//^ ^ ^< s^MilliwZnlmlltirnH ^ UWantrnlgll! ^ Druck von Gebrüder Vru»ert, Berlin. Wanderungen in den Alpen, Italien, Dalmatien und Montenegro. Vou Dr. Ecul Freiherr du I'rel. w von Bologna...... 91 VI. Apenniulibergang........ 9? VII. Die Grotte von Monsnmmano...... 103 VIII. Oberitalienische? Leben....... I'M IX. Rom........... N? X. Am Lago di Nenn -........ IM XI. Nönnsche Ausgrabungen ,...... 145 XII. I,n Passionistenkloster auf dem Monte Cavo . , . 157 XIII. Das Colossenm in Noni....... U!9 XIV. Veji............ 179 XV. Der Peterödom in Noin....... 191 XVI. Eine verlassene Stadt....... 203 XVII. Iu Süd-Etrnnen........ W9 XVIII. Eine deutsche Malerherberge im Sabincrgebirge . . '219 XIX. Snbiaco im Sübinergebirge....... 2^! XX. Der heilige Iaunarius....... 255 XXI. Der Palast dcs Diokletian....... 265 XXII. Ein Wandertag in Dalmatieu...... 271 XXIII. In den schwarzen Bergen....... 287 Ontleitung. Neijcn nnd Wandern. 1. ,,Wenn man cine Neise thut, so kann man was erzählen." Diese Redensart ist uns durch Ueberlieferung geblieben; aber ihre Nichtigkeit, so scheint es mir, ist in fortwährender Abnahme begriffen, wiewohl die Reiselust in unseren Tagen fortwährend wächst. Wohl gerathen die knltivirten Nationeil mehr und mehr in Fluß, wohl bedingen Handel, Verkehr nnd Vergnngungssncht eine beständige Innahme des reisenden Publikums; aber gerade diese Bedingungen baben eine so gründliche Mischung der Nationalitäten, ihrer Kulturverhältuisse, Eigenthümlichkeiten, Lebensgcwohnheiten und Lebensanschauungen zu Stande gebracht, daß uns innerhalb unseres cwilisirtcn Welttheils bald nur mehr Ein Typus der Menschen entgegentreten wird: der Kulturmensch mit allen jenen Charakter- und Gcistesmerkmalen, die wir zu Hause hinlänglich kennen lernen. So finden wir nns in der Fremde mehr und mehr auf die landschaftliche Ansbente unserer Neisen rrdueirl, wenn wir nicht absichtlich von den ausgetretenen Geleisen des reisenden Pnblikums nnd den Hauptverkehrsadern der friedlichen Völkerwanderung uns emfcrnen, abseits welcher allein noch solche Vrdwinkel zu finden sind, wo die Natnr uoch unangetastet und du Prel, Unter Tanne» lind Pune,!. 1 Coclinii iimi aiiiiTinm mutant <|iii trans marfl ctirrnnt. llorati us. Ontleitung. Neijcn nnd Wandeln. 2 der Mensch ein Stück Natnr ist. Aber das ist nicht nach dem Geschmacke des heutigen Publikums. Der moderne Mensch flieht den Aufenthalt an Orten, die znr Einkehr in sich selbst einladen; er ist centrifugal und liebt Wechsel nnd Zerstreuung, die ihn vor Selbstbesinnung bewahren. So ist es gekommen, daß den Haupt-verkehr jene wenig zahlreichen Kultnrpfadc an sich gezogen haben, welche den größten uud schnellsten Wechsel der Gindrücke ermöglichen, während abseits dieser Schienenwege in Vergessenheit Orte liegen, die ganz ihrer eigenen Entwicklung anheimgegeben sind und an welchen die Geschichte fast spurlos vorübergeht. Der moderne Reisende beschränkt sich auf erstere; aber er geht darum auch jener Vortheile verlustig, welche im Reisen gewonnen werden sollten und von dem viel gewanderten Odysseus gewonnen wnrden: „Vieler Menschen Städte zu schauen und Sitten kennen zu lernen." Er wird von seinen Fahrten nicht viel Anderes zurückbringen, als die Erinnerung an unterschiedliche Eoup^bckaunt-schaften, versäumte Abfahrten, Paß- und Gepäckplackereien nnd Prellereien von Seite des Hoteliers. Denn dieser, mit dem modernen Kulturfrack angethan, verdrängt mehr uud mehr den behäbigen Wirth, der einst vor die Tbüre seines Gasthofs trat, wenn das Postholn die alte Weise blies und magere Klepper den gclblackirten Wagen daher rüttelten. Was läßt sich nutcr solchen Umständen im Jahrhunderte der Eisenbahnen von Reisen noch erzählen? Wohl ist es wahr: wenn wir zum Vergnügen reisen wollen, so stehen uns noch genug der Wege offen, wohin, alle Kulnir-differenzen zu nivellircn, das Dampfroß, dieser Prinz Egalit6, noch nicht gedrungen ist. Aber seitdem auch der Besuch solcher Gegenden zum Bedürfnisse, oder richtiger gesagt, zur herrschenden Mode geworden ist, werden wir dem Neisepublikum überall begegnen, so lange wir uns in der Absteckung uuserer Ziele vom 3 . öffentlichen Ansehen der Orte bestimmen lassen. Der wunderbare Aufbau der Schweizerbrrge, die sonnigen Gefilde Italiens und die malerischen Seen Oberöstcrrcichs, — ihnen vor allem werden wir zustreben. Aber überall begegnet uns der unvermeidliche Knlturmensch, der das ganze Gefolge städtischer Gewohnheiten nnd Mühsale in die sUllcn Thäler geschleppt hat, in welche wir auszuruhen kommen, deren Gennß aber nur ein halber ist, wenn mit der Besonderheit der Landschaft der Individualismus ihrer Bewohner nicht mehr im Einklänge steht. Man besehe sich nnr einmal diese vielgerühmten Seen des Salzkammergnts. Nicht lcichl wird es uns dort gelingen, die Unbefangenheit der Stimmung nnd des Gemüthes zu gewinnen nn» zu erhalten, ohne welche wir vergeblich den Neizen der Natur uns gegenüberstellen. Eine unangetastete Natnr erfordert eine nnangetastete Menschheit als Staffage. Was dagegen treffen wir dort an! Kaum ein Dorf wird man betreten können, ohne da nnd dort die Eonrszettel angeschlagen zn finden nnd Börscnvcrhältnisse an der Mittagstafel besprechen zn hören. Ermüdet legen wir uns Abends znr Nnhe und seufzen nach der Emancipation — der Ehristen. Tags darauf besteigen wir eines jener Dampfbote, welche die blane Fläche des Attersces durchschneiden. Zahlreich stehen ans dem Verdecke die bekannten Gestalten mit den kurzen Lederhoscn nnd den nackten Knien, mit den genagelten Schuhen, nnd den langen Bergstöcken mit eiserner Spitze. Erfreut, doch wieder einmal antochthone Mcnschengewächse zn sehen, gesellen wir uns zu ihnen. Aber welche Enttäuschung! Es sind nur maskirte Kulturmenschen. Du frägst: Wozu die Vcrmummung? Will der Mann etwa für einen Gemsenjä'gcr gehalten werden? Mit Nichten. Die Hand, welche den Bergstock umfaßt, bekleidet der feine Glacehandschuh. Das Hemd von tadelloser Weiße sticht 4 vom grünen Kragen der zottigen Joppe ab und unter dem Iägerhute beinerkst Du die sorgfältigste Behandlung des Haupte Haares. Kurz, der Mann ist in crster Linie wohl darauf bedacht, durch Haltung, Sprache und Aenßerlichkeiten aller Art sich vor dem beleidigenden Glauben zn schützen, als sei er ein Autochthone; aber in zweiter Linie will er allerdings den Glauben in Dir erwecken, als sei er, der salonfähige Städter, zugleich der „ver-fluchte Kerl", der es mil i'edem Gcmscnsäger aufnehme, - und dazu dienen ihm Iägerhut, Rucksack, Schuhe und dcr lauge Berg? stock, den er, wohlgemrrkl, hübsch auf den Landstraßen spaziern trägt. So laufeil diese erotischen Figuren an den Iisern der schönen Seen umher ans keinem anderen Grunde, als weil eo ihnen die Mode gebietet. In lärmender Gesellschaft sieht man sie da und dort ihr Mahl im Freien verzehren, wobei sie oft so geschickt ihren Platz zu finden wissen, daß sie der schönen Gegend den Rücken kehren. Selten mir vcrint sich ihr V!i/. nbcr den Teller hinweg in die Landschaft hinaus und das vor ilmen liegende Panorama ist ihnen lw^stens die Folie des Vielkruges. Dabei ergehen sie sich in wohlaccentuirter Salonsprache, den Umstehenden zu Ohren, in Anpreisungeil der lieblichen Natur, sie versuchen zu schwärmen, die vornehme Feinheit ihrer Emvfin-dnngen zu offenbaren, und liegt das Fremdenbuch wo auf, so tragen sie, erfieur, mit vollem Titel glänzen zn können, der detaillirten Neugierdc des Buches Rechuung, wenn sie nicht gar Reimereien von jener allbekannten wässerigen Sentimentalität beifügen, von welcher sie zu heilen nur Ein — ach! abhandeil gekommener ^ Arzt geeignet wäre: jener Apollo, der mist den Marsyas für seine schlechten Verse geschunden hat. Dazu kommt aber noch, daß der Landbewohner sclbst, der vormals noch, gleich dem Kanadier Eeumc's, ein Herz „von Kultur noch frei im Busen fühlte" uud unö in seiner ursprüug- 5 lichen Uebereinstimmung nut dcm Boden, dem er eulstammt, so anziehend erschien, mehr und mehr von der Einwirkung fremder Sitte entstellt wird, die, seinem Wesen unassimilnbar, ihm wie eine Schminke anhaftet. Er ist nicht in gesnnder Entwicklung kultivirter geworden, sondern nnr pfiffiger, wie der Fuchs unter complicirteren Daseinsvcrhältnissen an Schlanhcit znnimmt. Durch ^cn Schienenstrang in ihrer natürlichen Entwicklung unterbrochen und mit einer ihnen fremden Kultur in Verbindung geseht, bleibt diese solchen Gegenden, die mit Einein Male in den Civilisations-strndel gezogen werden, gleichwohl unzugänglich nnd nur ihre Schattenseiten finden raschere Aufnahme. Die fast krankhafte Reiselust unserer Generation entspringt vornehmlich der Langweile. Man geht auf Reisen, um der eigenen geistigen Ocde zu entfliehen. Der Wechsel des Aufenthalts und der äußeren Gegenstände soll der inneren Leere abhelfen, der doch nicht abgeholfen werden kann, weil es für Zwecke der Unterhaltung und der Belehrung gar nicht darauf ankommt, welche Dinge, sondern wie wir die Dinge sehen. Insofern ist es ganz consequent, daß dicse moderne Bewegung darauf hinausgeht, sogar den Wechsel im Aufenthalte zu verschmähen nnd znm bloßen, Bedürfnisse mechanischen Geschobenwerdens sich zu entwickeln. Dies zeigt sich schon ganz auffallend in der horribeln Erfindung der Rundreiscbillete, bei deren Benützung mehr Zeit im Coup« als an den Stationen verbracht wird. So reist der moderne Mensch nicht viel anders, als eben seine Koffer und Kisten auch reisen, die er milschlcppt, um überall mit dem heimathlichen Vequemlich-keitsapparate sich zn umgeben. Von allen Sehenswürdigkeiten, die in rasender Eile seinein Auge vorübergleiten, behält ev nicht viel mehr als eine chaotische, kaleidoskopische Erinncrnng. Trifft man ihn im Gebirge und ertheilt ihm den Nath, diesen oder jenen abseits gelegenen Punkt zu besuchen, so verweist er ans sein 6 Rundreiscbillct, das ihm nicht nur geuau die Richtung seiner Reise, sondern auch die Zeit seines Eintreffens da und dort anweist. So geht die strapaziöse Hetze immer weiter. Von einer auf solchen Reisen erworbenen Bilduug kann natürlich keine Rede sein; vielmehr ist diese Sitte ganz dazu angethan, verkehrte Ansichten über die durchmessencn Länder uns gewinnen zn lassen. Denn der Eisenbahnrciscnde kommt nur mit einer mehr oder weniger nichtswürdigcn Klasse der Bevölkerung in Berührung.: im Hotelwesen läßl sich nachgerade die jüngste Entwicklungsstufe der Wegelagcrei erkennen, die es verstanden hat, mit dem Gesetze sich in Einklang zu setzen. Dieses aber vor Allem und dazu noch die Prellereien von Lastträgern, Kellnern und Fremdenführern, die alle seiner Börse nachstellen, sind die Daten, ans welchen er sich sein Urtheil über die Bewohner fremder Länder bilden kaun. Dabei wirb dann gewöhnlich das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und über das ganze Volk der Stab gebrochen, während die geringste Ueberlegung nns sagen würde, daß mit gleichem Maßstabe gemessen auch die uus als Ideal vorschwebende Heimath anderen Fremden im gleichen Lichte sich darstellen würde. Diese centrifugale Zerfahrenheit und Neisesucht des modernen Menschen entspringt im Grnnde aus einer argen Täuschung. Sein Uugenügcu an der Heimath erklärt er sich aus den Objecten der gewohnten Umgebung, während es doch lediglich in ihm selbst liegt. Nnr allznbald kommt daher diese Selbsttäuschung an den Tag. Der Reiz der Neuheit hält nur wenig vor. Die Dinge in der Fremde leisten aus der Nähe besehen nicht das, was sie im Nimbus der Entfernung versprachen. DaS bischeil Phantasie, das schon vor der Abreise thätig gewesen, hat denselben vorweg den größten Reiz genommen. Kurz, man glaubte vou der Fremde angezogen zu sein und darum die Reiselust zu verspüren, 7 und erfährt nun, daß man eigentlich nur von der Heimath abgestoßen war. Allmählich stellt sich Blasirtheit und das Bedürfniß nach den Bequemlichkeiten der Heimath wieder ein, denen man doch nur ungern entsagt hat; man besinnt sich mehr und mehr, daß sich's im Grunde doch zu Hanse am besten lebt und so machen der ursprünglichen Sehusucht nach neuen Erscheinungen, die uns aus der Hcimath aufgejagt hat, allmählich wieder retrograde Empfindungen Platz. „Abwesenheit verklärt," sagt Jean Paul. In der Hcimath erscheint die Fremde verklärt, in der Fremde wiederum die Heimath. Man wechselt daher, so oft man hinter diese Lüge des Ferncgclegencn kommt, wie in einem elektromagnetischen Apparate sich die Anziehung im Augenblicke der Berührung in Abstoßung verwandelt. Um so günstiger aber erscheint diese Verklärung des Abwesenden, je größer seine Entfernung. Fremde Länoer üben eine größere Anziehungskraft aus, als das Gute, das oft im Vaterlande so nahe liegt. Von jeher galt daher von den Reiselustigen das Wort des Tacitus: ?6roßriiia, 6xtoIIiniu8 Mtriä6 inourio3i. Gleichwohl ließe sich dem das Wort reden, wenn wenigstens unserer Sucht, fremde Länder zu sehen, eine unbefangene Würdigung ihrer Eigenthümlichkeiten entsprechen würde. Aber auch daran feblt es uns in der Regel. Wir reisen als Kritiker und legen an Alles den Maßstab unserer Heimath. Anstatt dir Menschen, ihre Sitten und Gebräuche, auS der Eigenthümlichkeit der Verhältnisse heraus zu beurtheilen, aus welchen sie herausgewachsen, tadeln wir Alles in dem Maße, als es uns ungewohnt ist. Bei solchem Anlegen eines äußerlichen Maßstabes wird man den Dingen natürlich niemals gerecht und so geht denn bei unserer gebräuchlichen Art zu reisen, nicht nur der Zweck der Unterhaltung, sondern auch der der Belehrung mehr oder minder verloren. 8 Ganz und gar verschieden vom Reisen, wie wir es im Vo» gehenden geschildert haben und wie es mehr „nd mehr gebrauch lich zll werden scheint, ist das Wandern. Nirgend könn ich üiiM bleibe», üiuhelos ist mir der Sinn; — Ohne uicl lHrinn'rung hi„. Martin Greif. Die Schienen einer Eisenbahn, in schnurgerader Linie dem fest in Absicht genommenen Ziele entgegenführend; daneben aber die Landstraße in anmnlhigen Windnngcn durch Felder und Wiesen führend, hier einen Hügel erstrebend, dort in Waldeseinsamkeit verschwindend: se> verhallen sich zu einander der Reisende nnd der Wanderer. Das Reisen ist Mittel, ein Ziel zu erreichen: das Wandern ist Selbstzweck. Me Unterschiede des Verhaltens ergeben sich hieraus. Rousseau sagt: Wer nur ankommen will, der nehme die Postkutsche; wer aber wandern will, der gehe zn Fuß. In der That, als vernünftiger Tonrist kann nur der an.^ gesehen werden, der Eisenbahnen und Postkutschen Geschäftsrei, senden überläßt, selbst aber den Tornister auf den Rücken nimmt und statt den ausgetretenen Geleisen der Modereisenden zu folge», solche Wege und Thäler aufsucht, wo ihm Land und Lentc noch in ihrer natürlichen Eigenthümlichkeit entgegentreten und der Bewohner noch nicht zum Kulturmenschen nivellnt worden ist. Nur ein solches Wandern kann ersprießlich u„d genußreich genannt werden. Den Wanderer wird nie die Empfindung blasirtcr Uebersättigung überkommen, wie den Reisenden, nnd mnß auch der erstere gar manche Unbequemlichkeiten und Strapazen mit in den 9 Kauf nehmen, so kehrt er doch uin so gennßsähiger in die Hei math wieder zurück. Die Lust des 5icisenS ist nur Kontrast' empsindung auf der Basis vorhergegangener Langwelle; der Wandertrieb ist eine positive Empfindung, das Wandern postliver Genuß. Unser Interesse und uusere Genußfähigkeit den Erscheinungen gegenüber beruht auf unserer Verwunderungsfähigkcit und cut' spricht dem Grade derselbeu. Aber es ist der Fluch der mensch-lichen Natur, daß sich diese Verwunderung abstumpft den gewohnten Erscheinungen gegenüber, welche in gleichem Verhältnisse auch ihr Interesse für uus einbüßen. Nur so erklärt es sich, daß wir dein so gehaltreichen, so geheimnißvollen Schauspiele der Natur gegenüber meist iu Gleichgültigkeit verharrcu. Interessant erscheint uns nur der uugcwohnte Anblick. Die Empfäuglichkeit für Natnrschönheitcn findet sich nicht bci den Völkern des Südeus: denn ihre Natur büßt durch keinen Wechsel der Jahreszeiten von ihrer Schönheit ein. Dagegen besitzen sie in hohem Grade die Völker des Nordens und der gemäßigten Zonen — welche auch allein eine Natnrpoesie in ihrer Lyrik auszuweisen haben - weil eben, abgesehen davon, daß sie in diesls willkürliche Gunst eines wohlwollenden Genius erschien, als welchen er folgerichtig die Sonne verehrte. Und so sind wir jeder ungewohnten Erscheinung gegenüber, jeder Scenerie, die uns keine alltägliche ist, gerecht, indem wir ihnen jene Aufmerksamkeit schenken, jenes Interesse abgewinnen, welches der Gegenstand verdient, während in dem Maße, als wir uns an den Anblick von Dingen gewöhnen, nicht nur unsere Fähigkeit, sie ästhetisch zn würdigen, sich vermindert, sondern auch die, das Problematische, der Erklärung Bedürftige an ihnen zu erkeunen. Wahrlich, wir würden mit ganz anderem Auge in die Welt blicken, wenn wir mit entwickeltem Verstande mit Einem Male in sie lräten, statt in jahrelanger Kindheit des Geistes nach und nach so sehr an den Anblick der wundersamen Dinge uns zu gewöhnen, daß wir ihnen später bei gereiften Anlagen wie von selbst verständlichen gegenüberstehen. Darum erweist sich nichts so schädlich für den menschlichen Geist, als im Schlendrian von alltäglichen Gewohnheiten fortzuleben, während uns allein gelegentlicher Wechsel der Scenen und Verhältnisse die Fähigkeit bewahrt, auf den Anblick der Dinge ästhetisch und mit jener Verwuuderung zu reagiren, in welche mit Recht Aristoteles den Anfang alier Philosophie setzt. Niemals wurde eiue Erscheinung wahrhaft künstlerisch dargestellt, niemals ihrem wahren Wesen nach philosophisch erkannt, als auf der Grundlage solcher Befremdung, welche den verderblichen Einflnß gewohnter Anschanung zu überwinden vermochte. 1! Wenn aber irgend etwas geeignet ist, uns dicse Empfindnng zn erhalten, ja sogar sic nns zu verleihen, so ist es das Wandern. Darin insbesondere liegt dcr unschätzbare Vortheil zeitweiligen Wanderlebens. W erhält uns in einen: Zustande der Augen-haftigkcit - wenn es erlaubt ist, dicstö Wortes sich zn bedienen — wie keine andere Lebensweise sie zu geben vermag. Im Wandern werden wir wiederum vcrwnndc-rnngs fähig. Dies ist ganz unabhängig davon, ob die neuen Bilder in der That interessanter sind, als welche wir in der Heimath sahen. Der Reiz liegt lediglich in der Neuheit; als ungewohnte Bilder vermögen sie unser Interesse zu erregen, dahingegen das alltäglich Geschaute uns nicht mehr zu befremden vermag. Der Grund, warum wir auf den Anblick der Dinge so verschieden reagiren, liegt also nicht in diesen, sondern lediglich in nns selbst. Wenn wir lange Zeit hindurch im Wanderleben intime Beziehungen mit dcr Natur gepflogen haben, so gewinnen wir für die Poesie derselben eine feinfühlige Empfänglichkeit, welche nie zu erwerben ist, wenn wir im modernen Sinne des Wortes reisen, oder gar im Sta'dtelcbeu, das uns ganz und gar die Natur durch Menschenwerke verbirgt, allem Wechsel der Witterung und Jahreszeiten die Anschaulichkeit und Empfindlichkeit möglichst benimmt, so daß wir dcr Natur mehr und mehr entfremdet werden, dcr Einn für ihr gcheimnißvollcs Treiben verloren geht und gleichsam bic Nabelschnnr gelrennt wird, durch welche unser Empfindungsleben mit dem All commnnicirte. Der alte Homer sagt: Denn so wechselt der Sinn der sterblichen Erdcdewohuer, So, wie die Tag' herführet der waltende Vater im Himmel. (0ä. XV11I). 12 Und in der That, mächtiger als wir cs selbst wissen, wird unser Empfindungoleben voin rein äußerlichen Ansehen dcr Natur beeinflußt. Wir sprechen oft von unseren Launen und Stimmungen als Dingen, die ohne Zusammenhang mit nachweisbaren Ursachen grundlos in der Seele auftauchen. Könnten wir sie aber zergliedern, so würden nur sindeu, daß neben der Einwirkung innerer Faktoren unseres organischen Lebens sehr oft nur die heitcre oder trübe Natur unserer Umgebung es ist, die uns in die entsprechenden Seclenzustände verseht. Jeder heitere Tag ruft einen eben solchen in uns hervor; und wem sollte es nicht mebr oder minder gehen, wie dem guten Jean Paul: „Mein Herz hat Gefühl für schlechtes Wetter, wie ein Hühnerauge"? Wolkeubildungen, blaur Flecke am Himmel, Negrn, Ncbclballen, ein paar Sonnenstrahlen, — kurz lauter Nichtse sind es oft, woraus unsere Elimmnugcn sich zusammensetzen und die unser Gemüth oft erhellen, oft verdüster». Wie hängt nicht alleiu vom Anblick des Himmels das Menschen-herz ab! Wie oft schon - und gewiß mit einigem Rechte — ist der heitere Volkscharakter dcr südlichen Völker in Zusammenhang gebracht worden mit dem heiteren, fast unveränderlichen, Man deo Himmels, der auf sie uiederschaut; dahingegen der veränderliche Himmel im Lande der Nomantik sich wiederspiegelt in dcr Seelc seiner Bewohner. Entsprechend den Wandlungen im Antlitze der Natur, im Wechsel der Iahreszeitm wrrdeu anch wir beeinflußt und durchleben gleichsam iuuerhalb eines jeden Jahres die Grundsiimmuugeu des menschlichen Lebens, wie sie mit den zunehmenden Jahren in einander übergehen. Wir glauben unS mit jeden, Frühjahre zu verjüngen und wahrend im Sommer dcr lachende Sonnenschein auch in unser Herz fällt, beschleicht uns im Herbste leicht dir Melancholie dcr Natur. Dcr Winter aber würde uns sicherlich 13 verdrossen machen, wärc er nicht, unsere beste Studienzeit. Auch ist diese Abhängigkeit unserer Empfindungen nicht zn verwundern. Wir sind Glieder der Natur gleich all den andern Kindern der Sonne, gleich Pflanzen und Blumen. Wie Gesträuche nud Baume gehören anch wir dein Boden au, der uns trägt; auch wir sind ein Stück Vegetation, oder — um den Spiritualisten ein Concession zn macheu — ein Etück Vegetation ist in uns. Dem Processe der Veränderungen, der die ganze Natur beherrscht, können anch wir uns nicht entziehen; wir sind nicht Freigelassene der Natur und vermögen nicht, gleichsam als irdische Abstrakta auf der Erde hernmznwandeln. Mit den zunehmenden Jahren freilich befreit sich der Mensch immer mehr von dieser Art natürlicher Abhängigkeit. Je weücr nnscre Jugend hinter uns zurücktritt, desto weniger vermag die Verjüngung der Natur in mW oie Täuschung der Verjüngung un^r^r selbst hervorzurufen, bis uns schließlich als Grnndstimmung nur mehr die Klage des Alters bleibt. Dann wird nns nicht nur der Winter und seine Begleiterin, die nächtliche Lampe, sym-pathijch, sondern auch daö Streben, in uns einzukehren, welches dic große Iugendillusion, die Freude am All, mehr uud mehr verdrängt, kommt zn immer ausschließlicherer bicltnug. Kann, vermag dann mehr der wiederkehrende Frühling die glücklichen Regungen früherer Jahre zu erwecken; an Stelle des Wandertriebes, der die Seele deS Jünglings dehnte, wenn die Schwalben davonzogen, tritt das Bedürfniß trauriger Ruhe ein und je schöüer die Erde sich schmückt, desto bitterer werden wir empfinden, was Lenau spricht: Vlumcu, ,V!),^'l — duftend, singend'. All' ihr frohen Bmidögcuosfen, Malml nlich nicht, daß ich allein» Bin vom ^richliiu-z anögeschlosfen! l4 Aber auch abgesehen von diesen gedehnteren Wandlungen der Natur sind es oft die flüchtigsten Wechsel in ihrem äußeren Ansehen, auf welche das Spiel unserer Empfindungen antwortet und welche unser Gemüthswetter bestimmen. Ich sah einst ein Kind, daS man nach Belieben zum Lachen oder Weinen bringen konnte, je nachdem man dem Gesichte seiner Guttaperchapuppe durch dcu Druck der Finger ein lächerliches oder ein weinerliches Aussehen gab. Die Menschen gleichen diesem Kinde; denn ähnlich spiegelt sich das Antlitz der Erde in unserem wieder. Ein einziger Sonnenstrahl, der belebend über eine sonst düstere, weltschmerzliche Landschaft gleitet, genügt, diese zu verklären und zugleich uns zu erfreuen. Die Sonne ist eine große Künstlerin! Von ihr läßt sich sagen, was Nnbens nachgerühmt wird, daß er mit einem einzigen Pinselstriche ein weinendes Gesicht in ein lachendes umzuwandeln vermochte. So auch die Sonne, wenn sie die Regenwolken durchbrechend dcu farbigen Regenbogen in die Lüfte zaubert und dann mit Einem Male ein freundliches Lächeln über das thränenvolle Antlitz der Natur gleitet. Wir brauchen nicht eben immer Frühling und Sonnenschein, um guter Diuge zu sei». Mag der Himmel sich bewölken; er verliert nichts an seiner Heiterkeit, so lange die Wolken iu abgegrenzter Gestalt und in unterschiedenen Färbungen in der blauen Höhe ziehen. Mögen ^ gefahrdrohende Gewitter über unseren Häuptern sich entladen; erfrischend, wie der Anblick einer jeden kraftvollen Auslassung, ist auch dieser. Wenn aber das Gewölle zu einem dünnen Gewebe zerflossen und jedem freundlichen Sonnenstrahle den Durchgang verwehrend eine einzige graue Färbung über das Blan des Himmels zieht, dann fühlt man sich unter solchem graucu Spinnennetze wie im Gefängnisse nnd die heiteren Gedanken bleiben daran wie die Fliegen hangen. Weit weniger Gewicht, als auf das Ausseheu des Himmels, legen wir auf das ,5 der Erde. Mag diese uns noch so unfreundlich anblicken, mag sie selbst von Frost erstarrt unter dein weitgebrcitrtcn weiße» Lnchenluche des Winters liegen; — wenn nur der Blick in den blauen Aether uns nicht benommen ist, so schwingen sich auch die Gedanken in sonnige Höhen ans. Wenn aber das fenchte Gewölbe von Laudregeuwolkeu nns bedrückt, dann gleicht die Erde einem Gefängnisse, ans welchem nicht einmal den Gedanken eS gelingt, in heitere Regionen zu entrinnen. Diese Wechselwirkung zwischen Natur und Seeleuleben, wobei die Natnr oft so nndcfinirbare Stimmungen in uns hervorruft, während hinwiederum wir uusere Empfindungen in die Landschaft hineintragen und sie ganz damit übermalen, kann leicht ^ das soll nicht geleugnet werden -^ in's Krankhafte übergeben. Es ist nicht leicht, wenn wir der Natur gegenüberstehen, in klaren Gedanken zu verharren; sie schläfert unser Bewußtsein ein und wiegt nns in Träumereien, deren Reizen sich Individualitäten von geringer Resistenzkraft der Seele gerne bis zu pathologischen Zuständen überlassen. Wenn wir im befremdenden Anblicke der Natnr uns ganz verlieren, ja ganz versenkt in ihr anfzngehen scheinen, so ist dieses ein gesunder Proceß; ja, diese Verwunderungsfähigkeit, wie wir bereits gesehen haben, ist begleitende Erscheinung der höchsten Leistungen des menschlichen Geistes. Wenn aber umgekehrt die Natur uur zum erweiterten Ich wird, wenn wir sie mit der Tinte unserer jeweiligen Empfindungen färben — Heine's Lieder: „Warnm sind denn die Rosen so blaß?" und „Es erklingen alle Bäume" mögen hier als Pendants gelten —-, so kann dieses leicht zu krankhaften Auswüchsen führen. In der Lyrik der germanischen und slavischen Völker finden sich solche Symptonic sehr zahlreich. Gedichte z. V. wie Lenau's „Himmelstraner" und Martin Greifs „Der Frühhahn" gehören bereits in's Pathologische, so sehr uns auch der dichterisch finite Ausdruck solcher Eeelenzuftände 16 poetisch befriedigen mag. In dieser Weise wirkt der Umgang mit der Natur entmarkend; selbst bei der bloßen Lektüre solcher Lieder erfahren wir abgeschwächt diesen Eindruck. In dieser Hinsicht zeigt sich wiederum das Wanderleben als vorzugsweise geeignet, uns vor solchem Schwelgen in falscher tfmpsindsamkeit zu bewahren. Das Wandern wirkt stets kräftigend und erfrischend auf den Körper, wie den Geist. Jene Sentimentalität, welche die Schmerzen des Ich in die ganze Natur verlegt, sie beschleicht nns sicherlich nicht, wenn wir vom Gipfel hoher Verge, die wir unier Beschwerden und Gefahren erklommen, in die tiefe Welt unter nns hinabschauen. Jener Seclenzustand reiner Passivität, welcher der Natur zu großen Einfluß auf unsere Stimmungen gestattet, mag sich wohl einstellen, wenn wir dem praktischen Lebeil zu sehr abgewendet in den Tag hineinleben nnd ohne Ziele irgend welcher Art ein energieloses Dasein führen. Äbcr gerade im Wanderleben können wir einein solchen krankhafte!» Ueberwiegen der Sensibilität nicht verfallen. Dieses verleiht nns vielmehr vermöge der gleichzeitigen Thätigkeit des irritablen Nervensystems jenes Gleichgewicht iin Emvsindungolcben, wodurch wir dem Ideale „ni6N3 8^na in eorpoi-s 8äno" am nächstell kommen und jene stahlklingenartigc Elasticität der Seele, die uns auch für das Leben tüchtig macht, daher denn das Wandern geradezu in die Erziehungsmittel aufgenommen zn werden verdient. Glücklich darum derjenige, dem es beschiedcn ist, dann nnd wann von Schreibrpult und Vücherschrcin sich trennen zu können und in die weite, weite Welt hinauszuwandern. Es ist ein unvergleichliches Gefühl, mit welchem der Wanderer am frühen Morgen durch die noch menschenleeren Gassen und das stille Thor des Städtchens dem Zuge folgt, der ihn hinauszieht und der in ihm fast so unbewußt liegt, wie in der Wandertaube, wie in den Schwärmen der Zugvögel, welche in den Lüften lärmend sich zum l7 Abzüge rüsten. Wohin? Sie wissen es nicht; und auch er steckt sich nicht bestimmte Ziele ab, wenn er sich auch instinktiv, gleich jenen Zugvögeln, den fernen Bergen zuwendet, welche blau aufragend mit ihren Umrissen sich rein vom südlichen Himmel abzeichnen. Diese Sehnsucht, mit welcher der Germane nach den Bergen strebt, — fast ist es, als sei sie ihm zugefallen als Erbschaft von Vorfahren, deren ganzes Sinnen »md Trachten ein Jahrtausend hindurch von den Herrlichkeiten des Südens eingenommen war; welche immer wieder die Alpen hinabstiegen und in die Heimath zurückgekehrt den lauschenden Kindern von ihren Romfahrten zu erzählen wußten. Dann aber vorzüglich wird der Enkel solcher Geschlechter den Zng nach dem Süden in sich erwachen fühlen, wenn der nordische Winter seinen Einzng halt nnd die Schneehütte auf die erstarrende Erde langsam herabschleiernd ihm die Worte des Nadowessiers iu der Todtenklage ins Gedächtniß rnft: Wohl ihm, er ist hmgc.qangen Wo kein Schnee mehr ist. Die Naturgcnüsse sind fast die einzigen, deren wir bis in das Alter ohne Neberdruß fähig bleiben, wohl nur aus dem Grunde, weil sie zu den weuigen Genüssen zählen, die auf keiner Illusion beruhen. In gleich bleibender Intensität können wir die Liebe zur Natur durch das ganze Leben bewahren, weil sie ein ewig ungestilltes Verlangen bleibt, das in keiner Erfüllung eine Abschwächung erfährt. Darum liegt aber auch im Wandern ein Reiz, daß wir es allen andern zugänglichen Genüssen weit vorziehen. Programmlos in ungebundener Freiheit, ganz im Daseinsgenusse desjenigen schwelgend, der „seine Sache anf nichts gestellt", iu der Welt hernmzulaufen, — dieses giebt uns eine innere Zufriedenheit, welche vielleicht unr auf Wunschlosigkeit beruht, aber schwer erreichbar ist, wenn wir wieder zu regelmäßigem Leben an- bu Prel. Untcv Tannen und Pinien. H 18 haltend, gleich der Pflanze, die in die Erde gesetzt wird, nach allen Seiten jene Wurzeln treiben, die uns Leid und Frcnd des menschlichen Lebens in »ft allzn ungleicher Mischling zuführen. Darum: Wo immer dcr Wanderer, sei es nun im einsamen Gebirgsthal?, oder im Gewimmel des Städtclebcns, den Menschen die Tretmühle eines im gewohnten Einerlei sich bewegenden Lebens treten sieht, wo immer er ein an die Scholle gefesseltes Tagesleben sich abwickeln sieht, — überall wird er sich glücklich preisen, daß ihm so cnggezogcne Kreise des Daseins nicht gezogen sind. Vergleichbar dem Kometen im Sonnensystem, der die regelmäßigen Bahnen der engkrciscnden Planeten durchschneidet, nm seinerseits in nngemessene Weiten hinauszuschweifen, lebt anch der Wanderer als Deserteur dcr Gesellschaft unbeherrscht von der slltraktions-fraft lokaler Lebensinteressen und überall macht sich die centriftngalc Tendenz seines Naturells geltend. Weder bewährt sich bei ihm das „udi deno, idi Mrik", noch wird er Sehnsucht empfinden nach der dcr Natürlichkeit emsrcmdeten Knlttir der Städte, noch anch wird er die abstrakte Weisheit der Bücher vermissen, er, der im Vnche der Nalur, das in so anschaulicher Sprache geschrieben ist, blättern kann uno dem zu jeder Stunde des Tages aus allen Gebieten der Natur und des Menschenlebens die interessantesten Probleme znströmen. Famulus Wagner, der „trockene Schleicher", nnd alle diejenigen, welche ihm nachgerathcn, sie sehen sich freilich schnell „an Flur nnd Feldern satt" und kennen nur die Gcistesfreuden des Bücherwurms. Derjenige aber, in dessen Brust Faustische Gefühle sich regen, der wird auch feine Geistesfrenden lieber ans dem Urbildc der Natur schöpfen, als aus ihren abstrakten und verzerrten Abbildern in Folianten. Seine Empfindungen werden darum immer diejenigen sein, welche in den Worten Faust's am Ostermontagsspaziergang liegen, — den schönsten, 19 womit je ein Dichter die Regungen des Wandertriebes geschildert bat: Doch ist es Jedem eingeboren, Daß sein Gefühl hinauf und vorwärts bringt, Wenn nber uns, im blauen Raum verloren, Ihr schmetternd Vied die Lerche sin,qt; Wenn über schroffen Fichtcnhlihen Der Adler ausgebreitet schwebt, Und nder Flächen, über Seen Der Kranich nach der Heimath strebt. Der Wanderer reist kritiklos nnd wird darmn seiner Beschäftigung nicht leicht aus Gründen der Beschaffenheit der von ihm angeschauten Objekte satt. Indem ihm der Vcrgleichungsmaßstab mit seiner Hcimath fehlt, sicht er in Allem dic naturgemäße Berechtigung. Er sieht nnr ein „So ist es" und kommt nicht zu rinem „So sollte es sein." Nicht Lob oder Tadel ist es, womit cr an die Dinge herantritt. Dem Wanderer als solchen, ist ästhetische Bekrittelung fremd. Und mit Necht. Denn die Natur an sich ist weder schön noch häßlich. Wir sind in Subjektivismus befangen, wenn wir einer Idee der Natur vor anderen den Vorzug geben und es verschwinden solche Unteischiede der Werthschätzung, wenn wir bis zum Wesen der Dinge durchbringen. Darum gilt dem Wanderer das Ansehen der Orte nichts. Er meidet nicht das Einerlei der „trostlosen" Ebene; ja gerade in ihrer Dehnnng mag sie in sympathischem Einklänge stehen mit dem tangcntialen Triebe, der ftine Secle dehnt. Mag der Natur anch nicht überall das Prädikat der Schönheit zugestanden werden, sie bleibt ihm doch gleich interessant in jeder ihrer Ideen, die sie ausspricht, in allen ihren Erscheinungen, mögen sie auch in keine der von einer subjektiven Aesthetik festgestellten Rubriken eingereiht werden können. Denn,, in der That, nur wenn dic Welt sich spiegelt im Erkenntniß-organe des Professors, der „mit seinen Perrücken und Schlafrock- 2* 20 fetzen die Lücken des Wcltenbaues stopft", nur dann gewinnt sie jene Verzerrung, welche dic Dinge ihrer natürlichen Gestaltnng beraubt uud dic gleiche Berechtigung der Erscheinungen aufhebt. In gleicher Weise ist der Wanderer als solcher anch kcin Moralist. Mögen ihm anch Erscheinungen des Menschenlebens begegnen, welche hierzu Anlaß bieten, so sieht er doch die Menschen nicht in dem Verhältnisse, das sie zu bestimmten moralischen Satzungen einnehmen, nicht die Menschen als solche, sondern in den Menschen die Natur; d. h. er erblickt sie in einem Lichte, in welchem sie weder dem Lobe noch Tadel zugänglich sind. Kurz der Wanderer als solcher ist in erster Linie nichts weiter als Beschauer und kommt den Erscheinungen gegenüber überhaupt nicht zu jener Art von Beurtheilung, welche die wirkliche Natur der Dinge verkennt und nur ihre Relativität zu voreingenommenen Standpunkten beleuchten würde. Trotz aller dieser Merkmale, welche den Wanderer charaklc-risiren, will ich ihn nicht zn einem Gelehrten stempeln; ich will ihn, der ein beliebiger Handwerksbursche sein mag, nnr schildern in einer ihm selbst vielleicht unverständlichen Weise, die aber gleichwohl zutreffend sein mag. Die kosmopolitische Natnranlagc des Wanderers, die aus seinem ganzen Verhalten spricht, schädigt zwar nicht seine Sehnsucht nach seiner landschaftlichen Heimath — denn dirse ruht tief in der Mcnschenseele und beruht vielleicht nur darauf, daß der Mensch, von dem Boden hinweggcnommen, dem er entsprossen und auf dein er zu der bestimmten Individualität sich entwickelt hat, unbewußt das Erotische seiner Stellung fühlt, — wohl aber geräth er iu so ferne in Widerspruch mit unserer so sehr politisch fühlenden Generation, als in ihm der historisch-politische Sinn für das Vaterlaud in weitaus geringerem Grade entwickelt ist. ^ Das „engere Vaterlaud" nun gar ist ihm etwas gauz Unverständliches. 21 Er hält es mit dem alten Strabo: „Nltr die Angabe nach natürlichen Grenzen oder nach Völkern ist des Geographen Sache; diejenigen Gintheillingen hingegen, welche zn verschiedenen Zeiten von den Regierungen gemacht sind, brancht man nnr im Allgemeinen anzugeben." Es mag daher den Wanderern, dieser Spielart des Menschen, die leider mehr und mehr zn verschwinden droht, vernehmlich in nnserem Vaterlandc oft znm Vcwnßtsein kommen, baß sie Anachronismen der Kultnrgcschichte repräsentirc». Dieses Bewußtsein wird bei diesen letzten von den „fahrenden Leuten" insbesondere bann eintreten, wenn sie am Horizonte jene „zcbraartig gestreiften" Monumente, die Schlagbänme, auftauchen sehen. Diese, wie auch Donanen, Zollhänser und ähnliche Hindernisse des Wanderlebens tasten ihre Individualität in empfindlichster Weise an und sie sehen in ihnen nur Repräsentanten einer absonderlichen Geographie, für welche sie kein Verständniß besitzen. Und so mag es wohl kommen, daß der Wanderer, dein das Schicksal solche Wahrzeichen in den Weg stellt, dabei ähnliche Empfindungen erfahren wird, wie sie Martin Greif ausdrückt in seinem Liede: Pas Zoll n erHaus. Jüngst ging ich über cine Brück', Sah nicht das Zöllnerhanö. Ich ging nicht lang, da rics's znrnck Mit fester Stimm' heranö. Da dacht ich: Was besteuerst Du Doch einen Wand'rcr just, Dein nichts von Gott gefallen zn, Wic's Lied in seiner Brnst? 22 Besteuerst Du die Wolken auch, Nenu eine drüber geht? Besteuerst Dn deö Waldes Hauch. Der eroig strömt nud weht? Besteuerst Dn den Schmetterling, Die schwankende Libell', Der Vogels wunderbare Schwing', Das Fischlciu in der Well'? Besteuerst Dn die Alle nicht. So lass' auch mich vorbei. Ueb' nicht an mir des Zöllners Pflich!, Und laß mich ziehen frei. I. An der NeichsgreM. Pas Aimigshans auf dem Kchachen S» hab' ich nun die Lt,idt verlassen, Wo ich gelebet lang« Z^t; Ich ziehe rüstig »inner Straßen, M gibt mir Niemand d,is Geleit. Uhln n d. Die Metaphysik eines Menschen beginnt eben dort, wo er mit seiner Physik zu Ende ist, dahcr man denn beim Eintritte ungewöhnlicher Naturereignisse wohl erfahren kann, daß insbesondere die Gebirgsbewohner zur Erklärung derselben sofort zur Metaphysik übergehen, indem sie aus der engen Sphäre ihrer Vorstellungen diejenigen Heransgreifen, die sich besonders eignen, mit dem jeweiligen Vorgänge in eine Art unterirdische Verbindung gebracht zu werden. So schien es mir denn ganz in der Ordnung, als einst in Mittenwald, an der südlichen Grenze Baierns, in aller Frühe meine Fenster zu erzittern begannen nnd eine wellenförmige Bo wegung des Erdbodens mein Bett schaukelte, — daß meiuc Hausfrau sofort auf die Untersbergermandeln — eine Specialität von Berggnomen — verfiel, welche nnnmehr „wegen der Religion ausbrechen." Hiezu noch eine Dosis Erinnerungen an den vergangenen großen Krieg, ein wenig Bismarck, dem die Rolle als „Anten-Christ" zugetheilt wnrdc, und das Alles zusammengeworfen als Wunder und Zeichen des bevorstehenden Weltuntergangs, — damit war ihr metaphysisches System fertig. 24 Ich aber konnte mich trotz solchen Ernstes der Stunde nicht entschließen, anf den beabsichtigten Ausflug zum Königshausc auf dem Schacheu zu verzichten. Nach längeren Regentagen war das Gewölle von den Häuptern der Verge verschwunden, deren Umrisse sich jetzt rein vom blauen Hintergründe abhoben. Ein erfrischender Ostwind, dein ich über die Felder entgegen ging, hatte über Nacht den Himmel reingefegt nnd strich aus der nahen Schlucht des Lainthales. Dort glitzert in der Sonne die wandelbare Wassersäule des Lainbachfalles, der schon von ferne vernehmlich durch die Schlucht sich zwängt, um vor seinem Austritte ein Bassin zu füllen, in dem der Tonrist vor größeren Wanderungen seine Glieder erfrischen mag. Am Gehänge glühen die Kelche der Alpeuroje, Nadelholz zieht sich an den Berglehnen hinauf, — kurz nicht leicht mag sich ein Bad in so malerischer Lage finden, wie dieses. An den Felsen zur Seite des Wasserfalls windet sich der Pfad hinan. Oben aber, wo bcr Lainbach den ersten Anlauf zu seinem jähen Sturze nimmt und frohlockend über das Stciugetrümmer hinwegschießt, erweitert sich das Thal und stille Waldungen, deren Moosboden den Schritt des Wanderers dämpft, breiten sich aus. Zwischen den Bäumen durch schimmert die Fläche des kleinen Lautersees. Goldgrün verlaufen die Wasserstreifen seines schilfigen Ufers und in leise schwankenden Umrissen spiegelt die Wasserstäche umgestürzt den Kegel des hohen Wettcrsteins. Am jenseitigen, südlichen Ufer steigt diese Kalksteinpyramide steil aus dem Wasser auf. Ihr Aussehen ist fahl; keine Vegetation vermag an diesen nackten Felsenwänden Wurzeln zu schlagen und das Haupt des Kolosses hebt sich in greller Beleuchtung in die Himmelsbläue. Leichte Nebelgefpinnste umspielen es, die, aus den Schluchten und Thälern emporsteigend, dort noch einigen Halt snchen, bevor sie in die Lüfte entführt werden. Sie erinnern an den Schleier jenes Genius, von welchem die Buddhisten 25 reden, wenn sic durch cin Gleichniß dic lange Dauer der Welt. Perioden begreiflich zli machen suchen: Nur Einmal in jc tausend Iahreu erscheint dieser (Genius und schwebt über einen viele Meilen hohen Fclskoloß hinweg. Seine Gestalt ist umhüllt von einein duftigen Schleier des feinsten Gewebes, mit dem er darüber, schwebend den Felsen leise streift, — Einmal in jc tanscnd Jahren. Dann aber, wenn im Verlaufe der Aeonen der Schleier den Felscn ganz abgetragen haben wird, dann ist wieder eine Kalpa, eine Weltprriodc, zu Ende; die Welt geht unter und eine nene lritt an ihre Stelle. Wohl geht in nnseren Kalkalpen der Zerstörungsproceß schneller vor iich. Der Schnee, der die hohen Giebel bedeckt, die Regenschauer, welche prasselnd an die Fclsenwände schlagen, zernagen das Gestein und führen iu Tausenden von Rinnsalen den Schotter des verwitterten Kalkes in die Tiefe. Manchmal aber stürzt auch ein nntcrwaschener Felsblock mit zerstörendem Ucbcr-gewichte krachend dnrch das Nadclgehölze zu Thal. Aber anch noch andere Felstrümmer erregen unser Interesse; keiner der umliegenden Verge hat sie herabgeworfen, ihr Gestein ist Granit. Es sind erratische Blöcke, in dcr Eiszeit von den Eentralalpcn her, etwa vom Similaun oder von der Wildspitze, durch's Octzthal hichcr geführt: bemooste Touristen, wohl die ersten, welche den Weg in dieses Thal gefunden haben. Nach kurzer Wanderung ist der Ferchcnfee erreicht; er füllt das Thal dcr ganzen Breite nach. Schweigsamkeit umgibt anf allen Seiten seine Ufer, keine menschliche Wohnung ist zu sehen. Der Wettcrstcin, der, von Mittcnwald aus gesehen, wie ein einzeln stehender Kegel anfragt, zeigt sich nun, da man ihn zur Seite hat, als langgestrecktes Fclsengebirge. In langem Zuge lhürmt sich ein Ungechüm hinter dem andern auf. 2« Den beredten Waldbach zum Begleiter, der sprudelnd auf> schäumt, wo ihm Wnrzelwerk oder Bodenvertiefungen den Lanf heinmeu wollen, geht man in lichten Waldungen fort, bis diese seitwärts treten und die Aussicht auf einen grünen Wicfcnplan eröffnen, die Glmau genannt. Wenige Häuser, um ein Kirchlein herum, liegen darauf verstreut und laden zum Einsprechen ein. Es sind seltene, aber uicht eben angenehme Gäste, die wir dort antreffen. Der Reitauzug und die hellblauen Röcke bezeichnen sie als Leute, die zum Gefolge des Königs gehören. Aber ihres Gebieters Sinn für Natur und Einsamkeit scheinen sie nicht zu theilen. Stolz und unzufrieden schauen sie drein und die Aussicht, einige Tage, vielleicht die ganze Woche in dieser Abgeschiedenheit verbringen zu müssen, um je nach Umständen als reitende Boten versendet zn werden, dünkt ihnen wohl nicht angenehm. Draußen vor dem Hause stehen Koffer, Kisten und Rundkörbe gehäuft, deren beträchtliche Iahl auf eiuen längeren Aufenthalt schließen läßt, deu der Köuig auf dem Schachen zu nehmen gedenkt. Der Apparat des königlichen Umzugs ist bis Hieher gefahren worden um uun an die Träger vertheilt zu werden. Es gehören wohl die stämmigen Gestalten, die, gegen dreißig an der Zahl, in der Gebirgstracht der Gegend umlmstchen, dazu, mit solchen Lasten auf dein Rücken das hochgelegene Königshaus zu erreichen; aber auch einige ergraute Alte zeigen sich unter ihnen, welche die Aussicht auf hohen Lohn hiehrr geführt hat. Ein kleiner Gebirgswagcn, korbartig und niedrig gebaut und auf zwei Rädern rnhend, erwartet den König. Der Kutschersitz fehlt; das kräftige Gebirgspferb, das dem Wagen vorgespannt ist, wird von einem Lakaien an der Hand geleitet. Eine starte, zweizackige Eisengabel, an der Rückseite des Gefährtes angebracht nnd abwärts gekehrt anf dem Boden nachschleifend, vermag auch wenn 27 das Pferd an steilen Stellen anhält, das Zurückrollen des Wagens zu hindern. An der Südseite drr Elmau, dort, wo aus einer schmalen Schlucht zur Rechten der „kalte Bach" bricht, ein geräuschvolles, hellgrünschäumendes Gebirgswasser, stt)t der woblgebalMe Weg an, der zum Königshanse hinaufführt. Wenn wir den Plan der Elmau, ans dem der warme Sonnenschein liegt, verlassen nnd in die Schlucht, dem Laufe des tosenden Baches entgegen, einbiegen, strömt uns kalte Gcbirgsluft entgegen. Bald entfernt sich der Weg von dem steinigen Bette des Gebirgsbaches, dessen Tosen sich mehr und mehr in der Ferne verliert; der schweigsame Hochforst nimmt uns auf, in dem der Nußhäher kreischt, die scheue Amsel aufgescheucht davonfliegt und nur manchmal hoch über uus der Geier sich vernehmen laßt, der, mit ausgebreiteten Flügeln langsam über den Wäldern kreisend, nach einem Opfer späht. Breit genug für ein Gefährte vermeidet der Weg, glatt ge-cbnet und mit haNem Kies bestreut, in Hunderten von Windungen die Schwierigkeiten der Steigung fo viel als möglich. Man geht bequem dahin, wie in einer Parkanlage. Da und dort ist ein Theil der Berglehne abgetragen, den nöthigen Naum zu gewinnen, Felsen sind weggesprengt, steinerne Unterbauten füllen die Sen-kungeu des Bodens zur Ausgleichung der Unebenheiten; über tiefere Schluchten führen festgeznnmertc Holzbrücken. Wo Rinnsale angesammelten Quellwassers den Weg kreuzen, sind Durchlässe angebracht und schützende, starke Geländer säumen auf der abstiw zenden Seite fast die ganze Länge des Weges. So steigt man mühelos bergan und hielte man den Blick nur anf den Boden geheftet, fo würde uns nichts daran erinnern, daß wir uns hier mitten im Hochgebirge befinden. Aber zur Seite faulen sturmgefältte Fichten im schwarzaufgewüblten Humus und derbe, duftige Kräuter gedeihen im feuchten Moosbodcn. Fast bei 28 jeder Biegung des Weges eröffnet sich ein anderes, hochinteressantes Bild. Dann und wann schimmern zur Linken zwischen den Tannengipfeln die grauen Kalkwände dcs Wettersteinzugrs >nit den frisch-beschneiten viclgezacktm Umrissen. Iur Rechten aber, über die Wiftfcl der hinabrollendcn Waldhänge hinweg, blickt man tief hinab in das grünende Thal, wo neben einander liea/nd Partcn-kirchen und Garmisch mit ihren reinlichen, weißen Häusern herauf-blicken. Aber immer wieder umhüllt uns das Waldesdunkel; nur spärliche Lichtbündel dringen durch das wirre Gezweige, das manchmal von verlorenen Windstößen erschauert. Mit Einem Male treten die Tannen weiter auseinander und wieder finden wir uns den sttilanfstrebenden Wänden des Wettcrstems gegenüber. Ein Wiesensteck mit der Wetterstein-Alpe, trennt nns davon. In solcher Nähe läßt sich die arge Zerklüftung dieses ungeheuerlichen Felsengewirres erkennen, dessen zackiger Grat vom weißen Wolkenzuge sich abhebt. Noch liegt oben der Schnee, der sich in den Regentagen angesammelt hat, nun aber in der warmen Augustsonne zerfließend die Wände feuchtet. Der ganze Felsenrücken erglitzert; auf allen Seiten rieselt es herab dem Wiesengrunde zu. An drei Stunden geht es in dieser Weise bergan, immer in der würzigen Harzluft des Forstes und zwischen den d^'r Hoch-alpennatnr eigenthümlichen Fcrnsichten, so oft es dem Vlicke gestattet ist, weiter zu schweifen. Lichter und lichter wird der Wald und gestattet freiere Umschau. Noch eine Krümmung des Weges und wir erblicken vor uns in weiter Ferne, hochgetragen in luftiger Höhe, das Königshaus. Noch haben wir wohl eine halbe Stunde zu steigen, aber getragen von jener Empfindung, die sich einstellt, wenn die Welt drr Menschen immer tiefer unter uns versinkt und die hehre Welt der Berghäupter uns immer näher tritt. Das Gehänge erglüht von den aufgebrochenen Kelchen der Alpenrose, die zwischen Wach- 29 Holderbüschen in üppiger Menge blühen. Dann wieder ragen zwischen niederem Föhrenholze hochstrcbende Zirbenstämmc auf. Im Kampfe mit den Elementen unterlegen strecken sie die nackten Zweige, denen anch nicht die Ninde erhalten blieb, in die Lüfte. Weiter oben stehen sie gedrängter und besser gedeihend in einer weiten Bodensenkung. Sie spiegeln sich in einem Wassergrnnde von ticfdnnkler Färbung nnd malerischer Wildheit. Es ist der gegen W0N Fuß hoch gelegene kleine Schachensee. Neben stein-bcschwertcn Hütten — die Unterkunft der Hirten und Rinder — steht ein gemauertes Haus, das die königlichen Stallungen birgt Zwischen Felstrümmern, knorrigem Krmnmholzc und sturm-gefä'llten odcr auch vom Blitze zerschmetterten Stämmen zieht sich der Weg hinan zum Schachen. Hinter ihm lüften sich dann nnd wann die Nebel, welche die fernen Zinken der Zugspitze — sie ist Deutschlands höchster Berg ^ umspielen, und es enthüllen sich die weiten Schneefelder, die, amphitheatralisch von den Iug-spihwänden eingerahmt, in der Sonne glitzern, daß das Auge geblendet sich abwendet. Zur Seite aber lassen sich nnn in deutlichster Nähe die graulichen Schlüfte, Abstürze und Fclsplatlcn einsehen, ans welchen der Wctterstein besteht. Inmitten solcher Scenerie steht das Königshans auf dem höchsten Vorsprung der Berglehne, welche dem eigentlichen Ge-birgsstocke anhängend, die letzten grünen Matten trägt. Dicht darüber steigt die fahle, wüste Stcinmasse empor zum viclzackigen Grate und del» sogenannten „Tenfelsgsaß"; für schwindelfreie Bergsteiger führt hier ein Felfcnpfad hinüber in die Lcutasch, ein einsames Tirolcrthal, aber reich an landschaftlichen Schönheiten. Hinter dem Schachen aber seht sich der wildzerisscne Felsengrat des Wettersteins fort bis zu semer letzten und höchsten Erhebung, der Zugspitze. Das Königshans, ein festgezimmerter Holzbau im schweize- 30 rischrn Gebirgsstyle, enthält ein Erdgeschoß mit Schlafgemach und Arbeitszimmer des Königs nnd dem Wohnzimmer des jeweiligen Begleiters; sodann ein oberes Stockwert, nm das die Altane führt, mit dem Speisesaale. Die himmelblaue Decke desselben ist mit goldenen Sternen besäet; in seiner Mitte plätschert ein Springbrunnen, an dem der Sonnenstrahl spielt, der durch die Fenster fällt. Die Einrichtung der Gemächer, mit der Außenseile des Gebäudes contrastirend, ist im maurischen Style gehalten. In einiger Entfernung, etwas tiefer gelegen, steht das Wirthschafts-gcbände für die Dienerschaft und Leute vom Gebirge, die nach Bedarf den Verkehr mit der Elmau vermitteln, wo die Reitknechte der herabfommenden Befehle und Correspondcnzen harren. Am äußersten Vorsprnng des Schachens steht ein Pavillon mit Tisch und Stühlen, — der eigentliche Zielpunkt aller Touristen; denn erst von hier ans kann die ganze Wildheit und Großartigkeit dieser Hochgebirgsnatnr eingesehen werden. Beugt man sich über das Geländer des Pavillons, so fährt man unwillkürlich znrück. Der Echachcu stürzt hier wohl ein paar Tausend Fuß senkrecht ab; in der verblauenden Tiefe liegt das untere Rainthal, das ansteigend bis zn den Schneeftldern der Zugspitze sich fortsetzt. Ihnen entquillt die Partnach, die sich oben zu tiefblauen kleinen Seen — „blaue Gumpen" genannt — erweitert, dann in felsigem Bette daö Rainthal hcrabeilt, daß man bis zum Echachcn herauf das Rauschen ihres Wassers hört, uud vor ihrem Austritte in die Ebene dnrch die weitberühmte Parl-nachklamm bei Partenkirchen ihr Bett schneidet. Darüber lnuaus zieht am ferucu Horizonte die mattblaue Liuie der Voralpeu vorüber, iunnticu unterbrochen nnd beiderseitig bis zur Thalsohle sich neigend. Dnrch diesen Einschnitt dringt der Blick weit hinaus in die sonnenhelle, baierische Ebene, ans der uus fern die Fläche des Staffelsees cntgcgenblinkt. 31 Unter mehreren Punkten, welche für den Van eines neuen Jagdhauses dem Könige vorgeschlagen wurden, hat er sich mit Hilfe ihm vorgelegter Zeichnungen für diesen entschieden. Aber dem Iägcrhandwcrke obliegt er niemals; es sind lediglich malerische Rücksichten, die ihn iu seiner Wahl geleitet haben, und wir vermögen solche Motive wahrlich nicht geringer zu schätzen. Wer sich dort oben auf dem Schachcu einmal selbst umge^ seheu, den wird es nicht befremden, zu vernehmen, daß König Ludwig fast iu jedem Monate der besseren Jahreszeit hier Besuch abstattet und — meist nur in Gesellschaft seines Begleiters — mehrere Tage verbringt. Weun der Tag in Lecture und Arbeit vorübergegangen und dann die Schatten der Nacht ans der Ebene mählich heranfsteigen, das Mondlicht silbern auf die Hochterrasse des Schachens fällt und immer mehr Gestirne am Himmel aufkeimen, — dann insbesondere liebt es der König, dort oben sich zll ergehen, und er dehnt dicsc Spaziergäuge oft bis tief in die Nacht hinein ans. Es läßt sich aber auch vorstellen, daß der nächtliche Sternenhimmcl in solcher Höhe sich in einer Pracht zeigen muß, wie sie der Bewohner der Ebene kaum ahnt. — Nächtliche Dämmcruug lagert bereits in der Tiefe uud rasch die Höhen gewinnend mahnt sie zur Rückkehr. Die stämmigen Gestalten der Träger kommen uns auf unserem Abstieg entgegen. Immer wieder begegnen wir Nachzüglern des Iugcs, der um so länger wird, je höher er hinaufkommt; denn die Schwächeren bleiben zurück oder ruhen an der Berglehne aus, neue Kräste zu fammeln, die Rüstigeren dagegen streben vorwärts, um bald wieder zu den Ihrige» heimzukehren. Längst ist oer letzte der Träger au uns vorübergekommen; tiefes Dunkel hcrrfcht in den Wäldern uud das Licht des Mondes beginnt schon, unsicher zwischen dein Gezweige der Tanueu herumtasteud, auf dem Moosbodeu weiter-zuglciten uud den Kiespfad zu erhellen, auf dem wir hinabsteigen. 32 Eine dunkle Masse steigt auf demselben herauf uns entgegen. Seitwärts nnter die Tanneil tretend, den schmalen Weg freizugeben, lassen wir es vorüber. Allein im Wagen sitzt der König; ein Hoflakai führt das kräftige Zugpferd an der Hand und der Vegleiler des Königs folgt zu Pferde dem Wagcu. Wie ein Zug aus phantastischer Märchenwelt geht es an uus vorüber, still und schweigsam; wir hören unr das Knistern der Räder auf dem Kiesboden, die Tritte der Pferde, die anf dem steilen Wege kräftig ihre Hnfe in den Boden schlagen. Einen Augenblick später ist der Zug an der nächsten Windung des Weges zwischen den stumm nickenden Tannen verschwunden. II. Oin Oang in die Uauem. 1. Ueber das Hochthor. Ihr Schneclawmen!-------------- Ich hor' cuch unciufhörlich, oben, unten, In häuf'ssrn Donnern. Nyrou. Als ich im vergangenen Nugnstiuonatc an einem frühen Morgen erwachte siel mein Blick durch das offene Fenster meiner Stube in eine Wildniß. Tiefe, schweigsame Waldgrüude, steil zur engen Thalsohle abfallend, darüber in ewiger Reinheit vereiste Bergesgipfel vom Vlan des Himmels sich abhebend, — ich wnßte im Augenblicke nicht, was ich daraus machen sollte, fei es, daß in Folge contrastirender, vorhergegangener Traumbilder diese Landschaft mir befremdend vorkam, oder daß mein Schlaf von jener Tiefe gewesen, der oft ein gcdächtnißloscs Erwachen folgt. Doch bald besann ich mich, daß ich mich wieder einmal auf der Wanderschaft befinde; aber trotzdem ein Hauch der Morgenluft, der zu mir drang, die weitere Besinnung mir hätte erleichtern, sollen, blieb ich vorerst doch im Unklaren über den Ort meines Aufenthalts. Die hohen Eiszinken, übergössen vom Lichte der Sonne, badeten ihre Häupter in den reinen Lüften und die Wipfel der Tannen, vom Golde des aufgchcudcn Taggestirns durchwoben, du Prel, Unter Tannen und Pinien. <5 34 bebten leise. Aber meine Verwunderung vermehrte sich nur, als min, vom Hintergründe dieser hehren Hochgebirgslandschaft wie eine Idylle aus der Märchenwelt sich abhebend, zwei junge, frische Mädchen im Rahmen meines Fensters auftauchend anhielten, und ein ruhig schöucs Antlitz mit großen, dnnklen Angen sich mir, dem Ungesehenen, zukehrte. Gutwillig hielt sie stille und ließ sich von ihrer Gefährtin das volle Haar mit Nelken schmücken, so daß ich sie recht nach Muße betrachteu konnte. Beide waren städtisch, ja modisch, gekleidet und — dirs brachte mich auf die Lösung des Räthsels — unterhielten sich in dem mir wohlbekannten Wiencr-Dialccte. Ich erinnerte mich, daß ich auf einem Gang in die Tauern am gestrigen Abende das von Wienern vielbesuchte Fnscher-Bad, St. Wolfgang, erreicht halte. Ueber daS Hochthor und hinab nach Heiligenblut in's Kärnthncrland sollte die Wanderung weiter gehen. Die beiden Mädchen waren von der Terrasse vor meinem Fenster wieder verschwunden und ließen mich im Nachsinnen zurück, ob nicht doch vielleicht diejenigen den besseren Theil erwählen, welche an der Seite etwa eines solcheu Wesens mit dem dunklen Augenpaare, ein Leben der Bequemlichkeit und ruhiger Arbeit verbringen, statt in unstäter Wanderuug in die Regionen von ewigem Schnee und Eis hinaufzusteigen. Aber jener Trieb, der sich schon in dem Knaben durch verstecktes Lesen vou Reiseschilderungen unter der Schulbank äußerte, und der seither in mancherlei Ländern mir die Spitze des Wanderstabs abgestumpft hat, — jener Trieb kommt nicht so leicht zur Ruhe. In der Reaktion gegen das Kulturleben stellt sich von Zeit zu Zeit der Wnusch ein, der Schwüle des menschlichen Daseins zu entfliehen und es ist der Contrastgeuuß, den wir bei solchen Wanderungen in der Glctschcrwelt, mit Steigeisen und Seil ausgerüstet, aufsuchen. Das Erwachen des Frühlings schon, bei dem wir ganz aufgehen 35 in centrifugalcn Empfindungen, will uns Hinanslocken in die Berge, dir als langgestreckte Kette, in zarter blauer Färbung den Horizont säumend, die Ebene uns verleiden. Und ich wenigstens werde kaum je zu denjenigen gehören, welchen die Erde wohl am allerbesten grfiele, wenn sie das Ausseheu einer wohlgeglättrten. gut gepflasterten Kngel hätte. Denn wenn es nach längerem Aufenthalt im Lande der wcttergebräunten Menscheil wieder gilt, in dic Ebene, in das Land dcr Blaßgesichter, hinabzusteigen, so kann ich mich wohl hincindcnken in die Empfindungen jenes Bergeuthusiasten, der mir den Eindruck der Ebene auf ihn nicht anders als mit den Worten klar machen konnte, cr wisse nie, warum die Welt dort anch noch sich fortsetze, da sie doch keine Abwechslung mehr bringe. Der Mensch ist, biologisch genommen, den barbarischen Verhältnissen uud Zuständen seiner frühesten Vorfahren vielleicht noch zu kurze Zeit entwachsen, als daß es ihm nicht in einer Art von geistigem Atavismus Behagen verursachen sollte, von Zeit zu Zeit in Daseinsverhältnisse zu tanchen, die dem ursprünglichen Naturleben der Menschheit noch einigermaßen verwandt sind. Die Civilisation klebt uns noch immer äußerlich, wie eine Schminke, an und hat uns noch nicht so sehr umgewandelt, als daß wir nicht eine Erholung empfinden sollten im Anblicke jener Gestalten, welche in den Bergen wohnen, von des Gedankens Blässe uoch nicht angekränkelt, deren ganzes geistiges Wesen, noch frei von der Neflcrion über die Dinge dieser Welt, ganz durchtränkt ist von jener Anschaulichkeit, die sich in Tausenden von klemm Zügen beobachten läßt uud wäre es auch nur, baß man unverstanden bleibt, wenn man das Ersuchen um Zündhölzchen stellt, anstatt nach dein anschaulichen „Schnellfeuer" zu verlangen. In den Bergen und vornehmlich in der Centralkette der Tauern begegnen wir noch jenen Eremplaren von Menschen, die 35 36 in der Ebene fast ausgestorben, hier noch gleichsam als kulturhistorische Petrefakte sich finden j problematische Eristenzcn, die als Goldsucher, Wahrsager, Zauberer sich fortbringen, oder auch ganz und gar nur als Landstreicher ihr Leben fristen, wie beispielsweise jene im Pinzgau berüchtigte „Giftigin", von deren 4l Kindern man mir zn erzählten wußte, die eiuer genau so großen Anzahl von Vätern entsprangen. Das harte Volk der Tauernbewohncr führt heute noch in manchem versteckten Thalc ein Dasein, wie die Ureinwohner, jene Taurisker, die als Hirten und Jäger die Berge durchstreiften uud in deu Eingeweiden derselben nach edlen Metallen gruben. Selbst die 45Njährige Hnrschaft der Nömer vermochte an den Sitten und Anschauuugeu der Bewohner wenig zn ändern. Ja, nicht einmal der starke Zug der Fremden, oie jetzt alljährlich diese Gegenden bereisen, hat dieses schon ganz zn Stande gebracht. Noch finden wir dort die Leute in ihrem abgeschlossenen physischen wie geistigen Gesichtskreise dahinleben, der uns oft seiner drückenden Enge wegen abstoßend vorkommen mag, wenn wir es nicht verstehen, die Uebereinstimmung zu schätzen, in der sich hier der Mensch mit der ihn unigebenden Natur zeigt. Dann freilich werden uns solche Individualitäten, die, oft mit allzugroßcm Rechte, aber doch ganz naiv mit der Entschuldigung nns überraschen, daß sie „nicht ganz gescheidt" seien und dic von ihrem „schwachen Kopfe" so ungcschcnt reden, wie der civilisirte Mensch etwa sein schwaches Gesicht eingesteht, — solche Individualitäten werden uns fogar sympatischer erscheinen, als in den Städten der große Haufe der Ungebildeten uud Halbgebildeten, die alles Mögliche, was sie sehen und hören, auch zu verstehen glanbrn und an jedem Morgen von der Zeitung ihren Tagesbedarf an politischer und socialer Weisheit bezicheu. Ja, es läßt sich geradezu sagen, daß der Umgang mit diesen oft nur Uebcrdruß erzeugt, 37 während jene Gebirgsbewohner bei aller Beschränktheit wenigstens bei ihrem Leisten bleiben nnd in ihrem Kreise besser einheimisch sind, als der zugereiste Fremdling, daher aber auch immer anziehend und belehrend im Umgang bleiben. Die mehr und mehr in Anfschwun^ kommende Touristerci wird freilich in dieser Hinsicht ihre unangenehmen Spuren hinterlassen und gleichwie die Eisenbahnarbeiten in jenen Gegenden durch Verwüstung der Wälder und durch Bauten aller Art die Landschaft ihres ursprünglichen Ansehens berauben, so wird auch, wenn die Schiene durch den PinMU gelegt sein wird, durch die Bekanntschaft mit einer fremden Kultur in den Köpfen der Ein-gebornen eine Verwüstnng angerichtet werden, welche die Ursprünglichkeit ihres Natnrells ihnen schädigt. Schon jetzt läßt sich das an den besuchteren Orten bemerken und nicht der letzte Rath, den ich dem Wanderer mit auf den Weg geben möchte, ist der: Thu' Geld in deinen Beutel! Denn so viel Nutzen haben die Leute aus der ihnen importirtcn Civilisation bereits gezogen, daß sie zur Erkenntniß gekommen sind, es lasse sich die Vorliebe der Fremden für die Vergkletterei ansbcnten. Läßt sich aber dieses einerseits uur bedauern, so kann mau sich andrerseits uur darüber freuen, daß unsere von materiellen Interessen allzusehr in Anspruch genommene Generation doch noch genug Sinn für die Natur verräth, um sich au so nutzlosen, landschaftlichen Genüssen zu gefallen, daß sie insbesondere Gegenden aufsucht, die im klassischen Alterthume, ja noch bis in die neueste Zeit, als unschön uub meuscheufrindlich gemieden wurden. Freilich sind eS der gelangweilten Gesichter genug, die mau in den Sommerfrischen findet; aber diese sind wenigstens so klug, sich nur an solchen Orten aufzuhalten, wo ihnen die Bequemlichkeiten der Heimat!) nicht ganz abgehen. Freilich auch läuft bei den Bergbesteigungen viel Eitelkeit und Prahlsucht mit unter; aber 38 immerhin kcinn man jich mit dieser Form des EportS, die wenigstens keine Rohheit gegen die Thicrwelt mit sich bringt und für rein ideale Genüsse die eigene Kraft, ja das Leben einsetzt, am ersten befrenndcn. In den Tancrn ist der Mensch mitten in den Kampf der Elemente gestellt. Wie hierdurch das ganze Kulturleben bestimmt wird, so entspringt daraus auch die Besonderheit religiöser Vorstellungen, die wir dort finden. Es läßt sich nicht länguen, daß Aberglauben und Formelwesen darin eine bedeutende Rolle spielen; aber wer sich Mühe giebt, die psychologische Seite solcher Glau-bcnsformen zu begreifen, der wird sich damit leicht aussöhnen, ja manchen poesicvollcn Zug darin finden, wie es anch nicht anders möglich ist bei den intimen Beziehungen, in welchen dort der Mensch zur Natur steht. Diese Natnr ist dem Menschen feindlich, dämonisch, und so läßt sich wohl begreifen, daß der Glaube an die bösen Mächte stärker entwickelt ist, als der an die guten, ja daß in manchen Gegenden der Teufel in höherem Ansehen steht, als Gott. Warum auch nicht? Gibt es doch in Afrika Völkerschaften, die nur dem bösen Geiste Opfer bringen nnd nur zu diesem beten, dagegen von Gott sagen, er branche weder Gebete noch Opfer, da er ja ohnehin gnt sei und den Menschen kein Leid zufüge. Es mag dies ein unrichtiges Evstem sein — ich verstehe davon nichts —; aber unlogisch ist es sicher nicht. Zudem ist in den hohen Gebirgen der gesetzmäßige Znsammenhang aller Nalnrerschcinnngen weit schwieriger einzusehen nnd spielt der Znfall in den Lebens-uerhältnisscu der Bewohner eine so großc Nolle, daß es sich schon hieraus erklären möchte, warum diese dem Begriffe Gott, den ja eben die Erkenntniß dieses allgemeinen Naturverbandes geschaffen hat, weit geringeres Verständniß entgegenbringen, als dem der guten und bösen Geister, welche die Vergwelt zn beherrschen 39 scheinen. Zu den guten Geistern ist vor Allem der Schutzengel zu zählen, jene Verkörperung des Glückes, das die eine Seite des Zufalls bezeichnet. In den Orten, die ich am sogenannten Schutz-engelsountage Passirte, fand ich diesen gnten Genins überall in außerordentlichem Ansehen geehrt und gefeiert. Hart im Raume stoßen sich die Dinge in der Taucrnwclt und so lange diese Berge nicht abgetragen und die Bewohner nicht außerhalb des Kampfes der Elemente gestellt werden, die lhncu ihr Dasein erschweren, so lange wirb anch ihre Religion mehr oder minder der ähnlich bleiben, welche sie gegenwärtig haben. Nicht die ganze Schnld ist dem theilwcise sehr ungebildeten Klerus znr Last zn legen. Im Volke selbst liegt das Hinderniß, anderen metaphysischen Vorstellungen Eingang zn verschaffen; aber dieses hinwiederum wird seiner Schnld entlastet, wenn wir seine Daseinsverhältnisse genauer kennen lernen nnd die historische Vergangenheit in Betracht ziehen. Das römische Heidenthum vermischte sich bicr erst mit dem deutschen, sodann mit dem cingewanderten slavischen Hcidcnthnm. Das Christenthum zählte noch im 7. Jahrhunderte nur einzelne Bekenner nnd "ahm naturgemäß Bestandtheile der früheren Religionen in sich auf. Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden die Elemente „gespeist": Der Baner trug auf hölzernen Tellern vier Portionen auf sein Dach und ließ sie dort stehen, bis nichts mehr davon zu fiuden war. Und wenn noch im Beginne unseres Jahrhunderts mauche arme Gemeinde für Wetterschießen und geweihtes Pnlver schwere Summen ansgab, so darf man sich darüber um so weniger wundern, als ja das neue Surrogat dieser Beschwörung der Elemente, die sogenanten Bittgänge zur Acrndlezeit, um nichts vernünftiger ist. Eine Umwandlung solcher Anschauungen kann nur ganz allmählich eintreten und wünsche ich nur, daß alle Pfarrer es macheu möchten, wie einer ihrer Collcgen in Tirol: ^0 Der Bauer, der alle Bittgänge mitgemacht, aber seine Felder schlecht gedüngt hatte, lief, als er das Bevorstehen einer schlechten Aerndte erkannte, zu seinem Pfarrer, um sich die Segnung seincr Felder zu erbitten. Sie wandelten hinaus uud der Pfarrer konnte sich leicht überzeugen, daß der Boden in unverantwortlicher Weise vernachlässigt war. „Ja, lieber Freund!" rief er. „Du hast es schon zu weit kommen lassen. Da hilft der Segen nichts mehr, da hilft nur Mist!" Der zugespitzte Liberale stellt sich meist vor, es fänden sich im Gebirge nnr fanatische Pfaffen, die das Volk absichtlich verdummen. Das mag allerdings von den Höberen Würdenträgern gelten und den Jesuiten; aber betreffs der Landgcistlichen im Allgemeinen ist davon keim Nede. Meist Söhne von Bauern sind sie auch der größeren Zahl nach so harmlos wie diese und sprechen eben zu ihnen von der Kanzel herab, wie sie selbst und die Zuhörer es am besten verstehen. Der Pfarrer, der seinen andächtigen Gläubigen die Dreifaltigkeit mit einer Heugabel vergleicht, die drei Zinken habe nnd doch nur Eine Gabel sei, leistet hierdurch für das Verstcmdniß seiuer Zuhörer jedenfalls mehr, als wenn er ihnen die Formel ,Mi0it Silbcrhaar b?s Gleisen Zlline kränjü, Umschwebt von Wetterwolken und uo» Ablcr«, Eich »»absehbar in die Ferne drl/nt. Dic starren Felsenzinken, welche ras freundliche Döllach im Möllthalc umgeben, vollendeten eben ihren Morgeuputz und warfen, im warmen Scheine der Frühsonne erröthcnd und erweichend, die letzte Nebelhülle ab, als wir die steilen Graslchncn emporstiegen, in welchen daö Zirknitzthal abfällt. Znr Seite lag die halb unterirdische, hochgcwöldte Grotte, durch welche die Zirknih donnernd sich den Weg erzwingt. Zwar hatte man ungünstiges Wetter in Aussicht gestellt und unter Berufung auf irgend eine Wetterregel uns geratheu, den beabsichtigten Uebergang über den Zirkuitzcrglctschcr auf cinen besseren Tag zu verschieben. Aber wir wußten es ja laugst, daß von allen diesen Wetterregeln nur Eine es ist, gegen welche allerdings ein Skepticismus nicht aufzukommeu vermag: Wenn der Hahn träht auf dem Mist, Aendert sich das Wetter, oder es bleibt, wie es ist. So waren wir denn guten Mnthes aufgebrochen, stiegen die Graswände hinan und überschritten die hohe Holzbrückc, welche die enge Felscnklamm der Zirknitz überspannt. Die über-einanderstürzenden, wildschäumeuden Wellen des Gießbaches haben in jahrtausendlanger Arbeit schon tief in den Felsen ihr Bett cingeschnitten nnd setzen in unablässigem Andrang die so eilig betriebene und doch so langsam fortschreitende Arbeit fort. Fast eben, dem tosenden Wasser entlang, führt der Pfad weiter, wenn einmal die hohe, fast unbewohnte Thalsohle erreicht ist, theils durch lichte Waldungen, theils über weichen Grasboden, den nur da uud dort formlose Steinmassen unterbrechen. Hoch ziehen sich 56 zu beiden Seiten dcs Thales die dunkeln Nadelwälder hinan nnd nnr die höchsten Felsenwänbc, an welchen die Waldzungen der ^wergerlc vergebens hinanzukriechen streben, schauen in nackter Uuwirthlichkeit herab. Eine starke Wassersäule stürzt in ewig wandelbarer Gestalt hoch oben in kühnem Bogen herunter. Aber es beruht dieser Effekt lediglich auf der Profilansicht und nach kurzer Strecke sehen wir diese „neun Brunnen" als vielfach verästelte Quelle die breite Wand übergießen nnd dann eilends sich dem mächtigeren Wildbach des Thales zugesellen. Noch sendet die Sonne keine Strahlen herunter in das kühle Thal, das zu so früber Stunde noch ganz in Thau gebadet erscheint; aber der vom strahlenförmigen Glorienscheine verklärte Gipfel vor uns verräth bereits, daß das hinter ihm noch verborgene Gestirn gar bald empor tanchen wird. Jetzt beginnt anch schon der beschwerlichere Theil der Wanderung und so dürfen wir hoffen, daß noch bevor die Sonne uns über dem Scheitel stehen wird, die Höhe der Zirknitzscharte erreicht sein wird. Die Führer — wir haben vorsichtshalber für die Gletscher-Übergänge deren zwei mitgenommen -- rathen zur Nast nnd sprechen gleich wacker der Schnapsflasche zu. Dem Touristen ist dieses Getränke unter keinen Umständen, selbst nicht in Fällen vollständiger Erschöpfung, anzurathen. Momentan zwar würde er sich gestärkt fühlen; aber gar bald würde es ihm wie Blei in den Gliedern liegen, während selbst starke und in ungewohnten Quantitäten genossene Weine in dieser scharfen Luft und bei so gesunder Leibesübung keine Nachwehen hinterlassen. Die Führer freilich scheinen an ihr Getränk ganz g^vöhi't zu sein, das sie wohl nur seiner Billigkeit halber vorziehen und das ihnen in der That bei der täglich gleich beschwerlichen Lebensweise auch un-chädlich sein mag. Im Winter aber, wenn die Tonristenzeit a ^ s ist und das behaglichere Dasein nur selten durch Gletscherwande-Nlngen unterbrochen wird; setzt mancher seine Gewohnheit eben 57 fort, die bci körperlicher Nnthäligkcit geradezu destruktiv wirkt und selbst die stahlhartcn Naturen solcher Leute zu untergraben vermag. Daß die Ermahnungen grgen die Trunksucht von der Kanzel herab viel fruchten, läßt sich nicht eben sagen. Die Pflichten gegen sich selbst sind nicht allen Leuten begreiflich zu macheu uud auch gegen das scheinbar unwiderleglichc Argument eines Pfarrers, daß die Trunksucht den Menschen herabwürdige, da sogar die Thiere nur den nothwendigen Bedarf von Flüssigfeit zu sich nehmen, hatte einst ein Biedermann aus diesen Bergen ein jedenfalls sehr logisches Gegenargument rasch bereit, das er in ein kurzes ..Ja, Wasser!" faßte. Wo sich das Thal gabelt und die Saumwegc sich trennen lassen uns die Führer die Wahl zwischen zwei Wegen nach unserem Ziele, dem Goldbergwerke in der Rauris. Dcr ciue durch das große Zirkuitzthal und über den großen Zirknitzgletscher sei viel „steifer" d. h. der vielen Spalten wegen gefährlicher, als der andere durch das kleine Iirknitzthal und über den gleichnamigen kleinen Gletscher; dagegen sei letzter für „kopfscheue", d. h. zum Schwindel geneigte Leute wiederum unbequemer, jedoch in landschaftlicher Hinsicht vorzuziehen. Ist die Alternative wirklich so gestellt, so thut mau im Allgemeinen besser, dic Gletscherspalten den schwindeligen Pfaden vorzuziehen; dcnn die Gefahren der ersteren kommen bei tüchtigen Führern, welche vorausgehen, nicht in Betracht, während der Wanderer auf schwindeligen Pfaden mehr auf sich selbst angewiesen ist. Aber andrerseits ist zu bemerken, oaß Erkundigungen um die Beschaffenheit der Wege zwar ganz zuverlässig beantwortet werden, soweit es sich um Gletscher handelt, aber nickt immer, soweit mau sich über den erforderlichen Grad von Schwindelfreiheit belehren lassen will. Der Grund hiervon ist sehr einfach: Diese absolut schwindelfreien Leute wissen eben in letzterer Hinsicht die Pfade überhaupt nicht recht zu tariren. An sich selbst erfahlen sie den Zustand des Schwindels nicht, 5s können daher auch nur eine ungefähre Meinung darüber abgeben, ob ein Weg auch für „kopfscheue" Leute gangbar sei. So überschätzen sic meist die Gefahren etwas schwindeliger Pfade, während es viel chcr vorkommen mag, daß ihre Auskünfte bezüglich bcr Gletscher, mit welchen sie so vertrant sind und deren Gefahren zu bestehen fast ihre alltägliche Arbeit ist, den Touristen nicht genugsam vorbereiten. Wir hatten noch an» gleichen Tage Gelegenheit, in beiderlei Hinsicht dieses bestätigt zu sehen. Der angeblich schwindelige Pfad erwies sich als ganz wohl gangbar selbst für Menschen, deren Geneigtheit zu diesem nnbequcmen Uebel durch mannigfache Stnven-hockerei des Winters geschärft sein mochte; andrerseits aber fanden wir Anlaß, uns der Steigeisen und Seile zu bedienen, welche wohl unsere Führer, aber nicht wir hätten entbehren können nnd die sie nur auf unser ausdrückliches Verlangen mitgenommen hatten. — Balo ist die letzte bewohnte Alphütte erreicht. Sie liegt unter einer weitvorspringendcn Felseuplattc gegen Wind und Wetter und die häusigen Lawinen geschützt, die sich im Winter von den Höhen ablösen. Noch einmal begrüßt uns hier das heimische Geläute der Kuhschellen und mit der dem Hornvieh eigenthümlichen Ncugierde wendet sich die zersteute Heerde von allen Seiten den Ankömmlingen zu. Erst in unmittelbarer Nabe überwiegt die Scheu der Thiere uud eine Kuh nach der anderen trabt schwerfällig davon. Nur Eine läßt sich vom Führer ohne alle Scheu aufassen; sie zierte ihm uoch im vergangenen Jahre den eigenen Stall. Durch starkes Blasen mit den Nüstern giebt sie ihm mit vorgestrecktem Kopf zu erkennen, daß sie ihn nicht vergessen uud nimmt dankbar mit dem schwarzen Schlappmaul die Handvoll Gras auf, die er ihr reicht. Vom „Flcdermaustoni" — so erzählt er — habe er sie einst im Etschlande gekauft und heimgeführt, 59 dann aber wieder hierher verhandelt und er laßt es sich nicht Lehmen, daß sic ihm noch immer ein treues Andenken bewahrt. Der Nanie „Flcdcrmaustoui" schien uuö auffallend genug, uns nach dem Sinnc dieser Benennung zu erkundigen und erhielten wir den interessanten Veschcid, der hiermit den Lesern übermittelt sei: Toni ist ein junger Bursche aus dem Etschlaud, der, wie eben alle anderen auch, fein kleines Haus mit Stall und Feld bewirthschaftet und im Ucbrigen „unsern Herrgott einen guten Maun sein laßt". Manchmal nur, im Winter, überkommt ihn die Langeweile und danu grnfl er wohl auch zu sciucm Haus-kaleuder, in dem er die oft gelesenen Geschichten, die ihm so interessant dünken, wieder lieft. Ist er wieder einmal damit fertig geworden und sein wisscnschafüichcs Bedürfniß noch nicht gestillt, dann holt er wohl auch hiutcr der Ofenbank die übrigen Bestandtheile seiner Bibliothek hervor. Sie ist wohl dort in allen Hausern, welche überhaupt eine solche bergen, die gleiche. Durch Dickleibigkeit fallt vor allein das verstaubte, in Schweinoleder gebundene, reich mit Holzschnitten verzierte Buch des Pater Kochem „über die Hölle" auf, das in der That mit einer höllischen, wenn auch künstlerisch ganz und gar uugebändigten Phantasie geschrieben ist. Außerdem sind höchstens noch einige abgegriffene Schriften zu finden, Traumbücher, mit Hülfe welcher man in der Lotterie einen unfehlbaren Gewinn erzielt, oder Zanberbücher, wie der „wahrhaftige feurige Drache" und andere. Eine dieser Schriften ist es wohl, daraus Toui die Belehrung zog, wie man sich unsichtbar macheu könue. Es versteht sich, daß außer Zaubersprücheu, die nur iu sehr schwierigem Radebrcchcn nachgesprochen werden können, auch die übrigen für solche Kunststücke unumgänglich nothwendigen Hülfsmittel nur sehr schwer und in Konstellationen ganz besonderer Umstände beizuschaffen sind, so daß das Fehlschlagen der Erpen-mcnte niemals dem mangelhaften Nachschlage des Autors, sondern nur entweder eigeucm Ungeschick oder dem nicht ganz genauen Zu- 60 treffen der bedingenden Verhältnisse zugeschrieben wird. Aber Toni, den der Gedanke an die so sehr verwendbare Kunst, sich unsichtbar zn machen, nicht ruhen ließ, war mit aller Sorgfalt verfahren, hatte sich in der vorgeschriebenen Vollmondnacht zur Mitternachlstuude eine Fledermaus gefangen, dieser das Herz ausgeschnitten, besprach es mit den nothwendigen Formeln und verwahrte es sodann sorgsam in einem Beutel, den er vorschriftsgemäß versteckt um den Hals trug. Mehrere Tage besann er sich, welchen Gebranch er von dein werlhoollen Gegenstande machen solle und wenn er seine Kühe weidete, konnte man ihn oft liessinnig im Grase liegen sehen. Denn zum Gelingen einer verbotenen Hand^ lung, wie etwa eines Diebftahls, seine Kunst zn verwenden, fiel ihn, nicht bei; dazn war er ein mel zn ehrlicher Bursche. Endlich schien ihm der richtige Gedanke gekommen zu srin. Er hatte bis vor Knrzem ein Liebes^erhällniß mit einer benachbarten Sennerin unterhalten, die in jüngster Zeit ihre Gunst ihm entzogen und einem reicheren Burschen zngewendct hatte. Den Schmerz über diese Untreue halte er noch nicht ganz überwunden und beschloß nun, an seincm Nachfolger sich zu rächen. An körperlicher Kraft diesem wcit unterlegen, konnte er nicht hoffen, dieses dnrch das abgekürzte Verfahren einer Prügelei zn erreichen, wie es nnler den Burschen meist angewendet wird. Diesem starken Gegner konnte er nur mittels seiner Kunst, sich unsichtbar zu machen, zn Lcibe gehen. Der nächste Sonntag nnd Kirchgang solltt' ihm tie Gelegenheit hierzu geben und als der ungeduldig erwartete Tag angebrochen war, legte er sein Sonntagögcwand an und stieg wohl-gcmuth zum Dorfe hinunter. Vor der Kirche stand eine Gruppe von Bauern in lebhaftem Gespräche, das irgend eine wichtige Gemeindrangelcgcnheit betraf. Sie nahmen gar keine Notiz von nnserem Toni, der hocherfreut darüber an ihnen vorüberging. Zn-nächst wendete er sich einer anderen Ecke des Dorfplahes zu, wo öl die Weiber und Mädchen den Beginn des Gottesdienstes erwarteten. Aber Toni war von viel zu wenig einnehmender Gcstalt, als daß ihm die Angcn der Mädchen gefolgt wäreil. Sie schauten nach ihm gar nicht I)in. Nun war er seiner Sache sicher und lugte scharf nach dem erwarteten Nebenbuhler aus, ging, als dieser nm die Ecke bog, gerade und nin so kampflustiger auf ihn zu, als derselbe natürlich ebenfalls gar keine Notiz von ihm nahm und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige. Flucht schien dem Toni unnöthig; er sprang nur ein paar Schritte zur Seite, nm sich an der Verwunderung und Wuth seines Gegners zu weiden. Aber mit Einem Male schien der Zauber gebrochen. Der Nebenbuhler schaute sich keineswegs nach allen Richtungen vergebens nm, wie doch Toni es erwartet hatte, sondern mit einem Satze ihn erfassend packte er ihn an der Brust und verblaute ihn jämmerlich. Seitdem wird unser Held beharrlich der Fkdcrmauötoni gcnannt. — Steil geht es nun auf theilweise abgerutschten Saumpfaden Wieder bergan gegen den Abschluß des Thales. Anfänglich folgen wir noch dem tosenden Wildbach, der in Sähen über das Gerölle dahwschießt. Allerwärts eilen die frischen Qnelleu herbei, der Wald lichtet sich mehr und mehr nnd an die Stelle des dunkeln Nadelholzes tritt 'min die Zwergerlc, welche in den krystallinischen Gebirgen das am Boden schleichende Krummholz der Kalkalprn — Latschen genannt — erseht. Nur da und dort, mit wcitausgrci< senden, auffallend starken Wurzeln in den Voden sich krallend, stehen noch einzelne Tannen und Zirbcn. In diesen von häufigen Stürmen durchtobtcu Regionen gehen die Bäume von schwächerem Wurzelwerk zu Grunde und die Natur, die überall ihr Korrektiv in sich trägt, besorgt so eine Auslese von Bäumen, die festgewurzelt den Glcmeutcn Trotz bieten. Aber zwischen den faulenden Stämmen, welche der Sturm niedergelegt, steht auch maucher noch 62 aufrecht, der, vom Blitze, getroffen und halb verkohlt, die entblätterten und rindeloseu Aeste wie hülfesuchcnd in die Lüfte streckt. Jetzt tauchen weit vorne, in mächtigem Halbkreis das Thal versperrend, hohe Felsenwällc auf. Im Glänze der Sonne er-glitzert ihr brüchiger Glimmerschiefer und die herabschmelzendeu Schneereste, wie die ungezählt!.'!! Bächlein in den Falten, vermehren noch das Flimmern der bäum- und strauchlosen hohen Wände, denen wir erwartlmgsvoll zustreben. AlleS trieft von Licht und Feuchtigkeit. Mehr und mehr verliert sich in der Tiefe das Rauschen der Zirknitzachr, die Natur wirb schweigsam ringsum und nur der klagende Ruf der Zirbenkrähc — sie nährt sich von den faustgroßen Nüssen des Baumes, nach dem sie genannt ist --läßt sich manchmal vernehmen. Lautlos aber, wie es sein Treiben erfordert, durchschneidet der Habicht mit Blitzesschnelle die Lu>t und scharf absetzend stürzt er mit senkrechtem Gefieder gegen die Thalsohle, wenn er in der Tiefe ein Opfer erblickt. In den Lnf!cn weht der starke Duft jeuer Alpenpflanzen, welche zwischen Haidekraut uud Wachholberbüschcln noch vielfach sich finden. Mit Hülfe der Winde ihren Samen verstreuend gedeihen sie noch in üppiger Fülle; uud so intensiv ist ihr Geruch, baß manche, die wir pflücken und pressen, noch nach Wochen kräftig duften wird. In diesen Höhen, wo die Jahreszeiten verspätet auftreten und bis zum langen Winter in kurzen Zeitspannen aufemcmderfolgen, ist der Frühling eben erst zu Ende gegangen. Die Alpenrose zeigt nicht mehr ihre rothglühcnden Kelche, aber die kleinen Sterne der schwarzblaucn Frühlingsgen-zicme schauen noch, immer nur einzeln zu treffen, aus dem kurzen Grase herauf, während von dein blauen Rittersporn die langen Stiele immer büschelweise beisammrnstcheu. Ja in den Nitzrn selbst der verstreuten mächtigen Blöcke nistet irgend eine kleine Glocke oder ein Stern aus den feisten Blättchcn der Scmfragcn. «3 Die Natur, die hier ringsum iu so kolossalen Formen aufbauend die Empfindung des Erhabenen hervorruft, weiß doch andrerseits durch die mikroskopische Niedlichkeit und erstaunliche Abwechslung dieser kleinen Vlumengebilde zu erfreuen. Das Edelweiß allein, jene weiße Sammetblume, vor welche die Götter so viel Schweiß gestellt haben, scheint hier nicht zu gedeihen. Schon streift manchmal ein eisiger Windstoß die glühende Stirn, die Nähe der Gletscherwclt verrathend, und bald sehen wir vor uus jeue deu Tauernübergängen eigenthümlichen Terrassen, die hinter einander ansteigend uns vom Joche trennen. Das tiefe Felsenbecken der ersten Terrasse aber füllt ein ansehnlicher, tief-dunkler See, in den von der höheren Terrasse aus ein breiter Eilberstreifcn gleitet. Eine kleine Quelle, aus dem Gestein brechend, ladet zur Rast ein, die uns für den beschwerlichen Theil der Wanderung stärken soll. Schon liegt zwar, scheinbar so nahe, die blendend ansteigende Fläche des Ferners vor uns, den wir zu überschreiten haben; aber richtiger lernen wir die bedeutende Entfernung mit dem Perspektive schätzen, das uns die mit freiem Auge fast unsichtbaren schwarzen Punkte ans der Schnecstäche als Hirten darstellt, die einige Schafe hinauftreiben. Die lautlose Stille, unterbrochen nur vom geschäftigen Plätschern des Quells, will uns fast bedrücken. Alles Leben scheint hier erstorben. Ruhig erglänzt der Spiegel des Sees — er heißt Kegelesec — uud malt die kahlen Wände umgestürzt ab, die ihn rings einfassen. Aber in seiner Tiefe wenigstens regt sich das Leben noch. In leisen Kreisen, die sich dehueud ineinandergreifen, erzittert die Oberfläche, wenn ein Saibliug, an welchen der See nach Aussage der Führer so reich ist, von der Sonne in die erwärmten Wasserschichten heraufgelockt aufschnellt. Es ist kaum die Höhe eines Thurmes, die uns von der 64 nächsten Terrasse trennt; aber in dieser Felsenwüstenci, die sich nnn aufthut, muß jeder Schritt behutsam gen,acht werden. Riesenhafte Chloritschieferblöckc, dazwischen wieder weiße Quarzfelsen von erstaunlichem Umfang liegen durcheinandergeworfen, so daß das Klettern über dieses gigantische Gewirrc nur langsam von Statten geht. Aber halsbrecherisch mag dieser Weg sein, wenn man vom Schneestnrm überfallen wird und alle diese Unebenheiten von der schnell anwachsenden weißen Decke gleichmäßig verhüllt sind; wenn man nicht weiß, wo der vorgestreckte Fnß aufgesetzt werden soll, der bald anf festem Gestein Halt findet, bald wieder in Zwisckcnräumen versinkt. Oden aber wiederholt sich die gleiche Kesselbildung, wie am unteren See, nur daß hier jede Vegetation aufhört und nur trostlose Steinhalden und steile Wäude das weite Becken einschließen, das ebenfalls von einem See gefüllt ist. Der untere Kegclesec war noch idyllisch anzusehen im Vergleich mit diesem schwarzen Gewässer, in das kein lebendiges Wasser mehr rinnt, sondern nnr vereiste Gletscherzungen hinabreichcn. Wohl hat man versucht, auch hier noch Fische zu züchten; aber das eiskalte Wasser tö'dtet sie. So paßt dieser See, dem die Menschen nicht einmal einen Namen gegeben, ganz in dieses Vild einer unwirth-lichen uud zwecklosen Natur. Stille und Ruhe herrscht in seinen Tiefen und an seinen Useru; aber es ist die Ruhe des Kirchhofs. Wie ein Leichnam liegt die Natur zu unseren Füßcu, bewegungslos, starr, todt. Das Auge, nur um diesem Eindruck zu entrinnen, heftet sich unwillkürlich auf die tiefdunkle Fläche des fischloseu, namcnlosen Gewässers, das man nur den See des Schweigens nennen könnte, uud folgt darin dein Spicgelbildc der stilleil Wolken, welche hoch darüber gehen. Und doch, selbst in dieser weiten Oede regt es sich !manchmal. Von der hohen, jäh abstürzenden Felsenpyramidc zur Seite, deren Gipfel nur der hoch- G gespannte Blick erreicht, löst sich ein Stein los und mit dumpfem Gepolter an den Vorsprüngen aufprallend, fällt die schwere Masse herunter und vermehrt noch das kolossale Geschiebe von Blöcken, die es nun abermals zu überklettern gilt, um ein noch höheres Plateau zu erreichen. Steil geneigt zieht sich nun die breite Zunge des Zirknitz-ferncrs herunter uud scheint uns den Weg zn versperren. Aber wir haben ihn nur quer zu überschrciteu und die blendende Decke frischgefallenen Schnees, die sich über ihn gelegt hat, hat eben die Dicke und Consistent, sichere Schritte zu ermöglichen. Auch nach Spalten, die etwa der Schnee verbergen könnte, tastet der vorausgehende Führer mit seinem langen Bergstocke vergebens, so baß wir, in seine Fußstapfen tretend, schnell hinnbergelangen. Ueber das jenseitige Stcingeröllc hinwcgsteigend erreichen wir eine dritte Terrasse und ein drittes Mal fällt der Blick in eine Weite Felsenmuldc, in welche znr Rechten ein schwarzes Horn hereinragt. Aber hier ist auch das Wasser verschwunden. Das Becken ist mit Gletschereis gefüllt. Es ist der Wnrtenglctscher, ber sich erst eben ausbreitet und weiter vor:ie zum Joch sich hiuanzieht. Seitwärts aber, wie der gewölbte Rücken einer riesenhaften, erstarrten Welle, fällt er hinab in das Fraganteithal, das hier oben einmündet. So geht es ohne besondere Beschwerde hinauf zur Zirknitz-schartc, einer 8308' hohen Einsattelung mit zwei wcitauseinander-stehenden Jochen, die den Nordabhang vom Südabhang trennen. Eis und Schnee decken hier Alles. Der „Herzog Ernst", schweigsam unter dem weißen Leichentuche, wölbt sich zur Rechten noch hoch empor und große Wolkenschattcn bewegen sich auf seinen Schnecfeldern fort. Duukel ist in diesen Höhen der Himmel anzuschauen, stahlblau, wie das Glas der Schneebrille, die wir aufgesetzt, um das Auge gegen den unerträglichen Glanz der du Pr«l, Unter Tannen und Pinien. 5 66 Schneefelder zu schützen. Seine dunkle Färbung wird noch erhöht durch den Contrast dieser blendenden Flächen. In dem kalten Sommer dieses Jahres hat sich viel neuer Schnee hier angehäuft, der uns die Wanderung wesentlich erleichtert. Nnr stellenweise ist der Gletscher „aper" d. h. schneefrei; in den Nissen und trichterförmigen Löchern des Eises gurgelt zusammenrinnendes Wasser und wir blicken hinein in eine der Werkstätten der Natur, deren stille, unausgesetzte Arbeit weit unten im Lande die großen Flußbetten füllt, welche die Richtung menschlicher Ansiedelung bestimmen. Endlich ist anch das zweite Joch erreicht. Von weitem noch erschien es wenig einladend; denn es hatten sich mit überraschender Geschwindigkeit tiefhängcndc schwrfelige Wolkenballen über demselben gelagert und der verschleierte Gipfel schien uns bereits von Schneesturm umtost zu sein, der uus deu Abstieg sehr unangenehm gemacht hätte. Aber dicse Befürchtung verlor sich, als wir oben standen. Was wir für Schneeflocken gehaltm hatten, waren nnr trockene Firnkörner, welche ein arger Sturm durch-einanderwirbelte. Die Wolkenballen aber zogen langsam weiter und ihre Schatten folgten ihnen über die weiten, glänzenden Firnfelder hin. Die Aussicht von dieser Iochhöhc ist unbeschreiblich großartig. Eine Reihe vereister Gipfel, danmtcr der mehr als l(M<1' hohe Hohcnaar, vereinigt sich zu einem wie im Sturme aufgewühlten, aber erstarrteil Eismeere, von dem ein breiter Strom, der große Zirknitzglctscher, gegen das Thal hinabwogt. Er bietet ein abschreckendes Ansehen. Man sieht hinein in eine vielfach zerborstene Eisn.asse und die blaugrüncn Glctscherbrüche uud Klüfte, aus welchen träge Nebel heraufkricchen, bilden ein thurm-hoheS Labyrinth von Eisgängen. Aber geradeans erholt sich daS Auge im Anblick des Rauriserthales, das feiner ganzen Länge 67 nach vorliegt. Ueber diesen in ewiger Starrheit liegenden, schweigsamen Vordergrund und über die Gletscherstächen hinweg schaut man in das Thal wie in ein Paradies hinunter. Coulissenartig in einander geschoben ziehen zu beiden Seiten die bewaldeten Nucken herunter bis zum fernsten Horizonte, wo die quer herüber-lanfende Kette der bleichen Kalkalpen in fahler Beleuchtung erglänzt und auf dem vielgefalteten „Steinernen Meere" der warme löthliche Schimmer der nachmittägigen Sonne liegt. Aber der arge, kalte Wind gestattet uns nicht, im Anblicke dieser in ihren Contrasten so wirksamen Scenerie der gewünschten Rast uns hinzngeben. Wir hätten uns nm so lieber mit Einem Male in das lockende Thal versetzt, als wir auf dieser Nordseite eine viel stärkere Entwicklung und stärkere Neigungen der Ferner vorfanden. Aber wir sahen nun wenigstens, daß es nur mehr weniger Stunden des Absteigens bedürfte, das Ziel unserer heutigen Wanderung zu erreichen. Nur unser treuer Gefährte, Castor, Hund von ruhmvoller Vergangenheit, schien die Geduld zn verlieren, als rr noch immer kein Ende des Schnees sah. Schon beim Ansteigen war er manchmal stehen geblieben und gab brummend seinen Unwillen kund über die Geschmacklosigkeit seiner Herren, welche ihn da hinaufgeführt, während es doch unten so bequeme Landstraßen, mit gnten Wirthshäusern besetzt, gebe ^). Vorerst ging das Absteigen ganz gut und ganze Strecken konnten dnrch einfaches „Abrutschen" zurückgelegt werden. Die eiserne Spitze des Bergstocks, anf welche der rechte Arm das Gewicht des Körpers verlegt, wird in den harten Schnee gedrückt, bas obere Eude mit der Linken nach vorne geneigt und stehend * Leser, denen an näheren Mittheilungen über diesen außerordentlichen Pudel gelegen sein sollte, verweise ich wohl am besten au Herrn Bernhard R-Giesect'e in Leipzig. 5-" 68 oder hockend benutzt man so den Stock als Bremse, um allzurasches Hinabschicßen zu verhindern. In wenigen Augenblicken legt man so abwärts Strecken znrück, die oft eine Stunde An^ steigens erfordern würdeu. Da und don ragen in die Schnee-flachen wieder Jungen unförmlicher Blöcke herein, die weiter nuten als Steinmorälie des Gletschers wie ein aufgethürmter Wall hinablaufen. Mit Einem Male aber erblickt man tief unten in dieser nur durch blendende Ferner unterbrochenen Felscnwilduiß den viereckigen Bau einer menschlichen Behausung. Ohne vorherige Orientirung würde man sich hier vergeblich fragen, welcher Einfall Menschen bestimmen konnte, ihre Wohnung in dieser Eis-Welt aufzuschlagen, in die sich nur ein Manfred als Staffage setzen ließe. Aber es ist nicht das erste Mal, daß wir diese Behansuug erblicken und wir wissen bereits, daß im Durste nach Gold und Silber die Eingeweide dieser Berge durchwühlt werden. Noch trennt uns ein letzter, stcilgeneigter Ferner von diesem auf der östlichen Moräne des Goldberggletschers gelegenen Knappenhause, dem höchsten bewohnten Hause in den Alpen. Aber auf dieser Nordseite drückt sich der Fuß kaum einen Zoll tief in die hartgefrorene Schneedecke. Voraneilend hatte ich kaum die ersten Schritte gemacht, so gericth ich schon in unfreiwillige Bewegungen, die mit einer meine Wünsche übertreffenden Geschwindigkeit mich zu befördern drohten. Den Haltrufen der inzwischen über den oberen Felsenwnlst nachkletternden Führer nachzukommen war ich nicht mehr in der Lage und so schoß ich denn mit zn-nchmender Geschwindigkeit hinab, bis ich plötzlich auf einem Geröllstreifen festsaß, der quer über die halbe Breite des Ferners lief. Hätte ich Zeit gehabt zu Reminiscenzen aus dem Katechismus der Mechanik, so würde ich mir selbst gesagt haben, daß jeder geworfene Körper die schwereren Theile nach der Wurfseitc kehrt; aber daran dachte ich erst, als die zankenden Führer mich 69 erreicht hatten und am Auslaufe des Ferners mir die großen Blöcke wiesen, die meinen Kopf aus eine schwer zu bestehende Probe gesetzt haben würden. Dafür hatten wir unsererseits die Befriedigung, den Führern !iä ooulos dcmonstrirt zn haben, daß Steigeisen und Seile, deren wir uns nun weiter hinab bedienten, nicht leicht bei irgend einer Gletscherwanderung entbehrlich seien. Castor freilich schien dieses auch jetzt noch nicht einzusehen. Gesenkten Schweifes stand er da und schnitt ein jämmerliches Gesicht, als er die ihm unverständlichen Manipulationen und seine Herren gleich Missethätern behandelt sah, die gefesselt werden sollten. Aber der befremdende Grnß „Ieit lassen!", den in diesen Bergen die Begegnenden einander zurufen, kam mir nnn nicht mehr so sonderbar vor, wie bisher; unter allen Umständen dürfte er so zu deuten sein, daß der Tourist den Führer immer vorausgehen lassen soll. Wenige Minuten später betraten wir die uns wohlbekannte, gastliche Stube des Hutmanns im Knappcnhause, der nicht ermangelt, die seltenen Wanderer einzuladen, in seinem Fremden-buchc sich einzutragen. Ich machte hierbei die Bemerkung, daß seit meinem letzten Hiersein alljährlich kaum ein Dutzend Tou-r>sten und die meisten wohl nur vom Rauriserthale aus, diesen interessanten Punkt besuchten, auf den ich daher aufmerksam zu wachen mir vornahm. Das Rauriser Goldbcrgwerk ist das höchste der in Europa m Betrieb stehenden Bergwerke und liegt 7225' über dem Meere. Es wird durch etwa 50 Knappen, die einem Hutmcmnc unterstellt sind, mit geringer Ausbeute betrieben, wurde aber bisher trotz zeitweiliger Desieite von der Regierung nicht aufgelassen, da bie Mehrzahl der armen Bewohner in den umliegenden Thälern seit Jahrhunderten auf diesen Verdienst angewiesen sind. Die Meisten Knappen sind im Gastcinerthale oder im Möllthale, vor- 70 nehmlich in Döllach und Fragant, zu Hause. Im Winter, wie im Sommer lehren sie an jedem Sonntage in die Heimach zurück, den häuslichen Geschäften nachzugehen. Aber die Wege über den großen und kleinen Zirknitzglctschcr, die bei guter Jahreszeit fast gefahrlos zu begehen sind, bereiten im Winter Schwierigkeiten und Gefahren der erheblichsten Art. Und nur cine kurze Zeitspanne ist es, die in diesm Höhen als gute Jahreszeit bezeichnet werden kann; denn Mitte Mai noch dieses Jahres — so versicherte der Hutmauu — lag l4 Fuß tiefer Schnee übrr dem Goldbcrge und der letzte Schnccfall noch vor 8 Tagen laßt sich eben so gut als später Nachkömmling des vergangenen, wie als Vorbote des kommenden Winters ansehen. Bei großer Schneefülle sind alle Uebcrgänge in die jenseits der Gletscher liegenden Thäler pfadlos wie das Meer, und die häusigen Schnrrstl'mne verhindern jede orieutirendc Fernsicht. In langer Reihe hinter einander gehend treten danu die Knappen, durch den tiefen Schnee watend, ihre Wanderung an. Fast vor jedem Schritte muß der Führer des Zuges vorsichtig mit dem Bergstock das Terrain untersucheu; deun die tiefen Gletscherspalten sind oft nur trügerisch vom Schnee brdeclt und der lastende Stock siukt dann oft ein. Ausweichend wird dann so lange seitwärts fortgegangen, bis die mit aller Kraft eingestoßene Spitze wieder festen Boden anzeigt. Ist der Führer ermüdet, so tritt er zur Seite, läßt die anderen an sich vorüber und schließt sich hinten an, während der nächstfolgende die Führung übernimmt. Von den hohen Gipfeln abcr hängen oft verderbendrohendc Lawinen herunter. Dann wirb in leisem Sprechen dic Vcrathung gepflogen, ob es gewagt werden soll, unter ihnen vorüberzugehen; denn bekanntlich genügen oft die bloßen Schallwellen eines starken Tones, folche Lawinen znm Fallr zu bringen. Je nachdem die Berathung ausfällt, geht entweder die Wanderung lautlos weiter 71 oder dic Knappen vereinigen ihre Stimmen, um solche fallfertige Lawinen „abzuschreien". Günstiger gestallen sich die Verhältnisse, wenn die Höhe überschritten ist. Ueber Schneefelder, die nicht zu steil geneigt sind, hinwegzukommen, besteigen die Knappen ihre „Rössel", 4 Fuß lange und l Fnß breite, vorne aufgebogene Bretter, anf welchen sie pfeilgeschwinde hinabsansen. Bei der Schnelligkeit dieser Bewegung werden anch allfäUig vorhandene Gletscherspalten gefahrlos überwunden, selbst wenn im Frühsommer die Schneedecke nnr eine leichte ist. Trotz aller dieser Gefahren lassen sich die Leute nicht abhalten, allwöchentlich in ihrer Heimath nachzusehen, mag dieses auch nichi aus dem Grunde geschehen, den verschiedene Reisehandbücher anzugeben wissen, daß sie nämlich der dünnen Luft des Golddergwcrks und des vitriolhaltigen Wassers halber nach Hanse gehen. Auch die weitere Angabc, daß Hansthierc des Knappen-Hauses und des tiefer liegenden „Kolin" aus dem gleichen Grunde dahinsiechen, dürfte sich wohl einfacher aus der mangelhaften Fütterung erklären. Seit frühester historischer Erinnerung wurte in den Tauern nach Gold gegraben und vielleicht dürften die ersten Ansiedler überhaupt Goldsucher gewesen sein, deren Nachzügler allmählig die Thäler bevölkerten. Gewiß ist, daß bereits die Römer in der Gastcin, Fusch und Rauris nach edlen Metallen gruben und verschiedene Anzeichen deuten noch jetzt darauf hin, daß im Mittel-alter der Bergban in den Tanern in weit größeren: Flore stand, als jetzt. Noch werden z. B. zur Bekleidung der Landstraßen streckenweise schwarze Schlackensteine verwendet, die aus längst verlassenen Bergwerken stammen. Ucberall trifft man verlassene Stollen, die keine Ausbeute mehr liefern. Und in den ärmlichen Ortschaftm dieser Thäler wird man oft durch massiv und vornehm gebaute Wohnhäuser überrascht, deren Thürmchen, Erker und 72 Portale den ehemaligen Reichthum verrathen; ja wo in der Rauris außer den gewöhnlichen Holzhäusern überhaupt Steinbauten zu treffen sind, stehen sie in Zusammenhang mit ehemals in der Nähe betriebenem Bergbau. Die seitherige Verarmung dieser Gegenden läßt sich auf verschiedene Ursachen zurückführen. Manche der Gruben erschöpften sich wohl im Laufe der Jahrhunderte; andere wiederum — man fand sie bis zu 9(100 Fuß Höhe, wohin nur Böcke und Ziegen auf Saumwegen den Transport besorgen konnten — mußten bei dem Umsichgreifen der Gletscherwelt verlassen werden und liegen, von Lawinen verschüttet, seit Jahrhunderten unter dem Eise, das nur hier und da noch Kunde von ihnen giebt, wenn der Gletscher Holztheile ober Material an's Licht hebt. So sanken der Bergbau und die menschlichen Ansiedelungen allmählig tiefer gegen die Thäler herunter und das Volk, das noch die Erinnerung an den ehemaligen Reichthum bewahrt, erzählt vom ewigen Juden, er habe in den Tanern das erste Mal Wein ans den Bergen gefunden, das zweite Mal Wald, das dritte Mal (§is und ewigen Schnee. Aber die vornehmste Ursache der Verarmung liegt im Auftreten des Lntherthums im Pinzgau und Pongau; denn von jeher und überall haben sich die Bergleute dnrch geringere religiöse Indifferenz vor anderen Gewerbetreibenden ausgezeichnet. Auch die Knappen in diesen Gauen stellten das größte Contingent an Lutheranern und Wiedertäufern, trotzdem sie Verfolgungen aller Art von Seite der Fürstbischöfe von Salzburg zn bestehen hatten. Im ltt. und N. Jahrhunderte wurden beständig Generalvisitation in Scene gesetzt, bei welchen nach heimlichen Protestanten gefahndet wurde und noch 1673 brachte der Visitator des Bezirkes Leogang eine „verdächtige Sennin" gewissenhaft zur Anzeige. DaßIesniten-Missionen hierbei eine große Rolle spielten, bedarf kaum erwähnt zu werben; aber auch andere Wellpriester würden ihnen in großer 73 Anzahl bcigegebcu. Feierliche Procejsionen wurden veranstaltet; abcr trotz alle dcm hatte man sich genügender Erfolge nicht zu crfrcucn. Sogar cin damals sehr beliebtes Mittel, nämlich Umzüge mit wallenden Fahnen, wobei die Form des Namens Jesu auf großen Wiesen abgemäht und abgegangen wurde, versagte merkwürdiger Weise die Wirkung. Der Bischof Firmian von Salzburg trat endlich energischer ans. Dnrch ein Emigrationsedikt wurden im Jahre 1731 ans dein Pinzgau und Pongau 30,000 Protestanten ausgewiesen. Sie wanderten nach Norddcutschland und vornehmlich in das kurz vorher von der Pest heimgesuchte und entvölkerte Lithauen. Dieser Sieg der „Alleinseligmachenden" besiegelte aber anch den Verfall des Landes. Zwar wurde durch Einwanderungen aus Tirol und Schwaben der Schaden theil-weise wieder ersetzt, aber noch jetzt beträgt beispielsweise die Einwohnerzahl der Ranris kaum die Hälfte von der im 15. Jahrhunderte. Und während früher aller Orten in diesen Bergen zahlreiche geräumige Unterkunftshäuser und Stallnngen bis zu bebcuteubcu Höhen zn finden waren und cin großartiger Güterverkehr über die Tauern ging, sindct heute der Tonrist nur da und dort Hütten, welche mit spärlichen Mitteln vom deutschen und österreichischen Alpenvcrcine unterhalten werden. Aber noch jetzt ist die ganze Volksseele mit dem Bergbau und dem hierauf bezüglichen Aberglauben verwachsen. Der Glaube an Wünschelruthen, Goldmachern :c. ist keineswegs auf die Ungebildeten beschränkt und in den Händen der Leute finden sich Bücher des sonderbarsten Inhalts. Ja, am Johannistage, der besonders günstig sein soll, weil an demselben die inneren Erdschätze an die Oberfläche sich heben und nnr besprochen zu werden brauchen, kommen Leute bis ans Böhmen und besuchen die Höhlen, welche in bezüglichem Rufe stehen. Das Verwaltcrhaus des Rauriser Goldbergwerks befindet 74 sich etwa eine Stunde nnttr dem Knappenhause, im „Kolm". Es liegt im Belieben des Touristru, es in wenigen Minuten zu erreichen, wenn er einen der Karren besteigen will, in welche das aus den Stollen gebrochene Material verladen wird. An einem 7l>N Klafter langen Seile, das von einem Rade von 82' Durch-messer sich abwindet, werden sie hinabgelassen. Aber das Geleise in dem sie über Fel>en und hohe Holzgerüste rollen, hat eine mittlere Neigung von 2l)" und eine stärkste Neigung von 54°. Von den Knappen wird diese Fahrgelegenheit mehrfach benutzt; aber sie erfordert ciuc Schwindelfreiheit, die nicht Icdermauns Sache sein dürfte. Wir folgen daher den Echncestangen, welche steil über die Felsen sich hinunterzichen und erreichen an prächtigen Wasserfallen vorüber, die, wenn sie nur zngänglicher wären, europäische Berühmtheit erlangen würden, das Ziel unserer Wanderung: Kolm Saignrn im hintersten Winkel des Nauriserthalcs. 82.1^ auri bedeutete iu der mittelhochdeutschen Sprache des Bergbaus eine bestimmte Quantität Gold und dürfte sich daher der sonderbare Name ableiten lassen. Das Nauriserthal, das wir betreten, schließt in weitem Halbkreise ab. Frei in Mitte von Wiesen liegt das Verwaltcrhaus mit dein Pochwerke und einer kleinen Kapelle, deren Bilder uud Figureu deu Merthumsforschcr intcressircn dürften. Weiterhin dchueu sich Wälder uud verwehren den Einblick in die lange Thalsohle. Noch fand ich alles, wie ich es vor mehreren Jahren verlassen hatte. Ein nener Zaun nur umgab das Haus und die zugehörige W-csc. Auch dieselben Leute vou damals traf ich theilweise uoch, die unterdessen weitab von aller Welt eintönig dahingelebt hattcn, — ein Tag dem anderen so gleich, wie ein Tropfen Wasser oem anderen — und nicht wenig crstauut waren, daß ich dein Kolm uoch einmal meinen Bcsnch abstattete. Was war bort auch zu sehen? Es sei uicht schön hier, meinte eine alte Frau, 75 und nur wenn man sonst nirgend in drr Welt gewesen, könne man sich hier gefallen; sie aber sei schon in Bnchebcn gewesen nnd seitdem sei ihr der Kolm zuwider. Ich kenne cs wohl, dieses Büchedcn. Es liegt drei Stnnden weiter im Thalc nnd ist der nächste bewohnte Ort. Es hat freilich ein ganzes Dutzend großer, hölzerner Hänser nnd sogar cm Wirthshans steht dabei; im Kolm aber ist überhaupt nnr das Verwalterhans zn sehen. Da kann denn freilich an diesem keine Freude mehr vorhanden sein und die Sehnsucht nach Vuchcben muß Platz greifen. — Wie sagten doch jene Tirolerinnen, die tief hinten in einem verborgenen Seiteuthalc des Zillcrthales herangewachsen waren, ohne je weiter als einige Büchsenschüsse von ihrer väterlichen Hütte gekommen zn sein? Sie wareil endlich doch einmal vorgegangen bis zur Einmündnng ihres Thales in das Zillerthal und zum ersten Male schweifte ihr Blick ein paar Stunden weit in die Ferne. „Herrje!" — riefen sie — wie ist die Welt so groß!" Nnd erschreckt machten sie sich wieder davon. — Nur eines fand ich nicht mehr, wie damals, als ich mir den Kolm zur Sommerfrische und längerem Aufenthalt ansersehen hatte. Auf allen Wiesen nnd Hängen glühten damals die Kelche der Alpenrose, wohin ich anch meinen täglichen Morgenspaziergang lenken mochte. Nnn waren sie schon alle abgeblüht. Dagegen schauten in alter Pracht von allen Seiten die cisbedcckten Zinken und Knppeu herm'edcr und in dem weiten Halbkreise, den der Blick umspannt, zählte ich wohl zwei Dutzend Wasserfalle, die nimmermüde, wie ehemals, fortrauschteu. Der eine gleitet breit und durchsichtig, wie ein flüssiger Glassturz über die Felowand, der andere schießt wildschänmend über das Gestein dahin; dieser zeigt sich in ewig wandelbarer Gestalt wie eine wallende Wassersäule, jener gerade herunterschlciernd und weithin zerstäubend, daß 76 die Sonnenstrahlen iristrend darin spielen; und wieder einer, weißflatternd in kühnem Bogen, stürzt jauchzend von der Höhe zu Thale. Kein Wunder, daß die Rauriserache, die von allen Gletschern ihren Tribut einsammelt, schon nach wenigen Stunden ihres Laufes als stattlicher Fluß erscheint. Oft galten damals unsere Grpeditionen dem kühlen Walde, wohin wir zu Markte gingen, diejenigen Kräuter zu sammeln, von welchen wir uns das Gemüse bereiten ließen, während die Knappen, die aus dem Gasteinerthalc herüberkamen, uns mit Wildpret versorgten. Meist aber wurde den Wasserfällen Besuch abgestattet. Einer von diesen Besuchen ist mir unvergeßlich ge-bkeben und ich möchte ihn nicht wiederholen. Die Gletscher, die sich seither etwas zurückgezogen haben, sendeten damals ihre Moränen weit hinunter über den Kolm hinaus. An einer solchen Moräne in tief cingeschnittencr Vcrgfalte war,ich hinaufgestiegen. Wenn auch da und dort eine Spalte oder ein tiefes Loch sich aufthat, daß man die scheinbar unzulängliche Dicke der festgefrorenen Schncelage abmessen konnte und unter derselben gurgelnd und schäumend das Wasser dahinschießcn sah, so lagen doch oft unmittelbar daneben Blöcke von folchen Dimensionen, daß sich getrost annehmen ließ, auch mein Gewicht werde noch leicht dareingehen, ohne daß die Decke einsinken werde. So stieg ich hinauf bis zu dem Punkte, von dem aus die zugespitzte Moräne strahlenförmig herunterlief. Gine Höhlung, mehrere Fuß breit, trennte den oberen Moränenrand von der gegenüberliegenden Felswand und in dieser Höhlung verschwand der vom Gletscher abfließende dicke Wasserstrahl, von dem die Moräne unterwühlt, ja, wie schon gesagt, stellenweis' geborsten war und welcher weit unten im Thale erst die Freiheit erlangt. Ich mußte mich niederlegen und allmählich mich hinaufschieben, um eiuen neugierigen Blick in diese Höhlung werfen zu können. Dann faßte ich mit den vorgestreckten Händen 77 ben hartgefrorenen Rand und zog mich so weil hinauf, daß ich die dampfende Wassersäule bis zu dem Punkte verfolgen konnte, wo >sie aufprallend in ein Felsenbecken fiel. Von dem starken Strudel des Wassers, das sich rings um den Strahl im Kreise schäumend drehte, waren die Wände vollkommen glatt gewaschen. Noch wollte ich aber den Abfluß des Beckens sehen und schob mich nun vollends so weit vor, daß ich den Kopf über den Rand der Moräde hinüberbeugen konnte. Ich sah in ein schwarzes, bodenloses Loch hinein, mußte aber unwillkürlich die Augen schließen, da ich gleichzeitig bemerkte, daß die Schneedecke, auf der ich lag, kaum die Dicke einer Handbreite befaß. Vorsichtiger noch, als ich hinaufgekrochen, ließ ich mich wieder hinabgleiten und als ich weiter unten wieder durch die Spalten hindurch das tosende Gewässer sah, da schien mir die Wanderung über der Moräne in höchst angenehmem Kontraste zu stehen mit einer, wenngleich schnelleren, unter derselben, die ich mir vorstellte. Auf den Bejuch des Pilamssecs aber, der noch hoch über dem Punkte liegt, wo der Wasserfall im Sturze verschwindet, verzichtete ich ganz nnd ohne Ueberwindung. — Daran erinnerte ich mich jetzt wieder, als ich Umschau hielt. Und ich wuuderte mich, daß ich alle diese Bilder getreu so traf, wie ich sie seit Jahren in der Erinnerung herumgetragen. Aber so ist der Sinn des Menschen: Nur diejenigen Bilder und Vorkommnisse haften im Gedächtnisse, die entweder unser Wünschen und Wollen in hohem Grade anregen, sei es befriedigend oder erschreckend, oder die wir in höchster Objektivität betrachten, weil sie, unserem Erkennen allein in voller Zwecklosigkeit gegen-" überstehend, uns befremden. Was dazwischen liegt versinkt in Vergessenheit. Nach späten Jahren noch tragen wir in treuer Erinnerung, was wir an solchen Wandertagen gesehen, wo bei jedem Schritte ungewohnte Scenen das Auge treffen. Wir 78 müssen wandern in dieser Welt, um darin fremd zu bleiben und jener philosophischen Verwunderung fähig zu werden, die uns im Anblicke gewohnter Dinge nur allzusehr abgestumpft wirb. Denn das Gewohnte erscheint uns als von selbst verständlich und nur dann vermögen wir die Natur mit dem Auge des Philosophen zu betrachten, wenn wir eben ein Ding in ihr sehen, das sich durchaus nicht von selbst versteht. — Der Abend brach herein und tiefes Dunkel zog rasch über die Wipfel der Wälder. Die hoheu Eisflächen, eben noch rosig angehaucht vom scheidenden Sonnenstrahle, blickten min in ge-spensterhafter Bleiche. Ich legte mich zur Ruhe, alle dem nachsinnend, was ich in der merkwürdigen Tanernwelt gesehen. Das eintönige Rauschen des nahen Wasserfalls schläferte mich und indem ich darüber sann, wie viel Schanmwellen des unversicglichen Quells seit meinem letzten Hiersein an der Felswand herabgcwallt, indem ich mich frug, warum es denn so sein müsse, dieses ewige Kommen und Wehen, dieser ewige Fluß der Dinge, fielen mir die Augen zu. Und das war wohl gut. Denn der Wasserfall batte mir die Antwort doch nicht zugerauscht nnd es giebt viele Dinge in dieser Welt, über die es ganz unnütz ist, nachzusinnen, weil sie ja doch nicht zu ergründen sind. Zu diesen Dingen aber — ich vermuthe das mehr und mehr — gehört auch sie selbst, die ganze, große, befremdliche Welt! — Us. Verona. Der jugendliche ssrcs lüste hi« Den lÄüvtel seiner Psyche. Nyron. Verona! — ein Gedicht in Steinen; aber ein Gedicht gleichsam, welchem die Einheit der Empfindung fehlt, — wie denn überhaupt der Eindruck aller der italienischen Städte mit ihrer tausendjährigen Geschichte ein verwirrender ist. Und welche Stadt Oberitaliens könnte sich in Vezng auf den Reichthum historischer Reminiscenzen mit Verona messen, dessen Anfänge weit hinter die Morgendämmerung der Geschichte in das Dnnkel der Zeiten sich zurückvcrlicren. Daß vermuthlich die Gallier es gegründet, ist Alles, was wir davon wissen, und erst die Römer, deren bedeutendste Eolonic an der Etsch Verona war, haben den Namen der Stadt in die Bücher der Geschichte eingetragen. Wir mögen uns Verona nähern, von welcher Seite wir wollen, rings nmhcr weiß jede Erdscholle von blutigen Kämpfen zu berichten. Dort von den Höhen des Monte Lessini stiegen die Horden der Cimbern und Teutonen in die Ebene hinab, welche sonnig vor ihnen liegend zur Niederlassung einlud. Aber noch war damals Rom zu kraftvoll, nm von fremden Völkerschaften erreicht zu werden. Auf den Rauldischcn Feldern, bei dem 80 heutigen Raldone, wurden die wilden Haufen angefallen nnd von Marius anf's Haupt geschlagen. Dennoch hat sich eine geringe Anzahl der Besiegten hier niedergelassen und noch heute will man in den Bewohnern der 3ßtts oommuni wie anderer Ortschaften nm Verona aus Eigenthümlichkeiten der Sprache und Sitte Nachkömmlinge der Cimbern erkennen. Auch Alarich, der seine Gothcn nach Italien führte, unterlag hier dem römischen Feldherrn Stilico und noch im gleichen Jahrhundert sah Verona die Hunnen unter Attila verwüstend vorüberziehen, bis endlich Thcodorich — in der deutschen Sage Dietrich von Bern (Verona) genannt - vor den Mauern der Stadt das Reich des Odoaker vernichtete, nm als König der Ostgothcn ein „Königreich Italien" zn gründen, welches immer wieder zerstückelt, doch immer wieder erstand. Als Iustinians Feldherr Narscs in Italien erschien, endete das Reich der Ost-gothen, deren letzter König Totila beim Wechseln des Schildes fiel. Wieder spater zog Alboin als König der Longobarden in Verona als seiner Hauptstadt ein. Die Namen Karls des Großen, Berengars von Friaul nnd Friedrichs Barbarossa sind mit der weiteren blntigcn Geschichte der Stadt verknüpft, die endlich unter den Ekaligern eine kurze Periode erlebte, da Wissenschaft und Kunst in derselben erblühen konnten. Aber bis in unsere Tage hat sich nnter Wechsel des Feldgeschrei's der Kamps der Welsen nnd Ghibellinen fortgezogen, ohne daß selbst heute die Sache endgültig entschieden wäre. Diese wechselvollen Geschicke der alttX'rühmten Stadt finden zum Theil ihren Ausdruck in den Monumenten derselben. Es ist vor Allem die Arena, welche in die Zeit der Gladiatoren-Kämpfe nns zurückweist und deren Thierkäfige an die ersten Christenverfolgungen erinnern. Es geschieht wahrlich mit gutem Rechte, daß uns Fremdenbücher in erster Linie die Betrachtung dieses antiken Colosses empfehlen; denn sogar vor dem Colosseum 8l Rom's zeichnet stch Verona's Arena durch bessere Erhaltung und festes Gefüge des Baumaterials aus. Der Marmor, der au den Ufern der Etsch gebrochen wurde, faud an den Gebäuden der Stadt vielfach Verwendung. Schou zu Römerzciten hieß Verona i,mlum0i'«H^ und fo ist auch die Arcua aus dem röthlichen Marmor der nahen Steinbrüche aufgebaut, der den Jahrhunderten getrotzt hat. Nnr die äußere Umfassung des Baues ist bis auf weuigc Bögen zerstört; dagegen scheinen die Doppelbögen, von welchen aus dunkle Schachte zu Dcu wohlerhaltcnen inneren Sitzreihen führen, non ewiger Dancr zu sein. In der unteren Reihe dieser Arkaden haben sich Hansirer uud Haudwcrker aller Art eingenistet uud ein lebhaftes Treiben herrscht in den Gängen, in deren Dnnkel spät Abends Lichter hin und her huschen. Die Sitzreihen, die schon vielfach Ansbessernng erfahren haben, ziehen über einander gelagert immer weitere Kreise um die Ellipse des Podiums. Betritt man die Stadt von der Ostseite, so gelangt man durch cin Gewirre von Gassen nub Gäßchen ohne alle Vorbereitung vor dieses von jeher berühmte Amphitheater, das unS wie ein architektonischer Anachronismus plötzlich entgegen tritt. Den ganzen Eindruck empfangen wir aber erst, wenn wir es nach Westen zu umgehen, wo die Straßen zurückweichen und einen geräumigen Platz davor frei lassen. In solchen Bauteu tritt uns die Macht dieser Nomer beinahe mit einer Art von Brutalität entgegen, anch wenn uns die Beziehung anf Gladiatorenspiele uicht eben bewußt wird. Aber in der Geschichte Verona's haben die Schlachten und Stürme eine zu große Rolle gespielt, als baß selbst die massiven Bauten der Römer der Zerstörung hätten widerstehen können. Das Capitol, das einst anf dem Hügel stand, welcher gegenwärtig vom Castel S. Pietro gekrönt ist, wurde zerstört und du Prel. Unter Tannen und Pim«„. « 82 Theodorich bautc cms den Trümmern desftlben seinen Residenz-Palast, den spät.'r der Longobardcnköiu'g Alboin bezog. Ihn ließ seine Gemahlin dort todten, nachdem er sie beim Mahle gezwungen hatte, ans der Hirnschale ihres Vaters, des Gepiden-ko'nigs Kmumondo, zu trinken. Aber nichts mehr erinnert jetzt den Wanderer auf diesem geschichtsvollcn Hügel an Römer nnd Gothcn nnd von der Esplanade bei den modernen Befestigungs-werken aus kann cr von historischen Reminiscenzen ungerührt in die weite Landschaft hinabsehen. In ganz andere Zeiten wiederum versehcu uns auf dem Gange durch die Straßen die Grabmäler der Skaligcr, die langer als ein Jahrhundert in Verona herrschten und einen großen Theil Oberitaliens sich unterwarfen. Hinter Eisengittern stehen von Säulen getragen die dunklen Sarkophage mit den geschwärzten, liegenden Statuen; die Baldachine darüber wiederum sind mit den Reiterstatuen gekrönt, welche dic Kunstgeschichte als die Vorbilder dieser Art von Denkmalen erkennt. Besonders ist es das Grab des Francesco della Scala, das unsere Aufmerksamkeit erregt. Nicht alle seines Namens konnten der Sitte, sich zu Lebzeiten das Grabmal zu bauen, wie er, folgen, mit dem Bewußtsein nämlich, daß er der Nachwelt hierin nur zuvorkomme. Es waren grausame, mit Mord befleckte Herrscher unter den Skaligern, welche nicht hoffen durften, ihr Andenkeu mit solcher Pracht verewigt zu sehen, wenn es nicht durch sie selbst geschah. An diesem mitten in der Stadt freiliegenden Friedhofe vorüber gelaugen wir zur Piazza dei Siguori, deren Paläste einst von den Skaligern bewohnt waren uud in deren Mitte die weiße Marmorstatue Dante's in sich gekehrt steht. Diese visionär schauenden Augen im dem schmalen Gesichte und die Stirne, die alle Kräfte des Körpers aufzuzehren scheint, sie können wohl die des Dichters eines Werkes sein, daß ihn — wie er selbst sagt — „so viele 83 Jahre mager gemacht." Als Verbannter hatte er bei jenem Francesco della Scala Zuflucht gefunden, der nun, nur wenige Schritte von ihm getrennt, mit voller Rüstung und mit herabgelassenem Visir zu Pferde sitzt, über dem Paradcbette, daranf seine Leiche liegt. So wandeln wir durch die Straßen der Stadt und durch-wandcln gleichsam die vergangenen Jahrhunderte, welche in verschiedener Weise zu uns sprechen. Antike Bauten, mittelalterliche Paläste, Denkmäler, Kirchen nnd Thore aus allen Zeiten vereinigen sich hier wie in einem Antiquarium. Ilnd wiedernm treten wir vor ein Haus, das schon von Weitem unsere Aufmerksamkeit erregt. Hoch uud schmal und mit geschwärzten Wänden ragt es in die Straße herein. Das Wappen mit dem Hute über dem Hofthore, das Familienwappen der Capuletti, verräth uns, daß wir vor dem Hanse stehen, von dessen hoher Altane wohl manchmal Shakespeare's Julie nach ihrem Romeo aussah. Jetzt ist es ein Wirthshaus; aber der Genius des Dichters hat es für alle Zeiten verklärt und so mahnt es uns auch, daß wir von Verona nicht scheiden dürfen, ohne an dem Sarge gestanden zn haben, an welchem die letzte Scene jener „thränenwcrthen" Begebenheit gespielt. Beinahe außerhalb der Stadt führt uns eiue kurze Sackgasse vor ein rothangestrichcnes Thor, hinter welchem ein dunkles Bogcngewölbc in einen Garten mündet. Hinter dem ehemaligen Franciskanerkloster gelegen ist er allseitig von Mauern umschlossen. Zwischen Weiulaubgängen stehen Myrthcnbüsche am Wege, von der feuchten Luft des Sirocco genäßt. Im hintersten Winkel aber des stillen Ortes, zu welchem von der Außenwelt nur das hurtige Geläute der Klosterglocke driugt, öffuet uns der Pförtner das Eisengitter, durch das wir in die kleine Kapelle treten, welche die Tomba di Ginlictta birgt. Es ist ein Marmorsarg ohne Deckel, den man für roh gemeißelt 6* 84 ansehen würbe, wenn nicht bekannt wäre, daß, nachdem er lange Ieit als Waschtrog gedient — noch zeigt es die Durchbohrung am Grunde an — später die zahlreichen Wallfahrer vom Steine abbrachen, ja daß die theuren Erinnerungszeichen in Handel kamen und in Gold gefaßt als Unterpfand treuer Liebe der Geliebten gegeben wurden. So sehen wir denn auch an diesem kahlen Sarge, an welchem der Fremdling schwermüthig sinnend steht, ein Denkmal jenes riesenhaften Kampfes der Welsen und Ghibellinen, welcher zu Anfang des 14. Jahrhunderts unter Vartolomco della Scala (Prinz Eskalus) die vornehmen Familien der Montccchi und Capuletti in Verona in Feindschaft hielt, aber die Liebe ihrer Kinder nicht zu überwinden vermochte, deren tragischen Untergang er herbeiführte. Wohl hat es übel angebrachte Kritik versucht, den Stein seines Nimbus zu entkleiden und seine Aechtheit anzuzweifeln. Aber das Volk läßt sich seine Tradition nicht nehmen und wer überhaupt könnte hier dem Skeptiker für Zerstörung einer Illusion dankbar sein? So wird auch der Pförtner, der uns schweigend vor die Tomba geführt und sorgsam darauf achtet, daß der Stein nicht weiter mehr beschädigt werde, uns doch entschädigen zn müssen glauben, indcm er, bevor wir hinaustreten, uns wenigstens eine Rose im Garten bricht. Dem Wanderer aber, der sie empfängt, wird es hier schwerer aufs Herz fallen, als an irgend einem Orte, wenn er für die Rose keine Verwendung weiß. IV. Am H'o. Sic pleno Padus ore tuvnens enpsr aggere tnt.as. Excui'iit ripas et totos concutit agros. L u c a n n s. Nehmen wir die Karte Italiens zur Hand und verfolgen auf derselben die Lime der östlichen Küste, so bemerken wir an derselben auffallende Differenzen. Die ganze Strecke der ober-italienischen Ufer von Trieft angefangen über Venedig bis hinab nach Ravenna ist in nndeutlichen Umrissen gezeichnet; der Ueber-gang zwischen Land und Wasser ist verwischt und die in das Meer sich ergießenden Flüsse verästeln sich an ihren Ausmündnngcn wie der das ägyptische Delta durchströmende Nil. Ein sumpfiges Terrain, weit in das Land hinein sich erstreckend, ist dort im beständigen Wechsel seiner Conturen begriffen. Dagegen ist der südliche Theil der italienischen Küste, von Rimini angefangen bis hinab nach Sicilicn, deutlich vom Meere abgegrenzt. Aus dem Unterschied dieser Merfmale an der gleichen Küste ergibt sich schon, daß nicht das vordringende Meer die ungünstige Uferbeschaffenheit zwischen Alpen und Apennin verschuldet. Im Gegentheile lassen verschiedene Umstände auf ein Zurückweichen des Meeres schließen. Eo lag z. B. gerade die Stadt, nach welcher das abriatische Meer genannt wurde, die alte etruskische 86 Stadt Adria bei Rovigo, ehemals hart am Ufer, von dem sie jetzt 6 Stunden entfernt liegt. Die Ursache der besonderen Beschaffenheit der oberitalienischen Küste sind die Flüsse. Der Charakter derselben ist ganz auffallend verschieden von allem, was wir an den nördlichen Alpenabhängen finden, nnd selbst die geringsten Flüsse verrathen schon diese ihre Eigenart. Wer die Nonte über den Brenner einschlägt, wird diese Bemerkung zuerst am Avisio machen, der ans dem Ccmbrathalc fließend oberhalb Tricnt sich in die C'tsch crgiestt. Die Eisenbahnbrücke, welche bei der Station Lavis den Aviso überschreitet, ist 920 M. lang. In dem breilen Flußbette dieses Vngwassers aber sieht man den größten Theil des Jahres hindurch einen kleinen Bach rinnen, zn dessen Ueber-schreitnng ein Steg kaum nöthig ist. Und doch ist es dieses Wasser, welches die ganze Ausdehnung des Bettes mit dem Geschiebe von Felsblöcken nnd Sand angefüllt hat, zwischen welchem da nnd dort die Nnincn von Häusern stehen, die der in der Regenzeit angeschwollene Bach zerstört hat. Dies ist nnr ein kleines Vorspiel von dem, was wir an den Mündungen der oberitalienischen Flüsse sehen können. Jeder derselben zerfasert sich in eine Unzahl von Rinnsalen, welche eine Terrainbrcite nmsassen, innerhalb welcher die größten Flüsse der Erde sich forNvälzrn könnten. So ist z. B. der Tagliamento da, wo ihn die Vahn von Trieft nach Venedig überschreitet, eine volle halbe Stunde breit, nnd doch liegt dieser Punkt noch weit oberhalb seiner Mündungen. Das Stcingcrölle aber und die Ablagerungen, welche der Flnß von den Bergen hcrabführt, wenn er anschwillt nnd womit dieses ganze weite Feld bedeckt ist, wird in der trockenen Jahreszeit nur da und dort von unscheinbaren Bächen durchstossen. Im größten Maßstab aber können wir diese Erscheinung am Po beachten, und zwar dem längsten Theile seines Flußbettes entlang, das sich quer durch Oberitalien zieht. Der Po hat nun 87 allerdings das Eigenthümliche, daß ihm von zwei Seiten her, vom südlichen Abhang der Alpen nnd vom nördlichen Abhang des Apennin Seitensinssc zuströmen, die an sich schon bedeutend sind; aber selbst diese doppelte Speisung vermag die Verwüstungen nicht zu erklären, welche dieser Fluß anrichtet, wenn er über seine User tritt. Zwischen Mantua nnd Parma bei Borgoforte, wo der Po erst zwei Drittheile seines Laufes zurückgelegt hat, ist er selbst jetzt noch, nachdem die Ileberschwemmung zurückgegangen, stellenweise wie ein See anzuschauen, der langsam seine Fluthen von trübem Wasser dahiuwälzt. Die Straße, welche die genannten Städte verbindet, ist als ein hoher Damm aufgebaut, um dem Flusse, dem gleichwohl ganze Qnadratmcilcn Landes preisgegeben werden müssen, wenigstens in einiger seitlicher Entfernung Halt zu gebieten. Oft freilich kommt es vor, daß auch solche hohe Dämme dnrchbrochen werden nnd dann ergießt sich das Element fessellos über die ganze Niederung. Vom Standpunkte landschaftlicher Schönheit ist es dem Reisenden keineswegs anzuralhen, diese Strecke zu durchgehen; aber lehrreich sind die Wanderungen am Po im höchsten Grabe, weil sie uns einen kaum geahnten Begriff von der Gewalt des Wassers geben. Es ist eine trostlose Ebene, die man durchgeht. Zn beiden Seiten ziehen sich gegen den Damm der Straße in endloser Eintönigkeit die Alleen von Maulbeerbänmen, nnd das Ange ermüdet, wenn es uoch so weit blickend, nur die geraden Linien derselben erblickt, welche in der Ferne perspektivisch zusmnmenlanfen. Dazu gehört der Manlbcerbaum zu den nnschönsten Gewächsen. Vom verkrüppelten Stamme, der, wie die Weide, Plötzlich abseht, lauft das magere Gezweige auseinander: wie hülfesuchenb strecken sich bie dünnen Aermchen, an welchen der herabhängende Schlamm uoch an die Ucbcrschwcmmnng erinnert, in die nebeligen Lüfte. Der Niederschlag des zurückgetretenen Wassers aber, ein dicker, 88 mit Kies gemischler Brei, deckt die zwischen den Banmreihen liegenden Aecker. Da und dort stehen Hänser, an welchen hernm AlleS in Verwüstung liegt, oder die wohl anch gänzlich verlassen dem Rninc übergeben sind. Dann nnd wann läßt sich ans der Ferne Geläute vernehmen, das dem Ohre desjenigen fremdartig klingt, der aus dein Lande der Romantik kommend nur die dumpfen Glocken kennt, die in schwerfälliger Bewegung in gleichen Intervallen zusammenklingen. Das helle Geläute der Glocken in Oberitalien hört sich an, wie etwa eine Spieluhr, an deren Walzwerk Iähne ausgcbrochen sind. Am fernen Horizonte tauchen dann aus dem Nebel in unbestimmten Umrissen die Kirchen im Slyle der Renaissance auf und der hohe Damm der Straße läuft schützend auf der Flußseitc um die Dörfer und mittelalterlichen Städte herum. So geht man Tage lang in der unerfreulichen, von Wasser verwüsteten Ebene fort und mag es oft bedauern, daß man die weitaus schönere Route am Gardasce oder von Mezzo-Lombardo über den Tonale nach Brescia nicht eingeschlagen hat. Vor Kurzem meldete die „Opinione" in Rom mit trockenen Worten, daß die Sentral-Unterstützungs-Kommission für die Ueberschwcmmten nach gepflogenen Untersuchungen an Ort und Stelle folgende Summen ausbezahlt habe: An die Provinz Mantna 90,000 Frcs., an Modena 60,000 Frcs., an Ferrara 30,000 Frcs. und geringere Beiträge an andere Provinzen. Es liegt auf 0er Hand, daß diese Summen nicht annähernd dem angerichteten Schaden entsprechen; bedenkt man aber noch, daß in Folge der Überschwemmungen des Po die Auswanderung der Verarmten nach Amerika sich fortwährend steigert, so läßt sich ungefähr denken, welchen unermeßlichen Schaden dieser Flnß Jahr aus Jahr ein dem Lande zufügt. Die Frage, wie dem abzuhelfen sei, führt zur Untersuchung der Ursachen dieses Phänomens und da stellt sich denn leider 89 heraus, daß wenigstens in absehbarer Zeit keine Aussicht besteht, die Dinge zn ändern. Es ist nämlich, wie schon gesagt, nicht die Masse an sich des dem Po zuströmenden Wassers, welche seine Ueberschwem-mungen veranlaßt, sondern lediglich die schnelle Ansammlung desselben. Diese aber erklärt sich nur wiederum aus der Entwaldung der Gebirge, die jeder Nationalökonomie zum Höhne seit Jahrhunderten rücksichtslos betrieben, sich nun an den Nachkommen rächt. Mau mag sich allerdings daran erinnern, daß eben Italien als altes Kulturland überhaupt mehr ausgebeutet wurde als andere Länder, daß insbesondere die lange Herrschaft der schiffe-baueuden Venetianer viel verschuldet haben mag: aber wäre die Entwaldung nicht auch später ohne alle Rücksicht auf den Haushalt der Natur betrieben worden, so könnten die Folgen nicht so große Dimensionen annehmen. Bedeutende Flüsse strömen aus den nördlichen Alpen der Donau zu; aber die seltenen Ucber-schwemmungeu kommen denen des Po nicht entfernt gleich, weil unsere Verge ihres Waldschmuckcs uicht beraubt sind und nach rationellen Grnndsätzcn ausgebeutet werden. Das Laub der Kronen uud die dicke Schichte des Humus saugen das Gewässer des schmelzenden Schnee's oder außergewöhnlicher Regengüsse ans, lassen es nur langsam hiuabsickern, befördern die thcilweisc Ver-dnnstung und verhindern das rasche Ansammeln desselben. Sind aber die Berge waldlos, so wird, insbesondere in Küstenländern durch die Gewalt von Wind und Regen bald anch der Hnmus abgedeckt werden und schließlich wird nur mehr das Knochengerüste des Berges dastehen, von welchem das Wasser mit Schnelligkeit herabstürzt und in seiner raschen Ansammlung in der Ebene die ärgsten Verwüstungen anrichten wird. Nur so ist es erklärlich, wenn z. V. der Wasserspiegel des Lago Maggiorc von den Anschwellungen des Tcssin in Einer Nacht um 15 Fuß steigt, oder 90 wenn am südlichen Abhang des Ootlharb ein Vach, über den uns nntcr gewöhnlichen Verhältnissen ein Sprung sctzt, in Plötze licher Anschwellung FelSblöckc niit sich führt, welche Hänser zertrümmern. Nur ein entwaldeter Verg kann der Art verwittern, daß das herabstürzende Wasser im Thalc ganze Schutthalden dcS Gesteins niederlegt, wie wir es selbst an den geringsten Flüssen in Obcritalien sehen können. Schließlich aber werde» solche Gebirge, an deren Zerstörung Wind und Wetter unaufhörlich arbeiten, dastehen, wie etwa daS dalmatinische Küftcngebirge, dessen nackte, fahle Wände von der ^Sonne erhitzt werden, oder wie die Gebirge der Sierra, welche wie bleiche Knochenbcrgr in zackiger Verwitterung den Horizont sänmcn. An Stelle regelmäßiger Fülle des Gewässers aber werden die Bewohner solcher Gegenden nur abwechselnd die Verwüstungen oder gänzlichen Mangel desselben ersahren, die Ebene wirb abwechselnd überschwemmt oder völlig dürr sein. In Userbanten und Flnßrcgu-lirungcn, mit welchen man den Ucberschwemmnngcn des Po entgegentreten will, können nur provisorische Maßregeln erblickt werden; es sind gleichsam symptomatische Kuren. Soll dem Nebel radikal abgeholfen werocn, so bleibt nichts übrig, als die Verwüstungen der Wälder einzustellen und dic bereits entkleideten Berge wieder zu bewalde», — einc Arbeit, welche zwar sehr langsam aber sicher ihre Rchiltate erzielen würde. Nenn die Engländer ganze Schiffslabnngen von Hnmns nach Malta und Corfu bringen mußten, um die Verge zu bewalden, so kann dieses in Italien znr Zeit noch leichter erreicht werden und die Triebkraft der südlichen Natnr bürgt dafür, daß es mit Erfolg ge< schehen kann. V. Zer ^llnl^o «unto von Bologna. Hier ruhl sich s wohl, Lrtcdsettig legt der Stolze sich Zum getränkten NelUer hin und schläft. « r a b f ch l i j t. Bologna — die Stadt der stillen Architektur uud der lärmenden Menschen! Das bewegte Treiben anf den Plätzen, zn welchen dic räihselhaften schiefen Thürme hinab sich beugen, und nnlcr den Arkaden, welche die ganze Stadt dnrchzirhen, eontrastirt mit den: massiven Bau und beinahe finsteren Ansehen der zahlreichen Paläste, welche die Straßen sänmcn. Mau sieht der Stadt einen guten Theil ihrer Geschichte au, in der sie unter den übrigen Elädten Italiens meist eine Sonderstellung einuahm. Von den Gruskern gegründet, ward sie im Pnnischen Kriege Hannibals Verbündete gegen Rom, spielte dann eine große Rolle als römische Colonie, siel später dein griechischen Erarchat, dauu den Lougobardeu und Franken anheim, bis sie unter Karl dem Großen eine freie Stadt wurde. Im Kampfe der Ghibellmcn mit den Guclfcn anf Seite der letztereil stehend und dein Papste gegen deu Kaiser bcistehcnd verblieb sie dein Kirchenstaate bis zur Einverleibung in das ucuerstaudenc Königreich. Wie der Geist der Stadt selbst in der Geschichte, scheinen auch ihre Kirchen und Paläste uur schwer zu den Formen des 92 Classicismus und der heiteren Renaissauce durchgcdrungcn zu sein, wie denn auch die Bolognesische Malcrschule, die Schule der Caracci, eklektisch Richtungen der deutschen und italienischen Schule verfolgte. Wie stark und lange die Stadt gegen Rom gravitirte zeigt sich schon in der Menge ihrer Kirchen, 130 au der Zahl, wic in dem großartigen Projekte der Kirche S- Petronio, die, wärc sie vollendet worden, an Größe einzig in Italien dastehen würde. Aber dcr Feuereifer, welcher die den Bau beginnende Generation beseelte, war mit Vollendung des vorderen Langhauses erloschen, während Qucrschiff und hinteres Langhaus nur in Plänen eristiren. Gleichwohl war die Stadt berühmt als der Sitz einer dcr ältesten Universitäten und während der Jahrhunderte ihrer Blüthe bis in die neuere Zeit hinein saßen anf den Lchrstühleu sogar Frauen, von welchen im 14. Jahrhundert Novella d'Andrea, welche ihrer außergewöhnlichen Schönheit wegen nur hinter einem Vorhange las, wohl eben darum die zerstreutesten Zuhörer gehabt haben mag. Als eine der vorzüglichsten Sehenswürdigkeiten Bologna's preisen die Fremdenbücher den OaiiM knnw außerhalb der Stadt — gewiß mit Recht, soferne nicht nur das Schöne und Sympathische, sondern auch was nicht gefällt sehenswerth ist, wenn es nur in seiner Art charakteristisch genannt werden kann. Wer aus dem Norden kommt wird durch den Anblick dieses Kirchhofes im höchsten Grade befremdet werden. Es ist die uralte semitische Weltanschauung, welche in eemsclbeu ihren Ausdruck findet, deren merkwürdigste architektonische Zeugen uns in den ägyptischen Pyramiden erhalten sind, die wir als von den Phöniciern im-portirt wiederkennen an dcr von dem Franzosen Beul6 ausgc-grabenen Todtenstadt bei Carthago, und von welcher auch in Italien da und dort ansgegrabene Nekropolcn Zeugniß geben. In allen diesen Alterthümern zeigt sich der Sinn der Menschen 93 auf Conservirung der Leiche gerichtet, dahingegen der arische Menschcnstamm seine Anschauung von der Phänomenalität des Individuums meist auch in der Art ausdrückte, wie er seine Todten beerdigte. Unsere Kirchhöfe sind im eigentlichen Sinne Friedhöfe; der Todte ist darin zur ewigen Ruhe bestattet, der Verwesung anheimgegeben. Die Wiedervereinigung des Menschen mit der Natur sprechen unsere Gräber aus, jene melancholischen Grashügel, aus welchen die Vlumen symbolisch den pantheistischcn Grundgedanken ausdrücken: der Mensch, aus Staub geboren, gleichsam im Leben selbst nur wandelnder Staub, wird im Tode der Natur zurückgegeben, wird im Prozesse der Verwesung wiederum ein Theil von ihr. Wohl hat das Wristenthum diese Weltanschauung modificirt, es hat die unsterbliche Seele vom Leibe getrennt; aber indem es an die Pforten der Frirdhöfe „Ils8u-^cturis" setzt, spricht es doch für den Leib die niederdrückende Wahrheit aus: ?u1vl8 ot uiudra, 8UMU3. Die Art der Todtenbestattung steht nicht immer und überall im Einklang mit der jeweiligen Religion der Völker, ja oft haben sich Gebräuche vererbt, welche, einer früheren Weltanschauung entsprechend, der später erworbenen geradezu widersprechen, gleichwohl aber beibehalten werden. In charakteristischer Weise zeigt sich das an dem Eampo santo von Bologna. Dieser Kirchhof mit feinen marmorglatten und marmorkaltcn Sälen, Rotunden und Säulenhallen macht ganz den Eindruck einer Pinakotheke. Die Nischen in vier übereinandcrlicgenden Reihen sind mit Marmortafeln verschlossen, und wir lesen die Namen von Todten an den Wänden ab, während wir in solchen Sälen Gemälde zu betrachten gewohnt sind. Die Todten scheinen hier nicht der Verwesung anheimgegeben, sondern gleichsam nur in eine andere Behausung gebracht zu sein, welche ihrem stillen Temperamente entspricht. Auch der glatte Fußboden ist bedeckt mit Tafeln, und 94 beschrieben mit den Namen derjenigen, welche die unteren Kammern bewohnen; die da und dort zwischen den Kränzen liegenden Photographien, die nns den Todten zeigen, wie er im Leben gewandelt, modernisiren in einer für unser Gefühl verletzenden Weise die von der Menschheit doch thatsächlich überwundene Anschauung des Semitismns. So erhebt sich also in Bologna neben der lärmenden Stadt der Lebenden gleichsam eine zweite Stadt, die stille Stadt der Todten, und nnr für die arme Klasse der Vevölkernng ist ans den von den Hallen eingeschlossenen Wiescngründen die anderwärts gebräuchliche Art der Bestattung adoptirt: in schmalen langen Gruben werden die Särge neben einander gestellt nnd zugeschüttet. Die zahlreichen Marmordenkmale, welche znm Theil von wunderbarer Schönheit sind nnd manchem kalten Steine die Tiefe innerer Schmcrzempfindung aufdrücken, vermögen den mehr als befremdenden Gesammteindrnck dieses Kirchhofes nicht z» mildern. Gewiß, wenn wir in Friedhöfcn stehen, wie sie bei christlichen Völkern in der Regel sich finden, wenn unser Blick die Tiefe neugegrabencr Erdgruben mißt nnd den Sarg hinnnter-sinken sieht, der den vor Knrzem noch pulsirenden Leib aufgenommen, wenn die längst bewohnten Grabhügel geöffnet werden, einen neuen Bewohner anfzunehmen nnd das bleiche Gebein des Vorgängers uns vor die Füße rollt, — anch da vermögen wir nicht ohne Neberwindung diefe unsere Gebräuche anzuerkennen; wir empfinden das Bedürfuiß nach Sitten, die wenigstens für das Auge etwas trostreicher erscheinen sollen. Und wenn unS einerseits das anachronistische Dasein einer Mumie Eckel und Entsetzen einstößt, so möchten wir doch andrerseits jene Wahrheit, daß der Leib den Würmern anheimgegeben wird, — mag sie auch uuautastbar seiu — in einer weniger abschreckenden Weise gepredigt fchen. 95 Für den nicht rein verstandesmäßig angelegten Menschen liegt wolü am meisten Poesie — und Poesie verlangen wir ja in diesen Gebräuchen, wenn nicht für uns, so doch für diejenigen, welche in unserer Erinnerung fortleben — in der Sitte der Todtcnverbrennung. lind wenn auch noch eine überwiegende Anzahl von Menschen derzeit in diesem Gebrauche die Pietät nicht gewahrt sehen null, mit der sie an ihren Todten hängt, so vermögen wir darin doch nichts anderes zu seheu, als eine unbewußte Beeinflussung des Gefühls durch deu Glauben an die individuelle Unsterblichkeit, da man in dem Hinweise auf die überirdische Natnr der Seele, die zwar dem Verstande, aber nicht der Empfindung genügt, keine hinlängliche Bürgschaft zu erblicken vermag für den Glauben an die Auferstehung. Wer aber in jenem Gefühle nicht mehr befangen ist, der wird im Anblick und sicheren Besitze der Urne, welche die Asche des geliebten Todten enthält, seine Pietät weit mehr nnd weit poetischer gewahrt sehen, als in der Vorstellung des überwachsenen Grabhügels, unter welchem der abschreckende Proceß der Verwesung vor sich geht. VI. Apenmuüöergang. Italian] laeto socii clamore salutant. V e r g i 1 i u s. Zwei hohc Gebirgswälle trennen uns von dem eigentlichen, von dem klimatischen Italien. Zwischen ihnen, von beiden gespeist, fließt der Po. Ukbcrschreitet man ihn, dem Süden zustrebend, so wird man bald bemerken, daß die Apenninenflüsse in charakteristischer Weise von denen der Alpen sich unterscheiden. Es sind schlammige, träge dahinfließende Wasser, welche oft tief in die fette Erde ihr Bett gegraben haben, das sie meist nicht zu halber Höhe füllen. Aber anch wo die Terrainvcrhältnisse die Ausbreitung gestatten, sind doch die weiten Betten oft ganz mit dem schlammigen Kies gefüllt nnd gewähren ein ganz anderes Ansehen als die nördlichen Nebenflüsse des Po, welche ihre Steinhalden in die Ebene ablagern. Die Mündungen der Flüsse erzählen die Geschichte derselben, und wir werden sie kennen lernen, wenn wir ihren Lanf anfwa'rts verfolgen. Auf zahlreichen Gebirgsstraßen, welche in gleicher Richtung nach Süden laufen, kann man den Apennin von Oberitalien ans überschreiten; aber nur einer dieser Straßen entlang, zwischen Bologna und Pistoja, läuft auch die Vahn hinüber. Den Reisende», aus dem Norden fordert sie unwillkürlich zu einem du Prel, Unter Taimen und Pinien. 7 98 Vergleiche mit bcr Vrennerbahn heraus. Die französische Gesellschaft, welche die Apeuuineubahn gebaut, ist nach ganz anderen Grundsätzen verfahre», als sic auf dein Brenner angewendet wurden. Dort ist die Geschicklichkeit zu bewundern, mit welcher alle Schwierigkeiten umgangen, hier der Trotz, mit welchem sie überwunden worden. Dort beschreibt die Bahn unendliche, Curven, um nur wieder eine Steigung zu gewinnen, hier ist man, gleich wie in der Ebene, nach dem Satze verfahren, daß zwischen zwei Punkten die Gerade die kürzeste Linie sei. Wo ein Vergfegel sich in den Weg stellte, ist er durchbohrt worden; wo der Abgrund einer Schlucht sich eröffnete, ist er i'iberbrüett worden. Die Kosten eines solchen Systems müssen sich freilich ungleich höher stellen, als wenn, wie auf dem Brenner, die Vahu an »en Berg-lehnen fortläuft; dagegen fcheiut das System der Tunnels uud Viadukte nicht blos den Vorzug größerer Sicherheit zu besitzen, sonderu auch weniger Unterhaltungskosten zu erfordern, selbst wenu der Schacht nicht durch Oranilgcstein geführt ist, wo das Gewölbe sich selbst trägt, souderu durch Kalkberge, wo es einer inneren Bekleidung bedarf. Oft kriechend langsam, aber hoher und höher steigt die Vahn den Berg hinan, bis zur Station Praechia, ihrem Höhepunkte. Aber dieser Höhepunkt der Vahn fällt keineswegs zn-sammen mit der Wasserscheide, zu welcher mau, der Straße folgend, wohl noch eine Stunde ansteigt. Diesen letzten und steilen Vergkegel nämlich hat die Bahn wiedernm durchbohrt. (5'ineu Begriff aber von der Lauge, dieses Tunnels erhält mau durch die Erwägung, daß er sich als Sehne zu dcm uoch so hoch ansteigenden Bogen verhält. Es lohnt sich wohl der Mühe, wenigstens über diese letzten Kuppen zn Fnß zn gehen, uud zwar nicht der Straße folgend, louderu auf dem Saumpfade, uutechalb welchem die Bahn sich 99 burchgräbt. Je höher wir steigen, desto unwirthlicher wird die Umgebung. Nauhc Lüfte, als befänden wir uns auf einem Alpenpasse, strömen ans den Schluchten und hellgrüne Wässer schäumen an dem Felsgestein auf, das ihr Vett füllt. Aber in den Alpen würde der Anblick verhällnismiäßig so bedeutender Wasseransammlungen uns belehren, daß wir noch weit unterhalb der Wasserscheide uns befinden, während hier diese hochgelegenen Tümpel und die Fälle, welche an glattgewaschenen Felswänden herabstürzen, keinen selchen Auhaltspunkt geben. Aber wo der Wasserscheide so nahe schon solche Ansammlnngen geschehen können, da werden bei anhaltendem Negen die Flüsse in der Ebene oft in wenigen Stunden anschwellend über die Ebene sich ergießen nnd der klare Gcbirgsbacb wird sich zu einem schlammigen FInsse entwickeln, der die Erde der Saatfelder mit sich führend, seine Flnthen langsam weiter wälzt. Kurz jene Erschcinnng wird eintreten, die wir an den Apennincnflüssen bemerken konnten. Nnr in einzelnen Eremplaren erblicken wir die heimathliche Tanne, auf den Höhen ringsnm gedeihen nnr kümmerliche Bnsch< Waldungen der Bliche, und die langen Fäven des Ginsters, vom winterlichen Nebel genäßt, hängen über dem Felsgesteinc, das ans dem dürftigen Grasboden brichl. Stellenweise nnr stehen kräftige Vnchenstämme beisammen: aber diefe, bis znr Iochhöhe von der Art gefällt, erklären uns, wenn wir bedenken, baß man überall so verfahren, genugsam jene Verwüstungen, welche auf Bergest)öhen von Menschenhänden erzcngt, in der Ebene, dein Flußbette des Po entlang, zn sehen sind. Alis den Schluchten, an welchen wir fortwandern, tanchen dann ,md wann hohe Nundthürme ans, deren Zweck uns ill dem menschenleeren Gebirge räthselhaft erscheinen würde, wenn nicht übcr ihren Cpitzcn langsame Rauchwolken sich kräuselten. Es sind die Nespiratoren des Tunnels, welche tief aus dem Innern 7^° 100 des Verges den Dampf der Lokomotive entweichen lassen und ohne welche die lange Fahrt in dem dunklen Schachte eine Unmöglichkeit wäre. Da nnd dort stehen noch die Rninen jener provisorischen Vauteu, wo durch vertikale Schachte das in den Eingeweiden des Verges angchänfte Material des gebrochenen Gesteins herausgehoben wnrde. Von nordischen, dichten Nebeln nmwallt nnd von nordischen Lüften umweht, erreichen wir so die Höhe des Jochs. Aber hier mit Einem Male ändert sich die Scenerie. Dem Höhenkamme des Apennin entlang länft die Grenzscheide des klimatischen Italiens nnd wir treten beinahe wie mit Einem Schritte ans dem Norden in den Süden. Erst lockern sich die Ncbel-masscn nnd wie durch einen Trichter hindnrch blickt man in die sonnige Ebene hinab nnd in weiter Ferne glänzt die Fläche des Lago Bientinese, hinter welchem sich die langgestreckten südlicheren Vergzügc des Apennin dehnen. Eine dnrchans andere Vegetation ist es, die lins ans diesem südlichen Abhang entgegentritt, der in Terrassen znr Ebene hinabrollt, an denen sich die lanen Luflwellen des Sirocco brechen. Erst sind cS Kastanicnanger nnd Nebengclände. untermischt mit Oelbänmcn, deren grauschillcrudes Laub in den Lüften erzittert, während auf den Höhen ringsum zwischen niederem Buschwerk stehe»d Pinicngruppen voin tiefsten Grün das hochgctragenc Dach ansbreiten, gleichsam ein Wald über dein Walde. Oft, wenn wir an den Terassen hinanfschauen, auf welchen zerstreut die weißen Häuser liegen, wirbelt plötzlich eine Dampfwolke auf und aus dunflem Felsmthorc windet sich der lange Eiscnbahnzng herans, nm nbcr einen majestätischen Viadukt von aufeinander gelhürmten Gallcricn hinüber zn kriechen nnd jenseits in ein anderes Felsenthor zu verschwinden. Aber in den ersten Dörfern, wo der Epheu über die Gar- 101 tenmauern quillt und Lorbeer und Myrthe zwischen den stillragenden Cypresscn das üppigste Buschwerk bilden, dort wird den Fremdling der Anblick der Natur wie des erfreulichen Menschenschlages daran erinnern, baß er in das gesegnete Toskana hinabgestiegen, nnd wohl kann es geschehen, wenn er sich niederläßt, beim Weine der umliegenden Rebenhügel die Stunde zu begehen, daß er einige Mühe hat, seine Lust, welche ihm eine gründliche Feier des Augenblicks gebietet, in Einklang zu bringen mit dem Feuer der toskanischcn Traube. VII. Zie Oroltc vou Monsummano. Aber »nltcn i»i Fcll> ist eine belichtete Höhle, Gcsssn d,is Dunkel sscw>i„dt zum ttrrbr«. H ll >n e r. Im Norden hört es sich wohl einladend an, wenn man Orte, wir etwa Merau, als passenden Winteraufcnthalt für Solche empfehleil hört, die ein mildes Klima aufsuchen; aber es unterliegt keinem Zweifel, daß, wenn der Fremde weiter im Süden nicht die Schwierigkeiten einer anderen Sprache zu überwinden hätte nnd wenn andrerseits die Italicner es verständen, unseren Ansprüchen an Comfort und hauptsächlich an Reinlichkeit zu genügen, — daß die Schaar der Patienten, welche in Südtirol nnd Oberitalien dem Winter entrinnen zu können glauben, mit solcher halben Maßregel sich nicht mehr begnügen und statt auf halbem Nege stehen zu bleiben, erst südlich des Apennin Halt machen würden. Denn daß dic auf dieser Gebirgskette fortlaufende Wasserscheide zwischen Po lind Arno erst die wirkliche Grenzscheide zwischen Norden und Süden ist, kann Keinem zweifelhaft sein, der auf der Apennincnhöhc stehend, hinter sich iu die Romagna, vor sich in die toskanische Ebene hinuntcrblickt und gewahrt, wie nördliche und südliche Vegetation ohne alle vermittelnden Uebcrgänge einander ablösen. 104 Reich ist die toskanische Ebene an Bädern, von welchen wohl die von Lncca des Ältesten Ruhmes sich erfreuen; und doch gießen sie nicht den Ruf und üben nicht die Anziehungskraft aus, wie die Kurorte von Oberitalien, ja Sndtirol, deren starker Besuch nur aus der alltäglichen Erscheinung zu erklären ist, daß eben Ein Narr zehn Narren macht. In neuerer Zeit aber ist in geringer Entfernung der Bäder von Lucca eine Entdeckung gemacht worden, welche mit jedem Jahre als wichtiger erkannt zu werden fchcint und vielleicht bestimmt ist, die heilungsbedürftige Menschheit wieder nach einer Gegend zu lenken, welche als Ieugen ihres einstigen balnearischen Ruhmes noch den ruinenhaften Aquädukt von 459 Bogen und die Trümmer der Bagui di Nerone auszuweisen hat. Bei Mon-fummano, einem Städtchen unweit der Station Picve a Nievole an der Bahn von Pistoja nach Pisa, wurde gelegentlich von Sprengungen in einem Steinbruche eine unterirdische Vertiefung blosgelegt, welcher heiße Dämpfe entstiegen. Steine, welche man hineinfallen ließ, verriethen fort und fort polternd die Tiefe der Höhlung. Man fand sich veranlaßt, sie zu erweitern und ein Ingenieur aus Pijoja, der sich am Seile hinabließ, stieg aus dem unterirdischen Dunkel mit der Nachricht herauf, daß sich tief in die kegelförmige Allhöhe hinein, an deren Fuß Monsummano liegt, eine Grotte mit wunderbaren Stalaktiten ziehe. Dennoch vergingen mehrere Jahre, bis mau zur Erkenntniß der balnearischen Wichtigkeit dieser Entdeckung gelangte. Die Sängerin La Grua war es, welche 1863 die Heilkraft der Grotte erprobend, die völlige Reinheit ihrer Stimmmittel dort wieder erlangte. Im Jahre darauf schon begannen, Engländer an der Spitze, fremde Badegäste sich einzufinden. 1867 traf Garibaldi zum Kurgebrauche ein und dem Fremden werden noch heute die zwei Briefe gewiesen, in deren ersterem er seine Absicht, nach 105 Monsummano zu kommen, mit zitternden Schriftzügcn dem Besitzer der Grotte kundgab, während der zweite, mit fester Hand geschrieben, die wohlthätigen Folgen dieser natürlichen Dampfbäder für seine Gesundheit preist. Kossnth endlich war es, der vor wenigen Jahren in Monsullimano von seinen Leiden gänzlich hergestellt, den Ruf der Grotte weithin verbreitete. Das Badeetablissement lehnt sich an den Vcrgkegel, der nur spärlich bewachsen zwischen Vuchengesträuch einige Oelbäume trägt und dessen Gipfel von den Ruinen des Castels Monsummano alto geziert ist. Eine kurze Cypressenallee führt dem Gebäude zu. Myrthcnsträuchc füllen die Zwischenränmc der Bäume und hinter dunklen Wacholdcrbüschen glühen verspätete Rosen, welche lässig den warmen Winden ihre letzten Blätter preisgeben. Von der Veranda aus schweift der Blick über die Ebene, in deren Ferne die Fläche des Lago Vientinese erglänzt, während die Vorberge des Apennin ringsum die Landschaft begrenzen. Unmittelbar aus den Zimmern des Kurhauses betlitt man die Tropfsteinhöhle nnd es genügen nur wenige Schritte, uns in die schwülste Atmosphäre zu versetzen. Mit jeder Krümmung der Grotte erhöht sich die Temperatur, die uns in Schweiß verseht, während die Ein-athmung der alkalischen Luft und die elektromagnetische Belebung des Nervenjystems — eine Wirkung, welche an diesen Dampfbädern ganz besonders gepriesen wird — mehr und mehr einen Zustand der Behaglichkeit in uns erzeugen, bei welchem alle vitalen Processe des Körpers mit erhöhter Leichtigkeit vor sich zu gehen scheinen. Die Grotte ist bisher bis zu einer Tiefe von 300 bis 400 M. untersucht worden; aber die Steigerung der Temperatur ist eine so bedeutende, daß man dem hintersten Winkel, der einen kleinen See birgt, den Namen der „Hölle" gegeben hat. Diese hohe Temperatur und ihre Wirkungen auf den Körper verbieten den l06 Kurgebrauch allen Jenen, welche zur Apoplerie geneigt sind oder au einem Herzfehler leiden, während andrerseits bei jeder sonstigen Constitution und jedem Alter dem Vernehmen nach alle iene Krankheiten gebeilt werden, welche verdorbenen Säften entspringen. Gegen Gicht, Gliedcrkrankhcitcn nnd Rheumatismen aller Art scheinen diese Dampfbäder insbesondere erfolgreich angewendet zu werden. Dabei liegt ein nicht zu unterschätzender Vortheil in dein Umstände, daß in gewöhnlichen Fällen und mit Einschluß einiger Ruhetage die Kur nicht länger als 14 Tage dauert, so daß sich im Vergleiche mit auderen langsamer wirkenden Badern eine bedeutende Ersftarniß an Zeit nnd Geld selbst dann noch herausstellen wnrde, wenn bei znnehmender Frequenz die Kosten des Aufenthaltes sich erhöhen sollten. Bald wud dieser Grotte anch noch ein anderer bedeutender Vortheil zugewcudet werden. Bisher war es nämlich nur während der Sommermonate möglich, sie zu betreten, indem beim Eiutritte des Winters die Wasserfläche deS Sees in der „Hölle" stieg nnd die Grotte fast bis zum Eingang füllte. Diesem Uebelstande wird durch cincn Tunnel abgeholfen werden, welcher das ansteigende Wasser ableiten soll, so daß dann das Bad ohne Unterbrechung während des ganzen Jahres geöffnet sein wird. Deßglnchen ist eine bedeutende Erweiterung der Lokalitäten iu Angriff genommen, dem steigenden Andränge von Kranken zn genügen, die schon in der vergangenen Saison zu Hunderten sich einstellten, theilweise aber genöthigt waren, in dem nahen Mon-summano oder etwas entfernter in Pieve a Nievole sich niederzulassen. DM belebreu die weithin sichtbaren Aufschriften, daß in dem nnd jenem Hanse eine „Pension" zu finden sei; wer aber ric Italiener kennt, weiß, was das zu bedeuten hat. Auf der Piazza herumlungernd, hat der oder jener Hausbesitzer in Erfahrung gebracht, daß in Monsummano ein Heilbad errichtet 107 werde; er lehltt die Leiter an jene ^eite seines Hauses, die sich verhältnißmäßig am günstigsten präsentrtt und malt mit dickem Pinsel die Aufschrift an. Damit ist die „Pension" fertig. Beim Besuche der Grotte im Winter, ba man nur bis zu geringer Tiefe einzudringen vermag, ist es leider nicht möglich, sich ein Urtheil über) ihre Merkwürdigkeit als solche zu bilden. Wer aber im warmen Dunste der Tropfsteingewölbe mehr und mehr sich erwärmend, schließlich das Bedürfniß fühlen wird, zu dem natürlichen Dampflxide noch ein Schwimmbad zu nehmen — eine Combination deS Verfahrens, dessen Vortheil allerdings dahingestellt sein mag — der wird, wenn die kleinen Lichter den dunklen Raum unsicher erhellen, während er im warmem Wasser hcrnmplätchcrt, bald eine unwiderstehliche Anwandlung erfahren, der Oberwelt zu entsagen, um fortau das Leben eines schwimmenden Troglobytcn zn führen. vm. OVerital'ienisches ^eben. Lass« auch die Din»e, die ein Späher erspäht u»d hinteibrncht hnt, ausspähen noch durch einen Späher, Aus dem Kural des TiruvaNuver. Hrut zu Tage ist es im Grunde eine lächerliche Gewissenhaftigkeit, nach Italien zu reisen um über Italien zu berichten. Denn kein anderes Land gibt es, über welches schon so viel geschrieben worden wäre, daher denn manche Phantasiereisenbe die Sache praktischer anfassen und ohne die hausliche Bequemlichkeit zu verlassen über Italien berichten nach dem bekannten Recept, ans neunundneunzig vorhandenen Büchern ein hundertstes zu machen. Es wird in der That bald schwer werden, in diesem Lande etwas noch nicht Beobachtetes zu sehen, etwas noch nicht Gesagtes darüber zu sagen, nnb mag auch dieser Umstand jenes Verfahren nicht entschuldigen, so muß er doch die Bedenken jedes wirklich Reisenden erregen, der von seinen Wanderungen zu erzählen gesonnen ist. Aber diese Bedenken müssen der Erwägung weichen, daß im Grnnde die Welt doch in jedem Auge anders sich darstellt, daher denn Jeder, wenn er nur einen offenen Blick für Land und Leute hat, selbst schou vielfach behandelte Länder auch seinerseits behandeln mag, die Dinge einfach so schildernd, wie sie sich ans seiner Netzhaut dargestellt. So mögen denn auch die nachfolgenden Bemerkungen über oberitalieuisches Leben hin- 1«0 gehen, wie sie bei erster Bekanntschaft mit dem Lande sich aufgedrängt haben. Deutschland ist das Land genau begrenzter Verufssphäreu nnd weil Italien das ain allerwenigsten ist, fällt dieser Unterschied dem Reisenden sofort in die Augen. Während bci uns geschäftige Leute eiligru Schrittes durcheinander rennen und bis zum Packträger herab alles einigermaßen nniformirt aussieht nno seiner Verusskategorie nach im Allgemeinen zu bestimmen ist, bemerkt man in Italien in jeder noch so kleinen Ortschaft eine große Zahl von Lenten, welche die Cristenz der Lilien auf dem Felde zu führen scheinen und geraden undcsinirbar sich darstellen. Sie schlendern in den Straßen umher, stehen in Gruppen auf den Plätzen zusammen, liegen da und dort in der Sonne und man weiß von ihueu nicht zu sagen, was sie sind, noch wovon sie stch nähren. Sicherlich liegt das zum Theil an dcm milderen Klima, welches den Leuten gestattet, halb auf der Straße zu leben, ist aber doch nicht ohne charakterologische Eigenthümlichkeit zu denken, der gemäß der Italicner einer fest abgegrenzten Berufskatcgoric widerstrebt. Denn man würde irren, diese Leute alle für bloße Pflastertreter zu halteu. Sie siud nichts, aber sie sind ebenso gut auch alles, nur eben alles gelegentlich, nach Umständen. Sie lassen die Arbeit an sich herankommen und der Fremde insbesondere, der sich crst vergeblich nach Fremdenführer, Pack-trägcr ober ähnlichen Leuten umsieht, kauu die Erfahrung machen, daß Jeder dieser Herumlungerer jeden Dienst willig annehmen wird. Sodann gibt es aber in Italien verschiedenartige Geschäfte, welche ihren Mann ernähren, ohue ihm den Zwang bestimmter Arbeitsstunden aufzuerlegen, dein der Italiener durchaus abgeneigt zu sein scheint. Zündhölzchcnverkäufer, Ieitungsausrufer, Stiefel- N1 Putzer lärmen in allen Straßcu der Städte und fallen durch ihre Zudringlichkeit dcni Feinden zur Last, der auf Reinheit seiner Stiefel weit weniger bedacht ist, als der Einheimische. Denn der Italiener, writ davon entfernt, vom Kopf bis zu den Füßen reinlich zu sein, ist es doch sicherlich am Kops und an den Füßen, er wird immer frisirt sein und geputzte Stiefel tragen. Es gibt in Italien kaum ein elendes Nest, das nicht seinen Friseur auszuweisen hatte, und der starke Besuch seiner Stube kommt keineswegs bloß ans Rechnung des Nmstandes, daß mau sie wie eiu öffentliches Lokal ansieht, in welchem mail zusammen kommt, Ncuigkeiteu zu hören und zu erzählen. Dagegen sind sonderbarer Weise die Frauen in Vezug auf ihr meist schönes Haar sehr nachlässig, das kaun« Einmal wöchentlich einer ordent^ lichen Behandlung sich zu erfreuen scheint. Die ^ornewneren Stände sind hiernon natürlich ausgenommen; der Kulturmensch ist sich überall gleich. Verschiedene Geschäfte, welche bei uns in den Kaufläden besorgt zu werden pflegen, werden in Italien ans der Straße ab< gewickelt. Es gibt nicht leicht etwas, was man in den Stadien nicht auf dcr Straße oder im (5,afie er in die Cafthäuser trägt. Der Germane, welchem in seiner barbarischen Gründlichkeit der Kaus eines Pelzmantels als eine hochwichtige Angelegenheit erscheint, über deren Ueber--legung er wenigstens einige Winter friert, »eiu von» Tage des Entschlusses gleichsam eine Lrbenswende datirt, wird iu hohem 112 Grade überrascht sein, wcnn er eine solche Angelegenheit innerhalb weniger Minuten abgeschlossen werden und Jemanden mit dem Pelzmantel abtreten sieht, der ohne ein Ueberkleid eingetreten war. Die berühmte Vergangenheit der oberitalienischcn Städte findet ihren äußeren Ausdruck nicht nur in der Architektur derselben, sondern auch in ihrer für die heutige Einwohnerzahl nn-veihältnißmäßigen Ausdehnung. Man sollte daher erwarten, die angenehmsten Wohnungsverhältnisse zu finden, die, was Lagen und Räumlichkeiten betrifft, sicherlich auch nicht fehlen. Aber in dem Verhältniß seiner Begünstigung durch die Sonne seines Himmels mangelt dem Italiener folgerichtig der Sinn für heimische Ausstattung und bequeme Einrichtung seiner Wohnung. Wozu anch? da er ja doch meist unter der Thüre und auf der Straße lebt. Zimmer, welche den mitgebrachten Anforderungen an Comfort entsprechen, wird man selbst in den vornehmeren Häusern kaum finden. Dazu kommt noch der enge Bau der Straßen, in deren Tiefe keine Sonne fällt, daher denn die düsteren Stnbcn im Winter ungcmeiu viel Aufforderung enthalten, es den Italienern gleich zu thun und im Sonnenscheine der Piazza sich zu ergehen. Die Anstalten zur Abwehr der Kälte sind durchaus ungenügend und merkwürdiger Weise nichts weniger als dem Klima entsprechend. An Stelle des behaglich wärmenden Ofens findet sich der Kamin, dessen Feuer zwar dem Auge erfreulich ist, aber die sonnenlosen Räume kaum erwärmt. Man ersieht daraus, daß der Zwang äußerer Umstände nicht immer es ist, der Gewohnheiten und Sitten regelt, die oft von entlegenen Orten ans, nach welchen der Polksgeist gravitirt, bei ihrer Ueberführung in andere Landstriche ganz inadäquat werdcu. So ist in Obcritalien nicht nur der enge Ban der Straßen, sondern auch die Einrichtung der Häuser einem südlicheren Klima ent- N3 sprechend, durch südlichere Gewohnheiten bestimmt, ohne Rücksicht darauf, daß zwischen Alpeil und Apennin dem Winter gar oft in germanischer Weise zu Leib gegangen werden sollte. Dafür kommen dann surrogativc Maßregeln in Anwendung und sieht man z. B. die Frauen ihre kleinen Kohlenbecken wie Handkörbchen im Hause herumtragen, ihre Hände zu erwärmen, die bei solcher Gewohnheit frühzeitig runzelig werden. Uebrigrns ist diese Sitte der Kaminfeuer nicht ohne Vortheile. Der Reisende, der bei seiner Anknnft eingeladen wird, an's Feuer zu rücken, an welchen« oft im überhängenden Kessel gleichzeitig sein Mahl bereitet wird, findet dort Hausbewohner und Zugereiste in traulichem Gespräche vereinigt und sieht sich in wenigen Minuten von den freuudlichcn Menschen gleich einem Familienangehörigen behandelt und mit nnschuldigster Neugierde über seine Verhältnisse und Absichten ausgefragt. Auf dein Lande insbesondere findet sich oft Gaststube und Küche vereinigt nnd die behagliche Scene lockt den an der offenstehenden Thüre Vorübergehenden an. Der Wirth kennt seine Leute, er weiß, daß der Italiener für alles Anschauliche sehr empfänglich ist, stellt daher sein Büffet an die offene Thüre und breitet darauf alles aus, womit er den Gast zu bewirthen vermag. In bnntem und reinlichen! Farbengrmischc nnd zierlicher Zusammenstellung sind dort Früchte, Gemüse aller Art, Fische, Schinken ic. zur Schau ausgestellt. Diese Empfänglichkeit des Italieners für anschauliche Motive lernt man vorzugsweise in den Theatern kennen. Das Publikum folgt dem Stücke immer mit Parteinahme. Der Schurke, der in Reben oder Handlungen seine Rolle entwickelt, darf sicher sein, oft von einem Sturme der Entrüstung unterbrochen zu werden, wie umgekehrt dein Edlen Beifall wird, so oft er in drastischer Weise seinen Charakter zum Ausdruck bringt. Man sollte du Vrel, Until Trumen und Linien, 8 114 meinen, es säßen Leute im Theater, die das Bühnenspiel für Wirklichkeit nähinen gleich jenem biederen Münchener, der einst i,l lantcm Zurufe den Bühnenhelden auf die Gefahr aufmerksam machte, die ihm von lauernden Banditen drohte. Doch mischt sich in dieses Verhalten sicherlich anch Knnstgefühl. Dem Schauspieler, der den Anforderungen des Publikums nicht genügt, wird der sofortige Tadel nicht vorenthalten und ohne Rücksicht darauf, daß die Illusion der Wirklichkeit hierdurch gestört wirb, erfährt er oft lantc Mißbilligung, sollte er etwa im Sterben einer Bewegung sich schuldig machen, die an Natnrwahrheit zu wünschen übrig läßt. In der Regel wird jeder Vorstellung, sei es Lnstspiel ober Tragödie, ein Ballet beigegeben, entweder eingeschoben oder zum Schlüsse. Dasselbe erfreut sich allgemeiner Beliebtheit nud wird selbst auf kleineren Bühnen oft mit Virtuosität gegeben. Charakteristisch für diese Beliebtheit ist das Verhalten der Frauen im Publikum. Dort sitzt die Gattin nicht eifersüchtig neben dem Herrn Gemahle, den Blick böse aus den Operngucker desselben haftend, sondern anch ibrc ganze Aufmerksamkeit ist ans die Bühne gerichtet und man hört ans ihrem Munde wohl ein ^uLmw 6 deiig.! wenn die erste Tänzerin ihre Sache recht gnt macht. Das Ballet nähert sich oft fchr volksthümlichen Tänzen, die einen ungemein erfreulichen Eindiuck machen. Es ist nicht die unschöne nnd sinnlose, rein planclarischc Bewegung des Sich-umeinander-drehens, sondern gleichsam eine kleine Novelle. Sehnsucht uud Liebe, Schmerz, Freude und Entzücken, Entzweiung, Schmollen, Wuth und Versöhnung wechseln darin, und so entwickelt sich der Tanz erst allmälig zu dem, womit er anderwärts beginnt. Solchen interessanten und erfreulichen Seiten oberitalienischen Lebens wären min freilich manche andere beizufügen, in welchen 115 unsere Nnschammgs« und Gesnhlsweise oft eindringlichst verletzt nurd. Ow»,0un a 168 äsla,ut8 äs 368 vsrwZ — wie Madame Statzl sagte. Aber der Reisende, der fremde Städte zu schauen und Sitten kcnneu zu lernen aufgebrochen ist, wirb durch die mancherlei Unannehmlichkeiten, die er in Italien finden wird, sich nicht verleiten lassen, den Gciniß der Neise sich zu verkümmem und in seinein Urtheile über das Land ungerecht zu werdeu. 8- IX. N o m. Roma! Roma! Roraa! Eoma Kon e come era prima! Vollslitd, Die Fragr, welchen Eindruck man von Rom empfangen, zerfällt, soll die Frage richtig beantwortet werden, in drei Fragen, d. h. dic Antwort kan» nur gegeben werden, indent wir das antike Rom von dem der Päpste, und dieses von der modernen Hauptstadt Italiens unterscheiden. Denn nicht nnr, baß die Monumente der Kaiserzcit m ihrer Zusammenstellung mit den Kirchen und Neubauten kein einheitliches Bild geben, stellen sich die drei mosaikartig zusammengestellten Bestandtheile der Stadt sogar gegenseitig im Wege, und keiner gewinnt an den anderen eine günstige Folie. Die römischen Bauten würden nnr gewinnen, wenn sie etwa in der Campagna stünden, die Kirchen, wenn sie aus der modernen Umgebung herausgehoben würden. Die bloße Abstraktion, daß Rom die ewige Stadt zu sein scheint, daß sie als Beherrscherin des Erdballs von barbarischen Horden zerstört wurde, um als geistige Beherrscherin wieder zu erstehen und endlich um gegenwärtig ein drittes Dasein als politische Hauptstadt des modernen Königreichs zu beginnen, — dieser »mgemein großartige l18 Gedanke hat mit der Anschauung, mit dem Gefallen nichts zu thun. Trennen wir also die Stadt Rom in ihre Bestandtheile. Wenn wir in Gedanken den schicksalsschweren Gang der Geschichte Noms durchgehen, wenn wir uns erinnern, daß keine Stadt der Welt so oft ihre Herrscher gewechselt hat, so oft von fremden Hcerschaaren erobert, geplündert und zerstört worden wie Rom, daß es Jahrhunderte lang durch innere Zwistigkeit dem Untergang nahe gebracht worden, so daß die Einwohnerzahl von den einstigen zwei Millionen auf dreißig Tausend herabgesunken war, — wenn wir uns das Alles vergegenwärtigen, so erfüllt es uns mit Staunen, daß Monumente des allen Noms überhaupt noch vorhanden sind. Denn weit entfernt, daß die Trümmer drr heidnischen Stadt, soweit dieselbe von den Barbaren verschont geblieben, für die späteren Generationen ein Gegenstand dcr Ehrfurcht gewesen wären, wie sie es uns sind, ist vielmehr das päpstliche Rom nur auf Kosten des alten entstanden. Jahrhunderte lang sind diesen Ruinen die Bausteine für Kirchen und Paläste entnommen worden und erst das humanere Zeitalter der Renaissance hat dieser Zerstörung Einhalt gethan. Und doch, trotz allcdem, wnrde die zerstörende Hand der Menschen damit nicht fertig, das alle Nom vollends zu vertilgen. Bauten, die an Großartigkeit Alles übertreffen, stehen noch über dem Erdboden, und andere, welche ein mitleidsvolles Geschick mit dem Schütte der Jahrtausende bedeckt hat, entsteigen nun dem tiefen Grabe, in welchem sie unbestimmbare Zeiträume hindurch versunken lagen. Andere Städte, die jetzt in Ruinen liegen, sind aus die formlosen Reste, welche noch stehen, lediglich durch die Gewalt der Elemente rebnzirt worden, während Rom, in welchem eine van-dalische Ierstörungswuth tausend Jahre hindurch geherrscht hat, N9 gleichwohl noch monumenlalere Nuineu auszuweisen hat, als jene. Dies mag uns ungefähr einen Begriff geben, wie Rom ausgesehen haben mag, als es die Welt beherrschte. Erinnern wir uns aber noch, daß es bis zn Augustus Zeiten nichts weniger als eine schöne Stadt war uud daß die Prachtbauten derselben in die verhältnißmäßig kurze anfsteigende Periode der Kaiscrzeit fallen, so erscheint uns der römische Eäsarcnthron in einem Nimbus, wie ihn niemals ein anderer Tlnon besessen. Man kann sagen, daß niemals gebaut worden ist, wie die Römer bauten. Die Pyramiden Aegypteus, so kolossal sie sind, entsprechen doch in eben dieser Größe nur einem metaphysischen Bedürfnisse ihrer Erbauer, welche die Mumien ihrer Leiber für alle Zeiten vor Entweihung durch Menschenhände sichern wolltru. Trotz der überwalligendrn Größe dieser Monumente entsprechen doch die aufgewendeten Mittel nnr einem bestimmten Zwecke, und selbst dieses nicht vollständig, weil eine spätere Menschheit, im Wahuc der Seelenwanderung nicht mehr befangen, keine Scheu trägt, in archäologischen Bestrebungen die Nuhc tansendjähriger Mumien zu stören, welche sich zu Lebzeiten undurchdringliche Grabkammern bauten. Die Größe und Dauerhaftigkeit der römischen Vanten dagegen rntfprachen nicht nur der Majestät der weltbeherrschenden Stadt, sondern anch wo solche repräsentative Absicbicu nicht zu Grunde lagen, wurde eine Verschwendung der Mittel an den Tag gelegt, die weder dadnrch sich hinlänglich erklärt, oaß jcdcr Kaiser seine Vorgänger ill seinen Neubauten nberlreffen oder doch überbieten wollte, noch durch die Erwägung, daß gleich den Königen Aegyptens auch die römischen Kaiser Tausende von Sklaven und Kriegsgefangenen zur Disposition hatten. Diese Gründe reichen allenfalls ans, uns die Großartigkeit der Prachtbauten zu erklären; aber wenn uns in den Nutzbauten, z. V. in den Aquädukten, die gleiche Verschwendung 120 der Mittel, eine geradezu nutzlose Kraftentfaltung entgegen tritt, so müssen wir uns zur Erklärung diescs Phänomens nach einer tieferen Ursache umsehen. Rom der Mittelpunkt des Weltreichs, eines Reiches von ewiger Dauer, — das war der Gedanke, der jeden Römer beseelte Keine Einsicht in die Vergänglichkeit allcS Irdischen kam dagegen auf. Der Gedanke, daß einst das römische Weltreich zu Grunde gehen könne, daß auch für Rom ein „Einst wird kommen der Tag" ausgesprochen werden könne, wie es der unsterbliche griechische Sänger der Stadt des lanzenkuudigen Königs verkünden läßt, — dieser Gedanke war dem Römer unfaßbar. Ihm war die Geschichte Entwickluug behufs Eonstituirung der römischen Weltherrschaft, und kein historischer Pessimismus vermochte seinen Blick zu trüben nnd eine fernere Zukunft ihn ahnen zu lassen, in welcher einst die Ruinen römischer Größe von fremden Eroberern angestaunt werden sollten. Der Stempel dieses stolzen Bewußtseins ist es, der den monumentalen Bauten aufgedrückt ist. Es fpricht aus ihnen ein politischer Optimismus, wie er weder früher noch später einem Volke je innegewohnt hat. Wenn Rom für alle Zeiten der Brennpunkt nnfcres Planeten sein sollte, mußten nicht nur die Monumente die Würde der Cäsarenstadt verkünden, sondern auch die Nuhbauten, soferne sie nicht von und für Einzelne, sondern für die urd8, für das Gemeinwesen als solches enlstandcn, mußten den Charakter der Uiwergänglichkeit an sich tragen. Zu diesem politischen Optimismus, der jeden Gedanken an die Möglichkeit des Unterganges ausschloß, gesellte sich noch eine Kurzsichtigkeit, die dem damaligen Stande der Wissenschaft entsprang. So wenig dem Römer ein Wechsel der geschichtlichen Verhältnisse denkbar war, so wenig ein Wechsel der Bedürfnisse des Gemeinwesens. Ein Anwachsen derselben wohl - und l3l darum diese beinahe unzerstörbaren Bauten — aber nicht cinc Veränderung derselben. Kurz, dic damalige Menschheit war weit davon entfernt, die künftigen Veränderungen der Lebcnsverha'lt-nisse und Lcbcnsbcdingungcn zu anlicipircn, wie es die heutige Menschheit vermag, deren naturwissenschaftliches Bewußtsein ihr die unendliche Perspective der Vervollkommnung technischer Wissenschaft und damit der Veränderlichkeit der Lcbcnsverhältnissc eröffnet hat. In dem Zeitalter der Naturwissenschaften hat die Menschheit einen anderen Vlick über die Welt gewonnen. Dieses naturwissenschaftliche Bewußtsein, der Gedanke von der Entwicklungsfähigkeit der empirischen Wissenschaften, ist selbst den grußartigsten unserer Unternehmungen, deu technischen Anstalten aller Art, aufgedrückt. Während der Römer für die Menschheit und für die Ewigkeit baute, bauen unsere Generationen für sich, für die jeweiligen Bedürfnisse, in der mehr oder minder bewußten Erkenntniß bloß provisorischer Nothwendigkeit, indem eine nicht allzufcrne Zukunft uns in die Lage versetzen werde, mit einfacheren und geringeren Mitteln das Gleiche zu erreichen, wenn nicht gar durch umwälzende neue Entdeckungen und Erfindungen unser ganzes Lebcn wieber in neue Bahnen gelenkt würde. Gesetzt deu Fall, cS wäre den Römern iu der Periode ihrer höchsten Macht die Erfindung des Telegraphen bekannt gegeben worden, nicht als ein Glied von mehreren in der naturwissenschaftlichen Erkenntniß deS Weltalls, sondern ohne jeden Zusammenhang mit den Entdeckungen, welche dieser vorausgehen mußten, — gesetzt diesen unmöglichen Fall, welchen zu besserem Verständniß anzunehmen gleichwohl erlaubt sein mag, ~ die Römer würde» ohne allen Zweifel die Erde nicht mit Tclegraphen-stangen bedeckt haben, sondern mit Telegraphenthürmcn von einer Dauerhaftigkeit, wie sie etwa die Pfcilcrreihen ihrer Aquädukte besitzen, ^ entsprechend ihrer conselvaliven Weltanschauung. Und !22 wäre ihnen dir Dauipsfraft besann! gewesen, so würdeil ihre Eisenbahndämme und Viadukte sicherlich noch hentc zn benutzen sein. Kurz, sic würden Vanten hinterlassen habe», wie wir sie selbst dann nicht aufführen würden, wenn auch wir statt des bezahlten 'Arbeiters noch Sklaven nnd Kriegsgefangene znr Verfügung hätten, das heisit, >venn selche Unternehmungen alich keine Geldfrage in sich schließen würden. Augustus rühmte sich, daß er Rom in eine Marnwrstadt verwandelt habe. Alle Monumente, die, er und seine Nachfolger errichteten, wurden mit dicken Marmorplatten bekleidet und mit Statuen aus Erz und Marmor in solcher Menge geschmückt, als nur architektonisch immer möglich war. Die Vefannlschaft der Römer mit der griechischen Kunst gab zu solcher Verschwendung hauptsächlich Anlaß, indem nicht nur aus Griechenland ein ganzes Hccr von Standbildern hinweggeschleppt wurde, aus Delphi allein lu'h Nero 500 nach Rom verbringen -- sondern auch die Römer selbst einen unbeschreiblichen, freilich meist nur nachahmenden Kunstsinn an den Tag zu legen begannen. Ein provisorischer, auf einmonatliche Verwendung berechneter, hölzerner Theaterbau des Aedilen Eeaurus barg eine Bühne, welche von ^W Marmorsäulen umgeben nnd mit ,'>00<) ehernen Bildwerken verziert war. In den Tempeln standen in großer Zahl Götterbilder aus Gold und Silber, die zum Theil eingsschmolzen wurden, als der Westgothenkönig Alarich vor den Mauern der Stadt erschien nnd den Frieden nm AM) Pfnnd Gold und 8000 Pfund Silber sich abkaufen ließ. Im fünften Jahrhundert noch zählte man in Rom 3785 eherne Bildnisse von Kaisern und berühmten Männern, welche, als du' Hauptstadt des Reichs nach Constantmopcl verlegt ward, durch Kaiser Constans in großer Zahl dorthin mitgenommen wurden. Was die öffentlichen Gebäude selbst betrifft, auf und in , l23 welchen dieses Hecr von Standbilder» stand, so ist der Ruin derselben den Päpsten und dcr Herrschaft des mittelalterlichen Fcn-daladcls ohne Zweifel mehr zuzuschreiben als den Einfällen dcr Barbaren. Das alte Rom war der Steinbruch des päpstlichen Roms, das sich zwischen den Rinnen ans der Kaiserzeit erhob. Um die Phantasie des Volkes vom (Mterkultus abzuwenden nnd diesen auszurotten, begann man mi! der Zerstörung der heidnischen Tempel, deren es gleichwohl noch unter den letzten Kaisern mehr als M) gab. Erst als das Christenthum entschieden dic Oberhand gewonnen hatte, schien es ungefährlich, die vorhandenen Tempel in christliche Kirchen umzuwandeln, und so Hal sick bei? spielsweisc das herrliche Pantheon erhalten. Das unersättliche Bedürfniß nach Kirchenbantcn, in welchem sich die Transcendenz des anbrechenden Mittelalters kund gab, wurde uur genährt dnrch die Leichtigkeit solcher Banten. Man verschmähte es, die nahegelegeilen Steinbrüche von Travertin^ und Peperinstein oder die entfernteren Marmorbrüche auszunützen. Granit-, Porphyr- und Marmorsäulen, meist ans Einem Etüetr und von außerordentlichem Umfang, Marmorgebälke nnd Kapilälc fanden sich sür den Bedarf von Jahrhunderten vor. Den nordischen Barbaren kann wohl zum Theil die Zerstörung der Monumente znr Last gelegt werden; aber sie förmlich abzutragen lag nicht in ihrcm Interesse, während andrerseits die Jahrhunderte hindurch andauernde Verwendung des naheliegenden und schon bearbeiteten Gesteins für Kirchen und Palastbauten nns gcnng-sain erklärt, warum wir vom alten Rom nur wenig mehr erblicken. Nicht ein Römer, sondern der Gothenkönig Theodorich ist es gewesen, dcr oen Gräneln solcher Verwüstung znerst Einhalt gebot. Nicht nur stellte derselbe die Bildsäulen nnd öffentlichen Monumente unter Aufsicht, soudern er wies auch noch besondere »24 Fonds zur Restauration derselben an. Im Gegensatze hiervon wurden diese Gebäude von den späteren Päpsten oft an Privatpersonen oder Kirchen eigenthümlich verliehen, während sie noch später geradezu herrenlos waren und sogar die Kalkgruben füllten. Dazu kam bald noch ciu weiterer Umstand. ?lls die bürgerlichen Zwistigfeitcu der adeligen Geschlechter Ron» verwüsteten, füllte sich die Stadt mit festungsartigcn Thürmen und Palästen. Da lag es denn sehr nahe, die noch vorhandenen römischen Bauten mit dem festen Gesüge ihres Gesteins geradrzn als Zwingburgen zu benutzen. Das Grab der Cäcilia Mctclla steht noch jetzt als Zeuge jener barbarischen Zeiten an der Via Appia außerhalb Roms. Der ursprüngliche Ruudbau von mehr als W Fus, Durchmesser wurde später von den Gaetani mit Zinnen versehen, zur Vertheidigung eingerichtet und zum Mittelpunkt einer Vesestigungs-anläge gemacht. Die Frangipani hatten das Colosseum als Vurg eingerichtet, die Pierleoni saßen im Theater des MareMis, die Capacci in den Thermen des Trajan, und das mächtige Geschlecht der Colonna im Mausoleum des Augustus uno in den Thermen des Constantiii. Unter solchen Umständen darf es uns nicht wundern, daß, dem fortwährenden Bürgerkriege dieser Geschlechter ein Ziel zu setzen, der Senator Brancaleone im dreizehnten Iahrhuudcrt Tempel und Thermen, welche als Zwingburgen dienten, zerstören und im Ganzen 140 antike Gebäude niederreißen ließ. So arbeitete iu einer Zeit, der jeder Kunstsinn abhanden gekommen war, Alles darauf hiu, das alte Ron» verschwinden zu machen und wie überall, so bedürfte es auch hier des verklärenden Nimbus ferne zurückliegender historischer Reminiscenzen, mit welchem späteren Enkelgeschlechtern die Ruine» Roms umwoben waren, um der pietätlosen Zerstörung allmählig Einhalt zn thun, womit «25 die Menschheit immer Monumenten gegenüber verfahrt, wenn diese gleichsam noch nicht historisch geworden. Soweit es den Römern selbst, troß all der geschilderten Processe, nicht gelang, das kaiserliche Rom zu vertilgen, haben andere Städte dazu beigetragen. Trotz unzähliger Kirchen, und Palast-banten konnte doch daS unermeßliche Material nicht aufgebraucht werden, daher denn von allen Seiten her der Bedarf an fertigen Säulen aus Rom bezogen wurde, wie es beispielsweise durch Karl den Großeu geschah. Manchmal nur ließ sich in jenen Jahrhunderten ein Schmer-zensschrei aus dem Mnnde hochgebildeter Männer vernehmen, alS das Zeitalter des Humamsmns anzubrechen begann. Aeneas Sylvius Piccolomini, der als Pins ll. den Thron der Päpste bestieg, suchte dnrch kirchliche und weltliche Strafen der weiteren Zerstörung Einhalt zu thun und in der Beschreibung der Alterthümer RomS ruft er schmerzlich aus: Köstlich ergötzt mich, Nom, zu blicken auf deine Ruinen, Deren Gotrnnnner den Nuhni goldener Zeiten enthüllt. Doch Dein Volk bricht hier die Bekleidung vom alten Gemäner, Brennt sich zn häuslichem Dienst Kalk auS dem Marmorqestein. Frevelndes Volk, wenn Du so dnrch drei Jahrhunderte handelst, Bleibet Dir taum ein Beweis Deiner berühmten Geburt! Mehrere Jahrzehnte später war es Rafael, der den Papst anflehte, den autiken Monumeuteu seineu Schutz zu verleiheu; aber noch lange Zeiten hindurch, ja bis Ende des siebenzehnten Jahrhunderts wurde von Zeit zu Zeit durch eingeborne Barbaren das Zerstörungswerk fortgesetzt. Sirtus V. schmückte mit den Säulen des berühmten Septizoniums, das er zerstören ließ, den Petersbom, Paul V. ließ den Tempel des Newa abtragen, Urban VIll. entnahm dem Gebälke der Pantheousvorhalle 400,000 Pfund Bronce, um Kanouen für die Engelsburg zu 126 gießen, und noch Ende drs siebenzehnten Jahrhunderts ließ Mranber VII. den Triuinphbogen des Marc Aurel zerstören. Gewiß, die nordischen Barbaren haben in Ron« große Verwüstungen angerichtet; aber Niemand besitzt wrniger Recht, sie darum anzuklagen, als vie Römer, welche sie noch nbertroffen haben. Solche Anklagen höreil sich mit demselben Mrichmmhe an, wie etwa die Schmähungen der Franzosen über die Barbarei deutscher Kriegführung, die nicht anstand, sogar das „heilige" Paris zu beschießen, — jener selben Franzosen, die noch 1849 trotz aller Proteste sich nicht besannen, nach gebrochenem Waffenstillstände die unendlich ehrwürdigere Stadt Rom zu bombardiren. Schneller als das kaiserliche Rom in Trümmer fiel, sind die mittelalterlichen Paläste, Bnrgcn und eine große Anzahl von Kirchen untergegangen, —- ein sprechender Beweis für die monumentale Banweise der Römer. Die Hälfte der früheren Basiliken und Kirchen war beim Anbruch der Renaissance schon zerfallen, und so tragen diejenigen Bauten, welche sich nächst den römischen aus alter Ieit erhalten haben, schon den Charakter jener Kunst-periooe, welche in architektonischer Beziehung durch Vramante nnd Michel Angelo inangurirt wurde. So ist die Kluft zwischen dem kaiserlichen Rom und dem Rom in der Periode feiner höchsten Blüthe nntcr den Päpsten für den Blick des Fremden nur durch wenige Ucberreste von Mancrn nnd Thürmen ausgefüllt, die man ohne Bedauern vollständigem Ruine entgegengehen sieht. Wir sehen also das weile Trümmerfeld des allen Roms fast ohne historische Bindeglieder umgeben von der modernen Stadt, in welcher die zahllosen Kirchen gleichsam versteckt liegen. Einer jeden derselben einen günstigen Platz anzuweisen, ging nicht nur ihrer Ueberzahl wegen nicht an, sondern schien bei den meisten gar nicht im Bedürfnisse ihrer Baumeister und des Zeitalters zu liegen. So kommt es, daß nur wenige derselben in die Weite 127 wirken und daß man auf die umliegenden Höhen sich begeben mnß, nnl nnr an das Rom der Papste gemahnt zu werden. Dann freilich sieht man nicht nur innerHall' des weite» Planes der Stadt selbst, sondern anch außerhalb ihrer früheren Mauern nn-zählig die Thurme und Kuppeln mit den Kreuzesspitzen anfragen, beherrscht von der gewaltigen Knppel des Prtrrsdomes. Steigen wir aber wieder hinab und wandeln durch die Straßen, so entziehen sich nicht nur die Kirchen unseren Blicken, sondern auch von diesen abgesehen bemerken wir nichts, was irgendwie drastisch daran mahnte, daß wir in der „heiligen" Stadt uns befinden. Keine Processtonen, fein Geläute, keiu kirchliches Gepränge, und während man vielleicht gedacht hat, Schaarcu von Geistlichen und Mönchen zu begegnen, wird nnr dann und wann Einer sichtbar, der höchstens durch ausfallende Tracht sich bemerk-lich macht. Manchem, der Rom nennen hört, schweben hohe Dome vor, die von Weihrauch umhüllt werden, während Hymnen in die Lüfte dringen und Fahnen, langen Zügen vorangetragcn, iu feierlicher Vauschung flattern; aber er würde sich arg cnt-tänscht sin den. Gs läßt sich nicht leugnen, daß Rom an derartiger Poesie in Folge deS neuen Regiments (Kiniges eingebüßt hat; andrerseits aber stimmen die Vorstcllungcu von Nom, womit die Menschheit sich trägt, schon längst nicht mehr mit der Wirklichkeit übel"-ein. Manch Einer, der in seiner Heiiuath nur die sündige Welt zu erblicken vermag, flüchtete in seiner Phantasie nach Nom, von dessen religiösen Feierlichkeiten und gottcsdienstlichcm Pompe er so oft gehört, lind dichtet sich dazu eine von entsprechenden Gefühlen durchdrungene Menschheit. Davon ist aber ganz und gar nicht die Rede. Pomp und Feierlichkeiten sind geblieben, aber sie sind hcnle nnr mehr von ostentativer Bedeutung. Die Menschheit ist eine andere geworden, sie ist hier wie überall; mehr noch, 128 sie ist hier, wenn nicht kirchenfeindlicher, so doch papstfeinblicher und läßt sich in Theatern nur gegen Nufe der Abneigung an Kirche nnd Papst erinnern. Zum dritten Male geboren erscheint uns jetzt Rom als moderne Hauptstadt des geeinigten Königreichs. Fast mit Stimmen-encheit haben die Wähler der Stadt, nachdem die Bresche an der Porta Pia geschossen war, der neuen Ordnung der Dinge sich angeschlossen. Welche Rolle die Stadt in dieser Gestalt spielen wird, hängt nun von der politischen Machtstellung ab, welche das römische Volk zn erringen die Kraft haben wird. Die nene Aera ist noch zu neu, als daß sie der Stadt schon ihren Stempel aufgedrückt hätte, und bis sie es gethan haben wird, werben viele Jahrzehnte vergehen; denn der Aufgaben, welche vorzunehmen sind, gibt es nngemein viele. Darnm vermag Rom den Anforderungen, mit welchen wir an die moderne Hauptstadt herantreten, nicht entfernt zu genügen. Selbst sehr bescheidene Erwartungen werden sich hier enttäuscht finden. Gleich den Kirchen finden sich auch die schönen Paläste in unerfreulicher, oft von Schmutz starrender Umgebung. Im Nebligen noch ein Gewirre von krummen Gassen, durchschnitten von den langen aber schmalen Hanplstraßen — das ist die neue Hauptstadt, die nur in Einer Hinsicht alle anderen Großstädte übertrifft: durch die Menge und Prachtseiner Wasserleitungen und Fontaineu. Doch ist mit Sicherheit zu erwarten, daß unter der Leitung einer ordentlichen Regierung die Hauptstadt des Reiches bald ein ihrer Stellung würdiges Aussehen erhalten wird. An Projekten jeder Art fehlt es nicht; aber der leidige Geldpunkt verzögert die Ausführung. Eiu Plan, von welchem für die Modernistrung der Stadt am meisten zu hoffen ist und welchen in Angriff zu nehmen in sanitärer Hinsicht höchst nothwendig erscheint, ist die Regulirung des Tiber unter gleichzeitiger Anlage von Quais an 129 beiden Ufern. Zwar wirb dadurch Rom eines Stückes malerischer Schönheit beraubt werden, aber solche Bedenken köuuru nicht aufkommeu gegeu den uuberechenbaren Schaden, den die Ueber-schweinmungen dieses Flusses beinahe alljährlich anrichten. Aber diejenige Frage, von deren Lösung nicht nur das moderne Aussehen, sondern geradezu die Lebensfähigkeit der Stadt Rom abhängt, ist die Cultivirung der Campagna, jener baumlosen, öden Flache, aus welcher Rom wie eine Insel aussteigt. Niugs um die Stadt bis an die fernen Linien der dunkelblauen Berge dehnt sich die Ebene, durch die Ueberschwemmuugen des Tiber und Anio theilwcise in Sumpf verwandelt. Die Campagna ist es, welche die berüchtigte Malaria ausbrütet, jene lödcliche Fieberluft, welche die ganze Landschaft um Rom, auf der im Alterthume Städte blühten, entvölkert und zum Weideplatz für Büffel- und Rinderheerden gemacht hat. Das Schicksal Roms häugt von der Verbesserung der Campagna ab; denn es ist klar, daß das Besteben einer Stadt in solcher Umgebung mit der Zeit zur Unmöglichkeit würde. Cine halbe Stunde vor dem Thore liegt die Kirche 8. ?Mo fuoii 1a mura, was Ausdehnuug und Pracht des Materials betrifft, eiue der imposantesten Kirchen. Das dazu gehörige Venedielinerkloster kann während des Sommers nicht bewohnt werden, so sehr macht sich in solcher Nähe der Stadt die Ficberluft geltend. Solcher Punkte gibt cS viele riugsum und Rom selbst wird währeud des Sommers vou Fremden uud einem Theile der Eingrbornen verlassen. Ms bedeutsamste Mahn-zeichcn aber, welche Folgen die Vernachlässigung der Campagua im Verlaufe der Zeiten haben würde, stehen nördlich wie südlich von Rom die Ruinen einst stark bevölkerter Städte. Auf einem Hügel am Arrone liegt Galera, welches Anfangs dieses Jahrhunderts der Malaria wegen von seinen Bewohnern verlassen wurde. Uud in der Nähe des Volskergebirges zrigeu sich die du Pr«l. Unter Tannen und Pinien, l) 130 verlassenen Trümmer der Stadt Ninfa, mit ihren Kirchen und Klöstern halb im Sumpfe begraben. Einst mit !9,lM Einwohnern bevölkert, wnrde auch diese Stadt im 14. Jahrhunderte den Elementen und der Malaria preisgegeben. Die eingehenden Untersuchungen, welche die neue Regierung der Eampaguafrage zuwendet, beweisen, daß man die Gefahr klar erkennt, welche die Fortsetzung der bisherigen Wirthschaft mit sich bringen würde, bei der wohl kein anderes Ende sich ergeben hätte, als der Anblick der „ewigen" Stadt, die menschenleer in der Campagna stehend, von Epheu lind Schlinggewächsen überwuchert, allmählig iu die Erde gesunken wäre. X. Am n stirnarli^ gcn Vorsprlinq dcs anstcigcndcn Ufcrs licgcn dichtgcdra'ng« die Häuser von Rcmi, überragt von eincm millelaltcrlichcn Rund-tluninc der Orsini, die mist dicscn Punkt zum Castcl eingerichtet hatlcn, das ihnen noch jetzt als Landaufenthalt dient. Dic Böschungen dcö Kratcrs, dic zicinlich stcil grgcn dcn Sccspicgcl sich scnkcn, habcn längst das Waldesdickicht vcrlorcn, von dcin dic röinischcn Dichter wisscn. Die Kastanirnbäninc, mn dcrcn nacktc Zwcigc sich dcr Ephcn railkt, dic iittincnpnncn Slcin-cichcn, dic, i»i< Oclbannicn adwcchscind, zwischen nicdcrcm Vusch-wcrl dcr Bllchc stchcn, gcbcn nnr cinrn gcringcn Ersah sür den chcinaligcn dnnklcn Hain dcr Diana, dcil dic Göttin langst vcr-lassen, in ticfcrcm Dickicht sich zn bcrgcn. ltcdcr dic Cyprcssrn auf dcr Gartcntcrrassc dcs Schlossts Orsini hinwcg blickcil nnr znm Scc hinab. Dic Windc, wclchc ndcr dic hohcn Kratcnvändc wcgstrcifcn, errcichcn und lrüocn scincil Epikgel nicht und nnr manchmal vcrfänql sich cin Windstoß, dcr dic Flnth kransclt, odcr Grnppcn voil Wildcittcil lasscn dcn Scc ei-glitzcrn n»d zichcn lange Linicn dnrch dic sonst unbewegte Fläche. Die User dcS Scc's, schilfgcläilint, zcigcn feine Ansiedelungen oder Landhäuser, wie man es l^i scincr Berühmtheit und dcr Nähc Noins crwar^ tcn sollte. Ncnii rinrrseits und gerade gegenüber das prächtige Städtchen Genzano, ebenfalls hoch nbcr dcm Eec am Randc des Kraters gclcgen, sind dic cinzigcn bcwohntcn Oltc, dic wir von der Veranda aus crblickcn. Hinler Gcnzano steigt noch aus dcr Ebene herauf der Monte due Tom, dcsscn Kuppe, von einem mittelalterlichen Wartthurmc gcfrönt, noch nbcr dem Kessclrandc sichtbar wird. Weiterhin abcr schwcift dcr Blick ungehemmt über die vcrblancndc (5benc dcr Campagna hilnvcg an's Mcer und über das Mcer bis zum Horizonte. Meist liegt es wie cin Schleier über der Campagna, daß wir nnr an dcn langen Rauchstreifen, n« welche den darüber streifenden Winden sich hingeben, erkennen, wo bewohnte Pnnkte sich finden. An solchen Tagen ist auch die Linie des Mceresusers kaum zu unterscheiden nnd die endlose Fläche des Meeres bis zum Horizonte ist nur um eine Nuance heller als die blaue Campagna. Anders, wenn dic Luft vollkommen rein nnd ein wolkenloser Himmel vorhanden ist. Dann rnft das Tagesgestirn Reaktioneil von nie gesehenen Farben ans der Ebene wie auf dem Meere hervor. Schon Vormittags beginnt dann, während der Nemisec tiefblau erscheint, das ferne Meer eine schwefelgelbe Farbe anzunehmen. Die Entfernung bis zur Küste' beträgt 15 Miglien; aber trotz derselben ist es, wenn die Sonne senkrecht darüber steht, dem Ange nicht mehr möglich, auf der Wasserfläche zu verweilen, welche das grellste weiße Licht ausstrahlt. Denn die geringe Höhe unseres Standortes läßt nns die Fläche in horizontaler perspektivischer Verkürzung sehen nnd diese wiederum bringt die perspektivische Verdichtung der Millionen von Lichtpunkten hervor, welche anf den Gewässern tanzen, — ein Glanzeffekt, der an Intensität noch den von sonnenbeschienenen Eisfeldern auf hohen Bergen übertrifft. Erst wenn die Strahlen der Sonne wiederum schief zur Mecresfläche stehen, nimmt diele die gelbliche Färbung wieder an, die mehr uud mehr, im Verhältniß a!s das Gestirn sinkt, in's Nölhlichc übcrgeht, bis endlich bei Eounennntergang hinter den rothbraunen Tinten auf der Campagna .das Meer gleich einer purpurnen Wolke flammt. Besser noch, als von der Veranda in Nemi ficht man diesem Schauspiele zu von den Schafweibe» aus, die im Nordosten des Städtchens sich erheben uud den Ueberaang zu dem Gcbirgsstocke des Monte Cavo vermitteln. Dort ist die Uebersicht über Eam- 137 pagna und Meer noch umfassender, der Blick nach allen Seilen ungehemmt. Steigen wir dagegen östlich hinter Nemi hinan, so umfängt uns eine ganz andere Scene. Die Echlncht, durch die wir vorerst schreiten, liegt fast noch in den Fesseln des Winters; einc scharfe Alpcnluft strömt uns entgegen. An den Felswänden liegt locker angelegt die durchsichtige Eisschichte, zwischen welchen und dem Felsgestein wir das Wasser abwärts sickern srhcn, bis der mittägige Sonnenstrahl daran zu spielen beginnt, und, indem er mancherlei Faibenspirle erzeugt, die Visdecke abträufelt. Wo aber die Sonne nicht hinzudringen vermag, unter den Gewölben in die Schlucht überhängender Felsen, da hat das durch das Gestein sickernde Wasser lange Eiszapfen gebildet, die wie Tropfstein-gcbilde von der Decke hängen. Weiter hinanf, wo sich die Schlucht oben öffnet, dehnt sich eine allseitig von mäßigen Bergen begrenzte Hochebene, auf der zwischen Weidegründcn röthliche Buchenhaine liegen, hohe Ginstrr-büsche stehen und unter der vollen Herrschaft der südlichen Sonne, die uns hier warm begrüßt, die ersten Echlcedorn-blmhen sich zeigen. Wir sind hier einsam mit den Lerchen, die hoch über uns, aber ungesehen vom Ange, den Frühling begrüßen. Allseitig ist der Blick wohlthätig begrenzt. Zur Linken steigt die angenehme Linie des Bergrückens, der sich zum Monte Cavo fortsetzt, mäßig hinan, und erst indem wir weiter vordringen, ragen plötzlich von weilher einige beschneite Wipfel der Abruzzen in die Hochebene herein.- Derart sind dic Seenerieen, zn deren Betrachtung uns ein längerer Aufenthalt iu Nemi Gelegenheit bielct. Das Städtchen selbst freilich gewährt dem Fremden durchaus nicbts. Es ist nichts Weniger als einladend und wir dürfen mit nnserem gerechten Tadel dcs Tadelnswerthcn um so weniger zurückhallen, als er keines- 188 wegs speziell Nemi betrifft, sondern die ilakemschcn Orte u>ld Städte im Allgemeinen, wie man sic allenthalben trifft und welche in der ^tahe besehen sich durchaus anders präsentirc», als nian in der Heimath sich vorgestellt. Die griechischen Philosophen verlangten vom Künstler, daß er die Natur nicht sklavisch kopire, sondern daß er sie künstlerisch modisizire, dcil Ideengehalt in ihr herauskehre. Sic forderten von ihin, daß cr nicht die Wirklichkeit darstelle, sondern „das ^erciniHtc Bild dcr Wirklichkeit" mit Ausschluß allcr störenden „Zufalligkeitcll". Wenn diese Reinigung der Wirklichkeit irgendwo dem Künstler geboten ist, so ist cS in Italien. In illustrirten Reisewerkcn und hinler den Schaufcustcrn haben wir die appetitlichen, reinlichen Kupferstiche vor Augen, die uns ein Eben in der italienischen Landschaft erwarten lassen. Lernen wir aber die Wirklichkeit kennen, so sehen wir erst, wie sehr in jenen Bildern dcr Reinigung der Wirklichkeit dnrch Hiuwcglassung aller Zufälligkeiteil von Uurath jeder Art Rechnung getragen wurde. Es ist die Regel für alle italienische Ortschaften, daß sie von Schmutz förmlich starren, ja selbst von größeren Städten sind nur die vor> uehmrre» Vierlei hiervon auszunchmen. Die Straßen scheinen niemals dic Bekanntschaft eines Kehrbesens zu machen, Küchen abfalle werden zu den Fenstern, der Kehricht zu den Hausthüren hinausgeworfen und bleibt sodann auf der Etrasic liegen. Nimmt sich ja Jemand die Mühe, damit aufzuräumen und die Straße zusammenzukehren, so läßt er es doch in einem Winkel beisammen, bis der nächste Regen die Sache wieder hübsch auS> cmander breitet. Im Winter läßt sich solches noch einigermaßen ertragen, an heißen Eommertagen aber siudcn wir dir Luft solcher Orte förmlich verpestet. Hiezu kommt noch ein Anderes, was nichts weniger als zum Ideengehalt der Wirklichkeit gehört, aber seiner Natur nach der Besprechung sich entzieht. 139 Gewisse Gewohnheiten der Ilaliencr sind um so empörender für unser Rcinlichkcitsgesühl, als sic allsnahmslos überall gepflogen werden, und nicht Jeder mag den Humor aufbringen, mit wel> chcm Gölhc in seiner italienischen Neise scin bezügliches Erlebniß aus Torbole berichtet. Dieser Umstand wird manchem Reisenden einen längeren Anfeuthalt auf dem Lande vergällen. Hierzu somml aber noch ein anderer, der sich zur förmlichen Landplage gesteigert hat: dic allgemeine Bettelei, die von Alt und Jung ohne Unterschied ausgeübt wird. Am Schlüsse weniger Tage schon wird man glauben, nun bereits von sämmtlichen Ortöeinwohnern angebettelt worden zn sein, und sicherlich ist die Anzahl derjenigen, welche es unterlassen, die wcilaus geringere. Anfänglich wird man hoffen, sich loskanfen zn können, indem man Einein etwas gibt; aber weit davon entfernt siud von diesem Augenblick au die Anderen crst recht nicht mehr loszubnngen. Bis weit über das Dorf hinaus wird man von den Wehklagen verfolgt. Es nützt nichts, von der Landstraße abzugehen nnb die Fußwege durch die Büsche einzuschlagen; der Eine oder Andere hat immerhin die Geduld, anch dahin dem Fremden zu folgen - was hat er anch zu versänmrn? —, bis schließlich anch er am Erfolge verzweifelt imd mit einem Gestöhne nmkelnl, als bleibe ihm uuu uichts übrig als zu sterben, da man ihm die kleine Kupfermünze verweigert, die ihn allerdings zufrieden gestellt hätte. Es heißt, daß auch in Italien, gleichwie in anderen Ländern, polizeiliche Vorschriften gegen dcn Vettel bestehen sollen. Daran ist schwer zu glauben, jedenfalls aber würde daraus hervorgehen, daß polizeiliche Verordnungen in diesem Lande ohne alle Bedentung sind. Zum Maßstabe des allgemeinen Elends diese Bettelei zn nehmen, wäre gleichwohl verfehlt. Sie kommt theilweise auf Rechnung des blosien Müssiggangs und der Spc- 140 kulation der Bevölkerung, die für die Abhaltungsgründe der Scham ganz unempfänglich ist und es für sehr unpraktisch hielle, einen Fremden ungerupft dnrchzulassen. Gleichwohl ist in Italien mehr wirkliche Armuth zu finden, als in irgend einem anderen der civilisirteu Staaten, und was das Schlimme ist, eS ist dem nicht leicht abzuhelfen. Denn dem Italiener ist die Arbeitsscheu angeboren, das Nichtsthun in einem für uns unbegreiflichen Grade ist seine zweite Natur geworden und er hat in sich um so weniger ein Correctiv hiefür, als er im höchsten Grade genügsam ist. Seine Nüchternheit ist bekannt, und es wird selbst bei längerem Aufenthalte im Lande dem Fremden schwer werden, je einen Betrunkenen zu scheu. Betrachten wir uns beispielsweise, wie es iu Nemi im Fa-milienhanshaltc zugeht. Der Mann wirthschaftet in der Küche, d. h. ohne Kochlöffel und mit einer lächerlich bescheidenen Anzahl von Requisiten und Manipulationen bereitet er in Töpfen an offenen Kohlen die im Allgemeinen sehr phantasielosen Mahle der italienischen Küche, wobei das Hauptgewicht auf der Minestra — einem Mittelding zwischen Gemüse und Suppe — liegt, die mit Hülfe unzähliger Veimischuugen zu Stande kommt. Die Frauen machen sich mit Kindern oder häuslichen Arbeiten zu schaffen; waS aber, vom Padrone abgesehen, an jungen Leuten und Männern im Hause ist, das führt einen Müssiggang, bei dessen bloßem Anblick man gähnen muß. Der Eine sitzt möglichst verreukt auf einem Stuhle, der Andere liegt auf zwei oder mehr Stühlen, Mantel und Hut auf der Bank bedecken einen Dritten, von dem man aber Stunden lang nichts ahnt, weil sich der Kleiderpack nicht gerührt hat. Manchmal wirb dann gewechselt, oder es geht Einer hinaus, um abwechslungsweise auf der Piazza herumzulungern, die der Versammlungsplatz aller dieser Faullenzer des OrteS ist. Aeltere Männer lassen sich auf 141 der Straße sitzend von der Eonne bescheinen und indem sie zeilenweise den Stuhl nm ein Haus weiter rücken, gelangen sie mit Sonnenuntergang glücklich vor ihre Wohnung. Einen Menschen etwa mit einem Buche zu sehru gelingt auch dem schärfsten Späherauge nicht. Auch Zeitungen liegen nirgends auf. Wozu auch, da sie ja doch Niemand lesen könnte? Alles, was ich an gedruckten Sachen in Nenn zu Gesicht bekam, war ein Kalender nnd ein gedrucktes Verzeichniß von philosophischen Thesen. Der Kalender führte den Titel: „ttii aioarii äolis stsiis äsi kawoLo ggti'onoino, Ü8100 6 oadaiisw Lkrdankrn.." Der Perfassn, dessen beturbanten Kopf wir von Planeten und Cometcn um-schwärmt auf dem Titclblattc sehen, legt besonderes Gewichi darauf, den Leser mit den hohen Festtagen und der geistliche!! Hierarchie bekannt ;u machen. Das „»acro colisßio" ist natürlich namentlich aufgeführt. Auch was von so hochwichtigen Dingen abgesehen den Menschen zu wissen allenfalls noch nöthig ist, finden wir, nämlich eine Anleitung, das große Loos zu ge-winncn, und im Zusammenhang mit den Witterungsnachrichten die entsprechenden, daraus resultirenden politischen Weissagungen, etwa uoch die Angabc der Tage, an welchen mit Glück gcheirathct werden kann. Die Prophezeiungen sind bescheidener Weise höchst allgemein gehalten, z. B.: „Räuberbanden wcrden ernstlich von sich sprechen machen" — was in dem gesegneten Italien für jeden Monat mit großer Ruhe vorhcrgesagt werden kanu. Das audere Schriftstück, die philosophischen Thesen eines Theologen, ist noch aus der Zeit der päpstlichen Herrschaft. Geschmückt ist die Tabelle mit dem Bildnisse der heiligen Catharina. Damit im Einklang stehen denn auch die Theseu, bezüglich welcher es genügen mag zu sagen, daß allen einigermaßen vernünfti- !42 gen Anschauungen der Philosophie gegenüber der Doclorirende ein „omnino !'6MiniU8, nunqu^m aämittimus 6to.^ entgegenstellt. Man könnte es beinahe für ein Glück halten, daß die päpstliche Regierung die Menschen aufwachsen ließ wie die Kräuter und daß sie für Schulunterricht keinerlei Sorge trug; denn was ihnen zu lesen geboten worden wäre, hätte sie doch nur unwissender gemacht. So lassen sich die Köpfe wenigstens mit einer ^^-Willi rasa. vergleichen, die beschrieben werben kann, ohne vorher abgewischt werden zn müssen. Freilich läßt anch die neue Regierung mit ihren bezüglichen Maßregeln ans sich warten. Wenn man so - um zurückzukommen — den Italiener sich abmühen sieht, den Tag todtzuschlagcn, so fragt man sich verwundert, warum er nicht wenigstens spazieren gehe. Denn in der That, das Faullenzen in der Form eines Spazierganges, das „Bummeln", kennt er nicht. Und dies ist eine um su unbegreiflichere Eigenheit, als Klima und Gegend soviel Aufforderung hiezu enthalten. Nie begegnet man auf Fußreisen einem Italiener, der zu seinem Vergnügen den Wauderstab in die Hand genommen hätte; nie, wenn man in den Umgebungen der Ortschaften schlendert, Einein, der gleicherweise nur Erholung suchte. Seine Schritte sind nie ziellos, und wenn er ja in die nächste Ortschaft geht, so geschieht es nur, um dort Geschäfte abzumachen. Es ist in hohem Grade merkwürdig, daß ein Volk dnrchans ohne landschaftliches Interesse in eben dem ^ande dahinlebt, das auf die Fremden eine so mächtige Anziehungskraft ausübt. Und doch ist es so. Der Italiener hat für die Natur als solche keiuen Siun, ja er ist ihr entschieden feindselig, wie sich aus mancherlei kleinen Anzeichen erkennen läßt, während andrerseits die Anlage der zahlreichen Villen mehr dem Sinn für äußeren Prunk und Gesundheitsrücksichten zugeschrieben werden mögen. Im Allgemeinen entgeht in Italien der Art nichts, außer den Nntzbäumen. Eben jetzt wieder werden bei 143 Neun ganze Bergkuppen, luit halbgewachsenen Bäuuieu bedeckt, cntholzt, und die schönen Ufer des See's, wo Jeder mit dem Gartenmesser das Bündel Holz zusammenschneidet, um es seinem Esel aufzubürden nnd nach Hanse zu schleppen, tragen fortwäh-rend die Spnren solcher Verwüstungen. Man sieht aber auch überall die Weider, ihre kleinen schwarzen Schweine an der Leine führend, in den Gebüschen hernm kriechen, um ihren Hausbedarf an Brennmaterial Tag für Tag zn holen. Es ware nicht schwer auch in der Literatur nachzuweisen, daß der italienische Lyriker nicht entfernt im Umgänge mit der Rann jene intimen Beziehungen gefunden hat, wie sie etwa das deutschc Lied enthält, und dieses beweist uns, daß wir es hicr nicht mit einer zufälligen, vielleicht nur ausnahmsweise zn treffenden Eigenthümlichkeit des Polkscharakters zn thun haben, sondern gerade mit einer allgemeinen, sehr ausgesprochenen Seite desselben; denn mit Recht sieht man im Dichter den geistigen Typus des Volkes, gleichsam ein verdichtetes Individuum. Vei oberflächlicher Betrachtung scheint uns dieser so mangelhaft ansgebildete Natursinn des Italicners eben darnm so unbegreiflich, weil wir in einem an Natnrschönhciten so reichen Lande gerade das Gegentheil zu erwarten geneigt sind. Sehen wir aber näher zu, so werden wir eben in diesem Reichthum die Erklärung wenigstens thcilwcise finden. Denn wenn der in Italien weilende Fremdling von der Natur des Landes entzückt wird, so bernht dies auf Anlegung des nordischeil Vergleichungsmaßstabs. Wao ihm in der nordischeil Heimath bei dem energischen Wechsel der Jahreszeiten und den Extremen, worin sich diese bewegen, von der Natnr nur für eine kurze Zeitspanne des Jahres geboten wird, das findet er m Italien durch das ganze Jahr. Das Erwachen des Frühjahrs nach monatelanger eisiger Erstarrung, die Entfaltung des Sommers und bann wieder das Absterben aller Vcge- 144 tation, ^ kurz der gauze Prozeß, in welchem uns die Natur ihre Reize nur für eine geringe Zeit deS Jahres enthüllt, muß uns eben darum empfänglicher hicfür erhalten. Die Natur Italiens kennt solche Ertrrme nicht; sie ist üppiger, aber leidenschaftsloser, als die des Nordens und der italienische Winter, der eben nur vcthältnißmäßig ein Winter genannt werden kann und keine Sehnsucht nach der schönen Jahreszeit dein Bewohner deS Landes erweckt, frischt ihn» auch die Genußfähigkeit nicht auf, welche unsere Heimath, gleich einer spröden Geliebten, eben bei spärlichen Guustdezeugungen uns bewahren läßt. Diese Erklärung italienischer Vlasirtheit gegen die Natur aus dieser selbst ist nuu freilich nicht ausreichend und verlangt allerdings eine ergänzende Erklärung durch Race-Cigenthümlichkeiten; denn beispielsweise finden wir in den Natnrschildrruugru der süo-slavischeil Völkerschaften, die doch unter gleichen klimatischen Verhältnissen leben, wie Italiener, einen geradezu dänwuischen Pautheis-inus, wie er unter deutschen Dichtern nur etwa bei Lena» zn trrffen ist. So zeigt sich anch hier an dcm Beispiele des Italieners in seinem Verhältniß zur Natur, daß wir sehr oft in stch Widersprechendes verlangen, wenn wir mit uusereu Wüuschcn in fremde Sphären binnbrrgreifen; denn der Germane, der Italiens Bewohner um die landschaftlichen Reize ihres Vaterlandes beneidet, würde vielleicht ü» Besitze dieser Reize bald des Eeelcnzustan-dcs beraubt werden, welchem dieser neidvolle Wunsch entspriugt. XI. Uömische Ausgrabungen. Iliani for to via sacra. Horatiiis. Die effektvolle Phrase von Städten, die vom Erdboden verschwunden seien, entspricht mehr einer poetisch-melancholischen Phantasie, als der Wirklichkeit. Selbst noch so schwere Schicksale, wie sie die Geschichte über die Brennpunkte der alten Kulturen verhängt hat, sind nicht im Stande gewesen, solche vom Erdboden zn vertilgen. Es liegt vielmehr gerade in ihrer theilwcisen Zerstörung die Ursache ihrer relativen Erhaltung. Eine Stadt, welche, ohne von schweren Schicksalsschlägen getroffen zn werden, die friedlichen Schwankungen ihres Ausschwungs, ihrer Blüthe nnd ihres Verfalls durchlebt, wird sehr langsame, aber beständige Umwandlungen der äußeren Gestaltung erfahren, sie wird jeweilig ihr Gewand aus früheren Zeiten abstreifeil und durch ein modernes ersetzen, so daß ihre Monumente nicht weit in die Jahrhunderte zurückverweisen. Anders jene Städte, über welche großartige Katastrophen hereinbrechen, welche oft topographische Verschiebungen, plötzliche und langandauernde Hemmungen der Entwicklung zur Folge haben, wenn nicht gar die Geschichte solcher Städte mit Einem Male abbricht und die Ruinen derselben ihrem Schicksale überlassen bleiben. In solchen Fällen du Prel. Unter Tannen und PUncn, ^0 I4N lagert sich der Schutt der Zerstörung als schützende Decke um die theilweise erhaltenen Monumente, überzieht sie allmählig mit Humus und Gras und so werden ost späteren Geschlechtern er-staunenswerlhe Ueberreste erhalten, welche gerade bei günstigeren Geschicken nicht gerettet worden wären. So wird die fortwährende Mobernisirung, archäologisch genommen, zur fortwährenden Ver-nichtuug, dagegen audere Städte, deren Lebensfaden mit Eiucm Male abgeschnitten worden, als Petrefakten der Kulturgeschichte erhalten bleiben. So Ninive, Troja und Carthago, und so auch theilweise das alle Rom. Ein bedeutender Theil der ehemaligen Cäsarenstadt konnte durch einfache Hinwegrämmmg der jetzigeil Bodeuschichte bloßgelegt werben, weil ihr ehemaliger Plan nicht entfernt von der jetzigen Stadt ausgefüllt wird. An manchen Stellen dieser Ausgrabungen begreift man kaum, wie die atmosphärischen Niederschläge uud die Zerbröckelung der Monnmcnte eine Schichte von so bedeutender Dicke übcr das alte Nom legen konnten, dessen Plan mehrere Meter unter der jetzigen BodcnfiMe liegt. Es zeigt sich hier, daß die modernen Städte, geometrisch genommen, nicht die Stelle der alten einnehmen, sondern daß die Geschichte derselben höher uud höher über der früheren Fläche vor sich geht. Es ist iu Bezug auf die Ausgrabungen in Rom ein glücklicher Znfall, daß gerade über den interessantesten Theilen der alten Stadt feine neuen Bauten sich erhoben haben, daß man demnach gerade dort ansetzen konnte, wo der Mittelpunkt römischen Lebens war, nämlich am ehemaligen Forum zwischen dem kapitolinischen und palatimschen Hügcl. Wir wissen nun freilich, daß auch seitwärts vom ehemaligen Forum durch Cäsar, Augustus, Nerva und Trajan Plätze angelegt wurden, um welche sich die herrlichsten Gebäude und Tempel erhoben. Aber die Stadttheile, welche jetzt über diesen liegen, hindern, die Ausgrabuug.cn weiter l47 auszudehnen und nur vom Tajanischen Forum konnte ein geringer Theil bloßgclegt werden. Wer durch diese unreinlichen Stadtlhcile wandelt uud z. B. vom ehemaligen Forum des Nerva das Bruchstück des Minrrvatemvels erblickt, dessen zwei foriuthische Säulen lauin zu halber Höhe ans dem Voden ragen, aber ein Fries mit herrlichen Reliefs tragen — eS sind die häuslichen Künste uuter dem Schutze der Göttiu dargestellt — der wird die sllmmarischeu Absichten derjenigen Altcrthmnsforschcr einigermaßen begreifen, welche keinen Anstand nehmen würden, das neue Rom abzutragen um das antike aufzudecken und als eiu anderes Pompeji in der Eampagna stehen lassen zu können. Das Forum des Trajan, einst ein Wunderwerk römischer Baukunst, liegt mm zu eiuem genügen Theile ausgegraben in kesselförmiger Vertiefung vor uns. Von den Gebäuden und Hunderten von Säuleu derselben steht nichts mehr. Nur von der ehemaligen Basilika Ulpia sind noch in Doppelreihen einander gegenüberstehend je 2l) Säulcnstümpfc aufgestellt. Fragmente von anderen, theilweise von erstaunlichem Umfang, liegen über dem Boden verstreut. Eines der schönsten Monumente aber hat alle Katastrophen überdauert: es ist die Triumphsäule, welche der Senat und das römische Volk Trajan gesetzt haben. Das mächtige Postament bildet zugleich das Grabmal des Kaisers. Darüber erhebt sich der hohe dorische Säulenschaft, von unten bis oben bedeckt mit Marmorrcliefs, welche spiralförmig sich hinaufziehend die Thaten des Kaisers im Feldzugc gegen die Sarmatcn und Darier darstellen. Wir sehen das Heer auf der geschlagenen Schiffbrücke über die Donau ziehen, die Feier der Opfer, den Kaiser selbst, wie er das Heer anfeuert, Stürme, Schlachten und den endlichen Sieg. 25l)l) lebende Figureu bedecken so den Säulen? schaft. Es mag darüber gestritten werden können, ob eine solche Uebersülle bildlicher Darstellungen auf Säulen ästhetisch zu recht- 10* 148 fertigen ist, um so mehr, als das ursprünglich blendende Weiß derselben dem am Fuße stehenden Beschaner die Unterscheidung fast unmöglich macht; aber das Auge erfrent sich an dem prächtigen Realismus, der diese von der Zeit etwas geschwärzten Reliefbilbcr auszeichnet, nnd wenn es der Aesthetik zweifelhaft erscheint, ob sich die Spirallinien der marmornen Neliefbänder mit der Vertikalitat der Sänle vertragen, so erhält doch der nn-besangcnc Veschaner eben dnrch diese nnnnterbrochenen Schlin-gungrn einen angenehmen epischen Eindruck. Die Spirale der Darstellungen erzählt die Geschichte des Krieges angenehm fort-lanfend, während durch horizontal übereinander stehende Reliefs nur abgehackte Vorträge erzielt worden wären. Die vergoldete Statue des Kaisers, die einst von der Säule herabschantc, ist jetzt durch das Standbild des Apostels Petrus ersetzt. Es versteht sich aber, daß diesem ein solcher Standort rrst angewiesen werden konnte, nachdem alle heidnische llnreinlichkeit von der Säule hinweggesegnet worden war, — eine Vehandlnng, welche anch der Ehrensäule deS Märe Annl auf der Piazza Eolonna zu Theil wurde, um sie zu befähigen, die Statue des heiligen Panlns zn «ragen. Die Inschrift besagt ausdrücklich, daß sie „üd 0MIN impißww oxM^alH" sei. In gleicher Weise sind anch die zahlreichen ägyptischen Obelisken Roms christlich geschmückt worden. Wenn so die heiligen Väter vor den Säulen und Obelisken standen und mit erhobener Rechten sie erpurgirten, -^ was mögen sie dabei wohl gedacht haben? Vermuthlich so viel, als die Obelisken. Wenn schon beim Anblicke des Trajanischcn Fornms jeder Beschauer von Wehmnth erfüllt werden mnß, so werden ihm diese Empfindungen noch gesteigert werden, wenn er dem Capitol nnd dein römischen Formn sich nähert. Dieser Platz, einst der 149 Mittelpunkt der Weltgeschichte, heißt nun cmn^o vllooino, die Viehweide, und wer seine ganze Jugend hindurch mit den glorreichen Erinnerungen der Geschichte Roms genährt worden, den wird sicherlich diese Aufschrift ,,oampo vagina" ans schmutziger Wand auf's Tiefste ergreifen. Es giebt vielleicht keinen Ort in der Well, dessen Anblick lehrreicher wäre als dicser; aber sicherlich auch keinen, auf dem wir die Melancholie der Weltgeschichte so tief empfinden müssen, wie hier. Solche Verwüstungen hatte Rom nach seinem Falle zu erdulden gehabt, daß es im 14. Jahrhundert nur mehr von Hirten bevölkert schien. Ans dem Ca-pitol kletterten die Ziegen, anf dein Formn weideten die Rinder uud auf den anliegenden versumpften Wiesen flatterten wilde Enten. Das Capitol der Römer sah in südöstlicher Richtung gegen das Forum hinab. Gegenwärtig stehen anf diesem Weltgeschichte lichen Hügel drei getrennte Paläste, deren mittlerer in entgegengesetzter Richtung die Fronte der Stadt zukehrt. Auf einer knrzen Rampe steigt man zu dem Platze empor, den sie einschließen und in dessen Mitte die eherne Reiterstatuc Marc Aurels steht. Es war ein glücklicher Irrthum, daß man das ganze Mittelalter hindurch in diesem Monumente, das noch Spuren seiner ehemaligen Vergoldung ttägl, den Kaiser Eonstantin, den ersten christlichen Kaiser, zu sehen glaubte; denn nur diesem Umstände verdankt es seine Erhaltung, während es dem Fanatismus zum Opfer go falleu wäre, würde man darin den philosophischen, aber heidnischen Kaiser Marc Anrcl erkannt haben. Etwas höher zur Rechten liegt in einem Garten zwischen den Häusern der Tarpejischc Felsen, von dem einst die zum Tode Verurtheilten hinabgestürzt worden sein sollen. Von der südlichen Vegetation dieses Gartens umgeben blickt man die steile Felswand hinab in den Hofraum eines unten liegenden Hauses; in der Ferne aber blinkt der 150 Tiberstuß, der sich um den senkrecht aufsteigendem uvenlinischen Hügel schlangelt. Indem wir anf dem Eapitolsplatze den mittleren der Paläste, den Senatorenpalast, umgehen, gelangen wir anf den jenseitigen Hügelabhang nnd überblicken mit Einem Male die Fläche des Forums, welches, einst der Mittelpunkt städtischen nnd politischen Lebens, nns jetzt in seinem ausgegrabenen Theile nur mehr die übereinander gestürzten Trümmer jener monumentalen Gebäude zeigt, die es zur Zcil der Kaiser umgaben. Tie Via Sacra deren Basaltpflaster bloßgelegt ist, läusl hier den Abhang des Hügels hinab, der Länge nach das Forum durchschneidend, über welches binweggeheud wir in der Ferne die imposanten Rninen des Colosseum s erblicken. Hinabsteigend haben wir an der Ecke deS Forums die Kirche S. Giuseppe de Falcgnani zur Lücken. Sie erhebt sich über dem ältesten Baue, der ans frühesten Zeiten Noms sich noch erhalten hat, nämlich den Mamertinischen Gefängnissen. Dieselben bestehen aus zwei übereinander liegenden Gewölben. Der Treppenzugang, der in den oberen Kerker hinabführt, ist modernen Ursprungs: zur Zeit des vierten römischen KönigS, slncns Martins, welchem der Bau zugeschrieben wird, wurden die Verbrecher durch das viereckige Loch in der Mitte des Gewölbes hinabgelassen. (5iu kleiner Altar, der sich an die Travertinquadern des Gefängnisses lehnt, erinnert an die Sage, dergemäß Petrus und Paulus hier eingekerkert gewesen sein sollen. Durch ein rundes, vergittertes Loch im Boden sehen wir in die Dunkelheit eiues zweiten, noch tiefer gelegenen Kerkers hinab, der ebenfalls dnrch eine moderne Treppe zugänglich gemacht worden. Dieß war das Verließ für die zum Tode verurtheilten Verbrecher und für die besiegten Könige, welche dort, nachdem sie bei den Trinmphzügen gefesselt aufgeführt worden und den Spott des siegestrunkenen Volkes er- 151 duldet hatten, dem Hungertode überlassen wurden. In dieser Weise endete hier auch der Numidierköuig Iugurtha, der trotzige Feind der Nömrr, dcr uoch, als er seiner Kleider eiltblößt durch das rnnde Loch in den Kerker hinabgelassen wurde, seine Henker verhöhnte. „Herkules", rief er, „wie kalt ist Euer Bad!" Nach sechs Tagen erlag er dem Hungcrtode. Auch die Verschworenen des Oatilina wurden in diesem Gefängnisse nach dem Venchtc des Eallnstius mit Suicken erdrosselt. Seiner ersten Anlage uach scheint dieser untere Mamertinischc Kerker ciu Brnnncnhans gewesen zu seiu. Noch quillt darin eiuc frische Quelle, die in die Kloake des Forums abstießt. Die legende läßt diese Quelle dlirch ciu Wuuder des heiligen Petrus entsprungeu sein, der seinen Kerkermeister uud die zahlreichen Mitgefangeilen bekehrte und taufte. Und um es uicht an den kleinen Details fehlen zu lassen, die sich den Sagen nach und uach immer ansetzen und für die Glaubwürdigkeit derselben uu-umgänglich nothwendig erscheinen, so wird auch noch an der Felswand hinter einem Cisengittcr ein Gesichtsabdruck des heiligen PctruS gezeigt, der mißhandelt und mit dem Kopfe gegen die Wand gestoßen, durch oas Nachgeben des Gesteins vor Schmerz bewahrt wurde. Steigen wir ans dem Mamcriiuischeu Kerker wiederum an das Tageslicht, so habcu wir vor uns den Triumphbogen des Scpti'mius Sevcrus, durch den die Via Saera läuft. Der massige Bau mit eiucm hoheu mittlereu und zwei kleineren Seiteuthorrn wurde dem Kaiser uud seinen Söhnen Caracalla und Gcta zu Ehren erbaut, ihren Sieg über die Araber uud Parthcr zu feiern. Dcr iu der wohl erhaltcuen Aufschrift fehlende Name Gcta's aber erinnert an den Brudermord, mit dem sich der nachmalige Kaiser Caracalla besteckte; deun unter dem Vorwande, daß er beim Anblicke dieses Namens der Thränen sich uichl enthalten könne, ließ 152 er ihn an dem Triumphbogen abkratzen, um, wie den Thron, so auch den Ruhm des Parthcrkrieges mit dem Bruder nicht theilen zu müssen. Die verstümmelten Marmorrelicfs geben dem aus dem Schütte gegrabenen Triumphbogen ein düsteres Ausehen. Die Statuen, welche einst seine Säulen zierten, und das eherne Triumphgespann des Kaisers und seiner Söhne sind, wie überhaupt die Skulpturwerfe aller römischen Monumente, zu Grunde gegangen. Von den übrigen Gebäuden, welche einst das Forum zierten, und insbesondere von seinen herrlichen Tempeln, deren Namen noch bekannt, ist so wenig erhalten, daß die Archäologie die Lage der einzelnen kaum zu bestimmen vermag. Nur da und dort ragen uoch in Gruppen einzelne Säulen auf. Der übrige Bodeu ist übersäet mit den Bruchstücken anderer, und nur die dem oströ-mischeu Tyrannen Phokas errichtete Ehrensäulc, jedoch ohne das Standbild desselben, hat sich ebenfalls erhalte». Jahrzehnte hin> durch der Gegenstand archäologischer Streitschriften, ist durch dcu ersten Spatenstich des Arbeiters diese Säule als das dcm Phokas errichtete Ehrenmouument erkannt worden. „OMmo, ulomon-tisLimo piissimocius pi'inoipö" — so spricht die Inschrift des Postaments von Pholas, der den Kaiser uebst seinen fünf Söhnen ermordet hatte. Noch stehen in der Nähe des Eeplimiamschcn Triumphbogens einige Säulen des Saturntcmpel^, des Vespasiautempcls und ein Theil des Portikus der zwölf Götter. Das Mauerfragmcnt, welches bogenförmig davor liegt, ist der Rest der Rednerbühnc (rostra), die einst mit Schiffsschnäbeln geziert war und an deren einem Ende der gemeinsame Meileuzeiger für alle von Rom aus-laufenden Straßen stand, während am anderen (5'ude als Mittelpunkt der Stadt wir des Reiches der umdUiou» urdi» lag. Den bedeulendstcn Raum von allen ausgegrabenen Gebäuden 153 nehmen die Reste der von Cäsar erbauten Basilika Julia ei», deren Marmorbodcn beinahe unversehrt zu Tage liegt. In ihrer Nähe wnrde die Leiche des großen Römers verbrannt, der unter den Dolchstichen der Verschworenen gefallcn war. Von Architekten vielbcwundcrt ragen daneben noch drei Säulen ans ftanschem Marmor auf, die dem Tempel des Castor und Pollur angehörten. Noch andere prächtige Tempel standen zu beiden Seiten des Forums, die theils verschwunden siud, theils unter Benützung des alteu Materials in christliche Kirchen umgewaudelt wnrden. So wurde aus dem Tempel der Faustina die Kirche S. Lorenzo in Miranda, aus dem Tempel der Penaten die Kirche der heiligen Cosma und Damiano. Stellt man sich alle diese berühmten Gebäude in ihrem ehe< maligen Znstande vor, wie sie aus dem engen Raume des Forums standen, so ergibt sich daraus ein Gcsammtbild zwar von außerordentlicher Pracht, aber es bestätigt sich dasselbe, was wir auch an anderen Orten beobachten können, daß die Römer mit dem Sinne für daß Außerordemliche in der Architektur wenig Sinn für die Perspektive nnd die Fernewirkung verbanden. Die Gebäude des Forums standen so dicht und massig neben einander, daß der güustige Staudvuukt für Betrachtung der Einzelnen wie der Gesammtheit schwerlich gewonnen werden konnte. Für unsere retrospektive Generation mit dem hochentwickelten geschichtlichen Sinne liegt etwas ganz Uubegreifliches dann, daß es erst unserer Ieit vorbehalten blieb, die Ruinen der Cäsaren-stadt, die unter dem Camvo Vaceino lagen, an's Licht zu ziehen; daß die Menschheit Jahrhunderte hindurch im Anblicke der aus dem Boden ragenden Säulen leben konnte, ohne das Bedürfniß zu fühlen, den Spaten in die Hand zu nehmen, um diesen weltgeschichtlichen Platz mit seinen Trümmern aufzudecken. Vielleicht l54 spricht nichts so sebr dafür, daß die Röiner von hent zu Tage vollständig mit ihrcr Vergangenheit gebrochen haben, daß ihnen — mag anch oft das Gegentheil behauptet werden ^ nichts mehr innewohnt von bcr Größe ihrer Vorfahren, als dieser Eine Umstand, daß sie den Beginn der Ansgrabungen am Formn den Fremden überließen. Sie würden es nicht vermocht haben, anf dem Boden, über den die Via Sacra lief, auf der einst zwischen bohen Bäumen Nomulus mit dem Sabiuerkonig Tatins Frieden schloß und später Brutus nnd Cäsar gewandelt, cinherzugehcn gleich dem Dichter ,,no«oio (juiä in66itu,n8 nußÄi'uni", wenn sie N'irflich die Nachkommen jener Helden wären, lind wenn wir Einen von diesen, deren Namen mit dem Ruhme der wcltbehcrr-schenden Stadt verbunden ist, vor diese Ruinen führen könnten und das seinem Auge unerkenntliche Trümmerfeld als das ehe. maligc Forum bezeichnen würben, von dem ans zu seinen Lebzeiten die Geschicke der Erde gelenkt wurden, er würde nicht zugeben, daß das Volk umher etwas gemein habe mit jenem Volke, dem cinst der Dichter die stolzen Worte zurufen konnte: /In l6S61'6 im^LI'10 1»0pui08, ,IioM3,N0, nwmonto!" Wohl ist es wahr; die Vergangenheit erscheint uns meist schon als solche, vermöge ihrer bloßen Abwesenheit in einer gewissen Verklärung und insbesondere die großen Männer eines Volkes sind wir geneigt zu überschätzen, da sie vom Dichter uns vorgeführt nicht nur auf dem Kothurn stehend, sondern anch zu typischeil Gestalten verwandelt erscheinen; es ist ferner nicht zu bcstreiten, daß manche geschichtliche Größe bei näherem Zusehen als imaginär sich darstellen würde, indem bei mangelhafter Kenntniß der Verhältnisse, in welche ein Heros oder ein Volk gestellt war, oft ihren Eigenschaften zugeschrieben wird, was mehr einer förderlichen Complikation der Umstände entsprang. Aber trotz solcher Vergrößerung im Mikroskope der Geschichte können wir nicht leugnen, 155 daß die Entwicklung des römischen Volkes zu seiner rauhen, aber imponirendcn Größe eine Erscheinung ist, die einzig in der Historic dasteht nnd daß keinem anderen Volke solche Geschicke möglich gewesen wären. Blicken wir aber von solchen Erinnerungen voll hinab auf das jetzige Formn, wo die Singvögel ans den ningcstürztcn Säulenstnmmcln zwitschern, dann verblaßt uns wieder alle irdische Größe, lind die Schicksale der Menschheit erscheinen nns nicht wichtiger als die des Mückenschwarms, der hicr im Strahle der untergehenden Sonne noch sein Spiel treibt. Wir versuchen es noch, indem wir die Menschheit in der Geschichte einem Ziele entgegen wandeln sehen, in ferner Zukunft einen Anhaltspunkt zu finden für tröstliche Gedanken; aber der Mond, dessen schmale Sichel hinter der Säule des Phokas heraufsteigt, und die ersten Sterne, welche zu glimmen beginnen, sie lassen uns keine Illusionen aufkommen und belehren uns, daß mit der Sternenwelt als Folie auch das Größte zur Unschcinbarkeit wird, was auf unserer Erde geschehen mag. XII. Am Fasstomstenkloster auf dem Monte Oavo. Kt residens celsa Latialis Jupiter Alba. Luc. Phars. Auch diejenigen, welche die „klassischen Gcbirgsformen Italiens" weniger auf einen besonderen Schwung der Lillirn zurück' führen, als vielmehr darauf, daß die waldlosen Berge des Südens ihre Umrisse weit schärfer vom tiefen Blau des Himmels abheben, werden doch, wenn sie vor die Thore der ewigen Stadt treten, an der schöneil, langgestreckt in die Ebene verlanfenden Linie sich erfreuen, welche das Albanergebirge am südlichen Horizonte zcich-uet. Es ist hauptsächlich der Monte Cavo, die höchste Erhebung dieses Bergstockes, dessen gesättigtes Violett das Auge auf sich zieht; und auch ohne noch davon gehört zu haben, werden wir doch aus seiner bloßen Lage, wie er in die Eampagna vorspringt, den Schlnß ziehen, daß die Besteigung dieses Gipfels eine äußerst lohnende sein müsse. Sie ist zudem fast mühelos, und wer etwa an den Ufern des Lago di Ncmi sich niedergelassen, wird daher der Versuchung kaum wicdcrstehen, und wird auch den Berg noch ansteigen, der so nahe winkend auf den See hernieber-schaut. — Ein nächtlicher Fiühliugsrcgen hatte auf dic Albanerberge Kühle und Frische niedergelegt und als ich am Morgen von der 158 Terrasse der Locanda von Nemi alls cms den Kraterkessel hinabsah, aus dein der kleine See heraufblaute, da halten seine abschüssigen, nur leicht bewaldeten Nfer, weiterhin die Camvagnci, ans welcher der jenseitige Kral errand ein Segment schnitt, das sich bis zum fernen Silberstreifrn des Meeres dehnt?, darüber endlich der Himmel, auf dem die weißen Wolkenballcn schwammen, — dieß Alles hatte ein so nengeborncs, frifchgewaschenes Ansehen, daß mir kein Zweifel darüber bestand, die Besteigung des Monte l5avo müsse sich an solchem Tage besonders lohnen. Am felsigen, hohen Ilferrande des gerundetcn Kessels geht die Wanderung hin, die wohl ans Ziel führen wird anch ohne die störende Begleitung eines geschwätzigen Führers, den die Neiscbandbücher als unerläßlich für die Tour empfehlen. Liegt doch der Gipfel fast greifbar vor uns; und sollten wir anch in dem Vuchenhame, dem wir vom See abbiegend zustreben, irre gehen, so verbürgt nns doch die frühe Stunde des Aufbruches, daß wir wenigstens bis zum bewohnten Gipfel zu guter Zeit nns zurccht finden werden. Manches derbe Frühlingskraut duftet bereits zwischen den Steineichen und Kastanien, die spärlich sich hinaufziehen zum schattigeren jungen Vuchenwalde, über dessen Wipfel der abgeplattete Kipfel des Monte Cavo herabschaut. Warm und hell liegt der Sonnenschein, durch das Gezweige brechend, auf dem weichen Waldesboden, auf dein in mäßiger Steigung die Pfade sich kreuzen. Das Summen der Käfer und der Gesang der Vögel auf deu schwankenden, mageren Zweigen sind erquickliche Anzeichen, daß der Frühling seinen Oinzug nicht länger verschiebeil will. Nur das frische Vlätterleben läßt sich noch an den Bäumen vermissen; aber manche Waldespflanze ist ihren Gefährten voran-geeilt und erschließt bereits ihre weißen Blüthen. Im Uebrigen l59 ist der Wald einsam und stille und nur das Rauschen welker Blätter, die der Fuß aufwühlt, läßt sich uoch vernehmen. Dann und wann, wenn eine Bodenerhebung die Bä'nme überragt, gewinnt man freie Uinsicht. Hell schimmert es zwischen den Zweigen durch und tief unter sich, zwischen hohen Ufern eingeschlossen, erblickt man die tiefblauen Flachen der beiden Seen von Albano und Ncmi, die neben einander liegend die Strahlen der höher gestiegenen Sonne glitzernd auffangen. Rastel Gandolso, ein herrlicher Landsitz des Papstes und von diesem viel besucht, so lange er noch uicht beliebte, den Gefangenen im Vatikan zn spielen, liegt am jenseitigen Ufer des Albancrsec's, zu dessen Kraterbecken von unserem Standpnnktc ans eine schmale, bewaldete Bcrgknppc sich hinabzicht. Langsam, mit weitgebreiteten Fittigen, kreist ein Nanbvogel darüber; höher und höher, immer weitere Kreise ziehend, schwebt er empor. Aber .jetzt schießt er mit senkrechtem Gefieder zur Vergknpve hinab und das Kreischen, das aus dem Walde herauftönt nnd dir wunderbare Stille unterbricht, verräth, daß er sein Opfer erreicht hat. So, mit überlegener Kraft, überfiel einst unter Tullus Ho^ stilins, dem dritten römischen Könige, das in fortwährenden Kämpfen schnell erstarkte Rom die Stadt Albalonga, die laughingestreckt auf dieser Bergkuvpe lag. Seit diesem Tage ist diese altberühmte Stätte zum geschichtslosen Hügel geworden, auf dem leine Menschenhand mehr den, Spiele der Natnrkrä'fte wehrt. Albalonga, dessen Geschichte in das Dunkel der Zeiten sich verliert und dessen Gründung dem Askanius, Acncas' Sohne, zugeschrieben wird, die älteste und vornehmste Stadt des latinischen Bundes, ja die Multerkolomc vo» Rom selbst, wurde von den Römern bis auf die letzte Spnr vertilgt nnd nur der auf der Seite des Albanersee's zur Erhöhung ihrer Vertheidigungsfähigkeit einst senkrecht behanenc Fels vcrräw noch die Lage der Stadt. 160 Strecken des Waldes, wo der Boden schwarz aufgewühlt ist, wechseln mit anderen, wo der Fnß hart auftritt, daß es scheint, als decke das Blättergelage Felsgestein. In der That liegt Laoa-basalt stellenweise offen zn Tage. Aber obgleich wir wissen, daß der Monte Cavo vor undenklichen Zeiten der Mittelpunkt des vulkanischen Lebens dieser Berge war, sinnen wir doch vergeblich darüber nach, durch welchen Prozeß dieses Gestein, wie in Trümmer zerschlagen, Hieher gerathen sein mag, bis uns nähere Besichtigung belehrt, daß wir es nicht mit formlosen Blöcken, sondern mit zubehauenen Polygonen zu thun haben. Und bald finden wir auch die Erklärung dieser Erscheinung. Mitten in dem hochgelegenen Walde nämlich zieht eine wohlgcpflasterte Straße, streckenweise wieder im Erdreich versinkend, hinan. Die Steine sind noch fest aneinander gefügt; Moos steckt in den Fugen der Vielecke, nnd viele derselben ~ um ja keinen Zweifel übrig zu lassen zeigen noch die Einschnitte, welche den Pferdehnf hindern sollten, zu straucheln. Es ist die alte via ti'iumpkaiis, auf der wir wandern, und auf welcher einst zum Gipfel des Berges ^ monZ ^1dn.nu8 — jene römischen Feldherrn hinaufzogen, welchen der Senat den ehrenreicheren triumphircudcn Einzug in Rom nicht bewilligt hatte. Jetzt »eigen sich die Buchenzwcige über ihr zusammen nnd be-streueu sie mit ihrem Laube, und manchesmal nur wird sie vou einem Wanderer betreten, der ahnungslos fortschleudernd plötzlich aus seinen Träumereien geweckt und in jene fernen Zeiten zurückversetzt wird, da hier römische Eohorten vorüberzogen, Bckämpfer wohl auch seines, des deutschen Vaterlandes. Je näher mau dem Gipfel kommt, desto besser erhalten findet man die via. tiiumpnaiig. Höher hinanf werden ihre Windungen zahlreich und verschmähen es, durch gedehnteren Zug das Ansteigen zu erleichtern. Die Breite der Straße ist nur für etwa 16! 4 Mann berechnet; man ersieht es aus den erhöhten Randsteinen, an welche beiderseitig dic Trottoirs — oi-6i>iäm68 — ansehen. Auf dem Plateau des Monte Cavo, von dessen Höhe das Auge über das ganze Gebiet Latiums schweift, stand cinst der Tempel des Jupiter Latialis. Auch Rom, a!s Mitglied des latinischen BundeS, verehrte diesen obersten Gott desselben, und später noch, als eS durch Vertilgung von Aldalonga und anderer Städte denselben gesprengt hatte, behielt es doch die Feier des Bundesfestcs bei, das alljährlich auf diesem Berge unter Opfern begangen wurde. Erst zu Ende des vorigen Jahrhunderts wurden die Ruinen des in seiner Ausdehnung großartigen Tempels abgetragen und die Steine lheilweise zum Aufbau des Passionisteu-klosters verwendet, das nun hier oben steht. Bald vielleicht wird auch dieser Zeuge einer absterbenden Weltanschauung nicht mehr zu sehen sein, und im ewigen, gestaltenreichen Wechsel der Sansara wird vielleicht in ferner Zukunft ein später Wanderer keuutnißlos und nur im Anblick des fernen Meeres versunken an dieser Stelle stehen, wo einst vulkanische Feuergarbcn gen Himmel stiegen, später die latinischen Städte das Opfer des weißen Stieres feierten, und wo jetzt noch die eintönigen Responsorien betender Mönche durch die im Abendsonnenstrahl erglühenden Fenster sich vernehmen lassen. Die Aussicht, welche man von der Höhe des Monte Cavo aus genießt, ist unbeschreiblich schön. Die Campagna liegt wie eine Landkarte ausgebreitet unter uns. Sie dehnt sich nach allen Seiten aus, allcrwärtS von den fernen Gedirgszügcn begrenzt und nur im Westen fortlaufend, wo sie, gleichsam ins Flüssige übergehend, als Meer sich fortsetzt. Der helle Schein, der auf ihr liegt, läßt die vielgewundenc Linie des Tiber erglänzen, an dem die ewige Stadt weiß heransschmnnert; die fernen Berghaldrn sind grell beleuchtet und indem dic Schatten in ihren Falten du Prel, NMer Tannen >md Pinien. 11 162 liegen, treten uns die Gcbirgsstöcke plastisch und massig entgegen. Nur über den östlichen Abruzzen, deren Häupter znm Theile mit Schnee bedeckt sind, liegen dunklere Tinten gebreitet, die diesen Bergen ein düsteres Ansehen verleihen. Ihnen zur Linken, inselartig aus der Ebene anftanchend, ragt der isolirte, bläuliche Kalkfelsen des Monte Soracte ans, dessen Linie, mehrfach gebrochen, fünf Gipfel bildet. Allenthalben blinken die weißen Punkte der Häuser und Ortschaften in weiten Abständen verstreut, ans der Campagna herauf, und auch von dort, bis wohin das Auge sie nicht mehr zu unterscheiden vermag, kündigen noch steilanfsteigende Rauchwolken die Wohnstätten an. Rom selbst erscheint von bicr aus nur durch seinc Ausdehnung bedeutender, als die umliegenden Orte, und es die Kuppel des Petersdomes allein, deren Formen noch zu unterscheiden sind. Die weißen Wolkcnballen, die über uns hinwegscgelnd sich vor die Sonne schieben, legen anf die grellbelenchtete Ebene oer Campagna große Schatten, die, würden sie nicht wandelbar fortrücken, für Waldinseln gehalten werden könnten. Von Eivita-Vccchia bis hinab nach Terracina verfolgen wir die Linie der glanzvollen Meeresküste und wäre die Luft nicht etwas getrübt, so würden wir wohl aus unmeßbarer Ferne sogar die höchsten Spitzen der Verge Sardiniens noch erblicken. Am südlichen Endpunkte uuserer Fernsicht ragt, in das Meer vorspringend, das sagenumwobene Cap der Eirce — ^roinontorio (üresilo — auf, und der aus den Wolken brechende Bündel der Sonnenstrahlen spielt verklärend um sein Haupt. Vor dem Cap schwimmt im fernen Meeresglanze, der das Auge blendet, blau-auftauchend eine Gruppe felsiger Eilande. Es sind die Ponzischcn Inseln: Palmarola, Zannonc und Ponza; seitab davon liegt das kleine Ventotene, einst Pandataria geheißen, wohin Augustus seine Tochter, Tiberius seinc Schwiegertochter nnd Nero seinc Gattin verbannten, den Uebertreibungen vorzubeugen, bis zu welchen l63 diese Damen in ihrer Liebenswürdigkeit gegen die Männer gingen. — Längere Zeit, als es meine Absicht gewesen, hatte ich im Anblick dieser unvergleichlichen Landschaft verbracht, nnd als ich cnDlich mich von meinein Standftunkle aus zu orientiren suchte, um die Richtung festzustellen, in der ich an Hannibals Lagerplatz vorüber nach dem Ciceronianischen Tuskulnm hinabzusteigen babe, belehrte mich der niedrige Stand der Sonne, daß ich, dic Mög-kichkeit einer Verirrnng selbst ausgeschlossen, wcit in die Vtacht hineingerathen würde. Vor mir stano das unscheinbare Gebäude des Passionisten-klosters. Ich zog kurz entschlossen an der Glocke der Psorte nnd 'vernahm bald die schleppenden Sandalen des Pförtners alls den Steinen des Klosterganges. Meinem Ansnchen um Unterknnfl für die Nacht wurde der Hinweis auf die hiezu nöthige Erlaubniß des Priors, zu dem sich der Pförtner eben begeben wollte, um den eingetroffenen Postbeutel abzuliefern. Etwas unmotwirt wurde dem noch die Nachricht beigefügt, daß erst vor welligen Tagen ein Fremder, der die Nacht hier verbringen wollte, durch Gendarmerie aus dem Kloster geholt worden sei, lim allerdings nach einigen Stunden wieder freigelassen zu werden, nachdem sich die Verwechslung herausgestellt hatte. Ich glaubte diese Erzäh-lnng im Sinne einer gelinden Aufforderung deuten zn müssen, mich über meine polizeiliche Unschuld auszuweisen, und so ließ ich denn dem Prior mit meinem Ansnchen zugleich meinen Paß übermitteln. In dem falten Vorzimmer, in das ich gefühn worDen, dachte ich eben über den möglichen Inhalt des versperrten ledernen Post-bcntcls nach, ill den ich gerne einen neugierigen Blick geworfen hätte, als die Erlaubniß des Priors emiraf. Em jnnger Klosterbruder hieß mich in seinem Namen willkommen »nd schien ,licht <64 unzufrieden, wieder einmal von der Welt zu hören, die draußen so schön in der Tiefe lag. Und als ich im Verlaufe meines Gespräches meine Landkarte ausbreitete, die er mit Interesse betrachtete und anf der die Namen der fernen Städte und Landschaften so verführerisch verzeichnet standen, da mochten sich vielleicht geheim in seinem Herzen ceutrifrugalc Anwandlungen regen. Wir traten hinaus und in dem dnrch Lorbcerhccken regelmäßig abgetheilten Garten auf< und abgehend, den die Mauer, aus Trümmern des alten Tempels aufgerichtet, einschloß, setzten wir unser Gespräch fort; und als nun im Gegensatze zu dem fahrenden Leben des Wanderes von dem Dasein die Nedc war, das er mn seinen etlichen zwanzig Gefährten hier oben genieße, da vermochte er nicht eben viel Anziehendes in seine Wagschalc zu legen: äußerlicher Friede und Rnhc, — wie können diese der Seele genügen, welche in jugendlichem Dränge eben nach Unruhe schmachtet? Wie kann der innere Friede in der Brust eines Menschen wohnen, dem eben weil er die Welt nicht kennt, auch die einzig vernünftige Unterlage des Klosterbcrufes fehlt, das Abgestoßenscin von der Welt? Und wie sollte die dagegen geltend gemachte metaphysische Anziehungskraft unklarer Vorstellungen über ein imaginäres Jenseits stark genug sein, uns den Anblick der gcstaltenreichen Welt entbehren zu lernen und die mächtigen Reize unruhvollen Lebens, so lange noch die Faustischen Gefühle in uns sich regen und mit allen jugendlichen Organen das Herz sich an das Dasein klammert? Ich erfuhr es nun allerdings bald, welche Mittel in Anwendung gebracht werden, diese Stimme der Natur zum Schweigeu zu bringen. Wir verließen wieder den Klostergarten, indem mir der Frater mittheilte, daß in der laufenden Woche die geistlichen Erercitieil abgehalten würden, zu welchen die Brüder zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten sich versammelten und an welchen theilzunehmen auch ich eingeladen sei. Die Zumuthung schien mir 165 allerdings etwas stark; aber sie war sicherlich gut gemeint und ich war es zudem nicht unzufrieden, einmal Gelegenheit zu erhalten, in diese sonderbare Klosterwclt einen Blick zu werfen. Der Chor, in den wir uns verfügten, empfing durch ein hohes Fenster zweifelhaftes Licht; ein schmuckloser Altar nahm die eine Mauerseitc ein, an der anderen waren Sitzreihen mit Bet-ftultei! angebracht. Einer nach dem Anderen, aus ihren Zellen und durch die langen Gänge, kamen die Brüder in ihren schwarzen Gewändern hereingcschlichen, meist alte Manner mit abgehärmten Gesichtern. Als sie alle Platz genommen, wurde ein dunkler Vorhang dem Fenster vorgezogen und in dem Chore herrschte nun die tiefste Finsterniß. Einer der Brüder erbob seine Stimme, die Predigt begann. DS806näll,MU8 ill infSlNUM viV6Nt63 , N6 ä6806NäaMU8 worisntsn! Dieß war der Tert, über den sich der Rednrr erging, aber in einer Weise erging, wie ich wenigstens es noch nie gehört. Zwar erinnere ich mich noch an das dickleibige Rcligionshandbnch von Stadclbancr, das auf den vaterländischen Gymnasien die deutsche Jugend in die Geheimnisse der christlichen Metaphysik einweihte. Aber dieses dickleibige Buch, dessen Gcschmacklosikeit glücklicher Weise das Vergessen erleichtert, trug dem Scepticismus "von uns Schülern, die wir Homer weglegen mußten, um dieses i"r Hand zu nehmen, wenigstens einige Rechnung; es sprach sich i" Bezug auf die Hölle zurückhaltend aus, da nicht mit Sicherheit behauptet werden könne, daß das höllische Feuer im eigentlichen Sinne als Feuer zu nehmen sei. „Allerdings", so lasen wir darin zu unserem hohen Ergötzen, „sprechen sich viele Kirchenväter dafür aus." Aber der Prediger im Passionistenkloster war von solchen Zweifeln weit entfernt. (§r stand vollständig auf dem Staudpunkte jener Kirchenväter; die Wirklichkeit des höllischen Feners sehte er einfach voraus und sein Vortrag hatte es lediglich mit der Aus^ ltt6 malung des Pfuhles dcr Verdammten zu thun. Darin aber leistete er Außerordentliches. Wie mit den Aligen eines Visionärs schaute er in denselben hinab und mit einein Realismus, als wolle er Dante übertreffen, wußte er die Qualen der Verdammten in dem fcurigflüssigeu, von Ungeheuern aller Art wimmelnden, finsteren Orte zu schildern. ES schien, als habe seine Schilderung die eigene Phantasie ins Unerträgliche erhitzt; denn nachdem er über eine Stunde lang uns die Holle heiß gemacht hatte, brach er mit einem gellenden Schrei: elis ol'i'oi's! ab, gleichsam das slugc abwendeud von dem Hollcnbrenghel'schcu Gemälde, das er selbst eutworfcu. Von deu Zuhörern, die in der Finsterniß herumsaßen, ließen sich nur gepreßte Athemzüge vernehmen uud der Prediger schien bei ihnen vollständig seinen Zweck erreicht zu haben. Die Gutmüthigkeit jeues österreichischen Laudpfarrcrs, der einst durch seiue Schilderung der Höllenstrafen alle alten Weiber rebellisch gemacht hatte, so daß lautes Schluchzen zur Kauze! herauftönte, der aber dann, von Mitleid ergriffen, ihnen zusprach, nicht zu weineu und die Wirkung seines Vortrags durch ein „Wer weiß, ob's wahr ist?", wieder abzuschwächen suchte,— von solcher Gutmüthigkeit schieu unser Prediger nichts wissen zu wollen; denn nun folgte als zweiter Theil die Schilderung der Ewigkeit dieser Höllenstrafen, wobei er denn in endloser Folge die Jahrhunderte in die Ewigkeit hinabsinken und die Gemarterten Jahrtausende hindurch fortheulcn ließ. Iu vie direkte Redeform aber, deren er sich dabei bediente, legte er eine Betonung, als nage an ihm selber jener Wurm, der nie stirbt, jenes Feuer, das nie erlischt! Die Furcht ist es, wie Petronins sagt, welche die Götter schuf. Und wie die Fnrcht den Götterglaubcn zuerst erweckte, so ist sie es auch, durch deren Erregung mau die Menschen noch davor zu bewahren sucht, deu Götterglauben abzustreifen, wenn 167 derselbe schon aufgehört hat, unserer Weltauffassnng zu entsprechen. Als schließlich nach Beendigung der Predigt dcr lange Fenstervorhang wieder hinwcggezogen wurde, da schienen mir die ersten .Lichtstrahlen der sinkenden Sonne, die hereinfielen, auch die Atmosphäre zu zerstreuen, in der solche Wucherungen überreizter Phantasie gedeihen können: aber ich komue mir nun auch die fieberhaft glühenden, krankhaft nach Innen gewendeten Blicke mancher Brüder erklären, die nun in ihre Gemächer zurückschlichen, während ich im Freien den warmen Sonnenschein wieder aufsuchte.. Die Seen von Albano und Nenn lagen tief nuten zu meinen Füßen. Je tiefer die Sonne sank, desto dunkler wurde ihre Färbung, glnch der des fernen Meeres, über das nur mehr ein schmaler, feurig glänzender Streifen gelegt war. Aber auch dieser schwand; der Sonuenball tauchte erzitternd in das Meer, eine Weile noch ragte er, wie eine goldene Kuppel, darüber hervor, bis endlich auch diese versauk. Noch einmal, zur Abendstunde, wurde ich eiugeladen, der Versammlung im Chore beizuwohnen, wo ein Bruder den Rosen« kränz vorbctetc und die übrigen in eintönigen Responsoricu antworteten. Auch diese Andacht geborte zu den „geistigen Grercitien"; aber nnr in so ferne scheint dcr Geist bethciügt zu sein, als er dabei gctödtet wird. Als aber bei einbrechender Finsterniß im Kloster Alles stille geworden war und ich vom kleinen Fenster meiner Zelle ans in die nachtende Campagua hinabsah, da lag es auf ihr verstreut, wie leuchtende Käfer in einer Sommernacht und wie ein langer Licktstrcifen lag Rom in »er Ferne. Vom Scheine des Mondes aber matt erhellt zog über die weite Ebene ein breiter Nebelschleier. Langsam legte er sich über die Ewige Stadt uud verhüllte ihren Schimmer; langsam kroch er heran znm Fnße des 168 Monte (5avo, stieg Höker und höher herauf und auf dem Gipfel des Berges anhaltend, verhüllte er das Kloster der Passionistcn. Noch einmal hebt sich der Vorhang und wieder, langhingestreckt in der Tiefe, erscheint das ehrwürdige Nmn und die leuchtenden Punkte, kommend und verschwindend, streben mühsam ihren Glanz heraufzusenden znm Kloster des Monle Cavo und darüber hinweg in den unendlichen, dunklen Naum. Aber von der hohen Himmelskuppel herab ergießen ans endlosen Sonncuweilen die ungezählten Sterne ihren stärkeren Schein, und wie vor oiesem die schwächlichen Lichter auf den historischen sieben Hügeln verblassen, so verblaßt uns auch der geschichtliche Nimbus der Stadt, über welcher iu ewigen Kreisen die unwandelbaren Gestirne ziehen, — Gestirne, deren Strahl jetzt nächtlich auf Die Campagna fällt, aber schon ausgesandt wurde zu einer Zeit, da die Gründung des uralten Rom noch im Mutterschooße der Geschichte lag. Aber es ist nur dieses Eine Schauspiel des strahlenden Sterncnhimmcls, von dem wir eine längst entschwundene Vergangenheit ablesen und von welchem die Gestirne aus verschiedenen Jahrtausenden zu uns sprechen, — es ist nur dieses Schauspiel, vor welchem Rom nnd seine atridenhaften Geschicke in Nichts zerstießen. Xlll. Zas Oolosscum ill Kom. Eu>f,ich u»d aufrecht, ernst, eibaden, h?hr, Paläst' und Staate» brdctcln. Vyron. In östlicher Richtiülg des alien forum Ilomanum stieg die Vslia maßig an. Don war der Mittelpunkt Roms und noch jetzt ist cs der Platz, mn welchen herum sich die bedeutendsten Ruinen erheben. Zur rechten liegt der mons ?^1^tinu8, auf dem die weitläusiqen Kaiscrpaläste standeu, znr Linken erblickt man noch drei weitgespannte Bogen, die Rechte der Basilika dec< Constanlin, der crsteu osficiellen christlicheil Kirche Noms. Die feinen weißen Marmorfriese dieses Prachttempcls liegen herabgestürzt am Vodcn und ein Stück des eingefallenen Gewölbes hat sich, wie ein Felsen groß, tief in die (5rde gewühlt. Unter drn Bogenhallen aber und auf dem freien Platze rcnwr ercrciren jetzt italienische Rekruten, sicherlich auf dem merkwürdigsten Erercicrplatzc der Welt: auf dem Boden einer Kirche, welche der erste christliche Kaiser gebaut, und umgeben von den Trümmern der einstigen Wclthauptstadt! Aber eben darum erscheint das militainschc Treiben hier fast in komischem Lichte. Man denkt an die Heere, welche, aus allen Wclt-theilen siegreich zurückgekehrt, einst hier vorüberzogen und füklt die Unmöglichkeit, daß je wieder eine folchc Phase der Geschichte sich 170 wiederholen werde. Und käme sie auch wieder, und ginge sie abermals von Rom aus, ihr Ende wäre doch wieder das gleiche, wie es die colossalen Ruinen beweisen, die wir hier vor Augen haben als monumentale Dämpfer aller hochftiegenden Pläne, mit welchen ein waffenfähiges Volk sich trageu mag. Es ist nur zu hoffe», daß die italienischen Lieutenants, die hier herumgehen, in anderer Ncisc sich die Zeit kürzen, als mit solchen geschickte-philosophischen Orillen. Aber auch das wiederum regt zu solchen an, daß an eben dem Orte, wo einst römische Legionen ihre Siege am Rhein uud an der Donau triumphirend begingen, ietzc der Einflnß deutschen Waffenruhmes in den eigenthümlichen Gewrhr-Ererciticn sich bemerklich macht, indem wir hier den italienischen Rekruten nach einer Weise gedrillt werden sehen, wie sie üblich ist bei den Nachkommen der Sieger im Tcntodurgcrwalde. In gcrarer Linie führt nns die Straße zu dem Triumphbogen des Titus, durch welchen hindurchzugehen nock bentt- die Juden Roms vermeiden. Zu beideu Seiten der Straße liegen die beinahe formlosen Neberreste ehemaliger Prachtbauten, deren enge Gemächer nun dein Regen und Winde offen stehen. Da und dort ist noch an den Wänden ein Stück der ehemaligen Marmorbekleibuug zu sehen, an die sich Moos angesetzt Hal. Trümmer von Säulen, deren Umfang uns ihre Zerstörung durch Menschenhände fast unbegreiflich erscheinen lassen, liegen hingestreckt. Mist zierten sie wohl das „goldene Haus", den durch seine Pracht berühmten Palast des Nero, den dieser nach dem Brande Roms erbauen ließ. Jetzt läßt sich auf ihnen im warmen Sonnenscheine die schwankende Libelle nieder. Wir gehen dem Platze vorüber, wo einst Nero's Colossalstatue als Sonnengott in einer Höhe von mehr als M) Fuß stand uud auf dem Basaltpftaster der via saera weiterschrcitend, stehen wir nun vor der großartigsten Ruine, welche Rom besitzt, vor dem Colosseum. 71 Nur mehr der dritte Theil dicscs elliptischen Amphitheaters steht noch; aber dieses Bruchstück ist gleichwohl gewaltiger, als Alles, was sich herum erhebt. Zwölf Tausend gefangene Juden hatte Vespasian bei diesem Bau verwendet, dcu sein Sohn Titus vollendete, und der MM0 Zuschauer fassen konnce. Mit Seegefechten und Gladiatorenspielen wurde die Eröffnung gefriert und während der IW Tage dieser Festlichkeiten büßten MX) Gladiatoren ihr Leben ein und 59W wilde Thiere wurden gctödtet. Mit ähnlichem Pompe beging man darin im Jahre 248 n. Chr. das tausendjährige Bestehen Noms; aber wieder tausend Jahre später saßen im Colosseum die Frangipani, römische Barone, welche den Bau zur Festung eingerichtet hatten, in welche auch die nahen Triumphbogen des Titus und Constanün's hereingezogen worden waren. Schließlich aber erfuhr das Colosseum das Schicksal aller römischen Ruinen im Mittelaltcr: es wurden darin Steine für Neubauten gebrochen. Petrarka, der im 14. Jahrhundert durch diese Ruinen irrte, war Zeuge der Zerstörung, und er schrieb an seinen Freund Annibaldi: „Weder Zeit noch Barbaren konnten sich der so erstaunlichen Zerstörnng Roms rühmen; sie geschah dnrch leine eigenen Bürger, dnrch die erlauchtesten seiner Söhne und Deine Vorfahren haben mit dem Mauerbrecher gethan, was der punische Held mit dem Schwerte nicht auszurichten vermochte." Päpste und Cardinälc benutzten das Colosseum als Steinbruch für ihre Paläste und noch im l7. Jahrhundert entnahm man ihm das Material für den Bau des Palastes der Barberini. Huoä non fsosrunt daidaii s6c.6lunt Nardslim. Und wäre nicht das Andenken an verschiedene Märtyrer gewesen, welche auf der Arena zur Zeit der Christenverfolgnngen den Tod erlitten, fo wäre wohl die größte römische Ruine ganz zerstörl worden. So aber ließ endlich Mitte des vorigen Jahrhunderts 172 Benedikt XIV. darin Lcidensstationen errichten, die der weiteren Zerstörung Einhalt gethan. Von der äußeren Umfassnng des Riesenbaues, deren drei Stockwerke in Arkaden von jonischer, dorischer nnd corinthischer Ordnung über einander stehen, währennd der oberste vierte Stock Fensteröffnungen trägt, ist kanm die Halste mehr zu sehen, dagegen die Ellipse der inneren Arkaden, welche die Sitzreihen trugen, noch eine geschlossene ist. Treten wir durch einen der dunklen Bogen per inneren Reihe, so sehen wir ein Marmorkreuz der Mauer eingefügt. Der Inschrift gemäß brauchen wir dieses Kreuz nur zu küssen, um sofort eines Ablasses von Einem Jahre und 4<1 Tagen theilhaftig zu werden, — eine Institution, die sich eben so sehr durch ihre Bequemlichkeit empfiehlt, wie sie uns Anlaß giebt, die eracte Forschnngsmcthodc der christlichen Metaphysik zu bcwnudern, welche mit der Sicherheit des Einmaleins operiri, während die Philosophie derzeit noch immer mi! den Stangen im Nebel herumfährt. Beide Umfassungen waren einst durch überwölbte Pfeilergänge verbunden, welche zwischen denselben, mit ihnen und der Ellipse des Podiums concentrisch herumliefen. Sie sind in den unteren Stockwerken, vierfach ucbcn einander laufend, fast vollständig erhalten, soweit sie dem Bruchtheile der äußeren Umfassung cor-respondircn, nnd obwohl die Travcrtinquabcrn dieser mächtigen Pfeiler längst der Eisenklammern beraubt sind, welche sie einst zusammenhielten, thürmen sie sich doch in vollkommen festem Ge-füge auf. Nur die zahlreichen Treppen, welche, diese Pfeilergänge durchschneidend, in die oberen Stockwerke führten, sind zerfallen, theilweise aber durch neue ersetzt. Aus der architektonischen Anordnung dieser Treppen und Gänge ersieht »lau, daß die erstaunliche Zuschauermenge, welche dieses Theater fassen konnte, beim 173 Hinausgehen nach allen Richtungen sich vertheilte, so daß das Gebäude in kürzester Frist sich entleerte. Den vollständigen Eindruck dieses gewaltigen Baues erhält man erst, wenn man anf dein obersten Gange herumgehend das Innere überblickt. Aber hier hat man auch ein Bild großarliger Zerstörung vor sich; denn von den Sitzreihen hat sich nichts erhalten, als die schief zur Arena hinablaufendcn Etühmaliern. Von biesein hohen Standpunkte aus schrumpfen dem Beschauer die Menschen, welche unten wandeln, zn kleinen Gestalten zn-scimmen, gleichwie er selbst in seinem Bewußtsein einen Prozeß der Eclbstverkleinenmg erfährt, in welchem ihm das eigene Leben von zwerghafter Bedeutung erscheint. Und indem sich ihm allmählich die ganze Menschheit unter diesen verkleinernden Gesichtspunkt rückt, verliert er dem Niesenbau gegenüber beinahe den Maßstab des Kunstwerkes und gerade dieses Wunderwerk von Menschenhänden läßt ihm die zahllosen Generationen, welche hinabgesunken, während dieses noch immer steht, in einer Bedeutungslosigkeit erscheinen, daß es ihn überkommt, als habe die Menschheit den unerbittlichen Gesetzen des Alls gegenüber nichts zu thun, als die Hände in den Schooß zu legen. Eine eiserne Nothwendigkeit scheint über dem Menschengeschlechte zu herrschen, jene Heimln--N6N6, welcher die Alten die Götter selbst Unterthan sein ließen, und so vermag sich angesichts des zerfallenen Colosses, der uns an Roms höchste Machtperiode erinnert, unsere Erkenntniß kaum mehr zu erhalten, daß die Menschheit selbst der Träger dieser Gesetze, der Schmied der eigenen Geschicke sei. Immer wieder blicken wir um uns herum in die zerstörten Eingeweide des Baues, und folgen mit dem Auge der elliptischen Linie semes äußeren Leibes. Als habe er es darauf abgesehen, uns die ganze Ausdehnung recht erkennen zn lassen, stiegt von der jenseitigen höchsten Ballustrade krächzend ein Rabe auf und 174 die ganze Weicc durchmcssend, ruht er nach vielfältigem Flügelschlage ermüdet am gegenüberliegenden Rande aus. Jeder einzelne Zuschauer vcrmochle in diesem Theater von seinem Sitze aus die ganze Anzahl der übrigen zu erblicken, und so mußte Jeder den unponirenden Anblick eines wahren Menscheu-gewoges haben. Es mußte ihm ersbeinen, als sei hier wirNick ein ganzes Volk versammelt, daß dem feierlichen Auszüge, womit die Spiele eröffnet wurden, zusah, den Reihen der Gladiatoren zujauchzte, welche — avo (^ßs^r! moiitui'i ts 8g,1uwnt! — vor dem Kaiser austraten, und welches sich sodann an dem grausamen Treiben auf der Bühne ergötzte. Das (Kolosseum war ein offenes Amphitheater. Aber auf dem obersten Gesimse über dem höchsten Stockwerke standen die Matrosen der kaiserlichen Flotte und spannten die weitgcbreitetcn Segeltücher, mit Stricken sie an Mastbäumen befestigend über den ungeheuren Raum, die Zuschauer gegen Regen oder Sonnenschein schützend. Jetzt breiten sich über das Theater nur mehr dic Wolken, die langsam darüber hinwegsegeln. Goethe hat in Bezug auf die Größe des Collosscums den bezeichnenden Ausdruck gebraucht, daß es „in der Erinnerung immer kleiuer werde"; und in der That mnß man es immer wieder besuchen, will man die wirklichen Größenverhältnissc desselben in der Phantasie nicht einschrumpfen lassen. Jeder Besuch dehnt das Bild, das wir das letzte Mal hinweggetragen. Die Aussicht, die wir von der Höhe des Colosseums genießen, erstreckt sich auf einen Theil der römischen Ruinen, weiterhin auf den Palatin, von dessen Mitte inmitten der ausgegrabenen Cäsaren-Palaste die dunklen Cypressen eines Klostergartens über die Mauern ragen, auf den (5älius und den Avcntin, hinter welchem neben dem räthsclhaften inontß tßLwocio die Pyramide deo Cestius steht; weiterhin dehnt sich die Campagna. 175 Bekannt stnd die Bilder, welche das Colosseum bei Mond-bclcuchtung darstellen; aber mit ihren grellen Lichtern nnd Schlagschatten geben sie ein ganz falsches Bild der Wirklichfcit und übertragen auf den Mond gleichsam affcctirle Veleuchttmgstcndcnzcn, die diesem harmlosen Gestirne ganz ferne liegen. In Wirklichkeit ist Alles vnn einem fahlen Lichte übergössen und nur innerHall) der dunklen Pfrilergänge stellen sich die hereinfallenden Lichtstreifen greller dar. Dcr besondere Eindrnck einer im Mondschein stehenden Ruine liegt vielleicht überhaupt mehr in der bloßen Eigenthümlichkeit dcr Beleuchtung, als darin, das; diese den Gegenstand gewaltiger erscheinen ließe, als er sich im Tageslichte darstellt. Die Sonne, die gewohnte Begleiterin bei unseren alltäglichsten Handlungen wird uns als solche die Gegenstände nie so poetisch übergießen, als dcr Mond, dcr in seiner poesievoUen Nutzlosigkeit an sich schon wie ein Gedicht am Himmel steht. Verklärt er uns mit seinem rein nur dem künstlerischen Auge leuchtenden Schimmer elnen Gegenstand, so wird derselbe gleichsam einer eben solchen Zwccklosigkeit theilhaftig, die ihm poetisch zu Statten kommt, indem er, abgesehen von seinen Beziehungen zu uns, sich darstellt. Ist dieser Gegenstand zudem eine Ruine, wie das Colosseum, so wird die rein malerische Bedeutung, in der dieselbe ohnehin aufgeht, noch außergewöhnlich erhöht. Es tritt nns dann die unvergängliche Treue des nächtlichen Gestirns in Gegensatz zur Vergänglichkeit alles Irdischen, dahingegen das Tagcsgrstirn uns zu solchen Empfindungen niemals anregt, es sei denn, daß wir außerhalb der Alltäglichkeit unseres Daseins in freier Natur eines Sonnen-Untergangs nns erfreuten. Ungcmcin malerisch muß sich das Colosseum dargestellt haben, als noch ans den Mauern und Gesimsen dichtes Strauchwerk hin niw her schwankte - ein Engländer hatte einst diese Flora auf M) Nummern berechnet — und vom nächtlichen Besucher, dessen 176 Schritte durch die weiten Näume hallten, aufgeschreckt die Vogel-schwärme aushuschten, die sich in dem Laube bargen. Man hat zum großen Bedauern der Maler die Reinigung des Monumentes vorgenommen, weil die Wnrzeln die Steine ans den Fugen rückten. Doch zeigen sich schon jetzt wieder aus dem Gemäuer Gräser und Gesträuche, als wollc die Natur den Riesenbau in ihren Schooß hinabziehcn, dem Alles verfällt. Steigen wir in die Arena hinab, so bemerken wir noch da und dort die unterirdischen Käsige, welche die wilden Thiere beherbergten. Vor ihnen aber mahnen uns an eine ganz andere Weltanschauung, als welche dieses Amphitheater repräjcntirt, die Kreuzwegstationen, welche jetzt das Podium säumen. Vettelmönche in schmutzigen Gewändern gehen unter Vorantragung eines Kreuzes und gefolgt von einigem Weibervolke singend die Stationen ab und beschließen die Andacht vor dem Kreuze, das mit den Marterwerkzeugen versehen, in der Mitte der Arena steht. Auch dieses Kreuz sichert dem Gläubigen, der es küßt, Vortheile; aber weniger kräftig, als das erwähnte, verleiht es, wiewohl es viel größer ist, lediglich einen Ablaß von 100 Tagen. Es gab eine Zeit, da das „Nazarcner, Du hast gesiegt!", welches dieses Kreuz in Mitte der mächtigsten römischen Ruine ausspricht, ganz anders wirken mußte, als derzeit; — eine Zeit, da dieses Symbol dein Seclenzustande der Menschheit vollständig entsprach. Aber es hat fast aufgehört, diese Bedeutung zu haben. Es ist Aeußerlichkeit geworden, die sich erhalten, während der dem Symbol entsprechende Geist den Menschen, ja der Kirche selbst, abhanden gekommen ist. So steht es denn an dieser Stelle gegenwärtig fast nur mehr als historisch gewordener Gegenstand dem Beschauer gegenüber und das zerfallene Colosseum, das dem Kreuze zur Folie dient, scheint uns vor der Verblendung bewahren zu wollen, als werbe das Schicksal des christlichen Roms ein anderes sein, als das des heidnischen. Wohl war der Aufbau des römi- 177 scheu Weltreichs ein Werk der Menschen, dahingegen der Ursprung der christlichen Idee von der Kirche als ein göttlicher betont wird. Ader Menschenhände sind eS nicht, in welchen sich eine göttliche Gabe in ihrer Reinheit zu erhalten vermöchte und so ist auch das Christenthum unter den Händen selbst seiner Träger zum Katholicismus verkehrt wordeu. Jener Mönch, der am Eingänge deS ColosseumS zurückgeblieben und nun abseits stehend, als handle es sich nur um eine Nebensache dieses feierlichen Umzugs, den Eiutreteuden seinen Klingelbeutel entgegenhält, — er verräth uus vielmehr, wenn auch im Kleinen, einen wesentlichen Bestandtheil des Katholicismus, der in seiner geschichtlichen Entwicklung mehr und mehr von seinen idealen Anfängen sich entfernt. Und wie das Christenthum als Lebensnorm Wandlungen erfahren hat. dic dem Geiste des Stifters nicht entsprechen, so ist es diesem auch untreu geworden in seiuer Fortbildung als dogmatisches Lehrgebäude. Schon hat in dieser Hinsicht der Vatikau durch Verkündigung des Unfehlbarkcitsbogmas die letzte Consequcuz der katholischen Lehre gezogen, und so scheint denn in jeglichem Sinne der Katholicismus jene Entfaltungen herausgekehrt zu haben, die er im historischen Prozesse allmählich herauskehren mußte. Aber Ein Unterschied wird sein in den Abschlüssen der zwei größten Geschichtsepochen, welche durch die Ruinen des Colosseums und durch das Kreuz in seiner Arena versinnbildlicht werden: Während das alte Rom, groß bis zum Schreckhaften, noch in seinem Sturze den Stempel dieser Größe trug, wird das katholische Rom in seinem langsamen und ohne äußere Gewalt sich voll-ziehenden Ruiue den Stempel des Tragikomischen an sich tragen, wie er schon dem einleitenden, selbst verschuldeten, Ereignisse anhaftet, daß der Pontifer marimus der Christenheit auf den Stadt-Pfarrer von St. Peter reducirt worden ist. du Prel. Uüttr Tannen und Pinitü. 12 XIV. I e j i. Einzig d« ^)in»!' l^ibt, Shakespeare: tt'oriolll». Der indolente Charakter südlicher Völker, deren moralische Stärke ganz in den raschfolgenden lclchaficn Affectionen bei kleinlichen Lebensanlässen zu verpuffen scheint und unr selten in zäher Ausdauer für große Ziele sich äußert, wird mit Recht in Zusammenhang gebracht mit dem Klima des Südens; denn es unterliegt keinem Zweifel, daß der Mensch, dessen Dascinsdedinguugen vermöge eines milderen Himmels und der höheren Fruchtbarkeit der Natur leichtere sind, als sie der rauhe Norden gewährt, durch solche äußere Verhältnisse zur Indolenz erzogen wird. Was der Nordländer durch schwere Arbeiten dem Boden abgewinnen muß, das fällt dem Bewohner des Südens als müheloser Gewinn in den Schooß. Dieses in der Geschichte wirkende äußere Prinzip hat Buckle vortrefflich dargestellt; aber er ist in den Fehler verfallen, die Tragweite desselben zu überschätzen. Die Geschichte beweist zur Genüge, daß ein thatkräftiger Volkscharakter, kühner Muth und zähe Ausdauer sehr wohl in heißen Länderstnchen bestehen können. Die Spanier im Zeitalter der Entdeckungen waren andere Menschen, als man sie jetzt auf der Halbinsel südlich der Pyrenäen 12* 180 findet, und die alten Römer, die doch im gleichem Klima leblen, in welchem jetzt der Italiener dem äo1o6 kar nisnts sich hingibt, haben trotzdem die Welt erobert. Es geht daraus hervor, daß der Mensch nicht in solcher Abhängigkeit von der Natur gedacht werden lann, wie etwa die Flora von ihrem Boden und daß im Leben der Völker auch die besonderen Rassenanlagen, die oft unvereinbar mit dem betreffenden Klima erschienen, eine bedeutende Rolle spielen. So war es bei den alten Römern, die in den ersten Jahrhunderten ihrer Geschichte in einen höchst bedenklichen politischen Kampf um's Dasein sich 'gestellt fanden, der für Entwicklung ihres willmskräftigcn, energischen Charakters höchst wichtig war. Nur in fortwährenden Kämpfen mit feinblichen Nachbarn konnten sie sich erhalten, und wollten sie nicht zu Grunde gehen, so mußten ihre Kräfte stets auf's Aeußerste angespannt bleiben. Die Bekriegung dieser Nachbarn geschah aber auch ohne Unterbrechung und mit einer Entschiedenheit, die man nicht umhin kann zu bewundern, so viel Grausamkeit auch dabei mit unterlief. Die Römer waren Real-Politiker. Wo sie siegten, da räumten sie gründlich auf. Mit bloßer Schwächung des Gegners begnügten sie sich niemals. Das Wort „Mißbrauch deS Sieges", womit man vor einigen Jahren das Verhalten Deutschlands bezeichnen wollte, war damals noch nicht erfunden und hätte hochkomisch geklungen in einer Zeit, da die eroberten Städte vom Erdboden vertilgt, Völkerschaften vernichtet und die feindlichen Könige gefesselt im Trinmphzuge aufgeführt wurden, um dann im mamertuchchcn Kerker den Hungertod zu sterben. In jenen Zeiten hing das Schicksal Roms mehr als Einmal an einem Haare. Nach Ueberwindung der Volsker, welche unter Coriolan bis vor die Thore der Stadt gedrungen waren, und der Acquer, zu deren Besiegung Cincinnatns vom Pstnge geholt worden war, fanden sich die Römer einem Feinde gegenüber, der 18l ihnen durchaus ebenbürtig war: den Vejentern. Die etruskische Stadt Veji stand damals in größerer Blüthe als Nom und hatte sich auch schun in früheren langen Kriegen als ein zu sürchteuder Gegner erwiesen. Als nämlich 477 v. Chr. der Consul Fabius mit dreihundert seiner Geschlechtsgeuossen ausgezogen war und sich vor Veji gelegt hatte, wurde die kleine Stremnacht an dem Flüßchen Cremera in einen Hinterhalt gelockt und vernichtet. Der Stamm der Fabier wäre damals zu Grunde gegangen, würde uicht eiu Knabe iu Rom zurückgeblieben sein, der Stammhalter des späterhin so berühmten Geschlechtes. Der letzt Krieg mit Vej:, der die Entscheidung bringen sollte, hatte schon acht Jahre gedauert, als sich plötzlich die Gewässer des vulkanischen Sees von Albano über das Land ergossen. Ein Orakel verkündete, daß Veji uicht fallen werde, bevor nicht der Wasserspiegel des Sees wieder zurückgegangen. Livins erzählt uns, daß die Römer, den Spruch zu erfüllen, innerhalb eines Jahres einen künstlichen Stollen durch die Bergwand gegen den See hinauftrieben, der das Wasser zum Sinken brachte. Noch sieht man am Albanersee bei Castel Gandolfo, der päpstlichen Villa, aus mächtigen Peperiuquadern aufgebaut, die Scbleußeil dieses Emissärs, der zwölfbundert Meter lang noch immer den Seespiegel regulirt und ihn beträchtlich niedriger hält, als es der des benachbarten Sees von Nemi ist. Im neunten Jahre des vejenti-fchen Krieges endlich eroberte der Dictator Fnrius Camillus die Stadt. Durch cineu Stolleu, der bis unter die Burg geführt worden war, stieg er an der Spitze seiner Schaar aus dem Erdboden und fand sich mitten im Tempel der Juno. So wnrde 3W v. Chr. die hartnäckige Nebenbuhlern: Roms erobert und dann vertilgt. Aber weuigc Jahre später brach über Rom selbst Unheil herein: in der Schlacht an der Allia wurden vor den Thoren der Stadt die römischen Legionen von den Galliern ge- 182 schlagen und Rom selbst verbrannt. Nur das Capitol, durch die berühmten Gänse vor dem Ueberfall gerettet, blieb in den Händen der Römer. Der Dictator Camillus vertrieb zwar die Gallier und schlug sie bei Gabii; aber daß Nom bei dieser Eroberung von Grund aus zerstört worden war, beweist nicht nur der Umstand, daß keine Urkunde aus der Zeit vor dem Brande sich erhalten hat, und demnach erst von da ab von einer eigentlichen Geschichte Roms die Rede sein kann, sondern anch der Rath, den die Tribunen gaben, den Wiederaufbau der Stadt zu unterlassen und ein neues Rom auf den Hügeln zn gründen, wo das vor Kurzem eroberte Veji gestanden, — ein Plan, der sich jedoch an Zwistigkeiten bezüglich der Ländereien zerschlug. — Wir verlassen Rom durch die porta, äol popoll) — ehemals porta ^laininm — und wandern an der verfallenen Villa des Papstes Julius III. vorüber auf der alten via. Maininia in die Campagna hinaus. Auf seinem Zuge gegen die ewige Stadt beschreibt hier der Tiber, vom Negen weniger Tage geschwollen und gelblich dahinfließend, einen weiten Bogen. Auf den Grundmauern des P0N8 Nilvius, welchen 1(19 v. Chr. der Censor Aemilius Scaurus erbaute, lastet jetzt der pontß Noilß, auf dem Wir den Fluß überschreiten. Dies ist die Stelle, wo Cicero die Gesandten der Allobrogcr als Verbündete des Catilina gefangen nehmen ließ. Die Brücke ist mit einem Triumphbogen geschmückt zum Andenken an den Sieg, durch welchen in der Cbene, die flußaufwärts liegt, Constantin die Herrschaft des Christenthums entschied. Von ihm verfolgt ertrank tner der Kaiser Marentius in den Fluchen des Tiber. Von den Hügeln aus, an welchen sich der Weg hinaufzieht, siebt man zurückbleibend noch einmal die Stadt, ans deren langer Häuserlinie wie Wahrzeichen ihrer außerordentlichen Geschichte nur mehr zwei Gebäude aufragen: die Kuppel des Petersdomes und 183 das Riesengrabmal des Kaisers Hadrian. In dieser Weise tauchte den Pilgerschaaren des Mittelaiters von diesen Hügeln aus die ewige Stadt auf. Bis zum höchsten Norden hinauf weckte sie in magnetischer Anziehungskraft immer wieder die Sehnsucht in den Gemüthern der Menschen und trieb die Schaareu auf, die den Pilgerstab in der Hand die lange Wanderung antraten, die Alpen überschritten und endlich beim Anblicke Roms in die Kniee sanken. Aber immer wieder dazwischen waren es bewaffnete Heerschaaren, welche gleichfalls die Alpenpässc überschritten und endlich vor Rom anhielten, das sie als Christeu begrüßten, um es dann als Krieger zu erobern. So ging es in merkwürdiger Vermischung weltlicher und religiöser Gefühle Jahrhunderte lang fort, — fast unbegreiflich für uns, welchen die Psychologie des Mittelalters eine räthselhafte Erscheinung geworden. In dem Maße aber, als das politische Ideal des römisch deutschen Reiches schwand und die Herzen der Christen aufhörten, sich nach dem christlichen Rom zu sehnen, waren es anwachsend die Schaaren der Gelehrten und Künstler, welche sich über Italien ergossen und wiederum von durchaus anderen Empfindungen beseelt anhielten, wenn sie die Stadt Rom von hier aus zu ihren Füßen liegen sahen. Aber Alle, von Hannibal angefangen, desftn Heere nach dem merkwürdigsten aller Kriegszüge über die Pyrenäen, die Alpen und den Apennin hier lagerten, bis zu den Künstleru, welche zu Goethe's Zeiten noch diesen Weg nahmen, — sie Alle insgesammt bei aller Verschiedenheit ihrer Empfindungen blickten von dieser Anhöhe aus mit leuchtenden Augen anf das endlich erreichte Ziel ihrer langen Fahrten. Nunmehr aber ist es anders geworden. Die via Oa88ia, deren alte Meilensteine so oft abgezählt worden sein mögen, liegt jetzt öde und verlassen da, seitdem auf dem anderen Ufer des Tiber der Damm aufgeführt wurde, auf welchem die Eisenbahn 184 den modernen Reisenden ohne Vorbereitung bis unmittelbar vor die Stadt führt, wo ihm die ehrwürdigen Trümmer dcr dioklctia-nischen Thermen plötzlich cntgegenstarren. Er betritt sie und findet den überwölbten Naum des Innern zur christlichen Kirche umgewandelt und hört hinter langen Vorhängen Karthäusermönche beten, wo einst das fröhliche Treiben römischen Badelebens vor sich ging. — Weit dehnt sich nach allen Seiten die leichtgcwellte Ebene der Campagna, — ein Meer, das in weiter Ferne von hcllbe-schienencn Gcbirgszügen begrenzt wird. — Es kommt dem landschaftlichen Bilde zu Statten, daß die dunklen Wälder auf den Bergen fehlen, deren Abhänge auf alle Lichtnüancen empfindlich reagircn, während die Contourcn feingczeichnet vom Horizonte sich abheben. Hinter den Sabinerbergen zur Rechten schauen die höheren Rücken der Abruzzen herüber. Ihre Farbe, vom Blau des Himmels fast nicht zu unterscheiden, würde uns ihre Umrisse fast nicht erkennen lassen, wäre nicht manche Kuppe mit Schnee bedeckt, die wie eine Wolke frci zu schweben scheint. Auf zerbröckelndem hohem Backstein-Postamente rnht der Straße zur Seite ein Marmor-Sarkophag. Die Inschrift belehrt uns, daß Vidia Naii3, Naxima ihrem Vater ?. Vidin« Naii^nus — er war zu Severus' Zeiten Präses dcr Provinz Sardinien — und ihrer Mutter liß^ina Ug.ximg, dieses Denkmal gesetzt. Das Volk aber — was bedeutet eine Inschrift einem Volke, das nicht lesen kann? — hat von jeher den Denkstein Grab des Nero genannt und nennt ihn noch so. — Mehr und mehr gewinnt die Landschaft das Anssehen einer öden Steppe. Trotzdem die Regentage kaum vorüber sind, wirbelt schon wieder der Staub auf, wenn schwerwanbelnd die silbergrauen Campagna-Stiere mit den langgewundenen, wntabstehcnden Hörnern vorübcrkommen. Manchmal zieht, vom Schäfer bewacht, 185 die weiße wollige Masse weidender Schafe mit gesenkten Köpfen über den Rasen, vom zottigen Wolfshunde lässig umkreist. Da und dort aber tauchen, wie Pyramiden anzusehen, ans der Ferne die zugespitzten Nohrhntten der Campagnolcn cms. Die menschlichen Ansicdlungen liegen nur weitab verstreut auf der Ebene nnd nnr selten begegnet dem Wanderer ein zweirädriger Karre», dessen Leiter mit dem dem Italiener eigenen .ausgesprochenen Sinne für Thicrquälerei nicht müde wird, aus seinen Esel loszuschlagen und verständnißlos glotzt, wenn man ihn darüber zur Rede stellt. — Dies ist die Hingebung der ehemaligen Weltstadt. Nur das formlose Maucrwcrk, welches da und dort noch ans dem Grasboden bricht, oder ein mittelalterlicher, von Raben umflatterter Thurm von längst verwehter Geschichte zeigen noch an, daß es ehemals anders gewesen. Am neunten Meilensteine der via <ÜH88ia liegt der kleine Ort la Storta. Seine Kirche rühmt sich noch jeuer Vision, welche dem Stifter des Jesuitenordens auf seiner Reise nach Nom dort zu Theil geworden sein soll: Gott Vater empfahl seinem Sohne den Schutz der zu gründenden Gesellschaft nnd dieser wendete sich an Ignatius mit den Worten: „N^o vodi8 Komas pi-opit1u8 6w" — ein Versprechen, das nicht für alle Zeiten gegeben worden zu sein scheint. La Storta ist zwar Poststation; aber die Malaria läßt keine bedeutende Niederlassung zu und wir verlassen den Ort um so lieber, als er Nichts bietet, als was ebcu allenthalben in Italien auf dem Lande zu finden ist: schlechten Wein, hartes Brod und Uebervortheilung in der Nechnnng. Das Räthsel freilich, wovon denn die Leute selbst leben, die auf alle Nachfragen nach soustigeu Lebensmitteln nur den Kopf schütteln, — dieses Räthsel bleibt ungelöst. Wir verlassen nuu die Hauptstraße und wenden uus den Hügeln zu, welche in die trostlose Ebene der Campagna einige lW Abwechslung bringen. Auf einem derselben liegt Isola Farnese. Die Zahl der Häuser ist unbedeutend, steht aber gleichwohl in keinem Verhältnisse zur geringen Einwohnerzahl von kaum hundert Menschen, die es in dem Ficberneste auszuhalten vermögen oder vielmehr durch ihre Armuth gezwuugru stud, ihr Dasein darin zu beschließen. Der Ort bat seine Kirche, deren austoßeudes Pfarrhaus niedergebrannt ist, — ein Act der Vendetta, deren Ursache zwar der Führer verheimlichen zu müssen glaubt, die aber uicht schwer zu errathen sein möchte. Iu der Nähe von Isola Farnese findet man einige zerstörte Grabnischeu in den Tuffwänden der Hügel; in, Orte selbst aber ist Nichts zu sehen, als Jammer und Elend. Die Kirche nennt ja die Erde ein Jammerthal: Nichts natürlicher, als daß sie in den Jahrhunderten ihrer weltlichen Herrschaft dafür gesorgt bat, den Menschen diese Wahrheit recht vor Augen zu rücken. Daß die Gegend ehemals viel gesünder gewesen, als jetzt, beweist der Umstand, daß der bereits erwähnte Vorschlag, das von den Galliern zerstörte Rom preiszugeben und hier ein neues zu gründen, eben durch die gesuude Lage Veji's nwtivirt worden war. Auch die gesicherte Lage lud hierzu ein, dergemäß Veji eiue so lange Belagerung zu ertragen vermocht hatte. Wenn wir freilich jetzt diese unscheinbaren Hügel scheu, die mir durch zwei genüge Flüßchen, die sie umgeben, einigermaßen geschützt sind, so müssen wir erkennen, daß die Belagerungskuust sogar der Römer damals noch iu den Windeln gelegen sein mußte. Der Besuch von Veji oder vielmehr jener von Steineichen und Gestrüppe bewachsenen Stätte, auf der einst Veji lag, lohnt sich im Grunde nur für den Archäologen. Die Landschaft ist malerisch, insbesondere in ihrm Coutraste zur Campagua, würde aber wohl kaum zahlreiche Besucher anziehen, läge sie etwa in der geschichtslosen Alpenwelt und hafteten daran uicht klassische Erinnerungen. An einer schön gelegenen Mühle vorüber, deren 187 spärliches Wasser über hohe Tuffsteinfelsen abstürzt und an einigen Brücken vorbei, von welchen zum Theile nur mehr die antiquen Pfeiler-Fundamente noch vorhanden sind, gelangt man zum sogenannten pontß 8060, einem ganz in den Felsen gehauenen langen Tunnel, durch welchen der Formello stießt. Steile, mit Epheu bedeckte Ufer, dazwischen Steineichen und bemooste Felsen umrahmen den Tunnel, der aus etruskischcn Zeiten stammend, unser Staunen erregen muß. Nebenan liegt die zerstörte Nekropolis. In größerer Entfernung wurde vor wenigen Iahrzehmen ein weiteres Grab entdeckt, das vollständig erhalten war und auch seither in diesem Zustande verblieb. Es ist ganz in den Felsen gehanen und gilt für cincs der ältesten etruskischen Gräber. Vor der hölzernen Eingangsthüre, welche den verschließenden Steinblock ersetzt hat, liegen ein paar unförmliche Gebilde ans Stein, deren primitive Formen unter dein Moose, das sich angesetzt, nur schwer ^die Löwenfignr erkennen lassen. Die Grotte des Grabes besteht aus zwei dunklen Kamern, deren vordere an den Eeitenwänden die aus dem Felsen gehauenen Paradebetten enthält. Ein Krieger und seine Frau lagen auf denselben bei der Entdeckung; aber die Skelette zerfielen beim Zutritt der Luft. Noch sieht man den Brustharnisch des Gatten und seinen Helm, zu beiden Seiten über der Schläfe durchbohrt. Fin Pfcilschuß hatte wohl seinem Leben ein Ende gemacht. Große Henkelkrüge, Aschengcfäße und ein Weihrauchbecken finden sich in der inneren Kammer. Die vom zweiten Eingang durchbrochene Wandfläche ist in grotesker Weise mit Fignren, hauptsächlich aus dem Thierreiche bemalt und wollen die Archäologen hierin die ältesten bisher bekannten Wandmalereien erkennen. Keine Inschrift überliefert uns den Namen des Kriegers, dem man eine so auszeichnende Todtenkammer gegraben hatte, sicher, daß die Kunde seiner Thaten den Nachkommen nicht verloren gehen werde. Welch' ein Trauern und Wehklagen mag 188 einst geherrscht haben, als man den Gefallenen hier niederlegte! Und jetzt ist Alles verwest, die Klagen seiner Gattin und seines Stammes, sein Ruhm und die Asche selbst seines Leibes. Nur wißbegierige Reisende betreten manchmal die dunkle Grotte, um womöglich Aufschlüsse zu erhalten über das räthselhafte Volk der Etrnsker, das einst hier wohnte. Aus späteren Zeiten hat sich von Veji beinahe Nichts erhalten und obwohl noch zu Cäsars Ieitcn hier eine Veteranen-Kolonie gegründet wurde, wo die alten, narbenvollen Krieger noch einige Ruhetage genießen sollten, so finden sich doch kaum mehr Spuren römischer Bauten. So findet sich denn dcr Wanderer auf diesen altberühmtcn Hügeln in vollster Einsamkeit, und wenn er am Saume des schattenlosen Waldes ruhend dem Plätschern des Formello horcht, dcr nach wie vor dlirch den etruskischcn Tunnel fließt, wenn er dic Veilchen dem Grasboden entsprossen sieht an dcm Orte, wo einst durch Peji's Vertilgung dcr Grundstein gelegt wurde zu der unendlich langen Vö!t>rschlächtcrei, welche Rom über die Welt brachte, dann mag er sich wohl der Worte des Dichters erinnern, der die Schönheit dcr Welt preist, die sich überall finde, wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual; es mag ihn selbst ein Gefühl der immer ersehnten und nimmer erreichbaren Nuhe überkommen, wenn er den tiefen Frieden der Natur gerade über diesen Erdenfteck gebreitet sieht, auf dem einst das Blut eines untergegangenen Volkes stoß. — Aber nein, dem ist nicht so. Noch ganz wie damals, als die Schaar des Camillus durch den Boden sich wühlte und jähen Tod den ahnungslosen Vejentern bereitete, so lauert auch jetzt noch das Verderben auf der anscheinend so friedlichen Halde. Die niedliche Eidechse, die so neugierig nach mir blickt und vom warmen Sonnenscheine auf den bemoosten Stein sich locken läßt, — ihr naht sich schon der Vertilger in Gestalt einer braunen ,89 Viper, die den schmalen glänzenden Leib geräuschlos hinaufringelt; und plötzlich am Kopfe erfaßt, verschwindet das Thierchen mit halbem Leibe im Rachen des Reptils. So geht der ewige Kampf der Natur mit sich selbst immer vor sich, wie vor Jahrtausenden, so auch jetzt noch hier, wo sie durch ihre Schönheit nnd falsche Ruhe uns entzücken will. Krieg ist der ewige Znstand, in dem sich die Natnr befindet, mögen es nun Menschen sein, welche den Bewohnern einer Nachbarftabt den Tod bringen, oder die Thiere, welche den Kampf unter einander führen, oder das Schlinggewächs im Walde, das die Pflanze erstickt, an der es sich so anmnthig für das Auge emporrankt. Den Krieg Aller gegen Alle nur sehen wir in der Natur, wenn unser Blick nicht an der Oberfläche der Dinge haften bleibt; sie erhält sich nur, indem sie sich immerwährend vernichtet. Ihr feht darin vielleicht eine weise Anordnung; aber ich verüble es dem alten Stagiritcn nicht, wenn er agt, nicht göttlich erscheine ihm die Natur, sondern dämonisch. Wird er etwa durch Jene widerlegt, welche sagen, durch den Menschen selbst, durch den Sündenfall im Paradiese sei das Uebel in die Welt gekommen? — Welche Verblendung! — Es leben die Thiere im Stande der Unschuld und ich wenigstens sehe nicht ein, wie die niedliche Eidechse, mit der sich die Viper davongemacht bat, die Schuld Adams zu büßen haben soll. Oder hat etwa im Paradiese der Stammvater der Eidechsen nach einer verbotenen Mückenspecies geschnappt? XV. Zer Uetcrsdom in Aom. Sei gegrüßt, Du Haupt der (^rd?, Kuppel uon Et. Esters Dom! 'KUssern inmnist Du die Beschwerde Wem» Du auf verlliss'nes Fährte Kundigst an das ewige Nom! ?>ä>,er, ernst i>n Niessüichluuüge Hebst Du uo>- d«n Blick Dich auf; Vo' Larpl'ias sselseusplunge Bis wc> binstllrb Tnsso's Zung« ß.icheln Pinie» Dir hinauf! Martin Greif, Daß das Christenthum nirgend in der Wclt seinen monumentalen Ansdruck in so großartiger Weise gefunden, als in Rom, erklärt sich historisch von selbst. Ader die ungeheure Anzahl der Kirchen, welche in dieser Stadt im Verlaufe der Jahrhunderte entstanden, würde gleichwohl unsere Verwundcruug erregen, wenn nicht ihr Besuch uns erkennen ließe, daß nirgend so leicht und so billig gebaut werden konutc, als in der ehemaligeu Stadt der Cäsaren. Nicht nur, daß heidnische Tempel und Basiliken in christliche umgewandelt wurden, es boten auch zu Neubauten die antiqueu Monumente ein kaum zu erschöpfendes Arsenal an Säulen, Marmortreppcn, uud Fußbödcu aller Art, die man so ohne alle Wahl verwendete, daß z. V. in mehreren Kirchen Säulen verschiedener Ordnung und verschiedenen Gesteins neben einander stehen. 192 Die größte Kirche Roms nicht nur, sondern der ganzen Welt, ist der Petersdom. Die früheste Anlage fällt in die Regierung Constantins, der die Kirche an dem Platze erbaute, wo der Circus des Nero stand, in welchem der heilige Petrus den Märtyrertod erlitten habcu soll. Die Gebeine des „Apostclsürsten", aus den Katakomben der via ^MZl hierher versetzt, waren natürlich schon in frühesten Zeiten Gegenstand höchster Verehrung, welche ihnen unbeschadet der Verwüstungen und Greuel zu Theil wurden, womit so viele feindliche Heerführer Rom überzogen. Die reißenden Wölfe verwandelten sich vor dem Aposlelgrabe für kurze Zeit in fromme Lämmer. So sehen wir schon den Gothen-König Totila die Stadt Nom vorerst plündern, dann aber seine Andacht vor dem Sarge des heiligen Petrus verrichten. Und wie schon Mitte des fünften Jahrhunderts Papst Leo der Große den Hunnentönig Attila zur Umkehr bewogen hatte, so wurde auch Anfangs des achten Jahrhunderts der Longobarde Luitprand, der als Feind vor Rom erschien, durch Gregor II. zu eiuer demüthigen Wallfahrt an das Apostelgrab bestimmt, wo er Krone, Mantel und Waffen als Weihgeschenke zurückließ. Weniger glücklich war im folgenden Jahrhunderte Sergius II., der die Saracenen von der Plünderung der Kirche nicht abzuhalten vermochte. Aber der folgende Papst, Leo IV., erfocht bei Ostia einen Seesieg über die Räuber und umgab den Stadttheil von St. Peter mit Befestigungen. Er wurde nach ihm eittä. I^onina benannt. Während des ganzen Mittelalters mifchten sich ebenfo die Ceremonien im Petersdome in die Scenen von Mord und Plünderung, womit deutsche und andere Eroberer die Stadt heimsuchten. Die alte Kirche war Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts dem Verfalle so nahe, daß Nikolaus V. sie umzubauen beschloß. Sem Nachfolger jedoch, Julius II., entschied sich für einen vollständigen Neubau und so entstand denn im Verlaufe von fast 1V 200 Jahren der jetzige Dom, an dessen Ban sich die Namen der berühmtesten Architekten knüpfen, — leider; denn der einheitliche Plan ging Darüber verloren. 3lnf der Engelsbrücke den Tiber überschreitend, gelangen wir an dem Mausoleum des Kaisers Hadrian — der jetzigen Engelsburg — vorüber aus di Piazza di S. Pietro, in deren Mitte der ägyptische Obelisk steht, den einst Caligula von Heliopolis nach Rom hatten bringen lassen. Si,rtus V. ließ den nngcheurcn Monolithen ,,lid irnpura 8up6r8tition6 ßxpicltuni" an seinen jetzigen Platz versetzen nnd zierte seine Spitze mit dem Kreuze. Ein ägyptischer Obelisk, in unvordenklichen Zeiten an den Ufern des Nils aufgerichtet, durch einen weltdeherrschcnden Kaiser nach Rom verpflanzt, von einem Papste vor den größten Tempel drr Christenheit gesetzt und mit dem Kreuze geziert, — es ist ein Monument, in welchem nicht nur die Geschichte von Jahrtausenden, sondern auch die wichtigsten Phasen der Weltgeschichte ihren Ausdruck sin den. Der Petersplah bildet eine elliptische Fläche mit vorliegendem Viereck. Die dorische Kolonnade, welche, die beiden Seiten der Ellipse einschließend, bis an die Ecken des vorliegenden Platzes läuft, sieht sich an, wie ein Wald von Säulen. In vierfacher Linie neben einander laufend, bilden 88 Pseiler nnd 280 Säulen drei breite bedeckte Gänge. Die Balustrade über denselben ist mil ciner Unzahl von Hciligenstatuen geziert. Indem der eingeschlossene Raum durch Ausbicgung der Colonnade elliptisch nach beiden Seiten sich erweitert, das Auge des Beschauers aber in der Täuschung der Krcisform befangen ist nud den in Wirklichkeit kürzeren Durchmesser für nur perspektivisch verkürzt ansieht, erfährt dcr Platz eine architektonische Schcinvcrgrößerung, welche bestimmt ist, die Facade der Vorhalle zu heben, zu der, an die ansteigende Rampe sich anschließend, einc breite Freitreppe hinaufführt. Diese dn Prel, Unter Tannen m>d Pinie». ^ 194 architektonische List sollt,,' die verfehlte Anlage der Facade corri-giren, deren architektonische Details von vor- und zurückspringenden Theilen, von Fenstern über den Eingängen, Nischen zwischen denselben, Mastern und Halbpilastern zwischen den acht der Facade eingedrückten Colossalsäulcn die Wirkung des Ganzen beeinträchtigen, indem keine großen Dimensionen zur Geltung kommen, wie sie erreicht worden wären, wenn etwa die Säulen von der Facade abstehend in eine offene Vorhalle führten. Aber auch die Wirknng des Gesammtbaues wird durch diese Facade stark benachtheiligt, indem sie nicht nur den ganzen Lcib der Kirche, sondern auch die Hauptzierde derselben, den von Michel Angelo entworfenen Kuppelbau in seinen unteren Theilen verdeckt. Daher kommt es, daß dieses Wunderwerk der Architektur, trotzdem seine Höhe vom Fußboden der Kirche bis zum Kreuze 448 Fliß beträgt, erst aus größeren Entfernungen zur ganzen Geltung gelangt und daß wir meilenweit von Rom entfernt seine gigantischen Verhältnisse besser beurtheilen können, als wenn wir vor dem Dome stehen. Von Bramante und später von Michel Angelo war der Plan des Domes als griechisches Kreuz entworfen, dessen vier Arme von gleicher Länge sind. Man ist von diesem Plane abgewichen und hat durch Verlängerung des vorderen Schiffes ein lateinisches Kreuz hergestellt. Diese Verlängerung ist es, welche gleich einer bösen That, die Böses gebären muß, schließlich zum Anbau jener Fayade führte, die eher einem Schlosse als einer Kirche anzugehören scheint, während unter Beibehaltung dcr griechischen Kreuzesform mit dem kürzeren Vorderarme die Kuppel für den Beschauer auch aus nächster Nähe in voller Wirknng dagestanden wäre. Wenn wir nun das Innere des Domes betreten, der an Flächeninhalt den ihm nächstkommenden Mailänder Dom um fast 90,000 pariser Quadratfuß übertrifft, so erhalten wir allerdings 195 den Eindruck riesenhafter Verhältnisse, welche insbesondere dann zur Geltung kommen, wenn große Mcnschcnmassen oderZ ^üge von Processionen zur vergleichenden Beurtheilung veranlassen. Aber solche Gelegenheiten sind selten; die geringe Anzahl frommer Besucher, die man meist trifft, verliert sich in dem ungeheuren Namn und wir empfangen darin den Eindruck eines Domes, dessen Dimensionen, einem ganz anderen frömmeren Jahrhunderte augepaßt, dem unseren inadäquat geworden; eines Domes, dessen Architektur die vergangene Macht der Kirche ausspricht, dessen Menschenleere aber uns mahnt, daß das christliche Rom aufgehört hat, die Sehnsucht der Völker zu sein. Damals, als die Iubilaums-Feicrlichleiten Hnnderttauscndc von Pilgern nach Rom zogen, nnißte der Gedanke entstehen, einen solchen Tempel der Christen«' heit zu bauen; aber jetzt macht seine Größe einen tragischen Eindruck. Weuu man liest, daß der Dom von St. Peter 2W Fenster, 46 Altäre, 748 Sänlen nud 390 Statuen enthält, so lassen uns solche Zahlenangaben ein Gesammtbild erwarten, das wir in Wirklichkeit nicht vorfinden, weil wir insbesondere vom Vorderschiffe aus nicht alle Räume gleichzeitig überschauen können. Nicht einmal die Länge des Mittelschiffes läßt sich mit Einem Male übersehen. Das Ange wird schon in der Linie des Querschiffcs durch den über dem Grabe des heiligen Petrus erbauteu Hoch-Altar aufgehalten, der gerade unterhalb der Kuppel steht und sehr ungünstiger Weise mit einen, ehernen von gewundenen Säulen getragenen Baldachin versehen ist. Davon ganz abgesehen, daß dieser Baldachin au sich ein Muster von Geschmacklosigkeit darstellt, stört er bei seiner bedeutenden Hölje von mehr als 80 Fuß die Perspektive nach allen Seilen. Den erhabensten Eindrnck aber empfangen wir, wenn wir vom Hochaltare auS nach der Kuppel emporblicken, durch deren 15" 196 hohe Fenster Ströme von Oberlicht in den Dom herabquellen. Wir sehen vorerst den mittleren Raum der Kirche nm den Hoch-Altar herum in seinen vier Ecken durch Pfeiler begrenzt, denn außerordentlicher Umfang von 7l Meter uns schon aus die Lasten vorbereitet, welche zu tragen ste bestimmt sind. Vier hohe Bogen, mit welchen die eingewölbten Arme des Längenschiffes und des Querschiffes nach dem Mittelranm zu absetzen, verbinden diese Pfeiler wie hochgespannte Brücken. Ueber diesen Bogen endlich steigt die Kuppel an, auf der wiederum die von 16 Bogenfenstern erhellte Laterne ruht. Es macht vorerst einen beunruhigenden Einbruch wenn man dieses hochgctragcne und weitgestrecklc Gewölbe über sich erblickt^ verfolgt man aber die kühuen Linien der Curven, welche den gewaltigen Raum überspaunen, so siuden wir die Gesetze der Schwere, die Vertheilung der Kuppellast auf die vier Bogen, welche wiederum von den beruhigend umfangreichen Pfeilern entlastet sind, so anschaulich dargestellt, daß alle Befangenheit verschwindet. Wenn es der Sinn der Architektur ist, uns die Gesetze der todten Materie in ihrer Einfachheit nnd Nnum-stößlichkeit erkenntlich zu machen, so tanu man wohl sagen, Michel Angelo habe in diesem Kuppelbau diese Gesetze zum reinsten Ausdruck gebracht. An Kunstwerken aller Art ist der Pctersdom ungemein reich, ärmer aber als manche bescheidene Kirche Roms, wenn wir nach der Qualität derselben sehen. Neberall blickt die Tendenz nach dem Großartigen anf Kosten der wahren Schönheit durch. Die kolossalen Hl'iligcnstatiien nnd manches Andere erinnern an die Zeit, da in der Kunst das Baroke zur Geltung gekommen war, die großen Mosaikkopicn von Gemälden berühmter Meister wirken kalt und so besitzt der Dom mit Ausnahme einiger Figuren an den Papstgräbern im Grunde nur Eiu Kunstwerk, welches Bewunderung erregt, eine Skulptur von Michcl Angelo: die heilige 197 Maria mit dem todten Christus auf dem Schooße. Wenn man etwa aus dem capitolinischen oder vatikanischen Museum kommend, wo die ewige Schönheit griechischer Plastik uns entgegentritt, aber die Götterbilder „ungerührt von Empfindung", nach Winkelmauns Ausdruck, vor uns stehen, sich dann diesem Iugendwerke Michel Augelo's gegenüberstellt, so empfindet man doch, daß die Nenaissance-Sculptur, welche die mittelalterliche Innerlichkeit in sich aufgenommen, zu einer höheren Aufgabe fortgeschritten ist, als sie in der Antique gelöst war. Die äußere Schönheit der Gestalt, wie sie der Meißel griechischer Künstler darzustellen vermochte, blieb von der Renaissance unerreicht und ist vielleicht noch weniger uns erreichbar; aber die Aufgabe, dem todten Gestein die nicht nur lebensvolle, sondern empsindungsvolle Seele einzuhauchen, diese von der Antiqne ungelöste Aufgabe haben Malerei und Plastik der wieder auflebenden Künste sich mit bewundernswerthem Erfolge gestellt. Mau möchte fast geneigt sein, in dieser Marmorgruppc von Michel Angelo das einzige Bildwerk des PetersdomeS zu erkennen, das ganz den psychologischen Gehalt des Christenthums in sich birgt. Ja noch mehr: der Nordländer wird vielleicht, wenn er dem Eindruck dieses Domes im Allgemeinen sich hingicbt, der Ansicht sein, daß die Transcendenz des Mittelalters in den halbdunklen gothischen Kirchen mit ihren hohen anfwärts weisenden Thürmen architektonisch besser gewahrt ist, als in den kirchlichen Renaissance>Vauten Italiens. Der Petersdom insbesondere mit seinem kostbaren Marmormatcrial des Fußbodens, der Wäude uud Säulen, mit den vergoldeten Cassclirimgen der Deckengewölbe macht mehr den Eindruck eiucr prächtigcu Ecremonienkirche, in welcher Alles einem mächtigen Pontifer zur Folie dienen soll, als den eines Versammlungsortes von Gläubigen, deren Sinn deu Dingen dieser Erde abgewendet werden soll. 198 Wenn wir aber einerseits dic psychologische Seite jencr Idee, welche das ganze Mittclalter bestimmt hat, in diesem stolzen Tempelban nicht herausgekehrt seben, so sind doch die Wanderungen durch die weiten Ra'nmc des Pctcrsdomrs nnd an seinen zahlreichen Bildwerken vorüber ungemem geeignet, uns den historischen Gehalt des Christenthums nnd die Macht vor Angen zll rücken, zu der es sich im geschichtlichen Processe entwickelt hat von dem Augenblicke an, da der Kaiser Marentins, von Constantin — 8ud koo 8IAN0 vinos8! — geschlagen, in den Wellen des Tiber ertrank und das Christenthum, mit Konstantin in Rom einziehend, seinen Siegcslanf begann! Die runde, dem Fußboden der Kirche eingefügte Porphyr-platte erinnert nns an jene Zeiten, da die deutschen Kaiser auf derselben demüthig vor den Päpsten knieten, die Kaiserkrone zll empfangen. Nicht weit davon, im rechten Seitenschiffe, steht das Grabmal der Markgräsin Mathilde von Toskana, dessen Marmor-relicf nns jene historische Scene im Schloßhosc zu Canossa (ll)77) vorfühlt, die schimpflichste Erniedrigung deS deutschen Kaiserthums: Heinrich IV., im Gewände eines Bettlers, küßt dem auf dem Throne sitzenden Papste Gregor VIl. den Fuß; Scepter nnd Krone werden hinter ihm getragen, das kaiserliche und das päpstliche Gefolge nmstcht die Scene. Äbcr indemselben Tome, in welchem jetzt die Gebeine der Markgräsin Mathilde ruhen, ward derselbe deutsche Kaiser wenige Jahre fpa'ter durch einen Gcgenpapst gekrönt, Gregor VII. wnrde entsetzt nnd starb kurze Zeit darauf im Eril, während die Normannen und Saracenen, die er zu Hülfe gerufen, die Stadt Nom in Brand steckten. Der Nachfolger jenes Papstes aber, dem einst ein denlscher Kaiser zu Füßen sank, sitzt nun im Anbau dieses Domes, dessen Cercnionienmrister-thum ihm noch belassen wurde, und fleht aus den Prunkgemächern des Vatikans vergeblich jene Zeiten von Gott zurück, da der Kirche l99 noch Mathilbische Länderfchenkungcn zusielen. Und wenn er durch die Hallen des Domes wandelt, an den Grabmälern vorüber, von welchen die ehernen Gestalten seiner Vorfahren segnend die Hände ausstrecken, die sie lebend nur zum Fluche ausgestreckt, dann mag er sich insgeheim gestehen, daß es mit der Macht des Papstthums für alle Zeiten vorüber ist, nicht nur weil es ufgehört hat, den christlichen Gedanken zn repräsrnlireu, sondern weil dieser selbst nach Modifikationen strebt. Freilich, was sich im Verlaufe von zwei Jahrtausenden cmf-gebaut hat, zerfällt nicht iunerhalb einiger Jahrzehnte, und eine Religion, welche die Gemüthsticfen der Menschheit grüudlicher ausgewühlt hat, als je eine frühere, wird ein Bedürfniß der Menschheit bleiben, so lauge, als es überhaupt menschliche ?lrt sein wird, sich den Erscheinungen der Natur gegenüber nach den Bedürfnissen des Gemüthes auseinanderzusetzen und der Eudämo-nismus ein wesentlicher Bestandtheil aller menschlichen Transcendcnz sein wird. Und selbst einer noch so hohen Bildung des Zeitalters wird eine solche Religion nicht weichen, so lange es Bevölkerungsklassen giebt, welchen die Resultate dieser Bildung vorenthalten bleiben. Es ist aber im Grunde die Bildung eines jeden Zeitalters und selbst die uuscres vorwiegend materialistischen Jahrhunderts doch nur dazu augethan, die bestimmte Form eines religiösen Bewußtseins, welche die vorangehenden Generationen sich geschaffen, zu überwinden, nicht aber das religiöse Bedürfniß selbst zu ersetzen. Mag es auch gegenwärtig den Anschein haben, als gehe unsere Entwicklung auf Beseitigung des religiösen Gefühlslebens selbst hinaus, als werde sich die Menschheit nicht nur der Form, sondern der Sache selbst entledigen, so wird sich doch herausstellen, daß eine so gcstaltenrciche, so phcmtasicvotte und psychologisch so tief- 200 begründete Volksmetaphysik, wie es dcr Katholicismus ist, nicht mit Mnem Male zu einem abstrakten Gcdankensysteme verblassen wird. Aber auch der religiöse Indifferentismns der höheren Bildung wird sich als eine nur vorübergehende lHrsckcinuug erweisen. Die Curie selbst hat das Mittel gefunden, der Stagnation, der wir in religiöser Hinsicht verfallen waren, abzuhelfen und die Sache wieder in Fluß zu bringen, — nur daß sie dabei in den vcrhängnißvollcn Irrthum verfiel, zu glauben, die Belebung des religiösen Bewußtseins komme einer Wiederbelebung dcs Katholicismus gleich. Eine große weiße Marmortafel im Peters dome enthält folgende Inschrift: ?iu8 IX., pontilsx mkximu8, in kg,o Mii-iarelikii dkLiliog, äis VIII. ä606mdi-i8 anno NV(^OI.lV äo^m^tiegm 6ßtmiti0N6m äs oonesptioilL iininaoulata äßi^araß vir^iniZ Nariä6 inter «aera Zoismnia ^ronunoiavit totiuscjus ordis oatlioliei ä68iä6i-ig. oxpisvit. — Wir können es dahingestellt sein lassen, ob das Bedürfniß der katholischen Gläubigen nach Verkündigung des pbantasievollen, übrigens plagiarischeu, Dogmas von der linbesicckten Empfängnis) in dcr That fo stark gewesen, daß sie es ohne dasselbe nicht mehr auszuhalten vermochten; aber es läßt sich diesem Schritte dcr Curie das Verdienst nicht bestreiken, wieder den crstcn Anstoß zur (Entwicklung dcr religiösen Frage gegeben zu haben. Der IndiffcrcntismuS unserer Generation würde diese Frage aus ihrer Stagnation nicht befreit haben uno es war kein Heil abzusehen, wenn nicht schließlich die Kirche mit Anforderungen beran-getretrn wäre, die denn doch selbst den Gleichgültigsten bedenklich vorkommen mußten. Hierzu wurde der Anfang gemacht durch das Dogma, von welchem diese Marmortafel spricht, bis endlich die in der Logik dcs Systems, aber nicht dcr Vernunft, liegende Verkündigung dcr päpstlichen Unfehlbarkeit uns die Erkenntniß der Gefahren brachte, welche das Verharren in der Unlhätigkeit im 201 Gefolge haben würde. Erst jetzt ist zu hoffen, daß die wiederum in Fluß gebrachte Frage in einer Neligionsform ihre Lösung finden wird, die, mag sie auch noch ganz und gar unbestimmbar sein, jedenfalls den Bedürfnissen des Jahrhunderts besser cut, sprechen wird, als der vom Geiste des Christenthums allein noch übrig gebliebene katholische Formelkram. Im Mittelschiffe des Pctcrsdoms sitzt auf weißem Marmorsessel die Broncestatue des heiligen Petrus. Die Ichcn seines vorgestreckten rechten Fußes sind durch die Küsse der Gläubigen im Verlaufe der Jahrhunderte beinahe ganz abgeküßt worden. Die Kaiser und Könige fremder Länder, die zahllosen Schaarcn der Pilger und der Einheimischen sind hicrhergcwallt, ihre Andacht zu verrichten. Noch finden sich die Landbewohner und manchmal der Römer selbst vor dem Bildwerke ein und setzen das Werk dieser andächtigen Zerstörung fort. Aber wird die Verstümmelung uoch viel weiter gehen? — Armer heiliger Petrus! Wärest Du wirklich der Fels, der eine in Ewigkeit nicht zu überwältigende Kirche trüge, es müßte ja Deine eherne Statne im Petersdome mit der Zeit noch ganz vou Küssen aufgezehrt werden. XVI. Eine verlassene Stadt. Cypress' und Epheu, Grns und Ncssclblatt, Zerbrochne Eälllcn, cingesuntues Dach, Erdhaufe», wo der Saal gcstandeil hat, Frescos verschlammt im feuchten Erdg«m«ch-------— Byron. Von den Gebirgszügen, welche die mecräbnlich sich breitende, farbenprächtige, aber öde Campagna von Rom säumen, sind eö wohl die Albancrberge, welche dem Auge cim crsreulichsten sich darstellen und deren landschaftliche Schönheit in größter Zahl die Fremden anzieht. Aber anch das wenig dcsnchtc Volskcrgcbirgc, das in energischen Linien nnd alftenhaft gewölbten Rücken gleichsam den unbändigen Charakter seiner Bewohner kündigt, birgt malerische Reize nnd historische Merkwürdigkeiten aller Art, die sich wohl größeren Rnhmes crsrenen würden, wären nicht Malaria und Brigantaggio verbündet, den Bcsnch dieser Gegend zn erschweren. Die längstcrloschcnen Krater der Albancrbcrge, deren Kessel jetzt von den tiefblauen Seen von Nami und Albano gefüllt sind, haben der Campagna, die sich dein Meere zu dehnt, ihr charakteristisches Ansehn gegeben. Die Landschaft ist von langen, tief-cingeschnittenen, vulkanischen Nissen durchzogen, welche die roth- 204 braune Erde des Bodens aufgewühlt haben. Der Blick schweift ungehindert über die endlose Ebene, ans der nur einzeln und weitoerstrcnt die spitzzulaufenden Nohrhütten der Campaguolen aufragen. Heerden von Schafen und silbergraucn Nindcrn ziehen lässig weidend über die niederen Wellen des Terrains, gefolgt vom reitenden Hirten, der mit seinem lanzcnähnlichen, langen Stäbe in erstaunlicher Vergrößerung vom hellen Horizonte sich abhebt. Weiter im Süden verläuft die Ebene verblauend in die Pontinischen Sümpfe, jenseits welcher, vom Festlande in der Farbe kaum zu unterscheiden und wiederum in den Horizont sich verlierend, das Meer liegt. Das Auge wird müde, immer über die Unendlichkeit dieses öden Einerlei zn schweifen, und doch blickt eö, statt sich im Anblicke der seitwärts liegenden Volskischen Berge zn erholen, immer wieder dem Meere zu, um dort in äußerster Ferne auf dem weit vorspringenden, sagenreichen Cap der Eircc auszuruhen. Wie eine hohe Felseninscl steigt dieser knrzc blaue Gcbirgsstock aus der Eampagna auf, fast senkrecht in's Meer abfallend, das dann und wanu im Sonnenschein anfglitzcrnd ftinen Fuß bespült. Gewiß, in so öder Umgebung mußte der Blick des Menschen von jeher diesem unvergleichlich schönen Vorgebirge sich zuwenden, und indem das Auge nur diesen Nuhepunkt zu finden vermochte, mußte seine Phantasie mit Macht zur Bildung der Sagen angeregt werden, die uus das Eap der noch jetzt im Munde des Volkes lebenden Zauberin verklären. Verlaßt man die Straße, welche von dem alten Veliträ — Rom's erster Kaiser entstammte dieser Stadt -^ nach Tcrracina durch die Pontinischen Sümpfe führt uud wendet man sich in östlicher Richtung den Volskerbergcn zu, so gewahrt man schon auf große Entfernung am Fuße derselben einen mittelalterlichen 205 Thurm, der wie in einem kleinen Eilande üppiger Vegetation verborgen liegt. Lichte, Oelpflanzungen ziehen sich dahinter bis zn geringer Höhe den Berg hinanf, dessen obere, baumlose Wände fahl im Sonnenlichte erglänzen. In vielen, langgestreckten, Windungen führt eine Serpentine hinauf znm Gipfel. Dort steht anf röthlich braunem, jäh abstürzenden Felsenvorsprung, hochgelegen wie ein Adlernest, der Ort Norma. Vor etwa tausend Jahren wurde diese Ansiedelung gegründet, an Stelle des uralten, weiter rückwärts gelegenen Norba, von dem sich nichts erhalten hat, als die Grundlagen eines cyklopischen Mauerringes, in dessen Innerem formlose Steinmassen den Platz der antiquen n.i-x bezeichnen. In dieser Festung wnrden einst die Geißeln Carthago's gefangen gehalten; im Snllanischcn Kriege aber erobert, wurde das ganze Felscnnest von den Vertheidigern in Brand gesteckt und die eindringenden Feinde fanden zwischen den rauchenden Trümmern nur noch die Leichen der Bewohner, die sich selbst das Leben genommen hatten. An einigen Erdhütten vorüber, aus deren dunklem Innern der Wanderer staunend von Schmutz starrende, menschliche Wesen treten sieht, gelangt man zu jenem ruincnhaften Thurme, der weit feldein die Stelle bezeichnet, wo die Stadt Ninfa liegt. Wohl an wenigen Orten der Welt starrt uns ein so düsteres Bild entgegen, wie hier. Die Stadt Ninfa, einst mit 10,000 Einwohnern bevölkert, ist schon vor vierhundert Jahren der Malaria wegen verlassen und dem Verfalle preisgegeben worden. Durch die Ruine eines Thores tritt man ein nnd überblickt nun das melancholische Trümmerfeld, anf welchem jetzt die vegetative Natur zur Alleinherrschaft gelangt ist. Kein lebendes Wesen mehr macht sie ihr streitig; nur die Eidechse raschelt in dem wirren Gestrüppe, das überall zwischen den Steinmasscn verfallenden 206 Gemäuers wuchert; oder der glänzende Leib einer Viper windet sich durch, die der Eidechse auflauert. Als lege die Natur alle Anstrengung darein, ihre Herrschaft dem Menschenwerke gegenüber sich nicht mehr entreißen zu lassen, hat sie Ninfa mit einer Vegetation übmponnen, die hier weit üppiger gedeiht, als ringsumher. Noch stehen an mehreren Basiliken, deren romanische Architektur noch erkenntlich ist, die Portale und von den Tribüucn mit den halbverlöschten Fresken blicken noch die Heiligcnköpfe in das gespenstige Treiben der Naturkräfte. Eingedrückt in die Mauerecken steheil Epheustämmc von außerordentlicher Dicke und das Wurzclwerk, durch das Gestein sich zwängend und an den Wändeu sich hiuaufrankend umspannt die Bögen, als sollten sie wie mit Klammern niedergerissen werden. Uebcrall wuchern dcr Brombeerstrauch, die wilde Nebe und der Epheu und verbergen die Mauerreste unter ihrem Vlättcrdache. Die Straßenzeilen haben sich in Wiesenplätze verwandelt uud der Bach, der zwischen schilfigen Ufern rauschend allein noch die Todtenstille unterbricht, nimmt jetzt in ungeregelter Willkür seinen Lauf durch die Ruinen, zwischen welchen er sumpfig austritt. Noch stießt er durch die bemooste Kalksteinbrücke durch, die ihn einst überspannte; aber die Bogen derselben liegen nun eingestürzt und in melancholischer Naivetät blüht an den Pfeilern das Vergißmeinnicht. So schlägt jetzt über den Trümmern dieser ciust blühenden Stadt eine üppige Vegetation zusammen und zieht sie leise hinunter in den Schooß der Natnr. Die hellgrünen, frischent-sprossenen Epheublättcr, die zwischen dem dnnklercn Laube der früheren Jahre sich hervordrängen, verrathen den unausgesetzten Fortgang dieses schweigsamen Zerstörungsproceffcs, welchen: Ninfa verfallen ist. Dem Wanderer aber werden im Anblicke dieses Verfalls und bei dein Gemurmel des Baches, dcr seinen melancholischen 207 Lauf durch das menschenleere, ephenbebcckte Ninfa nimmt, die Gedanken der Vergänglichkeit aller Menscheuwerke sich zuwenden und beschwert noch von der Empfindung, daß auch das menschliche Leben dahinschwinde, wie der verklingende Abenglockenlon, den das hochgelegene Kirchlein von Norma herabsendet, wird er dem ewigen Flusse aller Dinge nachsinnen, den hier Alles predigt und der bald auch ihn dahinführen wird. XVI s. In Süd ßtruricn. Yides nt nlfca stet nive eandiilism hovaote? H o r ;i t i 11 s. „Du siehst aus wie der alte Candidat Eokrates, der im Cchnec steht." So übersetzt wohl auch heute uoch an den vaterländischen Gymasien mancher Schüler den obigen Vers, wenn er sich das billige Vergnügen machen will, seinen Professor außer sich gerathen zn sehen. Wer aber die Sünde so pietätloser Ver-baNhornung des alten Dichters aus sich geladen, der wird sich dessen erinnern, falls sein späteres Schicksal ihn nach Nom führt, wenn er, vor den Thoren der Stadt sich ergehend, in blauer Ferne aus der Campagne den Soracte aufragen sieht. Zwischen dem Sabmergebirge und den Höhen von Vitcrbo steigt er, weit in die Ebene vorgeschoben, wie eine Fel'eninsel auf; und wer einigermaßen mit den Verhältnissen bekannt ist, welche die Gcbirgswelt im Allgemeinen bietet, der weiß auch, daß gerade solche isolirte Vorbcrge es sind, von welchen ans, wenn sie einigermaßen eine Höhe von Bedeutung erreichen, die großartigsten Panoramen gesehen werden. So bedarf es laum mekr bes klassischen Rufes, den der Soracte genießt, um den Fremd-lwg zur Wanderung nach dem schöugrformten, fünfgipstigen Verge zu bestimmen. bu Vrel, »nt» Tannen und Pim?n. ^H, 210 Das alte Latium heißt nun Eampagua di Roma. Es ist derselbe Landstrich, der einst von mehr als fünfzig Gemeinwesen bevölkert war, aber jetzt nur mehr aus endlosen Viehweiden besteht, die sich dehnen, so weit das Auge reicht. Auf dieser unabsehbaren, baumlosen Fläche stand in den ersten Jahrhunderten der römischen Republik der Getreidebau in höchster Blüthe. Später aber, als Rom seine Gctrcidekammer, Sicilicu, erobert hatte und die Erzeugnisse aller Erdthcile ihm zur Verfügung stauben, hörte der Ackerbau auf uud damit wurde der Gruud gelegt zu der wüsteuartigeu Beschaffenheit, welche Rom's heutige Nmgebuug charakterisirt. Gothen, Vaudalen, Longobarden, Normannen und Saraceuen und schließlich noch die Feudalbaronc von Rom selbst vervollständigten den Ruin dieser Gegend, die, im Sommer von einer tropischen Hitze versengt, die gefährliche Malaria ausbrütet. Zwar im national ökonomischen Sinne kaun von Ruin die Rede nicht sein, da die Erträgnisse dieser Viehweiden weitaus bedeutender sind, als es die des Ackerbaues sein würden; aber iu sanitärer Hinsicht ist ein großes Uebel geschaffen worden, und Aussicht auf Abhülfe desselben besteht um so weniger, als der weitaus größte Theil dieser Ländereien der Kirche gehört, welche nicht geneigt ist, auf die bedeutenden Erträgnisse zu verzichten uud durch Parzelliruug der Weiden nnd Neberlassung an kleinere Grundbesitzer dem Ackerbau wieder aufzuhelfen. Es ist derselbe, den Lesern bereits bekannte Weg, der nach dem antiken Veji führt, dem wir auch dieses Mal folgen. In vorrömischen Zeiten war dieses Land von den südlichen Stämmen der Etrusker bewohnt, eines Volkes, das uns beinahe keine andere Kunde seines Daseins hinterlassen hat, als die zahllosen einzelnen Gräber und die Nekropolen, die da und dort schon ausgegraben wurden. Wenige Miglien nördlich von Veji erblickt mau der Straße zur Seite eine Gruppe von kleinen Hügeln, auf welchen 211 einst das etruskischc Galera stand. Vermuthlich wurde auch diese Stadt von dcu Römern zerstört; während der Dauer der Römer-Herrschaft ist keine Rede mehr davon. Erst im zehnten Jahrhunderte erhob sich an der gleichen Stelle das mittelalterliche, dem fendalen Geschlechte der Orsini zugehörige Galera, das aber der Malaria wegen von seinen Einwohnern verlassen werden mußte und nun schon seit Jahrhunderten mehr und mehr von Epheu überwuchert wird, so daß kaum mehr die Reste der stattlichen Gebäude zu erkennen sind. Je mehr hinter uns die Albanerberge im Süden von Rom verblauen, desto greifbarer taucht für uns im Nordcu der Hügelring auf, der deu See von Vracciano einschließt. Die braune Farbe des Bodens und die vielen Risse, von welchen er durchzogen ist, kündigen an, daß wir uns auf vulkanischem Gebiete befinden, bis wir endlich die hohen Ufer ersteigend unter uns deu großen, kreisruudeu See liegen sehen, der in einem Umfange von sieben Stunden auf deu ersten Blick als der mächtige Krater eines ehemaligen Vulkans sich zu erkennen gibt. Der Name I,kou8 8kdktiim8, den er einst besaß, erinnert an die Stadt Sabate, die nun versuukcu unter seiner tiefblauen Fläche liegt. Das kleine Vicarello am nördlichen Ufer genießt einigen Ruf seiner Mineralbädcr wegen, die dort vor zwei Jahrzehnten gegrünbet wurden, aber schon im Alterthume als a^uas ^.poiimai'68 sich weit größerer Berühmtheit erfreuten. Darauf deuten die Reste einer Villa des Trajan hin, die in der Nähe gefunden wurden. Eine merkwürdige Entdeckung, die bei der Errichtung der neuen Thermen gemacht wurde, beweist sogar, daß schon in vorgeschichtlichen Zeiten die heilbringenden Wirkungen dieser Quellen bekannt waren. Man grub nämlich die Mauern eines etruskischen VassinS aus und fand außer zahlreichen Weihgcgenständen, die nach uralter Sitte der Wassernymphe dargebracht wurden, auch noch 14* 2!2 eine außerordentliche Menge von Münzen, zu oberst solche aus römischer, in tieferen Lagen aus ctruskischer Zeit, zu unterst endlich jene Würfel von rohem Kupfer, die als älteste Form des Geldes — ,,3.68 ruäö" — in Gebrauch waren nnd somit weit in die vorgeschichtliche Zeit zurückweisen. Die Orte Anguillara, Trevignano und Bracciauo liegen malerisch auf den steilen Kraterwändeu des See's. Das Letztere insbesondere, von einem weitläufigen mittelalterlichen Schlosse überragt, zieht die Blicke ans sich. Der großartige Van mit seinen hohen runden Thürmen war der Gegenstand der Sehnsucht des in Rom weilenden Walter Skott, der in solcher Erinnerung an die romantischen Burgen Schottlands mehr Befriedigung finden mochte, als in Rom selbst zwischen den ehrfurckterweckenden Ruinen einer Zeit, die dem unübertrefflichen Schilderer der englischen Feudalzeit begreiflicher Weise weniger sympathisch war, als das Mittelalter. Bei Anguillara entströmt dem See von Bracciauo ein Emissär, der Arrone. In den Negenmonaten, in welchen der See trotz seiner ausgedehnten Fläche oft um einen Meter steigt, schwellen auch die GewEcr des Emissärs an und richten in ihrem Laufe bis zum Meere Überschwemmungen an, welche, stagnirende Sümpft zurücklassend, die Intensität der Malaria noch vermehren, unter welcher die Gegend zu leiden hat. Ein zweiter Wandertag führt uns an die völlig vereinsamten Ufer des See's von Martignano und an dem von hohem Schilfe bedeckten Sumpfsec Straccia cappa vorüber iu die östlichen Allsläufe der Campagna. Auch hier drängt sich immer wieder der Vergleich der Eampagna mit einem Meere auf; aber dieses Meer schlägt hier wenigstens höhere Wellen, es ist nicht von jener trostlosen Fläche, die man bis zum See vou Bracciano müde geworden ist, zu betrachten, und man erfreut sich nun einer bewegteren 2l3 Landschaft dieser Hügelwellen. Neberall deckt sic die amorpbe, röthlicb vulkanische Tufferde. Wo dieselbe stellenweise zu Gellem verhärtet ist, siebt man die vorrömischen Grabböhlcn eingebrochen, die, über ganz Etrurien verstreut, an manchen Orten sich zu ganzen Todtcnstäiten verdichten. Baumlos ist auch diese Gcgeud und nnr am äußersten Horizont hebt sich mit hochgetragener Krone die regungslose Pinie vom Blau des Himmels ab. Erst gegen Nepi zu — dem ^6^»6t6 der Römer — wird der Blick von näherer Umgebung eingeengt. Wir folgen dorthin der alten vik ^msiia. Zahlreich stehen ihr hohe Schlcedomstränche zur Seite und der warme Wind streut die weißen Blüthen derselben auf die großen Polygone von vulkanischem Basalt, welche die Richtung dieser alten Militairstraßc angeben. Sie führt in eine felsenreiche Gegend, in der uns wieder bäufiger die etruskischen Grabnischcn begegnen, welche, längst entleert, nun den Ziegen und Schafen als Ställe dienen. Nepi, am steilen Rande einer Felsschlucht gelegen, durch welche die Treja stießt, hat mit seinen Thürmen und Bastionen ganz das Aussehen einer mittelalterlichen Stadt, und nur dic Ruinen eines Aquäduktes erinnern an römische Zeiten. Der Soracte, der so dnstig blau von Rom aus gesehen sich darstellt und, im Nimbus seiner Cntfcrmmg von der Stadt glänzend, schon die alten Dichter begeisterte, gewinnt keineswegs — wie eben die Dinge überhaupt nicht in der Welt — wenn mau ihm näher kommt. Mehr und mehr streift er das bläuliche, verklärende Gewand ab und zeigt die Gestalt eines Kalkfelsens, dessen Gestein aus dürftigem Grasboden bricht. Langgestreckt breitet er seinen waldlosen Rücken mit den sieben Gipfeln — nur fünf derselben erblickt man von Rom aus — wie einen Fächer aus. Hinter ihm, aber durch die ganze Breite von Italien von ihm getrennt, schimmern in den Wolken schneebedeckte Gebirgslämme 214 der Abnizzcn herüber, in langer ansteigender Linie bis zum Gran Safso d'Italia sich fortsetzend, welcher — des Apennins höchste Spitze — jäh in die Tiefe abstürzt. Das schmale Hochplateau, auf dein man, die Hauptstraße verlassend, zwischen Nepi und Civita Castellana dahingeht, entzieht uns diese fesselnde Fernsicht nicht, ist aber anck in nächster Umgebung malerisch. Zu beiden Seiten fällt es steil in liefe Schluchten ab, in welchen unscheinbare Gcbirgswasser zwischen großem Gestein aufschäumend rauschen. Aber die Beschaffenheit der Flußbetten zeigt die Macht der Gewässer an, die dort oft zur Entwicklung kommt, wenn lange Regen die Bäche schwellen. Dies zeigt sich bei ihrer Vereinigung vor der Stadt, wo die Trümmer von zwei zerstörten Brücken in der Felsschlucht liegen, die breit und tief den schroff abfallenden hohen Kegel auf drei Seiten umgibt, auf welchem Civita Castcllana steht. Wo auf der vierten Seite dieser natürliche Schutz der Stadt fehlt, da schließt ein hohes Castell die Zugänge ab. Die Gefangenen, welche darin vormals von den Päpsten verwahrt wurden, waren meist nur unbequeme Personen, keine Verbrecher; es gab aber memals einen Menschen, der würdiger gewesen wäre, darin unschädlich gemacht zu werden, als der Erbauer des Castells, Papst Alcraudcr VI., — sein Sohn Cesare Borgia vielleicht ausgenommen. Es erscheint natürlich, daß ein für die Vertheidigung so günstig gelegener Ort, wie der Felskegel von Civita Castellana, schon in ältesten Zeiten bewohnt gewesen sein mußte. Darauf weisen auch die künstlichen Abschroffungen hin, welche dem Tufffelsen gegeben wurden, und die etruskischen Gräber m seinen Wänden. So sind es auch hier wieder nur Gräber, die uns Kunde geben vom Volke der Gtrusker lnid seiner verlorenen Geschichte. Aber indem wir sehen, daß die Etrusker sich Wohnftätten wählten 215 wie Cwita Castellana und so viele andere, die durch ihre natürliche Lage ihnen Schuh gewährten, wie sie die Felswände, über welchen sie sich niederließen, künstlich abflachten, daß sie uner-stciglich wären, so können wir daraus entnehmen, daß, lange bevor die Römer in die Arena traten, in diesem Lande das menschliche Dasein in fortwährenden Kämpfen dahin ging und die unzähligen Felsengräber mit den Leichen solcher sich füllten, welche in der Vertheidigung ihrer stets bedrohten Heerde ihr Leben verloren. Wir dringen in das Dunkel längst entschwundener Zeiten nur ein, um immer und überall auf dem großen Kirchhofe, der um die Sonne rotirt, das gleiche Verhängniß walten zu sehen, den Kampf Aller gegen Alle. Wie der Soractc selbst dem Gcwoge der etruskischcn Berge, wie eine vereinzelte Sturzwelle, weit in die Campagna vorancilt, so schiebt er auch seinerseits wieder gegen Süden einen Bergrücken vor, der von seinen übrigen Gipfeln weit absteht. Auf diesem liegt das Dorf S. Oreste. In mehrstündiger Wanderung erreicht man von Civita Castellana aus diesen Ort, der, wie die meisten Italiens, in malerisch vortheilhaftcr Lage sich darstellt, aber einen unerfreulichen Anblick bietet, wenn man die engen, schmutzigen Gassen betritt. Von hier aus erst beginnt der Weg jäher anzusteigen. Bis zu halber Höhe ist der Soracte mit vulkauischcr Erde bedeckt; weiter oben liegt das nackte Gestein überall offen und die von Regen und Wind verwitterte Oberstäche desselben setzt dem Fuße ein unsicheres Geschiebe von Steinen entgegen. Aber wo die Vegetation nur irgend es vermag, Boden zu fassen, in den geringsten Mulden zwischen den Kalkblöcken, da gedeiht sie in verhältnißmäßigcr Ueppigkeit, wie es das südliche Klima mit sich bringt. Ans jeder Felsenritze heraus wuchert das Brombeergestrüppe und klammert sich an das Gestein; und wo die Berg-kräutcr es vermögen, auf dem von Winden vielnmtosten Berg- 216 rücken Wurzeln zu fassen, da verbreiten sie weithin ihren scharfen Duft. Auf dem zunächst erreichbaren Gipfel steht die kleine Kirche St. Lucia; er ist durch eine Einsattelung getrennt von der nächsten, höheren Spitze, auf welcher das Kloster S. Silvestro liegt. Ein kleiner lichter Hain von Steineichen auf dem geschützteren östlichen Bergabhang liegt nnter dem Kloster. Weiß in die Ebene hinab-fchimmernd stand hkr einst ein dem Apollo geweihter Tempel, auf dessen Ruinen im achten Jahrhunderte Karl Martell diese Niederlassung stiftete, die er selbst wdann als Mönch bezog. So liegt auch dieses Kloster, wie so viele des Mittelaltcrs, hoch über der Ebene, gleichsam eine nicht nnr geistige, sondern auch räumliche Etappc zum Himmel, den jene Zeit, ihres Irrthums durch Eopernikus noch nicht beraubt, in fester Wölbung über unserer Erde sich dachte. Es war ein mitleidsloses Bestreben, dem der deutsche Gelehrte, in sternenvollen Nächten auf hoher Warte stehend, oblag, diese schöne Illusion des Menschengeschlechtes zu zerstören und unseren Stern seiner Würde als astronomischer Mittelpunkt des Kosmos zu berauben. Doch lassen wir diese Abschweifungen des Gedankens, die sich hier oben dem Wanderer nur dann einstellen können, wenn die dichten Nebel des Soracte ihn verhindern, dem Genusse der Landschaft sich hinzugeben. Vom Wetter begünstigt mag ein Glücklicherer auf einem der Felsen ausruhen und über die fern sichtbare Kuppel des Petersdvmes hinweg seine Blicke bis an den Horizont schweifen lassen, wo der Silberstreif des Meeres im Sonnenlichte erzittert. Oder er mag im Osten die labyrinthischen Verkettungen der hohen Bergmassen betrachten, die bis zu den höchsten Gipfeln der italienischen Halbinsel ansteigen. Nichts wird ihn in diefem Genusse stören; denn schweigsam mit geschlossener Pforte liegt das Kloster hier oben. Kein Laut dringt aus seinem 2l? Inneren und nach langer Rast möchte man wohl zu dem Glauben kommen, es sei verlassen, wenn nicht, von unsichtbaren Händen in Bewegung gesetzt, die Glocken, plötzlich durch die Schalllöcher des Kirchthnrms sich schwingend, ihr hurtiges Geläute ertönen ließen. Noch einmal senkt sich der Bergrücken des Soracte, gleichsam anlaufend zu seiner höchsten Erhebuug. Der tosende Sturm sährt manchmal in den Nebelschleier und zerreißt ihn zu Fetzen, die nach allen Richtungen auseinanderflattern. Dann zeigt sich auf der hohen Spitze das graue Gemäuer eines Kirchleins, das dem heiligen Sylvester geweiht ist. Die Nebel jagen an demselben vorüber und lassen cs kaum von deu grauen Felsen unccrschcidm, darauf es gebaut ist; sie rinnen zusammen und hüllen es wietcr ein. Auf der Campagna liegen sie wie ein Meer verdichtet, das der Sturmwind zu hohen Wellen auspeitscht, während tiefgcsenksc Wolken über den Soracte mit schwindliger Eile wcgrascn, so daß man, zwischen den flüssigen Unendlichkeiten unten und oben nur vie zunächstliegenden Felsen gewahrend, wie auf schwankenden Staudorte zwischen Himmel und Erde dahingetragen zu werden meint. Nur fern im Osteu gewahrt man gleichsam festes Land. Dort thürmen sich schwarz die Abruzzen auf und, durch cincn schmalen hellen Streifen nur getrennt, hängen über ihnen, selbst wie ein umgestürztes Gebirge anzusehen, die schwereu, dunklcu Wolkenmasscn. Manchmal nur dringt ein verlorener Sonnenstrahl durch die Verschiebungen der Wolkeuballen und fällt auf den beschneiten hohen Kamm der I<60N688H und im fahlen Lichte des Gewitters, das auf ihm lastet, hebt der ^ran 8a880 ä^IWIilt traumhaft sein Schueehaupt empor. Owe deutsche Waleryerßerge im Saöinergebirge. Dort wirst Du in den« schönen Land? w.indeln, Im Winter Wohlgeruch uo>i Alumcn Dich erfreun. Goethe. Wenn der Frühling seinen Einzug in Italien hält und mit so freigebigen Händen seine Gaben über die Erde streut, daß er schließlich, wenn er schon den dentschen Gauen sich nähert, gleichsam sein halb entleertes Füllhorn gewahrend, nur lässige Spenden mehr verabreicht; wenn seine» Spuren folgend schon die ersten Züge der Wandervögel ihren Flug nach dem Norden zu nehmen beginnen, — dann ziehen in umgekehrter Richtung Reisende aus allen Ländern der ewigen Stadt zn, die schönste Jett des Jahres am interessantesten Orte der Welt zu verbringen. Aber den nach längerem Aufenthalte iu Rom heimisch gewordenen Fremden zieht es bald unwiderstehlich hinaus in die Berge, welche rings, die weitgedchnte Fläche der Campagna säumend, in wunderbarem Glänze vor seinen Augen liegen. Schwer ist es dann, eine Wahl zu treffen. Unter dem Einflüsse des Frühlings verlieren die klassischen Citate, welchen 2A) die Menschheit meist nachläuft, viel von ihrer Anziehungskraft, und ter Reisende wird mehr und mehr geneigt, sich lediglich durch landschaftliche Rücksichten bestimmen zu lassen, ohne daß jedoch dadurch seiner Verlegenheit schon ganz abgeholfen wäre. Bei Unschlüssigkeucn dieser Art thut man wohl immer am besten, sich vom Instincte der Maler leiten zu lassen. Sie sind cs von jeher gewesen, die als die ersten Pionniere in solche Gegenden drangen, welche später, zur Berühmtheit gelangt, das Ziel von zahllosen Fremdenzügen wurden. Ich erinnere beispielsweise nur an die von August Kopisch wiederentdectte blaue Grotte auf der Insel Capri. So beschließen wir denn dlesmal, nach dem Sabinergebirge zu wandern. Oft, wenn wir Abends auf der via /V^M, der alten Gräberstraße Roms, am Grabmal der Cäcilia MeleUa vorüber, in die Campagna Hinansgingen, sahen wir im Osten den laugen Zug dieser Berge, in welchen einst die Herniker und slequer hausten, und die vollen Strahlen der untergehenden Sonne malten auf die kahlen grauen Wände die glühendsten Farben, die sich erst allmählich in jenes gesättigte Violett verwandelten, wie es der Campagna von Rom eigen ist. Freilich zweifelt man beim Anblick dieser kahlen Bergreiheu, daß ihre einsamen Thäler besondere landschaftliche Schönheiten enthalten können, und es bedarf bei Manchem wiederholter gegentheiliger Versicherung von Seite der Maler, um ihn zu einem Ausflüge nach dieser Richtung zu bewegen. Es giebt keine Gegend in der Nähe von Rom, ja vielleicht i" ganz Italien, welche ein so charakteristisches Gepräge zeigt, wie das gebirgige Sabinerland. In den Contouren dieser Berge und den mannigfachen Bildern dieser Felsenlandschaften trägt die Natur an sich schon das Gepräge des Kolossalen, ja oft des Schrecklichen; aber dieser Eindruck wird noch in hohem Grade 22! gesteigert durch die besondere Lage der Städte und Ortschaften, welche fast ausschließlich oben auf den Bergen, oft in schwindelnder Höhe, liegen. Hier wirkt eine düstere Gebirgsnatur nicht als solche allein, sondern in harmonischer Verbindung mit den Zeugen einer meist eben so düsteren Geschichte, welche diese Berge saben. Das graue Gemäuer der hohen schmalen Häuser, welche, wie verschüchtert zusammengedrängt, hoch iu den Lüften um die Ruinen ehemaliger Castelle liegen, die überragende Stellung dieser Callelle, welche trotzig den Feind zu erwarten scheinen, — das Alles, Grau in Grau gemalt, so daß man oft die Orte nicht von den Felsen zu unterscheiden vermag, die sie umgeben, giebt der Landschaft einen ganz fremdartigen Charakter, und es genügt hier ein bloßer Neberblick, uns im Allgemeinen mit ihrer Geschichte bekannt zu machen. Nur in einer Gegend, welche fast niemals aufgehört bat, der Schauplatz erbitterter Kämpfe zu sein, konnten solche Verhältnisse allmählich sich bilden und erhalten. Während in anderen Ländern die Geschichte in den Thälern und auf der Ebene spielt, die Gipfel der Berge dagegen einsam in die Wolken ragen, ist hier .das Umgekehrte der Fall: die Menschen haben die Tiefen verlassen, um in den Höhen ein beschwerliches, aber wenigstens sicheres Dasein führen zu können. Jetzt freilich ist dieser Zustand unnatürlich geworden, und sein Bestand, ohne irgend welche Vortheile zu bringen, hat nur noch die Folge, daß Jahr aus Jahr ein ein unberechenbares Capital an menschlicher Arbeitskraft verloren geht, wobei eben das wirthschaftliche Gedeihen wlcher Gemeinden ein Ding der Unmöglichkeit ist. Aber wie denn das Schöne und der Nutzen meist auseinandergehen, so kann man sich vom malerischen Standpunkte aus damit nur einverstanden erklären, daß dieses Charakteristicum der Sabinergebirge sich noch erhalten hat. 222 Aber auch noch in anderer als malerischer Hinsicht ist diese Landschaft interessant: die außergewöhnlich hohe Lage dieser Städte hat selbstverständlich einen sehr mangelhaften Verkehr mit den benachbarten Orten zur Folge, und bei dieser natürlichen Isolirnng erhalten sich mancherlei Eigenthümlichkeiten ihrer Bewohner merkwürdig lange. Eine solche Eulturinsel ist z. B. das hoch auf einer Felsenspihe gelegene Saracinesco, eine im Jahre 876 von den Saracenen gegründete Colonie. Man glaubt sich in längst-vergangene Zeiten versetzt, wenn man hier, in den Gassen wandelnd, durch die Tracht der Bewohner, ja theilweise sogar durch maurische Namen, wie Almansor, an die ersten Anfänge dieser Eolonic erinnert wird. Sie hat sich gleichsam als Petrefact der Culturgeschichte erhalten. Der interessanteste, besuchteste und für längeren Aufenthalt auch am besten geeignete Ort des Sabinergebirgcs ist Olevano. Man erreicht es von Rom aus am bequemsten unter Benutzung der neapolitanischen Bahn bis Valmontone, indem man von dort ans den Weg über Palestrina und Gennazano einschlägt. Bei einer Windung des steinigen Felspfades, der zu den vorliegenden Hügeln hinanführt, erblickt man plötzlich über sich das Städtchen, welches terrassenförmig an einem kahlen Berghang liegt. Die graue Steinmasse der dicht an einander stehenden hohen Häuser, die gleichsam in geschlossenen Reihen Herunterznsteigen scheinen, ist von den malerischen Ruinen eines zerfallenen Castells überragt. Iur Rechten des Städtchens aber liegt ein runder grüner Hügel, von einem einzeln stehenden Häuschen gekrönt. DieS ist die Casa Baldi, die deutsche Künstlerherberge. Vor einigen Jahrzehnten noch wagte sich der Fremde nur selten in diese Gegend, die nicht nur öde und unwirthlich, sondern auch noch durch zahlreiche Banditen unsicher gemacht war. Die Maler allein, bei welchen ja meist nichts zu holen war und die 223 ihrerseits sich von den Räubern gerne verschmäht sahen, waren schon früher hier eingedrungen. Der seiner Zeit berühmte deutsche Landschaftsmaler und Radirer Koch war Ende des vergangenen Jahrhunderts der Erste, der nicht nur Olevano häusig besuchte, sondern schließlich sogar eine Olevanerin zur Frau nahm und sich hier niederließ. Die Studien aber, die er anfertigte, fanden bei seinen Landsleuten unter den Künstlern Roms so viel Anklang, daß diese ihm bald in das gleichsam neuentdeckte Land nachfolgten. Bald erfreute sich Olevano großer Berühmtheit und des besten Rufes. Hierzu trug nicht wenig die Freundlichkeit und der Frohsinn seiner Bewohner bei, die sich noch heut zu Tage in dieser Hinsicht in günstigster Weise von jenen der umliegenden Gebirge unterscheiden. Aber noch manchem Anderen von den Künstlern erging es schließlich wie Koch. Sie kehrten immer und immer wieder nach Olevano znrück, bis sie schließlich ganz dort blieben und ein Heimwesen sich gründeten. Und es ist nicht zu verwundern; denn zu den Eigenthümlichkeiten, welche das in seine wilden Gebirge eingeschlossene Volk der Sabiner seit ältesten Zeiten bewahrt hat, gehört auch die wahrhaft antike Gestalt und Schönheu seiner Frauen. So kommt es denn, daß auch der Raub der Sabinerinnen, wenn auch in modisicirter Form, bis in unsere Tage sich erhalten hat. Schmale steinige Felspfade, die da und dort als Stiegen sich fortsetzen, sind die Straßen von Olevano. Die Wohnungen gleichen dunklen Höhlen, die in unregelmäßiger Architektur neben und über einander gebaut sind. Tritt man in eine solche Höhle, und es hat sich das Auge allmählich an die Dunkelheit gewöhnt, dann mag man oft die kleinen schwarzen Schweine, deren Zucht hier betrieben wird, in bester Eintracht mit den Kindern sich auf dem Boden herumwälzen sehen. Wenn aber diese Kinder 224 vor die Häuser treten und in den Straßen sich berumtummeln, dann muß man allem Schmutze zum Trotz, der an ihren Kleidern, Händen und Gesichtern haftet, an ihnen Gefallen finden. Sorgfältiger in Bezug auf ihr Aeußeres sind natürlich die erwachsenen Mädchen; aber wiewohl sich in Olevano das Leben zum größten Theile in der Oeffentlichkeit vor den Häusern abwickelt, lassen sie sich doch wenig sehen, und führt sie auch ein Geschäft durch ine Gassen, so bemerkt man an ihnen doch nichts mehr von dem tollen Naturell der Kinder. Sie sind immer ernst und von natürlicher Gemessenheit in ihren Bewegungen. In den gebrannten, von schwarzem Haar eingerahmten Gesichtern glühen die dunklen Augen wie von einem inneren zurückgehaltenen Feuer, gleich dem von Granaten. Auffällig aber ist, daß, während die Frauen in Italien fast ausschließlich dnnkle Haare baben, an manchen Orten Mädchen sich finden, deren Haarschmnck vom hellsten Blond ist und die nicht nur durch ungcbraunte frische Gesichtsfarb-e, sondern sogar dnrch blaue Augen ganz aus der italienischen Art schlagen. Dies fällt um so mehr auf, weil dagegen das brünette Element als Uedergang fast nicht vertreten ist. So treffen wir auch in der Casa Valdi, zu der wir von Olevano aus ansteigen, neben der älteren Tochter, die an Gestalt und Ansehen der Mutter gleicht und ganz den italienischen Typus einhält, noch jüngere Mädchen, die uns durch blaue Augen und die Flachsfarbe ihrer Haare an die besten Mädchenwpen in den deutschen Alpen erinnern, so daß man wohl versucht sein könnte, weit in die Vergangenheit zurückgreifend, dieses Blond auf den Liebesseufzer irgend eines Gothen oder Longobarden zurückzuführen, der die ewige Stadt zu belagern gekommen war, schließlich aber selbst capitnliren mußte. Aber auch die Freundlichkeit, Offenheit und Heiterkeit, mit welcher der Deutsche sich 225 hier empfangen sieht, wird ihn lebhaft an die Alpen und ihre Bewohner erinnern, und um so angenehmer wird er hiervon überrascht sein, als man in der weitaus überwiegenden Mehrzahl von Gasthäusern in Italien das Gefühl nicht los wird, daß man in die Hände der Briganten gefallen sei, welches sich denn schließlich auch bestätigt. Darum genießt diese Casa Baldi unter den Künstlern Noms einen ausgezeichneten Ruf, und die Fremdenbücher, angefüllt mit Portraits und Zeichnungen aller Art, sind voll des Lobes sür die freundliche Familie. Wir finden in diesen Büchern manchen Künstlernamen auf vergilbtem Blatte, dessen Träger seither in seiner Heimath zur Berühmtheit gelangt ist; aber auch viele siud hier verzeichnet, über welchen, sei es in deutscher Erde, sei es auf dem Frcmdcnkirchhofe in Nom bei der Pyramide des Vestius, längst der Leichenstein sich hebt. In den Sommermonaten, wenn in Rom die Ficberzeit beginnt, flüchten sich die Maler iu großer Zahl in die Sabiner-berge. Noch immer ist es Olcvano, wo sie sich am liebsten aufhalten, und noch immer sind es hauptsächlich Deutsche, welche stch dort einfinden, um oft wochen-, ja monatelang zu bleiben And die Umgebung nach allen Richtungen hin zu durchstreifen. Aber es mögen auch selbst in dem landschaftlich so hochberühmten Italien wenige Orte zu ftuden sein, wo ein so herrliches und dabei so fremdartiges Panorama sich aufrollt, wie von dem Hügel aus, auf dem unsere Malcrhcrberge steht. Der Blick schweift zunächst hinüber nach einer Linie von Bergen, von deren Kuppen und Spitzen die hoheu Orte herabblicken, zu welchen aus den Thälern die Felscnpfade in langgezogenen Windungen, an den kahlen Wänden hängend, hinaufführen. Wenn am frühen Morgen die Nebel aus der Tiefe emporschweben und sich zu Wolken ballen, dann sieht man noch hoch über ihnen im Sonnenlichte du P«I, Unter Tannen und Pime». 1l> 226 glänzend die Fclsenspitzcn, auf welchen, gleich Inseln im Luft-mecrc, diese Orte stehen. Gegen Westen dehnt sich das breite Saccothal, wie ein Garten übersäet mit Reben, die gleich Guirlanden von Ulme zn Ulme sich ranken, mit Oelbaumcn, Obstangern und Maisfcldern; dazwischen wieder, auf weite Fernen sichtbar, die wcißblühcndcn Mandclbäumc und die dunklen regungslosen Cypresscn. Am fernsten Horizonte aber, wo anf einem Ausläufer des seitwärts hereinragcndcn Albanergebirges die Stadt Velictri sich über die Ebene hebt, schließt sich die verblauende Fläche der Poutinischen Sümpfe an. Die Südseite des Sacco-ihales wird begrenzt durch die massiven Kuppen des Volskergc? dirges, zwischen welchen da und dort wieder die menschlichen Niederlassungen herüberschimmern. Wendet man sich dagegen nordwärts, so hat man vor sich-auf groteskem zackigem Fclsenkamme Civitella, das alte Herniker-^ nest. Wenn dieser Ort von der an sich schon beträchtlichen Höhe Olevano's ans im höchsten Grade malerisch sich darstellt, so macht cr von der Ebene aus gesehen einen so fremdartigen Eindruck, daß man fast geneigt ist, an eine Täuschung zu glauben, die nnS dort menschliche Wohnungen sehen läßt. Schief ansteigend zieht sich hoher und höher, gleich einer Fclsenmähnc, d,.'r langgestreckte Grat hinauf, auf dessen höchster Erhebung, näher fast den Wolken, als der Ebene, Civitella liegt. Dicht an einandergedrängt stehen die felsenfarbigcn Häufer, als seien sie zusammengerückt, um hier' oben alle Platz zu finden. Nichts könnte der Landschaft so sehr ein historisches Gepräge geben, als diese räthselhafte Lage des Ortes, der ohne alle Rücksicht auf menschliche Bedürfnisse, lediglich nach den Erfordernissen bedrohter Sicherheit dort binaufgebaut wurde uud wie ein Adler-uest auS den Lüften hcrabblickt. 227 Ein vielgewundencr Weg durch interessante Felscnlandschaften führt hinauf nach Civitella, von dessen Höhe man weithinein in die düsteren Abrnzzen schaut, während über das tief unten liegende Olevano weg eine Rundschau sich eröffnet, die, als eine der herrlichsten von Italien bekannt, mit dem matten Silber-streifen des Meeres abschließt. Als ein das ganze Thal und die Zugänge der hinter ihm gelegenen Bergwelt beherrschender Punkt mußte der Felsen von Civitella von jeher in den Kämpfen der Gebirgsvölker eine wichtige Rolle gespielt haben. Welchen Namen aber dieses im Alterthume geführt, ob es auf den Ruinen von Vellegra, von Vitellio oder eines anderen Städtchens gebaut ist, bemüht sich der Forscher vergeblich zu ermitteln. So viel nur geht auS den Ueberresten cyklopischer Mauern hervor, auf welchen ein Theil der Häuser steht, daß schon lange, bevor die Römer mit den Sabinern im Krieg lagen, in diesen Bergen fortwahrend gckampft wurde; denn nur die äußerste Noth und Verhältnisse stetiger Kriegsgefahr konnten die Menschen veranlassen, auf so unwirthlichen Höhen sich niederzulassen. So ist Olevano auf allen Seiten von Landschaften der merkwürdigsten und erhabensten Art umgeben. Im Osten nur, wo über die runden Kuppen beschneite Gipfel herübergläuzen, ist die Aussicht begrenzt. Dort steht im Vordergründe der Monte Serrone, ein plumper Felsenkoloß, nur zum Theile mit rothbraunem Eichcngcstrüppe bedeckt. Es ist so lange noch nicht her, daß dieser Monte Serronc ein Hauptlager der Briganten barg; der Reisende, der damals bis hierher drang, konnte mit dem Fernrohre bequem die Gestalten der Räuber entdecken, nach Welchen man hier ausschante, wie es in den Alpen nach Gemsen geschieht. Mit ihren langen Gewehren, den Messern und Pistolen im Gürtel, dabei aber behängt mit allerlei Amuletten, Medaillen und anderen Spielereien, mochten sie eine in hohem Grade 15* 228 malerische Staffage für diese wilde Gtbirgsnatur abgeben. Gensdarmerie, welche man in die umliegenden Ortschaften mehrmals zu legen versucht hatte, wurde von ihnen absolut nicht geduldet, — einer der maucherlei Beweise dafür, daß der Swn für weltliche Macht bei den Päpsten keinen Schritt hielt mit ihrer Befähigung zu derselben. Erst in neuerer Zeit ist diesem poetischen Unwesen in nächster Nähe der Stadt Rom ein Ende gemacht worden. Wir hatten uns, vom Zufalle geführt, in Olevano zusammengefunden: zwei Professoren, ein Arzt, ein Dichter und der Schreiber dieser Zeilen, — lauter Deutsche, welche vor der Rückkehr in die Heimath und zu den Vücherschreinen noch in diese Berge zn kommen den Antrieb gefühlt hatten. Aber als die für die gemeinschaftliche Abreise von Olcvano festgesetzte Stunde gekommen war, hätten wir wohl gern alle Weltwcisheit und Wissenschaft dahingegeben, wenn wir dagegen den Pinsel hätten eintauschen können, der würdig gewesen wäre^, der verewigende Nachahmer dieser Natur zu sein. Nur unser Dichter — es war Martin Greif — hatte in solchen Tausch nicht gewilligt. Er, dem es leicht wurde, den Beweis zu führen, daß dem Poeten vor dem Manne der Wissenschaft der bessere Theil zugefallen, mahnte uns an die Sehnsucht zurück, die wir trotz der mächtigen Anziehung Roms in dessen Mauern nach dem Zauber und der Stille der nahen Berge empfunden, indem er, die frühere Stimmung sirirend, im classischen Versmaße Eatull's — der einst in diesen Gegenden lebte und dichtete — folgende Hendekasyllaben improvisirte: Warum fliehen wir nicht zur Beniesstille, Aus der lärmenden Stadt zur Oergesstille? Wenn das purpurne Veilchen rings die Stellen Siißer Ruhe bedeckt und herzlich üb'rall 229 Mit den lieblichen wohlbekannten Schwestern In die Seele uns lacht der frohe Frühling, Wenn erglühend in leisem Noth die Blüthe Schon zn schwellen beginnt am Mandelbaume Und der Pinie schwarzer Schatten absticht Von dcni keimenden Grün der jungen Wiesen; — Ans dem Staube der Stadt und leerer Unruh' Wärmn fliehen wir nicht zur Bergcsstille? Und so gaben wir noch einen Tag zu. Wir bereuten ihn nicht als einen verlorenen. XIX. Suviaco im SaVinergcßirge. Jenes Rom, welches Italien unterworfen hatte, besaß damit wohl die denkbar günstigste Basis für Begründung einer Weltherrschaft. Denn Weltherrschaft bedeutete damals Beherrschung des mittelländischen Meeres, nnd diese zu erreichen war Italien Hünstiger gelegen, als irgend ein Land. Es Handelle sich mir darum, ob Carthago's oder Rom's Flagge daranf wehen sollte. Dies scheint jener Admiral von Carthago wohl erkannt zn daben, welcher das stolze Wort aussprach, daß ohne seine Erlaubniß die Römer nicht einmal ihre Hände im Meere waschen sollten. Jenes Rom dagegen, welches Italien erst erobern sollte, war hierfür wohl möglichst unvortheilhaft gelegen und mußte von Anfängen ausgehen, wie sie beschwerlicher kaum hätten gewesen sein können. Die flache Campagna über welche sich die historischen sieben Hügel nur wenig erheben, — das war ein merkwürdig schlecht gewählter Ort für eine Niederlassung und sicherlich war biese Wahl nnr aus momentaner Nothwendigkeit hervorgegangen; beim rings umher wohnten in schwer zugänglichen Gebirgen Völkerschaften, die den Gründern der römischen Colome Jahr- Ver ubi lougiim tcpidasque praebet Jupiter brmn:is. H o r a t i u s. 232 Hunderte hindurch drohend auf dein Nacken saßen. In den Albancrbergcn, im Volsker- und Sabinergebirgc, — kurz ringsum saßen in vortheilhafteren Positionen die Feinde Roms und drohten, cs zu vernichten. Aber es waren vielleicht gerade diese ungünstigen Verhältnisse, diese stete Kampfbereitschaft und die wirklichen schweren Kämpfe, welche Rom zu führen hatte, unter welchen sich jene Eigenschaften entwickeln konnten, womit schließlich die Römer siegen mußten. So schlug der geographische Nachtheil, mit welchen die inmitten von räuberischen Völkern gelegene Stadt des Romulus zu kämpfen hatte, doch wiederum in politischer Hinsicht zum Vortheile ans. Uns allerdings scheinen diese allerersten Kriege Roms sehr geringfügig; aber ihre Bedeutung liegt in ihren Folgen und darum dürfen wir cs einem Livius wohl verzeihen, wenn er von diesen Raufereien mit so viel Behagen und einiger Ruhmredigkeit berichtet. Noch jetzt wird man bei den Wanderungen in diesen Gebirgen vielfach und in sehr verschiedener Weise an die Verhältnisse gemahnt, nnter welchen Rom. den Lauf seiner Geschichte begann, und cs lohnt sich wohl der Mühe, neben den Albaner-dergcn, welche um ihrer landschaftlichen Schönheiten hauptsächlich besucht werden, auch das Land der ehemaligen Volsker zu bereisen, dessen Bewohner noch jetzt rauh und unfügsam gegen die staatliche Ordnung sich erweisen, oder in die Thäler des Sabiner-gcbirgcs zu dringen, aus welchem einst die Römer die schönere Hälfte ihres Gemeinwesens ergänzten. In die Thäler des Sa-bincrgebirges — das laßt sich nicht eigentlich sagen; denn wer in jenen Gegenden reist, wird vielleicht mehr auf hohen Bergen verweilen, als in den Thälern. Das Sabincrland ist in dieser Hinsicht sehr merkwürdig und man ist, seine Eigenthümlichkeiten zu bezeichnen, wohl versucht, für dassclbc — gleichwie für einige andere Länderstrecken in Mittclitalicn und in dcn Adruzzcn — tie- 233 Benennung „historische Landschaften" in Anspruch zu nehmen, wäre dieses Wort nicht in anderem Sinne in Gebrauch oder Mißbrauch gekommen. Man redet nämlich oft von „historischen Landschaften" als solchen, welche vermöge ihrer Configuration zuin Schauplatze jeuer wichtigen Ereignisse, welche sich an sie knüpfen, gleichsam prädcstinirt gewesen seien, und hat damit einem au sich richtigen Prinzip der vergleichenden Erdkunde (Ritter), demgemäß die geographische Besonderheit eines Landes auf Charakter, Eilten nnd Religion seiner Bewohner vou wichtigein Einflüsse ist, durch cinc bis auf die historischen Details gehende Anwendung einen falschen Sinn gegeben. Bei solchem Verfahren gelangt man fchlicßlich zur Querköpfigkcit jcues deutschen Professors der Geographie, welcher die politischen Grenzen seines Dnodezvatcrlandes, das irgendwelche Einfältigfeit des Wiener Congresses iu's Dasein gerufen hatte, vom Standpunkte der allgemeinen Erdkunde als nothwendige demonstrircn wollte. Statt in solcher Weise die Historie bis in ihre Einzclnheiteu aus der Geographie abzuleiten, ließe sich die Benennung „historische Landschaften" vielleicht richtiger auf solche Gegenden anwenden, welchen umgekehrt der Verlauf der geschichtlichen Ereignisse ein charakteristisches Gepräge gegeben hat, daö im Allgemeinen die Geschichte dieses Bodens ausspricht, — auf solche Landschaften, deren geographische Verhältnisse durch die Historie bestimmt worden find. Ein solches Land ist das Sabinerland. Wie in unserem deutschen Vatcrlande die Burgen ihcilweisc von hohen Felsenspitzen in die Thäler herabschauen und an jene Zeiten erinnern, da die feudalen Geschlechter, in ewigen Kämpfen liegend, die Unsicherheit in der Ebene mit der Sicherheit hoher Verglage vertauschten, so sind es hier ganze Städte und Ortschaften, welche hoch über die Thäler hinaufgcrüclt sind. Aber während bei uns die Menschen 234 längst wieder in die Thäler hinabgestiegen sind nnd mir mehr die Ruinen der Castelle von den Höhen herabsehen, hat stch hier der seit Erfindung des Schießpulvcrs anachronistisch gewordene Zustand erhalten. Man hat oft Stunden des beschwerlichsten Stcigens auf felsigen Wegen, um solche Orte zu erreichen, und wer eine genaue Karte dieser Verge zur Hand nimmt, wird die hohe Felsenlage durch Namen angedeutet finden, wie Rocca di Can-terano, Rocca di Cavi :c. So war es, lange bevor Rom gegründet worden, zn Zeiten dcr Etiuskcr, wie es da und dort noch cyclopische Mauerreste beweisen, so blieb es während der unaufhörlichen Kämpfe mit dcr aufstrebenden Colonie des Romulus und seiner Nachfolger, und so ist es geblieben das ganze Mittelalter hindurch; denn kein Land ist so oft von feindlichen Hecrschaaren überzogen worden, wie die italienische Halbinsel. Kein Wunder, daß unter solchen Verhältnissen auch dem Volksch a raster lange seine Besonderheiten geblieben sind. Vor wenigen Jahrzehnten noch war es nicht möglich, diese Berg-gegenden zu bereisen. Es wimmelte barin von Vrigantcn, welche sich stark genug fühlten, ihr Gebiet von Gensdarmcn frei zu ballen, ja denselben oft förmliche Gefechte lieferten. Erst allmählig gelang es, geordnete Znstände herbeizuführen. Der Fremde reist jetzt fast überall in vollkommener Sicherheit; er findet ein gut« müthiges, gastfreundliches Volk, dem nur die alte Leidenschaftlichkeit geblieben ist, die wohl manchmal noch zu Mordthaten führt, wenn Eifersucht und Rache im Spiel ist. Fremdartig ist das Ansehen der Orte mit ihren schmalen, hohen, terrassenförmig übcreinanderstchcnden Häusern und den engen, felsigen Gassen und Stiegen. Franen mit ihren Lasten auf dem Kopfe wandeln auf denselben sicheren Schrittes auf und nieder. Sie sind von imponircndem Wüchse und natürlich-stolzem, 235 getragenem Gange; die großen dunklen Augen in den jüdlich gebräunten Gesichtern schauen wie verwundert in die Welt und in der Haltung des Kopfes bemerkt man leinen Unterschied, mögen sie darauf Lasten tragen oder nicht: immer sitzt er elwas znrückgebogcn, fest in dem hochgcwölbten Nacken. Die Kleidung läßt freilich Manches zu wünschen übrig. Die hübschen malerischen Trachten der Vorzeit sind der Armuth gewichen, und die moderne, oft mehr oder minder improvisirte Kleidung halt nicht mehr zur Sorgfalt und Reinlichkeit an, wie es sonst die werthvollcre un» farbenreichere gethan. Grauenerregend aber ist dcr Anblick menschlicher Wohnungen. Es sind finstere, meist von keinem Sonnenstrahle erbcllle Gemächer, gleich Höhlen in unregelmäßiger Architektur an uud über einander gebaut. Die zahlreichen, schwarzen, kleinen Schweine, lne durch die Gassen trippeln und den Schmutz derselben in die allenthalben offenstehenden Hänser tragen, vermengen sicb darin mit den lärmenden Kindern. Meist freilich sitzen alle Hausbewohner vor ihren Thüren, das ganze Leben dieses Volkcs ist ein öffentliches und es genügen die Wanderungen durch die lärmvollen Gassen, um sich mit dem Volkscharakter und drn häuslichen Sitten in allen Richtungen vertraut zu machen. Die Natur des Sabinergebirgcs ist im höchsten Grade fremdartig. Während in den benachbarten Albanerbcrgen Alles grünt und blüht und lieblich anzusehen ist, schweift hier der Blick an grandiosen aber kahlen Bergwänden hinauf bis zu den Orten, die wie Vogelnester an den Felsen hängen. Dcr ganze Charakter der Gegend ist ernst und finster, oft bis zum Schauerlichen, unl? nirgend erblickt man so großartige Felsenformationen, wie hier. In scharfen Umrissen heben sich die Linien dicjer hellgrauen kalücn Berge von einem tiefblauen Himmel ab und die klare Luft des 28tt Südens läßt das Auge bis in die fernsten Weiten dringen, wo die hohen Schneckamme den Horizont abschließen. Man verläßt die nach Neapel führende Bahn bei Valmon-tone um dann dem weithin sichtbaren Monte Glicestro sich zuzuwenden, auf welchem das Eastell S. Pictro liegt. Auf halber Hohe des Berges aber ist die Stadt Palestrina, das ?ra6N68t6 der Römer, zu feheu. Terrassenförmig stehe:: die grauen Häusermassen über einander aufgebaut auf den ungeheuren Quader-substructionen eines ehemaligen Fortunatempels, der in der ganzen Ausdehnung der jetzigen Stadt einst hier stand. Diese Quadern sind aber auch Alles, was sich vom alten ?i'3.6N68tß erhalten hat. Die Zerstörungen, welchen es anheimfiel, waren so gründlicher Natur, wie sie nnr wenige Städte erfahren haben. Schon im Bürgerkriege des Marius und Sulla wurde sie durch letzteren erobert und zerstört, ihre Bewohner aber getödtet. Grausamer noch als der Heide und Soldat Sulla verfuhren im Mittel-alter die Statthalter Christi. Ende des 13. Jahrhunderts befand sich Papst Vonifacius VIII. in Fehde mit der mächtigen Familie Colonna, welche im Besitze von Palcstrina stand. Durch eine Bulle forderte er zum Kreuzzuge gegen die Stadt auf und verlieh jedem einen vollkommenen Ablaß, der die Waffen gegen die Colonnas ergriff. Bald erfolgte die Eroberung der Stadt und obwohl er seinen Feinden Verzeihung versprochen hatte, ließ sie der Papst zerstören, den Pflug darüber führen und Salz darauf streuen. Die zweite Verwüstung, welcher das ucuerstandene Palestrina anheimfiel, ging von Eugen IV. aus, der, in seiner Rachsucht noch weiter gehend, Alles mit Feuer und Schwert 40 Tage hindurch vertilgen ließ. Die Stadt erhob sich gleichwohl wieder, wenn sie auch nie mehr ihre frühere Bedeutung erlangte. Das breite Thal, welches den Zug des Volskergebirgcs von den Sabinerbergcn trennt, conlrastirt in merkwürdiger Weise von 237 den Steinhalden, die sich an den Bergen hinaufziehen nud deren Kahlhcit nichts weniger erwarten ließe, als diese üppige südliche Vegetation in der Ebene. Ja, das Hügelland, in welchem Gennazano liegt, birgt einen solchen Neichthnm von Anpflanzungen aller Art, daß man wie in einem Garten dabinwandelt. Die Kirche genannten Ortes besitzt ein Gnadenbild, 8. Nana äsi duon oonLiMo, dessen Ruf sehr bedeutend ist. Vormals in Skutari in Albanien aufgestellt, wurde dieses Bild im Jahre 147U beim Herannahen der Türken plötzlich von einer Wolke erfaßt, über das Meer nach Italien getragen und erschien Plötzlich in Gennazano. Mit der Zeit, so scheint es, erbarmte sich diese heilige Maria vom guten Rathe der Armuth ihres Kirchleins und brachte, dem abzuhelfen, das eben so einfache als einer Himmelskönigin würdige Mittel der Angcnvcrbrehung in An-wendnng. Von allen Seiten eilten nnn die Gläubigen herbei und füllten den Opferstock, so daß binnen Knrzcm der Neid der benachbarten Pfarreien erwachte, deren Kirchen arg vernachlässigt wurden. Im Kampfe um's Dasein entscheidet die Concurrcnz-fähigkeit, — dieß wußte man schon damals. Und so verbreitete sich denn mit Einem Male die Kunde, daß auch die Madonna eines anderen, nicht weit entfernten, Kirchleins die Angen verdrehe; und wie denn dem Volke das Neueste immer auch das Interessanteste ist, so wurde es bald der heiligen Maria in Gennazano ungetreu und lief dem neuen Wunder nm so mehr nach, als man hier ein viel stärkeres Rollen zu bemerken glaubte. Eine so einleuchtende Methode mußte natürlich Nachahmung fiuden. Bald da, bald dort, wo nur eine Kapelle stand, fing es schon am frühesten Morgen zu läuten an und das Gebimmel nahm kein Ende, bis die Menschen zusammenliefen, um zu erfahren, was denn los sei. Es geschah überall dasselbe Wunder und die heiligen Madonnen verdrehten die Augen um die Wette, ungefähr 238 wie Kinder oft im Schielen sich zu überbieten suchen. Die Kunde dieser Ereignisse drang schließlich bis in den Vatikan, und obwohl man weit entfernt war, den armen Kirchen die reichlich fließenden Gelder zu mißgönnen, so sah man sich schließlich doch gezwungen, dem Treiben Einhalt zu thnn. Eine Commission von Fachverständigen wurde entsendet und nachdem dieje Bericht erstattet, erließ Rom ein Dekret, demgemäß die Madonnen ihren Nettstreit einstellten und wieder gerade vor sich schauten, gleichwie es Rekrutenzüge auf das entsprechende Commando thun. Seither hat sich die Andacht der Gläubigen wieder der Kirche von Genna-zano zugewendet, die sich bald wieder einer Iahresrente von 25—30,000 Lire erfreute. — Durch eine im höchsten Grade interessante Berglandschaft geht die Wanderung über Olcvano, Civitclla und Nocca San Stephan» weiter, abwechselnd durch Thäler, welche den ganzen Reichthum südlicher Vegetation entfalten und über Berge, welche das kahle Haupt dem tiefblauen Himmel zukebren, bis entlich vor uns in engem Thale pyramidcuartig ein Hügel sich erhebt, dessen Gipfel einen wohlcrhaltenen kastellartigen Bau trägt, während bis an den Fuß hinunter die wirr übereinander gebaute Masse der Häuser sich zieht. Dieß ist das Städtchen Subjaco; der Ban aber, den die Spitze der Pyramide trägt, ist die berühmte Benedektinerabtei, welche das ganze Mittelaltcr hindurch die bedeutendste Rolle spielte. Hügel ringsum verengen das Thal, durch welches der kalte Anio strömt, und in das von allen Seiten hohe Berge hinabschauen. Es ist eine wilde einsame Gegend, berühmt schon im Alterthum als Sommersitz des Kaisers Nero, der hier weitläufige Villen hatte anlegen und durch Aufstauungen des Anio drei kleine Seen hatte herstellen lassen. Heute finden sich davon nur mehr wenige Reste und der Anio, welcher die ihm entgegengesetzten Dämme 239 längst durchbrochen hat, nimmt wieder seinen alten, ungeregelten Lauf durch das einsame Thal. Größere Berühmtheit als durch Nero erhielt diese Gegend dnrch den heiligen Venedikt, der Ende des fünften Jahrhunderts fast noch als Knabe von Nom hierhergewandert kam und in der Schlucht, ans welcher der Anio strömt, eine niedere Felsengrotte bezog. Jahre hindurch lebte er hier, uon aller Welt abgeschnitten, im Zustande religiöser Grstase, wie er sich damals bei schwärmerischen Natnren einstellte, welche abgeschreckt vom Elend der Zeiten in einer transcendenten Gedankenwelt Trost suchten. Ro-maldus, der Mönch eines nahen Klosters, versorgte ihn mit Speisen. Der Ruf seiner Heiligkeit verbreitete sich mehr und mehr, ans Rom nnd aus anderen Orten zogen ihm gleichgesinnt Jünglinge zu, bis endlich der Heilige mit der nach ihm benannten Ordensregel vor die Welt trat, die Grundlage des abendländischen Mö'nchthums. Bald erhoben sich an den Bergwänden, die aus der dunklen Schlucht aufsteigen, zwölf Klöster, in welche Venedikt seine All-Hänger vertheilte. Mit reißender Schnelligkeit verbreitete sich der Orden über Italien, Deutschland, Frankreich und bis nach England und überall erwarben sich seine Mönche hohe Verdienste nicht nur als Pionniere der christlichen Enltur, sondern auch durch die Pflege der Wissenschaften und die Ansammlung eines selbst heute noch nicht ganz gehobenen Schatzes von Chroniken und historischen Urkunden. Mit der Zeit aber verfiel auch dieses Institut dem Schicksale alles Irdischen: der ursprüngliche Geist desselben ging verloren und in seiner Entwicklung entfremdete er sich mehr und mehr den Absichten des Gründers. Gleich dem Papstthum selbst vermochte auch die Muttcrabtei der Benediktiner der Verweltlichung nicht zu widerstehen und wie dieses verwandelte sie sich endlich in einen förmlichen Lchensstaat, 240 dessen geistlicher Feudalismus Jahrhunderte hindurch das Volk der Sabmcrbergc bedrückte. Aus den Anachoreten in den Felsenhöhlen wurden weltliche Fürsten, deren Besitz durch Schenkungen und Erwerbungen fortwährend sich vermehrte und mit dem Schwerte in der Hand gegen die Nachbarbaronc und die Bischöfe der umliegenden Sprengel vertheidigt wurde. Auch der wissenschaftliche Gcist ging den Benediktinern von Subiaco oft ganz verloren. Im vierzehnten Jahrhunderte insbesondere, während des Enls der Papste in Avignon, herrschte auch in sittlicher Hinsicht das zügelloseste Leben. Diesem Zustande wurde Einhalt gethan, als der französische Abt Ademar nach Subiaco kam. Er herrschte in der Burg als Tyrann über die Mönche, die wohl anfänglich der Wiedereinführung der strengen Ordensregel Widerstand entgegensetzten, aber nachgeben mußten, als sie den Ernst des Abtes kennen lernten, der ohne langes Besinnen sieben der renitenten Mönche bei den Füßen aufhängen und Feuer unter ihren Köpfen anzünden ließ. Aber auch bei dem Stadt- und Landvolk rief die fortdauernde Tyrannei der Aebte Erbitterung hervor, die schließlich in greulichen Scenen sich Luft machte. Subiaco gegenüber, am anderen Ufer des Anio, liegt ein kleiner Hügel, Colle delle forche, d. h. Gal-genhügcl, genannt, dessen Name in Verbindung mit jenen Scenen steht. Eine Anzahl angesehener Jünglinge aus der Stadt hatte sich das Vergnügen gemacht, ein paar Mönche zu verhöhnen und schließlich mit Hunden zu hetzen. Die Mönche flohen in die Burg und brachten dem Abte die Klage vor. Noch in der gleichen Nacht ließ dieser die Jünglinge aufheben und als am andern Morgen die Bewohner von Subiaco erwachten, fahen sie auf dem Hügel fünfzehn Jünglinge am Galgen hängen. Aber wieder einige Stunden später war das Kloster vom Volke erstürmt und die Mönche wurden fast ohne Ausnahme ermordet. Das 241 waren so mittelalterliche Scherze, mit welchen dann und wann in die Stille des Klostcrlebens Abwechslung gebracht wurde. Schon früher war den Mönchen die Abtwahl von den Päpsten entzogen worden; nach diesem Ereignisse aber wurde die Abtei zur Eardinalscommendc erhoben und die jeweiligen Papste verliehen das reiche Besitzthum ihren Günstlingen. So wurde auch Roderigo Borgia, der nachmalige Papst Alexander VI., zum kddkts oommonaatorio von Subiaco ernannt, unter welchem wieder Schwclgcrrien aller Art in der Vnrg gehalten wurden. Eesare und Lucrezia Borgia, seine Kinder, lebten bei ihm uud Jagdhörner erschallten in der Bergwildniß, wo einst der heilige Bcncdikc feinen Leib auf Dornen gewälzt 'hatte, um sich des „unreinen Feuers" zu entledigen. Manche Greuel Ueßen sich noch aus der folgenden Periode berichteu, in welcher die Familie Eolonna die Präbendc iune hatte und die Päpste lange vergeblich versuchten, durch die Waffen die Acbte unter ihre Votmäßigkeit zu bringen. Erst Mitte des vorigen Jahrhunderts wurde das Fürstenthum dem Kirchenstaate einverleibt, die weltliche Jurisdiction wurde dcu Aebtcn entzogen und es wurdcu ihnen nur wenige Privilegien gelassen. Gleichwohl berechneten sich die Einkünfte der Commende noch in folgender Weise: Kloster S. Scolastica 80,000 Lire; Kloster S. Benedetto 20,000 L.; Abbate commcndatorio 36,000 L. Hierzu kamen noch das Fraucukloster mit 25,000 L.; die Preti della montagna mit l 0,000 L., und endlich je ein Kapuziner- und ein Franziskanerklostcr. Daß das Volk bettelarm ist, bedarf keiner Erwähnung; cs ist dies nur die Kehrseite der Medaille. Von den Klöstern, welche der heilige Venedikl in dem einsamen Felsenthale gegründet hat, das seine Grotte birgt, bestehen nur mehr zwei. Sie liegen in geringer Entfernung von Subiaco und der Spaziergang dahin gehört zu den interessantesten dieser du VreI, Unter Taimen und Pinie». 16 242 Gegend. Das Kloster S. Scolastica, zn dcm man auf steinigem Wege hoch über dem wildschäumenden Anio ansteigt, besteht ans-cinem weitläufigen Eompler von Gebäuden, die nach und nach entstanden und erweitert, verschiedene Stylarten aufweisen. Sein Archiv enthält noch nngcdnickte Chroniken der Abtei und einige merkwürdige Drucke, die ersten, welche in Italien von den deutschen Buchdruckern Schwcmheym und Pannarh angefertigt wurden: die Institutionen des Laktantius und das Buch des heiligen AugustimiS äs eivitu.t,6 äei. In verschiedenen Jahrhunderten durch die Longobardcn, Saracenen und Ungarn zerstört, erstand das Kloster immer wieder von Neuem und wurde bei der letzten Wiederherstellung der hri-ligen Scholastika, Schwester Bcnedikls, geweiht. Von diesem ersten Kloster zieht sich den Felsen hinauf ein schmaler Pfad, der in einen dunklen Hain von Steineichen mündet, jenseits dessen an senkrecht abstürzenden Wänden das zweite Kloster, Sacro Epe^o, steht. Ans hohe Substructionen gebaut drückt es sich an die Felsenwand, als wolle es Nch verbergen. Ein runder, mittelalterlicher Thurm steht nebenan, von dem aus wohl manchmal zitternde Mönche in die Ferne blickten, wenn räuberische Kricgerbandcn gegen Snbiaco heranrückten. Dieses Kloster, das sich über der Grotte des heiligen Bcnedikt erhebt und im l l. Jahrhundert gegründet wurde, ist ein Werk verwegenster Baukunst. Die Zellen und Säle, die Treppen und Kapellen, in welchen oft der natürliche Fels dic Wände bildet, sind unregelmäßig übereinander gebaut und die wunderlichsten Perspective:; eröffnen sich durch Bogen unv Gänge. Von den Wänden blicken halbvcrloschenc uralle Malereien und mystische lateinische Verse liest man von ihnen ab. Auf und abwärts steigt man dnrch las dunkle Labyrinth, von einem deutschen Mönche geführt, der die Gelegenheit gerne benutzt, mit Landsleutcn in der 243 Muttersprache verkehren zu können, bis man schließlich vor cmcr finstern Höhle steht. Vom Altare, der augebaut ist, uimmt der Mönch eine Lampe, und leuchtet iu den dunklen Raum hinein, in welchem dic weiße Marmorftgur deS Heiligen mit gefalteten Händen vor einem Kreuze kniet. Endlich öffnet sich uoch eine kleine Pforte und wir treten in's Freie. Ein kleiner Rosengarten von niederen Mauern umgeben, hat hier noch Raum gefunden. Senkrecht steigt die Felswand an, und senkrecht fällt sie in die Tiefe ab, aus der das unaufhörliche Rauschen des Anio herausdringt. Dieß ist der Platz, wo der Jüngling Bencdikt sich auf Dornen wälzte, jene Anwandlungen zu ersticken, welche zurück m die Welt ihn locken wollten und durch verführerische Phantasicbildcr seine religiöse Versenkung zu stören suchten. Aus diesem „geistigen Schlacht-feldc" pflanzte später der heilige Franziskus Rosenbäume, welche seither unausgesetzt blühen. Es gibt wohl wenige Orte m der Welt, wo wir so ganz in die religiöse Poesie des mittelalterlichen Geistes versenkt werden, wie hier in diesem von aller Welt abgeschiedenen und von der erhabensten Natur eingeschlossenen Kloster; aber auch wenige, wo der von des Gedankens Blässe angekränkelte moderne Mensch so sehr den Widerspruch mit der Weltanschauung seines Jahrhunderts fühlt. Man ergötzt sich im künstlerischen Sinne an diesen Erscheinungen, die wie cin Märchen aus der christlichen Legendenzeit vor uns stehen, und bringt doch die aus der Außenwelt mitgebrachte Stimmung nicht los, die uns an solchen Erscheinungen ein uns unverständlich gewordenes psychologisches Ingrediens offenbaren. Man findet sich wie mit Einem Schlage in längst vergangene Jahrhunderte zurückversetzt und an einen Ort, wo bis zum geringsten Detail Allcs die Vorstellungen jener Zeiten uns vor Augen malt; aber eben weil wir kein störendes, der eigeuen 16* 244 Vorstellnngswelt entnommenes Element finden, empfinden wir ganz die weite Kluft, welche bereits zwischen uns und dem Mittel-alter sich eröffnet hat. Es ist nur dem Maler oder Dichter gegeben, diese Kluft gleichsam auszufüllen und in reiner künstlerischer Freude an solchen Dingen sich zu ergötzen. — Interessant wiederum in ganz anderer Hinsicht ist ein Ausflug, zu welchem wir in entgegengesetzter Richtung von Eubiaco ausgehen. Er gilt dein Ort Eerbara — im Alterthume ^ervaria genannt — dem merkwürdigsten Felsenneste, das man in dieser Gegend finden kann. Ueber die wohlbcwachseneu Hügel hinweg, welche östlich aus der Thalsohle sich erheben, steigt man an den zerrissenen nackten Bergwänden empor, welche auf dieser Seite das Thal begrenzen. Es ist ein unendliches Geschiebe verwitterten Kalkgestcins, auf dem selbst der sichere Tritt des Esels, den man bestiegen, nur schwer fortkommt. Das klare Gedirgswasser, welches da und dort aus einer Bergspalte bricht^ ergießt sich in regellosem Laufe über diesen Weg hinab. Kein Baum, kein Strauch bietet dem Auge einen Ruhepunkt aus der grell beleuchteten Bergwand. Nur weit vorne erscheint, wie ein Schwalbennest an dem Felsen, hängend ein dunkler Fleck, in dem wir bald einen Eichenhain erkennen. Ohne die Unterlage eines Erdreiches wachsen die grotesken Baumgestallen aus dem grauen Gesteine heraus und umklammern mit ihren Wurzeln die Felsblöcke. Höher und höher in stundenlanger Ansteigung Windel sich Ver Pfad hinan, bis vor uns eine himmelhohe Felscnnadel auftaucht, auf welcher in fast unbegreiflicher Architektur über einander gelagert die felseugrauen Häuser von Eerbara stehen. Zu oberst aber ragen zerfallen noch die Ruinen eines alten Kastells auf. In diese Burg flüchteten in kriegerischen Zeiten oft die Aebte von Subiaco mit ihren Schätzen; sie leistete ihnen vie gleichen Dienste, wie den Päpsten die Engelsburg. Der Mönch Pclagius, 245 der im 13. Jahrhundert das Kloster von Subiaco übersiel und mit den Kostbarkeiten desselben sich hierbersimbtete, behauptete sich auf dieser fast unzugänglichen Felsenspitze vier Jahre lang, bis es endlich den päpstlichen Truppen gelang, die Bnrg zn erobern. Aber anch später noch und bis in die jüngste Zeit wurde Ccrbara viel genannt. Es war das berüchtigtste Näubernest in der Umgebung von Rom. Fast an der Grenze zwischen dem Kirchenstaate und dem Königreich Neapel gelegen, war es immer der Schlupfwinkel der Räuber, welche nur die Grenze zu überschreiten brauchten, um vor dem Arme der Instiz geborgen zu sein. Selbst heute noch scheinen die unausgesetzten Patrouillen der Carabinieri nöthig, welchen die wenig bcncidenswerthe Aufgabe des Sicherheitsdienstes auf diesen Bergen obliegt. Nur Felsen und Treppen und das Gemäuer gespenstischer Wohnungen gewahri man in Cerbara. Die eigenthümliche Lage bedingt eine Architektur von fast erschreckendem Ansehen. Dnrch^ einander geworfen stehen die Häuser dicht an- und übereinander und die stallähnlichen, geschwärzten Stuben sind selbst oft wiederum durch steile Treppen mit einander verbunden. Blickt man aber durch die Fensterlöcher auf der Außenseite hinaus, so fällt der Blick ungehemmt über jäh abschießende Felswände bis in die schwindelerregende Tiefe des Thales hinab. Fast scheint es unbegreiflich, daß auf so unwirthlichcr Höhe, an einem Platze, wo kein Grashalm aus dem steinigen Boden dringt, Menschen doch zn leben vermögen; aber blickt man in die abgehärmten Gesichter dieser Menschen, so erkennt man, daß ihr Dasein wohl ein schreckliches genannt werden muß. Man kann sich kein grelleres Beispiel für die Macht menschlicher Gewohnheit denken, als den Umstand, daß diese Menschen sich nicht entschließen können, diesen Ort zu verlassen, oder wahrscheinlich gar nicht auf den Gedanken verfallen, daß dieses geschehen könne. Von allen 246 Segnungen dcr Kultnr, ja der Natur, abgeschnitten und von den Verheerungen des Blitzes beständig bedroht, da der Fels von Cer-bara wie ein Blitzableiter emporsteigt, führen sie dort ein jämmerliches Dasein, und es muß unsere höchste Verwunderung erregen, daß der Mensch sogar unter solchen Eristcnzbedingungen nock an das Leben sich anklammert und mit gleicher Intensität es bejaht, wie es nur Andere unter den günstigsten Verhältnissen zu thun vermögen. Man fühlt sich erleichtert, wenn man den Anblick solchen Elends hinter sich hat, und doch blickt man in das Thal hinabsteigend immmer wieder zurück nach dein erstaunlichen Cer-bara; denn vom Standpunkt des Künstlers aus betrachtet, kann es kaum etwas Interessanteres geben, als den Anblick dieser ehemaligen Zwingburg der Nachfolger des heiligen Venedikt und des späterhin so berüchtigten Räubernestes. Es war ein landsmännischcr Dichter — Martin Greif —-, in dessen Gesellschaft ich Gelegenheit gefunden hatte, den merkwürdigen Ritt nach Ccrbara zn machen, und die Leser werden mir vielleicht um so mehr erlauben, daß ich seine Schilderung hier einftechte, als dieselbe unter Hinweglassung des Zufälligen das Charakteristische der Wanderungen im Sabincr-lande und in den Abruzzen überhaupt zur Darstellung bringt. Im Sabinergcdirge. Me Schlüfte erhellen Es dehut sich die Reise Sich mehr und mehr, In's blatte Gezelt, Die murmelnden Quellen Stets fremder im Kreise Eilen daher; Liegt unten die Welt. Noch hüllt die erstarrten In endlosen Badnen Gipfel ein sslor Verliert sich der Blick. Und voller Erwarten - Nur manchmal gemahnen Steig ich empor. Die Glocken zurück. Es bildet sich freier In Klüften nnd Höhlen Der Gipfel heraus, Träumt' ich mir Rast, Uraltes Gemäuer Bei menschlichen Seelen Steht Haus über Hans. Bin ich zn Gast. 2N Gewaltig erhöht wird noch dcr schauerliche Emdruck dieser merkwürdigen Landschaft von Subiaeo, wenn sich im Winter und dci Begilln des Frühjahrs die oft lange andauernden Regentage sinstcllen. Dann ist die ganze Natur Grau in Grau gemalt. Die Wolken jagen in zerrissenen Fetzen über die Orte anf den hohen Felscnspitzen weg oder verhüllen sie ganz in undurchdringliche Schleier. Geräuschvoll tobt der Sturm, dessen Kraft nirgend von Wäldrrn abgeschwächt wird, in die er sich verfangen könnte. In den Berghalden liegen dichte Nebel, von welchen sich nur manchmal Stücke ablösen und an den Wänden cmporschleichen. Wenn dann und wann ein Strahlenbündel des verborgenen Sonnenballs durch das Gewoge dcr grauen Wolken dringt, dann erscheinen die fernen Bcrghaldcn und Felsen grell beleuchtet uud goldene Lichter erglänzen anf den uebelig verhüllten Kuppen, bis endlich die tiefhcrabhängenden Gewitterwolken, von fahlem Lichte gesäumt, sich in die Höhe zu zieheu beginnen uud von dcr bell erleuchteten Nebelwand, die in den Hintergrund des Horizonts gerückt ist, in klaren, scharfen Umrissen die langgestreckte Linie dcr Berge sich abhebt, anf deren Höhe in magischem Lichte wiederum die hohen Orte sichtbar werden. Dann aber, wenn wieder hell die Sonne vom blauen Himmel strahlt uud mir da und dort noch ein leichter, zurückgebliebener Schneepudcr auf den Kuppen glänzt, dann empfiehlt es sich, nach einem der höheren Gipfel feine Schritte zu lenken, um iu der vom Gewitter gereinigten klaren Luft auf das weite Bergpanoraina herab zu schauen, welches das Thal des „immerkalleu" Anio einschließt. Am linken Ufer dieses Gebirgswassers, dort, wo cs tief unter dem Kloster Sacro Speco durch die Schlucht rauscht, steigt diesem Kloster gegenüber ein bewaldeter Berghang steil in die Höhe. Es ist der Monte Carpinetto, vom Volke auch Monte 248 Nasone genannt, weil er gegen die Wolken cine Kuppe kehrt, deren Profil vom Thale aus gesehen täuschend als riesengroße Nase mit zurückfliegender Stirne sich darstellt. Zn seinen Füßen, wo der Anio dnrch eine schmale Felsenflamm sich zwängt, die er in tausendjähriger Arbeit durchsägt hat, überspannt ein kühner Brückenbogen die hohen User. Hier hatte Nero die gewaltigen Dämme aufführen lassen, welche das Wasser zum See aufstauten. Aber der Fluß hat sich längst wieder in sein Recht gesetzt uno man sieht nur mehr geringe Baurcste, welche, an die Bergwand gedrückt, einst zur kaiserlichen Villa gehörten. Darüber ragt der Monte Carpinctto auf, gegen dessen Gipfel ein steiniger Pfad in weitem Bogen hinanführt. Tief unten zur Rechten liegt eine Bergfalte, in welcher Niesen mit Felsen gespielt zu haben scheinen. Es ist das Bett eines Wildbaches. Vor wenigen Tagen noch stürzte darin das rasch angesammelte Wasser hochgeschwollen dem Thale zu, mit unwiderstehlicher Gewalt Kies und Felsen fortführend; jetzt ist das Bett trocken und das durcheinander geworfene Gestein liegt von der Sonne erhitzt darin. Weit drüben klettern Ziegen zwischen den Felsen. Der Hirtenknabe, der sie führt, ist meiner kaum ansichtig geworden, so strengt er seine Stimme an, mir sein Anliegen nach einem Bajocco zuzurufen. Es gibt keine Aussichtslosigkeit für den italienischen Bettler; der Anblick eines Fremden wirkt reflektorisch auf seinc'l Arm, der die Hand ausstreckt, und auf seinen Mund, der die Bitte um eine Kupfermünze ausspricht. So würde es auch dieser Hirtenknabe ganz natürlich sinden, wenn ich über die Felsen des Wildbaches zu ihm hinüberfliege. Je höher sich dcr Pfad hinaufzieht, desto unwirthlicher wird die Umgcbnng. Es sind weitgcdchnte Steinhalbcn, über die man zu klettern hat, bis man die Kupppe erreicht, auf der in grotesken Formen die verwitterten Kalkblöcke liegen. Bald glaubt man auf einem Kirchhofe zu srm, 249 auf welchem menschliche Gebeine durcheinander geworfen wurden, bann wieder sind ganze Flächen mit Felsen bedeckt, die aus dem Boden brechen, wie ein im Auflodern versteinertes Flammenmeer. Oben aber, zwischen aufgethürmten Blöcken, hat frommer Sinn ein hoheS hölzernes Kreuz aufgerichtet, bei welchem die weiteste Aussicht über die umliegende Felsenwüste sich eröffnet. Man blickt hinunter in das Thal, in welchem wie ein hoher Steinhaufen der Felscnlegel von Subiaco liegt, überragt von seinem Kastellc, dessen beherrschende Stellung in bezeichnender Weise die Geschichte der Bencdiktinerabtci verkündet. Dahinter ragt, doch und massig dastehend, ein Oebirgsstock auf, an dem vorüber das Thal sich hinzieht. Langgestreckte, übereinander gezeichnete Linien ferner Gebirge begrenzen den Horizont, während die anfeinandergehäuften Bergmassen zu beiden Seiten wie hohe Mauern die Fernsicht absperren. Zur Rechten fällt es jäh in die Schlucht ab, durch welche der Anio rauscht. Aufwärts verfolgt man 5ic Windungen dieser Schlucht, bis wo halb verschleiert die abgerundeten Häupter der Abruzzeu schneebedeckt herübcrlcuchtcu. So liegt auf allen Sciteu lautlose, wilde Fclsenlandschast um nns herum; in verschiedenster Gestaltung heben sich rings die beklemmenden Gcbirgsungcthüme, und der Wanderer, der sich so einsam dazwischengestcllt findet, wird im Anblicke dieser erstaunlichen Natur mehr und mehr jenes befremdliche Gefühl erfahren, in welchem er sich gleichsam loslöst von Allem, was ihn umgibt, biS er schließlich einer Welt gegenüber steht, in die er verwundert, sich hier zu finden, schaut, als sei er eben erst auf diesen Erden-stern versetzt worden, als käme ihm das Wesen der Natur und des eigenen Selbst erst hier znm ersten Male znm Bewußtsein. Aber nicht als Theil der Natnr empfinden wir uns in solchen Angcnblicken, wir weben in solchem Anblicke nicht jene Fäden, durch die der geheimnißvolle Wechselvcrkrhr zwischen den Bildern 250 vor uns und dem seelischen Hintergründe unseres Auges vor sich geht und wobei wir in harmonischem Einklang mit der Natur uns fühlen; sondern die Gegenwart so unheimlich wächtiger Scenerien wirkt beklemmend und der Mensch fühlt beängstigt die bedenkliche Stellung, die er als empfindendes Wesen im Hanshalte dieses Alls mit seiner starren Gesetzlichkeit einnimmt. Es weht uns von ihm an, wie ein eisiger Hauch, bei dem alle Blüthen menschlicher Hoffnungen erstarren müßten. Mit der brntalen Thatsache dieser Natur rechnen zn müssen, die für alle unsere Wünsche und Gedanken nichts hat, als die Unerbittlichkeit ihres Geschehens, — in dieser Anffordernng, die ihm lautlos geschieht, erkennt der Mensch die Quintessenz aller Klagen, welche zn allen Zeiten das Geschlecht der Sterblichen gen Himmel gerichtet, seitdem es vor dem Meduscnantlitze Pans erschreckend angefangen hat, die tiefe Kluft zwischen den Bedürfnissen des Gemüths und den Gesetzen des Kosmos durch die Porstcllnug von Wesen zu füllen, denen es gegeben sei, den Absolutismus der Natur zn unseren Gnnsten zu beschränken. Die Erhabenheit der Natur ist nicht zu trennen von der Verkleinerung, die der Beschauer in ihrer Betrachtung erfährt, und je höher sich vor uns die Gestalt Pan's aufrichtet, desto mehr müssen wir über die Ohnmacht erschrecken, in der wir vor ihm stehen. Wie eine schwere Last liegt es dem Menschen ans der Brust, wenn schweigsam und theil-nahmslos die Welt vor seinen Blicken ausgebreitet liegt, wenn sie ihn, der sich mit warmer Brnst ihr anschließen möchte, mit ernster Hoheitsmicne abwehrt. Sie will nichts wissen von uns, sie hat mit nns nichts gemein und blickt uns an, als wolle sie uns sagen, nur das sci unsere Aufgabe, unser ernstes, unerbittliches Schicksal zn erfüllen. Was ist denn übrig geblieben von all dem, womit der Gedanke des Menschen in diesen Felsenthälern sich schon getragen 251 hat? Die tiefste Einsamkeit herrscht jetzt hier, wo einst ein welt-beherrschcnder Cäsar durch erstaunliche, abcr längst verschwundene Bauten seine Macht zu bekunden bestrebt war. Das Gepränge seines Hofes ist verschwunden, und die Menschen, die mm in diesen Gegenden die gleichförmige Reibenfolge trauriger Tage dahinleben, sind längst wieder zurückgcschleudcrt in cinen Zustand, barin sie als Sklaven der Natur erscheinen. Die kaiserlichen Legionen, die Horden der nordischen Eroberer, die langen Heer-züge der hohenstansischcn Kaiser, deren letzter Sprosse hier vorüber dem vcrhängnißvolleu Schlachtfeldc von Tagliacozzo entgegcuzog, — sie haben einander abgelöst; aber nichts von alle dem hat sich erfüllt, was ihre Herzen höher schlagen ließ. Sie sind verdorben und gestorben und haben keine weiteren Spuren zurückgelassen, als die verbleichenden Erinnerungen in den Geschlechtern von Nachkommen, die nun in weit verstreuten Ansicdluugcn ein mühseliges Dasein auf diescu Bergen, fristen. Geblieben ist nnr die ewig gleiche Natur, und wenn nun der seltene Wanderer von der Höbe herab dieses einst so geschichtsvollc Panorama überblickt, dann sieht er die Strahlen des hinabsinkenden Sonuenballes noch die gleichen kahlen Fclsenwände rothen, welche rings den Horizont versperren. Scheu muß sich die Seele des Menschen in sich selbst zusammenziehen vor einer Schöpfung, die in ewiger Starrheit dem Spiele des Menschengeschlechtes zusieht und nur das Eine Wort: Vergänglichkeit! für uns hat. Vereinsamt durch solchen Anblick, versenken wir uns ängstlich in das eigene Ich und suchen im Leben desselben zu finden, was die Welt vor uns mit kaltem Blicke uns versagt. Iurückgebannt durch die Natur, flüchten wir uns in unser Inneres, in jene andere Welt, die ganz uus gehört, und in welcher wir die Herrscher sind. Und doch! Wenn schon die großen Gemälde einer großen 252 Vergangenheit hier farblos erblassen, so mnß auch das Bild unseres eigenen LebcnS als bedeutungslos von dieser Folie sich abheben. Sind schon die großen ströme der Geschichte, die hier vorüberrauschten, spurlos verlaufen, was kann da wohl das menschliche Einzclleben noch gelten? lind was die Regungen aller Art, die eine kurze Spanne Icit hindurch ein kleines Menschenherz pulsiren machen? Ist denn nicht auch diese innere Welt der Vergänglichkeit verfallen? Wie die Wellen des Wildbachcs dort unten eilig vorübcrlaufen und hinunterzichen zu dem Meere, in dein sie zur Ruhe kommen, so fticheu die Jakre uno Tage des Menschenlebens dem Meere der Vergessenheit zu, und indem der Wanderer in dieser Wildniß dem unablässigen Nanschen aus der Tiefe lauscht, hört er gleichsam hörbar die Zeit vorübcrrauschen, die auch sein Leben mit sich führt. Nnhaufhaltsam im gleichen flüchtigen Gange vergeht das Leben und weit überholt im eiligen Laufe sind die unerfüllt gebliebenen Ideale der Jugend. Nicht des Herzens Wünsche sind erreicht worden und die kühuen Pläne, mit welchen wir uus hoffnungsvoll in der Jugend gelragen, sie sind nicht zum Vollzug gckommeu. Eiu leeres Dasein ist es nur, dessen wir uns bewußt werden, wenn die Jahre längst die Erfüllung hätten bringen sollen. Wo sind sie hin, diese Jahre, die so goldig leuchtend vor dem Jüngling lagen, wohin alles holde Glück, das oft so faßbar und unverlierbar vor ihm stand und doch zwischen den Fingern ihm zerrann, wenn er danach greifen wollte? Was hat das Leben gehalten von Allem, waö es ihm versprochen? Es ist Alles spurlos verschwunden, und nichlS ist geblieben, als das Wissen, daß er noch daö gleiche Wesen ist, daS einst mit so goldenen Hoffnungen in die Zukunft sah, und das nuu um alle sich betrogen sieht. — Ein wunderbares Abendioth legt sich erweichend rings umher auf die starren Felscnmassen und löst die energischen Formen in 253 milde Contouren auf. Mit jedem Augenblicke wechselt die Farbe, ansteigend bis zum intensivsten Roth, bann in sanfter Milderung mehr und mehr zerfließend. Durch laue Abendwindc aus weiter Ferne herübcrgetragen, verklingt das Geläute von Glocken in den reinen Lüften und jenseits der tiefen Schlucht, in die schon die abendlichen Schatten schleichen, tönt nun auch über der Grotte des heiligen Benedikt die Glocke hell und zudringlich herüber, als wolle sie mir weisen, wo der Mensch die Lösung aller jener Zweifel finden könne, in die uns der befremdende Anblick der Dinge stürzt. Hoch über dem rauschenden Wasser an den Felsen gedrückt liegt das Klostcrgcbäudc und indem es mir das abgeschlossene Dasein seiner von keiuem Zwiespalt mit der Natur beunruhigten Bewolmer vor Augen stellt, will es mich ermähnen, in seiner Einsamkeit nnd Stille zu suchen, was das unrnhvolle Leben des Wanderers nicht zu gewähren vermag. Aber wie nun das Abendroth auf den Bergen erstirbt und nur mehr die höchsten Zinnen vom Strahle des entschwundenen Tages-gcstirnes verklärt werden, beginnen am verdunkelnden Himmel die Sterne zu glimmen. Erst hier einer und dort einer, immer größer wird ihre Zahl, nnd wie endlich das ganze dunkle Gewölbe mit den helleuchtenden Pnnkten übersäet ist, quillt vom Himmel jene wunderbare Ruhe herab, die sich allnächtlich über die Erde legt nnd über die Herzen der Menschen den Schlaf ergießt. Und auch den einsamen Beschauer, den der Anblick des Gewimmels goldener Sterne noch festhält, beschleicht es in der Unendlichkeit dieses Lichtmecres wie ein Trost, zn schauen, daß die Erde nicht als vereinsamter Stern durch die Nacht des Weltalls rollt. XX. Zer ßeilige Januarius. Das Wunder ist des Glauben« liebstes Kind. Goethe. Nicht nur in dcn Gestalten seiner Götter malt sich der Mensch, sondern anch in der Art und Weise, wie seine Götter uud mytho.-logischen Figuren überhaupt handeln. Die feine, ästhetische Em-psindnngsweise der alten Griechen verräth sich in den plastischen Bildern ihrer Götter sowohl, wie in dem Verhalten derselben gegen die Sterblichen, mag nun die Gottheit erzürnt sein oder gewogen. Unter diesem Gesichtspunkte werfen die Wunder, von welchen die katholische Kirche zu erzählen weiß, ein schlechtes Lichc auf die Phantasie des Mittclalters. Die Innerlichkeit dieses Zeitalters fand nicht die Kraft zu künstlerischer, plastischer Gestaltung, weder im Kunstwerke, noch im Phantasicbildc. Das siegreiche Christenthum nahm zwar manche Vorstcllnngen des absterbenden Heiden-thums mit herüber; nnd geschah dieses auch unter mehr oder minder bedeutenden Modisicationen, so gingen doch Poesie nnd Aesthetik dabei nicht immer verloren. Der Schwan der Leda hat sich im Christenthum zur Taube verkleinert, aber die Geburt eines Erlösers der Menschheit aus dem Schooße einer Jungfrau bleibt 256 immer ein sinnvoller Mythus, ist er auch nicht originell christlich. Auch specifisch christliche Wunder, wie das Neue Testament sie zu erzählen weiß, sind theilweise sehr poetisch und sinnreich. Dagegen sind die Ausgeburten der mittelalterlichen Phantasie in dieser Hinsicht oft von einem Geschmack, der den Bewohnern von Honolulu alle Ehre machen würbe. Hierzu trug freilich schon die bloße Zahl von Heiligen bei, mit welchen allmählig die weite Kluft ausgefüllt wurde, welche den Menschen von Gott trennte. Denn die Wunderchätigkcit derselben ourfte, entsprechend ihrer verbältnißmäßig doch geringeren Würde, nur in unbedeutenden Manifestationen, in Lappalien sich äußern, während auffällige Eingriffe in den Naturverlauf nur den Hauptpersonen, den Ein-gebornen des Himmels zugeschrieben wurden, nicht den bloßen Parvenus. Muß sich ja die heilige Maria uoch heutzutage damit begnügen, anf wenige Minuten in den Lüften zu erscheinen, oder die Augen ein wenig rollen zu lassen, während es ihr versagt ist, auch nur ihre Stimme vernehmen zu lassen, welche doch weit mehr geeignet wäre, verstockte Ungläubige zur Besinnung zu bringen. Die anderen Heiligen nun gar in ihrer Wunderthätigkeit so sinn- uud geschmacklos, daß sie Einem ordentlich leid thun. In dieser Hinsicht hat mir von jeher das Verhalten des heiligen Ianuarius in hohem Grade mißfallen. Er war Bischof von Benevcnt und wurde unter Diocletian enthauptet. Bei seiner Hinrichtung füllte eine vornehme Dame zwei Fläschchen mit dem Blute des Märtyrers und schenkte sie dem Bischof von Neapel. Hierbei nun ereignete sich zum ersten Male das Wunder des heiligen Ianuarius: das in den beiden Fläschchen schon halb eingetrocknete Blut wurde wiederum flüssig. Das ist mm auffällig genug für den Gläubigen, besonders wenn er die Wiederholung des Wunders mit eigenen Augen sieht. Aber wenn der Himmel, wie die Bibel es versichert, an der Bekehrung eines Sünders so 257 hohe Freude findet, so sollte er doch den Ungläubigen mit drastischer« Wundern zu Leibe rücken. Es ist insbesondere die Schweigsamkeit unserer Heiligen in hohem Grade zu bedauern, wenn man bedenkt, daß Tausende von Seelen gerettet werben könnten, etwa durch eine kurze Ansprache der am Himmel erscheinenden Maria. Würde es die Regierung da noch wagen, an die Plätze des Erscheinens rohe Soldaten hinauszuschicken, wie es im Elsaß geschehen? Gewiß nicht. Vielmehr würden sich einem solchen Wunder gegenüber bald alle Ungläubigen gefangen geben, die sich vor den halben Maßregeln unserer Heiligen verstockt verhalten. Ein Huschen, ein Klopfen oder Augeuverdrehen — damit ist die Sache meist abgethan, während doch ein einziges deutlich gesprochenes Wort ganz audcre Wirkungen hätte. Dies leuchtete sogar eiuem biederen Gebirgsbewohner ein, mit dem ich mich einst über dieses Thema unterhielt und gegen dessen frommen Glauben sich nicht daS Geringste einwenden ließ. Ich brachte ihn schließlich so weit, daß er mir offen zugab: „Ja, ja, dös muß mer schon sog'n, dös is a rechter Oageusinn von unsern Hoalig'n, daß 's Maul net aufmachen." So ist auch der heilige Ianuarius schweigsam wie alle seine College». Er begnügt sich damit, einige Male im Jahre sein Blut flüssig werden zu lassen, aber ein Wort ist aus ihm nicht herauszukriegen. Was ist die Folge davou? Die Gläubigen zwar werden in ihrem Glauben bestärkt; die Ungläubigen aber gehen so verstockt von danncu, wie sie gekommen. Ja noch mebr: diese Unglücklichen fügen zu ihrem Unglauben auch noch den Spott über den Heiligen, und weil sie denn doch dergleichen thun müsseu, ihre Ansichten zu begründen, so sind sie sogar soweit gegangen, au Stelle des Wunders die Chemie zu setzen und zu behaupten, man habe es dabei nicht mit dem „?r^xio8o san^us du Prel, Unter 3anne>, und Linien. 17 258 äsl laumatur^o 8. (F6nn3.ro" zu thun, sondern mit einer Mischung von Lammsfett und Zinnober! Das Blut des heiligen Iannarins wird dreimal im Jahre flüssig, und zwar je acht Tage lang, indem es über Nacht jedesmal wieder eintrocknet. Dem berühmten Dome von Neapel ist eine Seitencapelle, die Capclla del Tesoro, angebant, in welcher das Blut des Märtyrers aufbewahrt wird. An Werthgegcnständen, silbernen Statuen, Edelsteinen u. f. w. enthält diese Capcllc einen Reichthum, wie keine andere Kirche. Sie wurde 1757 von der Stadt dem Heiligen gelobt, welcher — gemäß einer Inschrift auf weißem Marmor — „die Stadt von Hunger, Krieg, Pest und Feuer des Vesuvs mittelst des wunderthätigen Blutes errettete". Heute noch, wie damals, stößt der Vesuv seine Dampfwolken aus; aber es hat den Anschein, als ob in dem Observatorium, das sich nun auf halber Höhe des Vulcaus erhebt, der Capelle des Ia-nuarius ein bedeutender Concurrent entstanden sei. Denn als ich die letztere betrat, fand ich sie, trotzdem die Vorstellung bald beginnen sollte, nichts weniger als gefüllt. Auch Fremde, die sich doch gewöhnlich sehr zahlreich einstellen, sah ich nur wenige, bis ich endlich bemerkte, daß einige vornehme englische Familien, welche in die Capclle getreten waren, seitwärts am Eingänge zur Sacristei verschwanden. Daß dies eine Bevorzugung irgendwelcher Art sei, war mir klar, und obwohl ich bereits einen günstigen Platz innc hatte, glaubte ich doch nicht schlecht zu fahren, wenn ich ihrem Beispiele folgte. Der Ministrant freilich am Eingänge schien Schwierigkeiten machen zu wollen. Er hatte mich entschieden im Verdachte, kein Engländer zu sein; aber als ich, um mich alles Englischen zu entledigen, dessen ich mächtig war, den Mund möglichst voll nahm und, die Junge gegen den Gaumen zurücklegend, ihm ein tadelloses ,A dottis ol 8oä^ ^atsr" zu- 259 fiüsterte, war er vollkommen überzeugt, mir Unrecht gethan zu haben und nickte mir freundlich zu. In den Räumen der Sacristei, welche aus mehreren m cin-auderführendcn Zimmern besteht, bewegte sich auf glattem Marmor-Mosaikbodcn in lebhaftestem Gespräche eine vornehme Gesellschaft von Herren und Damen. Man bewillkommnete sich, mau machte sich Complimcute, und die zahlreichen Geistlichen, dercu salonfähiges Benehmen ebenso sehr ihre sociale Gesellschaftsklasse verrieth, wie die tadellose Weiße der Chorhemden und die darüber bangenden goldenen Troddeln ihren kirchlichen Nang, gingen nmhcr wie in den Salons uncs vornehmen Hauses. Von diesem Treiben schloß sich nur eine alte Engländerin aus, die durch einen grellrothen Shawl auffiel, der ihre mageren Schnltcrn deckte. Nicht die schönste, aber die gläubigste von den anwesenden Damen, war ihr hageres Gesicht von rotheu Haaren cingerahml, auf der allzu laugen Nase trng sie eine Brille, und eine Federtasche von beträchtlichem Umfang hing ihr am Arme herab. Ohne mit Jemandem ein Wort zu wechseln, durchging sie allmälig die sämmtlichen Zimmer; wo in der Ecke ein Betstuhl vor einem Kreuze stand, wo ein kleiner Altar sich fand, oder an der Wand ein Bild hing, da kniete sie hin. Abgegriffene Gebetbücher von verschiedenem Format und verschiedener Dicke, dann wiederum kleine Tractätlein oder auf einzelnen Blättern abgedruckte Gebete wanderten uach und nach aus der Ledertasche heraus, und an jedem Orte, vor jedem Bilde, suchte sie wählerisch nach dem Passendsten. In dem Verhältnisse, als der feierliche Augenblick nahte, wurden anch die Salongespräche eingestellt; die Damen zeigten sich mehr und mehr erwartungsvoll, und dieß entsprang nicht einer bloßen Neugierde, sondern bei mancher einer wirklichen Be-sorgniß, es möchte der Heilige vielleicht die Gnade des Wuuders 17"° 260 nicht jedesmal den Gläubigen zu Theil werden lassen. Aber diese Besorgten erhielten die beruhigendsten Antworten von Seite der Geistlichkeit, welche stolz und mit sicherer Miene umherging, wohl wissend, daß es auch dieses Mal nicht hapern werde. Endlich wurde auS einem Schranke der Sacristei die Büste-des Heiligen herausgenommen, der, schwerfällig auf dem Tische niedergelassen, mit starren Augen in die Gesellschaft sah. Es ist eine silberne Halbstatue mit vergoldetem ober — wie ein Geistlicher versicherte — goldenem Kopfe. Ein rothseibener Mantel hing ihm über der Schulter und er trug eine Bischofsmühe von gleicher Farbe. So trug man ihn nun feierlich in die EapcUc hinaus, während auf einem Polster, der ihm nachgetragen wurde, Kostbarkeiten verschiedener Art lagen. Der Geistlichkeit folgten die Fremden, welchen nun um den Hochaltar herum Plätze zum Knien oder Stehen angewiesen wurden. Die Engländerin mit dem rothen Shawl allein nahm ihren Platz noch vor der ersten Stufe. Zur Zeit der bonrbonischen Herrschaft noch knieten dort die Mitglieder der königlichen Familie; in feierlichem Aufzuge und und in allem Pompe bctbeiligte sich der ganze Hof, und die Kanonen des Caftells donnerten, wenn sich das Wunder vollzog. Jetzt schweigen die Kanonen und man ist froh, dcm Volke in der Kapelle zeigen zu können, daß wieder wenigstens vicle Fremde gekommen sind. Die Regierung aber läßt sich nur noch durch einen höheren Beamten vertreten und durch einige Nationalgardisten, welche da und dort in der Kirche stehen, um die Ordnung aufrecht zu erhalten. Denn im Falle, daß der Heilige sich weigern sollte, das Wunder zu thun, würde eine unbeschreibliche Aufregung, entstehen, bci welcher die Mißgunst des Maryrers leicht aus seinem Mißfallen an der nenen Regierung gedeutet werden könnte» Gleichwohl stehen nur wcnigc Natwnalgardisten in der Cavelle; 261 vie Geistlichkeit ist von oben instruirt, daß man erwarte, der Heilige -werbe sich nicht renitent erweisen und damit als politischen Malcontenten zeigen, und ihn willfährig zu machen, fällt ja den Priestern nicht schwer. Indeß erfüllte sich die Capelle mit Weihrauchdämpfen, in welche das schräg durch die Fenster fallende Sonnenlicht hineinspielte, daß es aussah, als sei die ganze Tribüne mit einem feinen, goldgewirkten Schleier verdeckt. Die schwerwiegende silberne Büste wurde auf den Altar gestellt und mit den mitgebrachten Kostbarkeiten geschmückt, indem die rothseidenen Kleidungsstücke abgenommen und durch werthvollere ersetzt wurden. Der Heilige erhielt sein purpurnes, mit Gold gesticktes Feiertags-Mäntelchen und eine silberne Mitra, ganz besäet mit Edelsteinen, unter welchen allein 3328 Diamanten glänzen. Eine schwerwiegende goldene Kette, deren außergewöhnlich große Edelsteine von verschiedenen Fürsten als Geschenke dargebracht worden, wurde ihm schließlich um den Hals gelegt; — vielleicht keine Stadt der Welt hat einen so schätzbaren Heiligen! Schließlich wurde der große Schatz der Kirche anf den Altar gelegt, jenes silberne Gefäß, welches, von einem Krönlein und dem Kreuze überragt, das Blut des heiligen Ianuarius birgt. Dieses Gefäß, ungefähr in der Gestalt einer Kutschenlaterne, hat Krystallwände, durch welche man die zwei Phiolen erblickt, deren eine das eingelrocknete Blut enthält, während die andere leer ist; man hat ihren kostbaren Inhalt einst der spanischen Krone zum Geschenke gemacht. Der Priester, welchem die Untersuchung der Phiole oblag, ohne daß er das Behältniß öffnen durfte, wandte sich bald dem Publikum zu und rief mit starker Stimme ein „« äuro" hinab. Das Blut, das Tags vorher flüssig gewesen, war über Nacht wieder eingetrocknet; die Gläubigen, wie Ungläubigen, die sich her- 262 beidrängten, konnten sich leicht überzeugen, daß es wirklich so war. Dieser Ruf des Priesters war für den Kranz von alten Weibern, welche in den vordersten Banken beisammen saßen, das Signal zu einem so jämmerlichen Geschrei, daß unwillkürlich sich Alle ihnen zuwendeten. Sie saßen da mit wahrhaft grimmigen Gesichtern, fest entschlossen, durch ihr Geplärre den Heiligen zu bezwingen. Aber auch ein Ausdruck des Stolzes lag auf ihren faltigen Gesichtern, wenn sie sich beobachtet sahen: der Stolz des Bewußtseins, daß sie die Vermittlerinnen des Wunders seien. Manchmal schwieg der Chor, aber schon nach wenigen Minuten immer begann er das Gekreische von Neuem. Man sollte es gar nicht für möglich halten, daß in der wohllautenden italienischen Sprache solche heillose Mißtöne ausgestoßen werden könnten. Die Heiligen, an welche man sich in Deutschland wendet, sind bekanntlich nur demüthigen Bitten zugänglich; in den südlichen Landern dagegen reagircn sie auch auf Schimpfwortc. Solche werden denn unter Umständen auch dem Schutzpatron Neapels zu Theil. Die Geduld der alten Weiber, die ihn bestürmen, ist nicht sehr groß, und wenn das Blnt allzulange in Trockenheit verharrt, so werden der silbernen Büste auf dem Altare oft sehr respectwidrige Worte zugeschleudert, welche diese freilich mit großer Gelassenheit anhört. Aber diese Ungeduld des Weiber-Chores ist anch in hohem Grade motivirt; denn es wäre ein Anzeichen von schlimmer Laune des heiligen Ianuarius, und in Folge davon von schlimmen Ereignissen in der Iukunft, wenn er lange auf das Wunder warten ließe. Würde er aber gar es ganz versagen, so wären Krieg, Pest und Ausbrüche des Vesuv die unvermeidliche Folge. Aber anch das wird als Zeichen ungnädiger Gesinnung ausgelegt, wenn das Blut nur theilweise flüssig wird, oder sehr dunkel gefärbt erscheint. Jedoch keines von diesen Un-glückszcichen traf diesmal ein. 263 Ueber das auf den Altar niedergelegte silberne Gefäß mir dem Blute beugten sich zwei Priester, welche das Geheul der Weiber durch das Murmeln ihrer Gebete unterstützten. Ihnen zunächst und nun noch weiter gegen den Altar vorgerückt lag auf den Knien die rothe Engländerin, die längst wieder ihrer Ledertasche ein anderes Buch entnommen hatte, aus dem sie nun stürmisch ablas. Mit jeder Minute wuchs dic Spannung der Anwesenden. Da plötzlich wandte sich am Altare der eine der beiden Priester um und winkte mit langem weißem Tuche dem Orchester zu. Das Wunder war geschehen, das Blut war flüssig! Aber nun war es auch aus. Die weiblichen Plusquam-pcrfecta in den vorderen Bänken erklommen mit ihren Kopfstimmen die höchsten Töne der Scala und begleiteten damit die Hymnen der Orgel, welche vom Chore herabranschten. Alle drängten sich herzu, überzeugten sich mit Hilfe des Lichtes, das der Ministrant hinter die jenseitige Glaswand hielt, daß wirtlich flüssiges Blut in der Phiole sei, und küßten das heilige Gefäß. Natürlich war es die alte Engländerin, welche znerst dem hcradstcigenden Geistlichen entgegengetreten war; Thränen enlftnrztcn ihrem Auge, als sie das Wunder schaute. Aber als ich mich weiter im Kreise umsah, da rannen die Thränen überall über die Wangen des schönern Geschlechtes; Einheimische und Fremde, Vornehme und Geringe, sie weinten Alle — und wußten selbst nicht warum. XXI. Per Palast des Diokletian. Dein Schutt ist Pracht und Dein« Trümmerwelt Schmückt fleckloser Reiz, den keine Zeit entstellt. Byron, Wenige Landstriche mag es geben, in welchen der Wanderer so mächtig angeregt wird, dem schwermmhsvollen Gange der Geschichte nachzusinnen, als Dalmalien. Auf der einen Seite die in ihrer Zertrümmerung noch erstaunlichen Monumente, die uns an die höchste Machtperiode des kaiserlichen Rom erinnern, und anderseits die halbwilde Bevölkerung der eingeborenen Morlaken, welche in Schmutz und Elend ihr Dasein fristen und zu den Ruinen emporblicken, deren unverstandene Größe sich vor ihnen, erhebt, — solche Scenen rufen mit Gewalt unsere Gedanken auf über die tragischen Geschicke, welche aller irdischen Größe lauetn. Diese Morlaken sind die Nachkommen jener Dalmatiner, welche einst unter den ersten römischen Kaisern die Römer selbst in Schrecken zu stürzen vermochten, wie er vormals herrschte, als Hannibal den Thoren der ewigen Stadt sich näherte. Dalmaticn ist reich an solchen Denkmälern untergegangener Herrlichkeit, die zum Theile in ödester Einsamkeit verfallen. Aber 26l) die merkwürdigste römische Ruine, ja vielleicht das größte und interessanteste Fragment des Alterthums in Europa, ist der Palast des Diokletian in Sftalato. „In Spalato" — so sagt man gewöhnlich, wiewohl ganz und gar mit Unrecht; denn nicht stehen die Ruinen des Palastes in Sftalato, sondern diese Stadt selbst ist in die Ruinen hineingebaut und bemüht sich fast vergebens, den antiken Koloß mit ihren Häusergcvierten, Straßen, Kirchen und Palasten auszufüllen. Selbst jeuer kleinere Theil der Stadt, der dem ehemaligen Palast nebenan liegt und nur aus den Bruchstücken des abgetragenen Gemäuers aufgebaut wurde, verräth noch seinen Ursprung durch manche Gesimse und Architrave, die nun elenden Häusern eingemauert sind. Großartig ist der Anblick, den wir emftfangeu, wenn wir durch den Kanal von Salona, der sich wie ein großer See landeinwärts zieht, dem tiefen und geräumigen Hafen von Spalato zusteueru. Seiner ganzen Länge nach sehcn wir den Molo von einem Gemäuer gesäumt, dessen Charakter uns in der Ferne noch unklar bleibt, in welchem wir aber, dem Landungsplatze uns nähernd, mit Staunen die langgedehnte ruinenhaftc Facade eines zusammcuhäugenden Baues erkeunen, die wie eine Umfassuugs-mauer dem Meere zugekehrt die Stadt einschließt, deren Giebel und Thürme darüber hinwegschaueu. Armselige Wohnhäuser, Weiuschänken und Krämerläden lehnen sich an den Unterbau, überragt von einer fünfhundert Fuß langen Colonnade, die, einst eine luftige Zeile korinthischer Säulen, die fünfundzwanzig Fuß breite Halle säumten, zu der mau aus den Prunkgemächern des Kaisers heraustrat. Aber jetzt ist es schwer, sich die Pracht dieser Frontseite des Palastes vorzustellen. Zwar steht noch ein Theil dieser Säulen, aber die Zwischenräume derselben sind vermauert und in diese Vcrmaucruna. sind wiederum ohne Symmetrie und in verschiedener Höhe Fenster eingebrochen, durch welche spärliches 267 Licht in die schmutzigen Kammern fällt, worin sich Morlakcn-Fcimilicn eingenistet haben. Diese unsymmetrischen Miniatur-Verhältnisse spateren Mauerwcrks und von Fenstern, die sich in gräulicher Entstellung zwischen die ans dem Gemäuer hervortretenden Säulen drängen, geben mm der Facade des Palastes ein gespenstisches Ansehen. Verwirrt betrachtet man dieses unnatürliche Gemenge klassischer Architektur mit Bauwerken aus späterer Zeit. Die da und dort noch sichtbaren Spuren mittelalterlicher Crenelirung der Mauern, wie die Neste von Thürmen, die, der Zeit der Völkerwanderung angchörig, den Flügeln angebaut waren, vermengen die geschichtlichen Erinnerungen des colossalen Baues, belehren uns aber, daß während der endlosen Kriege, von welchen Dalmaticu Jahrhunderte durch überzogen wurde, die äußeren Maueru des Palastes in der That als Stadtmauern benützt wurden, zu welchem Zwecke die Zwischenräume der Säulen waren ausgefüllt wordeu. Nebcrraschender noch ist der Anblick, den wir empfangen, wenn wir uns in das Innere des Palastes, oder, was gleichbedeutend ist, der Stadt verlieren, in der uns auf jedem Tritte die Mißverhältnisse der späteren Gebäude zu den ernsten, geschwärzten Ruinen des Kaiserbaues eutgegenstarrcn. Namhafte Architekten des vorigen Iahrhnnderts haben sich mit dem Studium dieses Palastes beschäftigt und in Pläneu die damals noch zahlreicheren Bruchstücke des Alterthums zum ehemaligen Bau ergänzt. Von sechszehn eckigen Thürmen flankirt und in Form eines Quadrats gebaut, wovon zwei Seiten je scchshuudcrt Fuß, zwei je siebenhundert Fuß lang waren, ist der Palast rechtwinklig von zwei Straßen durchschnitten, die sich in seiner Mitte kreuzen. Lange Reihen von Arkaden und Säulen, im Mittelpunkte zu einer weiten Rotunde sich vereinigend, trennten so vier gewaltige Massen des Gesammtbaucs von einander. Zur 2tt8 Rechten erhob sich der Tempel des Jupiter, links der des Aeskulap; zwischen ihnen führte ein prachtvoller Aufgang zum Vestibüle, bewacht auf beiden Seiten von riesenhaften Sphinren, welche Diokletian aus Aegypten hierher versetzt hatte. Aber Vieles ist seit Ende des vorigen Jahrhunderts von barbarischen Händen zerstört worden, und es wäre schwer, nach dem, waS gegenwärtig noch steht, den Plan des Palastes auszuführen. Wo sich in der Mitte desselben die Straßen kreuzen, ist nun der Marktplatz, auch Piazza del Duomo genannt; denn in einen christlichen Dom hat sich der Tempel des Jupiter verwandelt, wie der gegenüberstehende deS Aeskulap zur Kapelle. Nur Trümmer sind mehr von der Pracht der ehemaligen Säulenreihen zu sehen, aber noch liegt die schwere Körpermasse der einen Sphinr vor dem Vestibüle. Trotzdem für Anlage einer Stadt im Bauche des monumentalen Nngethüms durch die Grundmauern einige Symmetrie vorgezeichnet war, bewegen wir uns doch jetzt in einem Gewirre von Straßen und Gassen nach allen Richtungen. Da und dort sind schwarzaufragende Mauern durchbrochen, korinthische Säulen wachsen auö den Dächern zwerghafter Häuser heraus und die Flucht einstiger Prunkgemächer deckt nun ein Massiv von Häuseru, getrennt durch enge, schmutzige Durchgänge. So ist der größere und schönere Stadttheil mit dem Dome, dem Domplatz, der bischöflichen Residenz und den bedeutendsten Straßen hineingebaut in den Palast des Diokletian. Gleichzeitig mit dem römischen Reiche selbst, als Horden von Barbaren Italien und Dalmatien überschwemmten, begann auch dieses riesenhafte Monument zu zerfallen, aus welchem erst das Dorf ^8MgMi8, später aber die Stadt Spalato herauswuchs, — ohne Zweifel mit Beziehung auf die alte Benennung MMum fo genannt. Ein großartiger Aquädukt, von dem einzelne Pfeiler noch aufragen, führte von Salona her, — einst eine volkreiche 269 Stadt, die aber unter den Erdboden gesunken ist, — das Wasser des Gebirges eine Meile weit dem Palaste zu, den der mächtige Kaiser in der Nähe seiner Heimath erbauen ließ und in dem er die letzten neun Jahre seines Lebens hindurch wohnte. Von Aeltern geboren, welche als Sklaven einem römischen Senator dienten, hatte er in einer Zeit, da sich durch Gewalt und Verdienst im Waffenhandwerk Alles erreichen ließ, auf den Thron ver Cäsaren sich emporgeschwungen, den er als einer der besten und kraftvollsten Kaiser zwauzig Jahre hindurch innehielt. Von außerordentlicher Prunkliebe hatte er als Sieger über den Perser-fönig die römische Toga abgelegt, in persische Gewänder sich gekleidet und an seinem Hofe persische Ceremonien eingeführt. Der Triumphzng, den er nach Abschluß seines zwanzigjährigen Regiments in Rom veranstaltete, war einer der großartigsten, welche Rom gesehen. Afrika, Britannien uud Pcrsicn, die Donau, der Rhein und der Nil hatten ihre Trophäen dazu beigebracht. Dem Wagen des Kaisers wurden Darstellungen von Gebirgen, Flüssen und eroberten Provinzen vorgetragen und die Gemahlinnen und Kinder des Perserkönigs verkündeten in Abbildungen seineu Ruhm. Nach diesem Triumphzugc aber verließ Diokletian Rom und Italien, dankte freiwillig ab und zog sich in die Einsamkeit seines Palastes zurück, mit Pflanzenbau und Gärtnerei die Tage kürzend. Seinem Freunde Marimian, der ihn drängte, wiederzukommen und noch einmal den Thron zu besteigen, den er so ruhmvoll innegehabt, erwiderte er als ächter Philosoph, man würde nicht länger ihn drängen, könnte man nur den schönen Kohl sehen, den er gepflanzt. Wohl mochte sich dcr alternde Kaiser Glück wünschen, diesen Theil erwählt zn haben; denn schon begannen barbarische Völker an den äußersten Grenzen des römischen Reiches in Fluß zu gerathen und versuchten an dem gewaltigen Bau der Römerherrschaft 270 zu rütteln. Und wenn Diokletian uon der Säulenhalle aus, die sich vor seinen Gemächern dehnte, seine Blicke schweifen ließ über die weite Mccresftäche, jenseits welcher Roms Herrlichkeit in ihrem Höhepunkt strahlte, dann mochte ihn wohl manchmal die Ahnung beschleichen, daß anch diese Stadt einst das Schicksal erfahren werde, von Barbaren zerstört zu werden. Diokletian starb in seinem Palaste, wie man sagt, den freiwilligen Hungertod, um den Dolchen seiner Nachfolger zu entgehen, zwischen welche er das in's Ungeheure angewachsene römische Reich getheilt hatte. XXII. ßin Wandertag in Zalmatim. Fernhin schlich das hag're Gebilg, Wie ein wandernd Ekelet. Hölderlin. Der Reisende, der in Trieft den Lloyddampfer besteigt, um die etwa fünftägige Fahrt nach Eattaro zu machen, würde sich arg enttäuscht finden, wenn er mit der Crwartnng zu Schiffe gegangen wäre, an den östlichen Ufern der Adria jene Schönheiten und Reichthümer der Natnr zu sehen, mit welchen unsere Phantasie die südlichen Länder gemeiniglich ausschmückt. So lange man gegen Pola segelnd noch die Küsten der istrischcn Halbinsel zur Linken hat, mag man noch wenig in seinen Illusionen gestört werden, und auch wenn man um das stürmische Vorgebirge an der südlichen Spitze der Insel, um die Punta di Promontore — das Promontorium Polaticnm der Römer — herumgefahren und endlich, zwischen Inseln mit Olivenpstanzungen hindurchscgelnd, in Zara — der Hauptstadt des römischen Liburnium und jetzigen Dalmatien — gelandet ist, »nag man noch immer nicht hinreichende Anhaltepunkte gefunden haben, um auf die späteren Erscheinungen vorbereitet zu sein. Weniger überrascht wird derjenige sein, der die andere Noute des Lloyddampfers wählt, in Fiume ciusteigt und durch den stur- 272 mischen Quarnero sowie den ruhigeren, weil durch die vorliegenden Inseln geschützten, Quarnerolo gegen Zara segelt, dem Vereinigungspunkle der beiden Linien der Lloyddampfer. Auch er wirb zwar durch den Anblick der croatischen Küste znr Linken sich keineswegs abgestoßen fühlen, und auch von den Inseln, an welchen der Dampfer vorüberzieht, wird ihm manche einen erfreulichen Eindruck machen durch ihre Weingärten und Olivenbäume; aber schon wird er da und dort Inseln sehen, die ganz anders sich präsentiren, sogenannte Scoglien, die, nur wenig über die Meeresstäche sich hebend, nacktes, knochenfarbiges Gestein zeigen, und es wird ihm wunderbar vorkommen, daß auf diesen kahlen Häuptern, die aus dem Meere tauchen, oft etliche Hundert Einwohner — Scogliani genannt — nicht nur in elenden Fischerhütten ihr eigenes Leben fristen, sondern auch noch Schafheerdm halten. Sollte die günstige Witterung dem Kapitäne die Muße lassen, sich mit seinen Passagieren zu unterhalten, so wird er ihre Blicke auf manche Scoglie lenken, die vielleicht nicht größer als ein Teppich aus dem Meere ragt, doch aber weniger zu fürchten ist, als andere, welche den Spiegel des Meeres nicht erreichen. Dies macht die Gefabren der Schifffahrt im Quarnero bei stürmischem Wetter begreiflich, die man bei ruhiger See nicht ahnt. Sollte aber die kalte Bora oben über das Verbeck des Dampfers fegen, so wirb der Reisende sich erklären können, daß auf dem Boden flacher, waldloser Inseln, die einem Winde von solcher Heftigkeit schutzlos ausgesetzt sind, jede Anpflanzung unmöglich ist. Freilich wechselt die Bora mit dem Sirocco, der über die heißen Sandftächen der Sahara kommend, ans seiner Wanderung über das mittelländische Meer noch nicht völlig sich adgekältct hat. Aber anch dieser Wind ist meist von gleicher Heftigkeit und bringt nur dem gegen Fiume zu haltenden Dampfer den Vortheil einer beschleunigten Fahrt. Dann entfalten sich nämlich auch auf den 373 Dampfschiffen Segel, welche von westlichem Winde gebläht, dic konvere Fläche der kroatischen Küste zukehren, während der kräftige Arm des Steuermannes den nördlichen Lans festhält, so daß der Dampfer nach dem Lehrsätze vom Parallelogramme der Kräfte die Diagonale gegen Finme einhält. Ein solches Schiff schwankt freilich gleich einer oonti'aäiotio in achseta in einem philosophischen Systeme in der unangenehmsten Weise hin und her, und jene Passagiere, welche zu den Landratten zählen, würden vielleicht gerne auf die erhöhte Schnelligkeit der Fahrt verzichten, die sie mit Seekrankheit zu bezahlen haben. Wirft man einen Blick auf die Karte der östlichen Küste des abriatischen Meeres, soweit dieselbe nnter österreichischer Herrschaft steht, so läßt sich schon hicrans ein Stück Geschichte dieses interessanten Landes konstruiren. Im nördlichen Theile begegnen uns Namen, wie Zengg, Ottochatz, Gospich, Grachatz, welche ganz anders lauten, als die Namen der Orte im dalmatinischen Binnenlande, wie Novigrad, Obrovizzo, Verlicca, Dernis, Sign, und wiederum sich unterscheiden von den wohllautenden Städte- und Iuselnamen an der Küste, die beinahe sämmtlich italienisch lauten. (5s ist ein Stück Geschichte linguistisch dargestellt. — Die Erklärung dieser sprachlichen Verschiedenheit ergibt sich beim bloßen Anblick der viclgewundenen und oft durchbrochenen Knstenlinie, welche mit zahllosen vorliegenden Inseln und einem wahren Ueberftnssc an Häfen und Einbuchtungen gesegnet ist, so daß hier die Natur wie absichtlich den von häufigeu Stürmen bedrohten Seefahrern die sichernde Bucht in nächste Nähe gelegt zu haben scheint. So gibt es in Indien eine Art Schlange, die sich in den Blättern eben der Wanze aufzuhalten pflegt, welche ihren Biß heilt. Diese geographische Configuration des Landes kon-trastirt augenfällig gegen die westliche, italienische Küste des adria-tischen Meeres. Ein solches Land war von Namr aus dazu d» Prel, Unie? Tanne» u»d Pmien. ^" 274 bestimmt, die Adria zu beherrschen, und ohne die Bücher dcr Geschichte aufzuschlagen, lassen die erwähnten sprachlichen und geographischen Phänomene darauf schließen, daß sick auf diesem Terrain mehr Nationen kreuzten, als auf irgend cinem anderen des europäischen Kontinents. Normannen und Briten, Römer, Venezianer, Byzantiner, Griechen, Italiener, Spanier, Ungarn, Albanesm, Türken und Franzosen sind hier gelandet und haben die Herrschaft abwechselnd in Händen gehabt. Der Reisende von heutzutage wird gleichwohl sich die Frage stellen, wie es zu erklären sei, daß so vicle Jahrhunderte hindurch so riel Blut an die Eroberung dieses Küstenstriches gesetzt wurde; denn außer den in der geographischen Lagc des Landes gelegenen Vortheilen wird er nichts entdecken, was das Interesse der genannten Nationen in so hohem Grade erwecken konnte. Ein halbes Dutzend am Meere gelegener Städte mit cinem An-siug von Kultur, zu deren Erklärung uns die Geschichte dieses Landes kaum nöthig zu sein scheint und die wir beinahe dem alleinigen Umstände zuschreiben zn können glauben, daß dic Dampfer des Lloyd hier ihre Haltestellen haben; im Uebrigen aber ein armes, felsiges Land, das seinen Bewohnern den Kampf um's Dasein so erschwert, daß der räuberische Charakter derselben, über den sich übrigens schon Strabo beklagt, sich daraus wohl erklären läßt: das ist das Dalmatien nnserer Tage. Ich beabsichtigte hier nicht, die Gründe zu untersuchen, aus welchen dieses Land sein jetziges Aussehen erlangt, das vielleicht zum geringsten Theil der Verwaltung des jetzigen Mutterlandes zuzuschreiben ist. Aber cs ist offenbar, daß die dalmatinische Küste ein ganz anderes Aussehen hatte beim Beginne der venezianischen Herrschaft, welche acht Jahrhunderte hindurch bestand, und erst die lange Dauer dieser Herrschaft mag einer der Hauptgründe dieser Veränderung sein. Wie die zahlreichen Ziegen- 275 hccrdeu des Landes jetzt die spärlichen Büsche abnagen, die sich > auf dem Felsenboden kümmerlich fortbringen, so haben einst die > schiffedauenden Venezianer die stolzen Wälder benagt, welche früher die südlichsten Ausläufer unserer Alpen bedeckten. Die Kahlhcit der Berge erstreckt sich so weit, als ehemals die Herrschaft der venezianischen Nepnblik, und der Name Lesina, „die Holzreiche", znr Bezeichnung einer ver vielen Injeln, erscheint uns jetzt übel gewählt; es ist nichts mehr zu sehen von den Wäldern, die einst dort gestanden. Daß aber selbst unter solchen Verhältnissen aus dein Lande etwas anders hätte gemacht werden können, als es unter der , Herrschaft Oesterreichs geworden, ist nicht zu bezweifeln. Man z braucht nur einen Blick in die Memoiren des Marschalls Marmont, ! des Herzogs von Nagusa, zu werfen, um sich zu überzeugen, daß ^ unter rationeller Benützung der vorhandenen Verhältnisse Groß- j artiges hätte geleistet werden können. In den acht Iahreu der '!> französischen Fremdherrschaft ist dort weit mehr geschehen, als seither unter der Herrschaft des Mutterlandes. Oesterreich hat nicht unbeträchtliche Garnisonen auf den Inseln und in dcn Ki'istcnstäbten desonderö zu rmer Zeil gchadt, in dev man die Umgehung des nunmehr italienischen Fcstungsvierecks über Dal- ! luatien fürchtete. Nichts desto weniger ist diese Militairmacht nicht im Stande, den Räubereien der Bewohner Einhalt zu thun. Am gleichen Tage, an welchem ich in Zara landete, wurde der aus Kroatien kommende Postomnibns in nächster Nabe der Hauptstadt überfallen. Man hat in Zara den Versuch gemacht, durch eine ganz nach Art der dortigen Landbewohner ausgerüstete Truppe die Ordnung unter den räuberischen Morlaken herzustellen. Der Commandant derselben, Schröder von Schreckenstcin, ist vielleicht den Lesern der „Illustrirten Zeitung" noch in Erinnerung. Aber auch das half 18* 276 nichts, und selbst die persönliche Unterhandlung Mamula's nut den Räubern hatte seiner Zeit keinen Erfolg. In den nahen Schlupfwinkeln des Vellebich ist der Ränder und der Raub gesichert und im schlimmsten Falle ist die türkische Grenze leicht erreichbar-Reiche Kaufleute oder Grundbesitzer in Iara erhalten zuweilen Drohbriefe, mittels welcher man Geld von ihnen zu erpressen versucht. Es steht ihnen natürlich frei, diesen Einladungen keine Folge zu leisten; dann aber müssen sie auch darauf verzichten, ihre Besitzungen außerhalb der Stadt zu besuchen, oder auf ihren Epaziergängen sich von den Mauern der letzteren zu weit zu entfernen.^) Der Herzog von Ragnsa verwendete seine geringe Truppenmacht nicht blos zur Bekämpfung seiner Feinde, sondern auch in den Friedenspausen in höchst produktiver Weise, während Oesterreich nur einige Straßen von militairischer Bedeutung angelegt hat. Oesterreich überließ bis vor Kurzem die Morlaken ihrer Noth; Marmont verwendete sie zu Tausenden zu Straßeuarbeiten, und in der kurzen Zeit seiner Anwesenheit hatte er sich mehr Lokalkcnntnisse erworben, als mau sich in Wien rühmen kann, zu bcsihcu. Die Verbindung mit dem Mutterlaudc wird eiuzig durch die *) Es licgt nicht im Zwecke dieser Reiseskizzcn, den Charakter der' Morlakcn nach allen Seiten zn schildern. Es fehlt ihnen durchaus nicht cm Eigenschaften, deren Erwähnung geeignet wäre, das Obenerwähnte als einseitige Benrtheilnng erscheinen zn lassen. Den ^'eser, der sich hierfür inter-essirt, verweise ich auf die „Reisebeschreibung von Dalmatien" von FortiS (ans d. Ital. 2 Bde. Bern) nnd anf den Roman „Die Morlateu, von I. Wynne, Gräfin von Ursini und Rosenberg", der viel von den Kehrseiten der Untugenden der Morlaten zn erzählen weiß. Beide Werke sind aus dem Ende des vorigen Jahrhunderts; das hat nichts zu sagen bei einem Polke, das, wie dieses, so sireng eonservativ in seinen Sitten ist. Von neueren Reisebeschreibnugen empfehle ich insbesondere: Heinrich Noü: „Dalmatien nnd seine Inselwelt" — ein Buch, daö die intimste Bekanntschaft des Verfassers mit ^and lind beuten verräth. , 277 Dampfschifffahrt längs der Küste erhalten; noch ermöglicht keine Eisenbahnschiene die Ausfuhr von Wein, Oel und Marmor in's Ausland, um der Armuth der Bevölkerung abzuhelfen. Die Weine sind von ausgezeichneter Qualität und könnten den ungarischen und französischen Weinen sicherlich Concurrcnz machen; jede Insel hat beinahe ihr eigenes Gewächs. Die Versuche, die Weine in's Ausland zu bringen, sind schon mehrfach gemachl worden und mißlungen; man sagt, der Seetransport verderbe den Wein. Das liegt aber sicher nur daran, daß die Behandlung des Weines selbst noch im Argen liegt. Nicht selten sieht mail statt der Weingarten, welche bei sorgfältigerer Wege dastehen könnten, Nebenwildnisse, in welchen die Natur sich selbst überlassen wird, weil ein reichlicherer Ertrag dem Besitzer nur ungewohnte Last verursachen würde. Der Tabak würde in Dalmatien ausgezeichnet gedeihen; aber das Monopol dcS Staates verbietet den Anban desselben, und statt den Bewohnern einen sicheren Gewinn zu ermöglichen, zwingt man sie, diesen Artikel aus der Türkei zu beziehen. Die Beaufsichtigung der Grenze verhindert dies keineswegs, und es ist eine der unsinnigsten Specnlationen, ein schmales Küstenland sciucr ganzen Länge nach mit Fincmzwachen zu umgeben, nm den Tabakschmuggel zu verhindern, welcher — das versteht sich bei einer am Hungertuch nagenden und kühnen Bevölkerung von selbst — trotzdem in großem Maße betrieben wird. Die Bevölkerung der Küstcnstädte Dalmatiens ist größten-theils italienisch und deutsch. Einzelne dieser Städte, wie Epalato, Ragusa und das seiner Zeit vielgenannte Cattaro sind vou einer Vegetation umgeben, welche die ganze Herrlichkeit des Südens entfaltet. Die Wiejen sind von einem dunklen, saftigen Grün. Cactussträuche wachsen wild an der Landstraße; wilde Feigen, 278 Oelbäume, Weinranleu, Eypressen, einzelne Palmmbänme, und in der Umgebung der Vocca von Cattaro Orangenbäume, zeigen uns, was dieses Land früher war, und nnter rationeller Verwaltung vielleicht wieder werden könnte. Ein anderes Bild aber bieten das Innere des Landes und die Zwischenraumc zwischen den genannten Städten. Auf mancher tagclangen Wanderung wird dcr Wanderer Eindrücke empfangen, welche nicht im Widersprüche stehen mit dcr in Verse gebrachten Verwünschung eines italienischen Dichters, die ich in dem Reisehandbuch von Kohl gefunden habe und deren Uebersehung ich hier folgen lasse: „Einsame Verstecke — fürchterliche Felsen — schauerliche Abgründe — iahe Schlündc — verfallene Baracken — elende Hütten — verpestete Häuser — zertrümmertes Gemäuer ^- schmutzige Herbergen voll Grauen — finstere Wüsteneien — ungastliche Gcdirgs-gegcnden — licse Höhlen, die Echwpswmkcl dcr Raben und die Behausung der Wölfe — von allem Garstigen das Allcrmiscrabelste — giftige Skorpionen, Molche und Drachen — Elend, Hunger, Krieg, blasser Schrecken, Krankheit nnd Pest — braune Morlakcn, gottlose infame Räuber, Gespenster, Larven, traurige Schatten und entschlichc Ausgeburten der Phantasie, Faunen und Dämonen! — Dies, o Dalmatien, sind deine Reize!" Eine solche Wanderung ist in meinen Erinnerungen verzeichnet. Nach einer Nacht, die. wir gezwungen waren, auf dem Dampfschiffe zu verbringen, das der unruhigen See wcgen nicht wagte, noch Abends die seoglicnreichen Eingänge zum Hafen von Scbe-mco zu Passiren, beschloß ich mit meinem Reisegefährten die Fortsetzung der Reise zu Fuß. Durch einen engen Felsenkanal und an dem cnif einer Scoglie gebauten Fort St. Nieolo vorüber fuhren wir nach Sonnenaufgang, nachdem die Anker gelichtet waren, in drn großen Hafen von Sebenico, dem Geburtsort Marco Polo's, ein. Die Scoglien, die da und dort ans dem 279 Meere wie Nadeln tauchten, und zwischen welchen wic hindurch fuhren, ließen uns die gehabte Vorsicht des Kapitäns, außerhalb des Hafens Anker zu werfen, nicht mehr übertrieben erscheinen. Die Stadt, — ein Gewirre schmutziger Straßen - liegt terasscn-förmig an glühende Felswände angelehnt, ans welche die versengenden Strahlen der Sonne fallen. Wir hielten uns nicht länger auf, als nöthig war, nns mit einigem Proviant zu versehen nnd uns die Ueberzeugung zu verschaffen, daß der Maraschinowein ein ebenbürtiger Concurrent des spanischen Heres sei. Die Höhen, anf welchen wir wanderten, zeigten nns den allgemeinen (Charakter de.'» dem 283 zerklüfteten Gestein und kommen erst bei Ragusa c»n t>er Küste wieder znm Vorschein. Ebenso die Ombla und der Iadeio. Jene Küsten stable aber, welche nicht in der glücklichen Nähe solcher Mündungen gelegen sind, sind darauf angewiesen, in Zisternen ihie Wasservorräthc zu sammeln. Zn Römerzeiten, da manche dieser Statue weit volkreicher war, als gegenwärtig, wurden großartige Aquädukte gebaut, die oft weit her frisches Wasser herleiteten. Sie sind verfallen und jetzt ist eine Einwohnerschaft von wenigen Tausenden von Menschen nlcht in der Lage, solche Werke wieder herzustellen. So nimmt also der Dcmolirungsprozcß nnscrer Berge seinen beständigen Fortgang; an dem Kalkschiefer der Ostküste des adria-tischen Meeres nagt der Zahn der Zeit, und es ist nicht der Zahn eines Murmelthieres, nicht die Macht des Kleinen, die sich dort erprobt, sondern Stürme, Schnee nnd Regen vereinigen sich zn verheerenden Wirkungen. So läßt sich mil Bestimmtheit voraussehen, daß diese Kolosse, mögen sie auch noch Jahrtausende hin-dnrch die Menschheit in erhabene Stimmung versetzen, melir nnd mehr schwinden werden, bis die Erde aller ihrer Unebenheiten beraubt sein wird. Nicht früher wird dieser Kampf drs Flüssigen mit dein Festen ein Ende nehmen, bis der geringste Grad der gegen seiligen Reibung erzielt ist; wie jeder Prozeß in der Natur wird auch dieser Kampf mit einem Vergleich enden, lind wie dieser Prozeß physikalisch an dem todten Gestein der Felsen Dalmatiens nns vor Augen geführt wird, so vollzieht er sich auch in einen, audereu Sinne an dem Konglomerate der dortigen Völkerschaften. Doch setzen wir unsere Wanderung wieder fort. Beim Beginne nnsercr Reise, als wir in dem freundlichen Städtchen Spital crfnhren, baß von dort ein Bretterhandel bis an den Kanal von Suez betrieben werde, mußte uns das in hohe»! Grade 284 Wunder nehmen. Eingeklemmt aber, wie wir jetzt waren, zwischen dalmatinischen Felsen, erschien uns der Bezug von Lärchenholz ans so großen Entfernungen nicht mehr unerklärlich. Ermüdet von dem Marsche ans dein harten, steinbedecktcn Boden, wandten wir nns an einen Morlaken, um dessen Gnnst wir uns dnrch ein Geschenk von Tabak bewarben, nnd der, dadurch schnell zum Freunde geworden, uns nach Gliuftpitenizza zu führen versprach. Gerauschlos wie eine Katze ging er mit seinem ans einem Gestechte von dünnen Ledrrstreifcn bestehenden Schuh» werk — Opanken — über das scharfkantige Gestein weg, das nnsercn von Salzburg bis an's Meer erprobten Stiefeln hier so arg zusetzte. In seiner halboricntalischen Nationalkleidung — soweit das Wenige, was er trug, und der defekte Znstand des Vorhandenen einen Schluß auf Nationales zuließ — und seine langen schwarzen Haare in einen Zopf geflochten, ging er vor nns her, bis wir die armseligen, strohgedeckten Hütten erreichten, welche zusammen Gliuppitenizza heißen. Anch hier aber stand ein besser gemauertes Haus, an dem eine äußere Treppe in die mit dem Notdürftigsten ausgerüstete Stube hinaufführte. Für unsere nicht verwöhnten Augen hatte der Anblick dieses Hauses etwas Erfreuliches, wiewohl der Insasse desselben, der Franziskancrpfarrer, keineswegs übertrieb, als er zu uns sprach: „Das ist keine Wohnung, in der man Reisende beherbergen kann, das ist eine Höhle." Diese Höhle erschien uns gleichwohl als wünschenswerthes Obdach und der Mißerfolg unserer Bitte um Aufnahme verstimmte uns sehr. Der Franziskaner mochte wohl selten einen Reisenden in seiner Pfarre gesehen haben, und sein Erstaunen, ohne daß er uns um den Zweck unserer Neise befragte, verrieth sich hinlänglich in seinen Worten: „In diesem Lande können Sie nichts ftnden, als Felsen und Menschenelend und Hunger." Cisternenwafser war Alles, was er uns zu bieten 285 vermochte; zum Nachtlager aber würde er uns nicht einmal Strok haben anweisen können. Ein Asket am heiligen Indus führt sicher im Vergleich mit diesem Pfarrer ein deneidcnswerthes Dasein. Er stand, eine athletische Gestalt, mit wehenden Gewändern vom Hintergründe der Felsen sich.abhebend, oben auf der Stiege, während wir seinem Rathschläge gemäß in einer Richtung weiter gingen, in der wir „ein großes Haus" finden würden, nnd trotzdem uns unsere eigene Lage keineswegs behagte, blickten wir doch mit noch größerem Bedauern auf den Nachschauenden zurück, den wir an so trostlosem Orte zurückließen. Wir gingen also noch ein paar Stunden weiter in die Nacht hinein und einem Siroccosturm entgegen, der sich uns noch mehr cntgcgeustemmte, als das zerbröckelte Gestein, mit dein der Boden übersäet war. An bewaldeten Bergabhängen brechen sich die Stürme, wie sich die Wellen des Oceans an Inseln brechen; aber über nacktgclegte Felsen wehen sie fessellos wie auf offenem Meere. Das in Aussicht gestellte Haus fanden wir nun allerdings; aber die beiden Stuben, welche seine Mauern umschlossen, enthielten nichts von dem, was wir gerne gesehen hätten. Der Morlake, der uns mit einiger Vorsicht öffnete, sprach italienisch, das er auf der Flotte erlernt hatte, nnd in der wohllautenden Sprache des Südens theilte er nns die übellautende Votschaft mit, daß er uns zwar aufnehmen, aber nur Regenwasser bieten könne. Wir hatten glücklicher Weise noch einiges von nnseren Vorräthen ans Sebenico, von welchem wir ihm nnd seiner Frau anboten. Sie lehnten Beide ab; es war Freitag, und man kann zwar oft Morlaken sehen, welche die Leute ausrauben; aber nie wird mau einen finden, der die Fasten bricht. Von der bekannten Gastfreundschaft dieser Leute aber erhielten wir einen Beweis, als uns unser Herbcrggebcr ein durch Bretter verbundenes Gestell, das 286 mit spärlichem Vettzugehör bedeckt war, zum Gebrauch anbot; er selbst hatte Anstalteu gemacht, mit seiner Frau und seiuem Kinde in der Hausfwr sich auf den Boden zu legen. Die Galanterie, die wir dem schönen Geschlechte, auch einer so armen Repräsentantin desselben gegenüber, schuldig zu sein glaubten, erlaubte uus natürlich nicht, auf dieseu Vorschlag einzugehen und so legte sich denn die Morlakcnfamilie auf das Nlchegestell, in Ermangelung von etwas Anderem mit den Kleidern sich deckend, wahrend wir selbst, die Reisetaschen als Kopfpolster benutzend, auf dem Boden des Zimmers uns hinstreckten. Und hätte uus nicht abwechslungswcise der heulende Sturm, der an dem Hause rüttelte, und das Weinen des Kindes geweckt, die Härte des Lagers würde es nicht gethan haben.--------- XXIII. In dm schwarzen Mergen. Nässer nicht von Meerschaum ist die Küste, Als von Tärtenblut die VzruaM'a, (Serbisches Volkslied,) Dalmatien kann sich nur an wenigen Punkten der Küste einer Vegetation rühmen; wo aber eine solche vorhanden ist, da erscheint sie in der herrlichsten Pracht. Die ganze Länge dcs FelsengebirgcS von Trieft bis Cattaro präsentirt sich dem Reisenden wie eine viele Meile lange Fortsetzung des Karstes; aber diese Linie wird für das Auge an einigen Stellen in angenehmster Weise unterbrochen und die Küstenstädte Trau, Spalato, Ragusa und Cattaro mit ihren nächsten Umgebungen nehmen sich aus wie Oasen in einer Wüste. Es ist insbesondere die Bocca von Cattaro, bei deren Anblick man sich wie in ein Paradies versetzt fühlt. DaS österreichische Gebiet, das sich bei Castelnuovo, dem nördlichsten Punkte dieser Bocca, derart verengt, daß nur ein schmaler Landstrich die Herzegowina vom adriatischcn Meere trennt, erweitert sich wieder bis Budua hinunter zu einem Dreieck, in dessen Mitte Cattaro mit seiner herrlichen Bucht liegt. Es ist nicht eine Bucht allein, die hier gebildet ist; das Meer 286 erstreckt sich an diesem Punkte in mehreren Armen tief in daS Land hinein, so daß der hinterste Winkel dieser Meerzunge, in welchem Cattaro liegt, schon wieder hart an der Grenze der „Schwarzen Berge" liegt, die wie eine Riesenmauer steilrecht hinter der kleinen Stadt aufsteigen und deren Kahlheit von dem Weni-mid Oliven-, Feigen- und Orangcngarten der Bucht ernst absticht. Dieser tiefe, gegen 20 Miglien lange und 3 — 4 Miglien breite, Mecreseinschmtt enthält eine ganze Reihe von Buchten cm den beiden Ufern, welche den malerischsten Anblick gewahren und deren Ortschaften Perasto, Risanv, (5astelnuovo, Dobrata im Gegensatz zu den meisten DalmaticnS hohen Wohlstand verrathen. Die Bucht hat den besten Ankergrund und ist tief genug, daß die größten Schiffe unmittelbar an den Ufern anlegen können; dabei herrscht hier, selbst wenn draußen die heftigsten Stürme das Meer aufwühlen, die Ruhe eines Landsec's, — knrz, man erkennt auf den ersten Blick, daß dieser Hafen der eigentliche Schlüssel des adriatischen Meeres ist, beziehungsweise werden könnte. Kein Mangel an Qnellwasscr ist an den Ufern vorhanden und das Klima, das sich mit dem besten des gegenüberliegenden Italiens messen kann, hat vor diesem noch den Vortheil voraus, durch die kalten Luftströmungen der Vora tcmverirt zu sein. Dieses rings von Bergen umgebene Gartenland, das die zahlreichste Bevölkerung der ganzen Küste hat, und dem zur vollkommenen Blüthe nur der Ackerbau fehlt, — ein Nachtheil, der übrigens durch den geographisch begünstigten Handel ausgeglichen wird, — dieses Land war vor wenigen Jahren der Schauplatz erbitterter Kämpfe seiner Bewohner gegen das durch den Wiener Congreß in seinen Besitz gekommene Oesterreich. Die Bewohner theilen sich in Koimmmen mit einiger Verschiedenheit in Kleidung und Sitten uud beinahe jede Ortschaft bildet einen eigenen Stamm. Wenn dem Reisenden durch Dal- 289 matien schon die Bewohner des nördlichen und mittleren Theiles, die Morlaken, durch ihre vortheilhafte Körperbildung auffallen, so ist dies hier noch weit mehr der Fall, wenn er die athletischen Formen, die dunkle Gesichtsfarbe, den kühnen aber offenen Blick nnd das dichte schwarze Haar dieser serbischen Stämme sichl. Mit ihren weiten, bis an's Knie reichenden bnnkclblanen Beinkleidern, der rothen, mit allcn möglichen Zierrathen versehenen Weste, die mit einem breiten Ledcrgurt abschließt, aus dem Pistolen- und Messergriffe hervorschen, das niedere rothe Fez ans dem Haupte und die dollmananige Strucca über die Schultern geworfen, sind sie imposant und schön anzusehen. Die Vocchescn, theils römisch-, theils griechisch-katholisch, gehören wie die mit kroatischen Elementen vermischten Morlaken und die Montenegriner zur großen Slavenfamilie. Ihr Beruf ist seit Jahrhunderten hauptsächlich die Schifffahrt gewesen und in den Reihen der berühmten vcnetianischen und russischen Admirale glänzt der Name manchen Bewohners der Voeca. In früheren Zeiten waren sie gefurchte Seeräuber und hauptsächlich die Risa-notcn zeichneten sich in dieser Beziehung aus. Vor kurzer Ieit noch hob Oesterreich in der Bocca lediglich Marinetruppen aus; es war dies ein Vorrecht, das man diesen Stämmen in Würdigung ihrer besonderen Tauglichkeit zum Scebienste gelassen hatte. Die Bocchesen sind von rechtschaffenem und offenem Charakter; aber sie sind leidenschaftlich und wild und von äußerster Kühnheit und Schlauheit, — Eigenschaften, durch welche insbesondere die Crivoscianer von jeher berühmt oder berüchtigt gewesen sind; besonders in den Kämpfen gegen die Türken haben sie sich in dieser Hinsicht erprobt und sogar von ihren Weibern, die sich oft an den kriegerischen Unternehmungen der Männer betheiligten, wird manche Heldenthat erzählt. Die Blutrache, welche in ganz Dalmatien eine un- du Pltl. Unt« Tannen und Pinitn. 19 290 ausrottbare Sitte zu sein scheint, herrscht auch bei den Voc-chesen und Montenegrinern, die es in allen Fällen vorziehen, statt sich an die Gerichte zn wenden, sich auf eigene Faust Satisfaction zu verschaffen. Ja, die Blutrache wird geradezu als Pflicht betrachtet, der sich Niemand entziehen darf. Es sind zunächst die Familienangehörigen, welchen eS obliegt, ein getödtetes Mitglied zu rächen, doch hat nicht jedes Familienglied das gleiche Recht hierzu. In erster Linie gebührt es dem Sohne, und das wird so genau beobachtet, daß dieses Necht den uncrwachsenen Kindern jahrelang aufbewahrt wird; die blutbefleckten Kleider des (Krmor-deten werden von den Müttern verwahrt oder anch in Zimmern aufgehängt, bis der Knabe in das Alter getreten ist, die Rache ausführen zu können. Daher kommt es, daß oft erst nach einer Reihe von Jahren der Mord eines Angehörigen vergolten wird. Die Zeit ist von keinem Einfluß auf diese Gefühle und früher oder später wird nm so sicherer Vergeltung geübt, als daS Rechc zur Blutrache mit dem Tode des Besitzers nicht erlischt, sondern wie ein Vermögensbestandtheil auf den nächsten Verwandten sich vererbt. Ein Volk, das noch Sitten wie die Blutrache beibehalten, dokumentirt schon hierdurch seinen halbrohen Knlturzustand und es mag der Hinweis auf diese Sitte genügen, von dem Charakter eines solchen Volkes eine Vorstellung zu geben. W kaun daher nicht Wnuder nchmen, daß die Aufständischen vom Jahre 1869, so wenig sie im Ganzen genommen ebenbürtige Gegner von Kaiserjägcr-dcttailloncn sein mögen, doch als Feinde sich erwiesen, die man nicht so unterschätzen darf, wie dies von Seite der Oesterreicher geschehen war. Die Boechesen sind robust und doch elastisch und gewandt, dabei ausgezeichnete Schützen und von ihrer Verwegenheit legen sie beständig bewunderuswcrthe Proben ab. Ihre langen Gewehre, sowie Messer und Pistolen, die sie kreuzweise in 29! den breiten Güncl stecken, legen sie nie, auch nicht bei der Arbeit .ab. Unter diesen Umstände«! mag, wer einem Bocchesen auf einsamer Landstraße begegne! nnd von diesem — wie es wohl geschehen mag — angebettelt wird, gerne bereit sein, ein Almosen zu spenden, ohne sich nachher deshalb besonderer Mildthätigkeit zn rühmen, und es mag ihm höchstens sonderbar vorkommen, daß ein bis an die Zähne bewaffneter Mensch so gutmüthig sein könne, um ein Almosen zn bitten. So ging eS wenigstens mir nnd meinem Reisegefährten im Lande Dalmatien, nnd wir hmrtcn uns in solchen Fällen wohl, zu zeigen, daß auch wir bewaffnet seien, weil es eine durchaus falsche Spekulation gewesen wäre, einem Menschen vnrch einen Revolver Respekt einflößen zn wollen, dessen Anblick in ihm höchstens die Hanptleiycnschaft der dortigen Stämme erweckt hätte, die Leidenschaft für Waffen. Es mag gnt sein, in dortiger Gegend nnr bewaffnet zu gehen; aber ich halte es nicht für gerathen, dies zu zeigen. Daß die Bocchesen ihre Kämpfe mit Erbitterung, ja Verzweiflung führten, ist nicht zn verwnudcrn. Es liegt dies in ihrem Charakter und mag wohl ganz unabhängig sein von der Gewichtigkeit der Grüudc, ans welchen sie diesen Kampf begonnen. Wären sie nicht verzweifelte Leute, sie würden die Waffen überhaupt nicht ergriffen haben. Es war übrigens nicht das erste Mal, daß sich die Zuppaner, die von jeher zu den Malkor.tenten gehörten, und die benachbarten Stämme erhoben, nm entweder wirkliche Privilegien zu vertheidigen, oder gewünschte zu erreichen; in der Geschichte sind sie als widerspenstige Nation bezeichnet. Wir waren um Mitternacht von Gravosa weg, dem eine halbe Stunde von Ragusa entfernten Landungsplätze des Dampfers, abgefahren und segelten Morgens in die amphithcatralisch von Gebirgsabsätzen umgebene Voeca mit ihren reizenden Ufern hinbin, deren freundlicher Anblick seltsam koutrastirte gegen das 19* 292 düstere Ansehen der kahlen, himmelhohen Wand der „Schwarze»? Berge", die sich unmittelbar hinter der kleinen Festung Cattaro-erhoben. Vor unö segelte ein niedriger schwarzer Dampfer, die Albania, deren Ladung aus Gebirgskanoncn, Pulverkisten und Munition bestand, — ein Geschenk des Fürsten von Serbien an den Vladika von Montenegro. Das dem Meere zugekehrte Thor von Cattaro ist vom Landungsplätze durch einen freien Raum getrennt, auf dem die Einwohner gewöhnlich sehr zahlreich die Ankunft des Dampfers erwarten, durch den allein sie mit dein. Mutterlanbe in Verbindung gesetzt sind. Wir widmeten dcir schmalen holperigen Straßen der Stadt, in der wir ohnehin bei unserer Rückkunft uns aufzuhalten gedachten, nur wenige Stunden und benützteu die günstige Witterung vor Allem, den Ausflug, nach Cetinje zu machen. Zu diesem Behufe schlössen wir uns-einem Cattareser Bürger, einem Kaufmann, an, der, wohlbekannt mit dem Lande uud den Einwohnern der Czrnagora, uns cm willkommener Begleiter war. Auf das, was wir jenseits des hoheu Kammes, der hinter Cattaro beinahe senkrecht aufsteigenden Felsenwand finden würden, waren wir schon einigermaßen vorbereitet. Die ersten Montenegriner hatten wir schon in Iara gesehen, wo sich einige derselben, wie auch noch in anderen Städten Dalmatiens, aufhielten. Dort wanderten einige Ercmplare dieses interessanten Bergvolkes-mit langen Pfeifen, aber uubewaffmc, betrübten Ernstes durch die Straßen. Sie trugen weite blaue, unter dem Knie schließende Beinkleider, einen langen wollenen, weißen Oberrock, der, über der Brnst offen, das Hemd frei ließ, über den Hüften aber mit einer gelben Schärpe zusammengehalten wurde. Ihre Kopfbedeckung bestand aus einem niedrigen rothen Fez, das von einem schwarzscidenen Ueberzug derart eingefaßt war, daß nur ein runder Fleck an der Oberstäche sichtbar blieb. Im Gegensatze- 293 M ihren Lanbsleuten in der Heimath trugen sie biS an's Knie heraufreichende Stiefel. Der kurze dunkelblaue, rothgefütterte Rad-niantel vervollständigte die Toilette. Es gibt keinen Montenegriner, dem feine Liebe zu seinem „kleinen schwarzen Berge" erlauben würde, außerhalb seiner Hei-mcttb seine Tage zn verbringen. Diejenigen, welche wir bisher gesehen hatten, waren in der That in Folge der nach der Ermordung Danilo's entstandenen Unruhen verbannt worden und lebten nun snbventionirt von Oesterreich, aber verzehrt von Heimweh, in der Fremde. Danilo, der letzte Vladika, wurde 1869 von einem Montenegriner erschossen — es war einer der häufigen Fälle von Blutrache — und wurde der Mörder von der österreichischen Behörde gehenkt, weil das Verbrechen in unmittelbarer Nahe von Cattaro vorgefallen war. In anderer und sehr bezeichnender Weise waren wir auf dieses merkwürdige Völkchen vorbereitet worden durch einige Ruinen zerstörter Hänser, welche an den Ausläufen des Sutorina- und Eavali-Thales bei Nagnsa standen und an den gemeiuschaftlich mit den Russen nnternommcnen Jug der Montenegriner gegen dir französische Okkupationsarmee (180ü) erinnerten. Dies und was wir über Sitten nnd Knlturzuständc der Montenegriner bisher gehört hatten, war ganz geeignet, nnsere Nengierde rege zu machen, und es war ein glücklicher Infall, daß wir nun, kaum daß wir Vattaro verlassen hatten, in so charakteristischer Weise weitere Belehrung erhielten, wie es der Fall war. Die steile Wand der Schwarzen Berge, welche zwischen ihrem Fuße und den Gewässern der Boeca nnr Raum für die Stadt Cattaro läßt, und welche, von dort aus gesehen, so düster sich präsentirte, gewährte jetzt einen ganz anderen Anblick. In hundertfachem Zickzack windet sich an dieser Wand hinauf eine gute, ziemlich breite Straße, zu unterst noch in kurzen Linien die 294 Richtung wechselnd, höher aber wie rin umgekehrter Blitz iu immer längeren Zügen dem Kamine des Sattelberges — 86Ü3. For^ — zustrebend, der hoch erhaben dic Grcnzscheide zwischen Dalmatien nnd Montenegro bildet. Diese von den Ocsterreichcrn im Interesse des Handels ans dem türkischen Albanien nnd auch wohl auS militairischen Rücksichten gebante Kuuststraßc war jetzt wie ein Ameisenhaufen belebt von einem langgcdehnten Zuge von montenegrinischen Männern und Frauen. Mädchen nnd Knaben, die sich unter jubelndem Geschrei hinanbewegten und auf Maul-lhiercn und Eseln die Ladung der Albania in ihre Berge hinaufführten. Die Rohre der Gebirgskanonen, von den Lafetten getrennt, waren den Thieren aufgepackt, dic Laffeten, Näder und Mnnitionskästen ebenso, nud die Treiber dieser Thiere waren nicht wenig stolz auf die Vürdc der von ihnen mit eifrigem Zurufe Angelriebcnen, — ein Stolz, der sich den Thieren selbst mitzutheilen schien, wenn etwa eine juuge Montenegrinerin, deren Anblick nns die Salonschöuhciten des Vaterlandes gerne vergessen ließ, die Aneiferuug ihres Maulthicres und die Strickarbeit, mit der sie im Gehen beschäftigt war, unterbrach, um eine Nachbarin mit freudiger Miene auf die Anstreugung des Thieres aufmerksam zu machen. „Es ist schon im Kampfe gegen die Türken gewesen," meinte sie, „nnd es merkt, daß wir das Alles wieder gegen die Türken brauchen." Andere wieder mit bescheidenerem Schritte trieben Maulthiere an, welcheu Bretter aufgeladen waren. Sic waren bestimmt zum Baue einer Locanda in Cetinje und die Führer entledigten sich durch diese Arbeit der Verpflichtung rückständiger Steuern. Ihre Genossen, welche mit dem Munitions- und Kanonentrans-porc zu thun hatten, waren dagegen Freiwillige; aber sie ivußtrn, daß noch ihrc Kinder von ihnen als solchen erzählen 295 würden, welche einst dic vom Fürsten von Serbien geschenkten Kanonen hinaufbringen halfen. Dieser bnnle lange Zug bewegte sick lärmend den Berg hinan und die blanken Rohre der Kanonen und die farbenreichen Gewänder der Czrnagorzen erglänzten im Lichte der Sonne, welche ihre sengenden Strahlen aus die zerrissene Kalksteinwand warf. Oben aber, an einer der zahllosen Ecken der Serpentine, wo man nach etwa dreistündigem Ansteigen die grünen Fluthen der Bocea und die grünenden User wie eine Schweizerlandschaft tief unten liegen sah, wo zu nnsercn Füßen Cattaro lag, über das wir uns mehr und mebr erhoben hatten obnc uns seitwärts von ihm entfernt zu haben, — da wurde an einer Felsenquelle Nast gemacht und Menschen und Thiere löschten ihren Durst aus dem klaren Wasser und lagerten sich in Gruppen auf dem Felscnabhang. Die Männer trugen alle lange Flinten nnd in dem mit allerlei Beschlägen verzierten, mehrfach geschlitzten Leder-gun kreuzten sich die Pistole und das etwa zwei Fuß lange montenegrinische Messer mit dem kurzen Griffe. Ueber dem laugen weißen Obcrrocke trugen manche derselben eine brcmne dollman-artige Strukka oder auch ein dickes teppichaitiges Kleidungsstück, mit bunten Streifen durchwirkt und herabhängenden Franzen versehen. Vom Knie abwärts bis an den Knöchel waren sie mit Strümpfen von weißer Wolle bekleidet, wahrend der Fusi die Opanka trug, ein enges Gesteckte von dünnen Ledcrstrcifen, das rin bequemes, elastisches und leichtes Schuhwerk bildet. Auch von den Weibern waren viele, mit Flinten bewaffnet. Ilnc Tracht war ziemlich gleichförmig; fir trugen lange, unten mit Borten gezierte, weiße Oberröcke, von der Hüfte herab rothe Gewänder, Opanken und als Kopfbedeckung ein weißes Tuch, dessen Enden nach rückwärts fielen, und welches meist gelbe Gesichter mu schwarzen Haaren einrahmte. Desto frischer 296 sahen die Mädchen aus, und die rothe Mütze — bei den Slaven das Unterscheidungsmerkmal der Mädchen von den Frauen — unterstützte nur ihr jugendliches Aussehen. Die Weiber und Mädchen trugen meist Lasten auf del» Kopfe oder Rücken, dagegen der männliche Theil der Gruppe nur Waffen tragend so frei und stolz einherging, daß die Madchen an ihren jüngeren männlichen Gefährten nichts ron dein vermissen mochten, was das weibliche Herz im Allgemeinen bennruhigt. Die Waffen schienen zum Theil sehr wcrthvoll zn sein und mancher Pistolen- oder Messergriff war mit Silberplattchen oder Perlmutter belegt. Im Verlaufe des Tages sahen wir noch kostbarere Stücke. Es stnd die Waffen kein Lnrnsgegrnstanv der Montenegriner, denn sie legen sie nie ab nnd machen steißig Gebrauch davon; wohl aber sind sie ihr einziges Bcsihtbnm, an welchrs sich ibr Lnrus knüpft. Doch mag sich dies bei der Armuth der Meisten anch dahin erklären lassen, daß sie eroberte türkische Waffen tragen, an welche sich meist lange Geschichten knüpfen. Wie der Spanier die Geschichte und Genealogie seiner Pferde kennt und gerne erzählt, so rühmt sich der Montenegriner seiner Waffen, die sich in der Familie fort und fort erben. Eie haben freilich anch ibre eigenen Waffenschmiede in ihren Bergen — vielleicht die einzigen Gewerbolentc — und man erzählte uns, daß mancher von diesen auch als geschickter Chirurg sich auszeichne, vergleichbar der Lanze des Achilles, deren Schaft die Wnndc zu beilen vermochte, welche die Spitze geschlagen hatte. — Wir ließen die Karawane an der Qnellc ruhen nnd setzten über den Kamin der Sellagora steigend unsern Weg aliein fort. Ball? war jeder Ueberblick gegen das Meer zu abgeschnitten. Wir besanoen unS jetzt in Montenegro und es eröffnete sich uns die Perspektive in den höchsten, aber anch steinigsten und felsenreichsten Theil dieses Landes. Inr Rechten hob sich der schneebedeckte Gipfel des Lowtschen in die Wolken, einer der höchsten Berge Montenegro's. Die von den Oesterreichern 297 gebaute Serpentine führt, wie gesagt, nur bis an die Grenzscheide; von hier ans schlangeln sich steinige Pfade zwischen Felfentrümmern in's Innere des Landes und, wie es scheint, haben die Czrna-gorzen ihre gnten Gründe, der Unwegsamkeit ihres BerglandeS nicht abzuhelfen. Sie haben sogar, als ihnen Napoleon durch Marschall Marmont das Anerbieten machen ließ, eine Kunststraße von Cattaro nach Ectinje zn banen, dieses Danaergeschenk zurückgewiesen. Ihr ganzes Verthcidigungssystem beruht auf der Nn-wegsamkeit ibrer Verge. Das Hochplateau, die Felseneinöde, in der wir jetzt weiter gingen, nnd die sich weit über Cetinje hinaus erstreckt, zeigt nur an seltenen Stellen, daß es auch hier möglich ist, dem Boden kümmerliche Produkte abzugewinnen; aber dlese seltenen Stellen, ost nur von der Größe eines kleinen Zimmers, sind mit einer Ringmauer aufeinander geschichteter Steinplatten umgeben, zum Schutze gegcn die heftigen Stürme. Ich brauche hicr nicht zu wiederhole», aus wrlchen Gründen auch die Kalksteinmassc der schwarzen Berge ihr jetziges ödes Aussehen hat, und die früher angegebenen Erklärungsgründe möchten vielleicht plausibler erscheinen, als die Erzählung, die man in Montenegro hören kann: Als der Baumeister der Welt, um die Berge auf dcr Erdkugel zu vertheilen, herumging und aus seiner Wanderung nach Montenegro kam, erhielt der über seinen Nucken hängende Sack, der seine Provision von Felsen enthielt, ein Loch, was er leider erst bemerkte, nachdem ein guter Theil seiurs Vorrathes herausgefallen war. Nach einer anderen, wahrscheinlich den Bewohnern des ödesten Gebirgstheils augehörigen, Version ließ er diesen Sack sogar fallen, und die Felsen rollten nach allen Seiten auseinander. Czrnagora — Kara-dagh auf Türkisch — heißt Schwarzwald. Die Linguistik kommt also hier der Ortographie zu Hülfe 298 und beweist, daß auch hier einst Wälder gestanden, die jetzt verschwunden sind. Von den Weibern, die wir an der Qnclle zurückgelassen hatten, und die sich lediglich mit bcm Transporte schwerer Lasten auf Kopf nnd Schulter abgaben, waren uns einige bald nachgegangen, nnd so rüstig wir anch dahingingen, konnten wir doch nicht verhindern, daß sie uns bald den Porsftrnng abgewannen und lange vor uns in Njegnsch ankamen; sic traten mit ihren Opanken sicheren Schrittes ans dcm Geschiebe von Steinen ans, anf l)em wir uns nur mit Schwierigkeit fortbewegten. Das Terrain verflacht sich gegen Njegusch zu; es ist dies der größte und höchste Flecken des Landes, größer als Cetinje, und besteht derselbe aus einigen Dutzenden von Steinhütten, durch deren Lücken iin Dachgcbalke der Nauch des offenen Feuers im Innern steigt, soweit er durch die offenen Thüren nnd Fensterlöcher noch keinen Ausweg gefunden. Wir machten Halt an einer der ersten Hütten. Sie gehörte einem der Vegntcrlstcn des Bezirkes und der siebcnzigjährige rüstige Greis hieß uns mit dem üblichen Freundschaftskusfe in seinem Hause willkommen, in dessen rauchiger Stube mit den rnssigen Minden wir einen satzigen Kaffee, Kasc und rothen Landwein erhielten. Die Sitte würde ihm nicht erlaubt haben, uns seine Unterhaltung zu entziehen, wenn nicht die Sorge für sein neugebornes, wenige Tage altes Kind ihn in das Nebengemach a/führt hatte. Die montenegrinische Gastfreundschaft ist berühmt und es wird der Reisende, dem sie zu Theil wird, als unverletzlich angesehen, wenn er nicht im Verdachte feindseliger Gesinnungen steht. Ebenso unverletzlich ist in Montenegro auch das Weib, nnd der Vladika von Cetinje konnte dem deutschen Reisenden Stieglitz (l84l) keine bessere Bürgschaft seiner Sicherheit geben, als daß er ihn durch seine Nichte begleiten ließ. Dies mag demjenigen 299 sonderbar vorkommen, der nicht weiß, daß dic Unverletzlichkcit dcs Weibes keineswegs bloß ihrem Leben gilt, sondern anch ihrer Ehre, nnd daß derjenige der Blutrache anheimfallen würde, dcr diese verletzen würde. Die Hänscr von Njcgusch nnd überhaupt von Montenegro nntcrschcidcn sich dem äußeren Ansehen nach wenig von einander, wie sich anch in dcr Lebensweise dcr Vornehmen nnd Armen kein Unterschied zeigt. Schönere und bessere Waffen sind meist das einzige, wodurch sich dcr Begüterte von anderen unterscheidet, es müßte denn seine rothe Weste scin, dic reicher geschmückt, als andere, ja oft mit Goldstickrrcien versehen, den Hanpt-schmnck seiner Kleidung bildet. Es macht einen eigenthümlichen Eindruck, wenn man die riesenhafte Gestalt eines solchen vornehm gekleideten Montenegriners ans seiner finsteren Steinhöhle heraustreten sieht, ans dcr ihn die Schritte dcr Vorübergehenden gelockt. Sicherlich giebt es in Europa keinen Fleck, wo sich die Uebereinstimmung zwischen der Landschaft nnd ihren Bewohnern so anffällig zeigt, wie hier, wo sich so gnt erkennen läßt, daß die Menschen ebenso untrennbar sind von dem Boden, auf dem sie wachsen, wie Flora und Fauna. Diese düsteren kahlen Berge, diese hochgelegene Einöde steht vollkommen im Einklang mit dem außerordentlichen Volke der Ezrnagorzen, das dort geboren wir?. Zu den martialischen Figuren mit der freien Stirn, dem kühnen offenen Auge, mit dem Ausdruck des Gesichtes, energisch, gleich dem dcr Physiognomie ihrer Brrgc, paßt kein anderer Hintergrund als eben diese Berge. Aus dieser geheimen Verwandtschaft des Menschen und der ihn umgebenden Namr ist es erklärbar, daß diejenigen Montenegriner, welche die Uncrgicbigkeit dcs heimathlichen, stark bevölkerten Bodens — Montenegro Mlt über l9N,W0 Einwohner auf 80 Quadratmeilcn — in die Fremde 300 getrieben hat, in sehnsüchtigem Heimweh sich abgrämen, wie es beispielsweise bei den nach Rußland ausgewanderten Montenegrinern der Fall ist, deren große Sterblichkeit statistisch nachgewiesen ist. Es ist aber nicht blos die instinctive Liebe zur Heimath, welche die Montenegriner an ihr Land fesselt, sondern auch die Liebe zum politischen Vaterlande, dessen ruhmreiche Vergangenheit sie in ihren Heldengesängen preisen, — für uns wie für sie die einzige geschichtliche Quelle. Die Czrnagorzen, serbische Uskoken, Flüchtlinge, welche sich nach der Bcsiegnng der Serbeil dnrch den Snltan Amurat in der mörderischen Schlacht auf dem Amselfeldc bei Kossowo (1389) und nach dem daraus folgenden Untergange des serbischen Kaiserreiches in die schwarzen Verge flüchteten, haben seither in fortgesetzten Kämpfen gegen die Türken ihre Unabhängigkeit zu erreichen und dann zn bewahren gesucht. Man staunt, wenn man von der Groß? der türkischen Heere liest, welche versucht haben, dieses kleine Land zu erobern und meist mit blutigen Köpfen heimgeschickt wurden. Die Geschichte der Ezrnagorzen ist eine Neihc von Siegen mit seltenen Niederlagen. Seit etwa 159 Jahren kann man ihre Unabhängigkeit als begründet ansehen, obwobl die Kämpfe mit den Türken nichts weniger als abgenommen haben. Es ist besonders der nach beinahe sechszigjähriger Regierung im Alter von 89 Jahren 1830 verstorbene Vladika Peter Petrowich, der in ihren Liedern glorreich dasteht. Unter ihm schlössen sich mehrere benachbarte Bezirke — Nahicn — an Montenegro an. Er war Bischof und Fürst in Einer Person. Seit 1852 hat dieser Cäsaropapismus in Montenegro aufgehört. Jetzt wird Peter, dessen Leiche mehrere Jahre nach seinem Tode noch unversehrt gefunden wnrde, als Heiliger verebrt. Von Njegusch aus gelangt man in ein ziemlich ebenes Felsenbecken, das amphitheatralisch von kahlen Kuppeu umschlossen ist. 3N1 Es ist eine düstere schwarze Kalksteinmasse, von welcher Farbe Einige den Namen deS Landes ableiten wollen. Die hohe Lage macht sich in der Temperatur recht fühlbar. Als wir aber über den Nand dieses Beckens stiegen, da eröffnete sich uns eine Fernsicht, an der das Auge um so erfreuter hing, je mehr sie gegen die unmittelbare Umgebung kontrastirte. Weit unten vor unS lag, von der warmen Sonne beschienen, die glänzende Fläche des See's von Skutari mit den grünenden Ufern, und es wunderte uns nicht, daß die Montenegriner nach dieser Richtung ausschauen, wie einst die Juden nach dem gelobten Lande. Es ging uns ebenso. Dort liegt für sie das Paradies, in welchem sie sich zeitweise schon festgesetzt haben, das ihnen aber immer wieder entrissen wurde; dort wächst Alles, was sie entbehren müssen. So ist auf seinem melancholischen schwarzen Felsenhochlandc dieses arme Volk, daS oft dem bittersten Mangel preisgegeben ist, auf zwei Seiten von Landschaften umgeben, die eine beständige Aufforderung zum Gebrauche ihrer Waffen enthalten. Auf der einen Seite sieht es hinab nach der herrlichen Bocca und den blauen Wogen des Meeres, dessen Braudung bis hinauf zur Sellagora sich hören läßt; auf der andern Seite liegt der fischreiche See von Skutari, dessen Ufer und Inseln von den verhaßten Türken bewohnt sind. Kein Wunder, daß es in seinen Liedern viel zu reden weiß von diesem Paradiese, nach dem sich seine Augen immer wieder wenden und daß es einen seiner berühmtesten Helden, den schwarzen Ivo, der dort unten in einer Höhle bei Njeka von Nymphen behütet begraben liegt, von diesen einst geweckt werden läßt, wenn der Tag anbricht, an dem sie auf der entgegengesetzten Seite das „blaue Meer" wiederbekommen und die Deutschen vertreiben werden. Aber auch kein Wunder, daß auf dieser sanften langen Senkung bis Skutari hinab die 302 Gebeine von mehr Menschen bleichen, als man sich vorstellen mag. Dieses Terrain hat nie aufgehört ein Schlachtfeld zn fein. Es ist nnr dem, der das Fclscngeklüfte dieser Verge mit seinen ungangbaren Pfaden und Schleichwegen gesehen hat, erklärlich, wenn er von den vielen Tausenden von Türken hört, die hier in diesen Deftleen den Tod gefnnden haben. Nur ein Volk, in dem eben Alles Waffen trägt, was Waffen zn tragen vermag, selbst die Popen, in dem selbst von Weibern Heldenthaten erzählt werden und die Ehre des Waffentragcns Mädchen ertheilt wird, welche diese Waffen einem Türken abgenommen haben, — nur ein solches Volk kann so Erstaunenswcrthes leisten gegen einen Feind, der meist so zahlreich war, daß — wie drei vom Vladika entsendete Voten in einem Volkslied erzählen — „daß wir nicht hingereicht hätten, die Suppe der Türken zu salzen, wenn wir alle drei in Salz verwandelt worden wären." Und der Schluß aller dieser Kämpfe ist immer wieder das Geheul, welches durch die Verge schallt: Die Czrnagora ist frei! und ein unerschütterliches Vertrauen spricht aus ihnen, daß es in alle Zukunft so bleiben wird. „So lange noch Einer der Czrnagorzen am Leben sein wird, werden sie sich vertheidigen gegen Türken nnd Andere, wer si« auch sein mögcu. Sie ist nicht blos ein Schatten, diese Freiheit der Czrnagorzen. Kein Anderer als Gott könnte sie besiegen, und wer weiß, ob nicht Gott selbst bei diesem Versuche erlahmen würde!" So heißt es in einem ihrer Heldenlieder. Welches Blutbad auf der schiefen Ebene von Montenegro gegeil das türkische Albanien oft angerichtet wurde, davon kann man sich einen Begriff machen, wenn mau beispielsweise erfährt, daß im Jahre 1889 bei einem der zahlreichen Raubzüge — Tschcteu — gegen die Türken, durch welche oft der Friede unterbrochen wird, allein 600 Türkenköpfc uach Ectinje gebracht wurden. In neuerer Zeit ist der 'Gebrauch des KopfabschneidenS 303 thcilweisc abgekommen und mau begnügt sich meist mit Ohren und der Nase des Getödlelen. Früher aber galt der nicht vollständig für besiegt, dem man nicht dic Waffen gcranbi und den Kopf abgeschnitten hatte, wie der Indianer nnr diejenigen getödteten Feinde zählt, welchen er den Scalp abgenommen. Ja, die Augc-hörigctl der Gefallenen selbst schnitten diesen oft die Köpfe ab, nm wenigstens diese nach Hanse zu bringen und nicht den Türken zu überlassen. Es geschah daher »ebenfalls nur ausnahmsweise, daß ein montenegrinischer Alaska einst eine Anzahl gefangener Türken, nm seinen Feinden seine Vcrachtnng zu bezeugen, gegen eben so viele Schweine auswechselte. Ich weiß nicht, woher es kommt, daß bei den Türken und ihren feindlichen Nachbarn gerade der Hund und das Schwein für das Symbol allco Verächtlichen gehalten werden. Daß cS aber so ist, mag aus jener Antwort erhellen, die einst der türkische Sultan dem frauzöfischcn Gesandten Ludwigs XIV. zu Theil werden ließ, da dieser ihm einen Cieg über die Ougläudcr meldete: „Wisse, o Ungläubiger, daß es UuS vollkommen einerlei ist, ob das Schwein den Hund srißt oder der Hund das Schwem." Nicht immer besteht zwischen dem Vladita von Montenegro nnd den Pascha's von Trebinje und Skutari erklärte Feindschaft, und diefe selbst suchen oft beiderseits die nuvermeidlichcn Streitig/ keilen zn begütigen, die zwischen ihren Völkern entstehen, und die aus der geringfügigsten Ursache oft zu einem blutigen Kampfe werdcu. Ja, als einst ein an der türkischen Grenze liegender Bezirk auf eigene Fanst mit den Türken anbaud und die Festung Labljak eroberte, wurden die Montenegriner von ihrem Vladika bei Strafe der Crcommunieation angehalten, diese wieder herauszugeben. Ein eigentlicher Friede herrscht wohl selten; denn wcnn sich die schwarzen Berge mit Schnee bedecken, sucheu die Montenegriner Weiden für ihr Vieh, das sie nicht verhungern lassen 304 wollen, und sie sind nicht diejenigen, welche die üppigen verschmähen, weil sie nicht ihnen gehören. Auch die immer sich wiederholenden Grenzregulirungen bieten Anlaß zum Streite und in den dreißiger Jahren gelang sogar den Oesterreichern die bloße Abmessung ihrer Grenze erst nach einem Scharmützel. Unter diesen Verhältnissen findet man es erklärlich, baß bei den Montenegrinern der Tob im Kampfe der natürliche ist, daß sie es für ein Unglück halten, wenn ihnen von Gott — dem „alten Mörder" — der Tod außer der Schlacht beschieben ist. Will man einen Bewohner der schwarzen Berge tödlich beleidigen, so braucht man ihm nur zu sagen: „Alle deine Vorfahren sind im Bette gestorben". Berg auf, Berg ab, von einer Thalsenkung in die andere, führte uns der Weg in die Ebene von Ectinje, die bei geringer Breite ein paar Stunden lang ist, und wir erreichten endlich, etwa sechs Stunden nach unserem Aufbruchc von Cattaro, die Residenz des Vlabika. Sie liegt ungefähr 4000 Fuß über dem Meer — ist daher wohl die höchstgelegene der europäischen Residenzen — und lehnt an den kahlen Hügeln, welche die nach ihr benannte Hochebene umschließen. Der theilweise sumpfige Boden derselben scheint oie Erzählung zu bestätigen, daß einst die Fluthen des-jedenfalls melancholischsten aller Seen die umgebenden abgerundeten Hügelkuppen abspiegelten. Dreimal ist eS den Türken schon gelungen, biS hierher zu dringen und die wenigen Häuser der Stadt zu verbrennen. Zum letzten Mal geschah dies im Jahre 1862 — die Montenegriner schreiben es dem Umstände zu, daß der heilige Peter eben abwesend war —; aber bei einem Volke, dessen einziges Besitzthum seine Heerden sind, welche rasch in den unzugänglichsten Theil des Landes getrieben werben können, das die umgeworfenen Steinhütten schnell wieder aufbauen kann und das alles Werth-volle am Leibe trägt, — bei einem solchen Volke haben selbst 305 momentane Niederlagen nichts zu bedeuten. Es wird den Türken wohl nie gelingen, auch den übrigen Theil des Landes zu überschwemmen, wo hinter jedem Blocke ihrer der Tod lauert; wo sie von herabgerolltcn Felsen zermalmt werden und ihre erbitterten Feinde aus deu Klüften bald da, bald dort unerwartet hervorbrechen. Niemand ist gewandter in Benutzung aller natürlichen Vortheile, welche dieses Land dem Vertheidiger gewährt, als die Montenegriner, die bort so heimisch sind, und so sehr sie sich vor dcu Türken, über deren Tücke und Treulosigkeit bei ihnen Sprüchwörter kursiren, durch Offenheit und Ehrlichkeit auszeichnen, so haben sie doch gelernt, daß man im Kriege, wenn die Löwenhaut nicht hinreicht, vom Fuchspelze daran nähen müsse. Nächst dcr Natur ihrer Berge und ihrer außerordentlichen persönlichen Tapferkeit verdanken sie dieser erworbenen Schlauheit ihre Freiheit. In der Gruppe von Häuscru, aus welchen Cetinjc besteht, fallen nur wenige auf, und selbst diese nur durch ihre relative Wohnlichkeit. Dazu gehört vor Allem das zweistöckige, ganz nach europäischem Muster gebaute Haus der Fürstin Darinka, der Wittwe Danilo's, dann die lange, schmale Residenz des Vladika und das Kloster, vor welchen, ein freier Raum, das Forum, liegt, in dessen Mitte eine Cisterne zu sehen ist. Die übrigen unscheinbaren Häuser gruppiren sich um diese Hauptgebäude. Dies ist die ganze Residenz, die nur derjenige als solche von selbst erkennen würde, dcr weiß, daß es in ganz Montenegro keinen befestigten Punkt gibt, das Kloster von Cetinje ausgenommen. Auch diese Befestigung, besteht lediglich aus einer mit Schießscharten versehenen Umfassungsmauer. Wer entweder von Skntari oder von Cattaro her, oder endlich an dem schwierigsten Zugänge zu den schwarzen Bergen, an dem Fort Stanjcwich vorüber, heraufgekommen ist, wer also gesehen hat, wie dieses kleine Land von allen Seiten von türkischen und österreichischen Forts umgeben ist, der du Pre l, Unter Tannen >md Pinien, 20 30« wird dann über den Charakter dieses Bergvolks hinlänglich aufgeklärt werden, wenn er sieht, daß dagegen die Bewohner der schwarzen Berge keine anderen Manern kennen, als spartanische, und im Uebrigen sich darauf verlassen, daß das ganze Land cmc Gebirgsfcstung ist, die von ihrer Besatzung bis auf den letzten Mann immer vertheidigt werden wird. Das am höchsten gelegcue Gebäude von Cetinje ist ein alter, viereckiger Thurm am AbHange eines Hügels; die Plattform dieses Thurmes war noch vor wenigen Iahreu wie der Rücken eines Igels oder wie ein Nähnadelkissen nut langen Stangen gespickt, an deren Enden die abgeschnittenen Türkenköpfe gespießt waren. Später warf man die erbeuteteu Köpfe iu einen Brunnen, und jetzt, wie gesagt, hat es der Fortschritt dahin gebracht, daß man sich mit Nasen- und Ohrcnabschneidcn bcguügt. Auf dem grasbewachsenen Forum werden öffentlich und im „mündlichen Verfahren" die Nechtshändel der Montenegriner dem Vladika vorgetragen uud entschieden. Die Todesstrafe — durch Erschießen — soll nicht eben selten angewendet werden und wird, um keinen Anlaß zur Blutrache zu geben, von einer Anzahl aus allen Nahien zusammengelesener Leute ausgeführt. Es war bereits Abend geworden, als wir in Cetinje ankamen, und wir verfügten uns darum vor Allem ill die Locanda, um für weitere Unterknnft zu sorgen. Iu einem Zimmer, in dem einige Montenegriner ihre Kneipe aufgeschlagen hatten, stand ein geräumiges Bett, welches allenfalls für uns hingereicht hätte. Aber leider erfuhren wir, daß eben heute die Senatoren — die oberste Gerichtsbehörde des Landes — aus den verschiedenen Nahien vom Vlabika zusammenberufen seien, uud daß vier dieser zugereisten Würdenträger ihre gewaltigen Gliedmaßen auf dieses Lager strecken würden. Es blieb uns somit nichts übrig, als den gastfreundlichen Vorschlag einer Frau anzunehmen, die uns eine leere Stube 3N7 anbot — wir merkten übrigens bald, daß sie stark von Insekten bevölkert war — auf deren Boden eine alls einem anderen Haushalte entliehene Matratze zurecht gelegt wnrde. Beim Lichte einer Talgkerze nnd in Gesellschaft der in der Locanda anwesenden Montenegriner stärkten wir uns mit dem Besten, was die Residenz zn bieten vermochte, mit Castradina — qeränchcrtcn», Hammelfleisch —, rothem Landwein, der in den Niederungen gegen Skntari zu wächst, und Branntwein. Es war schon spät, als wir unsere Herberge und die freundliche junge Frau wieder aufsuchten, in deren Hans wir aufgenommen waren. Wir gingen gerne auf ihren Vorschlag ein, uns noch eine Schale Kaffee mit eingeschlagenen Eiern zu bereiten. Auf niederen Schemeln saßen wir Me im Kreise an dem Feuer, das auf einem Herde von der Höhe der Schemel brannte und dessen Flammen ihren Schein auf das Gesicht der schönen Frau warfen. Ihr kleiner fünfjähriger Mirko stand uns wacker bei, die Stube mit dem Rauche guten montenegrinischen Tabaks zn füllen, während seine junge Mutter ihre Aufmerksamkeit auf den eisernen, wassergefüllten Topf richtete, den sie in's Feuer gestellt hatte. Vielleicht hatte sie in unseren Blicken das Gefallen gelesen, das ihre Erscheinnng hervorrief, und sie dachte vielleicht, daß uns die Gefahr nicht bekannt sei, welche Denjenigen droht, die ein solches Gefallen zn sehr an den Tag legen; sie begann daher von ihren« Manne zu erzählen, der vor einigen Jahren nach Californien ausgewandert sei, und — setzte sie etwas un-motivirt, vielleicht weich geworden durch die Erinnerung an ihn, hinzu — als sei sie mit der orientalischen Lyrik bekannt: „die Treue ist besser als Gold." Wer den Residenzstädten im Allgemeinen vorzuwerfen hat, daß man in ihnen zu fehr abgezogen und verhindert wird, sich 20* 308 selber zu leben, der mag sich nach Cetinje begeben. Dort wird er, wenn er es vermag, sich psychologisch zu acclimatisiren, jenes wunschlose Dasein führeil können, das ihm vielleicht als Ideal vorschwebt und das auch die Eingeborenen dieser Residenz zn führen scheinen. Man fragt sich vergebens, was diese Leute den ganzcit Tag thun werben. Mit langen Pfeifen gehen die Männcr gemessenen Schrittes auf dem Forum auf und ab und der Reisende wird nach einigem Besinnen ebenfalls dem Beispiele dieser Pcn-patetiker folgen, wenn er es nicht vorzieht, schon am Morgen in die Locanda sich zu begeben. Dort sitzen um den kaum einen Fnß hohen Herd herum martialische Gestalteu mit entschlossenen Gc-sichtcrn auf den niederen Schemeln und schauen ernsten Blickes in das prasselnde Feuer, das von der Hansfrau von Ieit zn Zot mit neuer Nahrung versorgt wird. Eine Art rother Dollman, reich mit Gold gestickt, und mit Fuchspelz verbrämt, sowie die etwas kostbareren Beschläge seines Kollers und scincs Handschars verrathen den Einen als Angehörigen der Leibwache des Fürsten. Von der Decke herab hängt an einer Kette ein großer Kessel übcr dem Feuer, das außerdem noch große Steinplatten erhitzt, anf welchen Brod gebacken wird. Der Eine kommt, der Andere geht; die, welche sitzen bleiben, begrüßen allenfalls die Neueintretenden mit einem Vog pomacha! außerdem aber wird wenig geredet. Indessen arbeiten die Weiber im Hanse. Der Mann hält es unter seiner Würde, sich an solchen Arbeiten zn bcthci-ligen. Alles müssen die Weiber verrichten; sie sind gleich Sklavinnen. Daher mag es wohl kommen, daß die Montenegrinerinnen, die als Mädchen so hübsch anzusehen sind, so schnell altern. Dmn nicht nur die häuslichen Geschäfte, sondern auch der ganze TrcuMo-hcmdel vou Stuwri uach Cattaro wird von ihnen besorgt. Mit ungeheuren Lasten auf dem Kopfe, oft aber anch 309 mit Ladungen, die beinahe werthlos erscheinen, sieht man sie auf den beschwerlichen Wegen durch das Land ziehen. Nur an Vazartagcn kommen anch die Männer nach Cattaro, oder wenigstens bis vor die Stadt, wo der Markt abgehalten wird. In der Stadt selbst sieht man die Montenegriner weniger oft, well sie an den Thoren angehalten werden, ihre Waffen abzulegen, was sich mit ihrem Stolze nicht verträgt. Als wir daher dort Abends mit zwei serbischen Ofsicieren und zwei Montenegrinern beisammen saßen, erklärte sich nns der Umstand, daß die beiden letzteren bewaffnet waren, nur dadurch, daß der Eine als Neffe, der Andere als Adjutant deS Fürsten die Auszeichnung genoß, die Waffen auch in der Stadt zn tragen. Die Pistolen, welche wir betrachteten, fanden wir in guter Ordnung, d. h. ganz bereit zum augenblicklichen Gebrauche, das Pulver auf der Pfanne. In der schweigsamen Gesellschaft am Herdfeuer wurde jetzt Wein getrunken, und dies schien das Gespräch einigermaßen zu beleben. Der Wein war gut; er ist angenehmer zu trinken, als die schweren dalmatinischen Weine; aber wie im Alterthume, so wird er auch jetzt noch hier in Vockfchlänchcil aufbewahrt und im Kamine aufgehängt und dies giebt ihm einen nachtheiligen Beigeschmack. Ich dachte eben an den montenegrinischen Hcldengcsang, in welchem es heißt, daß die l5zrnagorzen ihre Zeit damit ausfüllen, Wein zu trinken und den Türken die Köpfe abzuschneioen, uub es schien mir, als ob ihnen die Zcit zu verbringen wirklich nichts anderes zu thun übrig bliebe. In diesen Reflexionen wurde ich gestört durch ein wildes Frcudcngeschrei, untermengt mit Pistolenschüssen, das zuerst in der Entfernung hörbar sich näher und näher heranwälzte. Es war der gestern mit uns von Cattaro aufgebrochene Zug, der die Geblrgskanonen und Munitionskästen nach Cetinje brachte. Die 310 Einwohnerschaft, an der Spitze dcr Fürst und die Fürstin mit dem blassen, schönen Gesichte und den dunklen Augen von jenem tiefliegenden Feuer, das dem Ausdrucksvollen des Blickes nichts benimmt, trotzdem es nicht ausstrahlt, waren ihnen entgegen gegangen und der Jubel wollte kein Ende nehmen. Es war ein Bild, so durchaus unähnlich Allem, was ich je gesehen, daß ich mich in eine ganz fremde Welt versetzt glaubte. Nicht die buntbewegten Scenen aus Wallensteins Lager, für welche sich einst die Phantasie des Knaben begeisterte, waren es, an welche ich hier erinnert wurde, sondern viel weiter wurde ich zurückgeführt in eine längst entschwundene und doch so wohlbekannte Zeit. Alles, was ich im bisherigen Verlauf des Tages gesehen hatte, und was, mir selbst unbewußt, dem Eindruck derjenigen Scene bereits vorgearbeitet hatte, die mir jetzt vor Augen stand, vereinigte sich mit diejem Bilde zu einem plötzlichen Gesammtein? druck. Ich vergaß Zeiten und Menschen und mich selbst, und cs war nicht etwa bloß die Resterion, die mir einen Vergleich eingab, sondern ganz von selbst und umwoben vom Zauber der Poesie erschienen mir jetzt die kriegerischen Gestalten der Czrna-gorzen wie die viel besungenen Helden vor Troja. Unbewußt hatte ich mehrere Stunden in der Odyssee gelebt; jetzt aber, da mir die Ilias entgegentrat, da erkannte ich den männerbeherrschendeu Agamemnon, den greisen Nestor, den ränkevollen Odysseus und die übrigen waffenliebenden Achäer. Zwischen dieser homerischen Scene und jenen, welche vor Jahren die philologiegequälte Phantasie des Knaben an die Wände des Schnl-zimmers malte, verschwanden die Unterschiede bei der Fülle des Uebereinstiinmeuden. Kohl in seinem dalmatinischen Reischandbuche sagt geradezu: „Unsere Künstler, wie Flachsmann :c>, die Skizzen zum Homer 311 zeichnen wollen, oder Philologen, die einen recht brauchbaren Commcntar zur Ilias zu schreiben beabsichtigen, sollten es ja nicht versäumen, den kleinen Ausflug mit dem Dampfschiffe nach Cctttaro und von da nach Cetinjc zu machen: ihnen würden da vielfach Schupfteil von den Augen fallen und sie würden in lnrzer Zeit hier Manches sehen und hören, was ihnen die besten Früchte tragen müßte, und für ihren Zweck in wenigen Tagen mehr lernen, als sonst durch monatelanges Studium." In anziehender Weise führt Kohl den Vergleich zwischen den homerischen Griechen und den Czrnagorzen dnrch und sagt zum Schlüsse: „Entweder hat Homer die Montenegriner und die anderen slavischen Bergbewohner gekannt, oder es gibt seit den ura'ltesten Zeiten in diesen Vergländern Sitten nnd Gewohnheiten, welche sich auf alle nach nnd nach einrückenden Völker in ganz unveränderter Weise fortgepflanzt haben." Der Leser, den ich auf diesen Abschnitt des angezogenen Buches verweise, wird nicht in die Lage kommen, zu sehr an das Hinken aller Vergleiche erinnert zu werden, nnd sollte er selbst einmal einen Ausflug in die schwarzen Berge machen, so würde er dort ohne Anstrengung vergessen können, daß zwischen den homerischen Zeiten und unseren Tagen die alten Kultur-Epochen, die Völkerwanderung und das Mittelalter, liegen. Und doch! anch in Eetinje ist etwas zu finden, was diese Illusion des Reisenden stören könnte, — ein Ding, welches bei all seiner Unschcinbarkeil mächtig zu den Umwälzungen beigetragen hat, welche die Kulturunterschiede zwischen Einst und Jetzt geschaffen haben. Eetinje besitzt nämlich eine kleine Buchdruckern. ES läßt sich zwar nicht verkennen, daß dieselbe an solchem Orte derzeit noch ein erotisches Dasein führt; aber sie steht wenigstens la und ist nicht ganz «nissig, wenn anch die montenegrinische Zeitung „Gerlika" (Turteltaube) nur die blutigen Thaten früherer 312 Helden aus den schwarzen Bergen besingt nnd noch keinerlei Bewußtsein ihrer Aufgabe zu haben scheint. Und sollten auch dic Czrnagorzen, wie schon früher einmal, wieber auf den Gedanken kommen, in Zeiten von Mnnitionsmangel die Typen der Lettern zu Kugeln umzugießen, so werden diese doch wieder hergestellt werden, und die Maschine, welche alle Nationen zu mvelliren sucht, wird auch den Bewohnern von Montenegro ihre Signatur aufdrücken. Bis aber diese vielleicht noch sehr ferne Zeit eingetreten sein wird, ist ein Besuch bei den Czrnagorzen allen Jenen zu empfehlen, welche Interesse haben für solche Petrefakte der Kulturgeschichte, die mehr und mehr von, Erdboden verschwinden. Frey hoff's Druckerei in Nauen. Velncke'z. 1.!nlag, ^inll H Kelnlie. Berlin R.W., ^ulsenllrllhe 43. am Mmmel. Vie Vamiill'sssle ^nrlilrs llalsllzemissm in ller Melslanili lser 8tmmuM. Von Dr. Gml Hrmherr du M. 1874. Octav. 110 S. Preis 18 S«r. -- 1 Mart 80 Pfg. Ncichsmiinzc. Rnkzxl, a»5 ile», ^nliall: Poetisirende intd wissenschaftliche Erklärung der Welt. Wir lesen vom Hinunel nur läugstvergaugeue Zeiten ab. Analogien zwischen den biologischen und den kosmischen Problemen. Entwicklungsgang des Sonnensystems. Erklärung der großen Zwischenräume zwischen deu Gestirnen. Die Möglichkeit von Katastrophen. ^Die Kometen. Gravitirende oder' electrische Veeiuslussung der Kometen durch das Sonnensystem. Die Anpassung der Kometenbahnen au das Sonnensystem wird verzögert durch ihr kurzes Venueilm in der Planetenipätire in Folge ihrer großen Ereentrieität. D i e H a r m o nie d e s W eltalls und die ko s m ische u Katastro p h en. Materielle Gefährlichkeit der Gestirne und gefährliche Bahnen derselben schließen sich gegenseitig ans: was materiell gefährlich ist (Planeten) bewegt sich zweckmäßig; was sich unzweckmäßig bewegt (Kometeu) ist materiell gefahrlos. Natürliche Erklärung dieser Erscheiuuug. Binar- oder Grupveu-systeme. Erde und Mond. Sonne und Planeten, Die doppelten und mehrfachen Sonnen. Materielle Eentralkörper uud virluelle Schwerpunkte. Veränderliche Sterne. Neu auflodernde Sterne. Die Fixsterne find Gebilde gleich unserer Sonne. Die Zukunft des Sonnensystems. Der kosmische Aether. Die Erstinetion des Sternlichtes. Die Sonne als Quelle aller irdischou Bewegung. Beobachtungen bei totalen Finsternissen. Beständige Abnahme aller Sonnenwärme. Die Sonneufleckeu als Anzeichen beginnender Erkaltung der Sonne. Dunkle Welttörper als erkaltete Sonnen. Die Erstarrnug der uns zugekehrten Mondoberfläche als Folge der Erdnähe. Der irdische Mond als Typus aller Planetenbegleiter, Die Ewigkeit des Schöpfungsvorganges. Die Entwickluug der eiuzeluen Sterue ^md der Kreislauf des Kosmos. Verwandlnug der Sternhaufeu iu Nebelflecke. Eigeu-bewegnug der Fixsterne. Die Centralsonne. Allgemeingültigkeit des Gesetzes das Schwere. Der kosmifche Kampf mu's Dafeiu. Die Empfiuduug als fundamentale Eigenfchaft aller Materie. Venicke's Verlag, Link nnd Neinke in s«llu. AöMtlz^ OyMttl -MzotogPphwtf. Classische Antiken. Ansichten, von Born und der Campagna. Berühmte Bilder und Statuen. ' Die Sammlung umfasst ca. 300 verschiedene Blätter. Neuigkeiten werden fortwährend aufgenommen. Pirela© vm Ü—54 Mlttrfe. Als besonders beliebte Blätter führen wir an: Statuen: Pudlcitia. Fortuna. Minerva. Venus. Laokoon. Apoll von Bellvcdere. Lukull: Faun. Tanzender Faun. Faun von Rosso antCco. Diskuswerfer. Diana lucifera. Antinooa. Isis. Paris. Diana. Venus Anadyomene. Sterbender Gladiator. Venus Knidia. Perneus von Canova. Mosca von Michel angelo etc. — Ansichten: St. Peter. Forum Ko-nianum. Colosseum. Bogen des Constantin. Tümpel der Vesta. Bogen des Titua. Grabmal der,Caesllia Metella. Piazza del Popolo. Farnesianische Gärten. Innenansichten von Kirchen (St. Paul. St. Johannes. St. Martin u. s, w.) Gilder: Michelangelo's Decka der Sixtiua. Jüngstes Gericht. Carraccl'a Kopf der Andromache, Polifem, Galatea. Diana und Emlymion. Guido Heni'a Aurora. Kleyn'a Gastmahl des BeUazar und Hochzelt von Cana etc. AuMkrlicw UerZenKnvBe gmti/s. Urtheil der „Vossischen Zeitung" vom 23. December 1874: Es sind directe, vorzüglich gelungene Aufnahmen, theils nach den klassischen Antiken des Vatikan, von welchen uns absolut treue Abdrücke gegeben werden, theils Ansichten von den majestätischen Trümmern und den neueren hervorragenden Gebäuden der ewigen Stadt, theils von den Riesenwerken Michel Angelo's und von berühmten Bildern anderer Meister. Für diese Blätter, welche sowohl für die Mappe, als auch als prächtiger Wandschmuck geeignet sind, darf die Aufmerksamkeit des kunstsinnigen Publikums in besonderem Grade in Anspruch genommen werden. Andere Recensionen, welche zu Gebote stehen, heben neben der schönen Ausführung auch den ausserordentlich billigen Preis der Bilder heror. Vcnickt's Vcrlng, link ,,ud ttetnke i» berli».