Folge 150. (Seite 3641 bl» 3664.) Blätter für den Abteilungsunterricht. ITlonatschrift zur Förderung des österr. Schulwesens. (Schriftleiter: Dr. Rudolf Peerz.) o o o o o o Inhalt: Seite 1. Die Gegner der Staatsvolksschule!................ 3641 2. Das Glockenspiel in Salzburg..................... 3643 3. Bemerkungen über den Schul- und Volksgesang 3644 4. Opfer............................................ 3647 5. Anmerkungen zum Artikel: „Das Zuviel im naturgeschichtlichen Unterrichte“ vom Bürgerschul-Direktor F. Zoder................................... 3648 6. Werktätiger Unterricht........................... 3650 7. Ein Geburtstagsgedenken ................................. 3652 8. Wie aus dem Kandidaten ein Lehrer wurde . . 3653 • 9. Der Werwolf...................................... 3654 10. Pädagogische Reimpaare.................................. 3658 11. Bücherschau............................................. 3659 12. Kleine Mitteilungen..................................... 3660 13. Talaufwärts durch den Krieg........................... 3663 14. Polack-Ecke............................................. 3664 Verleg der Blätter für den Abteilungeunterricht in Laibach. — Druck von J. Pavlicek in Qottechee. Jährlicher Bezugspreis 6 K (6 Mk, 7 Frk.). 75 Auszeichnungen! Gegründet 1790. 75 Auszeichnungen! L&C.Hardtmuths j Q »H II II L.&C.Hardtmuths Kohinoor I X, I H9[f||ml|Tn Farbstifte.. ,, Zeichenstifte U™ I IUI UllllllHI ... Pastellstifte Schulstifte etc, WIEN IX. Budweis in Böhmen. Farbige Kreiden Für Schulzwecke anerkannt bestes Fabrikat. Durch jede Papierhandlung zu beziehen. Abonnerrient-Schein. An den Verlag von „Österreichs Illustrierte Zeitung“ Wien, VI., Barnabitengasse 7 u. 7 a. Ich abonniere hiemit den Jubiläumsjahrgang (52 Hefte) von „Österreichs Illustrierte Zeitung“ mit der Monatsbeilage „KUNST-REVUE“ mit Vorausbezahlung von tAjährig K 6.—, Vsjährig K 12.— Vijährig K 24.—. Die ab 1. Oktober 1915 erschienenen Hefte sind nachzuliefern. Das im Laufe des Jahrganges erscheinende „Kriegsbilder-Album mit 52 Kunstblättern aus der Galerie Österr. Maler“ erhalte ich vollständig gratis, und zwar wöchentlich ein Kunstblatt. d i „„ ( lst nachzunehmen. ) (Das Nichtgewünschte Betrae ! folgt per Postanweisung. > ... .... ( wird durch einzusendenden Posterlagschein bezahlt. ) ls' durchzustreichen.) Name:........................................................................................................................................ Adresse: ................................................................ Hoher Extra-Vorzugsrabatt für Lehrer! PlSlin^ Trautwein, wien, vii. ■ Mariahilferstraße Nr. 58 B. 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Handschriften und Blichet an die Schriftleitung der »littet für den >ldteiiung«»nterricht In SlleS (Böhmen). Die Gegner der Staatsvolksschule. Jede Lache, auch die beste, hat ihre Gegner. Das ist für das Ausreisen von Dorteil. Zumeist kennzeichnet ja erst die Bekämpfung den Wert des Gegenstandes. — Wenden wir diese allgemeine Erscheinung auf das dermalen in den Dordergrund gerückte Problem „Staatsvolksschule" an, so finden wir im Lager jener, die sich gegen die Derwirklichung stemme», folgende Gruppen: V) Die cLänderautoriomistcn. Für sie gibt es zunächst ein Aronland und erst hernach ein Reich. Nicht als ob sie hiebei der einzigrichtigen Logik „Ehe Teile da sind, muß ein Ganzes bestehen" widersprächen! Was sie zur ängstlichen Wahrung des Länderpartikularismus veranlaßt, das ist die Besorgnis um ihre Herrschaft. So ein kleiner König in seinem Ländchen zu sein, das ist halt etwas Erhebendes; im großen Reich geht man unter. Die Herren Landräte verwünschen die Schule jeden Tag, sofern es ans Zahlen geht, und doch geben sie sie nicht frei, weil sie eben ein Stück Macht bedeutet. Der Dorortbürgermeister sträubt sich, solange es geht, gegen die Einbeziehung seiner Gemeinde in den Stadtbezirk, weil er dann eben nicht mehr der hochgeehrte Herr Bürgermeister, vor dem sich soundsoviele beugen, und die Frau nicht mehr die gefeierte protektorin ist. Nicht wesentlich anders verhält es sich mit unseren Länderautonomisten. — 2.) Die nichtdeutschen Wöllicr des Weiches. Sie setzen den Begriff „Staatsvolksschule" mit „deutscher Dolksschule" gleich. Schlagwörter verfangen immer; auch in diesem Falle ist das zu bedenken, bezw. rechtzeitig vorzubauen. (Db nun die Dolksschule staatlich wird oder nicht, das ändert nichts an dem Streben, Deutsch als „Wirtschaftssprache" der Monarchie allgemein zur Geltung zu bringen. Wir gehen nun einmal einer Zeit des wirtschaftlichen Zusammenschlusses mit dem Deutschen Reiche entgegen, u. zw. schon aus dem Grunde, weil uns ja die Feinde völlig vom Weltmarkt abschließen wollen; demnach muß als gemeinsame Dermittlungssprache die Geltung haben, die uns überall entgegentritt. Daß die gemeinsame Sprache ein bedeutsames Mittel der Dereinheitlichung des Reiches ist, ist klar. Darob braucht jedoch die Muttersprache keineswegs Schaden zu leiden, noch weniger das angestammte' Dolkstum. Die Gegner sind mit den Bedenken gleich zurhand, weil sie sich in einem Atemzuge so leicht aussprechen lassen und in der Regel wirken. Sache der staatstreuen Lehrerschaft, sei sie nun deutsch oder nichtdeutsch, wird es fein, die Haltlosigkeit zu beleuchten und die Massen vor dem Gespenst der Demagogie zu bewahren. — 3.) Die Kirche. Sie ist nur zum Teil im Lager der Gegner, Sie betrachtet nun einmal die Schule als ihr Ligen, weil diese von ihr begründet wurde. Die Schlußfolgerung ist nicht einwandfrei, ab- gesehen davon, daß ihr schon längst die Realität fehlt. Ich kann recht wohl eine Sache anregen und in den Anfangsstadien pflegen; allein kommt einmal die Zeit, da meine Mittel nicht mehr reichen, sie nach dem Bedürfnisse der Zeit auszugestalten, so gebe ich sie an einen machtvollen Faktor ab. Nun kann ich allerdings je nach Geschmack und Bedürfnis jede Stunde darauf verweisen, daß ich der Schöpfer bin; allein nimmer steht es mir zu, ein (Eigentumsrecht geltend zu machen. Wie hätte auch die Kirche im Verlauf des wirtschaftlichen Aufschwunges die Schulbildung auf die Dauer fortführen können I Das Bürgertum mußte heran, im Verlaufe schloffen sich Staat und Land zusammen, das gab die Länderschule; nun will der Staat als größter Besitzer den ungeheuren Apparat versorgen; das ist ein natürlicher Verlauf, den niemand aufzuhalten vermag. — H.) Kin Keil der „deutschen" Lehrerschaft. (£)ört, hört!) (Es klingt nach allem, was unter \ — 3 angeführt wurde, unglaublich, auch ich hätte es niemals für möglich gehalten; allein es ist Tatsache geworden (freilich nur in sehr bescheidenem Maße) und so muß man wohl oder übel im eigenen Lager dem Feinde begegnen. d (!) »1 v) Brunnen G 3 1 a Wo!)nha.us 1. 2, S. t)usfahrt-Tore 1, 2., 3. 4. - fjusfahrt-Tore Um das Haus herum sind Obstbäume, deren Früchte zu Most, Dörrobst oder Schnaps (Zwetschken) verwendet werden. Im Hofe ist die Düngerstätte und der „laufende“ Brunnen; kein Pumpbrunnen, sondern eine Wasserleitung. Die Häuser haben häufig von ihrer Lage den Hausnamen erhalten. Bühel- oder Bichlbauer, Hohlriedler — Hochriedler (Riedl — Riegel — Berg), Schlag, Eck, Edt, Kranbauer, Satt-linger, Reuth und Itait, Moosbauer, Spitzbauer, Kogl usw. (alle unserer Gemeinde entnommen). Heute sind diese Namen nicht mehr nötig, da jedes Haus die Hausnummer hat; aber im Grundbuche scheinen noch immer die Hausnamen auf; ja der Name des Besitzers ist oft nicht vom nächsten Nachbarn zu erfragen — mit dem Hausnamen erfragt man ihn leicht. Am Abhang des Berges, auf dem der Bauernhof liegt, ist der Hauswald, der das nötige Arbeitsund Brennholz liefern muß. Weit davon entfernt, oft auf der anderen Talseite liegt der Wald, dessen Holz verkauft wird. Warum hat man um den Hof in Vierecksform gebaut? Abwehr feindlicher Angriffe durch Menschen oder wilde Tiere (die Bauernhöfe sind alle uralt), Schutz gegen schlechte Witterung, besonders Schneeverwehungen, Vereinfachung der Arbeit, indem zu jeder Arbeitsstätte nur ein kurzer Weg notwendig ist, Zeitersparnis durch kurze Wege, Platzersparnis, Nachahmung der alten germanischen Höfe; statt der Schutzwehr dieser, wurden einfach die Gebäude auf diese Form verteilt. 3652 C. Verknüpfung: Der germanische Hof (Bild) und unser Bauernhof (Vergleich). Lebensweise einst und jetzt. Auf zählen der Arbeitsgeräte, der Arbeiten des Bauers während der einzelnen Jahreszeiten, Nutzen der Tiere. Wert der Landwirtschaft. D. Zusammenfassung: Teile des Bauernhofes, Haupteinrichtung; Gründe, warum der Vierkanthof gebaut wurde. E. Anwendung: Sprechübung, richtiger Gebrauch der Geschlechtswörter (die Tenne, die Butter, das Fett usw.) Einschlägige Rechnungen mit landwirtschaftlichen Gegenständen. Lesestücke: Vaterhaus, Lämmlein u. v. a. Anmerkungen: 1.) Es ist interessant zu wissen, wie mannigfaltig der Dialekt in der Personenbezeichnung ist. Ein junger oder auch alter unverheirateter männlicher Dienstbote (Knecht) heißt Bua (Bub) und sei er auch 60 Jahre alt. Ein lediger Sohn des Bauers ist der Sun-Bua (Sohn-Bube). Der verheiratete Sohn des Bauers heißt Sun (Sohn). Spricht der Bauer also von seinem Buben, meint er nicht einen Sohn, sondern irgend einen ledigen männlichen Dienstboten, sonst würde er „Sun-Bua“ sagen. Die Bäuerin sagt nicht: „Der Mann oder mein Mann hat das angeschafft.“ Nein: „Der Bauer hat es angeschaift.“ Ähnlich wieder der Bauer. 2.) Gerade heute scheint es mir notwendig, die Landkinder auf alte Sachen des Hauses aufmerksam zu machen, einerseits damit die verschiedenen Altertumssammler nicht jedes wertvolle alte Stück verschleppen, anderseits um an diesen alten guten Stücken den Stolz des Landvolkes zu heben und so durch Beibehaltung von Sitten und Gebräuchen der Landflucht Einhalt zu tun. Welche Freude macht man doch dem Bauer und seinem Kinde, lobt man solch alte Kunst. Friedrich Walser, Oberlehrer in Steinbach. Ein Geburtstagsgedenken. Zum 150. Male ziehen die „Bl." ins Land — in vieljähriger Wanderung — unter-bunten Wechselfällen. Entsprossen in der Zeit des tiefen Friedens, da süße Ruh alle umfangen hielt und sich nichts, ja gar nichts zur Neuerung der Dinge regen wollte, flogen sie keck mit dem Feldruf aus: „Auf, Ihr Schläfer, schafft am großen Werke der Volkserziehung, tragt Licht in die äußersten Täler, laßt die Schule des Bauers nicht mehr als Aschenbrödel ihr Dasein fristen!" Derer, die die Sache hätten mit mächtigem Griff allsogleich wenden können, erwachten wohl nicht viele, — man mied jedweden Umschwung, brachte es doch Beschwer und heischte er vor allem Opfer —, wohl aber solcher, die aus der Werkstatt, der der Ruf galt, als Besitzer was Rechtes machen wollten — unsere braven Amtsbrüder an der Dorfschule. Nun sollte auch ihr ein Blatt in der Pädagogik gewidmet, ihrer bei der Lehrerbildung gedacht, ihr das Augenmerk der Schulbehörden und der politischen Faktoren zugewendet werden I Das Bewußtsein, aus dem Grunde der Vergessenheit in den Hellen Sonnenstrahl zu treten, allein entfachte die Geister und brachte sodann im Verlauf der Jahre wertvolle Stücke in großer Zahl. Wer Besitzer aller 150 Hefte der „Bl." ist, findet in ihnen das gesamte pädagogische Weben eines Jahrzehntes in lebensfrischer, warmer Färbung, so vollends naturwüchsig und darum kraftvoll. DieSchulweisheit, die aus der Kathederlade wächst oder aus dem Federstiel gesogen werden muß, ist saftlos und schal; nur die, die dem Boden der Praxis entquillt, erquickt und nährt. Solche Kost brachten unsere Bl., u. zw. nicht allein aus der jungfräulichen, noch nicht von bezopfter Doktrin angekränkelten Landschule; sondern auch aus der Schule der Stadt; hier war man gleicherweise des zünftigen Fachschrifttums, das sich über Phrasen und haltlose Probleme nicht hinauszuheben wußte, überdrüssig geworden. So kam es denn, daß unsere Zeitschrift allmählich Land und Stadt verband und über weite Gebiete ausgriff. Als nun gar seit 1908 die ersten Wellen kommender großer Ereignisse in unser Vaterland schlugen und der Sehende den Sturm, in dem wir zurzeit stehen, nahen sah, konnte die Schule nicht mit verbundenen Augen abseits stehen, sondern sie mußte teilhaben an der Gestaltung der Dinge, so sie der Wehr des Heimatbodens galt. In den „Bl." äußerte sich die Strömung wiederholt in politischen Leitartikeln. Es fehlte nicht an Beklittlern und Besudlern. Die einen meinten: „Was geht uns die große Politik an! Wenn ich nur mein i-u-e tradiere und im Einmaleins exerziere, das genügt. Das Übrige mögen die besorgen, die man dafür zahlt und ehrt!" — Die anderen: „Da seht uns nur einmal den 3653 Propheten an! Der träumt in dieser vorgeschrittenen Zeit der Kultur, des edeln Menschentums, der Bildung von einem blutigen Kriegei Der Tor!" — Ich habe mir die Briefe aus dieser Zeit wohl verwahrt; sie sollen einmal als wertvolle Belege dienen. Und es kam der Krieg, der große Weltkrieg. Die „Bl." mußten nicht erst die Farbe wechseln, sprach doch aus ihnen seit Jahren die dräuende Gefahr. Eines jedoch konnte frei und offen platzgreifen: Das Eintreten für die Dinge auf dem weiten Plane der Geschehnisse. Unsere grünen „Blätter" flatterten von Schule zu Schule und rüttelten zu hohen Taten im Hinterlande, sie erfüllten die Gemüter mit froher Hoffnung, mit dem Siegesgedanken, sie wirbelten empor und brachten Vorschlag um Vorschlag zur Milderung der Not; sie flogen endlich, vom mächtigen Sturm der Begeisterung getragen, hinein in die Front, um dort den Heldenmut der Braven, die aus der Landschule kamen, die also zum großen Teile jener Schule entstammten, der die „Bl." Nahrung brachte, zu stärken und in den berufenen Führern des Volksheeres, in unseren Kollegen der Landschule, so sie unter den Waffen standen und noch stehen, die Flamme echten Heldentums in' heller Lohe zu erhalten. Ha, welch ein Strom glühender Vaterlandsliebe und treuer Anhänglichkeit flutet durch die hundert und hundert Feldpostkarten, die an die Schristleitung aus Schützengräben und Höhenstellungen einliefenl Konnte es da noch merkwürdig erscheinen, daß der, in dessen Hände die Fäden liefen, sein Ränzel schnürte und hinauszog in den Krieg, um den Kämpfern die Hand zu drücken I Der Schriftleiter wurde Kriegsberichterstatter. Nun konnte der Leser der „Bl." aus erster Quelle schöpfen; ein Meer von Eindrücken und Gedanken ergoß sich aus der Feuerzone hinein in die Zeitschrist, die eine schaffende Gemeinde verknüpft. — Der Weltkrieg neigt feinem Ende zu. Das fühlt jeder, der halbwegs politisches Empfinden besitzt und sich in der Lage der Dinge zu orientieren vermag. Eine große Zeit innerer Umwälzungen tut sich nunmehr unseren Blicken auf. Wie werden sich unsere „Bl." zu ihr stellen? Der Leser hat bei Durchsicht der letzten Hefte den Auftakt bereits gemerkt: Wir wollen alles vorbereiten, was als Arbeit im Dienste der Neuordnung der Schule zukommt. Noch mehr: Da es klargeworden ist, daß das Heer der Zukunft ein Volks he er sein wird, u. zw. eines, dem als beste Waffe in erster Linie eine tiefgründige geistige Bildung beigegeben werden muß, so gedenken wir wieder mit all unserem Sinnen der Schule des Volkes, der Schule des Bauers, der Landschule, d. H., die „Blätter für den Abteilungsunterricht" sollen wieder ganz und gar das werden, was sie in der Zeit der Friedens waren, ein Bote, der aus den Dorfschulen Österreichs reife Früchte sammelt und sie verteilt, auf daß sie, gehegt und gepflegt, reiche Ernte bringen. Das nächste Heft bringt das Blatt wieder in reinster Form, so wie es vor 12 Va Jahren als „Folge 1" sich angemeldet hat. — P. Wie aus dem Kandidaten ein Lehrer wurde. Nach langen Monden ungeduldigen Harrens brachte ein Kärtchen aus dem fernen Osten frohe Kunde: die erste Stelle. Mütterchen war zwar nicht recht einverstanden, daß ich nun in die „Polakei“ wandern sollte; aber nach dem Osten, wo die Sonne der Kultur erst aufzugehen beginnt, war schon lange des Herzens geheimes Sehnen gerichtet. — Eine sechsundzwanzigstündige Fahrt mit Schnellzug brachte mich ins schöne Buchenländchen. Galizien wurde in der Nacht durchflogen, die aufgehende Sonne spiegelte sich in den Fenstern von Czernowitz. Dann ging es weiter, in der Richtung Süden. Die kleinen Holzhäuschen, die eigenartige Tracht ihrer Bewohner, die endlosen Züge, mit Holz und Brettern beladen, geben ein eigenartiges Bild. Die letzte Umsteigestation war ein magyarisches Dorf; von hier brachte mich die Lokalbahn in die Bezirksstadt, die, gefüllt mit Söhnen Israels, in der bekannten östlichen Ausgabe, einen wenig Vertrauen erweckenden Eindruck machte. Nun folgte eine dreistündige Fußwanderung über eine verschneite, eintönige Ebene. Der Weg führte mich durch ein rumänisches Dorf, das meiner Stimmung, durch den Anblick solch primitiver Kultur, einen ziemlichen Ruck nach unten gab. Aber bald bog die Straße in ein freundliches Tal ein, deutsche Laute hörte ich wieder, ich war am Ziele. Inmilten des Dorfes bot sich ein neues Gebäude dem Blick: die Schule. Bei meinem Eintritte wurde ich vom Herrn Oberlehrer aufs liebenswürdigste empfangen und in den Salon geführt. Hier lernte ich Frau Oberlehrer kennen, die auch an der Schule als Lehrerin wirkte, und 3654 bei einem Glase schnell bereiteten Tees wurden die matten Lebensgeister bald wieder rege. Im Laufe des Gespräches erfuhr ich nun, daß mein Dienstort ein rein deutsches Dorf ist, von Deutschböhmen bewohnt. — Wohnung und Kost erhielt ich für die ersten zwei Monate beim Herrn Oberlehrer. — Am zweiten Tage nach der Ankunft fand in der Kanzlei die Angelobung statt. Es folgte eine Schlittenfahrt in die Stadt, um mich vor dem Dienstantritte dem k. k. Bezirkshauptmann vorzustellen. Ich bekam da auch ein liebenswürdiges und aufmunterndes Wort zu hören; der nächste Tag brachte: die Einführung ins Amt. Zunächst begleitete mich der Herr Oberlehrer in die erste Klasse, die ich selbständig zu führen hatte, und stellte mich mit einigen freundlichen Worten den Kleinen vor. In den folgenden zwei Stunden schloß ich mit ihnen Freundschaft, um dann in die fünfte Klasse eingeführt zu werden, wo ich einzelne Stunden übernommen hatte. — In den nächsten Tagen wurden die Antrittsbesuche bei den Kolleginnen und beim Ortsgeistlichen absolviert und fand die erste Konferenz statt. Diese wurde eingeleitet mit einer herzlichen Begrüßung des jüngsten Mitgliedes des Lehrkörpers und den besten Wünschen für seine Lehrtätigkeit. — Damit war nun der stimmungsvolle Akkord geschlossen, der mich in den Beruf führte. Und noch jetzt fühle ich es wie einen stillen Zauber durch den Sinn ziehen, wenn ich jener Tage gedenke, der ersten Woche in meinem Berufe. Alfred Herrmann, prov. Schulleiter. Verfügungsrecht Vorbehalten! Aus Wolhynien. Der Werwolf.1 (Nacherzählt von H. J. Spiehs in Priesen.) Zufolge einer Einladung des Studienkollegen und Intimen Letschetyzki verbrachte ich die großen Ferien mehrteilig auf dem Landgute eines polnischen Grafen. Dasselbe bildete, im Kreise Shitomir, Gouvernement Wolhynien gelegen, eine riesige Meierei, die nahezu tausend Arbeitskräfte beschäftigen mochte, deren oberste Leitung wiederum meinem Freunde oblag. Die umgrenzende Gegend zählt zur frucht- wohl auch waldreichsten Wolhyniens. Über Moorboden — stellenweise trocken gelegt — tiefgründende Schluchten und Spalten führen Kreuz- und Querwanderungen in die Urwaldgesenke des Südens, die, Ausläufer der Karpathen bildend, sich ausnehmen wie ein grotesk angelegter Naturpark, jeglicher Kulturen bar. In solcher Waldeinsamkeit sann ich oft stundenlang über das Wesen der fernen Bergheimat, genas ich so recht vom jahraus, jahrein ertragenen Ballast des Alltags. Hier fand ich Rast und Frieden. Hier fehlte ich aber auch die ersten Silberfüchse, hier hatte ich ganz unvermittelt ein Interview mit Meister Petz — beileibe nicht so gefährlich als in mancher Zoologie geschrieben steht... Hier war es, wo ich eines Tages, gedankenlos oder gedankenvoll bis in die Niederungen des Laubwaldes vordrang, wohl an die zwanzig Werft vom Ausgangspunkte entfernt, wo ich die Gastfreundschaft des alten Waldschlosses, vielmehr des in dem altersschwachen Basaltbau mutterseelenallein hausenden Kastellans, eines ehrwürdigen Greises, beanspruchen mußte — wegen Eintritt der Nacht und damit verbundenen Gefahren. Den Alten sehen und ihm gut sein, war eins — er schien mir eine offene Seele. Nach seinen persönlichen Äußerungen ein Sohn des Ungarlandes, war er dereinst mit Fürst Geza, einem Abkömmling des regierenden Hauses Siebenbürgen, von Vörös bezeichnet, hieher gezogen. Als ehrliche, treue Dienerseele, als solche in Amt und Würde verblieben bis über die Zeit meiner Bekanntschaft Natur, Einsamkeit insbesondere, bringen Menschen einander näher, lassen uns diese erst recht als solche bewerten. Ich beschloß, in dem fraglichen Tuskulum längeren Aufenthalt zu nehmen, zumindest auf retour eine Fahrgelegenheit abzuwarten. Diesen Vorsatz bestärkte der nachts in Strömen einsetzende Regen. Regenperioden im Lande der Moskowiter — das muß man erleben. Besonders häufig zur Spätsommerzeit, verhindern sie oft jeden Kontakt mit außen, machen ihn bei außergewöhnlichem Wasserstand, bei anhergehender Schlammbildung und äußerst ungünstiger Bodenformation zeitenweise unmöglich. Wochenlang bleibt man alsdann auf die Wohnräume angewiesen und etliche Tropfen Whisky.. . Mein Gastgeber suchte mich zu vertrösten, wies mir die Sehenswürdigkeiten 1 Nach Leubuscher eine mythologische Erscheinung — ein Mensch, der Wolfsgestalt annehmen kann. Der Glaube daran lebt noch heute, besonders in Wolhynien und ganz Weißrußland. 3655 des Schlosses, ja hieß mich sogar selbst nach Interessantem fahnden. Was wunder, wenn ich da nach des Schlosses Chronik langte, wenn ich Wesensbilder und Gestalten zauberte, Dinge belebte, die längst gestorben — was wunder . . . Im Turmrondell, der Niststätte von Schleiereulen, wohl auch eines leutescheuen Käuzchens, konnte man, einen Schweinslederfoliant in Händen, stundenlang schwelgen, vergangener Zeiten gedenken. Schlichte Kalligraphen zeichneten einem das Konterfei jenes schwarzen Reiters auf falbem Rosse — des Krieges. Wie dieser ja die Karpathenveste schon seit geraumen Zeiten umtoste. Da las man nebenbei das auch anderwärts heimisch gewordene Schwedensprüchlein: Hochgestiefelt, Stahlumgürtet, Mehr als Feuer und Pest gefürchtet... Der vorletzte Chronist selbst fiel als Sergeant im japanisch-russischen Kriege. Er setzt sich in der Person des Fürsten Geza, dem letzten adeligen Insassen dieses Schlosses, fort. Dessen Skizzen sind selten, weisen meist auf Jagdabenteuer hin, unter anderem auf den regelrechten Kampf mit einem Höhlenbären, woselbst sechs Rassenwindspiele und drei Treiber das Leben gelassen. Denkwürdig schienen die letzten, aus dem Anfang der Neunziger-Jahre datierten Aufzeichnungen. Sie lauten: „Wanda, mein allerliebstes Mädchen, das Opfer eines Werwolfs — Wandal“ Sollte das aus einem Vaterherzen geredet sein? Näheres zu ergründen, drang ich des öfteren in Laertes, wie ich meinen Gastgeber scherzweise nannte. Ganz entgegen der Offenheit dessen Wesens wurde mir unter energischen Abwehrgesten jede weitere Erklärung hierüber verweigert, rundweg abgeschlagen. Einmal — an einem dieser lästigen Regentage — fand ich jedoch den Weg zu dem gut siebzigjährigen Dienerherzen und vermochte anbei Einblick zu tun in einen der Wechselfälle des Lebens; und zwar in einen von jener Art, wo sich Menschengeist vergeblich nach Begründung mühet.. . Das Kraut zweier Havannas zog narkotische Kreisel, indes wir einander näherrückten, ungewollt, im Hochgefühl gegenseitiger Freundschaft. „Herr“, begann Laertes zu dieser Stunde, „ich will auf das viele Befragen hin Rede stehen, will sagen, was mich festhält, hier in diesen vom Fraß befallenen Mauern. Ich will, — weil sie ein Herz haben im Leibei“ Der gute Alte mühte sich auf ein leidlich Deutsch. „Der allerletzte, so allhier in der Chronik Verzeichnete ist Fürst Geza von Vörös. War angehörig dem Hause der siebenbürgischen Magnaten. Sollte regierender Fürst werden und wäre es auch geworden, hätte nicht Eheschließung mit einem weniger als bürgerlichen Weibe dieses annullieret — was man so sagt. Der aus dem Hause sein Verstoßene zog sich sodann als leidenschaftlicher Naturfreund, aber auch gewaltiger Jäger vor dem Herrn in diese Höhenwelt zurück, Trotz bietend seinem Hause und unverwandten Rechten. Mein Fürst laisierte sich, suchte und fand das Glück im Winkel.“ „Und wer war ...“ Laertes hieß mich, nicht zu unterbrechen. „Seltsam bei alldem ist, daß der Fürst zeitlebens nicht in Erfahrung bringen konnte: wer, was, woher seine schöne Carola sei. Einstens aus einer Zigeunerschmiede unter meiner Beihilfe entführt — natürlich mit Willen der Schönen — blieb diese von der Stunde an Fürst Geza ergeben. In diesen Mauern — kein Störefried hätte Einlaß gefunden — lebten alle zwei ein Leben, das zu den glücklichsten zählt — wenigstens beim Beginnen ...“ Ich mußte lachen. Wie er das nur meinte? „Carola, die nunmehrige Herrin mein, war ein Weib in des Wortes Sinne. Bis ins Kleinste empfindsam, reizbar wie ein Kind, konnten deren Gefühle selbst in Affekte ausarten. Wenn sie beispielsweise die Geige zupfte, durfte niemand in ihrer Nähe sprechen oder gar stören; am Morgen, wenn sie bei allem Wetter auf des Schlosses Zinnen sitzend das Goldhaar kämmte, ihr niemand nahen. Dazu sang Carola gerne Weisen, Weisen der Heimat, so, daß wir diese zwar erkannten, aber nimmermehr verstehen mochten. Solches gewöhnt man, es fällt einem nach kurzem nicht weiter auf.“ „Gewiß“, warf ich gedankenlos dazu, auf das Weitere begierig. „Die Freude, Herr,“ Laertes Gesicht schien sich zu verklären, „ist dann ganz geworden, als in der Walpurgis-Nacht ein weißblondes Elflein zur Welt gekommen — ganz das Ebenbild der Mutter. Mein Fürst, Hoheit durfte ihn niemand nennen, war außer sich vor Angst, Sorge und Freude. Alles verlief normal, bis auf die Leidenschaft, welche Carola für den Säugling hegte und auch beibehielt. Das war mehr fast als Mutterliebe 1 Nie habe ich wenigstens dergleichen gesehen. Das Kind, geheißen auf Wanda, gedieh vornehm, war mit vier Jahren schon geistig bei Vollreife. Es versprach Außergewöhnliches. Mutter und Kind saßen nun häufig selbander auf der Terrasse, spiegelten das Haargeflechte, schafften sich gegenseitig allerlei Kurzweil. Auch begann klein Wanda ähnlich den Weisen der Mutter zu singen. Dabei sah diese oft lange und unverwandt nach den Augen des Mädchens — wie es ja auch gerne tun andere Mütter. Nach außen, selbst uns, dem Gesinde gegenüber, erwies sich die Kleine scheu; wiederum ganz nach Art der Mutter. Carolas Liebe steigerte sich mit dem Wachsen des Kindes. Selbst dem Vater gegenüber geizte sie mit jener. Der verwand es — um des Friedens willen. Zog sich nun mehr und mehr ins Berufs-, besser geredet, Jagdleben zurück, machte sich an der Hege des Waldes zu schaffen, tat viel zur Hebung der Wildstände; er veranstaltete sogar größere Treibjagden. Alles nur, um nicht zuviel daheim zu sein. Meines Denkens wollte der Fürst den Heimfrieden mit nichten stören, Carolas krankhafter Eifersucht keinerlei Nahrung zuführen. Sich äußerlich mit wenig Liebkosungen begnügend, brannte er im Innern ein doppelt heilig Feuer: in Liebe für Carola und klein Wanda ... Bei einer dieser Treibjagden wollte der Zufall, daß ein Rudel Wölfe uns in die Quere jagte. Voran ein Leittier von seltener Rassenschönheit; an Größe, Gewandtheit und Lebhaftigkeit den übrigen weit überlegen. Die sichere Kugel meines Gebieters streckte den Ries (Wolf) ohn jedweitere Bedenken zur Erde; der hatte das Aufstehen verlernt... Als wir nun unter Verlauf des Tages, mit der Extrabeute beladen, heimkehrten, fanden wir Carola in Tränen zerflossen, das Kind schlummernd in der Eichholzstatt. Fürst Geza drang durch Bitten und Fragen herb und milde in seine Gemahlin — wollte Carola am gelungenen Jagderlebnis erfrischen, aber vergeblich, ln einemfort rief dieselbe Unverständliches dazwischen, weigerte sich, den Ries zu besichtigen. Die Hände vor das Gesicht geschlagen, hatte sie diesen wiederholt einen armen Wer, das heißt Mann, genannt. Noch vor Einnachten zog sich selbigesmal die Herrin in ihr Gemach zurück. Nachdem sie zuvor Fürst Geza unter stürmischer Umarmung mehrmalen geküßt, gleichsam wie zur Versöhnung. Die Jagdgäste zogen noch in der Nacht weiter, mit ihnen das Fell des kapitalen Wolfes. Dessen Rumpf taten wir in der Erde Schoß, jegliche Spur von gestern somit verwischend. Wohl um die neunte Morgenstunde dürfte es gewesen sein, als unser Fürst, klein Wanda im weißen Morgenhemdchen auf den Armen, verstört und angegriffen erschien. Auf uns zueilend, frug er jeden einzelnen nach Carola — sah uns dabei fest ins Auge. Aber jedsolches begegnete ehrlich dem seinen. Wir waren lauter Menschen, aus denen nichts als Teilnahme herauszulesen war. Daraufhin sagte der Fürst dumpf: „Calora, mein rechtmäßig Weib, ist seit letzter Nacht verschollen, ihr Gemach, gewaltsam geöffnet, fand sich heute leer. Gehet und suchet und bringet mir Kunde!“ Der Starke war nahe dem Weinen. Drei Tage und drei Nächte irrten wir allsogleich über Stock und Stein an Schluchten und Abhängen vorüber, suchten im Spiegel des Bergsees — überall vergeblich. Resultatlos kehrten wir heim, wenn man’s noch so nennen wollte . .. Dafür liefen nächsterzeit häufig Heideboten ein, die von dem Ungeheuer eines Wolfes meldeten — wenn’s nicht ein Werwolf sei — von dessen Verheerungen beim Schaftrieb. Andere wieder sahen es winden in der Richtung nach dem Schlosse. Mein Fürst, an Carola denkend, schwur unverzüglich, das Untier zur Stelle zu bringen.“ Die Augen des Erzählers blitzten. „Voll Hangen und Bangen" fuhr er fort, „strichen die nächsten Tage hinweg. Der Geburtstag klein Wandas wollte sich jähren, als uns am Morgen desselben das Gekläff der Hunde schreckte. Wir waren in den oberen Gemächern, das Kind dürfte gewohnheitsgemäß auf der Terrasse gesessen haben. Während des Herbeieilens beobachten wir einen Ries, wie er im weiten Bogen über die Brüstung setzt, klein Wanda im Rachen. Den beiden auf der Ferse Tersk, unser Windhund. Letzterer aus vielen Wunden blutend. Ein weher Anblick! Solches sehend, stürzt der Fürst, den Hirschfänger in der Rechten, blindlings nach. Ich und das herbeigeeilte Gesinde wehklagend hinterdrein; in einer Distanz von etwa hundertundfünfzig Schritte. Herrl Jetzt kommt das Grausame, das Grausamste, was je meine Augen gesehen: der Ries, des Verfolgers ansichtig, stellt sich, hebt an zu bellen. Darauf brechen Scharen von Wölfen aus dem Dickicht, stürzen sich meinem Herrn entgegen. Dessen Messerhiebe sowie Gewehrschüsse von uns schrecken die blutrünstige Meute zurück. Die meisten der Wölfe sichern hinter Gesträuch am Waldsaum. Währenddem zerfleischt die Bestie vorne zu unser aller Entsetzen das wimmernde Mädchen. Schon ist der Fürst dem Räuber nahe genug, als dieser sich, mit Blutgier in den Lichtern, unter Pusten und Keuchen ihm entgegenstürzt. Verzweifeltes Ringen hebt an, wobei Dazwischenschießen unmöglich ist. — Des Fürsten wegen. Wir sehen dessen Arm blitzschnell nach den Weichen des Tieres fahren; einmal und noch einmal. Das zweitemal nach der Hüfte. Die Ringenden stürzen zu Boden, Tersk darüber hin. Blindlings geben wir Salven ab; zur Selbstberuhigung. Als Antwort über das unheimlich- heisere Gebelle, das aber mehr und mehr in ein Schmerzgeheul überklingt. 3857 Der zweite, stürze ich an die Seite meines Gebieters. Wie mit Zangen hält der des Wolfes Rachen umfangen, den Windhund sehe ich, in den Nacken des Tieres verbissen, vor Blutverlust zusammenbrechen. Im Aufwand übermenschlicher Kräfte legen sich die Fäuste eng und enger. Entsetzlich! Des Tieres, vom Blutserum unterlaufenen Augen quellen auswärts, sein Keuchen wird zum Röcheln, seine Lichter beginnen zu brechen. Ein hellroter Blutstrahl springt durch seine Kehle über die wie Schrauben schließenden Fäuste. Die Auflösung sein ist nahe. Fürst Geza, Wölfe zur Linken wie zur Rechten, hinten und vorne, starrt geistesabwesend in die Runde; starrt bald nach den Augen seines leblosen Kindes, dann wieder nach denen des Wolfes. Plötzlich sich aufrichtend, ruft der Sieger: „Carola! Carola! CarolaI Was hast Du — ?“ „Markerschütternder Tonfall. Er hält inne und schüttelt sich wie von Abscheu erfüllt. Er steht, Gesicht und Kleider zerfetzt, keines Wortes mehr mächtig. Wir alle nehmen ihn für irre und schreiben dies mit Recht dem wahnsinnigen Schmerze zu, wo ihn Wolfsbisse erzeugen. Das zerfleischte Körperchen an der Brust setzt der Fürst schließlich den Zug in Bewegung. Heimzu! Heim, wo alles fremd, lebe- und freudelos geworden. Langsam, tiefernsten Gefühles schreiten wir fürbaß. Die Wolfsrudel, des Führers beraubt, wagen nicht, uns anzufallen, trotz mehrfacher Überzahl.“ Laertes scheuerte die im Laufe der Erzählung sein Barthaar durchsickernden Tränen vollends daraus und gab im weiteren seiner Stimme einen leisen Unterton. Wohl ganz unfreiwillig. — „Wer wollte sich nicht bemühen, die tieftraurigen Geschehnisse zu vergessen ? Wer sich nicht opfern für das Wohl seines kranken Herrn ? Der Fürst blieb irre. Er verbot uns, mit ihm zu sprechen, verlangte das Essen durch den Türspalt, schlief bei Tag, wachte und arbeitete bei Nacht; blieb wie ausgewechselt. Darob wurden etliche unter dem Gesinde abergläubisch, behaupteten, um Mitternacht Carolas Stimme zu vernehmen, das Schluchzen eines Kindes. Andere wollten wissen, daß der erlegte Ries kein wirklicher Wolf gewesen, sondern ein verzauberter Mensch, ein Werwolf, der auch Carola geraubt. .. Als Feind von Albernheiten begegnete ich solcherart Gesprächstoffen mit Abneigung. Einzig und allein die Furcht und Sorge um meinen Gebieter ließen mich manchesmal erschrecken. Und gar, wenn ich im Halbdunkel dessen Schatten spürte. Nach Wochen ruft mich Geza zu sich, heißt mich seinen Vertrauten und beginnt mit anscheinend viel Kälte von Mutter und Kind zu reden. Seit jenem Vorfall das erstemal. Er will mir beweisen, daß Carola kein irdisch Wesen, der erlegte Wolf kein Wolf, klein Wanda nicht sein leiblich Kind gewesen. Dazu gebe ich den Schein des Verständnisses, was der Irre als Teilnahme nimmt. Zur Verstärkung des Gesagten drückt er gegen einen von den drei Querbalken am Getäfel, der allsogleich nachgibt. Über eine Wendeltreppe heißt mich Geza als treuer Diener folgen.“ Laertes selbst tat, während er noch sprach, das gleiche. In mir blieb trotz allem Unbehaglichen der Entschluß mitzuhalten. Redend langte ich an der Hand des Greises über die besagte Treppe in einen Raum; ein wohnlich Gemach mit künstlichem Oberlicht. Die grünen Mauerwände behängen mit Jagdtrophäen, Schieß- und Schutzwaffen. In der Mitte auf einem Steinpostamente war — offensichtlich jener Rieswolf — zur Schau gestellt ein Tier, das, an Höhe den größten Fleischerhund weit überragend, sich besonders durch Stärke der Hals- und Beinmuskeln hervortat. Die Schnauze hellgrau, äußerst zugespitzt, ließ ein Raubtiergebiß stellenweise nach außen sehen. Reißzähne von ungewöhnlichen Dimensionen. Der Rumpf langgestreckt, geschmeidig, in der Färbung mehr gelbrot. Läufe und die buschige Rute schwarz geringelt. Die Lichter rostfarben, glanzlos; alles in allem ein Ungeheuer, gewiß geeignet, Respekt, Furcht einzuflößen. Zwischen dem Paar der Vorderläufe, auf schwarzer Draperie ein künstlich geschältes Kinderskelett. Wohl Wandas leibliche Reste ... Grell wie ein Blitz durchzuckte mich diese Erkenntnis. Das Werk eines Irren. In Betrachtung versunken, konnte Laertes sich leicht mir nahen. Erschüttert stand er vielleicht schon lange Minuten, als ich seiner gewahr, ihm etwas aus den Händen nahm. Eine Zinnplatte, darauf —. „Wandas Augen“, stöhnten wir fast zugleich; der eine fragend, der andere als Antwort. Dann sank Laertes in die Knie ... Mein Blick streikte für einen Augenblick die Wandtapete, damit einen voller Rostflecke überzogenen Hirschfänger . .. Laertes, sich sammelnd, erhob sich und trat enger an mich heran. „Herr! Sie wollten davon wissen, so wissen Sie es zu Ende: Mein Fürst ist tot, geradeso wie diese hier. Schon gar lange . .. Ich will in .der Erzählung fortfahren: Also, da ich mit dem Fürsten hier ankomme, heißt er mich, klein Wandas Augen mit denen des Ries vergleichen. Genau so wie der Herr es jetzt tun. Ich fand — was auch Sie finden dürften.“ 3658 „Daß beide sich bis zur Unkenntlichkeit ähneln — „Zu Lebzeiten des Kindes war das niemand weiter aufgefallen.“ Laertes faßte meinen Arm. „Schauen Sie, Herr, dieses Rotbraune, den helleren Strahlenkranz um die Pupille.“ „Ich sehe!“ Das deuchte mir Wahrlich mehr als eine Laune der Natur. — „Nun, Laertes, ich will Deinen Sang zu Ende hören. Rede!“ „Ja, richtig! Fürst Qezas Sang ...“ „Ich bin überzeugt — als hilflos Mitopfer überwiesen: mein Weib war nicht irdisch — der Wolf da ist kein Wolf (die Leute tun ganz recht, ihn einen Werwolf zu nennen). Ein schwerer Fluch hat sich an mir erfüllt! O Carola! 0 Wanda!“ „Also redete mein Gebieter, stürzte sich über die wenigen Reste, herzte und küßte diese Augen. So, wie ich es jetzt tue.“ Abermals sank Laertes vor mir nieder und rief, die beiden Äuglein küssend: „So hat es Geza, mein Fürst und mein Gebieter, gehalten. An jedem Jahrestage. Geza, verzeiheI Damals habe ich Dich nur zur Hälfte verstanden, Dich für irre genommen — noch lange über Dein Grab hinaus. Vergib! Hab ich nun doch wie Du selbst es gehalten durch viele Jahre — bis heute. — Wohl dem letzten der Jahrestage. Ich sage: für mich der letzte ... Geza! Dein Diener ist alt, in Ehren weiß geworden. Nimm ihn zu Dir, er will schlafen, will vergessen, will selbst vergessen sein . ..“ Laertes schwammen die Augen in Naß. Das war mehr als nackte Gefühlsduselei, mehr als im Alter begründete Nervenschwäche — mehr als schauspielerische Emphase; das war wie ein zweites großes Erleben, wie ein letztes Händereichen, ein gewaltsam sich Losreißen ... Auch mich erfüllte eine weiche Melancholie. Auch ich wollte vergessen. Drum fort, weg von dieser Stätte des Unheils. „Laertes, Sie guter Mensch 1 Beruhigen Sie sich 1 Es ist ja alles nur das Werk eines Zufalls.“ Ihm und mir versuchte ich dies einzureden. Bislang vermochte jedoch keiner daran zu glauben. „Ja, mein Herr! Was ist Zufall ?“ sagte mir der Alte stets entgegen. „ Laertes 1“ Auf Kothurnen 'hätte ich mit ihm enteilen mögen. „Ich, ich gehe schonI Wie sagte doch mein Fürst? — Ach jal“ „Was vergangen, solle vergessen, was vergessen, solle vergangen sein!“ „Nun gut, ich gehe!“ Schonend führte ich den Greis die Treppe hinauf. Er schwankte. Wie wir ins Freie kamen, weiß ich nicht mehr. Bei Sturm und Regen folgte ein Rundgang auf der Terrasse; einer nach dem anderen. — Das bringe Schlaf... „Schlaf — selig demjenigen, der Dich nicht kennt!“ — Die anschließende Nacht durchlief mein Ich mit dem Federkiel — als der letzte Chronist... Mit der Arbeit fertig, lehnte ich ans offene Fenster: der Regen ließ zeitweilig aus, Silberschein des Mondes fiel durch Wolkenrisse und warf seine Lichtreflexe in breiten Bändern auf die Gardinen meiner Stube. Ganz deutlich vernehmbar, aus Osten kommend, dumpfes Geheule — Wölfe . .. Nächsten Morgen erwartete mich der Wagen Letschetyzkis. Angegriffen an Leib und Seele nahm ich Abschied ... Freund Laertes, meinen Gewährsmann, als auch das Waldschloß habe ich seitdem nie mehr gesehen. Jener dürfte gestorben, dieses mitsamt dem Um und Auf vorstehender Erzählung in ein Nichts versunken sein. — Eine Woge russischer Kohorten fegte darüber hin, so daß kein Stein auf dem anderen verblieben. Mdagogische Weimpaare. 26. Mach der Erfahrung. Wenn plötzlich ein Kind sich stille verhält, Dann hat es gewißlich was angestellt. 27. IlnfeNger Streit. Wer mit Vater und Mutter streitet, Sich einen dornigen Weg bereitet. 3659 Bücherschau. 1.) Kartnerbluat. Kriegslieder für jung und alt. (Verf.: J. Hohenwarter; Verlag: Mallnitz in Kärnten, Gasthof Hagen; Preis 1 K.) — Die Liederreihe bput sich als Handlung auf: Krieg, Einberufung, Abschied, Kampf, Heimatsehnen, Soldatenleben, Liebesleid, Friede, Heimkehr. Der Verfasser hat aus dem Urquell echter Kärntner Weisen geschöpft und den Melodien zeitgemäße Worte unterlegt. Wie er mitteilt, will er, nun noch einen Verbindungswortlaut schreiben, so daß sich als Ganzes ein Liederspiel ergibt. Es dürfie einzig in seiner Art sein und darum alsbald die Runde durch Österreichs Schulen machen. Jene Leser, die sich bei mir anfragten, wo man geeigneten Stoff für Schul-aufführungen finde, erhalten nunmehr Antwort; die anderen werden, wenn sie die frischen Weisen hören, zweifellos den Entschluß fassen, den Ton der Zeit durch Kinderkehlen hinausschmettern zu lassen. — P. 2.) FM. Erzherzog Friedrich mit Erzherzog Leopold Salvator, dem Generalobersten Conrad v. Hötzendorf und General v. Mackensen auf der Fahrt nach der Front bringt in einer feingetönten, farbigen Kunstbeilage Heft 13 von „Österreichs Illustrierte Zeitung“. Außerdem enthält das Heft dieser modernen Familienwochenschrift, wie immer auf das reichhaltigste und vornehmste ausgestattet, die Fortsetzung des Romanes „Anders zwitschern die Jungen“, die Skizze „Das Quartett“, den Aufsatz „Vom Läufer von Marathon zum General der achten Großmacht“, die Humoreske „Der Sepp und der Franz“, sowie eine große Anzahl belehrender und unterhaltender Artikel aller Art, die aktuellsten und interessantesten Aufnahmen von den verschiedenen Kriegsschauplätzen, Humor, Gedichte usw. Man abonniert (vierteljährlich 6 K) beim Verlage, Wien, VI., Bernabiteng. 7a. 3.) In großer Zeit. Schwertklänge aus unseren Tagen. Von Adolf Frankl. Preis K 1, mit Post K 1T0, von 10 Stück aufwärts portofrei. Das Buch gibt den Gefühlen und Stimmungen unserer großen, schicksalsschweren Zeit beredten und formschönen Ausdruck und wird nicht nur von unseren tapferen Kriegern, sondern von allen Deutschen und ihren wahren Freunden freudig begrüßt werden. Es ist ein Werk voll Kampfestrotz und Siegeskraft, voll Wucht und Schärfe; aber auch deutsche Innigkeit und erquickender Humor kommen wirksam zur Geltung, so daß dieses volkstümliche Buch in Stadt und Land von jung und alt gern gelesen werden und auch den Weg zu den verbündeten Heeren finden wird. Möchten sich alle Kreise und besonders auch alle deutschen Vereine für die Verbreitung dieses Werkes einsetzen, damit dem edeln Zwecke eine möglichst große Summe zugeführt werden kann. Der ganze Reinertrag wird zu gleichen Teilen dem Roten Kreuze und dem Silbernen Kreuze gewidmet, deren Bevollmächtigten auch voller Einblick in den Buchversand gewährt wird. Für jeden Einzelnen bedeutet es nur ein kleines Opfer von 1 Krone; aber mit vereinten Kräften können wir eine große vaterländische Tat vollbringen. Um recht zahlreiche Bestellungen und um Voreinsendung des Betrages bittet der Deutsch-österr. Preßverein in Graz, Grabenstraße 38. 4.) Lebensvoller Sprachlehrunterricht von Hans Trunk. (Verlag Deuticke, Wien und Leipzig.) In den letzten Jahren hat sich im Volksschulunterrichte ein bedeutender Wandel vollzogen: die Schule tritt mehr mit dem Leben in Beziehung, die Unterrichtserleilung gestaltet sich anregender, die Schüler werden zu aktiver Beteiligung an der geistigen Arbeit heiangezogen. Und mit Recht, denn das unter freudiger Hingabe Selbsterarbeitete haftet sicherer und bietet die Gewähr zu selbständiger Anwendung. Nur im Sprachlehrunlerrichtc macht sich trotz mancher bereits erschienenen bahnbrechenden Werke ein derartiger Wandel noch immer nicht allgemein bemerkbar. Die Sprachlehrstunde gilt nicht selten noch als von Lehrern und Schülern „gefürchtet“. Und doch kann und soll auch diese eine Stunde freudevoller Arbeit sein, deren Früchte sich im Verständnis der Sprache ebenso wie im mündlichen und schriftlichen Gedankenausdrucke bemerkbar machen. Also lebensvoller Sprachunterricht! Und so betitelt sich das jüngst erschienene Werk unseres Altmeisters Trunk. Das Buch hält aber auch, was es verspricht! Das ist übrigens bei Trunk gar nicht anders zu erwarten; denn in ihm vereinigt sich umfassende Kenntnis der gesamten Fachliteratur mit hervorragender fachmännischer Begabung und Begeisterung. Als Fachlehrer der deutschen Sprache hat er auch in der Tat bewiesen, in wie hohem Maße die Jugend für den Sprachlehrunterricht empfänglich, ja begeisterungsfähig ist, wenn es der Lehrer versteht, ihn geist- und lebensvoll zu gestalten. Das vorliegende Buch enthält eine Fülle der wertvollsten Anregungen, von denen man nur wünschen kann, daß sie allgemein in die Praxis Einkehr finden möchten. Dann würde die Sprachlehre in der Volksschule das werden, was sie sein soll: ein Mittel zur Bildung der Sprache! Trunk folgt den grundlegenden Forderungen Hildebrands („Vom deutschen Sprachunterrichte"), indem er in erster Linie am lebenden, klingenden Worte die Sprache des Kindes bilden will. Den Stoff hiefür müsse das ganze Leben in und außer der Schule, also die Umwelt des Kindes liefern. Das Haus, die Schule, der Spielplatz, die Straße, Inschriften, Reime, Redensarten, Vorgänge aus dem Leben, 366Ö der Unterricht selbst, Lesestücke, Schülerfehler in schriftlichen Arbeiten usw. sollen der Ausgangspunkt für grammatische Belehrungen bilden. Trunk verweist da nachdrücklich auf die Notwendigkeit der Heranziehung des Dialektes. Die diesbezüglichen Anregungen verdienen ganz besondere Beachtung. Natürlich muß vorausgesetzt werden, daß der Lehrer nicht bloß die Schriftsprache, sondern auch die Sprache des Volkes sicher beherrscht. Nur dann wird er die Mittel und Wege finden, die geeignet sind, die Schüler allmählich zur Schriftsprache hinüberzuführen, ohne ihr natürliches Empfinden zu töten. Trunk fordert ferner mit Recht eine eingehende Pflege der Wortkunde. Alles müssen die Schüler verstehen, daher sollen sie auch nicht von Person, Biegung, Abwandlung, Aussageweise, Grund, Zweck, Mittel, Bedingung usw. sprechen, ohne daß sie in das volle Verständnis dieser Bezeichnungen eingeführt wurden. Ein geistbildender Unterricht schließt die Forderung in sich, daß die Schüler urteilen, schließen usw., nicht aber bloß mechanisch im „Erfragen“ dressiert werden. In ausgeführten praktischen Lehrproben zeigt sodann Trunk in ungemein fesselnder Weise, wie sich seinen Forderungen gemäß die Durcharbeitung einzelner Lesestoffe z. B. der Silben, der Biegungsendungen, der Fallregierung, der Satzglieder, der Haupt- und Nebensätze u. a. zu gestalten habe. Das ist in der Tat lebensvoller Unterricht! Ein vorzügliches Buch! Wenn der Sprachlehr-unterricht den darin enthaltenen Anregungen entsprechend erteilt wird, kann der Erfolg nicht aus-bleiben. Lehrer und Schüler werden die Genugtuung haben, daß jede Sprachlehrstunde eine Quelle freudigen Schaffens ist. Ü.-Lhr. Pokorn. 5.) Über das neue Zeichnen. In keinem Unterrichtszweige sind die neuzeitlichen Änderungen so gewaltig, ja geradezu ungeheuerlich, als wie im Zeichnen. Hier hat sich einfach alles, alles geändert, Schon die Anforderungen an die einfache Linie, an die einfachste Farbengebung hat sich ins vollste Gegenteil gewandelt. In geistiger Beziehung muß der Schüler nunmehr das Anschauen, Vorstellen, Reproduzieren, Zusammenstellen, Vereinfachen und besonders das Sichhineinfühlen lernen. Die körperliche Ausbildung fordert der flotte Strich. Die Gelenke der Finger und der Hand werden nicht mehr ausnahmslos geübt, sondern der ganze Arm, und nicht bloß der rechte, nein, auch der linke, u. zw. nicht nur einzeln, sondern beide gleichzeitig und es erscheinen die früher angestaunten Zirkuskünstler schier in den Schatten gestellt. Das verlangen die Einen; den Anderen genügt ein Stück Papier und eine Schere, um wahre „Scherenkünstler“ zu bilden. Mit völliger Verachtung des Bleistiftes und der Kohle werden direkt Silhouetten, Gegenstände, und aus farbigem Papier ganze Landschaften geschnitten. Die Dritten nehmen noch das Messer zu Hilfe, schneiden Patronen und Stempel, patronieren also und stampiglieren. So soll der Schüler in harmonischer geistiger und körperlicher Beziehung zur künstlerischer Reife gebracht werden, die die alten Meister durch viel Fleiß, viel Arbeit und noch mehr die geraume Zeit erst erreichten. Oder ist es etwa keine künstlerische Reife, wenn der Schüler ohne jede Vorzeichnung direkt mit dem Pinsel malen soll, wenn er durch einige flotthingeworfene Kleckse „improvisieren“, wenn er „illustrieren“ soll? Diese und ähnliche Gedanken schwirrten mir durch den Kopf, als mir Heft 2 und 3 der technischen Jugendbücherei: Schablonieren von Capeller, Verlag: Natur und Kultur, München 23, Pres 75 Pf. pro Heft, in die Hände fiel. Schon die Einleitung überraschte mich. Die beiden Heftchen wollen nämlich bloß eine Anleitung zur Selbstbetätigung der Schüler sein. Das ist ihr richtiger Zweck. So können und werden sie Gutes leisten. Aber auch dem Lehrer werden sie Rat und Hilfe bringen, wenn er „Schablonieren“ will oder muß. Als Anleitung sind die Heftchen leicht verständlich, klar und gründlich, daher sehr zu empfehlen,1 Beide Heftchen enthalten fast auf jeder Seite Schablonenmotive. Im Interesse der Selbstbeschäftigung der Schüler wäre eine reichere Zahl einfacher, edler Motive wünschenswert. Der billige Preis erklärt indes die Sparsamkeit. Prof. Alfred Grimm. Kleine Mitteilungen. 626.) Ai« neu« Tageszeit. Die Einführung der „neuen Tageszeit" hat gewiß ihre, wie allgemein bekannt, gute Seite. Man darf aber nicht alles über den gleichen Leisten schlagen; denn auch Schattenseiten haben sich zur Genüge gezeigt, so daß der Wert nach der jetzigen Art doch in Frage gestellt wird. In folgendem mögen nun die anhaftenden Mängel, die in Hinkunft leicht behoben werden können, auseinandergesetzt werden. 1 Die eingestreuten Abbildungen der notwendigen Werkzeuge, Arbeitsgriffe usw. beleben und informieren. 3661 Der Landwirt kann seine Arbeiten beim besten Willen nicht der neuen Tageszeit anpassen, denn am Morgen ist es, besonders Anfang Mai, noch so dunkel, daß er bei Besorgung der Haustiere unbedingt Licht benötigt wie durch den ganzen September; außerdem lassen die Kühe einen Wechsel der Melkzeiten ohne Schaden naturgemäß nicht zu, da diese morgens zu früh, abends zu spät erfolgen würben. DeS Bauers Zeiteinteilung muß mithin jahraus, jahrein die gleiche bleiben. Die Näharbeiten erfolgen ohne Uhr, so früh als möglich. Mithin ist die neue Tageszeit für den großen Bauernstand vollständig gegenstandslos. Eng verknüpft mit diesem ist der Beginn der Unterrichtszeit aus dem Lande. Die Kinder gehen nach der „neuen Tageszeit" erst um 9 Uhr zu Bette und können wegen der noch herrschenden Helle nicht einschlafen (im Juni und Juli wird dieser Mißstand ein noch größerer); sie müssen aber morgens um eine Stunde früher heraus, haben auch noch rechtzeitig nicht nur in der Schule, sondern auch in der Schulmesse zu sein; kein Wunder, wenn dadurch die meisten zu spät kommen, viele sich einfach an der Messe gar nicht beteiligen. Und wie sieht's erst im Gebirge aus! Hier müssen die Kinder noch in der Dunkelheit vom Hause fort, um den 1 Vs—2 ständigen Weg zur Schule zurückzulegen. Und sind sie ohne Verspätung (dies setzt aber einen überaus großen Pflichteifer voraus) glücklich gelandet, werden sie schläfrig, der Geist ist matt, der Erfolg leidet ungeheuer, denn das Kind schläft zu wenig. Die Folgeerscheinungen — Nervosität, die ohnedies unter Kindern schon sehr stark verbreitet ist, — tragen zum Guten des Heranwachsenden Geschlechtes nicht im mindesten bei, sondern bringen das Gegenteil. Wieviel schlimmer steht dies bei den Abc-Schützen, die doch, besonders auf dem Lande, zugleich mit den größeren Kameraden das Elternhaus verlassenI Wieviel schlimmer wird's im September! Da kann am Morgen in der Schule Licht gebrannt werden; beginnt doch der Unterricht nach der astronomischen Zeit um V2 7 Uhr, da noch die Sommerordnung gelten muß! Jetzt kommen die vielen Regentage hinzu, an denen die Sonne selbst nicht aufstehen mag . .. Man hat eben die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Darum fort mit einer Einrichtung, die das körperliche und geistige Wohl der Menschheit im zartesten Entwicklungsalter schädigt! (Gäbe es nicht höhere Rücksichten! D. Sch.) Nun — wie wäre doch der Nutzen der „neuen Tageszeit" ohne Gefährdung zu erlangen? Die Uhren lasse man gehen, wie sie bereits Jahrhunderte klaglos ihre Wege wandelten. Es werde bestimmt, daß in der ersten Hälfte des Mai alle Büro-, Geschäfts-, Handwerks- und Fabriksarbeit (diese wird nur dann des Nutzens gewahr, wenn nicht auch Nachtschicht cingesührt ist) um eine halbe Stunde, vom 16. Mai bis 15. September um eine Stunde und vom 16. bis einschließlich 30. September um eine halbe Stunde früher, mit 1. Oktober bis 30. April zur gewohnten Stunde beginnt. Der Eisenbahn- und Schiffsverkehr werde gar nicht tangiert; bei diesem würde die bisher übliche Einführung einer Sommer- und Winterordnung genügen. Die jetzige Einführung wird, besonders in der wärmeren Zeit, die Versorgung der Großstädte mit Milch aus das empfindlichste schädigen, da die wenigsten Dörfer mit Kühlanlagen versehen sind, die Milch mithin vom Vortag bis zum Morgen, an dem die Eisenbahn sie milnimmt, unbedingt sauer wird. Die Schule bleibe ebenfalls bei ihrer bisherigen Gepflogenheit nur mit der Einteilung, daß die Sommerordnung den Unterrichtsbeginn vom 1. Mai bis 30. September für V28 Uhr, die Winterordnung vom 1. Oktober bis 30. April für 8 Uhr festsetze. Der Bauernstand bleibe aus den eingangs angeführten Gründen vollständig unberührt. Durch vorstehende Einteilung wäre der goldene Mittelweg eingeschlagen. Man habe nur offenes Ohr für die Stimmung des Volkes über die eingeführte „neue Zeit". Mancher wird vielleicht den Schreiber dieser Zeilen einen Langschläfer heißen; mit Nichten: denn dessen Schlaf währt von 10—*/a5 Uhr „alle Zeit". 627.) WMtärvriestauven.l Der Krieg hat die Nützlichkeit und damit die Lebensberechtigung der Brieftaube bereits an vielen Plätzen gezeigt. Als beispielsweise in einer eingeschlossenen Festung alle oberirdischen Leitungen durchschnitten, sämtliche unterirdische Drähte und Kabel unterbrochen, alle Flüsse und Kanäle vom Gegner gegen Flaschenpost gesperrt waren, konnten Meldungen und Nachrichten zwar leicht bei günstiger Windrichtung durch Ballonpost aus der Festung in das Land außerhalb gesandt werden, doch die für eine völlig abgeschnittene Besatzung äußerst wichtigen Erkundigungen und Befehle hätten günstigstenfalls jedesmal auf dem Luftwege durch beherzte Flieger hineingetragen werden müssen. Deshalb hilft man sich in derartigen Fällen durch die Taubenpost. Unsere deutsche Militärbriestaube ist eine Kreuzung zwischen der langschnäbeligen Antwerpener und der kurzschnäbeligen Lütticher Brieftaube. Sie ist etwas größer und stärker als die gewöhnliche Taube, hat eine Länge von ungefähr 36 Zentimeter, wiegt 0,50 bis 0,75 Kilogramm und ist meist schwarz oder dunkelbraun gefärbt. Scharfe Augen, starke Rücken- und Brustmuskeln, Orientierungssinn und Ausdauer sind ihr in hervorragendem Maße eigen und befähigen sie zu folgenden Leistungen: Bei günstigem Wetter entwickelt sie eine Fluggeschwindigkeit bis zu 100 Kilometern, im Durchschnitt jedoch nur 55 bis 60 Kilometer in der Stunde, was immerhin noch 1000 Meter in der Minute sind. Die 1 Aus der „Illustrierten Geschichte des Weltkrieges 1914/16". Verlag der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart, Berlin, Leipzig, Wien. Jedes Hest 25 Pfennig. 3662 Flughöhe, aus der sie scharf beobachtet und sich dauernd orientiert, ist bei ungünstigem Wetter 100 bis 130 Meter, bei ruhigem, klarem 250 bis 300 Meter. Ein Herunterschießen mit Gewehren ist deshalb nicht immer erreichbar. Ihre Ausdauer ist sehr vom Alter abhängig und bei Berechnung der Flugweite dieses daher mit in Erwägung zu ziehen. Einjährige Tauben fliegen bis zu 150 Kilometer, zweijährige bis zu 300 Kilometer und ältere 600 bis 800 Kilometer. Ihre Tragfähigkeit beträgt — wenn ihre Geschwindigkeit nicht beeinträchtigt werden soll — 0,5 bis 1 Gramm. Doch sollen vereinzelte Tauben bei einer Last von 28 Gramm noch weite Strecken zurücklegen können, wenn sie allmählich an das Gewicht gewöhnt wurden. Man hat deshalb neuerdings Tauben eine winzige Kamera vor die Brust gebunden und auf mechanischem, selbsttätigem Wege scharfe photographische Bilder von wichtigen Geländcpunkte», wie Brücken, Viadukten, und dergleichen, aus der Vogelperspektive erhalten. Neben dieser neuesten Verwendung besteht noch die alte, die inzwischen sehr verbessert wurde. Mikroskopisch verkleinerte Blättchen mit Nachrichten werden in eine Federspule oder in ein Aluminiumröhrchen gesteckt, auch bisweilen in ein Gummiblättchen gewickelt und am Kiele der mittleren Schwanzfeder mit wachsgetränktem Seidensadcn befestigt. Der Empfänger braucht diese Depeschen nur photographisch zu vergrößern. Schon im Frieden hat jede deutsche Festung mindestens 200 bis 1000 Militärbrieftauben. Eine der ersten Verfügungen im eroberten Belgien war das Verbot des Haltens von Tauben. So kam es, daß im Heere des Kaisers, der sich gewünscht hatte, daß jeder Arbeiter Sonntags sein Huhn im Topfe habe, viele Soldaten zu einem zarten Täubchen kamen — noch dazu in den teuren Kciegszeilen. 628.) Unsere Armee Braucht Metalle t Österreicher! Österreicherinnen! Die Tücke des Feindes hat Mittel ersonnen, die darauf abzielen, die Schärfe unseres Schwertes abzustumpfen, die Stahlhärte der Krie-gerherzen unserer kämpfenden Brüder, Gatten und Söhne zu zersetzen. Durch Aushungerung sollten wir mürbe und kleinmütig gemacht werden! Tapfer und ruhig im Regen der- feindlichen Geschosse, haben wir tapfer und ruhig in der Heimat dem inneren Feinde, dem Hunger, in das Auge geblickt und' ihn nieder-gerungen: wir haben die vorhandene Brotfrucht brüderlich untereinander geteilt. Die Feinde wollen uns aber auch wehrlos machen, indem sie uns die Zufuhr jener Metalle unterbinden, deren wir zur Herstellung von Munition, das heißt zum Schutze unserer Heimat, zum Schutze der Ehre unserer Frauen, unserer Hütten, zum Schutze des Lebens unserer Kinder, unserer greisen Eltern bedürfen. Der inländische Vorrat an Metallen aller Art, in den verschiedensten Händen und Formen, ist unermeßlich, so daß wir die andere uns von den Feinden zngedachte Gefahr siegreich Niederkämpfen werden. Es bedarf hier nur der Klarheit im Denken. DaS Vaterland braucht Kupfer, Wickel, Aluminium, Messing, Rotguß, um den Einbruch der wüsten Horden in unsere schöne, geliebte österreichische Heimat abzuwehren. Alles abzuliefernde Metall wird sofort an Ort und Stelle zu guten, behördlich festgesetzten Preisen bezahlt. Österreicher und Österreicherinnen! In euren Wohnungen befinden sich zahlreiche Gegenstände aus den genannten Metallen. Raffet alles zusammen und traget es zu einer der Einlösungsstellen, deren Standorte von der Behörde bekanntgegeoen werden. Je inniger eure Erinnerung an einem oder dem anderen Gegenstände hastet, desto heiliger ist das Opfer, das ihr dem Vaterlande darbringt. Jeder Gebrauchsgegenstand aus den erwähnten Metallen ist durch einen modernen handlichen Gegenstand aus anderem Urstoffe ersetzbar. Landesgenoffen! Wir wollen nicht, daß sich der Feind unser Kupfer aus unseren Wohnungen holt. Wir wollen es ihm entgegenfeuern! Also nochmals: Der Kupferkessel in der Waschküche, das Metallgcrümpel auf dem Dachboden, die tausendmal geputzten Kessel, Kannen, Schüsseln in der Küche, der alte Messingmörser, der durch Stein- oder Eisenmörser ersetzt werden kann, das alte Messingleuchterpaar, die Nippes und Wichtigkeiten aus dem Wohnzimmer, ihr alle sollt zu Patronen werden. 629.) 5>le unöesiegBare Hrohmacht. Wir haben bisher, schreibt Frhr. v. Grotthnß im zweiten Maiheft des von ihm herausgegebenen „Türmers" (Stuttgart, ©reiner & Pfeifer), noch alle unsere Feinde aufs Haupt geschlagen und dürfen der Zuversicht sein, mit ihnen allen fertig zu werden. Nur einer hat uns ungebeugt Trotz geboten, nur eine Macht sich bisher als unbesiegbar erwiesen, die Großmacht — Wucherer. Der Wucherer ist der stärkste von allen, er ist der wahre Sieger in diesem Kriege und der ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht. Mögen die Kämpfe hin oder her wogen, unsere Feldgrauen von einem Kriegsschauplätze auf den anderen geworfen werden, — der Wucherer wankt und weicht nicht von seinem Platze: wie die Spinne sitzt er unbewegt in seinem Netz, dick und rot aufgedunsen von den verspeisten Blutopfern, mit lüsterner, aber ruhiger Sicherheit der weiteren Opfer gewärtig. Der Wucherer ist der Mann dieser „großen Zeit", denn er hat die „Forderung des Tages" begriffen: „Tue Geld in deinen Beutel!" Und nichts kann einen charaktervollen Wucherer von der Erfüllung dieser wohlverstandenen Forderung abhalten. Gegen einen charaktervollen Wucherer ist alle Staats- und Regierungsgewalt ohnmächtig: „Uns kann keiner." Denn auch er spricht von sich, wie alle Majestäten, in der Mehrzahl: — Seine Majestät der Wucherer. Und ist er nicht in Wahrheit der Herrscher dieser Zeit? — . . . Wenn es in der bisherigen Weise so weiter geht, nichts Durchgreifendes geschieht, kann es dahin kommen, daß alle unsere Opfer und Siege uns nicht davor bewahren werden, aus Englands Hand einen englischen Frieden entgegenzunehmen. Es muß das rund heraus gesagt werden, weil eS nicht auf eingebildeter, sondern tatsächlicher Gefahr beruht. Einer Gefahr, von der man im ganzen Volk nur nicht begreift, wie sie nicht erkannt oder auch nur unterschätzt werden kann. Noch ist es Zeit, sie abzuwenden, aber es ist die höchste Zeit, und was in der versäumten verloren und verdorben ist, läßt sich schon heute nicht mehr einbringen. Es bedarf keiner Prophetengabe, vorauszusagen, was uns alles auch im Innern noch erblühen wird, wenn nicht endlich zu rettenden Taten übergegangen wird. Bloße Erlässe (oder gar die schon zum Kinderspott gewordenen „wohlwollenden Mahnungen"!) sind keine Taten. An Worten aber hat das Volk in allen seinen Schichten so genug und übergenug, daß es weitere Worte, denen die durchgreifende Tat nicht auf dem Fuße folgt, nur noch mit verhaltener Empörung über sich ergehen läßt. Weil es dabei nur die Schmalzgesichter der Wucherer zu einem breiten, vergnügten Grinsen sich verziehen sieht. Talaufwärts durch den Krieg. 9. I>ie aus den Lüften sierabgekaflene Wett. Da lag sie vor mir in ihrer Vielgestaltigkeit, mit ihrem tollen Treiben. Munition für Menschen, Pferde und Kanonen. Das war das Nächste. Hart an der Straße standen Baracken, aus denen bläulicher Rauch auf« stieg. lvir gingen hin und sahen eine Feldbäckerei in vollem Betriebe. Der Kommandant begann: „Sehen Sie, meine Herren, dies alles: die sieben Backöfen, die Tröge und das Depot, haben wir in zwölf Stunden installiert und wir sind in der Lage, es in weiteren zwölf Stunden wieder samt und sonders auf die Räder zu bringen. Dabei erzeugen wir täglich 32.000 Brotlaibe." — Mir schwindelte bei der Zahl; indes die vollbesetzten Räume zeigten sie in Wirklichkeit. Und dieses ganze große Werk kann der Mann in zwölf Stunden mobilmachen I Der Krieg geht eben nicht im Trott des Alltags; er arbeitet groß, aber auch flink. —- Die braunen Laibe waren zu verlockend. Zch trat herzu und bat um einen. Dafür leerte ich meine Zigarettenbüchse. Wie das Brot mundete! Jeden zweiten Tag erhält der Soldat einen Laib; das reicht auch für den hungrigsten Magen aus. — Die Munition für Pferde war nebenan in großen weiten Baracken untergebracht, die für Kanonen im stillen Waldesgrün. Der Feind sollte eben nicht wissen, wo das Munitionslager steckt. Kommandant war ein Ungar, ein guter Fünfziger. Mit feinem martialischen Aussehen hätte er ganz gut in das Bild von Wallensteins Lager gepaßt. Der gute Mann hatte es nicht nötig, in den Krieg zu ziehen, — er wäre als Staatsbeamter beurlaubt worden. Allein es litt ihn nicht daheim. Als er nun zur Truppe kam, bat er, daß man ihm irgendeine „Wirtschaft" zu betreuen gebe, denn darauf verstehe er sich. Unweit von Budapest war nämlich der Herr Rat in freien Stunden Bauer; dort grub er und schaufelte er und jätete er und mähte er, „Li," dachte er nun bei sich, „im Kriege wird es auch manches geben, was einen guten Blick und die richtende Hand im Hauswesen braucht!" So kam er denn als Munitionslager-Kommandant an. Sein Reich dehnte sich im Geviert vor uns aus. An den Seiten reihte sich Baracke an Baracke; in ihnen steckte das todbringende Blei. Line Tafel vor jedem Häuschen gab an, was neu hinzugekommen war, was dem Lager entnommen wurde. „Uber jede Patrone muß Buch geführt werden!", so lautete die Parole des Haudegens. Wie ich so den Blick über die Kisten gleiten ließ, sprach ich: „Wieviel Todesopfer sind hier aufgespeichert I Wen wird dieses Geschoß, wen jenes niederreißen? So blank, so jungfräulich, so lockend glänzt es mir entgegen und Unheil, Schrecken, Verderben birgt es in seiner Hülle..." Der Herr Magyar - Kommandant war nicht so sentimental. Lr meinte: „Worum hot der Schuft drüben ongefongen!?" —-Um mich von meinen trüben Gedanken ab- zuziehen, führte mich der biedere pauptmann zu seiner Küche. Sie war sein Stolz. Und mit Recht. Keine gute Hausfrau, keine brave Köchin kann diese Nettigkeit, diese Ordnung, diesen Glanz aufweisen. Das Einzige, was nicht glänzte, das waren die fahlen Gesichter der ungarischen Köche. Aber sonst war über die Baracken ein Heller Schimmer ausgegossen. Neben der Küche waren lange Tische und Bänke — der Wenagesaal im Freien. Weiterhin befand sich die Stätte, die als Verdauungsendstation nicht fehlen durfte. Der gestrenge Kommandant ward ernst und sprach mit Nachdruck: „Daß wir bei uns niemals Seuchen gehabt haben, das haben wir der strengen Ordnung und Reinlichkeit beim Verlauf der menschlichen Bedürfnisse zu verdanken. Würde ich es dulden, daß der Soldat wie das Tier nicht Ort und Sitte kennt, so gäb's Bazillen allerorts und wir wären verloren. Dort drüben ist ein Gasthaus, in dem unsere Vorsichtsmaßregeln nicht beachtet wurden. Die Folge ist Typhus. Nur ;00 Schritte trennen uns; dort Tod, hier Leben. Glauben Sie mir, die Latrine spielt im Kriege! die Rolle wie die Kanone; die eine wehrt den Feind ab, die andere die Seuche!" — Neben Zucht, Reinlichkeit und Ordnung! fand ich bei dem Praktiker noch eines: den nichtruhenden Arbeitstrieb. Was er selbst; in reichem Maße besaß, verlangte er auch! von seinen Untergebenen. Er schloß so „Solange der Zlton orbaitet, denkt er an nichts! anderes und do is er lustig. Fehlt ihm obe^ Orbait, so fangt er on, hin und her zu grübeln; er geht mit seine Gedanken nach; Pause und aus is dornt mit patriotische Be-gaisterung." — In der Tat ein probates Wittel! Tätigkeit schützt vor dumpfem Pin-; brüten. Da es nun in der kleinen Welt nicht] immer ausreichend Beschäftigung gab, so half sich der kluge Wann u. a. auf folgende Weise: Er ließ ein Bächlein in eine neue Rinne gleiten. Dazu erschien ein Graben nötig. Wie nun dieser fertig war, sprach der Kommandant: „G du verfl. . . Geschieht’, jetzt hob ich ganz vergess'n, daß der Grob» muß dort verlaufen! Geschwind deckt ihr ihn zu und grobt dort amen neuen!" — Und dabei sahen die Äuglein unter den dicken Brauen so pfiffig in die Welt, als wollten sie sagen: „Seht, da habe ich wieder einen Tag Nichtstun-beglichen!" — „Aber in der Nacht, da kann der Soldat dennoch seinen Gedanken nachhängen I" — Darauf der perr Pauptmann: „Wenn er ganzen Tog sich Hot gerackert, wird ihm Nachdenken vergeh’n, do wird er fain schlof’n I" Ob der Findige recht hatte? Wer wird’s bezweifeln I Am \8. August gab es im Munitionslager eine große Feier. Zu Beginn wurde im Wittelraume ein Feldgottesdienst zelebriert. Sodann hielt unser Kommandant eine schneidige Ansprache. Zum Schlüsse war ein Volks-ffcst angesagt. Programm: Sacklaufen, Ringen, Weit- und Pochsprung, Akrobatische Künste. Schluß: Wurstessen. — Ich reichte meinem Führer die pand und sagte gerührt: „Sie sind in der Tat der rechte Wann auf dem rechten Orte. Die Soldaten und das Kommando sind um eine solche Kraft zu beneiden." — Der „Freiwillige" wehrte ab und sagte: „Nix von olledem! Ober mir mocht es große Fraide, daß ich dem Voter-lond dienen kann und doß olles so gut kloppt. Glauben Sie mir, lieber Fraind, wer lustig iUnd fleißig ist, dos is ein guter und geschaiter Wensch. Nur der Schlechte oder der Dumme ist faul." — (Wirb fortgesetzt.) Polack-Ecke. 9. Es gibt der Arbeit Federkraft, wenn man sich sicher im Sattel füljlt.1 5. Ang. 1912. 1 AuS einem Briefe an den Kaiser!. Rat A. Hofer in Wien. (Bisher noch nicht veröffentlicht.) 6