungarisches auf!" — Der „Rakotzi." — Das Lied vom Rakosch. — Nachtstenen an der Donau. Eine Adelöcongreqation in Pcsth . . . . 212 Comitate. — Comitatsbeamten. — Restaurationen. — „Nl^n! ^en!<' — „N^unk!" — Ungarische Adels« biplome. — Tägliches Fleisch. — Kossut. — Die Action. Der Pesther Brückenbau .........223 Donaubrücken. — Bedeutsamkeit der Pesther Brücke. — Adelsprivilegicn. — Brüctenwäcktcr. — Englische, italienische, deutsche und ungarische Arbciter. — Auszahlung des Soldes. Die Raizenstndt, die türkischen Väder und die orientalischen Pilger......252 „Mein lieber Ding." — „Sondern." — Verbreitung der Gerbier in Ungarn. — Die Gräßlerin. — Das Brück-bad. — Die Weiber im Bade. — Das Kaiserbad. — Das Grab des türkischen Pascha. — Die Müllerin und der Derwisch. Die Wirthshäuser und das Casino von Pesth..................279 Nationalfarben. — Ungarischer Speisezettel. — Der „architektonische Baustyl" von Pesth. — Schöne Häuser. — Redoutensäle. — Casinolectüre. — Die Decrete der ungarischen Könige. — Joseph tl. — 8»cra corcm» cum o1enu<1ii» 5>,l«. — Die Schriften des Grafen Szechcnyi. VllI Seit« Die gelehrte Gesellschaft und die ui» garische Sprache .............306 Anforderungen der Magyaren. — Mischung des Ungar« ischcn und Deutschen. —> Die deutsche Sprache in der österreichischen Armee. — Die Bildsamkcit der ungarischen Sprache. —- Postpositions, Suffircn. — ungarische Mißtöne. — Benennungen der Verwandtschaftsgrade.— Titulaturen. >— Vornamen. —Familiennamen. Ofen.....................343 Verbreitung der kalten Bäder in Oesterreich. — Das Austauschen der Kinder. — Verschiedenheit zwischen Ofen und Pesth. — Alt-Ofen. — Werfte der Dampfschiffe.— Eisernes Schiff. — Margarctheninsrl. —- Gemüsegärten. — Kapusta. — Der Schloßbcrg. — Salpeter. — Das Schloß dcs Palatins. — Das Zimmer der ungarischen Krone. Oeffentliche Sammlungen ........370 Nau des mum Museums. >— Brauneisenstein-Bildungen. — Fernficate. — Ungarische Fische. — Universitätsbibliothek. — Mathias Coroinus und Joseph ll. — il«r«ti<:u8 I^lilll«lililor»m iulni«te1I>ll5. — Gemäldk in Pesth. Besuch bei den Pesther Israeli ten . . . . 361 Anzahl der Juden in Ungarn. — Iudenschulen. — Rabbiner. Das Hospital St. Rochus........388 Mangel an Hospitälern in Ungarn. — Gesundheitszustand. — Die große Wasserstuth in Pcsth. Die Donau in den Centralebenen Ungarns 401 Rückblick auf Buda-Pesth.— Die Schwalben an dem Donauufer. — Bevölkerung der ungarischen Donaustädte und des Dampfschiffs. — Die Serbierin. — Spanische IX Seite Juden. — Franziskaner aus Bosnien. — Walachische Bojaren. -— Verbreitung dcs Deutschen durch Dampf-sckissfahrten. — Baja, Theresiopol, Fünfkirchen. — Der Soldat in der Wolfsnoth. — Die Kanonen in Mohacs. — Historische Ereignisse auf der Donau. 7— Menschliche Physiognomieen. Die Va 1 schka und ihre deutschcu C 0 l 0 nisten 439 Der jüngste Tag. — Reichthum der deutschen Bauern. — Ungarische Archive. Das Land Syrmien, Peterward ein und die Tfchaikisten............447 Die vier Mesopotamien. — Das Provinciale und das Militare. — Parallelismus der Dräu und Sau. — Die Fruschta-Gora. — Die griechischen Klöster in d«r Fruschka-Gora. — Schwcinehandel. — Illyrien. — Die Eichen. — Die serbischen Helden. — Neusatz. — Das ungarische Petersburg. — Die Weine von Karlowitz. — Stellung des Oberhauptes der griechischen Kirche in Oesterreich. — Die Mündung der Theiß. — Die Ka-nonierboote und Patrouillenschiffe der Tschaikistcn. Die Mündung der Sau..........475 Die geographische Gestaltung Ungarns. — Die Vdlker-pässe dieses Landes. — Das ruthenischc, serbische und deutsche Vdlkerthor. — Situation von Belgrad. — Prinz Eugenius der edle Ritter. — Il^i-cxog l)«rü-menulu va I>c!i 1839." (Hier liegt Agatschin Kaje, im Jahre 1839 gestorben.) Der Alte erzählte uns, es sei seine Frau gewesen, sie und die beiden Kin-« der, die er mit ihr gehabt, seien mm alle todt, und er sei jetzt ganz allein, setzte er weinend hinzu. „5» «am! ja 8mn!" („ganz einsam!") wiederholte er mehre Male höchst betrübt. Er führte uns dann zu einer Höhle, aus dem Kirchhofe, die ganz mit Menschenknochen angefüllt war, welche noch auö der Turkenzeit herrührten. Dic Kno- y Hen waren zu einem großen Haufen regelmäßig aufgeschichtet; an einigen Schädeln hingen noch die Haare. Zwischendurch waren von frommen Kroatinnen bunte Vänder und Blumen in die Knochenwand eingesteckt. Es ist charakteristisch für die beiden so nahe neben einander wohnenden Volker, die Magyaren und die Kroaten, dasi von diesen immer viele auf Arbeit in die benachbarten österreichischen Fabriken in Neunkirchen, bei Neustadt u. s. w. gehen, während man eigentliche Magyaren dort nie findet. Es begegneten uns viele Wagen, die mit Hadern und Lumpen beladen wareu. „Die gehen nach Oesterreich", sagte mir Andres, der wie alle Ocstcr-rcichcr ein großer Anti-Ungar war, „die Ungarn schicken alle ihre Lumpen zu uns, damit wir ihnen etwas G'schelttes draus machen." Oedenburg hat bekanntlich den größten Viehmarkt in Ungarn, und das meiste Vieh geht von dort auf der Straße, welche wir fuhren, nach Wien. Ueberall am Wege sahen wir die Spuren davon, z. V. hier und da kleine sumpfige Stellen, die zerwühlt und aufgerissen wareu. „Do lassen's die Schwein a Weil drein liegen, und die wühlen's dann so um!" bemerkte Andres, der mich auf Alles aufmerksam «nachte, was in Ungarn anders wäre als in Oesterreich. Endlich entdeckten wir in der Ferne die Stadt Oedenburg. Sie liegt an einem völlig ebenen Flecke und l<1 weit und breit von großen Kohlgärten umgeben. Die Stadt ist so alt wie Wien, denn sie wurde schon "on Römern bewohnt, und ihr jetziger ungarischer Name 10 „Sopronia" soll nur eine Corrumpirung des römischen „scai-aliuutik^ sein. Die Deutschen haben sic Oeocnburg genannt, wie Einige meinen, der öden Ebenen wegen, die in der Stadt liegen. Allerdings ist man, wenn man von Oesterreich kommt, geneigt, diese Deutung treffend zu finden. Nahe bei der Stadt scheint überall mehr Oede als Anbau zu sein, aber nicht weit davon zur Rechten und Linken erheben sich kleine Weingebirge. Die wichtigsten sind dem Neusiedler See zugekehrt, wo die Lllft immer milder ist als bei Oedenburg selbst. Hier haben alle Einwohner der Stadt ihre Hauptbesitzungen, ihre Weingärten, aus denen sic den Durst der Schlesier und Mahren löschen, denn die bcßten ihrer Weine fuhren sie zu diesen auö. Obgleich die Stadt ganz von Deutschen bewohnt ist, so erblickt man doch jetzt überall auch ungarische Benennungen und Aufschriften, besonders an den Wirthshäusern. So trat ich hier nicht in eincm „Wirthshause", sondern in einem „Vender ioF2ur K.!i-«I)'Kl,5" „zum Könige von Ungarn", und ich trank meinen Kaffee nicht in mmn Kaffeehause, sondern in einem „Xavenai", auf dessen Schilde eine national ungarisch gekleidete Person Eis und Kaffee darbot. Die Gesellschaft bei Tische war so bunt und lebhaft wie nur möglich, — einige polnische Uhlanen-ofsiziere, die mit ihrer Compagnie hier durchmarschir-ten, — ein paar Engländer, die zwanzig schöne englische Vollblutpferde, ich weiß nicht, zu welchem ungarischen Magnaten, nach Agram führten, — einige Edel« n leute, — einige Bürger von Oebmburg und endlich ein Wiener Kaufmann, ein Mann von Geschmack — er sprach wenigstens soviel von Geschmacklosigkeit, daß er sich stlber wenigstens gewiß für geschmackvoll hielt. Hinter Ocdenburg kam ich noch einmal durch ein kroatisches Dorf, dessen Kirche voll war von lauter reinlichen, hübsch weiß gekleideten Frauen und Mädchen, die zum heiligen Stephan und zur „ Vi^nonnui vyvsitsctn Narie" (der gebenedeieten Jungfrau Maria) beteten; dann suhr ich noch durch ein deutsches Dorf, und end-Uch hörte diese kroatisch-deutsche Mischung auf, und ich betrat den ersten magyarischen Ort, welcher Zcnk oder Zinkendorf ist. Dieser Ort gehörte dem berühmten Grafen S., dessen Besitzungen sich hier am südlichen Ufer des Sees hin erstrecken und mit den Estcrhazy'schen Gütern zusammenstoßen. Das Schloß dieses edlen Herrn liegt neben dem Orte in einem hübschen, an großen alten Bäumen reichen Parke. ES ist in einem höchst anmuthigcn ländlichen Style gebaut und im Inneren nach englischer Weise eingerichtet, äußerst geschmackvoll, comfortabel und elegant. Das Schloß war nur von Beamten und Dienern bewohnt, denn der Graf selbst war noch in Wien, hatte aber die Güte gehabt, denjenigen Reisenden, der am besagten Stephanstage in meinem Wagen, in wel-chem außer mir weiter Niemand saß, vorfuhr, so gütig zu empfehlen, daß derselbe sich während zweier Tage dort sü vorkam, als wäre er selbst eilt Schloßbesitzer. 12 Man eröffnete mir einige Zimmer im unteren Stocke, welche, so zu sagen, mitten im Garten lagen; denn man trat daraus durch eine Gartenthür gleich mitten unter die Blumenbeete. Ich fand ein Schlafzimmer, in welchen: ich eine Bettstelle entdeckte, die nach italienischem Maßstabe gebaut war, einen Divan von orientalischer Gemächlichkeit u»d einige Schaukel- und Lehnstühle, für einen Urgroßvater noch bequem genug. Nebenan war ein Rauch-, Wohn-- und Speisezimmer, durch welches ich einmal in die Lange und einmal in die Ducre spazierte, und das ich es von vortrefflichen Dimensionen fand. Alles war, in der schönsten Ordnung, die Meublirung bis auf den letzten Nagel vollständig, die Pfeifen standen gestopft, und es schien, als habe man nur auf einen solchen Gast, wie ich es war, gewartet. Ich probirte die Klinke der nächsten Stubenthür, fand sie nicht verschlossen und machte einen PeriPlus durch alle die hübschen Zimmer, die nicht sehr ängstlich verriegelt und bewacht zu sein schienen. Es waren Gastzimmer, Billardzimmer, Convcrsationszimmer u. s. w. Mehre Diener waren immer hinter mir und erkundigten sich nach mcmm Wünschen und Befehlen. Auch ließ sich der Koch darüber unterrichten, was ich zu Abend speisen werde und welche Weine ich zu trinken gewohnt sei. Ich ließ ihm antworten, mir, genüge Weniges, etwas Reh- oder Hirschbraten, Fasanen waren gar nicht einmal nöthig, einiges Compot, etwas gekochtes Obst,-um Ananas, die ich sehr gern äste, möchte man sich aber nicht bemühen, wenn sie nicht gerade zur Hand 13 wären, eln einfaches Vorgericht, ohne viele EntrcmetS und mit dem gewöhnlichen Desert reichten hin. Was die Weine beträfe, so wäre ich schon mit denen des Landes zufrieden, und man brauche sie nicht von weiter her zu suchen als von Tokai. Es giebt viele Leute, die für Einsamkeit und Einsiedeleien schwärmen. Ich glaube, diese Einsiedelei, in deren Besitz ich gerathen war, würde so ungefähr ihren Idealen von Eremitagen entsprechen, besonders was die oberen Gemacher betrifft, denn diese waren in der That Mit einem Geschmack und einer Geganz eingerichtet, wie Man so etwas in Europa gewöhnlich mehr in Paris oder London als am Neusiedler See zu finden erwartet. Das Bl-bliothekzimmerbot viele französische und englische Prachtwerke und außerdem eine Fülle von anderen nützlichen, schönen und interessanten Schriften dar, von denen ich mir für den Abend und Morgen einige in meine Zelle schaffen ließ. Der Glanz und die bezaubernden Formen des Silbergeschirrs, daS im Speisesaale auf zwei langen Wandtafeln aufgestellt war, verwirrte meine Augen, wie die des armen Hadschi Va-ba, als man ihm weis machte, er Ware der Sultan. In einem der Säle waren die Portraits mchrer Vorfahren des Hauses aufgehangen und unter anderen das eines Erz-bischofs von Gran, der für das Vaterland, für Brücken, Festungen, öffentliche Institute u. f. w. nicht weniger als „viß«!8ie8 et «exi«» contena tri^inta milii» trecenti kiorem« aufgewandt hatte. Es hat in Ungarn zu allen Zeilen solche uneigennützige Patrioten gegeben, die "uf dem Altare des Vaterlandes große Geschenke nie« 14 derlegten, und namentlich in derjenigen Familie, unter deren gastlichem Dache ich damals weilte. Der jetzige Besitzer, der Vater des jetzigen, der Großvater, sie haben alle ihre Namen durch irgend eine großartige Stiftung unvergeßlich gemacht, durch die Gründung des ungarischen Museums, der gelehrten ungarischen Gesellschaft :c. Meine besagte Eremitage lag nicht weit vom Neusiedler See. Es führt dahin eiue lange schöne Allee von großen alten Lindenbaumen. Ich beschloß, dem See einen Besuch zu machen. Da man mich fragte, ob ich dahin fahren oder reiten wollte, so wählte ich das Reiten. Ein Englander, der gefällige K!>. ^olin, begleitete mich und machte mich unterwegs mit einem anderen Englander, Nr. Labin^on, bekannt. Jener hatte die Aufsicht über den See, dieser über das Gestüt, das zu meiner Einsiedelei gehörte. Man findet jetzt häufig solche Engländer im Dienste der ungarischen« Großen, die eine Vorliebe für jene Nation gewonnen haben. Ich begreife nichts mehr als diese Vorliebe für ein so bewunderungswürdiges und achtungswerthcs Volk, wie es die Engländer sind. Vei dem Brückenbau in Pesth, bei den schwierigen Wegearbeiten an der unteren Donau, bei den Felssprengungen in der Nahe des eisernen Thores, überall sind Englander angestellt, und es ist sehr zu vermuthen, daß die Arbeit dadurch nicht schlechter wird. Kr. ^olln erzählte mir unterwegs seine Schicksale. Er hatte früher auf der englischen Marine gedient, war in China und Ostindien gewesen, hatte aber das Unglück gehabt, auf der Nordsee zu scheitern. Hier hatten I» lhn und seine Kameraden Dänen aufgenommen, von denen er nach London gebracht worden war, wo er als Arbeiter-aufscher für den Pesther Brückenbau engagirt wurde. Hier war er stark verletzt worden und hatte dann sein jetziges Asyl gefunden. Er beschäftigte sich nun damit, einen kleinen Haftn am Neusiedler See anzulegen für die kleinen Jachten und Vöte, welche sein jetziger Herr und Gebieter dort hat bauen lassen. Das Ufer des Sees ist hier einige hundert Fuß hoch, doch geht es von dieser sehr abgerundeten Höhe ganz allmalig zu dem niedrigen Gestade hinab. Die Allee führt bis auf die Anhohe, von der sich eine Aussicht auf den See darbietet. Es liegt am Ende der Allee in einem Wäldchen eine kleine Capelle und ein Monument für einen Herrn, der hier auf der Jagd stürzte und um's Leben kam. Wir fuhren mit einigen ungarischen Schiffern ein Stückchen in den See hinauS. Daö Gewässer war äußerst ruhig. Eine etwas düstere und nebelige Atmosphäre lag über dem ganzen Wasserspiegel, auf dem außer unserem gebrechlichen Nachen und außer einigen Schaare» wilder Enten sich kein einziges schwimmendes Wesen zeigte. N>. ^sn!»n erzählte mir, daß sie zuweilen Spazierfahrten bis an's andere Ende des EceS machten; bald sollte auch wieder eine neue Jacht vom Stapel gelassen werden, und dann würden sie auch ihre eigene Flagge haben, die einzige Flagge, die auf diesem See wehte. Nr. ^«Im war der oberste Admiral der Flotten des „Fertü tava" (dieß ist der ungarische Name 16 für den Neusiedler See), und wenn er früher als unbedeutender Subaltern unter vielen Tausenden den Globus umsegelte und die Weltmeere durchkreuzte, so konnte er sich nun wenigstens mit Cäsar trösten, der in einer kleinen Stadt Galliens lieber der Erste als in Rom der Zweite sein wollte. Der Neusiedler See hat unter allen den hundert Nuancen von Wasserfarben, die es giebt, gerade und ganz und gar diejenige, welche der Donau eigen ist, sein Wasser ist milchig blaßgrün. Auch schien mir der grünliche Donaustußsand ganz derselbe zu sein, wie der Ufersand dcs Sees. Man hat bekanntlich gefabelt, daß der See mit der Donau durch den berühmten Strudel uud durch einen von ihm ausgehenden unter-terirdischcn Kanal in Verbindung stehe. Dieß ist so unwahrscheinlich, daß es keiner Widerlegung verdient. Aber eine andere unterirdische Verbindung durch die großen Sümpfe und durch das lockere Erdreich, welches zwischen dem See und der Donau liegen, wäre doch wohl nicht unmöglich. — Merkwürdig war es mir, daß einige Walken, die man für den besagten Hafen eingerammt hatte, tief eingesunken waren. Der Voden mußte also wohl sehr locker sein. Auch über die Abnahme oder Zunahme des Seewassers und darüber, ob sie periodisch oder constant sei, ist man bekanntlich nicht einig. Die Leute am See sagten mir, seit mehren Jahren nehme er beständig ab. An den tiefsten Stellen sei er jetzt sieben bis acht Fuß tief, gewöhnlich aber habe er durchweg nur drei, 17 vier bis fünf Fusi Tieft. Vor zehn Jahren sei er durchweg sieben bis acht Fuß höher gewesen und habe an einigen Stellen 15 bis 16 Fuß Tiefe gehabt. Er set damals in beständigen: Steigen begriffen gewesen und habe eine bedeutende Menge von Acckern bereits verschlungen, welche er mit unfruchtbarem Sande überschüttet. Da der See nicht aufhören wollte zu steigen, so glaubten die Anwohner, er würde nun diese Höhe beibehalten und nicht mehr zu dem früheren Niveau hinabsinken. Mehre besonders betheiligte Communen hatten daher schon beschlossen, ihre Dörfer zu verlegen und ihre Häuser weiter hinauf auf höhcrem Ufer zu bauen. Plötzlich aber im Jahre 1832 fiel er wieder, und seltdem ist er, einige von den Jahreszeiten bedingte Anschwellungen abgerechnet, wieder immer tiefer gesunken. — Es wäre interessant zu erfahren, ob jenes Anschwellen und Abnehmen des Sees sich m bestimmten, regelmäßigen Perioden wiederhole. Ich konnte dieß leider auf keine Weise constatircn. Im Winter ist der See mit spiegelklarcm Eise bedeckt. Er friert selbst in den gelindesten Wintern zu, sowie er im Sommer immer ein sehr lauwarmes Wasser hat, was sich beides aus seiner außerordentlich geringen Tiefe erklärt. Die einzige Stadt am See ist Rnst, die kleinste unter allen ungarischen Freistadten, aber eine der berühmtesten, wegen ihrer vortrefflichen Weine. Wir sahen ihre mit „Zapfner," „Zierstandler," „Reißler," „Laagler," „silberweißen Gelßdutten" und anderen Trau-«I. 2 18 bensorten bewachsenen Weinberge nur durch das Per-spectiv. Ich begreift nicht, warum man den See nicht den Rüster See nennt, denn Neusiedel ist ein nichts-bedeutender Marktflecken. Ebenso sind auch die anderen Seeortc bloße Marktflecken und Dörfer. Obgleich alle von Deutsche» bewohnt sind, so haben sie doch auch einen ungarischen Namen, z. B.: flcss)1vfi — Heiligcnstein, IXl'xil^i- -^ Neusicdel, 8?.«l«z!k,ut ^^- Vreitenbrunn. Viele ungarische Ortschaften giebt es sonst, die blos einen deutschen Namen haben »nd auch bei den Ungarn deutsch genannt werden, während es umgekehrt natürlich noch »lehre giebt, die blos einen ungarischen Namen haben und auch bei den Deutschen so genannt werden. Entschieden die meisten »mgarischen Ortschaften haben aber sowohl einen dculscheu als einen ungarischen, alsdann auch oft «och einen slavischen und gewöhnlich einen lateinischen Namen, welcher letztere in der Negel alls dem Ungarischen entnommen ist. Vei'm Nachhausereitcn fand ich eine ungarische, d. h. eine magyarische Bauerfrau am Wege. Sie laö laut und fromm'in einem ungarischen Gcbctbuche. Dasselbe hatte den Titel.- ^»n^oi^x.lglio vl'xota" (d. h. „der Führer in's Himmelreich"). Sie sprach kein Wort deutsch, aber ich unterhielt mich mit ihr durch meinem Engländer, der elwas Ungarisch gelernt hatte. Die einzelnen Capitel dieses Vuches waren überschrieben.' „I^itnl-^l" („die Liturgie"), „^ ?enit«lt2iÄ" („die. 19 Vuße"), „^ «2«nt Wl!»e" („die heilige Messe") u. f. w. Es war sehr schön eingebunden und, obgleich seine Gigenthü-merin sehr arm war, saubergehalten. Ich fragteste, ob man es ihr geschenkt habe. Nein, sagte sie, sie habe es sich für 3 Gulden gekauft, welche sie sich zusammengespart. Im Hause hätte sie noch eins, der „Rosengarten" genannt, daraus ließe sich noch schöner und leichter beten. Wie gern hätte ich dieser guten Alten, die mir den Eindruck eines frommen, nach Gottes Troste verlangenden Ge« schöpft zu machen schien, einen besseren Führer iu's Himmelreich gegeben, als dieses über die bezeichneten Gegenstände handelnde Vuch. Warum gab man thr nicht die Speise, nach der ihr Herz verlangte? warum enthielt man ihr das Evangelium selber vor? —> Die Alte hatte uns/ obgleich ganz willig, doch mit einem sehr ernsten Gesichte auf alle unsere Fragen Rede gestanden. Sie war nicht schwatzhaft, nicht redselig, nicht schmeichlerisch und freundlich zuvorkommend. Spater erst merkte ich, dasi Schwatzhaftigkeit nie der Fehler der Ungarn ist, und daß ein gewisser Ernst und eine Würde, aus der dann ihre Veredtsamkeit eher in einen gewissen Pathos übergeht, ihnen eigen ist. „Und laßt den beßten Vccher Weins in purem Gold mir reichen." Dieß ging mir ungefähr in Erfüllung, als ich am Abend nach Hause kam, wenigstens in purem Silber. — Ich speiste nicht viel, aber desto mehr erfreute ich mich der Art und Weise der Servirung. Ich würde überhaupt keineswegs in meiner Eremitage so viel 2* 20 auf leckere Gerichte hallen alg auf die elegante und zierliche Art der Servirung. W müßte Alles in schönen Muscheln, oder auf silbernen Schalen und in goldenen Pokalen, oder in krystallenen Schüsseln dargereicht werden. Die Speisen müsiten aber alle schöne Namen haben, wie z. V. „Goldfasan," dabei schön aus-« sehen, wie z. B. Fruchtgelee, und besonders einen herrlichen Geruch haben, wie z. V. Ananas oder wie die Vratcn, welche Homer beschreibt; Kohl und Rüben, so gut sie auch schmecken möchten, würde lch daher nie zulassen, ebenso wenig Käse, es sei den Kräuterkäse. — Als man mich fragte, ob ich am anderen Morgen Kaffee, Chocolate, Kakao oder Thee ü, l'^nFlaiZe befehle, — bat ich nur das letzte aus, denn es giebt dabei allerlei kleine Geschäfte, die einem müßigen Eremiten willkommen sind, reinliche Hühnereier aufzuschlagen und auszunaschcn, die gerösteten Vrodschnittchen mit Butter zu streichen, zu beknuspern und die abbröckelnden Krümchen dann nachzulesen u. s. w. Nachdem ich dieß am anderen Morgen Alles besorgt hatte, machte ich einen Spaziergang durch den zu meiner Eremitage gehörigen Marktflecken und dann zu den englischen Vollblutpferden, die unter der Leitung des M. Robertson standen. Die Häuser der magyarischen Bauern, welche ich hier, sowie in den benachbarten Dörfern, zum ersten Male sah, waren alle nach einem Schnitte gebaut und zwar nach folgendem: es waren kleine, ein Stock hohe, freundlich weiß angestrichene Häuser, die mit der Haupt- 21 front nicht nach der Straße, sondern in ihre Gehöfte hineinblickten. Nach der Straße hin ging bei allen nur ein kleines Fenster hinauS. Auch zeigte sich überall an dieser Seite des Hauses ein großer dicker Balken, der senkrecht in der Mitte der Wand aufgerichtet war und das Dach trug. Unten war dieser Balken in einen - großen außerordentlich dicken Eichenklotz eingelassen, der flach ain Vodcn lag und so in die Mauer, ein-« gefügt war, daß er zugleich als HauSbank benutzt werden konnte. Ich besuchte das Innere mchrer Häuser, und es schien mir, als wenn die Leute gerade so viel hatten, als sie bedürften. — Freilich sind nicht alle ungar« ischen Dörfer so gut geballt wie Zmtc»dorf und mehre andere, vielmehr sind vier Wände unter einem Strohoder Schilfoache, aus Lchmziegeln zusammengemaucrt, von Nuthcn durchstochtcn und durch zwei eben solche Querwände in Stube, Küche und VorratlMammer getheilt, die von Alters her übliche Architektur der meisten ungarischen Vauernhüttcn. Allein in der Negel, glaube ich doch, wohnt und lebt der ungarische Bauer unvergleichlich viel besser als z. V. der lithauische oder esthländische. Denn nie sah ich in Ungarn solche Dorfzustände, , wie in jenen Gegenden. U>>.d ebenso gewiß ist es, daß ein ungarisches Dorf über dein Dorf- und Hüttenchaos einer bulgarischen und serbischen Ansiedelung wieder beinahe so erhaben ist, wie ein österreichisches über einem ungarischen. In den gräflichen Stallungen sah ich lauter schöne englische Vollblutpferde; das berühmteste von allen sollte 22 die „Christina" sein, überhaupt daS beßte Vollblutpferd iu Ungarn. Nr. Nodinsnn zeigte mir die Genealogie dieser Dame in seinem gedruckten englischen 8tutka<>k, worin sie als eins der Pferde von vorzüglichstem Mute aufgeführt wird. Ich war daher sehr begierig, dieses Thier zu sehen, und noch mehr erstaunt, als ich es sah. Denn es ging mir mit dieser Christine ebenso wie mit den berühmten Herren. Sie schien mir ein Pferd von ganz gewöhnlicher Zeichnung zu sein, und ich konnte keine Spur von allen den Seelenvortrefflich-leiten an ihr entdecken, die Hlr. A<,I>in««n von ihr rühmte. Sie schien mir sogar entschieden häßlich zu sein. „Ja, aber Sie müssen sie arbeiten sehen?" — Das ist die Sache. Auch dke berühmten Männer, die von Gott Begeisterten, die Genies, die Helden muß man in ihrer Arbeit sehen. Sie haben nur Momente, wo ste dann gerade so und noch schöner aussehen, wie die anderen Menschen sie sich gedacl't haben. Die englische Liebhaberei für Pferdezucht und Wettrennen ist in Ungarn in neuerer Zeit ebenso in Gang gsfommen, wie in einigen Theilen von Deutsch» land. Aber sie wird dort vielleicht noch großartiger be-trleben. In Zinkendorf waren nicht weniger als zweiundzwanzig ausgewählte Vollblutstuten, vou denen jede ihren eigenen Stall und ihren eigenen Groom hatte. Vel'm Striegeln machten diese Burschen immer ein gewisses unnachahmliches Geräusch und Gcschnalze mit dem Munde. Man sagte nur, die Stuten seien in England an diese Art von Geräusch gewöhnt und verlangten dasselbe zum 23 Ruhigstchen, weßhalb dle ungarischm Vursche es hatten lernen Nlüsstli. Auf manchen ungarischen Gdelhüfen findet man Reitschulen und eigene große Rennbahnen für die Pferde des GutS, und hier in Zinkmdorf hatte 51,-. it<,din8on sich sogar in seiner Sattel- und Geschirr-kammer eine eigene kleine Bibliothek über Vollblutpferde und Wettrennen angelegt. Sie bestand aus verschiedenen englischen Büchern über diesen Gegenstand, insbesondere aus allen den letzten Jahrgängen des Ita-cinss calc^nller, der seit 1754 erscheint. Von diesem NacwA culenlier kommt jetzt jede Woche ein Heft heraus und dann noch alle Jahre ein Band, der ein Resume aller Wochcnhefte giebt. Es wird darin jedes edle Vollblutfüllen, welches das Licht der Welt erblickt, verzeichnet, nebst Angabe seiner Mutter und seines Vaters. Auch in Ungarn kommt jetzt schon ein solcher NacmF calender in ungarischer Sprache herauS, der über die ungarischen Pferdcgeschlechter und Wettrennen ahnliche Nachrichten enthält, wie der „Renukalender", der in Berlin erscheint. Von Zinkendorf nach Gsterhaz, dem ehemaligen Hauptwohnfitze und großen Schlosse der Fürsten Ester-hazy, smd zwei Meilen, und da mein Weg nach Raab mich nicht dahin führte, so machte ich von Zinkendorf einen eigenen Ausflug dahin zu Pferde. Ein Stallbursche Nl-. Rollins««'» begleitete mich. Bei dem dortigen Praftcten fanden wir eine recht freundliche Aufnahme und eine recht heitere Gesellschaft. Vs waren mehre Damen aus den benachbarten Provinzen, die ebenfalls 24 ' gekommen waren, das Schloß sich anzusehen, und unter diesen besonders eine, die, wie man in Oesterreich zu sagen Pflegt, „sehr an scharmantes und sehr an dischcursivcs Frauenzimmer war." In ihrer angenehmen Gesellschaft besahen wir das merkwürdige Schloß. Es ist dasselbe in dem Style des Schlosses von Versailles gebaut, die Zeit seiner Blüthe fallt in das vorige Jahrhundert, denn da verschwendeten hier die reichen Fürsten Esterhazy unermeßliche Schatze. Die Kaiserin Maria Theresia, welche sie zu Zeiten besuchte, gab nicht wenig Veranlassung dazu. Ihr zu Ehren wurde hier ein grosicr Saal erbaut, der auch zu besonderen Msten eingerichtet war, aber noch ehe die Kaiserin kam, abbrannte. Ebenso wurde ihr zu Ehren ein Lustschloß in dem Parke gebaut, in welchen: der Fürst für die Kaiserin kleine Gartenfeste veranstaltete. Sie fragte ihn lei einem solchen Feste, wieviel ihm dieß Schlößchen koste. Der Fürst erwiderte: „80,000 Gulden." „O das ist für einen Fürsten Esterhazy eine Bagatelle!" sagte die Kaiserin. „Bagatelle," fand man bei'm Hinausge-hen mit vergoldeten Buchstaben vor der Thür des Schlößchens angeschrieben, und es heißt seitdem „Schloß Bagatelle." Es findet sich in diesem Schlosse ei» Saal, der so künstlich gebaut ist, daß man die Musik, die in einem unteren Zimmer spielt, ebenso deutlich hört, als wenn sie im Saale selbst gegenwärtig wäre, so wie man auch wohl dle Zimmer von unten mit erwärmter Luft ohne Ocfen heizt. Es mochte die Kaiserin allerdings überraschen, Plötzlich Musik erklingen zu hören, ohne 25 sie zu sehen. Man könnte auch denken, daß es ein schönerer und reinerer musikalischer Genuß sein müßte, wenn man die Musik bloö hörte, ohne sie zu sehen. Mein ich möchte doch, zumal bei Tische, nicht den Anblick der Musik entbehren, und ich glaube, daß selbst hierbei das Auge dem Ohre hilft und die heiteren Gindrücke der Töne vermehrt. Das lustige Streichen der Geigen, die kraftvollen Bewegungen auf dein Vasse, die blitzenden metallenen Hörner, die aus- und einfahrenden Posauncnstöße, die auf den Flöten und Klarinetten auf-und niederkletternden Finger, dieß Mes ist so charakteristisch und so theatralisch, daß es gewissermaßen mit zur Musik gehört, wie die Mimik zur Declamation. Ware die Mimik der Musiker und ihrer In« strummte dem Effecte der Musik schädlich, so müßte man in allen Concerten die Zuhörer mit dem Nucken gegen das Orchester setzen. In dem großen Hauptschlosse, dessen Baukosten hoch m die Millionen gehen, findet man noch, obgleich seit mehren Jahren nicht nur Alles vernachlässigt ist, sondern auch schon viele der kostbarsten Sachen aus ihn: entfuhrt wurden, um audere, schöner gelegene Esterhazy'sche Schlösser damit zu zieren, viele höchst interessante Kunst-gegcnstande. Gs ist unmöglich, sie alle zu nennen, denn es sind hier und da ganze Zimmerrcihen damit angefüllt. Nur begreift man gar nicht, wie alle diese Dinge an diesen so wcuig schönen, so durch fast gar nichts ausgezeichneten Erdfleck konlmen. Denn ohne Zweifel hatten 26 die Esterhazys auf ihren weitläufigen Besitzungen doch noch manchen Bauplatz, der stch besser für ein Schloß eignete als dieser Sandhügel am Rande eines Mora-steS. Die Feste, welche hier zu Maria Theresia's Zeiten gegeben wurden, mögen herrlich gewesen sein, wenn man bedenkt, daß ein Haydn als Comcrtmeister der fürstlichen Kapelle dabei zur Tafel aufspielte. Die Kaiserin hatte inl Schlosse ihren eigenen Schloßstügel, und ilachher hatte Joseph auch wieder sein eigenes Quartier. Von Haydn giebt eS hier noch mehre Andenken, z. V. eine Schildpattvioline, vielleicht als Anspielung auf die Schildkrötenschale, welche der Gott Mercur mit Saiten überzog. Änch lebt hier noch eine uralte Frau, die ihn und seine Musikanten bediente, wenn die Kapelle im Schlosse anwesend war. Unter den vielen, zum Theil sonderbar?», zum Theil interessanten Klmstwerken, die man bier sieht, befinden sich auch zwei sehr merkwürdige kleine Figuren, die eines Manneö und die einer Frau, welche beide von einer Italienerin aus lauter venetianischen Secmuscheln zusammengesetzt worden sind. Diese Figuren sind nicht ganz zwei Sä'uh hoch. Den Muscheln hat man ihre natürliche Form und Farbe gelassen. Durch Aufwendung unendlich vieler Mühe hat man aber für die Lippen, für die Wangen, für die Augen, für die Finger, für die Kleider, Schnallen, Stiefeln und Knöpfe eine eigene Pas-ftnde Art von Muscheln gefunden. Sogar die Haare, alle die einzelnen Bart- und Haupthaare sind durch besondere feine, länglich gewundene Muscheln dargestellt. Das 27 Kunstwerk an und fur sich ist wenig schön. Aber es kann alö der beßte Beweis für die Manchfaltigkeit der venetianischen Conchylicn - Nclt angesehen werden. Es sind zum Theil „ Caragolis ", und der Herr von Pirch, der die hübsche Reist durch Ungarn unter dem Titel Caragoli schrieb, wurde seine Freude daran gehabt haben, daß schon vor ihm Jemand die Idee hatte, etwaS AesthctischeS aus diesen zierlichen Kindern der Nereiden zusammenzusetzen. „Wie sind sie denn auS Italien hierher gekommen?" fragte ich den alten Schlosiaufseher, der uns herumführte. „Ja," sagte er, „die Resel hat's holt g'schofft!" „Wie so?" „Schaun's, der alte Fürst saß eines TageS tn diesem selben Sopha, in dem Sie jetzt sitzen, da kam ein Italiener, der thm diese Figuren für 12,000 Gulden anbot und zugleich dabei einen Empfehlungsbrief von der Kaiserin zeigte. Der Fürst hatte gar keine Lust, diese Dinge zu kaufen, las dm Brief und laS ihn noch mal! Da machte er ihn zu und wurde mit dem Italiener handelseins! — Die Resel hat's holt g'schofft." Auch hier in Efterhaz waren viele englische Voll-» blutpferde und Engländer dabei zu ihrer Pflege. Ich iah ihrer mehre, von denen die Engländer mir erzählten, daß deren Aeltern in England zu enormen Preisen verkauft worden seien. Von einem sei z. V. der Vater zu 3000 und die Mutter zu 4000 Pfund Sterling verkauft worden. Welche edle Kinder »uustten dieß sein! M wußte „ichtö an ihnen zu schätzen, und jedes ehrliche Arbeitspferd hatte in meinen Augen mehr Werth. Sie 28 behaupteten, nut den Füllen hier 79 — 80 reine Voll-blutthierc zu besitzen. Das größte Esterhazy'sche Gestüt befindet sich aber in» Süden des Plattensees im sogenannten Oscral-Districte. Es soll sich auf 800 veredelte Pferde belaufen. Außer den Stallungen der Pferde besahen wir auch noch die der Hunde, für die ein eigenes kleines Etablissement gegründet war, einen Hof zum Spazierenfähren, mehre Ställe für die verschiedenen Altersstufen und eine eigene Küche für ihr Departement. Es waren nicht weniger als 92 englische Hunde, lauter schöne Figuren und lauter Iägerphysiognomicen. Ich fühle aber für diese rudelweise gehaltenen Hcrrnjagdhunde nicht halb so viel Sympathie wie für einen einzigen treuen Haus- oder Schäferhund, und es rührte uns kaum, als einmal der Hetzmeister mit der grosicn Peitsche drein schlug, um sie zur Ordnung zu bringen, wahrend ein solcher Schlag aus einen guten, ehrlichen, alten Phylar ohne Zweifel uns sehr leid gethan haben würde. Seit vier Jahren besteht nun auch eine Nunkel-rübenzuckcrfabrik in Esterhaz. Sie produlirte im vergangenen Jahre 690 (5ent»er Feinzucker, und dieß ist ihr ungefähres durchschnittliches Product. Aus einem Centner Nüben machen sie 5 bis 5^ Pfund Zucker. Der ganze Industriezweig der Runkelrubenfabriration ist neu in Ungarn, denn vor 12 Jahren wurde die erste von der Familie Odescalchi errichtet, und jetzt besitzt das Land 32 solcher Fabriken. Die größte gehört den Co-burg-<5oharys. Es giebt aber auch noch kleinere als 29 die sssterhazy'sche- Nähme man hiernach an, daß jede der 32 Fabriken im Durchschnitte ebenso viel fabricire wie die Werha^'sche, so würden sie aNe zusammen jährlich cii-ca 20,000 Centner Zucker aus Nüben hervorbringen. Gäbe man mm jedem Zucker essenden Menschen die Woche ein Pfund, im Jahre also etwa einen halben Centner, so würde dadurch das Bedürfniß vou etwa 40,000 befriedigt werden, was allerdings nicht ganz unbedeutend ist, wenn man bedenkt, daß es in Ungarn auf je 1000 Zuckeressende wohl 100.000 giebt, die keinen genießen. Am Ende deö vorigen Jahrhunderts gab es überhaupt nur zwei Zuckerraffinerieen in ganz Ungarn, eine in Ocdenburq und cine in Fiumc. OS ist indcsi nicht (fsterhaz, sondern ssiscnstadt die eigentliche Haupt- und Residenzstadt der Gsterhazy'schen Herr-schaftcnmassc. Denn dort befindet sich dcr Sitz der Central-Vcrwaltung aller ihrer Güter, die sich von hier aus sowohl nach Süden um den Neusiedler See herum und dann bis jenseits des Plattensees hinziehen, als auch nach Norden in das Slowakenland hinein, hauptsächlich aber in diesem westlichen Theile Ungarns liegen. Alle diese Estcrhazy'schen Herrschaften verwaltet ein in Eisenstadt rcsidirender Präsident, dem 4 Nathe zur Seite stehen. Die ganze Masse der Güter ist in fünf große Districte getheilt, deren jedem ein sogenannter Prafect vorsteht. Diese Districte haben ihre eigenen Namen, so z. V. heißt der im Süden des Plattensees der Oseral-District. Mancher dieser Präfecten hat oft 2 Tagereisen zu machen, um von einem Ende seines DistricteS 30 zu einem am anderen Ende gelegenen Oute zu gelangen. Unter dcn „Prafecten" stehen wiederuin die „Directory" der einzelnen Herrschaften mit ihren „Rmtmeistcrn", „Oe-konoinen", „Schaffnern". Einige der Herrschaften haben 20—30 Ortschaften, Dürfer, Marktflecken, auch zuweilen eine Stadt. Im Durchschnitte hat eine jede indeß nur 8 bis 10 Ortschaften. Das älteste Schloß der Esterhazys, ihr Stammschloß Galantha, befindet sich im Slowakenlande, doch haben sie die meisten, größten und neuesten hier am Neusiedler See. Esterhaz (daö große Schloß), Gisenstadt (das Central-Residenzschloß), Forchtenstein (»lit dem berühmten Schatze), noch ein anderes Schloß, das Lieb-lingsschloß des jetzigen Fürsten. Das Schloß von Eisenstadt, zu dem ich schon früher von Wien aus, wie die Oestcrreicher zu sagen pflegen, einen kleinen „Rutscher" gemacht hatte, ist ausgezeichnet durch feinen Hark und durch seine zahlreichen Kunstschatze. Von außen ist es milden Vrustbildcrn At-tila's und der ersten Heerführer der Magyaren, des Soltan, Verbultsch, Arpad ic., geziert, eine Art von Verzierung, die sich noch an mehren anderen Schlössern Ungarns wiederholt! Unter den Sammlungen interesstrte mich am meisten die große Bibliothek trefflicher Kirchenmusikcr, welche fich hier befindet. Es waren 2100 Composi-tionen verschiedener Art, Messen, Litaneien, Anlivhonm und außerdem noch 2000 Oratorien, unter ihnen auch mehre Manuscriptc von Haydn, der, im Gegensatze der 31 kritzeligen Handschrift Beethoven's, eine reine, zarte, feine Feder führte. Seine Noten sehcn auZ, als wären sic von Damenhand geschriebn,. Nnter Haydn hatte wohl die Estcrhazy'sche Kapelle ihre vornehmste Vlüthezeit, doch war sie a»lch noch zu Anfange dieses Iahrhun-.derts vortrefflich und ist noch jetzt ausgezeichnet. Von 1806—1812 war Hmmnel hier Concertmeister, und von ihm stammt auch vorzüglich jene reiche und schön qcordnete Sammlung von Kirchenmusiken her. Vor ihm bekleidete Fuchs, ein Schüler Haydn's, dieselbe Stelle, — mit ihm zugleich befand sich der Tenorist Wild in den fürstlichen Diensten. Auch Luighi Toma-sini, der Sänger Schneider, Forti, der den Don Juan so trefflich in Wien gab, und noch mehre andere ausgezeichnete Musiker verherrlichten die Gstcrhazy'sche Kapelle. Auf diesem Schlosse componirte auch Haydn seine Nelson-Messe, als der berühmte englische Seeheld hier zum Besuche bei'm Fürsten Nikolaus war. Ein anderer englischer Besuch, der des Lord Grey, verschaffte demselben Componisten ein Monument in der Kirche von Eisenstadt, Jener Lord erkundigte sich nach diesem Monumente, als es noch nicbt cristirte. Man sagte ihm, es sei längst die Absicht gewesen, ein solches zu errichten, und nun errichtete man es auch. Dcr Eiscnstadter Park ist der schönste und größte, den es in Ungarn giebt. Das Schloß und die Stadt liegen am Fuße des 5!aitha-Gcbirgeö, und der Park zieht sich noch ein wenig auf einer Vorhöhe dieses Gebirges hinauf. W bietet sich daher Gelegenheit zu den schön- 32 sten Grnppinmgen der Vaume imd Blumen. Wie großartig die Anlage ist, kann man daraus schließen, daß eine Dampfmaschine blos deßwegen in dem Parke errichtet wurde, um das Waffer eines niedrig gelegenen Teichs zn den Blumenbeete» und Gewächshäusern zu treiben. Die Aussichten ans den höher gelegenen Par-tieen des Gartens auf die Niederung mich drin Neusiedler See und auf diesen See selbst ist reizend. Hundert Arten von Camelien und Georginen werden von böhmischen Gärtnern hier gepflegt; denn „ich bin ein Behm", war die Antwort, die ich Uon den meisten erhielt, welche ich nach ihrer Nationalität befragte. In der Rosenallee, die den Berg hinaufführt, und in der Kästenallee, die am Fuße sich hinzieht, war Alles voll Spaziergänger, besonders voll schöner Jüdinnen. Mehr als sie interessirte mich aber ein anderer Spaziergänger, der von einer kleinen Tagereise in's Gebirge zurückkehrte, ein Fanziskanermönch, der Pater Stanislaus Albach. Meine Begleiter waren voll des Lobes dieses Mannes. Er sei, sagten sie, Prediger in Pesth gewesen und habe dort seine Zuhörer durch seine Veredtsamkoit entzückt. Da er aber zu freisinnig redete und von seinen Ansichten nicht ablassen wollte, so wurde er auf Befehl seines Ordcnsoberhauptcs von Pesth entfernt und lebt nun zurückgezogm in Eistnstadt. Hier beschäftigt er sich fast ausschließlich mit den Pflanzen, den harmlosesten Kindern der Natur, deren Freundschaft am meisten geeignet ist, einem verwundeten Gemüthe Trost zu bringen. Er streift Tage lang im Laithage- 33 blrge und in ben sumpfigen Umgebungen des Neusiedler Sees umher und sammelt Pflanzen; am anderen Tage schreibt er seine religiösen Betrachtungen und Gebete nieder, von denen er auch schon einen Vand herausgegeben hat. Leider lernte ich den frommen Mann nur durch diese seine Compositionen kennen, denn cr ging mit seiner Pssanzenbcnte so rasch an uns vorüber, daß uns keine Zeit blieb, ihn anzureden. Wir aßen in Esterhaz in sehr angenehmer und unterhaltender Gesellschaft zu Mittag, wo leider an unserer Conversation die jüngste und hübscheste unserer Damm, die tief aus dem Inneren des Landes gekommen war/ gar keinen Antheil nehmen konnte, weil sie kein sterbendes Wörtchen Deutsch verstand. Nach Tische „knupperten" wir noch ein wenig an „NakoLcll Xolatacli" (Mohnkuchen, einem in allen slavischen Landern verbreiteten Gebäcke) herum, „raunzten" („raunzen" heißt im Österreichischen klagen) ein wenig über die heiße Lust mid „stam-pelten" dann hinaus, um eine kleine Excursion in den großen Morast „Hansag" zu machen, wobei die Damen uns aber nur in Gedanken begleiteten. in 3 Der Sumpf Hansag und die Gulyas. Im Westen wird der Neusiedler See, wie gesagt, von den niedrigen Rüster Weinbergen umsäumt. Auf dieser Seite ist er daher auch am tiefsten; denn sein halbmondförmiges Vecken steht etwas schief gegen jene Berge geneigt. Gegen Osten wird er flacher, es treten Sandbänke oder Waseninseln aus dem Ufer hervor, und endlich verschmelzen diese Bänke und Inseln zu einander, der See hört auf, und ein flaches weites Sumpfland beginnt, das sich bis in die Nähe der Donau hinzieht. An der Donau hin wird daö Land wieder höher und fester. Der Strom selber mag sich diese festeren Uferlandc geschaffen haben. „Han" heißt im Ungarischen „der Nasen" und „Hansag" (sprich Hanschahg) eine wasige morastige Gegend. Das ganze sumpfige Land zwischen dem die Insel Schütt umfließenden Donauarmc und dem Neusiedler See wird von den Ungarn vorzugsweise Hansag genannt und hat diesen Namen auch als IVoinen ^ropri»»! in der Oe- 35 »graphic behalten. Die Deutschen der Umgegend haben dafür den Namen.- „der Wasen" im Gebrauch. — Das ganze, nur als eine dürftige Weide benutzte Sumpssand mag ungefähr acht bis neun Quadratmcilen einnehmen und ist also beinahe so groß wie der Neusiedler See selbst. Der ganze Hansag bildet eine sumpfige feuchte Masse, die indeß doch hier und da mehr oder weniger fest ist. An unzähligen Stellen sammelt sich das Wasser in kleine» Sem oder Tümpeln, die aber zum Theil zu Zeiten verschwinden, und unter denen der bedeutendste der Königssee ist. Man findet in der Negel angegeben, der ganze Hansag sei ein schwimmender Wasen. Diesi ist er aber nicht durchweg. Hier und da findet sich Wald, und mitten im Sumpfe liegt ein großer Erlenwald, der nicht schwimmt. Auch da, wo der Wasen wirklich schwimmend ist, bleibt er es doch nicht immer. Die Sache verhält sich so: Neberall findet man zunächst auf der Oberfläche deö Hansag einen dicken Moossilz, der gewöhnlich 4 bis 6, zuweilen 9 bis 12 und noch mehr Fuß tief ist. Unter dieser Moosdecke liegt dann in der Negel eine Schicht Torfcrde, und diese ruht auf einem festen Lehmgruudc, der ebenso wie der Boden des Neusiedler Sees mit GrieS und Steinen bedeckt ist. Im Frühlinge nun, wo der ganze Hansag überschwemmt wird und mit dem Fertü nur ein Wasser bildet, wird diese Moosdecke und zuweilen auch die Torsschicht von dem unteren Boden abgehobelt und schwimmt auf dein Nasser. — Wenn aber das Wachsthum in der Moosdecke — wahrscheinlich 3* 36 in Folge günstiger atmosphärischer Einflüsse — besonders energisch war, so wächst sie auch wohl an dem unteren Vode» fest, hebt sich dann stellenweise nicht und wird vom ssrühlingswassor überschwemmt. Von unterirdisch strömendem Wasser werden aber solche angewachsene Moosdecken oft wieder losgerissen und an die Oberfläche hervorgehoben. Man sieht dann oft an einem Tage ganze Strecken offenen Wassers vor sich und erblickt, wenn man am anderen Tage wiederkommt, plötzlich an derselben Stelle scheinbar Alles in festes Land verwandelt, indem über Nacht die Moosdecke emportauchtc. Hat die Angabe über den festen, mit Steinen und Gries bedeckten Uuterboden des Sumpfes durchweg ihre Richtigkeit, wie ich nicht zweifle, so könnte der ganze Hansag ebenso gut, wie jetzt noch der Fertö, ehemals ein offenes Wasser gewesen sein, und allmählig erst hatten dann die wuchernden Moose diesen Theil des Sees überwachsen. Es wäre sehr interessant, jenen Sleingries des Hansag mit dem der Donau zu vergleichen. Höchst wahrscheinlich würde aus einem solchen Vergleiche hervorgehen, daß sie eine und dieselbe Masse seien, und dadurch constatirt werden, daß diese ganze Gegend früher einen großen See gebildet habe, den vielleicht die Donau durchschritt, und der erst im Laufe der Jahrhunderte, nachdem die Donau sich ihren Fluß-Hoden erhöht und feste, hohe Uferlandc geschaffen, durch das Wachsthum von Moorpflanzen auf seine jetzige Größe, die er noch im Fertö hat, reducirt wurde. 37 Auch würden dieser Hypothese „icht die in Ester-haz und in Orenburg aufbewahrten Urkunden widersprechen, nach denen hier früher mehre Dörfer gestanden haben sollen, die der See verschlang, und denen zufolge man behaupten wollte, die Entstehung des ganzen Sees sei ein sehr neuen Zeiten angehöriges Phänomen. Jene Dörfer mögen immerhin bei einer großen Überschwemmung vom See verschlungen worden sein. Der Steingries, diese alte, weit unter dein Hansag verbreitete Urkunde, beweist mehr als jenes n»r auf wenige Dörfer sich beziehende Papier. Die größten Besitzer im Hansag sind der Erzherzog Carl zu Altenburg und der Fürst Vsterhazy. Letzterer nennt allein drei Quadratmeilen dieses Sumpfes sein eigen. Ich füge die Spccisicinmg des Cssterhazy'schcn Besitzes bei, weil daraus ein ungefähres Resultat für die ökonomische Statistik des Ganzen hervorgehen mag. Nnter 45,009 Joch Hansagobcrflache befinden sich: verwachsene Wiesen und Wasserstände 19,360 Joch, reine Niese......1l,7U0 „ Erlenwald ......6,190 „ nutzbare Nohrstrecken .... 5,700 „ Aecker und Neunsse .... 209 „ Darnach Ware ungefähr A des Hansags sumpfige Niese (auch die Nohrstrecken rechne ich dann dazu), nicht ganz 5 Wald und ^ss Ackerland. So war es wenigstens vor 15 Jahren, und im Ganzen wird eS auch jetzt noch so sein. Nur mögen allerdings doch die Aeckcr und die gereinigten Wiesen um 38 ein Weniges zugenommen haben. Denn theils werden schon durch die bloße Veweidung die Wiesen etwas besser (das Vieh läßt den Dünger auf ihnen und arbeitet, indem es immer tief in den lockeren Vodcn hin-eintntt, die Moosdecke beständig durch und bringt besseres Erdreich nach oben), theils aber thun auch die Besitzer immer etwas, um die Wildniß zu beseitigen. Das Meiste muß dabei von der Altenburg'schen und Gsterhazy'schen Herrschaft erwartet werden. Aber die Sulnpfmafse ist zu groß, alS daß dic Kräfte zweier Herrschaften hier viel ausrichten könnten. Ja könnte man das Oanze an viele kleine Besitzer vertheilen, so würde es vielleicht rascher gehen. Am wenigsten thut die schon seit Kaiser Joseph's Zeiten für diesen Zweck errichtete Negierungscomnüssion. Sie sitzt und arbeitet schon seit 50 Jahren, wie man sagt, und vergeblich erkundigt man sich nach ihren Erfolgen. Das Meiste, was man aus dem Sumpfe holt, kann man nur im Winter Heransschaffen. Und nur in sehr trockenen Sommern ist es möglich, Arbeiten zu seiner Auktrocknung vorzunehmen, Damme auszuwerfen, Kanäle zu graben, Wege zu bahnen u. s. w. Die Fürsten Esterhaz!) haben für solche Arbeiten schon manche hunderttausend Kulden ausgegeben. Aber wenn sie auch ihre ganzen ungeheueren Reuenueen jahrlich in diesen Sumpf stecken wollten, so würde doch wahrscheinlich noch nicht viel damit ausgerichtet werden. — Eins ihrer kostspieligsten Werke ist ein großer Damm, den sie auf ihre Kosten mitten dnrch den Hansag er- 39 richten ließen, um die nördlich voll ihm gelegenen Ge» gendcn mit den südlichen durch eine gute Verkehrsbah» zu verbinden. Dieser Damm hat nicht weniger als 23 Vrücken, mtter denen im Frühlinge das Wasser aus dem Sumpfe zum See hinausströmt. Zuweilen ereignet es sich aber auch, daß die Strömung in umgekehrter Richtung geht. Vom Schlosse Esterhaz aus überblickt man einen großen Theil dieser Wildniß, in der man von Weitem keine Spur menschlicher Ansiedelung entdeckt. Ich war, wie gesagt, begierig, mir die Sache selbst etwas näher anzusehen, und rollte bald in der lehrreichen Begleitung des Gsterhazy'schcn Präfecten und eines Unterbeamten auf dem Nucken jenes Dammes in den Sumpf hinein. Es war der laufende Sommer ein so trockener, wie man ihn seit 19 Jahren nicht gehabt hatte, und es wurden daher mehre neue Arbeiten betrieben, die wir besichtigten, indem wir den Damm verließen und über einen auf-> und niederschwankendm Weg mitten in den Sumpf hineinfuhren. Es wurden mehre wilde Gebüsche gelichtet und ein neuer Weg gegraben. Zu einigen Heu- und Schilfplätzen im Hansag/ wo sich ein etwas festerer Grund oder doch eitle dickere Mouödecke darbietet, ist es möglich mit Wagen zu fahren. Die leichten Fuhrwerke und die gewandten Pferde der ungarischen Vauern fördern sich hier durch. Wir verfolgten einen solchen Weg. Es dauerte aber nicht lange, so fiel eins unserer schweren Pferde durch oic Moosdecke durch und steckte mit allen vier Füßen im 40 Sumpfe wie angenagelt. Wir waren nicht im Stande, das Pferd wieder herauszubringen, und indem wir unserem Kutscher den Auftrag gaben, sich einige Hirten aus der Nachbarschaft zusammenzurufen, setzten wir unseren Weg zu Fuße fort. Wir kamen bald in Gegenden, wo der Voden beständig unter unseren Fußen schwankte, und obgleich durchaus keine Gefahr dabei ist, so war es doch ein eigenes Gefühl, nirgends auch nur einen sicheren Schritt machen oder ein festes, wankclloses Fleckchen gewinnen zu können. — Hier und da fanden wir Arbeiter, Schilfschneider, Grasmäher, die eigenthümlich aus-staffirt waren. Sie hatten kleine Vreter unter die Füße gebunden, um sicherer auftreten zu können, und um das Haupt und Gesicht schlotterten ihnen Grasper-rückcn, die sie vor den Stichen der kleinen Sumpfmücken schützen sollten. > Auch dient ihnen das Gras, von dem sich hier jeder etwas in den Hut stopft, zum Kühlen des KopfeS in der großen Sonnenhitze. Das Innere des Hansag lag nun in seiner ganzen Wildheit vor uns. Eine unabsehbare ebene Wüstenei, Schilfwalder an Schilfwalder gränzend, zwischen ihnen sumpfige Wiesen sich hinziehend, in der Entfernung am äußersten Horizonte der große Erlenwald in der Mitte des Sumpfes sichtbar. Ueber dem Ganzen lag eine dicke, schwüle Atmosphäre, so eine „kabige" Luft, wie die Leute hier sagen. „Im Sommer ist's fast immer „trüblct" im Hanschag," bemerkte mir mein Begleiter. — Zahllose Schaarcn von Gölsen trugen dazu bei, 41 die Aussicht noch mehr zu trüben. Ueber jedem „Kup" oder „Kupoz" (so heißen die kleinen Heuhaufen), wie über jeder „Voglya" (so Heisien die großen Schober, zu denen das Heu aufgehäuft wird, um darin bis zum Winter liegen zu bleiben) stand eine lange Säule von tanzenden Golfen. Ich möchte wissen, warum diese Thierchen immer einen solchen Anhaltspunct suchen. — Zwischen Hunderten von solchen Kupoz und Voglyas, mit denen der ganze Hansag gefüllt ist, und zwischen Hunderten von solchen Gölstnsäulen wanderten wir hindurch. Außer den Gölstn giebt es noch eine andere Art von Mücken int Hanfag, welche die deutschen Leute „Minkerlu" nennen. Diese Thierchcn sind für die Menschen, wie für das Vieh dieser Gegend eine wahre Plage, zu gleicher Zeit aber sind sie auch sehr heilsame Aderlasscr. Mein Begleiter sagte mir darüber, im Frühling sci das Vieh des Hansag besonders vielen Krankheiten ausgesetzt; weil eö im Winter gewöhnlich kümmerlich gelebt habe, im Frühling dagegen plötzlich in den üppig aufsprießenden Sumpfkrautern schwelge, so werde es sehr vollsaftig und bekomme ein „üppiges Blut." Es stürben dann viele Thiere weg, im Juni aber kamen die Insecten und ließen ihm zur Ader, darnach befände sich Alles besser, und die plötzlichen Sterbefälle hörten auf. Das Gras, welches man nicht abmähen kann, läßt man vom Vieh abweiden. Es leben Jahr aus, Jahr ein sehr große Hcerden von Hornvieh im Hansag. Dieß 42 Vieh ist alles wild, das hcisit, es hat noch keinen Strick um die Hörner gehabt und nie Stallluft geathmet. Im Winter ziehen sich die Hirten mit ihren Heerden mehr an den Rand des Sumpfes in die Nähe der Dörfer nnd Wälder, und sie überwintern dann in einem dachlosen umzäunten Raume. Auch kalbern die Kühe im Februar im Freien ab, und die jungen Thierchen springen ganz frisch und lebensfroh, oft bei dem größten Froste, aus der Wärme deS Mutterleibes in den kalten Schnee. Sie werden im Winter nur dürftig genährt. Um aber alle Entbehrungen, die das Leben im Hansag auflegt, zu ertragen, müssen es schon geborene Hansagkühe sein. Anderes Vieh kann dieß nicht mitmachen. Die Ungarn nennen eine solche das ganze Jahr unter freiem Himmel lebende Hornviehheerde „Gulya" (sprich „Gulja"). Für eine zahme Hecrde haben sie einen anderen Namen. Der Ochscnhirt heißt „Gnl-jäS (sprich „Guljaasch"). Für Schweinehirten, Schafhirten, Pferdehirten u. s. w. giebt es, wie in jedem ächten Hirtenlande, wieder andere besondere Namen. — Vei alle» südöstlichen europäischen Völkern findet man eine solche weitläufige Hirtcnterminologie, nämlich bei den Magyaren, bei den Wallachen, bei den Tataren u. s. w. Sovlel mir bekannt ist, findet man aber diesen Reichthum nomadischer Ausdrücke bei keinem einzigen slavischen Volke, was denn ein sehr schlagender Vewcis dafür wäre, daß den Slaven keine so ausgemachte nomadische Natur inwohnt, wie einige unserer mit den Slaven weniger bekannten Schriftsteller in der Regel annehmen. Während 43 in Ungarn die auf den Ackerbau Vezug habenden all-» gemein angenommenen Ausdrücke zum Theil slavisch, zum Theil deutsch, zum Theil auch magyarisch sind, sind fast alle auf das Hirten leben sich beziehenden Ausdrücke magyarisch, und dieselben auch von den dortigen Deutschen und Slaven in ihren Sprachen angenommen. Vei'm weiteren Vordringen trafen wir auf eine Heerde von 400 Stück Hornvieh, jungen Ochsen und wilden Kühen. So wie wir uns näherten, stutzten sie alle von Weitem, hörten auf zu fressen und drängten sich scheu zusammen. —- Ein paar große weiße, zottige Hunde von ausgezeichneter Race stürzten auf uns zu. Wir wehrten sie ab und ginge» noch näher hinzu. Da nahm die ganze Hccrde in wildem Getümmel Reißaus, und die Hirten brachten sie nur mit Mühe in einiger Entfernung zum Stehen. — Als wir mit den Hirten, von denen uns einige auf dem schaukelnden Rasen entgegensprangen, zu reden anfingen, konnten wir uns mit ihnen dreist unter das Vieh mischen, das nun ruhig fortwcidete, und ich wunderte mich über den Instinct dieser Thiere, die allesammt ohne eine einzige Ausnahme uns sofort als Fremde erkannt hatten und uns nun dagegen als Bekannte ihrer Hüter wie gute Freunde ansahen. Die Hirten waren ächte Magyaren in Welten Gatje-hosen, kurzen Jacken und breitkrampigen Hüten, mit schwarzein langen Haar, markirten, scharfgeschnittcnen Gesichtszügen und feurigen Augen. Die Magyaren sind so in das Hirtenhandwerk verliebt und eingeübt, daß 44 sie es oft auch im Dienste der Deutschen betreiben. Die meisten deutschen Dörfer am Neusiedler See haben zum Hirten einen Magyaren. Wir begleiteten die Leute zu ihrer Wohnung, welche nicht fern war. Sumpfige, schwankende Fußstcge führten dahin. Die Gulyüs im Hansag bekommen das ganze Jahr hindurch, außer im Winter, wo es friert, keine» festen Grund und Boden unter die Füße. Gs war cine konisch gebaute Schilfhütte, deren Inneres ebenfalls mit Schilf und Stroh belegt war. In der Mitte waren vier Vreter zusammengenagelt und mit Lehm ausge-schlagen, was den Ofen und Heerd darstellte. Zu dm Seiten waren drei Strohlager angebracht. Das Kopfkissen war ein mit Schaffellen belegter Holzblock. Wenn die Leute sich des Nachts in diesem Vette umdrehen, so schwankt der Boden, und cS zittert das Ganze. Auch im Winter wohnen die Glilyäs in solchen Behausungen. Sie sehen dabei aber kerngesund aus (wenigstens die, welche ich sah). Ihre hauptsächlichste Nahrung ist das in ganz Ungarn berühmte „Guly-Is-hüs" (sprich- „Guljaaschhusch"), kleine Stücke von Ochsenfleisch, die mit Zwiebeln und Paprika (ungarischem Pfeffer) eingerieben und gebraten werden. Die Hauptsache ist dabei der Paprika. Es muß so gepfeffert sein, daß es Einen, im Munde brennt. Ich aß einmal in Ungarn ein Stück Gulyashuö, das mir ein Hirt reichte, und glaubte noch lauge nachher, ich hätte eine glühende Kohle im Magen liegen. Dazu trinken sie ihr trübes, laues Sumpfwaffer, denn klare Quellen giebt es im 45 Hansag natürlich keine. Wenn sie trinken wollen, so legen sie sich auf den Bauch oder kauern nieder und ziehen mittels eines Schilfrohrs das Wasser aus der Tiefe. Ein Gulyas zeigte mir genau, wie sie es machen. Er schnitt ein Schilfrohr ab, stutzte es zurecht und steckte es etwa eine Me ties in den Morast. Dann zog er das Wasser mit dem Munde in die Höhe und spie es alls. W war lauter schmuzige braune Jauche. Je mehr er aber sog, desto reiner wurde das nachfolgende Wasser. Endlich fand er es trinkbar, mm zog er das Schilf wieder hervor und nmwickelte das untere Ende mit einem Flicken Leinwand, der zum Filtriren dienen sollte. Dann prakticirte er das Rohr mit diesem Flicken wieder in das Loch hinein und forderte mich auf zu trinke», mit der Bemerkung, das Wasser wäre nun köstlich. Ich bückte mich, trank aus dem ellenlangen Rohre das lauwarme Wasser und dachte dabei an die oft ebenfalls ellenlangen Champagnerglaser, aus denen man in Wien den sprudelnden Nebensaft trinkt. Welche Contraste in geringer Entfernung! Ich fand vor jedem Bette ein solches Schilfrohr im Boden stecken. Es war auf jedem ein zierlicher kleiner Stöpsel. Des Morgens, wenn sie aufstanden, sagten die Leute, sei es das Erste, daß sie sich auf die Erde legten und aus den Röhren sögen. Dieß sei ihr Morgentrank. Das schmecke sehr gut. Als ich das Nohr etwas unvorsichtig anfaßte, baten sie mich, behutsam damit umzugehen, weil ich daö Wasser unicn leicht trübe machen könnte. Bibliotheken haben sie nicht, die Gulyas, und auf 4ft den ganzen 9 Quadratmeilm des Hansag sind nur wc-nige Leute, die lesen können, außer dem, was in den Physiognomiken ihrer beständigen Lebensgefährten, der Ochsen, oder am Himmel übev» das Wetter geschrieben steht. Es ist nicht möglich, daß ihre Vorfahren, die Nomaden in Asien, roher und einfacher gelebt haben als sie, und ich möchte wohl behaupten, daß es in ganz Europa keinen stärkeren und zugleich näheren Gegensatz giebt, als das nomadische TrekbcN in dieser Landschaft und das lururiöse Leben in der nahen Residenzstadt Wien, die man, wenn eine Eisenbahn dahin führte, in zwei Stunden erreichen könnte. Ich glaube nicht, daß irgendwo asiatische und europaische Lebensweise und Lebenöansichten sich naher und in stärkerem Contraste einander gegenüberstehen. — Und doch ist schon mancher Wiener Kavulier hier im Hansag auf der Jagd gewesen, ohne etwas Besonderes dabei zu denken. Brachte aber ein geschickter Theater-Dccorateur einmal eine Naturansicht aus dem Hansag auf die Bühne, ich glaube, Jeder würde darauf schwören, diese Scene müßte aus einem fremden Lande sein, etwa aus den Djungeln des Ganges-Deltas. Wie barbarisch diese Gegend noch sei, leuchtet genugsam aus der Geschichte des berühmten wilden Knaben ein, der im Hansag gefangen wurde und in der ganzen Umgegend unter dem Namen „Han Istuk"(d. H.Morast-Stephan) noch jetzt bekannt ist. Was ich über diesen Han Istok in dieser Gegend erfuhr, lautet wieder etwas anders als 47 das, was Andere darüber berichteten. Die Leute erzählten unS, dieser Knabe sel als ein völlig thierisches, im Wasser lebendes Wesen in dem größten See des Hansag, eben jenem Königssee, von den Fischern im Jahre 1749 im Netze gefangen worden. Nach seinem Portrait zu schließen, welches ich km Schlosse Esterhaz sah, hatte er einen kahlen Kopf, nur am Hinterhaupte einige wenige Locken, blöde, breite, thierische Gesichtszüge, einen dicken Unterleib mit großem Heumagen und kurzen Beinen und Armen, die er wie ein Frosch zusammenzog, dabei aber doppelt lange Finger und Zahne. Wenn gleich vielleicht in den genannten Stücken, so ist indeß doch schwerlich in allen Punkten jenes Bildttiß getreu; so z. V. hat er darin einen Vart, und feine Finger und Zehen sind mit einer Schwimmhaut verbunden. Sein ganzer Körper war mit einer schuppenartigcn, knochigen Haut bedeckt. Vr speiste, sagten die Leute, Anfangs nichts als Gras, Heu, Frösche und rohe Fische, denen er das Blut aussog. Erst nachdem man ihn 7 Monate lang im Schlosse gehütet und erzogen hatte, hörte er auf, rohes Vlut zu genießen, und fing an, Kleider auf seinem Leibe zu dulden. Man mußte ihn sehr vor dem Wasser hüten, denn wenn er konnte, sprang er hinein und machte Versuche zur Flucht. Im Ganzen blieb er 14 Monate auf dem Schlosse, und in den letzten Monaten konnte man ihn schon in der Küche zum Vra-tenwenden gebrauchen. Das Sprechen lernte er aber in dieser kurze» Zelt nicht. Der einzige Ton, den er von sich gab, war ei» zischendes Pfeife», daö cr mit 48 dem Munde hervorbrachte. Nach 14 Monaten entschlüpfte er doch der Aufmerksamkeit seiner Wächter. Wahrscheinlich sprang er in den Schloßgraben «ni? entkam durch diesen in die mit ihm zusammenhängende kleine Naab uyd dann in die Sumpfwildniß. Der Fürst Nikolaus Esterhazy, der damals regierte, that Vieles, um seiner wieder habhaft zn werden. Er ließ sogar den Schloßgraben ableiten, um vielleicht den Körper des Han Istok zu finden. Auch ließ er rund umher die Gewässer durchsuchen und ausfischen, aber vergebens. Der Morast-Sephau war verschwunden. Nach 3 Jahren will man ihn noch einmal im Hansag erblickt haben, und wie einige alte Franzosen noch an dem Tode Napoleon's zweifeln, so glauben viele Gulyas, der Han Istock lebe noch heutiges Tages im Wasser. „Er kann vielleicht noch eristiren", sagte einer der Anwesenden, als wir von dieser Geschichte sprachen. Die Dichter und das Volk der Umgegend scheinen ihn sogar unter die Unsterblichen versetzt und zu einer mythischen Person gemacht zu haben. Wenigstens sah ich ein Gedicht, worin von ihm wie von einem Könige des Sumpfes, von einem mächtigen Geiste des Morastes gesprochen wurde, der den benachbarten Hirten und Fischern Leides anthue oder ihnen schöne Geschenke mache. In Kapuvar ist über diese ganze Begebenheit ein Protocol! aufgenommen, das von glaubwürdigen Personen unterzeichnet worden ist. Ich sah einen Abdruck dieses Proto-colls in der Wiener Zeitung vom 8. August 1803. Es' stimmt in der Hauptsache ganz mit jener Erzählung 49 übereil!. Auch ist im Ganzen außer dem langen Untertauchen unter dem Wasser wenig Unwahrscheinliches daran. Denn wie der Mensch die Fähigkeit hat, sich in Tugend und Erkenntniß den Engeln zu nahern, so hat er auch die, in Lebensweise und Nahrung den Thieren nahe zu kommen. Man sieht in Südamerika die Menschen wie Eichhörnchen in den Zweigen der Bäume leben. In anderen rändern wohnen sie wie die Tiger und Löwen in Höhlen und fressen sich untereinander. Warum sollte sich nicht auch ein einzelner Mensch einmal gewöhnen, wenn auch nicht wie ein Fisch (des Athmens wegen), doch wie ein Vibcr oder eine Seeotter im Wasser zu hausen. Indeß ist der Han Istuk nur, so zu sagen, die Blüthe und Krone oder der Ausbund derjenigen moralischen Verwilderung, die in der natürlichen Wildniß des Hansag ihrm An-haltspimct findet. Nicht nur die vernünftigen Leute sind hier uncultivirter als anderswo, sondern auch derer, welche gar nicht einmal zur Vernunft gelangen, sind mehre. In Kapuvar, in Hcdervar und in allen um den Sumpf herumliegenden Ortschaften giebt es viele CretinS, hier wie in anderen österreichischen Provinzen „Troddeln" oder Trotteln genannt. In Kapuvar war ich selbst und sah dort mehre solche von Gott verlassene Wesen. „In Hedervar an dem Donauarme der Insel Schütt," sagte mir ciuc ungarische Dame, „giebt es der Krüppel, der Kröpfe, Tröpfe und Troddeln so viele, daß es Einen ordentlich anekelt." Diefelbe Dame nannte nur sogar einige Geschlechter der Umgegend des Hansag, 50 von denen man behauptete, daß ein kleiner Anflug trod« delartlgen Blödsinns in ihnen erblich sei. So viel ich in Kürze wahrnehmen und von Anderen hören konnte, haben diese Sumpf-Cretins dieselben Eigenschaften wie die Ve'rg-Cretins in den Alpen. Dickköpfigkeit, Blödsinn, Mangel an Sprache, Unempfindlichkcit, Tücke n. s. w. kommen bei beiden auf gleiche Weise vor. Auch ereignet es sich wie in den Alpen, daß die Aeltern zuweilen ganz frisch und gesund sind, wahrend alle ihre Kinder mit dem Kretinismus behaftet erscheinen. Auch auf der ganzen Insel Schütt soll dieser Kretinismus verbreitet sein. Ob die Leute wohl durch- jene Schilfrohre ihren Stumpfsinn aus dem sumpfigen Boden heraus^ saugen? Die Sonne fing schon an, in die „kabige" Atmosphäre und in die Schaaren von Golfen und Min-kcrln hinabzusinken, — o armer Apollo! welch' unbe-cfurmer Tod mitten aus den Wolken unbarmherziger kleiner Ungethüme zur Nuhe zu gehen! Zahllost Züge von Staaren und anderen Vögeln kehrten zu den Sumpfgebüschen zurück. Sie kamen vom Festlande heim, wo sie sich auf den Getreidefeldern gesättigt hatten, um nun in Ruhe in der Einsamkeit der Wildniß zu übernachten. Wir traten den Rückweg zu unserer Equipage an, die wir nach einiger Mühe wiederfanden. Mehre Hirten sprangen ,ms immer hülfreich zur Seite. Andere ihrer Brüder hatten indeß das Pferd wieder herausgehoben und den Wagen vorsichtig auf ein festeres Erdreich geschoben. Als wir von ihnen Abschied nahmen und in den Wagen stiegen, 51 bemerkte ich etwas, was mir ein Zeichen von der großen Sclaverei war, in welcher die Bauern in Ungarn noch stecken. Gin Unterbeantter nämlich, der uns auch begleitet hatte, nahm ebenfalls Abschied von den Hirten, und indem er, in den Wagen steigend, an sie noch einige Worte richtete, schlug er einen von ihnen mit einem Schilfrohre, das er zum Spielen in der Hand hielt, über sein kahles Haupt. Die Leutchen umstanden uns nämlich alle natürlich mit ehrerbietig entblößtem Kopfe. Dann warf er sein Schilfrohr weg und schwang sich in den Wagen. Ich fragte ihn, ob der Kahlkopf ein guter Mensch sei. „O ein prächtiger Kerl!" sagte er, „er ist der bcßte von allen unseren Gulyas." „Warum schlugen Sie ihn über den Kopf?" „Schlug ich ihn? Ach so! Ich berührte ihn ja nur mit dem Schilfrohre zum Abschiede." „Ja Sie hätten ihm M auch statt dessen die Hand drücken können." — „Na, das doch nit!" — Wie gesagt, dieser einfache Abschiedsschlag mit dem leichten Rohre über das kahle Haupt eines dienstfertigen Alten empörte mich mehr, als wenn ich zur Strafe Jemanden mit der Knute hätte behandeln sehen. Gern wäre ich noch zu dem Erlcnwalde gelangt. Allein man sagte mir, ohne Schiffe und andere Vorrichtungen ' könnte dieß nicht geschehen, und es wurde bereits Nacht. Der Präfett sagte mir, es seien unter den Grien auch einige Weiden, Eichen und andere Bäume. Er erzählte mir auch von 70 bis 80 großen Fichten, die er an einer anderen Stelle des Hansags wüßte. Diese 4* 52 Fichten hätten sich mit ihren Wurzeln blos in der schwimmenden Moosdecke des Sumpfes verbreitet. Bei einem starken Sturme schwankten dann nicht nur die Baumstämme hin und her, sondern es schaukele und tanze auch mit ihnen der Boden. In jenem Erlenwald nahe den besitm Weiden des Hansag soll der ungarische König Stephan ein grosses Pferdcgestüt gehabt haben. Eine der Hauptbeschäftigungen der Anwohner deS Hansag nnd seiner Hirten in ihren Musisstimden ist das Trocknen dcS Schilfs und das Flechten der groben Matten, die man in Wien „Dakcn" nennt nnd zum Verpacken der Waaren und bei anderen Gelegenheiten braucht. Im Vcnetianischen, im Echwarzwalde und anderswo machen die Hirten die feinsten nnd bewun-dernöwerthesten Strohgcftechte. Wenn man diese Stroh-geflcchlc und jene Daken vergleicht, so hat man darin einen sichtbaren Masiftab der Kunstfertigkeit beider Gegenden nnd der Hirten-Industrie des Hausag im Vergleiche zn der deS Schwarzwaldes und im Vcnetianischcn. Fast alle Daken für Wien gehen aus dem Hansag und aus dem auf der anderen Seite der Donau liegenden March-fclde hervor. An dem östlichen Ufer des Sccö blüht in trockenen Sommern Soda aus dem Boden hervor. Die Ungar» nennen diese Soda K^'lc (sprich „8«l?l>K"). Die Deutschen haben daraus daö Wort „Zick" gemacht und sprechen auf diese Weise vom „Zick" und von der „Zick-erde." Gs gehören besondere Umstände dazu, uin den 53 Zick, dcr in der <3rde steckt, hervorkommen zu lassen. Es muß der Boden im Ganzen ziemlich angetrocknet sein. Dann aber muß ein kleiner Ncgen seine obere Kruste wieder erweicht habeu. Unter solchen Umständen kommt der Zick reichlich hervor, und man findet oft ganze Strecke» LandcS weiß gefärbt, wie beschneit. Die Leute kehren ihn mit dem Veftn ab und bringen ihn in dic Sodasiedcreicn. Wir werden indeß später noch auf diesen Gegenstand umständlicher zurückkommen. Denn die vornehmste Eodaerzcugung in Ungarn hat in dem Lande zwischen der Donau und der Theiß statt. Auch die meisten kleinen Lachen "lm Hansag selbst liefern, wenn sie austrocknen, Soda. In nasse» Jahren, wenn sie nicht völlig verschwinden, haben sie es blos an ihren Ufern. Seit dem Jahre 1797 haben sich die Wiener Seifensieder zu einer Gesellschaft zusammengelhan, um Sodastc-dcreicn an dem Neusiedler See zu errichten. Dies« Leute verstehen sich auf die Gewinnung der Soda besser als die fürstlichen Bauern und Beamten. Sie wollten diesen die ganze Sodagcwinnung am östlichen See-ufcr abpachten. Diese aber wollten sich nicht darauf einlassen, und die Seifensieder setzten sich nun am nördlichen Ufer bei Neusiedel fest und thun der fürstlichen Production viel Schaden. Vci dem Dörfchen Illmick am See soll auch im Sommer ein schönes reines Krystallsalz (Kochsalz?) gefunden werden, welches theils verhandelt, theils zur Lecke für's Vieh verbraucht wird. Spat Abends kehrten wir nach Esterhaz zurück, WO wir unscrcu Damen einige Vergißmeinnicht über« 54 brachten, die wir bei den Schilfhütteu der Hirten gepflückt hatten. Denn diese zarte Blume blüht dort in großrr Menge in dem rauhen Sumpfe, und während unsere gebildeten Dichter zierliche Verse an sie richten, frißt sie dort das wilde Vieh wie anderes Gras. Uns servirte man für unsere Blumen noch die Ucberreste eines recht reichlichen Soupers, und ich weiß nicht, wie es kam, daß bei Gelegenheit dieser Fristung unseres Lebens gerade daS Gespräch auf den Tod kam. Ich bemerkte, daß ich fast unausgesetzt an den Tod dächte. Da lachte mir jenes hübsche Weibchen, das ich am Mittage „sehr an diskursives Frauenzimmer" genannt hatte, in'S Gesicht. „Ja wie so denn decs?" sagte sie. „I denk goar nit an den Tod. Gs fallt mir im Traum nit ein. Es kommt mir halt g'rad so «or, als müßt' i ewig leben. I hab's mir zum Stichwort g'nommen: Gedenke stttö dcs LebcnS!" — Um Mitternacht erst schwang ich mich auf's Pferd, um nach Zinkendorf zurückzureiten. Sie luden mich freundlich ein, noch die Nacht bei ihnen zu bleiben, aber ich dankte ihnen und sagte, ich gehöre zu den Nementn-mori-Philosophen, ich habe noch viel zu thun, und meine Lebcnsfrist sei kurz. Es war die Nacht vom Sonnabend auf den Sonntag, und in allcn magyarischen Dörfern fanden wir noch' Leben und Bewegung. „In dieser Nacht", sagte mir Istok, mein Begleiter, „gehen die Burschen zu den Mädeln." Ueberall sahen wir bei'm Schimmer der Sterne die Schönen sich zum Fenster hinausneigen und 55 die Burschen in liebender Unterredung vor ihnen stehen. — O Liebe, wie bist du aller Wege wach und rege! Ich habe nicht in Erfahrung gebracht, ob dieß eine allgemeine magyarische Sitte sei, uder ob sie vielleicht von den benachbarten Deutschen auf dle Magyaren am Fertö übergegangen ist. Mf Schloß Zinkendorf war bereits Alles mäuschenstill und todt, denn sie hatten wahrscheinlich gedacht, daß ihr Hadji, Vaba in einen anderen Hafen eingelaufen wäre. Doch fand ich die Thore und Thüren nicht verschlossen und tappte den Weg zu meinem Zimmer aNein zurück. Sie sagten mir nachher, daß es ihnen nie einfiele, das Schloß über Nacht zu verriegeln. Auch der erlauchte Besitzer des Schlosses versicherte mir später, daß trotz seines ziemlich bedeutenden Silberschatzes doch sein Schloß nie verriegelt würde. Dieß Factum steht fest. Wie dasselbe mit der sonst so allgemeinen Unsicherheit und mit den überall angewandten Vorsichtsmaßregeln gegen dieselbe zu vereinigen sei, weiß ich nicht. Vielleicht, daß nur die Paläste mit einem den Verbrecher erschreckenden, Nimbus umgeben sind. Am anderen Morgen, wahrend man meine Equipage besorgte, besah ich mit dem Hofrichter die Maul-beerbaumpftanzungen des Grafen Szechenyi. Dieser berühmte Herr, der auf die Industrie und Cultur seines Vaterlandes einen so denkwürdigen Einfluß gehabt hat, sucht auch auf seinen eigenen Landgütern überall ein gutes Veispiel zu geben und neue Industriezweige einzuführen. Er besitzt allein in seine» Baumschulen bei Zinkendorf 56 200,000 Maulbeerbäume und hat bereits 20,000 Bäume in's freie Feld hinausgesetzt, die jetzt ein Alter von 8 bis 12 Jahren haben. Sollten ihm viele andere seiner Landslcute mit diesem Opfer und diesen Zahlen nachfolgen, so würde Ungarns Seidenzucht bald bedeutend werden, was sie in diesem Augenblicke noch nicht ist. Gs ist wohl kaum ein ungarischer Ort zu finden, in dem man nicht einige Böhmen antrifft, die sich dort mit irgend einem Zweige der Industrie beschäftigen. So traf ich in Zinkendorf einen böhmischen Wagenfa-brikanten, der mir versicherte, daß er schon 600 Equipagen habe von Stapel laufen lassen. Ich fand bei ihm auch mehre Neutitschenkcn, eine kleine leichte Wagenart, die von dem Städtchen Neutitscheln in Mähren sich durch Galizien und die Bukowina verbreitet hat und, wie ich nun sah, auch in einem Theile von Ungarn Mich geworden ist. Man nennt sie hier „Natjczenkcn". Mein böhmischer Fabrikant führte mich auch in den Lefeverein des Orts, „Oivase c^Iet (sprich „Olvusclicli ct^tt"). Denn seit der Begründung des Pesther Casinos, der gelehrten ungarischen Gesellschaft, und seit der Geburt des ungarischen Journalismus haben sich solche Lesevereine mit außerordentlicher Schnelligkeit über ganz Ungarn verbreitet, und wie gesagt, ich fand sogar in dem kleinen Flecken Zinkendorf einen solchen, der neben den modigeu ungarischen Journalen ^elenknr, VM»F, Itiruük u. s. w. auch die allgemeine Zeitung und noch zwei oder drei andere deutsche Blätter darbot. Der 57 Venin bestand, wie die meisten dieser kleinen Lesezirkel, seit 3 Jahren. Das Frühstück, welches ich noch vor der Abreise mit einer ungarischen verheiratheten Dame einnahm, wurde mir durch einige interessante Vcmerkungen über das Lernen der ungarischen und deutschen Sprache gewürzt. Sie sagte mir, sie lasse alle ihre Kinder erst Ungarisch lernen und später erst Deutsch. Durch die Ueberwindung der Schwierigkeiten der ungarischen Aussprache würden sie daun auch geschickter für das Lernen jeder beliebigen anderen Sprache, und sie sprachen nachher auch namentlich das Deutsche reiner. Das Deutsche mache die Zunge schwerfällig und ungeschickt, und alle Kinder, die zuerst Deutsch lernten, hätten nachher bei'm Ungarischen und bei anderen Sprachen große Mühe. Das System, welches sie bei ihren Kindern befolge, würde daher auch von allen Müttern und Erziehern in Ungarn angewendet, und in der That hatte 1ch später Gelegenheit, diese Bemerkung vielfach bestätigt zu siuden. Die Naabau und Naab. Naö ganze Land zwischen Oedenburg und Raab ist so flach und eben, als wäre es mit der Setzwage in's Gleichgewicht gebracht worden. Es ist ein Theil der westlichen ungarischen Ebene. Diese Ebene hat ihre niedrigste Gegend im Neusiedler See und im Hansag. Sie wird gegen Nordwesten durch das Nosaliengebirge, das Leithagebirge und die Preßburger Karpathen, —- im Nordosten durch die Neutraer Gebirge und anderen Ausläufer der Karpathen, im Südostcn durch den Na-konyer Wald und im Südwesten durch Ausläufer der steierischen Alpen begrauzt. Eine Figur, deren Gränzlinien man durch die Städte Preßburg, Pyrnau, Komorn, Raab, Körmönd, Güns und Oedenburg legt, umfaßt ungefähr diese Ebene, die beiläufig 200 Quadratmeilen groß ist. Mit Ausnahme des Hansag bietet sie überall ein fruchtbares Acker- und Weideland dar, das den höchsten Grad von Ergiebigkeit auf den ihres Frucht-reichthums wegen berühmten Inseln Schütt erreicht. 59 Die Donau stießt der Breite nach mitten durch diese Ebene, die so wenig geneigt ist, daß die Gewässer des Stromes sich sofort hinler Preßburg, wo sie in die Ebene eintreten, spalten und in mehren weit verzweigten Armen sie durchirren, welche sich erst am Ende der Ebene bei Komorn in einem gemeinsamen Sammler wieder vereinigen. —> Man nennt diese Ebene gewöhnlich auch „die kleine ungarische Ebene," im Gegensatze zu der großen und Hailptebene im Osten des Landes, die man füglich die Thcißebene nennen könnte, da dieser Strom sie ganz von Anfang bis zu Ende in der Mitte durchströmt. In der großen Ebene herrscht Viehzucht vor, und die unbearbeiteten Länder sind größer. In der Preßburg-Komorner ist aber der Ackerbau wenigstens ebenso bedeutend als die Viehzucht. Sie hat auch die beiden größten Getreide - und Viehstapelplätze in Ungarn, Wk-selburg und Oedcnburg. Alles Vieh und Getreide Ungarns, das für's Ausland bestimmt ist, kommt hierher zusammen und wird von hier aus über die Gränze spedirt. Der Theil, der zwischen Wicselburg und Preßburg liegt, wird der „Haidbodon" genannt. Das Stück zwischen der kleinen und der großen Naab heißt die „Ranbau." Zwischen dein Haldboden und der Naabau liegt der Wasen oder Hansag. Ich fuhr jetzt in der Raabau weiter. — Das ganze Land glich einer großen üppigen Wiese mit untermischten Aeckern. Es war ein furchtbar heißer Sonntag, — und Apollo schoß auf mich und meinen Kutscher unzählige seiner schärfsten 60 Pfeile herab, obgleich wir weder Niobe noch ihre Kinder waren. Mein Kutscher, ein echter Magyar, konnte ihm mit seinein breitkrampigcn Hute leichter trotzen, aber ich, der ich blos im bescheidenen Schatten meines schmalen Mützenschirmes saß, litt wirklich viel. Neberall sah ich Anstalten gegen die Sonnenstrahlen «nd dann gegen die zweite Plage dieser Gegenden, die Gölsen, getroffen. Me Pferde waren mit Weidenbüschm oder anderen Sträuchern gegen diese Thievche» gewappnet, — in dem Schatten eines einzeln stehenden Vaumes lagerten oft mehre Hirten mit ihren Pferden und Schafen, die sich glücklich schätzten, wenn sie nur die Schnauze ihres Kopfes in den Vaumschattcn mit hincinstcckeu durften. So unter dem Schatten eines einzigen Vaumes fand ich mehre Menschen mit mehrerlei T'hiersorten vereinigt, Gänse, Ziegen, Schweine und Ochsen zusammengekauert. Selbst auö einem Loche des hohlen Vaumeö guckte noch der Kopf einer versteckten Ziege hervor. In allen Häusern sieht man hier, wo es möglich ist, statt der Thüren bloße V.orhänge in Mode, die zugleich den Luftzug befördern und doch die Gölsen nicht so häufig einlassen. Auch im Schlosse Zinkcndorf hatte ich mehre solche Thürvorhange gefunden. — Fliegenfenster sind hkr bei jedem Vauer üblich. Auch hat gewöhnlich der Vaucrnwirth, der Herr vom Hause, sein Ehebett der Hitze wegen im Frei.cn nnter der Veranda scineö Daches, und der Golfen wegen ist eS mit einem dichten Netze umhängen, welches oben an einem Balken befestigt ist und in langen Falten herabhangt. Die Ehelcute liegen 01 dahinter, wie Mars und VennS, die Vulkan mit seinem feinen künstlichen Gsengewebc umsponnen hatte. — Mein Kutscher schlug nut seinem mächtig breiten Hute beständig ans die Pferde, „m sie mit einem Schlage von vielen ihrer Peiniger zugleich zu befreien. Am klügsten machten es die Büffel. Wo nur eine Pfütze oder ein schmuzigcr Wassertümpcl war, da steckten ihrer 20 bis 30 bis an die Schnauze drin, vor Sonne und Gölsen zugleich geschützt. Ich stieg aus, um einige dieser unsauberen Thie,re in der Nahe zu beobachten. Trotz dem, daß sie von Schmuz und Morast trieften, kauten sie bestandig wieder. Zu Zeiten hörten sie auf zu kauen, steckten ihr Maul in die Pfütze und hoben mit einer geschickt ausgeführten Schwenkung eine ganze Partie Wasser daraus hervor, das sie sich über den Theil des Rückens, der noch in die Luft hervorragte, hinlaufen ließm. Dann fingen sie wieder an zu kauen, und dieß wiederholten sie bestandig abwechselnd in kurzen Tempos und machten es so geschickt, daß jedesmal der ganze Rücken richtig überspült wurde. Der Ochse kann dieß nicht. Er ist edler als der Büffel, aber nicht so schlau. Je drückender die lechzende Hitze wcir, um so höhnender erschienen die Bilder der Luftspiegelungen, welche unS auf allen Seiten kühlendes Gewässer erdichteten. Der Tag war trotz der Empfindlichkeit der Sonnenhitze etwas „trübtet." Nur einzelne kleine Wölkchen von unbestimmter Gestalt schwammen oben wie Brocke» tu der „kabigen" Luftsuppe. 62 Es war Sonntag, und cö begegneten uns viele geschmückte Leute. Die breiten Hüte der Magyaren waren auch hier, wie die der Kroaten bei Oedeuburg, mit ganzen Beeten von natürlichen oder auch künstlichen Blumen lind mit dicken Bündeln von wollenen Straußen- und Pfauenfedern und von allerlei bunten Bändern belastet. Ich habe dieß sonst nicht bei den Magyaren gefunden, und es mag wohl eine Sitte sein, die hier von den Kroaten auf sie übergegangen ist. Zuweilen begegneten uns einige mit ausgezeichnet großen Büschen schöner schlvarzer Straußfedern. Vor den aus Stein gehauenen Heiligenbildern, die ganz ohne Umschattung eines Baumes oder Gebüsches mitten im Grase standen, lagen Weiber in dem verdorrten Grase kmeend mitten in der Sonnenhitze. Die Männer tragen auch hier, wie bei Eisenstadt und Oedenburg, einen Brustlatz. Vei einigen bemerkte ich, daß sie da, wo die Brust war, von Spitzen kleine bunte Rosetten im Lätze angebracht hatten. Dic Weiber tragen hinten am Kopfe eine solche Fülle von Schleifen, Bändern uud Spitzen, daß man sie für unübertrefflich prachtvoll gekleidet erklären muß, wenn bloße Fülle darauf ein Recht giebt. Die Hirten, die ich hier aus dem Felde traf, und die ich zu Zeiten um Feuer für meine Cigarre ansprach, gleichen in Kleidung und Wesen schon sehr den berühmten Vakonycr Ganassen (Schweinehir-» ten). Sie haben eben solche weiße mit eingenahten rothen Blumen geschmückte Mäntel wie diese uud drehen sich auch die Haare in zwei steifen Zöpfen zusammen, die wie zwei Kantschu vorn vor den Ohren herab- O3 hangen. Doch habe ich später im Bakunyer Walde dich Leute mir noch genauer betrachtet. Nir passirten die Orte St. Miklos (sprich: Sscnt Miklosch, d. h. St. Nikolaus, — sonderbarer Weise verwandeln auch die Ungarn, wie die Polen, daö N in dem Worte Nikolaus in em M —), KaVuvär und andere, ohne etwas Besonderes an ihnen wahrzunehmen. In einigen Dörfern fielen mir die hohen Dornhecken auf, .ntf deren First große Massen von Dornen aufgehäuft waren, so dasi sie ein großes Dornendach bildeten, über welches der auch hier gefürchtete Wolf nicht leicht hinwegkommt. Diese Dornen-Circumvallationen sind ebenso in ganz Südrußland in Gebrauch. Sie gewähren die leichteste und bcßtc Schutzwehr gegen den Wolf. In dieser Gegend fängt auch bereits der Vau des schönen ungarischen Tabacks an. Ios<5, so hieß mein Kutscher, machte mich darauf aufmerksam, indem er mit feiner Peitsche auf die Tabackspflanzungcn wies und sagte: „Der ist die Tubak." — Einige der berühmtesten ungarischen Tabackssorlen werden in dieser Gegend erzeugt, ;. B. der allgemein beliebte Lettinger. Was mich wun« derte, war, daß ich die Kartoffeln hier und da mitten zwischen den Tabackspflanzen strhcnd fand. Auch zwischen dem Kukurns sah ich Kartoffeln stehen, bemerkte aber keine eigenen, den Kartoffeln ausschließlich gewidmeten Felder. Noch vor 30 Jahren sollen, was unglaublich klingt, die Kartoffeln selbst in dieser Gegend Ungarns sehr selten gewesen sein. Der Deutsche war der Trager und Verbreiter dieses nützlichen Gewächses. Die mayarischen 64 Bauern wollten nichts von Kartoffeln wissen. Sie schimpften darauf, gaben sie höchstens ihren Schweinen und schalten sogar über die, welche sie eingeführt hatten. Dieß hat sich jetzt schon bedeutend geändert. Noch überall in dieser Ebene sah ich, wcun ich rückwärts blickte, den Schneeberg an der steierischen Gränze. Er beherrschte noch immer die ganze legend, wein, zuletzt auch nur wie ein aus weiter Ferne gebietender König. Ich verlor ihn so langsam aus dem Gesichtskreise wie den Fürsten Ostcrhazy, der mich auch hier fortwahrend begleitete. Denn überall, wenn ich irgendwo fragte, wem diese oder jene ausgezeichnete Besitzung gehöre, so hörte ich den Namen Esterhazy nennen, der im ganzen westlichen Ungarn so über alle anderen Namen hervorragt, wie der Schneebcrg über das Leitha-gebirge und alle anderen Verge. In Tschorna speiste ich zn Mittag. Auf die dortigen Herren Pramonstrateuscr wurde ich bitterböse. Denn als ich sie bat, sie möchten mir ihre Bibliothek zeigen, fragten sie mich, wer ich sei, welchen Charakter ich habe nnd waö ich denn eigentlich wolle. — Wer fragt denn nun wohl Jemanden, der sich zu einer Bibliothek meldet, solche Dinge? Ja wenn ich bei einem Reichsgrafen oder Prälaten Eintritt verlangt hätte, das Ware etwas Anderes gewesen. Aber bei den Musen, was haben denn die für Ccremoniel nöthig? Und Jemanden, der sogar die kleine Bibliothek von Tschorna zu sehen wünscht, verleitet gewiß nicht bloße Neugierde. Daß sie Münzen hatten, wie ich spater erfuhr, sagten sie 65 mir auch nicht. Und als ich sie dann bat, sie möchten mir doch ihr Archiv zeigen, lachten sie mich gar aus und sagten: „Ja, mein Kind, unser Archiv ist ein „locu« crecMiilis." Es enthält wichtige Staatsgeheimnisse. Dazu müßtest Du eiuc vom Könige von Ungarn unterschriebene Erlaubniß haben." Uebrigens sagte man mir später, daß diese Herren sehr gastfreundlich wären, und daß, wenn ich nur eine kleine Empfehlung an sie gehabt hätte, sie mich ohne Zweifel sehr gut aufgenommen hätten. Die Kirche des Klosters war voll gotteöfürchtigcr Magyaren. Vornan saßen die „^n^ll^" iu einem gesonderten Haufen, dann die vcrhcirathcten Weiber mit weißen Tüchern auf dem Kopfe, die Männer bildeten den äußersten Ring und drängten sich, kniccnd oder mit untergeschlagenen Beinen sitzend, selbst noch auf dem Gange des Klosters, still und andachtig an den Wänden hingekauert. Weintrauben giebt's hier überall in jedem Dorfe und Flecken, und wenn der Reisende das Fleisch zu hart, die dabei servirten Gurken zu sauer und die Suppe zu wässerig findet, so entschädigt er sich leicht an den Trauben, mit denen er sich in Verein mit den Wiener Semmeln, die er bet sich im Wagen führen muß, leicht und angenehm sättigt. Equipagen oder den höheren Classen angehörige Leute sind mir auf der ganzen Reise nach Naab gar nicht begegnet; denn es war eine Nebenstraße, die durch das Innere des Landes führte. Dagegen hatte" wir »51. 5, 60 uns alle Augenblicke durch irgend eine Viehheerde durchzuschlagen. Bald waren es Oanseheerden, die hier so groß sind wie wohl selten in einein Lande, weil ganze große Dorfschaften ihre Gänse Von einigen gemeinschaftlichen Hirten auf einmal austrciben lassen, — bald eine Schweinehecrde, die von Naab, wo fie mit dem Dampfschiffe auf der Donau aus der Türkei ankommen, nach Oedenburg, dem größten Schweinemarkte der Welt, getrieben wurde. Die Weiterförderung dieser Thiere geschieht gewöhnlich auf folgende Weise.- Kin Mann geht mit einem kleinen Sacke, in dem sich etwas Kukurus befindet, voran. Er schüttelt den Kukurus in seinem Sacke beständig hin und her, indem er die Schweine lockt, als wolle er sie füttern. Hinterher geht dann ein anderer Treiber mit einer langen Peitsche, mit welcher er die Zurückbleibenden erinnert, der Lockung zu folgen. Auf diese Weife, indem der Vordere den KukuruS und der Hintere die Peitsche beständig schüttelt, tauschen und peitschen sie die Schweine bis auf die Schlachtbänke und Verkaufsplatze von Oedenburg hin. — Gleicht diese Politik der Schweinehirten nicht vollkommen dem Verfahren gewisser Staatsmänner mit den Völkern, die in Vezug auf ihre Leichtgläubigkeit und ihre Lenkbarkeit von so vielen Schriftstellern mit Necht den Hecrden der unvernünftigen Thiere verglichen worden sind? Auch die gegelt Abend heimziehenden Heerdcn der Dörfer waren mir merkwürdig. Sie bestanden ill der Negel aus G Ochsen und 4 Büffeln, und ihre Marschweist war immer diese.- Die Ochsen gingen in lockeren 67 Haufen voran, und die Büffel, ohne sich je mit den Ochsen zu mischen, folgten in einem dichtgeschlofscnen Gedränge hinterher. Vei'm Vergleiche des Charakters und Wesens des VüMS mit dem des Esels stellt sich manches Aehnliche in ihrem Verhältniß zum Ochsen und Pferde heraus. Aber es ist ganz besonders dem Büffel eigen, daß er sich nie mit den Ochsen mischt, wie der Esel mit den Pferden. Auch halten die Büffel immer sehr freundschaftlich zusammen, mehr sogar noch als die Schweine. Auf der Mitte des Weges zwischen Tschorna und Naab passirten wir das große Dorf Gnese (sprich: „En< nesche"). Die Einwohnerschaft dieses Dorfes besteht aus lauter ungarischen Edelleuten. Während uns zuvor die meisten Leute freundlich gegrüßt hatten, wurde uns hier kein Glückwunsch irgend einer Art zu Theil. Mit diesen Leuten soll nicht zu spaßen sein, und da sie ungeheuere Privilegien mit ungeheuerer Insolenz und Grobheit verbinden, so hat man sich im Umgänge mit ihnen sehr in Acht zu nehmen. Ich machte deßhalb ein ganz ernsthaftes Gesicht und ließ Jose einen kleinen bescheidenen Trab durch den Ort fahren. Indem ich aber seitwärts schielte, bemerkte ich, daß Fräulein Vorcsa (sprich: „Vortscha" — Vabette) aus dem uralten Geschlechte Derer von N. N. eben damit beschäftigt war, den Stall ihreö Herrn Vaters auszumisten. Der edle Herr von X. trieb soeben sein Ochsengespann heim, indem er mit dem umgekehrten Ende des Peitschenstiele« drein-schlug, und die Freifrau von D., geborene Dame von Z., 5* «8 saß gerade vor der Hausthür und stickte ihres Mannes „Gatjen" (leinwandene Beinkleider). Ich wagte nicht, sie bei diesen: hochwichtigen Ocschaftc dnrch einen „guten 'Abend" zu stören und fuhr ganz leise vorüber, was mir um so leichter wurde, da unser Wagen hicr über einen vor dem Hause liegenden Düngerhaufen hinrollte. Der Heiße Tag hatte gegen Abend ein Gewitter geboren, das in der Ferne »lit unaufhörliche» elektrischen Entladungen am Horizonte stand. Die Blitze arbeiteten darin hin und her, wie die Gedanken in dem Kopfe eincS Mannes, und erleuchteten bald mehr, bald minder beutlich eine Menge von verschiedenen Wolkenfiguren. — Endlich erschienen aus dem runden Teller der ttbenc die Thürme von Naab. Sie rückten uns näher und näher und mit ihnen das Gewitter. Denn mein Ios^ ließ nach der Sitte ungarischer Kutscher zuletzt noch seine lustigen Pferde auögreifcu, als gelte es, einen Wettpreis zu gewinnen, obgleich weit und breit keine Concurrcn-ten zu sehen waren. Endlich befanden wir uns nütten in Raab und damit auch mitten im Gewitter, im Negen, Don" mr und Vlitz. Das Wirthöhaus zum Palatinus verlieh uns Dach und Schutz. Hier war in einem großen Saale eben ein lustiger Volksball >m beßten Gange. Nachdem ich mich etwas von der Reise erholt, nahm ich daran Theil, und ich sah hier zum ersten Male, wie sich die niederen Classen in den ungarischen Städten mit Tanz vergnügen, was ich dann später noch oft mit anzusehen Gelegenheit fand. Die Classen, welche sich hicr jubelnd und tanzend 69 bewegten, gehörten meistens dem niederm Handwerker- und Gewcrbsstande an. M waren junge Krämer, Litzendreher, besonders Zifchmenmacher und Fleischer. — Ungarisch und deutsch winde gleich häufig gesprochen. Die «leisten waren deutsch gekleidet. Eine große Partie stolzirte aber auch in ungarischer Nationaltracht, welche aber für solche a/ringe Leute sehr kostspielig ist, daher. Sie besteht aus folgenden Stucken: Erstlich tragen sie sehr enge, selbst bis zum Fußknöchel herab übcrans knapp anliegende Hosen, darüber kurze Halbsticfeln mit großen massw silbernen Sporen. Ueber der engen Weste haben sie einen zierlichen, nur lose um die Schultern gehängten Dolnnm, Weste wie Dolman mit dichten Pechen großer massiv silberner Knöpfe besetzt. Der Dolnmn lst vorn mit einer langen, über die Prust herabfallenden silbernen Kette befestigt, mit der sie sich brüsten, wie die Nitter des goldenen Vließes mit ihrer goldenen Kette. Auf dem Kopfe sitzt ein ungarischer, etwas schief zu Haupte stehender Kalpaf. Die Haare hängen ihnen gewöhnlich in einigen langen schmalen Locken von den Ohren auf die Wangen herab. Gewöhnlich waren es hübsche junge Leute, die in dieser Prunkkleidnng einherstolzirten. In der Negel sind es geborene Ungarn, doch giebt es auch manchen cmgcwanderten deutschen Handwerksburschm darunter, der sich. nngarisirte und dann seinen größten Stolz in solchm Dolman und Kalpak mit silbernen Spore», Knöpfen „ud Ketten setzt. Es kostet ihnen ein solcher Anzug oft bis auf 2U0 Gulden und mehr. Es wurden unsere deutschen Tanze und vor allen Walzer ge- 70 tanzt. Vei der Beendigung jedes Walzers wurde aber gewöhnlich von allen Seiten laut und stürmisch ,M,. ß^ar! Na^ar!" (sprich: Mojar! Mojar!) gerufen, womit sie den magyarischen Tanz verlangten. Zuweilen konnten sie das Ende eines deutschen Tanzes nicht abwarten und zwangen die Musiker nut ihren: heftigen Mujar! Mojar! sofort zur Aenderung der Melodie. Dann zerfiel sofort die ganze Masse der Tanzenden in viele einzelne Paare, indem sich überall, wo Naum war, eine Dame und ein Herr einander gegenüberstellten und sich hin- und herbewegten. Die Herren ergriffen zu Zeiten die Damen, schwenkten sie, drehten sich um sie herum, die Ketten und Sporen klirrten, die Dolmans flogen hin und wieder, die Allgen funkelten, und die Musik schwebte in kräftigen, aber melancholischen un-» garischcn Molltönen dazu hin. Wir betrachteten uns die lebhaften und recht interessanten Wesen eine Zeit lang und begaben uns dann endlich auf unser Zimmer, um dem Morpheus in die Arme zu sinken. Aber, o Himmel, dieser liebliche Gott ist für einen Reisenden in Ungarn ein höchst widerlicher Kerl, und ich habe in seinem Schooße nicht die seligsten Stunden meiner Lcbcnsnachte verlebt. Die Stadt Raab, uon den Ungarn Oyör (sprich: Iörr), lateinisch.luuriuum, genannt (der lateinische, wie der ungarische Name sind ein und dasselbe Wort), liegt 71 am Zusammenflüsse der Raab und der kleinen Donau. Die Stadt ist als Wohnort uralt. Dcnn schon die Römer hatten hier das panonische Standquartier Ara-bona. So aber, wie sie sich jetzt zeigt, in dieser AuS-dehnung und Grösie, ist sie sehr jung. Den» noch im Jahre 1785 zu Joseph's Zeiten hatte sie nur 4,535 Einwohner (wenn die damalige Zahlung nämlich richtig ausfiel), 1324 aber 13,867 und 1331 16,118 (5. Jetzt, im Jahre 1842, besitzt sie höchst wahrscheinlich 20,0W Einwohner, und sie hat demnach scit etwa einem halben Jahrhundert ihre Einwohnerzahl mehr als vervierfacht. Aehnliche Beispiele giebt es in Ungarn noch in Menge.' Die Stadt ist nicht arm an historischen Erinnerungen und nach Pesth eine der interessantesten, die ich in Ungarn gesehen habe. Sie wurde in den .Kämpfen der Ocsterreicher mit den Türken immer als die wahre Vormauer der Christenheit betrachtet. Daher haben auch der Kaiser Mari« milian und alle deutschen Kurfürsten zu ihrer Befestig» ung beigetragen, und man sieht noch jetzt vor einem der alten Thore die Wappen derselben in Stein gehauen. Nichtsdestoweniger ging die Stadt im Jahre 15!)5 auf einige Jahre an die Türken verloren und bildete wahrend dieser Zeit die äußerste von einem türkischen Pascha beherrschte Donaustadt. Jetzt sind die Festungswerke, seitdem 1809 die Franzosen hier waren, größ' tentheils zerstört. Doch soll noch immer ein bedeutender Theil der Stadt untcrminirt sein. Kugeln der Franzosen sieht man noch in der evangelischen Kirche, 72 und in den Mauern anderer Gebäude stecken. Auch bewahrt man noch in der Domkirche das eiserne Thor und die Petarde, mit welcher es eingeschossen wurde, als die österreichischen Generale Palffy und Schwarzenberg die Stadt 1598 überrumpelten und sie den Türken wegnahmen. Die Freude über die Rückeroberung Raab's muß sehr groß gewesen sein, denn noch bis auf die heutige Stunde ist der Tag, an welchem sie ausgeführt wurde, der größte Festtag der Stadt. Jene Domkirche ist noch von dem heiligen Stephan gebaut worden, und im Plafond derselben erblickt man ein großes Deckengemälde, auf welchem Istwan (sprich: Ischtwan, d. h. Stephan) seinen Sohn Emra (Emrich) dem lieben Gotte präsentirt. Diese Gemälde sind von einem in diesen Grdgcgcndm berühmten österreichischen Maler Namens Anton Maulbcrtsch ausgeführt. Die Doinkirche sollen die Türken ganz mit Erde gefüllt und sie dann als eine hohe Verschanzung benutzt haben, indem sie Kanonen auf das hohe Dach brachten und von da aus weit und breit die Gegend bestrichm. —'Sie glaubten nicht daran, daß die Christen die Kirche schon sobald wieder ausräumen würden, denn der türkische General Mchcmed Vassa sagte, die Christen würden die Stadt ebenso wenig wiederbekommen, als der eiserne Hahn auf dem Carmeliterklosterthurme zu krähen anfangen würde. Den Tag vor der Rückeroberung soll der Wind und mit ihm der Hahn sich Plötzlich gedreht und dabei derselbe einen schreienden, schrillenden Ton von sich gegeben 73 haben. Da behauptete das Volk, der Hahn habe gekräht, und nun müsse die Stadt wieder christlich werden. Das Archiv ihrer Stadt haben die Raabcr in der Domkirche immer so gut zu verstecken gewußt, daß es weder die Türken, noch die Franzosen entdeckt haben. Ein alter Lohndiencr, ein lustiger Bruder, der jeden vorübergehenden gemeinen Magyaren mit „^ana^nt!" („guten Tag"), dem gewöhnlichen ungarischen Glückwunsche, ^eden einigermaßen notablen Freund aber mit „ßcrvuZ nmicv!" begrüßte, führte mich zu einigen Herren, welche die aufopfernde Güte hatten, mich noch zu einigen anderen Merkwürdigkeiten ihreö Ortes zu geleiten. Zunächst besichtigten wir das Comitatshaus, in welchem die Comitatsbeamtcn wohnen und dann die alle 3 Jahre statthabenden Versammlungen des Adels zur Wahl neuer Veamteu, die sogenannten „Nestaurationen," und die alle 3 Monate eintretenden Versammlungen zur Besprechung der Gesetzgebung des Comitats, die sogenannten „Congregation?«," gehalten werden. Ich kam hier auch in das Comitatsarchiv. Die Acten der Comitatsverhandlungcn waren hier vom Jahre 1619 an aufbewahrt. Von 1ti19 bis 1788 waren sie in lateinischer Sprache geführt und hießen ^cta." Von 1788 bis 1790, während eines Theils der Regierung Joseph's II., waren sie deutsch abgefaßt und hießen „Tagebücher" oder GcstiouSprotocossc." Von 1790 bis 1806 waren sie wieder lateinisch geschrieben und hießen „I'l-ntlicoUum O»mi-Ww3 ^urineilgllj." Von 1806 an endlich waren 74 sie in magyarischer Sprache verfaßt, und in dieser Sprache werden sie noch jetzt fortgeführt. Für dieselben Sprachen gelten in ganz Ungarn ungefähr dieselben Perioden. Wie auf ihren Versammlungen die Comitate jetzt ungarisch schreiben und sprechen, so cor-respondireii sie auch ungarisch mit einander. Von Wien aber kommt noch Alles in lateinischer Sprache, und auch der Palatin schreibt noch lateinisch. — Vei der Insurrection (dem bewaffneten Adelsaufstande im Falle eines Kricgcö) hat jedes Comitat seine eigene Standarte. Auch diese Insurrettionsstandarten der Comitate werden gewohnlich im Comitatshause aufgehoben. Nicht weit davon sah ich eine sogenannte Adels-curie, d. h. das stadtische Haus eines Cdclmanns, welches in der Stadt dieselben Privilegien genießt, die sonst nur ein Rittergut auf dem Lande hat. In der Regel nämlich yabcn die Edelleute sich in den Städten der städtischen Polizei zu unterwerfen, und in ihren Mauern werden sie nicht anders beurtheilt und behandelt als jeder andere Bürger. Hiervon aber haben sich nun viele Adelige und Magnaten zu ihrem Gunsten Ausnahmen zu verschaffen gesucht. Sie haben sich in den Stäotcn niedergelassen und Grundstücke daselbst erworben, ohne sich der Stadtpolizci und dem Zwange der stadtischen Gerechtsame zu unterwerfen. Solche Hauser heißen nun „Curicn"*). In diesen ») Am Rhein giebt es für den Adel die sogenannten „Hdfe" in dcn Städten, die ganz etwas Aehnliches sind. 75 ihren städtischen Curien — gewöhnlich steht davor geschrieben oder in Stein gehauen: „Ouri» nodilitari»" — können nun die Edelleute ebenso wie auf ihren Landgütern thun und lassen, was sie wollen. Sie können darin Vier brauen, Branntwein brennen und beides auch darin verschenken. Sie dürfen nicht von der stadtischen Polizei verhaftet werden, ^a dieselbe darf nicht einmal ihre (5urie betreten. Und sogar andere Verbrecher, wenn sie sich in die Curie flüchten, finden darin ein vom Gesetze geachtetes Asyl. Auch das Haus ledes hohen Geistlichen — „ist Curie", wie man sich kurz in Ungarn ausdrückt. Die Bürger von Raab, obgleich diese Stadt keineswegs in dem Sinne eine echt magyarische Stadt ist, luie Szegedin, Debretzin und andere, vielmehr größten-theils von Deutschen bewohnt wird, sind ihres patriotischen Eifers wegen in Ungarn berühmt. Man wirft ihucu sogar etwas Fanatisinns vor. Sie sind in allen den neueren Anforderungen des Magyarenthums weiter als andere gegangen und thun sich auch etwas darauf zu Gute, das Magyarische besonders gut und rein zu sprechen. Vielleicht mag es damit zusammenhängen, daß die Stadt Naab auch eine der bcßten und berühmtesten ungarischen Nationalmusiken hat. Die Zigennerbande von Naab wird häufig nach anderen Orten eingeladen, um dort zu spielen, und wenn ich in Hesth hörte, der „Vunko" (so hieß der Chef der Bande) aus Raab s« da, so hatte ich immer Begleiter genug, die sich, wie ich selber, beeilten, ihn z» hören. Wenn Naab 76 früher von Oesterreich her das äusserste Vollwerk des Christenthums und Deutschlands gegen die Türken genannt wurde, so kann man es nun das äußerste Bollwerk des Magyariömuö nennen. — Naab war daher auch die erste Stadt, in welcher ich eine vollständige Sammlung aller der in ungarischer Sprache geschriebenen Journals nnd Zeitungen sah, und zwar in dem nach dem Muster des Pesthcr Casino errichteten Lesevereine. Dieser Verein wurde vor 3 Jahren begründet und zwar von 30 Mitgliedern. Denn nur so viele konnte man damals in Naab finden, die sich für die Sache intercssirten. Jetzt hat er schon nahe an 200 Mitglieder. Die jetzigen ungarischen Journale sind meistens alle erst seit einigen Jahren — die ältesten sind 1i) Jahre alt — in's Leben getreten. Man hatte auch früher freilich schon einige altfränkische, gewöhnlich in lateinischer SpMche geschriebene, aber diese eMiren jetzt nicht mehr, sie sind von den nengeborenen jungen Riesen des ungarischen Journalismus zertreten worden. Die vornehmsten dieser Journale, die man in allen ungarischen Städten, in allen Kaffeehäusern findet, und deren Namen der Reisende tausendmal in ganz Nngarn wicderhallen hört, sind folgende: „?68ti Nii-I^,", d. h. „Pester Zeitung". Dieser , Hirlaft eristirt erst seit N Jahren. Es ist jetzt das ungarische Modcblatt und hat in kurzer Zcit alle anderen überflügelt. M ist in Bezug auf alle im Staatö-körper steckenden Fehler und Mißbrauche das freisinnigste ungarische Matt und wird von dem berühmten und 77 beliebten ungarischen Edelmanne, Advokaten und Landtags-deputirten „Koßuth" (Koschutt) redigirt. Ferner: ,,«irnöl<", d.i. der Vote, — „Vil^" (sprich Willaach), d. t. die Nelt, — „Lrciel^l Hirado", der siebenbürgische Ankündiger, — „!e1s>n1cnr", d.i. die Gegenwart, — ,M»It, e« It-Ien" (sprich „Mult csch Ielcn"), d. i. Vergangenes und Gegenwärtiges, — (alle diese Blatter sind politisch) — „^tkonoml." (belletristisch) — ,?N<^<)", der romantische Erzähler, — „ I'udnmiln^tal" (wissenschaftliches Magazin) und noch einige andere. Ich werde spater noch oft auf diese Journale zurückkommen. Ich wünschte nur, dasi ihre Namen vorläufig dein Leser einigermaßen bekannt und geläufig würden, besonders der Hlrlap — Hirlap — Hirlap! -— dann der Ielenkor, der Hirnök und der Vilag. Die anderen kann man allenfalls wieder vergessen. Seiner Wohnung nach zu schließen muß der vornehmste Mann in Raab der katholische Bischof sein. Denn sein Palast, den einer der früheren Bischöfe der Kaiserin Maria Theresia abkaufte, präsentirt sich von außen wie von innen am prächtigsten. Er hat eine dommirende Lage und nimmt dieselbe Anhöhe ein, von wo aus ehemals die magyarischen FcstungScommandan-ten «der der türkische Pascha die Stadt beherrschten. Der Bischof selbst war nicht zu Hause. Er heißt Stankowitsch und soll ein höchst achtungswerthcr und gebildeter Mann sein. Seine Schaffnerin, eine nicht mehr junge, aber heitere, wohlgenährte und witzige Wienerin, führte uns in den Spcisesälen, Oast-, Vibliothekö- und Villardzim- 79 mern und Cabineten herum. Die ungarische katholische Geistlichkeit ist, außer der englischen, wühl die einzige in ganz Europa, welche »och ganz und gar in ihrem alten soliden, unangetastete» und ungeschmälerten Neichthume an Privilegien und Einkünften dasteht. Der Graner Erzbischof hat 200,000 Gulden Conventions« münze sehr bequemlich ihm zufließender Ncvcnucen. Von den Bischöfen ist der Agramer im crztatholischen Kroatien der reichste. Seine Einkünfte werden ebenfalls auf 200,000 Gulden geschätzt. Auch der Veszprimer Stuhl gehört zu den bequemen. Er wirft jährlich 100,000 (Andere sagen 60,000) Gulden ab. Solcher, die nahe an 100,000 steigen, giebt es noch mehre. Es wird indeß wohl nicht gar zu lange mehr so dauern, und ohne Zweifel befinden wir uns wieder an dem Scheidepunktc einer entschwindenden „goldenen Zeit" — ich meine die goldene Zeit der ungarischen Geistlichkeit. Ein Naa-ber Herr erzählte mir, wie empörend es sei, daß es in Naab noch so und so viel 20 Domherren gäbe, von denen jeder am geringsten bedachte doch 4000 Gulden Münze bezöge, und die alle keine genügende Antwort auf die Frage geben könnten, welchen Nutzen sie für das Empfangene den Wissenschaften und der Menschheit leisteten. Etwas weniger Lurns und Uebcrftuß fand ich bel dem Oberhaupte der evangelischen Gemeinde der Stadt, bei dem lutherischen Prediger und Vorsteher der lutherischen Schule, der ein sehr gebildeter Mann war und die Güte hatte, mich in seine Kirche zu führen. Vor Joseph's II., besonders zu Joseph's I. und Carl's VI. Zei- 79 ten waren die Evangelischen hier sehr gedrückt. Carl VI. verbot 1737 sogar den lutherischen Gottesdienst in Naab ganz und hob die lutherische Gemeinde und Kirche auf. Dieß blieb auch zn Maria Theresia's Zeiten so, bis zum Jahre 1783, wo Joseph's Toleranz-Edict ihnen Religionsfreiheit und Kirche restituirte. Während jener ganzen 46 Jahre gingen daher die Naaber Evangelischen insgeheim auf's Land, um in den Capellen des lutherischen Adels der Umgegend ihren Gottesdienst zu üben. Denn dem Adel mußte man von jeher mehr Freiheit in Ungarn gestatten, weil man ihm nicht so leicht bci-kommen konnte als den Städten, wo alle Negierungs-maßregeln leichter auszuführen waren. Die Kirche war sehr klein und niedrig, weil zur Zeit ihres Baus Alles sehr genau und knapp vorgeschrieben war, sowohl wie hoch, als wie lang und breit man bauen durste. Auch hatte sie keine Glocke und keinen Thurm. Jetzt dürfte sie dieß freilich Alles sich anschaffen, aber leider fehlt eg nun am Vcßtcn. Arm/ arm sind die lutherischen Gemeinden in Ungarn. — Der Altar war unmittelbar unter der Kanzel errichtet. Man sagte mir, dieß sei in allen lutherischen Kirchen Ungarns der Fall. Mir scheint es auch, alö wäre dieß ganz dem Geiste der evangelischen Religionslehre angemessen. Christus selbst lehrte und predigte ja auch am Abendmahlstische. Von der lutherischen Schule selbst sah ich leider m'cht viel, da es ein Feiertag war. Doch erblickte ich 80 hier zum ersten Male die bcßten und vollständigsten Karten des Königreichs Ungarn. Man hat jetzt sehr gute Karten von diesem Lande zu allen Zwecken, zum militärischen Gebrauche, für die Schulen und zum Vehuf von Reisen, und man sieht nun das Vild des eirunden, schön in sich abgeschlossenen Königreichs sich vielfaltig in Ungarn wiederholen. Das Auffallendste auf der ungarischen Karte ist immer der weiße, namen- und ortschaftenbare Fleck, der sich an der unteren Theiß und Donau hinaufzieht. Die Ungarn weisen auch selbst gewohnlich zuerst darauf hin und sagen: „Sehen Sie, diesen weißen Fleck im Vacser, Vekeser und Czongrader Co-mitatc verdanken wir den Türken, deren barbarisches Neich mit einem furchtbaren Keile an der Donau hinauf bis in die Mitte unseres Vaterlandes hineinragte. Diese Wüste haben die Türken gemacht, und der Keil, den sie uns durch die Vrust jagten, hat uns Jahrhunderte lang in unserer Entwickelung zurückgehalten." — Meine freundlichen Begleiter zeigten mir bei dieser Gelegenheit den Brief eines türkischen Pascha, der in der Nachbarschaft von Naab herrschte und in jenem Schreiben die Bürger eines ungarischen Marktfleckens so anredete: „Hussain Aga an die Nagy-Kersteneer Nich-„ter, Geschworenen und Mannen allesammt. Ihr Nagy-„Kersteneer Richter und Mannen, ihr falschen und ungehorsamen Schweine und Hunde allzusammen! Ich „weiß nicht, was ihr denkt und treibt, und warum „ihr seit so langer Zeit nicht zu mir herankommt, um „die Mädchen auszulösen, die ich von euch in Pfand 81 „habe," — und worin er sie dann am Schlüsse alle «tit dem Kopfabschneiden bedroht, wenn fie seinem Ansinnen nicht willfahren würden. Man findet überall in Ungarn in städtischen, Comitats- und Kirchenarchiven noch solche türkische Reliquien und solche Documente ihrer Rcgicrungsweise, und überall hört man dann auch noch Klagen über sie. Sowie Ungarn die Turkm, so hat fast jedes Land in Europa seine anderweitigen barbarischen Eroberer und Unterdrücker, denen es die Schuld seines Zurückbleibens auf dem Wege der Cultur giebt. So hat Rußland die Mongolen, von denen es sich auch erst vor 259 Jahren frei machte, — so hat Polen jetzt die Russen, über die es noch lange Ieremiadcn zu singen haben wird, — so hatte sonst Deutschland die Magyaren, — so klagt Italien seit 2000 Jahren über die Einbrüche der Deutschen, die es noch immer nicht aufgehört hat Barbaren zu nennen, — so bejammert Böhmen die österreichischen Gcwaltstrciche, — so verwünscht Deutsch-^ land noch jetzt die französischen Verwüstungen. — Die meisten barbarischen Keile und wegzuschmelzenden Eiszapfen sind den europäischen Landern immer von Osten her eingetrieben worden, so den Russen aus der Mongolei, den Polen aus Rußland, den Deutschen aus Ungarn, den Ungarn aus der Türkei. Vci unserem Mittagsmahle im Palatin wurde aus einem ungarischen Journale ein Artikel über die gemischten Ehen vorgelesen und besprochen, und dann II» 6 82 traten zwei kleine sechs- und zehnjährige Madchett auf und deklanürten uns mehre deutsche Dichtungen und Romanzen, welche von dem „verzehrenden Feuer der Liebe" handelten. Darnach setzten wir uns in eine Kalesche und sichren in Begleitung eines, gefälligen ungarischen Gelehrten hinaus zu dem zwei Meilen von Raab gelegenen Erzstift Marienberg. Das Grzstift Martinsberg und die Ganassen. ^iese berühmte Venedictinerabtei liegt auf einem in die 85, teinifche sehr in Verachtung gekommen sei. ssr selbst wäre, als ungarischer Patriot, freilich auch dagegen, 5och könne er'ö zuweilen gar nicht lassen, ,vcnn er sich das Herz ausschütten wolle, lateinisch zu rcden. Andere übertrieben es mit ihrer Verfolgung dieser Sprache, „Yt illi» nunc puclnr e«t, loc^ui latine, et volunt, «t canc« nocturn, vif;II»nt^« Iiimsskric? cgnnnt." (Sie schämen sich lateinisch zn rcdcn und wollen sogar, daß die des Nachts wachenden Hunde ungarisch singen sollen.) Von den menschlichen Nachtwachtern, die bisher noch in einigen ungarischen Städten ihre Stunden deutsch abriefen, hat man dieß wirklich verlangt und durchgesetzt. Ich fragte ihn, ob cs wahr ware, was man bei uns brlMiptcte, daß auch die ungarischen Damm gewöhnlich lateinisch sprachen. Er sagte, eS sei ihm in seiner ^ebenspraris bisher nur eine Dame aus Preßburg vorgekommen, die dieser Sprache machtig gewesen wäre. Die ungarischen Magnaten sprechen aber allerdings aNe lateinisch. Die Slowaken sind noch fertigere und bessere Lateiner als die Magyaren. Wir wurden gar bald der hoch auf dem Martins-berge liegenden Abtei ansichtig. Je näher wir kamen, desto mehr wunderte ich mich über die Größe und Schönheit des klösterlichen Prachtbauö. ,,^<>n mir», reris. Sie würden sich nicht wundern," hob mein Freund an, „wenn Sie wüßten, wie viele Einkünfte diese Leutchen haben, und wie bequem die Herren lebe». Ihre Abtei ist eine der reichsten in ganz Ungarn. Selbst der geringste dieser Herren Venedictmer fährt me ander« als vierspännig auS, und mit wie guten, 86 wohlgenährten Pferden! Omnium rormn »dunllantiae frmlntxr, exempli ßrati« vmi boni, e^nornm opti-mnrum, et tutiu» vitae angratu» ti88lmi. (Sie besitzen McS in Ueberfluß, z. V. guten Wein, die schönsten Pferde, und leben im reichsten Lurus.) Der Verg, wie Sie sehen, tritt gebietend in die Ebene vor, und wahrscheinlich ist er schon ein sehr alter, lange gefeierter Sitz der Verehrung des göttlichen Wesens. Sein lateinischer Name: „8acer innns pannoniae" (der heilige Nerg Ungarns) stammt vermuthlich schon von den Römern her, und er stellt hier in Pannonicn das vor, was der Verg AthoS in Macedomcn. Der erste christliche König Ungarns, Stephan der Heilige, und der erste große christliche Apostel unseres Vaterlandes, der heilige Anastasius, gründeten hier die erste christliche Kirche und stifteten das Schloß und die Abtei. 8au<:t,i8 ^nastasiiis pri-mu« tmt, ^lid»8 8ti. Martini, et. inirnln et in^xnli-caklls! est, ynllntllin nam in pi-np^^^tinno siäoi or-tkcxloxkl« 6e8,ll1averit. (Der heilige Anastasius war der erNe Abt von St. Martin, und es ist wunderbar und unsäglich, wie viel Schweiß er für die Verbreitung des Christenthums vergoßt Stephan sandte ihn an den Papst Sylvester II., und dicstr schickte dem Könige die Krone und das Scepter des dem Papste zu Füßen gelegten ungarischen Königreichs. Der Papst erhob später die Abtei zu einer Erzabtei und gab dem Erzabte einen Nang mit dem Bischöfe, und es ist dieß die einzige Erzabtci, welche man in der österreichischen Monarchie hat, . und eine von den wenigen ssrzabteien, die es überhaupt in der ganzen Christenheit giebt. 37 Der jedesmalige Erzabt ist als solcher auch Magnat von Ungarn, und die Benedictiner Herren haben das Recht, ihn frei ohne Papst nnd Kaiser aus ihrer eigenen Mitte zu wählen." Kaiser Joseph II. beschnitt den ehrwürdigen geistlichen Herren etwas die Flügel. Kaiser Franz II. stellte ihnen aber die ausgerupften Federn zum Theil wieder zu. Seit Franz haben sie daher auch angefangen, ihr Kloster nach einem ganz neuen und großartigen Plane umzubauen, und obgleick es erst bis znr Hälfte vollendet ist, so nimmt sich doch schon diese Hälfte sehr prächtig aus. In der Mitte der einen Fronte des Gebäudes sieht man eine Gruppe von Statuen, unter denen die des Stifters Stephan und des Wicdcrherstcllers Franz die vornehmsten sind. Wir ließen unsere Equipage am Fuße des Mar-tinsbergcs und stiegen die Anhöhe hinan. Vei'm Ein-tritte in das Thor des Gehöftes begrüßte uns aus einem Gewölbe das lustige frische Hämmern der Faßbinder. Ich trat hinein und fand ein halbes Dutzend kräftiger Leute beschäftigt, große, schöne Weinfässer zu-sammenzustücken. Ich fragte sie, was das für Holz sei, und erhielt znr Antwort: „Schönes Eichenholz aus Slavonien, den ungarischen Wein darin zu fassen. Unser Martinsbcrger Wein und der vom Naaber Vorgebirge sind nicht zu verachten." — An den Mauern neben dem Thore bemerkte ich noch die Schießscharten aus alten Zeiten, als die Erzäbte von Martinöberg noch wahre Erzäbte in Wort und That waren und das Eisen und Erz selber zur Vertheidigung ihrer Abtel und ihres Vaterlandes anlegten. 88 Die Kirche der Abtei hat auch derselbe Maulbertsch, der Ho finaler Carl'S VI., von dem wir schon in Raab einige treffliche Sachen sahen, geschmückt. Mehre österreichische Kirchen, z. V. die Piaristcnkirche in Wien, sind voll mit Arbeiten von ihm, und dann viele Kirchen in diesem nordwestlichen Theile von Ungarn. Die beßten sind in Papa, über welche Stadt der Fürst Gsterhazy die Oberherrschaft hat. Diese sotten, so schön sein, daß ein Englander, der sie sah, später dem Fürsten in London Vorwürfe darüber machte, daß man nicht mehr für ihre Conservirung thue. In einer Capelle der Martinsberger Kirche sieht man noch eine marmorne Nische, in welcher auf einem gleichfalls marmornen Sitze der König Stephan dem Gottesdienste des Anastasius beigewohnt habm soll. Diese Marmornische und dieser Stuhl gehören zu den für die Ungarn interessantesten Alterthümern. „Da hat unser heiliger König in Person gesessen," sagte der uns begleitende Geistliche, indem er uns zu jener Nische führte. Ich bemerkte, daß sie aus demselben Salzburger Marmor gebildet sei, aus welchem man in Wien, in den ober- und unterösterreichischm Klöstern und auch überall in diesem Theile von Ungarn, ja sogar bis Mähren und in Polen hinein, so viele kirchliche Monumente gebildet sieht. Die ungarischen Bauern der Umgegend kommen an Festtagen häufig hierher und bitten sich die Erlaubniß auö, sich eine Weile in die Marmornische Stephan's setzen zu dürfen, weil sie dieß für sehr heilsam gegen Krcuzschmerzen und Nückenweh 89 halten. Ich setzte mich auch hinein, aber ich fand den Sitz so kalt, daß ich schnell wieder heraussprang, um kein Nückcnweh zu bekommen. Die Capelle ist ganz eigen gebaut. Sechs gleich vertheilte Säulen tragen die Decke, die auf diesen sechs Sanlen und zwölf durch sie entstehenden kleinen Kreuzgewölben ruht. Der MartinSberg ist mit dem übrigen Gebirgsstocke durch einen langen Rücken verbunden. Auf diesem Rücken führt ein Fußpfad zu der einsam liegenden kleinen Capelle deS heiligen Emmerich, des Sohnes des Königs Stephan. Dieser Emmerich war verheirathet, aber er that gleich nach, oder noch während der Trauung das Gelübde der Keuschheit und wanderte alle Abende auf diesem Fußpfade zu jener Capelle, um zur heiligen Jungfrau zu beten. In seiner Gemahlin regten sich bei diesen beständigen nächtlichen Wanderungen Emmerich's eifersüchtige Gedanken. Sie schöpfte Verdacht gegen ihren Mann und schlich ihm eines Abends nach, Am zu sehen, was er in der Capelle mache. Sie blickte durch daS Fenster derselben und sah da den guten, schönen und frommen Emmerich bei dem Schimmer der Altarkerzen im Gebete versunken liegen, daö Haupt von einem Heiligenscheine umgeben. Von diesem Anblicke ergriffen, sank auch sie zum Gebete nieder, umarmte ihren Gemahl, als er aus der Capelle heranö-trat, und that gleichfalls das Gelübde ewiger Keuschheit. Die Bibliothek des Klosters ist ebenso prachtvoll eingerichtet wie die der österreichischen Donauklöster^ die wir oben beschrieben. Es ist nicht möglich, daß 90 man Bücher und Handschriften lockender und pittoresker rangire, als es hier geschehen ist, und ich zog keines davon aus seiner Ordnung heraus, aus Furcht, die schöne Harmonie zu stören. —> In dem Hauplfaale der Bibliothek stehen ganz vortrefflich gearbeitete Bildsäulen Stevhan's und Franz II. Der arme, — der göttliche Joseph hat seine Monumente einstweilen noch tief in den still ihn verehrenden Herzen vieler Millionen seiner Unterthanen versteckt. Aber wenn er nur erst einmal wieder einen-Nachfolger gefunden hat, der seine Schritte in seine Fußstapseu zu setzen wagen wird, so werden auch seine Statuen nicht säumen, überall in Erz und Marmor an's Tageslicht hervorzutreten. Die Sammlung zahlt 80,000 Bande, worunter ohne Zweifel viel Schönes. Allein inmm dieser Sammlung nimmt eine Geschichte des Viöthumes Fünfkirchcn ln acht dicken Banden ein. Das „^rclncoencidnlm 8ancti Nartini^ ist auch ein ,^l>cn« crecUliills," wie man in Ungarn diejenigen Orte, gewöhnlich Kirchen oder Klöster, nennt, in denin wichtige Staats- oder Privaturkundcn unter Schloß uno Riegel aufbewahrt werden. Es hat dieses Kloster daher ein „häusliches Archiv" für seine eigenen Angelegenheiten und ein „königliches Archiv" für die Papiere des Staates und vieler Großen. In diesem Archive wird auch noch ein Eremplar (es giebt nämlich, wie man mir sagte, zwei. Eremplare) des Königöinantels Stevhan's, mit dem die ungarischen Könige gekrönt werden, bewahrt. 9t In dem Museum, das mit dcr Bibliothek verbunden ist, findet man noch viele römische und türkische Alterthümer aus der Umgegend. Zur Türkenzeit mußte das Kloster an den Vassa von Stuhlweißenburg Tribut bezahlen. Die Korrespondenz mit diesen Nassen geschah gewöhnlich in lateinischer Sprache. Doch bedienten sich die Türken auch zuweilen dcr ungarischen Sprache durch die Vermittelung von Magyaren, die zn ihnen übergetreten waren und die ihnen dann als Dolmetscher dienten. Die Türken hatten damals in Ofen und Pesth und in vielen anderen Städten Ungarns auch viele tausend Deutsche zu ihren Unterthanen, und ohne Zweifel gab es bei ihnen auch deutsche Dolmetscher und deutsche Korrespondenzen für die innere Gesetzgebung ihrer hiesigen Paskhalike. In der Münzsammlung finden sich auch noch mehre Münzen, die von Attila herrühren sollen. Sie tragen das Portrait eines Menschen, dessen Züge die eineS Faun zu sein scheinen. Am Rande herum steht der Name „Attila, 451." Ich habe später in anderen ungarischen Städten noch mehre durchaus eben solche Münzen gesehen. Allein man behauptet, daß sie nicht echt, jMd,ern spater von irgend einem ungarischen Sonderlinge erfunden, * verfertigt und in den ungarischen Kabinetten verstreut worden seien. Auch von „Ii>l haben sie ihre Niederlassungen gewöhnlich auf Pergen begründet. Aber nirgends sind sie mächtiger als in diesem Theile des Landes, den wir überblickten. Die Besitzungen der Martinsberger breiten sich sehr weit im Vakony bis an den Plattensee und bis an die Donau und zu den Dotiser Vergen aus. Sie ha« ben hier 3 Nebenabtelen, die vom Grzpralaten mit Aeb-ten besetzt werden. Es wohnen auf Martinsbcrg jetzt 52 geistliche Herren, im Ganzen aber gehören dazu 196 Mönche. Es hängen 2 Akadcmieen, die von Preßburg und die von Naab, und 8 Gymnasien (das von Raab, Komorn, Güus, Oedmburg, Papa, Gran, Preßburg und Pyrnau) und 15 Pfarreien von diesem Kloster ab, das alle die Professoren-, Lehrer- und Pfarrstellen aus seiner Mitte besetzt. Der Grzabt von Martins-berg hat daher, so zu sagen, das ganze geistliche Wohl und zu nicht ganz kleinem Theil anch das weltliche 96 der Menschen von mehr als 2l)9 Quadratmeilen in Händen. Es war daher auch kein Wunder, daß, weil eben die Wahl eines nenen Erzabtcs betrieben werden sollte, die Bevölkerung der ganzen Umgegend sehr auf den Ausgang gespannt war. Ueberall hörte ich von dieser Wahl und den dabei zu fürchtenden Cabalen uder zu hoffenden Maßregeln sprechen. Der Nachmittag war wunderschön gewesen, und ich konnte mich nicht von dem herrlichen Schauspiele auf unserer Thurmgalerie trennen. Es wurde Abend, und wir plauderten oben noch immer deutsch, ungarisch und lateinisch durch einander. Wie die Russen Französisch und Russisch — wie die Elsasser Französisch und Deutsch, so mischen die Ungarn in ihrer Conversation beständig Deutsch und Ungarisch durch einander, bald zu der einen, bald zu der anderen Sprache übergehend, wenigstens in Anwesenheit eiues Deutschen, muß ich hinzusetzen. Eine unzahlige Menge von deut« schm Worten und Redensarten haben sie in ihre Sprache aufgenommen. Und obgleich sie seit einiger Zeit bedeutend Jagd darauf machm und alle zum Lande hin-austreibcn wollen, so giebt es doch, besonders unter Denen, welche sich in Wien aufgehalten haben, Viele, die sich dieß nicht abgewöhnen können. So z. V. kannte ich Einige, die, wenn sie etwas versichern wollten, lmmer das deutsche „auf Ehre" einmischten, z.V.: „Auf Ehre! uxt, «x^mda «l>n» vc>«xom." Auf Deutsch würde dieß bekanntlich heißen: ,^,uro1o «I'lumneur! das bringe ich gar nicht in Anschlag." Denn wir wenden M uns an die französische Sprache in eben den Fällen, in welchen sich die Ungar» dcr deutschen bedienen. Die Sonne sank unter, es wurde dämmerig, und als ich mich abermals nach Süden wandte, sah ich mit Schrecken den finsteren und berüchtigten Vakonyer Wald ganz dunkel und unheimlich vor mir liegen. „Dieser Wald ist bei Ihnen wohl wenig bekannt?" hob einer Meiner Begleiter an. „Desto besser ist er es uns Klosterbewohnern. Denn eine unserer Abteien Tihany ist jenseits desselben am Platten-See gelegen, und eine andere liegt gerade mitten darin. Sie heißt „Vakony Vel." Das bedeutet so viel alö „des Vakony Eingeweide oder Kern." Sie liegt nämlich gerade in seinem Centrum. Wir haben daher häufig genug den Wald in die Kreuz und Quere zu durchstreifen und sind intt seiner wilden Bevölkerung befreundet und vertraut. Die ungeheueren Gichenwaldungcn haben hier die Schweinezucht außerordentlich befördert, und Schweine sind hier daher das vornehmste Vieh, wie in anderen Gegenden Ungarns die Rinder, und wieder in anderen die Schafe. Als Kinder lernen die Leute in dieser ganzen Gegend, deren Eristenz vornehmlich auf Schweinezucht basirt ist, nichts als Schweinehüten, kein Lesen und Schreiben, wenig Religion, und alö herangewachsene Manner treiben sie auch eben weiter nichts als Schweinezucht und Schwci-nehut. Sie essen in der Regel nichts als Speck und Schweinefleisch, d«s mit Paprika dergestalt gewürzt ist, daß außer ihnen Niemand in ein so gepfeffertes Fleisch einzubeißen wagt. Dazu trinken sie ungarischen Wein, in 7 98 so viel als ihr Herz begehrt. Sie führen dabei ein regelloses und hartes Leben und hausen gewöhnlich bei schlechtem unv gutem Wetter Tag und Nacht im Walde. Auf diese Weise geht cs ganz natürlich zu, daß sie große Freunde der <^a!it6 und Mx»!-^ werden, und arge Trotzköpft dazu." „Man nennt diese Schweinehirten „Gonasz"*) (sprich „gonnß", die Oesterreichs sprechen gewöhnlich „Kanaß"). Sie tragen allgemein einen großen weiten Mantel, der „Xüj,ei,5 Wehe, wehe! mein Gemahl!" — Zu spät erkannte Gyulafy, zu welcher bcdauernswerthen That ihn sein Zorn und die böse Erzsebet verleitet hatten. Er verfiel in die ungemefsenste Verzweiflung über seine Unthat und bedeckte seinen Schwager und seine geliebte Frau mit Küssen. Der Schmerz ergriff ihn so, daß er seinen Freunden Ill lind Rittern sagte, er wolle sich selbst entleiben, nachdem er an der grausen haften Erzstbet Rache genommen. Aber das Letzte hatte er nicht mehr nöthig, denn man meldete ihm alsbald, daß seine Reiter schon den Leichnam derselben in den Hof brachten. Man habe ihn an dem AbHange eines Felsens zerschmettert gefunden. Wahrscheinlich hatte die Böse nämlich sehr rasch nach ihrer- Burg reiten wollen, war dabei aber auf Nebenwege gerathen, und böse Geister, die Nachegeister ihrer schwarzen Verräthcrei, ließen sie von jenen: Felsen herabstürzen. Da entleibte sich Oyulafy selbst über den Leichnamen seiner Frau nnb seines Schwagers, niid da Alle einsahen, daß er mit seinem ungeheueren Schinerze im Herzen nicht mehr leben könne, so wagte es Keiner, ihn daran zu hindern. Erzsebet's Leichnam wurde den Ihrigen ausgeliefert, und die anderen drei zusammen neben Gyulafy's Burg auf dem Gipfel des Verges begraben. Die Schlösser wurden seitdem nicht mehr bewohnt und zerfielen über ihren Grabern in Nuinen. Die Besitzungen aber kamen in andere Hände." So erzählte man mir von den Gonaszen im Va-z kony. Auf der Rückkehr kamen wir durch eln Dorf Nynl (d. h. der Hase), in welchem zu gleichen Theilen Lutheraner, Calüinisten und Katholiken friedfertig neben einander leben sollten. Und endlich spat in der Nacht rückten wir wieder in Naab ein, um nun noch in dm Armen des bewußten ungarischen Morpheus ein weniss auszuruhen und am anderen Morgen frühzeitig zur Weiterreise auf der Donau bei der Hand zu sein. Donaufahrt von Raab nach Pcsth. Um nach Pcsth zu kommen, hatte ich die Wahl zwischen der oben bezeichneten Fleischhacker- und Postwagen-straff über Dotis — und zwischen der Kreuzfahrerund Dampsschiffstraßc der Donau. Es fiel mir nicht schwer, meine Wahl zu treffen und mich für letztere zu entscheiden, obgleich sie mit einigen Weitläufigkeiten begleitet war. Denn das Dampfschiff kommt nicht nach Raab hinauf, sondern legt zwei Meilen von da in Gönyö (sprich: Gönjö), einem kleinen Donauorte, der eigentlich als ein Nebenort von Naab zu betrachten ist, Nachmittags zwei Uhr an, und um diese zwei Meilen bis zu dieser Zeit zurückzulegen, holte man uns mit Sonnenaufgang ans dem Vctte. Nin kleines Iagdschiff sollte uns auf dem Naabcr Donauarme, welcher auch die „Wieselburger" oder die „kleine Donau" genannt wird, dahin bringen. Wir kamen beinahe einen Vierteltag zu früh an dem Raaber Schiffsahrtsquai an. Dcnu bis unsere grüne Jacht mit Kisten und Kasten, mit 11^ Waaren und Neisccssecten, mit Kindern und dicken Weibern, mit Ungarn und Dentschen so voll gepfropft war, daß die Wellen schon anfingen über den Vord in den Schiffsraum hincinzuspülen, und daß die Schiffer dann endlich sagten, cö wäre gcnug und wir könnten abstoßen, dauerte es noch bis über acht Uhr hinaus. Und wir hatten so noch Zeit genug, allerhand vorzunehmen. Zum Handclöquai aus der Stadt Naab hinaus führt das sogenannte Wasserthor. Dieses Thor, sagte man mir, hatten die Türken bei ihrer Eroberung Naab's zuerst eingeschossen, und sie wären durch dasselbe eingedrungen. Wir fanden noch viele Kugelspuren in den Steinen des Thores, und wie ein ungläubiger Thomas legte ich die Hände in diese Male und überzeugte mich, daß sie von Kugeln herrühren mußten, denn cs passirt mir zuweilen, daß ich an der ganzen Geschichte der Vergangenheit, die ich nicht mit angesehen habe, zweifle. Wenn man sich unter dieses Thor stellte, so bot sich gleicher Weise sowohl dem in die Stadt Hineinblickenden als auch dem zum Wasser Hinausschauenden ein interessanter Anblick dar. Denn vom Thore in die Stadt hinein hatten sich die Marktweiber an beiden Seiten der Straßen ctablirt und bildeten ein Tableau, wie es auf den Theatern im Anfange des zweiten Actes der Stummen von Portici vorkommt. Sie boten eine große Fülle der verschiedensten genießbarsten Früchte feil, und man bekam sie beinahe ebenso billig als in jener Oper die Schauspieler die ungenießbaren, fast Alles um „Tcheingcld," IIR 8 N4 z. B. zwei große Melonen um einen „Groschen Schein" — („Schein" nennt man in Oesterreich das Papier-und Kupfergeld), 70 Zwetschen ebenfalls um einen Groschen Schein und 40 Gnrkcn fnr denselben Münzwerth. Zwei junge Hühner kosteten 12 Kreuzer Münze. — Nun begriff ich vollkommen, wie die ungarischen Könige sich mit Fruchten den Magen verderben und davon den Tod haben konnten, nämlich Matthias Corvinus, der nach dein Genusse mehrer schönen frischen Feigen erkrankte und starb, unb der Kaiser und König Albrecht, der bei Neßmühl an der Donau nach dem Verspeisen einiger Melonen um's Leben kam. Zu der anderen Seite des Wasserchores hinaus-wandernd, erblickte man den Haftn und die ganze nicht unbedeutende Bewegung des Naaber Handels und Echiff-fahrtsverkchres. — Viele große „HaM" (große ungarische Donauschiffe) lagen hier uor Anker, die kleineren „Ladil's" (Zillen — Kähne) daneben. Der H^uptstrom des Handels geht ln dieser Gegend nämlich nicht die große breite Hauptdonau hinauf, sondern zweigt sich in die kleinere Naabcr Donau, den Hauptsammlcr verlassend, ab. Die eigentliche Donau zwischen Naab und Prcßburg ist voll Inseln, Sandbänken und Untiefen. Auch vermeiden die großen von unten kommenden Hajos das Fahren gegen den Strom des großen Wassers. Die kleine Dona^ ist dagegen, obgleich sie auch viele Unbequemlichkeiten, z. V. unzählige Krümmmigen, hat, mehr einem Kanäle ähnlich, schmaler, tiefer und ruhiger. Die großen Donauschiffe können aber auch hier nur bis N5 Raab kommen. Hier laden sie ans, und was noch writer nach Wieselburg, Presiburg und Wien gehen soll, wird auf „Burtschellcn," „Ladiks" und andere kleinere Schisse nmgepackt und auf der kleinen Donau nach Wieselburg geschafft. Die vornehmsten Gegenstände des Handels sind Vieh und Getreide. Das Vieh kommt theils auf der Fleisch-hackerstraßc, theils auf der Donau auf eigenen Schiffen, die von Dampfschiffen gezogen werden, an. Könnten die Dampfschiffe mit diesen Viehstottillen bis Wien hinaufkommen, so würden sie gewiß nicht in der Nähe von Naab ausladen. Das meiste Vieh geht dann auf Oedcnburg weiter und daö meiste Getreide auf Wieselburg, von wo aus dann beide Waarengattungen nach den verschiedenen österreichische» Platzen vertheilt werden. W sind mir nicht alle Umstände ganz deutlich geworden, warum der Getreidehandel hauptsachlich nur bis Nicsclburg geht und von hier aus die Vertheilung der Frucht zu Lande betrieben wird, und warum die Körner nicht ganz zu Schiffe nach Presiburg und auch wiederum nicht, zu Schiffe nach Wien gehen. Mir sagte Jemand, dieß käme zum Theil wohl daher, weil alle die für Wien mahlenden Getreidemühlen in der Umgegend der Stadt sehr weit zerstreut lagen, 4 bis 5 Meilen weit, sogar bis nahe an die ungarische Gränze. Und da nun der Landtrausport in Ungarn so erstaunlich billig sei, so zögen es die Müller vor, das Getreide gleich von Wicselburg mit ungarischen Bauern zu beziehen, als es erst bis Preßburg odcr gar bis Wien gehen 8* 116 zu lassen, wodurch es sehr vertheuert würde. Doch kemn dieß nicht der einzige Grund sein. Vielleicht wird hinter Wieselburg die kleine Donau der Schiffahrt noch ungünstiger. Die Hauptschiffer auf dem Donaustücke unterhalb Raab sind die Naizen und dann die Magyaren. Die Raizen machen imnicr einen Heidenlärm, wenn sie voll unten her, meistens aus dem Vannat, bei Naab ankommen. Eie begrüßen die Etadt, das Ziel ihrer Fahrt, mit unzähligen Freudenschüsscn, und ebenso ka-noniren sie unaufhörlich, wenn sie wieder abfahren. Auch in Naab selbst sind die Raizen, die hier eine bedeutende Colonie bilden, die vornehmsten Frucht- und Viehhändler. Uebrigens corrcfpondiren selbst diese Naizen in ihren Handelsangclegenheitm sehr häufig deutsch. Denn die allgemeine Kaufmannssprache in ganz Ungarn ist fast durchweg die deutsche. Ich sah selbst im Bannat von Naizen geschriebene Handclsbriefc alts Naab, die deutsch abgefaßt waren, freilich mitunter in einem ziemlich unverstandlichen Deutsch. Unsere Jacht war endlich, wie gesagt, mit Menschen, Thieren und Sachen bis an den Rand voll, und die Schiffer erklärten darauf, wir könnten abfahren. sts wurde an einem langen Stricke ein kleines Pferd vor» gespannt, das am Ufer hintrabte. Der Hafen der Stadt Raab entschwand unseren Blicken, und wir rauschten nun recht angenehm den schmalen Fluß hinab, auf der einen Seite daö hohe User des Raaber Lomitats, auf der anderen die grünen und fruchtbaren 117 Niederungen des „goldenen Fruchtgartens" der Insel Schütt. Ich war oben auf das getheerte Schindeldach unserer Jacht gestiegen, und es fanden sich dann noch mehre mit mir hier ei», die lieber etwas unbequem sitzen als unten in: Gedränge der Passagiere der srischen Lust entbehren wollten. Für mich war unsere Dach, gescllfthaft so interessant als nur irgend möglich. <^s befanden sich darunter mehre junge schnurrbärtige — Gramer, Lakaien, Kellner, Ladendiencr, Comptoiristen, Deutsche oder Ungarn, Alles tragt in Ungarn einen Schnurrbart -— Kaufleute aus Naab, einige Patrioten, ein österreichischer junger Edelmann und ich. Kö dauerte gar nicht lauge, daß, als wir kaum den Mund zum Sprechen aufgclhan hatten, auch alle ungarischen Tagessragen, die Sprache, die Verfassung, die Journale, die Literatur, nuf's Tapet kamen und uns zu den lebhaftesten Diseussionen veranlaßten, wie ich denn nirgendwo in Ungarn mit sechs, vier, drei oder noch weniger Menschen zusammengekommen bin, ohne diese Discnssio-nen sogleich entbrennen zu sehen. Ich war nichts weniger als den Magyaren abgeneigt, — warum sollte ein Ethnograph auch irgend einem Volke abgeneigt sein, — vielmehr war ich gewiß sehr willig, die vielen ausgezeichneten und edlen Eigenschaften dieses Volkes anzuerkennen, und ich spielte daher in den: Streite, der besonders heftig zwischen dem österreichischen jungen Kdelmanue uud den anwesenden Ungar» geführt wurde, gewissermaßen einen »m- parteiischen Mittelsmann. Die Oesterreicher sind gewöhnlich in Ungarn über Jegliches, was sie sehen, empört und erblicken an Allem sofort die Schattenseite, und zwar im schwärzesten Lichte. Die Ungarn machen es in Oesterreich aber ebenso, ihnen sind die Polizei, die Mauth, die Paßrevision und alle diese Dinge ein Grauel, und sie sind dann ebenso geneigt in Oesterreich keine Lichtseite zu erblicken. An mich, als unparteiischen Nichtungarn und Nicht-österreicher, appellirten daher gewöhnlich beide Parteien. Die Ungarn glauben zn wissen, daß Oesterreich nach Westen hin auf unser übriges Deutschland einen ebenso niederhaltenden und hemmenden Einfluß übe, als nach Osten hin auf ihr Vaterland, und daß es dort so viele Feinde zahle wie hier. Daher schließen sie sich gleich vertrauensvoller an uns Westdeutsche an, wahrend sie dem österreichischen Deutschen überall mißtrauen. Der Oesterreicher brach, nachdem wir eine Zeit lang auf dem Dache stumm um einander herumgegangen waren, zuerst los. Cr konnte sich nicht enthalten, seinen Unnulth über den Zustand des ungarischen Landbauers, den er hier naher kennen gelernt hatte, ausznlassen, und schilderte es mit grellen Farben, wie furchtbar tief er noch in der Sklaverei senfze, trotz dem mildernden Beschlusse des letzten Landtages. Dann entwarf er ein Vild von dem Wohlbefinden und dein gesetzlichen und geordneten Zustande des österreichischen Vauers. Gegen den ungarischen Vauer bekäme jeder niedrigste Edelmann Recht, ja es wäre da in der Negcl von Recht oder llnrccht gar nicht einmal die Rede. Gegen den österreichischen Bauer aber habe sogar Kaiser Franz, wie er sich selbst oft beklagt, nicht einmal Necht bekommen tonnen, selbst wenn das Nccht auf seiner Seite gewesen. Freiheit! Freiheit! schrieen die Ungarn, sagte er. Aber nnr die wenigen 1VUM0, welche zun« Adel gehörten, genössen davon, und sie alle wären oft die ärgsten Tyrannen gegen die vielen Millionen Unterdrückten. Der österreichische deutsche Bauer sei von viel edlerem Schrot und Korn als der ungarische, denn er lasse sich nichts von der Willkür gebieten, unterwerfe sich aber willig und gern dem Gesetze. Wenn man dem österreichische» Bauer unr sage.- es ist dieß Gesetz, so sei er zufrieden und füge sich, selbst wenn das Gesetz etwas Unbilliges verlange. Von diesem Unterwerfen des eigenen Willens unter das Gesetz habe man in Ungarn keine Idee. Der Vaucr füge sich nur der Obwalt und der Edelmann keinem Menschen und Gesetze. Gr müsse freilich bekennen, daß auch in Oesterreich noch Manches besser sein könne. So z. V. sei es allerdings ein großer Mißbrauch, daß sie, die Edelleute, noch von der Militärpflicht frei wären, und auch noch sonst die Bauern viele Abgaben allein trügen. Auch wünschten sich alle gebildeten Oesterreicher eine Repräsentativ-Versassung. „Ja," sagteer, „wenn davon die Rede ist, so stimmen w!r Oesterrcicher alle von Herzen darin ein. Alles, was der Wiener Spaziergänger verblümt und in Versen gewünscht hat, das ist unser aller einfacher und prosaischer Herzenswunsch. Aber selbst so lange wir noch 120 keine repräsentative Freiheit haben, hält doch trotz unserer unumschränkten Regierung das Gesetz mehre Menschen von oben bis unten herab in seinem wohlthätigen Schooße und Schutze als hier in Ungarn." Die Ungarn vertheidigten sich eifrig dagegen und sagten, das Loos der Vauern sei bisher freilich schlimm bei ihnen gewesen. Allein sie seien ja auf dem letzten Landtage völlig frei gegeben worden, und nun würde das schon besser werden. Auch gäbe es viele sehr gute Edelleute und wahre Väter ihrer Bauern. Ja die allerwenigsten nur seien Tyrannen. Denn der Stock müsse nun einmal sein, so lange dieß Volk noch so sei, wie es sei. Auch sei der Stock mitunter sehr gut und wohlthätig. Das Haupt- und Grundleben eines Staates und Volkes aber sei die Freiheit von oben herab, so daß kein Despot an der Spitze stehe. Dieß sei in Oesterreich, wo der Kaiser befehlen tonne, was er wolle, nicht aber in Un« gärn der Fall. Sowie man nach Oesterreich komme, fühle man sich wie mit hundert kleinen Ketten belastet. Sowie man aber nach Ungarn gelange, athme die Prust frei, und man könne hier sprechen und thun, was man wolle. Das sei die Hauptsacbe für jeden Bürger, und alle anderen politischen Wohlthaten und Institutionen eines wohleingerichteten Staates würden dann schon spater als ganz natürliche Folgen sich von selbst daraus ergeben. Es sei schon viel dafür gethan worden, und eines der Hauplstücke sei auch die Reinigung der ungarischen Sprache von fremden, namentlich deutschen, lateinischen und slavischen Worten, die man letzt mit Necht so 121 eifrig betreibe. Sowie in die Freiheit auf der einen, so stt die reine und vollkommen entwickelte nationale Sprache auf der anderen Seite der Hauptnerv eines eigenen nationalen Lebens. Auch über diese Bestrebungen für die Entwickelung ihrer Sprache lächelte der Oesterreicher etwas spöttisch und bemerkte gegen mich, wenn die Ungarn bisher noch nicht Orientalen gewesen wären, so würden sie es doch mm völlig werden. Denn das Lateinische und das Deutsche hatten sie doch bisher noch mit der ganzen Cultur des westlichen Europa in Verbindung gesetzt, und dieser wür-dcu sie nun entfallen, wenn sie sich in ihr eigenes asiatisches Idiom einhüllen wollten. Die Weise aber, auf welche sie ihre Sprache anderen Volkern uut Gewalt aufzudringen strebten, wäre barbarisch und unerhört. Die Sprache, ihre Weiterbildung und die Fabrikation neuer Worte ist in diesem Augenblick die Licb-lingsidee der Ungarn, und sie betreiben diesm Gegenstand, >ncm kann wohl sagen, mit einer Art von Fanatismus. AlS der Oesterreicher Jenes also geäußert hatte, hatte er sie daher alle auf dem Nacken, und es entstand ein allgo Meines Gemurre gegen ihn. Vinige, die auf dem engen Dache unserer ' Jacht nicht an ihn kommen konnten, Perorirten darauf in ungarischer Sprache gegen einander, wovon ich nichts verstand, als einige lateinische Worte, die den Ungarn noch immer mit unterlaufen, selbst den heutigen Sprachreinigern', „Huestin," ^" und andere römische Appellatiua hone ich heraus. <3in junger hübscher Kaufmann sogar, der 122 bisher immer still auf einer Querstange gesessen hatte, in die deutsche Lecture der Ifslandischen Schauspiele vertieft, sah ans und sprach: „Ih mh, des versteht sich. Ane nationalische Sproache muß doch sein. Das isch gut. U»d die Kroaten werden das Ungrische auch schon lernen, wie wir Deutsche es bereits gelernt haben." Der Oesterreicher fragte ihn schnell, warum er etwas Deutsches lese und nicht lieber etwaö Ungarisches. „Ah pfui, 's isch doch nits G'scheitcs drunter. Wenn i Deutsches habe, weiß ich doch, waö ich lcsc," antwortete er ihm. „Ja ja/' wiederholte ein Dritter, „ane natlonalische Sproache muß doch sein." „Aber," setzte er hinzu, „die vielen Worte, die sie in Pesth backen, machen mir den Kops zuweilen warin, ich werde sie nicht alle mehr erlernen, vielleicht meine Kinder." Dieß war ein deutscher Ungar. „Was soagcn's da? Sie wollen die neuen Worte nicht lernen? Wollen Sie denn immer a Schwob (Deutscher) bleiben?^ rief ihm ein Anderer zu. Als Beispiele einiger, ganz neuerdings erst von der Pesther Gesellschaft ausgeprägter Worte wurden mir folgende citirt: „«^la" für Cigarre; „8xii>H" soll so viel bedeuten als etwas Gedrehtes und dabei zum Luftdurchlaß Geeignetes, — etwa ein „Glimmstengel?" Dieses Wort, sagte man mir, sei jetzt bereits in den meisten Cigarrenläden im Schwange und das alte Wort „Cigarre" daraus verbannt. Die Ungarn gehen also in ihrer Lust und Freude an der Bildung eigener, vaterländischer, ächt ungarischer Worte weiter als die 123 sämmtlichen übrigen europäischen Nationen, die sich doch alle das Wort Cigarre geduldig haben gefallen lassen. Man sollte detiken, daß bei den Sachen, die uns vom Auslande zugekommen sind, auch dcr auslandische Name ganz am Platze stehe, und zumal braucht man bei so unwesentlichen Dingen, wie es Cigarren sind, keinen Anstoß daran zu nehmen. Dasselbe ist cs mit dem neuen Worte ,,^"F7-8ertür" (sprich.' Iotjschertaar) für Apotheke. Sonst hiesi eine Apotheke in Ungarn „?Ätika," wie man noch in allen alten.ungarischen Wörterbüchen finden kann, und die ungarischen Ppothcken waren mit diesem alten Namen nicht besser oder schlechter als bei dem neuen. Solche neue Worte verbreiten sich aber mit einer außerordentlichen Napiditat in Ungarn, so wie sie nur von der Pchher gelehrten Gesellschaft approbirt sind und auch als verständige Bildungen dem Poblicum munden. Wir hatten in Deutschland auch einmal eine solche Periode leidenschaftlicher Umdeutschung aller fremden Worte. Aber die neuen Erfindungen blieben meistens in einigen engen gelehrten Kreisen. In Ungarn geht aber jetzt Alles gleich in's Volk über, weil diese ganze Bewegung in dcr Sprache von einer nationalen Bewegung im Volkögeiste selber ausgeht und von dcr Opposition gegen das Deutsch- und SlaUenthum unterstützt wird. Das alte Wort „?utika" ist daher auch bereitS in kurzer Zeit von den Schildern aller ungarischen Apotheken Verschwunden und das neue „(^«^sertm-," welches so viel bedeutet als „Hcilmittelniederlage," an 124 seine Stelle getreten. Sogar auf denjenigen Wiener 'Apotheken, die besonders für kranke Ungarn arbeiten, sieht man dieses patriotische Wort, statt des alten anrüchigen griechischen. „Auch alle Wissenschaften haben ihre griechischen Na« men verloren," sagte der Oestcrreicher, „und vielleicht müssen sich auch nächstens die Musen ungarisch umtaufen lassen, obgleich wir anderen Europäer sämmtlich Musen und Wissenschaften gern bei ihren griechischen Namen lassen, wohl schon auö einer Art von Pietät gegen die edlen alten Griechen, denen wir beide verdanken. Philosophie hieß sonst zum Beispiel „Vils'öosl.'»" (sprich: Philosophic,) ebenso wie in Paris, Madrid, London, Nom und Wien. Jetzt aber hat sie den Namen ,,Lölt?.«c>II«?»-!,il.-tt," welches buchstäblich so viel bedeutet als „die Hobelei," von „^alnlln" (sprich: jalului), d. i. hobeln. Komen et omen, könnte da Mancher denken. 125 Mer man muß gestehen, daß sie in der Regel geschickt hobeln und die Worte sehr verständig zusammensetzen. W ist mir kein einziges so läppisch zusammengesetztes Wort vorgekommen, wie man sie zuweilen bei unö in Deutschland gebildet hat. Seit dieser Wortbildung iu Pesth werden nun auch keine Concerte mehr in Ungarn gegeben, sondern statt dessen „Ilsm^vcrklcn)?" (sprich: Hangwerschenj), d. h. „Touwettstreite." Und man trinkt nicht mehr Punsch, wie sonst wohl, sondern „^a^va" (sprich: Satjwa), d. h. „flüssiges Oemenge," von x.-^n-llm, d. h. verwischen. In allen Schenken versteht man bereits das neue Wort.- „T^^va". Denn Jeder hat seine Fre»de an diesen neuen Worten und trägt sein Möglichstes dazu bei, sie zu verbreiten. — „X^nc" (sprich: Senne) ist das neue Wort für Musik, welches ungefähr so viel bedeutet als „Geschallt." Wahrend andere Völker, z. V. die Franzosen, fremde Sprachen, z. V. das Griechische, sehr geeignet gefunden haben, aus ihnen den Vildungsstoff für neue Worte, die bei neuen Dingen nöthig wurden, zu nehmen, z. V. „p^rnsc^»!^," ,,c1li!l»<5!-,'lmme" lind lauseud andere Worte (ist das Armuth der französischen Sprache?), oder wie wir Deutsche, die wir für jede neu begründete wissenschaftliche Lchre oder für jedes rein scientivischc Hülfs« instrument gewöhnlich aus dein griechischen oder lateinischen Sprachgeistc heraus die neuen Namen bilden, ^-machen die Ungarn Hetzt für jedes neue Ding, das sie kennen lernen, einen eigenen ungarischen Namen. So 126 z. V. sagen sic für Pyroskaph oder Dampfschiff ,,(^n. 2t!" („der Deutsche der!") heißt es auch dann, wenn sie Aergerniß an einem Deutschen genommen haben. Wir Deut-» schen, obgleich wir wohl noch weit mehr Ursache als die Ungarn haben, auf unserey Namen stolz zu sein und uns zu freuen, daß wir als solche an den schö-» nen Eigenschaften dieser unserer eigenen edlen Nation Antheil haben, gebrauchen nicht die stolze Redensart: „Ich bin ein Deutscher!" — aus verschiedenen Gründen, theils weil wir vielleicht zu bescheiden sind, theils auch weil wir bisher noch in unserer Nationalität nicht etnig und kräftig genug waren. Ich glaube, wir thun Unrecht daran, und ich habe mich daher in fremden Ländern, wcnn mir Jemand sagte: „Nn, N»^3r v^g^ok", oder: „Ich bin ein Pole," oder: „Ich bin ein Eng- 9* 132 lander," immer jener Redensart befleißigt und sogleich geftissentlich hinzugesetzt: „Und ich, mein Herr, ich bin ein Deutscher!" Ich glaube, jeder Deutsche sollte darauf haken, jene falsche und schädliche Bescheidenheit ablegen und sich diese Nedenöart anzugewöhnen suchen. Nach Tische gingen wir an den Strand der Donau, um den „Lrö«" (sprich strrösch, d. h. „der Starke"), einen der grösiten Donaudampfer, der vornehmlich nur als Nemorqueur dient, ankommen z» sehen. <5r schleppte nicht weniger als 2l)00 Schweine aus der Türkei hinter sich her, die auf einer sslotille von 3 Schiffen nebst noch einigen Anhängseln vertheilt waren. VhemalS wurden die Schweine alle auf den weiten Landwegen durch Ungarn nach Oesterreich hin getrieben. Mit einem Theile geschieht dieß auch noch jetzt, z. V. mit denen, die ans den Vatonyer Eichenwäldern kommen, und die man in Oesterreich „Vagauner" nennt. Die, welche aus Slavonien, Syrmien, Serbien, der Walachei und Voönicn kommen, werden in Semlin, Neusatz oder Effek eingeschifft uud sehen sich nun per Dampf in wenigen Tagen aus ihrer Heimath zu den Schlachtbanken der Ocsterrcicher versetzt. "' Die Schiffe, welche man für diesen Zweck construirt hat, sind sehr gut eingerichtet, und die Schweine haben es darin ohne Zweifel viel bequemer als die armen Negersklaven auf den spanischen Eclavenschiffen. Sie haben 2, einige auch 3 Etagen übereinander, die wieder in eine Menge kleiner Schwcinckajien abgetheilt sind, in welchen die Thiere zu 12 oder 15 abgesperrt wer« 133 den. Die Kasten sind alle aus starken hölzernen Stäben gebaut und auch nach außen gegittcrt, so daß überall frische Luft durchziehen kann. Nund um jede Etage herum führt ein Gang, sowie ebenfalls mitten in jeder Etage sowohl der Lange des Schiffes nach, als in die Vreite, Gänge laufen, damit die Leute der Fütterung und der nöthign Aufsicht wcgen überall bequem zukommen können. Sie werden nnterwegcs mit Kukuruz (türkischem Weizen) gefüttert. Das Rindvieh, das ebenfalls in großen Zügen aus den türkischen und ungarischen Provinzen nach Oesterreich kommt, wird noch nicht auf der Dona» befördert, wahrscheinlich, weil es mit seinen breiten Hörnern und hohrn Beinen zu viel Raum wegnehmen, und weil auch wohl die Fütterung zu schwierig scin würde. Es wurden sofort von den Schiffen nach dem Ufer Vrückcn gebaut und die grunzenden Thiere ausgeschifft. Die Flottille, als sie ihre Kasten leerte, verbrettete einen abscheulichen Gestank, und die schreienden, quiekenden, grunzenden dummen Thiere wurden von ihren syrmi< schm und serbischen Wärtern über Hals über Kopf die Vrückcn hinabgestoßen. So wie sie am Ufer ankamen, wühlten sie, als wäre nichts vorgefallen, sofort im Erdreich herum, nach Nahrung zu suchen. ^incin nach Mahomed's Gesetz Lebenden müßte dieß Alles, denke ich mir, ein unerträglicher Anblick gewesen sein. Aber was »lacht sich ein Christ daraus? Ich kroch sogar überall in den Schiffen herum, in Begleitung eines 134 jungen SerbierS, dem die größte Hälfte der 2000 Schweine gehörte, und der freundlich genug war, mir Alles zu zeigen und mir einige Belehrung über diesen Handelszweig zu geben. Alle die Länder an der Sau und Drall und an der unteren Donau hin, Kroatien, Slavonien, Syrmien, Vosnien, Serbien, die Walachei und Moldau, haben einen unsäglichen Reichthum an Schweinen. Ich hatte schon selbst früher Gelegenheit gehabt, in Beßara-bien einen Theil dieses Reichthumes zu bewundern. Da es nun in ebcn jenen Ländern und noch mehr in den weiter südlich an sie angränzenden Provinzen eine Menge Leute giebt, welche ihren wunderlichen Aorurthellen gemäß, um Homerisch zu sprechen, das „süße, blühende Schweinefett" verachten, — so erzeugen sie denn dort mehr Schweine, als sie verzehren können. Da nun aber umgekehrt die Donau aufwärts so und so viele Millio.-nen Nicht-Mahomedaner wohnen, welche „a Schweinernes" äußerst „gustiös" finden, so kommt es denn daher, daß jene Provinzen ihren Ueberfluß hierher schicken, und daß seit langen Zeiten schon eine ununterbrochene Schwcinewanderung in nordwestlicher Richtung sich den Strom aufwärlS ergießt. Es ist sehr schwer oder unmöglich, genaue statistische Angaben über diesen Zweig des Viehhandels zu geben, obgleich es interessant genug wäre, denn diese Schweinewanderungen, auf wclche ich noch oft werde zurückkommen müssen, haben viele recht merkwürdige Erscheinungen in jenen Gegenden zu Wege gebracht und bedingen dort vielfach die Lebensver-hältnisse der Menschen und die Erscheinungen in der poli- 135 tischen Welt. Nur eine Angabe, die einigermaßen einen Haltpunct gewähren kann, findet man in vielen ungarische» statistischen Werkm verstreut, namlicl, die. daßaufdcnOedcn-burger Märkten jährlich etwa 150,000 Schweine verkauft werden, was in einemIahrzehmt anderthalb Millionen aus-nmcht. Und zwar sind dieß zur größeren Hälfte türkische (besser sollte man sagen, slavonische, walackische und serbische, aber die Ocsterreicher nennen in der Regel Alles, was von der unteren Donau kommt, „türkisch") Schweine und zur kleineren Halste Vakonyer. Mein serbischer Schweinehandler war ein junger, schlanker, sehr hübscher Mann. Cr trug ungarische Kleidung, sprach deutsch, ungarisch, serbisch und andere Sprachen, hatte eine Menge brillantener Ninge an den Fingern und hieß V. T—witsch. Ich trank mit ihm ein Taßchen Kaffee und dachte mir, er tonnte auch noch wohl einmal, wie Milosch, König von Serbien werden. Aber es kam ganz anders mit ihm. Ich führe dieß Alles nur an, weil es, wie man spater sthcu wird, einen ganz eigenen Eindruck macht, wenn man mit einem Menschen einmal warmblütig und in vertraulichen, Ge« spräche zusammcngesessrn hat und ihn dann kurz nach« her von Rauberhand erschlagen wiederfindet. Endlich kam daS Dampfschiff von Wien an und entführte uns dem Strande von Gönjö. Dieser südliche Strand bleibt immer hoch, wahrend der nördliche, der Strand der großen Insel Schütt, oder der sogt- 136 nannte „Eilander-Bezirk" bis Komorn immer flach lind niedrig ist. Auch hier, wie überall an der Donau hin, und wie ebenfalls an den Ufern der Theiß, der Maros und audcrer ungarischen Flüsse wird etwas Gold aus dem Sande gewaschen. Es ist dieß durchweg das Geschäft und auch die Pflicht der Zigeuner, die das Gold gewissermaßen als eine Art von Tribut zu niedrigen Preisen an die Regierung abliefern müssen. Vei Aranlios vor Komorn sahen wir auf einer Sandbank, an der wir nahe vorüberfuhren, mehre Zigeuner mit dieser Arbeit beschäftigt. Sie hatten ein schräg aufgestelltes Vret, auf dem, wie man mir sagte, sich viele in die Quere gezogene Rillen befinden sollten. Sie kratzen nun den Flußsand auf «nd werfen ihn auf das Vrct in die oberste Rille und schütten dann Wasser auf. Das Wasser stießt herunter lind nimmt die leichteren Steine und Grdtheilchcn mit hinweg, laßt aber den schweren Goldsand in den oberen Rillen liegen. Daun kratzen sie dieß Zurückgebliebene heraus und vermischen es mit Quecksilber. Das Quecksilber nimmt die kleinen Gold-stäubchen ill sich auf und wird dann in einem Säckchen wieder herausgedrückt. Und in diesem Säckchen bleibt endlich ein kleines Goldkügelchm zurück. Diese Goldkügelchen, wenn sie nach langeil Vemühungen einige fertig haben, liefern sie dann an's Dreißigstautt ab und empfangen dafür einon mäßigen Preis. Kein Goldschmied oder sonstiger Gcwerbsmaml darf von ihucu Gold kaufen, bei Strafe des Verlustes seiner Gcwcrksrcchte. Jeder bei'm Goldwaschen angestellte Zigeuner muß jährlich drei Duca- 137 ten Gold an'6 Dreißigstamt abliefern. Solche kleine Goldkügelchen, wie die Zigeuner sie abliefern, habe ich später gesehen. Sie haben cm Gewicht von etwa 3 — 4 Ducaten. Das Product der Goldwäscherei ist unbedeutend. Aber wenn mcm bedenkt, wie unbedeutend auch die wenigen Schaufeln Sand sind, welche die Zigeuner jährlich auswaschen, im Verhältniß zu den Massen Materials, die noch im Flusse selber liegen bleiben, so ist zu vermuthen, daß in der Donau ungeheuere Schätze vergraben sind. Wenn man asses Gold, welches in der Donau und Maros tt. steckt, auf einmal so ducatenrein heraus amalgamirt hätte, so hatte man vielleicht mehr kostbares Metall, als in ganz Europa sich in Cours befindet. Denn wenn die Zigeuner aus 10 Kubikfuß Donausand auch nur einen Ducaten herauswaschen, so würde doch schon ein Stück Donau von 100 Meilen Länge und 1000 Schritt Breite, den Sand des Bettes zu 5 Fuß Tiefe angenommen, 30,000 Millionen Kubikfuß mit Gold vermischten Sand haben und 3000 Millionen Ducaten liefern. Die Zigeuner gewinnen aber mehr als einen Ducaten aus 10 Kubikfusi Sand. Auch ist die goldführende Donau langer als 100 Meilen und im Durch-» schnitte breiter als 1000 Schritt, und der Sand auch tiefer als 5 Fuß. Dazu kommt noch, daß'die Zigeuner höchst wahrscheinlich gar nicht an denjenigen Stellen des Flusses waschen, wo sich das meiste Gold befindet. Sie waschen da, wo sie den Sand am bequemsten be- 138 kommen können, an dm Sandbänken. Da das Gold aber das schwerste Material ist, welclies die Donau überhaupt in ihrem Bette führt, so ist es sehr wahrscheinlich, daß es nach der Mitte des Flusses zu im Laufe der Jahrhunderte sich weit mehr angehäuft habe, da der Fluß nur alle leichteren Gegenstande an'S Ufer hin« ausspült, und daß demnach eine dicke, schöne, reine Goldsandader überall in dem tiefen Fahrwasser des Flusses fortläuft. Indem ich mir dieß überlegte und mehr und mehr darüber zur Gewißheit kam, fühlte ich, wie sich meine Habsucht in mir regte, und ich bedauerte es aufrichtig, daß eine so schöne Goldader so nahe und doch so unerreichbar versteckt sei. Ich empfand dieß um so mehr, da unser Dampfer immer gerade über der Linie dieser Goldader und des Fahrwassers dahinging. Zehn Fuß unter uns steckten die 3l)0l) Millionen Ducaten in lauter kleinen, blanken, baaren, goldenen Stäubchen. Wenn man nur einmal so eine einzige Meile Donausand rein auslaugen könnte, oder nur eine halbe, man wäre schon für sein Leben lang zufrieden. Aber wie anfangen? Das einzige Mittel wäre, das ganze Wasser abzuleiten und statt dessen einen Quecksilberstrom, der jedes ächte Staubchen sorgfältig daraus hervorlasc, darin stießen zu lassen. Ware das denkbar? Und dann wieder, wie nun dem Quccksilberstrome die kleinen Körnchen abjagen? Wo das Tuch hernehmen over das Leder, in dem man ihn ausquetschen könnte, um die edlen Kügelchen und Goldballen netto zu finden? Ach Gott, cS ist unmöglich^ Die Staaten, die Völker, auch die einzelnen Menschen gleichen aNe der Donau; sie führen in sich ungeheuere Massen Gold, die aber tief vergraben liegen, und von denen immer nur kleine Zigeunerportionen in Cours kommen. Könnten wir Staaten, wir Völker, wir einzelnen Personen, alle in uns liegende Schätze und Kräfte sämmtlich zur Entwickelung, zur Reife bringen, könnten wir sie alle in Thätigkeit setzen und ausmünzen, so wären wir in der That und Wirklichkeit eben so unermeßlich mächtig und groß, wie wir es jetzt bloß in der Anlage sind. Wenn ein kleiner Staat, auch nur eine Stadt von 10M0 Einwohnern lauter so einige, so Mann für Mcmn stehende, so tapfere, fo auf-opferungöwstige, so alle ihre geistigen und physischen Kräfte benutzende Bürger hätte, als die Menschen den von Gott ihrer Seele verliehenen Anlagen gemäß sein könnten, so würde dieser Staat am Gnde alle anderen eristircndcn überflügeln und sie an seinen Triumphwagen schmieden. Und wir ein« zelnen Personen, auch wir fühlen unermeßliche, göttliche Riesenkräfte in unserem Vusen gleich der Donau. Wir könnten die Welt erstürmen und hätten Werth genug, jegliches Dinges Preis zu bezahlen, und dabei liegt es nicht einmal 10 Fuß tief, viel näher. Und bei so un-ernu'ßlichcm Reichthum müssen wir doch darben wie die Zigeuner und uns über jedes kleine Dreiducaten-Klump-chm freuen, das mit Mühe herauszuarbeiten uns gelang. Bei Komorn hatten wir ein heiteres Stündchen, denn es empfing uns hier das ganze Offiziercorps der Festung in Paradeuniform, und dabei ertönten die schönen Klänge 140 der Mustkbanden mehrer Regimenter. Wir führte«» nämlich den General Vagassi bei uns, der zum Commandanten von Pcsth ernannt worden war, „nd den die Truppen hier begrüßten. Ich gedachte dabei der römischen Tuben «nd Tibien, die hier auch einst ertönten, wenn ein Legionen-Anführer die Donau herunter kam, um die zahlreichen Kastelle zu inspiciren. Die geographische Lage des Punctes Komorn ist zu wichtig und von der Natur als ein Bauplatz für menschliche Ansiedelungen zu markirt und start bezeichnet, als daß es je eine Zeit in der Geschichte gegeben haben sollte, wo er nicht von Menschen hatte besetzt gewesen sein sollen. W hört nämlich bei Komom die Insel Schütt auf, und es vereinigt sich hier wieder mit dem Hauptstrom der Donauarm, der bei Prcßburg abging und das „schwarze Wasser" (bei Presiburg auch die „Neuhäuöler Donall"), hier bei Komorn die „Waagdonau" genannt wird. Und außerdem treffen hier kurz vorher die Gewässer der Waag und dann die der Neutra mit der Donau zusammen. <3s giebt von hier aus also schiffbare Wasserstrasien in sehr verschiedenen Richtungen, — auf der oberen Donau nach Naab und Pesth, auf der unteren Donau nach Pesth und Ösen, auf der Waag und Neutra zu den Karpathen nach Norden, und auf dem Schwarzwasser in die Korngegendcn der Insel Schütt. Die Römer hatten diesen wichtigen Punct auch bereits mit der von ihnen sehr hoch geschätzten Stadt BriaMtium oder Vregetium besetzt, und es stand hier TM die I^glo?sim» Xl^ltrix als Besatzung. Der Kaiser Valentinjan machte von diesem Puncte aug, der die ganze Umgegend beherrscht, daher auch seine Anstalten zu dem beabsichtigten Kriege gegen die Quaden, starb aber in der Stadt selbst vor der Beendigung desselben. Diese Dinge sind hier an der Donau noch lange nicht vergessen, man zeigt bei Ezöny Komorn gegenüber römische Befcstigimgswcrke, und ich hatte oft Gelegenheit, mlch hier an der Donau vor Leuten, welche nicht, wie ich das von nur vorgab, zu den studirten und gelehrten Leuten gehörten, über meine Nnkenntniß in Ve-zug auf die Standlager der römischen Legionen zu schämen. Viele sprachen mir von den Quartieren der I^e-l«» I'rim» ^«hütrix, oder der I^o^in I)<^i>i>«, (in Wien), oder der I^egio 8ecunßia XIV (^mina (bei Prcßburg) so, als hätten sie das noch ,von ihrem Großvater gehört. Jetzt nun, wie gesagt, begrüßte uns bei Komorn die österreichische Ianitscharemnusik. Die Stadt Komorn hat in Folge der so äußerst günstigen Lage einen bedeutenden Handel und nahe an 2t),0W Einwohner (selbst ohne Militär). Die Festung Komorn ist bekanntlich noch nke, so lange Ungarn und Oesterreich vereinigt sind, von einem Feinde des Landes erobert worden, auch nicht von den Türken, die doch sonst rund umher Alles inne hatten. Hätten die Oesterreicher oder Ungarn auch Komorn an die Türken verloren, so würden sie damit auch gewiß das ganze Ungarn bis nach Preßburg ,md an die Karpathen eingebüßt haben. Die >m- 142 garischen Deutschen haben daher auch auf den Namen der Festling ein Bonmot gemacht und sagen, es bedeute das Wort so viel als: „Komm morgen." Und dieß wolle die Jungfrau, welche auf den Mauern Komorn's stehe und eine Feige in der Hand halte, gewissermaßen zu dem belagernden Feinde sagen. Die Statue der besagten Jungfrau soll sonst von der Donau aus sichtbar gewesen sein, ich sah sie aber nicht. Man sagte mlr, sie sei neuerdings irgendwo im Inneren der Festung aufgestellt worden. Ucbcrhaupt bekommt man vom Dampfschiff aus wenig von Komorn zu sehen, weil die Stadt ln der Ebene nnd im Wasser sehr versteckt llegt. Am Strande von Komorn waren viele bettelnde Knaben, darunter ein armer, elender Junge, der auf Krücken und hölzernen Beinen sich fortbewegte. Was wir an Kupferstückm für ihn erübrigen konnten, warfen wir ihm gern zu, jedoch nicht weit genug, und das Geld fiel am Uferrande in'ö Wasser. Der arme Krüppel hinkte mit seinen hölzernen Beinen in's Wasser (der nächste Strand war sehr seicht) und bückte sich, um das Geld herauszuholen. Gin anderer Schnapphahn von Vettelbltbe kam ihm mit gesunden Armen und Beinen zuvor und holte es ihm und uns vor den Augen weg. Sogleich aber sprang ein dritter Junge, der nicht um einen Faden weniger zerlumpt aussah als die übrigen, hülfre.ich herbei, ohrfeigte den Schnapphahn, dasi er es nicht besser erwarten konnte, nahm ihm auf der Stelle das Geld ab und gab es dem armen elenden Krüppel, der sich selber nicht helfen zu wußte. Ich muß sagen, daß, wenn ich je Ohrfeigen sah, die mir gut gefielen, es diese waren, und ich glaube gewiß, hätte der Despot Harnn Alrafchid die That dieses Knaben mit angesehen, er hätte ihn auf dem Flecke zum Kadi von Komorn gemacht. Nir konnten von unserem Dampfschiffe aus leider nicht mehr thun, als „Bravo, Vravo, Bursche!" rufen und noch einige Kupferstücke dcsselbigcn Weges schicken, die der Gerechte mit dem Krantcn theilen sollte. Gleich darauf schien es mir, als sähe ich eine Thräne in dem Auge clnes alten Herrn glänzen, der dieß auch mit angesehen hatte und am Geländer des Dampfbootes stand. Ich fragte ihn, ob er weine. „Nee," sagte er, „das nicht, abcr rs ist was Schönes, was Erhabenes und Rührendes um uneigennützige Gerechtigkeit. Der Junge war doch der stärkste voü allen und hatte das Geld, da er es selber so sehr nöthig hatte, für sich behalten können, aber er gab Alles dem armen Krüppel. Ich hätte deu Burschen küssen mögen. Mein Gott! warnm siel denn nicht sogleich ein Orden vom Himmel herunter, diesen Jungen vor dem ganzen Pöbel von Komorn auszuzeichnen?" Ich will es dem General Vagassi melden, sagte ich, aber es war schon zu spät, unser Dampfer ruderte eben ab. Selig, selig sind die Gerechten! Hinter Komorn hatten wir nun, Gott sei Dank, alle Gewässer der Donau wieder in ^inem Kanäle vereinigt beisammen und die täglichen Lieferungen von 2l> Millionen Eimern aus der Waag und Neutra noch dazu. Unsere Bahn war daher so schlüpfrig und glatt, 144 daß wir in wenigen Minuten der großen Ebene, in der wir nun mehre Tage geweilt hatten, entflohen und mitten in die Gebirge kamen, durch welche auf dem Wege nach Gran und Pesth hin die Donau ihren Pfad sucht. Die Donau hat außer ihrem Quellengebiete ober-» halb Ulm „och drei solche Gebirgsstriche, welche sie durchbricht, und dreimal wechseln große Ebenen und große Oebirgsstriche auf ihrem Laufe ab. Zuerst kommt unterhalb Ulm die bairische Ebene (einzelne kleine Berg-partieen durchzieht die Donau freilich auch hier), — dann die schöne Gebirgspartie zwischen Linz und Wien (eigentlich hören die Verge hier bei Göttweih auf, und da bei Prcßburg auch wieder einige Berge sind, so könnte man hier noch die Wiener Ebene einschalten), — darauf die kleine ungarische Ebene zwischen Preßburg und Ko-morn, — dann die Verggegend zwischen Komorn und Pesth, — wiederum Ebene zwischen Pesth und Belgrad und zwar die große ungarische Mittelebene, — abermals Ge-» birgsland und Bergdurchbruch zwischen Belgrad und Wid-di«, und endlich Schlußcbene, die große Walachische, bulgarische Ebene zwischen Ungarn und dem schwarzen Meere. Rechnen wir das kleine schmale Thor von Preßbnrg nicht mit, so durchbricht die Donau also dreimal große Verg-striche, die zwischen Passau und Wien, zwischen Komorn und Ofen, und zwischen Belgrad und Widdin. In vorhistorischen Zeiten hat sie wahrscheinlich drei große Binnenmeere gebildet, die durch Flußtanale und kataraktische Ausströmungen wie der Grie, Ontario u. s. w. mit einander verbunden waren. Der bairische See, der erste »45 oder kleine ungarische (zwischen beiden vielleicht der noch kleinere Wiener See) und der zweite große ungarische See. Die Walachei und ein Theil von Bulgarien ge» hörten zum schwarzen Mccre. In ästhetischer, historischer und jeder anderen Beziehung ist das Gebirgsstück, welches die Donali zwischen Passan und Wien durchschneidet, entschieden das allcr-interessanteste, schönste und bedeutungsvollste. Gleichfalls großartig und unvergleichlich schön, aber wilder, rauher und minder lieblich sind die Katarakten und Gngpäsfe des Stromes zwischen Belgrad und Widdin. Gcgen beide Partieen — namentlich in Vezug auf ihren romantischen oder ästhetischen Werth — stehen zurück die Berg- und Gngpaßpartieen zwischen Komorn und Pesth, obgleich auch hier des Schönen genug, um den empfänglichen Geist lieblich anzuregen, und obgleich für Ungarn dieser Engpaß — gerade in der Mitte des ungarischen Landes gelegen — von vorzüglichstem Interesse ist. Denn der Sitz des geistlichen Obcrhirten des Landes — die alten Königsburgen des Reichs, Wisschrad und Ofen — und die größte Stadt Ungarns, der Mittelpunct seines Lebens, Pesth, liegen hier wenige Meilen aus einander in den Thoren und Portikcn des Engpasses. Gleich hinter Komorn fangt das rechte Ufer an, sich mehr und mehr zu heben, und hat endlich bei Neßm6ly (sprich: „Neßmelj," die Deutschen Ungarns, Mährens und Schlesiens sagen gewöhnlich „Neß-mühl") bereits förmlich ausgebildete Verge. Krst bei ill. 10 146 Gran aber oder kurz vorher beginnen sich dcrcn auch auf der linken Seite der Donau zu zeigen, und erst hinter Orcm wird Alles so eng und dicht, daß man sagen kann, man sei in dem eigentlichen Mittelpunkte l?cö Engpasses. Eö sind die Berge, welche zunächst auf der rechten Seite Pilisgebirge, auf der linken Seite Magustagebirge genannt werden. Doch hängt der Pilis weiterhin mit dem Vcrtcschgebirgc, und dieses mit dem Vakony zustimmen, und der Magltsta mit dem Szanda und anderen südlichen Allsläufern der Karpathen. Mit einem Worte, es ist ein ganzes großes Gebirgsrcihennetz, das auf der einen Seite von den steierischen Alpen in nordöstlicher Richtung und von der anderen Eeite von den Karpathen herab in südwestlicher Richtung, zwischen der großen und kleinen ungarischen (^bcne heranzieht, und welches hier in seiner mindest breiten Ausdehnung von der Donau durchbrochen wird. Die Verge bei Neßmcly schauen sich ganz annmthig an. Sie tragen denjenigen Wein, der von allen ungarischen der gewöhnlichste und verbreitetste ist, — sowie von den Gricchenwcinen der Santorino — oder wie von den französischen Weinen der Medoc oder Graves. Denn Ncßmelyer bekommt man in allen Wirthshäusern Ungarns, und wenn man in Galizien, Schlesien oder Mähren blos Ungarweiü verlangt, ohne die Sorte besonders zu benennen, so fetzen sie gewöhnlich „Ncßmühler" (wie sie bort sprechen) vor. — Neben Neßmcly sind auch berühmte Steinbrüche, die noch in's Innere der Umgegend, nach Dotiö und Almasch 547 .hin fortgehen, und die jetzt fur die vielen Neubauten in Pesth und auch beständig für den Festungsbau in Komorn stark in Anspruch genommen werden. Gs sind besonders Kalkstein-, Sandstein- und Marmorarten, die hier gebrochen werden, vom Marmor besonders eine fleischrothe Gattung, die man in Pcsth überall angewandt sieht, und auf die ich noch spater zurückkommen werde. — Das vielseitige nationalökonomische, historische, ethnographische und naturgefchichtlcche Interesse dieser Gegend erschöpft ein Dampfschiffpassagier nicht. Seine Augen hüpfen wie zwei flüchtige Kugeln, von Pulver und Dampf getrieben, rasch von Punct zu Punct, und in einigen Minuten wird er bei Dingen vorübergeschlcu-dert, bn denen Clio und ihre Schwestern sinnig weilend noch lange zu sprechen und zu deuten hatten. Der Anblick von Gran ist herrlich. Durch die Mündung der Gran in der Nähe ist der Ort zum Stadtebauplatz geweiht. In alten Zeiten lag hier das römische Crumerum oder das Curta des Ptolcmäns*). Es war bereits etwas dämmerig, als wir hier ankamen. Hinter Gran biegt die Donau sich nach Osten in einen rechtwinkeligen Bogen herum. Man bemerkt Anfangs nicht, wo sie bleibt, und es schien daher, als führen wir in einen Hafen ein. Auf beiden Seiten des breiten Stromes zeigten sich Baulichkeiten. Ueber der in der Tiefe am Flusiufer liegenden, von Bergen umschlossenen Stadt liegt auf einem Vorgebirge nahe der Donau *) Nach Mannert. 10* 146 herrschend das Schloß des Fürst Erzbischofs Primas, von Ungarn. Der Grundstein zu diesem Schlosse, neben welchem man zugleich eine große Kathedrale und außerdem 22 Gebäude für Domherren erblickt, — Alles auf der Akropolis der Stadt (auf den Akropolcn der meisten ungarischen Städte wohnen Bischöfe) — wurde bereits im Jahre 1322 gelegt. Aber das Ganze ist noch jetzt, im Jahre 1842, nicht beendigt. Ja man sagte mir, es sei seit 6 Jahren sehr wenig daran gethan worden, und wir sahen alle die Arbeitsgerüste, welche das neue Gebäude umgeben, leer und zum Theil, wie es schien, sogar zerfallen. Ich bin begierig, zu wissen, wie eö aussehen wird, wenn ich die Arbeit nach 20 Jahren wieder einmal besehe. Uebrigens wurde das Ganze von dem vorigen Primas Rudnay nach einem außerordentlich großartigen Plane angefangen. Vielleicht stießen jetzt die Hundcrttausende, welche man zur Beendigung noch nöthig hat, nicht mehr so willig zu, da sie von den Eisenbahnen, Dampfschissfahrten und anderen mehr nationalen Unternehmungen, die einen gemeinnützigeren Zweck haben, als den, einen Primas und 22 Domherren bequem zu logiren, in Anspruch genommen werden. Daß das Ganze enorm lange dauern mußte, geht schon daraus hervor, daß man allein 11 Wochen brauchte, um den riesengroßen Webestuhl zu bauen, welcher die Leinwand liefern sollte für das große Altargemälde von 25 Fuß Höhe und 16 Fuß Breite, auf dem die Taufe des heiligen Stephan vom Wiener Akademiker Heß gemalt werden sollte. Oeil die Stadt Gran eine so vortreffliche und vo» 149 der Natur begünstigte Lage hat, so haben die ungarischen Schriftsteller gemeint, eS müsse hier von jeher eine Stadt cristirt haben, und einige von ihnen fabeln daher auch wohl, daß Gran bereits im 155stm Jahre nach der Sündfluth gestiftet wurden sei. Man kann sagen, es liegt wahrhaft königlich, und ich begreife es vollkommen, wie auf dem Hügel, den jetzt die Erzbischöfe bebauen, innerhalb des großen Vergbogens, der die Stadt umgiebt und gewissermaßen einen weiten großen Thronsaal bildet, sich Könige ihren Thron erbauen konnten. Gran war nämlich in den ersten Zeiten des ungarischen Königreichs dasselbe, was erst später Stuhlweißenburg und dann Ofcn wurde, die Hauptstadt des Reichs und die Residenz der Kömgc. Der heilige Stephan wurde hier geboren und gekrönt. Und bis zum Jahre 1241, wo die Tataren sie zerstörten, stand die bevölkerte und reiche Residenz in solchem Glänze, daß sie alle übrigen ungarischen Städte weit hinter sich ließ. Sie war zugleich, wie jetzt Ofen und Pcsth, der bedeutendste Handelsplatz des Landes, und mehre Nationen, Franzosen, Deutsche und Italiener, waren hier so häufig, daß sie ihre eigenen O-uartiere oder Straßen bewohnten. Gran führte daher auch als stadiisches Wappen einen Theil des ungarischen Ncichöwappcns im Schilde, die vier Hauptflüsse des Königreichs: Dräu, Sau, Donau und Theiß. Auf demselben Verge, worauf jetzt die NeichsprimaS ihre neue Kathedrale bauen, stand schon damals eine höchst prächtige Kirche in altgothischer Bauart, deren Säulen von indianischem Marmor waren, wie die Un- 150 gärn erzählen. Die Stadt war damals so groß, daß sie vorzugsweise die „Donaustadt/' nämlich „Isthropolis," genannt wurde. Weil ihre Eristenz oder doch ibrc Ve-gründung an diesem Platze durch die Vermählung der Gran mit der Donau bedingt war, so hieß sie auch „I^tkro^ranuin," d. i. die „Donau-Oranstadt." Aus Isthrogranum haben die Ungarn „Estergom" gemacht, den Namen, den die Stadt noch jetzt führt. Und aus Ester-gom ist dann wieder der ungarisch-lateinische — nicht der romisch-lateiuische — Name „Htl-I^nnmin" hervorgegangen, ^ou aller dieser gepriesenen Lachen- und Namcnpracht ist nun aber die Stadt durch jene Tataren-verwüstung sehr herangekommen. Ofen und Pesth sind in vergrößertem Maße das geworden, was sonst Isthro-polls war, und die Donaustadt ist nun wieder auf ein unbedeutendes Gran mit 6WN Einwohnern rcducirt, das mit Recht rinn nicht mehr nach dem mächtigen Hauptstrome, sondern nur nach dem kleinen Nebenflüsse seinen Namen führt, und das nur noch in der ganzen Anlage und Localität einige Züge seiner alten Größe offenbart. Hinter Gran macht die Donau eine große Krümmung, geht erst direct nach Süden und bald nach kurzer Wendung wieder geradeswegcs nach Norden, stets zu beiden Seiten von höheren und immer höheren Bergen eng eingeschlossen. Tie hat hier ihre sämmtlichen Gewässer in einem Kanal bei einander und arbeitet mit ungeteilten Kräften. Wie ein kluger Mann bei eintretenden Hindernissen, lavirt sie hin und her, aber wie «51 ein ausdauernder und energischer Ringer findet sie auch ihren Ausweg und kämpft sich durch. Indem wir mit ihr in dem romantischen Gebirgölande hin- und her-lavirtcn, kam die Nacht völlig hcran. Tie ^nft war mild und lieblich und das Spazieren auf dcm wandelnden Deck ein reizender Genuß. Die Sterne singen an über unseren Häuptern zu glänzen, und der Mond strahlte in sanfter Pracht, mit silberneu: Horn seine himmlische Heerde weidend. Am niedrigen Ufer der Donan, in den Winkeln und Einschnitten der Verge flimmerten dichter auf in ungenannten Dörfern und Orten, die wir nicht kannten und die ihrerseits von uns hundert vorüberrauschenden Fremdlingen so wenig Notiz nahmen, als von den wilden Oanscn, die im Frühlinge schnatternd über ihre Berge wegfliegen. Auch in unseren Caiüten wurde es heller, und mitten auf dem breiten wilden Strome ahmten wir mit kampelt, Thectischen und Conversation die Gemüthlichkeit und den Comfort der festen häuslichen Ansiedelungen nach. Am Vnde der engsten Partie des Passes liege» die Ruinen des alten Schlosses Wissehrad. Es ist, wie wir schon erwähnten, ein slavischer Name, der soviel bedeutet als Hochburg. Dieser Wissehrad ist in Ungarn beinahe ebenso berühmt wie der andere Wissehrad, den wir bei Prag beschrieben, in Vöhmen. Mehre ungarische Könige haben hier gewohnt, und es war der Licblingösitz des gefeiertsten von allen, des Mathias Coruinns. Die Ungar» sagen, es wäre früher so prachtvoll gewesen, daß ein Legat des Papstes es ein Paradies genannt hätte, und 152 in der That, wenn daö ein Italiener nicht blos sagte, sondern auch wirklich so meinte, so kann ma» es als ein gutes Zeugniß gelten lassen. Jetzt zeigten sich auf der äußersten Spitze eines hohen Verges, dessen bestimmtere Zeichnung und Gestalt uns aber vom Monde nicht deutlich gezeigt wurde, einige dürftige Ruinen, die sich gegen die helle Atmosphäre abschatteten. Ungarische Ziegenhirtcn, in rauhe Felle gekleidet, sind die Einzigen, welche die mlt, Gras bewachsenen Schloßhöfe besuchen, wo sonst Könige und päpstliche Legaten aus- und einritten, — ungarische Ziegcnhirten und dann — der unruhige Geist eines armen Mädchens, der wie diese Ziegcnhirtcn dcö Nachts im Mondcnscheinc zwischen den Felsen und Thorwegen umherirrt. König MathiaS Corvinus nämlich, so geht die Sage, entdeckte und liebte ein schönes Vlcichcrmadchen, das auf der anderen Seite der Donau, dem Wis-sehrad gegenüber, auf der Wiese ihre Leinwand besorgte und ihm dann des Abends dort ein Rendezvous gab. Sie wußte nicht, daß ihr Geliebter das gekrönte Haupt des Landes sei, sondern sie hielt ihn für einen niederen Jägersmann des Königs, denn er ruderte gewöhnlich im Dunkeln auf einem kleinen Nachen zu ihr hinüber, und da er ihr ewige Viebc schwor, so glaubte sie wohl, der Jäger würde, sie einmal als seine Gemahlin heimführen. Es wurde ihr aber eines Tages gesagt, es sei der König Mathias, der sie besuche. Bei dieser Kunde wurde sie von nicht geringeren» Schrecken ergriffen als Psyche, wie sie hörte, ihr geliebter Amor sei ein verzauberter Prinz oder ein Nngethüm. Wie 153 Psyche den Amor beschlich/ so belauschte nun auch die furchterfüllte Vleicherin am nächsten Abend ihren Geliebten, und zu ihrer Verzweiflung entdeckte sie unter semer Iagerkleidung die königlichen Abzeichen, die man ihr genannt hatte. Der Schmerz über getauschte Liebe, über verlorene Unschuld, über die entsetzliche Kluft, die sie von ihrem Liebhaber von jenseits der Donau trennte, ergriff so ihr Inneres, daß sie alsbald wahnsinnig wurde und sich in den Strom stürzte, über den der König so oft zu ihr herübergefahren war. Und seit dieser Zeit nun geht ihr Geist noch immer auf dem Wissehrad umher, unter seinen Ruinen den König Mathias verklagend und unglückliche Liebe bejammernd. Die Mütter an der Donau citircn sie ihren Töchtern als ein betrübendes Beispiel des Falles eines guten Madchens und der verführerischen Lockungen der Welt. Ich will nicht sagen, daß ich oben auf dem Wissehrad im Mondscheine einen Zipfel des flatternden Gewandes der wahnfinnigen Königsgeliebten zu erkennen glaubte, denn es wird mir dieß doch Niemand glauben. Aber in der That ergriff mich die innere poetische und moralische Wahrheit der ungarischen Donausage, als ich die einst so stolze Königsburg hinter mir in der Finsterniß bald wieder verschwinden sah, auS welcher sie für mich einen Augenblick hervorgetaucht war. Auch der Mond ging bald darauf unter, und nun kam mir der ganze Himmel und die ganze Gegend wie Verwaist vor, wie ei» Zimmer, in welchem die trauliche Lampe erlosch, von der es soeben noch mit süßem Dämmerschcin er- 154 füllt wurde. Unser Dampfer irrte in die Dunkelheit hinein. „Möge er den rechten Weg finden," dachte ich und zog mich vom Bugspriet, von wo aus ich alle diese Scenen mit angesehen hatte, in dic Cajütc des zweiten Ranges zurück, um doch auch einmal zu sehen, welche Geister hier zusammensäßcn. Es waren meistens Juden und Naizen, und einige von ihnen hatten der Tschuttora nicht unbedeutend zugesprochen. In dein einen Winkel saß auch ein kleiner Junge und neben ihm ein älterer Mann, die in cinem Dialekt mit einander sprachen, den ich dereinst einmal in Cngadin gehört hatte. Es waren Schweizer aus Graubünden und zwar Zuckerbäcker, als welche diese Alpenlcutchen in ganz Deutschland, Polen, Rußland und Ungarn verbreitet sind, und sprachen romanisch. Der Alte, ein Conditor aus Kaschau, war dem Jungen, seinem Neffen, bis Wien entgegengekommen, damit er nun als Zuckcrbackcrlehrling bei ihm lerne. Man könnte nach den vielen Graubündncr Con-ditoren, die man in Europa trifft, auf die Vermuthung kommen, daß es im (^ügadin von lauter Kucl'en, Con-ftct und Zucker krimmeln und wimmeln müßte, aber nein, nichts weniger als das. Der Industriezweig, den diese Leute im Auslande betreiben, ist bei ihnen selber durchaus nicht zu Hause, und sie haben daher auswärts einen Samen ausgestreut, der in ihrem Hause keine andere Wurzel hatte als die allgemeine Neigung der Leute zu dieser Art von Industrie. Ihre Söhne, Vettern und Neffen kommen als gewöhnliche Jungen, die oft nur IO5 bei'm Vieh groß geworden sind, aus den Thälern der Inn- und Rhcinquellen heraus und werden dann bei ihren Vätern, Onkeln und Cousins, die bereits im Auslande etablirt sind, vertheilt, um die Kunst zu lernen und sie fernerhin auf die Nachkommen zu tradiren. Sie erzählten mir, in der Voraussetzung, daft ich von ihrem Vaterlande so wenig wüßte wie dieDonauschiffcr, ihr kleiner Staat sei eine sehr, sehr alte, unabhängige Republik und ehedem mit der anderen großen und mächtigeren Republik Venedig verbunden gewesen — was ich hier wiedererzähle, nicht weil man das zum 'Theil nicht aus an« deren Büchern besser erfahren könnte, sondern weil diese Leute es wußten und es mir hier auf der Donau erzählten, und weil die Weise, wie das Volk seine eigene Geschichte tradirt, mir immer interessant ist und immer etwas Lehrreiches hat, — ihre Republik sei also mit Venedig verbündet gewesen, und sie, die Aelpucr. hätten den Venedigcrn Truppen gestellt und ihnen tapfere Hülfe geleistet gegen die Ungarn und Türken. Dafür hätten die Venetiancr allen Romanischen die Privilegien geschenkt, Conditoreien, Kaffeehäuser und andere Etablissements der Art in Venedig begründen und das Glaser-Handwerk und andere Künste dort ercrcirm zu dürfen. Diese Gerechtsame seien ihnen immer wieder auf gewisse Jahre erneuert worden, bis zum Jahre 1766. Da seien Mißhclligkeiten zwischen ihnen und der Republik Venedig entstanden. Der Contract fti nicht wieder erneuert, und ihnen eine Zeit bestimmt worden, innerhalb welcher sie ihre Sachen zu verkaufen und die Stadt 156 zu verlassen hätten, und erst seit dieser Zeit nun seien ihre Zlickerbäckertten, Kaffeehäuser und Wirthschaften so allgemein im übrigen Europa verbreitet. Was das letztere Factnm betrifft, so habe ich vergebens darüber einigen bestätigenden Aufschluß in historischen Büchern gesucht. Denn in der Negel befassen sie sich nicht mit solchen kleinen Zweiglein der Geschichte, wie die Ver» breitmtg der Graubündncr Zuckerbackereien einer ist. Von der Stadt Walzen schweigt unser Lied, denn weder Sonne noch Mond schien auf dieselbe herab, als wir in ihrem Hafen anlegten, um unsere Grau-bündner und einige andere Passagiere auszusetzen. Auch hatte es den Waizencrn nicht gefallen, ihre prachtige Kathedrale, welche die schönste in Ungarn sein soll, un-serelwegen zu illuminiren. Sie ging in der allgemeinen Finsternis), die uns umgab, mit auf, und auch den Rest des Donaustücks bis Pesth bedeckte der wohlthatige Schleier der Nacht vor den hellte schon allzuviel in Anspruch genommenen Blicken von uns Reise- und Schauensmüdcn. Gegen 11 Uhr Nachts sahen wir wtcder einige Lichter, und noch einige links und rechts an der Donau hin. Sie mehrten sich, sie zeigten sich weit zur Linken in die Ebene hinein und flimmerten zur Rechten überall auf den Hügeln und Bergen herum, sie erschienen am Ende auf dem Wasser, vor, hinter und neben uns, und umgaben uns von allen Seiten. Es waren die Städte Ofen und Pesth, zwischen deren Schiffen wir nun anlegten, um dann in der „Königin von England," M7 einem Gusthofe am Donaucsuai, Ruhe und Rast zu finden. Bevor ich mich dem Schlummer völlig hingab, machte ich noch an meinen beiden ungarischen Freunden, mit denen ich mich für diese erste Nacht in .einem und demselben Zimmer zu schlafen bequemen mußte, weil des Marktes wegen eben hellte alle Raume besetzt waren, eine kleine ethnographische Bemerkung. Ich entdeckte nämlich, daß sie, «lit Respect zu vermelden, als Unterhosen eben solche weite, pumpige „Gatjen" trugen, wie sie die ungarischen Tschikosen, Gonassen und Gulyasen als Ueberhosen tragen. Sie versicherten mir, daß dergleichen, wie soll ich mich ausdrücken, dergleichen Souöineipressibles in ganz Ungarn gewöhnlich seien, was ich zu meiner Verwunderung denn auch noch einige Male bestätigt zu finden Gelegenheit hatte. Buda Pesth. ^)sen (oder Bnda) und Pesth sind natürlich nur ein und derselbe Wohnort, einer durch den anderen entstanden, riner durch den anderen gefördert, und beide denselben Verhältnissen ihre Größe verdankend, nur durch die Donau von einander getrennt und durch eine Brücke innig mit einander verbunden. Nnd es ist eine sehr qrosie Ungeschicklichkeit, daß man noch immer ihre gesonderte Verwaltung bestehen lasit und sie nicht langst zu einer einzigen Stadtcommune verschmolzen hat. Es ist so etwas langst im Werke, und es wird auch wohl nicht lange mehr dauern, bis man znr Ausführung schreitet. Man hat auf diesen Fall für die vereinigte große Hauptstadt den Namen Vlida^Pesth vorgc-geschlagen, dessen ich mich hier nur deßhalb bediene, damit auch bei uns schon diesi verständige Werk vor-> bereitet und eimgermasien gefördert werden möge. Ja es wird auch von einigen ungarischen Geschichtschreibern angenommen, daß früher beide Städte Z59 nur eine gewesen wären und zusammen Pesth gchcisien hatten, uud daß erst später sich die Le»ltc auf dem rechten Donauufer von denen auf dem linken getrennt hätten, indent sie ihren Stadtanthcil, in welchem besonders lauter Deutsche gewohnt, mit dem deutschen Worte „Ofen" benannt hätten, welches die wörtliche Ueber« setzuug des slavischen Wortes „Pesth" (sprich Pescht) sei. In alten Zeiten vor der türkischen Eroberung hatte Vuda-Pesth schon einmal eine glänzende Periode, wie auch viele andere ungarische Städte. Aber die Geschichte der Stadt, wie dieselbe jetzt cristirt, beginnt erst nach der türkischen Eroberung. Denn aus den Händen der Türken ging sie in die der Oesterreicher als ein jämmerlicher Schutthaufen über. Alles lag in türkischer Unordnung und Uurcinlichkeit begraben, und Me noch vorhandenen Gebäude waren niedrige Hütten und Stalle. 'Pesth hatte keine Vorstädte und war auf engen Naum innerhalb ihres kleinen MauerkrciseS beschrankt. Wie Gran, Waizen, Belgrad und andere ungarische Städte war Pcsth im Laufe eines Jahrhunderts ein halbes Dutzend Male erobert, bombardirt, verbrannt und wieder zurückerobert worden, und es mag das, Aussehen dieses Ortes damals dem Zustande geglichen haben, in welchem sich noch jetzt Belgrad oder andere Donaustädte befinden, über denen noch der Fluch der türkischen Herrschaft lastet. Es ist bei dm ungarischen Städten ein eben solcher abermaliger Aufschwung nach der Beendigung der Tür-kenhcrrschaft zu bemerken, wie bei den russischen nach der Zertrümmerung des Tatarenreichs. Auch im Anfange 160 des achtzehnten Jahrhunderts konnte Pesth noch nicht recht aufkommen, weil der Einfluß der Türken auf die ungarischen Angelegenheiten noch fortdauerte und dle Na-kotzy'schen Unruhen das Reich nicht zur Ruhe kommen ließen. Die Stadt Pesth für sich allein, ohne Ofen, gehörte zu jener Zeit zu den elendesten Flecken des Reichs — und jetzt nach nicht viel mehr als 1l)l) Jahren ist sie nicht nur die stattlichste Stadt des Königreichs, sondern vermag es auch, sich anderen schönen Städten an die Scite zu sehen. Gewöhnlich wenden wir uns nach Amerika, wenn wir von schnellem Wachsthume und außerordentlicher Stadtentwickelung etwas zu sehen wünschen, lind doch haben wir in Europa ahnliche und fast gleich starke Beispiele genug. In England sind uicle große Städte, dle vor hundert, ja vor fünfzig Jahren bedeutungslos waren. In Deutschland sind alle Städte seit den: letzten Kriege in einer merkwürdigen Umwandlung und Ausdehnung begriffen. In Rußland sind Odessa, Petersburg, Taganrog und andere Orte aus dem baren Nichts entstanden. Und in Ungarn hat cine ganze Reihe von Orten seit hundert, ja zum Theil erst seit fünfzig Jahren ihr Haupt aus dem Staube und Schütte, in welchen die Türken sie geworfen hatten, zu einer be-merkenöwerthen Blüthe erhoben. — Das Hauptleben in Pesth fängt mit der Regierung Maria Theresiens an und hat seitdem in selner Entwickelung und seinem Wachsthume mit der Entwickelung der Energie des ganzen Lebens in Ungarn gleichen Schritt gehalten, 161 d. h. sie ist in einer geometrischen Progression bis cms diese Stunde herab auf eine unerhörte Weise gestiegen. Noch zu Maria Theresicns Zeiten war die Stadt so ziemlich auf den engen Raum der alten Stadt, oder der jetzt sogenannten inneren Stadt beschränkt, die nicht einmal de» siebenten Theil des jetzt von Pcsth bedeckten Flächenraumes einnimmt. Jetzt aber hat sie vier bedeutende, weit ausgedehnte Vorstädte, die zum Theil prächtigere Gebäude haben als die eigentliche Stadt selbst und zu dieser sich ganz ähnlich verhalten, wie die Vorstädte Wienö zu ihrem Kerne. Sie erhielten ihre Namen nach den vier letzten ungarischen Königen, unter deren Regierungen sie entstanden, und heißen Theresien-, Joseph-, Leopold- und Franzstadt. Pcsth ist sehr regelmäßig gebaut und sein Plan bis auf die große Weitläufigkeit sehr verständig ausgesponnen. Denn von seinem Kerne, der inneren Stadt, aus führen nach allen Seiten hin große, breite, radiale Hauptstraßen aus, die wieder durch ziemlich leicht hcr-auszusiudende, conceutrisch um den inneren Kern sich schlingende Quergassen mit einander verbunden werden. Nur die Thercsienstadt macht in Vczug auf die Quergassen einige Schwierigkeit. Denn ihr Plan ist so wenig mit dem der Nachbarschaft in Harmonie gesetzt, daß die Linien ihrer Straßen sich durchaus nicht an die der Nachbarstraßen anschließen wollen und immer in conträre» Richtungen gehen. WaS Ofen, für sich allein betrachtet, betrifft, so 162 hat es gar keinen Plan. Vs ist hier weder von con-ccntrischer noch von radialer Anöbildung der Straften die Nedc, und cs lasit sich weder ei» eigentlicher Mittelpuuct, noch ein allmaliges Verlaufe» der Stadt erkennen. Die Ursache davon ist das ungünstige Terrain der in den Weg tretenden Verge, welche den Bewohnern nicht erlaubten, ihre Häuser auf eine rationelle Weise neben einander zu legen. Faßt man die ganze Situation und Localitat you Vuda-Pesth zusammen, so stellt sich darin eine so auffallende Aehulichkeit mit der Situation von Prag hervor, daß dieselbe unabweislich zu einer Parallelistrung beider Stadtlagen auffordert. Beide Städte, Prag wie Vuda-Pcsth, liegen an einem Strome, der sie in zwei, zu verschiedenen Zeiten vielfach von einander getrennte, sehr von einander verschiedene und doch zusammengehörige Theile spaltet: Ofen — Klciuseite mit dem Hradschln, Pesth — Alt- und Neustadt. In Ofen lauft ein schmaler, länglicher Bergrücken zur Donau hervor, der die ältesten Bauwerke, Häuser, Paläste, Kirchen, Königsschlösser, Gouverncmentsgebäudc und Festungswerke tragt. In der Klemseite geht ein ganz ähnlicher, langer, schmaler, auch fast gleich hoher und schroffer Bergrücken zur Moldau hervor, der ebenfalls, als Akrovolis von Prag, mit den ältesten, wichtigsten und interessantesten tM'.uiden der Stadt belastet ist. Ein andereS nicht bebautes, breites Vorgebirge, der 163 Laurenzoberg, umschließt die Kleinscite, und das zwischen beiden Vergen liegende Thal ist mit Hausern angefüllt. Ebenso tritt ein anderer nicht bebauter, kahler, breiter Berg, der Blocksberg, bei Ofen hervor, und das zwischen ihm und dem ersten Verge liegende Thal ist mit Hausern angefüllt. Auf der flachen Seite der Donau liegt Pcsth, der wichtigste Theil des Ganzen, sich weit in der Nbene hin ausbreitend. Ebenso liegt auf der ebenen flachen Seite der Moldau das Hauptstück von Prag, die Alt- und Neustadt. Wie in Prag auf dieser Seite daS regste städtische Leben, die größte Einwohnerzahl, der bedeutendste Verkehr und der weitere Aus- und Anbau der Stadt statthat, so findet man auch bei Vuda-Pesth dieß AlleS auf der Pesthcr Seite, wahrend Ofen zurückbleibt, das von Beamten, Adeligen, Weinbauern und anderen weniger in das städtische Leben eingreifenden Bürgern bewohnt wird, ganz ebenso wie auch die Klemseite weniger mit fortschreitet und ebenso viele leere Palaste zeigt, wie die andere Seite neue Gebäude hat. Ueberschaut man das ganze Vuda-Pesth vom Blocks-berge aus, so hat man einen ganz ähnlichen Anblick, als wenn man das ganze Prag vom Laurenzberge aus ansieht. Nur ist bei Buda-Pesth Alles viel größer, Alles mehr gedehnt und ausgezogen, während bei Prag Alles sich concentrirter, voller, reicher, aber auch enger und schmaler darstellt, in demselben Maße, in 1l* is:4 welchem die Moldau enger und schnialer ist alö die mächtige Donau. In Summa kann man behaupten, Vuda-Pesth sei das im Hohlspiegel betrachtete und zerstießende Vild von Prag, jedoch mit der Beachtung des großen Unterschiedes, daß sich hier das Alte und Ehrwürdige zum Neuen und Eleganten gerade umgekehrt verhalt als in Pesth. Auch zu dem Lande, welchem beide Städte als Capitalen im Herzen liegen, verhalten sie sich ungefähr auf gleiche Weise. Ich meine, nicht blos die Gruppir-mig ihrer Hauser und die Lage der Stadttheile, sondern auch ihre geographische Lage ist eine ähnliche. Böhmen wie Ungarn nämlich stellen sich beide als zwei sehr gut abgerundete, fast überall von Gebirgen umschlossene Länder dar, deren Mitte der Hauptflusi deS Landes (in Böhmen die Moldau-Elbe, in Ungarn die Donau) durchschneidet. An diesen Hauptftüsscn mm, im Centrum seines Landes, liegt Vuda-Pesth wie Prag, alle beherrschten Provinzen im Kreise um sich herum ordnend. So lange ein um die mittlere Donau herum sich abrundendes Ungarn besteht, ist auch die Capitale dieses Landes immer so ziemlich in die Vudavesthische Cen-tralgegend gefallen. Die Nömer machten gern die großen Flüsse zu Gränzen ihreS Reiches, da dieselben den Vortheil der leichten Uebcrblickung und Bewachung der Gränzen und eine bequemere Versorgung der Standquartiere mit Proviant und Munition gewahrten. So hielten sie in Asien den Tigris fest, so in Europa die Rhein- und Donau- 165 gränze. Sie zerrissen dadurch den natürlichen Zusammenhang mancher Landergebiete und Grdoberftachenstücke, der insbesondere dnrch die von allcii Seiten zusammenströmenden (Gewässer vernüttclt wird. So lange die Nömer a,l der Donau standen, tonnte es daher von keinem Einflüsse alls die Entwickelung einer Stadt sein, daß sie an der Donau im Mittelpunkte des von Alpen-, Karpathen- und walachischcn (Gebirgen mugränztcn Flachlandes lag. Sobald aber die Hunne» und Avaren und dann die Ungarn auch über die Donau hinausgingen und das ganze Weideland bis an die Alpen eroberten, sehen wir sofort das Gewicht des Centrums deutlich hervortraten, und von da an fallen alle Residenzen und Capitale», die das ganze Land Hnn-garia beherrscht haben, in die bezeichnete Gegend. Nur müssen wir hier, wo cö sich natürlich nicht von mathematisch genauen Figuren und ssentralpuncten handelt, nicht gerade bei dem kleinen Fleck Ofen stehen bleiben, sondern das Gebiet etwaö ausdehnen. Als ein solches ausgedehntes centrales Nesidenz- nnd M'tropolengebict Ungarns kann man die ganze Scheitelgegend deö großen rechten Winkels bezeichnen, den die Donau in der Mitte des Landes bildet. Die Dona» kommt nämlich aus Oesterreich in wcstostlichcr Richtung herangesiossen und schreitet so bis in die Mitte deö Landes, bis in jene oben beschriebenen Engpasse, bis in je» ncs mittlere Verglandchcn, genau genommen, bis Waizen vor. Hier über macht sie einen Dreh und fetzt ihren Laus nach Süden fort, indem sie dann über 49 Mei- 166 ten welt diese Richtung beibchalt. Das wcstöstlich laufende Stück mit diesem nordsüdlich gehenden bildet einen rechten Winkel, und da — in dem Scheitel dieses Winkels ist der Hauptlebeftunct Ungarns zu suchen. Schon der große Ring des Chakans der Ävaren lehnte sich an diesc» centralen Winkelscheitel. Nttila hatte hier eines seiner Hauptlager, das er nicht selten lezog, wie man wenigstens auS dem alten Namen Ofens: „Etelvar," oder „Etzelburg" mit großer Wahrscheinlichkeit schließen kann. Die Hunnen wie die Ungarn und andere dieses Land erobernden Völker kamen zu« nächst fast alle über die Karpathen an den Ufern der Theiß herunter. Wie bei Attila sahen wir daher auch bei Arpad die ersten Lager an der Theiß. Aber schon der ungarische Herzog Gcysa wohnte in jenem bezeichneten Donauwinkel ln Gran, wo seine Nachfolger, die Könige Stephan u. s. w., für bestandig blieben. Nach dem Einfalle der Tataren wurde die Ncstdcnz der ungarischen Könige nach Stuhlweißenburg, welches nur 6 Meile» von Pesth liegt, verlegt. Doch war Stuhlweißenburg mehr nur der Krünungsort und das Ver-saille Ungarns. Denn selbst so lange noch die Könige unter Vela IV. sich wirklich nicht nach Vuda-Pcst übersiedelten, war doch diese dem Centrum nähere Gegend immer der Hauptschauplatz der wichtigsten Staatsauftritte und politischm Bewegungen durch seine Reichs-Versammlungen auf dein Nakoschfeldc, wo die Gesetze gemacht und die Könige gewählt wurden, während man in Stuhlweißenburg diese nur krönte, jene bestätigte. 107 Stuhlweißenburg mochte sich schon damals zu Vuda-Pcsth verhalten, wie jetzt Preßburg. Denn obgleich mm die Ncichötage sogar in dieser Stadt an der Gränze gehalten werden, so bleibt doch Pesth, als Sitz des Palatines, der Magnaten, dcr obersten Behörden des Landes, als Vrennpunct der nationale» und wissenschaftlichen Bildung, als Sitz der Universität nnd Akademie, als vornehmster Stapelplatz des ungarischen auswärtigen und Binnenhandels, als entschieden reichster und bevölkertc-ster Ort, die eigentliche Capitale des Bandes. Das beispiellos schnelle Wachsthum der Stadt ist daher auch, weil sie Centrum ist, ein sehr treuer »nd richtiger Maßstab der allgemeinen schnellen Entwickelung von ganz Ungarn, denn die Zunahme der Population, der Industrie, der Bildung, der Regsamkeit des ganzen Landes muß natürlich zunächst im Centrum seine Wirkung zeigen, sowie denn auch von hier aus zunächst die Rückwirkung auf das Ganze stattfindet. Vuda-Pesth hat jetzt über 100,000 Einwohner, während mau noch nicht recht über die Anzahl der Hunderte einig ist, die es vor hundert Jahren haben mochte. Die Ungarn blicken mit Stolz a»f ihre Hauptstadt und träumen schon davon, das; eö einmal wieder die Residenz ihrer Könige werden möchte. Ja sie trauinen es schon nicht inehr, sondern sie behaupten und sprechen offen davon, daß es bald so kommen müsse. Die Stadt wird von Jahr zu Jahr genußvoller, prachtiger, cultivirter. Vcstandig lassen sich mehr und mehr Mag- 16» naten bewegen, von Wien alls sich nach Vuda-Pesth überzusiedeln. „Wenn er nur zuweilen einmal zu uns kommen wollte, unser König," sagen die Ungarn, „wir woll» ten ihm einen Palast bauen, wie er ihn in Wie» nicht besitzt." Die Pesther Messe. Äls geographischer Mittelpunkt des Landes ist Pchli auch der Mittelpunct des ganzen ungarischen Handels. M hat vier große Markte oder Messen, welche ihrer Bedeutsamkeit nach mit Nccht ungarische Neichsmessen genannt werden. Die wichtigste von allen ist die (5ude August beginnende, denn zu dieser Zeit sind alle Ver-> kehrsstraßeu iu Ungarn im bcftten Stande, die Donau frei, die Landwege trocken, und dann geschehen auch die meisten Einkaufe für den Winter. Ich war sehr glücklich, daß ich gerade z» dieser Zeit in der Stadt ankam, und ich will es versuchen, von dem merkwürdigen Treiben, das diese Messe hier veranlasste, und dessen (bleichen man nirgends bei uns sieht, ein Vild zu entwerfen. Die vornehmsten Schauplatze des Pesther Meßver-tehrs sind folgende! erstens der lange O«ai am Donaunser hin, an welchem die Schiffe anlegen und an dem sich eine Neihc von Magazinen hin erstreckt, 170 zweitens das Quartier der Juden, wo alle Gehöfte von Waaren und Menschen wimmeln, drittens die Marktplätze im Inner» der Stadt, die mit Vuden bedeckt sind, und endlich viertens die freien Platze in der Ioscphsstadt vor der Hatvanenlinic, welche der Noßmarkt oder der Bauern« markt genannt werdet«. Gleich a» dem folgenden Tage nach meiner Anwesenheit galt mein erster Ausflug dein schönen Donau-Quai, der schon jetzt Prachtvoll und bequem ist und, wenn crst einmal die neue Pesther Brücke fertig ist, einzig in seiner Art sein wird. Es ist ein über eine Stunde langer, breiter Strich freien Landes, der auf der einen Seite die Donau und auf der anderen eine Neihe von großen schönen Häusern hat, die in ihrem Its? «I«: cli»»«»«/« fast durchweg zu Magazinen und Krambuden dienen. Am Morgen war der ganze Quai von Tausenden von handelnden Menschen erfüllt. Die Schiffe, die Dampfer, dle großen Donau-Hajos, die Theißfahrzcuge, österreichische Boote von der oberm Donau und andere von Semlin, Velgrad, Syrmicn :c. lagen in Ncihe und Glied am Ufer hin. Gin Theil ihrer Waaren war auf dem freien Platze des Quais aufgehäuft. Ich ging zuerst zu den Schiffen und ließ dann einige Magazine die Nevue passtrcn. Diese Schiffe hatten alle vorn ans der Spitze einer langen Stange irgend eiucn Gegenstand ausgesteckt, z. V. eine» großen Tops, eine Wcmslaschr, eine» Stuhl, einen Tisch, einen Vcsen, ein Kreuz, einen hölzernen Trog, einen 171 riesengroßen Löffel u. s. w. Ich glaubte Anfangs, daß damit die Waare bezeichnet werden sollte, welche sie führten, hörte aber bald, daß es nur ein Abzeichen oder gleichsam ein Wappen sei, welches die Schiffe führten, um sich ihren Kunden gleich von Weitem bemcrklich zu machen. Nur nahm es sich wunderlich aus, daß sich alle diese Dinge nicht etwa wie bei unseren Nirths-hausschildern im Vilde präsentirten, sondern wirklich in natur» in der Luft- baumelten. Die größten und solidesten Flußschiffe dieser mittleren Donau, die man als bei Raab diesseits der Donau-Verflachung, die unterhalb Preßburg statt hat, beginnend und als unterhalb Semlins bei den Donau-Katarakte» endend annehmen kann, heißen auf Ungarisch „I'ehfuk^o'lj" (sprich: Teltjfohajo's), d. h. so viel als ganze oder vollkommene Schiffe. Diese Telyfoha-jos sind überhaupt die größten Donauflußschiffe, die es auf irgend einem Schifffahrtsstücke dieses Stromes giebt; sie tragen bis zu 10000 und 12000 Metzen Weizen, was der Ladung eines nicht ganz kleinen Seeschiffes gleich kommt. Sie beschissen auch die untere Theiß bis Sze-gedin hinauf, denn die Schifffahrt dieses Flusses gehört durchaus in jeder Beziehung noch mit zu dem bezeichneten mittlcrcu Donau-Schifffahrtögcbiete. Ja die meisten und beßteu Telyfohajos werden sogar an der Theiß in Szegcdin, welches an diesem Flusse ebenso die größte Handels- und Schifffahrtsstadt wie Pesth an der Donau ist, gebaut, andere auch in Eszek an der Dräu. Eszek bekommt das harte schöne Eichenholz zu diesen Schiffen 172 aus dcn Wäldern Slavoniens und Szegedin ans dencn Siebenbürgens. Ich besah ein solches Szegedin'sches Tclyfohajo im Detail und muß gestehen, dasi es das größte und solideste Donanstußschiff war, welches ich sah, obgleich es bereits 27 Jahre alt war. Gewöhnlich werden diese Schiffe 30 Jahre alt und darüber, denn sie sind alle aus dem beßten (Nchenholze gebaut, wenigstens gilt dieß durchaus von den» unteren, im Wasser gehenden Theile. Wegen der großen Sonnenhitze auf den ungarischen Flüssen leidet der obere Theil mehr und wird hansig erucucrt. Das Anobessern der Schiffe nennen sie „schopen", und die Ausbcsserer oder Kalfaterer heißen „Schopcr". Die Schiffe warden durch" weg aus folgende Weise geschopt: Alle ivugen und Nisse werden mit Werg ausgchämmert lind darauf Latten genagelt, und zwar so, daß ein Nagel dicht hei dem anderen steckt, so dasi ihre großen metallenen Köpfe dem Schisse zugleich zur Zierde dienen, wie bei den altmodischen ^cderstnhwt unserer Sattler. Die Telnsohaios werden jahrlich eleganter und besser gebaut, und ich sah mehre auf der Theiß, die man in Betracht der Umstände und namentlich in» Vergleich mit dcn oberen Donauschiffcn Prachtgcbaude, freilich et-» was plumper Art, nennen konnte. Diese Verbesserung des Schiffsbaues ist zum Theil ein Zeichen von dem zunehmenden Verkehr in Ungarn, zum Theil wird sie dein Verkehre wieder besseren Vorschub leisten. Der dicke, künstlich gearbeitete Strick, all welchem 173 die Schiffe den Flnsi hinaufgezogen werden, und welchen die Oesterrcicher „Zwisel" nennen, heißen die Ungarn „k„a" (sprich- Tarhonja). Dieser Tarhonya ist ein mit sauerer Milch angemachter Mehlteig, der in jenen Schüsseln über dem Feuer getrocknet, zerrieben «nd ge- 179 röstet wird. I« diesem Zustande läßt er sich eine» ganzen Sommer über, ja, wenn fie ihn vor Feuchtigkeit bewahren, 2 bis 3 Jahre lang aufbewahren. Sie nehmen davon einige lederne Säcke voll in die Steppen mit und thun zu Zeiten davon eine Hand voll an's Schweinefleisch. Den Hirten und einsamen Pusten ^Bewohnern, die nicht immer gleich das Nöthige bei der Hand haben, thut der Tarhonya auf diese Weise gute Dienste, besonders auch deßwegen, weil er das viele Fett, welches sie dort essen, ln etwas dampft und sie ein wenig von der eigenthümliche» ungarischen Krank-» heit, in welche sie bei dem vielen Fleisch- und Fettessen leicht versallen, vor dem „Osoinor" (sprich Tfchömör) bewahrt. Dieser Csömör ist in Ungarn so allgemein und gewöhnlich, daß ich nicht unterlassen kann, gleich hier davon zu sprechen, um somchr, da ich eben neben jenen Töpfen das erste Beispiel eines mit dem Csömör Behafteten erblickte. Es saß dort ein alter Ungar, der ganz elend aussah, gähnte, sich dehnte und, als wir ihn fragten, was ihm fehle, uns ganz lamentabel antwortete: ,,^k ^esus Uai-ii», We^c8öinöl<»ttein!" (Ach Jesus Maria, ich habe den Tschömör gekriegt). Für gewöhnlich bedeutet „c^ömül" weiter nichts als Ekel, Ucbelbe-finden, und „meßeüomörütten," heißt dann blos: „mir ist ganz übel geworden." Aber dann ist cslimöl auch eine bestimmt ausgeprägte Art von Uebelkeit, die be-sonderS durch vieles Fleischessen herbeigeführt wird und oft sehr Plötzlich eintritt. Den Patienten wird dabei 12* 180 zunächst übel, sie verlieren den Appetit, müssen beständig unwillkürlich gähnen, fühlen sich matt in den Gliedern, steif im Rücken und bekommen dabei gewöhnlich kleine Pusteln, Knöpfe oder Knötchcu in der Haut. ^somn (sprich: Tschonw), heißt im Ungarischen nämlich der „Knopf" oder „Knoten", und wahrscheinlich hat die Krankheit daher den Namen: O.'iim'ir, und vielleicht ist dann wegen der Häufigkeit dieser Krankheit unter den Ungarn der besondere Name überhaupt auf jedes allgemeine Uebclbcfinden und a„f' den Begriff „Ekel" ausgedehnt worden. Kein Arzt und keine Medicin, behaupten sie, kann dabei etwas helfen, und die Krankheit dauert un-abwendlich 3 Tage, die sie bestandig mit Gähnen und Fasten hinbringen. Eine Hauptlinderung gewahrt ihnen dabei daS Reiben des Rückens, das Biegen und Kneten der Gelenke. Die gemeinen Leute lassen sich sogar herz" haft in die Seite stoßen, mit Füsien treten, die Arme aufheben und mit einem derben Ruck wieder niederziehen und dergleichen mehr, und sie behaupten, daß ihnen diesi besonders wohlthnend sei und allein die Krankheit vertreiben könne. Die deutschen Ungarn, sagte man mir, bekamen den Csomör nicht, aber die kleinen Edelleute auf dem Lande, wo sie ziemlich geschäftlos und üppig lebten, wären ihm so gut unterworfen, wie die Bauern, und mir wurde das Beispiel eines solchen Edelmannes citirt, der oft nm Csömör litte, und dessen Frau sich alle Augenblicke entsetzte, wenn er zu klagen anfinge: ,,^ll ^e«»5 Hlaria in«^»nm<>r<'»ttl>ii<," weil sie datin mit seiner Laune drei Tage lang zu ringen und dabei 1^1 mit Kneten, Ätückenreiben, t^liederziehen, Reckon, Rucken und Kratzen bei ihrem Gemahle die Hände vollauf zu thun hatte. Die Leute, welche die genannten Sachen feil hatten, waren zum großen Theile Slaven und Magyaren. Auch viele, deutsche Bauern, Colonistcn auö den entferntere» Gegenden Ungarns, warm mit solchen rohen Kunstpro-duetcn da. (Mit Lebenömitteln und den Gegenständen des täglichen Verbrauchs kommen sonst größtentheils nur deutsche Bauern auf die Pesther Wochenmärktc, weil die nächste Umgegend von Pesth viele deutsche Co-lonieen enthält.) Man erkennt diese aus entfernten Gegenden kommenden deutschen Bauern nicht gleich als solche, weil sie oft ihr Deutschthum in Schnurrbärten, Oatjen, breitkrämpigen Hüten und Zischmen vermummt haben und von außen auf den ersten Anblick frappant aussehen wie Magyaren, ssiner dieser Vauern, den ich anredete, und der aus dem Vakonycr Walde mit Holzschnitzwaaren, Rechen, Löffeln, Schaufeln, Wannen u. s. w. herbeigekommen war, bestätigte mir die gute» Nachrichten über den Fortgang des Kartoffelbauö, die ich bereits "m Neusiedler See gesammelt hatte, auch für seine ^'achwrscl'aft. Auch er sprach wörtlich wie dort, die Ungarn hatten „och vor dreißig, ja vor zwanzig Jahren alles Schlimme von den Kartoffeln gesagt und sie Nur den Schweinen gegeben. Jetzt aber bauten sie sie im Vakony fast allgemein. Es kamen bei unserem bespräche noch mehre deutsche Bauern hinzu, einige in der Landwirthschaft kundige Magyaren hatte ich ohne- 182 dieß noch bei mir, und ich warf daher bei dieser Gelegenheit vor diesem Consilium die Frage auf, ob eS wahr sei, was ich gehört und gelesen habe, daß die Meisten ungarischen Vencnmmgen von ackcrbaulichen Instrumenten entweder deutschen oder slavischen Ursprungs seien. Sie protestirten alle mit Hand und Fuß dagegen und sagten, das sei nicht wahr, die Benennungen seien ächt ungarisch. Ja der kleinste Theil deö Pfluges habe seinen eigenen ungarischen Namen, woraus man sehen könne, daß sie schon längst, auch ehe sie nach Ungarn gekommen, Ackerbau getrieben haben müßten. Als ich dieß nicht recht glauben wollte, wurden die Leute gar so heftig, daß es schien, als habe ich sie durch meine Behauptung stark beleidigt. Nuu in Deutschland darf ich es doch wohl sagen, daß die Namen der hauptsächlichsten Ackerbaumstrumente in der That höchst wahr« scheinlich nicht ungarisch, sondern slavisch und deutsch sind. ,,Nke"z.V heißt der Pflug. Dieß ist entweder von dem deutschen Worte „Gggc" genommen, das falschlich auf den Pflug angewandt wurde, oder kommt vom deutschen Worte „ackern" her, oder endlich, was das Wahrscheinlichste, von dem Ausdrucke „Haken," dessen auch noch einige Slaven in Ungarn sich für die Ve« zeichnung des Pfluges bedienen, indem sie ihn „Hak." ncunen. „Larnna" heißt die ^ggc, welches Wort für dasselbe Instrument bei allen Slaven in Gebrauch ist. „l«p'''t" kommt vom deutschen Worte: „Spaten" her. Die Vorsehung des „i" vor das „s" ist in solchen Fallen ganz gewöhnlich bei den Ungarn, z. V. in den Worten: >,l»twilu" (Stephan), „lställc," der Stall, „lstüd," der Stab. „I.mtnr^" heißt dic weiter, „8llk" der Sack, „IVu-^1>" Dinkel, „I^«nt«e" Lmsen. Dieß sind nur einige solche agronomische Penenmmgen, es giebt ihrer aber noch viele. Daß übrigens die einzelnen Theile des Pstugs lind anderer Werfzeuge ächt ungarisch sind, kann immerhin wahr sein, dcnn nachdem die Ungarn das ganze Instrument nüt dem eilten Namen empfangen hatten, werden sie sich nicht bemüht haben, anch den fremde» Namen jedes einzelnen Nagels zu lernen, sondern diese Nebendinge lieber selber getauft haben. Einer der in dieser Gegend des Marktes bedeutendsten Artikel und dabei ein acht ungarischer war die Seife. Es waren wirklich erstaunliche Quantitäten davon auf dem Platze. Diese Seife wird alle in den ungarischen Steppen, besonders an der Theiß bei und in Debretzin und Szegedin gemacht. Die geschätzteste kommt alls Dcbrctzin, in großen, langen, zie-gelsteinartigen Stücken, „1'ar Hit" (der magyarische Glaube) vorzüglich, d. h. der Glaube der Reformirten, der so genannt wird, im Gegensatze zu dem „leinet Hit" (dem Glauben der Deutschen), d. h. dem Lutherischen Glauben. Die Do-bretzincr meinen, oder meinten wenigstens sonst, ehe die Pesther Sprachreinigungen vorgenommen wurden, sie sprachen das nachahmungswcrtheste Ungarisch. Aus Debrctzin kommen die bcsiten eigentlich ungarischen Produtte, wie z. V. das eben genannte Produtt, das dort in nicht weniger als 1W Seifensiedereien gewonnen wird. In Dcbretzin giebt eö 210 Kepeneschncider und 7W Zischmcnmacher. In Dcbretzin werden die achten ungarischen Tabacköpfcifen gemacht, und zwar jährlich, wie die neueste ungarische Statistik behauptet, 11. Millionen Stück, was für jede Seele dcö Königreichs 1 Stück ware. „Gehen Sie uach Debretzin," sagten mir Viele in Pesth, „wenn Sie Ungarn kennen lernen wollen. Denn in und bei Debretzin wachsen endlich auch die schönsten und großen Melonen/' die wiederum eine ächt ungarische Frucht sind. Vielleicht haben die Ungarn die Mcloncnzucht, besonders die Zucht der Wassermelonen, oder doch wenigstens die große Neigung für sie mit aus den Landern am schwarzen und kas« pischen Meere gebracht, welches die Mutterländer dieser Frucht, der Gurten und ähnlicher solcher Gewächse zu sein scheinen, denn sie werden dort iu großer Menge, wie die Erbsen oder Bohnen bei uns, auf den Aeckern gr- 185 Pflanzt. In ganz Ungarn sind sie jetzt fast ebenso stark verbreitet, und die Magyaren selbst ihre vornehmsten Pfleger. Auf dem Pesthcr Markte befanden sich besonders auch große Quantitäten von Wassermelonen, die hier köstlich sind und gewöhnlich zur Zeit der Augustmesse reif werden, weßhalb man diese Messe auch wohl die „Melonenmessc" nennt. Die Wassermelonen werden in Ungarn etwas anders gegessen als in Nußland. In Nußland schneidet man sie in Scheiben, an denen der zugehörige Theil der Rinde sitzen bleibt, und beißt dann ein wie an einem Vrotstücke. In Ungarn aber nimmt man die ganze Melone vor sich und höhlt sie mit dem Löffel aus, iudcm man ein Stück nach dem anderen herausbricht und den Saft zugleich mit dem Löffel schöpft. Diese Weise gefallt mir besser. Sie ist lururioser und dem Charakter der Melone angemessener. Ich sah in Pesth eine vom landwirtschaftlichen Verein ausgestellte Melone von 60 Pfund. Ein Ungar aus Debretzin sagte mir, es wäre nichts Seltenes, daß dort die Zuckermelonen sogar bis zu einem Gewichte von 100 Pfund anschwöllen und doch dabei, was die Hauptsache sei, vollkommen süß und schmackhaft blieben. Vei dem Dorfe Sämson (sprich: Schaamschon) bei Debretzin seien die bcßtcn, und da sei auch eigentlich die Quelle und der Ort des Ursprungs aller ungarische» Melonen. Auch die Kürbisse würden dort über eine» Centner schwer, ja er habe mehre von 200 Pfnnd Gewicht gesehen. Die geringen Leute essen in Ungarn viel Kürbisse; diese werden in Scheiben ge- 186 schnitten, wie Kastanien gebraten und von Weibern auf den Straß«'» verkauft. Die Pesther Messe hat nicht m,r für ganz Ungarn eine große Wichtigkeit, indem sie den verschiedenen Theilen des Reichs Gelegenheit giebt, ihre Waaren gegen einander auszutauschen, sondern auch, und zwar fast noch mehr für die an Ungarn «»gränzenden Provinzen, die türkischen im Süden sowohl, als die deutschen und polnischen im Norden. Die deutschen Provinzen, Oesterreich, Mähren, Schlesien und dann der westliche Theil Galizienö umlagern das an rohen Na-turproducten reiche Ungarn mit einer ganzen Kette industrieller, Lcder, Wolle, Baumwolle, Seide und andere solcher Artikel verarbeitenden Manufactnrstadto, die bei Ncunkirchen beginnt, über Neustadt nach Wien geht, von Wien über Brunn nach Teschen sich weiter schlingt »md sich endlich über Viala hinaus in Galizien verliert. Die Hauptartikcl, welche diese Gegenden in Pesth suchen, sind Vanmwolle, Wolle, Taback und Felle, alsdann auch Wachs, Wein, Getreide und noch viele andere minder ,bcdcutcnde Sachen, alö Knoppcrn, Hölzer, Gallapfel u. s. w. Die Juden sind cö besonders, welche die genannten Provinzen durch ihre Commission und Spedition mit Ungarn und namentlich niit der Pesther Messe tn Verbindung setzen, sowie die Raizen, wie wir schon sagten, dasjenige Volk sind, das den Verkehr die Donau hinab nach der Türkei vornehmlich besorgt, und wie die Deutschen den Verkehr mit Wien und, man kann 187 fast sagen, den ganzen übrigen Handel in ganz Ungarn vornehmlich leiten. Der Hauptschauplatz deö genannten Verkehrs sind daher die Gehöfte in dem Iudenviertel, alle die großen inneren Hausplätze an der großen Königsstraße hin, welche mitten durch die Thcresienstadt zieht, nnd in welcher Gegend die meisten Juden wohnen. Diese Straße ist zur Marktzeit die belebteste von allen. Juden, Ungarn, Siebenbürger und Walachen treiben sich hier hin und her. Vier-, sechs- und achtspännige Wagen, mit riesengroßen Dächern bedeckt und mit Fellen oder anderen solchen Gegenständen verschen, fahren durch die Thorwege cms und ein. Zuweilen springen noch neben den sechs Pferden zwei biö drei Füllen nebenher, und ebenso viele Pferde sind noch zur Reserve oder zum gelegentlichen Verkauf hinten angebunden. In den inneren Gehöften bieten sich ein Schmuz, eine Unordnung, eine Plunderwirthschaft, eine Packerei und Zottelei dar, die ihres Gleichen suchen, und die man sich denken kann, wenn man hört, daß ungarische und polnische Juden auf der eine» Seite und Walachen und Slowaken auf der anderen die handelnden Parteien sind, und zum Theil Noch stinkende Felle und Vettftdern die Gegenstände, um die es sich handelt. Ich würde cs der Mühe werth finden, diese Iudenhöfc zu schildern, wenn nicht am Ende der große Bauernmarkt uor der Hatvancr Linie, der während der Messe am 29sten, 30stcn und 31sten August stattfindet, doch noch alles Andere an Interesse überböte. 188 Ich ging am ersten Markttags, einen, Sonntag-nachmittagc den !29stcn August zu diesem merkwürdigen Markte hinaus, m Gesellschaft einiger böhmischen Industriellen, gcwiß der besiten Pegleitung, die ich mir wählen tonnte. Denn was die Engländer in Europa sind, das sind die Böhmen in der österreichischen Monarchie, die Seele der meisten industriellen Unternehmungen nnd die Begründer neuer Grsinduugrn. Sie lobten mir be« standig die Industrie ihreö Vaterlandes und setzten mir mit den Bildern, die sie davon entwarfen, die rohen Produtte, welche ich auf jenem Markte sah, in ein hell contrcistirendes Licht. Wir kamen durch verschiedene Gegenden der Stadt Pesth, durch Theile, in welchen seit der Überschwemm« ung noch manche Gebäude daruiederlagen, durch andere Theile, in welchen ganze Neihcn kleiner zierlicher Hauser an die Stelle der alten, durch das Waffer zerstörten auf hohen Dämmen wieder aufgebaut waren. Auf einem freien Platze, den wir überschritten, wnrde ein Vetl-fl'dernmarlt abgelmllen, auch ein Markt, wie ich ihn noch nie gesehen hatte. Die Vcttfedcrn waren in Vett-kisscn verpackt, und so der ganze Platz mit solchen über einander gepackten Bettkissen bedeckt. Den Vorübergehenden öffneten die Verkäufer sogleich die Kiffen nnd zeigten ihnen die Güte ihrer Federn, indem sie sagicn: „Die schönsten Gansedaunen, meiue Dame, zu 15 Gulden Schein die ganze grosic Decke. Es ist nur ein nnd ein halbes Pfund Federn darin, und doch bildet das Ganze eine Masse, wie ein Berg." Ich sah ein junges hübsches 189 Mädchen um einige Kissen handeln. Wir wünschten ihr im Stillen, sie möchte sanft in den Dunen träumen, und traten aus dem Fedcrstaube des Vettmarktes auf den Sandstaub der großen Hatuancr Straße. Hier trieb sich rine große Masse von Menschen und Thieren zur Stadt hinaus. Die Sonne Mg für uns unter, als wir hier eintraten, denn es schwebte eine für die Sonnenstrahlen undurchdringliche Decke feinen Staubes über dem ganzen Getümmel. Wir überließen uns dem Strome der Massen und wurden auf diese Weise zu dein Ziele, zu welchem wir zn gelangen wünschten, richtig und glücklich hinaus gestoßen und geschoben. Vö war dieß ersehnte Ziel ein großer, weiter, wüster Platz, der mit Menschen und Thieren aller möglichen Nationen und Nacen der Art angefüllt war, daß man behaupten konnte, es sei hier für einen Ethnographen Vcobachtungsstoff auf sechs Monate gewesen. Ich glaube nicht zu viel anzunehmen, wenn ich sage, daß damals auf diesem Platze und seiner Nachbarschaft sich zum wenigsten 30,900 Menschen hin- und hertummelten. Der Boden des Platzes war sehr uneben und bildete hier und da kleine wellenförmige Hügel und niedrige AbHange. Auf dem einen Hügelchcn nun hatten einige hundert Weiber einen Hnhncrmarkt etablirt, mit Eiern und lebendigem Federvieh. Hier war ein Hügel mit einer großen Heerde von Schweinen besetzt, dort auf einer Gbene wurde» Schaarcn von Pferden feilgeboten, dort wieder war cin Thal mit Schafen bedeckt. An jenem AbHange oder Graben hatte sich eine Reihe slowakischer Leinwandhändler 190 postirt, und zwischen dem Men durch schlangelte sich eine Straße von Voutiken mit den Kaufproducten 'der ungarischen Zischmenmacher. Auf der Spitze emeS Ra-senhaufcns hatte ein Orgcldreher seine Fahne aufgesteckt und erklärte in ungarischer Sprache den umstehenden Völkern die „vier letzten traurigen Lebensmomente" des Kaisers Napoleon, die er in Origmalbildern auf seiner Tapete hatte. Allster von Napoleon war auf diesem ganzen Markte, soviel ich bemerkt habe, von keinem einzigen anderen großen Manne die Rede, und ich betrachte den Umstand, daß die Slowaken, Magyaren und Walachen außer ihm keinen anderen Mann kennen, dessen vier letzten Lebenömomenten sie noch einige Aufmerksamkeit zu widmen würdigten, als ein nicht geringes Zeugniß der außerordentlichen Größe dieses Menschen. Am Eingänge des MarkteS, in einer langen Co-hortc an einer Maller hin, saßen vor allen Dingen die Paprikahandlerinnen. Ich mußte mich wundern über die großen Quantitäten dieses scharfen Stoffes, welchen sie feilboten. Sie hatten ganze Mehlsacke bis an den Rand voll rothen Paprikastaubes, von dem für unseren Gaumen schon eine Messerspitze voll hinreicht, uns ein Gericht zu verderben, — und doch ist dieß auf aNen ungarischen Vauermarkten gewohnlich. In den Hotels der ungarischen Städte bekommt man, wen» man will, fast jedeö Gericht mit Paprika servirt, z. V. „Paprika-fleisch/ „Paprikafisch/' „Paprikaspeck." Bei den gemeinen Ungarn versteht sich der Paprika so von selbst, !9l baß es gar nicht mehr hinzugesetzt wird, und cs kommt einem so vor, als wüchse in des Ungarn Keller, Küche, Stall und Felde Alles schon von Hans aus mit Paprika vermischt. Nur Vrot backen sie noch nicht a»S Paprika. Uebrigens ist dieser Paprika die Schote desjenigen Gewächses, welches wir türkischen Pfeffer ((^i>-»ieum «mnu'lm) nennen, und welches in Ungarn, der ganzen Türkei, in Südrnßland bis znm kaspischen Meere in allen Garten wächst, entschieden aber in Ungarn seme ergebensten Anhänger hat. Die Kerne und die Schote selbst werden zn Staub zermahlen, denn das Ganze ist von dem pfefferigen Feuer durchdrungen. Wahrscheinlich ist dieser Paprika auch der Taufpathe zu unserem ostindischen „Pfeffer" gewesen, denn die Griechen kannte» ihn schon und nannten ihn nt/lt^i (peperi), von welchem Worte das lateinische piper, das deutsche Pfeffer, das slavische poprika, das ungarische paprika u. s. w. abzuleiten. Die Slowaken sind auf diesem Markte in Leinwand die vornehmsten Kaufleute, sie verfertigen diesen Artikel selber. Sie bewohnen den nordwestlichen Theil Ungarns, der cm Schlesien und Mahren gränzt, und es haben sich von diesen Ländern aus noch mehre Industriezweige über die Gebirge zn ihnen hinüber verzweigt. Was die Böhmen für die ganze österreichische Monarchie sind, das sind die Slowaken ungefähr wieder für Ungarn; bei ihnen giebt es mehr Fabriken und Industrie als in irgend einem anderen Theile des Königreichs. Die Ungarn findet man bei den Pferden und dem 192 Rindvieh. Man hat hier Gelegenheit genug, die Retterkünste der Tschikosen (Pferdehüter) zu bewundern, die überall mitten durch das Menschengetümmel hindurch-galoppiren, um ihren Käufern Lust zu machen. Ich sah einen dieser ^cute, der besonders lebhaft war; der Käufer, dem er bas Pferd vorparadiren ließ, bemerkte ihm, es schiene ihm, als drehe sich das Pferd bei'm Umwenden nicht gewandt genug. „Was? nicht wenden?" schrie darauf der Tschit'ose, setzte dem Pferde die Sporen in dle Seiten, daß eö in die Luft flog, und ließ es auf den Hinterfüßen, wie ein Kreisel, dreimal um sich selber eine Pirouette schlagen. — Die Ungar» sind von Haus ans eine Neiternation, und so lange sie nun auch schon entnomadisirt und ackerbauend innerhalb der festen Orätizen ihres jetzigen Vaterlandes still sitzen, so habeu sie doch immer noch nicht diesen merkwürdigen Trieb, den sie sich bel'm Herumziehen in Asten aneigneten, verloren. Vielmehr blüht er unter ihnen noch stets mit der alten Energie. Einige Gelehrte sind entschieden der Meinung, daß die heutigen Ungarn und die alten Parthcr ganz dasselbe Volk seien, und in der That kann man das, was die Römer von den Parthern erzähle», in Europa wenigstens, nirgend besser deuten und verstehe«» lernen als in Ungarn. Obgleich durchans vöNig stammverschieden, so doch in vieler Hinsicht mit ihnen geistes- und sittenvcrwandt sind die Polen, die ebenfalls ein großes Reitervolk bilden. Von beiden, von den Ungarn wie von den Polen, hat Europa mim ansgezeichnelm Zweig seiner Reiterei em- 193 Pfangcn, von diesen die Uhlanen, von jenen die Husaren. Die Husaren sind durchaus rein ungarischen Ursprungs, was auch das Wort „uu«x" (d. h. zwanzig, weil nach einem alten Rekrutirungsgcsttze von zwanzigcn einer Reiter werden mußte, wonach Husar also ungefähr soviel als „der Zwanzigste" heißt), das ein ächt magyarisches ist, schon zu erkennen giebt. Die Uhlanen mögen nur eine durch die Polen verbesserte und vervollkommnete ursprüngliche Erfindung der Tatare» oder Kosaken sein. EZ ist auffallend, daß, so große Naturreiter alle diese Völker, die Tataren, Kosaken, Polen und Ungarn, sind, doch so wenige Kunstreiter nnter ihnen gefunden werden. Ja es ist eine merkwürdige Vischcinung, daß, je schlechter ein Volk von Haus aus im Allgemeinen reitet, es um so mehr Kunstreiter uns zu liefern scheint. Die meisten Kunstreiter, welche wir sehen, sind Belgier, Franzosen und Italiener, und gerade diese Völker sind von Haus aus nicht die beßtcu (5avaleristen, und eben die Italiener, die dem berühmtesten Kunstreitergeschlechte (Kranconi) den Namen gaben, die schlechtesten von allen. Ebenso giebt es manche sehr musikalische Völker ohne Komponisten, andere höchst Poetische Völker ohne Schriftsteller. Anch kaun man die Vemcrkuug machen, dasi, je mehr eine gewisse angeborene Gutmüthigteit (Vonhommic) unter einem Volke zu Hause ist, desto weniger echte wahre und hohe Tugend uutcr ihnen erscheine. Auch an Zigeunern war auf diesem Markte ein Ueberfluß. Auf einem Platze traf ich ein Dutzend bei Tischen aufgestellter Zigeunerweiber, deren jedeö einige Stücke Lein-I». 13 194 wand feilbot. Sie sagten untz, die Leinwand gehöre slo» wakischen Bäuerinnen, die ihtien dieselbe zum Verkaufen gegeben hätten. Es war merkwürdig anzusehen, wie täppisch sie sich bei diesem Geschäfte benahmen, wie unbeholfen sie ein großes Stück Leinwand in der Hand hielten, damit den Käufern nachliefen und ihnen die Enden des Tuchs auseinander rissen, um ihnen die Schönheit der Waare zu zeigen. Zuweilen, wenn sie nichts verkauft hatten, warfen sie die Leinwand wieder auf den Tisch und singen unter einander an zu scherzen oder z« singen, indem sie sich um nichts bekümmerten. Ich glaube, die Slowakinnen hätten ein paar Paviane ebenso gut damit beauftragen können. Es ist unglaublich, welchen tief eingehenden und unvertilgbaren Stempel der Unmündigkeit, der Wildheit und Uncultur die vornehmen Vramanen diesen Sudr's durch die Sklaverei und Unterdrückung, in welcher sie sie hielten, ausgeprägt haben, indem sie die Fabel erdichteten, sie, die P ramanen selber, seien aus dem Munde Vrama's gemacht, die Sudr'S aber aus dem niedrigsten und unedelsten Theile seines Körpers. Diese Fabel lastet noch wie ein schrecklicher Fluch auf den Zigeunern, den Brüdern und Nachkömmlingen der Sudr's, und wo man sie auch beobachten mag, man ist immer versucht, zu behaupten, es fehle ihnen durchaus etwas, um volle Menschen zu sein. Indem wir weiter gingen, kamen unö wieder zwei Zigeuner entgegen, ein langer junger Mensch und eine kleine Frau in mittleren Jahren, beide schwarz wie 195 Afrika. Das Weib lamentirte und gesticulirte heftig gegen den langen Menschen. Mr redeten sie an, sie sagte, es sei ihr Mann, ein Nichtsnutziger, ein Geck, ein Verschwender, und dabei fing sie bitterlich an zu weinen, indem sie hinzusetzte, er habe sich, ohne daß sie es gewußt, ein buntes baumwollenes Halstuch gekauft und dafür 20 Kreuzer ausgegeben, und nun sei dieses Tuch noch nicht einmal gut, sondern lasse von der Farbe. „Da sehen Sie, meine Herren," sagte sie, indem sie dem Manne das Tuch, das er bereits umgebunden hatte, aufhob, „sehen Sie, sein Hemd ist schon ganz blau gefärbt. Ach weh! wehe! wehe!" Der lange Zigeuner stand ganz geduldig daneben, indem er fortwahrend lachte. Auch ließ er es sich ruhig und lachend gefallen, daß die Frau ihm an den Hals sprang und das Tuch aufhob, um es uns zu zeigen. Als sie es ihm aber herunterreißen wollte, hielt er es mit beiden Handen fest, unter bestandigem Lachen. Keine Thräne» haben mich je weniger gerührt als die von Zigeunern, und es ist nichts leichter, als sie vom Lachen zum Weinen, oder vom Weinen zum Lachen zu bringen. Ohne daß wir fragten, holte unser Zigeuner aus einer Masse von Lumpen, in die er sie sorgfältig eingewickelt, seine Papiere hervor, seinen Paß, eine Art von Gewerbeschein it. s. w., die er zwischen zwei Breter gesteckt und mit Schnüren umbunden hatte. Eine solche Sorgfalt war mir bei Zigeunern noch nicht vorgekommen. Doch wenden sie auch blos bei ihren Legitimationen fo viele Mühe an, au^ die sie so viel halten, wie auf die kostbarsten Documente und Privilegien, und weil sie schon 13* 196 gewohnt sind, daß Ilder sie meistert ,md eine Autorität über sic auszuüben sich anmaßt, so legitimirten sie sich auch bei uns ohne Weiteres und ungefragt mit ihren Scheinen. Auf diesem Markte war es aurb, wo ich znm ersten Male die ungarische Zigcuncrmusit hörte, und zwar in einein Tanzlocalc neben dein Markie, wo den ganzen Tag über I)^«i>ner, Diner und Il,6 <1.inül,lit war. Es war hier natürlich nur Vaucrnvolk, Alles aus der untersten kraftvollsten Grundsuppe der Magyaren. So enge der Raum für die Masse der Menschen war, so eifrig waren doch die Tänzer im Hin- und Hcr-schwenken, im Ergreifen, Heben und Fahrenlassen ihrer Mädchen. Es wogte aus und nieder, und der Voden wurde gestampft und getreten, als würde cr von hundert Dreschflegeln gepeitscht. Dabei war es eine Hitze zum Ersticken, und der feine Staub, der, von allen den Vieh-» heerden und den Ab- und Zufahrenden aufgeregt, die Luft erfüllte, draug in die offenen Thüren und Fenster, und zwischen all dieß Getümmel schmetterten die Trompeten und Cymbell« der Zigeuner. „Wenn das nicht bare Tollheit und Wahnsinn ist," dachte ich bei mir, „so sind auch noch andere Dinge vernünftig zu nennen," und drattgte mich mit Mühe und mit gedroschenen Füßen zu den Zigeuner» durch. Es war ein junger, schöner, schlanker Kerl, der in der Mitte der Musik-bände sasi und das Hauptinstrument ieder Zigeuner-capelle, die Cymbeln, schlug. Diese zigeunerischen (5ym-beln (ungarisch.' 1'ximdalnm) sind übrigens nicht das, 197 was die Alten Cymbcln nannten, zwei Ntctallenc H'cckeil, die aneinander geschlagen werden, sondern eine Art sehr großer, mit unzählig vielen Saiten bespannter Cyther, die man mit zwei kleinen Hölzchen, an deren stnden sich nut ^edcr überzogene Knöpfe befinden, erklingen »nacht. Diese Cymbcln sind so anch ini ganzen südlichen 3tnß-land, in den Kosakcnländcrn iiu Gebrauche. Neben dem Nmgcn Cymbclnschlägcr, der die Hauptstimme führt und bessm Geklirre die Basis aller ungarischen Zigcuner-musik ausmacht, sah ich einen alten Zigeuner mit ganz weißem Haar, aber dunkelbraunem Angesicht, der den Vasi strich, dann zu jeder Seite einen Violinisten und als Flügelmanner zwei Trompeter. In ganz Ungarn sind die Musiker hauptsächlich und fast ausschließlich immer nur zweien Nationen entnommen, den Deutschen und den Zigeunern. Unter den Deutschen begreifen wir natürlich zugleich auch die Böhmen, Mahren u. s. w. Die Ungarn selbst habm im Ganzen wenig Talent und Sinn für Musik. Ja sie erscheinen, wenn man sie z. V. mit den gcsangreicheu slavischen Stämmen vergleicht, als höchst unmusikalisch. Ich sage nicht, daß sie unempfänglich für die Harmonie der Töne seien, — denn welches Volk ware dieß wohN — aber ich spreche nur vou dem Grade dieser Empfänglichkeit uud namentlich von ihrem ausübenden musikalischen Talente. Die deutschen Musiker in Ungarn sind natürlich die vornehmeren, man findet sie an den Theatern, m den Kirchen, auf dcu Vallen der gebildeten Classen, in den großen Pesther Hotels u. s. w. angestellt. Die 1W Zigeuner aber concurriren überall mit ihnen bei den niedrigen Classen, zuweilen in den kleinen Theatern, und sie sind auch oft in nicht ganz unbedeutenden Städten die ein- für allemal angestellten Stadtmustker. Die Deutschen spielen natürlich gewöhnlich nur deutsche, italienische und französische Musik, wie bei uns. Die Zigeuner aber, welche die eigentlichen ungarischen Voltsmusikantcn sind, haben sich eigenthümlicher Compositioncn, in denen ein ganz besonderer Geist herrscht, bemächtigt. Die Ungarn sagen, daß diese Musik die eigentliche, ursprünglich magyarische und aus dem magyarischen Geiste hervorge« gangene Nationalmusik sti, und vergleicht man die Lieder damit, welche hier und da die ungarischen Bauern singen, so muß man gestehen, daß dieß Alles von einem und demselben Klänge und Gusse sei. Es herrscht in allen den musikalischen Wendungen und Ideen dieser Compositionen etwas Originelles, das durchaus von Allem, was man bei Deutschen oder Slaven hört, ver-> schieden ist. Dabei sind sie aber alle so von ei nein Genre, von einer und derselben Färbung, daß, wer sich einmal darauf eingchört hat, sofort jede ihm vorgetragene ungarisch-zigeunerische Melodie als solche wiedererkennt. Ob aber dieses ungarische Musikgenre schon mit den Magyaren aus Asien herübergekommen sei, oder ob es sich erst an der Donalt unter slavischen Einflüssen und mit Beihülfe der allein diese Musik ausübenden Zigeuner ausgebildet habe, ist nicht mehr zu entscheiden. Dasi übrigens Slaven dabei nicht ohne Einwirkung geblieben sind, scheint wohl höchst wahr- 199 scheinlich, denn es giebt viele ungarische Gesänge und Dichtung?», wrlche von den Slaven auf die Magyaren übergingen. beider hat uns Niemand die Schlachtge» sänge und Kriegsmnsiten, welche die ersten Magyaren auf den Kampfplatzen bei Merseburg und auf dem Lech-felde gespielt haben mögen, in Nuten gebracht, um dar-über entscheiden zu können. Denn sie müssen rein Magyarisch gewesen sein, da die Ungarn damals weder mit den Slaven in bedeutende Verbindung gekommen waren, noch auch bereits die Zigeuner bei sich eingeführt hatten. Die Zigeuner kamen bekanntlich erst im Anfange des fünfzehnten Jahrhunderts nach Ungarn, und es fragt sich, wer mm wahrend der ersten fünf oder sechs Jahrhunderte der Anwesenheit der Ungarn in den Dvnaulandern dasjenige Handwerk übte, in dessen Besitz die Zigeuner nun ausschließlich sind. Auch bei de>» Tataren — wenigstens bei denen in der Krim, wahrscheinlich aber auch bei den übrigen Tataren — sind dle Zigeuner die gewöhnlichen Musiker. Ich habe sie dort öfter gehört, aber leider mein Ohr nicht genug Utit ihren Tonwcisen impragnirt, um darüber entscheiden zu tonnen, ob zwischen ihrer Musik und dem, was ihre Ärüder in Ungarn spielen, einige Aehnlichkeit etistire. Die Ungarn sind in ihre Zigeunermnsck förmlich verliebt, und wenn er sich erst ein wenig darauf ein-gehört hat, begreift das auch ein Fremder wohl. Es ist etwas so Eigenes, etwas so tief Melancholisches, oft eine ft wilde Verzweiflung und eine so laute, herzzerreißende Klage in diesen Tonweiscn, daß man sich zuweilen wider 200 Willen davon hingerissen fühlt. Und obgleich im Ganzen das Spiel und der Vortrag der Zigeuner sehr roh und wild sind, so erheben sich dock auch viele unter ihnen (namentlich Cymbel- und Violmspielcr), weniger durch die Höhe der Kunst, welche sie mit Mühe erreichten, als durch die musikalische Begeisterung, welche ihnen scheinbar innewohnt, zu ausgezeichneten Leistungen. Ich bemerkte schon oben, daß einige Zigeunerbanden und ihre Anführer in ganz Ungarn berühmt sind und nannte den Vmiko von Naab. Mehre Male hörte ich, wahrend ich in Pcsth war, P unk o mit seiner Vande sei angekommen. Es wollte mir aber nicht gelingen, ihn irgendwo zu treffen und zu hören. Auch die Zigeuner von Komorn sind sehr berühmt, und noch andere solche jetzt gelobte Vandcnanführer sind Viha ry und Tarkos. Ja man citirt sogar noch mit Entzücken Zigeunermusiker aus dem vorigen Jahrhunderte, z.V. den Varna Mihaly, den man den ungarischen Orpheus nannte, und die Zigeunerin Zinka Panna, die 1772 als berühmte Violinvirtuosin starb. Man sieht sie hausig in den ungarischen Journalen angeführt und gelobt und wegen ihrer Leistungen hochgepriesen. Man liest in diesen patriotischen Journalen häufig solche Anekdoten, wie die, daß in einer Gesellschaft Vecthoven'sche Sachen von Deutschen vorgetragen worden seien, in deren Lobe sich allc Theilnehmer der Gesellschaft mit Worten ergossen hatten, dann aber waren Zigeuner aufgetreten und hatte« „Magyar Notas" vorgetragen, und alle Zuhörer wären Ml verstummt und hatten geweint. Ich sage, ich begreife das vollkommen, „^x ^l^ai- n<»tät (sprich: „Gtj Mojar notaat"), b. h. „Nun spielt mal ein Ungrischcs auf," ist ein gewöhnliches Verlangen der ungarischen Gäste in den Pesther Hotels. Und selbst die deutschen Musikanten müssen einige Magyar Notas verstehen, mit denen sie dann in der Regel nach Absvielung vieler anderer Kompositionen den Schluß machen, um einen guten Eindruck zu hinterlassen. Um sie indessen bestandig zu hören, ist die ungarisch-zigeunerische Musik, wie überhaupt alle Nationalmusik, zu einförmig und zu wenig manchfaltig entwickelt, und die Gebildeten, so gern sie auch dann und wann einmal sich mit Magyar No« tas berauschen, müssen dann doch zu unseren cultivir-tcren und ideecnreichcren Compositions ihre Zuflucht nehmen. Cs ist aber sehr schade, daß wir von dieser ungarischen Musik so wenig Notiz nehmen, obgleich es doch so leicht wäre, da in Pesth schon manches von ben Kunstkennern zu Papier gebracht und durch den Druck Jedermann zuganglich geworden ist. Vefonders hat sich in neuerer Zeit der Kapellmeister am Pesthcr ungarischen Nationaltheater Kgressy (sprich: Egreschi) m dieser Hinsicht sehr verdient gemacht. Er hat eine Menge von Compositionen herausgegeben, die alle indem Geiste der ungarisch-zigeunerischen Nationalmusik gedichtet sind. Ich hörte und sah von ihm z. V. die hübsche Composition: „Uoiltttolan" (^r Heimathlose) und daim cine andere: „»irawm, vigiUom" (traurig, 202 lustig), welche letztere in höchst melancholischen Molltö-nrn beginnt und sich endlich zu einer sehr lustigen Dur-Weise aufheitert. Die beliebteste von allen ungarischen Weisen ist aber der Nakotzi-Marsch, die ungarische Marseillaise; er bezicht sich auf die brannte Natotzische Empörung im Ansänge des vorige» Jahrhunderts. Ich glaube, daß diese Composition auch in jener Zeit der ungarischen Nevoltc entstanden ist, und nicht etwa erst später componirt wurde. Doch weiß ich dieß nicht mit völliger Gewischeit. „Nenn ich den Nakohi höre," sagte mir ein ungarischer, nicht mehr junger Herr, „so ist mir gerade so, als müßte ich sofort in den Krieg ziehen, die Welt zu erobern. Es juckt mir vann immer in den Fingern, eine Pistole, einen Säbel, ein Stück Holz zu ergreifen, gleichviel was, ich nehm's und mar-schire mit." In der That fand auch ich den Rakotzi, von einer vollen Vande Zigeuner vorgetragen, hinreißend, und ich glaubte stets ahnliche Anwandlungen, wie jener Herr, in mir zu verspüren, wenn nur die ersten Töne seiner Melodie angeschlagen wurden. Der Ralotzi war bis vor nicht gar langer Zeit in Wien noch verboten. Jetzt aber ist er überall erlaubt, und man kann ihn auch, wie man mir gesagt hat, von österreichischer Regiments-musik vortragen hören. Dieß ist gewiß das beßte Mittel, ihn für Oesterreich unschädlich zu machen. Wir kamen spat Abends zu unserer Königin von England zurück, und nachdem wir den Staub d?s Na-kosch-Feldes (denn jener Bauernmarkt, den wir besuchten, läßt sich schon als ein Stück des berühmten Na- 203 kosch-Feldes*), auf dem ehemals die Landtage gehalten und die ungarischen Könige gewählt wurden, wie auf dem Marsfelde bet Paris die fränkifchen und auf dem Felde bei Warschau die polnischen, betrachten, und eben die düstere Wolke schwarzen Staubes, welcl'e über ihm schwebte, umdüsterte auch die ungarischen Reichstagsver-sammlungen), nachdem wir also, sage ich, diesen classischen Nakosch-Staub von uns abgeschüttelt hatten, was keine geringe Arbeit war, denn wir mußten in unserer Königin von England ein förmliches Vad nehmen, und nachdem uns diese huldreiche Königin mit Speise und Trank wieder etwas erfrischt hatte, machte ich noch allein einen einsamen Spaziergang an den Donauquai, weil die schöne klare Mondscheinnacht für den staubigen, heisien Tag einigermaßen zu entschädigen versprach, und weil ich mir es eiwas genauer ansehen wollte, auf welche Weise all das Volk, das ich hicr am Morgen versammelt gesunden hatte, seine Nacht verträumte. Ich fand hier folgende Situationen, Zustande und Nationalschauspiele: Der ganze Donau-Strand war mit einer unzähligen Menge schlafender Weiber, Madchen und Männer bedeckt, die alle dicht zusammengekauert, in Mantel, Decken oder Matten gehüllt, auf dem Pflaster neben ihren Waaren schliefen. Die meisten lagen ohne Weiteres so da im offenen schönen Mondscheine und schienen einer *) Dicftr Name ist wahrscheinlich slavisch und stammt von Rak sKrebs) bcr. Es stießt ein kleiner Bach Rakosch (dcr Krebs-l'ach) dn'm Feldc vorbei. 204 trefflichen, gesunde» Nuhe zu genießen. Nur wenige, wohlhabende oder verweichlichte hatten ihre Zclre auf ihre Schlafstätte herabgelassen und lagen mit allen ihren Habseligkciten unter der schützenden Vedecknng eines solchen Zeltes, das sich wie die Flügel emes Adlers über sie ausbreitete. Diese ungarischen Marktzelte, wahrscheinlich eine uralte magyarische Zcllform, sind nämlich viereckig, pyramidalisch an vier Stäben, welche das Tuch auseinander halten, aufgerichtet. Diese vier Stäbe lassen sich so nahe zusammenstellen, daß das Oanze aufrecht steht, oder so weit auseinander bringen, daß das Zelt niedersinkt. Diejenigen, welche Schiffe hatten, oder einm Platz in einem Schiffe gewinnen konnten, lagen oder saßen schlafend in den Schiffen zusammen. Sie füllten sowohl die großen inneren Raume der Schiffe, wo ein Feuer bräunte, als auch die äußeren Vorplätze und Dächer der Fahrzeuge. Konnte ich nur einige dieser Schiffe mit vollkommener Naturtreue malen oder in einem Diorama zeigen, so würden meine deutschen Ve< schauer sich über die Eigenthümlichkeit des Anblicks genugsam wundern. Sonderbarer Weise wußte ich gerade, als ich mir diese Scene» besah, eine Menge Deutsche in der nicht fernen Königin von England, die an der Verwuuderung über ein solches Diorama-Vild ohne Zweifel Antheil genommen hatten, die Sache selber aber in Natura mit mir sich anzusehen durchaus uerschmäht hatten. Ich stieg auf den Schiffen zwischen den Schleifenden herum, was sie ganz ohne Gegenrede 205» duldeten. Der eine oder andere hob wohl einmal das Haupt in die Hühc, ließ es aber, nachdem er mich cm-Wafft, gleich wieder auf seine Luncla (Schafpelz) niedersinken. Hier und da waren noch viele Gesellschaften wach und mit Conversation, besang, Tanz und Spiel beschäftigt. Die belebtesten und zahlreichsten Gruppen fanden sich in der Nahe der großen Donaubrückc. Hier waren unter einander viele magyarische jubelnde Mädchen in Mitten einer Anzahl von Männern und Frauen mit allerlei ausgelassenen Spielen beschäftigt. Sie forderten sich gegenseitig heraus und führten die merkwürdigsten gymnastischen Uebungen aus, die ohne Zweifel national waren, die ich aber nicht zu beschreiben wage, theils weil sich dieß nicht ganz gut thun laßt, ohne den Anstand zu verletzen, theils weil ich sie auch ohne viele Worte oder ohne ein versinnli-chendes Vild nicht ganz deutlich machen könnte. Mir kamen diese Spiele allenfalls für Husaren, nicht aber für Mädchen paffend vor, was sich schon darin zeigte, daß sie immer ihre weiten Kleider wie Beinkleider unten zusammenschlagen mußten. Doch schienen sie nichts Besonderes darin zu finden, genirten sich auch nicht vor uns männlichen Zuschauern und rüttelten dann und wann eines von den nebenan liegenden Mädchen aus dem Schlafe auf, wenn sie wußten, daß es dieß oder jenes schwierige Stück ausführen könne. Diese sprang dann auch gewöhnlich ganz willig hervor, rieb sich den 206 Schlaf aus den Augen imd fing mit an, Oymnastik zu treiben. Von dem hohen Donauquai führt hler bei der Vrückc eine Treppe zum Flusse selbst hinab. Auch auf dieser Treppe war jede Stufe mit Leuten besetzt, oder belegt, dle zum Theil wachten, zum Theil schliefen. Vs waren theils Magyaren, theils Slowaken, die auf den ersten Blick an ihrer Kleidung, ihrer Physiognomie und ihrem Benehmen zu unterscheiden waren, ssiner unter ihnen, ein Slowake, stand auf der höchsten Stufe der Treppe und machte mit dem Munde Musir. Er ahmte einen Dudelsack höchst frappant und höchst komisch nach, indem er mit dem Arme ein zusammengelegtes Kleidungsstück drückte, als wäre es ein Dudelsack, die Backen aufblies und die näselnden Töne dieses Instruments meisterhaft herausbrachte. Dabei tankte er auf einem kleinen Naume hin und her, wie diesi die slavischen Hirten, indem ste sich selber den Dudelsack zum Tanz blasen, zu thun pflegen. Mehre Weiber umgaben ihn und tanzten nach seiner Musik, die beständig und ganz unermüdlich forttönte, um ihn, herum, indem sie ihn hier und da mit Gesang unter' stützten. Es war dieser schauspielerische Dudelsackpfeifer und Komiker ein Slowake, was wohl zu bemerken ist, denn erstlich ist der Dudelsack wohl ein slavisches, aber kein magyarisches Instrument, was auch schon sein ungarischer Name I)l,tk<» oder Dm!.-! üom slavischen Worte i5 <1<>mini. Allein es fragt sich, ob dieses slavische Wort uicht wieder der eigentlich von dem deutschen „Gespann", welches man auf dieselbe Weise erklären konnte, herrührt, so dasi „Gespann" so viel bedeutet als einen „^ulae H^Fmc? iamiliuri»,^ einen vom Könige eingesetzten Königsfreund, mit einem Worte einen ^ameü. Dasselbe Wort ist auch in's Ungarische übergegangen, wo eine gewisse Art von Ne- 212 ben- odor Hülfsbeamten ebenfalls ,,I«p2n" genannt werden. Einer solchen Gespanschaft steht der Obergc-span (l?oinc«, Graf) als oberster Beamter vor, uno ^iesc Obcrgcspane sind lauter angesehene, hochgeachtete Personen, meistens lauter Magnaten des Reichs, so wenig imponirend uns auch der Name klingen mag. Dem Obcrgefpan znr Seite stehen in jedem Comitate zwei Vicegesvane (Vicecomeg, stellvertretende Grafen). Auf sie folgen die Vorsteher der kleineren Bezirke, in welche wieder die Gespanschaften eingetheilt sind, die „Stuhlrichter" (^»Klice» ncidiüum) nebst ihren Vice-Stuhlrichtern, Geschworenen (^urassol-ez), Fiscalen und Vice-Fiöcalen. Diese ganze Eintheilung und Organisation der Co-milate ist also ganz und gar dasselbe, was früher unter dem Namen von Gauen oder Grafschaften, Gau-grasen nnd deren Unterrichtern und Beisitzern in Deutschland bestand, und sie ist wohl ohne Zweifel als Nachahmung von daher aus Ungarn übergegangen. Es ist wirklich höchst bewundernswürdig, daß wir das, waö Karl der Große in Deutschland und Frankreich einführte oder doch aus den vorhandenen Elementen gestaltete, und was bei uns längst der Strom der Begebenheiten verwischte, noch heutiges Tages in fast vöN-iger Unversehrtheit in Ungarn in -Actiuitat sehen, und zwar so, daß es aussieht, als habe Karl der Große dieft Gaugrafen und diesen ganzen Verwaltungs-Organismus eben eingesetzt, und daß wir, um jene entlegenen Zeiten deutlicher zu verstehen, nichts Besseres thnn 214 können, als unsere Blicke auf die ungarischen Zustände zu wenden. — Ich glaube, ein genauer Vergleich dessen, roaS wir noch in Ungarn deutlich vor Augen haben, «lit dcm, was wir von den Karolingischcn In« stitutionen hören, würde wahrscheinlich dazu dienen, auf beide Seiten hin viel Licht zu verbreiten. Wie die Grafen Karl's des Großen werden auch die ungarischen Gaugrafen (Obergespane) vom Könige selber auf Lebenszeit ernannt. In Deutschland wurden die Grafen bald erblich und erhielten fürstliche und territoriale Gewalt. In Ungarn aber blieben sie von jeher, auch daS ist wirklich ein höchst merkwürdiges und noch keineswegs genug bewundertes historisches Phänomen, wechselnd. Nur in neuester Zeit, wo übrigens bei der Macht, die das Königthum erlangt hat, und bei der Schärfe, womit man nun einen Beamten von einem Oberherrlichkeit übenden Besitzer zu unterscheiden weiß, dergleichen weniger gefährlich ist, sind von 50 Obergesvanschaften 12 in gewissen Familien allmahlig erblich geworden, nicht aber durch die Macht der Gewohnheit, sondern durch königliche Verfügung. Alle übrigen Comitatö-. Beamten vom Vicegespan, an wechseln alle 3 Jahre mid werden dann jedeS Mal von dem Adel des Comitats neu gewählt. Auch diese dreijährige Periode der Veamtung und die neue Wahl gewisser unteren Beamten durch den Adel scheint eine alte Feudal-Gcwohnheit zu sein, die noch.in diesem Augenblicke in vielen auf der Vasis der Feudal-Ver- 245 fafsungs - Grundsätze organ«sirten Provinzen (z. V. in Kurland, Litthaum ,c.) besteht. Die Wahl jener Comitatö-Beamten geschieht in dem Comitatshause auf der dort zusammenberufenen Versammlung des ganzen Provinz-Avels. (Jeder Prä» ^at, jeder Magnat, jeder Edelmann und einige unbeachtete Deputirte der Städte sind daselbst zu erscheinen und zu stimmen berechtigt). Außer zu den genannten Wahlen wird der Adel des Comitats aber auch noch zu den Wahlen der Deputirten für den Reichstag und dann regelmäßig im Laufe des Jahres 4 Mal, um Statuten für das Comitat zu machen und allerlei ökonomische, politische uud polizeiliche Gegenstände zu berathen und zu entscheiden, zusammengerufen. Man »rennt solche allgemeine Versammlungen des Comitats« adels „Congregationen," auf Ungarisch: „Vlii-ine^e 6?' ui^i,," d. h. Schloßbezirks-Versammlungen. „Man könnte sie," bemerkt ein ungarischer Geschichtsschreiber, „mit Necht auch ,,8wt>i» provinciuo," Provinzialständc, nennen, wie ,nan die Neichsstande-Verfannnlungen „iztlltus reF-l>>" nennt (auf Ungarisch: Os»^»^ ^'^«s oder Viet»)." Im Kleinen geht es auf diesen Congrcgationen ebenso her, wie im Großen auf dem Landtage, und sie be« schließen für ihr Comitat ungefähr ebenso viel, wie der Äeichötag für das ganze Land. Die alle 3 Jahre stattfindenden neuen Wahlen der Beamten nennt man die „Restaurationen." Die Versammlung selbst wird daher auch wohl „Restauration" genannt, und alle Augenblicke hört man: „Jetzt ist ln 216 diesem Comttate Restauration, jetzt in jenem." Die dreijährigen Wahlperioden sind nämlich nicht in allen Comitatcn gleich, und die Restaurationen fallen daher bei ihnen immer zu verschiedenen Zeiten ein. Auf Ungarisch heißt die Restauration: ,/I'i«2tväl»«2tä5." Diese Restaurationen und dann die Congregationen zur Wahl der Reichstagö-Deputirten sind die belebtesten Versammlungen, die Ungarn auszuweisen hat. Und bei ihnen ereignen sich jene animirten Scenen, von denen unsere Zeitungen zuweilen Kunde geben. England zeigt Achnliches nur bei seinen Reichstags-Deputirtenwahlen, Ungarn auch bei einer zweiten Gelegenheit, seinen Ve-amtenwahlen. Aus den gewöhnlichen, rcgclmasiig alle 3 Monate wiederkehrenden Adclöversammlungen geht es anständiger und ruhiger her, weil hier die persönlichen und Privat-Interessen nicht so in's Spiel kommen, sondern nur die öffentlichen der Gemeinde, und weil auf diesen Versammlungen auch nur die gebildeten Edelleute erscheinen, während die ungebildeten Vauern-Edelleute, obgleich sie auch zu erscheinen berechtigt wären, dabei ausbleiben, da sie doch von den verhandelten Dingen nichts Verstehen und nicht mit zu reden wissen. Aus den Wahlversammlungen ist aber die Masse des ungebildeten VauernadelS gerade pradommirend. Denn obgleich sie auch da zu erscheinen vielleicht wenig Lust hätte, so wird sie doch von den Großen, welche sich ihrer als Mittel bedienen, vorgeschoben und in'ö Feuer getrieben. Da es sich dabei einfach darum 217 handelt, eine Stimme abzugeben oder ein Geschrei zu erheben, so läßt sie sich auch leicht dazu bewegen. Einer solche» Wahl-Congregation habe ich selber nicht beigewohnt. Aber was man mir hier und va Glaubwürdiges davon erzählt hat, werde ich noch bei verschiedenen Gelegenheiten wiederzugeben Anlaß nehmen. Ich war aber einige Male Zeuge davon, durch welche zuvorkommende Herablassung die höheren Beamten und Adeligen schon im Voraus die Stimmen des geringen Adels für sich zu gewinnen suchen. Man muß wissen, daß diese geringen Adeligen, die ich meine, in vieler Hinsicht, z. V. in Hinsicht auf Bildung, gute Lebenöart, Reichthum, Kleidung «., um kein Haar besser sind als die gemeinen ungarischen Bauern, daß sie in mancher Hinsicht, z. V. in Bezug auf ihren Stolz, ihre Nohhcit, ihre Anmaßung und Uttvcrbesserlichkeit, sogar noch schlechter find als sie, -— daß sie aber dagegen in Vezug auf ihre Gerechtsame in den Kongregationen den Prälaten und Magnaten gleichstehen, d. h. das; sie alle ihr Etimm-recht enrciren und ihr „Nein" oder „Ja" ebenso geltend Machen könne'n, wie die letzteren, — daß sie also die allergcfahrlichste und schlimmste Classe von Leuten in ganz Ungarn ausmachen; denn sie sind die priuilegirte Dummheit, die hochgestellte Ochlokratie. Freilich führen gegen diese Ansicht der Sache die ungarischen Patrioten an — wie das namentlich mir in der Unterredung "lit einem derselben geschah — daß eben dieser ungarische Vauernadel „durch seinen natürlichen, gesunden 218 Sinn, durch seinen eigenthümlich richtigen Instinct und durch sein festes Beharren," wie sie sich ausdrücken, in kritischen Fallen schon oft die ungarische Freiheit und daö Bestehen der Verfassung aufrecht, erhalten und durch seine energischen Protestationen in Fallen, wo die Könige sich Ucbergriffe erlauben wollten, und wo gerade die Magnaten oft bestochen, der Verfassung entfremdet und für die Könige gewonnen waren, dieselbe gerettet hat. Und jene ungarischen Patrioten betrachten daher jenen Pauernadcl mehr »der weniger als die eigentliche feste und haltbare Vasiö der ungarischen Freiheit, indem sie sagen, daß dieser Adel, im Ganzen genommen, wohl uncultivirt und in unbedeutenden Fällen, z. V. bei Wahlen u. s. w., bestechlich sei, daß er aber in aNen wesentlichen Dingen einen sehr guten Tact zeige und da, wo es sich um Sein oder Nichtsein handele, unbestechlich und namentlich viel unbestechlicher als die Magnaten sei. Allein, wenn dem so ist, so ist es doch betrübt, daß die ungarische Verfassung kcm besseres Vollwerk finden konnte als diesen rohen Baueniadel. Eine aufgeklärte Bürgerschaft würde gewiß cmc ebenso solide und für Fortschritte und Entwickelung weit zugänglichere Vasis fein. Dem sei indeß, wie ihm wolle, genug, wenn die Wahlen zu den Vicegcspan- und Stuhlrichterstellen oder zu den Deputirtenposten bevorstehen, so wird jene Liebenswürdigkeit und zuvorkommende Herablassung der Vornehmeren gegen die Geringeren immer größer und, je naher der Wahltag kommt, stets progressiv größer 219 und größer. Die alten Beamten werden in allen ihren Verfügungen gegen den niederen Adel immer milder, nachsichtiger und behutsamer, und die neuen Candidate«, welche sich ihrem bereits erlangten Ansehen und Einflüsse gemäß einigermaßen mit der Hoffnung schmeicheln können, daß sie gewählt werden, wende» alles Mögliche an, die Gemüther der adeligen Herren Dorfbewohner zu gewinnen, die sie ihre Vettern und ihre Brüder nennen. Sie fahren auf den Dörfern herum, kehren l»ei den vornehmsten Stimm- oder Rädelsführern ein und bitten sie um ihre Stimme. Weil diese Leute gewöhnlich sehr geneigt sind, sich einmal auf Kosten Anderer gütlich zu thun, so versprechen sie ihnen, daß es an nichts fehlen soll, wenn sie zur Congregation in die Stadt kommen, daß Wein fließen und Braten dampfen soll, soviel das Herz wünschen kann. Sie miethen viele Wagen und lassen sie ans ihre eigenen Kosten in die Stadt fahren. Auch hier in der Stadt miethen sie ganze Schenken oder Häuser, in welche sie ihre Leute einquartieren und wo sie für ihre Verpflegung sorgen. Am Abend vor dem Tage der Wahlen fahren die verschiedenen Kandidaten wohl noch einmal in den Schenken der Stadt herum und sehen nach, ob auch Alles in Ordnung ist, ob die, welche ihnen ihre Stimme versprochen, wirklich gekommen nnd ob sie zufrieden sind. Gewöhnlich haben die, den verschiedenen Candidate»! ergebenen Parteien auch verschiedene Farben und Abzeichen an sich, z. V. weiße oder blaue Federn an dem Hute. Die Herren Candidate,! halten dann anch Anreden in diesen 2W Schenken an sie, bei denen sie zuweilen, um besser ge» hört zu werden, auf den Tisch treten, und die sie gewöhnlich mit der Ermahnung schließen,- „Nun, Freunde, ihr sollt leben! Gin rechter Mann bleibt seiner Farbe treu. Morgen sehen wir uns wieder!" Am anderen Morgen überbieten sich die verschiedenen Parteien im frühen Aufstehen. Denn es lsi zunächst vor allen Dingen wichtig, welche von ihnen zuerst das Vomitatöhaus besetze/ die mit weißen, die mit blauen, oder die mit rothen Federn. Zuweilen, wenn sie znvor nicht zu viel getrunken haben, kommen sie schon des Nachts um 2 Uhr an nnd füllen den Saal. Sie können freilich den Anderen den Eingang nicht weigern, so lange noch Platz ist. Aber manche Comitatösalc sind im Verhältniß zu der Masse vom Adel, die im Comitate vorhanden ist, so eng, daß schon oft eine Partei, die frühzeitig bei der Hand war, ihn ganz erfüllte, und so die Gegenpartei dann gar nicht einmal hinein gelangte und zum Stimmen kommen konnte. Sowie sich die verschiedenen Candidate»! ihrer bereits gewonnenen Partei zu vergewissern suchen, so suchen sie auch zuweilen sich ihre Anhänger unter einander abspanstig zu machen, durch Bestechung, durch Ueberredung, durch Neberbietung der Versprechungen des Gegners. Wer da der thatigste, der splendidste und grosimüthigste ist, der siegt. Die Veanttcnstellcn werden auf diese Weise oft sehr kostspielig, und es werden dem Reisenden tm Lande Vicegespane bezeichnet, denen ihre Stellen 20.000 bis 30,000 Gulden und mehr kosteten, und manche sind doch noch froh, 221 wenn sic sie nur dafür bekommen. Viele, die nicht so viel haben, leihen das Geld dazu von ihren Freunden auf; denn das Amt bringt auf directen und mdirecten Wegen wieder viel ein, gewährt Ginfluß im Staat und giebt die Anwartschaft auf weitere Beförderung. Die Wahl selbst geschieht gewöhnlich so, daß der Obergespan die Candidate« in Vorschlag bringt, und die Masse dann durch Acclamation sie annimmt oder durch laute Mißbilligung dnrchfallen läßt. Der Obergespan muß beurtheilen, für wen das meiste Geschrei ist; ist dieß ungewiß, so müssen die Stimmen gezahlt werden. Bei dem Aufrufen der Namen und bei den Acclamationen ergreifen oft die Parteien ihre Candidate» und heben sie auf den Schultern in die Höhe, indem sie ihr „I^n! NI^n!" (Vivat! Vivat!) rufen und schreien: „Das ist der rechte Mann, den wir wollen!" Andere aber insultircn denselben, die Seinigcn dagegen vertheidigen ihn, und so kommt es dann äußerst hausig zu solchen tumultuarischm Auftritten, daß die Oberge-fpane, Bischöfe, Prälaten und andere anständige Leute sich schleunigst zu Thüren und Fenstern zurückziehen. Selbst wenn er schon gewählt, ist der Herr noch nicht einmal in völliger Sicherheit. Die Liebkosungen und Ehrenbezeigungen, welche ihm seine guten Freunde erweisen, sind oft so äußerst unbequemer Art, daß sie gewaltig seinen Comfort stören. Vei den gewöhnlichen gesetzgebenden Oeueralcongre-gationen geht eö, wie gesagt, weil hier blos die Elite 222 des Adels sich einfindet, ganz anders zu, obgleich freilich manchmal auch lebhaft genug. Ich wohnte der Eröffnung der Pesther Congregation am Ende des Monats August und dann auch noch mehren threr Sitzungen bei. In den Vorzimmern des Hanptsaalcs gingen mehre Haiduckcn, große, ausgezeichnete Leute, in schöner ungarischer Kleidung und voller Rüstung und Bewaffnung auf und nieder. In jedem Comitatöhause sind mehre solcher Haiducken angestellt, welche die gewöhnliche innere Polizei des Comitatö ausüben nnd stets zur Verfügung des Viccgespans sind; sie lassen jeden Edelmann — und auch jeden anständig Gekleideten in den Saal. Selbst der Fremde darf sich mitten unter die Redner mischen. Es ist freilich in jedem Comitatssaale auch eine Galerie für die nicht mitstimmenden Zuhörer; aber es ist für Niemanden, außer für die Frauen und die Schlechtgc-kleideten, ein Zwang vorhanden, sich auf diese Galeric zu beschränken. Der Pesthcr Comitatssaal ist, obgleich einfach, doch seinem Zwecke vollkommen entsprechend eingerichtet. Er ist mit den lebensgroßen Bildnissen mchrcr alter Reichspalatinc, emeS Vathyany, Wesselenyi, Palffy, Csterhazy, geziert. Ich besah mir diese schönen ausdrucksvollen Figuren und laö auch die merkwürdige, nun schon sehr veraltet klingende Unterschrift unter einem anderen großen Vilve, welches die Zusammenkunft der gekrönten Hauvter im Jahre 1614 vor Paris vorstellte; sie lautete: „Damit» 223 (lcllionlm sok'oclll U8urn3t!onll>n8cl»o courclti» VlNlliess Indeß füllte sich der Saal mehr und mehr mit Edelleuten, jungen und alten Beamteten und Nichtbeamteten, Fiscalen, Stuhlrichtern, Iurassoren/ Advocate», Iuraten u. s. w. Manche waren im bloßem Surtout, die meisten aber in ungarischer Nationaltracht, die bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich nur von schwarzem Tuche genommen wird und in einem kurzen, knapp anliegenden Attila (Ueberrock), i» ebenfalls äußerst knappen, mit Schnüren besetzten Beinkleidern, in kurzen Stiefeln (Topankcn) und in den» Kalpak (der ungarischen Mütze) besteht. Alle waren natürlicherweise bewaffnet; denn zur ungarischen Kleidung darf auch nie der „Kard" (der krumme Säbel) fehlen. Die Vcwegung und Conversation im Saale war sehr ruhig und anständig. Endlich trat der Präsident der Versammlung herein, und die Sitzung wurde eröffnet. Der eigentliche Präsident der Pesther Congregation ist der Reichspalatin, der auch immer schon vom Hause aus Obergespan des Pcsthcr Comitats ist. Der Erzherzog Palatin wohnt aber seit einiger Zeit den Congregationen gar nicht mehr bei, oder läßt sich doch wenigstens gewöhnlich daselbst durch einen Stellvertreter, einen sogenannten Administrator, reprasentircn. "Uch andere Obergcspanc bedienen sich zuweilen solcher Administratoren. (5iu solcher Administrator also, übrigens ebenfalls ein ungarischer Magnat, trat herein, und unzählige ,,.^lu2ut<^ 82"«") zu sehen. Gs ist natürlich kn lateinischer Sprache geschrieben und außerordentlich Iang> denn erstlich be--finden sich darin alle die .langen Titel des Königs von Ungarn und Kaisers von Oesterreich, alsdann sind die sämmtlichen außerordentlichen und nicht außerordentlichen Dienste Hergezählt, welche der zu nobilitirendc Bürger um den Staat gehabt hat, und am Ende sind auch alle Erzbischöfe, Bischöfe, Prälaten, Obergespane und Vicegespane nebst ihren Titeln darin namhaft gemacht, theils wahrscheinlich der Zierde wegen, theils, wie mm, «u. 15 22« mir sagte, auch deßwege». weil diese genannten Personen gewissermaßen alle Garanten für die Ernennung seien. Uebrigens interesflrte uu'ch die Art und Weise, wie es bei dcr Besprechung dieser Gegenstände herging, weit mehr als die Gegenstände selbst. Die Redner baten um's Wortmit dem Ausrufe-„Xerein! Keren,! "(sprich: Kerrem ---„ich bitte!") und standen dabei von ihren Platzen auf oder traten, wenn sie ohnedieß schon standen, etwas näher zu den Tischen der Präsidenten, die Alles im Kreise umgab, heran. Zuweilen auch sprach ein Redner mitten aus der Menge heraus und über die Köpfe seiner Vormänner weg. Im Ganzen, muß ich sagen, sprachen fast alle Redner, die ich hörte, mit sehr würdevoller, mannlicher Haltung, und dabei zu meiner großen Verwunderung äußerst geläufig und mit einem sehr guten Ausdruck, ohne anzustoßen, ohne zu stottern, und zuweilen schienen sie wie begeistert und feurig^ beredt. Wenn Einer etwas besonders Ansprechendes und Treffendes gesagt hatte, wurde ihm von allen Seiten, auch von den Galerieen herab ei» „Njen! Lhen!" (sprich.' Ehljen!) zugerufen. Dieses Wort wird von den Ungarn sowohl da gebraucht, wo wir „Bravo!" sagen, alö auch da, wo wir „Vivat" rufen. Außer dem häufigen „kerem, Xt>rt>m" und ,,^>i«'n, VHen" war ein anderes Wort, das beständig im Saale wiedertönte, baö ^Naillnk! Ii^ilnk?" (sprich- Hojunk), womit sie zur Ruhe verweisen. Ks heißt soviel als: „lwrt! hört!" obgleich es in seiner Anwendung nicht gan; das englische 327 „llear! bear!" ist. Denn die Engländer brauchen in ihrem Parliament? dlesen Ausdruck, auch wenn gerade lein Lärm ist, sondern vielmelir, wenn sie auf die Wichtigkeit cineS Vortrags hinweisen wollen. Die Ungarn aber gebrauchen ihr „U^unk!" gewöhnlich nur dc>, wo wir „Pst!" sagen. Es ist immer etwaS geräuschvoll in den ungarischen Versammlungen (wegen der Eabel, der Sporen und des Herumgehcns) und das Hajunkrufen nimmt daher kein ssnde, doch es ift noch ein llcbelstand mehr dabei, denn dieses Wort ist selbst schon gar nicht so zum Stillschweigen auffordernd, wie unser „Sch!" oder „Pst!" sondern vermehrt vielmehr den Lärm wieder. Ich werde nie die Physiognomie eines alten Herrn vergessen, der gerade vor mir stand und alle Augenblicke mit dem ärgerlichsten und griesgrämigsten Gesichte von der Welt, indem er sich umdrehte, in den weiten Raum deö SaaleS sein donnerndes llajunk hinausrief. Zuweilen wurde soviel Uajunk gerufen, daß die Stimmen der Redner völlig darunter verlöschten. Der beredteste und beßte Sprecher unter allen war der seit dcm letzte» Landtage so berühmt gewordene Deputirte und Edelmann >st o ssu t (sprich: Koschut). Er saß, wie bekannt, eine Zeit lang im Gefängnisse, weil er wider das Verbot der Regierung gewisse Landtagsver-Handlungen, die nicht gedruckt werden sollten, durch eine unendliche Menge von Abschriften, die er davon nehmen ließ, veröffentlicht hatte. Vr wurde spater wieder freigelassen und ist min Redacteur des gclesensten ungarischen 15* 228 Blattes, des „?esti Uirlap,'' das freilich auch ausländische Angelegenheiten nicht außer Acht laßt, es sich aber doch besonders zum Ziel gefetzt hat, ungarische Zustände zu besprechen und inländische Ereignisse, Fehler und Mängel bekannt zu machen und zu erörtern. Herr von Kossut soll in diesem Matte mit außerordentlichem Freimuthc, mit völliger furcht- und Schonungslosigkeit alle Mißbrauche, alle Ungerechtigkeiten, von denen er bort, alle Härten oder Grausamkeiten, dic sich Jemand zu Schulden kommen ließ, alle Uebelstandc der Verfassung oder Verwaltung in irgend einem Theile des Reichs, von denen er sichere Kunde erhält, aufdecken. Zunächst wählt er meistens solche Gegenstände, über die auf dem bevorstehenden ungarischen Landtage Beschlüsse gefaßt werden möchten, um die dabei als Wahlmänner oder Deputirtm etwa Vctheiligtcn schon im Voraus darauf vorzubereiten und zu unterrichten. Alsdann hat er es sich insbesondere zur Aufgabe gemacht, eine der allerschwächsten Seiten seines Vaterlandes anzugreifen und oadurch wo möglich zu heile», nämlich die Bestechlichkeit und Ungerechtigkeit der Richter, der Stadt-magistrate und der Comitatsbcamten, deren Frevelthaten er überall, wo er nur taun, verfolgt und umständlich erzählt. Es kann nicht fehlen, daß Herr von Kossut auf diese Weise sehr viele Feinde hat, aber er hat noch weit mehr Freunde, denn das ganze große Vublicum Ungarns ist auf seiner Seite, und er ist jetzt der Liebling und Held des Tages. Sein Hirlaft ist das ver-breitctsts aller ungarischen Blatter, und mcbre Male 229 hörte ich während meiner Anwesenheit in Pesth dle Leute begierig fragen: „Was hat Kofsut hierüber oder darüber gesagt? Laßt unS sehen, was ist das Neueste von Kossut?" Ganz Ungarn sieht jetzt auf diesen Mann hin, und auch ich erblickte ihn nun mir gegenüber. Kr war von mittelgroßer Statur «nd von sehr angenehmen Aeußeru, sein Kopf und sein Gesicht waren das Hauptstück an ihm, und der Ausdruck seiner regelmäßigen Züge entschieden schön, männlich und kraftvoll. Gr ist in das mittlere Mannesalter getreten und in der beßten Kraft seiner Jahre, er hat einen sehr vollen Haarwuchs, einen buschigen Backenbart und nichtsdestoweniger etwas sehr Angenehmes, Bescheidenes und Mildes in seinem Wesen. Wenn ich mir feine Ge-sichtSzüge zerlegte, so fand ich lauter echt ungarische Eigenthümlichkeiten, nämlich: feurige Augen, einen sehr runden Kopf, eine schöne, edle, gerade, etwas spitzige Nase (die zu der gewöhnlich rundlichen, etwas aufgeworfenen Nase der Slaven einen directen Gegensatz bildet), etwas breite, starke Backenknochen, ein kurzes energisches Kinn und einen starken, nicht so langen Hals, wie ihn die germanischen Nationen gewöhnlich haben. Dabei liegt aber, wie mir eS schien, ein großer Ernst und ein Ansiug von Melancholie in seinen Zügen. Auch war die Farbe seiner Wangen uicht sehr lebhaft, was sich bel einem Manne, der sich mit politischen Angelegenheiten befaßt, und der ohnedieß schon im Verhaft War, leicht erklärt. 230 WaS die Welse seines Vertrags betrifft, so fand ich fie äußerst anziehend. Ich hörte ihn einmal eine volle halbe Stunde lang fließend reden, ohne daß er auch nur ein einziges Mal anstieß oder sich besann. Sein Organ war so wohltönend, wie man es bei einem so schönen Gesichte nicht anders vermuthet, und die kraftigen) energischen, ich möchte sagen, kriegerischen Laute der ungarischen Sprache, die unS bei manchem ungebildeten und rohen Ungarn rauh, hart „nd harnwmclos klingen, erschienen auf seiner gewandten Zunge sehr ausdrucksvoll. Das „Nj<>n, Lljen" unterbrach ihn mehr als irgend einen der anderen Redner, und das ,,5l^,,nk, HH,m!i" war weniger nöthig als bei irgend einem Anderen, weil alle schon von selbst gespannter aufmerkten. Ich glaube, daß vor allen Dingen das den Ungarn eigene männliche Gefühl, ihr nationaler Stolz, das Ve» wußtseln, daß sie freie Leute seien, sowie ihr feuriger Gifer für die patriotischen Angelegenheiten sie Vorzugs» weise ;u guten Nednern macht, und daß wir Deutsche in dieser Hinsicht noch Vieles für unsere Deputirten-kammern von ihnen lernen könnten. Denn es scheint mir, daß sie, im Ganzen genommen, ihrer Sprache mächtiger sind als wir. Uebrigens bin ich natürlich weit davon entfernt, sie alle für beredte Leute ausgeben zu wollen. Ich sah vielmehr auch in diesen Pesther Congregation«!« Viele sehr stumm und müßig dasitzen, Andere gingen bloS herum, ihren Säbel u»d Kalpak in der Hand haltend und ihre eleganten AttilaS zur Schau tragend. Einen Herrn sah ich sitzen, der, statt zu schreiben und zu svrechcn, seine Feder kaute und am Ende der Sitzung flc gradatim völlig aufgegessen haltc. Einen Anderen sah ich nichts thim als seine goldenen Ringe, einen nach dem anderen, um die Finger drehen, und ein Dritter bürstete unaufhörlich seine Mütze und las die kleinen Federchen und Stäubchen von dem schönen glänzenden Marderfelle, aus dem sie gemacht war, ohne dasi ich auch nur den geringsten Laut von ihm vernommen hätte. Andere schrieen nichts als zu Zeiten „Li^n!" dann auch „N^«nk!" und unterließen es wohlweislich, anstatt dieser Ausdrücke auch einmal „li^em!" zu rufen. Die Polizei im Saale hat, wie gesagt, der erste Viccgespan und in seinem Dienste die Haiduckcu. Er ist in dieser Beziehung das, was der Sprecher im englischen Parliament« ist. Wer sich ungehöriger Ausdrücke bedient, den rust er zur Ordnung; auch kann er den, der sich nicht zur Ordnung bequemen will, in eine Geldstraft nehmen, oder unter Umständen zum Saale hinaus verweisen. Wie überall in dem ganzen ungarischen Staatsbaue viele Sonderbarkeiten vorkommen, so findet denn auch bei jener Geldstrafe, die sie „Action" nennen, noch das statt, daß derjenige, den sie treffen soll, ihr dadurch ausweichen kann, daß er sich aus dem Saale entfernt, ehe dcr Vicegcspan die Strafsentenz: ..Ich nehme Dich für diese ttngehörigkeit in Strafe von 25 Gulden," beendigt hat. Gr muß aber den Haiducken zu entkommen wissen, denn vertreten diese ihm, etwa 232 auf einen Wink des Vicegespans, den Weg, so muß er doch bleiben und zahlen; kann er nicht auf der Stelle die Action erlegen, so muß er nachher zu Hause dem an ihn gesandten GerichtSboten das Doppelte zahlen. AlS ich einen städtischen Deputinen fragte, was denn wohl solche strafbare Ungehörigsten wären, sagte er: „Oho, z. B- wenn irgend eiu städtischer Deputirter es sich herausnehmen wollte, über irgend eine wichtige Prärogative des Adels sich freimüthig auszulassen, gewiß wurde er dann sehr bald die Action zu zahlen bekomme», denn die städtischen Deputirte» haben wohl Sitz, aber keine Stimme in diesen Versammlungen." Hierüber entspann sich unter uns ein weitläufigeres Gespräch, und wir entfernten uns bei dieser Gelegenheit aus dem Saale. Der Pesther Brückenbau. >Ss ift mir keine Brücke bekannt, über die in neuerer Zeit so viel geschrieben und gesprochen worden wäre, als die neue Donaubrücke, welche jetzt zwischen Pesth und Ofen im Bane begriffen ist- Aber es giebt auch wohl nur wenige Brücken, deren Ausführung so außerordentlich große politische und physische Uebelstände hinderlich in den Weg traten. Sie ist eine wahre Riesenarbeit, und die Ungarn betrachten sie als ein großes Nationalwerk. Es lohnte sich daher wohl der Mühe, ihr unsere besondere Aufmerksamkeit zu widmen, und zwar um so mehr, da sie nun nach der berühmten Trajanischen Brücke bei Orsowa das erste und einzige stehende Joch sein wird, welches die untere und mittlere Donau überbrückt*). Die Donau ist überhaupt einer der brückenarmsten Ströme in Europa (die russischen Flüsse ausgenommen). *) Einc stehende Rheinbrücke gicbt es im mittleren und unterm Laufe des Stromes noch gar nicht. Napoleon's Plane kamen in dieser Hinsicht nicht zur Ausführung. 234 Während die kleine Themse beinahe 50 Mal in ihrer Hauptader überbrückt ist, lassen sich bei der Donau von Ulm an nicht einmal ein Dutzend Brücken zusammenbringen. Die außerordentliche Breite des Stromes, fein reißen» des Wasser, sein noch wenig geregelter Aauf und in Folge dessen die großen Neberschwemmungen, so wie der heftige Eisgang sind die vornehmsten physikalischen Hindernisse, cmsierdrm aber auch zum Theil die geringe Verkehrsthatigkeit der an ihr hin wohnenden Volker. Zwischen Pesth und Ofen ist die Donau im Durchschnitte 250 bis 300 Klaftern breit, und da die Städte früher wenig mit einander zu theilen hatten, so mochte lange Jahrhunderte hindurch das Bedürfniß einer Brücke nicht fühlbar sein. Man half sich mit fliegenden, an Seilen befestigten Schiffen, und dieß zwar noch bis vor 75 Jahren. Erst im Jahre 1767 wurde eine hölzerne Brücke auf ungefähr 50 Pontons zwischen beiden Städten errichtet, die nachher der Kaiser Joseph 1788 auf 42 Pontons an ihre jetzige Stelle verlegte. Diese Brücke ist ein ziemlich ungenügendes Machwerk. Im Winter nutzt sie gar nichts. Denn vom December bis in den März wird sie bei Seite gelegt und die Verbindung zwischen Pesth und Ofen dann durch Schiffe bewcrksteNigt. Dieß ist zu Zeiten nicht. gefahrlos, und eö kommen sogar Tage vor, wo die beiden Schwesterstadic ganz und gar auseinander gerissen sind, weil gar kein llebergang zu wagen ist. Außerdem aber ist die Brücke auch für die außerordentliche Passage von Viehheerden, von großen Lastwagen, von 235 Soldaten ?c. viel zu schmal, wrßhalb fle auch bei ver-» schiedenen Gelegenheiten, z. B- wenn Soldaten hinüber-» Marschiren, für einige Augenblicke gesperrt werden muß. Im Sommer, wenn das Wasser niedrig ist, sinkt daS Mittelftück der Brücke so zusammen, daß die Pferde sich einen mit Holz belegten Verg an's Ufer hin» auf zu quälen haben, und mehre Male hat es sich schon ereignet, daß ganze Lastwagen durchbrachen und in die Pontons oder den Nuß hinabsielen. Diese Nebelstande sind nun schon seit langer Zeit erwogen worden, besonders aber seit etwa 14 bis 15 Jahren. Unzählige Aufsätze wurden in den Journalen über die Wichtigkeit des Pesther Brückenbaues ge« schrieben, und auf mehren Landtagen ward darüber debat-tirt. Erst als der eifrige, Patriotische und einflußreiche Graf Szechenyi (sprich Sseetschceni) sich an die Spitze des Unternehmens stellte, deswegen eine Reise nach England machte, mit dortigen Architekten sich besprach und darüber einen Bericht veröffentlichte, kam die Sache etwas in Fluß, und auf dem letzten Landtage wurde sie endlich nach sehr vielen und heftigen Debatten in Richtigkeit gebracht, worauf der Vau begonnen wurde. Man wird es bei uns kaum begreifen, wie der bloße Vau einer einzigen Brücke zwischen zwei Städten so sehr das Interesse eines ganzen großen Königreichs in Anspruch nehmen tonne, daß er sogar Gegenstand langwieriger Reichstags-Verhandlungen werden mußte. Es erklart sich dieß aber theils aus der Wichtigkeit des Baues für das ganze Land, theils aus seiner 236 Kostspieligkeit, theils endlich aus gewissen politischen Uebelstanden. Zunächst wirb mit einer soliden, stehenden stein« ernen Donaubrücke nur Ofen und Pesth gedient sein. Diese beiden Städte werden dadurch in ihrem Verkehr sich viel inniger an einander anschließen. Ja es ist wohl wahrscheinlich, daß durch diese feste Brücke eine völlige Verschmelzung beider Städte zu einer einzigen großen Commun vorbereitet und gefördert werden wird. Allein selbst abgesehen davon, daß auch das ganze Königreich bei dem Wohle keiner seiner Städte so intcresstn ist, als bei dem von Pesth und Ofen, seiner Hauptstädte, so ist es auch zu bemerken, daß, so weit die Donau Ungarn durchströmt, d. h. auf einer Strecke von ungefähr l.l)l) Meilen, auch nicht eine einzige feste Brücke cristirt (bei Koluorn und Peterwar-dein find nur Schiffbrücken, bei Preßburg und Gratz fliegende), daß also, wenn die Donau mit Eis geht, oder weit und breit die Gegenden überschwemmt und den Uebergang beschwerlich oder unmöglich macht, da» durch gewissermaßen das ganze Königreich in zwei von einander geschiedene Hälften getheilt wird, die eine Zelt lang nicht mit einander verkehren können. Das ganze Land ist daher dabei interessirt, daß irgendwo eine blei» bende Möglichkeit des gegenseitigen Verkehrs gegeben werde, und muß diese vor allen Dingen in dem Herzpuncte der Monarchie, m Vuda« Pesth, wünschen, durch welche Oentralpulsader das meiste Handelsleben strömt. Die Kostspieligkeit des VaueS ist em anderer Umstand, der viele Schwierigkeiten machte. Man vermuthet, daß die neue Brücke nicht weniger, als 500,000 Pfd. Sterling kosten werde, und in einem Lande, wie Ungarn, daß an Productm so reich und an Geld so arm ist, war es nicht leicht, diese Summe zu schaffen, odcr sich darüber zu einigen, von wem man sie nehmen sollte. Es ist daher auch dahin gekommen, daß man sich an einen Wiener Capitalist«!, an den in Ungarn so machtigen Banquier Sinci, hat wenden müssen, der die Regulirung der pccuniaren Seite des Unternehmens über sich nahm. Freilich sind viele Ungarn darüber entrüstet, das? man diese Sache einen: Fremden übertrug, und ich habe viele so sprechen hören- „O Him« mel, warum hat man nicht lieber eine Subscription im ganzen Lande herumgehen lassen? Hatte ich nicht gern 100 Gulden gezeichnet, und giebt es nickt Viele, die mit Freuden noch mehr hergegeben hatten, um wenigstens zu verhüten, daß man das ganze ^and einem Ausländer zinsbar machte!" Matt hat nämlich dem Varon Sina dafür, dasi er die Brücke auf seine Kosten herstellt, die Einnahme eines Brückenzolls auf beinahe 100 (ich meine genau 35) Jahre zusichern müssen. Ich vermag natürlich nicht darüber zu entscheiden. Aber wer da weiß, wie selten in Ungarn die disponiblen Capitalien sind, und wie schwer sich solche anscheinend leichte Sachen ausführen lassen, der wird vielleicht jenen zu Vorschüssen so bereitwilligen und den Brückenbau-Beförderern Vorwurf 288 Wurf machenden Patrioten nicht in allen Stücken beistimmen. Der dritte Grund endlich, warum der Brückenbau Reichstags-Angelegenhcit wurde, waren gewisse Vorrechte, auf welche bei dieser Gelegenheit der Adel verzichten soNte. Der ganze ungarische Adel hat nämlich bisher das Privilegium genossen, über die ungehobelten Tan-nenbalken der Ofen-Pesther Brücke schreiten, fahren oder reiten zu können, ohne auch nur einen Kreuzer zu bezahlen, während man von Denen, die nicht zum Adel gerechnet wurden, einen solchen Brücken-Kreuzer zur Erhaltung der Brücke und zur Vermehrung der Einkünfte der Städte allerdings erhob. Bei dem neuen Brückenbau wollte sich der Banquier Sin a und überhaupt lein Capitalist zu Vorschüssen verstehen, wenn nicht auch der Adel und Alles, was ihm gleich, auf dieseS Privilegium verzichte, weil sonst zu fürchten sei, daß überhaupt das angelegte Capital sich nicht gehörig rentiren möchtc. Es hängt nun aber das beregtc Pri« vilegium überhaupt mit dem allgemeinen Privilegium des Adels, über alle Brücken des Landes, auf allen Straßen und Wegen des Königreichs, bei allen Zoll» Häusern Ungarns, sie mögen Namen haben, welche sie wollen, blos mit der Redensart den Zoll zu bezahlen: „ich bin ein Edelmann," d. h. vollkommen wegc-, straßen-, geleits- und brückenzollfrei, durchzupassiren, zusammen. Sie fürchteten, baß der Angriff auf eines ihrer Privilegien, wenn auch nur auf das kleinste und wenn auch nur in einem einzigen Falle, ebenso schlimm sci, wie der Versuch, eine, wenn auch noch so kleine Bresche in eine große Ringmauer zu schießen, und daß dadurch dann alle in Frage gestellt werden könnten. Daher weigerten sich einige lange und hartnäckig, das Zugeständniß zu machen. Nichts' destowenigcr aber ging dann doch aus den Betrieb vieler aufgeklarten Manner der Vorschlag, daß auch der Adel sich bei der neuen Vrücke unterwerfen müsse, durch, und dieselbe konnte darnach in Verding gegeben und oer Bau in Angriff genommen werden. Der Pesther Brückenzollfreiheit des ungarischen Adels ist dadurch allerdings gewissermaßen derogirt. Aber einstweilen besteht sic leider noch immer bei der alten Brücke, und es wird überhaupt wohl noch lange dauern, bis jene in die feste Burg der ungari« schen Adelspriuilegien geschossene Bresche — es ist wohl nur der erste Schuß zu einer Bresche — so weit gehörig erweitert sein wird, daß auch die übri» gen Brücken und Nege für jeden ehrlichen Mann gleich offen und gangbar werden. Und es müßte daher jeder richtig fühlende Mann sich ein Verdienst daraus machen, gegen das Empörende, was jenen Pri« vilcgien zum Grunde liegt, zu predige». Was mich betrifft, so tonnte ich nie ohne eine aufrichtige Ve» trübniß und ein ebenso aufrichtiges Aergerniß über die alte Pesth-Oftncr Schiffbrücke gehen. Man stelle sich vor: Auf jeder Seite der Vrücke ist eine ganze Vande von schnurrbärtigen Kerlen (ste reden leider meistens deutsch) aufgestellt, die sogleich vor allen Edelleuten — dem Gesetze nach werden als 240 solche betrachtet erstlich die wirklichen Odclleute, dann aber auch die einheimischen Bürger der königlichen Freistadte, so wie endlich einer eingcschlichencn Gewohnheit gemäß jeder Wohlgekleidcte, d. h. also jeder Wohlhabende — ihre Schranken offnen, während sie jeden armen Handwerksgesellen, jeden nnprivilegirten Bettler, jeden Iudenjungen und überhaupt jeden Juden, er mag reich oder arm sein, jeden Vauer und endlich jeden nicht wohlhabend aussehenden Fremden, wenn er ihnen nicht schon von Weitem mit dem Kupfertreuzer entgegenkommt, ohne Weiteres bei'm Arme nehmen und zum Zahlen zwingen. Jene Vrückenwächtcr nun haben durch die Lange der Zeit, in welcher sie ihr Handwerk betrieben, eine außerordentliche Oeschicklichkeit darin erlangt, jeden Menschen sogleich nach Stand und Würden zu tariren. Weil sie immer mit Luchsaugen Alles, was zur Brücke herankommt, belauern, so kennen sie fast alle Ofener und Pesther Bürger, ihre Domestiken, Kinder, Hausgenossen ic- persönlich und wissen schon, ob sie zu den priuilegirten gehören oder nicht. Die Fremden aber, die sie nicht kennen, durchblicken sie sofort, selbst ohne sie, wie man diesi sonst mit den Herrn machte, in's Waffer zu werfen oocr auf die Wage zu legen, bis in ihr Innerstes und wissen ohne Weiteres, wes; Geistes Kind sie sind. Daher vergreifen sie sich anch selten oder nie und setzen sich nie der Gefahr aus, von einem stdelmanne eine Zurechtweisung zu erhalten. An Sonn« und Feiertagen muß man sie besonders bewundern, denn da sind die Handwerks- 24t gesellen fast ebenso elegant gekleidet wie andere ehrliche Leute, und da heißt es, Augen haben. Aber sie kennen den Handwerker und den Juden auf der Stelle heraus, und hatte er sich bei Vouton in Paris kleiden lassen. Heran hier? hier her! halt an? schrieen diese Kerls iedem Armen zu, ilnd ich war mehr als ein Mal Zeuge, daß ganz zerrissene, armselige Iudenjungen von der Vrückc verwiesen wurden, weil sie nicht bezahlen konnten. Die reichen Juden zu Pesth, um sich solchen Ecandalen nicht auszusetzen, zahlen ein für alle Mal jährlich ein Gewisses und gehen dann frei durch. Die Zigeuner — so habe ich wenigstens aus freilich nicht ganz zuverlässiger Quelle erfahren — sind die einzigen Armen, die wiederum, wie die Edelleute, keinen Zoll geben. Ich weiß nicht, woher sie dieß Privilegium haben, und ob sich darin das Sprüchwort ,' 1e», ne >« «ome^bat like 211 Nn^Ii^Iimllu. "lkere l« some spirit lldout Kim!" Wie im Ganzen aber diese Pesther Arbeiter-Classe in Verhältniß zu anderen, z.B. zu den Italienern, geschätzt würde, könnte ich gleich aus den Ansätzen des Arbeitslohnes für beide sehen. Die Italiener empfingen 25 Gulden W. W. wöchentlich, die Deutschen und Ungarn aber nur 10. Ich fragte ihn, ob er nicht den Deutschen wenigstens ttwas mehr geben könnte als den Ungarn > aber nein, er ließ sich nicht erbitten. Ich kletterte auf die vorderste Spitze des Eisbrechers und genoß von hier aus, von diesem kleinen festen Puncte in Mitten des großen Stromes das Herr- ' 249 liche Panorama, das sich in den Bergen von Ofen und in dem Hausermeere von Pesth rund um mich her ausbreitete. Mehre Donauflußschiffe, die das ungarische Wappen als Zeichen führten, fuhren während dieser Zeit in der Nähe des Pfeilers vorüber. Man war wegen dieses Eisbrechers und wegen des Pfeilerkaftens in Pesth während des Eisganges im vorige» Winter sehr besorgt, und Viele waren der festen Meinung, beide würden nicht Stand halten und weggehen, weil die Engländer sich wohl schwerlich eine richtige Vorstellung von der Gewalt der hiesigen Eisgange gemacht hätten. Zum Triumph der Englander aber blieb Alles ruhig stehen; jedoch sagten die Zweifler, es sei dieß ein pures Glück gewesen; denn die Hauptmassen des Eises hatten sich dieß Mal mehr an der Ofener Snte vorüber geschoben, und sie blieben dabei, daß die Brückenbauer noch viel Lehrgeld würden bezahlen müssen. Ja Manche unter ihnen zweifeln sogar nocli daran, daß der Brückenbau überhaupt gelingen werde. Der Himmel wird es so fügen, daß ihre Befürchtungen sich als eitler Wahn erweisen mögen. Ich blieb so lange auf meinem Eisbrecher, bis die Feierabendglocke läutete, und schiffte mit vielem Volke zum Festlande hinüber, um der Austheilung des SoldeS beizuwohnen '. denn es war gerade ein Sonnabend. Es gab in dem Gehöfte des Brückenbaues, wo die Materialien aufgeschichtet lagen, mehre Werkstätten, Schmieden, ModeNkammern und dergleichen aufgerichtet 250 waren, zwei Comptoirc. In dem einen, sagte man mir, zahlt „der Sina" aus, in dem anderen die Engländer. Wahrscheinlich werden die Engländer von der übrigen Arbeiterclasse geschieden und empfangen ihren Sold zunächst durch die Hände ihrer Landsleutc. Zum Sina drängten sich die meisten. Unter einem hölzernen Schuppen stand ein langer Tisch, mit großen Haufen Geldes in verschiedenen kleinen und großen Münzen belastet. Ach, welche süße, wohlthuende Last? dachten wohl die hundert Lcutchen, welche vor dem Schlippen in rincm Kreise standen und begierige Blicke auf diesen Tisch warfen. Vei dem Tische war ein gewandter Lassircr, der ihnen das Geld auszahlte, beschäftigt und daneben ein anderer, der das Ausgezahlte in einem Buche notirte. Sie wurden der Reihe nach aufgerufen und tralcn dann zum Tische, das Wochenlohu zu enrpfangen. Der Cafsirer griff behände in die großen Haufen hinein und zählte ihnen rasch die blanken Stücke hin, indem er ihnen ebenso rasch befahl, einzustreichen und sich zu entfernen. Gott, welche rücksichtslose Be-händigkcit in Behandlung dieser kostbaren Dingelchen, dieser Münzen, die dem Armen an dm Fingern hängen und kleben, und die er wohl 40 Mal erst umdreht, ehe er sie ausgiebt! Und dieser Mensch wirft sic von sicb, als wenn sie Korn und Spreu auf der Tenne vorstellten! Wieder ei» neuer Name! Es war ein bescheidener, schüchterner Mann. Sechs Mal strich er sich mit der Hand über dm Kopf und ordnete seine 251 Haare, ehe er wagte hervorzutreten. Noch ein Mal sein Name! „Rasch, Alter, heran! Nir haben Eile mit der Auszahlung." Gott, was muß der Sina für ein reicher Mann sein, der solche Eile hat, sein Geld loS zu wet-den. Endlich trat der Alte hervor — es mnsite wohl ein Neuling im Soldcmpfangcn sein ; er empfing sein Geld, ohne es nachzuzahlen, nnd hielt mit beiden Handen die Papierenen österreichischen Vancozettel so fest, daß er sie in seinen zitternden Fingern ganz zerknitterte. Man erkannte den Charakter eines Jeden an der Weise, wie er sein Oeld nahm. Giner trat bei seinem Namen ganz trotzig hervor, zog seine Mütze nnr zögernd und sah alts, als wollte er sagen : „Nun nur her mit dem, was mir von Rechtswegen zukommt, «nd was ihr mir geben müßt." Auf dem mageren, mürrischen Gesichte eines Dritten mit etwas verächtlichem Vlicke laS ich die Worte geschrieben : „Ach. ihr reichen Schelme, ihr habt das Geld wie Heu nnd gebt uns armen Schluckern so wenig. Aber könnte ich nur einmal gelegentlich — !" Der Eine steckte sein Geld in die Tasche, der Andere verbarg es in seiner Mütze, der Dritte umkrallte es mit seinen Handen, als wenn ein hungriger Geier eine Maus gefangen hat. Draußen aber brachten sie Alles wieder hervor und zahlten es zwei, drei Mal nach, was sie drinnen nicht gethan hatten, da dort der Respect vor dem Zahltische das Mißtrauen unterdrückt hatte. — Ich sah dann, wie daS mühsam erarbeitete Wochenlohn sofort in Cours gefetzt wurde; 252 es wurden einige kleine Schulden an Cameraden bezahlt; andere fanden draußen ihre Frauen, die schon mit ihren Kindern auf das Lohn warteten -, viele aber stritten sich darüber, welches für den heutigen Abend das beßte Wirthshaus sei, und gingen lärmend und jubelnd zum Thore hinaus. Die Raizenstadt, die türkischen Bäder und die orientalischen Pilger. ^t" (Jesus Christus) an der Wand, und daneben die heilige Rosalie nebst anderen Heiligenbildern. Die Frau vom Hause, die allein mit ihrem Sohne zugeben war, redete deutsch und serbisch, wie alle hiesigen Serbier durchweg beider Sprachen mächtig sind. Der Sohn war ihr einziges Kind, und die arme Mutter jammerte nicht wenig darüber, daß dieses ihr einziges Kind weder am Geiste noch am Veibe recht gesund sei. Gs lst säst mit allen raizischen Müttern so, daß sie nur ein einziges oder doch nur wenige Kinder haben. Sie haben dieß mit den magyarischen Müttern gemein, welche ebenfalls wenige Kinder gebären und sich sogar schämen, gleich in den ersten Jahren ihrer Ver-heirathung niederzukommen, ganz im Gegensatze zu den deutschen und mehr noch zu den slowakischen Weibern, welche immer reich mit Kindern gesegnet sind. Die Raizen sind in ganz Ungarn sehr verrufen, und man sagt sprüchwörtlich ' „aus einem Raizen kann man wenigstens 4 Juden und 5 Zigeuner machen, so voll von Rauken, List und Schelmenstreichen stecken sie." Vian begreift unter diesem Verdammungsurtheil auch die Neugriechen, Macedonirr oder Zinzaren mit, die ebenfalls in allen ungarischen Städten verbreitet sind, und die sonst mit den Serbiern nichts als die Religion, was freilich sehr viel, ich möchte in gewisser Beziehung hier fast sagen, Alles ist, gemeinsam haben. Man 17* 2<50 kann null wohl im Allgemeinen dieses Urtheil nicht als ganz aus der Luft gegriffen verwerfen ; denn es lautet gar zn ähnlich mit dem, welches andere Leute, ganz unabhängig von den Ungarn, in Odessa und anderen Orten über diese Völker fällen, ja es lantet fast wie das, was schon früher die Venctianer und Genueser von den Zerbiern und Griechen in ihren kaufmännischen Verhältnissen mit ihnen anssprachen, und was selbst die Römer in ihrer sprüchwörtlich gewordenen Redensart.' „Qi-aec» inles, n>,lla licle»" urtheilte». Nur muß man in ein so hartes Urtheil nicht so einseitig verliebt sein, daß man damit glaube, Alles gesagt zu haben und nun ein Recht zu besitzen, sich vor Raizen wie vor der Pest zu hüten. Besucht man die Leutchen in ihren heimischen Nestern, so findet »nan immer so viel Menschliches und Gutes bei ihnen, daß man eher zur Theilnahme nnd zum Mitleiden als zur Verachtung erregt wird. Wie in ganz Ungarn die Raizen, so ist namentlich in Pcsth die Osener Raizenstadt sehr verrufen. Eic sprechen von ihren entlegenen Theilen wie vom Vakonyer Wald. „No, ich habe wohl kürzlich nichts gehört," sagen sie, wenn man sie darüber befragt, „aber es ist dort nicht geheuer, und in der Nacht ist daselbst Niemand seines Lebens sicher." — Ich fand dieß eines Tages sehr bestätigt; cS passirtc mir Folgendes. Ich wan« derte eines Abends spät zum Vlocksbergc, weil mir l'in befreundeter Astronom daselbst etwas an der Mond-» scheibe zu zeigen versprochen hatte, und kletterte in der Dämmerung dlilch die enge» Winkelgassen und Schmuzpfade 261 der Raizenstadt hin und zurück. Die Hunde, deren die Raizen immer eine Menge haben, warm die einzigen lebendige» Wesen, die mich bettend und lärmend anredeten. Da dachte ich .' „jetzt könnte sich an dir auch einmal der üble Ruf der räuberischen Raizmstadt bewähren." Trotz meiner Furcht aber kam ich unten glücklich wieder auf ordentlichen erleuchteten deutschen Straßen an. Es traf sich indeß, daß ich am anderen Morgen früh wieder in dieselbe Stadtgegend kam, und was sah ich an demselben Wege, den ich am Abend heruntergestiegen war? — Einen ermordeten Menschen, welcher von einer Menge Volks und Polizei umgeben war und eben in ein benachbartes Halls geschleppt wurde. .Mas ist es?" — „Ja die Raizen haben diese Nacht hier Einen erschlagen? Einen Holzhandler, der slavonisches Eichenholz für den neuen Brückenbau herangeführt und dafür seine Bezahlung empfangen hatte. Er hatte sich hier in der Nähe des Wassers am Verge im schönen Mondenfchcme schlafen gelegt, mit sammt seinem Gelde -, es war dieß unklug, aber die Leute thun diesi hier oft, denn sie sind knickrig und wollen sich in Wirthshäusern nicht von den Wirthen Prellen lassen. Jetzt ist das Geld fort. Er ist freilich noch da, aber, wie Sie sehen, sehr schlimm zugerichtet!" — „Mein Gott, wie ist das möglich, hier mitten auf der Straße zwischen den vielen Hausern?!" — „Ach, es giebt hier so viele Menschen, die nichts hören wollen! Auch giebt es in dieser Gegend der Stadt immer eine Menge Volts von allerhand Nationen: Viehhändler, 262 Schisssleute, Schiffszieher. Vielleicht haben es solche gethan, die schon längst nun zu Pferde, Oott weiß, wohin sind/' — Ich pries mein Glück imd bedauerte das Schicksal des armen Holzhändlers, deffen Todespfeil mir, ohne daft ich es wußte, so ,mhe vorüber gezischt war. Dieser Vorfall trug sich indeß, wie gesagt, später zu. Einstweilen, bei meinem ersten Besuche auf dem Taban, setzte ich noch meinen Weg von der Frau Vogbanowitfch fort und kehrte ein in einer Oräßlerei oder Grcißlcrei (so nennt mau in ganz Oesterreich gewisse kleine Kramladen, die mit Victualien und anderen unbedeutenden Gegenstanden handeln). Die Graßlenn war eine Deutsche, und an ihrem Hause stand geschrieben: „Dieses Haus steht in Gottes Hand und wird bei der Maria Leitherin genannt." Diese lleberschrift war deutsch, wie fast alle Ueberschriften der Häuser in der Raizenstadt; daher sagte auch memc Graßlerin - „Ja, die Raizen leben hier fast alle aus schwabischem Fuß." — Nichtsdestoweniger aber ist immer noch eine große nationale Abneigung und Rivalität, ja ein gegenseitiger Haß unter den Deutschen und Raizen zu bemerken. Diese nationale Abneigung zeigt sich besonders in der Kirche, welche hier die Raizen und die Deutschen ge? meinschaftlich haben. Es wird in dieser Kirche bald serbisch, bald deutsch gepredigt. Hier kommt cS mm oft zu Streitigkeiten vorzüglich bei den Processionen, wo bestandig die Raizcn vor den Deutschen und die Deutschen wiederum vor den Raizen den Vorrang 263 haben wollen. Sehr hausig haben die geistlichen und weltlichen Behörden solche Streitigkeiten zu schlichten. Es ist hierbei nämlich zu bemerken, was höchst merkwürdig ist, daß ein großer Theil der Ofener Serben, in früheren Zeiten von Franziskanern bekehrt, zur katholischen Kirche übergegangen ist, nicht etwa zur griechisch-unirten, sondern, wie gesagt, zur römisch-katholischen. Es ist mir kein zweites Beispiel eines solchen Uebertritts bekannt, und auch ein vielgereister Serbier versicherte mir, daß dieß die einzige römisch-katholische Kirchengemeinde von Serbiern sei. Es ist bekannt , wie fest sie sonst stets an ihren griechischen Glauben halten. Ich hatte nicht gedacht, daß sogar auch diese Regel nicht ohne Ausnahmen wäre. Meine Greißlerin sagte mir übrigens: „die Raizen jener Gemeinde wären viel gottesfürchtiger alö die Deutschen, beteten weit gewissenhafter und hielten viel strenger auf die Fasttage. Aber sie trinken auch weit mehr Branntwein als die Deutschen und sind naschhaft ; darum muß ich alle diese Vranntweinstaschen und Bonbons auch blos für die Raizen halten. Die Deutschen hier trinken nur Wein. Auch noch der Unterschied ist zwischen den Deutschen und den Raizen — hier in Ofen wenigstens — zu bemerken, daß der deutsche Hauer sparsam ist, sondern (siehe oben) der raizischc ist ein Verschwender, und wenn er einen baaren Gulden in der Tasche hat, thut er, als wenn er Illl) im Sacke hätte'. Daran kann man immer gleich den Deutschen und den Raizen unterscheiden." — Es interessirte mich, 264 die großen längst in wissenschaftlichen Vüchern festgestellten Nationalunterschiedc und die Urtheile, welche der germanische Stamm über den slavischen fallt, wo und wann er sich dem slavischen gegenüber sieht, auch in diesem Winkclgespräche der Ofener Greihlerin, dic doch nicht über den Zaun ihres Hauses oder wenigstens über die Mauern ihrcr Raizenstadt' blickte, in einem der entferntesten Lichtstrahlauslaufcr sich wieder rückspiegeln zu sehen. Maria Lcitherin war in Ofen, der ungarischen Hanptstadt, geboren und hatte hier 45 Jahre im Herzen des Magyaren-Reichs gelebt, und sie sprach, wie sie mir versicherte, doch nicht ein ster« bendes Nörtchen ungarisch. Es giebt noch viele solche Leute in Ofen und Pesth , die ebenso gnte Deutsche, aber ebenso schlechte Ungarn sind. Als ich noch ein wenig ill der Raizenstadt hln-und herging, traf ich auf der Spitze eines kleinen Abhanges des Vlocksberges einen Schweiuhirten, ebenfalls einen Serben, oder Srrbier, oder Raizen (dieß ist Alles Eins). Er lag bei seinen Schweinen und sagte mir, daß es slavonische seien, die er hier seinen Landsleuten verkaufe; seit langen Jahren sei hier seine Kundschaft groß. — Wir übersahen von unserem Stand-Vuncte aus das ganze Raizenquarticr und hatten nach unten hin eine Aussicht aits einem der auf verschiedenen Stufen des Verges stehenden Häuser und Höfe. Mein Gesellschafter bezeichnete mir ganz genau die Gränzen der Raizenstadt und die Straßen, wo das deutsche Terrain beginne. „Dic Straße da leidet sie schon nit 265 mehr," sagte er. „In jener sind sie noch; die da aber leidet'S auch nit." Uebrigens gilt dieß »ur von den gemeinen und unbedeutenden Serben, daß sie in so scharfe Gränzen eines Quartiers abgeschlossen sind. Wie bei nns die Nothschilde auch außerhalb der Iudenquartierc wohnen, so giebt es auch im Inneren von Pesth viele reiche Naizcn; auch in den Gasthöfen Pesths und überhaupt Ungarns findet man immer viele Serbier, die in Handels-Angelegenheiten, oder um ihre Verwandten zu besuchen, ^ im Lande herumreisen. So kam auch ich in meinem Gasthofe mit zwei serbischen „Großbojaren" (so hatten sie sich in's Fremdenbuch eingeschrieben) zusammen. Der eine war von obm bis unten schwarz, der andere vom Kopf bis zum Fuß roth gekleidet. Auch ein Paar serbische Damen, eine haßliche und cinc schöne, beide aber mit goldenen Mützen geschmückt, und beide, wie die Oesterreicher zu sagen Pflegen , „Millioneserinnen." Die jüngere, behauptete man, sei cinc Partie von 2 Millionen Gulden. Die Raizen haben, wie alle Orientalen eine Leidenschaft für die warmen PHder, und cö mag daher kommen, daß sie sich in diesem Theile von Ofen ihr Quartier genommen haben, wo von den 5 warmen Schwefelquellen, welche Ofen hat, allein 3 zu Tage kommen. Das VIocksbad, das Vrückbad und das Raizenbad befinden sich alle drei in der Raizenstadt. Nur'zwei dcr Ofener Päder, das Königsbad und das Kaiserbad, liegen nicht hier, sondern weiter ober- 366 halb an der Donau. Diese Bäder waren alle schon zu der Römer Zeiten bekannt und benutzt. Die Türke» aber, die, wie man sich denken kann, hier geschwelgt haben, thaten am meisten für sie, und ein großer Theil der Vadcgebäude ist noch in diesem Augenblick so, wie die Türken sie herstellten. Daö Vrüctbad ist das größte in der Raizenstadt. Man muß es oft besuchen, um das hiesige Volksleben kennen zu lernen '. denn die Leidenschaft für die Schwefelbäder ist von den Türken nnd Serbier» auf die Ungarn übergegangen, und eS giebt unter Bornehm nnd bering genug, die täglich zu diesem Vade pilgern. Es ist ein großes Gebäude, in dessen Innerem sich mehre Gehöfte befinden, die stets von Menschen wimmeln, welche in's Vad wollen, oder welche sich eben gebadet haben und nun in den Theatern und Kaffeehäusern sich gütlich thun, oder im Sonnenschein auf« und niedergehen. Die starke, ergiebige Schwefelquelle verbreitet sich in Röhren durch das qanzc Gebäude und sammelt sich in höchst prachtvollen, in mehr oder minder eleganten Vadestubcn und endlich in einem großen Baderaume, dem sogenannten Gemcinbade, das noch ganz so steht, wie es die Türken gebaut haben. Man kann hier Bäder haben, welche 2 Gulden die Stunde kosten, und im Gemein-bade sitzt man für wenige Kreuzer den ganzen Tag. Wir gelangten dahin durch verschiedene enge Gänge, an deren Ende wir in einen dämmerigen Raum traten. Anfangs sahen wir nicht das Allergeringste; denn eine trübe heiße Dampf-Atmosphäre umgab und verhüllte Alles. 267 Mmählig lernten wir das Sehen wieder, und es offenbarten sich unserem Auge viele nackte Gestalten in einem trüben Wasser sitzend und schwimmend. Dieses Wasser fließt in der Mitte des hohen und gewölbten Raumes, dessen Gewölbe von mehren Pfeilern getragen wird, in einem weite» Bassin zusammen. An den Pfeilern brannten einige trübe Lampen, nnd rechts und links führten durch das dicke Gemalter einige Gange zu zwei Fenstern, die spärlich das Tageslicht durchfallen ließen. Nllnd um das steinerne Bassin herum führte ein freier, ebenfalls mit Steinplatten gepflasterter Raum, und an den Wanden hin liefen steinerne Vanke; Alles triefte und blinkerte von Dampf« und Schwefelwaffer. Greise, Manner, Kinder, Weiber und Mädchen plätscherten im Wasser durcheinander, oder zogen sich in diesem oder jenem Winkel an oder aus. Die Knaben sprangen hinein und hinaus oder rutschten spielend und scherzend auf dem blanken und benaßten Marmorboden außerhalb des Bassins hin und her. Mein Begleiter sagte mir, er kenne einen Maler, der hier recht oft herkomme, um den menschlichen Körper zu studiren, und in der That sah ich, daß man gar nicht nöthig hatte, nach dem Oriente zu reisen, um den Stoff zu einem recht interessanten orientalischen Genrebilde zu finden. Ich hatte ihn nahe vor Augen. Ich war begierig darauf, wie sich unter diesen schwierigen Umstanden in diesen Vädern das tief in allen Menschen wurzelnde Schamgefühl verhalten möchte. 2m Ganzen sah ich, daß sich keiner um den anderen 268 bekümmerte. Jeder nahm für seine Kleiber einen kleinen Platz auf den trockenen Vanken in Anspruch, legte sie, in ein Bündel gepackt, bei Seite, ließ sich ruhig in's Waffer hinab und fing an sich zu bespülen und dann ganz still unter einem Pfeiler hinzusetzen. — Vor allen beobachtete ich ein recht hübsches, junges Madchen, das sich in einem entfernten, ziemlich dunkeln Winkel auszog; sie legte ihre Kleider ganz ordentlich zusammen, behielt nur ei» kleines Untcrröckchcn an, welches nicht alle hatten, ging ganz ungcnirt zum Vade und sprang in die heiße Suppe. Hier blieb sie unter einem der das Dach ballenden Pfeiler sitzen. Keiner der Männer kam ihr nahe; denn jeder wahrte die Oranzen ihres und seines Reviers. Nur einer — er mußte ihr Bruder oder Vrautigam sein, denn er war mit ihr zugleich ein« getreten — kam etwas naher herangcplätschert, als er uns Fremdlinge gewahr wurde ; wir mochten ihm für dieses Vad etwaö seltene Gaste und etwas zu neugierig erscheinen. Ich werde nie vergessen, wie sich das junge Mädchen ängstlich und scheu nach uns umsah, was wir bci'm Schimmer der Lampe, der auf sie herab' fiel, deutlich bemerken konnten, und wie das etwas finstere Gesicht ihres Bräutigams aus dem Wasser und Dampf heryortauchte lind sich zwischen uns und ihr postirte. UcbrigcnS glaube ich nicht, daß es gerade immer die sittsamsten Mädchen sind, welche hierher kommen. Nur mischt sich manclie dergleichen aus Armuth und aus Freude an« Vade darunter. Ein ganz ahnliches, aber, ich glaube, noch größeres 269 Vad ist das Kaistrbad, am äußersten. Ende der Stadt Ofen, unmittelbar an der Donau. Ich wandelte eines Abends zu ihm hinaus, um mir auch dort, wo noch mehr Orientalisches sich findet, das Leben anzusehen. In der Mittc dieses Bades findet sich eine Art von Garten, in welchem eine Bande musikalischer Zigeuner aufspielte, nn? wo die Badegäste, Eerbier, Deutsche, Ungarn, Juden, auch türkische Unterthanen, die oft alle Jahre von Weitem zu diese,» Bade hcrgereist rommcu und auch in den Vadehausern wohnen, hin-und herspazierten. Vs herrschten in diesem kleineu Gartengehöfte vornehmlich serbische und Wienerische Moden. Die Padccinrichtungen warm auch hier ungefähr so, wie im Vrückbade. Vor dem grosien gemeinsame» Vade war eine türkische Inschrift -. außer ihm giebt es auch noch 2 andere besondere türkische Bader. Die armen Leute zahle» 3 Kreuzer sür das Bad. Im Winter sind die Bader ebenso voll wie im Sommel', denn viele Arme benutzen dann die Gelegenheit, für diese 3 Kreuzer sich cm Mal recht durchwärmen zu können. Man sagte mir, und ich habe es auch irgendwo gedruckt gelesen, daß in der heißen Schwefelquelle dieses Nades Fische vorkamen, die aber im kalten Wasser abstürben. Ich habe mich im Bade selbst vergebens darnach erkundigt ; man wußte mir nichts von diesen Fischen zu sagen. Man versicherte mir aber, daß man wohl Frösche darin habe hüpfen sehen, d. h. an einer Stelle, wo die Quelle schon ziemlich abgekühlt sei. Sie tritt — 270 nämlich ans dem Bade in eine Mühle ein, die sie treibt, und fließt dann wenige Schritte hinter der« selbe» in die Donau, wo sir an ihrer noch immer etwas warmen Mündung die Weiber zum Waschen benutzen. Ich selbst sah am Rande des warmen Wassers die Pflanze, welche die Botaniker „I>)mpl>^2 tllermaii»^ nennen. Das Kaiserbad und die Mühle stehen gerade da, wo wieder schroffe Verge uahe a» die Donau heran» treten, und wo daher die Stadt Ofen, wie wir dieß schon oben bemerkt haben, auf einen sehr schmalen Raum »md auf wellige Häuser zusammengedrängt wird. Dieser Engpaß , jenseits dessen sich Ösen wieder zu demjenigen Theile enlfachert, der Allofcn genannt wird, wurde von den Türken mit einer Befestigung versehen, welche ein viereckiges Gebäude mit 4 runden, dicken Thürmen vorstellt. Dieses Fort gehört jetzt der ungarischen Kammer, und man hat es zur Errichtung eben jener Mühle benutzt, dere» Nader von der heißen Schwefelquelle getrieben werden, und die daher vor allen anderen Ofener Mühlen den Vorzug hat, daß sie ihre Arbeite» weder im heißen, trockenen Sommer, noch im kalten Winter zu unterbrechen braucht'. denn die heiße Quelle gefriert nie und kommt auch selbst im heißesten Sommer immer in gleicher Stärke aus dem Felsen hervor. Der Müller zahlt daher auch nicht weniger alS 6W0 Gulden Pacht. Er hatte eine etwas corpulente, aber schöne und angenehme Frau zur Gemahlin, die ihn »lit einigen noch schöneren Töchtern beschenkt 271 hatte. Ich denke mir in der Regel die Müllerstöchter schön und wurde hier wirklich nicht wenig in meinen» Aberglauben bestärkt. — Wir machten Bekanntschaft mit der Müllerfamilic und versprachen ihr gern, noch zu einem trauliche» Abendstündchen wiederzukommen, nachdem wir zuvor das nicht sehr weit von da gelegene mohamcdanische Vethaus besehen hätten. Ich hatte schon in verschiedenen Reisebeschreibungen kon diesem Vethause gelesen und gehört, daß es das Grab eines den Mohamedanern heiligen Mannes enthalte und noch bis auf den heutigen Tag der äußerste Zielpunct mohamedanischcr Pilgerfahrten nach Norden sei. Ich war begierig, welche Nachrichten ich darüber an Ort und Stelle würde einsammeln können. Die wenigsten Eingeborenen wissen selbst recht darum Bescheid und erzählen den: Reisenden allerlei fabelhafte Dinge. Es würden die Schlüssel zu jener Moschee in Konstantinopel aufbewahrt -. die Pilgrimme, welche von dort alle 2 Jahre kamen, würden von einer in Konstanti-nopel befindlichen Stiftung ausgerüstet, um am Grabe des Heiligen die üblichen Gebete zu verrichten, und ihnen gäbe man die Schlüssel mit. Wir erstiegen den Nerg, an dem noch einige Häuser Ofens sich hinaufziehen. Von der breiten Straße kommt man zuletzt auf Fußsteige, muß durch den Hof eineS Ofener Hauers (Winzers) Passiren und tritt dann unmittelbar hinter demselben auf eitle kleine Weln-bergstreppe, die bei dem Schweinestall des HauerS so dicht vorbeiführt, daß die zum Gebet eilenden Moha- 272 medaner ohne Zweifel Mühe haben muffen, ihre weiten Kleider vor einer Berührung mit diesen ihnen unreinen Thieren zu bewahren. Das heilige Gebäude selbst ist ein von soliden Steinen erbautes achteckiges Mausoleum, wie es alls den mohamedanischen Kirchhöfen gewöhnlich ist. Wir konnten nicht hinein kommen, weil die Thür geschlossen war; doch glaube ich, wäre es uns bei besserer Vorbereitung möglich gewesen; denn die Schlüssel dazu befinden sich nicht in Konstantinopel, sondern bei'm Magistrat in Ofen aufbewahrt, von welchem sie die Mohamedaner empfangen. Doch setzte uns die Winzers-frau, die uns begleitete, eine weiter an, und wir konnten durch die oberen vergitterten Luftlöcher in das schwach erleuchtete Innere blicken. Die Nandc waren weiß übertüncht und mit verschiedenen Gegenständen behängen, einem Schwerte, einem Dolche, einer Fahne, einem Lappen Tuch (wahrscheinlich einem Streifen von dem berühmten schwarzen Mantel der Kaaba) und anderen Sachen. Auch, sagte uns die Frau, hänge noch ein Stein darin, den wir von diesem Stantpuncte aus nicht sehen könnten. Derselbe sei halb durchsichtig wie Vergsalz und mit Sprüchen aus dem Koran beschrieben. Nicht weit davon, auf dem Gipfel desselben Verges, liegt eine christliche Capcllc. Der Mann, der hier begraben liegt, hieß Hadschi Gül Baba und soll ein ausgezeichneter türkischer Vaffa von Ofen gewesen sein, dessen Andenken hier nach seinem Tode verehrt wird. Hammer hat etwas über diesen Vassa geschrieben, das ich aber leider nicht zu lesen bekam. 273 Die Winzerin, eine ehrliche alte Deutsche, in deren Angaben wir kein Mißtrauen zu setzen Ursache hatten, und die den Pilgern bei ihren Gebetverrichtungen einige Dienste leistet, ihnen z. V. Wasser zum Waschen reicht, sagte uns, daß gewöhnlich in einem Jahre nur 2, 3 oder 4 lamen, daß aber dieses Jahr, man wüßte nicht, was die Ursache davon sein möchte, nicht weniger als 15 Wallfahrer da gewesen scien. Die meisten von ihnen schienen arme Leute zu sei». Zuweilen aber hätten einige anch einen Diener mit. Alle zögen sich, che sie in das Mausoleum einträten, die Schuhe aus. Die, welche einen Diener hatten, ließen sich auch von diesem noch außerdem die Füße mit einem kostbaren Weihrauch, den sie mitbrachten, einräuchern. „Alle, selbst die, welche noch nie da waren, wissen ganz gut im Mausoleum Bescheid; denn sie haben sich dieses Alles ganz genau in der Türkei beschreiben lassen. Wenn sie in die Thür eintreten, so setzen sie Fuß vor Fuß und messen aus, wo der Heilige mit dem Köpft liegt. Da fallen sie nieder, schlagen sich das Haupt auf den Boden und beten. Manche geberden sich so eifrig und gerathen dabei vor Inbrunst und Andacht und durch das Kopsschlagen so in Agitation, daß wir sie schon für todt hinausgetragen habe». Wenn sie einen Begleiter hatten, so rieb dieser sie dann mit Salben und brachte sie wieder in's Leben." Es sind diese Leute keinesweges alle aus Kon-stcmtinopel , sondern vielmehr aus verschiedenen Theilen des türkischen Reichs, aus Kleinasien, aus Syrien und I«. 18 274 sogar von der persischen Gränze her. Die meisten sind, wie gesagt, arm. Sie kommen zu Fuß in Belgrad an und gehen von da ebenfalls zu Fuß an der Donau hinauf von Ort zu Ort. Gewöhnlich kehren sie hier bei den katholischen Predigern oder in den Klöstern ein, die ihnen gastfreundliches Obdach und auch Unter-» stützung gewähren. Die meisten sind bescheiden und ordentlich; viele leben abcr auch unordentlich, machen Schulden und fallen der Stadt Ofen zur Last, die sie dann auf ihre Kosten bis zur türkischen Gränze bringen läßt. Einer dieser Pilgrimme, es sind meistens Derwische, wurde vor 7 Jahren auf dem Ofcner Schlosse bei'm Erzherzog Palatin eingeführt, und er ist daselbst in einem der Schloßgemächcr im Oelgemälde zu sehen. Es wnrde völlig dunkel, während wir noch auf dem Verge dieses Mausoleums, an welches sich, wie ich vergessen habe zu bemerken, die unabsehbaren Weingärten der Stadt Ofen anschließen, weilten und über den wunderbaren Wandel der Begebenheiten in Gedanken versunken waren. Während sonst die Türken, ihren Sultan an der Spitze, in furchtbaren Hecresmassen, Furcht und Schrecken verbreitend, die Donau heraufzogen, pilgern sie mm einsam oder zu zweie» als arme bettelnde Beter denselben Flnß aufwärts und erhalten gastfreundlichen Schutz von den Söhnen der Christen, die sonst ihre Sclaven waren. Sie kommen, um eine» Verwalter des äußersten Gränzgebiets ihres unermeßlichen Reiches auf den nördlichsten Gränzpfellern dieses Gebietes, den Ofener Gebirgen, im Gebete zu verehren. 275 Ich möchte wohl einmal die Gedanken und Worte eines jener eifrigen Pilgrimme, die man für todt wieder hinaus tragen muß, belauschen und wissen, ob nicht auch ei»: solcher Wunsch da zuweilen unterliefe, daß Allah dieses Land den Rechtgläubigen und dem Propheten Mahomed wieder zurückgeben möchte. Im Dunklen kehrten wir zurück zu unserer freundlichen Müllerin in dem alten türkischen Fort und machten uns ein Weilchen bei ihr heimisch. Sie erzählte, daß noch jetzt ein türkischer Derwisch hier sei, der sich schon mehre Wochen hier aufhalte. Er wohne im Kaiserbade, wie die meisten seiner pilgernden Landsleute dieß der warmen Bader wegen zu thun pflegten, und besuche sie alle Abende, wahrscheinlich weil ihr türkisches Fort in ihm einige heimische Erinnerungen erregte. „Vielleicht mögen ihm auch meine Töchter Wohlgefallen. Er ist außerordentlich gesprächig und erzählt unS immer allerlei Dinge vor, obgleich kein Mensch seine Sprache versteht. Am beßten versteht er sich mit meinen Töchtern -, sie machen ihm Zeichen hin und her, und er macht wieder Zeichen, und dann hilft er sich auch zuweilen mit einigen serbischen Wörtern, die er aus der Türkei mitgebracht hat; auch hat er hier schon zwei deutsche Worte gelernt, und wenn er hereinkommt, so fragt er zuerst: Wo Mutterlc? wo Vtutterle? (wo ist die Mutter?) Heute Morgen, wo ich auf dem Sopha saß und Kopsschmerz hatte, kam er auch wieder und fragte- Wo Mutterle? Meine Töchter wiesen auf den Kopf und sagten serbisch : v»1i! 18* 270 d»1i ? (thut Weh.) Er verstand dieß und rief i ^n! H>k! L»U ! und machte dann Zeichen, daß er zu mir geführt zu sein wünsche. Die Töchter wallten ihn nicht hereinlassen, aber er ließ nicht ab, „nd sie brachten thn, weil sie ihm den mitleidigsten Eifer ansahen. Er machte Zeichen, daß er mich luriren wolle, und ich überließ mich ihm. Zuerst streifte er sich die langen Aermcl m die Höhe und griff dann mit den Händen auf den Vodcn, indem er über meiuen gauzen Körper hinfuhr, als wollte er mich magnetistren. Darauf drückte er mir mit seinen mageren, knöcherigen Fingern mehre Mal die Schlafe, griff wieder auf die Erde, und ich befand mich wirklich wohler." — (ES ist bekannt, daß die Türken vom Magnetismus bei ihre» Kuren in der That Gebrauch machen.) — „Als er hier ankam, hatte er sehr schlechtes und zerrissenes Schuhwerk an. Meine Töchier sagten ihm, das sehe sehr häßlich aus, und gleich am anderen Tage kam er mit schönen, gelben Papufchen an, die er sich gekauft hatte; denn an Geld fehlt's ihm nicht. Ich glaube, er hat wohl an 159 Dllcaten in seiner Mütze stecken, die großen Goldstücke oben im Gipfel der Mütze unter dem Unterfutter, die kleinen unten am Rande. Auch hat er sonst noch in den Kleidern Geld verborgen. Er sagte, dieß ware in seinem Vaterlande immer so, daß sie all ihr baareS Geld, in Mütze und Kleidern verborgen, mit sich herumtrügen. Darmn wäre auch einmal ein großer König in Persien, als er in Gelduoth gewesen, auf folgenden Einfall gekommen. Er habe 277 in seiner Hauptstadt bekannt machen lassen, daß er Men Armen, Bettlern, Derwischen »nd sonst Jedem, der es wünsche, ans semer Ueberfülle königlicher Gnade für ihre alten zerrissenen Kleider neue, schöne, seidene geben wolle. Die ^eute seien darauf in großer Menge herbeigeströmt, um die Kleider zu empfangen. Die Beamten des Königs hatten sie aber gezwungen, zuvor ihre alten Kleider sofort, so wie sie waren, auszuziehen und abzugeben. Das Schreien dagegen hätte nichts geholfen, und schön gekleidet, aber ohne ihr Geld, das sie in dcn alten Kleidern versteckt, wären die Leute nach Hause gegangen. Der König aber hätte alle die alten Lumven auf einen Haufen werfen und anzünden lassen und hatte einen ungeheueren Goldschatz daraus heruorgeschmolzen." Derselbe Derwisch, nachdem er seine vorschriftsmäßigen Gebete in dem Mausoleum verrichtet, wollte vor einiger Zeit, angezogen von dem großen Rufe der Stadt Vetsch, bei dieser Gelegenheit sich diesen Ort ansehen, um seinen Lanvsleuten am Euvhrat oder am Jordan davon erzählen zu können. Aber leider verdarb ihm diesen Plan die österreichische Granzpolizei. Vr lief mit seinem türkischen Paß wirklich eines Tages zu Fuß davon und kam nach mehrtägigem Marsche an der österreichischen Gränze wenige Meilen vor Wien an. Weil aber das in der Militärgränze ihm gegebene Visum nur auf Ungarn und nicht auch auf Wien lautete, so wiesen sie diesen armen, unschuldigen Derwisch aus eigensinniger Anhänglichkeit an ihre Paßgesetze 278 unbarmherzig zurück, und so kam er denn ganz betrübt und abermals mit zerlumpten Papuschen in Ofen lvieder an. — Mein Gott, welche irgend denkbare Politische Befürchtung tonnte man denn hier statuiren, bei diesem Derwisch, der in Angelegenheiten eines vor so und so viet hundert Jahren verstorbenen Vassa reis'te! Die Wirthshauser und das Easino von Pesth. 2ch muß gestehen, baß ich schon mehre Tage in der Königin von England wohnte und mich daselbst sehr wohl befand, ohne daß es mir eingefallen war, dieses Hans in seiner Organisation mir näher anzusehen, es mit der der übrigen Gasthöfe Pesth's zu vergleichen und dann auch wieder diese alle mit den Hotels von Wien und anderen Städten in Vergleich zu stellen. Und doch ist es gewiß nicht uninteressant, namentlich bei einer so aufstrebenden, so nach Verkehr und Fremdenbesuch begierigen Stadt wie Pesth, diesen Gegenstand näher in Betracht zu ziehen. Die Entstehung einer unzähligen Menge von guten, ja prachtvollen Gasthöfen in ganz Deutschland, die in den letzten Friedensdecenmen in Folge des ungeheuer vermehrten Verkehrs eingetreten ist, ist eine Erscheinung, die mich oft in Verwunderung setzte. Doch muß ich sagen, läßt das, was Pesth in dieser Beziehung in den letzten 20 Jahren für Fremde gethan, sich durchaus 280 nicht mit dem, was in irgend einer anderen deutschen Stadt geschehen ist, vergleichen, denn es übertrifft ohne Zweifel Alles. Die Großartigkeit der Pesthcr Gasthöft erscheint um so bedeutungsvoller, wenn man damit das vergleicht, was hier »och vor wenigen Iahrzehcnten bestand, und man findet darin theils neue Maßstäbe für das, was diese Stadt bereits geworden ist, theils Anzeichen und Wegweiser für das, was sie noch werden will. Ofen kommt hierbei gar nicht in Betracht, denn obgleich cs auch dort nicht weniger als 20 Gasthöft giebt, so laßt sich doch kein einziger unter ihnen den vornehmsten in Pesth an die Seite stellen. Diese letzteren aber sind „dic Königin von England,"— „das Iagcrhorn," — „der Palatin," — „die sieben Kurfürsten," — „das weiße Schiff," — „der König von Un« gärn" und andere, etwa im Ganzen ein Dutzend, vor allen Dingen aber „der Tiger," der in seiner jetzigen neuen Gestalt erst in diesem Jahre (1841) eröffnet wurde und allen die Krone aufsetzte. Ich muß gestehen, daß, was Planmäßigkeit der Einrichtung und Großartigkeit des ganzen Zuschnitts betrifft, diese Gasthöft ohne alle Widerrede selbst die meisten in Wien übertreffen. Wenn man einen beschrieben hat, so hat man sie alle beschrieben, denn sie gleichen sich alle und sind nur darin verschieden, daß der eine dasselbe in größerem Glänze und mit mehr Lurus zeigt als der andere. Es würde mir nicht einfallen, bei Beschreibung einer deutschen Stadt vor allen Dingen auch ihre Gasthöfe detaillirt zu schildern, aber, wie gesagt, bei Pesth, zwei Tagereisen von 281 der türkischen Gränze ist schon Vieles weit merkwürdiger und beachtungswerther, unter Anderem auch deßwegen, weil es weit weniger bekannt ist. Asse Pesther Gasthöse erster Classe sind große, palastartige, in einem Quarre' gebaute Gebäude, die ge< wohnlich zwei Einfahrten haben, eine von hinten und eine von vorn, so daß die Reisenden sogleich mit ihren Wagen nnd Effecten unter Dach und Stall kommen können. In jedem giebt es zwei Speisesale, einen im unteren Stock und einen im oberen. Jener ist halb im Freien auf dem Gehöfte und wie ein Garten mit Blumen geschmückt, der obere aber ist ganz im Hause und wird von den vornehmeren Classen besucht. In dem unteren läßt sich gewöhnlich Abends wie Mittags Musik vernehmen, eine Annehmlichkeit, die man in den Gast« Höfen vieler unserer Städte schmerzlich vermißt. Die Speisesale in dem neuesten Gasthofe, dem Tiger, sind in ihrer inneren Einrichtung so prächtig und schön, daß ich in Paris durchaus nichts Besseres erwarten würde- Mit iedem Gasthofe ist im unteren Stocke auch ein Kaffeehaus verbunden, das an Journalen Alles, was Man m Pesth billiger Weise verlangen kann, d. h. die meisten ungarischen nnd viele deutsche Journale (durchweg auch die allgemeine Zeitung), darbietet. In keinem dieser Gasthöfe vermißt man eine alle Zeitabschnitte des Gasthauslebens regulirende Uhr, die im Inneren deö Gehöftes aufgestellt ist. Zimmer und Zimmersuiten findet man so geräumige und glanzvolle, wie nur der Beutel sie zu bezahlen vermag, und die Güte der Küche 282 läßt, wie meinem unparteiischen Gaumen es schien, nichts zu wünschen übrig. Die innere Einrichtung ist in viclcr Hinsicht so brillant, wie man dieß anderswo zum theil gar nicht einmal haben kann -. z. V. sind in der Regel die breiten, hellen Treppen durchweg von Marmor. Uebrigens sind, wo es nur irgend möglich war, die ungarischen Nationalfarben angebracht. Diese ungarischen Nationalfarben sind Noth, Weiß und Grün, — Grün von dem Grashügcl, auf dem die ungarischen Könige bei ihrer Krönung das Schwert schwenken, und der auch im ungarischen Wappen aufgenommen ist, Weiß von dem Silber ver im Wappen mit vier Strichen bezeichneten Haupt» ströme des Königreichs (der Donau, Theiß, Sau und Dräu), und endlich Roth wahrscheinlich von der Grundfarbe des ungarischen Schildes als Anspielung auf den königlichen Purpurmantel. In diese Farben nun steht man jetzt in Pesth die Strahlen der Sonne überall sich zerlegen. Auf Grün, Weiß und Roth sitzt man, Stühle, Divans und Sophas sind damit überzogen, mit Grün, Weiß und Roth verhindert man den neugierigen Helios, in's Fenster zu blicken, — in Grün, Weiß und Roth sind die Domestiken in mehren öffentlichen Hausern gekleidet (z. V. die Diener der Pesther Schießgescllschaft, welche die Zielscheibe beaufsichtigen). Ucberhaupt wird überall und namentlich eben auch in den Gast- und Kaffeehäusern dem Patriotismus gehuldigt und in Farbe, Form, Wort und Vild an dem Vaterlande theuere Gegenstände erinnert. Die ungarische 283 Krone, das ungarische Wappen, den ungarischen König haben sich mehre Wirthshäuser, Kaffeehäuser und Ver-kaufslocale zum Allshängeschilde gewählt. Auf einem Wirthshause sieht man die ungarische Krone abgemalt, wie sie von zwei Gngeln schwebend in der Luft gehalten wird. Laßt man in einem Kaffeehause ein Rouleau herunter, so entdeckt man auf einmal in der Mitte desselben einen rothen Schild mit vier weißen Streifen dargestellt, darüber einen grünen Hügel und ein doppeltes Patriarchenkreuz darauf gepflanzt. Es ist das ungarische Wappen, und dasselbe wiederholt sich auf allen Rouleaur des ganzen Kaffeehauses. „Zum Zriny," „zum Palatin," „zum König Mathias" sind andere patriotische Nirthshauöschilder und Zeichen. Von D6ak Ferenz (Franz Deak), dem berühmtesten Deputirten auf dem letzten Landtage, von Wesseleny, Bezeredy, ebenfalls Reichstagsrednern und Patrioten, von Kolsey Ferenz (Franz Koltschey), einem ausgezeichneten Dichter, von den Grafen Szecheny, Erdödy, Vathyany. Pasmandy und anderen verehrten Männern sieht man die wohlgetroffenen Portraits »m allen Wanden hangen, und die geheiligten Buchstaben I81"^N (Stephan, der Heilige, der erste König von Ungarn) erblickt man an nationalen Festtagen (z. V. am Stephanstage) umkränzt und illu-minirt in den Gehöften der öffentlichen Häuser erglänzen. Auf dem öffentlichen Schießhause der Pesther Bürger war es mir interessant an de» Scheiben, die dort seit einer langen Reihe von Jahren aufgehängt sind, den Zeitpunct ausfindig zu machen, wo jenes Interesse für 284 die ungarischen Nationalfarbcn dort zuerst erscheinen mochte. Ich bemerkte, daß allc Scheiben seit dem Jahre 1829 auf irgend eine Weise die Farben Weiß, Roth und Grün in sich einhielte!?. Auf der einen waren sogar zwei Engel, die ich weiß nicht mehr waö emportrugen, mit Weiß, Roth und Grün geschmückt. Die Wirthe in Pesth, wie überhaupt in ganz Ungarn, sind bekanntlich Deutsche, und alle Kellner bis an die türkische Gränze und bis jn die Walachei hinein aus der großen Wiener Schule hervorgegangen. Die Ungarn sind theils zu stolz, theils auch zu ungeschickt dazu, um die dienstbeflissenen und aufmerksamen Wirthe zu machen. „Sie sind gar zu gleichgültig," sagte mir ein Wiener Ober« kellner, „und nicht so menschenfreundlich wie die Deutschen. Auch getrauen sich die hiesigen nicht, eine Wirthschaft zu unternehmen, sie denken gleich, sie müssen zu Grunde gehen. Eine hohe Stelle in einem Wirthshause hat ein Magyar nicht. Nur höchstens haben wir für die Leute der geringeren Classe, die nicht deutsch sprechen, einige im Dienste." — Auch sind daher die Speisezettel und Rechnungen in allen „Vno8 AeFia«") und theilt diese, Wie es in einer ungarischen Statistik heißt, „mit anständigem Pompe" den um den Thron versammelten Ständen mit. Diese Propositionen nehmen nun die beiden Tafeln, die der Magnaten und Prälaten und die der Ritter und Städte, in Berathung, streiten, reden und fechten darüber hin und her und berathen zugleich damit auch ihre „Beschwerden" („«i-avsmin»"), welche sie den königlichen Postulaten gegenübersctzen könnten, — geben sich von ihren Beschlüssen untereinander Nachricht und halten so lange „Zezsiones mixwe," in denen alle Stände vereinigt sind, und „nou mixtae," bis Alles, oder doch die Majorität darüber einig ist, was auf die königlichen Postulate geantwortet werden solle, und welche (^r»vmnio» man ihnen entgegensetzen möge. — „Bei allen diesen Verhandlungen," bemerkt ein geistreicher ungarischer Schriftsteller, „haben die Deputirten der Städte noch nie Glück oder Unglück über ihr Vater-» « 299 land gebracht". Gin Hanvthinderniß ist auch, daß sie meist Deutsche sind und sich der ungarischen Sprache nicht geläufig genug zu bedienen wissen. Wenn der König und die Stände nun nicht einig .sind, — und dieß ist wenigstens zu Anfang der Landtage gewöhnlich der Fall, — so folgen unzählige Tractate, Resolutionen und Repräsentationen zwischen beiden und natürlicherweise immer wieder dazwischen einfallende Verathungen und Verhandlungen , Besprechungen und 8el,8iones mixta« und separatas der Stände, — biö sich Könia, und Stande endlich einen. — Puncte, über welche sie sich nicht einen können, werden bis auf den nächsten Landtag aufgeschoben. Am Ende des Landtags werden die sämmtlichen Postulate und Gravamina, über welche König und Stände einig wurden, zu einer Schrift zusammengefaßt, welche heißt' „Die Artikel der Herren Prälaten, Barone, Magnaten, Ritter und der übrigen Stände." „^rticuli Dumiiwi-llin pr^Ätoruni, Laranom, Älassnatum et Kobiinlin c»eteror,imh,i6 ,,. s. w." (Dieses „^tcaetera^ bedeutet die 12,000,000 Ungarn, welche nicht Edelleute sind.) Diese Artikel werden vorgelesen und dem Könige mit geziemender Ehrerbietung zur feierlichen „General-Genehmigung" eingereicht. Der König unterwirft nun, bevor er sie bestätigt, diese Artikel in seiner Hofkanzlei noch einmal einer Revision (^ontestatio). Wird dabei Alles richtig befunden und ist endlich 300 Alles in's Reine gebracht, so läßt der König die ihm überreichten Artikel abermals in eine neue Form bringen, und zwar in dic eines Decretö, in welchem er ihnen seine General - und Special-Sanction ertheilt und versichert, daß er sie acceptirt, apvrobirt und confirmlrt, und daß er sie sowohl selbst beobachten als auch von Anderen beobachtet wissen will. Diese Decrete nun (Decreta «erenissimarilin et nposwiicoi-uu, etc.) werden, mit dem große» königlichen Siegel versehen uno unterschrieben, den Reichöftänden mit eben dem Pompe, mit welchem sie die königlichen Propositionen empfangen hatten, übergeben. Darnach werden diese Decrete in allen Comitaten publicirt und haben vom Tage dieser Kundmachung an Gesetzeskraft. — Auf diese Weise nun ist durch ein mühseliges, weitläufiges und geschaftrciches Verfahren jeneS Buch entstanden, das ich damals auf dem Casino in Händen hielt. Auf keins von allen Büchern im Casino freute ich mich aber jedes Mal so als auf die Schriften des Grafen Szcchenyi, und ich ging, wenn ich zu ihnen griff, was ich mir stets bis zuletzt aufsparte, wieder zu den besagten 20 Pfeifen, nahm mir eine frischgestopfte herunter und setzte mich von Neuem in meinem prächtigen Lehnstuhl zurecht. — Dieser unermüdliche, edle und berühmte Mann, der schon so viele treffliche und nützliche Dinge für sein Vaterland in's Leben gerufen hat, der die Dampfschifffahrt begründete, der Wege an der unteren Donau bei der türkischen Gränze baue« ließ, der ein 301 Haupttheilnehmer an der Begründung der Pcsther Gelehrten-Gefessschaft, an dem Casino, ja fast bei jedem für sein Vaterland nützlichen Institute war, — denn man kann fast keines nennen, ohne auch des Grafen Szechenyi vor allen Dingen dabei zu erwähnen, — dieser Mann, sage ich, hat auch noch nebenher immer Zeit gefunden, eine Reihe von Werken zu schreiben, welche ebenfalls die Tendenz hatten, sein Vaterland zu reformiren, oder doch auf solche nöthige Reformen hinzuweisen. Die meisten dieser Werke sind auch in's Deutsche überfetzt. Das erste und berühmteste heißt.' „Der Credit" (ungarisch „Nitel," sprich.- „Hittel"). Unter diesem Titel handelt es von allen ungarischen Zuständen, von der Heiligkeit der Pflichten, vom Ackerbau, vom Wei»' bau, vom Weinhandel, vom Handel im Allgemeinen, von dem Straßen- und Wegebau, von der Dampfschiff« fahrt, überhaupt von allen Dingen, deren bessere Cin< richtung der ungarischen Nation in der Welt mehr Credit verschaffen könnte- Ein zweites Vuch vom Grafen Szechenyi heißt: „Das Licht" oder berichtigende Bemerkungen zum ,,Uitel". Der Hitel hatte nämlich in dem Grafen I of. De sew fy einen Gegner gefunden, der dagegen seinen „^»glaiat" (d. h. Zergliederung oder Kritik) schrieb. Auf diesen „I'aßlnwt" war denn wieder „das Licht" die Antwort. Leider habe ich nur diese Schriften des berühmten Grafen gelesen, aber ich muß sagen, ich war erstannt, vor allen Dingen über — die Landsleute des Grafen, 302 die solche Dinge lesen können, ohne sich zu erzürnen, die solche Gedanken und Aeußerungen nicht nur zu ertragen fähig sind, sondern auch noch den Verfasser derselben loben, in den Himmel erheben, zu einem berühmten Manne machen, als einen liberalen Patrioten auf den Handen tragen und sein Portrait in ihrem ganzen Vaterlande in ihren Cabineten und Schlafzimmern aufhängen. Denn in der That ich hätte sie keineswegs für fähig gehalten, solche ausgezeichnet scharfsinnige, freimüthige und treffende Wahrheiten anzuhören und zu Herzen zu nehmen, wie der Graf sie auöspricht. Ich hätte nicht geglaubt, daß es Jemand wagen könne, in Ungarn, ich will nicht sage», gegen die österreichische Regierung, sondern gegen die national ungarischen Vorurtheile, Gewohnheiten und Sitten so unumwunden und freisinnig beredt zu sprechen. Cs kam mtr in der That bei der Lectüre dieser Schriften immer so vor, als läse ich etwas aus der Zeit des Demosthenes, oder als hörte ich einen Patrioten der römischen Republik, der die Sitten des Volks und die Uebelstäyde des Landes angriff. Ich muß gestehen, daß ich allerdings Vieles in Ungarn gesehen habe, was mir mißfiel, aber ich muß zugleich auch gestehen und thue es mit Freuden, daß mir nichts in Ungarn vorgekommen ist, was so sehr für die im Ganzen edle Gesinnung und große Vildungö-fähigkeit dieser Nation zu sprechen scheint, als auf der einen Seite die Freimüthigkeit, mit welcher der Graf Szechenyi, Kossut und Andere, ich will nicht sagen, ein- «03 zelne Mißbräuche, Uebelstande und Perfassungsgebrechen getadelt, sondern mit welcher sie geradezu die Schattenseiten des Charakters und die Sitten ihrer Landsleute eruirt und der Nation, so zu sagen, recht mitten in den Busen gegriffen haben, und auf der audereu Seite der Veifall, mit welchem die Nation im Allgemeinen die Schriften dieser Herren aufgenommen hat lind noch auf» nimmt. Keineswegs sind, wie ich das auch schon andeutete, diese Herren, welche als eifrige Patrioten das Gedeihen und den Forlschritt ihres Vaterlandes wünschen, unter sich einig. Vielmehr kann man sagen, daß fast keiner mit dem anderen ganz von derselben Farbe ist. Dlc Grafen Desewfy, sowohl der kürzlich verstorbene junge edle Aurel als sein Onkel, der Graf Joseph, der den „I^lalat" schrieb, sind große patriotische Aristokraten, dabei aber doch Patrioten und Freunde des Fortschritts in der Weise, daß die ungarische Verfassung noch als eine rein aristokratische in dem Sinne der alten Ver-fafsungselemente der Väter sich festige und entwickele. Herr von Kossut ist in anderer Weift Patriot. Er wünscht liberalen Fortschritt. Er sagt ungefähr dasselbe, was der Graf Szcchenyi in seinen Werken sagte, nur spricht er es nicht in umständlichen Werken aus, sondern in seinem weitverbreiteten, Jedermann zugängliche»! Journale, dem Hirlap. Hierüber ist er nun oft mit dem genannten Grafen, obgleich er im Ganzen mit ihm einerlei Meinung ist, in einen Streit gerathen. Dieser hat in einer Brochure nicht sowohl die Grundsätze Kossut's als 304 vielmehr seine Art und Weise, sie vorzutragen und an allen Orten durch sein Journal bekannt zu machen, getadelt. Dieser litcrarische Streit oder diese politische Con« troverse zwischen Szechcnyi und Kossut war gerade damals, als ich in Pcsth war, der Gegenstand des allgemeinsten Interesses und des Tagesgesprächs. Von der Brochure des Grafen Szechenyi wurden in kurzer Zeit zwei bedeutende Auflagen gemacht und vergriffen, und ich blieb noch gerade lange genug, um die Antwort Kossut's, in welcher er gegen den Grafen seine eigene Weise, die Sache des Vaterlandes vor dem ganzen großen Publicnm zu verfechten, als die richtigere und zweckmäßigere vertheidigte, zu vernehmen. An allen Straßenecken Pestys sah ich damals auf rothem und gelbem Papiere diese Brochure Kosfut's angekündigt. (Antwort an den Grafen Stephan Szechcnyi von Lud« wig Kofsut), und es ging von Munde zu Munde herum.-„Wag enthält denn der Felelet von Kossut? Haben Sie schon Kossut seinen Felelet gelesen?" Vei uns in Deutschland haben wir gar keinen Ve< griff von diesem Treiben und von dieser Behandlung der patriotischen Angelegenheiten, wie man es in Pesth gewahrt. Nur in Paris oder Brüssel sieht man etwas Aehnliches wieder. Dabei ist zu bemerken, daß keineswegs das Pnblicum, das sich für diese Sachen interes-sirt, so klein ist, wie allein schon aus der Anzahl der Subscribenien zu den Journalen (der Hirlap soll 4000 Ciemplare absetzen) und aus den Facten hervorgeht, «05 daß von solchen Vrochuren, wie die obige, Auflagen von mehren Tausend Exemplaren gemacht werden. ES giebt viele Puncte, worin alle Ungarn, sie mögen sein von welchem Stande sie wollen, mit einander einig sinv, und wenn auch diejenigen unter ihnen, die dem schwach« berechtigten dritten Stande angehören, nicht selbstthätig auf der Vnhne mit agiren, so lesen sie doch desto eifriger «md sind für oder wider Partei nehmende Zuschauer. ««. 20 Die gelehrte Gesellschaft und die ungarische Sprache. Am Mittelalter nannte man Pesth nicht anders als eine I'entonlca urb», und noch vor zwanzig Jahren war es eine vollkommen deutsche Stadt, und es war daselbst in der gebildeten Gesellschaft uon Ungarisch gar nicht die Rede. In den Wirthshausern, in den Kaffeeschenken, auf den Vallen und Nedouten, im Inneren der Häuser, überall hörte man nichts als Deutsch. Ja diejenigen Magyaren selbst, die nur sehr schlecht deutsch redeten, bemühten sich doch die wenigen deutschen Redensarten aufzutischen, deren sie machtig waren. t?s gab nicht nur viele ungarische Deutsche, sondern auch ungarische Magnaten, die gar nicht einmal ihre Muttersprache verstanden. Ja sogar noch im Jahre 1825 gab ein Pcsther Buchhändler ein ungarisches Lcrikon heraus, das nur sehr langsam und schwer verkauft wurde. Da auf einmal aber singen die Töne der ungarischen Sprache ail zu erklingen. Man hörte sie mehr und mehr, und die Stärke ihrer anschwellende» Fluch nahm so zu, daß W7 sie nuil laut und drohend die lateinische, die deutsche und die slavische Sprache umwogt und zum Theil schon hier und da verdrängt hat. Eben jenes, im Jahr 1825 herausgegebene Lerikon, von dem innerhalb drei Jahren nicht gar viele Exemplare «erkauft werden konnten, ging im Jahre 1828 auf einmal ganz ab, und eine neue Auflage, die man machen mußte, wurde ebenfalls in sehr kurzer Zeit völlig vergriffen. Zur Zeit der Regierung des Kaisers Leopold II., also vor 50 Jahren, hatten die Ungarn nicht einmal einen Lehrer ihrer Sprache und Literatur au der Pesthcr Universität. Erst im Artikel 16 des Landtagsbeschlusses von 1790 bitten sie den König: „ut in l^ulnasüs, ^ea8 l'rop»get„r et expnüetiir." Und ohne Zweifel hatte schou gleich nach diesem Vor« schlage der MagyarisirungZeifer seine jetzige Höhe erreicht, wenn nicht die französische Revolution und Napoleon dazwischen gekommen wären. Der von Joseph II. gegebene Stoß konnte daher erst später nachwirken, wirkte nun aber um so stärker nach, da Napoleon's Feldzüge alle Nationen und Staaten Europas aufgeregt und sie ihre Stärke und Selbstständigkeit hatten fühlen lassen. Der Enthusiasmus für das Magyaren-thum steht nicht vereinzelt in Europa da. Er entstand zu gleicher Zeit mit der Begeisterung in Deutschland für das Deutschthum und namentlich auch, was fast noch wichtiger ist, mit der Begeisterung der Slaven für das Slauenthum. Wenn Joseph II. den ersten Anstoß gab zur Erweckung des Magyarismus, wenn Napoleon diesen Anstoß verstärkte, indem er die schlummernden Kräfte aNer Nationen Europas weckte, so gab ihm nun endlich der sogenannte PanslavismuS seine ganze jetzige Richtung. Die Magyaren, als verlorene Posten mitten im Slavenlande, rund herum von slavischen, wie sie mit Recht oder Unrecht vermuthe», verbrüderten und unter einander verschworenen Nationen umgeben, glauben, daß 9M sie ihre bedrohte Nationalität und bristen; dadurch am beßten sicher» können, daß sie ihre Sprache und damit auch ihre Denkweise und Sitte allen den Slaven, die innerhalb der Gränzen ihres Königreichs wohnen, auf-« dringen. Die österreichische Regierung scheint in neuerer Zeit, wo sie den Philomagyarcn immer mehr Zuge-» standnifse gemacht hat, mehr oder weniger in ihre Ideeen eingegangen zu sein. <5s ist bekannt, daß der Kaiser Arnulph vor etwa 1000 Jahren gegen das große ihm lästige Slavenreich die Magyaren zu Hülfe tief. Und diese Stellung, als »lit den Deutschen verbündete Hülfsvölker gegen das Slaventhum, nehmen die Magyaren noch ein, und jetzt, wo wieder ein großes Slavenreich zur Existenz gekommen ist, mehr als je. Die Sprache der Ungarn war indeß bisher immer noch zu wenig ausgebildet, um sie anderen Nationen wenigstens einigermaßen annehmbar zu machen. Es war nichts oder wenig Bedeutendes in dieser Sprache ge« schrieben. Ja sie hatte eigentlich nie eine literarische Vlüthezeit, selbst nicht in entschwundenen Jahrhunderten, wie z. V. die böhmische und andere slavische Sprachen, auf-« zuweisen. Es konnte daher nichts den Zweck der Patrioten mehr fördern als die Stiftung einer ungarischen Gelehrtengesellschaft, welche, alle bedeutenden vaterlandischen Talente in ihrem Schooße einigend, es sich zum nächsten Ziel stellte, durch grammatikalische und philologische Forschungen, durch Ausarbeitung ungarischer Grammatiken und Wörterbücher, durch Herausgabe einer literarischen Zeitschrift, durch Veranlassung der Abfassung 310 ungarischer Werke mittels Prämien und durch Aufstellung von Preisfragen, derm Beantwortung für die Ungarn interessant wäre, die ungarische Literatur zu befördern und die Sprache zugleich auszubilden und auszubreiten. Nach mehren verunglückten Versuchen kam diese Gesellschaft endlich im Jahre 1825 zu Stande und zwar binnen weniger Minuten auf dem Landtage. Der von uns schon oft genannte edle Patriot, der Graf Szechenyi, gab den Ausschlag, indem er 60,000 Gulden C. M. zur Begründung dieser Gesellschaft aus seinem Vermögen hergab und dadurch sogleich auch andere Patrioten zu ähnlichen auf dem Altare des Vaterlandes dargebrachten Opfern vermochte. Die Gesellschaft bekam einen Präsidenten, dirigirende, ordentliche, correspon-dirende und Ehrenmitglieder und hat deren in diesem Augenblicke 150. Sie verfügt jetzt über ein Capital von 400,000 Gulden, besitzt eine bedeutende Bibliothek und ist seit' 15 Jahren in voller Thätigkeit der Sprachausbildung und der Literaturbeförderung. Viele philologische, dichterische und historische Werke wurden bereits durch sie hervorgerufen und die beßten unter ihnen mit bedeutenden Prämien gekrönt. Es ift diese Gesellschaft also das in Ungarn, was die französische Akademie für Frankreich ist. In dem großen Sitzungssaal« der Gesellschaft hängt ein großes Gemälde, auf welchem in Oelfarben die Idee der Gesellschaft auf folgende Weise versinnbildlicht ist. Im Vordergründe steht eine schöne weibliche Göttergestalt (etwa Minerva), die eine Trinkschale in der 311 Hand hält. Hinter ihr zeigen sich die pannomschcn Ebenen, und im äußersten Hintergründe dämmern unter einer trüben Wolkenbedeckung die hohen Gebirge hervor, welche diese Ebenen umschließen. Von allen Seiten kommen von den Gebirgen die Adler herangeflogen, — „es sind die rohen scythischen Adler," sagte mir ein Ungar, „wir haben uns selbst damit gemeint," — um von dem kostbaren Tränke ans der Schale der Göttin der Sprachrcinheit, der Bcredtsamkeit und Poesie zu genießen. Einer schwebt schon nahe über der Schale, mehre sieht man hinter ihm noch aus dem trüben Dämmerlichte der Ferne hervortauchen. — Mir scheint, daß die Ungarn in diesem Bilde, zu welchem sie selbst die Idee gegeben, sich eben nicht sehr geschmeichelt und sich, beinahe allznbescheiden, eben kein großes Selbstlob ertheilt haben. In dem Vorzimmer dieses Saales zeigte man uns auch das Bild deö Grafen Szechenyi, dieses edlen und unermüdlich thätigen Patrioten, der fast alle neuen Unternehmungen für das Wohl seines Vaterlandes entweder geradezu zunächst selbst dirigirt oder doch mit seinen großen Mitteln unterstützt hat. Gs ist das gelungenste Portrait von ihm, daS ich gesehen habe, von Amerling in Wien gemalt, und ich wollte, daß ich diese kräftigen, männlichen Züge, diese lebhaften Augen, diese markirten, buschigen, oberhalb der Nase etwas zusammengezogenen Augenbrauen und überhaupt den ganzen energischen edlen Ausdruck so wieder auss Papier bringen könnte, wie Amnling sie mit Farben auf die Leinwand brachte. 312 Es würde ein interessanter Veitrag zur Physiognomik des ungarischen Volkes sein. Jeder Ungar weiß diese Züge jetzt auswendig, denn es giebt in Ungarn keinen Mann, dessen Nildniß in den ungarischen Wohnungen und in den Herzen der Ungarn so allgemein verbreitet wäre, wie Szechenyi. Ich wünsche nichts mehr, als daß sein Vild noch recht lange im Vor-« zimmer der ungarischen Gesellschaft bleiben möge, denn man hat das Gesetz gemacht, daß die Portraits lebender Mitglieder nie in dem Saale selbst ausgehängt werden sollen. Die ungarische Gesellschaft hat auch vor allen Dingen ihr Augenmerk auf die dramatische Literatur gerichtet und uiele Uebersetzungen deutscher und französischer dramatischer Werke, sowie auch einige Original-Productionen veranlaßt, und dadurch ist es den Ungarn nun möglich geworden, ein eigenes Nationaltheatcr in, Pesth zu errichten. Bisher hatten sie in ihrer Hauptstadt, sowie überhaupt im ganzen Lande überall nur deutsches Theater. Die Errichtung jenes Nationaltheaters »«achte einen Zuschuß uon 40NM0 Gulden nöthig. Es ist derselbe vom Lande bewilligt worden, und die Sache ist nun seit einigen Jahren im Gange. Uebrigens kann man, glaube ich, nicht behaupten, daß dieser Zweig der poetischen Literatur bereits sehr storire. So groß der Enthusiasmus bei der Errichtung dieses Theaters war, so groß sind auch die Schwierigkeiten, die sich der Blüthe deS Unternehmens noch entgegenstellen. Vor allen Dingen ist es der Mangel an ausgezeichneten nationalen mg Dramen, aber auch ebenso der Mangel an vorzüglichen Acteurs und Actricen. Ich glaube, die Magyaren haben im Ganzen sehr wenig Anlage zur Schauspielkunst. Sie sind zu ungelenk »md zu stolz dazu. Auch ist die Masse derjenigen Bevölkerung, aus welcher sie ihre Talente beziehen könnten, zu gering. Am wenigsten An« läge, sagte man mir, hatten sie zum Lustspiel; weit besser gelange ihnen das Tragische, und ich will dieß gern glauben, denn es scheint mir überhaupt in dem magyarischen Charakter weit mehr Tragisches und Elegisches als Heiteres und Komisches zu liegen. Ich hatte das Schicksal, in ihrem Theater ein Lustspiel mit anzusehen. Es war eine Nebersetzung des Scribe'schen Stückes: „I'art garische Armee, die Feld- und Gränzregimenter; den» was die außerordentliche ungarische Armee, die söge» nannte Insurrection, betrifft, so ist es mit ihr wieder anders. Vei jenen Feld- und Granzreglmentern ist Alles auf deutschem Fuße eingerichtet, und auch die Sprache im Commando, in den militärischen Berichten, Schriften und Verordnungen ist ebenso deutsch, wie dieß durchweg in der ganzen österreichischen Monarchie statt-« findet. Daher sieht man auch bei allen militärischen Instituten, bei allen Caserne», Festungen, Wachposten, an Barrieren, Thoren und Häusern nicht die königlich ungarischen Farben (Roth, Weiß und Grün), sondern die kaiserlich österreichischen (Schwarz und Gelb) erscheinen. (Nur auf der Flotte haben die Oesterreicher statt der kaiserlichen Farben die erzherzoglichen, Roth und Weiß, aufgesteckt.) Freilich ist auch dieß dm Ungarn natürlich gay 320 nicht recht, >«nd sie wollen das Deutsche cmö diesem Zweige der Verwaltung ebenso vertreiben wie das Lateinische aus den Auditorien und von den Kathedern. Mein so nachgiebig die österreichische Regierung auch in anderen Puncten gegen die Ungarn gewesen ist, so ist es doch aus tausend Gründen einleuchtend, daß hierin keine Nachgiebigkeit stattfinden kann. Oesterreich hindert nicht und achtet sogar alle nationellm und provinziellen Sonderlingen in seinem Staate. Es hat auch nichts dagegen, daß in Ungarn magyarische, slavische, deutsche und lateinische Interessen sich reiben. Es denkt vielleicht hierbei: Divide et impera. Um aber dem impera den gehörigen Nachdruck zu geben, ist es gewiß nothig, daß durch das Ganze sich eine deutsch organistrte, mehr oder weniger von deutschen oder doch deutsch gebildeten Officieren commandirte Militärverwaltung hindurch schlinge. Uebrigens, selbst wenn man hiervon absehen wollte, liegt es ja auch am Tage, daß eine österreichische Armee im Felde gegen den Feind wenig werth sein würde, wenn man alle 199 Nationen des Staates in ihrer Sprache commandiren wollte. Wie würde da in der Fcldschlacht der ganzen Maschinerie die gehörige Energie und Raschheit mitgetheilt werden können! Die Frage von der Einführung der ungarischen Sprache in der Armee wird übrigens doch auf dem nächsten Landtage wieder angeregt werden. Einstweilen steht noch das große schöne Gebäude in Pesth, welches die Ungarn für eine Militarschule gebaut haben, leer, weil sie verlangen, daß darin die jungen Officicre in W1 ungarischer Sprache unterrichtet werden sollen, die Negierung aber die deutsche will. Die Ungarn, die es auf ihre Kosten gebaut haben, haben es der Regier« ung bisher noch nicht übergeben wollen, und ich bin nicht wenig begierig darauf, was nun mit diesen leeren Zimmern werden wird. Viele llngarn haben nur die eigenthümlichen Vorzüge und die große Vildsamkeit ihrer Sprache gelobt. Ich kann natürlich nicht darüber urtheilen, weil ich nicht in diese Sprache eingeweiht wurde, aber ich will gern glauben, daß jene Lobredner wahr sprachen; denn es ist etwas Bewundernswürdiges, daß es fast keine Sprache giebt, die nicht ihre ganz eigenen Feinheiten, ihre unnachahmlichen besonderen Wendungen und ihre bei einer anderen nicht wieder anzutreffenden Vorzüge habe. Rühmen sich nicht selbst die Letten, die Esthen, die Finnen, Völker, die bisher noch gar keine sogenannte Gebildete unter ihren Nationalen zählen — (die wenigen Gebildeten, die aus ihnen hervorgehen, fallen anderen Nationen zu) — daß ihre Sprache solche zierliche Wendungen, solche treffende und kräftige Ausdrücke und besondere Viegungen habe, daß man sie in keiner anderen Sprache wiederzugeben vermöge. Jedes Volk scheint die Natur, die Menschen, die Verhältnisse der Dinge zu einander, die Zeiten, die Handlungen, die Seelenzustande nicht in ihrer ganzen unsäglichen Vielseitigkeit aufgenommen, sondern nur gewissermaßen einen kleineren oder größeren Theil alles Vorhandene» und alles Möglichen in sich aufgefaßt und in seiner Sprach« 522 ausgeprägt zu haben ; daher sind denn in jeder Sprache Lücken, die sich wieder in der anderen nicht finden, und auch Reichthümer, welche die andere nicht besitzt. Ebenso hat auch jedes Volk bei dem, was nun wirklich alle auffaßten, einen anderen Weg eingeschlagen und nicht nur für dieselben Dinge andere Namen gebildet, sondern auch für die Weise, diese Namen zu beugen, zu verwandeln, zu componiren und mit einander in Beziehung zu setzen, ist das eine auf diese Weise, das andere auf jene, geschickter oder ungeschickter verfahren. Ich will hicr mir. Welliges von den mir citirten Vorzügen und Eigenheiten der ungarischen Sprache anführen, von dem ich vermuthen kann, daß es einen Denker und insbesondere meine deutschen Landslcute interessiren könnte. Die ungarische Sprache bildet sehr leicht von jedem beliebigen Substantivum ein Verbum, indem sie sich den bezeichneten Gegenstand sogleich in Thätigkeit übergehend denkt oder etwas als mit ihm geschehend annimmt. Dieß giebt ihr zuweilen eine Kürze, welche andere Sprachen nicht nachahmen könne». Man nehme irgend ein beliebiges Wort, z. V. „Laterne". Der Ungar macht sogleich davon das Verbum „laternen", H, B. „tch laternte ihm herunter/ was wir, wenn wir es uns nur angewöhnen wollten, ebenso gut sagen könnten, welche freie Ableitung der Verba von Substantiven wir aber, ich weiß nicht warum, uns nicht gestatten. Unserem Gebrauche gemäß müßten wir sagen, „ich leuchtete ihm mit einer Laterne die Treppe herunter," weil wir wohl das Wort „leuchten" von Licht, «AN aber nicht das Wort „laternen" von Laterne gemacht haben. Der Ungar fragt nicht, ob dieses Wort gemacht ist oder nicht, sondern er macht es auf der Stelle, und es ist ihm dieß dem Geiste der Sprache gemäß gestattet. Ein anderes Veispiel Ware z. B. von „Pistole" da6: „ich Pistoltc ihn nieder," was wir nur umschreibend geben- „ich schoß ihn mit der Pistole nieder," oder von „Cigarre": „ich cigarrtc auf der Straße," d.h.' „ich rauchte eine Cigarre." Daß die Fürwörter schon in der Vndigung des Verbums selber stecken, sowie daß die Copula in der Regel ausgelassen wird, hat die ungarische Sprache mit vielen anderen gemein. Daß aber viele adverbialen Begriffe, die bei uns in besonderen Beiwörtern (als Adverbia) erscheinen, in die Bildung der Verbalform selber mit aufgenommen werden, ist wieder etwas das Ungarische vor vielen Sprachen Auszeichnende. ^l-s^uenwtiva, Iterative z. V. werden daher nicht nur wie bei unS hier und da von einigen Verben gebildet, sondern sie können fast von jedem beliebigen Verbum gemacht werden; z. V. „irok" heißt „ich schreibe," davon bilden sie „iroZatak," d. h. „ich schreibe öfters." Noch mehr als im Lateinischen fallen die Hülfszeitwörter weg. Es werden fast alle gewöhnlichen derselben durch besondere Anhangungen an das einfache Verbum mit in das Wort aufgenommen, z. V. von demselben „irnli," ich schreibe, wird so gebildet: „irätolc," ich lasse schreiben, „irk-ltn^/'' ich kann schreiben. ES werden sogar zwei Hülfszeitwörter durch Anhangungen 21* 324 in dasselbe Wort aufgenommen, z. V. „irätliätnlc," ich kann schreih.cn laffen. Mit jedem solchen so gebildeten Verbum kann sofort wieder Mes vorgenommen werden, was man mit dem einfachen Verbum vornehmen dürfte. So z. B. kann davon ein sr«iu h. ich bin in der Handlung oder Thätigkeit des Schreibens begriffen, Englisch: „I am >vritinK," — „irom" (bestimmte Form) heißt: „ich schreibe dieß oder jenes," z. V. ich schreibe einen Brief, Englisch: I ä» writ« »letter, — „irkätnk" heißt: „ich kann schreiben," d. h. ich besitze die Kunst zu schreiben, oder es ist mir möglich, etwas Schriftliches aufzusetzen, „irk»toin" aber heißt: ich kann dieß und jenes schreiben, z.V. den Brief. Diese interessante Eigenthümlichkeit der ungarischen Sprache ist wohl für Fremde eine der allergrößten Schwierigkeiten; denn nicht nur vergessen sie aus Nach« lassigkeit jedes Mal, wo das Verbum bestimmt, wo es unbestimmt gebraucht ist, sundern da jedes Tempus jedes Verbums sowohl seine bestimmte cils auch seine unbestimmte Form hat, und da die bestimmte Form wieder ganz anders conjugirt wird als die unbestimmte, so wird die Stärke des Gedächtnisses ebenso in Anspruch genommen als die Scharfe des Verstandes. Die Abwandlungsweise der regelmäßigen Zeitwörter ist z.V. diese: Unbestimmte Form. Bestimmte Form. ii-ok, ich schreibe. iroin, ich schreibe (dieß). ir52, du schreibst. iroä, du schreibst (dieß). ir, er schreibt. >rja, er schreibt (dieß). irunlc, wir schreiben. >lj,,k, wir schreiben (dieß). irwk, ihr schreibt. Hawk, ihr schreibt (dieß). il-nak, sie schreiben. ii-jak, sie schreiben (dieß). Vs ist schr sonderbar, daß dieser große Unterschied der Handlungen dein Scharfsinn anderer, Sprachen bildenden Völker entgangen ist. Die ungarische Sprache ist eine asiatische und zwar, wie es scheint, eine sehr nahe Verwandte der semmitischcn Sprachen. Sie hat daher gar keine Präpositionen, sondern lauter PostPositionen, d. h. alle die Verhältnisse, in welche die Dinge (Substantive) in Bezug auf Ort und Zeit mit einander oder mit einer Handlung (einem Verbum) kommen können, drückt sie nicht durch gesondert vorgesetzte Wortchen aus, sondern durch hinten nachgesetzte und zugleich mit dem Substantivum, dem sie gelten, verschmelzende Wörter. Wir haben im Deutschen 326 etwas Aehnliches, jedoch nur bei einigen Wendungen, z. V. bei dem Pcrhältnißworte „wärts". Dieß fügen wir ganz so, wie die Ungarn es mit allen Verhältniß« wörtern machen, dem Substantiv hinten an und laffen es mit ihm zu einem Worte verschmelzen. Wir sagen „himmelwärts," wofür wir freilich auch sagen können „zum Himmel" oder „gen Himmel^. Wie wir es mit „wärts" in „himmelwärts" machen, so halten es die Ungarn nun in allen Zusammensetzungen mit „wärts;" sie sagen nicht blos „himmelwärts," sondern auch „erdwärts" (d.h. zur Erde), ferner „Wienwärts" (d. h. nach Wien), „Deutschlandwarts" (d. h. nach Deutschland). Und so »lachen sie es nun nicht blos mit „wärts," sondern auch mit allen anderen Verhaltnißwörtern; so z. B. sagen sie nicht wie wir „in Pesth," sondern „Pesthin," auch sprechen sie nicht : „ich bin nach Pesth gefahren," sondern „ich bin Pefthnach gefahren/' — „Von" (auf die Frage: woher?) heißt im Ungarischen: „bul;" „von Paris" heißt also-,,?2ri5dnl". Ebenso, wie sie nur PostPositionen haben, haben sie auch nur „Postnomina," keine „Pronomina," die ebenfalls hinten angehängt werden und mit dem Nomen gleich wie die Casus-Endungen zusammenschmelzen. ,,kep," heißt z.V Vilv, „kep em," mein Vild, „kepeli," dein Vild, „kepünk," unser Vild, „kepök," ihr Vild, Dabei ist mm aber noch folgendes ganz Besondere und fast Wunderliche, daß, wenn sie den PluraliS W5 von einem solchen mit einer Pronominal-Endigung ver« sthenen Worte bilden, keineswegs das Wort selbst in den Pluralis gesetzt, sondern nur die suffice Endigung «ine andere wird, während das Wort selbst im Sin" gularis bleibt z.V.: Sing. kep, Vild, — ke^-cm, mein Vild. Plur. ke^c,k, die Wilder — nun aber nicht etwa kep weiche. Das i aber ist bei ihnen bald hart, bald weich. Diese Unterscheidung der Ungarn zwischen den harten und weichen Vocalen ist in ihrer Sprache so äußerst wichtig, daß sie als die Vasis der Etymologie an die Spitze gestellt werden muß. Auf diese Weise hat nun jede ungarische Sufsire, jedes Pronomen, jede Präposition, ja jede Declinations - und Conjugations - Endigung zweierlei Formen, eine harte Form mit einem harten Vocal zum Anhängen an die harten Vocale (», o und u) und eine weiche Form mit einem weichen Vocale zum Anhängen an die Sylben mit weichen Vocalen («, ecsött." Hier ist also das ganze Wort li?n ein anderes geworden. Dasselbe ist bei 6?ör (Raab) 330 und?ejesvar (Stllhlweißenburg) der Fall. „In Raab" heißt i „<3)>ör<>tt" und in Stuhlwcißenburg „r^rvärntt.^ „In Körös" (sprich! Körösch) heißt „Körösön," was wiederum ganz isolirt dasteht. Vei 8xeF2ekn«l<, diesen; omker, heißt.' der Mensch, davon der Pluralls im Nominativ «mderek, und im Dativ ember^iinek. „Diesen Menschen" heißt demnach: „ ?2eknek em1>?r8tver heißt: das Geschwister. I'estverek ^«testverek (der leibliche Vruder). (die leibliche Schwester). Lät)mn Olseni dienen» Uu^om (»nein älterer (mein jüngerer (meine ältere (meine jüngere Vruder). Vruder). Schwester). Schwester). 33ft Es offenbart sich hierin, scheint es mir, eine große Feinheit der Beobachtungsgabe der Ungarn; denn ohne Zweifel stehe ich zu meinem älteren Bruder, zu dem ich als Muster aufblicke, i» einem ganz anderen geistigen und verwandtschaftlichen Verhältnisse als zu meinem jüngeren Bruder, den ich beherrsche und der in Entwickelung und auch oft in Berechtigung unter mir steht. Ich habe später erfahren, daß auch in Deutschland hier und da etwas Aehnliches besteht oder doch früher bestand, so z.B. in der freien alte» Reichsstadt Bremen, wo man im vorigen Jahrhunderte die ältere Schwester „ma 8oeur" (oder nach dortiger Aussprache ,,m» selir") und „Sie" anredete, z. V. ' ,Ma «ebr, wollen Sie sich nicht Puder» lassen?" während die jüngere Schwester „Jungfer Schwester" und „sie" titulirt wurde, z.V. „Jungfer Schwester, hat sie sich schon gewaschen ?" — Jetzt ist dieß in Bremen verschwunden, wie denn solche haarscharfe Verwandtschaftsunterfchiede mit steigender geistiger Cultur immer mehr verschwinden ', denn je cultivirter wir werden, je mehr der Geist sich erhebt und geltend macht, desto mehr werden die Fesseln und Unterschiede vergessen, welche die Natur unter uns machte, und welche nur da, wo rohe und patriarchalische Sitten herrschen, mit eifersüchtiger und pedantischer Genauigkeit beachtet werden. Ebenso ist es mit den vielen Ausdrücken für die Verschiedenheit, die durch Geburt, Geld uud politische Macht begründet wurden. Auch für sie haben die Ungarn sowohl in ihrer eigenen Sprache als auch in lhrem eigenthümlichen öateinifch unzählige mehr oder minder pomphafte Ausdrücke ausgeprägt, noch mehr als wir Deutschen. Sie unterscheiden sehr genau zwischen dem bloßen Herrn „ur" (Anrede „ur»m,^ mein Herr) und „tekintetes ur" (gnadiger Herr!) Ebenso unterscheiden sie die viele» Arten von „Gnaden": ,,Kll^83gol!" oder auch „Ke^ez" (^"6 ^wohnliche Ew. Gnaden), dann die bischöflichen Gnaden, freiherrlichen und gräflichen Gnaden (!VleIto5äß<,6). Eine gewöhnliche Frau wird angeredet: ^«5201,7, eine Madame : ^25xon^83F, eine gnädige Frau: I'ellintete» assxon)', eine hochansehnliche Frau: Ka^-83F08 »zz^on^, eine bejahrte würdige Frau: ?- Auch haben die Ungarn nicht wie wir Deutschen die Titel der höchsten und vornehmsten Personen auS einer fremden Sprache entnommen, sondern sie haben dafür eigene ungarische Worte erfunden, z. V. : Majestät: I'ekö^li, Hohheit: Al3gI553^oc1, Erellenz: Ke^eimes, etc. Nur die Grafen und Barone haben sie auS dem Deutschen: Varon: Lärö, Graf: (3rös. Die unzahligen ungarisch-lateinische» Kunstausdrücke für die hundert Abstufungen der Gelehrsamkeit, des AnsehnS und der Geburt, mit denen die Ungarn ihre hohen, höchsten, allerhöchsten und noch höheren Herren anreden, ,». 22 S59 alle zu sammeln, ist mir nicht gelungen. Wir haben auch noch überall Titel genug, aber ich glaube doch, daß bei den Ungarn der bloße ,,^r," sowie bei den Polen der titellose „?3n" und bei den Russen der kahle, pure, simple „6a«i>ol1m" immer noch um ein Bedeutendes niedriger steht als der einfache „Herr" in Deutschland, oder der schlichte „Wster" in England, oder der titcllose ,M»n2>e»r" in Frankreich. Auch an Liebcö- und Schmcichelworten fehlt es der ungarischen Sprache nicht; doch ist es merkwürdig, daß ein Theil derselben von der slavischen Sprache, die in dieser Hinsicht viel reicher ist, entlehnt wurde. So ist z. V. daK ganz gewöhnliche und allgemeinste ungarische Schmcichel-wort : „vatscl,^ (Brüderchen, Väterchen ), womit schmeichelnd Jeder, Alt und Jung angeredet wird, ohne Zweifel slavisch. „Ijutmsclcka" (Väterchen) ist in ganz Rußland das allgemeine Schmcichelwort. Die Ungarn gebrauchen das Wort „Lütsclia" auch in Zusammensetzungen, z.V. „ZcnlliKli'Vatzclla" (d. h. Aler-ander-Vaterchen) , und sagen- „Komm her, wein Alerander-Vätcrchen." Gbcn dcr Fall ist es mit dem Schmeichelwort „^alamd" (mein Täubchcn). Auch im Böhmischen (Kojub), im Polnischen ((^alomk), im Russischen (6«IulitsclliI<.), ist die Taube dasjenige Wesen, mit welchem geliebte Menschen am allergewöhnlichsten verglichen werden. Ein hübsches ächt ungarisches Schmeichclwort ist aber dieß: „^üliF^vil-Ißom" (sprich - jönjiwirahgom), d.h. eigentlich buchstäblich „mein Perlenkind." Die MB hübsche Blume, die wir Maiblümchen nennen, heißt nämlich im Ungarischen- „das Perlenkind", und so wird denn auch jedes geliebte Wesen damit benannt. Merkwürdig sind die Veränderungen, welche die Ungarn mit den Vornamen der Personen vorgenommen haben. Sie haben dieselben zum Theil von den Slaven, wenig nur von den Griechen, meistens aber von den Deutschen, oder doch durch die Vermittelung derselben empfangen. Solche Veränderungen sind ' Ladislaw ... ungartfd): Laszlo (fyttd;: &18I0). Helene..... /; Illona. Alexander .. „ Sandor (1>ric(;: @cC;nanbc^r). Andreas____ „ Andrja (fVricf;: 9lubrifty). Adele...... „ Etelka, Wilhelmine . „ Wilma. Ernilie..... „ Emelka. Therese ,... „ Trecsy (fpri^: fTwtfc^i). Prisca..... „ Piri. Barbara___ „ Borcsa (fpnd;: SBortfc^a). Sara,...... „ Sarolta (fprlfy: @d)arolta). Johann..... „ Janos (frmü) : ©anofc^). Emmerich .. „ Tmre. Stephan____ „ Istvan (tyx'idj: 3fc^tluan). Joseph..... ,/ Gdzsy. Marie ...,•• ,t Marischka. Anna...... „ Panny. Elisabeth ... /, Erzsebet. Michael ... ♦ „ Mischko. 22* 840 tteoi-F......ungarisch! ^ärFx (sprich: Iörtj). ^uliu8...... „ (i?ul» (sprich: Iula). I.u»!«iß___ „ I^c>z (sprich: Lajosch). Von den meisten dieser Vornamen bilden sie dann auch wieder schmeichelhafte Diminutive, z. V. von Laszlo .... Lazzi. Sandor ... Sandy. Sarolta . .. Sary« Ulona .... Ilka. Istwan ... Istok aucty Pista (fytid?: ^iftyta). Andrjs .... Endre ofcet aucty Bandy. Janos..... Jancsy oti(X Jannj. Erzsebet .. Oerzsy (fpric^ : Dertf^i)« Merkwürdig ist es wiederum dabei, daß die Ungarn auch hier nachsetzen, was wir vorsetzen. (5ö sind dieß Alles keine Vor namen, sondern Nach name». So sagen die Ungarn nicht Graf Michael Esterhazy, son-dern: (lrol Lzterl,32^ ^lisclilio. Sind in solchem Falle Suffiren und PostPositionen nöthig, so bekommt sie allemal der Taufname, während der Familienname unverändert bleibt, wie z. V. in der oben von uns citirten Redensart: „Vellelet <3rof 82ecben)> Istväungk Xc)»ctiutt I^n^osto" d. h. wörtlich „Antwort Graf Szechenyi Stephan an, Koschutt Ludwig von." Viele der so berühmt gewordenen ungarischen Familiennamen, ja ich glaube, die meisten sind mittels des Wörtchens „h", welches ungefähr so viel «IS: „Sohn" bedeutet (ob eS wohl das slavische „vitzck" ist ?) oder mittels der Sufsire „x," die so viel als „von" bedeutet, aus solchen Taufnamen gebildet. So z.V. „palh" von ?al (Paul) und i>, d.h. also Paul's Sohn. „Vanh" von L^n und sy, d. h. Sohn deS Van. „I!Ie5li22x" (sprich: Illeschhasi) von I1!«5 , d.h. Lli»8, Kai d.h. Haus, y, d. h. von. Illssk»^ heißt also: „auö dem Hause Elias". „Vstl'rn^)" (sprich: Lütertia.^) von L8ter-tia8.^, b. h. „aus dem Hause ssster". Es giebt übrigens jetzt in Ungarn auch viele minder berühmte „«>'»" und „h's," als die obengenannten; ich meine solche, die erst in neuerer Zeit sich ihre Namen erfanden. Es ist nämlich jetzt, wo der Magyarismus so sehr in Ungarn herrscht, bei vielen Deutschen, ich glaube indeß, doch nur bei der Minderzahl, Mode geworden, die alten, guten, deutschen Familiennamen abzulegen und dafür magyarische anzunehmen, welche gewöhnlich Uebersetzungen der deutschen sind. Manche mögen einen guten Grund dazu haben, z. V. wenn ihr deutscher Name etwa eine üble Vedeutung hatte, oder wenn ihre Familie schon lange zwischen Ungarn wohnte und der deutsche Name ihren ungarischen Freunden vielleicht unbequem sein sollte -, manche aber thun es aus Begeisterung für den MagyarismuS, weil sie nichts Deutsches mehr an sich dulden wollen, — manch e aus Interesse, um sich dadurch bei den Ungarn höher zu stellen und nicht mehr den Vorwurf, „daß sie 9V Schwaben seien," zuzuziehen, — manche auch wohl bloS, um die Mode mitzumachen. Solche Umtaufungen deutscher Familicnamen in ungarische, sind z. V. Eichholz in i'olF^«? (sprich: Toltjeschi). Spiegel „ i'ükrüsZ)'. Wurm „ ^Im2>. Ochs „ (ikl-55«^. Vugelmann „ Mg6ärs^. Uebrigens haben von jeher solche Umtaufungen aus dem Slavischen sowohl als aus dem Deutschen in'S Ungarische stattgefunden -, nur sind sie jetzt eben wieder ans den beregten Umständen mehr im Schwange als je. Der magyarische*) Adel, der immer den Mittelpunkt der ganzen Reichsmacht ausmachte, nahm mittels solcher Namcnsveranderungen viele nicht magyarische Familien in seine Gemeinschaft auf, und es fließt daher jedenfalls sehr viel slavisches und deutsches Blut in den Adern der ungarischen Magnaten. *) Wenn ich mich im Vorhergehenden zuweilen des Ausdrucks Magyaren bediente, so bemerke ich dabei, daß dieß nur geschehen ist, um die magyarischen Ungarn von den deutschen und slavischen zu unterscheiden. Ich weiß sonst wohl, daß die Ungarn den Ausdruck Magyaren nicht gern von uns Deutschen hören, obwoh sie sich selbst so nennen. Wir mögcn es auch nicht, daß die Franzosen bei uns von I'eutoni^ue sprechen, und wenn wir einen Franzosen Gallier hießen, so würde er es auch nicht für einen Ehrentitel hatten. Ofen. ^Fch ging an einem warmen Morgen in eins der schönen, kalten Donaubäder, um mich zu einer Fußreise durch Ofen zu starken ; denn man hatte mir gesagt, ich würde viel mit den Füßen zu arbeiten und dabei von Sonnenhitze und Staub sehr zu leiden haben. Und in der That, ich fand spater, daß ich ebenso gern den Montblanc besteigen würde, als die entsetzlich lange Stadt Ofen im heißen Mittagssonnenschein von einem Ende zum anderen noch einmal durchlaufen; deßwegen also ging ich, wie gesagt, in eines der schönen Flußbäder. Pesth besitzt jetzt deren einige, Dank sei es der in der ganzen österreichischen Monarchie mehr als irgendwo erwachten und allgemeiner als bei uns verbreiteten Leidenschaft für das kalte Wasser. Ich weiß nicht, ob die Wurzel dieser heilsamen Leidenschaft in Gräfenberg zu suchen ist, wo sich die vornehmen und kranken Ocsterrelcher diese Leidenschaft antrinken, anbaden und andouchen; aber so viel ist gewiß, daß sie existirt, und wenn eine Sucht gute 344 Früchte und heilsame Folgen hat, so ist cs diese warme Leidenschaft für das kalte Wasser. Nicht nur in Wien, in Prag, in Linz und in anderen langst cultivirten deutschen Städten der Monarchie findet man jetzt Anstalten, um kalte Wasserbader aller möglichen Art zu nehmen, sondern auch über ganz Ungarn haben sich nun solche Vader verbreitet, und eö giebt hier sogar in unbedeutenden Städten, in denen man solche Fortschritte nicht erwanen sollte, heilsame Vorrichtungen dieser Art, so daß man nicht nur Elb-, Moldau- und Donaubader, sondern auch San-, Dräu-, Mur<, Theiß-, Maros-, Körös-, Valaton« und Neusiedler Kaltwasscrbäder kennt. Ueber die Rücken aller Nationen der österreichischen Monarchie spült jetzt so fleißig das Naß der Flußgöttcr, daß es aussieht, als singe man nun erst an, das Göthe'sche Lied vom Fischer recht zu verstehen : „Kehrt welleathmend ihr Gesicht nicht doppelt schöner her?" In alle öffentliche Institute des österreichischen Staats, in die Irrenhäuser, in die Spitäler, in die öffentlichen Schulen (zum Theil) hat man jetzt kleine Nebenarme der vorübersticßenden Ströme oder Vache geleitet, um in reichen Regen » und Wasserfallen den Segen der Gesundheit über die Leidenden, die Jugend und das Älter zu verbreiten, und vor allen Dingen hat man auch in die Armee das Wasser eingeführt. Wo jetzt österreichische Truppen irgend ein bedeutendes Standquartier haben, da findet man auch eine sehr gut eingerichtete und nachahmungswerthc Schwimmschulc. 345 Die zahlreichen Donaubader bei Wien für'S Mill-» tar und Civil, für Damen und Herren, für Kinder und Erwachsene, für Aermere und Reiche sind natürlich die großartigsten und elegantesten der Monarchie. Sie sind dabei so äußerst zweckmäßig eingerichtet, daß ich es bei der Wichtigkeit des Gegenstandes für die menschliche Gesundheit für etwas sehr Nützliches halten würde, wenn man einmal eine recht detMirte Beschreibung von ihnen in die Welt schicken wollte; denn es giebt keine Stadt in Deutschland, die diesen Zweig der LebenZerfrischung auf einen so hohen Grad von Vollkommenheit gebracht hat. Die Pesther Donaubader sind natürlich tsciner und minder zahlreich als die Wiener, aber sie geben ihnen an Zweckmäßigkeit nichtö nach. Es giebt große Gemeinbäder darin für die Schwimmer, Scvaratbader verschiedener Classen und von verschiedenen Graden der Eleganz. Für Regenbader und Douchen ist gesorgt, und die Zu- und Ausgänge auf den Flößen, welche daö Ganze tragen, sind mit Blumen reichlich verziert, sowie denn auch hier wieder oben in der freien Luft über dem Allen die ungarischen Nationalfarben flattern. In eins dieser Bader also, wie gesagt, ging ich, um mich für die Ofencr Reise vorzubereiten. Sowie man in den vulkanischen, heißen Badern auf der Ofener Seite in der Regel mehr Türken, Walachei, und Eer-bier findet, so hat man hier auf der Pesther Seite in den Flußbädern mehr das deutsche oder westeuropäische Element repräsentirt. Man könnte jene die Vulkanisten, diese dic Neptunisten nennen. Zu den Neptunistcn gc- 346 hören alißer den Deutschen auch die vornehmen und gebildeten Ungarn. Ich traf dießmal unter den Neptunisten auch ein paar kleine Knaben von 12 nnd 13 Jahren, die mir durch ihr kluges Benehmen so auffielen, daß ich mich mit ihnen in ein Gespräch einließ. Gs waren die Söhne eines gebildeten deutschen Herrn aus Pesth. Ich fano, daß der ältere ebenso geläufig lateinisch, slowakisch und ungarisch als deutsch redete. Das Lateinische, sagte er mir, habe er mit seinem siebenten Jahre angefangen, und hicr habe sich außer mir noch Niemand darüber gewundert, daß er es nun in seinem dreizehnten Jahre so fertig spräche. Ich muß gestehen, daß ich es nicht mit ihm aufnehmen konnte. Das Slowakische habe er im Slowakenlande selbst gelernt, wohin ihn sein Vater im zehnten Jahre auf die Schule gegeben habe. Jetzt sei er nun von dort nach Pesth zurückgekehrt, um sich wieder im Ungarischen etwas festzusetzen, das er bei den Slowaken ein wenig vernachlässigt habe. Das Lateinische, sagte er mir, sei als wissenschaftliche nnd gelehrte Sprache durchaus nöthig, das Ungarische müsse ein Jeder können, der sich nicht allerlei Unannehmlichkeiten aussetzen wolle, das Slowakische aber könne ihm als slavisclicr Dialekt für die Slowaken sowohl, als auch für die Rusnaken, die Kroaten, Slavonier, Serben und überhaupt alle Slaven in Ungarn dienen, mit denen man ja stets bei jedem Geschäfte hier zu thun habe. Das Deutsche aber sei seine Muttersprache und ihm das Liebste vor Allem. 347 Das Versenden der Kinder aus einem Theile der Monarchie in dm anderen, um sich der verschiedenen Sprachen des Landes zu bemeistern, ist i» ganz Oesterreich gebräuchlich, — so in Böhmen, wo in den kleinen Provinzialstädtm mancher Vater bei Zeiten darauf bedacht ist, seinen Sohn nach Prag zu schicken, damit er sich des Deutschen bemeistere, — so in Tirol, Kärnthen und Krain, wo die deutschen Knaben nach den italienischen Consinien gesandt werden, um italienisch zu lernen, und wo umgekehrt die italienische Jugend in die deutschen Gauen und Städte wandert, um sich das Deutsche anzueignen. Sehr häufig machen zwei unter einander befreundete Aelternpaare einen Contract, durch den sie fnr eine Zeit lang ihre Kinder gegen einander austauschen. Gin ähnlicher, aber noch viel bunterer Kinderaustausch findet in Ungarn statt. Deutsche nus Pesth schicken ihre Kinder auf die slowakischen Schulen, Slowaken umgekehrt die ihrigen zu ihren Pesther Freunden, Magyaren gehen zu dcn Slaven, Walachen zu den Magyaren, und vicle von ihnen machen schon in ihrer Kindheit der Art die Runde im Lande — theils absichtlich, theils vom Schicksale hinausgeführt — daß sie, so zu sagen, mit vier bis fünf Sprachen aufwachsen, die ihnen dann alle so geläufig sind wie die Sprache ihrer Ammen. Ich bemerkte schon oben einmal, daß nicht nur unter den gebildeten Ständen, sondern hier und da auch selbst unter den Bauern ein solcher Kin-deraustausch zum Zwecke der Sprachenerlernung statt- 348 findet. Man sieht in den ungarischen Tageblättern die Aeltern fortwährend dazu auffordern. Also mit kühlem welleathmenden Gesichte wander» ten wir nach Ofen hinüber. <3s begegneten uns un« terwegö viele erhitzte, Tchwcfcldampf athmende Gesichter. Es waren Vulkanisten ans den Türkenbädern. Die Pesther Neptunisten sind große Gegner der Ofener Vul-kanisten. Jene haben ihre Häuser auf lauter neptunischen Grund und Boden gebaut (auf Flugsand und andere, das Gepräge des Meeresgrundes tragende Formationen), diese auf lauter vulkanischen, besonders auf Kalkfclscn. Man erkennt daher die Ofener auch gleich, wenn sie nach Pesth herüber kommen, an dem weißen, feinen Kalkstaube, den sie ^u1>li^u6 l>ai,5in5e, der Re^udlica (^»»Ipina und der Carbonari von Neapel. Auf diesen Carbonarifahnen (man muß dergleichen letzt außerhalb Neapel in Ungarn suchen) ist eine FrcihcitSmütze zwischen zwei Dolchen dar-» gestellt, und daneben stehen das Freimaurerzeichcn und die pathetischen und schlecht erfüllten Worte: „^»»lianie o inerte! 8>ibni-n3iic,nf! alle le^ge nnütari!" — Eine charakteristische Trophaensammlung, welche den Autheil bezeichnet, den Ungarn an diesen oder jenen Vr« eignissen nahm. 362 Es befinden sich hier in Ofen auch große Ma< gazine für Salpeter, einen Artikel, den Ungarns Steppen in so großer Quantität und so ausgezeichneter Qualität erzeugen wie die Salpetergebitte Ostindiens. So wie die ungarischen Truppen die vornehmsten iu der österreichischen Monarchie sind, so ist es auch der ungarische Salpeter, der daö Pulver fast für die ganze österreichische Armee hergiebt. Die Ungarn nennen den Salpeter ebenso wie die Slaven und auch die Russen Halmter oder 8im, gemacht?) — Man soll allen Salpeter, der aus Ungarn gewohnlich nach Oesterreich geht, auf ein Quantum von 10.0W Centnern anschlagen können. Auch nach Polen (Galizien) und anderen Landern wird viel ungarischer Salpeter in kleinen Tafeln ausgeführt, jedoch bloß für die Apotheken. In Preßburg wird ein großer Theil des ungarischen Salpeters zu Kanonenpulvcr verarbeitet. Das Ofcner Schloß/ in welchem der Erzherzog Reichspalatin residirt, steht auf der Stelle des alten Schlosses der Könige von Ungarn, das wahrend der Türtenzerl in traurigen Trümmern dalag. Es ist ein großes und schönes Gebäude, obgleich eS außer seiner Lage, am Rande des Schloßberges hin, im Inneren eben nichts Ausgezeichnetes hat. Die inneren königlichen Gemächer sind mit Gemälden geschmückt, einige Schlachtstücke auS dem 363 dreißigjährigen Kriege, Maria Theresia in ihrem ungarischen Krönungsornate und dergleichen darstellend. Wir bekamen vom Schloßaufseher leicht die Erlaubniß, Alles zu besichtigen. Eine Kammerdame oder ein Kammerfraulein gab uns wieder die Erlaubniß, die Zimmer der Gemahlin des Palatins anzusehen. Der Fremde findet immer in ganz Ungarn bis in das Königsschloß hinauf freundliche Zuvorkommenheit gegen seine Wünsche. Asses, was wir sahen, ließ uns auf den frommen und religiösen Sinn jener erlauchten Dame schließen. Zmzendorf's Portrait und eine Vibel mit Erläuterungen lagen auf ihrem Nachttische, dabei eine Bittschrift, die daselbst niedergelegt war und die sie bei ihrer Rückkunft (sie war mit dem Palatin auf ihrem Landsitze in der Nahe von Ofen) empfangen sollte. In ihrem Wohnzimmer stand ein Spinnrocken, und ein kleiner Harlequin und anderes Spielzeug für ihre Kinder lag daneben herum. An der Wand des Wohnzimmers hingen die Portraits der beiden ältesten Kinder des Palatins, deS Erzherzogs Stephan und seiner Schwester Helmine, Zwil-lingsgeschwistcr, beide liebenswürdige, allgemein gefeierte Kaiserkinder. Der Erzherzog Stephan, ein junger, thätiger, wohlwollender und kenntnisireicher Mann in der Blüthe seiner Jahre, ist in Ungarn besonders beliebt und wird als der zukünftige Reichspalatm designirt. Seit der letzten Pesther Ueberschwemmung, wo er sich mit mehren anderen jungen Leuten sehr thatig erwies, hat die Liebe zu ihm noch mehr zugenommen, und ma« sieht sein Portrait im ganzen Reiche vielfach 364 verbreitet. Cr hat ein Gesicht, das gleich auf den ersten Anblick die Herzen gewinnt. Die Erzherzogin Helmine, seine Schwester, eine schöne jnnge Prinzessin, die ihm sehr zu gleichen schien, erregte schon damals meine besondere Theilnahme. Ich fragte den alten Schloßwarte»', der uns begleitete, ob sie denn wirklich so gut sei, wie man allgemein sage. „Ja," erwiderte er, „schaun's doch nur, wie sie ausschaut. So gut, wie sie ausschaut, so gut ist sie auch. Eine bessere kann's gor nit geb'n. Sie wohnt nit hier in dcr unteren Schloßetagc, sondern oben." — Jetzt wohnt sie bekanntlich wirtlich oben. Alle österreichischen Matter zeigten mit gerechtem Schmerze vor Kurzem ihren frühzeitigen Tod an. Die Aussicht aus den Fenstern des Schlosses ist schön. Zunächst zeigt sich der große Vogen der breiten Donau, den sie zwischen Pesth und Ofen beschreibt, dann Pesth und der ganze lange prächtige Quak, den es am Ufer des Flusses hin bildet. Ueber Pesth liegt beständig — wenigstens habe ich es im Sommer selbst bei'm Son» nenschein nie anders gesehen — eine dämmerige schwarze Wolke von Staub und Dunst. Schon die äußersten Vorstädte, vom Schlosse aus gesehen, fangen an darin zu verschwinden. Hinter ihnen sieht man das Rakos-feld und den es umgebenden Wald hervordämmern. „Ant Naiide des Waldes sehen Sie auch den Königshügel. „Xii-alx ke^e" (sprich: Kiral hetj) nennen ihn die Ungarn. Können's ausnehmen?" — Wir nahmen ihn 3S5 ziemlich deutlich aus, d. h. auf Nichtösterreichisch: wir konnten ihn genau erkennen. In einem Theile dieses Schlosses residirt nun auch die ,)(?orana cnm clenndiiz 8iii»" (die ungarische Krone mit ihren Kleinodien). Wenn mir dieß ein Ungar erzählte, so kam es mir immer so vor, als wenn er von einer Prinzessin spräche, die mit ihren kleinen Kindern da wohne. Sie hat ein eigenes Zimmer, in das man aber nicht gelangen kann. Doch ließ ich mich so weit führen, als man nur irgend kommen konnte, nämlich bis in ihre Antichambre, wo Tag und Nacht zwei Soldaten auf- und abgehend Wache halten; denn sie hat sogar ihre eigene Wache, die sogenannte Kronwache, die aus 64 Mann besteht, welche weiter nichts zu thun haben als jene Posten abwechselnd zu besetzen, was ein wenig Unterhaltung bietendes Geschäft sein mag. Die Caserne oder das Wachhaus dieser Kronwache befindet sich vi8 ^ vi» dem Flügel des Schlosses, in welchem die Krone liegt. Vom ersten sind die beiden Fenster ihres Zimmers vermauert, und nur drei kleine Luftlocher sind in dieser Vermauerung gelassen, wahrscheinlich damit die Lust drinnen nicht verderbe und stickend werde, und zwar so.- Ebenso befindet sich ein Luftloch in der eisernen Thüre, welche ihr Zimmer verschließt, und vor der die beiden hohen Grenadiere Jahr aus, Jahr ein ummter» 366 brochen ein Jahrhundert nach dem anderen auf« und niedergehen. Jene eiserne Thüre ist mit drei mächtigen Schlösser» verschlossen, zu welchen drei hohe Beamte die Schlüssel haben, ich glaube, der Primas, der Palatin und die Kronhüter. Diese Kronhüter, cs sind ihrer zwei, sind die obersten Beamten, so zu sagen, der Krone und gehören auch zu den höchsten Chargen des Reichs. Es werden immer angesehene Magnaten dazu genommen. In jenem Zimmer nun liegt die Krone in ein kostbares Futteral verpackt und in einer eisernen Kiste verschlossen, welche mit den fünf Siegeln des Königs, des Primas, des Palatins und der beiden Kronhüter versiegelt ist. Sie wird, wenu die Krönung eines Königs vorgenommen werden soll, im Beisein jener Herren ausgepackt und dann unter der Bedeckung ihrer Leibwache nach Preßburg geschafft. An der Gränze jedes Comitats wird sie von den Behörden des Comi° tats empfangen und begleitet. Bei der Krönung wird sie dem Könige aufs Haupt gesetzt, der Königin aber nur auf die rechte Achsel, und dann bcgiebt sie sich mit eben demselben Pompe wieder in ihre dunkle Clause und Kiste zurück. Es ist keine Krone in Europa zu finden, die so merkwürdige Schicksale erlebt hat, wie die ungarische. Denn trotz dem, daß sie den Ungarn so heilig schien, ist sie ihnen niehre Male abhanden gekommen. Sie ist in Versatz gewesen bei einem deutschen Kaiser. Einmal hat sie sich lange Zeit auf dem Schlosse eines Herrn 367 in Siebenbürgen aufgehalten. Sie war in Näuberhände». Sie machte auch eine unfreiwillige Neisc nach Vöhmen. Zuletzt nahm sie Joseph ll. nach Wien. Aber so groß — wohl gewiß mit Recht —> die Unzufriedenheit der Ungarn über diese letzte Verschling war, so groß war ihre Freude, als sie wieder nach Ofen kam. Ihre Reist daher unter Leopold II. glich einem Triumphzuge. Das Merkwürdigste, was ich an dieser Krone finde, ist das, das; sie halb aus dem Osten (aus Konstan-tinopcl) und halb aus dem Westen (aus dem römischdeutschen Reiche, genau aus Rom) stammt. Der goldene Reif nämlich oder das Stirnband des halbkugelförmigen Diadems wurde uom Kaiser Ducas dem ungarischen Könige Geysa I. im Jahre 1076 geschenkt. Die obere Hälfte dagegen, die zwei quer übereinander liegenden goldenen Vogcn, sind Bruchstücke jener Krone, welche Papst Sylvester im Iayre 1W0 dem heiligen Stephan verehrte. Kunst und Arbeit, Sprache, Schrift und Bilder sind auffallend auf beiden Theilen verschieden. Auf dem einen ist Alles byzantinisch und auf dem anderen römisch. Und so spiegelt sich denn die geographische Lage Ungarns, vermöge deren cS im Norden beider Halbinseln, der italienischen und der griechischen, mitten zwischen dem europaischen Oriente und Occidente liegt, und die sich in allen seinen Verhältnissen, i» den religiösen, wie in den politischen, kund giebt und in seiner ganzen Geschichte als vornehmster und wichtigster 368 Moment aufzufassen ist, auch sogar in seiner Krone wieder ab. Vyzanz und Rom (das wir zugleich als Reprä» sentanten und Genossen des katholischen occidentalischen Oesterreichs nehmen) schrieben selbst bis auf den obersten Knopf des ganzen ungarischen Staatsbaues ihre Denkschriften. Oeffentliche Sammlungen. Gesammelt hat sich bis jetzt im Ganzen noch wenig in Pesth. Es ist daran auf der einen Seite nach Osten die Zerstreuungslust der Türken und auf der nnderen Seite nach Westen (man kann über keine Sache in Ungarn in's Klare kommen, ohne nicht jedeS Mal diesen zwiefachen Vlick nach Osten und nach Westen hin zu thun) der Sammeleifer der Wiener schuld. Die Türken haben unzählige Klosterbibliotheken auf ihrem Gewissen und ebenso auch die einst so berühmte und ausgezeichnete Coruinische Vüchcrsammlung, welche in Ofen aufgestellt war, und die zum Theil verbrannt, zum Theil in ganz Europa verstreut wurde. Der Sammeleifer der Wiener hat wieder in neuester Zeit den Ungarn Vieles entzogen. Denn so wie etwas Interessantes in Ungarn entdeckt ward, was stch für ein Museum eignet, so »ahm »nan es für Wien in Anspruch. Denn theils bezahlte man dort für solche Dinge am meisten, theils wußte man bessere Mittel und Wege, zu den Gegen-«». 24 370 ständen zu gelangen, theils hatte man mehr Eifer alö in Pesth. Immerhin indeß giebt eS nun auch hier in Pesth schon Gegenstände genug, welche ohne Zweifel dcr Aufmerksamkeit und Betrachtung des Reisenden sehr werth sind. Ich eilte vor allen Dingen zu dem ungarischen Na« tionalmuseum, welches auf Veranlassung und zum Theil auch mittels eines bedeutenden Vorschusses deö Grafen Szcchcnyi gestiftet wurde. EZ enthält viele Dinge, der» gleichen man bei uns nicht sieht. Leider war mir so wie allen Fremden, die in diesen Jahren nach Pesth gekommen sind, es nicht vergönnt, die ganze Sammlung zu be» sichtigen. Denn des Vaucs eines neuen großen Mu-> scntcmpels auf dem Platze des abgerissenen alten wegen hat man die ganze Sammlung in ein anderes HauS gebracht, in welchem sie zum Theil verpackt ist. Es ist schade, daß man nicht Vorsorge traf, die Sache so einzurichten, daß das im Museum aufgehäufte Capital an wissenschaftlichem Material nicht eine ganze Reihe von Jahren ohne Nutzen bleibe. Denn auch selbst das hat man nicht berücksichtigt, die Sammlung, so weit sie sichtbar gemacht werden konnte, doch wenigstens in der Mitte dcr Stadt aufzustellen. Man hat sie nämlich ganz zu der unendlich weitläufigen Stadt hinaus verlegt, so daß es selbst zu Wagen eine kleine Reise ist, dahin zu gelangen. Es ist gar keine Frage, daß das Museum, so wie «S jetzt dort aufgestellt ist, viel an Ordnung verloren haben wird, und daß es sehr schwer sein muß, es später 371 wieder ganz in Ordnung zu bringen. Es ist übrigens noch keinesweges als ein einigermaßen vollständiges un» garisches Museum zu betrachten, welches schon Pröbchen von Allem enthielte, waS UngarnS Natur, Kunststeiß und Historie au Naturalien, Alterthümern und Manu-facten liefern könnte. Ganz ausgezeichnet ist die Sammlung von Brauneisenstein, der nirgends in der Welt so zierliche, so wunderbare und unglaublich zarte Formen gebildet hat als wie in einem Theile Ungarns, im Gömörer Comitate bei dem Orte Sirk. So geschickt und fein man das Eisen jetzt in Berlin und anderen Orten auch gießt, so dürfte es doch schwer fallen, diese wunderhübschen Naturprodukte künstlich nachzuahmen. -'Obgleich ich mit einem sehr berühmten Mineralogen und Geologen diese Sachen bewunderte, so habe ich doch in keiner Weise eine richtige Vorstellung davon erhalten, wie diese Dinge entstanden sein mögen, und wie man sich die Eisenmasse zu denken habe, die diese hübschen, zierlichen Formen bildete. Zuweilen sieht es aus, als Ware diese Masse dickflüssig gewesen und in großen und kleinen Tropfen herabgefallen, die sofort erstarrten und sich über einander lagerten. Die Tropfen liegen zuweilen mit einander verschmolzen niercnförnüg zusammen. Zuweilen aber auch scheinen sie wie kleine feine Perlen auf Fäden oder Stäbchen an einander gereiht. Manchmal muß dle Masse ganz zähflüssig gewesen fein wie Leim oder wie geschmolzenes Siegellack, denn eö haben sich viele eiserne Fsdchcn bei'm Herabtröpfeln gebildet, die oft so zart 24* 372 sind wie Haare und wie Spinngewebe kreuz und quer durch einander hinlaufen. Mitunter sieht man, wunderbar genug, in einer Eisendruse oder einem Neste stch dieselbe Bildung hundert Mal hinter einander wiederholen; ft z. V. haben sich die Tröpfchen oder Perlen, regelmäßig nach oben hin sich verkleinernd, wie kleine feine Thürmchen abgespitzt, und viele solcher Thürmchcn stehen neben einander. Zuweilen gehcn die eisernen Perlenfäden kreuzweise durch einander wie die Fäden in einem Gewebe, und hier und da glaubt man, die zierlichsten eisernen Muster zu Vrabanter Spitzen zu sehen. Anderes wiederum hat sich in dem durchbrochenen gothischen Geschmack auf« gestapelt. ES sind in die Wiener Sammlungen und auch in andere europäische Museen Stucke von diesen ungarischen Vrauneisensteinbildungen übergegangen ; aber das Veßte davon sieht man hier an Ort und Stelle. Ebenso zahlreich sind auch die Ferrificatc aus der Narmal-cit; (sprich: Marmarosch). In dieser östlichen Gegend von Ungarn sind ganze Wälder in Eisen verwandelt. Man sieht hier alle möglichen Theile der Bäume in Ciscn umgewandelt, Fichtenzapfen, Holz, Reiser, Rinde, Blätter, Alles zu Eisen geworden, ja sogar Haselnüsse, in deren Schale noch die ferrificirten Nüsse sich bewegen. Unter den Vögeln der zoologischen Sammlung ist das Bein eines Schlangenadlers, in welchem ein Vasch-kirenpseil steckt, besonders interessant. Derselbe wurde 1825 bei Potaraszt geschossen. Der Pfeil steckt ihm gerade recht mitten in dem dicken Mustel der oberen Lende; 373 das andere lange Ende des Rohrs hat sich der Adler wahrscheinlich abgebissen, das Eisen der Spitze aber verwuchs im Fleische. Gs befindet sich ein von mehren Personen unterschriebenes Papier dabei, welches die Sache bezeugt. Hier sieht man auch das ächte ungarische Schaf, welches die Magyaren noch mit über die Karpathen brachten, und welches nun immer seltener zu werden anfängt. Es hat sehr große Hörner (sie haben mehr als 2 Schuh Lange), die weit auseinander stehen und in kurzen Windungen sich um eine gerade Linie drehen. Die Ungarn nennen dieses Schaf ,,Ua^ar K05" (sprich: Mojar kosch), „das magyarische Schaf." Die sämmtlichen ungarischen Fische der Donau, der Theiß und des Balaton, die man so oft mit Paprika wohl gewürzt auf dem Teller hatte, sieht man nun hier in Spiritus wohl conservirt oder ausgestopft und an die Wand genagelt, — den „Schill" oder „Schiel," den sogenannten Sandbarsch, eine Art Sander, ,,?erc» I^icis»I>e,-ckl," ungarisch: „8>'Mn," — den „Dick," den gewöhnlichen Ha «sen , ^cc,pen5er Unso, ungarisch: „I'ok,^ — den „Stierl," ^cci^ens?,- 8tnrin, ungarisch: „ketssisse," — dann den köstlichsten von allen, den k'nF^ (sprich: Fogasch), auch eine Art Sander, ?erc«l Iiuciopercg, — den „Scharren" oder „Wels," 8i!uni8 <3Iaini8, ungarisch: „tlgrka," bei dem mir mein ungarischer Begleiter bemerkte, es wäre an der Theiß sprüchwörtlich, von Jemandem, der den 374 Mund ein wenig voll nähme, zu sagen.- „Er hat ein so großes Maul wie eine llartsa," — die „Oareisel," <^pl-inu5 Orassug, ungarisch: „Kara««," — dann den „Zigeunerfisch," wie man in Ungarn den Schlei nennt. Ich fragte meinen Begleiter, warum man ihn so nenne. „Weil," sagte er, ,,diescr Fisch in allen Laken sich findet, wie der Zigeuner in allen Gebüschen und Schmuzwinkcln." ' Dann zeigen sich hier die Reiherarten, von denen dte ungarischen Magnaten-Eöhne die Federn für ihre Kalpaks (Mützen) nehmen. Es sind besonders der Kncsa^ ie nichts mehr als ungarisch sprechen wollten, an der ungarischen Journal-Lecture eifrigen Antheil nähmen und das Deutsche zu verachten anfingen. Die vornehmste Knabenschule der Pesther Juden besuchte ich, und wohnte daselbst dem Zeichnen-, Schreibend Geschichtsunterrichte bei. Sie hat 309 Schüler, unter denen ich kleine in Lumpen gehüllte Vettelknaben Neben Kindern von reichen Kaufleuten fand. Vis jetzt ist es noch so, daß die Kinder in ihrem achten, neunten, zehnten Jahre noch ganz deutsch, und in der Regel ohne auch nur etwas Ungarisch zu verstehen, hier aufgenommen werden. Sie erlernen das Ungarische in den untere» Classen grammatikalisch, und dann werden ihnen in den höheren Classen gewisse Gegenstände in dieser Sprache vorgetragen. Es wird, wie gesagt, schwer werden, die tüchtigen Lehrer dazu zu finden, denn für und von Juden ist bisher in ungarischer Sprache noch nichts geschrieben worden. Die Juden in ganz Ungarn und Polen haben außer ihrcr hebräischen Literatur nur noch eine deutsche Literatur, und ihre Bildung ist mit tausend Fäden an Deutschland und die deutsche Sprache geknüpft. Die Methode des Geschichtsunterrichts bei den Pcsthcr Juden gefiel mir sehr wohl. Der Lehrer dictirte den «Kindern die Geschichte in einem kurzen Gerippe, welches die Hauptfacta, Namen und Jahreszahlen enthielt, und dann erzählte er ihnen das Ganze in einem freien Vortrage. Das Gerippe aber. welches er in ihrem Kopfe un-„,. 25 38a v«rwüstlich feststellen wollte, ließ er sie dann zu Hause buchstäblich auswendig lernen. Vs ist dieß die einzige Methode, wie Geschichte vorgetragen werden sollte, wie sie aber leider noch keineswcges überall vorgetragen wird. Ich bemerkte, daß die Schüler einige ungarische Worte an die Tafel geschrieben hatten. Sie enthielten eine Fürbitte für einen ihrer Mitschüler. Der Lehrer mußte lange daran studircn, bis er ihren Sinn herausbekam. Die Rabbiner leben hier noch eingezogener als bei unö, sind gewöhnlich zu Hause, dürfen auf leine Weise in's Theater gehen und müssen sich überhaupt an öffentlichen Vergnügungs- und Versaminlungsplatzen so wenig als möglich zeigen, um bei dm Ihrigen keinen Anstoß zu geben. Mein Bekannter, Herr Schwab, sagte mir, es würden jetzt viele gelehrte jüdische Schriften zu Zolkiew in Galizicn gedruckt. In Wien oder Prag aber müsse der Talmud und das Gesetz gedruckt werden. Sonst waren Sulzbach und Dürrenfurt Hauptdruckorte für die jüdische Literatur. Wahrscheinlich beruht jenes Muß des Druckes des Talmuds in Wien oder Prag nicht sowohl auf einer gesetzlichen Vorschrift, als auf den eigenthümlichen Schwierigkeiten, die dieser Druck hat und die wohl nur in den größeren Druckaustalten jener beiden Städte überwunden werden können. Ich sah z. V. in der Bibliothek meines Freudes einen in Wien in zwölf Bänden gedruckten Talmud, der folgendermaßen eingerichtet war. Es war ein Babylonischer Talmud (der Jerusalem's^« steht hier, wic ja wohl überall in der 387 jüdischen Welt, in geringerem Ansehen). Der Tert der Wscllna ,md <^em»ra war in der Mitte jedes Blattes nls Kern mit großen Lettern gedruckt. Die berühmten, von einem französischen Juden > Salomon Iarschi, dazu geschiedenen Anmerkungen (die bei den Juden sehr angesehen sind, und welche sie hler „Raschi" nennen; denn man hört sie oft fragen- „Waö sagt der Raschi?" womit sie sowohl den Verfasser als seine Annotationen bezeichnen) sind in einer breiten Einkantung mit kleinen Lettern um den Kernlert rund herum gedruckt, und um diese herum steht dann wieder am Rande des Blattes der "ln88^>llit, welcher Anmerkungen mehrer französischer Nabbiner a»s Orleans und 'Avignon enthält. Wie dieser Druck, so nimmt sich das ganze jüdische Religionösystcm aus, ein unter Auslegungen und Wortkram verschwindender kleiner Tert des geistreichen Gesetzes. 25* Das Hospital St. Rochus. I/!an muß erschrecken über all das ungelinderte Glend, über all den unberücksichtigten Jammer, über alle die unverpftegtm Kranken und Siechen, die es in Ungarn geben mag, wenn «nan in des ausgezeichnet glaubwürdigen Herrn von Schwartn er, eines patriotischen Ungarn, eines geistreichen und gelehrten Mannes, Statistik liest, daß die Capitalien sämmtlicher Waisenhäuser in Ungarn und Kroatien nur 610,852 Gulden betrugen, und daß alle Einkünfte sämmtlicher in Ungarn bestehender Armen- und Krankenhäuser am Ende des vorigen Jahrhunderts sich nicht so hoch beliefcn als allein die Einnahmen eines einzigen Krankenhauses in Deutschland, nämlich des Julius-Hospitals in Würzburg. Icne stiegen nämlich auf die Summe von 101,000 Gulden, diese auf 120,000. Es ist seitdem freilich wieder beinahe ein halbes Jahrhundert verstrichen, allein im Ganzen genommen ist es noch in dieser, für das Wohl der Menschen und Vürger so wichtigen Branche der Staatsverwaltung ganz und gar bel'm Alten verblieben. Die Ungarn, so eifrig mit den Ideeen ihrer politischen Freiheit und deren un- 339 Versehrter Erhaltung beschäftigt, haben es vergessen, für die innere materielle Wohlfahrt ihrer Staatsbürger einige Sorge zu tragen, und während wir für die prächtige Donaubrücke, für das Nationalmuscum, das National-Theater so bedeutende Summen zusammenfließen sahen und diese Angelegenheiten auf dein letzten Reichstage lebhaft besprechen hörten, fragt man vergebens nach den Summen, welche dem Departement der öffentlichen Wohl-fahrts- und Gesundheitspolizci übergeben wurden. Es giebt noch bis auf diesen Augenblick in ganz Ungarn kein einziges königliches, auf Staatskosten gebautes und unterhaltenes Kranken-, Siechen- oder Ar-menhauS. Die ganze Krankenpflege liegt theils noch m den Handen der Mönche, der barmherzigen Brüder und der Glisabethinerinnen, theils ist die Stiftung von Hospitalern von jeher Sache von mildthätigen Privatleuten und der Stadtgemeindcn gewesen. Von Seiten des StaatS ist nie etwas dafür geschehen. Dieß ist nicht die Schuld Oesterreichs, sondern die der ungarischen Aristokratie; Oesterreich hat da, wo es einschreiten konnte, Manches gethan, z. V. für die Militarhospitaler. Das Meiste für WohlthätigkcitSanstalten ging indeß von den deutschen Stadtgememdm aus. Es ist beinahe unglaublich, und doch ist es wahr, daß erst im Jahre 1793 der I>i-. Haffner eö mit einiger Aussicht auf Erfolg wagen konnte, mit einer kleinen Schrift: „Vorschlag an das Pesther Publicum zu Errichtung eines Krankenhospitals," hervorzutreten, und ebenso unglaublich klingt es, wenn man hört, daß 390 auf diese Weise die meisten, einigermaßen wichtigen Nohl« thatigkeitsanstalten von Ofen und Pcsth erst aus dem Anfange dieses Jahrhunderts stammen, und doch ist es so. Durch jenes wohlwollenden Arztes Vorschlag kam dann wirklich ein städtisches Spital, das zum heiligen RochuS, zu Stande, welches jetzt unter der Leitung eines allgemein geachteten und würdigen Greises, des Herrn von Nindisch, steht. Vr ist der Nachfolger des Dr. Haffner, und auf seinen Vetrieb wurde jetzt eben die Stiftung seines Vorgangers auf elne sehr zweckmäßige Weise erweitert. Das Hospital hatte nämlich bisher noch immer zwei kleine Filialhospitälcr in der Stadt zu be-» sorgen, und dlese wurden nun mit dem eigentlichen Hospitale , dem man einen neuen, zweckmäßigen Anbau hinzufügte, vereinigt. Dieß Hospital kann ungefähr 300 Kranke verpflegen und ist das grüßte in ganz Ungarn. In Petersburg, in Wien und in Paris giebt es Hospitäler, die ebenso viele Tausend Kranke aufzunehmen sie brachen, und nur der schleunigste Rückzug rettete die Mannschaft. — Alles fluchtete in die Stadt, in die Häuser. Die Donau folgte ihnen auf dem Fuße. Der Schrecken verbreitete sich in allen Straßen. Einen Theil der Stadt, den niedrigsten, den es bel jeder Ucberschwemmung zu besetzen gewohnt war, nahmen die Wellen sofort in Besitz. — Jeder fing nun an, sich in seiner eigenen Behausung zu befestigen und wo nur möglich sie mit Dämmen von Erde, Mist und Vrctcrn zu umziehen. Besonders thaten dieß die Leute auf der schönen „Waizner Straße." dem Kohlmarkte und dem Graben von Pesth. Hierher waren die Ueberschwcmm-ungen sonst noch nie gekommen, und da es hieß, eS zelge sich auch in dieser Straße die Donau, so glaubten doch dir Bewohner ganz sicher zu sitzen hinter ihren Vretern und Mistdammen, die sie aufgeworfen hatten. Auch durchbrach das Wasser diese Dämme wirklich nicht. Aber wie bei großen Volksbewegungen oft die aufgeregten geistigen Mfmeute auch der Damme und Gränzen, die man ihnen setzte, spotten und sie, oft je- 396 doch ohne sie einmal eines Angriffes zu würdigen, umgehen und irgendwo erscheinen, wo die Kurzsichtigkeit der Politiker sie zu sehen gar nicht vermuthete, so auch die Donau. Es fing auf einmal in den Hausern selbst an lebendig zu werden. Es kamen kleine Bläschen aus den Fugen der Haus- und Zimmerböden hervor, und es war ein Geräusch in den Gebäuden, als wenn unten überall Wasserkessel siedeten. Aus den Mauschöhlen und den Bohrlöchern der Zimmerleute sprudelten kleine Fontänen heraus, und siehe da, auch die schönen Zimmer, Laden und Waaremnagazine der Waizner Gasse standen mitten in dem Strome und unter dem Niveau seines Spiegels. Man verlor indessen noch keincöweges den Kopf. Man sprang in's Wasser und schaffte alle Waaren eilig um einige Fuß höher in die oberen Etageren und Fächer. — Es wäre unerhört, es wan- unglaublich, daß je daS Wasser so hoch kommen sollte. Unmöglich könnte es noch höher steigen, und augenblicklich müsse es nun wieder fallen. — Aber die gierigen Donauninn folgten dem Menschenwcrke nach und schwammen 5 bis 6 Fuß hoch in die Hauser hinauf. Man schaffte die Waaren zu allergrößter Vorsicht noch einmal zwei Fächer höher. Aber die Donaunilen schwammen 7 bis 9 Fuß hoch. Viele Leute hatten, um nur Einiges von ihrer Habe zu retten, bis an die Arme im Wasser gearbeitet. Aber bald konnte es Niemand mehr aushalten. Denn das Wasser war furchtbar kalt, lauter eben erst geschmolzenes Eis. Selbst der Acrmste gab nun seine Habe 397 preis und fing an, sich der Vesorgniß für sein und der Seinigen Leben zu überlassen. Der Voden, auf welchem Pesth steht, ist lauter loses, aufgeschwemmtes Erdreich, oben Flugsand und darunter anderweitige Allusionen, Kies--, Mergel-und Thonschichten, die sich bei artesischen Vohrversuchen als bis zu 10 Klaftern tief liegend erwiesen haben. Die Donau übte, indem sie in diesen Muvionen wüthete, ein uraltes Recht. Sie höhlte darin Gruben und Canäle aus. Daß dieß so war, sah man deutlich-, denn in einem Haust, das tiefe Orundmauern hatte, hoben sich plötzlich die Dielen, und ein großes dickes Faß kam darin zum Vorschein, welches nicht dem Haus-Wirthe selber, sondern einem seiner Nachbarn gehörte. Eö war unter den tiefgehenden Mauern des Hauses in einem jener Canäle von den Fluthen hindurchgerissen und an's Licht gespült worden. Da half es den Hausern nicht, daß sie fest gebaut waren. Viele von den solidesten wankten und bekamen Riffe von oben bis unten, mehre stürzten auch zusammen. Von soliden und unsoliden zusammen genomTnen solle» nicht weniger als 3060 Hauser damals in Pesth zerstört worden sein. Jener Apotheker erzählte mir, er habe einen Schrank, den er in dem unteren Stockwerke gehabt, später zu seiner Verwunderung in einem der Zimmer seines ersten Stockwerks aufgestellt gefunden. Die Fluth habe ihn nach eingerissener Thüre dorthin geschleppt. Am zweiten Tage stieg die Noth am höchsten. Die allgemeine Frage war. ob die Häuser halten oder zusam- SW menbrechcn würden. Und die festesten Gebäude, das Neugebäude, das Spital, und die höchsten Platze, der Neumarkt und der Schloßberg von Ofen, waren von unzähligen Menschen besetzt. A»f dem Neumarkte hatte eine unzählige Menge von Menschen Zelte aufgeschlagen, unter denen sie mehre Tage in rauher Witterung zubrachten, selbst Magnaten, die ihren Häusern nicht recht trauten. Wer nur konnte und in Pesth nicht viel zu verlieren hatte, floh nach Ofen hinüber. Die Ofener Schloß-bürger schickten einige Hülfe tn kleinen Vöten, die der Erzherzog Stephan, der Graf Szechenyi, der Deftutirte De'ak, der berühmte Wesscleny und andere edle Mag« naten, Beamten oder Studenten ronnnandirten. Sie fuhren in den Straßen von Pesth herum, retteten, wo sie konnten, und ließen die Leute, welche ihre Hauser verlassen wollten, einsteigen,, um sie an irgend einen trockenen und festen Platz zu bringen. Da das Wasser über zwei Tage stand und immer in derselben erschrecklichen Höhe blieb, ohne sich zu rühren, so fingen die Leute endlich an, an den jüngsten Tag für Pesth zu glauben. Es verbreitete sich die Vermuthung, es möchte die Donau sich vielleicht ein neues Bett gegraben haben und die Stadt Pesth auf ewige Zeiten im Wasser verbleiben müssen und dem Verschwinden vom Erdboden gewidmet sein. Manche meinten, die Umgegend von Pesth wäre zu einem großen See umgewandelt, der nie wieder austrocknen würde. Endlich am dritten Tage brach sich der Eigensinn des Wassers. Wahrscheinlich war der Eisdamm bei 399 Csepel losgcgangen. Die Fluth verlief sich. Pesth tauchte aus dem Wasserspiegel, der es umgab, hervor und zeigte sich in seinem Schutt und Num. Manche Straßen waren der Art mit Dächern, Mauern, Balken und darunter verschütteten Leichnamen von Menschen und Thieren verbarricadirt, daß man mehre Tage arbeiten mußte, bis sie wieder gangbar wurden. Gegen 3000 Häuser, meistens freilich Lehmbaraken, waren zusammengerissen, zum Theil aber ganz leise im Wasser auseinander gegangen und, so zu sagen, hingeschmolzen. Die leise, allmahlige Gewalt des Wassers hatte in drei Tagen mehr geschadet, als es ein hunderttägiges Bombardement gethan haben würde. Der Anblick, den Pesth jetzt darbot, läßt sich noch weniger schildern als die Fluch selber. Denn wenn schon nach einer Vallnacht das Erwachen am anderen Morgen widerlich ist, und der nüchterne Vallsaal dann einen unangenehmen Anblick darbietet, so mag den» nach einem solchen Tanze der sonst von Dichtern so viel gepriesenen Ni?en, Nymphen und Flußgötter das Erwachen gar traurig gewesen sein. Ich weiß nicht, welchen Anblick die anderen Kaufläden dargeboten habm mögen, abcr in einigen Buchhandlungen, die nicht schnell genug hatten ausräumen können, war ein Papier-mus, eine Vüchersuppe und eln literarisches Quodlibet entstanden, wie man es seitdem noch nicht wieder gesehen hat. Alle Bücher waren aufgeweicht und aufgelöst, und Göthe, Schiller, Shakespeare, Voltaire und Jean Paul, französische, deutsche und ungarische Literatur zu 400 einer Masse verarbeitet. Da schwammen ungarische Sprachlehren, Pesther Journale und englische Prachtwerke neben französischen Romanen, deutschen Lerikons und italienischen Arien hernm und gingen gemeinsam unter, und die Donalt fraß sich hier wohl hundertmal im Vilde selber alls. Dcnn wie viele Donallansichten, Donau-Reisebeschreibungen, .Donaupanoramen, Doncmflnß-karten mögen da wohl mit verwässert worden sein! — Ein industriöser Papiermacher hättc sich einige Maß von dieser Suppe kaufen und daraus einige neue Bogen Druck- und auch gleich bedrucktes Papier herausschöpfen sollen. Er hätte so vielleicht eine Brochure deS interessantesten Quodlibets gewonnen. Der ganze Boden von Pesth war noch auf lange Monate hinaus mit Donauwasser imprägnirt, und in den Kellern blieb dasselbe vier, ja sechs Monate lang stehen. Daß man es auspumpte, half nicht, denn eS floß von den Seiten her immer wieder von Neuem Der Hülfernf der armen ruinirten Pesther Bürger erscholl durch ganz Deutschland, und von allen Seiten flössen helfende Veitrage heran. Man kann sagen, halb Europa half Pesth wieder aufbaue». Obgleich natürlich das Baumaterial sehr theuer wurde, — man zahlte das Zwei- und Dreifache für die Steine, -— so erstand Pesth doch wieder, die alten Wunden verharrsch-ten, und die Stadt steht nun wieder schöner und prächtiger da als zuvor, wie wir dieß im Obigen zu zeigen versucht haben. Die Donau in den Eentralebenen Ungarns. Vie ganze Nacht vom letzten August auf den ersten September träumte» wir von jener Donauüberschwemmung, von der uns die Pesther so Vieles erzählt. Und als am anderen Morgen um vier Uhr ein laut donnernder Kanonenschuß uns weckte, war unser erster Gedanke wiederum Ue-berschwcmumng. Wir stürzten aus der Königin von England auf die Straße und fanden auch richtig das ganze Land mit einem breiten Strome überfluthct. Mit Hunderten von Menschen flüchteten wir an den Vord des Dampfschiffs, das nicht weit von unserem Wirthshause vor Ankerlag, und beschlossen, diesen unsicheren Pcsther Alluvial-Voden zu verlassen und in die Türkei zu entfliehen. Um fünf Uhr gingen wir dahin ab. Es war noch ziemlich Nacht, und der Mond schien sich noch nicht entschließen zu können, der nahenden Sonne das Regiment des schönen Himmels abzutreten. Von einem festen Sitze aus, den ich auf einem der Vanke des Verdecks gewonnen hatte, betrachtete ich die Breite der Donauftuth. Sie I«. 26 402 war und ist dieß auch seit Jahrhunderten — (denn das ganze 5!and, welches sie an unserem ersten September über-fluthete, ist Flußbett seit ewige« Zeiten her) — zwischen Pesth und Ösen am schmalsten (etwa 250 Klaftern breit). Gleich unterhalb Pesth's, wo sie aus dem Thore des Blocksbergs tritt, wird sie fast dreimal so breit, und gleich oberhalb der Stadt ist sie auch um fast ebenso viel breiter. Dieser Umstand ist nicht unwichtig; denn ohne Zweifel war die Pcsth-Oftncr Donauvcrcngung von dem größten Einflüsse auf die gerade hier so häufig stattfindenden Völker-Übergänge, — auf die Ueberbrückung des Flusses — und demnach auf die Ansiedelung der beiden Städte. Gleich unterhalb Pesth's tritt die Donau in jene zweite große ungarische Ebene, die sich von den Mittelgebirgen des 3andeö bis an die slavonischen und serbischen Gebirge erstreckt. Der Ofencr Blocksberg ist der letzte Verg, welcher nahe zu ihr herantritt. Zwischen ihm und einigen Hügeln auf der Pcsther Seite scheinen die Städte wie in einem machtigen Thore zu liegen. Der Anblick ist schön zu nennen. Und gerade in der Mitte durch den Thorweg hin sieht man sich den Schloßberg mit seinen stattlichen Gebäuden erheben. Er bildet noch lange gewissermaßen den point äs vue der Perspective. Je näher die Sonne kam, desto deutlicher wurde uns Alles, und als sie endlich auf den Kreis des Horizontes hell hervortrat, beleuchtete sie uns die Zinnen des schon ziemlich entfernten Blocks- und Schloßbcrgs, als wollte sie unS das entschwindende Tableau noch einmal in seiner Pracht zeigen und unvergeßlich in die Seele prägen. Endlich gingen die 40! W,(100 Pcsthcr und die 30,00« Ofener ill den Flnlhen der Dona« unter. Die Seligen! Es geschah ihncu im süßesten Morgenschlaf, nnd sie merkten nichts davon. Ebenso wie die Donau, aus dem Thore vo» Prcß-burg in die kleine ungarische Ebene hervortretend, sich ih-rcr größeren Freiheit zu freuen scheint und vaS ebene Land, das sic zuweilen in Zeiten deö hohen Wassers weit und breit beherrscht,'mit mehren (5analcn wie ein neues, ihr untcrthänigeS Gebiet umarmt, ebenso macht sie es auch unmittelbar hinter Pesth nnd gehl in zwei grosieu Armen auseinander. Hier entsteht darauö die grosie Inscl Cscpcl wie dort die Insel Schütt. Sieben Meilen weit führe» wir an der Küste dieser Inscl hin, die ihren Namen von dem ungarischen Worte „Cscp" hat. Dieses bedeutet so viel M Dreschflegel und „Cscpel" also etwa die Dreschflegel« insel, waö vielleicht von den fruchtbaren Acckcrn, welche sie in ihrem Vusen birgt, hergenommen sein »nag. Wiesen, Wälder, Aeckcr und Dorfer'wechseln auf der Insel ab. Es gehört aber die Schnelligkeit einer Dampfschiffreisc dazu, um die Tempos, in welchen diese Abwechselung geschieht, nicht allzulang gedehnt zn finden. Arpad, der erste ungarische Fürst der mittleren Donaugebiete, schlng auf dieser Insel seinen vornehmsten Sitz ans und liegt auch hier seit dem Jahre 907 im Centrum seiner Eroberungen, mitten in der Donau, von zwei großcn Armen des Stromes umftossen, begraben. Das ganze Stück der Donau von den ungarische» Mittelgebirgen bis an die Gränze Ungarns, bis nach Syrmicn, Belgrad und den serbische» Gebirgen geHort 26 o 404 entschieden zu den unerheblichsten Theilen des ganzen Stromlaufs. Während von Belgrad an die walachische Donau oder der Isther wieder mit berühmten Städtenamen geschmückt ist und m der Geschichte eine glänzende Nolle spielte, wahrend das Stück zwischen Belgrad und Widdin außer seiner historischeu Bedeutsamkeit auch für die Naturgeschichte eine große Wichtigkeit hat, — ist das ganze bezeichnete Donaustück, das die pannonisch-dacischm Steppen durchirrt, in jeder Beziehung arm zu nennen. Keine glänzenden Namen zeigen sich an seinen Nscrn, — nur kleine oder grosie Marktflecken erscheinen hier und da in den Lehmwanden des Flusses versteckt, — keine pitto-resken Gebirge erheben sich irgendwo, — in lange» unabsehbaren Flachen dehnt sich die Landschaft hin, —^ in unendlichen Weidengebüschen, — in einförmigen lehmigen Uferlinien, — in öden Ebenen verliert sich nnd ver> schwimmt ihr Vild. Die rechte Seite des Flusses, die pannonische (die Provinz der Prinzessin Valeria), ist durchweg höher als die linke, und die meisten der Dörfer und Marktflecken zeigen sich daher auf dieser Seite (Md-war, Tolna, Vata. Mohacs), sie liegen hier alle nahe an der Donau, — wahrend die andere Seite sich meistens vollkommen wüste, mit Snmpf, — Gebüsch, — Steppe bedeckt, erweist. (Kalotsa, Vaja, Zombor und Bacs, alle diese Städte liegen hier mehr landeinwärts.) Daher geht denn auch die grosie Donau-Poststraße von Pesth nach Slavonien an dieser hohen rechten Seite hin. Wie die Menschen, so haben auch die meisten Vögel auf der rechten Seite der Donau Posto gefaßt. Man 405 sieht die lehmigen Ufergewände überall von tausend Löchern durchbohrt. Es sind die Eingänge zu den Nestern vieler Arten von Vögeln, meistens indesi nur solcher, die sich mehr und mehr dem Menschen angeschlossen haben, z. V. verschiedener Species von Schwalben, — insbesondere der Uferschwalbe, von den Ungarn „i'^rti ietslle," d. h. der Ufcrplauderer, genannt (von dem ununterbrochenen Zwitschern und Schwatzen, auf Ungarisch: lotse^m, haben die Ungarn überhaupt alle Schwalben letske, d. h. Schwatzer, Plunderer, geheißen). Dann ist es der Storch, der, wie der Mensch seine Marktflecken, ebenso seine vornehmsten Stationen am rechten Donanufcr hat, besonders auf den großen Wiesen, die sich hier und da in den tiefen Einschnitten des hohen Flußufers*) befinden und zuweilen zu kleinen Ebenen ausdehnen. Eine solche Storchstation, ein in Ungarn berühmter Sammelplatz dieser Vögel, soll z. V. die große. Wicsenebene bei Tolua sein, wo sie sich im Herbste bevor sie, wie die Kreuzfahrer, nach Aegyvteu ziehen, an der Donau in Tchaarcn von vielen lausenden versammeln. Wir tame» leider zu spät bei Tolna an, um unsere Augen als Dcvutirte zu jenem paimonischen Vögellandtage schicken zu könne»; den» bereits am 2l). August hatten, wie mir ein Mann aus der Umgegend versicherte, die Störche das Land verlassen. Das Datum schien mir ein wenig zu früh gesetzt. Aber da der Manu, der ein guter Kenner seiner Heimath zu sein schien, steif und fest dabei *) Auch die römischen Namen: „Inter«»»»" (fürFbldwar) lmd ,Ma Mpn« (für Tolna) erinnern an dicse Beschaffenheit des Users. 406 blieb, so musite ich es glaubn,, ssr sagte: „vom 20. August an ist kein Storch, imd vom 8. September an keine Hausschwalbe mehr in Pannonicn!" — Zahme Ganfc-hcerdcn, Entcnschaaren, Truthühneranuccn sieht man die Dörfer nmweiden, wahrend auf der ungastlichen lintcn Seite das wilde Geflügel nistet und brütet. Hier zeigen sich zuweilen kleine Züge von dicken fetten Trappen, ihren niedrigen Flug über die Steppen ausbreitend, — zwan-zigerlei Arten von Schnepfen sott es in den Morasten geben, — die Rohrdommel soll hier zu Zeiten in den Sümpfen brüllen, — und hier und da stiegt ein Reiher über die Rohrspitze» hin. Alxr auch selbst wenn es still und ruhig in diesen Schilfwäldern ist, traut man ihnen doch nicht; denn sie sollen ein gewöhnlicher Aufenthaltsort des Nohrwolfes sein. Man unterscheidet den Bergwolf (in den Karpathen) und den Rohrwolf (an den Flußgestaden). Wie an dem Faden der Ariadne fanden wir uns an der Leitung des untrüglichen Fadenö deö Flusses durch dieß Labyrinth uon Gebüschen und Steppen hindurch. Auf einem grosien Strome kann man nuch mitten in der Wüste nicht verzweifeln', denn er ist daö schöuste Sinnbild der zuversichtlichen Hoffnung. Man hat die Gewißheit, de» Weg nicht zu verfehlen; — man ist überzeugt, die Bahn kann «icht aufhören, — und nun zumal auf einem Dampfschiffe, wo es immer weiter geht, wo kein Umspannen, kein Allsruhen nöthig ist, wo der in die Ferne strebende Reisende das beruhigende Gcsühl hat, er habe das Scinigc gctha», er mag dinirt, geruht, geschlafen, Kaffee 407 getrunken oder spaziert haben, l,nd wo er immer sagen kann: „Gott sei Dank, diese Nacht sind wir fleißig gewesen, wir haben fünfzehn Meilen gemacht," oder: „über Tisch haben wir uns zwei Meilen ans der Stelle gebracht." Am allerwenigsten Langeweile konnten wir bei dieser Fahrt empfinden; denn wir hatten, wie Ginige behaupteten, über 400 Passagiere (der Capital» gab die Anzahl auf 350 an) am Vord und außerdem eine solche Menge von Equipagen und Waarmballen, die selbst aus dem Verdecke hoch aufgestapelt waren, daß an den Seiten und zwischendurch nur cnge Passagen und kleine freie Plätze blieben. Es waren g;ößtentheils Marttleutc, Kaufleute, Beamte, ungarischer Landadel, Serbier, Illyrier, auö allen Theilen der mittleren und untere» Donau, welche von der großen Pesther Messe nach Hause zllrückkehrten. Wir vertheilten sie unterwegs an den verschiedenen Stations--platzen zur Rechten und Linke» der Donau, wo sie entweder bleiben oder von wo aus sie ihre nahen Wohnorte erreichen wollten. Außerdem aber hatte» wir auch mehre Walachische Bojaren an Bord, die vox emem europaischen Ausfluge iu ihr Vaterland zurückkehtten, spanische Indeu, die nach Thessalonich eilten, bosnische Franziskaner, einige Einwohner von Konstantinopel, Franzosen, Deutsche, die ihr Glück in fernen türkischen Provinzen snchen wollten, mit einem Worte also Spccimina von den Bevölkerungen fast aller derjenigen europaischen Provinzen oder Landschaften, die von Pesth alls nach Süowesten liegen, bis an das „weiße Meer" hin, und wir brauchten nur einen Vlick auf die Population unsereo Dampfschiffes zu thun, 408 um sofort die ganze Verzweigung derjenigen Verbindungen vor Augen zu haben, welche die ln südöstlicher Richtung vorschreitende Donau zwischen allen an sie gränzenden rändern anknüpft. Ich fand diesen Vlick so ausgezeichnet lehrreich und interessant, daß ich durchaus darüber noch etwas umständlicher sein muß und in Ermangelung von hübschen Bildern, die ich von den Nfcrn der Donau entwerfen könnte, hier das Bild unserer nächsten Umgebung auf dem Dampfschiffe hersetze. Wie in der Znsaimncnseyungsweise der Bevölkerung der ungarischen Donaustädte des unteren Landes sich natürlich alle die Beziehungen dieser Gegenden zu der Nahe und Ferne abspiegeln, so reflectirte sich auch in der Population unseres Dampfschiffes dasselbe, und ich verglich das Deck im Stillen mit der Bauart und Bcvölkerungs-weise einer solchen Donaustadt. Da, wo wir saßen, auf dem Hinterthcile (dem Quarterdecke) des Schiffs, in der Nähe des Eingangs zur ersten Kajüte, war der Haupt--, Hof- und Schloßplatz dieser schwimmenden Colonie. Es saßen daselbst zu Nathc (außer den Steuerleuten, die das Ganze leiteten) erstlich einige ungarische Magnaten, darunter der berühmte Depu- tirte und Redner V....., der sich auf dem letzten Landtage hervorthat, ein kleiner Mann von anspruchslosem Wesen. In unserer Deputirtenkammer sprach er wenig, schien aber bestandig mit seinen Gedanken beschäftigt, oder in die Lecture der neuesten Pesther Journale vertieft. Er war sehr einfach gekleidet, etwas mager, schien mir ein Kernmann zu sein und aß ebenso 409 Wenig, als er sprach. Er kam von einer ^Geschäftsreise anS Pesth und wollte auf seine Güter znm Genusse deS RcsteS von ländlicher Muße, den der Sommer noch gewahren konnte. „Hobn's den V..... schon g'schn? Er isch an Nord?" fragten mich Mehre, und ich schloß daraus auf die Popularität, die dieser Mann in Ungarn genießen möge. Alsdann jene walachischen Bojaren, die ihre rabenschwarzen Haare und ihre abgerundeten Gesichter als solche verriethen. Sie kamen von London und Paris und hatten viele schöne Sachen, Pistolen, Vijour, Wiener Kleider, Uhren und dergleichen eingekauft, mit denen sie in ihr Vaterland zurückkehrten. Sie sprachen Alle soviel Deutsch, als für den Kellner nöthig war (einige auch recht geläufig). Sonst war ihnen zu Liebe in einen: kleinen engen Kreise unseres Quarterdecks die Conversation französisch, und zu diesem Kreise gehörte denn auch ein Franzose, der nach Iassy reis'te, um im Auftrage eines Pariser Hauses daselbst, ich weiß nicht, welches Handclsetablissemcut zu begründen. Pesther Bürger und Bürgerinnen, die Verwandte in der Provinz besuchen wollten, lauter liebe gute deutsche Leute, — alsdann einige ungarische Provinzdamen, die zu ihren Mannern zurückkehrten. Eine von ihnen war besonders hübsch, freundlich, klug und schwarz gekleidet,— und der Franzose machte ihr auf ciue so unglaublich zudringliche Weise die Cour, daß ich mich ihrer energisch annahm, wozu ich um so größeres Nccht hatte, da es schon eine alte Bekannte von mir war, obgleich ich sie vorher 4lU „icmalö gesehen hatte. Ill Vesth in der Königin von England nämlich hatte ich lange Zeit mit ihr Zimmer an Zimmer gewohnt. Ich kannte ihren Gang, ihre Stimme, <— ich hatte gehört, wie sie ihre Freundinnen bewillkommte» — ich wußte, wie sie sich rauöpcrte, — ich hatte ihre kleine Gewohnheit, mit den Fingern auf den Tisch zu trommeln, beobachtet, — ich hatte in ihren Selbstgesprächen ihre intimsten Gefühle und verborgensten Gedanken be-lanscht, — mit einem Worte, ich kannte sie ganz, — nnr einzig nnd allein ihre äußere Hülle nicht. Diese lernte ich erst ans dem Dampfschiffe kennen. Sie saß anf einer Vank und trommelte auf der Barriere des Schiffs ganz in dem Tacte, den ich in der Königin von England gehört hatte. Ich redete sie an, — richtig: ihr Rauspern! ihre Stimme! — sie war cö. Ich muß sagen, daß ich in jedes unbekannte Frauenzimmer, welches ich in einem Zimmer neben mir mit leisen Tritten gehen höre, schon von vorn herein etwas verliebt bin, und ich wurde dießmal auf keine Wcisc enttauscht, da ich ein stilles, edles und liebenswürdiges Wesen fand. „Sie wohnten auf Nr. 30 der Köuigin von England?" redete ich sie an. „Ja," sagte sie, „da wohnte ich." — „ O, dann erlauben Sie mir, Ihnen auszusprechcn, daß ich Ihnen schon seit lange viele Theilnahme widme." Ich erklärte ihr das. Sie blieb der Mittelpnnct unserer Ve-schaftigungen den ganzen Tag über, bis sie gegen Abend bei Vaja schied, um dort mit ihrem Gemahle zusammenzutreffen und mit ihm nach Thercsiopol, ihreur Wohnorte, zu fahren. Unser Franzose nun bctüpfclte im Laufe des Gesprächs, indem er ihr ein Compliment machte, mit den äußersten 411 Fingerspitzen ihren entblößten Nacken und bekam darüber von mir und noch einem Herrn, die wir unseren Augen nicht trauen wollten, etwas zu hören, worauf er meinte' „(^omiue von» Qtcis vous Hllnmmdlz! Ihr seid idealistische Narren, geht um den Brei herum, Ihr versteht nichts davon, was die Frauen gern haben, und nennt Dinge unschicklich und anstößig, die ganz in der Ordnung sind." Neben unserem Residenzplatze an den Seiten waren zwci elegante Equipagen aufgefahren. In der einen haus'te ein walachischer Bojar, der sich den ganzen Tag über einschloß und nur am Abende zum Vorschein kam, wo er dann durch seine wunderlichen Ideccn und einsaitigen Einfalle (denn sein Verstand war hinter seineu Jahren zurückgeblieben) seinen Landsleuten und uns viel Gelegenheit zum Lachen gab. Die andere aber zeigte das lieblichste Tableau häuslicher Niederlassung. Es wohnte dariu eine Mutter, eine hochgebildete Dame aus Deutschland, mit ihren reibenden kleinen Kindern, die im Wagen spielten/ aus- und einstiegen und unendlich erfinderisch waren, in dem engen Raume sich zu vergnügen. Weiterhin auf dem ersten Platze bis zum Schornsteine war Alles gedrängt voll mit wohlhabenden Kaufleute» aus Neusatz, Semlin und Eszek, Deutschen, Scrbier» „nd einigen spanisch-türkischen Juden. Unter einer Partie von ihnen bilvete den Mittclpunct eiue junge hübsche Serbierin, welche, in einem reizenden türkischen Ncglig<5 hingegossen, dasaß und die ihr von den serbischen Herren dargebrachten Huldigungen mit Freundlichkeit uuo uicht ohne geistreiche Erwiderung annahm. Eiuer von ihnen flüsterte mir 412 zu, sie sei an einen Sdrawkowitsch verhcirathet. Ihr Vater heiße Peter M il o i k o w i tsch und sei ein „V elopolietz" (ein Belgrader). Sie wohne zwei Tagereisen von Belgrad in Serbien hinein und sei die reichste junge Kaufmaunsfrau im ganzen Lande. Sie war ein äußerst zierlich gebildetes Püppchen, das ein Maler sofort hätte portraitire» und für eine persische Prinzessin ausgeben können. Ihre knappen, engen und seidenen Ilntergcwandcr und darüber dic mit Pelz verbrämten Ueberwürfe kleideten sie vortrefflich. In zwei dicken schönen Flechten hatte sie ihr schwarzes Haar wie einen Turban rund um den Kopf herum gelegt, und zwar etwas schief, wie einen etwas nachlässig aufgelegten Kranz. In den Haaren steckten, an Nadeln befestigt, Du-caten und verschiedene türkische Goldmünzen, die vom Kopfe dieser Nadeln an kleinen goldenen Händchen herabhingen. Den Scheitel hatte sie mit einer rothen, reich mit Gold gestickten Mütze (einem Fcß) bedeckt, von dein ein voller Quast goldener Litzen buschig in den Nacken herabfiel. Giue lange goldene Kette hing über ihren Hals, und ein mit silbernen Zierathen bedeckter Gürtel umspann ihren schlanken Leib. Sie kam mir so ungemein schlank vor, daß ich mir einbildete, sie könnte kein anderes Rückgrat haben als das einer Schlange. Wenigstens müssen diese serbischen Weiber äußerst feine Knochen besitzen. Ich wunverte mich über den Glanz dieses Negliges. „O Sie sollten sie erst einmal in ihrem Festkleids sehen, mit Perlen und Gold bedeckt! Da würden Sie staunen!" sagten ihre Begleiter. Gewöhnlich hatte sie die beiden zierlichen Händchen in den beiden Seiten- 413 tischen stecken und schien sich über ein paar unserer deutschen Frauen zu moquircn, welche mitten in dem Gc< tümmcl saßen und strickten. Sie war über die Blüthe der Jahre hinauS; dein» sie zählte schon 22 Sommer, was in Serbien für ein Frauenzimmer nicht mehr jung ist. Nichtsdestoweniger war sie bereits seit 14 Jahren verheira-lhct. „Vci uns verheirathct man die Kinder schon in der Wiege," sagte mir ein Serbier! Die spanischen Juden waren vollkommen orientalisch gekleidet und hatten auch überhaupt mehr Maurisches und Türkisches als Jüdisches in ihrem Wesen. Sie sagten mir, daß eS in Wien einige orientalisch-Mische Häuser gäbe, die daselbst schon seit langen Zeiten etablirt seien. Sein Haus, bemerkte der einc, heisic Buenviuista und cristire schon seit 200 Jahren in Wien. Sie haben in Semlin und in Neusatz Fattoreien, in Wien aber das Haupthaus. In Thessalonich und Stambul seien die meisten ihrer Vrü-der, und zwischen diesen Puncten: Stambnl, Thcssalonich, Semlin und Wien, bewege sich ihre Correspond«.'»,; und ihr Verkehr. Sie sprachen nicht ungarisch, wohl aber das Deutsche, als eine bis zur türkischen Gränze in Handels-verhältnisfen unentbehrliche Sprache. Sie correspondiren unler einander aber spanisch, das sie als ihre Mutter-spräche ansehen. Toch ist dieses Spanisch mit manchen italienischen und dann auch mit vielen türkischen Worten untermischt, so z. V. „tl'iten" (auf,Türkisch Taback), „tscin-buk" (Pfeife). Wir hatten drei solcher Juden an Vord. Sie waren alle drei wohlbeleibt, im Gegensatze zu unseren europäischen mageren Juden. 4l4 Von diesen letzteren trafen wlr viele auf dem Vor^ vertheile des Schift's, wo unsere Vorstädte lagen, das Iu-denquartier, die Razenstadt, die Vorstadt der deutschen Gartner, Schenkwirthc und geringeren Handwerker, nebst einer Beimischung von Illyriern, Kroaten und Slowaken, wie man diesi in allen ungarische» Städten wiederfindet. Alle Waarenballcn, die eisernen Arme der Schiffsanker, die Schiffskanoncn und die Knauel der Taue und Stricke, die Luken, Strickleitern und Treppen, Alles war mit diesen Leuten dicht besetzt, und in den engen Gassen zwischen allen jenen Gerathschaftcn war das Gedränge ärger als auf den Marktplätzen von Pesth. Da lebte und webte eS von ethnographisch-interessantem Stoffe, und wer da gewußt hätte, sich Alles zu denten und in jeder Rücksicht klar zu machen, was ihm hier als solcher Stoff, ohne um Verzeihung zu bitten, ans die Füße trat, was ihm auf Schritt und Tritt begegnete und anrennte, was dort im Sonnenscheine sich sonnte, was hier im Schatten lag und schnarchte, was in den unteren Schiffshöhlcn spcis'te und pokulirte, was in jenen» Loche kreischte und fluchte, was dort, in schwarzer Hülle vermummt, melancholisch und simnlircnd dasaß und nichts von sich sehen ließ als Nasenspitze und Fußzehen, — wer dieß Alles, sage ich, hatte deutlich aufdecken, erkennen, zeichnen und nach Wesen. Zweck und Absicht, Alter und Geschlecht, nach Sprache, Nationalitat und Lebensschicksal darstellen mögen, der hatte damit sich und der Wissenschaft eincu lehrreichen Dienst erweisen können. Ich sand unter all' diesem Volte auch zwei Fran- 415, ziskaner aus der Türkei und zwar auö Bosnien. Sie trugen breiikrampige Hüte und Schtturrbarte und sprachen kein Wort Deutsch, wohl aber Lateinisch. Sie kamen von der Erlauer Schule in Ungarn, um nun nach beendigten Studien von Eszck aus nach Bosnien zurückzukehren. Sie sagten mir, daß sie in Bosnien zwar auch Schulen hatten, daß sie daselbst aber mir 8^llnm3lic»m, rlietoncum und allenfalls auch poösiam absolviren könnten, „»e«! 1>lnlo80l>!lmin et tl^coloß'mm älisolver« in noZtris «clloli» >m^08Ä>blle c«t, et earum gratia in ltnng:»ri»m veni-lnuZ." Alle Jahre kolumen emige heraus, die in Ungarn, dein Lande des Lichts für die ,Katholiken der nördlichen türkischen Provinzen, ihren Stndicn durch die Philosophie und Theologie dic Krone aufsetzen und dann so geschmückt in ihr Vaterland zurückkehren. Sie sagten mir, eS gäbe drei katholische Franziska-nerklostcr und unter ihrer Leitung und Pflege eine kleine Hccrvc von einigen tausend Katholiken in Voönien. In Türkisch-Kroatien soll ihre Anzahl noch größer sein. ES ist bekannt, daß sonst die Grundbevölkcrung Voönicns der griechischen Kirche anhängt, wahrend die größere Hälfte der Vornehmeren zum Mahomedamsmus bekehrt ist. Bosnien (lateinisch-ungarisch „Nama" genannt) war zu verschiedenen Zeiten dem ungarischen Königreiche unterworfen, und es ist ein Land, welches die Ungarn noch ebenso alls der türkischen Herrschaft wieder zurückverlangen, wie die Franzosen das linke Rheinufer aus der deutschen (obgleich letztere allerdings mit geringerer Aus« stcht ans Erfolg). Vielleicht sind jene Katholiken noch 410 aus der ungarischen Zeit her in Bosnien und ihr und ihrer Klöster Zusammenhang mit Ungarn daher sehr alt. Die Franziskaner sagten mir, sie würden auch von Italien aus vom Papste zuweilen beschenkt, und von diesem wie vom Kaiser von Oesterreich („a re^e," sagten sie) bekämen sie auch jährlich ein kleines Geschenk, vom Papste „300 tlwleros" und „2 re^e 400 tkaloros," was der großen und äußersten Armuth, in der sie unter den Türken lebten, sehr wohlthäte. Ich traf später in einem ungarischen Kloster auch noch Franziskaner aus dem türk« ischen Kroatien, und es giebt ihrer ebenfalls in Bulgarien. Es ist eine merkwürdige Erscheinung, daß von allen den katholischen Orden, welche sonst vor der türkischen Zeit in dein südlichen Theile von Ungarn bestanden und zum Theil (z. V. im Vanate) reich begütert waren, sich überall fast allein nur der arme, bettelnde, ungelehrte Orden der „kleinen Väter" („patres minures," so nennen sich die Franziskaner) erhalten und mit den Türken über seine Existenz verglichen hat. Gö liegt dieß natürlich in dem Charakter und Wesen dieses Ordens begründet; denn theils reizten die Franziskaner der Türken Habsucht nicht durch ihre Reichthümer, theils mochten die Mahomedaner bei den Franziskanern die frappanteste Achnlichkeit mit ihren Derwischen (Derwisch heißt „ein Armer," und die Derwische sind daher buchstäblich die mahomedanischen Vettel-mönche) entdecken, theils endlich nahmen auch die Franziskaner, als die am wenigsten gebildeten und gelehrten Mönche, an dem rohen türkischen Wesen am wenigsten Aergerniß und fanden sich am leichtesten mit ihnen ab. Sie 417 waren aus diesen — und noch auS anderen Gründen vor allen geschickt, die schwachen kleinen Flammchen des katholischen Christenthums, welche unter der türkischen Herrschaft im südlichen Ungarn und in den daran gränzenden Ländern lebendig blieben, zu nähren und zu pflegen. Es gilt dleß übrigens noch von manchen anderen türkischen Provinzen, nnd auch in Jerusalem sind ja Franziskaner die Hüter des heiligen Grabes. Ich sagte oben, daß in einem kleinen Zirkel unserer Gesell« schaft gewissen Walachen zu Liebe etwas französisch gesprochen wurde, — daß die schöne Serbierin sich mit ihren Anbetern serbisch unterhielt, —daß die orientalischen Juden spanisch mit einander conversirtcn, — daß die bosnischen Franziskaner nur lateinisch redeten, — daß noch andere Leute sich mit einander auf Illyrisch, auf Griechisch, auf Walachisch und auf Ungarisch verständigten. Ich muß noch hinzusetzen, daß zwar auch ein Theil der Equipage, so wie der Ca-pitain selbst, Italiener waren und sich italienisch mit ein» ander unterhielten, und daß ich mehre andere Leute sah, die, wenn sie auch nichts sagten, doch gewiß in ihrer Sprache dachte», — zugleich muß ich aber auch sagen, und daS war eigentlich die Hauptbemerkung, die ich machen wollte, daß bei aller dieser babylonischen Verwirr» ung doch die deutsche Sprache diejenige war, welche am allerallgemeinsten vernommen wurde, und die alle diese Donaufahrer wie ein gemeinsames Band und ein durchgreifendes Verständigungsmittel zu umschlingen schien. Deutsch war erstlich einmal auf dem Quarterdecke die Hauptsprache. Deutsch war die ganze Vewirthung auf dem Dampfschiffe »I. 27 4!8 und Alles, was mit ihr zusammenhing. Deutsch radebrcchte» selbst die walachischen Bojaren, wie ich sagte, und deutsch sprachen die Serbier ziemlich geläufig. Deutsch commandirte sogar der italienische Capitain („Los! Seppel!" — „Anziehen! Seppcl!" und andere deutsche Commandoworte erklangen zuweilen dröhnend durch sein Sprachrohr). Deutsch sprachen natürlich alle Juden, alle Gebildeten unter den zahlreichen Magyaren und alle noch zahlreicheren Deutschen selbst unter den 350 Passagieren. Ich kann hierbei eine kleine Betrachtung nicht unterdrücken. Ich weiß nämlich, daß Manche der Ansicht sind, daß durch die Dampf-» schifffahrt und die durch sie herbeigeführte Eröffnung der Donau in Ungarn ein Niese geweckt werden möchte, der für Oesterreich gefährlich werden könnte. Ja, es giebt sogar viele patriotische Ungarn, die nicht blos aus allgemeinem ssifer für das Gute und Bessere, sondern auch ganz vorzüglich aus der besonderen Hoffnung auf Ver-mehruug der Macht ihrer Nationalitat in Bezug auf Oesterreich für die Dampfschifffahrt außerordentlich eingenommen sind und mit Stolz und großeit Erwartungen auf diese rauchenden und dampfenden „Zrinys," „Errös" ic. hinsehen, als könnten sie dazu dienen, dereinst wieder ein unabhängiges Magyarenreich begründen zu helfen. Ich glaube, daft man in Wien durchaus nicht dieser Ansicht ist, daß man dort vielmehr weit größeren Vortheil für das Dcutsch-thum als für das Magyarenthum aus der eröffneten Dampfschifffahrt erwartet, und mir scheint es, daß man dort richtiger sehe. Die Dampfschiffe tragen ohne Zweifel den Samen zu vielen kaufmännischen und industriösen Unter- 419 nehmungen mit sich und verschleppen ihn an dcr ganzen Donau hin. Die Trager und Pfleger dieses Samens sind aber die Deutschen und andere westeuropäische Nationen weit mehr als die Magyaren selbst. W werden also in Zukunft von Oesterreich auS deutsche Elemente noch weit mehr als früher nach Ungarn einströmen. Die Städte des 3cm-des und die städtischen Gewerbe werden zunehmen und steige», das Gewicht der Städte und der Bürger wird mithin bedeutender werde», und diese jetzt also im Steigen begriffenen Stadt-Communen sind alle mehr ans der österreichischen als ans der magyarischen Seite. Pesth lag sonst von Wien drei bis vier Tagereisen entfernt, jetzt ist es ihm bis auf eine Tagereise nahe geruckt. Wenn ehemals ein Deutscher sagte, er habe auch Ungarn betreten, so war es meistens nnr die Gränzstadt Preßburg, die er gesehen hatte. Jetzt ist das Geringste, dasi man auch bis nach Pesth vor-schreitet, und ich glaube, daß die Wiener Polizei in den letzten Jahren mindestens dreimal soviel Pässe dahin ertheilt hat als früher. Es scheint also, dasi man die Dampf-fchifffahrt eher als ein Gegenmittel denn als ein Beförderungsmittel des in seinen Ansprüchen steigenden Magyarismus betrachten könne. In den Weiden und Steppen Ungarns liegen die Herzwurzeln des Magyarenthums. Je mehr man die ungarischen Weiden in Ackerland zu verwandeln, je mehr man die Marktflecken in Städte umzubauen, je mehr man das ganze Land in die Netze der Chausseen, Eisenbahnen und Dampfschifffahrtslinien einzuspinnen im Stande ist, wird sich nicht Alles desto mehr mit Deutschland verasstmiliren? Vtit dieser ganze» bunten Ladung von Menschen — 275 420 wäre die Welt in diesem Augenblicke, was Gott gnadig verhütete, von einer zweiten Sündfluth zerstört worden, wir hatten spater aus dem Bauche unseres Schiffes zur neuen Bevölkerung der Lander alle Nationen, alle Religionen und Neligionsspaltungen wieder hervorgehen lassen können — mit dieser Arche Noah voll Nationen, sage ich, landeten wir gegen Abend bei unserer vierten Station, bei Vaja. Dieser Ort liegt auf der linken Seite der Do« nan. Mir kommt es aber, wenn ich an ihn zurückdenke, immer so vor, als müsst er auf der rechten liegen; denn weil das Dampfschiff, um an den Stationsplatz zu gelangen, einen großen Vogen im Strome beschrieb und dann, gegen denselben anfahrend, sich an dem Landungsplatze anlegte, so habe ich Vaja nur zur Rechte» des Schiffs ge< sehen. Die Dampfschiffe thun dieß bekanntlich immer auf allen Flüssen, und es entsteht dadurch in den Köpfen der Dampfschifffahrtspassagiere eine große geographische Verwirrung, wenn sie nicht sorgfältig die Bewegungen des Dampfschiffs beobachtet und dabei die Karten verglichen haben. In dem Gedächtnisse jener Passagiere liegen die Stationen der linken Flußseite auf dem rechten Ufer, und umgekehrt die Stationen des rechten Ufers auf dem linken. Vei Vaja verließ uns leider die liebenswürdige Nr. 30 aus der Königin von England. Wir stiegen mit ihr an das Ufer des Landes der metanastischen Iazygen und überlieferten sie hier den Handen ihres Gemahls, der freilich gut gekleidet war, aber in seinem sehr schlichten magyarischen Aeußeren uns nicht ganz zu dem zarten Wesen zu passen schien. Ich redete ihn deutsch und dcr Franzose franzö- 421 fisch an. „Mein Mann versteht leider wenig Deutsch und Französisch," sagte sie, und der Franzose konnte daher, ohne Eifersucht zu erregen, noch ei„ Vonmot machen, daS nicht übel war. „Sehen Sie, Madame, den bescheidenen Deutschen," sagte er, indem ich lhr einige Dornen und Disteln von den Kleidern ablaS, die sich am Ufer angehäkelt hatten, „sehen Sie, die Dornen nimmt er für sich und die schönen Rosen läßt er Ihnen auf den Lippen." Etwas lächelnd und leise erröthcnd verschwand sie uns in dem Getümmel, und wir sprangen, als man eben das Vret wegziehen wollte, an das Dampfschiff zurück. Vaja liegt etwa ein halbes Stündchen von den Donausümpfen abseits. Vs führt ein schmaler Canal zur Stadt — ich weiß nicht, ob es ein künstlicher oder ein natürlicher ist. Dic abgehenden Passagiere gelangten alle auf kleinen Rudelschiffen dahin. Wir sahen die neuen Gebäude des Orts durch die Weidengebüsche mit frischen Kalkfarben herüberwmkeu ; denn diese Stadt Vaja hatte bekanntlich vor anderthalb Jahren das Unglück, durch Feuer, wie Pesth durch Wasser, zu einer vollkommen neuen Auflage aller ihrer Gebäude veranlaßt zu werden. Es trafen damals gleichzeitig mit dem Brande von Vaja viele andere Feuersbrünste in Ungarn zusammen, wie denn in trockenen Jahreszeiten die Feueröbrünste zuweilen in ganz Ungarn gleich einer Epidemie die Runde machen, wie in den französischen Städten die Emeuten. Sieben Meilen von Vaja direct nach Osten liegt 422 Thercfiopol und sieben Meilen direct nach Westen Fünf-klrchen, beide in diesm Gegenden ein Paar bedeutende Städte. Als unser Dampfer wieder seinen Zirkel im Strome zurückbeschrieb und mit den Fluthen weiter schoß, recapitulate ich im Stille», was mir die Nr. 30 von diesen Städten erzahlt hatte, die sie beide genau kannte, von dm Casinos , den Bällen und dem Theater, das sie dort zuweilen hatten, aber nur selten; denn obgleich dif Stqhh über 39,000 Einwohner hätte, so sei doch Pesth in geselliger Ncziehung für sie die einzige Ressource. Thcresiopol hat ein Stadtgebiet von 36Quadrat-meilen und darauf 3 Dörfer und 10 Prädien, dagegen aber unzahliges Hornvieh. Es wurde der Kaiserin Maria Theresia zu Ehren benannt, ebenso wie die Iekatherinopols, Ielisawethpols und andere Steppen stadte im südlichen Rutland anderen Kaiserinnen zu Ehren. Fünfkirchen (auf Ungarisch.- roc«, sprich: Petsch) auf der anderen Seite der Donau bildet einen großen Gegensatz zu Theresiopol. Gs ist eine uralte Stadt (das römische 8opian»e). Der türkische Kaiser Soliman, der sich hier eine Zeit lang aufhielt, nannte e,s in Betracht seiner schöne» Lage in einem reizenden Thale ein irdisches Paradies, und die Ungarn haben es mit Wien (auf Ungarisch: Lec«, sprich: Vetsch) verglichen, indem sie das allgemein bekannte ungarische Sprüchwort machten : „Dem Deutschen gefällt m.r Vetsch, der Ungar lobt sich Petsch" (Hemet uek vecs, U»8>»r uall ?e«), womit sie sagen wollen, daß Jeder sich in feiner Heimath am beßtm gefalle. Besonders viel erzählte man mir von dem jetzigen Fünf- 423 kirchener Vischofe Seppcsy, welcher würdige Man« zu dein alten Glänze von Fünfkirchen ungemein viel Neues hinzugefügt habe. Auf seine Veranlassung sei die ganze Stadt, so zu sagen, umgebaut worden, und er verwende den größten Theil seines großen Einkommens für die Stadt und zu Gunsten des PublicumS, so daß Petsch jetzt entschieden die schönste und anmuthigste Stadt weit und breit sei, obgleich sie nur 12,000 Einwohner zähle. Von Vaja ging's weiter auf Mohacs (svrlch: Mohatsch) zu. Das Bild, das wir vor Augen und zu den Scitcu hatten, war immer unveränderlich dasselbe, — Weiden, Linden, Pappelgebüsche zur Linken, hohe, kahle Ufer zur Rechten und vor uns der breite, schöne, wundervolle Strom. Wir saßen in zahlreicher Gesellschaft auf unserem bcwustten Schloß- und Rath-hauSplatze beisammen; da kam ans dem entferntesten Theile der Vorstadt ei» bettelnder Soldat auf Krücken herangehinkt und erzählte uns die Leidensgeschichte seiner verlorenen Beine. Wir lernten daraus in einem ersten Beispiele die große Noth und die Gefahren kennen, denen die armen Wachen in der Militargranze ausgesetzt sind; denn daher war der Soldat. Am 31. Januar 1838, sagte er, habe er zu einem einsamen Posten an der türkischen Gränze eine Votschaft bringen müssen. Der Abend und ein Schnccwettev hatten ihn überfallen, und er wäre nur langsam aus der Stelle gekommen, als er, mit dem Wetter kämpftud und gegen den Sturm ringend, Plötzlich das Geheul von Wölfen vernommen habe. Gr sei anfangs ftines Weges weiter gegangen, habe 424 es aber bald für gerathen gefunden, auf einen Vaum zu klettern; denn die Wölfe hätten ihn näher und näher umkreis't. Hier auf dem Baume sei er nun freilich vor ihnen sicher gewesen, aber auch ein Gefangener für die ganze Nacht; denn die wilden Bestien hatten ihn dort in großer Schaar umlagert. Unter beständigem gierigen Geheul hätten sie den Vaum umkreis't, wären hin und wieder gelaufen und zuweilen auch an den Stamm desselben hinangesprungen. Er habe an« fangs auf sie gefeuert, aber der Wölfe sei eine Unzahl gewesen, seiner Patronen aber nur sechs. Da er immer gefurchtet, es möchte doch einer von ihnen den Vaum erklettern, so habe er sich bemüht, Feuer anzumachen. Er habe die trockenen Flechten und Moose auf den Zweigen zusammengekratzt, einige dürre Zweiglein abgebrochen und daraus mit seinem Zunder zu wiederholten Malen ein kleines Feuer angeblasen, das ihn etwaS warm erhalten und die Wölfe in Schrecken gesetzt -, zuletzt aber sei die Kälte immer ärger geworden, und er habe bemerkt, wie der Frost ihm in die Füße getreten sei und seine Kräfte abgenommen hätten. Da habe er sich den Leib mit einem Tuche an einen festen Ast gebunden und mit aller Gewalt denselben umklammert, um den gierigen Vestien nicht in den Nachen zu fallen. In dieser Lage müsse er wohl an dem Vaume erstarrt und eingeschlafen sein; denn bald habe er das Bewußtsein verloren, und am anderen Morgen habe er sich bei'm Erwachen in den Handen seiner Kameraden befunden, die ihm nachgeschickt worden wären und die ihm versichert, 425 sie hätten .ihn für todt vom Baume genommen. Todt war er nun nicht, aber ein Krüppel; denn beide Veine waren ihm erfroren und mnßten ihm amputirt werden. Nun wäre er bei'm Kaiser in Wien gewesen, um sich eme Gnade auszubitlen. Ich fragte, ob er etwas er» langt habe. Ja, sagte er, eine kleine Unterstützung. Wir sammelten ihm noch eine kleine zusammen und gaben ihm 2 „Pistolen Türkcnblut" zu trinken, bei welcher Gelegenheit ich lernte, was ich noch nicht wußte, daß Pistolen eine Art kleiner, in Ungarn üblicher Glaser sind, und daß mit dem Namen „Türkenblut" die Ungarn und Granzer, die seit langen Zeiten so viel Türkenblut vergossen, einen gewissen rothen Wein beehrt haben, bei dem sie sich gewiß gern einbilden, es sei Türkenblut, was sie trinken. Wir hatten anch einm Maler auf unserem Dampfer, der mir mehre Male klagte, er könne leider gar keine Gegenstände auf dem Dampfboote entdecken, die sich malen ließen, obgleich er erpreß eben nur, um pittoreske Sujets zu finden, mitgefahren sei. Ich gab ihm den Rath, er solle einmal jenen Soldaten auf dem beschneiten Vaume malen, indem er sich eben im Moose und dürren Gezweige mit ängstlicher Hast ein Feuer anbliese, unten im Schnee die leuchtenden Äugen der gierigen Wölfe, deren dunkle Gestalten, wie die Umrisse der Vaume des Waldes, in dem trüben Lichte des angeblasenen FeuerS etwas heraustreten müßten, so jedoch, daß der arme geängstigte Mensch der am meisten Beleuchtete, die Hauptsache bliebe. Ich sagte ihm, dieß müsse ein gutes 426 Nachtstück geben. Gr wollte aber nicht recht darauf eingehen, und meinte/ das Ware etwas ganz Neues, daß aus dev so unbeholfenen Erzählung eines gemeinen Soldaten ein Maler ein gutes Gemälde machen sollte. Ich erwiderte ihm, auf diese Weise wurde er nie etwas Großes finden; den» die schönsten Genrebilder und Situationen wären wie die Diamanten oft unter der unscheinbarsten Hülle verborgen, und nirgends saßen die Edelsteine geschliffen, weitlenchtend und 5 j<,»r gefaßt in den Gebirgen. In Mohacs kamen wir schon bei Nacht an. Der arme König Liüwig von Ungarn kam hier bei Tage qn, doch war ihm der Tag trauriger als uns die Nacht; denn ihm war keine Rückkehr von hier vergönnt. Von den Seine» (von Zavolya) verrathen, von den Türken geschlagen, auf ermattetem Perde ging er hier durch ein?« VuwPf, in welchem er versank, zum Tartarus ein. Die Schlacht von Mohacs (im Jahre 1526 den 29. August) entschied auf lange, trübe Jahre Ungarn's Schicksal; denn die Eroberung deS Landes durch die Türken, d. h. die mehr als hundertjährige Bedrückung und Entvölkerung der Hälfte Ungarns, war eine Folge dieser verlorenen Schlacht. Der junge König Ludwig war nach Abhaltung eines Reichstages, dessen Sitzungen einer Reihe von jubilircnden Bacchanalien glichen, mit 20,000 Mann dein Snltan Soliman, der 200,000 Soldaten heranführte, entgegengerückt. Ludwig's Feldherren selbst sahen wohl das Unsinnige ihres Unternehmens ein und sagten scherzend, wer von ihnen übrig bliebe, würde bestimmt eine Reise nach Rom zu machen 427 haben, um alle übrigen canonistren zu lassen; denn so viele Leute sie führten, so viele Märtyrer und Opfer für die christliche Religion waren auch da. Aber wie von einem unabwendbaren Schicksale getrieben, gingen sie alle mit Enthusiasmus in ihr Verderben, weßhalb die ungarischen Schriftsteller auch sagen, nie sei ein Reich mit solchem Jubel und unter solchem Leichtsinn seiner Führer untergegangen wie damals Ungarn. Als den Untergang des souverainen, großen, machtigen und mittelalterlichen Ungarns kann man in der That diesen Verlust auch bezeichnen; denn später ging Ungarn aus der Herrschaft der Türken als ein vielfach anderes wieder hervor. In der Schlacht kamen nicht weniger als 6 hcldcnmüthig kampfende Bischöfe und Erzbischöf/ um's Leben (vielleicht in keiner anderen Schlacht, die die Geschichte nennt, sind so viele hohe Geistliche erschlagen worden). Es ist merkwürdig, daß gerade auf eben diesem Schlachtfelde etwa 200 Jahre spater die Türken zur Vergeltung ihrerseits von dem berühmten Prinzen von Savoym auf's Haupt geschlagen wurden. Das Andenken jener ersten Schlacht wild noch jetzt an iedem 29. August gefeiert. Die Bevölkerung der Stadt Mohacs und der ganzen Umgegend rückt in's Feld, und es werden daselbst in deutscher, illyrischer und ungarischer Sprache Reden gehalten. Auf der Stelle, wo der König Ludwig versank, —« eigentlich drückte ihn sein Pferd in den Schlamm hinein, indem es den König bei einem letzten Versuche, durch einen energischen Satz festes Ufer zn gewinnen, abwarf und 428 zurückfallend auf ihn stürzte —> soll jetzt eine kleine Kapelle errichtet werden. In dem Palaste des Bischofs befinden sich mehre Bilder, welche die Schlacht und den Plan derselben darstellen. Für den Ungläubigen, der nun doch noch nicht an die Schlacht von MohacS glauben wollte, giebt es übrigens auch noch 5 andere handgreifliche Zeugen derselben, die einmal hier sehr lautes Zeugniß für die Schlacht abgelegt haben und jetzt noch wenigstens deutlich und sichtbar im Sande — wenn es regnet, im Moraste — einer Straße von Mohacs stecken. Ich nmne nämlich 5 Kanonen, welche die Türken hier ließen, wahrscheinlich, weil sie in der Schlacht unbrauchbar geworden waren. Ich habe sie alle 5 selber im Mondscheine gesehen. Drei kleine stehen neben einem Heiligenbilde des Johannes eingepflanzt und zwei größere vor dem Moharser Salzamte, an beiden Ecken des Hauses. Uebrigens sind der König Lxdwlg, der am Ufer der Donau im Sumpfe stecken blieb, Arpad, der mitten in der Donau begraben liegt, und der Kaiser Valentinian, der in Konwrn am Fieber starb, nicht die einzigen hohen Herren, welche durch ihren Tod den wilden ungarischen Strom ittustrirten. Die Menge der Fürsten, Könige und Kaiser, welche von uralten Zeiten her hier an der Donau von Barbaren erschlagen, oder von den Donaufiebern getödtet, oder von seinen reißenden Fluthen fortgeschwemmt wurden und darin umkamen, läßt sich kaum zählen. Und solche berühmte Fluß-Uebergänge von Armeen und Feldherren, wie der des 429 Cäsar über den Rhein, giebt es hier von des Dariuö Uebelgang und Brücke, die Miltiadeö bewachen sollte, und von des LysimachuS Uebergängen über die Donau in's Land der Daken bis auf den neuesten Uebergang des Kaisers von Rußland in einein kleinen Nachen eine unzählige Menge. Es schweben mir aus der ungarischen und byzantinischen Geschichte viele solcher Uebergänge von Königen und Kaisern in kleinen Nachen vor, ganz sowie unS der des Kaisers von Rußland durch die Zeitungen beschrieben wurde. Es fehlte immer an Vrücken auf der Donau, und natürlich zogen die An« führer und Konige lieber kleine, schnelle Voote vor, die sie für sich allein zur Inspicirung hatten. Kein Fluß in Europa hat so große, in historischer Hinsicht interessante Flotten getragen wie die Donan. Kaiser Conrad und Kaiser Friedrich fuhren die ganze Donau bis Serbien hinab, wie dieß auch schon zu den Nömerzeite» mehre Feldherren gethan hatten, und die Türken, die Oesterrelcher und Ungarn lieferten viele Wasserfchlachtcn auf diesem Flusse. Da unser Dampfer in Mohacs Kohlen einnahm, so blieb uns Zeit genug, zu Ehren aller jener Kaiser, Todesfälle und Schlachten, die uns diesen letzten Mo-» ment verherrlichten, ein Gläschen zu leeren; denn in der That ist jeder letzte Augenblick, den man lebt, die Krone und Blüthe aller dcr vergangenen Augenblicke, auf deren Nacken er steht und die ihm zu seiner Verherrlichung dienen. Diese allerneuesten Momente der Nelt sind nun daher auch die allennteres' santesten und romantischsten; denn sie haben mehr Per< 430 gangcnheit, mehr Glanz der Erinnerung, mehr Masse der Ereignisse hinter sich und mehr Geheimnisse der Zukunft vor sich. Hinten Alles helles Licht, vorn die tiefste,, Abgründe der Dunkelheit. Der jüngste Augenblick, in dem ich lebe, ist immer der unerreichte Gipfel-punct des reizendsten Interesses. Wie ungenießbar, wie öde und wie unromantisch mußte nicht den Römern die geschichtlose Donau erscheinen; sie hatten das sauere Geschäft, diesen wilden Gewässern den Anfang zn einer Geschichte zu bereiten. Wie reich erscheint uns Kindern des 19. Jahrhunderts nicht schon der hier aufgehäufte historische Apparat, die übereinander polternden Trümmer, die sich drangenden Schlachtgefilde und die Kämpft auf- und abwärts, hinüber-und hcrüberwärts, und nach 1000 oder 2000 Jahren wie wird da einem Donaureisenden nicht der Rückblick sein, und zu welchem Enthusiasmus wird ihn dieser Rückblick nicht befähigen! Ich bedauere es immer, daß ich nicht einige tausend Jahre später zur Welt gekommen bin; am liebsten aber möchte ich kurz vor dem Unter-gange dieses Sternes geboren sein, um das ganze volle Maß der Geschichte zu übersehen und um Quelle wie Mündung, Geburt wie Ende der Donaugeschichte zu schreiben. Da es mit dem Steinkohlen-Fassen („Heu fassen," „Vrot fassen/' „Pferde fassen" sind österreichische MiNtar-gränzer-Ausdrücke, die hier an ihrer Stelle sind) lange dauerte, so badeten wir uns noch in der schönen, weichen Muth des Flusses, und ich fühlte diese mächtige Pulsader 43l der Geschichte des südöstlichen Guropa an meine Brust schlagen ; ich sah es, wie sie thätig und ninllner rastend ihre Arbeit verrichtete und ihre bedeutungsvollen Wirbel weiter und weiter walzte. Es war dieß Vad für uns ein historischer Genuß, eine Psychische wie eine somalische Erquickung, und die Weiber, welche zusammengelaufen waren, uns Traube» anzubieten, machten gute Geschäfte; denn wir mußten dabei wieder des Kaisers Probus gedenken, der die Stammvater dieser Trauben in diesen Gegenden Pflanzte und dann ebenfalls an diesen Donau-Ufern um's Leben kam. Endlich ging es gegen Mitternacht wieder weiter. Nun fing man an, sich zur Ruhe zu begeben. In der Vorstadt lagen die Leute in ihre Schafpelze gehüllt in allen Gcken und Winkeln herum. Die kleinen Cabinets luaren alle von unseren Damen besetzt und die große Damen - Eajüte zum Ersticken mit Frauen angefüllt. Auf dem Schloßplatze legten sich einige von unseren Herren im Freien schlafen ; andere, unter denen ich war, ^ogen es vor, in der Herren-Cajüte zu liegen. Diese bot einen eigenthümlichen A,,blick. Aus dem Divan, der die Cajüte rings umgab, hatte man nämlich, wie dieß zu geschehen Pflegt, viele Auszüge hervorgezogen, welche die Vettgestclle vorstellten, und jedeö dieser Vett-gestelle hatte einer der Passagiere mit seinen Mänteln, Kiffen, Decken und seiner eigenen Person besetzt. Es waren alle die Obengenannten, die Deutschen, Serbier, türkischen Juden, Illyrier und Ungarn, zwischen denen, wie ich oben sagte, die deutsche Spruche ein gemeinsames 432 Band des gegenseitigen Verkehrs bildete. Ich hatte mich in eine große Elenshaut eingewickelt, die ich mir auf dem Pesther Jahrmärkte gekauft. Nichtsdestoweniger fand ich sehr bald, daß jetzt, wo Alle so sprachlos da lagen, nicht die deutsche Sprache, sondern ganz andere uns unsichtbare Wesen, die von Gestell zu Gestell hüpfen mochten, jenes gemeinsame Vand des gegenseitigen Verkehrs zwischen uns Allen bilden mochten. Wenn man einmal eine Karte der geographischen Verbreitung gewisser.Thierchen entwerfen wollte und die italienischen Lander etwas stark schattircn müßte, so konnte man über die türkische Halbinsel und die ihr angränzenden Lander nur den ganzen Rest der in» Tintenfasse befindlichen Schwarze ausschütten; es würde dieß dem Auge ungefähr ein richtiges Vild der quantitativen Verhältnisse ihrer Verbreitung geben. Die Ungarn behaupten, daß sie die Wanzen aus Deutschland empfangen haben, und ebeuso behaupten sie, daß sie von den Flöhen immer von der Türkei her (von der Türkei oder von Deutsch« land haben die Ungar» immer Eins oder das Andere) außerordentliche Zufuhren erhalten. Ich begriff nicht eine Sylbe davon, wie die meisten der übrigen Passagiere so ruhig schlafen konnten, denn ich kam mir selber vor, als würde ich bei lebendigem Leibe aufgefressen. Da eö ohnedieß bald wieder Tag zu werden versprach, so zog ich eö vor, noch ein wenig in der Cajüte und oben auf dem Verdecke umherzuwandeln und bei'm Schimmer der Lampe» und des Mondes die schlafenden Physiognomiken zu betrachten. Die Physiognomie 433 ist eine Quelle unerschöpflicher Studien und Genüsse. Das menschliche Angesicht ist eine Form und Gestaltung die sich nun schon seit 6000 Jahren beständig wiederholt und immer wieder in den Grundlinien auf dieselbe Weise wiederholt. Das Schönste, das Erhabenste, das Lieblichste und Schrecklichste, es liegt dieß Alles nicht im Kelche der Blumen, nicht im Vlau des Himmels, nicht in der Physiognomie der Erdrinde, sondern in dem engen Eirund des kleinen menschlichen Angesichts. Von allen sichtbaren Dingen, die es auf Erden giebt, ist dieses Angesicht das Höchste, und es umschließt das Göttlichste, welches in die Welt der Sinne wahrnehmbar eintritt. Wir können uns die Götter selbst nicht anders denken als mit menschlichem Ange-sichte begabt. Diese Vranen, sie tragen des Jupiter's Zorn, — diese Mundwinkel, sie umschwebt der Venus Anmuth, — diese Augen, sie glühen von Dianens mildem Feuer, — dieses Kinn, es ist ein Abbild von des Mavors Kraft, — und diese Harmonie im Ganzen, gerade diese Stellung der Linien und eben ein solches Verhältniß der Theile, ein Apollo kann ihrer nicht entrath en! Ebenso wie wir überhaupt die menschliche Gesichtsmaske die ehrwürdigste materielle Form, welche es hie^ nieden giebt, nennen können, ebenso ist auch diejenige Nuancirung dieser Maske, die einer Nation und jedem Individuum dieser Nation gegeben ist, wiederum ein höchst würdiger Gegenstand tiefer Betrachtungen. Denn eben dieß blaue Mge, das du als Deutscher besitzest, li» 28 434 »it demselben Glänze, mlt derselbe» Färbung trat eö schoil den dunklen Augensternen der Römer in den Cimbern und Teutonen entgegen. Und diese Römernase, dic der — und der — und der — noch heutiges Tages trägt, sie war einst der Schrecken der Welt, und dieselbe römische Physiognomie, in Millionen und aber Millionen Abdrucken vervielfältigt, stand fast ein Jahrtausend hindurch triumphirend und glorreich auf dem Grdballe da. — Dieser Schiffer von der liburnischen Küste, der vor mir schlafend ruht, ist er nicht noch in Wesen, Geschick und Ausdruck ganz so, wie die Nömer seine Vorfahren schilderten, u»d ist er nicht nur eine Metempftchose aller der Liburnier, die fur Venedig auf allen Meeren in den Tod gingen? — Jener alte Jude mit weißem Varte, gleicht er nicht auf ein Haar dem Abraham, und sprechen seine Augenhöhlen, seine Stirn, seine Mundwinkel nicht von allen den zahllosen Leiden, welche über diese Gesichtsbildung herabkamen, so lange sie auf dem Erdboden steht und geht? — Vis zu Ti-granes kann ich hinaufsteigen bei'm Anblicke der Züge dieses armenischen Krämers, und nun mit ihnen, wie mlt einer Zauberfackel, Vieles erhellen und beleben; denn so unbedeutend er selber ist, so trägt er doch eine Maske, die schon unzählige Rollen spielte. — Die spitze, etwas gekrümmte Nase, die etwas breiten Backenknochen, dieß kurze Kinn, die abstehenden Ohren (ich glaube, jedem Volke stehen die Ohren unter einem verschiedenen Winkel vom Kopfe ab), die Breite ,mb Länge der Stirn, die Entfernung der Augenwinkel von einan- 435 der, die Schmalheit der Lippen, mit einem Worte die Proportionen aller Winkel nnd Linien des ungarischen Angesichts, seit unvordenklichen Zelten stehen sie so fest, wie ich sie handgreiflich hier vor mlr habe. So wie ich sie sehe, erschienen sie vor jenen Jahren auf den Schlachtfeldern von Merseburg und Augsburg, —- sie ritten einst, 60,000 Mal vervielfältigt, 3 Jahre lang in Frankreich, der Schweiz und Italien herum und verwüsteten wie eine unvertilgbare Hagelwolke die Städte und Fluren, — in vielfachen Variationen und Verhüllungen, im Wesen aber stets dieselben, erschienen sie unter der Krone einer Neihe von Königen, wie unter der zerrissenen Mütze unzählbarer Bettler, — so sieht man sie noch jetzt in der Hofburg zu Wien inmitten der Pracht des kaiserlichen Hofes erscheinen, so findet man sie in den einsamen Hüttcu der magyarischen Steppen. Mit solchen Lippen geboten und donnerten alle die Anführer und Gewaltigen, mit ihnen segneten alle die Geistlichen und Frommen, «lit solchen Augen, mit solchem Munde, nur weiblich gemodelt, entzückten einst alle die schönen ungarischen Weiber, dic jetzt des GrabcS Speise sind, und Mit ihnen entzücken noch heutiges Tages die ungarischen Frauen und Fräulein, die sich nun des warmen Lebens freuen. Es ist, als habe die Gottheit von Anbeginn gewisse Masken unter die Nationen ausgetheilt, die sie bis in alle Ewigkeit hinans tragen sollten. Wahrscheinlich ist es freilich, dasi anch diese MaSken nicht starr und ohne Leben sind. Anch sie mögen sich, wie Alles in der Welt, entwickeln, ausbilden, im Lause von Ac- 2»l 436 one» allmahlig sich umgestalten, zuletzt verlieren und untergehen. Doch entschwindet der Verlauf dieser Entwickelung dem matten Auge des Geschichtsforschers, dem in der Gesichtsbildung der Nationen Alles so fest und unverändert erscheint, wie in den Gestaltungen der Gebirge. Wunderbar aber ist eö, wie bei aller dieser Unab-änderlichkeit in den Grundlinien, die so außerordentlich markirt, so bestimmt ausgeprägt und gesondert sind, daß sie sich nie verläugnen und daß ein Kennerauge nie das Individuum eines Stammes mit den: eineS anderen verwechseln wird, doch die individuellen Modulationen dieser Grundlinien wieder so außerordentlich verschieden und manchfaltig sind. Wunderbar, sage ich, und unbegreiflich ist es, wie bei dem Feststehen der wenigen Grundtöne des Themas eine solche überschwangliche Fülle von Variationen erzeugt werden konnte, daß z. V. nicht nur, so lange die Welt etistirt, noch nie zwei Magyarcnge-sichter geboren wurden, die nicht auf der einen Seite deuMch erkennen ließen, welchem Stamme Israel's sie entsprossen, und doch auch auf der anderen Seite so individualisirt waren, daß Niemand das eine mit dem anderen hatte verwechseln mögen. Denn wie die Natur in keinem einzigen Stücke der Schöpfung so göttlich und erhaben ist als innerhalb des Ovales des menschlichen Angesichts, so ist sie auch in keinem einzigen so manchfaltig, so reich, so unerschöpflich vielseitig. Die Vlumengestalten, die Thierformcn, sie erscheinen alle nicht nur den Geschlechtern, sondern auch den Individuen nach aus einem Modesse hervorgegangen. Und 437 während an den Aepfel-, Kirsch- und Pflanmenbäumen alle Blüthen feit Anbeginn der Welt in Farbe und Ge« stalt sich gleichen, sind alle Blüthen am Vamne deS Menschengeschlechts von jeher verschieden gefärbt und verschieden geformt. Das Wunderbarste und Unbegreiflichste ist dabei der Vlick in die Zukunft. Denn liegen in der Vergangenheit schon unzählige Massen abgestorbener Früchte und Formen, so liegen im Schooße der Zukunft noch unvergleichlich größere Massen von Keimen für erst noch zu erwachende Gebilde. Die Schönheiten, die man nach Jahrhunderten Preisen und lieben wird, sie werden keiner einzigen der gewesenen gleich sein, und doch werden sie wieder in ihrer eigenthümlichen Art nicht weniger entzücken. Die unabsehbare Neihe großer Männer, die noch aus dem Staube erstehen soll, und zu der die jetzigen Geschlechter den Samen in sich tragen, sie werden alle ihre eigenen, nie fo verrichteten Thaten ausführen, alle ihre originellen, nie so gedachten Gedanken denken, und alle wieder ihre auf besondere Art große und erhabene Physiognomie besitzen. Wird nicht auch noch eine Menge von Völkern sich von dem großen Hauptstamme der Menschheit abzweigen? — Werden dann nicht auch noch viele zuvor nie gekannter, völlig'unerhörter National-physiognomieen erstehen — und sich für einige Aeonen festsetzen, bis sie wieder ganz anderen ebenso unerhörten Gesichtern Platz machen? Wie sich alle unsere Gedanken am Ende ln Träumereien auflösen, so schweiften endlich auch die melnlgen 438 zu dem Gebiete des Traumgottes näher und näher heran, und meine blauäugige, milchfarbige, langnasige, länglichovale, wenig abgerundete, unverwüstliche, 2000 Jahre alte, aber individualisute und in dieser Individualistrung 30 Jahre junge deutsche Physiognomie sank endlich schlummernd auf einen Waarenballen neben der bereits längst entschlafenen rundnasigen, bräunlichen, schwarzhaarigen, wohlgestalteten Maske, die ein walachisches Bo-jarenindividuum sein Eigenthum nannte, nieder. Die Batschka und ihre deutschen Eolonisten. Um anderen Morgen, den 2. September, sprach ich beim Sonnenaufgange zu einer jungen Deutschen, die sich gleich von Pesth an ein wenig mir angeschlossen und die ich gewissermaßen unter meinen Schutz genommen hatte: „Wissen Sie, Mademoiselle, daß eben der jüngste Tag angebrochen ist?" — „Ja, mein Gott, ich bitt' Ihnen, wie so denn das? Die Propheten haben doch nicht das Ende der Welt auf heute festgesetzt?" — „Nein, das glaube ich nicht! ob dieser heutige Tag auch der letzte der Welt sein soll, das Werden wir erst heute Abend in Belgrad wissen können! Pber ich meinte nur, daß, wenn ich sonst eben bei Sonnenaufgang nichts Dringenderes zu denken habe, es mir eine große Untechqlcung gewährt, mir vorzustellen, daß dieser Tag, den ich da am Himmel heraufkommen sehe, der allerjüngste ist von allen Tagen, die je warm. Diese Vorstellung schließt eine Menge interessanter Ideeen und Anspielungen in sich. Der gestrige Tag ist wie 440 eln erloschenes Licht, wie eine Zeitung von ehegestern, wie eln Stück altbacken Brot. Er ist hinabgesunken in die Masse der verronnenen Sandkörner und nur noch in dieser Masse etwas werth. Der heutige aber, der jüngste Tag geht groß, frisch und erwartungsvoll vor uns auf. Das Morgen ist wiederum nicht so interessant; denn wir wissen nicht, ob wir es je erleben werden. Es liegt noch wie ein ungeborenes Kind in dem dunkelen Schooße der Mutter Nacht. Der heutige Tag dagegen, den wir sehen und greifrn, ist wie eine Braut, die wir umarmen; vom Gestern sind wir blos die nachgebliebenen Wittwer und Wittwen. Sehen Sie doch> wie die Sonnenstrahlen über den schönen Strom daher fahren, wie sie über ihn hin schießen, alle Schlafer mit dem Gruße erweckend: „es bricht der jüngste Tag an!" — wie sie sich gleich Posaunenstö-ßen in das unermeßliche Weltall hinaus verbreiten und unzahligen uns bekannten und unbekannten Wesen ihre Wohlthaten spenden. Jetzt noch in so früher Morgenzeit hat Niemand einen bösen Vorsah gefaßt, jetzt noch beten wir alle, o möchten wir den Tag uns so unbefleckt erhalten, wie er da erscheint! — Alles, was er bringen soll, dieser neue Tag, fr hat es schon in Händen, es ist fertig, reif und zum Erscheinen bereit, und so nahe wir es haben, so wissen wir es doch noch nicht, was es sei, ob Glück — ob Unglück. Der gestrige Tag ist wie eine entschiedene Lotterie, der heutige aber wie ein Glücksrad, in das wir eben mit po« chenbem Herzen die Hand stecken / um ein Loos zu ziehen. Dieser merkwürdig helle, schöne jüngste Tag, der vor uns liegt, wie glücklich sind wir, daß wir ihn noch lcben können! Bis zum Abend wirb er verblichen sein'. Was wird man einst, wenn er erst wie eine Mumie in der Reihe der übrigen verblichenen dastcht, von ihm sprechen! Wie wirb man sich bereinst bemühen, zu entrachseln, was und wie er gewesen sei, wahrend wir Glücklichen deutlich wahrnehmen, was und wie er ist." „Etwas kalt ist er, wie es mir scheint; Sie sehen mir selbst etwas nüchtern und verfroren aus. Nehmen Sie dieß Täßchen warmen Kaffee's, mein Herr!" sagte meine neue Gesellschafterin, und da ohnebieß jetzt auch eine Menge anderer Kaffeetrinker sich zu uns gesellte, so waren wir mit den allgemeinen Betrachtungen zu Ende, und es sing wieder dle besondere Beobachtung derjenigen nahen Erscheinungen an, die uns der jüngste Tag zunächst beleuchtete. Es waren dieß die Inseln und Donauarme, welche unterhalb Mohacs gebildet werden. Die Arme bcs Flusses gehen hier zuweilen in dicken Aesten auseinander und wieder zusammen, und zuweilen eröffnen sich Aussichten in eine Menge verschieden gerichteter Arme zu gleicher Zeit. Gewöhnlich kommt es einem vor, als fahre man in einem ungeheuer großen, weitläufigen und verwilderten Parke, in welchem es statt kleiner Canale und Bache — Ströme, und statt der Blumenbeete — Schilfdickichte, und statt der Gehölzchen — Waldungen gäbe. Gegen die Vereinigung der Donau mit der Dräu hin hört diese großartige Inselbildung und die manchfaltige 442 Flußspaltung auf, und es bleiben eine Zeit lang alle Gewässer mchr beisammen. Nicht weit uon der Mündung der Dräu, wo Kaiser Hadrian die große Stadt Mursia baute, Kaiser Constantius den Maxentius überwand und die Türken und Ungarn mehr als einmal kämpften und wieder kämpften/ legten wir bei dem Ueberfahrtsorte Dally a an und dann wiederum bei dem Städtchen Vu-kovar. Man kann diese Mündungsgegend der Dräu als den ersten bedeutenden Abschnitt in der Beschaffenheit des Landes und seiner Bevölkerung bezeichnen, den man unterhalb Pesth wahrnehmen kann. Bis hierher bleibt sich Alles so ziemlich gleich. Sowie aber die Mündung der Dran passt« ist, und sowie die slavonischen Gebirge emportauchen, treten auch andere Menschen, andere Kleider und andere Naturbeschaffenheiten auf — und zwar sowohl auf der nördlichen als auf der südlichen Seite der Donau. Auf der nördlichen Seite überblickt man nur einen Theil der interessanten Gegend, welche in der ungarischen Geographie (nach der Stadt Vacs, sprich.- Watsch) das Batscher Comitat genannt wird, die'ich aber im gemeinen Leben in Ungarn gewöhnlich nur „die Batschka" habe nennen hören, und die auch wir daher so nennen wollen, weil durch diesen besonderen Namen, den das Volk erfand, sogleich auch angedeutet wirb, baß man diese Gegend durchaus als ein besonderes geographisches Individuum erkannt hat. Es verhält sich hiermit nämlich so: Das ganze Parallelogramm zwischen 442 der Donau und Theiß, jenes wüste Mesopotamien, bas Land der umherschweifenden Iazygen, dieses Hauptland der ungarischen Gulyassm und Tschikosen (Pferde-Hirten) erhebt sich im Süden zu einem niedrigen, ziem« lich unfruchtbaren Plateau, welches den ganzen Raum zwischen der Theiß und Donau ausfüllt. Dieses Hirtenplateau setzt nun aber ungefähr in einer Vogenlinie, die man von Zombor aus mit einem gegen Südosten ausgreifenden Vogen bis an die Theiß in der Gegend von Bacs zichen kann, gegen die Donau zu ab und laßt so zwischen der Mündung der Donau und der Mündung der Theiß ein schmales, ganz niedriges und ganz ebenes Flußanlanb, das den fruchtbaren und acker» bauenden Theil jenes Mesopotamiens ausmacht. Dieser fruchtbare fette Weizenboden nun, der wahrscheinlich, wie das Nildelta, als eine Aufschwemmung oder ein zarter Niederschlag der hier zusammenströmenden Flußgcwasser an« zusehen ist, ist das Ländchen, welches dem Fremden in Ungarn so oft unter dem Namen „der Vatschka" angepriesen wild. .Es ist hier fast aller Boden Ackerland und daher vornehmlich auch im Besitze deutscher Colonisten. Unter 128 Ortschaften des ganzen Vacser ComitatS sind nur 29 von Ungarn bewohnt, und diese sind hauptsächlich und fast ausschließlich nur im Norden des ComitatS zu sinben, in welchen ein Theil jenes minder fruchtbaren Hirtenlandes unter dem Namen der Teletska-ner Hügel hineinragt. Neben den Deutschen ist die zahlreichste Nation in der Vatschka die der Serbier, die 35 444 Orschaften bewohnen, während jene 41 inne haben. Doch werden die Serbier von den Deutschen an Reichthum, Industrie, Bildung und überhaupt an national-ökonomischem Gewichte bei Weitem Übertrossen. Ein sehr gebildeter und äußerst liebenswürdiger ungarischer Edelmann, der uns leider in dieser Gegend verließ, weil er in der Vatschka zu Hause war, erzählte mir Vieles von den dortigen Deutschen. Er sagte, daß die Deutschen daselbst ein Stück Land, welches die Ungarn um 100 Gulden Schein losschlagen müßten, nachdem sie es bebaut und cullivitt, oft zu mehren hundert Gulden Münze an den Mann brachten. Die deutschen Dörfer seien alle sehr reich, nicht blos an Ländereien und Wirthschaftsbetrieb, sondern auch an baarem Gelde, das sie aus ihren Probuclen zu gewinnen verständen. Ihre Rechnung sei immer in gutem Stande und ihre Kassen seien rvohlgesüllt. Es wäre ihm einmal vorgekommen, daß ein deutsches Dorf zur Nachzahlung eines Steuerquantums von 40,000 Gulden Münze verurcheilt worden. Man wäre allgemein neugierig gewesen, zu erfahren, wie die Bauern die Summe zahlen würden. Aber den anderen Tag nach der Rechtskräftigkeit des Urthels hätten die Aeltesten der Gemeinde, ohne viel Betrübniß zu verrathen, die Summe in baaren Münzen auf den Tisch gelegt. Ein ander Mal, sagte er, hatte ein großer Herr aus der Batschka mit einem anderen, der bei ihm zu Gaste gewesen und an dem gepriesenen Reichthume der Vatsch-ker Bauern gezweifelt habe, gewettet, er wolle binnen 24 Stunden von seinen deutschen Pächtern 100,000 445 Gulden zusammengeliehen haben. Die Wette wurde eingezogen, und der Herr hatte noch vor dem Abende allein von fünf Bauern die Summe vollzählig aufgenommen. Ja, am anderen Morgen, als er sie zu sich beschieden und ihnen sagte, es sei nur sein Scherz gewesen, sie möchten ihr Geld zurücknehmen, erklärten sie: nein, sie hatten das Geld nicht nöthig, der Contract sei einmal abgeschlossen, und — foppen ließen sie sich nicht; er möchte nun das Geld nur behalten; sie wollten es nicht zurücknehmen, so daß durch diesen em-Kurra» li« i-icke^e dann der Edelmann in die größte Verlegenheit gerieth. Uebrigens ist es mir auch noch merkwürdig, daß höchst wahrscheinlich schon die Römer die Trefflichkeit des Bodens der Vatschka erkannt und benutzt haben. Denn obgleich mir nicht bekannt ist, daß ihr Ackerbau hier groß war, so vermuthe ich es doch daraus , daß sie hier die Donau als Vertheidigungslinie verließen und durch einen großen machtigen Wall, der ungefähr mit dem angegebenen Hochebeneabsatz und mit dem Bacser Canale parallel läuft, dieses fette Land mit in ihre eingeschanzten und gegen die Hirtenvölker vertheidigten Gebiete hineinzogen. Auch die Ungarn wußten zur Zeit der Blüthe ih« res Königreichs, wie es scheint, die Vatschka zu schätzen. Schon Stephan l. stiftete hier ein Visrhum, und in der Hauptstadt Bacs selbst baute er ein königliches Schloß, und mehre ungarische Reichsversammlungen wurden hier gehalten. Die Batschka, sowie das benach- 449 barte Vanat gehörten zu den blühendsten Provinzen von Ungarn. Nur die Türken, die auf gleiche Weife fruchtbares wie unfruchtbares Land mit Verwüstung überzogen, ließen auch diesen schönen Strich verkommen und versumpfen. Die nachher von den Ungarn zu Hülfe gerufenen Deutschen haben ihn aber aus dieser Versumpfung wieder herausgearbeitet *). Jener liebenswürdige und kenntnißreiche Edelmann aus der Bntschka erzählte mir auch, wie es merkwürdig sei, daß fast alle Familien« und Gerichtsarchive aus dieser südlichen Gegend von Ungarn gerettet worden seien. Man habe sie nach dem Norden hin geflüchtet. Von da fei nun ein Theil nach Pesth gekommen. Die Papiere in diesen Archiven hätten aber zum Theil nach der Vertreibung der Türken wieder große Wichtigkeit erhalten, und mancher Edelmann hatte spater zu sehr hohen Preisen solche alte Papiere, die sich auf seine Güter bezogen, wieder an sich gebracht. Es sei kürzlich noch ein Streit zwischen einem Grafen Ba thy any und dem Vacser Visthume entstanden, in welchem man noch diese antitürkischm Archive nachgeschlagen habe. Ueberhaupt müsse imm in Ungarn noch auf die ältesten Papiere zurückgehen. Er habe ein solches Archiv mit Papieren vom Jahre IWI gesehen, die man immer wie ein Heiligchum bewahre, weil man mit ihrem Verluste noch Rechte zu vergeben sich fürchte (,'). *) Ich gedachte hierbei der Danziger, Tilsiter und anderer Niederungen in Ost- und Wcstprcußcn, welche cbmfalls durch deutsche, von den Orbensmcistcrsl herbeigerufene Colom'sten aus Sümpfm zu schönen Ackerländern umgeschassm wurden. Das Land Syrmien, Peterwardein und die Tschaikisten. Eo ist es also auf der linken Seite der Donau. Auf ,der rechten treten nun mit der Mündung der Sau noch verschiedenartigere Verhältnisse auf. Wenn in der Vatschka ein neues kleines Colonieenlandchen erscheint, so zeigt sich auf der rechten Seite in Slavonien ein altes, von jeher nicht von Magyaren bewohntes Königreich. Dieses Königreich ist ein schönes, langes und schmales Land, zwischen den Flüssen Dräu und Sau, die, beide von Westen heranströmend, in einem ganz parallelen Laufe der Donau zufließen. Es ist eins von den vier großen Mesopotamien, die in diesen südlichen Gegenden Ungarns mit ihren Spitzen zusammenstoßen und der Reihe nach folgende sind. 1) Slavonien zwischen der Dräu, Sau und Donau eingekeilt. 2) Pannonien oder das westliche Ungarrl zwischen der Dräu und Donau, und mit seiner äußersten Spitze bis an die Mündung der Dräu vorschreitend. 448 3) Das Land der Iazygen oder Mittelungarn zwischen der Theiß und Donau, mit seiner südlichsten Spitze, der von uns beschriebenen Batschka, vorlaufend. 4) Das Banat von der Maros, Theiß und Donau herausgeschnitten und bei der Mündung der Theiß am meisten den Spitzen der eben genannten Lander näher tretend. Slavonien zerfällt sowohl seiner Lange als seiner Breite nach in mehre Theile, der Breite nach nämlich in das der Sau anliegende und in das an der Dräu sich hinstreckende Slavonien. Jenes gehört zur Militargranze und wirb 8lavoni» militari« genannt, dieses aber heißt l-jlavouia I'rovlncialls, oder auch im gemeinen Leben das „Provincial" und das ,,Militare." Der Lange nach zerfällt das Militare in mehre Regimenter und das Provincial in drei Comitate, von denen das äußerste, in die östlichste Spitze von Slavonien zur Donau und zum Mündungsgebiete der Sau und Dräu herabünifende das syrmische Eomitat oder, wie man sich im gemeinen Leben kürzer ausdrückt, „das Land Syrmien" ist. Dieses „Land Syrmien," mit dem wir es nun zunächst und allein zu thun haben, ist ein kleines Paradies, das sich mit einer Lange von circa 18 Meilen und einer Breite von drei bis vier Meilen an der Donau gerade vis 5 vis der eben beschriebenen Batfchka hinerstreckt. Der Ursprung des Namens und die Entstehung des Lanbchens als eines politischen Ganzen reicht noch 449 in dle uralten Zeiten der Sorbisker und Daken hin-auf. Denn schon Strabo spricht von dem Orte Sir« mium, und zu der Römer Zeiten wurde es der wichtigste Platz in ganz Pannonien und der Aufenthalt der römisch-kaiserlichen Majestäten, wenn sie in diesen Gegenden Krieg führten. Jetzt liegt die große Stadt in Ruinen. Aber ihr Name ist der ganzen, einst mit Städten besäeten Provinz geblieben. Dieselbe wurde später nach dem Untergange der Römer ostgothisch, — dann eroberten sie die Byzantiner, mit denen wiederum die Ungarn lange darum kämpften. Darauf nahmen sie die Türken mit Allem, was daran gränzte, und gewöhnlich gingen die großen Heere, mit denen die türkischen Sultane zu Zeiten über den Hämus stiegen, zu> nächst durch die fruchtbaren Fluren dieser schönen Provinz. Im siebenzehnten Jahrhunderte wurde sie zurückerobert, und zu den ursprünglichen slavischen Einwohnern (Slnvoniern) gesellten sich dann viele Serbier, die zu verschiedenen Zeiten — einmal über 30,00t) ihren Patriarchen an der Spitze — einwanderten und sich dort unter österreichischem Schutze niederließen. Der größte Theil der Bewohner des Landes Syrmien gehört der griechischen Kirche an. In der Mitte durch Syrmien zieht sich ein zwölf Meilen langer, mit anmuthigen Wäldern und vielen in ganz Ungarn hochgerühmten Weinbergen bedeckter Ge-birgszug, die sogenannte „?lll8clili.a <^orn," (die Frusch-taberge). Dieses Gebirge ist eine Fortsetzung des großen, über 60 Meilen langen kroatisch-slavonischen Ge« ,«. 29 450 birgszugs, der als das mittlere Rückgrat Kroatiens und Slavoniens beide Länder der Länge nach unter verschiedenen Namen durchzieht, indem er mit den nördlichen und südlichen Gebirgszügen Pannomens und Bosniens parallel läuft und dadurch auch den Parallclismus der Sau - und Drauthäler und dieser Flüsse selbst bedingt. Ich glaube, baß es unter den größeren Flüssen Europa's nicht noch zwei andere giebt, die so in ihrem ganzen Wesen wie in ihrem Namen sich auf einander reimen und in solcher Nahe mit einander parallel laufen, wie die Save und Drave. Beide Flüsse sind et' wa 70 Meilen lang. Beide haben ihre Quellen und ihre Mündungen nahe bei einander, bleiben auch in ihrem Laufe ziemlich liahe beisammen (sie sind durchschnittlich 10 Meilen von einander entfernt) und strömen beide aus Westnordwest nach Ostsüdost, ohne viel von der geraden Linie abzuweichen und ohne irgend einen bedeutenden Winkel zu bilden. Beide haben auch kein sehr verzweigtes, sondern vielmehr ein mageres Flußgebiet, denn sie nehmen keine Nebenflüsse auf, deren Lange mit ihrer eigenen Bedeutsamkeit in Vergleich zu stellen ware. Von jenem langen Gebirge also, welches diesen seltenen Fluß-Parallelismus bedingt, ist die syrmische Fruschka-Gora das äußerste Ende und auch in jeder Beziehung die Krone, nämlich 1) in geologischer Beziehung, denn schroff setzt die Fruschka-Gora gegen die Batschka, gegen das Vanar, gegen die Militärgranze, also gegen Süden, Osten und Norden ab, sieht rund umher in einer weiten Ebene 451 ganz isolirt da und läßt den Donaustrom wahrscheinlich in einer bei ihrer Hebung entstandenen Senkung oder einem Einschnitt hart an ihrem ganzen Fuße hin» laufen, 2) in national-ökonomischer Beziehung, denn sie ist mit schönem Anbau bedeckt, reich an Producten und schmückt sich mit dem Donaustrome, dem sie leicht und schnell ihre Product? zum Verhandeln überliefern kann, und endlich 3) in politischer und historischer Beziehung, denn sie war ein Lieblingsaufenthalt des Kaisers Probus und anderer Kaiser, wird von den Ungarn ein Paradies genannt und ist für die griechischen Serben und Sla-vonier ein zweiter Berg Athos. Von allen den 16 griechischen Klöstern, die sich ,'n ganz Slavonien be« finden, haben sich allein 13 in den Thalern und auf den Höhen dieses kleinen Gebirges aufgebaut. Es wird daher die Fruschka-Gora bei den Serbiem auch geradezu das „heilige Gebirge" genannt und genießt eines wei--ten Rufes in ganz Ungarn und den angranzenden türk^ ischen Provinzen. Ein Srrbier, den wir an Bord hatten, nannte mir alle 13 Namen der Klöster Werd nil, Kruschadol, Vcschcnowo, Gergetek u. s. w. so geläufig her, daß ich sah, er habe sie oft genug bedacht und genannt. „Diese Klöster", sagte er mlr, „liegen alle an den schönsten und fruchtbarsten Platzen deS Gebirgs. Sie sind sämmtlich reich, und nicht nur aus ganz Ungarn, sondern auch tief m«s Serbien heraus kommen die Leute zu ihnen gepilgert. letzteres war besonders in diesem 295 452 Sommer der Fall, wo die Contumaz eine kurze Zeit aufgehoben und der Eintritt m's Oesterreichische frei war. Es giebt zwischen diesem Theile der Donau und dem ageischen Meere bei'm heiligen Verge kein zweites Gebirge Athos, das durch solche und so zahlreiche Klöster ausgezeichnet ware." Das Ländchen Syrmien ist nun auch wieder eines der hauptsächlichen Schweinemagazine, aus denen der große Schweinehandel in Ungarn seine Waare bezieht, und es sind daher auch in seinen Ortschaften, sowie in Neusatz und anderen ungarischen Städten, große Schwcinehändler-Compagnieen. Aus Syrmien allein sollen jährlich 70,000 Schweine auf die ungarischen Märkte geliefert werden. Sie sind meistens von der in Ungarn sogenannten Race der Mongulitza, welche kurz-beinig ist, krause wollige Haare hat, weniger flißt als die Schweine mit langen struppigen Haaren und besser die Strapazen ertragt. Sehr merkwürdig war es mir, später von den Schwcinehandlern in Berlin zu erfahren, daß diese syrmischen, dann überhaupt die türkischen (unter welchem Namen auch schon die von Syrmien mit inbegriffen werden) und ungarischen Schweine sogar auf den Markt von Berlin kommen. Den Namen Mongulitza kannten sie dort nicht, wohl aber unterschieden sie die kraushaarigen türkischen und die langhaarigen ungarischen Schweine. Sie nannten sie ,,Bachoner" (Vakonier). Sie bekamen oft in einem Jahre wohl 1000 Stück, und zwar durch Vermittelung einiger großer Wiener Viehhändler/ welche sie durch Böhmen 453 und Sachsen herbeitreiben ließen. In den letzten Jahren habe es ihnen aber geschienen, baß dieser Handelszweig etwaS abnähme. Sie vermutheten, daß sich dort m jenen entfernten Gegenden die Population mehren und daß sich daher der Preis der Schweine erhöhen möge. Sie sagten, der Speck dieser Schweine sei angenehm, aber wegen der Mästung mit türkischem Weizen (Kukuruz) nicht fest und werde leicht rinnend. Diese Schweine seien außerordentlich dauerhaft und zäh, unsere deutschen dagegen würden einen so weiten Marsch in keiner Weise ertragen können. Dabei seien sie so bissig und übermüthig, daß sie oft schon über die hohen Barrieren, die man auf dem Berliner Schweinemarkte hat, wie Hirsche hinübergesetzt und in's Freie gesprungen seien. Zuweilen seien auch schon Eingeborene aus jenen Gegen» den (sie nannten sie Walachen) mitgekommen. Alle diese Angaben stimmen ganz mit den Nachrichten, die man an Ott und Stelle über diese Dinge einziehen kann, überein, und ich muß mich nicht wenig wundern, daß selbst ein so roher Handelsartikel, wie es die syrmi-schen und dann die walachischen Schweine sind, geeignet ist, so entfernte Länder, wie es Preußen und die Türkei sind, mit einander in friedliche Verbindung und Berührung zu setzen. So also ungefähr sind die beiden kleinen Ländchen (die Batschka und Syrmien) beschaffen, die wir bei der Mündung der Dräu erreichten. Unser Dampfschiff wie unsere Blicke ankerten fast immer auf der rechten Do- 454 nauseite, als dec entschieden interessanteren und wichtigeren. Das Erste, was wir in Syrmien erblickten, waren die Ruinen eines Schlosses Eroödy, von dem cin berühmtes ungarisches Grafengeschlecht den Namen hat. Sonst giebt es fast gar keine Ungarn in SyrmieN/ nur einzig und allein zwei magyarische Dörfer. Dann sahen wir Dallya. Hier, wie überall an unseren syrmischen Landungsplatzen war viel illyrisches Volt zusammengelaufen, besonders viele illyrische Weiber, die staunend und gaffend in zahlreichen Gruppen am hohen Ufer standen. Ich sage'. illyris ch e s Volk; denn es wild jetzt mehr und mehr Mode, alle südlichen Donauslaven, die Kroaten, die Slauonier, die Ecrbier/ wo möglich auch die Vulgären, die Herzogowiner, die Montenegrin ner und auch die Krainer — „Illyrier" zu nennen. Alle diese, zwischen dem schwarzen und dem adriat-ischen Meere wohnenden Slaven sind durchweg nur ein einziges Volk, dem Stamme, der Sprache und den Sitten nach kaum so sehr verschieden als die Vaiern und die Sachsen, oder die Oesterreicher und die Steiermar-ker. Sie wissen auch in der Regel nichts von den Namen, welche wir ihnen geben. Vielmehr nennen sie sich fast alle durchweg ganz einfach ,,Slowenze" (so die Slavonier, die Krainer, die Bulgaren). Nur die Serbier nannten und nennen sich ,, Serben." Jetzt aber, wie gesagt, sollen sie alle „Illyrier" genannt werden. Napoleon hat auch dazu beigetragen, diesen alten berühmten Namen wieder aus dem Grabe erstehen zu 455 lassen — und weil diese Slaven im Gegensahe zu den meisten unserer Gelehrten, welche glauben / daß sie erst iin fünften und sechsten Jahrhunderte hier eingewandert seien, sich für uralte Einwohner dieser Gegenden halten (ich glaube, mit Recht) und auch meinen, daß mit dem römischen Namen „Illyrier" sie bezeichnet worden seien, gefallen sie sick) sehr darin, diesen Namen auf alle Donauslaven zu übertragen. Der Hauptsitz dieser Idee ist in Kroatien und Slavonien, wo die dortigen Patrioten, welche zugleich die größten Anta-gonisten des Magyarismus sind und diesem drohenden Magyaiismus einen ebenso mächtigen Illyrismus entgegenzustellen versuchen wollen. Ferner zeigte sich Vukovär, d. h. „die Stadt der Vuka." Die Vuka ist ein kleines Gewässer der Fruschka-Gora. Wir sahen hier viele Holzgerathschaften, Faßdauben, Planken, Blöcke, Balken u. s. w. Es war fast lauter syrmisches und slavonisches Eichenholz, und wir entdeckten auch eine Menge schöner, herrlicher Eichen, die übrigens in ganz Slavonien und Kroatien das vornehmste Holz der Wälder smd. Ich konnte diese slavonischen Eichen nicht wegleugnen, da ich sie selber sah. Aber doch kann ich ebenso wenig verleugnen, daß ich hier immer, wie auch in anderen nichtdeutschcn Landern, an jeder schönen Eiche einigen Anstoß nahm und sie etwas ungläubig durch mein Perspectiv betrachtete, weil ich in meiner Jugend stets gelernt hatte, daß Deutschland das Land der Eichen sei. „Du Land der Eichen! du Land der Treue!" 456 Wie kann nur ein Illyrier, ober ein Lette, oder eln Esthe, Pole/ Rufse lc. es sich herausnehmen, unter Eichen zu wohnen! So ungefähr dachte ich. Ich muß bekennen, ich habe es auch nie über mich vermocht, so recht an die kernige, solide Tüchtigkeit des slavonischen Eichenholzes zu glauben, soviel Loblieder ich auch in Ungarn darauf gehört habe. In Vukovär kamen ein paar syrmische Damen, junge, hübsche, allerliebste Wesen, an unser Schiff. Sie waren in ein Costum gekleidet, welches frappant dem Reitcostume unserer vornehmen Reiterinnen glich, nur war es von hellgrüner Farbe und mit vielen Reihen blanker Knöpfe besetzt. Sie sagten, dieß Costum ware hier jetzt Mode. Wir stellten sie unserem Capitaine vor und zeigten ihnen alle Winkel, Zimmer und übrigen Raume unseres großen Schiffs. Sie bemerkten, sie hätten noch nie ein Dampfschiff gesehen. Sie sprachen „sehr an gutes österreichisches Deutsch," und als ich mich darüber wunderte, sagten sie, dieß Ware allgemein in Syrmien. Jeder Gebildete vom Stande spräche und verstände dort deutsch, auch wären genug Deutsche in allen Ortschaften und Städten. Es hat nur zweimal in der Weltgeschichte europäische Cultur in diesen Gegenden festen Fuß gefaßt, das erste Mal, als Kaiser Probus und seine Römer hier waren, und bann das zweite Mal jetzt, wo das Deutsche hier, trotz des Illyrismus und trotz des Magyarismus, in den gebildeten Kreisen vorwaltet. Alles Andere, waS zwischen der deutschen und der römischen Zeit liegt, 457 fällt/ es mag Namen haben, welchen cs will, aus dem Kreise der westeuropäischen Cultur hinaus. Wir begleiteten unsere Damen an's Ufer zurück und baten sie nun, sie möchten uns etwas von Vu-koväc zeigen, und da uns die zerstreuten Hütten, welche in der Nahe lagen, ziemlich unbedeutend vorkamen, so versicherten sie uns, es lägen noch schr viele schöne, stattliche Gebäude, Garten und Kirchen dahinter, und je weiter wir heran kämen, desto schöner und anziehender würde es. Die Artigkeit verbot uns, ihnen nicht vollen Glauben zu schenken. Die Dampfschiffglocke aber ermähnte uns, uns mit dem Anblicke der vorderen Hütten zu begnügen und den Abschied von Vukovär und seinen Damen zu beschleunigen. Während der ganzen Weiterfahrt an der syrmischen Küste hin war ich von Serbiern umlagert, und ich kam bis Peterwardein her nicht wieder aus diesem serbischen Knauel heraus. Sie waren voll Erzählungen von ihrem Vaterlande, und ich wunderte mich, daß diese Leute so gut von seiner alten Geschichte, wie von den späteren Ereignissen unterrichtet waren. Was sie mir sagten, will ich nicht der Erzählungen, die längst bekannt sind, sondern der Erzähler wegen hier wiederholen. Gleich von vorn herein sprachen sie mir viel von dem serbischen Zaren „Duschan dem Starken," dem Sohne Königs Uro sch III., welcher ein Zeitgenosse Ea rl Robert's von Ungarn war (in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts). Serbien stand damals auf dem Gipfel seiner Macht und Blüthe, und Duschan nannte sich Kaiser 458 und führte als solcher einen Adler im Wappen. Sie sag" ten, er läge in einem Kloster der Fruschta-Gora begraben, in welchem auch sonst noch viele Alterthümer seien, und das 80.000 Gulden Einkünfte habe (?). (Im Ganzen find sonst diese griechischen Klöster in Vergleich mit den katholischen alle arm.) Dann sprachen sie mir von dem Despoten Georg Vrankowitsch — (es gab mehre serbische Despoten Namens Georg Vrankowitsch, der hier gemeinte lebte in der Mitte des scchszehntcn Jahrhunderts zu Hunyady'S Zeiten). — Jener Georg Vrankowitsch habe Hülse von den Ungarn gegen die Türken verlangt; da diese ihm die Hülfe aber nur nnter der Bedingung, daß er seinen Glauben andere, hatten gewähre» wollen, so habe er geantwortet: ,,sic möchten nicht meinen, daß er als ein Neunzigjähriger nun das, an dem er beinahe ein ganzes Jahrhundert mit Treue gehangen habe, verleugnen werde. Lieber wolle er sein Leben, seine Krone, ja sei» Vaterland einbüßen, als seineu Glauben ander», und so waren auch alle die Seinigen gesinnt." Darauf ware er in sein Vaterland zurückgekehrt und hatte allein gcgen die Türken gefochten. Es war mir besonders interessant, daß meine Serbicr gerade dieses Factum aus ihrer Geschichte so treu behalten hatten, und es mag darin wieder ein Fingerzeig liegen, wie sehr man sich hüten muß, den Glauben dieser Leute anzutasteil. Die Glaubensfrage zwischen den Serbiern und Ungarn ist nicht etwa erst neu, sondern vielmehr uralt. Fast jedesmal, wenn dieScrbier von den Ungarn Hülfe forderten, oder wenn die Ungarn einen Theil von Serbien besetz- 459 ten, oder wenn Serbier auf ungarisches Gebiet übergingen, kam sie von Äieuem zur Gprache. Jedesmal beinahe voll Seiten der Ungarn dieselben Anforderungen, und jedesmal von Seiten der Scrbier dieselbe Antwort und dieselbe Anhänglichkeit an ihre Religion. Als wir spater bei Sl an kamen vorbeiführe», wo» bei ich des hier von seinen Soldaten ermordeten Kaisers Probus gedachte, erinnerten sich die Scrbier auch wieder ihres Despoten V rank »witsch. „Smai," sagten sie, sei er znbenamt gewesen, d. h. „der Drache," wegen seiner wilden Tapferkeit. Auf dein Schlosse Slankamen habe er einmal die ungarischen Feldherren bewirthet, die Tische und Stühle waren dabei aus Leichnamen von Türken zusammengesetzt gewesen, nnd nach der Mahlzeit bei'm Weine habe der „Smai Despot Vrankowitfch" (gerade so stellten sie die Worte) mit vicr Türken, die er zu zweien unter jeden Arm genommen, einen serbischen Tanz getanzt. Von dem neuen serbischen Helden, Gregor Petro-witsch Tschornoi (Georg Peter's Sohne, dem Schwarzen) wußten sie natürlich alle Details ebenso gut wie unsere Zeitungen. Auch Napoleon, sagten sie, habe ihn gelobt und die Absicht gehabt, ihn zum Könige von Serbien zu machen. Sein Sohn sei in Rußland gewesen und stehe nun in den Dieusten des jetzige» Fürsten von Serbien. Als ich sie bei dieser Gelegenheit fragte, ob es wahr sei, daß die Serbier im Ganzen es mehr mit den Russe» als mit den Ungarn hielten, sagte» sie: „Vei nns spricht das Volk so: Zante nicht mit dem, mit wel- 460 chem du auS einem Becher das Abendmahl des Herrn ge< nießest!" In dem genannten Slankamen steht eine Kirche, die der Vrankowitsch der Drache gebaut hat. In dieser Kirche befindet sich auch noch ein Nagel, den der Despot selbst einschlug, um seinen Kalvak (Mütze) daran aufzuhängen. Gs ist jetzt in Serbien kein Mann, der an die« sen Nagel reichen könnte; denn der „Smai" übertraf sie an Starke und an Größe, die damaligen wie die jetzigen, Alle. Ich bemerkte, daß auch unsere junge hübsche Ser-bierin viel Antheil an unserer Unterhaltung nahm. „Sie ist eine große Patriotin!" flüsterte mir einer unserer Begleiter zu, „unsere Weiber sind es alle, alle!" In Wien und Pesth (besonders aber in Pesth) kann man jetzt alle die eben genannten serbischen Helden und auch noch andere, die wir nicht nannten, sowie auch die berühmten serbischen Erzbischofe und Archimandrite« in recht guten Kupferstichen und Lithographieen kaufen. Sie sind für die in ganz Ungarn zerstreuten Scrbier bestimmt und gehen auch nach Serbien hinein; unsere Patriotin hatte sich dort viele eingekauft, die sie ihrem Gemahle mitbringen wollte. So rauschten wir bei Ovatovacz, bei den Ruinen des Schlosses Scharingrad, bei'm Kloster Illock, bei'm Schlosse und Garten Kameniz vorüber und kamen endlich bei Neusatz und Peterwardein an. Die meisten jener Schlösser und Dörfer in Synnien gehören den Herzögen von Odescalchi, den Grafen Gltz, Iankowitsch und den Herren von Marzipani. Es giebt außer den 4S1 Odescalchi noch viele andere italienische Familien, die seit alten Zeiten — (durch das adriatische Meer war Ungarn stetS ln Berührung mit Italim, mit Venedig, mit Florenz — ein italienischer Fürstenzweig kam einst in Ungarn auf den Thron) — in Ungarn begütert sind. Man ist aber zuweilen verleitet, — oder ich war es wenigstens früher, und ich glaube, daß es manchem nicht besser unterrichteten Landömanne ebenso gehen mag, — vicle ungarische Große blos dem Klänge ihrer Namen nach für Italiener zu nehmen, z.V. die Palfi, Sappari (richtig geschrieben: Palsy, Szapary), obgleich dieß ganz ächte ungarische Stammnamcn sind. Ebenso könnte es einem mit dem Herrn von Marzipan! gehen, was auch so italienisch oder, eigentlich noch besser, ganz mahrchenhaft klingt. Aber die Marzipan! sind ächte Slaven und namentlich im Slowakenlandc eme sthr verzweigte slavische Familie. ?aui ist wahrscheinlich das slavische Wort zinn (d. H.Herr) und nicht das lattinifche panis (Brot) in unserer süßen Conditorwaare Marzipan. Jene wenigen großen Herren besitzen neben den Klo? stern fast das ganze Ländchen Syrmien. Die Brosamen, die von ihren Tischen falle», sind nicht den Bauer», sondern einigen kleineren Edelleuten zu Theil geworden. Die Bauern sind mehr oder weniger allesammt in ihrer Leibeigenschaft. Dieß ist ein Umstand, der geeignet ist, einem das Interesse für das ganze Volk zu verleiden; denn man kann nun einmal nur einen personlich freien Mann interessant und liebenswürdig finde«; der ärmste kleine Köcher, Fischer, Jäger, Weingärtner, oder waS er nur sei, ist 4N2 mir interessant, so wie lch nur höre, daß er sich auf seine eigene Faust, für sich, sein Weib und seine Kinder mit dem Schicksale durchschlägt. So wie man aber annintt, daß er es für einen Herrn thun muß, ist der Glanz dahin. M ist mir dieß auch oft bei den dramatischen Vorstellungen aufgefallen, bei denen man italienische, deutsche oder französische Landleute als Helden im Mittelpuncte des Stücks sieht. Alle Landlcute Osteuropas sind aber ganz untauglich, auf die Vühne gebracht zu werden. In den slavischen Provinzen, welche der Türkei unterworfen sind oder waren, in Bosnien, Serbien, Bulgarien ic.) ist eS ein bemerkcnswerther Umstand, daß der vornehmste Adel deS Landes zum Theil allmählig zu den Türken nnd ihrer Religion überging. Wenn diese Provinzen sich also von den Turlen trennen, so würde diese Trennung zugleich auch eine Befreiung von ihrem Adel sein, und es würden dann nicht die dortigen Slaven mehr als freie kleine Vodenbesitzcr aus der türkischen Herrschaft hervorgehen. In Serbien scheint in der That etwas Aehn-llcheS schon erfolgt zu sein. Peterwardein und Neusatz, jenes Festung auf einem Verge an der rechten Seite der Donan, dieses Handelsstadt in der Ebene an der linken Seite, bilden einen äußerst frappanten ParallelismuS mit Ofen und Pesth. Sie wiederholen das Bild dieser beiden Städte im Kleinen, wobei denn auch das gleich ist, daß Peterwardein viel alter ist, ebenso wie Ofen, und Neusatz jünger, ebenso wie das größere Pesth. Neusatz ist in seinem Gmporblü-hen (vor 80 Jahren war es noch so gut wie gar nicht 4S3 da, jetzt hat es über 20,000 Einwohner) ganz dem Vm-porsteigen von Pesth gefolgt. Ganz ähnliche Städtepaare, wie diese sind noch an der Donau Belgrad und Sem« lin, — Nell - und M-Orsowa, nur mit dem Unterschiede, daß hier die Akropolcn (Belgrad und Ncu-Orsowa) noch in den Handen der Türken sind, wahrend die Handclsquar-tiere (Scmlin und Att-Orsowli) Oesterreich angehören. Neusatz ulld mit ihni Scmlin leisten in Bezug auf den Handel Ungarns mit der Türkei ungefähr das, was am anderen C'nde der Donau Presiburg für den Handel mit Deutschland thnt. Ware Belgrad ungarisch geblieben, so würde wohl Semlin allein den ganzen Handel betrieben haben. Nur nach Belgrads Verlust stieg Neusatz so außerordentlich. Veide Städte sind hauptsächlich von orientalischen Handelsleuten bewohnt, von Annenlern, Juden, Macedoniern, Serben, natürlich aber auch von Deutschen. Die deutsche Sprache versteht fast jeder Bürgersmann. Von Neusatz bekamen wir nicht viel mehr zu sehen als die Donaufischc, wenn sie den Kopf zum Wasser hinausstecken. Man sitzt so niedrig ans dem Schiffe und dabei liegt die Stadt auch so niedrig in der Vatschker stbene, dasi schon der Brückenkopf und dic der Brücke nächsten Hültm die Aussicht in das Innere verdecken. Vel jeden» Dampfschiffe, welches für Genuß, Belehrung und das Pittoreske suchende Passagiere fahrt, sollte man eigentlich im Mäste einen erhöhten Sitz anbringen. Der Genuß würde da verdoppelt und verdreifacht werden. Peterwardein dagegen sahen wir so ziemlich von hinten, von vorn und von allen Seiten; denn die Festung 464 liegt auf einem hohen schroffen Vorgebirge der Fruschka-Gora, um welches die Donau rund herum einen Bogen beschreibt. Sie ist am ganzen Ufer der Donau hin nebst Komom die stärkste Festung und laßt sich sowohl in Vezug auf die Stellung, welche sie gegen die Türken einnimmt, als in Vczug auf ihre Größe und auf den Anblick, den sie gewährt, ganz und gar mit Ehrenbreitenstem am Nhcin vergleichen, welches eine ähnliche Stellung gegen Frankreich, — ebenfalls auf schroffen! Felsen, — ebenfalls von großer Bedeutung — einnimmt. Es ist mir sonst keine Festung in Europa bekannt, die sich in allen diesen Puncten mit den beiden genannten in Parallele stellen lassen könnte. Ich erinnere mich, daß uns schon in unserer Jugend der berühmte Name Pcterwardcin zu allerlei Deutungen und Anekdotenerfindungen aufforderte; doch konnten wir nicht recht hinter den historischen Ursprung dieses Namens kommen. Ich glaube jetzt, daß es weiter mchtö ist als eine deutsche Verdrehung des ungarischen Namens ?eter-väracl. Vär heißt soviel als Schloß, Festung, — väraZ (oder väros) soviel alö Stadt. Vul-36 ist wohl nur eine Variation von „varas," wie das slavische grad von ßaroli. >,,V«r" kommt unzahlige Male bei den ungarischen Stadtcnamen vor, z. V. in „Vukovur, I'emesvar ic., auch „var»sa-ß)varacl, auch blos Varaä und Hra teröburg," hätten die Deutschen sagen solle,,) so genannt sein mag, weiß ich nicht. Die österreichischen Soldaten sollen sollst diese Festung scherzweise „Peter — scharr' — ein" genannt haben, wegen der großen Ungcsundheit des Standquartiers und der häufigen Krankheiten und Todesfalle. Der ganze Felsen von Petersburg soll wie ein Ameisenhaufen von unzähligen Gangen untcrminirt sein, die zum Thcil noch ans alten Zeiten stammen. Es wird noch beständig an der Festung gebaut und rcparirt und ungeheuer viel Geld hineingesteckt. Durch ein junges deutsches Mädchen, daö bei dem Anblicke von Peterwardein und Neusatz (ihrer Vaterstadt) ganz iu Enthusiasmus gerieth, wurden wir gleich für zwei Augenblicke hcimisch geinacht ill dieser Gegend. „Ach, siehe, Mutter! unseren Weinberg und das Gartncrhäuschen, bei dem ich voriges Jahr die Blumen gepflanzt" — (die Ncufatzer haben ihre Weingarten alle auf der anderen Seite der Do» „au) — „Ach, Jesus Maria! und unser Tanzmeister steht an der Brücke, der wird sich wundern, wenn er uns wie' dcrsicht. Nun komm, daß wir unftrcu Hut nicht im Gedränge vertnickcn!" Sie hatten zwei moderne Wiener Hüte in Pesth gekauft, die für die Schwestern bestimmt waren. Der Reisende ist gar zu sehr geneigt, an den fremden Gegenständen, für die er nichts fühlt und empfindet, gleichgültig vorüberzugehen, wenn er nicht auf die Aeußerungen der Einheimischen achtet. Mir wäre eln Tanzmcistcr in Neusatz nie in den Sinn gekommen, und „i. 30 466 es wäre mir kaum eingefallen, daß man auch hier heimische Gärten mit Liebe und Sorgfalt pflege. Um das Pete»Wardeiner Vorgebirge herum wachsen die beßtcn We'me Südungarns, der Tscherrewitzer, der Karlowitzer u. s. w. Cs sollen in: Ganzen jährlich in der Fruschka-Gora 256,000 Eimer Nein gewonnen werden, was noch mehr ist als in der „Hegyalla" (dem Tokaier Wcingebirge), wo man nur 240,000 Gimer erzeugt. Die Neise des Bacchus ging hier von Cypcrn an die Donau, und von der Donau an die Theiß, und von der Theiß an dm Don, denn die Fruschka-Gora-Trauben sind die Kinder des cyprischcn Weinstockes, den Kaiser Probus hierher verpflanzte, und die Väler der Tokaier Gewächse, sowie die Großväter der donischen Trauben. Wie gesagt, wir fuhren rund um Peterwardein herum und verloren es erst spät aus dem Gesichte. Die Stadt zeigt sich von allen Seise» hoch und gebietend. Sie ist auch, so zu sagen, die Gebieterin der ganzen Militärgränze, liegt ungefähr in der Mille des ganzen dazu gehörigen Landertracts und ist der Sitz eines für die ganze Gränze bestimmten Oberappellationsgerichts. Gleich dahinter eröffnet sich eine Aussicht auf eine andere Capitale der Glänze, aufKarlowitz, das nur eine Stunde von Peterwardein entfernt liegt und der Sitz des Oberhauptes der griechischeu Kirche in der Militärgränze, in Ungarn und überhaupt in der ganzen österreichischen Monarchie ist. Man hat also ganz in der Nähe des Peterwardemcr Felsens, so zu sagen, drei 4S7 Metropolen der Militälgranze- eine deö Handels, Neusatz, eine der Militärmacht, Peterwardein, und eine der Religion, Karlowitz. Der Grzbischof von Karlowitz, der Kaiser von Rußland, der Patriarch von Kon» stantmopel, der Vischof von Montenegro und dann der Synod der Bischöfe in Griechenland sind die fünf gänzlich von .einander unabhängigen Oberhäupter der griechischen Kirche in Europa. Sonst war Alles unter dem Patriarchen in Konstantinopel vereinigt, denn auch das Oberhaupt der russisch-griechischen Kirche hing eine Zeit lang von ihm ab. Der Karlowitzer Crzbischof war kurz vorher gestorben. Mir scheint es höchst wahr» scheinlich, daß die griechische Geistlichkeit sich unter österreichischem Scepter in einem Zustande weit grösierer Unabhängigkeit befindet als unter dem russischen (den türkische» Scepter wollen wir hier nicht in Parallele ziehen), denn 1) sie hat ihr eigenes, aus ihrer Mitte durch frele Wahl hervorgehendes Oberhaupt, den Erzbischof von Karlowitz. Derselbe wird auf einem Congresse zu Kar« lowitz von 75 Bevollmächtigten gewählt, die aus der Geistlichkeit, dem griechischen Vürgerstande und dem griechischen Militär genommen sind. In Rußland ist das weltliche Oberhaupt zugleich auch Oberhaupt der Kirche, und alle Gerechtsame des Erzbischofs von Karlowitz würden unter rnssischer Herrschaft wegfallen. 2) Sie wählt auch ihre sechs Bischöfe selbst. Sowie ein Bischofssitz vacant wird, besetzen ihn die übrigen durch Stimmenmehrheit, der König ertheilt n,«r das Vc- 30* 468 stätigungödivlom diesem Vischofe. <3benso werden die Archimandritcn und Iguinenen der Klöster durch die Geistlichkeit selbst beseht. In Nlisiland geschieht die Vefetz« «ng aller dieser Stellen einfach vom Staate, und die Geistlichen erscheinen so fast nnr als Beamte des Staates. 3) Die Vischöfe der griechischen Kirche nehmen auch als Mitglieder des Reichstages an dn Gesetzgebung des ganzen Königreichs Ungarn Theil, denn sie haben auf dem Reichstage schon als solche Sitz und Stimme. In Nußland giebt es keinen Reichstag, weßhalb auch die Geistlichen dort gar keinen directen Kinflnß auf die Gesetzgebung des ganzen Landes ausüben. Daß der Einfluß der griechischen Geistlichen auf dem ungarischen Reichstage nicht von großer Bednitung ist, liegt zum Theil an ihnen selbst. Denn erstlich sind sie nicht sehr reich, und manche besuchen daher den Reichstag schon des nöthigen Aufwandes wegen nicht. Zweitens lassen sie sich von der höheren Bildung der katholischen Geistlichkeit überflügeln. Drittens ist ihr Interesse an den gemeinsamen patriotischen Angelegenheiten nicht so groß als das der Uebrigen. Der ssrzbischof von Karlowitz erscheint gewöhnlich nur mit einem oder zwei anderen Bischöfen seines Glaubens auf dem Reichstage. Me diese bedeutenden Berechtigungen, die kaum noch etwas zu wünschen übrig lassen, rühren aus Joseph's Zeiten her und wurden auf den Reichstagen zu Anfang der neunziger Jahre festgestellt und be-stätigt. In einem Dampfschiffe auf der reißenden Donau 469 hinfahrend, geht's einem nur gar zn uft so, wie in dem Lcbenöschiffe auf dem noch reißenderen Strome der Zeiten. Unerbittlich schnell führen beide Schiffe die Passagiere an allen Dingen, die am Wege liegen, vorüber. Er versäumt darüber nur gar zu leicht Dieses und Jenes, und an ein Nachholen ist nicht zu denken. Kaum besinnt man sich im Leben einmal ein wenig, so bemerkt man, wie diese oder jene schöne Gelegenheit verpaßt wurde. Kaum kehrt man auf dem Dampfschiffe von einer kleinen Zerstreuung zur Beobachtung zurück, so merkt man, jenes Schloß ging verloren, diese Ruine tauchte im Flusse oder am Horizonte unwie-derbringlich unter, — ein guter Freund nahm auf der vorigen Station -Abschied, dem man noch so gern etwas gesagt hatte, und nun ist er so gut wic todt für dich, du wirst ihn nie wiedersehen. Du magst dinircn, schlafen, träumen, Kaffee trinken oder scherzen, immer, immer gcht die nie rastende Dampfmaschine deS Lebens weiter und weiter, und am anderen Morgen findest du dich in einer ganz anderen Lage, unter neuen Freunden, ill einem fremden Lande. Darum heißt es: passe auf! —> im Leben wie auf der Donau. Wahrscheinlich hatten wir die schönen syrmischcn Trauben und Pfirsiche, von denen wir an unserem Stationsplatze ganze Haufe» für wenige Kreuzer kauften, (es waren auch Trauben von der Lauge einer halben Me darunter) zu angenehm gefunden, — oder hatte uns mit seinem Geschwatze der drollige Oesterreicher zu schr in Anspruch genommen, der unö von der Sitzung 470 eines ungarischen Landtages erzählte, welchem er beigewohnt hatte, und wo es so lebhaft hergegangen wäre, daß die Deputirten sich sogar auf Deutsch beständig Hallunke! Hallunke! (bH„nl,»" (die Sau) das untere Pannonien, dessen äußerster Theil „8«' vi»" (Slavonien) war, von „N<,e8ia" (Serbien), und dort lag ,/I'a,lr>,n>lm" (Semlin), Wie hier „8m^ißw yuilita oder «ext», illyrische oder dalmatische Reiter sich in der Ebene üben, oder dakische, sordiskische und mösischc Rekruten einererciren zu sehen ; statt dessen entdeckte unser Perspectiv aber nur eine schmauchende türkische Schildwache und ein serbisches Weib, welches diesem Soldaten etwas darreichte; was es war, tonnten wir nicht erkennen. Die Lage von Semendria im Morgensonnenschein war reizend zu nennen. Neben dem Festungö-Quarro liegt, ebenfalls noch in der Morawa-Mündlmgsebcne, eine kleine serbische Stadt gleichen Namens. Das ganze Mündungsland umgicbt ein nicht sehr hohes Amphitheater von Vergcn. Weiterhin bis Orsowa giebt es keine türkische Festung mehr, nur einzelne kleine Burgruinen, wie die von Golubatz (Taubenschloß), um die ehemals hart gekampft wurde, und um welche nun nur noch die Eulen und die serbischen Sagen und Volkslieder stattern. Das österreichische Ufer bleibt aber immer militärisch, von ernstem, kriegerischem Anblick; Wachtposten, die sich zurufen, Soldatentrupps, welche die Wachen ablösen. Das serbische verleiht mehr Stoff zu idyllischen Scenen; Vieh wird auf die Weide getrieben, die Ochsen werden am Flusse getränkt, die Madchen stehen bei den Dörfern und waschen, türkische und serbische Schiffsknechte ziehen hart am Ufer ein Voot herauf, auf dem die Schiffer in malerischen Trachten im Schatten der Waarcnballen liegen und rauchen, und doch ist eben diese Seite die gefürchtete. Unter dem Anscheine des IdyllenthumS birgt sie Krieg, Pest, Unordnung und Stoff zu räuberischen 403 Einfällen, während auf der österreichischen Gelte unter dem rauhen Schilde des Mars die Künste des Friedens blühen und sicherer geübt werden. Während das Dampfschiff bisher auf der ganzen Strecke von Pesth bis Belgrad sonst immer auf der rechten Seite der Donau anlegte, sind nun alle Stationsplatze bis Orsowa an der linken Seite, und Alles, was auf die rechte wollte, hatte uns bei Belgrad oder Semlin bereits verlassen. Unsere Gesellschaft war dadurch bedeutend zusammengeschmolzen, und von 350, die wir zuerst waren, kamen wir endlich beiDrenkowa, einer von der Dampfschifffahrts« gesellschaft neu gegründeten kleinen Ansiedelung, wo die Dampfschiffahrt aufhört, in einer kleinen Gesellschaft von etwa 30 Personen an. Diese 30 waren größtentheilS deutsche und raizische Kaufleute aus Orsowa, ein Paar studirte Bergleute aus Schemnitz, die in die Bergwerke des Banats reisten, unsere Walachische» Herren, die nach Bukarest gingen, 3 oder 4 Leute, die auf Konstantinopel zielten, unter ihnen ein reicher Kaufmann aus Ragusa, und endlich jene Dame mit ihren reizenden Kindern, die ich schon oben erwähnte. Wir wurden bei Drenkowa alle miteinander in ein kleines, übrigens ziemlich gut eingerichtetes Ruderschiff gepackt und setzten in diesem unsere Reise fort. Ich kann aber das schöne Dampfschiff, das angenehmste und herrlichste Reisevehikel, das bisher erfunden wurde, (für Flußschifffahrt gewiß ganz unbestreitbar, für Meerschifffahrt könnte man danu und wann noch ein Segelschiff vorziehen) und die angenehmen Scenen, die sich 494 uns darauf darboten, nicht verlassen, ohne noch ein Mal zum Abschiede einen Blick darauf zurückzuwerfen. Je mehr Raum, wie gesagt, in unserer kleinen schwimmenden Colonie wurde, je mehr Nebencoloniccn wir überall an der Donau aussetzten, je »lehr unsere kleine Gesellschaft sich abklärte, und auch die Mitglieder sich befreundend an einander anschlössen, desto angenehmer und gemüthlicher lebten wir. Auf dem Rheine findet selten ein solcheS Abklären und Zusammenschmelzen der Dampfschiff-gesellschaft statt; denn dort steigen auf jeder Station wieder so viele ein, als abgingen. An der Donau aber ist der Verkehr der Seitenstationen noch nicht so groß. Nur die wenigen Hauptplätze, Linz, Wien und Pesth, sind wichtig. Je mehr man sich von ihnen entfernt, desto kleiner wird die Anzahl der Passagiere. Entschieden die größte Anzahl tauschen Linz und Wien mit einander aus und dann Pesth und Wien. Von Linz aufwärts nach Pafsau und Re-genöburg wird die Gesellschaft immer kleiner, und ebenso nimmt eS von Pcsth abwärts a»ch ab. Am allerschwäch-sten wird es mit der Gesellschaft in dein Engpasse zwischen Drenkowa und Orsowa. Da unsere Fahrt uon dem schönsten Wetter begleitet war — in ganz Ungarn, sowie auch in Italien genoß man im vorigen Sommer eines fast unausgesetzt schönen Wetters, wahrend in Deutschland die Witterung äußerst feucht und unangenehm war, wie wir später bei der Rückkehr zu unserer Verwunderung vernahmen, — so waren wir fast Tag und Nacht über auf dem Deck. 405 Unsere verehrte Dame saß gewöhnlich in ihrer Kutsche, wie in einer Laube, vor den Sonnenstrahlen geschützt. Der Kutschenschlag war offen, und ihre kleinen reizenden Kinder stiegen, wie bereits erwähnt, unter der Obhut ihrer Bonne wie i» einem Taubenschlage aus und ein; die Kutsche bildete den Mittelpunct der Conversation, zu welcher alle die unzähligen interessanten Dinge, die uns an den Ufern erschienen, das Thema hergaben. Gewöhnlich soupirten und dinirtm wir oben, — und zwar bel Semlin wundervoll schöne frisch gefangene Fische. Ein Bürger aus dieser Stadt versicherte mir dabei, daß «in Semliner in Pesth gar nicht im Stande sei, Fische zu essen, weil sie ihm dort alle nicht frisch genug wären. Die Walachen erzählten viel von der Moldau und Walachei. Sie sagten, nnter dem Adel dieser beiden Lander fei ein großer Unterschied. Der walachische ruinire sich in Bukarest durch unerhörten Lurus. der moldauische in Iassy lebe viel vernünftiger. Auch zeigten sic mehre römische Alterlhümcr aus der Walachei vor, z. V. sehr zier« lich geschnittene Steine, und machten uns den Mund mit der Beschreibung der römische» Antiquitäten, die sie auf ihren Gütern fanden, wässerig. Die österreichischen Zwanziger, sagten sie, galten in Bukarest so gut als in Pesth. Kanonirt wurde immerfort sehr viel an unserem Vord, Mohacs, Semlin und andere Orte wurden begrüßt, und hier und da gab es köstliche Echos. Auch den Nemor-queur EröS, der wieder mit vier Schweimschifsen die Donau herausfuhr, begrüßten wir an einer Stelle. Dann 4V0 gaben unö die Donaumühlen manche Unterhaltung. Man findet sie auch hier überall in langen Reihen mitten im Strome liegen, ganz in derselben Art, wie oberhalb Wiens, ja sogar ganz ebenso, wie man sie tief in Vaiern hinein auf der Donau findet. Ich möchte wohl wissen, ob diese Donaumühlen aufdiese Weise am ganzen Flusse herab von den Deutschen so eingerichtet worden sind, und möchte es beinahe glauben. Wenn ich mich nach der Nationalität dieser Müller erkundigte, so hieß es blos, es giebt Deutsche und auch Ungarn darunter. Seit wann haben sich wohl diese unzähligen Wassermühlen an der ganzen Donau hinab verbreitet? Auf anderen Flüssen verschwinden die Wassermühlen der Schifffahrt wegen immer mehr. Ich glaube, daß kein Fluß jetzt deren noch so viele hat wie die Donau. Auch hier gilt von diesen Müllern, daß sie mit den Schiffern in Feindschaft leben. Sie schnitten uns von ihren Mühlen aus Gesichter zu,-—reichten, wenn sie gerade aßen, unS einen vollen Löffel hin, als wollten sie sagen: „möchtet ihr wohl etwas haben? — Ihr bekommt aber nichts!" oder sie schrieen uns zu' „Hussa, daö Dampfschiff ist verloren!" oder ergötzten uns auf andere Weise. Viel gab uns auch Geymüller zu sprechen. Der Credit und das baare Geld, sagte man, seien in diesem Augenblicke fast ganz verschwunden, und auch in diesen entfernten Gegenden mache sich dieß Verschwinden so sehr fühlbar, daß z. V. die großen und berühmten Eisenwerke bei Ka-ransebes im Vanat, die mehre Millionen an Capital in Immobilien stecken hatten, jetzt nicht im Stande gewesen wären, 300,000 Gulden baares Geld aufzunehmen. 497 An der Gränze der Vatschka und des Vanats, der beiden Hauptgetreide-Provinzen Ungarns, fingen dann auch die Klagen über die dießjahrige schlechte Ernte an, die mich später beständig auf meiner ganzen Rückreise bis Szegedin verfolgten. Der Sommer sel so trocken gewesen, daß der größte Theil des Getreides verdörrt sei, und das Vanat, das sonst wohl in einem Jahre fünf bis ftchS Millionen Mctzcn Getreide ausführe, werde dieß Jahr kamn eine Million Mctzen verkaufen können. Als wir nun so conversirend beisammen saßen, da meinte unser kleiner Maler auS Pesth, nun habe er einen malerischen Gegenstand gefunden, und portraitirte uns Alle ab. Ich hätte ihn weit lieber auf dem zweiten Platze als bei uns gesehen. Einmal führte ich ihn da hinaus und zeigte ihm einen armen Juden in türkischer Kleidung, der dort elend aitf Matten und Schafspelzen lag, aber den zu malen konnte ich ihn nicht überreden, und doch war seine zerlumpte türtische Kleidung im höchsten Grade pittoresk. Er war mit alten verblichenen seidenen Gürteln und einem zerfetzten Turbane bedeckt. Sein Vart war schmuzig und zerzaus't. Sein Gesicht hatte den Ausdruck des tiefsten Elends, — blaß wie bei einem Sterbenden war der Teint, weiß wie Marmor, — die Augen wie verglimmende Kohlen, — die Linien der Nas5 der Backenknochen, der Augenhöhlen höchst scharf geschnitten , — die Stirne wunderschön gewölbt und die ganze Gesichtsmaske so edel, daß dieser Mensch in seiner Jugend ein Adouis gewesen sein mochte. Wir bekäme,, anf unsere theilnehmende Fragen von diesem Wesen, das alle in. 32 498 flohen, weil es mit Ungeziefer bedeckt sei, keine Antwort. Ich fragte einige der türkischen israelitischen Kaufleute, wer es sei. Sie sagten, es wäre ein verarmter, kranker, höchst elend gewordener jüdischer Rabbiner aus Konstantinopel, den einer der Ihrigen nach Wien „herausgerufen" habe, um ihm durch die deutschen Aerzte und durch anderweitige Unterstützung wo möglich Genesung und Hülfe zu gewähren. Diesen ganzen reizenden, schönen und bequemen Dampfschiff-Reiseapparat mußten wir also in Drenkowa verlassen. Wir alle nahmen uon unserem raschen Pyroskaph und unserem gefälligen Capitaine herzlichen Abschied und setzten uns dann zwischen unseren Kisten und Kasten so bequem, wie Jeder konnte, in dem Iagdschiffe zurecht, in welchem wir nun auf der einsamen und leblosen Donau wie auf einein Strome Südamerikas dahingleiteten. Die ersten Donau Katarakten. Nußer der Gebirgsenge, durch welche die Donau in Ober-und Niederösterreich geht, giebt eS nun, wie gesagt, keine zweite an dem ganzen Strome, die interessanter «nd für die Betrachtung wichtiger wäre als die, in welche wir jetzt gelangen. Es sind die siebenburgisch-walachischen Bergketten, welche sich in südwestlicher Richtung in das GebirgSland Serbien hinein verzweigen und die beiden große» Ebenen, die mittlere ungarische und die untere walachischc, ausein-cmderhalten und abschließen. « Die walachische Ebene mochte in früheren Zeiten ebenso wie daS ganze südliche Nußland vom schwarzen Meere überftuthet sein und die ungarische wahrscheinlich einen großen Binnensee bilden, aus dessen noch jetzt zum Theil sehr salzhaltigem und zum Theil sumpfige,» Boden die Magyaren wohnen. Mmahlig erst und nach langem und furchtbarem Ringen der Elemente mochte eS diesem überftuthenden Binnensee gelingen, einen Durchbruch deS bezeichneten Oe- 32« 500 birges zu Stande zu bringen und in dcm jetzigen Doüau-canale abzufließen. Die Arbeit ist so gewaltig, die durchschnittenen Felswände und Vcrgmasscn sind so hoch, der Canal selbst ist so mächtig, lang und breit, daß der menschliche Verstand bei Berechnung der darüber verflossenen Jahrhunderte verzweifelt, und dasi man es beinahe für unmöglich hält, daß Neptun dieß Riesenwerk ohne Beihülfe des Vulran zu Stande gebracht habe, und doch möchten einige Erscheinungen daran zu glauben verleiten. Es ist nicht schwer, den Anfang und daS Ende des Gebirgspasses ziemlich genau anzugeben. Die serbischen Ufer fangen freilich schon gleich lfinter Belgrad an, gebirgig zu werden. Doch ist die österreichische Seite noch lange stach und der Fluß hat selbst unterhalb der Mündung der Morawa noch Spielraum genug, um sich in Arme zu spalten und mehre große Inseln zu bilden. Plötzlich aber, und zwar aus einem benachbarten niedrigen Sumpfe erhebt sich auch die linke Seite der Donau bei Uj-Palanka (Neue Festung), und als zage und zaudere sie, strömt sie in den Gebirgspaß ein. lljpalanka liegt zum Theil auf einem rund herum schroffen Vorgebirge, und ihm gegenüber das verfallene türkische Fort Rama, ebenfalls auf einem schroffen Vorgebirge. Schon die Römer hatten hier Befestigungen, deren Nuinen noch jetzt zu sehen sind. Man kann beide Schlösser als die Thorwächter des Engpasses bezeichnen und gerade bei ihnen seinen Ansang in, Weste» setzen. Von hier an schreiten nun die Gewässer mit vielen Krümmungen in dem mehr oder weniger sich verengenden Ge-birgsriffe 18 Meilen weit fort, bis in die Gegend 501 der walachischen Stadt Cfernes, wo sich Trajan's Vrücke befand. Cserncs schräg gegenüber liegt die türkische Festung Cladowa, und man kann diese beiden Städte wieder als die Granzwächter auf der östlichen Seite annehmen. Denn hinter ihnen wird sogleich wieder Luft, und es fängt, nur wenige Hügel abgerechnet, dann die walachischc Ebene an. Man nennt diesen ganzen so begränzten Bergfpalt „die Clifsura." Dieß mag vorläufig eine Uebersicht dessen geben, waS wir nun genauer betrachten wollen. Etwa drei Meile» noch unter Ujpalanka hinab bieten die Vergreihen zu den Seiten eben nichts Außergewöhnliches; dann aber, bei dem Orte Moldowa (Alt- und Neu-Moldowa) fangen sie an, sich sehr bedeutend zu heben. Sie steigen riesig empor, und wenn es ein klei« ncr Fluß wäre, so würden die schroffen, kahlen Wände mit Schauer erfüllen. So aber, da man den großen Strom ruhig und breit dazwischen schwimmen sieht, wie einen schönen Spiegel, der die Wildheit der Felsen mäßigt, so gleitet man auch fröhlicher dazwischen hin. « Unterhalb Moldowa bekommt man aber den ersten Schreck, denn hier steht mitten im Wasser, nicht weit von dem alten, jetzt von der Zeit zertrümmerten, vermoderten und bestaubten, sonst abcr so und so virl Mal von den Serbiern vertheidigten, von den Ungarn oder Türken eroberten, zusammengeschossenen, wieder aufgebauten, abgebrannten, von Neuem errichteten, dem Erdboden gleichgemachten, abermals erstandenen Schlöffe 5ci!uml>»c2 (d. h. Taubenschloß — Drachenschloß aber 502 sollte man's nennen); — nicht weit von dlesem Schlosse, sage ich, steht — o Schreck! o Unnatur! mitten im flüssigen Wasserspiegel ein großer, 29 Klaftern hoher Felsen. Lada^a, nennen ihn die Leute, d. h. das „böse Weib/' zerhackt, zerklüftet, mit spitzen Zacken und finsteren Risstn. Er ist dem Wörther Felsen im Strudel bei Linz zu vergleichen. Wie konnte stch der schmucke, lebensfrifche Donaustrom doch nur diesem garstigen, alten Weibe mit starrem Felsenherzen vermählen, daß, wenn er ihm seine Kinder, die Schiffe, an die Brust lcgt, sie zerschellt und zerschmettert? Die Vermählung bekommt ihm auch schlecht; denn von nun an ist es mit seiner Ruhe vorbei. Hinter dem Vabagai tritt man ein in das Gebiet der zahlreichen Wirbel und Brandungen des Wassers, und sogar die Luft bleibt nicht überall in Ruhe; denn es herrscht an einigen Stellen cm unaufhörlicher starker Wind. Jener Wirbel wegen blieben sonst die Dampfboote bei Moldowa; da aber durch einige vorgenommene Sprengungen der Anfang dieser Wirbelgegcnd, wenigstens wenn das Wasser nicht zu niedrig ist, fahrbar gemacht wurde, so können sie nun, wie gesagt, bis zu jenem Stationsplatze Dren-kowa, der noch zwei Meilen weiter abwärts liegt, vordringen. Unser Schiff war ein sogenannter „T'üncl^r" (eine Art von Ruderschiff), lender heißt im Ungarische» auch die Fee. Wir nahmen diese Deutung alö gutes Vorzeichen an und faßten Vertrauen/ daß unsere Fee unö nicht nur sicher durch die gefährlichen Strudel hin< 503 durchfähren, sondern uns auch viel Schönes und Feenhaftes schauen lassen würde. I» der That, sie hielt in beiden Stücken Wort. Ich kenne leider keine Messung der Verghöhen, der Felswände und der Flußbreiten, die zuverlässig wäre, und ich werde daher in Bezug auf diesen Gegenstand nur nach unserem Augenmaße reden, oder nach dem, was mir die Leute Wahrscheinliches sagten. Dreihundert Klaftern, meinten sie, ragten die Felswände hier aus dem Wasser hervor, und ich bin gern geneigt, zu glauben, daß dieß nicht viel übertrieben war. Solche Felsen von dieser Höhe steigen nun auö der Donau auf, mit Schluchten und wilden Thalern durchschnitte», zu halben Kegeln abgerundet, zu Vorgebirgen geformt, zuweilen schroff und jäh zum Wasser herabfallend. Die Höhen sind öde und unbewohnt. Hier und da sind Locher in den Felsen über der Oberstäche des Flusses, kleine Nischen oder Höhlen, in die das Wasser hineinspült, und von denen die Leute versichern, daß hier der Hausen oft gefangen werde. Der höchste dieser Steinkolosse ist die „Triökowvzer Spitze." Hinter diesem Felsen kommen die ersten gefährlichen Katarakten, die des sogenannten „lslax" oder „6es«<»p." Jenes ist sein Name unter den Walachen und Ungarn, dieses unter den Türken. Kaum waren wir bei jenem Felsen vorüber, so hörten wir ein dumpfes Rauschen sich über das Wasser verbreiten und erblickten in der Ferne viele höchst unheimlich dunkle Flecke in den Welle»; es waren die Felseuspitzen des breiten Riffs, das hier die Donau durchschneidet, und über welches 504 sich der arme Fluß wie über clue Marterbank schaumend und strudelnd hinwalzt. Wie eine Reihe kleiner, in der Nahe oft schr großer Ungethümc liegen sie da und haben daher auch von dcm Volke den Namen von wilden Thieren empfangen. So heißen gleich die erstm, den Reigen eröffnenden, „v!wc>1," d. h. „Vüffel." Wie man das „böse Weib" dem Wörther Felsen vergleichen kann, so haben diese „Vüffel" mit den „Kugeln" am Strudel einige Aehnlichkeit; doch hat hier in der Walachel die großartigere Wildheit anch ihr entsprechende kraftvollere Benennungen hervorgerufen. „Hook null.! Iiook nuk!" riefen unsere rudernden Schiffer (es waren großtentheils Walachen, einige Magyaren und ein Deutscher aus dcm Vanat) sich zn. ilnok. n,,K! knnk nuk! wiederholten sie noch oft hinter einander, um sich mit diesem Ausrufe, von dem ich in der That in Erfahrung zu bringen versäumt habe, welcher der verschiedenen benachbarten barbarischen Sprachen er angehören möchte, zu ermunter». Sie strengten alle ihre Kräfte an und verdoppelten ihre Ruderschläge; denn es ist uicht genug, daß man schon von den aufgeregten Wassern schneller getragen wird und wie ein Pfeil dahinschießt, auch die Ruderer muffen noch diese Schnelligkeit vermehren. Würde man sich nämlich der Veweg< ung des WasserS unthätig überlassen und etwa aus Ve-sorgniß, an die Felsen zn stoßen, und in der Absicht, sie zu vermeiden, langsamer fahren wollen, so würde »nan ein Spiel der unzähligen Wasserwirbel werden und Gefahr laufen, von ihncu herumgerissen zu werden und so die 505 ganze Leitung dcS Schiffes zu verlieren. Diese Wirbel müsseu vom Voote rasch und pfeilschnell, wie mit schar-« fen Messern, durchschnitten werden, und die Steuerleute müssen dabei ihrerseits wieder ihre Aufmerksamkeit und Präcision bis auf den höchsten Punct steigern. Eg ist hier in der Natur ebenso wie im Lebensstrome. Da, wo dieser Strom in Engen und Wirbel gerath, geht der Furchtsame und Zaudernde unter, der Muthige aber, der dann seine Cmergic verdoppelt unk mit der Raschheit Kraft und Verstand eint, bleibt Sieger. Der Nebergang von Fließen zum rauschenden Strömen und vom Strömen zum Stnrzcn und Fallen ist natürlich allmählig. Anfangs lauft das Wasser nur unmerklich geschwinder; allmahlig aber, je näher das Rauschen kommt, fangen kleine und größere Nirbcl sich zu zeigen an. Sie verschwinden, es kommen aber größere wieder. Die Wirbel werden tiefer, die Kreise, die sie schlagen, mächtiger. Am Ende kreuzen und durchschneiden sich die verschiedenen Wirbel, und das Ganze geräth in einen ungeheueren Wirrwarr. DaS Auge sieht nur einen Theil dieses Wirrwarrs* der Oberflache. Aber die Seele ahnt dabei das, was unter dieser Oberflache Großes und Machtiges sich ereignen mag. Es treten dort die zahlreichen Ströme und Wasser-» stürze gegen einander und bekämpfen sich in der Tiefe. Vald von diesem Felsen rechts gestoßen, bald von jenem znr Linken aus der Vahu getrieben, treffen sie auf ein-« ander, treten zurück, ergießen sich nach hinten, jagen in die Tiefe, schießen nach oben, ringen nach dem, was dem Wasser ebenso sehr Noth thut wie dem 509 Geiste, nach Luft, nach freiem Naume, nach dem Weiterschreiten, denn „vorwärts! vorwärts!" ruft ihnen die ganze, mit allen ihren Nebenflüssen hinten nachrückende Donau zu, ebenso wie ein ganzes Volk seinen Vorkämpfern „vorwärts! vorwärts!" zürnst. Es ist, als wenn die Felsen wie eine Löwenschaar in eine friedlich wandelnde Heerde eingefallen wären, so ringt, so kämpft, so wirbelt und brüllt es überall. „Lu1b»k.u" (b. h. „Aufbrodelungen" des Wassers, Wasserblase»), so nennt der Walache die machtigen Anschwellungen des Wassers, die aus der Tiefe aufsteigen, oben wie breite Halbkugeln einen Augenblick erscheinen und dann sogleich in machtigen converen Kreisen sich verlaufen. Mehre walachische Ruderer nannten es auch blos „Luk." Das Wort ist ausdrucksvoll und wie alle walachischen Ausdrücke für diese Donaugegend sehr bezeichnend. In der walachischen Sprache allein, so glaube ich, könnte man über den vorliegende» Gegenstand kräftig und anpassend genug schreiben. Wir standen alle vorn im Schiffe, da, wo unsere Ruderer saßen, oder steckten die Köpfe zu den Seiten herauS, um den Tumult der Elemente anzusehen, der so mächtig das Innerste jedes ersten Beschauers ergreift. Nur unsere kleinen Kinder spielten sorglos und lustig 4m Inneren des Schiffes, wo sie den eiwas größer gewordenen Raum benutzten. Im Hintertheile, auf einer hohen Vrücke, stand der Steuermann, über das Dach mit scharfem Auge in die Strömung blickend. Auf seinem energischen Arme beruhte unser Heil. In schönem bO7 Nontraste mit dem wilden, taktlosen Ungestüme des Wassers standen die Schläge unserer Ruderer, die in gemessenen Tempos die rauhen Vulbuku's in den Rücken faßten und mit ihrer Hülfe auf gerader Linie die Wir« bel durchschnitten. „Ach Gott, sehen Sie doch, wie schrecklich! Diese Masse gehäuften Schaums, die dort schwimmt!" rief eine Mädchenstimme aus. „O! an dem Schaume werden wir nicht scheitern," beruhigte sie eine andere Stimme. „Aber bemerken Sie i»ort den Runden, den Glattköpfigen, der sich hier neben uns nur mit einem kleinen Theilchen seiner Wange für einen Augenblick zeigt, wenn die Fluth etwas verrinnt, das ist so einer der unter der Wasseroberfläche lauernden Wölfe im Schafsfelle. Sehen Sie, jetzt steigt daö Wasser wie-» der, er hat auch uns erblickt und zieht sein schäumen-' des, stockiges Schafsfell über!" Aber auch diesen Wolf passirtm wir, ohne gebissen zu werden. Ich kann nicht genau angeben, wie lange dieser Tumult des Wassers fortdauerte. Auch ist es schwer zu sagen, wo er aufhört und wieder beginnt, denn etwa drei Mal heR es von Neuem an zu toben. „lulax," „'lgcntalia^ und „^utx" sind die Walachischen Namen für diese drei Stellen. Da der Islaz aber, wie gesagt, die gefährlichste und engste Strömung ist, so mag auch wohl das Ganze Islaz genannt werden, wie wir dieß schon oben thaten. Und ich glaube, daß man wohl diese ganze erste Tumultstrecke der Donau, oie dazwischen ein» fallenden Pausen eingerechnet, wenigstens auf IH bis 2 Milen setzen kann. Da, wo der Ungestüm am größ- 508 ten war, blieben wir wohl 5 und auch 10 Minuten lang im Kampfe. Was die Breite der Donau in dem Passe betrifft, so weiß ich darüber ebenfalls nichts Genaues. Sie bleibt zwar immer noch machtig und groß genng, doch schwindet sie im Vergleiche mit dem, was sie früher war, gewaltig zusammen. Man giebt an, daß sie im Islaz selbst an der engsten Stelle nur 100 Klaftern breit sei. Unterhalb Pcsth hat sie dagegen eine gewöhnliche Breite von 600 Klaftern, und unterhalb Velgrad gleicht sie zur Zeit der Ueberschwemmnng einem Meere. Dieß ganze Meer verschlingt hier der enge Schlund, der zu keiner Zeit des Jahres eine Verbreitung und Vcrflach-ung gestattet. Alle die zahllosen Gewässer, die unzähligen Riesel und Vergströme, welche die ganze größere nordöstliche Hälfte der Alpen erzeugt, alle die kleinen klaren Vrünnlein, an denen die Sennerinnen ihr Vieh tränkten, alle die Quellen und Bäche, in denen die Wäscherinnen des ganzen südlichen Deutschlands ihre Gewänder wuschen, alle die großen Ströme, welche Vaiern, Oesterreich, Illyrien, Vosnien, Ungarn, Mähren, Serbien, zwei Dutzend Königreiche und Fürstenthümer durchreisten und die Schiffe und Mühlen derselben trugen und trieben, alle die Wogen und Wellen, die Siebenbürgen und die weiten Karpathenländer durchrauschten, sind hier in einem einzigen, engen, 100 Klaftern breiten Canale beisammen und geben in wildem Getöse, in einem ergreifenden Gebrause Kunde von 190,000 Thaten, die sie «errichteten, von Millionen der verschiedensten Men- 5 Schiffen, sagen dic Leute, kommen immer mehr als 99 glücklich durch! Man konnte also damals immer wenigstens 99 gegen eins auf unser Leben verwetten. Vei hohem Wasser ist natürlich die Gefahr geringer als bei niedrigem; denn es werden dann die fahrbaren Durchlässe breiler, da sich immer mehr Felsköpfe bedecken. Auch ist bei der Hinabfahrt die Gefahr geringer nls bei der Hinauffahrt, weil man bei der letzteren zu fürchten hat, baß der Strick, an dem die 513 Pferde oder Menschen ziehen, reiße oder sonst elwaö bei dem Ftchrwerke versehen werde. Dieß Letztere war der Fall bei dem unglücklichen Ereignisse vor drei Jahren, wo hier eine ganze Gesellschaft von Dampfschiffreisenden verunglückte. Es geschah dieß am 14. Mai 1839. Mit dem Dampfschisse 1st->vlln waren sie die Donau bis Cscrnes heraufgekommen und hatten dann ihre Reise, wie wir, in einem Tünd^r, der, ich glaube, von Menschen gezogen wurde, fortgesetzt. Es waren 28 Hersoucn, von denen bei'm Umschlagen des Schiffes nur 8 gerettet wurden. Unter den Verunglückten befanden sich der kleinastatische Handelsmann Agusch Ibrahim aus Nebon, der türkische Großhändler Me man Villali, ein orientalischer Dolmetsch Szilevics, die alle nach Vetsch (Wien) wollten, dann der österreichische Consul aus Talonichi, Herr von Steinsberg, der auf Urlaub zu seinen heimischen Freunden reiste, und ein Amerikaner, Herr Mel-len aus Washington, der nach langen Reisen im Oriente in sein entferntes Vaterland zurückkehrte. Alle diese mit so verschiedenen Planen und Ideeen beschäftigten Leute fanden im Islaz ein kühles und ruheloses Grab. — AlS der Schiffer in einer etwas beruhigte» Stromgegend uns diese Namen nannte, fragte Einer miter uns.- „War auch eine Dame dabei?" — „Ach ja, war auch eine Dame dabei?" fragten gleich Mehre. — „Ja, eö war auch eine Dame dabei!" — Gleich wandte sich all unser Mitleid dieser ertrunkenen Dame zu. Eine verzweifelnde und 513 mit dem Tode ringende Dame ist immer unendlich viel rührender als zehn erlrinkende Manner! Später, i» einem Kloster des Vanats, hatte ich Gelegenheit, eine Vibel des verunglückten Amerikaners zn sehen, die sich unter den geretteten Sachen befand, und die ein theilnehmender Geistlicher in der darüber veranstalteten Auction gekauft hatte. Diese Vibcl war mir interessant; denn der Untergegangene mußte ein frommer Mann gewesen sein. Er hatte sie, wie eS schien, auf seiner ganzen Reist bei sich gehabt und in Syrien und Palästina hier und da am Rande kleine Vemerkungen zugefügt. Auf dem vorderen Vlatte der Vibel standen folgende Notizen: „On t!»e 3^ c>s Kov. 1834 nnit«vitk m^ lle2re8t niie." (Am 3. November 1834 ward ich mit meinem theueren Weibe verbunden.) Dann war ihm eine Tochter geboren worden: „<^tI»Ärinil Nellcn dorn ^,,3. 3. 1835.« Daim beklagte er den Tod seiner Frau so: „0n tNL 28ll» ,>f5an. 1839 I WÄ5 ^^,^in nomele^l! 0 (nxl, grant, <1i»t m^ la»t cnl! max bo lil^o ker». 8we«t i« tbe tle»tl> «5 tkeln, ^vlio >, unsere taktfeste Fes, verlor das Gleichgewicht imbt. Allch der ^aclit^lia „nd der luti, ungefähr soviel als „der Wassersturz"*), wnrden glücklich von uns pasfirt, und hinter letzterem kamen wir cms den» Flußgötterkan»pfe wieder auf ruhigere Was-sergefilde und etwas weiterhin in minder wilde Gegenden. Die Flußgötter schließen diesen Waffenstillstand ziemlich Plötzlich vor dem Orte Swinitza, wo ei» mächtiges Felsenthor, der sogenannte Or eben, steht. Hinter diesem Grcben strömt die Donau ruhig aus, um einige Meilen weit ihre Well/N in wohlgeordneten und gereihten Schaarm um Swinitza herilmzllführcn. Swi^ nltza ist die allersüdlichste Ortschaft des Königreichs Ungarn. Obgleich dieß, im Ganzen genommen, ein ziemlich unerheblicher Umstand ist, so beschäftigt es doch immer die Phantasie, — ich weiß selbst nicht recht, warum, >— wenn man hört, daß ein 5?andzivfel der allersüdllchste, oder der allernördlichste, oder der allcröst-lichfte, oder der allerwestlichste Zipfel eines Königreichs sei. Swinitza liegt auf einer Halbinsel, um deren Spitze sich die Donau herumdreht, indent sie ihren südöstlichen Lauf ziemlich rasch in einen nordnordöstlichen verwandelt. '-ttt^(/!,/< Hicr bekamen wir wieder Menschen zn sehen. In den vorhergehenden Engpässen hattm wir uns sogar mit den wenigen Mensche,,, die es hier giebt, uämlich mit *) Buchstäblich wohl blos „der Schnelle" von ,,j,,<.«", walachisch, — schncll. Allc dk walachischcn Eigennamen dieser Stl-omtheile enthalten eine solche Anspielung. 515 den einzelne» an den Felsen vertheilteli österreichischen Grenzwachen, wenig beschäftigen können. — Auf ver serbischen Seite zeigte sich ein nicht ganz kleiner Ort, Milan owitz genannt. Vr war neu angelegt und dem Prinzen Milan, dem Sohne des Milosch, zu Ehren so benantt, und einc ebenfalls neue Straße führte im Zickzack über die Verge. Dann erschien der Ort Porctscha an der Mündung emeö serbischen Flüßchens. Einige Salz-schiffc lagen daneben vor Anker. Von aller Welt abgeschieden, von hohen Bergen umgeben, auf einem kleinen niederen llferlandc der Donau erhebt sich dieser Ort. W scheint, als müßten die Menschen hier viel von Gott und wenig von der Welt wissen «nd in einer einsamen Abgeschiedenheit ein glückliches Leben führen. Und doch habe» aus der Mitte von Asien her die Türken den Weg zu ihnen gefunden ,,nd sie in trübselige Sklaverei gebracht. — M wurde bei diesem Orte schon Abend, ,md die serbischen Ganscjungen, die ihr Vieh nach Hause trieben, riefen und sangen uns zu, als wir bei ihmn vorüberruderten. Gegenüber auf der österreichischen Seite fanden wir hier und da an einigen Stellen eine sogenannte „8K«I1a." Ich kannte diese Einrichtung noch nicht und fragte einen unserer walachischen Bojaren, was es sei. „(?6 «out," sagte er, „les <5cl»elle« ',r dergleichen chevalereskc Gefühle unempfänglich, und wenn unser Schiff statt mit Kindern und Damen auch mit lauter Marzipan beladen gewesen wäre, wir hätten bleiben müssen. Er hatte nur 6 Mann, und jeder von ihnen, glaube ich, »ur 6 Patronen. Wir hätten, da wir unser dreißig waren, also auch diesen Posten wohl überrumpeln und entwaffnen können. Aber wozu hätte eS genützt? Einer oder der Andere hätte doch vielleicht seine Flinte auf unS abgeschossen und die benachbarten Posten um Hülse angerufen. Diese hätten sich sogleich unter einander Zeichen gegeben. Die Todesstille, die im Donauthale herrschte, hatte sich in einen Lärm sonder Gleichen verwandelt, den daS Gcho noch vermehrt haben würde. Die Granitschciri wären zusammengelaufen und hätten, wenn wir uns nicht als Gefangene ergeben, unser Boot in den Grund gebohrt. Hier^und da wären die Gränzen des österreichischen Gebiets dadurch entblößt worden, türkische Rauber oder serbische Salzschmuggler, die auf jede Gelegenheit Paffen, hätten diesen Augenblick vielleicht benutzt, einen Einfall in das Oesterreichische gemacht und die Monopole der ungarischen Krone in Schaden gebracht (ich phantasire nicht, Aehnlicheö passirt hier mitunter). Da wir also, sage ich, nicht den Muth hatte», dieseö Abenteuer zu bestehen, so begnügten wir uns mit demjenigen Anstrich von Abenteuerlichkeit, den unsere Reise in den letzten Stunden der 522 Dämmerung bereits gewonnen hatte, und überantworteten uns als Gefangene dem Corporalsposten Nr. 13 des walachisch-illyrischen Gränz-Negiments. Der Posten hieß Plawischewitza von einem benachbarten Walachischen Glänzdorfe gleiches Namens. Dieses weitläufige Dorf ist durchweg nnd ausschließlich von Walachischen Bauern bewohnt, und ich will hier nachholen, was ich bisher noch nicht ausdrücklich gesagt, sondern nur angedeutet habe, daß wir nämlich feit dem oben bezeichneten Anfange des Gebirgspasses bei Ujpalanta zur Linken das Gebiet ecpes neuen großen Aolkes erreicht hatten, eben der Walachen odcr Romanen oder Numunier. Diese Nation bildet nicht nur in der Walachei bis an die Donau, in der Moldau, in Vess-> arabien, in der Vukowiua bis an den Dniestr und in ganz Siebenbürgen die Orundbevölkerung des Landes, sondern dasselbe thut sie auch ln demjenigen Theile von Ungarn, der sich noch als ein gebirgiges Vorland rund um Siebenbürgens Hochgebirge herumzltht. Nur da erst, wo die ungarischen Ebenen anfangen, hören die Walachen auf, und dic Nngam und andere Nationen beginnen. Das walachisch-illyrlsche Regiment ist hier freilich erst seit 1774 errichtet worden ; aber es ist dieß nicht so zu nehmen, als ob dessen Vestandthcile, die walachischen Gränzer, hier damals erst alle angesiedelt wären. Es siedeln vielmehr dlesclbm hier schon seit undenklichen Zeiten in ihren uralten Dörfern; sie wurden nur erst lm Jahre 1774 in den Gränzbezirk gezogen und zu Gränzsoldaten erklärt. Die Donau, auf der wir fuhren, war also 523 zugleich auch die Völkcrscheide zweier weitverbreiteter Nationen, der Dako-Nomanen, die von hier nach Osten in einem ziemlich arrondirten Landerkreise von »lehr als 80 Meilen im Du ich messer nnd über 5NU0 Quadrat-meilen Landes sich ausdehne», und der Serbier, die ebenfalls von hier aus tief nach Süden überall siedeln. Zwischen Slaven (Leiben und Bulgaren) u»d Walachcn überhaupt bildet die Donau ungefähr auf 109 Meilen Lange die Granzschcide. ^ In das Gebiet dieser Leute, einer der uncultivirtestcn und auf der niedrigsten Stufe stehenden und doch einer der größeren Nationen Vuropa's (alle Rumunier zusammen mögen leicht mehr als 8 Millionen Seelen ausmachen), gingen wir nun also landeinwärts (das Dorf lag ein wenig abseits), um ein ertragliches Nachtlager für unsere zarten Reisegefährten, die mm gewissermaßen unsere Schützlinge geworden waren, ausfindig zu machen. Wir durchsuchten das ganze Dorf; aber wir fanden nichts als ärmliche Behausungen, ein kaiserliches Milit^haus ausgenommen, welches aber «erschlossen war. Das Wirthshaus war nur auf den Besuch von Gränzsoldaten eingerichtet. Endlich kamen wir auf den stmfall, bei dem Priester deS Dorfes, dem Popen, einzusprechen. Sollte nicht dieser Man,, Gottes auch ein Mann des Mitleids fein? Herrlicher Einfall! dachten wir, wo kann eine Mutter mit ihren Kindern besser aufgehoben sein als bei einem Prediger? Wir pochten an. Ein riesiger Mann trat hervor, mit langem Parte, mit noch läligcnm Haupthaare, 524 mit finsterem Angesichte, in ein grobleinenes Hemd und dergleichen Hosen gekleidet, Asses von einem Gürtel zusammen-gehalten und darüber einen abgetragenen Kaftan geworfen. Ich erschrak und will nicht sagen, für was ich diesen Mann hielt, damit man nicht etwa glaube, daß ich übertreibe. Wir redeten ihn auf Deutsch an (weil doch selbst der Corporal eiwas deutsch redete); aber der Pope wußte nur zwei Worte zu sagen, und diese lauteten für uns nicht erfreulich, nämlich.' „Nik's Wirthshaus! nik's Wirthshaus!" Wir fingen darauf an, russisch zu reden und ihm Vorstellungen über die Hülflosigkeit unserer Lage zu machen; da er serbisch sprach, so klangen ihm diese Töne nun heimathlicher, und vielleicht verdanken wir es ihnen, daß wir sein Herz erweichten und ihn bewogen, sein Zimmer (er hatte mn eins, und zwar ein kleines viereckiges Loch) und zwei Vett-stellen gegen gutes Geld, das ihm versprochen wurde, herzugeben, dazu einen Tisch zu bringen und etwas Milch herbeizuschaffen. Unsere Damen, die indeß bisher noch immer auf dem Wasser unter dem Dache unseres Tünder geduldig gewartet hatten, wurden nun mit den kleinen Kindern, deren Jeder von uns eines auf den Arm nahm, herbeigeholt, und diese kleine eigenthümliche Karawane armer österreichischer Contumaz-Gesangener zog nun bei dem Walachischen Popen ein. Ich werde nie die hübschen, kleinen, abenteuerlichen Scenen dieses Abends vergessen; doch sind sie für den Leser weniger interessant. Genug, das kleine Zimmer 525 wurde von den Damen eingenommen. Der Priester, feine Ehehälfte, eine Frau, die beinahe so gut aussah wie eine ärmliche Bauersfrau bei uns, und seine Kinder schliefen in der Asche, neben dem Feuer und neben dem Mamaliga-Kessel, der darüber hing, und Herr.....chj, unser verdienter Ragusaner, machte sich mit seinem Mantel und einigen anderen nicht allzuharten Dinge», deren er habhaft werden konnte, sein Lager vor der Thür des Hauses zurecht, um daselbst als Schildwache zu liegen. Wir unsererseits, d. h. mem Freund, der Franzose, und ich, gingen an's Ufer der Donau zurück, um wieder als Wachen bei unseren Effecten zu schlafen. Hier sah es sehr pittoresk aus ; denn erstlich fanden wir zwei mit vier kleinen walachischen Pferden bespannte Vauerwagen, mit denen unsere walachischen Bojaren, die an Abenteuern kein Vergnüge,, fanden, noch diese Nacht die 7 Stunden nach Orsowa fahre» wollten, was sie denn auch thaten. Dann lagen dicht am Gestade, im Ufersande zerstreut, zusammen schwatzend, rauchend oder schlafend und in ihre Pelze gekauert, unsere türkischen Juden, Serbier und die andere» Leute. Ginige hatten sich auch «uf den Bänken und den Kisten unseres Schiffchens ausgebreitet und blickten in den Himmel hinein. Das Häuschen des Granzpostms stand nicht weit davon auf dem höheren Uferrande. Es hatte zwei Abtheilungen, eine kleine für das Feuer und eine größere als Schlafraum mit Strohlagern. Vor dem Hause, unter dem Dache standen die Gewehre- Es waren 6 oder 7 Mann 526 auf dem Posten. In ihrer Kleidung spiegelte sich schon ihre politische Verfassung ab, den» sie war halb militärisch, halb bänensch. lieber ihre gewöhnlichen Vauernkittel hatten sie an einem ledernen Riemen die Patrontasche geworfen. In leinene oder wollene Lappen waren ihre Vcine eingewickelt, und darüber an den Füsien saßen die „Opintschen," diejenigen rohen, mit Schnüren befestigten Sandalen, auf denen fast alle östlichen slavischen oder nicht slavischen Völker die Oberfläche diefeö Sterns betreten. Eine gewöhnliche Mütze bedeckte ihr Haupi. Ein Messer hatten die meisten im Gürtel stecken, und derjenige, welcher die Wache hatte, ging, das rohe, lange Gewehr in stumpfem Winkel anf der Schulter, nicht eben in einem sehr eleganten Paradeschritt vor der Tschardake anf und nieder. So gut die Granzer den Cordonsdienst und das Kriegshandwerk verstehen, so schlecht nehmen sie sich auf dem Paradeplatze aus, — eine wahre „riliitienrum ml»«c»l» militoln pro!««." Alle Gränzcr werden jetzt in der deutschen Sprache unterrichtet. Die meisten vergessen das Gelernte freilich wohl spater im Leben wieder, bis auf das, was sie gerade des Dienstes wegen behalten müssen und täglich fort üben. Die Unteroffiziere aber spreche»« in der Regel deutsch, und wir konnten uns auch mit dem unsrigen, einem hübschen Manne von etwa 39 Jahren, ziemlich gut unterhalten. Wir setzten uns mit den Müssigen an'S Feuer, bei welchem der Corporal freilich am wenigsten Ruhe hatte; denn beständige Ve-sorgniß, seitten Dienst pünctlich und pfiichtgetreu zu 527 erfüllen, schien sein Antlitz zu umschweben, und es ereignete sich fast alle Augenblicke etwas, was seine Aufmerksamkeit und Thätigkeit in Anspruch nahm. Die ganze Verantwortlichkeit für die Sicherheit einer halben Meile österreichischer Gränze lastete anf ihm, „nd man sah seinen sorgenvollen Mienen an, dasi eö sich hier nicht nm Kleinigkeiten handelte. Wir waren crstannlich hnngrig ^nnd durstig nnd fragttn die Leute, ob sie nicht ein wenig Vrot (der Franzose wollte sogar Weißbrot haben), etwa einen getrockneten Fisch, ein Glas Milch oder doch ein Stück Speck nnd ekn Gläschen Landwein oder doch Nakl (dieß ist der Liqueur der Oränzer, auch Sliwowitz genannt) uns vorzusetzen hätten. Sie zuckten bei allen diesen schonen Namen die Achseln nnd sagten, sie hatten platterdings gar nichts vo» dem Allen. Zwei von ihnen hätten wohl etwas Speck bei'm Beziehen der Wache mitgebracht, aber dieser sei nun verzehrt. Ihr einziges Getränk sei Donauwasser, und davon Wollten sie uns reichlich hole». Rari bekamen sie nur zu Hause zuweilen, und Brot hätten sie auch nicht; wenn es uns aber recht wäre, so wollten sie uns „ Mama Iiga " kochen. Anch hätten sie noch einige Reste getrockneten „Malai's" (Kukuruzbrotes), die sie mit uns theile» wollten, da sie es ohnedieß nicht mehr brauchte», denn sie würden diese Nacht vom Posten abgelöst. Es wurde nun ein/ großes Feuer angemacht, Kukuruzmehl nnd Wasser in den Kessel gethan, imd der dicke Mamalkga-Nrel war bald fertig. Einer der 526 Soldaten brachte in einem hölzernen Löffel etwas Salz herbei und ein anderer auf Papier ein wenig zerriebenen Schafkäse. Diesen ließen wir ungenossen. Die Mamaliga wollte uns auch nicht recht munden, der Franzose meinte bei'm ersten Bissen, es hatte ihm schon seinen Schlund auf ewig verklebt. Das Donauwafser ist bei Tage etwas trübe, im Mondscheine aber merkt man dieß weniger, und da der Malai so trocken wie der Sand Arabiens war, so mnßte die Donau durchaus nachhelfen. „O MamMga, o Malai! Ach du schone Walachei!" fingen wir da an zu seufzen, mit demjenigen Reime, welchen die Deutschen, die in den hiesigen Gegenden wohnen, auf die Walachei gemacht haben, und mit Recht gemacht haben; denn Mamaliga und Malai giebt es von hier bis zum Dniestr und schwarzen Meere so viel als Luft. Die ganze walachische Nation ist so sehr in dieses Essen verliebt, daß sie unter türkischem, russischem und österreichischem Scepter, im Hlilitai-« wie im?rc»vii>oiill<: »lit einer merkwürdigen Ausdauer daran festgehalten und sich kein anderes Aackwerk oder Vrot angewöhnt hat. Wir saßen noch um das Feuer herum, einige der Soldaten waren dabei mit dem Schnitzen von „Furka's" (Spinnrocken), die sie den Vauermadche» um einige Kreuzer zu verkaufen Pflegen, beschäftigt, als auf einmal der Ruf der Schildwache erscholl. „Halt, wer da?!" rief sie laut mit dem eigenthümlichen Walachischen Accente des Deutsche» in'S Freie hinaus. Es war ei» Vote, der einen Brief brachte. Der Corporal spedirte denselben sogleich nach angehörtem Rapport 529 durch einen der Seiuigen weiter, der sogleich über Stock und Block in's Finstere hinaus marschirte. Es dauerte nicht lange, so schrie die Schildwache wiederum in's Freie hinaus. „Out Freund!" hieß l's von der anderen Seite. Es war eine Patrouille, wie sic die Hauptleute des Cordons ausschicken, um die einzelnen Wachen wieder zu überwachen und in Spannung zu erhalten. Zuweilen machen auch diese Hauplleute selbst die Runde von einem Posten zum anderen, ohue sich vorher anmelden zu lassen. Noch einmal rief die unermüdliche Wache und bekam wieder freundliche Antwort. Es war der neue Poste«, der den alten abzulösen kam, — 6 oder 7 Mann, die mit Waffen und ,mt Munduorrath für 7 Tage, — denn so lange dauerl hier die Zeit eines Wachdienstes, — im ganzen Jahre steht ein Soldat durchschnittlich etwa 90 Tage im Cordon aus Wache — belade» herankamen. Gin jeder von ihnen hatte außer einer Patrontasche noch einen Sack aus Schaffellen« mit 7 Ocka Kukuruzmehl, die er von seinem Wirthe empfangen. Nur einige hatten dabei auch ein kleineres Säckchcn mit einem Ocka zerriebener Vrinsc (Schafkäse), und einige waren sogar ohne Salz, wie sie uuö wenigstens Versicherten. Das Salz ist hier iu der Militargranze sehr kostbar, wahrend an der gegenüber liegenden türkischen Seite ganze Schiffsladungen schonen walachischen Verg-salzes in dicken, grüne» Krystallstücken vorübergehen. Die Gränzer sehen diese Krystalle mit sehr lüsternen Augen an, wie Kinder den Kandiszucker, und obgleich 530 sie sich selber als pflichtgetrene Soldatm in der Negel des Salzschmuggelils enthalten, so giebt es doch manche Leute, durch deren Vermittelung ihnen zuweilen etwas davon zukommt. Die Leute kamen sehr weit her und waren schon am Morgen früh ausgegangen; denn das Gebiet des walachisch-illyrischen Regiments erstreckt sich weiter m's Innere des Landes als das der anderen Regimenter. Sie waren daher erstaunlich müde und legten sich sofort auf den Voden neben der Tschardake nieder und schliefen, indem sie sich in ihre dicken, braunen Guniaz (Mäntel mit Kapuzen), welche sie auf ihre Tornister geworfen hatten, einhüllten, augenblicklich ein. In meinem Leben sah ich (Zigeuner-Niederlassungen ausgenommen) kein einfacheres Arrangement für ein Hausen von 7 Tagen. Nur einzig und allein für ihre Waffen schienen sie Sorgfalt zu haben. Wir fragten sie, warum sie nicht lieber drinnen in der Tschardakc schliefen. Sie antworteten, dieselbe sei voll von Mausen und anderem Oethier, und wen» es das Wetter nur einigermaßen erlaube, zögen sie es immer vor, draußen zu liegen. Es ist in der That unglaublich, welchen Entbehrungen und Strapazen blos die ganz gewöhnlichen Geschäfte ihres Lebens diese harten und muthigen Gränz-soldaten unierwerfen. Es ruhte der tiefste Frieden auf dem türkischen Ufer, es war die romantischeste, schönste und mildeste Nacht von der Welt, und doch hätten wir um keinen Preis zwei solcher romantische» Nachte auf diese Weise verbringen «lögen. Nun gar, wenn schlechtes 531 Wetter eintritt, wenn die Wege ungangbar werden, wenn blos die Gewehre blank und in gutem Stande zu ^ erbalten unsägliche Mühe tostet, wenn dann am stnde gar plötzlich ein i»merer Alarm in der (Kranze geschlagen wird wenn die Alarmstange» auf die Häuschen der Compagniechefs ansgesteckt werden ,md das Pelotonfeuer der Signalschüfse am Ufer hinspielt, wenn ein „Naubcr-trieb" angesagt wird, wenn man sich acht Tage lang mit Banditen herumschlagen muß, um dabei sein ?ee„-limn c!»8tr^n^md dem Reichstage, nicht aber dem kaiserlichen Hofkriegsrathe unterworfenes Land betrachtet wissen. Aber wie ein schmaler, trockener Damm zum Heile Ungarns gegen äußere wie gegen innere Feinde erstreckt sich die Gränze mitten zwischen der Türkei und Ungarn hin. 541 Die Oesterrelcher hören daher auch, won» sie gleich seit 80 Jahren daS äußerste Gebiet der Gränze als abgeschlossen betrachten, keineswegs auf, die innere Entwickelung derselben immer mehr zu fördern und die lebendige Mauer starker zu befestigen. Diese innere Entwickelung der Gränze ist biö wahre kleine Walachei liegen. Und ebenso steht das türkische Kroatien dem österreichischen Kroatien gegenüber. Es wurden mithin durch die Militärgranzc gewissermaßen alle jene ehemals türkischen Länder in zwei Halsten zerschnitten, in eine, die den Türken blieb, und in eine andere, die, aus gleichartigen Elemente» bestehend, der ersteren als Wall entgegengesetzt wurde. Das Werk, das hier die Oestkrrcicher, und mit ihnen alle Deutschen — denn nur mit Hülfe der in ganz Deutschland gesammelte» Gelder, geworbenen Feldherren uttd Truppen gelang es den Oesterreichcrn, bis i» die Militärgräuze vorzudringen — gründeten, war zunächst freilich nur unserem Deutschland selber zum Vortheile. Zu gleicher Zeit erwarben wir uns dadurch aber auch ein Verdienst um ganz Europa. Denn nur durch dieses kräftige und energische Institut gelang es, den Türken einen bleibenden Damm zu setze», ihre Macht zu brechen und namentlich die böse Krankheit, die^ von ihnen ausgehend, sonst oft ganz Europa durchzog, in feste Schranken zurückzuweisen. Die Barbarei kann gewiß nicht weit genug von den Central-Puncten der Civilisation verbannt werden, und ftlbst die entfernteste» europäischen Länder müssen es gespürt haben, als die Oesterreicher anfingen, die Türkei so weit und bestimmt znrückznweise». Sollte, wie es höchst wahrscheinlich ist, die kränze einer immer vollkommncren Civilisation und Blüthe eut-gegenschreiten, so mag sie vielleicht später, allmahlig ihren militärischen Charakter verlierend, dc°n jekt noch dünnen 5,46 Stamm bilden, an den sich andere Landschaften, das Terrain der Bildung vergrößernd, anschließen werden, — «nd sie mag so ähnlich wie die römischen (5astra und Eolonieen am Nhein den bedeutungsvollen Samen für spätere Cnltnrpffanzen ,md Blüthen enthalten. W ist wirklich merkwürdig, wie sich das Vlatt der Geschichte hier an der Donau gewendet hat. Denn sonst hatte die (5ultur ihre Altare gerade auf der entgegengesetzten Selte, und so wte jetzt die linke, so war damals die rechte Seite von elner ganz ahnlichen Kette militärischer Ansiedelungen, die als Vorkämpfer der Civilisation angesehen werden konnten, besetzt. Nnd so wie seit der Türkenherrschaft stets kleine und große Schaaren von Flüchtlingen nach Norden flohen, um dort Duldung und Humanität zu suchen, so flohen ehemals häufig quadische und markomannische Flüchtlinge zu den Römern, so kamen einzelne Partiecn der Gothen und anderer Nationen, von anderweitigen barbarischen Völkern gedrängt, nach Süden gezogen und ließen sich unter byzantinischem Scepter als Gränzwachtcr nieder. Alle barbarischen und nomadischen Nationen, bei denen der Staat noch wenlg entwickelt ist, haben den Hang zu räuberischen Ucberfallen und zn tunnlltuarischen plötzlichen Bewegungen mit einander gemein. Alle cultivirten und geregelten Staaten haben daher das Bedürfniß gefühlt, durch eine ununterbrochene und bewaffnete Granzwache ihr Gebiet, wo es an solche Barbaren stößt, zu schützen. W haben sich freilich auch die geregelten und ge- 547 bildeten Staaten unter einander zu fürchten und als präsumtive Feinde zu beobachten. Allein die feindlichen Demon ilratione» eincS ausgebildeten Stantsorganismus geschehen nicht plötzlich und bestehen nicht in hinterlistigen und perfiden Ueberfällen, und ste können auch der Natur eines solchen Slaateö nach sich nicht auf diese Weise äußern, denn derselbe greift in der Negel nicht ohne Gründe, ohne vorhergehende Verhandlungen und Anforderungen zum Schwerte und kann auch daö Schwert nicht ziehen ohne umständliche Vorbereitungen, durch die dann auch der Gegner wieder seinerseits Gelegenheit zur Vorbereitung gewinnt. Zwischen civilistrten Staaten unter einander giebt es daher vielleicht wohl Bewachung der Gränze wegen des Verkehrs der Privatpersonen, aber keine M ilitär gränzen, die gegen Nomaden und regellose Barbaren so äußerst nöthig sind. Auf dieselbe Weise wie Oesterreich umgab siH daher das Nömerreich gegen die Deutschen, Sarmaten, Daken, Gothcn u. s. w., — ebenso später Deutschland gegen die Slaven, — ebenso alsdann Polen und Rußland gegen die Tataren, — auf gleiche Weise das große asiatische Culturreich, China, gegen die mongolischen Nomaden, — ebenso noch mancher andere Staat gegen andere Barbaren mit ähnlichen, wenn auch anders constituirtcn Militargränzen. Die römische Mklitärgranzc hatte ohne Zweifel sowohl in Bezug auf ihren Zweck, als in Bezug auf ihre Einrichtung viel Aehnlichkcit mit der österreichischen, nur 355 548 war sie unendlich viel ausgedehnter und großartiger. Auch den römischen Gränzsoldaten wurde Grund und Voden lastenfrei zu ihrer eigenen Erhaltung übergeben, und ihnen dagegen die Vertheidigung der kränze zur Pflicht gemacht. Sie hatten eben auf diese Weise die ganze untere und mittlere Donau besetzt. Ihre Posten zogen sich an einem ungeheueren Walle zwischen dem Rheine und der Donau hin „nd zum Theil noch am Rheine hinab. Auch gegen die Slaven hatte Deutschland schon eine Art von Militargränze, die sich noch jetzt in den Namen der breiten Kette von Marken — Mark Brandenburg, Mark Meisieu, Mark Lausitz, Mark Oesterreich, Mark .Mahren, Mark Steier u. s. w., von Norde» nach Süden hinziehend, zeigt. Im Westen Deutschlands, gegen das civilisirte Frankreich hin, gab es keine solche Kette von Markgrafschaften. Ebenso wie die Militargränze von der Verwaltung Ungarns, zu der sie sonst, wenigstens der Meinung der Ungarn nach, gehörte, getrennt ist und unmittelbar unter dem Hofkriegsrathe des österreichischen Kaisers steht, ebenso standen im Mittelalter auch die Markgrafschaftcn nicht unter den Herzögen, zu deren Herzogthümern sie eigentlich gehörten, sondern unmittelbar unter dem deutschen Konige. Auch waren ln der Regcl die Gränzcommandanten und ihre Vasallen in den Marken selber ansässig und besitzlich gemacht. Auch die Russen kamen, als sie anfingen, sich zu cultiviren und einen großen Staat zu gründen, ganz auf dieselbe Erfindung, und sie siedelten gegen die Ta- 549 tareu am schwarzen Meere und an der Wolga, in der Ukraine (Gränze) ihre Kosaken an, denen Ländercien gegeben wurde», — die einen Nachdienst längs Wallungen und Schanzen zu versehen hatten,— aus deren Sloboden Städte erblühten, — AlleS ganz so wie in anderen Militärgränzen. An die russische Militargränze schloß sich die polnische. Zu verschiedenen Malen wurden, wie in Oesterreich (von der Maros an die Donau), die Wallungen und Slobodan der Kosaken verlegt und ihre Linien vorgeschoben, je nachdem sich hinter ihnen der russische Staat consolidirte und je mehr vor ihnen die tatarische Barbarei zusammensank. Ja es wurden ganze große Theile der Granzbevölkerung übersiedelt, und aus der alten Ukraine gingen neue Ukrainen hervor, z. V. das Land der Tschornomorzen am schwarzen Meere. Nach der Ucbcrwältigung der Tataren und der Tnrken-macht im europäischen NusMnd sind nun die russischen Militärgränzen weiter nach dem Süden verlegt und im Osten zu den ungeheueren weitläufigen Linien der kaukasischen, kirgisischen und sibirischen Kosaken ausgedehnt worden. Auch hier findet ein bestandiges Wachen und Scharmützeln gegen die Einfalle der Barbaren statt. Auch hier erlebte man von jeher feindliche Uebcrgange von Schutz suchenden Horden in's russische (heblet, ganz so wie an der römischen und österreichischen Gränze nnd auch ganz so, wie dieß Alles an der großen chinesischen Militargränzc sich ereignete, die freilich noch das Besondere hat, daß hier 55N die Culturprovinzen gegen eigene, obgleich unzuverlässige Unterthanen bewacht werden. In Europa ist nun — wenn man die russische Militärgranzc jetzt nach der Provinclalisirung oder Gou-vernementirilng der llkraine als zu >'!sien gehörig betrachtet, — Oesterreich der einzige Staat, der noch eine Militargränze in dein angegebenen Sinne hat. (Temporäre Militargranzcn, sogenannte Veobachtuugsarmecen, kommen noch oft bei vorübergehenden Unruhen in eincni benachbarten Staate vor.) ' Alle übrigen Militargranzen, die Europa je hatte, habcn sich in blühende Civil-Staaten (wenn wir dieß Wort im Gegensatze zu den Militär-Staaten bilden dürfen) verwandelt. Geht man aber von dem Lande Kram oder Ukraine in Oesterreich aus »nid verfolgt man in östlicher Nichtimg das Land der österreichischen Oranitschari oder Gränzer, so kommt man, diese Richtung festhaltend, bald in das Land der russischen llkrainzi (Granzer), die sich in langen Linien ebenfalls nach Osten dehnen und denen sich nach einer verhaltnifimaßig nicht zu grosien Lücke dann die chinesischen Gränzen *) bis an das stille Meer hin anschließen. *) Wenn man bedenkt, daß Perfivn ähnliche militärische und auf Vertheidigung bcrcchncte Glänzwachcn gcgcn Turai, hat, und daß auch bci dcm Culturlandc Indicn sich kriegerische Gränz-udlkcr als ukrm'nzi b^cichncn ließen, so kdimte man diese pei sisch-indische Wächtcrrcihe an die chinesische sich aufchliesicil lassen und so m Asici, z>vei (^urtcl von Wachtposten annehmen, erstlich dci, lllssischcn, der der mittleren asiatischen Barbarri da6 Gesicht nach Süden kehrt, und zweitens den persisch-indisch-chinesischen, der eben jenem barbarischen Mittcllande das Gesicht nach Norden wendet. 551 Und so hat man mit Abrechnung einiger Unterbrechungen in dieser Richtung eincn fortlaufenden Gürtel von Gränz-marken, eine fast 2000 Meilen lange Neihe von Granz-wächtern und Hütern der Cultur gegen die Barbarei, — eine merkwürdige Erscheinung, die auf dem Erdboden nicht zum zwcitc» Malc wieder vorkommt. Ich saß, auf diese Weise über die Gränzen und Granzwachtcr philosophirend, nicht allzulange am Ufer der Donau, als auch schon der Morgen wieder a»fing zu grauen. Maischen ergraue» erst i» ihrem höchsten Alter, aber sonderbar der junge Tag ist grau bei seiner Geburt. Die ausgesandten Patrouillen waren indeß zurückgekehrt, und der alte Corporal zog mit seiner Mannschaft ab, nachdem er den Posten feinem Nachfolger übergebe» hatte. Ich bemerkte bei dieser Gelegenheit, daß alle Abziehenden zuvor ganz sorgfältig wieder die Patronen aus dem Flintenlaufc zogen und m ihre Patrontaschen steckten. Wenn unsere Jäger von der Jagd kommen, so kimllen sie ihre Flinte«, wenn sie noch einen Schuß darin haben, auf den ersten beßten Raben ab. Aber in der Militärgranze geht man sparsamer mit dem Pulver um, da ist dergleichen nur für Menschen bestimmt. Es darf auf dem ganzen Cordon kein Schuß falle», der nicht etwaö zu bedeuten hat, und die Patronen, die den Leuten sehr knapp zugezahlt werden (sie bekommen das ganze Jahr über nur 30 zum Scheibenschießen und 20 für den Nachtdienst), müssen 552 gar sorgsam verwahrt werden. Sic werden zuweilen 3 bis 4 Mal in die Flinte geladen imd wieder herausgezogen, weil die Gränzer im Inneren des Landes nicht mit geladenem Gewehre erscheinen dnrfen. (5s kommt einem etwas komisch vor, wenn man hört, welche weitläufigen Untersuchungen, welch langes Verfahren, welche Processe u»d Schreibereien hier in der Gränze manchmal wegen einer abhanden gekommenen Patrone, wegen eines verdorbenen Flintenschlosses, wegen eines verlorenen Säbels oder dergleichen statthaben.. Mein Franzose, der sich indeß so mit Flöhen herumgeplagt hatte wie ich mit Grillen, kroch mm anch aus seinem Kotzen hervor, und als der Morgenstern uns m's Angesicht schante, machten wir alle beide eine ziemlich lange, schmale und verschlafene oder vielmehr verwachtc Miene. Wir begaben uns auf den Weg in'ö Dorf, um nach unseren Reisegefährten zu horchen. Als wir dort ankamen, fanden wir noch Alles in tiefster Ruhe. Unser edler Nagnsaner lag schlafend vor der Thür, und das Fensterchen unserer Dame» war mit einem kleinen Tuche verhangt. Wir machten uns indeß auf, um im Dorfe etwas warme Kuhmilch zu stichelt. Auch hier schlief noch Alles. Die kleinen aus Holz nnd Lehm gebaute» Häuser standen alle ganz gerauschlos da, und in den engen Gehöften vor diesen Häusern, die mit hohem Flechtwerk rings umgeben waren, sahen wir die kleinen Wägelchen der Leute aufgestellt, 053 ihre Pflüge ,md Ackergeräthe, ebenfalls ganz ruhig, als wären sie in tiefen Schlaf versunken. Da alle diese Menschen und Dinge nur walachisch verstanden, dachtm und träumten, so war es schwer für „ns, sie auf eine höfliche Art mit einer Beifügung von Entschuldigung aus den» Schlafe zu wecken. Cs blieb uns daher nichts übrig, als durch die Lücke eines der Hofzäunc zu brechen »nd vor der Thür des Hauses irgend ein unartilulirtes Geschrei zu erheben. Wir gaben demselben noch einen Nachdruck durch ei» kleines Bombardement von Stößen an die Thür, und nach einiger Zelt trat ein Junge hervor. Der Franzose, an seiner Verblendung, das; das Walachische nur ein verdorbener Dialekt, ein Jargon des Französischen sei, festhaltend, redete ihn gleich in seiner Sprache an und sagte: „lLlil>i0n! mnn cker, smti einem schmalen Streifen verlor. Mir schien gerade hier eine der allcrpittoreskesten Stellen zu sein. Das breite Vecken vor und »eben uns, die schöne Betäubung der Ufer im Vordergrunde, im nicht sehr entfernten Hintergründe aber das riesige Thor, «ber dem Thore noch die höchste Pergkuppe dieses ganzen Ge-birgstheiles, der 8terbc2<> al inare, dessen Spitze man sogar von Widdin auö und noch weiter her erblickt, dies; Alles gewährte eineu herrlichen Anblick. Im Thorwege selbst — und das war eben das besonders Reizende ^ er-öffnete sich eine noch fernere Perspective. Es zeigten stch 557 dort an dem fortlaufenden Canalc der Donall mchre Male vortretende und zurückweichende Felsen, an deren rauhen Ränder» und Ecken leichte Morgengewolkchen hinschwantten. Wir fuhren hinein. „Das ist der Kasan," sagten die Leute. Kasan ist ein tatarisches Wort, das soviel bedeutet als Kessel. M kam nnö schneidend kalt aus diese,» Kessel entgegen, nnd es war uns offenbar, daß der Kessel nicht über dem Feuer stand, obgleich auch hier das Wasser auf- und niederwallte. Der Eingang des Kessels ist außerordentlich schön. In der Mitte des Stroms steht ei» hoher Felsen, von den tobenden Gewässern mnbraus't. Er heißt der K alni k. Zu den Seiten erblickt man Höhlen an« Ufer. Die eine hei sit das Türkenloch (6»>,r» I'url-.«!!). Daneben war jetzt ein Hauscnfang errichtet, bei dem serbische Fischer beschäftigt waren. Gi» Adler saß ruhig a»f einer sselsspiye nicht weit vom Ufer, ohne sich bei unserer Durchfahrt auch nur zu rühren. Verkrüppelte Gchen und Vuchen wurzelten, dürftige Nahrung suchend, an den Felsen. Wir schössen rasch hindurch, und so to^ bend die Gewässer auch branden, so ist doch diese Passage weit weniger gefährlich als die bei'm Iölaz oder Iutz, weil der kleinen Verratherischen Felsen nicht zu viele sind, und man genießt bald wieder das Vergnügen, mit Go müthsruhc ans dem Donaueanale, der eine lange Zeit sehr enge bleibt, hinzufahren, und zwar beiden Ufern so nahe, daß man deutlich erkennt, sowohl welche Mienen die Leute in Serbien machen, als auch was sie in Ungar» beginnen. Die Schiffer sagen, die Donau sei hier im Mgemeinen 36 Klaftern tief. an einlgeil Puncten aber sogar 5l). Andere Reisende gebe» 558 fine durchschnittliche Tiefe von 30 Klaftern an. Diese Einengung der Wassermassc dauert beinahe drei Stunden Weges, und rs ist wohl gewiß, daß die Donau in ihrem ganzen Laufe biö zur Mündung, wo sie größten-theilö sehr flach ist, kein zweites Stück von gleicher Tiefe aufzuweisen hat. An den Seiten sieht man hier und da große finstere Spalten die Felsen durchllüften. In der einen dieser Spalten, die Tanikowaspalte nannten sie mir die Leute, soll es oft vor Kälte nicht auszuhalten sein. ^ Die serbische und ungarische Seite bilden in gewisser Beziehung einen interessanten Contrast; denn wahrend auf der ungarischen Seite ein neuer schöner Weg, die Clissu-rastraße, in die Felsen gesprengt wird, sieht man auf der serbischen Seite noch Spuren dcö alten Römerweges, den Trajan hier herstellte. Der neu« Weg soll von Orsowa aus als eine breite schöne Chaussee durch die Clissura hinführen, bis nach jene,» Ujpalanka, das wir schon mehre Male als den An-fangüplmct dieses Flußpasses bezeichneten; es sollen in Zukunft dann die Personen und Waaren der Dampfschiff-» fahrtsgescllschaft auf diese«» trockenen Wege befördert werden; denn wahrscheinlich wird es wohl nicht möglich sein, durch Felssprengungen die Gefahren der Wasserfahrt ganz zu beseitigen, oder wenn dieß auch möglich sein sollte, so wird es doch immer außerordentliche Ereignisse und Umstände geben, als z. V. bei unerwartet niedrigem Wasserstande, bei lange andauernden Gsstopfungen in dem Cng- 659 passe und dergleichen, we eine gute Landstraße neben de,n Wasser die beßtcn Dienste leisten kann. Durch einen Canal diese Donanenge zn umgehen, ist nicht ausführbar, weil die Bergmassen zu beiden Seiten sich zn hoch und zu wild ausdehnen. Es müßte ein Wasser-tunnel werden, den in so bedeutender Länge, Höhe und Breite herzustellen alle menschlichen Kräfte niM vermögen würden. Mau arbeitet au dieser großartigen Kunststraße schon selt neun Jahren. Die Arbeit schreitet langsam vor, weil auf großen Strecken fast die ganze Breite des Weges immer in schroff abhangende Felsen eingesprengt werden mnsi, weil über Spalten und Klüfte hier und da die schwierig" sten Vrückenbauten auszuführen sind, und weil mit« nnter hohe Parapete aufgeführt werdeu müssen, um die Gege gegen die Donau zu schützen. Doch sind bereits mehre bedeutende Partieen der ganzen Wegesstrecke (man gab mlr sechs Meilen, etwa ein Drittel des Ganzen, an) fertig, und hier und da sahen wir viele Menschen, m den Felsen klebend, mit dieser erfreulichen Arbeit beschäftigt. Auf der anderen, der serbischen Seite, nun sieht mau die Spliren cineö alten Nömerwegs, der freilich durchaus nicht so großartig ist, wie diese neue nugarische Straße; denn es war ein bloßer Treppelweg für die Schiffsleute, welche die Donauschiffc ehemals, wie sie es noch jetzt thun, aufwärts zogen. Wenn man aber bedenkt, daß die langen Nischen oder Felswrrivore, welche dieser Weg erforderte, alle mit dem Meißel in den harten Felsen Stück für Stück ausgetieft wurden, da ja die Nömcr noch nicht die Pulversprengungen benutzen tonnten, und da hier wegen 560 der Schroffheit der Felsen die Zerklüftung der Steine durch ein bloßes Holzfeuer unanwcndbar war, so war die Arbeit gewiß nicht welliger schwierig lind bleibt lwchst bewundernswürdig. Hier und da sieht man noch unter den Nischen Reihen von großen viereckigen Löchern eingeha»en, in denen wahrscheinlich Balten steckten, dic eine brücken-artige Erweiterung des Weges, eine Galerie nach außen, trugen. Diese schwebende Galerie um die Felsen herum zu führen, war immerhin noch leichter, als die ^tischen noch weiter auözutiefeu. Unter jeden» großen viereckigen Loche befindet sich noch ei» kleines, ill welches vermuthlich die schräge Gegenstrcbe oder jStützc eingesteckt war, die den horizontal hixausgehendm Balken tragen half. Ich glaube, die Serbier könnten mit leichter Mühe und zum großen Vortheile der Donauschiffer diese.Galerie wiederherstellen. Auch in der oberen Clissura sahen wir am Tage zuvor schon viele solcher Spuren dieses römischen Treppelwegs. Die Ungarn nennen ihn „1>(»j»n „lit" (Trajan's Weg), und auch die Walachcn versicherten uns, „ja de« Weg habe der Trajan gemacht." W kam mir ganz eigen vor, daß der Name jenes großen Kaisers in dieser Felsschlucht sich seit jenen entlegenen Zeiten noch immer so frischtönend erhalten hat wie ein unuertilgbareö Echo. Ich fragte einen der walachischen Ruderer, wer denn der Trajan gewesen ware; „Im^ratnr Nomanezcu," antwortete er, was ebensowohl heißen tan» „römischer" als auch „walachischer Kaiser." Ich glaube, daß die Walachen sich die alte» römischen Kaiser noch mehr znrechnen als die heutigen Italiener, ft'in walachischer Lehrer hat bekanntlich bewie- sen, daß die Walachen noch Welt dlrecter und unvermisch-ter von den Römern abstammen als die Italiener, in welche ein Theil des germanischen Geistes fuhr. Die Supposition, daß sie n»r romanisirte Slaven seien, (die Sla« vensreunde stellen diese Supposition auf und reclamiren im Namen derselben die Walachcn als Slave») verwerfen jetzt alle Walachm. Nur die Italiener erkennen sie als ihre Brüder, m»d daher haben sie auch n«,erdings sich mehr und mehr für die italienische Orthographie in ihrer Sprache und gegen die Orthographie und das Alphabet Ky-rill's entschieden. Sonderbar ist es nun, daß das größte und energischeste Volt der Erde, das der Römer, gerade solche Leute hinterließ, die ihnen geistig so wenig gleich sehen, wie die Walachen und die heutigen Einwohner Roms. Eine Vergleichung der walachischen und der italienischen Sprache unter einander und dann mit ihrer gemeinsamen Mutter müßte von, höchsten Interesse sein und zu nicht unwichtigen Resultaten führen. Namentlich ist es merkwürdig, wie sehr die Walachische Aussprache der lateinischen Laute der italienisch,'» gleicht, und wie wenig Achnlichkeit sie hat mit der Art, wie wir gelehrte Deutschen das Lateinische reden. So z. V., um nur Einiges anzuführen, sprechen die Walachen, wie die Italiener, Isekitsclioi-o, nicht Xisell, ^icero). Lateinisch i gemit, italienisch: '«re, walachisch: t»ßli»re. „Den rechten Weg also hat der Trajan g'moacht, und den linken Weg hat der Szechcnyi g'moacht," repe-tirte mir einer unserer Mitreisenden. Allerdings wird dieser Weg auf Kosten der Dampfschifffahrlsgesellschaft hergestellt, allein der O/af Szechenyi, dieser um das Wohl Ungarns so vielfach verdiente Mann, ist die Seele des Vetriebs der Arbeit. Er hat den ersten Impuls dazu gegeben, diese Donaugegenden mehre Male bc-reis't und auch den Erzherzog Palatin zur Besichtigung hierher geführt. Das Volk halt ihn daher für den eigentlichen Straßenerbauer und nennt den Weg: „Szechenyi seine Stroaß'n." Es kann wohl nur äußerst schmeichelhaft sein, dem Kaiser Trajan in dieser Felsschlucht unter so außctordentlichen Umständen gegenüber gestellt zu werden. Sollte bci'm Volke die Benennung „Szechenyi's Weg" sich völlig festsetzen, ft ware der Name des edeln Grafen vielleicht für ewige Zeiten an diese Felsen geschmiedet. Es giebt, glaube ich, keine bessere Weise, seinen Namen unsterblich zumachen, als die, durch eine große und nützliche Fclsenarl'cit in einer Gegend, wo der übrigen Menschenwerke nicht zu viele sind. Der Name der Erbauer großer Kirchen und Tempel, so schön sie auch sein mögen, ist bei'm Volke und auch bei den Gelehrten oft längst vergessen. Auch von allen anderen Werken und Thaten, 56I vie Trajan in diesen Gegenden ausführte, hat hier nichts seinen Namen so unsterblich gemacht als jene „Treppelweg-galerie." Bald hinter dem „Türkcnloche" zeigt sich der „Vlut-berg" oder „8clmkur,l," und in ihm gewahrt man den Eingang zu der berühmten „Ll«ci»bort>" oder der „veteran« ischen Höhle," die so groß ist, daß sie von alten Zeiten her als eine Festung hat benutzt werden können. Dieß geschah sogar noch in den Kriegen Oesterreichs gegen die Türken. Die Höhle faßt 700 bis 800 Mann und liegt so, daß von hier aus leicht jeder Durchgang auf der Donau verhindert werden kann. Ich habe sie leiver nicht besehen tonnen nnd spreche daher nicht von den eigenthümlichen Schlachten, die hier geliefert worden sein müssen, und von der Reproduction dieser Schlachten, welche die Phamasie des Malcrö herbeiführen könnte. Selbst im Jahre 1790 noch war die Höhle von 1000 Mann Ocherreichcrn besetzt, und die Türken konnten mit ihren unbehülflichen «Vuda's (den Tschaiken ähnlichen Schiffen) nicht vorüber. Ieyt sahen wir nur eine Reihe von „Strajcn" (Granzwachen) und „Tschardaken," die hier in der Enge des FlusseS dichter als gewöhnlich stehen. Furchtbar schön mögen die Schauspiele und Ereignisse sein, welche das Eis hier, im harten Winter herbeiführt. Mir scheint, es müssen sich hier jeden Winter an und zwischen den Felsen ungeheuere Massen aufHaufen. Viele der niedrigen serbischen Hütten, die man zu Zeiten, von einem einzigen kleinen Kukuruzfeldchen umgeben, auf einer flachen vorspringenden Bergbank liegen sieht, müssen 594 dann gänzlich von aller Welt abgeschnitten sein; denn es giebt hier deren, die der Art von schroffen Wänden um« stellt sind, daß ihre Bewohner nur ans dem Wasser mit der übrigen Welt verkehren können und ohne Zweifel auch nur auf dem Wassrr als Allsiedler in diese Gegend gekommen sind. Ich begreife nicht, wie Fürst M il osch es machte, um mit seinem Scepter in diese Kchlünde zu reichen. » Einmal kamen wir bei einer kleinen serbischen Löffelmühle, die an einem in die Donall springenden Quelle lag, ganz dicht vorbei und konnten ihr einscknes schwächliches Geklapper belauschen. Ein serbischer Müller sasi daneben und fischte. Gegenüberstanden die „beiden Vrüdcr" ^ue sratii), zwei scharf hervortretende Felsecken. Endlich fingen die Walachen wieder an, von Trajan zu sprechen, indem sie riefen: „Ikon»Iui 1>c>^»n!" („Das ist die Tafel des Trajan.") <3ö ist die berühmte Inschrift, welche Trajan hier auf einem abgeflachten Theile des Felsens hat einmeißeln lassen, wahrscheinlich, um damit der Fclsenarbeit seiner Legiouen ein Monument zu setzen*). Der Punct, wo die Tafel steht, ist wieder einer der romantischesten von allen; denn von hier aus öffnen sich .die Donauthore von Neuem. Hinten sieht man in die enge Schlucht, aus der man herausgleitet, zurück, und vorn zeigen sich belaubte Flußuser und eine kleine Insel mit Büschen, Kukuruzfcldern und schönen Weideplätzen im Strome. Die Tafel steht lwch immer ziemlich hoch über dein Flusse, und dazu haben 5) Andere meinen, cr habe seinen ersten Feldzug uach Da-cien bannt verewigen wollen. Doch tonnte Trajan unmöglich hier über die Donau setzen. 565 kleine unvorsichtige Hlrtenbuben zuweilen ein Feuer auf dem Felsvorsprunge unter der Tafel angemacht, wodurch vielleicht manche Theile des Felsens von der Hitze ausgefallen sein mögen, oder doch wenigstens ein großer Theil der Inschrift von unten unleserlich geworden ist. Daher könn» ten wir, obgleich wir mit Ehrfurcht und Aufmerksamkeit hinanfblicktcn, doch von unten nichts lesen. Aus vielen Büchern ist es aber bekannt, das; die Inschrift so lautet: Imp. Caesar. Divi. Nervae, F. Nerva. Trajanus. A up. Germ. Poutif. Maximus. T. P. Pater Patriae. Co.?. P. P. Monti D.....Jiu, S - . . . ati. Der Menschen, die nach Buchstaben und von Menschen herrührenden Inschriften begierig sind, giebt es in der Regel immer mehr in dcr Welt als derer, welche die Worte und Wortbruchstücke der Natur zu entziffern suche». Daher mag es kommen, daß an dieser Trajan-ischen Inschrift schon jedes Titclchen hundert Mal besprochen worden ist, wahrend an jenen Felsen auch noch so manches Andere zu lesen und zu sagen Ware (z. V. Vegetabilisches). Die Vegetation aller dieser Gebirge ist durchaus noch nicht in eine zusammenhangende tenure gebracht. Unter der Trajanischen Tafel trat nun, wie gesagt unser Schiff wieder in ein sonniges breites Thal ein und es dauerte nur noch ein kleines Stündchen, so sahen wir die letzte Donallstadt der Militargranze, Orsowa (sprich: Orschowa) an einem breiten Vogen deS Stromes und an der Mündnng eines schönen, aus dem Inneren kommenden Thales liegen. ÜSS Erklärung des Titelkupfcrs. Zigeunerische Musiker und ungarische Tänzer und Tänzerinnen sind zwischen Nebengewinden über einer ungarischen Landschaft zusammengruppirt, auf welcher sich ungarische Fuhrleute und Hirten bewege». Druck von B. G Teubntr in Leipzig. KARTE VON UNGAi!;,^ ■;.,3.Tj:t^^.aiee-l«i. G In w-Arnoldischen Buchhandlung in Dresden mid Leipzig sind folgende Werte erschiene» und in alle» Buchhandlungen zu erhalten - v. Odeleben. O. Freiherr, 3lapoleons Feldzug in Sachsen im Jahre 1813. Mne treue Eri;;e dieses Krieges, dec« französischen Kaisers und seiner Umgebunssc,,, entworfen von einem Augenzeugen in Napoleons Hauptquartier. Dritte ncu durchgesehene und vermehrte Auflage, nebst einem Plane von Dresden mit den Feldbefestigungen vom 26. und 27. August 1^3. qr. 8. 1840. l'roch. 1^ Thlr. Neisebilder aus der Levante. Auö dem Englischen von R. Lindau, mit einer Vorrede von U. A. Lindau. 8. 1628. iz Thlr. Richter, T. F. M., Reisen zu Wasser und zu Lande in den Jahren 1801—1817. Für die reifere Jugend zur Belehrung und zur Unterhaltung für Jedermann. 10 Vände. 8. 1822-1829. Ladenpreis 10z Thlr. Herabgesetzter Preis 7z Thlr. --------dieselben. Dritte, verbesserte und wohlfeile Taschenausgabe. W Vandchen. 16. 1831. broch. Pran.-Preis 3z Thlr. Ladenpreis 5 Thlr. Inh «lt: Erstes Vändchen: Tagebuch meiner Seereise von Smden nach Archangel und von da nach Hamburg. Zweites Bändchen - Vclunglüctte Reift von Hamburg «ach St. Thomas und Rückkehr über New-York nach Kopcnhhgen. Drittes Bändchen: Reise von Hamburg nach Bordeaux und über Samt-Louis nach Iöle de France. Viertes Vandchen: Reise von Nantes nach den Antillen und dann nach Schottland, England und der Insel Walckerrn, Fünftes Vandchen: Relse von London nach China und Rückkehr nach England. Sechstes Bändchen: Bemerkungen über England und Reise nach Sicilien. Siebentes Bändchen: Beschreibung der Stadt Messina und Gchilbeiung ihrer Einwohner. Achtes Bändchen: Bemerkungen über Sicilien. Reise »on Messina nach Aegyp^ ten und Nückkehk nach jener Stadt. Neuntes Binbchen: Reise von Mesfina nach Alicante, Abiza, Nona, Tarrayona, Malta und Odessa, und Rücklehr nach Italien. Zehntes Vandchen: Reist von Messina nach Livorno, Genua, Savona, Catania, Neapel, Palermo und den ionischen Inseln» und über Malta und Trieft nach Sachsen, nebst Erklärung der in dieser Reisebeschreibung vorkommenden nautischen Kunstausbrücke. Rlchtcr, T. F. M., die Wasscrwclt »der das Meer und die Schifffahrt im gangen Umfange ;ur Belehrung der reiferen Jugend und ;nr Unterhaltung für Icoermann, auch zu», Gebrauche für Secrciscndc und angehende Seeleute. Mit Seekarten und Abbildungen. Grstcr Band. Das Meer nach seinen plwsischu« Mannschaften, seiner Eintheilung und seinen Erzeugnissen, nebst einleitende» Äcinerknngen über das Wasser im Mgcmciin'n. Mit einer Seekarte und 6 Tafeln Abbildungen'. 8. 1835. geb. Prän.-Prcls 2 Thlr. --------deren zweiter Vand- der Schiffban und die Einrichtung der Schiffe, nebst geschichtlichen Vemerknnqen mit einem Atlas von 12 Tafeln. U. 1837. 1Z Thlr.' v. Schubert, v. O. H., Ansichten von der Nachtseite der Naturwisseuschaft. Vierte grosicntheils umgearbeitete und vermehrte Auflage, gr. 8, ' 1840. broch. 1^ Thlr. --------dic Urwelt und die ssirsternc. Zweite ,um Theil umgearbeitete Auflage, gr. «. 1839. broch. 1Z Thlr. Vicusseur, A., Anselmo. ssin Gemälde aus dem Leben in Rom und Neapel. Nach den, Englischen bearbeitet von W. A. Lindau. 2 Theile. 8. 1826. 2^. Thlr. Walachei, dle. und Molban, ln Hinsicht auf beschichte, Lan-dcclbeschaffeüheit, "^crfassuüg, gesellschaftlichen Zustand und Sitten der Bewohner. Nach Wilkinson und anderen Quellen bearbeitet von N. Lindau. 8. 1829. 14 Thlr. Walsh, R., Neisc von Konstantinopel durch Rumelieu, das Valkangcbirgc, die Walachei, Siebenbürgen und Ungarn. Ein Beitrag zur neuesten Kunde des türkischen Neichcs. Ans dem Englischen überseht von W. A. Lindau. 2 Theile. Mit einem Plane der Gegend von Konstantinopel. 8. 1828. 25 Thlr.