//^ ^/^ /^^ -^ ^^/ / ^ /^l^ -^— Nach und »ms Zndien. Reise- und Clllturbildcr von E. N. Vaierlein, /MM. Leipzig, B ^ r l ag von I n st li s ^)i a n in a u u, 1873. Vor w o r t. Die vorlicgcudcu Skizzcu immer Ncisc uach.Iudien über Athcu, ^loustantiuopel, Damaskus, Jerusalem und Egypteu erschienen, querst iu deiu Leipziger „Evang.-Luth. Missiousblatt", mit Ausuahme des Artikels über den Libanon, welcher neu hinzugekommen ist. Vielfachen Aufforderungen gemäß, lasse ich sie nun in eiuem besondern Abdrnck ausgehen. Der zweite Theil „Ans Indien" enthält Skizzen über Land nnd Volk vou Indien, wie sie in verschiedenen Zeiten uud uutcr verschiedeneu Ilmständen an Ort nnd Stelle uieder-gcschriebeu siud; sie befinden sich ebenfalls zerstreut in dem genannten Missionsblatte. Das Ganze dürfte nicht uuwillkommc-ncn Stoff zn Missionsvorträgcn bieten und somit anch als Ergänznng der von mir nnter dem Titel: „Die ev.-lnth. Mission in Ostindien" herausgegebenen „Missions-stunden" dienen. Möge denn was hier im Znsammenhange erscheint, dieselbe freundliche Anfnahme finden nnd gleiche Frende bereiten, als seiner Zeit die zerstrcntcn Anfsätze. Möge das Interesse für Indien, als das Land der Sehnsucht, das Laud der Rcligiou, das Land der Philosophic, mid das Land der lutherischen Mission, anch hierdnrch nen belebt, fester gegrnndct nnd beständig erhalten werden. Alles znr Ehre des HErrn, der nicht nur der Christen, sondern anch der Heiden (Hott ist, nnd der da will, daß allen Menschen geholfen werde nnd sie znr Erkenntniß der Wahrheit kommen, die da ist in Christo Iesn, dem Könige der Wahrheit. Dresden. E. U. illaierlein. Anhalt. 3t a ch I ndie u. Seite 1. Bis zum Meere................. 1 2. Bis Athen.................. ? 3, Athen.................... 1-> 4, Nach Constantinupcl................ 17 5>, Constantinopcl................. 19 tt. Des Sultan Fcrman. Neisc bis Smyrna ....... 38 7, Nach Bcyrnt................. -45 ^, Der Libanon und seine Bewohner. Das letzte Blutbad unter den Christen................... 51 !», Nach Damaskus................ 73 10, Damaskus und seine letzten ^ränelsccueu........ 77 11, Nach Jaffa.................. 37 12, Nach Jerusalem ................. !)1 13, Golgatha nnd Hcthscmane............. 100 14, Der Oclbcra,............'..... 106 15, Das Thal Iosaphat, Tophet nnd Vcn Hinnoin...... 110 I«;, Besuch anf dem Vioria, in der Moschee Omars, in der cl Äksa nnd unter dem Tcmpclbcrge ........... 118 17, Zion.................... liii 1^, Ein Ritt nm Jerusalems Mauern.......... 139 N>. Die Grabestirche................ 146 2". Nach Jericho ................. 153 21. Nach den: Jordan, dem todten Meere und Sau Saba , , , . 100 22. Nach Bethlehem, Mar Elias und zurück uach Jerusalem . . . 166 23. Icrnsalems Bewohner.............. 173 Seite 24. Bcthanien, Abschied von Jerusalem. Nach Egypten.....182 25. Nach dm Pyramiden, «ach Memphis und Sakhara.....1!»4 2«, Der Reise letztes Stück..............202 Aus' Indicn. 1. Koudistan und die Konds............. 215 2. Die Nilagins oder blauen Berge........... 236 3. Sturm und Ueberschwemmnng............ 265 4. Die letzte der Sattics.............. 273 5>, Der dreifache Weg und dic einzige Brücke zn Gott..... 278 <>, Nach Nallalam.................. 28? 7. Aus dem Paläste der Großnwgnlu.......... 3l>« 8. Vom Todteufclde................ 311 9. Vom Grabe eincs Weisen......,......,. 312 Nach Indien. Bis zum Mccrc. Ich bin cin Gaft cms Erdcn und hcib hici lemen Stand. Der Hnnmcl soll mir werden, da ist nieüi Vaterland. Hier reis ich aus und ab?, dort in der ew'gm Ruh ist Gottes Gnadengabe, die schließt all Arbeit zn. , „Da wird alles schr gut scin!" hicr ist dcs Nichtgutm nicht wenig. Doch ist die Erde dos HErvn nnd trägt anch dcr Spuren seiner Güte hier nud da, und seiner Macht überalt sehr viel. Zwar sind diese Spuren zuweilen etwas verwischt, oder vielmehr unsre Angen sind in: Alter der Welt etwas trübe geworden. Aber die Augensalbe, die nun seit fast zweitausend Jahren schon feil geboten wird nnd so Vielen der Augen rechtes Licht erzeugt hat, ist überall zu haben und immer noch probat. Wer sie braucht, der erfährt's und sieht was er sonst nicht gesehen, und liest was ihm sonst unleserlicher war, als Egyptens älteste Hieroglyphen. — Unsre Abschiedsstunde hatte wieder einmal geschlagen. Noch ein-lnal waren wir versammelt im Kämmerlcin: zum letzten mal umarmten wir unsre Gottcsgaben. Verhüllt bleibe die Scene des Schmerzes und des Kampfes. Wo nur Gott helfen kann nnd stärken, bleiben Menschen ausgeschlossen. Uud kommen die Stuudeu der Äugst wieder: bei dem HErru allein ist Trost zu finden und Stärke, denn Mcnschcuhülfc ist kein nütze. Wenn es wieder still geworden ist in der Tiefe, der Sieg wieder unser nnd die Freude am HErrn 1 __.2 __ unsre Stärke, dann treten wir aus dem Kämmerlein ulit heiterem Angesicht. Noch gab es manchen Abschied von lieben Freunden nnd Brüdern, mancher war auf Wiedersehn — im Himmel. Wo der Nachmittag eingetreten ist uud der Abend schon naht, da ist ein Begegnen auf dem Pilgcrwege uicht mehr zu erwarten. Es ist eiu weiter Weg iu das Land der Tanmlen. Wenn wir uns nur am Ziele des Weges wiederfinden! „Dort wird alles sehr gut sein!" — Der letzte Abschied war im lieben Missionshause, und dann galt's der Ueberschrift desselben zu folgen: „Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Creatnr". Das geschah nuu zum dritten male am Morgen des 24. Juli 1862. Am Abend waren wir iu München. Eine theiluehmendc Freundin, B. v. E,, reiste mit uns, um in uusrcr Gesellschaft den Orient zu besuchen. In ihrer Gesellschaft konnte der Abschiedsschmerz uns weniger oft bewältigen, und in Bezug auf die Reise ward uns möglich, was uus sonst nicht möglich gewesen wäre. Somit waren wir unsrer vier auf dein Wege: unsre Freundin, meine Gehülfin und ich mit dem braunen Abraham. In München sollte Rasttag gehalten werden, um nach dem ersten Ansatz erst alles recht zu ordnen für den langen Weg, der vor uns lag. Da ich indeß dergleichen nicht nöthig hatte, so machte ich einen kleinen Abstecher nnd schlief am 26. auf dem Rigi. Seit vielen Jahren zieht die Schweiz viel tausend Menschen an. Sie kommen aus allen Wcltgegcndcn und bewundern hier Berge und Thäler, Matscher und Seen, uud gehen dauu wieder heim. Sie reden verschiedene Sprachen und verstehen doch oft kein Wort von der Sprache der Schweiz, weder von der Sprache, welche die Schweizer reden, noch vou der, welche die Schweiz selber redet. Sie bewundern die „Natur", die Bildung und Beschaffenheit der Berge und was sonst etwa zum Staube des Fußschemels gehört, oft ohne nur ein- — 3 — :ual dm Fußschemel selbst recht in's Auge zu fassen, viel weniger aber den Blick zu Dem zu erheben, der die Erde zu seinem Fußschemel gemacht hat. Und doch ist Er das bewußte oder unbewnßte Ziel der Sehnsucht eiues jedeu Menschenherzens. Ohne Ihn kommt es zu keiner Ruhe, und die große Neise- und Schaulust unsrer Tage ist oft nur eine Folge der Unruhe des Herzens, das hier und da suckt und doch nimmer findet, bis es zn Dem kommt, der allen Mühseligen und Veladenen Ruhe der Seele verheißen hat und allein geben taun, Ueber den wundervollen Wallcnsce kam ich nach Innsbruck, und dort waren wir in einer Stnnde wieder alle beisammen. Am andern Tage brachen wir von Innsbruck auf uud fuhreu über Vrixen, Botzen nnd Trient nach Verona. Es ist ein recht interessanter Weg durch dicscu Theil von Tyrol, wo, wie bekannt, das Paftstthnm eine seiner stärksten Besten hat. Die Priester scheinen sich hier besonders wohl zn fühlen und besitzen eine ganz uubestritteue Herrschaft über das Volk. Da sollte mau mciuen, müßte wohl ctwas mehr geistliches Licht und Ücben zu finden sein. Wie dicl aber hier und auderer Orten mitunter die römische Finsterniß ist, läßt sich kaum glaubcu. Ich trat früher einmal in einen alten römischen Dom ein und freute mich, auch außer den gottesdieustlichen Stunden eine Anzahl Beter darin zu finden. Aber meine Frende fiel gar sehr, als ich hörte, es seien bezahlte Beter, und den Zusammen-haug der Sache erfuhr. Iu der Ohreubeichte uämlich werdeu den Beichtenden eine Anzahl Vaterunser und ^v<; !VIin-i»/« zu betcu aufgegeben, womit sie die begangenen Sünden gleichsam gnt beten sollen. Das ist nun freilich finster genug, wiewohl bekannt. Daß aber die„Vor-uehmen" es „beschwerlich" finden, diese Gebete selbst zn verrichten, und daher arme Leute bezahlen, nm diese aufgegebenen Gebete für sie herzusagen, das war mir doch ueu, nnd ich hätte eine solche Verfinsterung des Geistes mitten in der Christenheit kaum für möglich gehalten. 1' ^ 4 - Bon Verona ist's nicht weit nach Mailand. Dort steht der größte gothische Bau in dcr Christenheit, die Kathedrale. Sie ist im Innern noch über 24,000 ^Fnß größer als dcr Kölner Dom, und über 34,000 s^Fuß größer als ^otrs-vumß in Paris. Ganz von weißem Marmor erbant, ist es ein gar glänzendes, stattliches, großartiges Gebäude, geziert mit 98 Thürmchen und mit 4,500 Statueu. Ebenso großartig, ja überwältigend ist das Innere. Vier lange Säulenreihen tragen das Dach und bilden somit 5 Hallen vou 450 Fuß Wngc uud 200 Fuß Breite. Und unter diesen gewaltigen Hallen befindet sich noch eine unterirdische Kapelle, in welcher die Gebeine des heil. Borromeo rnhen, eines heilig gesprochnen Erz-bischofs uon Mailand, -s 1584. Der Thurm ist 335 Fnß hoch und gewährt eine sehr schöne Aussicht auf die Alpen. Vou welcher Seite man auch das herrliche Bauwert betrachten, auf welchem Puukte mau stehen mag: überall ist man überrascht uud erstaunt, nnd geht höchst befriedigt von danuen. Sehr viel trägt auch das köstliche Material dazu bei, denn hier erscheinen alle Statuen iu voller Lebenskraft und wohl erhalteu, während sie z. B. am Kölner Dom gar sehr an Altersschwäche leiden, ja mauchc Heilige schon Finger, Zehen und Nasen verloren haben. Ich konnte mich lauge nicht von dem herrlichen Bau trennen und that es endlich mit der Frage: Wann werden wir solche Kirchen iu Indien haben? Aber die Zeit für dergleichen Gebäude scheint für immer dahin zu seiu. Was auch für großartige Bauteil iu uusrcr Zeit aufgeführt werden: einen Mailänder Dom zu erbauen, ist unsre Zeit uicht im Stande. Zwar au Mitteln fehlte es uicht, und auch nicht an der nöthigen Kunstfertigkeit, aber der Geist hat eine ganz andre Nichtimg genommen. Mailand hat auf über 180,000 Seeleu 80 zum Theil sehr schöne Kirchen. Da haben denn die Einwohner Raum darinnen, obwohl immer noch über 2000 auf jede Kirche kommen. Das sind aber doch übersehbare Kirchspiele. Iu mancher wohlhabenden pro- — 5 — testantischen Stadt Deutschlands würde leider kaum der zehnte Theil der Einwohner Raum in den wenigen Kirchen haben, wenn sie hineingehen wollten, und man läßt in der neueren Zeit große volkreiche Vorstädte entstehen ganz ohne Gotteshäuser und folglich ohne die Mittel, ein geruhiges und stilles Leben füyreu zu lernen in aller Gottseligkeit mid Ehrbarkeit. In einer mir sehr lieben Stadt fand ich eine Kirche, in welcher bei 30,009 Seelen eingepfarrt waren! Und während sich in den gerade dort nach allen Richtungen hin rasch angewachsenen neuen Stadttheilen ein Spiel- und Tanzhaus au das andere reihte, in denen die niedrigsten Leidenschaften des Volks erregt werden, hatte mau für die Erbauung auf dem Grunde des Heils im öffentlichen Gottesdienste nickt nur nirgends gesorgt, sondern sogar mehrere ältere Kirchen niedergerissen. Wie kann man sich dabei noch wundern, daß die Inimoralität in den Städten in furchtbarer Weise zunimmt uud das Volk immer gottloser und nnruhigcr wird! Wenn doch die, welche das in Händen haben, einsehen wollten, daß das eben nur die natürliche Frucht ihrer eigenen Aussaat ist! Unter den vielen schönen Kirchen Mailands ist auch noch die des heil. Ambrosius vorhanden, in welcher er gepredigt, die Eingriffe der listigen Arianer niedergcbetet nnd in neuen Weisen niedergesungen hat, und in welche er dem Kaiser Thcodosius den Eintritt verweigerte, bis er Buße gethan wegen des in Thessalonich veranlaßten Blutbades. Sie ist auf der Stätte und Zum Theil aus dem Material eines frühern VacchnZ-Tcmpels erbant nnd hat noch einige Neste davon auszuweisen. Mau muß aber ciuige Stufen zu ihr hinabsteigen, da die Zerstörungen, die auch Mailand betroffen, deu Boden ringsumher erhöht haben. Nur 24 Stuudeu weilte ich iu Mailand und eilte dann dem Meere zu nach der alten Dogenstadt Venedig. Das ist eine Stadt einzig in ihrer Art. Sieht's doch aus, als ob die Menschen, die sie erbauten, gar keinen Raum mehr auf Erden gefunden nns sich daher — 6 — auf dcm Meere angebaut hätteu. Das Wasser des Meeres bildet die Straßen der Stadt, schwarze Gondeln (d. h. eigenthümlich gebaute Boote) bilden die Droschken, uud schwere Barken die Frachtwagcn. Statt der Spaziergänger sieht mau hier und da Schwimmer in dcu Straßen, die mit großem Ernste zwischen den Gondeln und Barken ihre Bäder uehmeu, was auch niemandem anfznfallen scheint. Der Marknsplatz ist fast der einzige Platz, wo man ordentlich gehen kaun, und der wird denn auch treulich dazu benutzt. Jeden Abend versammelt sich hier, so zn sagen, ganz Venedig nnd ftromenirt sich müde. Ueberall stehen Tische mit Erquickungen, hier und da anch Sänger und Spieler. Das Ganze trägt die Form eines heiteren Lebens, doch freute ich mich des äußern Austandes und der Sitte um so mehr, je weuigcr ich sie hier erwartet hatte. Venedig hat viele schöne Kirchen, die eigenthümlichste darnnter ist die Marknökirche. Sie ist im orientalischen (byzantinischen) Style erbaut und mit orientalischem Reichthum verziert, aber der kirchliche Charakter tritt durchaus nicht bei ihr hervor, und mit dcm Mailänder Dom hält sie trotz ihres größern Reichthums keinerlei Vergleich aus. Auch an schönen Palästen mit wohlklingenden Namen ist kein Mangel, sie stehen aber meist leer. Es ist eine vergangene Größe. Einst war die Stadt reich uud mächtig, da ward sie stolz und hart und übermüthig, nnd so konnte ihr Fall nicht lauge ausbleiben. Ihre ganze Lage mitten auf deu Wassern — znm Theil auf sehr kleinen Inseln, zum Theil auf Pfählen erbaut — wie ihre öffentlichen und privaten Bauteu zeugen von einer großen Energie des Geistes uud der Kraft. Aber alles hat wcicheu müssen^ da der Segen von oben wich. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein", und die Städte nicht von ihrer Energie allein. Groß oder klein, bleiben wir schon noch etwas abhängig von Dcm, der da zerstreuet, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn, der die Gewaltigen vom Stuhle stößt und erhebt die Niedrigen. __ 7 ,__ Von Venedig führte uns ein interessanter Weg zur Eisenbahn nach Trieft, nnd hier stand schon unser Schiff bereit nnd nahm uns ans. 2. Bis Athen. Wenn einer den nächsten Weg von Leipzig nach Cuddalore wählen wollte, so müßte er geradeaus nach Constantinopcl gehen. Von da müßte er durch Kleinasien oder um Kleinasien herum nach Haleb, nnd von da an den Euphrat nnd ans demselben Himmler an den Rnincn Babylons vorüber nach dem persischen Meerbusen. Von da gäbe es dann nur eine ganz kurze Seereise nach Bombay, und dann ginge es zn ^ande quer durch Indien hindurch nach der östlichen Küste Indiens, ans welcher Cnddalore liegt. Das wäre der kürzeste Weg nach Cnddalorc, nnd anch wohl der interessanteste. Ihn hätte ich gern zu meiner Rückreise gewählt. Ader wiewohl der kürzeste, ist es doch nicht der gebahnteste Weg. Und dic Eisenbahn, die man von dem mitteländischen Meere nach dem Enphrat und an demselben entlang nach dem persischen Meerlinsen zn ballen gedachte, besteht zur Zeit nnr noch in Gedanken. So ist dieser Weg für jetzt noch ein sehr beschwerlicher uud gefährlicher und auch von ziemlich langer Dauer, so daß er sich in weiblicher Begleitung schwerlich machen läßt. Weil sich nnn nicht der ganze, Weg machen ließ, wollten wir doch einen Theil davon machen, und so zogen wir von Trieft geraden Weges nach Conftantinovel. Am 9. Angnst nahm uns unser Dampfer anf nnd wiegte uns an den Küsten und Inseln Dalmatiens vorüber. Wir aber meinten von der Seekrankheit hier nicht übermannt werden zn dürfen, da es ein hübsches, freundliches Meer ist. Doch kann die „Adria" schon auch recht böse werden, wie Apostelgesch. 27 beweist. Wer aber nur , — 8 — das adriatische oder überhaupt das mittelländische Meer bereist hat, der kennt das Leben Znr See nur halb. Er befindet sich gleichsam cmf classischem Boden, wo vor ihm so viele große und kleine Helden voll Lust und voll Leid geschifft sind. Wer wollte die Größen alle nennen, die von Ulysses an diese Wogen befahren haben? Auf ihnen holten sich Lykurg und Solon ihre Staatsweisheit, Pythagoras seine Philosophie, Hcrodot seine Völkerkunde, Xerxes seinen Untergang. Auf ihnen fuhr Cäsar mit seinein Glück, Paulus mit seinen Ketten, Dandolo mit seiner Macht und in seiner Nacht. Es ist als ob die Wogen redeten und alte Mähr erzählten. Die Inseln auch, sie haben alle ihre Namen, ihre Geschichte, ihr Interesse. Und wenn eine kaum vorüber oder doch dem Geistesauge kaum entschwunden ist, so ist schon eilie andere zur Haud uud unterhält den Reisenden mit ihren Erinnerungen, erfreut ihn mit ihren Formen und erquickt ihn mit ihren Früchten. Man ist zur See und doch auch zu Lande; es ist nur eine halbe Seereise. Wie so anders ist das alles auf den großen Weltmeeren. Unbekannte Wogeu find's, die der Kiel durchbricht, fie haben tciue Geschichte. Sie reden nnr durch ihr Brausen und Toben, und wenn sie schweigen, so ist dieses Schweigen oft noch schrecklicher, als das lauteste Brausen. Eine anhaltende völlige Windstille in den Tropen ist fast schrecklicher noch als der wildeste Sturm. Die Sonne ist wie ein glühendes Eisen über dem Haupte, und die See haucht unangenehme, übelriechende Dünste aus. Der Mensch auch wird faulig. Ein Sturm weckt was von guten Kräften im Menschen verborgen ist: Muth, Gottvertraucn, Gebet. Anhaltende Stille weckt nur das Böse im Menschen: Unzufriedenheit, Murreu, Zank und Zwietracht. Und eiu Glück ist's, weun sich nicht noch ein andrer Gast einstellt, der unter diesen Umständen so schrecklich ist: Mangel. „Denn nichts Frecheres giebt cs fürwahr, als quälenden Hunger, Der nur gewaltigen! Zwang stets nöthigt, scm zu gedenken," __ <) __ M Lande schon. Aber fern auf dem Meere, Hunderte von Nteilen vom Lande entfernt und bei völliger Windstille — das weiß nur, wer's erfahren. Wenn es aber anch am besten hergeht, wenn weder heftige Stürme noch langweilige Windstillen angetroffen werden, so ist doch die Reise im Ganzen eine langweilige, einsame, uninteressante. Tage lang, ja oft Wochen lang sieht man kein Schiff nah oder fern und fühlt sich völlig allein. Nichts, worauf das Ange rnhen könnte, als nur Himmel und Wasser. Auch kein Vogel ist Zn sehen, die Delphine nur und die Wallfische treiben dann und wann ihr Spiel um das Schiff her. In den südlichen Gewässern kommt auch wohl einmal ein Albatros sehr weit vom Lande her nnd begleitet das Schiff; die Matrosen sehen den stattlichen Vogel mit seinem Kreuz auf dem Nucken für ein gutes Zeichen an und todten ihn nicht, denn das winde, fürchten sie, Unglück bringen. Auch für den Schiffer selbst ist eine Fahrt auf den kleinen Gewässern nur eine halbe Seereise. Ihm genügt Compaß, Senkblei und Loglcine: denn er weiß immer ziemlich genan, wo er sich befindet, und die nächste Insel sagt es ihm wieder ganz genau. Auf dem offnen Meere ist's ganz anders. Wenn oft in mehreren Wochen kein Land gesehen worden ist, so ist's gar schwer genau zu wissen, auf welchem Punkte der Karte das Schiff sich befindet. Und doch ist das nöthig, wenn das Schiff nicht auf Klippen gerathen soll und untergehen. Darum sind hier Chronometer und Sextanten nicht .Zu entbehren und es wird eine gar künstliche Berechnung erfordert, um die Lage des Schiffes genau zu bestimmen. Es ist ein Trinmvh der Seekunst, daß nun nach selbst Monate langer Entfernung von jeglichem Lande dennoch bestimmt werden kann, an welchem Tage und auch wohl um welche Tageszeit dieses oder jenes Land zu Gesicht kommen wird. Anf nnserm kleinen Meere waren wir nach einer Fahrt von Zwei Tagen schon wieder auf dem Lande, in Korfu. Hier tritt das — 10 — - griechische Wesen schon stark hervor. Griechen und Türken gehen hier friedlich, doch wohl vepistolt nnd bedolcht^ neben einander her. Insonderheit aber zeichnen sich in der sehr bunten Bevölkerung Korfu's die Albanesen vortheilhaft aus. Ihre Tracht ist äußerst zierlich und kleidsam und besteht aus weißen, eng anliegenden, nnten gestickten Beinkleidern, einem weißen und sehr faltenreichen Rock, der bis an die 5iniec reicht, über welchen noch eine tnrze, sehr reich gestickte Jacke geworfen ist. Die Männer haben einen leichten und zierlichen Gang und sehen überhaupt sehr gewandt nnd muthig aus. Ratürlich fehlen auch ihnen Pistolen nnd Dolche nicht, womit ihre Gürtel reichlich versehen sind. Korfu mit seiner bnntcn Bevölkerung und seinem schönen Hafen^ mit seinen Bergen und Felsen nnd dein nahen Festlande Albaniens ist sehr malerisch und hübsch. Die Befestigungen des Hafens jedoch und die Citadelle, auflohen schroffen Felsen erbaut, zeigen, daß jetzt die Bewohner der Insel längst nicht mehr sagen können, wie sie einst durch den Mund Nansitaa's sagten: „— Dcr Sterbliche lebt wohl nicht, noch wird er geboren, Dcr jemals das Gebiet dcr Phäakischcn Männer beträte Feindschaft tragend im Sinn! Wir sind ja geliebt von den Göttern, Wohnen so weit entfernt, an dcr viel aufwogenden Mecrflnth Acußcrstcm Saum, uud haben mit Sterblichen teine Gemeinschaft," Denn mit bitterer „Feindschaft im Sinn" und mit tödtlichem Haß im Herzen kamen unter andcrm die Türken noch im Jahre 1716 mit 22 Kriegsschiffen und 35,000 Kriegern vor Korfu an nnd belagerten es. Sie mnßten aber nach si Wochen langem Kampfe, in welchem sie die Hälfte ihrer Macht verloren, wieder abziehen. Denn die „Phäatischen Männer" vertheidigten sich tapfer, von dem deutschen Grafen Schulenbnrg geleitet, dessen Statue, von den Venctiancrn, die damals Korfu besaßen, errichtet, anf der Esplanade steht uud noch in gutem Znstande ist. __ 11__ Am andern Tage, nachdem wir Korfu «erlassen, fnhrcn wir zwischen Cephalonia nnd Ithata hin, so daß wir beiden Inseln sehr nahe ivarcn. Unsere Blicke richteten sich unwillkürlich nnd immer wieder ans die viel kleinere der beiden Inseln, auf Ithaka. Und dvch war sie nicht die schönste. Aber was ihr danerndes Interesse giebt, das ist ihr ehemaliger Fürst, „der beharrliche Dulder Odysseus." Kein Wunder, daß er nach vicljähriger Abwesenheit seine Heimath nicht wieder erkannte. Denn er hatte inzwischen viel schönere nnd fruchtbarere Länder gesehen. Die Hcimath aber war stets wie im rosigen Lichte in seiner Erinnerung geblieben. Als cr sie nun in nackter Wirklichkeit sah und auf ihr wandelte, wußte er's nicht nnd wollte es nicht glauben, als es ihm gesagt wnrde. Doch Heimath bleibt Heimath. Nnd ob auch des rosigen Schimmers beraubt, in welchen langjährige Abwesenheit immer eine geliebte Heimath hüllt, so behält sie doch als das Land unsrer Kindheit für uns der Reize sehr viele. Audcrn mag unsre Heimath uninteressant, langweilig, unerträglich fein, uus bleibt sie immer das liebste Land auf Erden. Sehnt sich doch auch ein Grönländer nach seinen Eisbergen zurück. Stirbt doch der Indianer, wenn cr von seinen geliebten Wäldern entfernt wird. Vertauscht doch auch keiu Pescheräh seine kalten nackten Felsen und Vulkane, Steppen und Moräste mit schöneren Landern und besseren Klimaten. „Wie ein Ton von goldneu Saiten Fällt der Name ihm in's Ohr, Aller 5!andc Herrlichkeiten Iicht cr seine Flnrcn vor. Das gilt von der Heimath eines Jeden. Am 12. August landeten wir vor Syra, einer kleinen Insel in den griechischen Gewässern, uud stiegen an's Land. Wir fanden ein reges Leben in den Straßen nnd viel Handel. Das ist anch nicht zu verwundern, denn es ist die bedeutendste Handelsstadt — 12 — Griechenlands. Griechisches Leben, nicht sehr reinlich, ist hier zu Hanse. Es ist eine gesunde fruchtbare Insel, die viel gewonnen hat, seit sie den türtischen Händen entkommen ist. Aber im Innern ist Syra längst nicht so interessant, als vom Meere aus. Es hat eine gar eigenthümliche Lage, fast wie Algier,, Terassenförmig liegen die Häuser hoch übereinander, von dein Hafen an rückwärts gelehnt. Keines Baumes Schatten durchbricht das Einförmige der weißen Häuserfronten, die in ihrer terassenförmigcn Lage alle zugleich dem Auge erscheinen. Dazu überraschte uns eine Reihe Windmühlen, die statt 4 Flügeln, wie die uusrigcn, ihrer 13 hatten, die aber natürlich viel kleiner waren uud statt Fachwert kleiue Segel hatten^ in welchen sich der Wind fing nnd sie in Bewegung setzte. Wir verließen Syra am Nachmittage und waren am nächsten Morgen noch vor Tage im Pyräus, dem Hafeu Athens. Schnell stiegen wir an's Land und fuhren auf gutem Wege mit raschen Pferden, als eben die Sonne aufging, frohen Mnthes nach Athen. 3. Athen. Es war ein herrlicher Morgen, der 13. August, an welchem wir der Stadt so vieler Größe, so großeu Ruhms entgegenfuhren. Wie forschten uusre Augeu schou von fcru nach dem ersten Erscheinen der berühmten Stadt. Nud als die Akropolis immer deutlicher entgegentrat uud wir die Stadt endlich erreicht hatten, bogen wir alsbald rechtsum, ließen die Stadt in Ruhe und zogen hin zu den Ruinen vergangener Herrlichkeit. Zuerst besuchten wir den ältesten und.bestcrhaltenen Tempel Athens, den Thcscustemftel. Vierunddreißig dorische Säuleu aus — 13 — weißem Marmor tragen das Dach und die Wände stehen noch ganz. Es ist ein etwas schwerfälliges Gebäude, es steht dafür aber anch schon über 2300 Jahre und trotzt dein Zahne der Zeit. Die Athener hatten einst einen ritterlichen König, Thescns, der sie von der harten Herrschaft Kreta's befreite, dem Staate eine Verfassung gab und dem Lande viel Gutes erwies. In seiner Abwesenheit aber vergaßen die Bürger des Gnten, das er ihnen erwiesen hatte, gaben seinen Feinden Gehör nnd traten ihm, als er wiederkam, mit solchem Undank entgegen, daß er der Stadt fluchte, wieder verreiste und anf dieser Reise dnrch seine Feinde umkam. So hatten Athens Väter ihrem Wohlthäter gelohnt, ihre Kinder aber erhoben ihn zum Halbgott nnd bauten ihm diesen Tempel. Die Iudeu töotcteu die Propheten, ihre Kinder bauten ihnen Gräber. Die Heiden todten ihre Wohlthäter, ihre Kinder bauen ihnen Tempel. Ueberall derselbe Geist. Als das Christenthum gesiegt hatte, ward aus dem Theseus-tempel eine christliche Kirche, nach dem ritterlichen Georg benannt. Heut ist's keine christliche Kirche mehr, sondern eine Art Rumpelkammer, in welcher gute und schlechte Autiken — ciuzelne Arme, Beine, Füße und Köpfe, auch Rumpfe ohuc Kopf uud Glieder und was sonst — aufbewahrt werden. Anch ein Zeichen der Zeit. Griechenlands Söhne, kräftige Gestalten, exercirten vor dem Theseustempel, als wir herauskamen. Wir aber eilteu ohue Rast l>or Atropolis zu und traten ein in die Propyläen. Das war der-wist ein hohes Sänlenthor ans weißem Marmor mit fünf Durchgängen in der Mitte. Ain rechten Flügel stand ein kleiner Tempel der Siegcstempel — uud auf dein liuken ein anderes Gebäude. Die Propyläen waren also eigentlich nur ein Staatsthor ain Eingänge des Tempels, kosteten aber nicht weniger als 5 Millionen dulden. Sechs große dorische Sänlen mit Friesen sind jetzt die hervorstechendsten Reste dieses großen Werkes. — 14 ^ Durch die Propyläen hindurch gelangten wir zu dem Parthenon. Zwischen beiden stand früher die Göttin Pallas Athene aus Metall, 5)0 Fuß hoch. Die Göttin schwang eine Lanze und hielt den Schild empor als Vertheidigerin der Stadt und Burg. Meilenweit soll man sie haben sehen können vom Meere aus. Im Parthenon selbst, dem größten und schönsten Tempel, stand wieder die Göttin aus Elfenbein und Gold von Phidias gearbeitet, in ruhiger Stellung. Hinter ihr waren die Schätze des Staates nnd Landes aufbewahrt. Prächtig, großartig muß das alles ausgesehen haben, denn das be-Zcugcu noch die gewaltigen Trümmer. Aber weder die kämpfende noch die ruhende Göttin konnte die Akropolis vor Erstürmung uud Zerstörung schützen, ja sie fiel selbst der Zerstörung anheim. Znr Seite des Parthenon stehen noch schöne Neste eines andern Tempels, des Erechtheon, dessen Säulen mit besondren! Fleiße gearbeitet worden sind. Mehrere der hingefallenen hat man wieder anfgerichtet. Die Akropolis hat eine herrliche Lage. Mau hat die Stadt zu seinen Füßen, darüber hinaus hat man den Parnaß und den Pente-likon, von wo der herrliche weiße Marmor kam, ans welchem alle Bauten auf der Atropolis errichtet wurden. Zur andcru Seite hat man das Meer vor Augen mit Salamis und seinen Erinnerungen. Ungern schieden wir von der Akropolis. Unfern der Akropolis ist ein andrer Hügel, Musaion genannt, mit 4 in den Felsen gehauenen Kerkern. Das waren die Staatsgefängnisse. Einer dieser Kerker hat keinen Eingang zur Seite und ist nur von oben zugänglich. Hier soll Sokratcs seine letzten dreißig Tage verlebt und dann den Becher des Undanks getrunken haben, gefüllt mit tödtlichcm Gifte. Bon hier aus begaben wir uns auf den Areopagus. Hier giebt es-keine Ruiuen, aber die Stätte selbst hat hohes Interesse. Dann auf diesem Berge versammelten sich die zu Richtern bestellten Bürger Athens zum Gericht. Leben und Tod ward hier entschieden. Das — 15 — „Schuldig!" und „Unschuldig!" traf manchen mit Recht, manchen mit Unrecht, war aber immer entscheidend. Die Stufen sind noch sichtbar und steinerne Bänke noch vorhanden, wo einst Volk und Kläger und Verklagte saßen. Hier stand auch der Apostel Panlus, die Stadt vor seinen Augen, die gewaltigen Tempel zu seiner Rechten nnd verkündigte den verwunderten Athenern, die sich so viel auf ihre kunstvollen Götzen einbildeten, den Gott, der nicht mit Händen gemacht ist, dessen auch nicht mit Menschenhänden gepflegt wird nnd der nicht in stolzen Tempeln wohnt. Das ging noch so hin. Als er ihnen aber Den verkündigte, an welchem sich scheiden aller Menschen Herzen, sich auf 'ihn erbaueu oder an ilM zerschellen: da fingen grobe Athener an zu spotten, feine Athener entschuldigten sich mit ungelegener Zeit, aber heilsbcdnrftige Athener fielen ihm zu, gabeu Gott die Ehre und den todten Götzen Abschied. — Nun erst zogen wir in die Stadt und snchtcn uus eine Herberge, denn der ^eib verlangte nach seiner Nothdurft. Aber uicht lange, so zog es uns wieder hinaus, die Stadt näher zu betrachten. An mehreren Orten wurden interessante Marmor-trümmcr ausgegraben, die tief unter dem Schntt nnd den Fundamenten der jetzigen Häuser begraben lagen. Uebrigeus steht die Stadt nur zur Hälfte auf dem Boden der alten Stadt und hat an sich nicht viel Auszeichnendes. Anf einem schönen Platze vor der Stadt fanden wir die colossalen Reste des Jupiter-Tempels, schon im Jahre 53l) vor Christo begonnen, aber erst nnter dem Kaiser Hadrian vollendet. Korinthische Sanlen von l>0 Fuß Länge und über l) Fuß im Dnrchmesser liegen umher, 16 davon stehen noch und zeigen, welch einen Effect dieses colossale Gebände in seinem Glänze gehabt haben mnß. Um diese Tempelreste promeuiren Athens Kinder gern nnd staunen die Werke ihrer Väter an. Es ist auch ein schöner Platz, dem königlichen Schloß nud der Akropolis nahe. — 16 — Auf einer Seite der letztern ward gerade Schutt in ungeheuren Massen weggeräumt und es kam tief unten ein großes halbmondförmiges Theater zum Vorschein, dessen Sitze noch wohl erhalten waren. Hier und da stand auch ein besonders fein gearbeiteter Stuhl von weißen: Marmor, wahrscheinlich den ehemaligen Großen der Stadt angehörig. Von hier aus zogen wir noch einmal anf dm Areopagus und dann auf den Pnyx, den Vcrsammlnngsort der Bürger, wo die Fragen über Krieg und Frieden besprochen und die bedeutendsten Reden gehalten wurden. Es war ein reiches, etwas anstrengendes Tagewerk, das wir in Athen hatten, denn noch vor Abend mußten wir schon wieder aufbrechen und dein Hafen wieder zueilen, ^ange noch nnd oft blickten wir auf die Akropolis zurück, bis sie nnsern Blicken verschwand und wir den großen Steinblöcken entlang, die einst Themistokles zu einer Mauer aufführen ließ, um so den Hafen mit Athen zn verbinden, dem Pircius zufuhren. Hier fanden wir noch Zeit nach Salamis überzuschiffen und die Gräber zu beseheu, deren cius für das des Themistokles ausgegeben wird. Wohl keine Stadt hat mehr große Männer gehabt, als Athen und wohl keine hat ihre besten Staatsdicncr so schlecht (meist mit Verbannung) gelohnt, wie Athen. Frieden wohnte nie viel in ihren Mauern nnd Einigkeit haben die Bürger wohl nie gekannt. Trotz der weisesten Staatsmänner glich Athen fast immer einem wogenden Meere. Und trotz der weisesten Redner blieb es thöricht bis es unterging. Athen giebt viel zu bewundern und viel zu lernen. Unter anderm auch dies: Wenn der HErr nicht die Stadt behütet, So wachen die Wächter umsonst. Wenn der HErr nicht das Haus banct, So arbeiten umsonst, die daran bancn. 4. Nach Conftantinopel. Als die Sonne sank, lichteten wir die Anker und fuhren aus dem Hafen hinaus in das inselrciche Meer hinein. Nir fuhren zwischen Enböa und Andros hindurch, kamen des Zweiten Tages au ^emnoö und Iiubros vorüber und steuerten dein Hellespont entgegen. Wie waren Aller Blicke auf die nahenden Ufer gerichtet. Das Schlachtfeld von Troja lag vor uusercu Augen. Bald gewahrten wir einen runden Hügel — Ajax Grad. Nicht weit davon sahen wir einen zweiten runden Hügel — Achilles Grab, und über dem wasserleeren Flußbette stand der dritte Hügel — Patroclus Grab. Nahe und doch in einiger Entfernung ruhen — so mcntt man — hier die Frcuude uud Helden so großer Thaten seit drei Tausend Jahren, jeder wie in einer eignen Burg verschlossen. Bald waren wir Zwischen den Schlössern der Dardanellen, die von dem Erzfeinde der Christenheit erbaut, mit ihren Kanonen unwillkommene Schiffe in ein Kreuzfeuer nehmen nnd einst so fürchterlich waren. Ich konnte mir aber nicht verhalten, daß sie zur Zeit oes Schrecklichen gar viel verloren haben. Einem Segelschiff werden sie immer noch gefährlich genug sein, ein gut geführtes Dampfschiff "bcr hat sich vor den schlecht besorgten Kanonen schwerlich sehr zu fürchten. Möchten diese Schlösser, gegen die christlichen Mächte erbaut und gegen sie erhalten, bald ganz verfallen und der Halbmond von ihnen verschwinden für immer! Europas uud Asiens Ufer tamen sich hier oft sehr nahe und beide sind sehr interessant. Doch ist das europäische Ufer viel besser bebaut und die Ortschafteu bedeutender und schöner. Zur linken Hand Europa, zur rechten Asien, fuhren wir dahin. Die Sonne sank, schön beleuchtete das Abcudroth die Ufer Europas uud ließ sie — wie zum Abschied — im rosigen Lichte erscheinen. Tiefe 17 — 18 — Schatten, finstere Nacht lagerte zur selben Zeit auf Asiens Ufern. Der Kontrast war auffallend. Hätte ein Künstler Europa und Asien malen wollen, er hätte es nicht besser thun können. Das Licht von oben leuchtet noch auf Europa, aber es ist im Scheiden begriffen, und Asien, einst so hell erleuchtet, liegt schon im Dunkeln und die schwarze Nacht bricht tiefer herein. Wie hätte ich den Seufzer unterdrücken können, daß Europas Licht bleiben und Asiens Licht wiederkommen möchte: das Eine wahrhaftige Licht, das alle Menschen erleuchtet, die die Finsterniß nicht mehr lieben denn das Licht. Es war volle Nacht, als wir in das Meer von Marmara einfuhren. Wir fürchteten sehr,' noch vor Tagesanbruch am Ziel der Reise zu sein und somit viel von der köstlichen Aussicht Zu verlieren. Aber so oft ich des Nachts hinausschaute, waren nur Mcercswogcn und noch kein Land zu sehen. Gegen 8 Uhr aber am 16. August traten zuerst Europas und dann auch Asiens Gelände wieder vor unsere spähenden Blicke. Bald aber richteten sich aller Augen nach einem Punkte, das war die Stadt selbst, Constantinopcl. Wie Rom, auf sieben Hügeln erbaut, tritt dem Ankommenden bald der eine, bald der andre derselben näher und höher hervor und die Menge der prächtigen Kuppeln scheint mit den Wogen des Meeres zu steigen und zu sinken. Unter ihnen snchtc mein Blick von fern nach der einzig herrlichen — jetzt schon längst in die Hauptmoschee der Stadt verwandelten — Sophienkirche nnd befriedigte sich nicht eher, als bis er auf derselben ausruhte. Niemaud darf sie einem zeigen, man erkennt die megesehcne sobald man sie sieht. Ihre ungeheure Kuppel von 115 Fuß Durchmesser ist nur einmal vorhanden. Wer den Anblick beschreiben wollte, der sich vor Coustantinopel dem Auge darbietet, dem würde es gehen, wie einem, der die Herrlichkeit der Raphael'schen Madonna beschreiben will. Die Worte fallen kraftlos zu Boden; es mnsi gesehen werden. Der Blick wird __ lg __ trunken und die ganze Seele geht im Schauen auf. Und wenn sich der Dampfer am Senn wendet und Skutari, der Bosporus, Pera, das goldnc Horn und Stambul Zugleich dem Blicke entgegentreten und jedes den Fremdling ganz für fich fesseln möchte — da ist, wen die Erde noch entzücken kann, entzückt. Wir wandten uns um das Serai rings herum, zogen ein in das goldne Horn, mitten in den bunten Wald der Masten von Seglern und Dampfern und warfen Anker vor Pera. Ein Boot nahm uns auf und brachte uns an das Ufer sammt unserm Gepäck. Letzteres wurde von den mächtigen, ehrlichen Kofferträgern Coustantinopels, die wie kein andrer Mensch Lasten tragen tonnen, auf ihre breiten Rücken genommen und nun ging der Zug vorwärts durch das Gedränge hindurch, eine lrumme, schmutzige, steile Straße hinauf, mit einem Steinpflaster, das noch von Constantin herzurühren schien. Wir meinten, das sei die schlechteste Straße in dieser schönen Stadt und erfuhren doch bald, daß es die Hauptstraße war und die einzige, die uns von: Meere aus an einen Ort leiblicher Ruhe führte. 5. Constantinopcl. Von allen Städten, die ich iu vier Weltthcilcn gesehen habe, gebe ich die Paline unbedenklich dieser Stadt. Keine hält einen Vergleich mit ihr aus, auch nur annähernd nicht. Ich meine aber nicht die Häuser und Straßen der Stadt. Erstere haben nichts besondres und letztere könnten viel schlechter kaum sein. Wenn die lästigen Hunde uud Raubvögel nicht waren, so würden böse Senchen kaum aufhören. Denn die Türken werfen jeden Unrath des Hauses auf die Straße, und die Christen machen es ihnen nach. Im Hause hat der Türke es gern reinlich, ja glanzvoll uud prächtig, aber außer 2* — 20 ^ dem Hause und auch an den Zugängen desselben mag es sein wie es will, er bleibt in seiner Mhe. Wenn nun die Hunde nicht den hinausgeworfenen Unrath auffräßen, die Raubvögel ihn wegtrügen und der Regen die bergigen Straßen abwüsche — wer könnte es ans-haltm. Die constantinov Manischen Hunde sind eine böse Raye, aber sie sind gar nothwendige Uebel. Sie entstehen, leben und vergehen auf der Straße. Alt und jung laufen sie umher. Gefallenes Vieh wird natürlich ebenso wenig weggeschafft als andrer Unrath, denn die vielen Raubthiere thnn dies Amt unbezahlt. Sahen wir doch vor den Fenstern des herrlichen neuen Palastes, den der Sultan bewohnt, ein todtes Pferd im Bosporus liegen in schon halb verwestem Zustande. Winde oder Wogenschlag, die es gebracht hatten, mochten es auch wieder fortführen, was sollte der Türke sich darum kümmern? Wer in den Straßen der Stadt fahren will, muß gute Rippen haben. Es thut es auch fast Niemand, als wer es aus Standesrücksichten thun zu müssen meint. Nnr einmal versuchte ich es und that es nicht wieder. Und aufrichtig bedauerte ich die italienischen Prinzen, die auch grade in Constantinopel waren, und die der Sultan in seinem Wagen mit Gefolge mnherfahrcn ließ. Sie werden etwas davon zu erzählen gewußt haben, als sie wieder auf den geraden Straßen Turins fuhren. Also nicht durch die Häuser und nicht durch die Straßen, noch durch das, was die Straßen füllt, ist Constantinopcl so über allen Vergleich herrlich, sondern durch seine Lage. Die ist einzig in der Welt und die Erde hat eine gleiche nirgends. Aus den Fenstern unserer Wohnung genossen wir jeden Morgen das herrlichste Panorama, das sich nnr erdenken läßt. Das golone Horn mit Tausenden von Masten großer und kleiner Schiffe, zu nnscrn Füßen Stambul mit dem Serai, seinen zahllosen Kuppeln, mit der unvergeßlichen Aja Sophia (Sophientirche), gleich daran Skutari mit seinem ungeheuren Cypresscn-Walde voller Leichensteine, die Prinzeninsel in ihrer — 21 — herrlichen Gruvpirung, Chalcedonia, die älteste Niederlassung in dieser Gegend, und Asiens ferne Gebirge mit dem Olymp im Hintergrunde — das alles lag mit einem Male offen vor nnsern Augen. Und das alles in der herrlichsten Beleuchtung und in der nie ermüdenden Abwechselung von Berg und Thal, von Land und Meer, von Europa und Asieu! Wo hätte die Erde noch einmal so viel Herrlichkeit auf einem Punkte zusammeugedräugt? Auch das Klima ist das beste, das die Erde hat. Die Hitze ist durch die Seeluft gemildert, also daß man den ganzen Tag recht wohl draußen sein kann. Und die Erde trägt Brod und Wein mit den herrlichstell Früchten. Weintrauben hat man hier zehn Monate lang im Jahre und bessere giebt es nirgends. Möchten doch die Bewohner dieses so reich gesegneten Landes den Geber so vieler guten Gaben erkennen und ihn im Geist uud in der Wahrheit anbeten! Unser erster Gang war, Pera und Galata genauer zu besehen. Auf dem Rückwege nahmen wir eine Erfrischung ein und erhielten statt der Scheidemünze ein Stückchen besiegeltes Papier, das der Restaurant sich selbst zur Münze gestempelt hatte, und das daher natürlich auch uur bei ihm Geltuug hatte. Die Geldvcrhältnisse der Türken sind überhaupt bodenlos, wie vieles andre auch. Täglich zweimal steigt und fällt der Werth des Geldes, und die Zeitungen theilen es jedosmal mit, wie viel z. B. die Napolcone oder die Pfunde Sterling des Morgens und wie viel sie des Abends gelten. Früh gilt eines derselben vielleicht 100 Piaster, Abends gilt es nur noch W Piaster oder auch 105. So ist der Fremde ganz iu deu Häudeu der Wechsler, uud wer es mit Banquiers zu thun hat, kommt ungerupft nicht fort. Unsre Napoleoue waren, als wir Cmlstantinopcl verließeu, über 10 Piaster weniger werth, als da wir hinkamen. Des andern Tages war Souutag und wir wohuteu einem euglischen Gottesdienste bei. Es wird in Constantinopcl auch iu der deutschen, französischen, spanischen ^ griechischen, armemschcu, — 22 — hebräischen und türkischen Sprache evangelischer Gottesdienst gehalten. Aber es scheint, der beschauliche Orientale weiß sich an leeren Ceremonien besser und an trocknen Predigten schlechter zu erbauen, als der Abendländer. Die tanzenden Derwische haben ihr Bestes auch am Sonntage, nicht wie die übrigen Muhannncdaner am Freitage. Ihr Tanz aber ist ziemlich ernster Natur. Der kränkliche Priester las mit großem Ernste die Gebete. Darauf legten die Männer ihre Mäntel ab, behielten aber ihre hohen Derwisch-Hüte auf, verneigten sich tief vor ihrem Priester nnd begannen dann langsam mit ausgebreiteten Armen den Tanz. Ihre weiten Röcke, Weiberröcken ähulich, beschrieben unten einen weiten Kreis. Ihre ausgebreiteten Arme bildeten bei schneller Bewegung oben einen andern. Sie kamen einander oft sehr nahe, doch berührten sie sich nie, was mich nm so mehr wunderte, als sie ihre Köpfe hinten über warfen und die Blicke in die Höhe, so daß sie auf einander nicht Acht haben tonnten. Auf dem Chore spielte eine einzelne Flöte und saug eine einzelne Stimme ziemlich wehmüthige Töne. Das ging so eine lange Weile fort. Dann verstummte die Musik, die Tauzcndcu stieße» ein sehr langgcdcHutes Oh! aus und standen darauf still. Der Priester las wieder sehr ruhig ein Gebet, und ein jeder ging also heim, weiß nicht, ob viel gebessert. Sie scheinen eine Geheimlehre unter,sich zu haben, die ihren Ursprung nicht im Muhammcdanismus sondern im Heiden-thum hat. Und ihr Tanz ist vielleicht nichts, als ciue Nachahmung — sinnbildliche Darstellung — des Kreislaufs der Sphäreu. Im innersten Grunde scheiuen sie Pantheisten zu fein. Viel ungeschlachter als sie waren die heulenden Derwische, die ihr Wesen auf der asiatischen Seite in Skutari trieben. Ihr greiser Priester hatte zwar ein ganz ehrwürdiges Ansehen, um so mehr wunderte ich mich, daß er solchen Tollheiten vorstehen konnte. Der Anfang geschah damit, daß sich die Männer, nicht in einerlei — 23 — Tracht wie die tanzenden Derwische, sondern in allerlei Trachten, auf den Boden setzten nnd anfingen zn fingen. Das dauerte lang und war langweilig. Sie standen dann auf, legten ihr Oberklcid ab, stellten sich in einer Reihe Schulter au Schulter auf und begannen dann mit den Füßen zu stampfen und den Oberkörper, nach vorn und hinten zn werfen, so weit als es ihnen möglich war. Ihr Monotoner Gesang „La-i-la-il-la-lah" ^- es ist kein Gott als Gott, ward bald zum eigentlichen Geheul, in welchem man nur noch die einzelnen Töne il-lah heraushören konnte, und bald auch das nicht mehr. Das dauerte wieder sehr lang und ward je länger je unheimlicher. Jeden Augenblick meinte ich, es müßte einer zu Boden stürzen. Das thaten sie aber nicht, sondern sie standen endlich alle still, worauf der Alte wieder sehr ruhig ein Gebet hcrlas, und nun trat eine Pause ein. Wir meinten, es sei der Narrhcit nun genug und gingen fort. Aber wir hörten, es habe noch einmal angefangen. Die Wand, an welcher der Alte saß, ist mit sehr vielen und gar sonderbaren Marter- und Mordwerkzcngen behängen. Von diesen reichte der Alte den Fanatikern, was sie wollten. Darauf schlugen und stachen sie sich damit nach Herzenslust. Die war jedoch nicht sehr groß, soll aber zuweilen größer sein. Sobald etwas Blut tain, ließen sie nach. Der Alte benetzte seinen Finger, legte ihn auf die blutende Stelle, murmelte unverständliche Worte dazu, und der Schaden war wieder heil. Das war denn das Ende. Was wir am meisten zn sehen begehrten, die Aja Sophia, das konnten wir nicht so ohne weiteres haben. Wir mußten uns erst einen Ferman verschaffen, ehe wir Eintritt erlangen konnten. Denn obwohl die übrigen Moscheen dem Fremdling ohne Mühe zugänglich Nnd, läßt man doch die den Christen geraubte Aja Sophia nur ungern und gezwungen von ihnen betreten. Und noch vor wenig Iah-5en würde es dem Christen seinen Kopf gekostet haben, der es gewagt hatte, hineinzugehen. Der Ferman des Sultan gilt dann aber — 24 — nicht für die Sophia allein, sondern auch für das Serai mit, und was sonst noch Zu sehen ist. Ein türkischer Beamter schließt sich dann dem Zuge an und verschafft dem Fcrman den gebührenden Respect. Wir gingen zuerst in's Serai der Sultane. Da aver die Turiner Prinzen auch umhergeführt wurden, so schlössen wir uns Anfangs ihrer Suite an und bekamen somit auch da Zutritt, wo gewöhnlichen Reisenden sonst keiner gestattet wird. Der Herrlichkeiten im orientalischen Styl gab es genug; wer wollte sie aufzählen. Mich interessirtc besonders der Thronsaal, die Rüstkammer, die vielen Größen von den Ianitschaarcu, Eunuchen, Ministern, Paschas :c., die hier in ihren außerordentlichen Trachten uuo Ge-sichtsausdrückeu lebensgroß dastanden, mehrere Säle voll. Ich wuudcrte mich, unter dieser hohen Gesellschaft auch den Meister der Köche in gar sonderbarer Tracht zu finden. Aber so ein Küchenmeister hatte schon seine Bedeutung, denn ihm war ein ziemliches Heer von Feuerkönigen untergeben, d?e für den Hallsstand des Sultans kochen mußten. Der Hausstand umfaßte uämlich auch die Minister, Pagen, Diener, die vielen Frauen, Eunuchen, Sclavinnen:c. So brauchten denn die Sultane Zu ihrem täglichen Brot nicht weniger als täglich 100 Ochsen, 200 Schafe, 100 Lämmer, 10 Kälber, 600 Hühner, 100 Paar Tauben, 50 Gänse :c. Sie selbst aber, die Sultane, genossen nichts von den „Freuden des Mahles", sondern aßen ihre Portion ganz allein und einsam. Auch der jetzige Sultan ißt noch für sich allein, wiewohl er nicht mehr im Serai wohnt, sondern in dem wunderschönen neuen Palast am europäischen Ufer des Bosporus, .von seinem Vater und Bruder erbaut. Das alte Serai der Sultane bildet eine Stadt für sich und soll so groß sein, wie Wien ohne Vorstädte. Es ist mit einer Mauer umgeben und umschließt viele freie Plätze und Gärten, in welchen die verschiedenen Paläste ziemlich ordnungstos umherliegen. Aus dieser Erdeuherrlichkeit, die auch jene Fontaiue mit um- — 25 - schließt, an welcher die Sultane den mißliebigen Paschas die Köpfe absäbeln ließen, gingen wir in eine andere höhern Styls, die aber einen gar wehmüthigen Eindruck macht. Es ist die Aja Sophia. „Ich hab' dich überwunden, Salomo!" rief der Kaiser Justinian, als er zu ihrer Einweihung in diese wundervolle Kirche trat. Was die bekannte Welt an Herrlichkeiten hatte, ward herbei geschafft, um diesen Bau zu zieren. So mußte der Sonncntempel zu Baalbeck seine schönsten 8 Porphyrsäulen hergeben, der Dianeutempel zn Ephesus eben so viel schöne grüne Serpentinsänlcn, nnd der Tempel der Pallas zn Athen Säulen von weißem Marmor. Die Thüren waren theils Elfenbein, theils Bernstein, theils Cedcrnholz, das Hauptthor aber war von vergoldetem Silber. Zn'r Altarplatte hatte die Erde nichts köstlich genug, gediegenes Gold war zu gering. So zerschlug inan Perlen, mischte sie mit Gold und goß daraus die Altarplatte. Die heiligen Geräthschaftm und hohen Kreuze von gediegenem Golde und voller Edelsteine waren in Menge vorhanden, und die Wände und der ungeheure Dom war von köstlicher Mosaik bedeckt, wovon Reste noch vorhanden sind. Dieser großartige Bau ward 7 '/^ Jahr lang vorbereitet und dann in 8 ^ Jahren vollendet, so daß er im Ganzen Itt Jahr dauerte; das ist mehr als das Doppelte von Salomo's Tempelbau. Der Reichthum aber mag hier wohl noch größer gewesen sein. Der Schmuck an Gold und Silber ist nun freilich längst verschwunden, aber auch ohne allen Schmuck ist das Gebäude gar köstlich und großartig. Immer wieder dichtet sich der Blick znr riesigen Kuppel hinauf, die einen Durchmesser von 115 Fuß hat wie sonst keine auf Erdey. Auch mag es wohl die älteste der jetzt stehenden christlichen Kirchen sein; denn über 1300 Jahre steht sie nun da und es ist als ob ein jeder Ziegel w der gewaltigen Kuppel ein Prophet wäre. Denn ein jeder trägt die Inschrift: „Gott hat sie gegründet und sie wird nicht erschüttert werden. Gott wird ihr beistchen im Morgen- — 26 — roth'" Möchte auch der letzte Satz prophetisch sein und das selige Morgenroth des Evangeliums wieder über ihr aufgehen, also daß der Halbmond sich schämen muß und verbleichen; und stürzen auch der Halbmond, der jetzt in ungeheurer Größe die Kuppel schändet, die einst das Kreuz zierte! Aber wie der Tempel Salomos, so ist auch dieses schönste Gotteshaus im. ganzen Orient selbst von Christen gar oft schändlich entweiht worden, bis zuletzt der wüthende Eroberer Muhammed zu Pferde hineinritt, das goldnc Kreuz vom Altar entfernte uuo sie zur Moschee entweihte. Wie im Tempel zu Jerusalem, so suchte auch hier das Volk die letzte Zuflucht in diesen Räumen und schrie gen Himmel, ein Wunder erwartend, bis sie von den Türken theils getödtct, theils in die Sclaverei verkauft wurden. Denn wie von Israel, so galt auch von diesem Geschlecht das Wort des HErrn durch den Mund des Propheten Amos geredet: „Thue uur weg von mir das Geplärr deiner bieder; denn ich mag dein Psalterspicl nicht hören. Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag nicht riechen in eure Versammlungen. Mich verdricst die Hoffarth Jakobs und bin ihren Palästen grant, und ich will auch die Stadt übergeben mit Allem, was darinnen ist." Als ich zum zweitenmale in diesen Räumen wandelte, saßen am Boden hin nnd her in einiger Entfernung von einander wohl über W Ncligionslchrer, deren ein jeder eine Anzahl Schüler um sich her sitzen oder liegen hatte, die seiner Weisheit lauschten, manche auch wohl mit schlummernden Augenlidern. Die Lehrer der Weisheit trugen alle^sehr laut vor nnd manche schienen in großen: Eifer zu sein, störten aber gleichwohl einander nicht, wegen der Größe dieses schönen Baues. Wir durften diesmal mir kurze Zeit darinnen weilen, kanm stehen bleiben, denn der Fanatismus ist hier sehr groß. Wir gingen jedoch alle Räume noch einmal dnrch, und wenn ich beim ersten Besuch nicht scheiden konnte, ohne ein flehendes Vater- — 27 — Unser zu beten, so tonnte ich diesmal die Mauern der Aja Sophia nicht verlassen, bis ich, wenn auch fern vom Triumphgcfühl, so doch Mit christlichem Trotze das apostolische Glaubensbekenntniß gebetet hatte, mich der Hoffnung hingebend, daß noch ehe diese Kuppel sinkt, der Halbmond von ihr stürzen und das Kreuz noch einmal auf derselben erglänzen wird. Wir besnchten hieranf einige der größten Moscheen türkischer Bauart und fanden in einer jeden nnr eine bessere oder schlechtere Nachahmung der Aja Sophia. An ihnen gehen wir schweigend vorüber, ebenso an den sonstigen Herrlichkeiten nnd Bauten, die an die alte und älteste Zeit erinnern, und machen nnr noch einen Gang hm um die Stadtmauern von Constautiuopel. Wir fuhren auf einem Koit ^ähnlich der Venetianischen Gondel, doch unbedeckt) bis zu dem „Schloß der sieben Thürme", von den Wogen des Marmara-Meeres bespült. Hier stiegen wir ans und gingen den traurigen Weg zu Fuße. Gewaltige Mauern mit Schlingpflanzen bewachsen nnd von einem gar düstern Aussehen traten uns Mrst entgegen. Das ist das Schloß der sieben Thürme. Den Blutbrunnen in der Mitte, der die Köpfe der Hingerichteten aufnahm, haben diese Mancrn die Stimme des Scufzcns erstickt nnd die Stimme der Freude wohl nie gehört. Wir wandelten weiter von emem Thore zum andern, an der gewaltigen, sckönen, einst so mächtigen Stadtmauer dahin, einen großen Cypressenhain voller Gräber zur Anken. Hier ist ein rechtes Erntefeld des Todes, denn hier floß von Jahrhundert zn Jahrhundert in 29 Belagerungen der Stadt das Blut vteler Tausende oon wilden heidnischen Horden, von Kriegern, die sich Christen nannten, und von nach Christenblut lechzeudeu Horden des Mscheu Propheten. Am Kanonenthore standen wir still und traner-lw; denn hier fiel Constantin, der letzte der christlichen Kaiser. Vor ^esem Thore stand die größte Kanone, der die Geschichte gedenkt, und schleuderte 12 Centner schwere Kngeln gegen die feste Mauer, bis — 28 — sie in ihren Grundvesten wankte. Diese Kanone goß ein schändlicher Christ, ein Ungar, und obwohl er seinen verdienten ^ohn erhielt und von ihr zerschmettert wurde, so war doch ein andrer Ungar, der auch den Namen Christi schändete — der Ungarische Gesandte — so blind, Gottes Gericht darin nicht zu sehen, nnd so gottlos, die ungeschickten Türken dieses Mordinstrumeut Zum Verderben der Christen besser gebrauchen zu lehren. Nachdem eine Bresche geschossen war und 250,000 Türken die Stadt von allen Seiten stürmten, trat der Kaiser, durch das heilige Abendmahl in der Aja Sophia gestärkt uud mit seinen Brüdern versöhnt, mit seiner kleineu Macht von unr 8000 Mann vor die Bresche und erlitt nach hartem Kampfe den Heldentod. Mit ihm sank das Kreuz im Orient in den Staub und ward begraben in dem Blute und in den Leichen der Christen, und der düstere Halbmond erhob sich und erstarrte den schönsten Theil der bewohnten Crde. Mit ihm fiel Constantinopcl am 29. Mai 1453 in die Hände der Erzfeinde der Christenheit. Wenn aber die Männer der Stadt, die nach der Eroberung derselben elendiglich hingemordet oder zu Sclaven verkauft wurden, sich mir irgend gewehrt hätten, so wäre Constantinopel nicht gefallen. Sie wehrten sich aber nicht, weil sie nicht einmüthig waren. Und sie waren nicht einmüthig, weil auch der letzte Kaiser noch mit Unionsedicten die Gewissen der Unterthanen verwirrte, beschwerte nnd veruneinigte. Wir gingen traurig weiter an der Stadtmauer entlang, kamen ernst gestimmt nnd müde herab zum goldnen Horn, bestiegen ein Koik und kehrten in unsre Herberge zurück. Am Ende des goldnen Horns (d. i. der Hafen von Constantinopel) sind die „süßen Wasser Europas", wo sich der Sultan so eben ein Kiosk (Lustschloß) bauen ließ. Hier versammelt sich gern die Europäerwelt, um eine ländliche Stille und Abwechselung zu haben von dein bunten Gewühl der Hauptstadt. Als wir mit dem Bote - 29 ^ ankamen, schallte ein Greis in Europäer Tracht mit weißem Barte am Ufer von fern zn. Und als wir uns ihm näherten, frug er in etwas ausländischem Dcntsch, ob wir deutsch sprächen. Es war aber kein Deutscher, sondern ein verbannter Pole, der 1830 in Warschau gekämpft und 1831 von dort geflohen war. Hier nun scheint er seine Tage beschließen zu wollen, täglich an seiue Heimath denkend, wie er sagte. — Der Kampf um die rechte Freiheit trägt auch wohl Wunden ein, aber zum Verbannten macht er nie. Er führt dagegen in eine Heimath ein, die nicht von Grabcshügeln begränzt wird. Die „süßen Wasser Asiens" sind auf der asiatischen Seite des Bosporus, wo ein Fluß in diesen mündet und der Sultan einen schr schönen Palast hat. Hier versammelt sich jeden Freitag die asiatische vornehme Welt Constantinopcls. Auch der Sultan ist oft dort. Doch wird äußerlich schr wenig Pflege auf den Ort verwandt. Eines Freitags gingen wir, den Sultan zu sehen, als er aus seinem Palast herauskam, sein Pferd bestieg und zur Moschee ritt. Die Großen seines Reiches standen in beträchtlicher Zahl vor seinem Palast und harrten sein, um ihn zu begleiten. Unter ihnen war auch Zadik Pascha, d. h. Ezaykowski, der einstige Sccrctair des Fürsten Czartoryiski (bekannt aus der polnischen Revolution von 1831). ^m nicht an Rußland ausgeliefert und nach Sibirien gesandt zu Werden, snchte er Zuflucht beim falschen Propheten. An Erden-Herrlichkeit scheint es ihm nicht zu fehlen, doch wie mag es wohl in seiner Seele aussehen? Sefer Pascha dagegen, o. h. Koscielski, ist General in Constantinopel und Christ. Das ist wohl der erste und einzige christliche Pascha im Reiche des falschen Propheten. Von lhm hörte ich nur Gntcs. Der Sultan kam zur bestimmten Minute, erwiderte den Gruß seiner Großen, bestieg sein Pferd und ritt langsam die Straße entlang. Er ist ^nc einfache, noble Erscheinung mit edlem Gesicht, sah — 30 — aber etwas verlegen aus. Ein Ständchen, das ihm beim Besteigen des Pferdes in's Auge gekommen war, und das er sich vergeblich bemühte herauszukriegen, mochte mit Schuld daran sein. Wenn es aber wahr ist, daß die Asche der drei Tausend verbrannten Christen-Häuser, deren Numen ich uachher in Damaskus sah, und das Blut voll mehr denn zehn Tauseud ermordeten Christen in Damaskus und auf dem Libanon an seinen Fingern klebt, wozu allerdings sehr viel Schein vorhanden ist, so mag er wohl verlegen aussehen. Womit will er doch seine Seele von diesem Blute rein waschen? All einem andern Tage sahen wir uns den Aquaduct (Wasserleitung) an, der zur Zeit der christlichen Kaiser erbaut wurde, um die Stadt mit gutem Wasser zu versorgen, jetzt aber eine Ruine ist. Ein pensionirter türkischer Officier sah uns, lud uns freundlich in sein Haus und versprach lins zn zeigen, was wir zu sehen wünschten. Wir nahmen seine Einladung an und traten ein. Er wicß uns nun nach einer Ecke des obern Aquaducts hin, wo wir jedoch nichts besonderes sahen, und machte sehr viel türtische Worte, von welchen wir jedoch auch nicht eins verstanden. Darauf setzten wir uns denn, und auf seinen Wink brachte eine Sclaviu eine lange Türkenpfeife und präsentirte sie den Damen. Da diese sie natürlich abwiesen, ward sie mir gereicht. Ich meinte den Mann nicht beleidigen zu dürfen und nahm sie an. So rauchte ich denn nach mehr als zwanzig Jahren auch wieder eine Pfeife. Bald kam auch der Kaffee, der bei keinem türkischen Besuch fehleu darf, und nun suchten wir uns zu verständigen. Unser Dragomann, ein Grieche, dollmctschte des Türken Erzählung französisch, und so fanden wir denn heraus, daß der Türke uns folgendes erzählt hatte: Kaiser Constantm pflegte auf diesem Aquaduct spazieren Zu fahren. Er ist oben breit genug dazu, und der Kaiser hatte einen eignen Wagen, auf welchem er täglich mit dem Kutscher ganz allein oben fahrend erblickt wurde. So konnte er alles sehni, was in der Stadt vorging. Nuu erkauften — 31 — aber seine Feinde seinen Kutscher dazn, den Kaiser sammt Wagen und Pferden von oben herabzustürzen, während er, der Kutscher, selbst sich retten und vorgeben solle, das sei von ungefähr geschehen. Aber die Freunde des Kaisers erhielten davon Kunde und theilten es ihm mit. So fuhr er uun mit dem vcrrätherischen Kutscher wie gewöhnlich aus, war aber auf seiner Hut. Und als der Bösewicht feinen Schurkenstreich ausführeu wollte, sprang der Kaiser vom Wagen, worüber der Kutscher so erschrak, daß er mit dem Wagm hinuutcrstürzte und umkam. Der Kaiser aber ließ dann an dieser Stelle einen Stein mit der Inschrift cinmaueru: „Vertraue dein ^cben nie einem Diener an!" Und diesen Stem eben habe er uns gezeigt. Wir ließen den guten Türten natürlich bei dem Glauben an die Wahrheit dieser Erzählung. Seine Freundlichkeit ging so weit, daß er uns sein ganzes Haus und semen Garten Zeigte und uns beim Weggehen das Versprechen abnahm, nach einigen Tagen seine Tischgäste zu sein, was sich aber später zerschlug. In unserm Gasthaus hatte ich einen Besuch von Oi'. Schaufler, den nachher auch ich in seiner Wohnung am Bosporus besuchte. Dr. Schaufler ist einer der ältesten Missionare in Constantmypcl und hat seit 30 Jahren manche Veränderuug dort erlebt. Wiewohl ein Süddeutscher von Geburt, hat er doch in Verbindung mit der Hiordamerikanischeu Missionsgcsellschaft gearbeitet. Er beschäftigte sich damals mit der Bibelübersetzung. Vou ihm hörte ich viel Betrübendes über die Mission im türkischen Reiche. Auf dem Libanon erfuhr ich dann noch ausführlicher davon. Ein jüngeres Geschlecht der Missionare fand die Bahn, die ihre uoch lebenden Vorgänger einschlugen, nicht gut genug. Der Niß giug immer weiter und ward unheilbar. Die ältesten Missionare traten ans, und die da blieben, fühlten sich geknickt. — Vieles ist rückwärts gegangen, sie schanen die Trümmer an und tlageu: „Zum Niederreißen waren nur stark genug, zum Wiederaufbau sind wir zu schwach". — 32 — Waren die Missionare uneinig, so wurden es auch bald ihre armenisch protestantischen Gemeinden. Das weiß der Feind prächtig zu benutzen, und der ist hier gar vielköpfig. Die armenischen Bischöfe mit ihrer Clerisei freuen sich, daß die Ketzer nicht gedeihen. Die Türkenbchörde freut sich, daß das evangelische Christenthum, das sonst eine mächtige Vertretung hat, nicht aufkommen kann. Die französische Politik, die mit der englischen um den Porrang kämpft, freut sich, wenn die Engländer keine protestantischen Gemeinden zu vertreten haben. Und alle diese Feinde sind nicht müßig, sondern suchen durch viel Intriguen ihr Ziel zu erreichen. So hat z., B. Missionar Hamlin ein großes Seminar errichtet, das sonst voll lernbegieriger Zöglinge war. Amerikanische Christen haben zur Unterhaltung desselben auch ein Capital von nicht weniger als 50,000 Dollars zusammengebracht. Aber der Missionare Zwist machte das Seminar leer und die Ränke der Feinde hielten es leer. Dennoch ist es erfreulich zu sehen, wie der HErr Einzelne auch aus den Anhängern des falschen Propheten zum Glanbcn führt. So traf ich bei vi. Schanflcr mit Selim Aga, dem ersten betehrten Türken, der jetzt Hülfsprcdigcr ist und auch M. Williams heißt, zusammen. Dieser Selim Aga war ein türkischer Beamter und zuletzt ein Handelsmann. Er erlangte ein Neues Testament und las es treulich, ohne je mit einem Missionar gesprochen zu haben. Bald ward er anch von der Wahrheit des Christenthums überzeugt, uur an dein Stein des Abstoßes für alle Muselmänner tonnte er nicht vorüber: Wie kann Gott einen Sohn haben? Jesus Christus, Gottes Sohn! Ja, er glaubte schon an den Heiland der Welt, aber daß er Gottes Sohn, wahrhaftiger Gott und wahrhaftiger Mensch sein soll, das konnte er weder glauben, noch, konnte er es nicht glauben und sich dabei beruhigen. In diesem Znstande traf ihn zuerst 1>r. Schaufler, und da er schon von ihm gehört hatte, wiewohl nicht seine innerste Noth kannte, frug er ihn: Lesen Sie — 33 — das Neue Testament? — Ja! Haben Sie je dann gelesen, daß Jesus Christus der wahrhaftige Gott ist und das ewige Leben? — Icil Glauben Sie das? — Hier blieb Selim Aga die Antwort schuldig, denn er konnte mit Wahrheit weder Ja noch Nein dazu sagen. Er wurde fast ärgerlich und sprach bei sich selbst: Wer hat doch diesen: Franken den einzigen wunden Fleck meiner Seele gezeigt? Alles hätte er sonst fragen tonnen nnd ich hätte ihm drauf geantwortet, nur gerade das sollte er nicht fragen. Das machte lhm so viel zu schaffen, daß er zuletzt sich einschloß und Gott inbrünstig bat, er möchte ihm doch ein Ja oder ein Nein auf diese Frage geben, damit er nnr aus dieser Ungewißheit herauskäme. Sein Gebet ward erhört, er stand anf nnd glaubte. Aber damals durften es die Missionare in Eonstantinopel noch nicht wagen, ihn ä« taufen. Das würde dem Mann seinen Kopf gekostet haben, und lhnen ihre Existenz in Eonstantinopel. So sorgten sie denn dafür, daß er nach Malta kam. Dennoch ward es ruchbar, 'weßwegen er dorthin reiste, nnd da er ohne Paß reiste, ward er unterwegs arretirt und festgesetzt. Es befreite ihn jedoch ans dieser Noth ein türkischer Aga, welchem er selbst früher einmal aus dem Gefängniß geholfen hatte. So erntete er hier in der Zeit der Noth, was er einst ausgesäet hatte. Er kam endlich glücklich nach Malta, hielt sich einige Ieit dort auf nnd ward getauft. Seit längerer Zeit predigt er jetzt dm HErrn Christum in Constantmopel, nnd ich freute mich seiner würdigen Erscheinung uud sciues frommen Wesens. Die Türken lassen sich freilich nicht so ohne Weiteres ihre keilte rauben nnd suchen anch zuweilen mit großem Aufwand von ^st und Macht die Christ gewordnen Muselmänner zum Abfall zu bringen. Ein besondrer Fall der Art ereignete sich nur drei Wochen vor meiner Ankunft und läßt uns manchen Blick thun in das Leben ^"' Türken. Ein bekehrter Tnrte, der iu Constantinopel als Missionsgehülfe 6 — 34 - gebraucht ward, kam einst von seinen Amtsverrichtuugen heim und fand sein Haus leer. Seine Frau mit drei Kindern — die anch Christen waren — war fort und hatte dazu noch einige Sachen mit genommen, was anzeigte, daß sie auf längere Zeit fortzugehen vorgehabt haben müsse. Der Mann war in großer Bestürzung darüber, ward aber bald noch mehr geängstet, indem er arretirt nnd festgesetzt wurde. Nachdem er einige Tage gesessen hatte, ohne zu wissen warum, ward ihm angezeigt, seine Frau sei wieder Muselmännin geworden und habe auf Scheidung angetragen. Er habe daher die 10,000 Piaster, die er als Mitgift erhalten hatte, wieder herauszugeben, und sobald er das gethan und uoch lw«>0 Piaster Kosten zu zahlen versprochen habe, könne er freigelassen werden. Der Mann antwortete, er tö'nuc nicht glaubeu, daß seine Frau vom christlichen Glauben abgefallen sei, uud auch nicht, daß sie von ihm geschieden sein wolle, bis er sie selbst gesehen uud gesprochen habe. Deine Frau kannst dn nicht sehen, war die Autwort, uud damit ward er wieder ins Gefängniß geführt. Hier verlebte er fernere angstvolle Tage, und Furcht und Zweifel mit Hoffnung nnd Znversickt kämpften in seiner Seele. Um nun die Sache zn Ende zu bringen nnd ihr auch einen Schein des Rechts zn geben, ward der Manu vor dem Mufti, den türkischen Hohenpriester, geführt und verhört. Welchen Glauben bekennst du? fragte der Mufti. Ich bin ein Christ, war die Antwort „Ich falle in Ohnmacht!", schrie daranf der Hohepriester, doch zerriß er sein Kleid nicht. Nach einigen Worten über die Todeswürdigkeit des Verbrechens, dcu muselmännischen Wanden zu verlassen, die genug guten Willen zeigten, des Mannes Kopf zu nehmen, raffte sich der Mnfti auf und eingedenk des sultanischen It^di-Iloilu^un», nach welchem ein jeder Muselmann, der da Christ würde, seinen Kopf behalten sollte, sprach er also: Nun, da du dich als einen Christen bekennst, so magst du's sein. Aber du hast kein Recht, deine Frau - '35 - zu Zwingen, daß sie auch Christin sei. Sie ist selbst hier und tragt auf Scheidung an, höre! Wirklich stand die Frau in einer Ecke des Zimmers verschleiert, so daß er nicht einmal ihr Gesicht sehen, geschweige sie sprechen konnte. Auck ward ihr nicht erlaubt zu reden. Der Onkel der Frau, ein wüthiger Türke, stand bei ihr und las ein Scheidungsgesuch vor, daß in ihrem Namen abgefaßt war. Darauf sprach der Mufti: Nun hast du es gehört? Zahle die 10,000 Piaster zurück, so sollst dn freigelassen werden. Die Kosten von 6000 Piastern kannst du nachher bezahlen. Der Mann erklärte: ist meine Frau wirklich wieder Muselmämnn geworden und will sie von nur geschieden sein, so will ich die 10,000 Piaster zurückzahlen. Ader erst muß ich mit meiner Frau selbst und allein darüber sprechen, sonst kann ichs nicht glauben. Darauf ward aber nicht gehört, und der Mann wieder ins Gefängniß geführt. Die Missionare wußten gar nicht, was ans ihrem Gehülfen geworden war, erfuhren es aber bald von den Nachbarn, daß er im Gefängniß sei. Um ihn darans zu befreien, brachten sie die verlangten 10,000 Piaster zusammen nnd zahlten sie ein. Nun aber behielten die ehrlichen Türken das Geld und den Mann auch und erklärten, ihn nicht eher los zu gebeu, bis er den Scheidebrief unterschrieben haben würde, was zu thun jener stets sich weigerte. In dieser Noth wandten sich die Missionare an die englische Gesandtschaft, die aber nicht so wie die frühere den Missionaren günstig ist. Indeß versprach sie doch, entweder den Mann oder das ^eld wieder herauszubringen. Eines Morgens nun ging Or. Schauster am Gestade des Bosporus nahe bei seiner Wohnung und sahe dort ^e Frau mit ihren Kindern aus dem Kahne steige«. Die türkische Sitte erlaubt es nicht, sich mit fremden Frauen zu unterhalten, so Mgte sie dem Missionar ruhig in seine Wohnung. Hier aber ward sle von ihrem Gefühl überwältigt, und statt dem Missionar auf die 3wge: „No kommst du her?" zu antworten, rief sie: „Ich bin aus 3* — 36 — der Hölle erlöset, lasset uns zuerst dem HErrn danken!" Nach dem Gebet erzählte dann die Frau, daß ihr Onkel zu ihr ins Haus gekommen sei und ihr mitgetheilt habe, ihr Mann sei festgesetzt worden; sie möchte schnell mit ihren Kindern zu ihm, dem Onkel, kommen, damit sie nicht auch noch ins Gefängniß wandern müsse. Die Frau yabe darauf ihre Kinder und die nöthigsten Sachen genommen und sei ihrem Onkel gefolgt. Sobald sie aber in sein Haus gekommen, habe sie gemerkt, daß das Ganze eine angestellte Geschichte war. Denn wie freundlich man ihr auch begegnet sei, so habe man sie doch nicht fortgelassen. Bei Tage wurden allerlei Lustvarthieen vorgenommen, um sie zu zerstreuen, auch wurde ihr cm Maun vorgeschlagen, den sie nach Schcidnng von ihrem jetzigen Manne heirathen sollte. Des Nachts habe dann eine Frau mit ihr im Zimmer schlafen müssen uud Zwei Männer hätten vor der Thüre gewacht, damit sie nicht entkomme. In dieser angstvollen Zeit kam eine Freundin, sie zu sehen, und es wurde ihr gestattet, ihren Besuch zu erwidern. Von dort aber gelang es ihr zu fliehen. Als die Feinde nun hörten, die Frau ist entkommen, geriethcn sie in Angst um sich selbst; denn sie hatten nun nichts mehr gegen den Mann vorzubringen. Sie ließen ihn darum schnell aus den: Gefängniß, zahlten auch bereitwillig die 1l),0W Piaster zurück und waren sehr froh, daß die Missionare die Sache nun auf sich beruhen ließen. Das mnßten sie aber, weil der gegenwärtige englische Gesandte mehr tnrten- als christenfrcundlich zu sein scheint. Und doch ist es durch ihn allein ihnen möglich, irgend wie ihr Recht zu finden. >— Gott verleihe allen neubekehrten Christen starken, standhaften Glauben, daß sie auch in Verfolgungen den HErrn treu bekennen und von Ihm nicht wanken. — Ueber Stutari hinans, das mit feinen Kameelzügen schon recht asiatisch aussteht, liegt ein Berg, Burpurlu genannt, von welchem man eine schöne Aussicht auf den Bosporus bis nach dem — 37 — schwarzen Meere hin und auf alle Theile dieser wundervollen Stadt genießt. Auf diesem Berge nahmen wir Abschied von Constantinopel. Wohl hat sich mir das Bild keiner Stadt so ti<5f eingeprägt als dieserStadt. Und doch — wir mußten scheiden auf NichtWiedersehen. — Als Byzas das Orakel befragte, wohin er sich mit semer Co-lonie Megaräer wenden nnd wo er seine Stadt gründen sollte, da ward ihm die orakelische Antwort: „Der Stadt der Blinden gegenüber." Lange suchte er die Stadt der Blinden in verschiedener Richtung, bis er sie endlich fand. Denn vor ihm hatte sich eine Colonie aufgemacht, war an die Gestade des Marmara-Mceres gekommen, hatte den wunderschönen Vorsprung nach dem Bosporus hin, der den sicheren Hafen, nachher das goldne Horn genannt/ bildet, liegen lassen, sich einfach an der asiatischen Küste des Marmara-Meeres angesiedelt und eine Stadt, Chalcedouia, gegründet. Sie verdienten den Namen der Blinden, denn sie hatten die köstlichste Lage der Welt vor sich und gingen stumpf daran vorüber, oder richtiger nicht ganz bis hin. Ihre Stadt Chalcedonia ist daher bis heute ein wenig bekannter Ort geblieben. Wir sahen sie oft und hätten voll Skutari aus leicht hingekonnt, aber es zog uus nicht. Die Stadt des Byzas aber, Byzanz ^ Constantinopel, ihrer vergißt nicht wieder, wer sie je gesehen, nnd lange schon ist sie den europäischen Großmächten die bcgehrcnswertheste Stadt auf Erden. Und doch — wie oft mögen die Bürger dieser Stadt die Bewohner von Chalce-doma glücklich geschätzt haben. Denn die glückliche Lage der erstern und ihr bald sich entwickelnder Wohlstand erregten nur zu bald den Neid und die Habsucht mächtiger Nachbarn. In der Angst von 29 Belagerungen, die Constantinopcl von den Griechen, Römern, Persern, Avaren, Slavoniern, Bulgaren, und zuletzt noch drei Mal von den Türken erlitten hat,'mag es oft nach dem geringen aber weniger beneideten Chalccdonia hinübergeschaut haben. Und als grimmige Feinde die Stadt sechs Mal eroberten, plünderten und die Straßen 38 mit Blut und Leichen bedeckten, wic mag da diese große Stadt gewünscht haben, lieber ein kleines unbekanntes Dorf zu sein, von den Feinden unbcneidet, unbestürmt und unbetreten. Wahrlich, Erdengröße lind Erdenglück muß oft gar theuer bezahlt werden. 6. Des Sultans Ferman. Ncise bis Smyrna. Da wir noch nicht so bald aus dcm Bereiche der Türken hinauskommen tonnten, so fanden wir es räthlich, uns einen großherrlichen Ferman ansstellen zu lassen, damit wir vorkommenden Falls durch oenselben den nöthigen Schutz :c. erlangen könnten. Die preußische Gesandtschaft zu Constautinopel war so freundlich, die nöthigen Schritte für uns zu thun. Und so erhielten wir nach einigen Tagen ein großes, steifes Stück Papier zugeschickt, das in einem Umschlag von weißem Zeug eingenäht war. Dies war der Fcrman des Sultans. Wir konnten natürlich kein Wort dieser türkischen Schrift lesen, erkannten aber doch den Namcnszug des Sultans obenan, wie er auch auf den Geldmünzen zu finden ist. Dieser Namenszug sieht gar nicht einer Schrift ähnlich, es ist aber gleichwohl der Name des Sultans und der seines Vaters mit dem gewöhnlichen Titel darin enthalten, doch so eng in einander ver-woben, daß es nur Sachkundige entziffern können. Wir hatten gebeten, den Fcrman auf uns drei Reisende auszustellen und auch den braunen Abraham mit unter seine Flügel zu nehmen. Was nun aber wirklich geschrieben worden war, das erfuhren wir erst in Jerusalem, wo der preußische Consul, Herr Dr. Rosen, die Freundlichkeit hatte, den Ferman ins Deutsche zu übersetzen. Da fanden wir nun, daß er ganz anf meinen Namen ausgestellt war; wahrscheinlich darum, weil die Frauen bei den Türken noch nicht so viel gelten als im Abendlande und überhaupt — 39 — in der Christenheit. Das merkwürdige Schriftstück lautet wörtlich wie folgt: „Abd-nl-Aziz Chan, Sohn Mnhamed Chan's allezeit siegreich:' Ihr, der Stolz der die Wahrheit erforschenden Meman's! Ihr Naibs und Mnfti's der Ortschaften, welche an der Straße von der Schwelle meiner Glückseligkeit nach den unten benannten Gegen-' den hmliegcn (möget Ihr an Gelehrsamkeit zunehmen!), und Ihr, der Prunk unter euren Genossen, Ihr übrigen Befehlshaber (möge Euer Auseheu wachsen!), wcmi Mein erhabenes kaiserliches Handzeichen ^Namcuszugl an Euch gelangt, so sollt Ihr folgendes wissen: * Die Königl. preußische Gesandtschaft bei meiner hohen Pforte hat Uns mitgetheilt, daß der Fürstensohn, Baierlcin mit Namen, cincr aus den preußischen Fürstensöhnen"') mit sciner»Familic und einem Diener, eine Anstreife von meiner Schwelle der Glückseligkeit nach Jerusalem, Damaskus, Cairo uud den dazu gehörigen Provinzen unteruehmeu wolle, uud hat deßwegen durch eine Note den Antrag gestellt, daß während besagter Fürstensohn sich mit seiner Familie und seiuem Diener auf der Reise von meiner Schwelle der Glückseligkeit nach den benannten Orten befindet, ihn: au seinen ' ^iachtlagerorten die den Gästen zukommende Rücksicht und aller Schutz lind Beistand gewährt werden solle, uud daß darüber die ^rlassung eines Fermans von Mir erfolge. Cs soll demnach in Beziehung auf diesen-'Fürstensohn und seine Familie, sammt dem Diener, auf der Neiise nach den genannten Orten und zurück, an allen Orten wo er sich aufhält, alles, was die Gastlichkeit erfordert, ausgeführt und ihm der vollkommenste Schutz gewährt werden. Es sollen auch die für sein Fortkommen nöthigen ^ohnpferde für ihn ordnungsmäßig angeschafft werden; und wem er sich an unsichern Orten befindet und eine genügende An- *) Dos ist so tin'liM .Mlichteit, — 40 — zahl von bewaffneten Truppen zn seiner Begleitung verlangt, so soll er damit versehen und sicher und ungefährdet seinem Ziele zugeführt werden! Da nnn in diesem Sinne Mein hoher Ferman ergangen ist, so sollt Ihr nach seinen: erhabenen Inhalte verfahren. Das sollt Ihr wissen und meinem erhabenen Handzeichen Glauben schenken. Gegeben am Ende des Monats Safer, des Guten, 1279. Zn Constantinovel, der wohl verwahrten." Darauf folgten noch ganz in den Ecken dos großen Pergament-artigen Papiers einige Unterschriften der Großen des Reichs. So verwahrt rüsteten wir uns zur Abreise. Unser alter grauer Dragoman schien trotz seines verschmitzten Indengesichts — vielleicht auch in Folge dessen — ordentlich gerührt zn sein. Er war ein Grieche, ein echter Sohn seines Stammes. Von diesen heißt es dort sprüchwörtlich, daß fünf Indcn dazu gehören, um einen Griechen daraus zn machen, d. h. daß ein Grieche soviel betrügt als fünf Juden. Hoffentlich wird es an bessern Ausnahmen nicht fehlen. Unser Grieche war anch darin ein echter Sohn seilies Stammes, daß er ein entschiedener Türkenfrennd war. So oft wir auch mit ihm die Gewässer Constantinopels befuhren, jedesmal miethete er ein" von Türken bedientes Boot. Das war mir so auffällig, daß ich ihn frug, ob es denn keine christlichen Bootsleute gäbe. O ja! sagte er. Und warum miethen Sie nicht lieber diese? Das ist so eine Gewohnheit von inir, meinte der Mann. Diese gottlose Gewohnheit löset das Räthsel, warnm in der europäischen Türkei noch heute das eine Viertel fanler Türken die drei Viertel der Christen be herrschen können, die unter jenen leben. Die Christen sind in so viele Partheien uud Secteu zerfallen und sind im höchsten Grade mißgünstig gegen einander. Ehe sie sich einander etwas zukommen lassen, arbeiten sie lieber den gottlosen Türken in die Hände, und sind somit des verfaulten Türkenthmns beste Stütze. Möchte auch ^ 41 — ^>er christliche Orient wiederkehren zu dein HErrn, von dem er mit dem Herzen abgefallen ist, obwohl er ihn mit dem Munde noch bekennt. Der ^0. August war der Tag unsrer Abreise. Von unsrer Wohnung aus zogen wir dieselbe steile, schmutzige Straße hinunter, die wir gekommen warm, zum goldncn Horn hinab, bestiegen eiu Boot und ruderten dem französischen Dampfer zu, der uns ferner nach dem beißen Süden, weiter uacl) dem fremden Osten bringen soüte, dem Ziele unsrer Neise uäher. Wir dampfteu durch die vielen Schiffe fast aller Nationen hindurch, wandten uns au der Spitze des Serais rechts, und schifften an der Stadtmauer Constantinopcls entlaug in das Marmara-Meer hiueiu. So lange wir nock eine Kuppel uuterscheideu touuten, waren unsre Augeu auf die herrliche Stadt, vou der wir schieden, gerichtet. Bald floß eins ins andere, ^m langer, duukler Streifen war alles, was loir noch unterscheiden konnten; bald war auch dieser dahin. Wir sahen uns um und fan-dcn uns eiusam im Marmara Meere. Nun hatteu wir Zeit geung, unsere Reisegesellschaft ein wenig uäher in Augenschein zn nehmen. Das Verdeck des Schiffes war überfüllt mit den sonderbarsten Trachten uud verschicdcusten Nationalitäten, die alle gruppenweise bei einander lagen. Unter den kriechen lagen mehrere Popen uud aßcu ihre Melonen und Käse und Brod, wie die andern. Und von denen, die dem frostigen Lichte "?s Halbmondes folgen, fanden sich nicht weniger interessante Grup-peu von Persern, Türken:c., die alle gut bepistolt nnd bedolcht ^aren. Auch eine interessante Abschiedsscene hatten wir sckon vor-her beim Abgang des Schiffes mit anzusehen gehabt. Unter der Reisegesellschaft war nämlich auch die Schwester des Pascha von Aomen iu Arabieu, eine junge türkische Dame. Ihr audrcr Bruocr, ^ln türkischer Offizier, brachte sie aufs Schiff. So siud wohl selten zwei Geschwister vou eiuander geschieden, wie diese beiden. Der — 42 — Offizier weinte und schluchzte so laut, daß jederinann auf dem Schiffe es hören tonnte. Er legte, sein Seitengewehr ab, warf sich zu den Füßen seiner Schwester nieder nnd wälzte sich vor Schmerz auf dem Boden, wie ein Kind. Dann lagen sich wieder beide in den Armen und weinten miteinander so laut, daß wir alle ernstlich beunruhigt wurden. Nun ward der Offizier wiederholt gemahnt, daß er umkehren müsse. Da faßte er sich denn, schnallte seinen krummen Säbel um und wollte fort. Aber wiederum fiel er seiner Schwester in die Arme nnd die Scene ging von vorn an. Endlich ermannte er sich, wischte sich die Thränen aus den Augeu und trat zurück. Mein Chef hat mir nicht die Erlaubniß gegeben, meine Schwester zu begleiten, und so muß ich sie allein ziehen lassen, Monate lang, bis sie meinen Bruder in Hemen erreicht, wenn sie ihn je erreicht, rief er^ geläufig französisch sprechend, wie zur Entschuldigung. Dann wandte er sich kurz an einen Schifssoffizier und sprach: Darf ich meiner Schwester noch ein Wort sagen? Ja! sprach der, und wie ein Blitz waren Vrnder und Schwester wieder beisammen. Endlich schied er aber doch, nachdem er wiederholt seine Schwester dem Kapitain anbefohlen hatte. Des andern Tages nach der Abreise passirten wir den Hellespont mit seinen Dardanellen und musterten am Ausgangc desselben noch einmal die angeblichen Gräber der drei Helden, die ihren Ruhm und ihren Tod vor Troja gefunden haben. Von der europäischen Seite her waren wir gekommen, und hatten längere Zeit beides Europa nnd Asien vor Augen gehabt. Nun aber, am Ausgangc des Hellesponts, wandten wir uns links und schieden für immer von Europa. Bald kamen wir dem Schlachtfelde von Troja noch näher und sahen von fern den Berg, an dessen AbHange einst die Stadt des Priamus gestanden haben soll, Abends ankerten wir vor Myti-lene und sichren in die Stadt. Wir frenten uns der reinlichen Straßen und des bedeutenden Handels. Auch einen öffentlichen — 43 — Garten fanden wir hier, was uns so anffällig war, daß wir ihn zu sehen gingen. Denn die Türkei weiß sonst nichts von dergleichen, und selbst Constantinopel hat tcincn öffentlichen Garten. So viel Gemcingcist befitzt der Türke nicht. Können sie doch nicht einmal öffentliche Straßen bauen, sondern ein jeder treibt seinen Esel lieber sein Leben lang über bloße scharfe Steine, ehe er sich bemüht, einen derselben anf die Seite zu werfen. Denn das käme dann ja auch den übrigen Reisenden zu gut, und wie sollte sich ihnen zu Liebe ein Türke bemühen? „Jeder für sich, Gott für nns Alle", dieses böse Sprüchwort scheint von den Türken erfnnden zu sein. Mit dem öffentlichen Garten in Mytilene hatte es aber doch auch nicht ganz feine Richtigkeit. Wir fanden den russischen Consul darin, der sich sehr frcuudlich erbot, uns in demselben imcherznfnhren. Wir hörten nun, daß der Garten des Consuls Eigenthum sei, und der hat ihn aus guten, d. h. politischen Gründen öffentlich gemacht. Von ihm erfuhren wir auch, daß die Bevölkerung von Mytilme 60,0W Seelen betrage,, lauter Griechen, und daß kein einziger Dieb unter ihnen sei. Darüber freuten wir uns so sehr, daß wir diese gute Aunde dem Kapitain unsers Dampfers erzählten. Der aber goß kalt Wasser daranf nnd fagte: „ tutender Handel, wobei Badeschwämme einen Hanptartikel bilden. In dem klaren Meerbusen taun man bis auf den Grnnd sehen und cine große Anzahl Boote fährt langsam umher, um die Schwämme auf dem Grunde zu erspähen. Dann stürzt sich einer der beiden Bootsleute hinein, taucht unter und kommt mit seiner Beute wieder zum Vorschein. Manchmal finden sie auch eineil Schwamm an einer "Uster angewachsen, bringen beide zusammen hmauf und verkaufen sie dann gern etwas theurer. Von Tripolis aus kamen wir am 9. Septbr. nach Beyrut. ^ch hatte so viel vou der schönen Lage dieser Stadt gehört, daß ich uuch fast getäuscht fand, als ich sie sah. Dazn nahmen wir unsre Wohnnng in einem außerhalb der Stadt gelegenen Gasthaus, so ^ß es bis in die Stadt selbst noch ziemlich weit war. Erst als — 48 — wir unsre Wohnung gewechselt hatten, und von dem flachen Dache dos Hauses aus den Hafen und die Stadt und den Libanon zngleich vor uns sahen, fanden wir, daß Beyrut wirtlich sehr schön gelegen ist. Die untergehende Sonne verursacht ein merkwürdiges Farbenspiel in den schroffen Abhängen des Libanon und jeder Abend schien uns ncuc Reize zu bringen. Vor Bcyrut lag ein großes englisches Kriegsschiff. Mit dcm Kaplan und etlichen Offizieren desselben wurde ich bekauni. Einmal ritten wir zusammen nach dem Nähr el Kelb, welcher Fluß etwa 3—4 Stunden weit von Beyrnt fließt und merkwürdige Schluchten bildet. Einige Tage vorher hatten sich hier die Bewohner des Libanon versammelt, um der türtischen Regierung eine Steuer abzukämpfen, die ihnen neu aufgelegt worden war und die sie nicht bezahlen mochten. Doch sie waren dcm Militär gewichen, und so hatten wir nichts mehr zu besorgen. Auf dem Wege dahin sahen wir die in einen Fels gehauene bisher noch uncntzifferte alte Inschrift und die Figuren, die so große Aehnlichkc'it haben mit den assyrischen Königen, wie sie in den Ausgrabungen von Niniveh gefunden wnrden. Vielleicht kamen Assyriens Könige auch bis hierher, jedenfalls reichte ihre Macht bis hierher uud wohl mögeu diese Figuren sie darstellen und die noch stumme Schrift von ihnen erzählen. Der Nähr cl Kelb, oder vielmehr die Stätte seiner Mündnng, ist ein vielbesuchter und höchst interessanter Ort. Neben den schroffen Felsen, dnrch welche sich der Fluß hindurch windet, stehen hohe Bögen von einer alten römischen Wasserleitung, die mit Schlingpflanzen bewachsen hier und da interessante Wasserfalle bilden. Ich kletterte hinter den einen dieser Wasserfalle uud hatte im Kleinen dasselbe Schauspiel, dessen Anblick ich vor 16 Jahren in so großem Maßstabe unter den Fällen des Niagara in Nordamerika genoß: ein Regenbogen, im Wasserfalle gebildet, mit hellen vollen Farben — 49 - schlang sich um meine Füße. Wer den Bogen seiner Bedeutung wegen liebt und achtet und des noch geltenden Bundes wegen ihn gern in den Wolken begrüßt, der ist entzückt, ihn der Erde und sich selbst so nahe zu sehen. Der Friede Gottes fülle jedes Herz, das seiner achtet. Ueber einen Arm des Flusses war ein offnes Dach erbaut und daneben stand eine Hütte, in welcher Erfrischungen zu haben waren. Wir traten unter das offne Dach und fanden Stühle gestellt und einen Tisch mitten in dem rauschenden Strome. An diesen Tisch, von den Wellen durchbraust, setzten wir uns ohne alle Mühe. Die Mühe aber folgte, sobald wir den Mund aufthaten. Denn da wir unsern Dragoman nicht bei uns hatten, waren wir unserm türtischen Wirthe volle Barbaren. Doch brachte er uns Wein vom Äbcmon ungeheißen. Wir aber waren auch hungrig und konnten ihm doch uicht begreiflich machen, was wir wollten. Und daß um so weniger, als er nur für Dürstende, nicht aber für Hungernde gerüstet war. Mit nicht geringer Mühe erlangten wir jedoch endlich gekochte Eier und eine Art Fladen, dem indischen Appam ähnlich. Unser ganzer Wortvorrath bestand in zwei Worten: „gut" und „schlecht" und wir Ernten da, wie viel man auch mit so wenigen ausrichten kann, wenn wirklich Noth am Mann ist. Am Sonntage bcsnchtc ich einen arabischen Gottesdienst der nordameritanischen Missionare und folgte später der freundlichen Umladung des Missionars I)i. Thomson zu einem Besuche in ^sscn und seiner Familie Sommerwohnung etwa 3000 Fuß hoch auf dem Libanon. Unser Weg führte uns zwischen den von Reisen-"en viel genannten Maulbeer- und Feigenbäumen hm durch den "schönen hellgrünen Fichtenhain" hindurch. Die syrischen Pferde sind bekannt. Das mcinige war noch in der jugendlichen Kraft und '^tze, und konnte es sich nicht versagen, auf dem fandigen Boden bes Fichtenhains seine Glieder zu strecken und im wilden Galopp 4 mit den übrigen Pferden sich zu messen. Bald aber war es weit voraus, da ich es in seinem Eifer nicht stören wollte; denn es ist ein wirklicher Genuß, auf solchem Pferde zu galloppiren. Hinter dem Fichtenhain begann dann bald das Steigen, und nun ging es nur im scharfen Schritte vorwärts bis wir nach etwa dreistündigem Ritt in dem kleinen Dorfe anlangten, wo Dr. Thomson seine Wohnung hat. Wir wurden herzlich aufgenommen, weilten den ganzen Tag dort und kehrten erst Abends nach Beyrut zurück. Wir freuten uns der Biederkeit und Einfachheit dieser Familie, die schon über 30 Jahre im Missionsdienste ist. Wir hatten manches interessante Gespräch über Mission überhaupt, über die Libanon-Mission ins besondere und über die letzten Greuelscenen der Türken, in welchen auch so viele protestantische Christen, anch Gemeindeglieder dieser Miffwnarc, und ein Missionar mit ihnen, ermordet wurden. Der Mörder dieses Missionars »var gefangen und verurtheilt, aber die Strafe noch nicht an ihm vollzogen. Denn die Türken können freilich nicht gut einen Türken dafür hinrichten, daß er Christenblut vergossen hat, weil sie das Alle nur gar zu gerne vergießen möchten oder noch lieber sähen, daß es schon alles bis auf den letzten Tropfen vergossen wäre. Die amerikanische Regierung hatte aber so eben ein Kriegsschiff nach Beyrut geschickt, um den Mörder ihres Bürgers gerichtet zu sehen. Einer der ji'mgern Missionare beschenkte mich mit einer Anzahl von versteinerten Muscheln, die sich häufig 3—4000 Fuß hoch auf dem Libanon finden und manchen Bezwcifter der Sündfluth vielleicht auf andere Gedanken dringen könnten. Doch es giebt Leute, die nicht glauben, anch wenn Todte kämen und ihnen predigten. — Als die Schatten länger wurden und uns zur Abreise mahnten, fanden wir, daß beide Theile, die Missionsfamilie auf der Höhe des kühlen Libanon und die in dem Tieflaude des heißen Indiens, nicht gerne schieden. Wir schieden auf Wiedersehen — doch nicht 51 hienieden. Es wird eine große Versammlung sein in unserm Vaterhause und viel Freude. 8. - Der Libanon und seine Bewohner. Das letzte Blutbad unter den Christen. Ehe wir den Fuß des Libanon verlassen u.nd seine Höhen übersteigen, müssen wir einen Blick auf die Bewohner dieses „guten Gebirges" werfen nnd auf Tage der Angst, der Schrecken und des Blutes, wie wir sie in unserer Zeit kaum für möglich halten sollten. Aber was auch das neunzehnte Jahrhundert für Veränderungen gebracht haben mag, so ist doch die Nothwendigkeit immer noch nicht hinweggeräumt worden, mit unsern Vätern zu beten: „Erhalt uns, HErr, bei Deinem Wort Und steur' des Papsts und Türken Mord, Die Jesum Christum, Deinen Sohn,, Stürzen »nullen von seinem Thron;" und das Folgende wird uns den Beweis dazu liefern. Der Libanon, „das gute Gebirge", welches Moses vor seinen: ^nde zu sehen begehrte, hat die Eigenthümlichkeit, daß, je länger Man es kennt, je mehr man es liebt, und es könnte darum auch recht ^^ „Je länger je lieber" genannt werden. Wohl hat es nichts von der Frische europäischer Gebirge, denn es besteht meistens aus Kalkstein nnd sieht darum im Ganzen kahl und fahl aus. Aber näher beseheu, wird es auch der abendländische Reisende bald lieb ge-dünnen; denn die kahlen Kalksteienwände sind zum großen Theil nur "le Mauern von Terrassen, welche den fruchtbaren Boden umsäumen, "er Oliven-, Wein- und Maulbcerpflanzungcn in reichem Maße trägt, selbst die Gestalt der verschiedenen Bergesspitzen sehen zerstörten 4" ^ 52 — mittelalterlichen Bmgcn ähnlich und ergötzen das Auge. Hier stürzen sich Wasserfälle brausend in die Tiefe, und dort sind großartige Reste römischer Aquaductc; denn auch die Römer wußten den Libanon Zu schätzen. Die Bewohner aber haben zu jeder Zeit eine starke Liebe zu ihren Bergen bewiesen. Denn sie haben mit außerordentlichen: Fleiße und Geschick fast kahle Bcrgesabhänge in fruchtbare Felder verwandelt, indem sie den spärlichen Fruchtboden gesammelt und durcb Tcrrasseu zusammengehalten haben, und dann ferne Wasscrqucllen mit vieler Knust dort hinleitcten. Die Thäler des Libanon sind oft sehr steil und die Dörfer an den Abhängen sehen den Schwalbennestern gleich, die an den Wänden hängen. Zuweilen dienen auch die Dächer der niedrig gelegenen Häuser den höher gelegenen zn Straßen, während die Rückwände beider von den Felsen der Berge gebildet sind. In diesen Thälern,, wie überall am Fuße des Libanon, ist die Hitze sehr groß und alle Arten tropischer Früchte gedeihen hier, während die Spitzen der Berge mit ewigem Schnee bedeckt sind. Arabische Poeten, die so gern alles personificiren, stellen den Libanon als einen schlafenden Riesen dar, der in weißen Silberlocken, den Winter auf seinem Haupte trägt; der Frühling spielt ihm auf seinen Schultern, in seinem Schoße trägt er den Herbst und der Sommer ruht zu seinen Füßen. Die Bewohner des Libanon sind zumeist Christen, ein kleinerer Theil Griechen, der größere Maroniten und Drusen. Die Maro-niten werden so genannt nach dem heil. Maron, einem Abt, der im sechsten Jahrhundert an dem Orontes lebte. Er und seine Anhänger gehörten den von der Kirche verdammten Monotholetm an, und sie waren die einzigen, die in ihren Bergfestungen oor den Verfolgungen ihrer Feinde Jahrhunderte lang geborgen waren. Im zwölften Jahrhundert schreibt De Vitry, Bischof von Acre über sie wie folgt: — 53 „Männer, mit Pfeil und Bogen bewaffnet und kriegserfahren, bewohnen in großer Anzahl die Gebirge Phömziens. Sie werden Maroniten genannt nach Maron, einem Ketzer, welcher glaubte, daß nur ein Wille in Jesu war. Die Christen des Libanon, durch die satanische Lehre dieses Maron verführt, blieben Jahrhunderte lang von der Kirche getrennt. Doch zuletzt wurden ihre Herzen bekehrt und sie bekannten den katholischen Glauben in Gegenwart des ehrwürdigen Patriarchen Amarius von Antiochia nnd nahmen die Tradition der römischen Kirche an." Aber ob sie auch so die „Tradition der römischen Kirche annahmen", so gaben sie doch die ihrige nicht "uf; denn sie halten Gottesdienst in ihrer eigenen Sprache, und diele ihrer Priester sind verheirathet. Nachdem die, Kreuzfahrer Syrion ganz verlassen hatten, mußten die Maroniten ihre Unab-hangiMt vielfach vertheidigen, und zumeist gegen die Mamelucken, die in Egypten haustell. Im 17. Jahrhundert fing Frankreich an, sich ihrer anzunehmen und sowohl Ludwig der XIV. als der XV. sandten ihnen Schutzbriefe, welche auch die türkischen Behörden Nspectirten. Die Maroniten sind meist ernstgesinnte Leute und die Religion ^ ihnen nicht ein Kleid, das sie nach Belieben am Sonntage anziehen, in der Woche aber ablegen, wie es bei so vielen sie verachtenden Christen im Abendlandc der Fall ist. Das Christenthum O ihnen Lebenssache geworden, hat sich bei ihnen jedoch vielfach anders gestaltet als bei uns. Obgleich sie guten Wein die Fülle haben, s» sind sie doch sehr nüchtern und Trunkenheit ist fast uubc-kannt. Ebensowenig sind Sünden gegen das sechste Gebot im Schwange. Aber sie sind nicht fest im Reden der Wahrheit, die "lge wird bei ihnen viel zu wenig veraoschent. Und daher kommt es zumeist, daß sie von den abendländischen Christen so oft verachtet werden. Nun ist freilich Mangel an Wahrheitsliebe ein gar böser Necken im Charakter eines Volkes sowohl als einzelner Personen. — 54 — Aber wo ein Volt lange unterdrückt war, wird es immer die Wahrheitsliebe zuerst verlieren. Denn wo es eine Art Verbrechen ist, etwas Zu besitzen, wie es unter dem türkischen Regiment der Fall ist, da wird auch das wirkliche Besitzthum immer verheimlicht und verleugnet werden, und von diesem Punkte aus wird sich eine Art von Heuchelei über das ganze Leben ausbreiten. Aber so bösc, das nun auch sein mag, so hat doch der kein Nccht, den ersten Stein auf sie zu werfen, der nicht unter gleichen Verhältnissen seine Wahrhaftigkeit bewahrt hat. Wo ist denn die Wahrhaftigkeit vieler abendländischen Christen in Handel und Wandel, oder wenn sie dem Gewinne ^nach über das Meer ziehen? Ist es nicht znm Sprüchwort geworden, daß ihrer viele ihr Christenthum — nnd somit doch alle Wahrheit — am Kap der guten Hoffnuug lassen, wenn sie nach Indien oder China gehen, in der guten Hoffnung, daß sie es auf ihrer Rückreise dort noch wiederfinden werden? Die Christen des Orients verleugnen ihr Christenthum nicht inmitten der Türken, und sie wissen dafür zu leiden, was im Westen nur selten der Fall ist. — Die Maroniten sind ein heiteres, geselliges uud gastfreundliches Volk, mit dem man leicht auskommen kann, wenn man sich nur ein wenig an sie gewöhnen will. Ganz verschieden von ihnen sind die Drusen, der andere Zweig der Bevölkerung des Libanon. Zwar die Gastlichkeit, die Tugend des Morgenlandes, ist auch bei ihnen zu finden, aber sie sind verschlossen, verräthcrisch, und ihre Religion selbst erlaubt ihnen volle Freiheit dem Fremden gegenüber. Treue und Glauben sind sie nnr ihren Glaubensgenossen, den Drusen, schuldig; in Betreff alles übrigen mögen sie reden und handeln, wie es ihnen beliebt. Die Drusen gehören den wildesten Stämmen der Beduinen an und hatten äußerlich den Glauben Muhammeds angenommen, wie alle übrigen Stämme. Nun war aber von jeher eine Sccte unter den Muhammcdanern, welche an einen verborgenen Sinn des Koran __ 55 __ glauben. Im elften Jahrhundert lebte ein Priester dieser Scctc unt Namen Hamze, der zugleich Vczier des Kaliphcn Hakim von Ägypten N'ar. Dieser Hamzö ging noch ein wenig über die übrigen seiner Sectc hinaus und erklärte seinen halb wahnsinnigen Gebieter Hatim für eine Personification der Gottheit. Der Kaliph fand sich dadurch nicht wenig geschmeichelt und authorisirte Hamzi,, einen persischen Abenteurer mit Namen Darazi nach dem Libanon zu senden, um unter jenen rohen Stämmen Anhänger des neuen Glaubens zu werben. Solche fanden sich denn auch bald in dem fruchtbareu Thale El Teim, zwischen Abcmon und Antilibauon, und um ihre Zahl zu vermehren, führte Darazi lockere Sitten ein uud machte sich selbst zum Haupte der Secte. Als Hamz« das hörte, ward er sehr böse, nannte Darazi das goldene Kalb, welches sich das tolle Volk zum Götzen ^wählt hätte, uud sandte einen andern Apostel in den Libanon. Das war ein gewisser Mottana Baha-edin, der strengere Sitten lehrte uud auch einige Schriften verfaßte, welche nnn die heilige Schrift der Sectc ausmachen. Aber Darazi hatte schou einen zu festen Halt gewonnen, so daß sich die ganze Sccte nach seinen ^amrn nannte; doch sind noch heute die beiden Richtungen unter ihnen, die laxere, welche Darazi, uud die streugere, welche Baha-koin folgt. Beide aber glauben, daß Hakim eine Art Incarnation der Gottheit gewesen sei uud beide verehren auch Hamz^ als den Stifter ihrer Secte, obgleich sie sich nicht nach seinem Namen nennen. Diese Drusen haben sieben Gebote, wie folgt: Wahrhaftigkeit Hegen die Brüder, Gegenseitige Hilfe, Glaube an die ewige Einigkeit Gottes (Hakims), Ergebung ill seinen Willen, Frende an seinen Werken, Keine Gemeinschaft mit den Dämonen, Keine Gemeinschaft Mit anderen Religionen. Das letzte dieser Gebote übertreten sie jedoch fortwährend, da sie sich ja'äußerlich zu den Muhammedanismus bekennen; doch von dieser Sünde absolvirt sie vielleicht das erste Gebot, nach welchem sie nur den Mitdrusen Wahrheit schuldig sind. — 56 — Nach Hakims Tode mußte Hamz« flicht denn der neue Kaliph war sehr zornig auf die neue Sccte und suchte sie von der Erde zu vertilgen. Doch die engen Schluchten des Libanon gaben gute Verstecke und die Drusen versammelten sich fortan nur noch heimlich. Damit sie aber nicht verrathen werden möchten, erfanden sie geheime Erkennungszeichen, wie etwa die Freimaurer sie haben, und so giebt es denn auch heute noch unter den Drusen Aikals oder Eingeweihte, und Djahels d. i. bloße Anhänger derselben. Aber obgleich verfolgt, so hatten die Drusen doch keine Märtyrer, denn sie waren ja nicht verpflichtet, sich ihren Feinden gegenüber als Drusen zu bekennen. So wiederholten sie denn vor den Muhammedancrn die Glaubensformel Muhammeds so oft als nöthig, ohne sie zu glauben. Und wie sie keine Märtyrer hatten, so hatten sie auch keine Verbreitung ihrer Religion unter den übrigen Stämmen. Im Gegentheil, als Baha-edm starb, erklärte er, daß die Welt der Gnade nicht werth sei, welche ihr der göttliche Hakim durch den erleuchteten Hamzä zugedacht hatte, und verbot seinen Anhängern, irgend jemand noch ferner aufzunehmen. So ward die Pforte der Gnade des Drusenthums geschlossen und sie behielten ihre Religion als ein Vcrmächtniß, ihnen besonders gemacht, und bewahrten sie fleißig vor dem Bekanntwerden. Die Maroniten bewohnen manche Thäler ausschließlich, und ebenso sind manche Thäler von den Drusen ausschließlich bewohut. Doch in manchen Thälern der Drusen wohnen auch Christen, zumeist Griechen, zerstreut; wohnten so seit Jahrhunderten in Frieden uud bewahrten eine Art Unabhängigkeit, ob auch den Türken steuerpflichtig. Doch um die Mitte des vorigen Jahrhunderts begannen die Türken auf verschiedene Weise den Libanon sich ganz zu unterwerfen und die letzten Reste der Freiheit zu zerstören. Und da ihnen das nie gelingen wollte, so lange die verschiedenen Stämme einig waren, so versuchten sie es nun damit, Uneinigkeit und Mißtrauen gegen _ 57 — einander zu säm, um sie so zu entzweien und desto leichter zu unter^ drücken. Denn der Libanon ist eine Art Bergvestc und Zufluchtsort für viele Beduinenstämme, die zum Theil mit den Drusen verwandt sind, wie, die wilden Beduinen des Hauran. Die Türken aber hassen die Drusen als Ketzer uud die Christen als Unglänbigc mit gleich großein Hasse; während die verschiedenen Beduinenstämme sich zwar "ft gegenseitig befehden, aber doch alle im Hasse gegen die Türken ganz einig sind. Auf diese Weise war der Libanon mit seiner Freiheit, als Zufluchtsort der Beduinen, den Türken immer ein Dorn im Auge. Deun sie befürchteten, die Herrschaft über die Beduinen Mseits des Libanon noch ganz zu verlieren. Dies geschah auch wirklich uuter Ibrahim Pascha von Egypteu. Dieser Mann mit der eisernen Faust vertrieb die Türken ganz aus dem Libanon und brachte bald auch eiue solche Ordnung unter die Beduinen, wie sie weder vorher noch nachher gewesen ist. Und was die Christen betrifft, so erhob er sie überall zu gleichen Rechten mit dm Muhammedanern. Bisher galt das Christenzcugniß nichts vor Gericht; Ibrahim Pascha ließ es gerade so viel gelten als das der Muselmänner. Uebcrhauftt rämnte er alle die vielen kleinen Plackereien hinweg, mit welchen die Türken das Leben der Christen verbittert hatten. So durfte sichs z. B. in Damaskus kein Christ einfallen lassen, auf einem Pferde zu reiteu. Und als Ibrahim Pascha auch dieses hohe Privilegium den Christen eingeräumt hatte, da versammelten sich die frommen Väter von Damaskus, denn sie konnten diese Unbill nicht ertragen. Sie erschienen emmüthig vor Ibrahim Mascha und baten ihn, er möchte doch nur dieses Aergerniß vor ihren ^ugen wegräumen und den Christen wieder das Reiten verbieten, enn das sei doch rein unerträglich und allen heiligen Rechten der Moslems zuwider. Ibrahim Pascha hörte sie geduldig an und gab lhnen daun folgenden Bescheid: „Laßt die Christen reiten! Die Moslems sollten nicht so hochmüthig sein. Wenn ihr aber durch- __ s)ß __ aus höher fein müßt als die Christen, so mögt ihr auf Kameelen reiten." Unter Ibrahim Pascha würde der Libanon mit Syrien und Palästina so sicher geworden sein, wie Lgypten jetzt ist, wo man eben so sicher reisen kann, wie in Deutschland. Aber eine gottlose und selbstsüchtige Politik hat die Länder den Türken zurückgegeben, und sie ist für die Ströme von Blut verantwortlich, die seitdem geflossen sind. Wie die hungrigen Wölfe lehrten die Türken in den Libanon zurück und ihr altes Spiel der Intriguen und Zertrennungen begann cmf5 neue und mit erneutem Eifer. Bald ward das Blut der Christen wieder reichlich vergossen und eine Trübsal folgte der andern, die ich jedoch hier gern übergehen will. In die Mitte dieser Zerwürfnisse sandte Gott Worte des Friedens für die Bewohner im Libanon. Von dem fernen Westen der neuen Welt kamen Boten des Evangeliums und verkündigten den Maronitcn, Griechen und Drusen den Frieden Gottes in Christo Jesu. Es ist, als ob sich Gott seine Schlachtschafe erst hätte zubereiten wollen, ehe sie geopfert wurden, und ihre Augen auf ein ewiges Leben richten, ehe sie sich für dieses Leben schließen sollten. Ehe ihr Blut auf den Bergen und in den Thälern des Libanon fließen sollte, wollte er erst ihre Herzen auf das But hinweisen, welches uns reinigt von aller Sünde uud uns geschickt macht vor Gott zu erscheinen. Unter viel Trübsal und manchen Gefahren des Lebens verkündigten die Boten des HErrn den Frieden Gottes auf diesen Bergen. Die Menge hörte sie nicht, die Patriarchen beantworteten ihre Grüße mit Flüchen und verboten ihren Gemeinden jegliche Gemeinschaft mit ihnen „im Kaufen oder Verkaufen, im Geben oder Nehmen, im Lehren oder Lernen, oder in irgend einer andern Weise". Und wenn irgend jemand sie in sein Haus aufnahm, so ward er verflucht mit — 59 — dnn folgenden Fluche: „Der Fluch soll ihn umgeben wie ein Kleid und in seine Glieder eindringen wie Ocl; er soll zerbrochen werden wie ein irdener Topf und verdorren wie der Feigenbaum, welchen der HErr verflucht hat". — Aber ob auch die Menge nicht hörte und falsche Hirten fluchten, viele hörten doch und lieblich waren chnen die Füße dcrer, die in ihren Bergen den Frieden predigten und das Heil verkündigten. Und Hundertc von ihnen besiegelten ihren Glauben mit ihrem Blute. , Im Winter des Jahres ) ^60 kameü die Hänpter der Drusen ganz gegen ihre Gewohnheit nach Beyrut und hielten geheime Berathungen mit Kurdschid Pascha, dem türkischen Gouverneur. Was sie dort beriethen, ist nie bekannt geworden, nur Gott hörte es alles. Doch das Gerücht wußte, daß die Drusen ihrem Herrn, dem Sultan, emen besondern Dienst zn thnn aufgefordert wurdeu; daß sie auch "azu willig wärm; doch der Größe und Verantwortlichkeit dieses Dienstes wegen erst einen dirccten Befehl dazu von Konstantinopel verlangten. Soviel wußte man in Bcyrut schon zu Anfang des Jahres 18W; doch worin der große und besondre Dienst bestand, das wußte Niemand, bis cs die Thaten der Drusen lehrten. Im April schien endlich der erwartete Befehl gekommen zu sein; denn mm wurden die bis dahin etwas schläfrig gewesenen Berathungen Nit einem Male wieder lebhaft, woranf denn die Drusen wieder in lhrc Berge zogen. Hierauf begannen sie ihr Wert im Kleinen; denn es war wirklich ein großes Wert, das sie unternommen hatten, und ging fast über ihre Kräfte. Sie singen aber gleich in der rechten Weise ^> sie überfielen einzeln wohnende Christen, tödteten sie und Wachten ihre Hänser der Erde gleich. Solche, die stets in unsern geordneten Verhältnissen lebten, werden denken, daß dies kanm mög-"ch sci; aber unter dem Regiment der Türken ist noch viel mehr Möglich, und noch viel Schlimmeres, i" fast Unglaubliches, habe ich ^- 60 — zu berichten. Und doch sind es reine Thatsachen, ohne alle Zuthat oder Uebertreibung. Die Christen merkten bald, daß dies blos ein Vorspiel eines größeren Blutbades sein würde; denn sie sind unter den Türken der Blutbäder Zu gewöhnt. Sie verließen darum ihre einzelnen Wohnungen und Zogen sich in christliche Ortschaften hinein. Doch das war es' nicht, was die Drusen wollten, sie wollten nicht die Flucht der Christen, sondern ihr Blut. Um sie daher zu reizen und womöglich zum Widerstände zu bringen, umringten sie das Maronitenkloster Zu Hlmik und ermordeten den Prior in seinem Bette. Zu gleicher Zeit machten sie offne Kriegsrüstungen, schickten ihre Frauen und Kinder von sich in sichere Orte :c. Als die Christen das sahen, verließen sie diesen District der Drusen ganz und Zogen nach Zachl«, einer Stadt der Christen. Die Drusen aber überfielen viele dieser Flüchtlinge und tödtetcn sie, selbst in der Nähe von Zachl«. Als die Christen von Zachl^ das sahen, zogen sie aus, ihre Glaubensgenossen zu schützen. Das wollten gerade die Drusen. Sie fielen von allen Seiten über die ungeordnete Masse der Christen her, schlugen sie, tödteten alle Männer, verbrannten einige Dörfer, raubten was zu rauben war, und zogen heim. Die Häupter der Drusen aber gingen hierauf wieder nach Bcyrut zum Gouverueur und Kurdschid Pascha nahm diese Mörder als Freunde auf, hielt wieder eine Berathung mit ihnen und entließ sie in Frieden. Als die Consuln der verschiedenen christlichen Mächte das sahen, machten sie sich auf und gingen alle Zusammen am 1. Juni Zum Gouverneur, ihm ernste Vorstellungen Zu machen. Der aber, als ein echter Türke, that äußerst unschuldig, schalt gewaltig auf die Christen und bat die Consnln, sie möchten die Christen doch bewegen, in ihren Häusern zu bleiben und nicht einander zur Hilfe Zu ziehen, so wollte er den Drusen auch befehlen, zu Hcmse zu bleiben und alles werde gut gehen. Die Consuln gingen richtig in die Falle und wurden nun selbst noch Helfershelfer der Türken; denn sie ver- — 61 — hinderten die Christen, sich zu wasfncn oder sonst Vorkehrungen zu treffen. Kurdschid Pascha aber dachte auch nicht einmal im Traume daran, die Drusen Zur Ruhe zu ermähnen, so verfolgten denn diese ihre blutige Bahn immer weiter. Doch auch so waren sie des Gelingens ihrer Sache noch nicht gewiß; denn der Christen sind viel mehr im Libanon als der Drusen, und so suchten sie denn Hilfe bei ihren Stammverwandten im Hauran. Said Bey Iumblcttt, der oberste Häuptling der Drusen, war der Leiter dieser ganzen Angelegenheit. Er schrieb einen Brief "n Ismail-il-Uttrush, den obersten Sheik im Hanran, und beschuldigte die Christen alles dessen, was er selbst ihnen angethan hatte. „Unsere Häuser, so klagte er, sind niedergebrannt, nnsere Weiber ftnd entehrt, unsre Kinder sind in Stücke zerrissen durch die Wuth "er Christen. Um Gottes willen und um unsers gemeinsamen Glaubens willen komm nnd rette uns, sonst werden die Drnsen von dem Augesicht der Erde verschwindend Daranf brannte er die vier Ecken dieses falschen Briefes an, um damit die allerhöchste Noth zu bezeichnen, nnd so schickte er ihn fort. Als Ismail-il-Uttrnsh diesen Brief erhielt, sprang er auf wie em Tiger, rief seine ^ente zusammen nnd schwur, daß er seine Hände, n dem Blute dieser grausamen Christen waschen wolle. Zu derselben Zeit schrieb Said Bey Briefe an die verschiedenen Ortschaften der Christen, versicherte sie seines Schutzes, sagte ihnen, su möchten mir ruhig in ihren Qrten bleiben und ein jeder wie gewohnlich scincr Arbeit nachgeben, er wolle sic schützen; denn ohne seinen Willen könnten die Drusen nichts thun — und dies letztere >"ar die einzige Wahrheit, die der Brief enthielt. Die falschen Briefe brachten den meisten Ortschaften große Meude, die jedoch nur von kurzer Dauer war. Denn während sie k en Dantschrcibcn an Said Bey absandten oder noch abfaßten, __s;2 __ wurden sie angefallen, alle Männer erschlagen, das Eigenthum geraubt und die Häuser niedergebrannt. Ebenso ging es manchem reichen Kloster, aus welchen sie Gelder oder doch Gcldeswerth genug entnahmen, nm ihre teuflischen Werke fortzusetzen. Die Christen aber wurdeu durch alles dieses so völlig verwirrt, daß sie kaum zu Verstande kommen konnten. Und da die Häupter der Christen den Consuln versprochen hatten, Nuhe zu halten, so fehlte es ihucu an aller Anleitung zum Widerstände. Wohl erließen junge Feuerköpfe Rundschreiben, in welchen sie alle Christen zum Widerstände aich riefen, aber diese hatten unter den Christen selbst keinerlei Autorität, waren aber den Drusen sehr willkommen; denn nun kouuten sie die selben als eine Art Entschuldigung braucheu und ihre Angriffe als Nothwehr darstellen. Unter diesen Umständen verließen die Christen wieder ihre vereinzelten Wohnungen und flüchteten nach Hasbea, einer größeren Stadt, fast ausschließlich von Christen bewohnt uud mir einer Be fatzung von 500 Mann türkischen Militärs, unter dem Befehle eines Obersten: Osman Bey. Die Christen hielten es für rathsam, sich des guten Willens dieser Besatzung Zu versichern, und so brachten sie 4000 Gulden zusammen und übergaben sie an Osman Bev mit der Bitte um Schutz für ihr Eigenthum und ihr Leben. Die Türken nahmen das Geld, gaben auch alle gewünschten Versprechen, aber zu halten dachten sie keins. Denn als die Drusen in großen Massen herbeizogen, und die Christen sie nun an ihr Versprechen erinnerten, sagte Osman Bey: „Kämpfet selbst gegen eure Feinde, und wenn es Noth thut, will ich euch helfen." Einige hundert junge Männer zogen darauf hinaus, da sie aber ohne Ordnung und gehörige Leitung waren, wurden sie gänzlich geschlagen und mußten sich in die Stadt zurück-siüchten. Ihr Beschützer aber, Osman Bey, ging nun hinaus und hielt eine Berathung mit den Drusenhäuptern und namentlich mit Sitt-Haify, der Schwester des Said Bey, nur noch viel blutdürstiger — 63 - als jener. Darauf erklärte er, er wolle nun die Sache in seine eigenen Hände nehmen und dic Christen schützen, aber zuvor müßten sie ihm ihre Waffen ausliefern, sonst könne er nichts thun. Die Christen gingen wieder in die Falle, kamen versammelt in das Re-gierungsgevä'nde und übergaben ihre Waffen. Aber von dem Augen blicke an wurden sie in demselben Gebäude festgehalten, in welchem sie ihre Waffen niedergelegt hatten. Die ärmeren Familien fühlten bald Mangel, da ihre männlichen Glieder gefangen gehalten wurden, und manche dieser Frauen gingen zu Sitt-Haify, warfen sich ihr vor die Füße und baten um Freilassung ihrer Angehörigen. Doch außer einigen Arbeitern ihres Schwiegersohnes entließ sie niemand. Diese aber entließ sie theils der nöthigen Arbeit wegen, und theils auch wohl aus Vorsorge, daß wenu einst ein Tag der Abrechnung käme, sie doch auf diesen Act der Barmherzigkeit hinzuweisen im Stande sein möchte. Inzwischen kam das Gerücht von so viel gefangenen Christen zu Hasbea auch nach Damaskus, so versammelten sich die dortigen Konsuln und Bischöfe und baten Achmed Pascha, den Gouverneur von Damaskus wie auch vom Libanon und ganz Syrien, um Schutz für ihre gefangenen Glaubensgenossen. Doch der gab nichts als ausweichende Antworten und begründete sie damit, daß er nicht Truppen genug zur Verfügung hätte. So baten sie ihn denn, er wöchte doch wenigstens einen schriftlichen Befehl nach Haöbeä scn^ den und die gefangenen Christen von dort nach Damaskus kommen lassen. Dem konnte er sich nun nicht wohl entziehen und so sandte er einen solchen Befehl durch eineu Adjutanten an Osman Bey nach Hasbca. Dieser las den Befehl öffentlich vor den Ohren der gefangenen Christen, worauf diese vor Freude weinten, Gott im Him-niel dankten und auch den Sultan und alle ihre Beschützer laut Priesen. Dann machten sie sich zurecht für die Reise uach Damaskus; denn sie meinten, sie sollte nun alsbald vor sich gehen. Aber ihre ____ ss^, ____ Feinde in ihrer Wuth und Gott in seiner Barmherzigkeit hatte eine andere Reise für sie bestimmt. Die Drusen hatten mm keine Zeit mehr zu verlieren. Sie gingen noch einmal zu Sitt-Haify, welche für ihren Bruder Said Bay handelte, und frugen nach ihren Wünschen. Sie aber verlangte nichts weniger als das Leben aller Manner, die sie gefangen hielten. Das war selbst einem alten Drusen zu viel, und er ist es werth, daß sein Name genannt wird. Er hieß Ali Hamadi. Der ging nahe zu Sitt-Haify hin, blickte ihr scharf ins Auge und sagte: „Das Leben aller dieser Christen? Und was soll aus ihren Familien werden? Denke an ihre Frauen und Kinder! Laß alle alten Männer sterben, aber die unbärtigen Jünglinge laß leben, ihre Familien Zu unterhalten!" So fand sich selbst ein Drusenmann, in welchem sich ein Funken von Erbarmen regte, aber in diesem Drusenweibe war auch keine Spur davon. „Unmöglich", rief sie, „mein Bruder hat strikten Befehl gegeben: alle Christen vom 7. bis zum 70. Jahre müssen sterben." Kein Wort ward weiter gesprochen. Osman Bey ließ die Trompete blasen, das Zeichen zum Aufbruch für die Christen, und seine Soldaten traten in das Gebäude, sie zur Eile zu ermähnen. So verließen sie ihre Haft. Aber vor der Thüre empfingen sie die Drusen mit einem Gruß aus ihren Gewehren und stürzten dann mit blanken Schwertern in den erschrocknen wehrlosen Haufen. Jusuf, der Sccretair des christlichen Emir Saad-c-din, welcher die 4000 Gulden an Dsman Bey übcrbracht hatte, warf sich nun ihm zu Füßen und bat um den versprochncn Schutz. Aber dieser Türke stieß ihn mit einem Fuße ins Gesicht und die Drusen zerhackten ihn in Stücke. Sie tödteten auch den Emir Saad-e-din und sandten seinen Kopf als Siegeszeichen zu Said Bey. Keine Feder kann beschreiben, was nun vorging. Hier und da warf sich eine Frau ihrem Manne in die Arme, um mit ihrem Leibe ihn zu schützen; das Schwert trennte sie oder zerhieb sie mit einander. — — 65 — Als die Christen nun aber inne wurden, daft dies wirklich ihr letzter Tag auf Erden sei, ermannten sie sich sogleich und wurden still. Niemand bat mehr um sein Leben, sondern reichte seinen Hals willig dem Schwerte dar. Nur hier und da hörte man die halbunterdrückte Bitte: „Martere mich nicht!" Aber immer wieder hörte man den lauteren Seufzer: „In Deinem Namen, HErr Jesu!" — Doch selbst im Tode noch höhnten sie die Drusen und schrieen: „Ja 'rufe nur Jesum um Hilfe an; weißt du nicht, daß Gott ein Druse ist?" Bald genug war das Werk der Hölle vollbracht. Und als es nun dunkel ward, kam Sitt Haify herbei und forderte ein Ächt. Das Licht ward ihr gebracht. „Halt es in die Höhe," rief sie, und Weidete so ihren Blick an ^den zerstümmelten Leichen der Christen. Einige Hundert lagen in ihren: Blute zu ihren Füßen. Zuletzt sagte sie: „So ist's recht, Drnsen; das ist's, was ich von euch erwartete." Man hört oft so viel von der Lügenhaftigkeit der morgcnländischen Christen und wie »nan dagegen dem Worte eines Türken trauen kann. Aber was ist all dieser Mangel an Wahrheitsliebe unter den Christen un Vergleich mit dieser systematischen Lüge nnd Heuchelei der Türken? Sie geben mündliche und schriftliche Versprechungen des Schutzes und sie verbürgen die Ehre des türkischen Reiches dafür, und doch denken sie nicht einmal daran, zu thun, was sn> versprochen haben; la sie geben diese Versprechen nur darum, damit sie desto sicherer das gerade Gegentheil davon thun könnten. Und dabei handelt es slch nicht um Kleinigkeiten, wie Mein und Dein, sondern um das ^eben von Hunderten und Tausenden ihrer eignen Unterthanen, deren Steuern sie nahmen und denen sie Schutz schuldig waren, und diese verbrieften und versiegelten Versprechungen sind nicht von armen Handelsleuten gemacht nnd schändlich gebrochen, sondern von den Großen des türkischen Reiches, von Veys (Obersten), von Paschas und von Gouverneuren ganzer Provinzen! Wo haben die Christen !> - 66 - im Morgcnlande je etwas Aehnliches gethan? Europäer sollten sich schämen, immer die schwächsten Seiten, und nichts als die schwäche sten Seiten ihrer Mitchristcn im Orient aufzusuchen, sie zehnfach zu vergrößern und sie so vor aller Welt hinzustellen, mit Fingern darauf zu zeigen und zn rufen: Sehet, das sind die Christen des Orients! Während sie jeden Schatten eines Guten, das sich bei den Türken findet, hundertfach vergrößern und im Preise desselben nicht müde werden. Inzwischen hatte Ismail-il-Uttrush vom Hauran mit drei Tausend Beduinen den Libanon erreicht. Er zog geraden Weges nach dem Wady-el-Teim, dem Hauptsitze der Drusen, und war infolge des falschen Briefes voll Rache und Blutdnrst, wie man sich denken kann. Auf dem Wege fanden sie eine Anzahl Christen auf dem Felde ihre gewöhnlichen Arbeiten verrichten; sie tödtctcn sie alle ohne Unterschied. Dann kamen sie nach Rashea, wo sich auch ein Haufen Christen, an sieben Hundert, uutcr dem schon bekannten Schntze der türtischen Behörde befanden. Ismail-il-Uttrush hielt cinc kurze Berathung mit dem türtischen Aga, der sie behütete, und dann fiel er mit seinen Beduinen wie mit einer Heerde hungriger Tiger über die wehrlosen Christen her. Die Scenen von Hasbca wiederholten sich hier uud wer wollte sie noch einmal beschreiben? Aber bemerken muß ich, daß die Muezzins dabei von den Minareten herunter schrieen — daß ein Ferman des Sultans die Vcrtilguug aller Christen befohlen und ihr Eigenthum den Moslems gegeben habe. Hierauf versammelten sich die verschiedenen Drusenstämmc uud zogen vor Zachl«; das ist eine etwas befestigte Stadt der Christen. Der Schrecken der Bewohner war nicht gering, als sie sich von ihren mächtigen Feinden umringt sahen, und viele gaben sich schon für verloren. Die türkische Bcsatzuug aber sang ihnen wieder ihr übliches Lied vor: sie sollten ihre Waffen ausliefern nnd sich dem Schutze der Türken anvertrauen. Doch die Mehrzahl der Christen ant- __ß7 __ wortete: Nein, sondern lasset uns tapfer kämpfen für unsern Glauben und für unser Leben. Es ist uns doch besser, wir fallen im Kampfe, als grausam hingemordet zu werden. Und wenn wir auch die,Stadt nicht halten können, so können wir doch auf die Berge fliehen. Dieser Entschluß rettete ihnen wenigstens ihr Leben. Denn wohl vertheidigten sie ihre Stadt viele Stuuden lang, als sie aber die große Uederzahl merkten, denn es waren acht Tausend Druscu über sie her, verließen sie die Stadt und flohen in die Berge, die nur von Christen bewohnt waren uud wo die Drusen sich noch nicht hingcwagt hatten. Der Fall von ZaclM verbreitete einen Schrecken unter allen Christen im Libanon und erregte ebensoviel Jauchzen unter allen Druseu uud Türken. Nun war blos noch ciue Stadt der Christen M dem Districte der Drusen übrig, und das war Deir-el-Kamar. Diese Stadt war schon am 1. Juni von vier Tausend Druseu angefallen worden, aber die Christen hatten ihre Maueru tapfer vertheidigt und die Drusen zurückgeschlagen. Da sie jedoch zu einer Belageruug keine Lebensrnittel hatten, so hatten sie capitulirt. Die Drusen waren dann eingezogen, hatten ciuhuudertuuddreißig Häuser zerstört, das Eigenthum geraubt und waren davon gezogen. Wenige Tage nach diesem Vorfalle hatte Kurdschid Pascha von Bcyrut diese Stadt besucht, die Christen sehr ausgcscholten, als seien sie Rebellen, ^e nnr die Franken (Franzosen) in den Libanon bringen wollten, und hatte dann also geschlossen: „Nun, laßt euch das eine Warnung sein. Was geschehen ist, soll vergeben sein. Hinfort seid ihr unter "Nn Schutze meiner Regiernng. Nehmet eure Beschäftiguugen wie--^r auf. Deir-el-Kamar ist so sicher wie Konstantinopcl." Mit diesem Hohn verließ Kurdschid Pascha die Stadt. Die Drusen hatten hundert uud dreißig Häuser zerstört; für diese That "eß er den Christen Vergebuug angcocihen! Das ist ein Beispiel "on dem Regiment der Türken. 5" — 68 — Doch die Beute von Zachtö hatte uur den Appetit der Drusen verschärft und schon vor dem Ende des Monats Juni waren sie wieder vor den Thoren Deir-el-Kamars, und die geängsteten Christen riefen mm die türkische Besatzung um den von Kurdschid Pascha versprochenen Schntz an. „Es ist gar keine Gefahr," sagten die guten Türken, „doch zur größern Sicherheit könnt ihr ja eure werthvollen Sachen in den Regierungsgebäuden unterbringen." Die armen Christen folgten diesem Rathe und suchten zuletzt selbst iu großer Anzahl Schutz in den Gebäuden der türkischen Regierung. Die von allen Seiten zusammengekommenen Drusen hatten nämlich gar bald die Stadt eingenommen und den größten Thcil davon zerstört. Doch auch damit nicht zufrieden, griffen sie nun auch die Regieruugsge-bäudc selber an und lechzten nach dem Blute der dort geborgenen Christen. Die Türken aber dachten nicht einmal daran sie zu schützen. Es waren an zwölfhnndert Christen, die sie hier fanden, und die Drusen fielen wie die Wölfe über sie her mit Schwertern, Aeften, Messern :c. Die Scenen, die nun folgten, vermag ich nicht zu beschreiben, wie sie denn auch kaum gelesen werdeu könnten; nur eine Thatsache will ich hier bemerken: Während dieses gräßliche, nner-hörte Hinschlachten der Christen danerte, saß der türkische Oberst ruhig und rauchte seine Pfeife I Dic Drusen tödteten überall die Männer der Christen, die Frauen aber und Kinder ließen sie leben. Und nach der Zerstörung von Deir-cl-Kamar hatten sie nun an zwei Tausend Wittwen und Waisen dastehen, bis znm Tode ermüdet, hungrig nnd verschmachtet. Fast blind vom Weinen, fast stumm vom Wehklagen, standen sie da mit blutendem Herzen nnd von dem Blnte ihrer Männer, Väter und Brüder bespritzt, und starrten in die Ruinen ihrer einst glücklichen Wohnungen. Bald umringten sie aber die Drusen und trieben sie vor sich hin, die ganze Nacht, bis sie zwischen Beyrut und Sidon das Meer erreichten. Hier hielten sie an uud sandten einen — 69 — Boten an den englischen Consul nnd ließen ihm sagen, sie hätten diesen Ort mit dem weiblichen Rest von Dcir-el-Kamar erreicht und er möchte Boote schicken, sie aufzunehmen! Ist es nicht, als ob die Drusen den Eindruck gehabt hätten, daß sie England einen Dienst erwiesen mit der Ermordung aller dieser Christen? Ist es nicht, als ob sie hätten sagen wollen: Sehet hier, wir haben euer Werk vollbracht, diese Priester werden euch nun nicht mehr Ketzer schelten, denn sie sind alle todt; aber nun nehmt uns auch die Last der Wittwen und Waisen ab, die wir doch nicht aÜe füttern können.? Und als Boote kamen nnd sie ihnen abnahmen, mußte es ihnen, nicht als eine Bestätigung ihrer tollen Idee erscheinen? Boote kamen wirklich, nahmen diese unglücklichen Haufen auf und brachten sie nach Beyntt. Dort in Beyrut sah ich noch manche vou den Waisen, welche beide Eltern verloren hatten. Viele dieser Wittwen uud Waisen sind natürlich gestorben, andre sind von der Liebe abendländischer Christen erhalten und gerettet worden. Doch Beyrut war um diese Zeit selbst nicht mehr sicher, trotz des englischen Kriegsschiffes, das vor der Stadt lag. Selbst die ^vnsulu wurdeu auf den Straßen angegriffen. Der Generalconsul ^n Frankreich ward anf offner Straße mit einem blanken Säbel ^gefallen, ein Pistol ward auf einen Engländer abgefeuert, und die ganze Stadt war in wildester Aufregung. Und woher das alles? Man hatte einen einzigen Türken erschlagen gefunden! Die ganze Stadt war anf den Beinen, man ergriff einen christlichen Jüngling, welcher in der Nähe der Leiche gesehen worden war, uud sührtc ihn vor das Gericht. Er ward ohne weiteres zum Tode verurtheilt und sofort abgeführt. Auf feinem Wege zum Tode schrie dieser Jüngling mit lauter Stimme: „Ich bin unschuldig! Gott weiß ^, ich hin unschuldig! Aber weun mein Tod nöthig ist, um meinen Brüdern Sicherheit zn geben, so lasse ich mein Leben gern." Er ward hingerichtet und der Anfrnhr legte sich in etwas. Doch Nie- — 70 — mand war seines Lebens mehr sicher und Tausende verließen die Stadt und suchten außerhalb des „türkischen Schutzes" ihre Zuflucht in Syra, in Athen und in Alexandrim. Nachdem nun die Drusen die christliche Bevölkerung in den gemischten Districten so leicht vernichtet hatten, dachten sie daran, sie auch in ihren eignen — nur von Christen bewohnten — Districtcn anzugreifen. Und was die Sache noch viel ernster machte, war, daß Kurdschid Pascha bereits zwei Regimentern seiner 'Türken Befehl gegeben hatte, sich bereit zu halten, über den Nähr el Kelb zu gehen, die Chtisten zu „schützen". Denn um diese Zeit wußte bereits ein Jeder, was es mit diesem „Schützen" auf sich hatte. Hätte man die Christen sich selbst überlassen, so wären sie wohl im Stande gewesen, sich ihres Lebens zu erwehren, aber durch allerlei Vorspiegelungen, Entwaffnungen und Schutzverheißuugen irre gemacht, waren sie so elendiglich umgekommen. Denn man verhieß ihnen nur Schutz unter der Bedingung, daß sie sich ruhig verhielten; kamen dann aber die Drusen, so ließ man ihnen nicht nur freie Hand, die ganz unvorbereiteten Christen zu überfallen und zu ermorden, sondern in vielen Fällen halfen die Türken noch selbst mit Hand anlegen. Und daher schrieen auch die zwei Tausend Wittwen und Waisen, als sie die englischen Boote aufnahmen: „Die Türken haben uns gemordet! Die Türken haben uns gemordet!^ Denn die Drusen waren in der^That nur ihre Werkzeuge. Als nun die Consulu der europäischen Mächte endlich sahen, wie es wirklich stand, versammelten sic sich alle im Hause des englischen Generalconsul Herrn Moore uud wurdeu eiuig, daß es ganz umsonst sei, sich ferner an den elenden Gouverneur Kurdschid Pascha Zuwenden. Das hatten sie oft genug gethan, und doch nichts als lügenhafte Antworten erhalten. Sie beschlossen also, sich an die Häupter der Drusen selbst zu wenden und zu sehen, ob sie nicht auf sie einen Eindruck machen könnten. Sie verfaßten also cinmüthig folgendes Schreiben- — 71 — „Wir, die General-Consuln von England, Oesterreich, Frankreich, Preußen und Rußland, sehen uns genöthigt, unsre tiefste Mißbilligung auszusprechen über die Räubereien, Verwüstungen und Mordthaten, von denen wir mit tiefsten: Bedauern Kuude erhalten haben. Und wir fordern Euch hiermit förmlich auf, sofort damit aufzuhören. Als die Repräsentanten der Großmächte, und in dem Namen der Gesandtschaft derselben, welche uns darüber förmlichen Auftrag ertheilt haben, warnen wir Euch, daß Euch eine schwere Verantwortung treffen würde, wenn noch ferner irgend eine Bewegung von Enrcm Volke gegen die Christen, ihre Dörfer und ihr Eigenthum unternommen werden sollte. Wir fordern Euch also auf das Bestimmteste auf, so schnell als möglich Frieden zu machen und solche Eurer Bauden, welche auf dem Wege nach Damaskus, Sidon, Zachlß, Deir-el-Kamar, Kesruan oder irgend welchen Orten der Christen sein möchten, sofort zurückzurufen. Erwäget wohl, welche-ernste Folgen es für Euch alle haben würde, wenn Ihr dieser unsrer förmlichen Aufforderung nicht Folge leisten würdet, und bedenket, daß unsre Regieruugen nicht mit Gleichgültigkeit zusehen tonnen, daß die Dinge noch ferner so fort gehen, als bisher." Dieses Dokument ward durch den erfahrnen Herrn Graham nach Machtara gesandt, der Residenz des Scheusals Said Bey. Dieser aber empfing den Boten höchst unwillig, und es dauerte zwölf Stunden, ehe er bewogen werden konnte, überhaupt irgend welche Antwort zu geben, während welcher Zeit er sich allerlei Rath einzuholen schien. Endlich gab er folgende echt türkische Antwort: „Ich kann die Sheiks nicht zusammen rufen: sie würden nicht kommen. An sie zu schreiben, wäre lächerlich. Wenn Sie sie selber aufsuchen gehen wollten, könnte ich Ihnen vielleicht einige Reiter untgcben; aber diese werden nicht gehen wollen. Morgen ist ein Feiertag. Ich habe die Drusen zur Ruhe ermahnt, aber sie wollten Nlcht hören. Ich bin immer ein Freund und Bewunderer der Eng- - 72 — länder gewesen. Ich bin der Königin allerdemüthigster Sclave. Möge sie thun, was ihr recht dünkt." Herr Graham sah nun bald, daß hier nichts auszurichten war, aber er gab seine Bemühungen nicht auf. Er ritt selbst umher, die verschiedenen Häupter der Drusen aufzusuchen, uud das war -keine leichte Sache, denn die Meisten versteckten sich vor ihm. Aber es gelang ihm doch, den Inhalt seines Schreibens überall bckanut zu machen; uud obwohl die Drusen keine Antwort darauf gcbcu wollten, so wagten sie doch auch von dem Tage an nicht mehr, die Christen anzugreifen. Als nun die Türken sahen, wie die Sachen standen, suchten sie so gut wie möglich aus der Schliugc zu kommen. So berief der schändliche Kurdschid Pascha die christlichen Emirs des Libanon zu sich und forderte sie auf, ihre Unterschrist uud Siegel zu dem Vertrage zu geben, welchen er aufgesetzt hätte. Wenn sie jetzt thun wollten, was er verlangte, sagte er ihnen, so sollte Frieden sein. Wenn sie aber nicht wollten, so würde er es nicht hindern können, wenn das Blutvergießeu wieder beginne. Doch worin bestand denn der Vertrag, welchen er aufgesetzt hatte? Nun der bestand aus einem einzigen Artikel und der hieß: „Es soll hinfort Friede sein zwischen den Christen und den Drusen, und alles Vergangene vergessen." — Keine Erstattung der geraubten und zerstörten Güter. Keine Unterstützung "der Hinterlassenen der Hingemordcten. Keine Bestrafung der Mörder! Nichts von alledem. Nur Frieden und das Vergangene vergessen! Die armen christlichen Emire, was sollten sie thun? was konnten sie thun? So setzten sie ihre Siegel unter Kurdschids Paschas Vertrag, und zogen wieder heim. Die Drusen rührten sich von nun an nicht mehr, welches nur noch ein Beweis mehr davon ist, daß, was sie bis dahin gethan hatten, sie nur auf Antrieb der Türken thaten. Der Libanon war uuu ruhig, doch die Söhne der Hagar und — 73 — der Ketura hatten ihren angefachten Blutdurst immcr uoch uicht genug gestillt. Und etwa zwei Wochen nach dem Blutbade von Deir-el-Kamar brach der Sturm aufs Neue los in Damaskus. 9. Nach Damaskus. Die Stadt des Elieser lag ursprünglich nicht in nnserem Reise-Plane, nud es ist die Schuld der Franzosen, daß wir sie darin aufnahmen. Die haben nämlich von Beyrnt ans mit vielen Kosten und großem Geschick eine ordentliche Straße gebaut, den Libanon hinauf und hinunter, Cölesynen hindurch, dann den Antilibanon hinauf und hinnnter, und schließlich die Wüste hindurch bis nach Damaskus. Mit den regelmäßigen Posten auf dieser Straße taun man eben so sicher, wenn anch gar anders fahren, als in Deutschland. Die Straße war freilich nur zur Hälfte des Weges, bis zum Fuße des Anti-Libanon, geöffnet, aber dort standen Pferde bereit, die die Passagiere nach einem 8—Windigen Ritt sicher nach Damaskns brachten. An einem schönen September-Morgen bestiegen wir (meine Frau und die des Architekten Mr. Pullan sammt dein braunen Abraham blieben zurück, so daß die Reisegesellschaft diesmal blos aus Mr. Pullan, unsrer deutschen Freundin mW mir bestand) den hohen lnftigen Reisewagen, auf welchem auch unser Drogoman einen Platz bekommen hatte, und der sonst ganz gefüllt war, und fuhren dem Libanon zu. Zwei türkische Offiziere mit mehreren Frauen hatten für sich allein einen Postwagen genommen (wofür sie 1000 Francs bezahlten) nnd folgten uns nach. Ein dunkler, lustiger Äthiopier ergriff die Zügel unserer Pferde und bald war Beyrnt weit hinter uns. Die Ebene war rasch durchjagt und in mächtigen Windungen begann nun das Steigen. Was die alten Römer nicht — 74 — für möglich gehalten hätten, das hatten die so gern ihre Erben sein möchten wirklich vollbracht — eine Straße über den Libanon. Je höher wir kamen, desto mehr hatten wir Gelegenheit, die Liebe der Vewohnc?zu diesem Gebirge zu bewundern. Mit vieler Mühe haben sie bis Zu den Spitzen der Berge Terrassen erbaut und mit Maulbeerbäumen, Feigen, Oliven :c. bepflanzt, auch mit Wein, der so gut geräth, daß selbst die Schrift sein gedenkt und Israel verheißt, daß sein Gedächtniß sein soll „wie der Wein am Libanon". (Hos. 14,8). Am Fuße des Gebirges stehen manche schöne Wohnhäuser in halb europäischem, halb asiatischem Styl, auf dem Gebirge oben aber sind die Häuser meist klein, mit einem flachen Dache ohne Geländer, so daß sie von fern wie Würfel aussehen, in denen die Thiiren und Fenster die Punkte sind. Die Farbe der Häuser ist die fahle Farbe des Kalksteins, aus welchem sie erbant sind, so daß sie sich nur wenig von der Bodcnfarbe unterscheiden und man sie leicht ganz übersehen kann. Auf dem wiuduugsreichcn Wege den Libanon hinauf sahen wir immer wieder Beyruth zu unsern Füßen und das spiegelglatte Meer mit seinen Schiffen daneben. So zogen wir fröhlich und dankbar gegen den HErrn, der uus so weit gebracht, über alle Berge des Libanon, leichter und heiterer als man sonst über Berge zu kommen Pflegt, die des Pilgers Pfad erschweren. Als wir die höchste Höhe überschritten hatten, hemmte unser Aethiopier den Wagen, jagte aber dann mit solcher Schnelle das Gebirge hinab, daß uns bei manchen scharfen Wendungen zuweilen grausig werdeu wollte. Aber unser Iahu hatte die Zügel in fester Hand, peitschte fröhlichen Muths auf seine Sechsc und schien sich der wilden Fahrt noch mehr zu freuen als wir. Bald gewaunen wir einen Blick auf Cölesyrien mit seinen grünen Pflanzungen und seinem mm so klein gewordenen Fluß Leoutcs in der Mitte. Die Formation der einzelnen Berge des Libanon, von Cölesyrien aus gesehen, zeigt auffallend deutlich, daß sie ihre jetzige Gestalt durch das __, 75 __ Abnehmen einer Wasserfluth erhalten haben, die einst die Berge bedeckte. Was 1. Mos. 7, 10 und Cap. 8, 3 geschrieben steht, das kann man hier gleichsam mit Angen sehen. Kein Gebirge hat die Spuren der Fluth so treu bewahrt, als der Libanon. Des Abends kamen wir am Fuße des Antilibanon an und Machten Halt. Bis hierher nur war dic neue Straße fahrbar. Es war daher von Brettern eine luftige Hütte mit mehreren (Gemachern auf ganz rohe Weise zusammengenagelt worden, und das war das Gasthaus von Djeidi. Wir erlangten nach einigem Kampf zwei Gemächer, mit der bloßen Erde zum Fußboden. Unsre Türken wurden in einem Zelte untergebracht. Die Sterne bicktm bald durch die offnen Bretterspalten der Hütte auf uns hernieder und wir begannen nuu einzusehen, was wir auf dem Wege nicht verstehen konnten: warum sich nämlich nnsre Türken so sehr mit Mänteln und Pelzen versehen hatten. Nicht lange nach Sonnenuntergang ward cs sehr empfindlich kalt und wir hatten nichts als unsre leichte Reiseklei-dung mit, nebst einem Ueberrock und schottischen Shawl. Doch ehe wir uns zur Ruhe begaben, mußten wir erst einem Seiltänzer den Gefallen thnn, ihn seine Kunst vor uns vroduciren zu lassen. Und das konnten wir ihm schon gar nicht abschlagen, wie wenig wir auch sonst dazu geneigt waren, denn er redete uns deutsch an und sagte: „Kommen Sie doch nur, ich bin ja auch ein Deutscher!" Die Sonne war noch lange nicht anf, als wir in alle unsere Kleider gehüllt, die bereit stehenden Pferde bestiegen, um den acht- bis neunstündigen Ritt nach Damaskus anzutreteu. Wir waren bald in oen Schluchteu des Antilibanon, die für Räuber uud lauernde Beduinen wie gemacht zu sein scheinen. Da aber uns vor Kälte Hände und Füße erstarrten, sahen wir nns veranlaßt, neben unsern Pfer-ven zu Fuß zu gehen. Als die Sonne aufgegangen war, vertrieb sie die Kalte sehr bald. Um neun Uhr rasteten wir im Schatten emes vorspringenden Felsens und nahmen unser Frühstück ein. — 76 — Darauf ging der Ritt recht gut, bis wir in den Mittagsstunden die scngcnde Wüstcnftäche zu Passiren hatten. Wir suchten durch Umwindung unsrer Köpfe und Hüte mit Tüchern n. dcrgl. die Kraft der Sonnenstrahlen zu brechen. Lange Züge von Kamcelen mit Gütern begegneten uns. Zehn und zehn derselben waren immer durch einen langen Strick mit einander verbunden und ein Araber ritt auf einem Maulthier, auf einem Pferde oder auch auf einem Esel daneben. „Nar dadad"! rief uns der erste zu, und legte seine Rechte auf die Brust. M,i> k^md! erwiderten wir unwillkürlich, und so zogen wir beide zufrieden an einander vorüber. Andre begegneten uns mit entsetzlich langen Spießen und mit so bedolchtem lind piftoltem Gürtel, daß uns vielleicht bange geworden wäre, wenn wir nicht auch etwas von Nimrods Werkzeugen mit uns gehabt hätten. Wenn so einige Doppelgewehre in der Sonne erglänzen, so werden Ismaels Söhne gewöhnlich ganz lenksam und höflich. Am Nachmittag wurden wir höchst anmuthig durch einen Fluß, dem Barada, überrascht und bald darauf kamen wir an eine Hütte, wo die französischen Ingenieure, die den Straßenbau leiteten, ihre Herberge hatten. Sie nahmen uns freundlich auf und bewirtheten uns. Von ihnen erfuhren wir, daß die Straße in drei Monaten ganz fahrbar sein werde, und daß sie sich schon jetzt rentirc. Kurz vor Sonnenuntergang gelangten wir anf den letzten Bergrücken, der das breite Barada-Thal einschließt. Die Ingenieure hatten uns gerathen, ja die Höhe zu besteigen und nns den Genuß von derselben nicht entgehen zu lassen. Wir folgten ihrem Rathe und waren ihnen herzlich dankbar dafür. Wenn je eine Stadt der Erde mit dem Paradiese eine Aehnlichkeit hat, so ist es, von dieser Höhe aus gesehen, Damaskus. Der Baradafluß, der Amana des Nacman (2. Kön. 5, 12) ergießt sich in viele Kanäle und bildet so eine große grüne mit viel Tausend Pappeln und andern Bäumen bewachsene Oase, die sich in dieser kahlen grauen Wüste gar herrlich ausnimmt. — 77 — Mitten in dieser grünen Oase liegt Eliesers Stadt mit 500 Moscheen, mehreren Synagogen und — bis kurz vor unsrer Ankunft auch noch mehreren christlichen Kirchen. Aus dieser Höhe stand vor zwölfhundert Jahren der falsche Prophet Muhamcd und schaute staunend auf diese Stadt herab. Dann wandte er sein Roß nnd sprach: „Nur ein Paradies ist dem Sterblichen beschicden; ich will dieses nicht betreten, damit ich jenes erlange." So erzählen seine Nachfolger und seitdem gilt ihnen Damaskus als das erste der vier Paradiese auf Erden. Nur daß eine Schlange voll tödtlichen Giftes m diesem Paradiese haust. Es war eben dunkel geworden, als wir durch die langen Lchm-wauern, die die Gärten umschließen, zum Thore der ältesten der bekannten Städte einritten, 10. Dttmnslus und feine letzten Gräuelscenen. Wie bei den meisten der orientalischen Städte, entspricht das Innere der Stadt dem Aenßeren auch hier nicht. Enge, krumme, fmstre Straßen und gar nicht sehr reinlich, große ausgedehnte Va-Hare, aber von edlen Gebäuden gar wenig zu seheil. Von ferne sah alles ganz herrlich aus, in der Nähe blieb von all der Herrlichkeit nicht viel übrig. Die bedeutendste und längste der Straßen von Damaskus ist "ie „richtige", auf welcher einst Saulus hervergete, als er voll Christenhaß in diese Stadt gekommen war. Hier suchte und fand thn Ananias, der einfache nnd trenc Jünger des HErrn, der ihm "le Hände auflegte, so daß die Schuppen von seinem leiblichen und 3chtlichcn Auge fielen und er nun als Jünger Christi die Verfolgung selbst erfahren mußte, die er über andre Zu bringen gekommen war. — 78 — Diese Straße führt von einem Ende der Stadt Znm andern, und auf ihr ritten auch wir tief hinein in die Stadt, bis wir vor einem unscheinbaren Hause Halt machten. Nach einigem Klopfen ward eine feste Thür geöffnet und wir traten in einen kleinen Hof ein, in welchem außer einem Wasserbehälter nichts weiter zu scheu war. Ueber diesen Hof hin zur Anken öffnete sich uns eine zweite sehr feste schwere Thür, durch welche wir in einen andern großen offnen Hofraum gelangten, der ganz mit weißem italienischen Marmor gepflastert war. In der Mitte desselben stand ein großes marmornes Wasserbassin, in welches das Wasser aus mehreren messingenen Hähnen hineinplätscherte, und ill dem viele große und kleine Goldfische spielten. In den Ecken umher standen Orangen-, Granaten-, Feigen- und andere Väume. Wir wandten uns abermals links, stiegen einige Marmorstufcn hiuauf und traten in eine sehr hohe Halle ein. Oben waren die Wände mit farbigen Arabesken und Gold verziert, unten war eine Fontaine, die ihr klares Wasser in ein Marmorbassiu ergoß, deu Hiutergruud füllten Ottomanen. Wieder stiegen wir einige Stufcu hinauf und kamen in ein Zimmer, in welchem Mr. Pullan und ich Herbergen sollten; ein anderes Zimmer nahm unsere deutsche Freundin auf. Denn dieses köstliche Gebäude war das Gasthaus uou Damaskus. Es ist nur dies eine Gasthaus in der Stadt, und auch das war seit den Mordsccucn fast gar nicht mehr besucht worden. Unser Wirth paßte ganz Zu diesem Gebäude. Ein stattlicher Mann, der um so gastwirthlicher aussah, als er gar nicht vou seinem Gasthofe lebte, sondern vou seinem Weinbau und dergleichen, und es darum auch aushalten komtte, in sechs Monateu kciucn Fremden zu scheu. Der preußische Consul, Herr Baron v. Herford, den wir in Beyrut trafen, hatte die Güte gehabt, unsere Ankunft zu melden und uns seineu Agenten und seine Consulargaroe zur Verfügung zu stelleu. So waren wir also erwartet worden, und der gastliche Wirth hatte schon für ein Abendbrot — 79 — gesorgt. Wir warm die einzigen Gäste, nur ein türkischer Obrist, Stammgast des Hauses, speiste mit uns, und unser Wirth selbst Präfidirte an der Tafel. Was wir hier aßen, das weiß ich längst uicht mehr; aber was wir tranken, das weiß ich noch. Dcnn wir tranken Bier aus England, mit Schnee vom Libanon gekühlt, in Damaskus. Am andern Morgen standen wir früh auf und fanden unsrer Wohnung gegenüber, auf der andern Seite des offnen Hofraums, eine sehr geräumige, uorn ganz offne Halle. Hier verbrachten sich die frühen Morgenstunden in echt orientalischer Nuhc. Von hohen Mauern ringsum »eingeschlossen, hatten wir im Innern des Hauses eine kleine Welt für nns, so völlig abgeschlossen, daß das laute Treiben der nahen Straße kaum wie ein fernes Gemurmel zn vernehmen war. Ich habe dieses Haus etwas genaner beschrieben, weil es ein Muster aller großen Häuser in Damaskus ist. Einen ganz ähnlichen Palast mit drei offneu Höfen bewohnt auch Abd-ul-Kadcr, der Hold von Algier. Wir fandet! ihn nicht zn Hause, hatten aber Altritt zu seinen! Palast. Ebenso besuchten wir den Scheith von Palmyra, der nicht nur einen Palast m Damaskus hat, sondern auch eine englische ^ady Tia.by zur Frau, die einst Lord Ellenboroughs Gattin war, ehe er General-Gouverneur von Indien wurde. Wir sahen in ihrem Kabinet den außerordentlich langen Spieß ihres letzigen Herrn Gemahls uud sein Portrait. Von dieser Dame wäre ^l zn erzählen, wenn es frommte. Sie sehnt sich aber jetzt nach besserer Kost, als die goldenen Traber, die sie bisher genossen. Die Haupt-Moschee in Damaskus war einst eine christliche "5rche. Und so eifersüchtig hüteten die Muhamcdaner den Zugang zu dieser geschändeten Kirche, daß frühere Reisende, unter ihnen auch "er selige Schubert, sie uur vom Dache eines benachbarten Hauses aus ein wenig sehen konnteu. Kein Wunder denn, wenn sie sich gar 5u herrliche Vorstellungen von ihr machten und namentlich viel von — 80 — sarazenischen: Baustyl zu rühmen hatten. Seit dem letzten Blutbad ist nun manches anders geworden in dieser Stadt. Wir durften uns des Gouverneurs Erlaubniß zum Betreten auch dieses muselmännischen Heiligthums erbitten. Der Gouverneur ertheilte uns dieselbe nicht nur, sondern sandte uns auch einen Offizier und einige Soldaten zur Bedeckung für diesen Kirchgang. Der Dolmetscher des preußischen Consuls und die beiden Consulargardisten begleiteten uns ohnehin auf jedem Gange in Damaskus. Diese Consnlargarde trug goldgestickte Jacken, schwarz oder roth, frmnme Seitengewehre und hohe Stäbe ckit silbernen Knöpfen, worin sie sich ganz stattlich ausnahm. So oft wir mit ihr auszogen, präsenürten die Soldaten das Gewehr und das Volk machte uns Raum. Unser eigner Dragoman war auch eine ganz respectable Erscheinung, nnd wir selbst waren bewaffnet. So zogen wir mit ziemlichem Aufzug zur Moschee. Nach der hohen Erwartung, die wir mitgebracht hatten, fanden wir uns aber entschieden getäuscht. Das Gebäude war einst eine ziemlich lange Basilika, das Dach ruht auf zwei Reihen sehr schöner Säulen, 40 an der Zahl. Die sind nicht sarazenischer Arbeit. Was aber die Muhamedcmer hier dazu gebaut haben, zeigte weder Kunst noch Geschmack. Rur der offne Hof war schön, doch ohne etwas Hervorstechendes zu haben. Da ich gern die Dimensionen großer Gebäude mit meinen Schritten messe, that ich's auch hier nnd kam somit in einige Entfernung von unsrer Garde. Sogleich stürzte der Dolmetscher des Consuls mir nach und rief: „Halten Sie sich nahe Zur Garde! die Muhamcdaner sind wüthend." Ich folgte seiner Mahnung, die, Garde schloß einen festen Kreis um uns und klapperte bedeutungsvoll mit ihren Waffen. Wir wurden ziemlich eingeengt von unfreundlichen Gaffern und es wurden ernste Worte gewechselt, die wir zwar nicht verstanden, aber die uns doch zeigten, was damas-cenischcr Fanatismus wohl thun möchte, weun er dürfte. Wir bestiegen auch eius der Minarete (unsre Garde hütete unten dcn engen — 81 — Zugang zu demselben) und hatten eine hübsche Aussicht auf die Stadt. Unser Dragomqn zeigte uns von oben unter anderm auch die dreitausend niedergebrannten Christeuhäuser, die oder vielmehr deren Schutt und Asche wir später besuchten. Das schönste öffentliche Gebäude in Damaskus ist vielleicht Asad Paschas Khan, iu welchem die Kaufleute ihre Waareu niederlegen. Das Innere ist ganz mit Marmor gepflastert und mit einer hohen schönen Kuppel überwölbt. Zweitausend Kameele mit 4000 Menschen sollen hier Platz fiuden. Hierher hatten auch einige Christen vor dem Vlutbade ihre Habseligkeiten gebracht und gerettet. Alles was in ihren eignen Häusern blieb, verbrannte mit diesen. Auch der Palast Ali Veg's, eines Enkels des Asad Pascha, der uns sehr freundlich aufuahm und mit Kaffee und Limonade tractirte, ge^ hb'rt zu den schönsten in Damaskus; aber sein und des großartigen Khans Erbauer, Asad Pascha, früher Gouverneur vou Damaskus, starb m der Verbannung. Unter der Türkenhcrrschaft kaun man noch heute, wie einst bei den Persern, schnell steigen und fallen, wie Haman. Wir hielten es für uusre Pflicht, dem Gouverneur vou Da Naskus, Abo-ul-Selim-Pascha, der uns die Militärgarde geschickt hatte, unsern Besuch zu machen. Wir wurden freundlich empfangen, ^ler Diener in schwarzen europäischen Röcken brachten nns den üb' lichen Kaffee. Aber wir waren in einer sehr uubcholfeucn ^age; denn der Pascha kountc trotz seiner europäischen Kleiduug keiue europäische Sprache und wir nicht türkisch. Unser Dragoman aber hatte nicht gewagt mit hinein zu kommen. So blieb mir denn nichts übrig, als hinaus zu gehen und ihn zu holen. Aber er ließ erst den Pascha fragen, ob er kommen dürfe. Nach crhalteuer Erlaubniß kam ^ und warf sich in echt orientalischer Weise dem Pascha zu Füßen. Der hieß ihn aufstehen und sich setzen. So begannen wir denn ein Gespräch. Wir lobten die herrliche Lage der Stadt und ihre uächste Umgebung. „Ja", sagte seiue Excelleuz, „die Gegcud ist schön, aber <; — 82 — die Menschen sind böse." Er wollte wohl damit seine Hände waschen und unschuldig sein an dem vergossenen Chrjstenblnte, was er in der That ja auch war. Er fragte nns im weiteren Verlaufe des Gesprächs unter anderm, ob wir nicht anch wünschten die Citadelle zu bcsnchen, und gab Befehl, uns überall umhcrzuführen. Wir fanden sie in gar übler Lage für einen Angriff von cnropäischen Truppen. Sie hat kaum ein halbes Dutzend Kanonen, nnd das kleine Häuflein Kugeln ward uns wiederholt gezeigt, daß wir's doch ja nicht übersehen möchten. Für die umwohnenden Bcdninenstämmc mit ihren langen Spießen und schlechten Flinten ist Damaskus iudeß uneinnehmbar genng. Der traurigste Gang, den wir machten, war in das niedcrgc^ brannte Christcnvicrtel. Ein ganzer Stadtthcil mit seinen Kirchen und Klöstern lag in Schntt und Asche. Hier und da begann man eine Wohnuug wieder aufzubauen, auch zu einer Kirche wurden wieder die Mauern erbaut, und der Priester stand dabei uutcr einein Schirm und leitete den Bau, wie wir es in Indien anch thun. Ich frng ein altes Mütterchen, das beim Aufbau ihres Hauses sehr beschäftigt war, ob sie denn ihre Angehörigen alle gerettet habe. Wir sind Gott fei Dank! alle da, sagte sie, aber uon unsern Sachen haben wir nichts gerettet. Obrist Churchill, der seit 17 Jahren im Libanon wohnt und anch während jener Mordscenen dort war, erzählt das Blntbad folgendermaßen. Am 9. Juli l^llO erhoben fich die Mnhamcdancr von Damaskus, drangen in das christliche Viertel ein nnd begannen mit dämonischem Geschrei das Werk der Plünderung, der Zerstörung und der Ermordung. Mehrere Tage vorher waren die Christen in jeglicher Weise verhöhnt und verspottet worden. Dadurch völlig eingeschüchtert nnd das schlimmste befürchtend, blieben sie in ihren Häusern und verlebten Tage voller Angst unter Weinen und Beten. Die europäischen Consnln drangen in den Gouverneur von Damas- — 83 — üls, Achmcd Pascha, die Christen zu schützen und die Ruhe zu erhalten. Er aber that erst, als ob er gar nichts wüßte, dann entschuldigte er sich damit, daß er nicht Macht genug habe, die Ordnung Zu erhalten. Sein Verhalten aber gab Grund zu den schlimmsten Bedenken, denn er war fortwährend in Verbindung und hielt Unterredungen mit den Hä'nfttern der Drusen, die schon das Blut so vieler tausend Christen im Libanon vergossen hatten. Endlich ward em türtisch Regiment zum christlichen Viertel commandirt, um es zu schützen. Aber das war dasselbe Regimeut, das die Christen von Hasbeya schützen sollte und daun sie nicht nnr den Drnsen überlieferte, sondern selbst mit ermorden half. Als die Christen dieses Regiment sahen, entfiel ihnen das Herz und sie wußteu, ihr Todes-urthnl sei gefällt. Doch raffteu sie sich noch zusammen nnd snchten ihre Mörder durch Güte zu überwinden. Viele hundert Thaler wur-^n gesammelt und den Offizieren gegeben, die sie gern annahmen und alles Gnte versprachen. Indeß warteten i> nur auf das Zei-chm. Das kam zur bestimmten Zeit. Hölzerne Kreuze wurden hin und her auf die Straße geworfen, mit Füßen getreten und bcsvicen. Die Klage der Christen über die Verhöhnung ihrer Religion blieb unbeachtet. Am bestimmten Tage aber, den 9. Juli, wurden drei Uluhamcdanische Bubeu ergriffen nnd verurtheilt, in Ketten das christliche Viertel zu fegen. Damit waren die Würfel geworfen. Als die Polizei diese Bnben durch den Bazar führte, sprangen zwei Kaufleute iu die große oorhiu beschriebeue Moschee und besprachen sich einige Augenblicke mit den obersten Ulemas. Dann stürzten sie heraus und schrieen aus vollem Halse: Dien, Dien, Dien Uokam-^d! (i>. i. Religion, Religion, Religion des Muhamcd!) Dieses Geschrei wirkte wie ansteckend auf die Menge, alle Men wnrden ^schlössen, alle Geschäfte standen still und in kaum einer Viertelstunde zog der fanatifirte Pöbel mit Schwertern, Flinten, Aexten und allen möglichen Waffen dem Christcnoiertel zu. „Todte fiet 6* — 84 ^ morde siel raube, brenne, fürchte nichts! laß keinen am Leben!" Das war der Anfang dieser Prozession, über welche die Hölle jauchzte. Ehe die Sonne unterging, stand das ganze Christenviertel in Flammen. Und mitten darin liefen christliche Mütter umher mit ihren Säuglingen im Arm, erstiegen die flachen Dächer, sprangen von Haus zu Haus, bis sie sich retteten oder in den Flammen umkamen. Gleich Anfangs, als die wilde Brut das Wert der Zerstörung begann, baten die Christen das Militär iu ihrem Viertel um den versprochenen Schutz. Gefühllos antworteten die Offiziere: wir haben keinen Befehl zum Handeln. So standen sie still. Bald nachher aber griffen auch sie zu uud theilten sich in die den Christen geraubte Beute. Und bald auch hielten ihnen ihre „Beschützer" das Vajonet vor die Brust und wehrten ihnen selbst die Flucht. Alle Ausgänge waren ihnen vertreten. Wo sie sich hinwandten, standen Haufen ihrer Mörder, Es schien, als ob von den 2<),,iu 68 «Ilorif, d. h. das edle Hciligthum, und in der That gewährt er einen schr edlen Anblick. In seiner Mitte liegt etwa 15) Fuß höher noch ein kleinerer freier Platz, der zwischen 450 bis 550 Fuß lang und breit uud ganz mit weißen Marmorplatten belegt ist. Das ist die Stoa Sachra. Mehrere schön mit Säulen verzierte Marmortreppen fuhren hinauf, unten aber stehen Cyprcsscn, Oliven, Granaten, Orangen :c., unter welchen die stolzen Moslem so gern lustwandeln. Und wenn ich's könnte, ich thäte es auch. Es giebt wenig Orte auf Erden, wo ich so gern zum öftern weilen möchte, als unter diesen Zypressen. Nicht um der Bäume willen, noch viel weniger um derer willeu, die jetzt stolz und faul unter ihnen lustwaudeln, sondern darnm, weil der Fuß Dessen hier so «ft gewandelt hat, der des Tempels des alten Bundes H ci.'r, und des neuen Bundes Tempel selber ist. Wir stiegen die schönen Marmorstufen hinauf und giugen auf der Stoa Sachra einher. Welch ein wundervoller Platz ist das! Nie nahe ist hier der Oelbcrg nnd wie schön nimntt er sich von hier aus. Von keiner Stelle erscheint der Oelbcrg so schön, als vom Tempelplatze aus, und von keiner andern Stelle erscheint der Tempelplatz so schön, als vom Oelberge. Man fühlt es ihnen ordentlich ab, daß sie beide znsammen gehören, beide Zengen großer Thaten sind, beide viel erzählen könnten, wenn sie's könnten. Auch Zion nnd die Stadt ist hier so nahe, und doch ist ihr Getümmel so fern gehalten uud dcr Tcmpelplatz so still und schweigsam. Nach dcr Westseite hin stehen mehrere kleine Gcbände, theils zur Anbetung für die verschiedenen muselmännischcn Scctcn, theils zum Unterricht für die Jugend bestimmt. In der Mitte aber steht die Sachra selbst, die Moschee des Omar: ein rechtseitiges — 123 — Achteck, und jede der acht Seiten 60 Fuß lang. Vier große Thüren führen hinein, uon welchen die östliche dic Pforte des Propheten David heißt. Sechsundfünfzig hohe Fenster mit buntem Glase ersuchten die Näume mit einen: gedämpften Lichte. Die Wände sind überall mit Marmor von weißer und bläulicher Farbe ausgelegt, welcher, in vier- und achteckigen Platten zusammeugefügt, sich gar zierlich ausnimmt. Nahe an dem westlichen Eingänge ist ein Wasser--bassin, worauf die Moslem viel halten und wovon sie trinken und sich den Bart bespritzen, ehe sie weiter gehen. Ein sehr altes Erem-Plar des Koran liegt hier auf einem Pulte, uud eine grüne Mar-tnorplatte am Boden enthält 3'/^ Nägel wundersamer Art. Denn lhrer sind einst 18 gewesen, aber bei jeder Weltvcrwde, nimmt einer dieser geheimnißvollen Nägel heimlich Abschied. Nun sind ihrer nur noch drei ganze uud ein Stück von einem vierten übrig, und wenn auch diese verschwunden sein werden, so haben die Weltperioden ein ^nde und der Prophet kommt wieder. So glauben die Moslem U"d lassen sich's nicht nehmen. Doch wir waren bis jetzt nur so im Heiligen der Sachra, das ^llerhciligste lag noch vor uus. Jeder der acht Wäude gegenüber stehen drei hohe Säulen, also 24 im ganzen. Acht von ihnen sind starke viereckige Säulen und stehen den acht Ecken gegenüber. Dann folgen zwei rnnde mit korinthischen Kapitälern, und dann wieder eine viereckige, so daß auch im Innern des Gebäudes das Achteck vollständig gewahrt ist. Diese Säulen sind etwa 18 bis 20 Fuß hoch uud schließen sich oben in 24 etwas spitzige Bogen zusammen, nachdem wir auch diese Säulen hinter uns gelassen hatten, kamen wu zu dem letzten»Rund der Sänlen, 16 an der Zahl, die immer "och das Achteck festhalten. Sie stehen drei Fuß höher vom Boden, als das letzte Säulenrund, und nur wenig von demselben entfernt, ^ben schließen sie sich wieder in Bogen zusammen und tragen die hohe Kuppel der Moschee. Ein Gitter verbindet sie unten, so daß ^. 124 — man nicht weiter vordringen kann. Der innere Raum, don sic um-schlicßcn, grade unter dcr Kuppel, enthält nach der Kaaba in Mekka das größte Heiligthum der Niusclmäuuer, o» ^g,Hr», genannt. Wir fanden es mit rothen nicht wenig bestaubten Seidenstoffen bedeckt, aber sie wurden zurückgeschlagen, uud unsre ungläubigen Augen durfteu hier das AUerhciligste der Mnsclmäuucr schauen. Wie sich doch die Zeiten geändert habeu! Doch an diesem Hciligthnm war bitter wenig zu sehen. Es ist ein großer roher Kalkstein, wie alles Gestein um Jerusalem her, so groß, daß er den ganzen Raum unter dcr Kuppel ausfüllt. Zu hörcn aber gab es desto mehr davou. Das geringste ist, daß auf demselben Jakob geschlafen hat, als er die Himmelsleiter sah; das größte aber, daß auf ihm alle Propheten ge weissagt, daß auf ihm steheud Muhammed gen Himmel gefahren ist, und daß der treue Stein gern mitfahren wollte. Er war auch schon schr hoch, als ihm der Prophet befahl zurückzukehreu. Das that er dcun auch, doch ziemlich uugern, deun er blieb in dcr ^uft schweben und der Engel Gabriel mußte ihn ansaugs festhalten. Natürlich, darf ihm des Propheten Fußtritt nicht fehlen, eben so wenig wie des Engel Gabriel Fiugcrgriff, womit er ihn niedergedrückt und zum Bleiben auf dcr Erde genöthigt hat. Das war genug für unsre Ohren. Nun sollten wir auch sehen, und zwar daß der Stein wirklich in der Luft fchwebc. Wir wurdcn an die Thür geführt, die vor allem sich früher nur den gläubigen Moslems zn öffnen pflegte. Denn auch ein Engländer, dem es durch hohe Gunst uud verkleidet gelang, in die Moschee zu konnneu, durfte doch nicht durch diese Thür ciw . treten und unter den Stein gehen. Die Muselmänner gebrauchen dazu eiue bcsondcre Entschuldigung: der Schlüsselest uicht vorhanden, und weuu mau ihu sucheu heißt, so hat ihu der Schlnssclmann mitgenommen und ist ausgegangen, niemand weiß wohin. So suchte man es uns auch mit dem Thronsaale des Sultaus in Konstantinopel zu machen. Das gelang ihnen aber nicht, denn ich setzte mich __ ^25__ hin und ertarte dm ganzen Tag auf den Schlüssel warten zu wollen, sv ward er bald gefunden. Hier, jedoch machte man uns keine Schwierigkeit; der Schlüssel war vorhanden, die kleine Thür öffnete sich und wir traten ein. Es ging mehrere Stufen hinnnter und so gelangten wir nnter das Allerheiligste. Das ist weiter nichts als eine natürliche Grotte, etwa 8 Fuß hoch und eben so lang nnd breit. Der Fels 68 8g,<üii':>, ist allerdings anf zwei Seiten frei und nicht aufliegend, doch ist er auf der Nordostscite fest nnd, wie es scheint, wls mit dem allgemeinen Felsengrund, woranf er ruht; anch ist er auf der einen Stelle mit einen: Pfeiler gestützt, damit er nicht das Federgewicht gewinnen möchte. Hier war nichts besonderes zu sehen, ^ Hohle selbst war das Sonderbarste. Doch wurden uns zwei sehr Merkwürdige Marmorgestühlc als die des David und des Salomo M'igt, die auch vielleicht wirtlich noch jüdischer Arbeit waren, denn "uch unser mitreisender Architect hatte dergleichen Arbeit nirgends gesehen. In der Mitte dieser Höhle ist eine runde Vertiefung, die so aussieht, als ob sie dnrch den Felseu giuge und nut einein eng hin-eulpasseuden Stein verschlossen wäre. Unser musclmännischcr Führer Machte sein Gesicht noch ernster, als es so schon war, trat der Stelle uäher uud klopfte mit der Hand auf diesen Stein. Der hohle Klang ließ uus teilten Zweifel, daß es unten hohl sei. Aber so lange bie Türken hier Hansen, werden sie wohl nie zugeben, diese Stelle zu untersuchen, theiw wegen der großen Heiligkeit des Ortes, noch mehr aber aus Furcht und Entsetzen vor den Dingen, die da kommen würden, wenn dieser Ort geöffnet werden sollte. Denn, so glauben ^ steif und fest, hier ist die Unterwelt, das Verließ der abgeschiedenen Geister, die Hölle. Mit geheimnißvollem Gesicht sagte unser Mhrer: Hier unten hausen die Todten 1 Auch wir machten ein nachdenklich Gesicht und dachten, der Mann hat vielleicht doch nicht ganz unrecht. Die jetzt Todten mögen hier uutcu wirtlich gehaust und — 126 — gearbeitet haben, als sie noch lebten, vor etwa 3090 Jahren, znr Zeit Salomos nnd seiner nächsten )iachfolgcr. Könnte man hier hin-untcrstcigen, würde man gewiß noch die Spuren entdecken, und vielleicht auch die geheime Quelle, welche die Quellen Siloah und der Jungfrau speist und die Ursache des Intermittirens dieser beiden Quellen sein soll. Doch nnter dem Halbmonde geschieht das wohl nicht. Wir ließen die Todten in Ruhe und stiegen von der Pforte der Unterwelt wieder empor, die Sachra naher zu beschcu, denn sie gilt für einen der geschmackvollsten Tempeloauten der Welt. Darum, und weil sie im Innern noch so wenig von Christen gesehen wurde, habe ich sie genauer beschrieben. Aber ich konnte ihr die Palme nicht reichen. Ihre Kuppel ist vou Holz mit Blei gedeckt, und schon das macht sie weit geringer, als z. B. viele Moscheen Konstantinopcls. Die Mosaik der Decke aber in grünen uud goldenen Farben bewunderten wir und waren schon einig geworden, sie als die schönste Mosaik zu bezeichnen, die wir gesehen. Der Eindruck des Ganzen ist sehr ansprechend und zierlich, fast feierlich. Schon wollten wir höchst befriedigt davon gehen, als ich Heim Ansgangc noch einmal die Augen erhob. Schyell blieb ich stehen und rief die Andern zurück, denn ich sah nichts geringeres als ein Stück dieser schönen scheinbaren Mosaik herunter hängen. Wie waren wir enttäuscht! Was wir für Mosaik gehalten hatten, war nichts als Stoff, Tapeten-Seitdem sah ich die Omar-Moschee mit geringerer Befriedigung an- Wir gingen nun auf der Stoa Sachra den mit Marmor gepflasterten Tempelberg entlang zur Moschee el Aksa an: südlichen Ende des Berges. Diese Moschee trägt noch deutliche Spuren davon, daß sie einst eine christliche Kirche war. Kaiser Justinian hat sie erbaut, doch war sie kaum hundert Jahre eine christliche Kirche gewesen, als sie von dem Chalifen Omar zur Moschee gestempelt wurde. Man zeigt noch den Ort, wo er anzubeten Pflegte. Dic — 127 — el Aksa ist in Form einer Basilika gebaut und hat außer vielen Säulen nichts Schönes. Wie alte Moscheen, die einst christliche Kirchen gewesen sind, macht sie einen wehmüthigen Eindruck auf das christliche Gemüth. Wir gingen weiter nach der Ecke des Tempelplatzes zu und Ulangtcn durch eine Thür vor eine lange Treppe, die wir hinabstiegen. Unten kamen wir in einen gewölbten Naum, welchen die Türken 86i'ii' 8iän NlH, d. h. Grotte des Bettes Jesu nennen, llnd hier zeigte man nns denn anch das 8iän Ni««, das Bett Jesu. Es ift cm steinerner Sarkophag aus dem gewöhnlichen Kalkstein des Landes und mit deutlichen Zeichen des Alters. Wozu er einst ge-dimt nnd wessen Leiche er einst enthalten hat, wer will das sagen? ^ Von hier stiegen wir noch tiefer hinunter nnd standen vor außerordentlich großen Fclsblöcken, welche die besondre Verkantung hatten, "n welcher man die ältesten Bauten der Juden erkennen will. Vielleicht sahen wir in ihnen wirklich Grundsteine vor uns, die noch aus "er Salomonischen Zeit stammen und seinem Tempel eingefügt waren. Denn wiewohl sie dein Wetter nicht ausgesetzt sind, sind sle doch schon sehr verwittert, was wohl nur durch sehr hohes Alter verursacht sein kann. Wir kehrten nun wieder um und stiegen zur Oberwelt empor. Hier wurden uns noch verschiedene Gegenstände gezeigt, wie ein Marmorstnhl Salomons :c., die wirklich sehr inter-^sant wären, wenn nur irgeud eine Gewißheit vorhanden wäre, daß sie auch sind was sie genannt werden. Da diese jedoch ganz fehlt, s" hielten wir uus nicht dabei auf. Auf den Marmorplatten des Tempelberges cinhergchend, kamen-^r, zu einem Orte, wo der Boden eingesunken war. Wir kletterten wit Mühe hinunter, unsre türkische Wache blieb auf der Oberwelt "ur ein Türke und unser Dragoman folgten uns, machten Licht an Und zeigten unsern erstaunten Augen eine wirk-lich großartige Untcr-^elt. Nnter vielen langen Säulenreihen gingen wir einher; unser — 128 — Führer gab die Zahl der Säulen auf dreitausend an. So vicl sahen wir freilich nicht, aber wenn ich mich recht erinnere, zählte ich dreizehn Reihen von Säulen mit etwa 20 Säulen in jeder Reihe, nnd oas war noch nach keiner Seite hin das Ende, ich konnte nur des eingefallenen Schuttes wegen nicht weiter kommen. Der Tempelberg ist ursprünglich sehr uneben gewesen und wurde daher in seiner tiefsten Niederung durch Gewölbe auf hohen Säulen eben gelegt. Die Steine hier waren wieder sehr alt nnd trugen auch die charakteristische Kaute, wie sie nur einige der untern Steine am Thurme Davids und einige in der Südost- und Südwesteckc der Tempcl-maucr noch haben, sonst aber weder zu Jerusalem noch sonst wo angetroffen werden. Vielleicht stammen fie wirklich noch von Salo-mos Tempel her. Jedenfalls aber sind sie so alt als Esras Tempel, und dann von Herodes — wenn die Sage recht hat — dazu verwandt, die Fläche des Tempelbergcs zu vergrößern, nm für seine umfangreicheren Vorhöfe am Tempel Raum zu gewinnen. Mir war dieser Vesnch nnter dem Tcmpelplatzc sehr interessant und ich bedauerte nur, daß der Schntt nach jeder Richtung hin meine Schritte hemmte, so daß ich Anfang oder Ende nirgends absehen tonnte. Was mag noch alles unter diesem Moria verborgen sein? Es wäre unschwer gcnng herauszufinden, weim nur die böseu Tempel-Wächter nicht wären. Unser letzter Gang auf dem Tempelberge war zu dem goldncn Thore, das vom Oclberg aus direct zu ihm hinauf führt. Die Türkeu haben dasselbe vermauert und halten noch dazu eine Wache davor, denn sie fürchten, daß durch dieses Thor — durch welches der HErr Jesus am Palmsonntage in Jerusalem eingezogen sein soll — ein christlicher König seinen Einzug halten werde nnd die Stadt den Türken entreißen. Diese Furcht zeigt deutlich, daß sie cm böses Gewissen haben und es fast selbst fühlen, daß sie Jerusalem nicht besitzen sollten. Am goldnen Thore war jedoch wenig zu schon und jedenfalls lein Gold. Wohl mag in dieser Gegend cin Thor gestanden haben, durch welches der HErr seinen Einzug gehalten hat; dasselbe ist es jedenfalls nicht. Die Römer ließen so viel nicht stehen, auch hat das Thor weder die bekannten alten Steine aufzuweiscu, noch überhaupt Heichen eines höheren Alters. Benutzt aber ist es früher sehr viel gewesen, denn die Marmorstufen, die von ihm aus auf die Stoa Sachra führeu, siud am meisten abgetreten und schadhaft. Hur Zeit der Kreuzzüge werden die Pilgerprozessioncn vom Oel-berge aus durch dieses Thor zur Kirche auf dem Tempelplatze, und von dort auf der Via aoioi-o«^ zum heiligen Grabe gegangen sein. Noch einmal kehrten wir auf die Stoa Sachra und zur Omar-Moschre zurück, um noch einen Eindruck von dem köstlichen Tcmpel-platze, den: so nahen Oelberge nnd von der ganzen höchst bedeutungsvollen Umgebung zu empfangen. Wie oft mag hier der HErr gestanden und den Oelbcrg, die Stätte seiner tiefsten Erniedrigung uue seiner höchsten Erhöhung, beschaut haben! Und wie viel könnte Weser Platz selbst erzählen! Es sind nun fast dreitauseud Jahre, daß sich auf der Tenne Arafna's Salomos Wunderbau erhob, zu welchem schon David „in seiner Armuth" hunderttausend Centner Goldes und tausend mal tausend Centner Silbers verschafft hatte, dazu Erz und Eisen ohne Zahl. (1 Chrou. 23, 14.) Was Salomos Weisheit und Israels Knust, was Davids Rath und Hirams Hülfe, was ^phir an Gold, der Libanon an Eedern, Tyrus an Schiffen, Sidon ün Künstlern und Bauleuten vermochten: das alles ward angewandt, um dem HErru ein Haus zu bauen. Denn „das Haus, das deut 'Mrrn soll gebaut wcroeu, soll groß sein, daß sein Name und sein Nuhm erhoben werde in allen banden" (1 Chron. 23, 5), so dachte' David und handelte darnach. Und Salomo „zählte ab 70,000 Mann zur ^ast, nnd 80,000 Zimmerlente auf dem Berge und 3,600 Amt-Icute über sie," und so baute er sicbeu Jahre lang, bis der Tempel !> — 130 — fertig dastand. Das w'ar ein Bau, den die Völker anstaunten; und doch konnte er Israel für den Dienst des lebendigen unsichtbaren Gottes nicht fesseln. Wie schon Salomo in der Schwachheit seines Alters und in der Thorheit seines Herzens dieses Haus des HErrn verließ und sich Zu den „Höhen" wandte, um den sichtbaren todten Götzen zu opfern, so folgte ihm sein Volk darin nur zu willig nach. Und wenn es auch durch Züchtigungen des HErrn zeitweilig wieder umkehrte, so siel es doch immer wieder in den fleischlichen Götzendienst zurück und entweihte immer mehr das Haus des HErrn, bis zuletzt die Zornesflammen, von Nebutadnezar entzündet, die entweihte Stätte rein brennen mußten. Im fünften Jahrhundert seines Bestehens sank Salomos Tempel in Staub und Asche, denn der HErr war daraus gewiche«. Esra's Tempel, von Herodcs so viel vergrößert nnd verschönert, daß er wieder der Juden Stolz wurde, war größer als Salonlos, vielleicht auch dem äußern Umfange nach, insonderheit aber da ruin, weil der HErr sichtbar in demselben auftrat, aller Völker Trvst und Licht. Wie oft ist der HErr mit seinen Jüngern unter den weiten Tempclhallen, anf dem noch vorhandenen Marmorboden umhcrg» wandelt! Hier heilte Er der Kranken am Sabbath so viele, daß-der Tempcloberstc das Volk anfuhr und an andern Tagen kommen hieß. Hier sangen Ihm die Kinder Hosianna, was die Alten weder begreifen noch hindern tonnten, und hier wies Er von dem steinernen Tempel hinweg auf den Tempel seines Leibes hin. Aber die Juden warfen Ihn, des Tempels höchste Ehr und Zier, hinaus, übergaben Ihn den Heiden, kreuzigten und tödtcten Ihn. Da war dem Tempel das Leben entflohen, und nur der Tod noch hauste darin. 'Nach vierzig Jahren aber erfüllte sich das Wort des HErru, und die Flamme" des Gerichts, von den Römern entzündet, mußten die entweihte Stätte noch einmal rein brennen. Fünfhunderte Jahre lang blieb sie nun wüste liegen, gerade so lange als sie einst Salomos Tempel — 131 - geschmückt hatte. Dann räumte Kaiser Justinian don heidnischen Gräuel hinweg und baute eine christliche Kirche darauf, die jetzige cl Aksa. Aber nnn war die Zeit gekommen, daß man weder zu Jerusalem nuch Zu Samaria Tempel errichten, sondern überall den HErrn anbeten sollte im Geist und in der Wahrheit. Auf dem so vielfach entweihten Platze gedieh auch die christliche Kirche nicht; nach hundert Jahren fiel das Kreuz von ihren: Thurme und der Halbmond, das Symbol des kalten, todten, falschen Prophctenthums, erhob sich an seiner Stätte. Ueber 4W Jahre herrschte nun hier der krumme Säbel der Sarazenen, dann stürzte Gottfried von Bouillon den Halbmond, pflanzte noch einmal das Kreuz auf die Zinne der Kirche, und Tantred badete auch den Tempelplatz wie die Kirche wit dem Blute der Christenfciude. Denn Hieher flüchteten sich die Sarazenen bei der Einnahme Jerusalems in großen Haufen und wurden von den nacheilenden Eroberern im eignen Blute ersäuft, w welchem man „bis au die Kniee geritten" sein soll. Aber unreiner Sarazenen Blut, von unreiner Christen Wnth vergossen, taugt wenig kni Lichte ist. Wcndeu wir uns lieber der erfreulichen Seite zu. ^ud da haben wir gleich große Ursache uns darüber zu freuen, daß dte 60 bis 7l> hier wohnenden deutschell Protestauten, sowie die eben ^ große Zahl englischer Protestanten nebst den vielen Reisenden einen ordentlichen protestantischen Gottesdienst, beides in englischer "nd deutscher Sprache, haben können. Das muß uuter diesem Ge-^trr der Secteu und inmitten dieses geistlichen Todes des todten Jerusalems als ein sehr großer Gewinn erachtet werden, dessen Meude wir unö durch allerlei Nebengedanken, die uns aufsteigen — 134 — möchten, nicht verkümmern lassen wollen. Dazu haben die Deutschen an Di. Valentiner einen frommen und treuen Seelsorger, und alle vierzehn Tage cine deutsche Predigt. Sonst wird außer englisch auch hebräisch und arabisch in dieser Kirche auf dem Zion gepredigt. Wir wohnten einem deutschen Gottesdienste bei und begleiteten eine dentsche ^ciche zu Grabe. In dem Schütte der Palaste der Könige, Fürsten uud Hohenpriester Israels werden jetzt germanische Fremdlinge zur letzten Nuhe gebettet. Weiße Maucru umgeben diese Ruhestätte, und deutscher Fleiß hat ordentliche Wege ans diesem Schütte geebnet und Bäume und Blumen darauf gepflanzt. Auch die Griechen und Lateiner, die Armenier uud Amerikaucr habeu hier ihre Kirchhöfe friedlich nebeu einander. Einst Davids Stadt, voll Schmuck und Pracht; dann ein Trümmerhaufeu; dann ein Gcrstcn-felo, nnd nun ein Todtenfeld. Und das wird es wohl auch bleiben, bis die hier im HErrn Entschlafneu erwachen und aus dem Jerusalem so großer Knechtschaft iu das Jerusalem der ewigen Freiheit eingehen werden. Auf dem evangelischen Fricdhofe ruhen schon der erste protestantische Bischof, Alexander; der erste evangelische Pastor, Nicolayson; der erste preußische Consul, I>. Schultz; die erste deutsche Diakonissin, Schwester Hcnriette; und sonst noch manche andre. Große uud Kleine. Ein berühmter Reisender hat gemeint, es müßte sich gut sterben in Jerusalem. Das mag sein. Aber ich möchte doch nicht gern in diesem aschigen, fluchbeladenen Schuttboden verscharrt sein, von dem ein jedes Körnchen Zeuge ist vou so großen Sünden, daß ein so schweres Gericht dranf folgen mußte. Ein ehrliches Grab im tiefen Urwalde wäre mir lieber. Doch unter diesem Schütte, tief unten, ruhen hier irgendwo die Gebeine gar großer Heiliger, mächtig von Wort und That. Und ob sie anch in der Nähe von gar großen Sündern ruhen, hat doch der HErr ihre Gebeine bewahrt und ihre Nuhc nicht stören lassen, weder von Freund noch von Feind. Stille liegen hier in ihren — 135 — Kammern cine lange Reihe von Königen Judas. Denn nicht nur David „starb und ward begraben in der Stadt Davids" (d. i. Zion), sondern auch Salomo und sein stolzer Sohn Nehabeam mit seinen: gottlosen Enkel Abia nnd dem frommen, aber schwachen Assa. Iosa-phat auch, der gute König von Iuda, der aber AHabs Blut iu sein Königsgcschlccht brachte, liegt hier begraben mit seinem gottlosen Sohne Ioram und seinem noch gottloseren Enkel Ahasja, der, „ein Schwager im Hause AHabs", von Iehu getö'dtet ward. Ioas auch ruhet hier, der gnte fromme Mann, „so lange der Priester Iojada lebte", mit seinem übermüthigen und darum sehr gedemüthigten Sohne Amazia und seinem Enkel Asarja (Usia), der am längsten (52 Jahre) regierte und aussätzig wurde. Iotham auch liegt hier und Ahas, sein Sohn, der uuter alleu grünen Bäumeu und auf allen Höhen opferte und seinen eignen Sohn den Götzen dnrchs Feuer Iehm ließ. Endlich ruht auch noch Hislia hier, der jetzt erst Sa-lomos Götzenhaine ausrottete. Der aber scheint keinen Raum mchr Pfunden zu haben in Davids Königsgruft, denn er ward begraben „über die Gräber der Kinder Davids" ^2. Chron. 32, 33). Sein gottloser, götzendicuerischer Sohn Mauasse, der die Höhen wieder baute, die sein Vater abgebrochen hatte, liegt nicht mehr hier, sondern >,in seinem Garten", „im Garten Usa", wie auch Amon, fein Sohn, und sein gründlicher, frommer Enkel Iosia, der endlich Tophet verunreinigte und Ben Hinnom zur Gehenna machte. Auch er ruht Ulcht mehr in Davids Stadt, uud kein nachfolgender König mehr. Zon David aber, dem heiligen Sänger, dem Manne nach dem Hcr-zcn Gottes, und Salomo, dem weisesten und thörichsten Könige Israels, der Höhen bante uud Götzenhaiue errichtete, bis auf His-"a, der diese Höhen und Haine zerstörte, ruhen vierzehn Könige hier "gendwo tief unter unsern Füßen. Ob die Arbeiter des Patriarchen lin 12. Jahrhundert bei der Ausbesserung der Kirche in eine Höhle gedrungen nnd durch dieselbe in ciueu unterirdischen Palast gekommen - 136 — sind, und ob sie da auf einem Tische ein goldnes Scepter und Diadom mit viel andern Dingen gesehen haben oder nicht, muß nun dahin gestellt bleiben. Der damalige Nabbi Abraham der Fromme aber soll diese Höhle für die Gräber Davids, Salomos :c. erklärt haben, worauf der Patriarch, von größerer Ehrfurcht als )ieugier erfüllt, den Eingang sorgfältig vermauern ließ. So die Erzählung des Rabbi Benjamin von Tudela. Und ihr möchte ich viel lieber Glauben schenken, als den Türken, die in einer elenden Moschee in einer Ecke des Zion das Grab Davids haben wollen. Die Wahrheit dieser Sage gilt wohl so viel, als die der Mönche, die dort den Saal zeigen, in welchem das heilige Abendmahl eingesetzt worden sei. Bei den vielen leeren Gräbern und Grüften ist es ordentlich wohlthuend zu wissen, daß die Gebeine Davids und seiner Nachfolger in ihrer Nuhe geblieben sind, jedem profanen Blicke entzogen, tief unter den Trümmern ihrer Königsburg. Mögen sie ungestört ruhen bleiben, bis der HErr sie rufen und an's Licht bringen wird! Wir kehrten still um von der Stätte der Todten, bewunderteil im Vorbeigehen noch die gewaltigen Steinblöcke mit der früher genannten Veränderung in den untern ^agen des Thurmes David und kehrten dann wieder zum Iaffathore in die Stadt zurück. Doch wir sind mit dem Zion noch nicht fertig. Neben dem protestantischen Kirchlein ist noch eine Stiftung auf dem Zionsberge, innerhalb der Stadt, und das ist ein deutsches Diakonissenhaus. Deutsche Reinlichkeit und Freundlichkeit herrscht in dem hochgelegenen hübschen Gebäude, und die Schwestern alle sind willig zum Dienste der Geringsten unter den Leidenden. Die Zahl der Kranken, die hier Pflege suchen, ist noch nicht groß, kaum hundert im Jahre, aber darunter sind Juden, Christen und Muhammedaner, Protestanten, Katholiken, Griechen und Armenier, Maromten und Samaritaner, Araber und Abcssinier. Und wohl selten geht ein Kranker leiblich genesen heim, ohne wenigstens einen Eindruck davon mitzunehmen, daß es noch -^ 137 — s eben so tiefe Gihonthal trennt den Zion von dem Berge des bösen Rathes. Hier herum liegen die meisten geschichtlichen Erinnerungen und zwar alle friedlicher Natur nach anßcn. Denn kein Streit damaliger Zeit wagte sich von dieser Seite an die Stadt, ^nd noch heute würde die Ost-, Süd- und Südwesiscite Jerusalems vom Feinde umgangen werden, nnd er würde sich zur Nord- und Nordwrstseite hin wenden, wie alle Feinde vor ihm gethan haben. Gottes Befestigungen sind doch so viel mächtiger, als die der Menschen. Wo Gott die Stadt behütet, bleibt sie in Frieden, wo sie Menschen allein bewahren, fällt sie bald in der Feinde Hand. Doch nach innen ward der Friede nur zu sehr gestört, gerade an der den äußern Feinden so unzugänglichen Südostseite der Stadt. Denn der Gipfel wie der Fuß des Berges der Aergernisse war von Salomo bis anf Hiskia mit Götzen uud Götzenhainen bedeckt und das Volk lief ihnen zn. Dadnrch ward auch die Stadt so schwach, "aß sie nach der andern Seite hin so wenig Widerstand zu leisten vermochte. Ist die Stadt voll innerer Feinde, wie will sie den äußeren widerstehen? Ist das Herz vom Duelle des Lebens, von ^ott los, wie sollte es nicht dem Mörder von Anfang zur Beute fallen! Doch auch die Nordwestseite der Stadt hat ihr hohes Interesse. Das ist Jerusalems Rückseite, von der sie die Feinde stets anfielen und mir zu oft auch einnahmen. Hier umschlossen nach und nach drei Maucru die Stadt, während sie auf der Ost- und Süd-sklte nur eine Mauer hatte. Es ist aber eine immer noch nicht ganz ausgemachte Sache, wie weit namentlich die zweite und dritte Maner _^ 149 ^_ sich ausgedehnt haben. Herr Pastor V., der sich viel damit beschäftigt hatte, war so gut, uns auf diesen: Ritte zu begleiten, um uns seine Ansicht von der Lage der Stadtmauern an Ort und Stelle auseinander zu setzen. Das war uns sehr willkommen und intcr^ essant und wir zogen früh aus, die Nunde nm die Stadt zu machen. Wir ritten zum Iaffathor hinaus, das soust das Bethlehems-thor heißt. Vor diesem Thore steht das Kastell, das den einstigen Hippicus einschließt, jenen hohen festen Thurm, der Zion und Jerusalem nach der Nordwestseite schützt. Wir ritten gerade aus uud einen Hügel hinan, wo russische Frömmigkeit, noch mehr ader russische Politik glanzvolle Bauten anfführt, eine schöne Kirche, Kloster und Pilgerherbergc. Mehrere von einander getrennte Bauten erheben sich und überragen ganz Jerusalem. Von hier aus taun die russische Sehnsucht sich wenigstens durch den Blick ans Jerusalem sättigeu, wenn sein Besitz ihr auch noch nicht so bald zufällt. Diese Bauten haben aber auch für uns ein Interesse. Man hätte nämlich so gern die Mauern weiter hinaus nach Nordwest und Nord hin ausgedehnt gedacht. Nnn aber haben sich bei diesen russischen Bauten auf so bedeutsamer Höhe vor der Stadt die erwarteten Spuren großer Baulichkeiten nicht gefunden, die doch nicht spurlos hätten verschwinden könuen, wovon wenigstens Schutt und Geröll zurückbleiben mußten, wenn sie vorhanden gewesen wären. Wir ritten nun weiter hinaus nach den Gräbern der Nichter, Das sind in Fels gehauene Gräber, wie es viele rings um Jerusalem giebk Den Namen „der Richter" tragen sie wohl nur aus Mangel eines bessern. Wir ritten zur Ieremias-Grotte. Das ist ein alter merkwürdiger Steinbruch, der eine hochgewölbte tiefe Höhle bildet. Uud wenn Iercmias nach der Zerstörung Jerusalems keine bcssere Wohnung gehabt hat, so mag er immerhin seine Klagelieder hier verfaßt haben. Es ist ganz wohnlich dkrin und in der That wird die Hvhle auch von todten und lebendigen Muselmännern bewohnt. — 141 — Denn neben einigen Gräbern in derselben hat sich rin Bauer mit Weibern und Kindern, Ziegen und Schafen eingenistet und läßt niemand die Höhle betreten, der ihm nicht einen Backschisch (Trinkgeld) 3U'bt. Vr mag im Laufe des Jahres immerhin eine hübsche Summe zusammenbringen. Wir ritten weiter nach der Nordostecke der Stadt-Nlauer und kehrten dann um bis zum Damaskusthore. Auf diesem Wege hin nnd her entwickelte Herr I)i-. V. seine Ansicht von der einstigen Lage der Stadtmauern, wie er sich dieselbe rein nach Io-skphus, von der Traditiou ganz abgesehen, gebildet hatte. Wenn es darauf antäme, eine neue, große Stadt zu gründen, so möchte die Ansicht des Herrn Dr. V. gewiß alle Berücksichtigung Verdienen und sein Plan der Stadt wäre vielleicht ein sehr guter. Allein s» liegt die Sache nnn einmal nicht. Wir haben es hier mit längst Gegebenem zn thun. Und demgemäß ward Jerusalem nicht Äcich zur großen Stadt augelegt, soudcrn nach langen Zwischcn-laumen einige mal vergrößert. Zuerst scheiut der Berg Zion bc-^cchlit uud bald auch befestigt worden zn sein. Dann bildete sich die ^uterstadt nördlich uud nordöstlich von Zion. Diese Unterstadt "ahmen die Kinder Israel unter Iosna ein, die Oberstadt auf Zion wnnteu sie nicht gewinnen. Diese bewohnten die Icbusiter noch ^hrhunderte lang, während die Unterstadt und das ganze Land in Israels Händen war. Erst David wagte sich an eine Belagerung ^u Ziou. Aber die Iebusiter spotteten sein und riefen von oben ^rab: „Du wirst uicht hier hcreiu kommen, sondern Blinde uud 5nlMe werdeu dich abtreib'en. — Das m/intcn sie aber, daß David ^cht würde da hinein kommen." Und es ward ihm auch schwer gc-""3, so daß er dem die Hauptmannsstelle verhieß, der zuerst die "Dachrinnen" ersteigen würde. Das that denn znerst Ioab, der "hn Zeruja, und wurde dafür sein Lebenlang Hauptmann oder Feld-^'schall des Kriegshceres. So eroberte David Zion und nannte sle Davidsstadt, indem er sie noch weiter befestigte. Die „Burg", __ 142__ die David vorfand, hat wohl schon damals dort gestände», wo heut noch das Kastell steht, mit dem Thurme Davids, und wo dann auch der Hipvicus des Iosephus stand, in der Nordwestecke des Zion. Von dort aus ging eine Mauer direct östlich, bis zum „Käsemacherthal", das den Zion vom Moria trennt. Dann ging sie südlich an diesem Thal entlang und dann südlich um den Zion im Halbkreis herum, bis wieder an die Burg. Die Unterstadt blieb nach wie vor unbefestigt. Zu Salomos Zeit kam dann noch der Moria mit dem herrlichen Tempel dazu, der auch rings von einer Mauer bis auf neunzig Fuß Höhe umgeben war. Eine Brücke führte über das den Zion und den Moria trennende Thal Tyropöon (das „Käsemacherthal"), und verband beide mit einander. Noch heute sind Spuren dieser Brücke vorhanden. Später — es heißt unter Hiskia — ward dauu die Unterstadt befestigt. Irgend wo östlich vom Hippicus, vielleicht nicht weit von der Mitte bis zur Tempelmauer hin, war ein Thor, Gen-nath oder das Gartenthor genannt. In der Nähe dieses Thores begann die „zweite Mauer", ging Zunächst gerade nördlich und wandte sich dann nordöstlich im Bogen herum, die Unterstadt an die Oberstadt anschließend. Diese Mauer bildete kaum eiuen Halbkreis, war auch nicht lang, denn sie hatte zur Vertheidigung nur vierzehn Thürme, während die erste Mauer ihrer sechzig hatte. Diese hohen festen Wehrthünne bildeten die Freude und den Triumph der Israc-liten und sie sangen jauchzend: „Umfanget Zion, zählet ihre Thürme!" Mit dieser zweiten Mauer in Verbindung trat später die Burg Ai^ tonia im Norden vom Tempel, und Herodes der Große baute neben dem Hippicus in östlicher Richtuug noch zwei mächtige Thürme, zu Ehren seines Bruders und seiner Gattin: Phasael und Mariamnc benannt, die dem Iosephus so bewuuderungswürdig waren. ^ war die Stadt dreitheilig und blieb so bis zur Zeit des Herrn. Eine thurmreichc, wohlverwahrte, prächtige Stadt. Natürlich lagen — 143 — einzelne Landhäuser auch außerhalb der Ringmauer wie z. B. das Landhaus des Kaiphas auf dem Berge des bösen Rathes, südlich von Hwn. Der Ort, wo die jetzige Grabeskirche steht, lag somit von der Oberstadt aus nördlich, und von der Unterstadt aus westlich, außerhalb doch nicht fern von der „zweiten Mauer." Ob die Grabeskirche nun wirtlich Golgatha, den wie einen Schädel gest altern Fels („Schädelstätte") umschließt oder nicht, ist damit noch nicht bewiesen, aber die Lage der „zweiten Mauer" ist nicht dagegen. Doch außerhalb dieser zweiten Mauer bildete sich nach und nach noch ein neuer Stadtthcil, Bczetha. Denn nach keiner andern Seite hin konnte Jerusalem sich ausdehnen. Das tiefe Kidron-und Gihonthal umschlossen die andern Seiten der Stadt. (Das Th"l Iosaphat ist nur ein Theil vom Kidronthal und das Thal Vm Hinnom nur ein Theil des Gihonthales.) Da nun dieser ncue, vierte Stadttheil ganz unbcschützt und den Feinden preisgegeben da lag, so baute Herodes Agrippa, etwa zehn Jahre nach der Himmelfahrt Christi, die „dritte Mauer". Diese bildete wieder nur "nen nicht völligen Halbkreis. Sie ging vom Hippicus aus, lief Zuerst in nordwestlicher Richtung hin, wo sie in einem starken Thurm, dem Psephinus (dem jetzigen Goliathsthurm?) mündete, und dann in einem nordöstlicheil Bogen um die Neustadt lief, bis fie sich wieder mit der alten Stadtmauer über dem Kidrouthaie verband. Das war eine starke Mauer mit Thürmen wohl versehen. So blicb die Stadt bis zur Zerstörung durch die Römer und diese „dritte Mauer" 'Nag im Ganzen denselben Lauf gehabt haben, den die jetzige Stadtmauer nach dem Nordwesten zu noch hat. Jerusalem ist also seit Davids und Christi Zeiten von dem Süden hinweg nach dem Nor-den zugenickt. Denn Zion, die Oberstadt, ist jetzt kaum zur Hälfte "och innerhalb der Stadtmauern, während sich dieselben nach Nordwesten ulld Norden hin weiter ausdehnen, als es zu Davids uud "uch noch zu Ehristi Zeiten der Fall war. __ ^4 __ Durch das Damaskusthor, das schönste von Jerusalem, kehrten wir in die Stadt Zurück. Wir zogen aber am Nachmittag wieder zum Iaffathorc hinaus und bogen diesmal links um, zogen aber an dem Thale Ben Hinnom entlang um den Zion südlich herum nach der Südostseite der Tempelmauer, die hier auch zugleich die Stadtmauer ist. Hier bewunderten wir die so oft bewunderten großen geränderten Felsblöcke von 20—25 Fnß Lange, die im Schutt von dem obern Theil der Stadtmauer begraben, der römischen Zerstörungswuth entgingen. Hier ist die Mauer am höchsten und das Kidronthal am engsten und steilsten. Der Oelberg auch ist sehr nahe hier; es ist überhaupt eiue Stätte, auf der man gern verweilt und die Jahrtausende zu sich reden läßt, die von den verschiedenen Bergen und Thälern ihre Stimme erheben. Nirgends in der Welt haben so viele und so verschiedenartige und so wichtige Begebenheiten auf so engem Raum bei einander stattgefunden, wie in dieser Gegend. Wir sehen im Geiste die Kundschafter des hochbetrübten Königs am Brunnen Rogel, der schon zu Iosuas Zeiten vorhanden war, stehen, um ihm von seines ungerathenen Sohnes wüstem Regiment Kunde zu bringen. Oben auf dem Berge des Aergernisses sehen wir die Götzeuhaine und vor den Altären der Götzen Israels weisesten König und sein Volk ihm nach sich blicken. Unten aber, am Fuße des Berges, in Tophet, sehen wir den Moloch mit schreienden Kindern in seinen glühenden Armen, und hinter ihm sehen wir Satanas hohnlachend, das betrogene „Volk Gottes" verspotten. Dort rechts um den Oelberg schlangelt sich der Weg nach Bethanicn und auf demselben eilt ein großes Volt hinaus und kommt bald' wieder mit Palmenzweigcn in den Händen, ihre Kleider anf den Weg breitend; denn der „Prophet von Nazareth", der den Lazarus aus dem Grabe aufcrwcckt hatte, ist in ihrer Mitte. „Hosianna", ruft das Volk und „kreuzige, kreuzige" widerhallt es schon in den Herzen der Pharisäer. Dort sehen wir ein altes Gemäuer, einst ein .^. 145 — schönes Landhalls. Hier sitzt der aufgeblasene Kaiphas und darf die Väter Jerusalems also anreden: „Ihr wisset nichts und bedenket "uch nichts!" Uud er hatte recht. Sie wußten nichts vom Heils-rathe Gottes zu ihrer Erlösung und bedachten nicht, was zu chrcm Frieden dieut. Und in dieser Unwissenheit nnd Thorheit ist Kaifthas ihr Oberster und Hoherpriestcr, ebenso auch in der Gottlosigkeit, nach dem Blnte eines Mannes zu dürsteu, den sie doch selbst keiner Sünde zeihen tonnten. Dort stehen die Gräber der Propheten, die sie theils gestäuftet, theils getödtct hatteu uud nun bereiten sie sich, nach allen Boteu des Königs auch seinen einigen ^whn zum Weinberg hinauszustoßen uud zu todten. Gcthsemane liegt unten, uns zur Linken, wo Der, dcr die Kelter allein trat, nnt seinem eigucu Blute den Boden netzte, während seine Jünger schliefen und seiue Fciude wachten. Und die Höhe des 5>lbergs, dm liegt sie majestätisch vor uus, wo der HErr des herrlichen Tem-plls uud des mächtigen Jerusalems Zcrstöruug weissagte, und, nach-^m alles vollbracht war, seine Jünger segnend, gen Himmel fuhr "ud sich zur Rechten der Majestät iu dcr Höhe setzte, bis daß er ^ledertommeu wird, zu richten die ^ebcndigeu uud die Todten. Die schroffen Felsen des todten Meeres bilden den Rahmen zu diesen: wundervollen Gemälde. Die Erde hat seines Gleichen nirgends. Langsam ritten wir auf dem eugcu Pfade weiter, au den Grä-"krn der Moslem entlang bis zum vermauertcu goldueu Thore. Wer könnte sich des Wunsches erwehren, daß die Nachfolger des lalschen Propheten anch eine wahre, Weissagung haben und dieses ^l)or bald sich einem christlichen Könige öffucu möchte? Uud weiter e»"M wir au: Stephausthore vorüber uach der Nordostccke der Stadtmauer uud um diese Heruni südwestlich hinunter bis wieder zur "^miasgrotte. Wir kehrten wieder, es war schon Abend geworden, Zum Damaskusthore hiuein uud hatte» eine unvergeßliche Ruude "" Jerusalems Maucru gemacht. 10 146 19. Die Grabesttrche. Um dor Grabeskirche, die wir schon öfters auf kurze Zeit besucht hatten, einen Hauptbcsuch abzustatten, zogen wir die Schmer-zensstraßc (via äoluro»^) hinauf, die eine Viertelstunde lang nnd zuwcilcil ziemlich steil ist. Unterwegs nannte uns der Führer die einzelnen Punkte, wo dieses nnd jenes geschehen sein soll. Doch wir konnten dieser Allwisserei der Mönche nnr mit Unwillen zuhören. Da möchte einem beim besten Willen ein jedes bischen Andacht ausgehen, wenn man auch noch das Haus des reichen Mannes und die Stätte sehen muß, wo der arme Lazarus gelegen haben soll. Die Schmerzcnsstraße mag recht wohl im Ganzen dieselbe sein, die einst der HErr mit seinem Kreuze ging. Und schmerzensreich gewiß ist dieser lauge oft so steile Weg gewesen dem einzigen Kreuzträger, der keine Widerrede in seinem Mnndc hatte. Vor der Grabeskirche angekommen, fanden wir anf einein freien Platze Ueberreste von Säulen, die einst ein Portal getragen haben mochten, und um dieselben her Allerlei zum Verkauf, insonderheit Rosenkränze und Perlmuttrrarbeiten aus Bethlehem. Wir traten in die Kirche ein und trafen die türkische Wache gerade dabei, sich einen Kaffee zu kochen. Wir hätten diese Grabcshütcr hinauswerfen mögen, wenn wir gekonnt hätten. Wir gingen diesmal zuerst rechts hinauf uach Golgatha uud besaheu uus genauer den Felsensprung, der für denselben gilt, der beim Tode Christi geschah. Es ist jedenfalls ein natürlicher Felseusprung, oben mit Marmor überklcidet, unten aber kann man den Spruug sich tief hiuuuter-zieheu sehen. Anch ist es der natürliche Kalkstein des Bandes mtd nichts scheint daran gemacht zu sein. Die Kapelle, eiust eine besondre Kirche, ist 40 Fuß lang und 21 Fuß breit nnd wird durch einen Bogen in zwei offne Hälften getheilt. Die Stätte, wo das — 147 — Kreuz Christi gestanden haben soll, ist mit Silber ansgeschlagen. An Schmnck nach allen Seiten hin fehlt es nicht. Unter dem Fels, Mlf ebner Erde, ist die Adamskapelle, doch Adams Schädel ist zum Muck nicht mehr hier. Wir steigen weitere 28 Stnfen hinunter in die Kapelle der heiligen Helena hinein. Sie ist 45 Fuß ins Gevierte und hier soll das Kreuz Christi niit denen der Schacher gefnnden worden sein. Zwei Altäre schmücken sie. Noch tiefer liegt das Loch, auch znr Kapelle gemacht, wo die Kreuze wirklich in Schntt begraben, gelegen haben sollen. Hier fehlt der Schmuck. Wir steigen wieder hinaus ut die Golgathakirche, stehen noch eine Weile still vor dieser Stätte, und gehen dann die 18 Stnfen Himmler nach dem heiligen Grabe M. Auf diesem Wege liegt eine große Marmorplatte von mächti-Un silbernen Kandelabern umstanden. Das ist die Stätte der Salbung des HErrn. Die Pilger lnieen hier nieder und küssen sie. Wir gehen weiter. Sechzehn gewaltige Sänlen stehen im Kreise vor "us, sio tragen die Kuppel des heiligen Grabes. Die Kuppel ist von Holz mit Kupfer gedeckt. Aber der Rost hat die Nägel gelassen, so ist das Kupfer vou fast einein Vierlheil der Kuppel entfernt und das Holz verfault. Man sieht frei hindurch nach den Wolken oben. Unter dieser Knpvcl steht, und zwar frei, die Kapelle ^s heiligen Grabes. Um sie vor dem hereinfallenden Regen zu schuhen, ist ein großes Tnch über sie ausgespannt. Die baufällige Kuppel sieht gar traurig aus, noch trauriger ist schon ihre Geschichte. Die Griechen wollten sie wieder herstellen, um somit desto mehr "echt an der Grabcskirche, deu andern Partheien: Römern, Arine-Ulcrn nnd Kopten gegenüber zn erhalten. Die rnssische Negierung unterstützte diesen frommen Wunsch der Griechen und schickte, den Ersten Meutschitofs uach Konstantinopel, nm dort die Erlaubniß Zur Reparatur der Kuppel zu erwirken, die sonst nicht zu erlangen war. Die Verhandlungen darüber dehnten sich auf das Recht aus, 10" — 148 — das Rußland über seine Glaubensgenossen in der Türkei beanspruchte. Frankreich und England traten Rußland entgegen; so gabs den traurigen Krimkrieg. Der kostete viel mehr Geld als mehrere ganz nene Grabcskirchen gekostet haben würden, und viel mehr Menschen mußten darüber ihr Leben lassen, als nöthig gewesen wären, ganz Jerusalem neu zu bauen. Nutzen schaffte dieser Krieg gar nichts und die Kuppel der Grabeskirche ward auch nicht reparirt. Sie ists bis heut noch nicht. Die Kosten, dem Mörder von Aufang zu dienen, sind erschrecklich viel größer als die Kosten, die der Dienst des Fürsten des Lebens erfordert. Neber einen so nutzlosen kostspieligen 6irieg, der so viele Tausend Menschenleben kostete, wird wenig gesagt, über den zchntausendsten Theil der Kosten, der znm Heil der Völker im Dienste des Lebeusfürstcn zu den Heiden hinausgeht, wird man nicht müde zu klagen. Auch weiß man genau, wie uutzlos es ist. Das Geld den Armen der Heimath geben, wäre nützlicher, meint man. Ja wohl. Das wußte Judas Ischariot auch schou. (Ioh. 12.) Das heilige Grab steht also frei mitten nnter dieser Kuppel, die wie eine „offne Frage" des Orients eine recht drohende Stellung einnimmt. Vor dem Grabe finden wir zwei steinerne Sitzbänke und daneben große silberne Kandelaber. Durch diese hiu-durch gelangen wir zur sogenannten Engelskapclle. Diese ist 17 Fuß lang nnd 1l) Fnß breit. An der Seite sind ovale Löcher in der Mauer, durch welche am Ostersonuabeud das „heilige Fener", hin-ausgereicht d. h. die größte Schandthat an heiligster Stelle verübt wird. Gerade vor uus liegt der Stein, auf welchem der Engel sitzend sein: „Er ist nicht hier? Was suchet ihr den Lebendigen bei den Todten?" den Weibern entgegen rief. Das muß der echte Stein sein, denn er hat noch etwas von der Engclstuudc behalten, und giebt sie weiter. „Er ist nicht hier!" so halte es iu meiner Seele wieder. — Wir gehen weiter. Vor nns ist ein enger, niedriger Eingaug, nur zwei Fuß breit nud vier Fuß hoch. Heilige Scheu — 149 — hält uns duch einige Minuten zurück. Das ist der Eingang in die Gruft dcs HErrn! Wir harren still, bis die Pilger alle Zurückgetreten sind, bücken nns tief und treten ein. Nun sind wir m der Grabesgrnft. Sie ist acht Fuß hoch, sieben Fuß lang und eben so breit. Gleich rechts ist das Grab, sechs Fuß lang, drei Fuß breit und wenig über zwei Fuß hoch. Nur drei bis vier Personen können hier stehen. Achtundvierzig goldne und silberne Lampen hau-gcn von oben herab und brennen Tag uud Nacht. Sie sind zum Theil Geschenke österreichischer Kaiser. Alles sonst ist Marmor. Weißer Marmor bedeckt anch das Grab dcs HErrn, von dem Munde von Millionen Pilgern aus allen Nationen durch anderthalb Jahrtausende kniceud geküßt. Auch ich knieete nieder nnd betete. Und doch: „Was suchet ihr den Lebendigen bei den Todten?" so klang es ü: meiner Seele wieder. Still verließ ich das Grab und kehrte in die Engelslavellc zurück. Hier staud ich still uud schaute, Pilger gingen aus uud eiu, und einheimische arabische Christen unter ihnen. Sie lehrten alle rücklings aus dem Grabe znrück nnd schlugen mit großer Handfertig keit das Krcnz so oft hintereinander, daß man's nicht unterscheiden uud zählen konnte. Griechische, römische und armcuische Priester liefen ab und zn, hin und yer, ingleichen schmutzige Weiber: Alltags-M'ichter, Alltagswesen überall. Die große Kirche, die das Ganze umschließt, sie ist wie ein Nathhaus nach der Sitzung, wie eiu Markt. Da kommt eiu Mönch in Eile. Er trägt ein Bündel in seiner Hand und geht damit stracks zum heiligen Grabe hinein. Wir sehen U)m nach. Er wirft das Bündel auf die vielgeküßte Marmorplatte, auf das Grab des HErrn, bindet das Tnch anf und heraus kommen "u Haufen Rosenkränze. Die besprengt er mit Weihwasser, be-läuchm sie mit Weihrauch nnd packt sie dann geschäftsmäßig wieder "l ein Bündel nnd eilt mit ihnen davon. Nnn werden sie weit hmausgctrageu in die Länder, auch uach Deutschland hin, als auf — 150 — dcm heiligen Grabe geweihte, besonders heilige Gegenstände. — Wir wollen gehen. Da kommt mit festen Schritten cm vornehm aussehender Europäer mit einem Diener in die Engelskavclle herein-gcschrittcn. Einige ^cutc tragen zwei Nciseloffer, eine Reisetasche und eine Hutschachtel. Ich traue meinen Augen kaum; aber ja, es wird wirklich Alles in das heilige Grab hineingetragen; es wird wirtlich allcs auf die viclgeküßte Marmorplattc gesetzt, auf das Grab des HErrn. Eiu römischer Priester geht hiueiu, der Herr und sein Diener folgt. Mit gefalteten Händen kniet der Herr und hinter ihm knicct sein Diener. Vor ihnen steht der Priester und liest mehrere Formulare geschäftsmäßig herunter, besprengt dabei den Herrn uud sciuc Sachen und den Diener auch mit Weihwasser. Dann nimmt er das Rauchfaß und beräuchert die Männer uud ihre Sachen. Dann liest er uoch ein Formular, die Mäuncr bekreuzen sich und gehen rücklings zum Grabe heraus. — Nuu hatte ich genug gesehen. Der vornehme Pilger hatte offenbar den frommen Wunsch, daß ihm seine Sachen auf der Weiterreise nicht gestohlen werden möchten. Das heilige Grab bot eine billige Assekuranz uud der Priester einen billigen Assewrator. Aber mir ward sehr weh zu Muth. Uud lauter rief es m meiuer Seele: „Er ist nicht hier!" Gleichgültig gingen wir an der reichen Griechcukirche, dem Ka-tholikum, vorüber, die zunächst dem heiligen Grabe steht. Unser Führer zeigte uns dann noch Allerlei, auch deu Mittelpunkt der Erde, uud ein Stück von der Säule, an welcher der Herr gegeißelt wurde. Diese Säule ist unnahbar gemacht durch ein Gitter, doch ist der griechischen Kußlust Nechuung getragen. Ein Rohr mit sil-' bernem Kuopfe hängt au eiucr Kette; mit dcm versilbertem Ende des Rohrs berührt der fromme Pilger die Säule hinter dcm Gitter, bringt dauu den Stab zum Munde und küßt das Silber, das die Säule berührt hat. Doch wir hielten uus nicht dabei auf. Die Sällle ist so echt wie der Rock zu Trier, und es ist ein ganz andrer — 151 — Geist, der hier Kniee beugen kann; nicht der Geist dcr heiligen Schrift. In einer Sakristei wurde uns auch das Schwert des frommen Gottfried von Bouillon gezeigt, der hier keine goldne Krone tragen wollte, wo dcr HErr die Dornenkrone trug. Daher er anch nur Beschützer des heiligen Grabes sich nennen ließ, und nicht König von Jerusalem. Ein späteres Geschlecht nannte sich noch „König von Jerusalem", als es längst keinen Schritt Landes mehr m oder um Jerusalem besaß. Der gute Mönch, der uns jenes Schwert zeigte, wies freundlich die Gabe zurück, die wir ihm dafür dichten. Wir baten ihn, sie den Armen zu gebeu und freuten uns über st'ine Uncigennützigkeit. Gott verleihe ihm den Geist des Simeon nnd stille ihm sein Herz wie jenem! Ursprünglich hatte Kaiser Konstantin zwei Kirchen auf dieser Stätte erbaut: Die Auferstehuugskirchc über dem Grabe des HErrn und die Kirche der Kreuzfindung. Zwischen beiden war ^n freier Naum. Etwa hundert Jahre später ward die dritte Kirche erbaut, die Kaluaricnkirche. Kaum zweihundert Jahre darcmf wurden diese Kirchen durch Kosrocs uon Persien zerstört, doch anch bald wieder aufgebaut, zur Zeit der Kreuzfahrer aber Zu einem ^anzon verewigt. Und ob auch seitdem abermals die Hand der Zerstörung durch Feuer über sie kam, so ist doch der Grundriß noch Mi derselbe, der vou den Kreuzfahrern herrührt, nnd die Kirche steht "och auf derselben Stelle, wo Kaiser Konstantin sie znerst hingebant hat. Es ist nun ein großes stattliches Gebände mit zwei Kuppeln und einem Thurm, aber sie wird leider nicht nur zu Gottesdiensten, sondern auch zu Prügeleien, zu Nachtherbergcn, zum Kauf- oder ^chmaushaus uud zum gröbsten gottlosesten Betrüge gebraucht. In der Osterwoche bringen die Pilger die Nächte in der Kirche äu, namentlich die heilige Nacht. Auf Matratzen ausgestreckt, liegen llc familienweise und gruppenweise zusammen, Männer, Frauen und Kinder. Es wird geschrieen, gezankt, gestoßen nnd geweint. Händler — 152 — laufen auch wohl nmher und bieten Vßwaaren fell, und die türkische Wache, sehr verstärkt, hält dic Eingänge besetzt, sieht nach, ob nicht die frommen Pilger auch mörderische Waffen hineinbringen, und läuft überall in der Kirche umher, so viel wie möglich Rnhe zu halten. Am Sonnabend vor Ostern aber ist der Höhepunkt für Griechen nnd Armenier. Die Kirche ist zum Erdrücken voll, und türkische Officierc brauchen oft die Reitpeitsche, um hier nnd da eine nöthige Bahn Zu machen. Ein jeder der Pilger hat eine Hand voll Lichter mitgebracht und wartet nun in der äußersten Aufregung auf das heilige Feuer, das alljährlich vom Himmel fallen soll. Zur rechten Zeit öffnen sich die Thüren der Griechenkirche, der griechische nnd armenische Patriarch gehen durch türkische Bajonette geschirmt in die Grabcskirche, das Feuer vom Himmel zu empfangen. Und greise Männer, Patriarchen genannt, schämen sich nicht, das Volk so Zu betrügen. Das Volt fällt uun auf die Kuiee, hebt die gekauften Kerzen in die Höhe nnd bittet nud schreit gen Himmel, Gott möge doch mm bald das Feuer vom Himmel senden. Natürlich müssen sie tüchtig warten. Wenn aber ihre Ungeduld aufs Höchste gestiegen ist, so reichen die beiden heiligen Ganner Feuer durch die vorhin genannten ovalen Oeffnungen der Maner hinaus, nnd mm beginnt ein Sturm über alle Beschreibung. Ein Jeder will seine Kerze zuerst anzünden. Denn je unmittelbarer sie von dem durch die Oeffnungen leuchteudeu Feuer angezündet wird, desto wirtsamer ist sie, in der fernen Heimath angezündet, alles Böse und den Satan selbst vom Hause fern zn halten. Die nicht zu deu Oeffuungen dringen können, und der Huudertste kann es kaum, die wollen ihre Kerzen doch wenigstens au deu Kerzen derer anzünden, die sie an der Oeff-nung angezündet haben und so währt der wilde Sturm fort trotz aller Peitschenhiebe und Kolbenstoße der türkischen Officiere und Soldaten, bis der letzte seine Kerze angezündet und die ganze Kirche wie ein wogendes Feuermeer geworden ist. Nicht selten werden — 153 — Mehrere Personen zerdrückt und zertreten und todt hinausgetragen, ohne Versengungen von Bärten und Kleidern geht es aber nie ab. Dieser Unfug wird meist von den Griechen und Armeniern getrieben, der römische Erzbischof hat nicht nur keinen Theil daran, sondern schwört anch „beim heiligen Ianuarius", daß es ein Betrug sei. — Der Rock zu Trier und die weiueudeu Madouueu sind freilich kein Betrug. Wenn ich nur diesen gottlosen Spuck, das Gezanke und wohl auch Geprüglc der Mönche vergegenwärtige, so versöhnte ich mich fast Wit dcu Hütern des Grades, oder doch mit dein Gedanken, dasi Türken es sind. Ja sie sind, unter dieseu Umständen, noch wohl ^ geeignetsten Grabeshüter. Und auch die au der Echtheit des Grabes zweifelnde Kritik wurde mir Zum Tröster. Wie viel würdi 3n würdeu doch diese heiligsten Stätten der Erde, die Statten des Todes und der Grableguug des HErru, selbst dadurch geehrt wer^ ^n, weun der stumpfe Fellalah für deu Huuger seiner Frau nud Kinder seine Gerste darauf säete und erntete, als durch solchcu götzendiererischen Gräuel derer, die sich Christen nennen! — Mir rief es beim Abschiede aus der Grabeskirche noch einmal schr vernehmlich und fast strafend zu: „Was suchet ihr den Lebendigen bei den Todten? Er ist nicht hier!" 20. Nach Jericho. „Es war ein Mensch, der zog von Jerusalem hinab gen Jericho ""d siel unter die Mörder." — Was sich anch im heiligen Lande '"ch die achtzehn Jahrhunderte geändert hat, dieser Zug des Lan-^ ist unverwischt geblieben. Vou Jerusalem nach Jericho hinab-, - 154 — ziehen und unter die Mörder fallen, das scheint zur Zeit des HErrn etwas sehr natürliches gewesen zu sein und gleichsam zusammengc-hört zu haben. Und so ist es demi auch bis auf dm heutigen Tag geblieben. Nur wenige Monate vor unsrer Ankunft zogen zwei Engländer „von Jerusalem hinab nach Jericho". Sie waren vorsichtige Leute uud baten sich vom Pascha eine Schntzgardc aus. Der sandte ihnen auch drei Bewaffnete, und so zogen sie sammt Dragoman wohlgemuth ihres Weges. Sie kamen anch glücklich bis ins Iordanthal — hier aber „fielen sie nnter die Mörder". Ein Hanfe Beduinen stürzte sich unversehens mit Blitzesschnelle und gefällter ^anze anf die arme Garde. Die suchte natürlich so viel Entfernung wie mir möglich zwischen sich und ihre Angreifer zu werfen und war bald jeder Gefahr entronnen. Nun umkreiseten die lustigen Söhne Ismaels mit wildem Geschrei ihre Beute, bis die sich in ihr Schicksal ergab und sich gründlich ausplündern ließ. In Hemd und Unterkleidern, ohne Kopf und Fußbeoeckung, kamen die Herren Engländer aufs änßerste verschmachtet uud „halbtodt" in Jerusalem an. Ihre Beschwerde beim Pascha ward auch huldvollst entgegengenommen, und er sandte hin nach Bethanien, wo ein Häuptling jener Beduinen wohnt. Den ließ er gefangen nehmen und einsperren, bis die Räuber das Geraubte ausgeliefert hatten. Das g^ schah denn auch innerhalb vierzehn Tagen, und die Herren Engländer bekamen alles wieder, selbst ihre Taschenuhren, denen jedoch unter den Händen der Bedninen das ^ebeu ausgegaugeu war. Weiter geschah mm nichts. Die Engländer zogen fröhlich ihre Straße, wcil sie alles wieder hatten nnd das seltene Vergnügen der eigenthümlichen Anfregung, die beim Beraubt- und Ausgezogenwcrden doch stattzufinden pflegt, ganz umsonst dazu. Die Beduinen zogen auch fröhlich ihres Weges, denn auch sie hatteu das Vergnügen, wieder einmal geraubt zu haben, ganz umsonst. Uud ob es ihnen in diescM Falle auch nichts einbrachte, so hatte es sie doch auch nichts gekostet, __^55 __ und sie hatten immerhin dcu Hang ihrer Natur wieder einmal befriedigt. Der Pascha aber rieb sich die Hände nnd dachte: Wer wagt nun noch zn sagen, daß wir Türken kcin nachdrückliches Regiment führen? Habe ich nicht diesen „Franken" — Allah verschmähe sie — ihre Habseligkeiten alle wieder verschafft? Selbst ans der Wüste heraus habe ich sie zn schaffen vermocht. Gewiß wird mir das in "^n Augen der Engländer zu großem Ruhm gereichen, und ich will sortan auch ihnen gegenüber etwas stolzer thun. Unsre Freuude aber, und namentlich der amerikanische Consul, "N' mit uns im Hotel speiste, rietheu uns driugeud ab, uus uicht der Gefahr auszusetzen, in die Hände der barmherzigen Bedninen zu fallen. Es waren jedoch im Hotel auch zwei amerikanische Reisende, em sehr reicher Pflanzer nnd ein Geistlicher ans Philadelphia. Die beiden ließen sich nicht abhalten, nach Jericho zn gehen. Sie brachen emcs Tages mit einer Garde sehr früh auf uud kamen des andern Tages schon heil zurück, da sie gute Reiter waren und die Nacht mit äu Hülfe nahmen. So wollten denn auch wir, ihnen nach, es ver->uchen. Herr Barou vou R. aus Hessen, ciuer uusrer Tischgenossen, Moß sich uxZ ^ I^s^. ^rman verschaffte nns eine Garde von ueun gut bewaffneten, doch ziemlich räuberisch aussehenden Männern, ^lle hatten Schießgewehre, einige Säbel, eiuige tanzen dazu, und em jeder war nach eignem Geschmack gekleidet. Unser Dragoman hatte uns ein zweites Zelt besorgt, — uusre deutsche Freuudin hatte M eignes Zelt — und daneben einen Abefsinier znm Koch lind dcn Nöthigen Küchenvorrath, das Wasser nicht ausgenommen. Alles ward "uf kräftige Maulthicrc geladeu, uud so ritten wir, eine ziemliche Karawane, zum Thore hinaus. Unser besorgter Consul aber bat nns dringend, wenn wir angefallen würden — wvran er gar keinen Zweifel zu habeu schien — uus nur ja nicht zur Wehre zu setzcu, Indern alles gutwillig hinzugeben, weil wir ja doch alles wic-^ bekommen würden und der Pascha dafür hafteu müßte. Wir — 156 — dachten indeß anders. Wir waren für uns selbst gut bewaffnet. Und die Aussicht, von Jericho aus halbnackt durch die glühende Sown' zwischen den dürren Felsen nach Jerusalem zu Fuß gehen zn müssen, war für nns nicht nnr sehr abschreckend, sondern ganz impraktikabel. Wir würden iu solchem Zustande auf dem langen Wege jedenfalls erlegen sein. Wir beschlossen daher, wenn wir angefallen würden, die Herren Ränber zu bedeuten, daß sie sich unser Gepäck, Zelte :c, nehmen dürften, daß sie aber nnsrer Person mehr denn drei Schritt vom ^eibe bleiben müßten. Und das wollten wir, darauf gaben wir uns gegenseitig das Versprechen, mit Waffengewalt durchsetzen. Wir zogen zum Stephansthor hinaus über den Ndron nnd mn die Spitze des Oelberges nach Bethanien hin nnd daran vorüber nach dem sogenannten Apostelbrunnen, wo unsre Pferde noch einmal tranken. Von hier aus beginnt eine wilde Oedc; Zwischen hohen, schroffen, kahlen Felswänden führt der Weg „hinab" und immerfort hinab; denn Jericho liegt um dreitausend Fuß tiefer als Jerusalem, Um Ostern ist dieser Weg sehr belebt, da taufende von Pilgern aus allen Ländern der Erde auf ihm hinabZiehen von Jerusalem nach Jericho und zum Jordan, um iu demselben ein heilsames Bad zu nehmen. Jetzt dagegen war es sehr einsam auf dem Wege, und jede Strecke desselben wie für Nänber geschaffen. Ohne Wasser und nur selten mit einem kümmerlichen Pflanzmwnchs, ist es eine zerklüftete, schauerliche, wilde Gegend, dieses Gebirge Iuda. Je weiter wir kamen, je höher wurden die nackten, trocknen, die Sonnenstrahlen glühend zurückwerfenden Felsen, und immer wilder und räuberische die ganze Umgebung. Und hier irgendwo in dieser schauerlichen Wüste hat der HErr nach der Taufe im Jordan vierzig Tage und Nächte gefastet, und dem Versncher widerstanden. Ueber die IM dansebne ragt ein besonders hoher Berg steil hervor, der Djebcl Karantel, welcher insonderheit als der Versuchuugsberg den Pilgern gezeigt wird; fromme Eremiten haben einst die vielen FelscnklüfN' — 157 — "n seinen Saiten bewohnt. Oben steht auch noch eine Kapelle, wo--Rn noch jetzt manchmal ernste Christen sich zurückziehen nnd fasten. Das Hervorheben eines einzelnen Berges entbehrt ja freilich aller Sicherheit, aber die ganze Gegend hat jedenfalls den Kampf des HErrn gesehen. Des Vösewichts feurige Pfeile wurden hier mit „viel Macht und Ast" verschossen, nnd fielen doch so ohnmachtig zu beu Füßen Dessen nieder, den sie verwunden sollten. Des Menschen Sohn verwundet, und die Menschheit hatte ihre lang gc-hegte einzige Hoffnung verloren und wäre, Hand und Fuß gebunden, "Nn Bösewicht überliefert gewesen. Des Menschen Sohn ein ^legor, nnd: „o Tod, wo ist dein Stachel nun, wo ist dein Sieg, " Hölle?" jauchzet siegesfroh die erlöste Schaar des HErrn. „Gott s^ Dank, der uus deu Sieg gegeben hat dnrch Jesum Christum, unsern HErrn." Wir waren müde und hungrig geworden auf unserm einsamen ^gr lind waren froh, einer alten Ruine gegenüber nuter dem Ab-hange eines Felsen den nöthigen Schatten zur Ruhe zn finden. Die Zugebrachten Schläuche gabeu uus ihr Wasser und wir suchten her-^, was uns unser freundlicher Wirth Hauser für das nächste Bc-dürfniß eingepackt hatte. Geruht und gestärkt bestiegen wir unsre Müden Thiere und zogen weiter. Am Nachmittage kamen wir an ein enges, tiefes Thal, an den ^'tten mit grünen Sträuchern bewachsen, nnd tief uuten hin und h" ein wenig Wasser erglänzend. Das Thal war wohl zweihundert "Uß tief uud fast senkrecht dnrch die harten Felsen gegraben. So ^l Mach^ hatte der kleine Bergstrom im Laufe der Jahrhunderte "nd Jahrtausende entwickelt, daß er sich so tief im Felsen ein enges kll eiuzugraben vermochte. Unser Dragoman nannte es das Io- ^nnisthal, die Araber nennen den Flnß Kelt, und mau will in ^selben den „Krith" wiederfinden, an welchem sich einst Elias ver- '"N nnd von den Raben speisen ließ. Dieser „Bach Krith, der — 158 — gegen den Jordan fließt", (1. Kön. 17, 3 ff.) enthält jedenfalls Bergungsstätteu genug und in den Krümmnngen natürliche Höhlen, wo Elias vor dein Zorne AHabs wohl eine Znflucht finden konnte. Als eben die Sonne sank, standen wir auf der letzten Höhe, und das zwei bis drei Stunden breite Iordauthal lag offen vor unfern Blicken. Ueber demselben, jenseits des Jordans, breitet sich erst noch das „Gefilde Moab" über eine Stunde weit aus, nnd dann steigt das „Gebirge Moab" steil nnd drohend empor, als wollte es sagen: „Bis Hieher und nicht weiter." Nir standen hier eine Weile und schauten, nnd ritten dauu laugsam die Höhe hinunter uud die einst so fruchtbare, jetzt gauz verödete Iordcmsaue entlang. An cinenl plätschernden Bache, demselben „Krith", den wir oben sahen, wurden uusre Zelte aufgeschlageu, um hier die Nacht in der Iordansaue zu campireu. Wir waren ziemlich müde und so durstig, daß wir unsre Schläuche bald geleert hatten nnd im Krith uen füllten. Dann bestiegen wir noch eine Anhöhe, nm bei hellem Mondenscheine den Blick über die Gegeud schweifen zu lasfeu. Es war eine Todteustille riugs umher, und nur der Bach murmelte und plätscherte eintönig lind nach dem langen Nüstcnritt nns doch so lieblich hin. Nir sahen Bänme stehen und meinten, ro seien Fruchtbäume, aber wir faudcu bald, daß es nnr ein ganz wildes Gebüsch war, ohne alle Cultur all diesem schönen Bache wachsend, der auch in dieser trocknen Jahreszeit noch Wassers geling hatte. Der Mondschein machte die fremde Gegend fast geisterhaft. Der nahe Djebel Karantel blickt gleichsam über unsre Schultern, uud die ferneren Gebirge Moabs mit ihren: unheilvollen Inhalte, den wilden Beduinen, begranzeu den Horizont. Vor uns aber liegt die lange breite Iordausaue ausgebreitet, voll dunkler nnd hellerer Streifen, und jetzt ebenso öde, wie einst fruchtbar. Uuser Dragoman trat zu uns, wies auf den Djebel Karantel und sprach: Von diesen: Berge hat — 159 — einst Satanas unserm HErrn allc Reiche dor Welt nnd ihre Herrlichkeit gezeigt. Und eine großartige Aussicht mnß dieser Berg noch heute gewähren. Als aber das Iordansthal noch so wohl bebaut und voll Städte und Dörfer war, da muß der Eindruck von jener Höhe uoch ein viel gewaltigerer gewesen sein. Unser Geist war hier so reich gespeist, daß wir den wackern Vbessinicr, dcr nns ein sehr gutes Nachtmahl bereitet hatte, fast betrübten, da wir nur wenig aßen. Wir begaben uns darauf in unsre Zelte zur Ruhe, denn um drei Uhr früh wollten wir wieder auf sein. Aber die bösen Moskitos, die hier zwar kleiner aber nicht besser sind, als in den Urwäldern der neuen Welt, bissen so gewaltig anf uns los, daß wir gar wenig zur Nuhe kommen konnten und schon lange vor drei Uhr wieder auf dem Plan waren. Unsre Zelte wurden nnn abgebrochen nnd Zusammengerollt, nnd wir hatten noch Zeit genug, nusern Kaffee mit Ruhe zu trinken. Dann bestiegen wir unsre Pferde und ritten weiter. Wir hatten gemeint, ganz allein zn sein in dieser Gegend, aber wir waren noch nicht lauge geritten, als wir zu einer ganzen Anzahl Veduinenzelte kamen, deren Einwohner noch in süßer Rnhc lagen. Wir hatten nicht das geringste Interesse, sie zn wecken, nnd zogen gern an ihnen vorüber. Noch ehf die Sonne anfging, waren wir in Jericho. Das war ein harter Tag, dcr uns in Jericho anbrach, wohl der härteste anf nnsrer ganzen Reise. Aber wir wnßten es nicht, und s» hingen wir anch die Köpfe nicht, sondern blickten frei und froh nmher. Einen elenderen Ort, wie dieses Jericho, kann man sich kaum denken. Kanm zwanzig ganz elende und sehr schmutzige Hütten, die den Schweineställen anf nnsern armen Dörfern nicht nnä'hnlich sehen, Machen das dermalige Jericho aus. Ein sehr baufälliger Thurm, "nst ein Kastell, erhebt sich in der Mitte etwa 40 Fuß hoch, und "us ihm herans kamen drei Reiter mit blinkender Lanze, unsre Leib"- garde Zu verstärken. Ein Maulbeerbaum war nirgends zu sehen und statt der Balsamstaudcu und Rosenstöcke fanden wir Dornen und wieder Dornen. Sie bildeten das Dach der aus Steiueu roh zusammengesetzten Hänser; sie bildeten auch die Umzämmmg dieser Häuser und Vichhürden, und sie standen überall nnd im Ueberfluß. Doch eiue verkümmerte Palme sahen wir noch, wie Znm Zeugniß übrig geblieben, daß hier einst die „Palmenstadt" gestanden. So elend aber Jericho nun auch ist, so ruft doch kein Bartimäus mehr: „Jesu, lieber Meister, erbarme dich mein!" und kein Zachäus sehut sich mehr nach Christo. Alles ist erstarrt im frostigen Ächte des Halbmonds. Auch wir sehneu uns nicht in Jericho zu weilen, steigen nicht einmal von nnseru Pferden, sondern ziehen, durch unsre neue Garde verstärkt, deu dunklen Gebirgen Moabs entgegen. 21. Nach dem Jordan, dem todten Meere und San Saba. Von der bunten Schaar unsrer Lanzenmänner umgeben ritten wir dem Jordan zu. Unsre Garde zeigte wiederholt, wie gewandt und muthig sie sei, indem einige im fliegendeu Galopp seitabwärts ritten, mit den tanzen gegen einander fochten nnd ihre Karabiner im vollsten ^aufe gegeu einander abfeuerten, als ob es bittrer Ernst wäre. Bei dem allen aber wollte uns der Verdacht ankommen, daß sie nur so lauge muthig seien, als wirkliche Feinde nicht vorhanden waren. Es ist ein einsamer, höchst uninteressanter Neg in dem jetzt so öden Iordauthale, aber an geschichtlichen, heiligen Erinnerungen ist er gar reich. Hier in der Nähe muß das Gilgal gewesen sein, wo sich Israel vor der Einnahme von Jericho lagerte, und wo Iosua die zwölf aus der Mitte des Iordau geuommenen Steine zu einem — 161 — Denkmal aufrichten ließ. Diesen Weg wandelte Elia mit Elisa und letzterer nachher allein zurück, als der HErr den ersteren im Wetter aufgenommen hatte. Und hier wandelte der HErr selbst, als Er von Johannes getanft und bekannt und vom Himmel herab selbst bezeugt worden war, den Ncg in die Wüste Iuda, in jenes schauerliche Gebirge, um dem Versucher zu begegueu und ihn zu überwinden. Von wie viel hunderttausend Pilgern ist dieser Weg seitdem jahraus jahrein gepilgert worden hin zum Jordan, wo Johannes laufte und auch der HErr getanft ward. Nach einem ziemlich zweistündigen Nitte gewahrten wir endlich einen grünen Streifen vor uns. Das war das Weiden und Tere-bintheu-Gebüsch, das deu Iordau einfaßt. Wi.r trieben mm nnsre Pferde an, ließen die Garde weit zurück nnd waren in wenig Minnen am Ziele. Wie lieblich ist diese Stelle am Jordan! Sie war wir so bekauut, als ob ich schon oft hier gewesen wäre, denn oft hatte ich ein getreues Bild dieser Gegend gesehen. Es ist — in "leser Jahreszeit — ein schmaler, reißender und doch tiefer Strom. Die vielen scharfen 5trümmuugeu verhindern es, seiuen ^anf weit su sehen, nnd das dichte Gebüsch macht es anch unmöglich, an seinen ^fcrn auf- und abzuwandeln. Doch wir gingen so weit wir lonn-len, wuschen uns in seinen Flnthen und nahmen dann unser Mor-gcnbrot ein. Am jenseitigen Ufer des Flusses ist ein steiler Hügel, nach welchem hin sich die Augen nnsrcr Garde unaufhörlich richte-^n. Deuu dieser Hügel dient den Bcduiueu zur Warte. Auf ihm ^a/n sio sich auf dcu Bauch zur Erde, um uicht bemerkt zu werdcu, belauschen alles was an diesem Ufer geschieht, überschreiten dann ^u Fluß höher oben und stürzen sich Plötzlich ans ihre wohlerspähte -^oute. Da die Garde doch gcwissermaßeu für uusre Sicherheit Anstehen mußte, war sie sehr unruhig uud trieb uns beständig an zur Elle. Aber uus gefiel es so wohl hier, daß wir uur zu geru h'rr zögerten. 11 — 1<)2 — Da rief plötzlich einer aus der Garde: Advan! Advan! (Räuber! Räuber!) warf sich auf fein Pferd, sprengte das Ufer hinan und jagte hin uud her, mn besser beobachten zu können. Die bald allgemein gewordene Aufregung legte sich jedoch schnell wieder, als der schwarze Gegenstand, der für einen Beduinenkopf gehalten worden war, sich als ein unschuldiger Raubvogel erwies, der so niedrig über den Berg hingezogen war. Nuu aber wollten uns unsre Bespießten gleichwohl keine Rast mehr gönnen, und so gern wir auch noch hier geweilt und von vergangnen Tagen geträumt hätten, so mußteu wir doch eudlich den Plagegeistern nachgeben und nnsrc Pferde wieder besteigen. Wir verließen den wmouugsreichen ^auf des Jordan und zogen geraden Weges znm todten Meere. Je mehr wir uns der Gegend Sodoms näherten, desto wüster uud öder ward es mitten in dem einst so fruchtbaren Jordanthale. Da nichts unsre Aufmerksamkeit fesselte, meiu Pferd ohnehin meist ein Stück voraus war, so hatten wir Muße gcuug, die Gedanken dem Jordan nachzuseuden, was uns unsre Wächter an seinen Ufern nicht erlaubten. Es ist doch ein gar merkwürdiger Strom, dieser Jordan. Nicht der lange beschwerliche Weg, nicht die Gefahr in die Hände der Beduinen zu fallen, noch irgend welche Mühe hält den Pilger ab, zu seinen Ufern zu eilen. Und ob er ihn auch nur so kurze Zeit sehen und genießen darf, er vergißt sein doch nicht wieder, und vergißt anch nicht seinen besten Freunden von seinem Wasser mitzubringen. Am Fnße des großen Hermon entsprossen, stießt der Jordan in einem Thale mehr als 500 Fuß über dem Meere dahin. Aber bald fällt er schnell und immer schneller, und ist am See Ge-nezareth schon über 1090 Fuß gefallen. Und weiter stürzt er sich mit Hast auf die sich ihm entgegenstemmenden Felsen, geht ihnen oft aus dem Wege und kehrt ebenso oft zu seiner Hauptrichtung M rück, bis er im todten Meere, nach einem Fall von fast 1800 FiG verschwindet. So tief versank Sodom, daß die es bedeckenden Fluthen — 163 — noch über 1200 Fuß untcr der Meeresfläche sind. Und so mußte der arme Jordan, der cinst die Umgegend von Sodom und Gomorra so fruchtbar uud schöu wie einen Gartm Gottes gemacht hatte, mit diesen Städten versinken und konnte sein ferueres Ziel ün rothen Meere nicht mehr crreicheu. Wie mit der ganzen Sache sehr unzufrieden, hat er sich noch eiu enges Bett 40 Fuß tiefer in sein ursprüngliches Flußbett eingegraben, in dem er mm, auch in der Nähe unbemerkt, bald stnmm, bald laut und lauter murrend uud tosend seinem abgedrochnen Ziele zueilt. Aber wie ungestüm er auch mit seiner reichen Wasserfalle herbeieilt: den Salzbrcmd Sodoms kann er nicht löschen, immer noch ist die Sodomsfluth mit einem ganzen Viertel Salz geschwängert. Und wie unberechenbar groß auch der Umfang der Wasserfülle sein mag, die der Jordan nun in fast viertausend Jahren ohne Nuh und Nast, bei Tag und bei Nacht, zu jeder Stunde in diese fluchbelastete Senkung hineingeworfen hat: die schweren Wellen Sodoms wollen sich nicht heben und bilden nach wie vor die tiefste Tiefe auf der Oberfläche der Erde. Auch nicht eine Spnr von Pflanzenwuchs war zu finden, als wir in die Nähe des todteu Meeres kamen. Nur dürres Holz lag hier und da, das der Jordan in seinem ^aufe mit fortgerissen und ws todte Meer geschwemmt hatte. Aber die Sodomsfluth stieß anch dieses von sich ab, und so bleichte es am Ufer, mit einer Salzkruste ssanz überzogen. Das Wasser sah sonst so klar ans, wie anderes Meerwasser, aber sein Geschulact ist ein ganz verschiedener. Mccr-wasser ist widerlich, aber das Wasser des todten Meeres ist rein unausstehlich. Nicht weit vom Ufer ist eine kleine Insel, zn der Wollte ich gern hinrciten. Aber die Garde schrie ganz ängstlich dangen, und mein Pferd schien ihre Meinung zn theilen, deun es wollte nicht weiter hinein. Ich trieb es iudcß laugsam vorwärts, bts ich merkte, daß die Tiefe doch viel zu groß sei, und so mnßte ich ^nn umkehren. Ich watete nun in das Wasser hinein und blieb 11- — 164 ^ wohl eine halbe Stunde lang darinnen, kleine Kiesel aus dem Grunde heraufholend. Als ich herauskam, fand sich an meinen Beinen alsbald jene Salzkruste ein, welche die dürren Aeste am Ufer überzog. Ich rieb das Salz ab, ohne daß ich ein besondres Jucken empfunden hätte. Das todte Meer ist über 22 Quadratmeileu groß, also fast ebenso groß wie das Herzogthum Altenburg. Es zieht sich von Norden nach Süden hin an zehn Meilen laug, wahrend es von Ost nach West nur schmal und von 1000 bis 2000 Fuß hohen Kalksteinfelsen eingeschlossen ist. Man sieht rechts und links die hohen dunklen Felsenufer das Meer bcgräuzeu, sein Ende aber nach Süden kann man nicht absehen, auch von den Bergen aus nicht. Die Hitze ist hier sehr groß, doch hatten wir gerade einen angenehmen Luftzug im ganzen Iordanthale und anch am todten Meere, so daß wir wenig davon zn leiden hatten. Von irgend welchem Leben, etwa von Fischen oder Muscheln, war auch nicht eine Spur Zu finden. Das Wasser war glatt wie ein Spiegel uud bewegte sich uicht. Das Ganze gab nns ein Bild dcs Todes wie selten eins. Wie wohl keins. Denn wo sollte man mehr geueigt sein, des Todes zu gedenken, als am todten Meere? Tief unten,.in granser Tiefe, über 1000 Fuß unter der schweren Salzfluth begraben, liegt Sodoms einst so fruchtbares Gefilde, liegen Gomorras einst so laute Straßen, liegen Adama und Zeboims Bürger lind Fürsteu begraben. Das Feuer wilder ^ust iu ihren Gebeinen, von der Hölle entzündet, ward mit Feuer uud Schwefel vom Himmel ausgebraunt. Die Hitze der Tiefe und die Berge, welche die ^nft ringsum gefangen halten, zwingen das Wasser zur Verdunstung; auch an diesem Tage stieg der Qualm aus der Tiefe empor uud hielt sich uicht fern über dem Wasser wie ein Nebel. Das ist der Rauch Sodoms, der selten fehlt und es auch den Vögeln schwer macht, über diesen See zu fliegen, und niemals setzt sich einer darauf. Nufre Garde mahutc uns auch hier zur Eile, uud so brachen - 165 — wir denn von dem todten Meere wieder auf und begannen den sauersten Weg unsrer Reise. Wir wandten uns westlich dem Gebirge Iuda zu. Am Fuße desselben verließ uns nnsrc Ierichogarde, nachdem sie ihren Balschisch empfangen hatte. Unsre Ierusalemgarde aber blieb bei, uns und führte uns weiter. Sobald wir in die eugcu Schluchten des Gebirges kamen, ward die Hitze unausstehlich. Kein Luftzug rührte sich. Die Mittagssouue brannte anf uns nieder, und nirgends war Schatten oder Schutz zu finden. Unsre Pferde dampften vor Schweiß, nud wir mußteu diese Ausdüustuug eiuathmen. Die kahlen Felseubrrgc warfen wie im Zorne die heißen Sonnenstrahlen auf uus Zurück uud machteu nus uud uusre Thiere sehr Matt. Nachdem wir au drei Stunden so grritteu waren und nun wirklich fast nickt mehr tonnten, fanden wir endlich in eiuer überhängenden Felswand den uöthigeu Schatten zur Nuhe. Hier such-teu wir zusammen, was wir au Nahrungsmitteln bei uus hatten, denn unser Gezclt und Gepäck war von Jericho gleich nach San Saba gegangen, nnd stärkten uus so gut wir konnten zu dein noch vierstündigen Nitte. Die größte Hitze war uuu auch vorüber, uud so Zogeu wir etwas getroster weiter. Plötzlich rief wieder unsre Garde: „Aduan!" uud diesmal hatte sie sich uicht versehen. Eine Anzahl „Advans" stand anf einem Berge und blickte anf uns herab, ^ic wild ritt uusre Garde hin und her, jagte eine Auhöhe hinauf, u>u die feindliche Macht besser übersehen zu könneu, und that alles mögliche, um sich ein formidables Auseheu zu geben. Unser Drago-Mau mahnte nns, daß wir uns zusammenhalten möchten, da wir sonst uft ,y^t hintereinander zogen, je nach unsrer Neitfähigkeit uud ber Kraft unsrer Thiere. Wir folgten der Mahnung nnd zogen luhig weiter, doch uicht ohuc uus oft uach deu duuklcn Gestalten "^' „Advaus" auf der Höhe umzuseheu. Diese aber verloren ihre Meichmüthigkeit uicht uud wareu eutwedcr friedlich gesinnt, oder wurden es doch durch deu Blick auf uusrc Zahl uud auf unsre — 166 — Waffen. Unsre Wächter jedoch drängten uns immerfort znr Eile und zählten uns immer wieder vor, wie welt nnd wie lange wir noch zu reiten hätten. Die Kräfte waren nns längst wieder ausgegangen: wir hingen nur noch so auf unsern müden stolperuden Pferden- Es war schon ganz finster, als wir vor dem gar merkwürdig gelegenen Kloster Mar oder San Saba anlangten. Hart vor dein Thore fanden wir unsere Zelte schon aufgeschlagen (Damen dürfen das Kloster nicht betreten) nnd unser wackrer Abessinier hatte wieder ein sehr schmackhaftes Abendbrot bereitet, dem wir jedoch vor zu großer Müdigkeit nur weuig Schaden thun konnten. Wir übergaben den Mönchen noch unsre Empfehlung vom griechischen Patriarchen zu Jerusalem und sagten ihnen, daß wir (Männer) am andern Morgen das Kloster zu sehen wünschten. Die Empfehlung des Patriarchen war griechisch geschrieben und lantete also' „Der Patriarch dem ehrwürdigen Archimandritcn der heiligen Laura (d. i. Kloster) des seligen Saba, Herrn Ioassaf. Väterlich im HErrn wünschen wir :c. :c. Die nnser Gegenwärtiges darbringenden preußischen Reisenden kommen auf ihrer Reise anch zu der dortigen ^aurau, deshalb wird Deine Ehrwürdigkeit dieselben wohlgc-wogeu empfangen und wie üblich gebührend pflegen, damit sie zufrieden und als Deine Lober zurückkehren. So thnc und lebe wohl im HErrn nach Leib und Seele! In Jerusalem, 22. September (alten Styls) 1862. Der von Jerusalem." 22. Nach Bethlehem. Mar Mas und zurück nach Jerusalem. . Auf unsrem gestrigen Wege saheu wir wiederholt das todte Meer tief und immer tiefer uutcr uns liegen, je höher wir selbst — 1<>7 ^ empor kameu. Immer schwebte dieselbe Dunstwolke über dem Gewässer und ließ uns nur hier und da eine Fläche, uicht aber das ganze überschauen. Auch von der Höhe des Klosters San Saba saheu wir deutlich den See des Todes wieder, Hier in dieser Gegend irrte David flüchtig umher, uud war doch der Geliebte des HErrn. Und Sanl verfolgte ihn hier mit Königs Glanz nnd Macht, und war doch im Besitze des finstern Geistes nnd vom HErrn verstoßen. Die Mönche des Klosters nahmen nns freundlich auf. Sie hatten aber alle einen sehr leidenden Zug nnd sahen gar nicht ge-snnd ans. Ich fragte, ob sie uns nicht mit ein wenig Milch versorgen könnten, nnd werde das Angesicht des Mannes uicht vergessen, an den ich die Frage richtete. „Milch?!" sagte er, nnd ein Lächeln, das mit dem Weinen kämpfte, zog sich über sein abgemagertes kränkliches Gesicht. Die Mönche haben anch diesem Genusse entsagt, nnd oie Erinnerung daran schien uicht ohue einen innern Kampf vor-überzngehen. Freundlich führte man uns umher nnd zeigte uus des heiligen Taba Felsenzellc, die er lange mit einem Löwen getheilt haben soll, den seine Güte gezämt hatte. Es ist eine dumpfe gefangene Luft darin, uud ich würde auch ohne Löwen wohl uicht alt barin geworden sein. Ich fühlte mich wie vou eiucr Last erleichtert, als ich wieder freie Luft athmen tonnte. Auch Johannes Damas-cenns hausete hier und verfaßte seine gelehrten Werke. Mit beson-derer Liebe aber wiesen die Mönche uns anf einen einzelnen Palmbaum hiu und behaupteten, daß der heilige Saba ihn noch selbst gepflanzt habe. Auch mit einem Blumeusträußchcn für uusre Da-'uen, die nicht mit ins Kloster tommen durften, beschenkten sie uns. Jedes Körnchen Erde, das hier Blmuen oder Früchte trägt, ist aus der Ferne hergetragen worden. Denn an diesem Orte selbst ist alles nackter, starrer Fels. Wir hatten uns ganz müde gelaufen tief hinunter, wo das Kloster an den senkrechten Felswänden des Kidron-thales wie ein Schwalbennest angebaut ist, bis hoch hinauf, wo hohe — 168 — Mauern und Thürme räuberischen Beduinen den Eingang wehren und eine hübsche Aussicht bieten auf die starreu Felsen wie auf das todte Meer tief zu unsern Füßen und weit umher. Wir schieden von den Mönchen mit herzlichen Bedauern, daß so viel Hingabe keinem bessern Zwecke dient, als nutzlos zu lebeu uud im Elend zu sterben. Doch der Orient hat seine eigne Anschauung darüber, uud die Prinzipien der Nützlichkeit sind noch nicht bis nach San Saba gedrungen. Nie wir vom todten Meere nach San Saba fort uud fort im Steigen begriffeil waren, so führte auch uuser Weg vou diesem Kloster ans immerfort bergauf. Wir ritten wieder in eiuer odm Felsgegeud dahiu, bis wir gegen Mittag plötzlich von grünen Triften überrascht wnroen. Berge uud Thäler wareu augebaut, Oel-bänme, Feigen nnd Wein wechselten mit einander ab, ein langes sehr freundliches Thal dehnte sich znr Seite aus und sah uns freundlich und bekannt an, als ob es uns grüßeu wollte. Die wir zwei Tage laug zwischeu starren Felsen nnd auf der todten Saudfläche des todteu Meeres zugebracht hatteu, wareu wirklich entzückt über diesen angenehmen Wechsel und touuteu uns nicht enthalten, uusrcn Dragoman zu frageu: Was ist das für ein schönes Thal dort? „Das Hirtenthal", antwortete er kurz. Das Hirtenthal — wir waren vor Bethlehem. Ohne es Zu wissen, daß dies die heilige Gegend vou Bethlehem sei, war sie uns schon lieb nnd heimisch gc worden; nnu wir's aber wußten, ward sic's uns doppelt. Hier also erscholl zuerst der ^obgesang aus dem Munde heilige-r Engel, der seitdem in aller Welt, in allen Sprachen nud allen Nationen wiedererschallt: „Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erdcu nnd den Menschen ein Wohlgefallen!" O daß doch nnn, nachdem dieses heilige Lied achtzehnhnndcrt Jahre durch die Länder erklungen ist, alle Menschen ein rechtes Wohlgefallen haben möchten au den gnadenreichen Geschichten, die sich zu Bethlehem zugetragen haben, — 169 - an dem Heiligen Gottes, dcr hier Mensch geboren ist, ohne welchen cs auf Erden keinen Frieden giebt und auch keinen ^obgesang, dcr Gott gefallen tönme! Wir Zogcn langsam an diesem lieblichen Thale vorüber hin ans nach Bethlehein; denn auch Bethlehem ist eine „hoch gebaute Stadt", uud wahrlich teme geringe. Stritten sich Städte des Alter thums um die Ehre, Geburtsstadt eines armen blinden Mannes zu sein, der sich mit seinen von der Rachwelt bewunderten biedern bei der Mitwelt nur ein Kummerbrot erwerben konnte: wie unnahbar hoch steht Bethlehem da, woraus der gekommen, dessen AnZgang von Anfang nnd von Ewigkeit her gewesen ist. Zwar auch Er wurde l)ler arm, in einem Stalle sogar geboren, aber Er ward nur arm um unsertwillen, damit Er nns durch Seine Armuth reich machte. „Dcr Sammet mid dic Ecidcu Dein, Das ist grob Hcu nud Wmdclcm, Darauf Dll Äöiiig s» grosz und rcich Hcrprangst, als war's Tcm ftiüüin'lrcich. Das hat also gcfallcn Dir, Dic Wahrhcit anzuzeigen mir, Wic allcr Welt Macht, Ehr und Kut Vor Dir nichts gilt, nichts hilft noch thut." Auf der Höhe dcr Stadt liegt das Kloster, das die Gcburts statte des HErrn umschließt. Es war gerade Mittags zwölf Uhr, als wir vor demselben ankamen, doch auf dieser luftigen Höhe drückte uns die Hitze nicht. Auch hier leben Römer, Griecheu nnd Arme-nicr — ,yas das Kloster betrifft — in Gütergemeinschaft. Doch blesc Gemeinschaft bezieht sich wohl nnr auf das eine Dach, das sie "lle umschließt; denn nnter diesem einen Dache weiß jede Partei ihre besondren Statten wohl fiir sich zn behalten, nnd die kalten Worte: ^cin uud Dein widerhallet, ancb in diesen Mauern. Wir wandten Uns zurrst an die Nömer, hier sonst Lateiner genannt, lim freund' llche Beherbergung. Aber der wachehaltende Bruder verkündigte — 170 — uns, daß jetzt die Mönche schliefen und uus also nicht aufuehmcu könnten. Er besann sich indessen bald eines andern und frug, ob wir eine Empfehlung von der (^«g, nuuv^ ans Jerusalem mitgebracht hätten, dem Kloster, in welchem alle Katholiken zu Herbergen pflegen. Da wir aber eine solche nicht hatten, so gab es anch keine Gastfreundschaft für uus. Darauf wandten wir uuö denn au die Griechen im Kloster, und die nahmen uus bereitwillig auf. Der dienende, Mönch brachte uus alsbald eiue große Flasche Wem; aber er schien eiu Widersacher jenes Speisemcisters zu seiu uud den guten Wein bis zuletzt behalten zu wollcu. Wir bateu ihn um eiue bessere Sorte; er sagte ja! ja! ich hatte aber Mißtrauen, er möchte ihu aus demselben Fasse wie den crsteu gezapft habeu. Der Bethlehem-Wein ist sonst berühmt im heiligcu Lande. Nachdem wir uns eiu wenig erholt hatten, giugeu wir in die Kirche. Zur Seite des Hauptaltars iu der gricchischeu Kirche führen marmorne Stufen hinunter in die Grotte der Geburt des HErrn. Diese Grotte ist 39 Fuß lang, 11 Fuß breit uud 9 Fuß hoch. Dic Wände uud der Boden sind mit Marmor bedeckt, uud silberuc Campen breuneu Tag uud N'acht. Uuter dem Altar iu der Grotte ist ein silberucr Strahlenkranz, der vou edleu Steiuen glänzt, uud in demselben stehen die Worte: „Hi« lie, virtue. Nai'iu. .Icnul-! ('In^w» natn« e«t." (Hier wurde, von der Iuugfrau Maria Jesus Christus geboreu.) Daß dies wirklich die Stätte der Geburt des HErru ist, läßt sich kaum bezweifeln. Schou im zweiten Jahrhundert war sie als solche bekanut uud uerehrt, uud zu Aufaug des vierten Jahrhunderts (330) baute Kaiser Konstantin diese Kirche daranf, uoch vor der Grabeskirchc in Jernsalem. Der Einwurf, daß Lucas von einem Stalle als der Geburt des HErrn redet und nicht von einer Grotte, ist wohl von solchen gemacht worden, die nicht blos mit dem Leibe, sondern auch mit dem Geiste hiuter dem deutscheu Ofen sitzen geblieben sind. Deun wenn sie sich auch uur im Geiste über ihr — 171 — Gehöft hinansgemacht hätten, würden sic i^a wissen, daß im ganzen Morgenlande Felsengrotten sowohl zu Menschenwohnnngen, als zu Viehställeu gebraucht worden, und zuweilen Zu beiden zugleich. In: heiligen Lande aber ist das besonders häufig der Fall, und man taun es heut noch oft sehen, auch in der Nähe, von Iernsalem. Wie freu ten wir uns in Bethlehem zn sein! „O Iesn Christ! Dein Kripplein ist Mein Paradies, da meine Seele weidet; Hier ist der Ort, hier liegt das Nort Mit unserm Fleisch persönlich angeNcidet." Und hier saß vor vicrzehnhundert Iahreu ein frommer alter Mann, mi Mönch und ein Gelehrter zum Himmelreich. Der sah biese Stätte an nnd weinte. „Ach HErr Icsu, sagte der Greis, wie hart liegst Du da in der Grippe um meiner Seligkeit willen! Wie soll ich Dir doch das vergelten?" Und es ward ihm wie eine Autwort im Herzen: „„Nichts begehre ich, denn daß du singest: Ehre sei Hott iu der Höhe!"" Wieder beginnt der Greis: „Ach lieber Heiland, ich muß Dir etwas geben; ich will Dir all mein Geld kleben." Und wieder ruft es ihm von der Krippe her Zu: „„Der Himmel ist mein uud die Erde ist auch mein; ich bedarf nichts. Gieb Dein Geld den armen ^euteu, da will ichs annehmen, als wäre es mir gegeben."" „Gcru will ich das thun, spricht der Greis, aber Dir muß ich auch etwas gebcu, oder ich muß vor Leid sterben." „„Bist du so freigebig, antwortet's ihm abermals von der Krippe, s" will ich dir sagen, was du mir geben sollst. Gieb mir her dein böses Gewissen, deine Sünde nnd deine Verdammniß!"" „Was willst Du doch damit thnn?" ruft der Greis. „„Ich will es auf Weine Schultern nehmen, das soll meiue Herrschaft sein nnd meine herrliche That."" Da fängt der alte Mann an zn weinen nnd spricht: „Kindlein, liebes Kindlein, wie hast Du mir mein Herz ge nchrt! Nimm hin was mein ist, nnd gieb mir was Dein ist, so bin — 172 — ich dor Sünde los und des ewigen Lebens gewiß." — Dreißig Jahre herbergte hier der fromme Greis beim „Kripftlein Christi", nicht müßig, wie heutige Mönche, sondern die heilige Schrift ins lateinische übersetzend nnd viele gute Schriften verfassend, den Bösen zum Trotz und den Frommen zum Trost. Und als er ausgepilgert hatte, lies; er, nennzig Jahre alt, seine Gebeine hier znm Andenken. Ueber vier-zehnhnndert Jahre warten diese nun schon auf die Stimme des HErrn, den er gelicbet hat, daß sie die Gräber durchdriugeu und die darinnen schlafen auferwecken soll zu eiuem ^eben, das nicht mehr stirbt. Dieser alte fromme Greis ist der heilige Hieronymns, in dessen einstige Zelle wir nns führen ließen uud bei desscu Grabe wir siuueud standen. Als wir aus den nntcren Gängen des Klosters nnd aus der Grotte der Geburt des HErrn wieder iu die obere Kirche traten, wurden wir plötzlich von einem deutschen Gruße überrascht. Herr Dr. Sandrecki war es, der uns so begrüßte. Er war uus von Mar Elias aus freundlich entgegengekommen und brachte nns eine Einladung von dem kraulenden preußischen Kousul, Or. Noseu, bei ihm vorzusprechen und eine Erquickuug einzunehmen nach unsrer an^ streugendcu Reise. Die, freundlichen Bethlehemiten verkauften uns erst noch einige ihrer Perlmutterarbeiten, in welche sie gern allerlei Bilder ans dem ^eben des HErrn cinschneidcu. Dann befriedigten wir die Mönche und schieden von Bethlehem, wie man nur von Bethlehem scheidet. An dem Grabe Rahcls vorüber kamen wir nach anderthalb Stunden anf die Höhe von Mar Elias, dem Kloster der Griechen-Von hier aus sahen wie noch Bethlehem hinter uus auf eiuer Höh^ und auf der anderu Seite Jerusalem vor uns auch auf eiuer Höhe. Ein Thal füllte hier nnd dort die Entfernung ans. Dem griechischen Kloster gegenüber zeltete der krankende Konsnl und nahm uns freundlich anf. Er war im Begriff, das heilige Land zu verlassen 173 und in der kühlern Hcimath Genesung zu sucheu. Jerusalem ist nicht sehr gesund zu dieser Zeit. Von I)r. Saudrecki begleitet, beschlossen wir dieses Stück unsrer Reise uud kamen, als die Sonne schon untergegangen war, wieder in Jerusalem an. 23. Jerusalems Bewohner. Es ist ein merkwürdiger Zug unter allen Völkern hinanf nach Jerusalem. Die unbeweglichen Kinder Asiens können doch diesem Huge nicht widerstehen. Europa sendet alle Schattirungen uom tiefsten Süden bis zum höchsten Norden in großen Schaaren herzu; auch die neue Welt (Amerika) ist nicht zn fern, ihre Söhne herzusenden, uud selbst das gebundene Afrika bleibt uicht zurück. Die ^Pten haben einen Alttheil an der Grabeskirche, uud die fernen ^bessiuior wissen auch den Weg dahin zu fmden. Israels abgefallene Sohne aber, was sie auch sonst verloren haben, das Andenken an "^nisalem verlorcu sie nicht. Auch sie ziehen aus weitester Ferne herbei und hinauf nach Jerusalem. Und wer sie einmal gesehen ^l, die „hochgebante Stadt", der vergißt ihrer nicht leicht wieder. ^ 'st als obs die Stätte seiner Kindheit, sein Wiegenort wäre: so sehnt er sich nach ihr, so gern kehrt er zu ihr zurück. Aber doch — "l Jerusalem bleiben, uciu! Nach kurzem Aufemhalt ziehen alle ^lger gcru wieder heim; niemand mag hier seine Heimath haben, ulch die ihr Amt an Jerusalem bindet uud deueu ciu reiches Ein-"lnmen es ermöglicht, sich so hennisch, wie sie nur wüuscheu, einzn-^chleu, auch sie hauseu nur ungern hier. Es ist als ob der Wiegen-vrt mit seinen Verhältnissen nicht mehr recht passen wollte zur Lage ^'s Mannes mit seinen Verhältnissen. In der That gleicht das ^'N heilige ^and ciu er zwar schönen, doch völligen Ruiue. Wer __ 174 __ sähe nicht gern eine berühmte großartige Nninc? Wer aber wünschte in ihr dauernd zu wohnen? Nein, wie Palästina jetzt ist, ist es kein Land des Verlangens, da man Hl'ittcn bauen möchte. ' Jerusalem soll gegenwärtig 23,000 Seelen zählen. Von diesen sind die größte Hälfte (12,000) Muhammedaner. Das sind die Regenten des Bandes nnd sie geben den Ton an. Es ist freilich kein wohlklingender Ton. Obenan steht der Pascha von Jerusalem, der alle paar Jahre durch einen ncueu von Konstantinopcl ersetzt wird. Dieser mnß dem Snltan die bestimmte Steuer oou der Prooinz überliefern und es bleibt ihm überlassen, wie er das thut. Natürlich will cr auch für sich was haben. So hat er denn vollauf zu thuu, in der kurzen Zeit seines Regiments den Sultan und sich selbst zufrieden zu stelleu. Wer wollte auch noch mehr von ihm verlangen? Die Wege bleiben so schlecht und so unsicher, wie zuvor. Fürchtet sich jemand vor den Straßenräubern, so mag er eben zuhause bleiben. Fallen die Bednineu ein und ernten dem Bauer sein Feld ab: Allah ist groß — der Bauer mag es wieder besäen. Führen zwei Parteien blutige Fehde mit einander — sie mögen sich wieder vertragen. Sollte ihr Zwist den Pascha in seiner Ruhe stören? Unter Umstäuden ja. Da kommt die eine Partei, die vielleicht den kürzern gezogen nnd die meisten Männer verloren hat, oder die das meiste Recht zu haben meint, uud bittet deu Pascha, drein zu sehen. Natürlich kommt sie nicht mit leeren Händen. Das wäre unverzeihlich nnd sollte ihr übel bekommen. Sie kommt also mit gefüllten Beuteln und der Pascha hört ihre Klage huldvollst au. — Ich habe eiueu bestimmten Fall vor Angen, der sich vor Kurzem wirklich zugetragen hatte. — Darauf verspricht ihr der Pascha, die andere Partei zur Rechenschaft zu fordern. Das thut er auch, der Pascha ist cin „ehrenwerther Alaun". Die andere Partei erscheint, natürlich auch nicht mit leeren Häudcu. Nun trifft es sich, daß sie viel größere Beutel hat und also auch viel gewichtigere Gründe bringt, als dic — 175 — erste Partei. Dcr Pascha sieht das cm und verspricht sofort Friede unter ihnen zn machen. Nnn lagert es sich vor dem Iaffathor von Kameelcn und Reitern, eine bunte Kriegesmacht, des Paschas Stolz. -Er kann sich das Vergnügen nicht versagen, sich an die Spitze dieser „Braven" zn stellen. So zieht er aus. Atles beugt sich vor ihm. Er fordert Straftribnt, dcr wird entrichtet. Er befiehlt Versöhnung, oie geschieht. Nun kehrt er Znriick voll schmeichelnden Selbstbewußtseins, des Landes Nnhe wieder hergestellt zu haben, nnd mit besonderer Befriedigung jener großen Ventel gedenkend. Groß ist das Regiment der Türken! Nach den Türken bilden die Christen die größte Anzahl der Bewohner Jerusalems. Ihrer sollen an 7000 hier wohnen: Griechen, Lateiner, Armenier, Kopten, Syrer, Abessmier und Protestanten; eine sicbenfarbige bunte Mischuug. Und möchten sie nur, wie ble sieben Farben des Regenbogens, ein Ganzes und ein liebliches Bild des Friedens bieten! Aber wohl nirgends auf Erden liegen slch die verschiedenen christlichen Sec ten so buchstäblich in den Haaren, wie in Iernsalem und an heiligster Stätte. Dcr geistliche Tod ist hier vollkommen nnd das fleischliche Leben ist es auch. Wer darüber noch im Zweifel wäre, dem würde die Anwesenheit des türkischen Militairs in der Grabeskirchc während der Osterwochc den Beweis Lesern, welches trotz seiner großen Zahl und Waffen oft doch nicht "lN! Stande ist, die Christen in der Üirche auch nur so weit in Zucht Hu halten, daß sie einander nicht geradczn umbringen. Noch vor Wenigen Jahren verloren zwei Christen ihr Leben und viele ihre Glieder in der Grabeskirche, währeud des nur mit bitterer Ironie s" 3u nennenden Gottesdienstes. Ist es nicht, als ob der Fluch des Bandes auch das Christenthum drückte? Die Griechen sind bei weitem die vorwiegende Partei unter dm Christen. Doch nnr dcr Patriarch lind die meisten Mönche sind Eigentliche, Griechen, die Gemeinde und die Priester bestehen aus den — 176 — Eingebornen dcs Landes, hier gewöhnlich Araber genannt. Und es mag wohl sein, daß sie sowohl als ihre musclmäunischen Herrscher, denen sie sich kriechend unterwerfen, wie die vagabundirenden Beduinen, Söhne der Hagar und der Ketura sind, hier und da auch wohl mit einer homöopathischen Dosis Europäerblutes versetzt. Sie besitzen iu Jerusalem acht Mönchs- und fünf Nonnenklöster uud eine Anzahl Häuser, die sie vermiethm. Die Russen uehmeu sich dieser Griechen je länger je mehr an uud versorgen sie mit Geld uud politischer Unterstützung. Die Lateiner sind lange nicht so zahlreich als die Griechen, doch haben auch sie ihre Klöster und etwa fünf-zig meist italienische und spanische Mönche. Ihnen zunächst nach Zahl und Bedcutuug kommen die Armenier. Sie haben wohl das größte und reichste Kloster in Jerusalem. Manner uud Frauen dieser Sccte lieben die schwarze Farbe und sind stille, fleißige uud betriebsame Leute, die sich durch Handel Reichthümer zu verschaffen wissen. Die Kopten, Syrer und Abessiuier haben ärmliche Klöster, in deueu sie die Pilger ihres Glaubcus beherbergen. Vou den Protestanten ist schou früher gesprochen worden. Sie zeichnen sich jedenfalls vor den übrigen Christen vortheilhaft aus, doch will auch die protestantische Gemeinde in Jerusalem nicht recht gedeihen. Am auffälligsten aber drückt der unverkennbare Fluch des Landes den dritten Theil der Bewohner Jerusalems, die Juden. Ihre Zahl beläuft sich etwa auf i^OW Sreleu und ist also fast so groß, wie die der Christen. Es ist aber merkwürdig, daß es alte jüdische Familien, die seit Jahrhunderten hier gewohnt hätten, gar nicht giebt, während im nahen Egyptcn jüdische Familieu seit Jahrtausenden wohnhaft sind. Die meisten der Inden sind Ausländer, die nach Jerusalem kommen, um hier zu sterben uud begrabeu zu werden. Daß es aber nicht Frömmigkeit ist, welche sie hierher treibt, werden wir noch sehen. Auch die zum Sterben hierhergekommenen Juden sind nicht einig. Friede herrscht nicht mehr iu Jerusalems __ 177 — Mauern. Von don kleineren Parteien abgesehen bilden die Juden drei Hauptsecten. Die besten derselben sind. noch die Scpharcdim; . sie sind anch die zahlreichsten, und ihre Sprache ist spanisch, da ihre Vorfahren einst in Spanien wohnten nnd von dort vertrieben wurden. Unter ihnen giebt es recht schöne Gestalten. Sie sind türkische Unterthanen, haben die meisten Vorrechte int Vergleich zn den übrigen Juden nnd besitzen vier Synagogen. Ihnen gegenüber stehen die Aschkcnazim. Diese stammen ans Deutschland, Polen, Nußland, Ungarn :c., nnd ihre Sprache ist meist deutsch. Die dritte Klasse bilden die jtaraiten, die den Talmud verwerfen und sich nur an das alte Testament halten, ohne jedoch eine minder grobe Decke vor Aug und Herzen hängen zn haben. Diese wie die Ascblenazim haben chre besondern Synagogen nnd leben im tapfern Streite nicht nnr nüt den andern Sccten, sondern anch mit ihren eignen Vorstehern und Rabbincn. Diese jüdischen Secten alle haben noch ein besonderes Heilig- ^ thmn in Jerusalem, und das besteht ans einigen sehr alten und großen Felsbtöcken in der Maner, die den Tempelberg umschließt. Da sie den Berg selbst nicht betreten dürfen, so gehen sie jeden Frei-l"g an die äußere Mauer des Moria, berühren diese alten Steine, die jedenfalls noch vom Herodianischen, wenn nicht oom salomonischen Tempclban herstammcn, mit ihren Stirnen oder doch mit ihren Händen und schlagen dann auf ihre gottlose Brust. Sie bctcu ein-<^'ln aus großen Büchern nnd stimmen auch wohl zusammen eine ^N Litanei an, folgenden Inhalts: Antiph,-. „Wegen des Palastes, der wüstc liegt: Äiespous.: da sitzen wir einsam nnd weinen, Wegen des Tempels, der zerstört ist: da sitzen wir einsam nnd weinen. Wegen der Mauern, die zerrissen sind: da sitzen wir einsam nnd weinen, 12 — 178 — , Wegen unsrer Herrlichkeit, die dahin ist: » da sitzen wir einsam und weinen, Wegen unsrer großen 3)täliucr, die darniederlicgcn: da sitzen wir einsam und weinen. Wegen der tustbarcn Steine, die verbrannt sind: da sitzen wir einsam nnd weinen. Wegen der Priester, die gestrauchelt habeu: da sitzen wir einsam nnd weinen, Wegen unsrer Könige, die ihn verachtet haben: da sitzen wir einsam und weinen. Wir bitten dich, erbarme dich Zwns; sammle die .Kinder Jerusalems. Eile, eile Iions Erlöser: sprich zu den: Herzen Jerusalems, Schönheit und Herrlichkeit umgebe Zivn: wende dich gnädig zu Jerusalem, Das Muigsrcgimcnt erscheine wieder zu Ziou: tröste die da tranern über Jerusalem. Freude nnd Woune kehre ein zu Zion: Und der Zweig sprosse auf zu Jerusalem." Als wir diesen Klagcftlatz der Inden besuchten, hatteu sic einen besondern Gedenktag nnd es waren ihrer viele hundert Männer und Weiber in der engen Straße versammelt, su daß wir uns nnr mit großer Mühe durchdrängen konnten und uns ganz von einander verloren. Da standen die bärtigen Gestalten ans allen Ländern der Erde; aber die Zobelnn'chcn (die die russischen Juden tragen) waren am meisten vertreten. Manche nnter ihnen schlugen ziemlich unbarmherzig auf ihre Brust los, und ich sahe hier und da auch eine Thräne fließen. Doch das sind besondere Thränen, die nnr Orientalen haben. Sie fließen anf Commando nnd verschwinden ans Commando. Eine alte Fran hatte zwei Brillen auf der Nase nnd ein Quartbuch mit großer hebräischer Schrift in beiden Händen. Daraus las sie laut uud neigte sich unaufhörlich. Zwei bis drei andere sprachen es ihr nach und sahen ihr über die Schultern ius Buch. Denn tonnten sie auch nicht selbst lesen, so war doch das — 179 — Ansehen und Nachsprechen dcr hebräischen Worte schon ein gutes Werk. Dic ganze Scene wäre ergreifend gewesen, wenn sie sich ihrer Sünden wegen an die Brust geschlagen hätten, nnd nicht „dcr köstlichen Steine wegen, die verbrannt sind", nnd ihrer „Herrlichkeit wegen, die dahin ist". Wie so anders lantetc Daniels Gebet, als er üder das zerstörte Jerusalem trauerte! „Wir haben gesündigt, rief er, Unrecht gethan, sind gottlos gewesen und abtrünnig geworden, wir sind von deinen Geboten nnd Rechten gewichen. Wir gehorchten nicht deinen Knechten, den Propheten, die m deinem Namen unsern Königen, Fürsten, Vätern und allem Volt im Lande predigten. Du, HErr, bist gerecht, wir aber müssen uns schämen. — Ja HErr, wir, unsre Könige, unsre Fürsten nnd unsre Väter müssen nns schämen, daß wir nns an dir versündigt haben. Neige deine Ohren, mein Gott, nnd höre, thue deine Angen auf und siehe, wie wir verstöret sind, nnd die Stadt, die nach Deinem ^amcn genannt ist. Denn wir liegen vor Dir mit nnserm Gebet, nicht auf unsre Gerechtigkeit, sondern anf Deine große Barinherzig-k^t" (Daniel !)). Von diesem Gefühl der Sünde und dcr Reue darüber war hier nichts zu spüren. Sie betrauerten ihre vergangene Herrlichkeit nnd hätten sie gern wieder. Namentlich aber hätten sie Mn die salomonische Zeit wieder, in welcher „des Silbers nnd des Boldes zu Jerusalem so viel war, wie die Steine" (^. Chron. 1, 15). Käme diese Zeit zurück, dann bliebe gewiß kein Jude mehr außer Jerusalem. So aber bleiben sie lieber unter den Gojim ^Heiden) wohnen und machen sich Silber und Gold, so viel und auf welche Weise sie nnr können. Die aber jetzt doch in Jerusalem wohnen, smd vielleicht die schlechtesten Exemplare ihres Voltes. Ihre Strafn sind über alle Beschreibung schmutzig nnd sie selbst sind so entschiedene Feinde des Wassers und der Seife, daß manche Gesichter förmlich mit Schmntz überzogen sind. Und mit dem Schmntz des Leibes geht der Schmntz ihrer __ 180 — Seele Hand in Hand. Die meisten von ihnen mögen nicht arbeiten, fondern verlassen sich ans die Unterstützung des Auslandes und beanspruchen dieselbe als ein Recht. Um die nöthigen Gelder zusammen zu briugeu, pflegen sie Collectoren in die Länder hinanszuseuden, mit guten Empfehlungen versehen. Diese ziehen dann unter den Juden der verschiedenen Länder umher und sammeln fiir die Juden Jerusalems. Von dem Ertrage der Sammlung bekommen sie selbst einen Theil. Dieser Auftrag aber und die guten Empfehlungen werden nicht etwa dem würdigsten, frömmsten oder ehrlichsten uutcr ihnen ertheilt, sondern da wird erst noch ein Geschäft gemacht. Das Amt des Almosensammlers wird förmlich verauktionirt uud der bekommt es, welcher am meisten dafür zu geben verspricht. Wenn es aber ihren Glaubensgenossen im Auslande einmal einfällt, Abgesandte zu ihnen zn senden, um sich nach dem Stande der Dinge zu erkundigen, so kommen die meisten übel an. Die Rothschilde, haben in Jerusalem ein Hospital, eine Handwerksschule, eine, Anstalt für arme Wöchnerinnen :c. gegründet, aber gar sehr wenig Dank dafür" gecrntct, und als fie einen Abgesandten, Herrn Eohn, nach Iern-falcm sandten, so thaten ihn Jerusalems Väter in deu Bann. Sie wollen nicht Anstalten haben nud nicht Abgesandte, sondern baares Geld, klingende Münze in die Hand, das ist etwas Reelles,, das wissen sie zu schätzen; alles übrige ist nichts fiir sie. Anch dem Dr. Frankl, der 1^l><> int Auftrage eines Wiener Indenhauscs eine Lehranstalt für die Ingend zn gründm kam, ging es übel. Uud Sir Moses Montcfiorc aus England weiß anch etwas davon zn erzählen. Er kam nach Jerusalem uud brachte viel Geld mit. Das war ein lieber Gast. Er theilte auch reichlich Geld aus uud so ward er sehr beliebt. Iu allen Häusern erscholl sein Lob und die Segenssprüche, in orientalische Bilder getaucht, gingeu stark über sein Haupt und erweichten sein nordisches Herz. Er gab noch mehr und noch mehr, bis er sich vergeben nnd nun kein Geld mehr bei sich hatte, um — 181 — nach England zurückzukommen. Jetzt trat cinc Pause cm in dem Muß der Scgenssprüche, denn der arme Montesiore mußte selbst Geld zu borgen suchen. Doch das hatte keine Schwierigkeit, welcher Jude sollte nicht für gute Zinsen Geld verleihen wollen? Für gute Iinsen bekam denn auch Montefiore eine hinlängliche Summe vorgeschossen, und von wem? Nun voll einem seiner Brüder, den er als bettelarm unterstützt hatte! Diese Thatsache, ist sie znm Lachen, ^'t sie zum Weinen? Sie ist rein jüdisch. Als eine solche erkannte sie auch Montefiore an und lies; sich dadurch nicht irre machen. Er kam wieder von England nach Jerusalem und brachte viel Geld mit. Wie schlng ihm das Herz Jerusalems eutgcgeu! Jeder Mund ward schon im voraus seines Lobes voll. Aber Montefiorc hatte nun die Vodenlosigkeit des bloßen -Geldgebens eingesehen, und fing es daher anders an. Er kaufte Land, fing an Mühlen zu bauen und Colo-uieen anzulegen :c., um das faule Fleisch Israels zur Arbeit zu ge^ wohnen. Was! kein baarcs Geld mehr? Israels Herz erstarrte.' Der Segen verwandelte sich in Fluchen: „Der Hartherzige, der Um barmherzige, der Ungläubige!" Und der arme Montefiorc entging nur mit genauer Noth dem Bann der Väter Jerusalems. Die Juden find die natürlichen Nachkommen Abrahams, aber längst nicht mehr seine Kinder. Schon der HErr sprach ihnen das Kindesrecht Abrahams, womit sie sich brüsteten, durchaus ab und "klarte sie für linder des Teufels (Ioh. 8, 39. 44). Und das find sie ihrem Geist und Wesen nach bis heute nicht nur geblieben, son^ ^rn immer mehr geworden. Denn sie sind in der Empörung wider ^'n HErrn, den von Gott ihnen verheißenen und gesandten Erlöser beharrt, und dnrch die Jahrhunderte nur uoch härter uud verknöchere ter darin geworden. Und ein solches Geschlecht sollte, in Jerusalem versammelt, deu Tempel wieder erbauen und Ochsen und Böcke zu opfern wieder anfangen? Die Zeit ist längst gekommen, wo man ""der zu Jerusalem, uoch zu Samaria, sondern überall Gott im — 182 — Geist und in der Wahrheit anbeten wird. Bekehren sich die Juden, so können sie nur, wo sie eben sind, in die bestehenden christlichen Gemeinden einverleibt werden, wie auch die „vielen tausend Inden" in der Apostel-Zeit es wurden. Werden sie dann den vorhandenen christlichen Gemeinden zu einem Salz, zu einem Sporn, zn einer Stärkung und Neubclebung, so wolleu wir Gott von Herzeit dafür danken; sie selbst aber, die bekehrten Juden, köuncn eine Sonderstellung in der Kirche nicht einnehmen. Die Gläubigen sind Glieder am Leibe Jesu Christi und seines Geistes theilhaftig; höheres kann kein Sterblicher erreichen wollm. Gott verleihe den zu Heideu gewordenen Iudeu, wie deu übrigcu heidnischen Völkern, Bnße und Glauben zum Leben, uud eine demüthige Annahme der Gnade in Christo. Denn ihrer werth nnd würdig ist keiner. Und wenn von einem mehr oder minder die Rede sein kann, so sind die jetzigen Juden die allernmvürdigsteu; denn sie haben — in ihren Vätern ^ den HErrn gehabt nnd haben ihn verworfen und gekreuzigt; und sie anch in ihrer eignen Person verwerfen noch täglich den HErrn und flnchen dein „Zinmtcrmannssohne", der allein sie retten kann-Die Barmherzigkeit des HErrn gehe auch an diesen, vom Satan Geschlagenen, nicht vorüber! 24. Vethanicn, Abschied von Jerusalem. Nach EMtcn. Wieder zogen wir, nnn zum lctztenmale, hinaus über den Kidrou, au dem Oclberge. herum, den Weg, welchen der HErr so oft gewandelt ist mit seinen Jüngern, nach Vcthauieu. Es ist ein stiller, ziemlich einsamer Weg, uud sehr still auch liegt Bethanien am Rücken des Oclberges, jetzt ein armes Dorf, ohne alle Gestalt und Schöne. Doch kann man sich's leicht vorstellen, wie es einst gewesen sein mag. Die Stille uud theilweisc Abgeschiedcuheit hi"' ^ 183 — hat gewiß auch schon zur Zeit des HErrn jenen angenehmen Wechsel von dem geränschuollcn Stadtleben gebildet, um deßwillen Er fo gern hier weilte. Irgend eine Ruine eines mittelalterlichen Gebäudes wird als das Haus des Lazarus, und eine tiefe Felsengruft als sein Grab gezeigt. Der Schech des Ortes kam herbei und brachte Licht, das wir zum Beschauen der Gruft nöthig hatten. Des Schechs Frau, im blauen Gewand, reichte uns Wasser, die Kinder hielten die Pferde. Wir stiegen mehrere Stufen tief hinunter und kanten auf einen Absatz. Von dort ging es noch einige Stufen tiefer in das eigentliche Grab. Ob dies mm wirklich dasselbe Grab ist, in welchem einst Lazarns vier Tage im Tode gelegen hat und von dem HErrn wieder erweckt worden ist, wird wohl nicht gewiß zn ermitteln sein. Aber schon im vierten Jahrhundert ward es dafür gehalten nnd verehrt. Jedenfalls ist hier in diesem Orte jenes Wunder des HErrn geschehen, wodurch Er sich selbst als die Auferstehung und das Leben erwies und seine Feinde nöthigte, als Knechte des Mörders von Anfang offenbar zu werden. Hier wohnte die geschäftige Martha, die den HErrn so gern bewirthete, hier Maria, die so gern zn seinen Füßen saß nnd das gute Theil erwählte. Und auch noch würde es sich hier friedlich und lieblich Herbergen lassen wenn nnr, anstatt der Kinder der Magd, Kinder der Freien hier wohnten, die dem HErrn anhingen, wie einst jenes geschwisterliche Kleeblatt. Wir nahmen unsern Rückweg über die Spitze des Oelbcrges und blickten von dieser Höhe noch einmal auf den bleiernen Glanz des todten Meeres, auf das Iordanthal mit dem dunklen Punkte, der einstigen Palmenstadt Jericho, auf die Berge alle rings umher und anf Jerusalem. Dann nahmeil wir Abschied von dieser Gegend, die durch die Jahrtausende so viel tansend Pilger angezogen und auch wieder heimgesandt hat. Mir selbst war es geworden wie den Störchen, wenn ihre Zeit kommt. Stark war der Zug, der mich festhielt und noch länger weilen hieß, nin namentlich den See Gc-- — 184 — nezareth zu schauen, wo der HErr so oft geweilt und so viele seiner Wunder verrichtet hat. Und ich mußte es mir oft sagen, daß ich es später wohl manchmal bereuen würde, nicht noch diese Tour gemacht zu haben. Aber stärker noch war der Zug, der mich fortzog über alle Berge hinaus, nach dem Lande der Sonne und doch so großer Finsterniß. Nicht weil ich dies Land besonders liebte, sondern weil es mein Beruf ist, dort zu sein, damit vor dem großen Sonnenbrande Schatten finden möchten jene dunklen Gestalten, so schwarz an Leib und Seele. So schieden wir denn von Jerusalem mit gar wehmüthiger Freude. Am Ende der Patriarchenstraße nahmen wir noch einmal einen herzlichen Abschied von I)i'. Sandrccki, vor dem Iaffathore von dem heimwehkranken Consul Amerikas, und daun Zogen wir — ein langer Zug — den: Gebirge Iuda eutgegen. Es war nm Mittag, als wir nach Abu Gösch (Emmaus) kamen. Hier trafen wir einen Engländer, der nur von einem Dragoman begleitet, seinen sehr müden Gaul die Höhe hinunter führte. Er frug mich ängstlich, wie weit es noch bis Jerusalem sei, und so zogen wir an einander vorüber. Es war Abends sftät, als wir nach Ramleh kamen und vou den Mönchen freundlich aufgenommen wurden. Hier schliefen wir die letzte Nacht im heilige»: Lande. Früh eiltcu wir weiter und waren gegen 10 Uhr Vormittags in Jaffa. Wir hatten taun: Zeit, uns nnr ein wenig vom Staube zu reinigen, als wir auf den Dampfer mnßten, der uns weiter nach dem Süden führen sollte. Wie waren wir erstaunt, hier dieselben Gesichter wieder zu finden, die wir gestern auf dem Wege nach Jerusalem gesehen hatten! Ich tränte meinen Angen kaum und frng deshalb den Dragoman: Sahe ich Sie nicht gestern Mittag bei Abu Gösch auf dem Wege nach Jerusalem? Der Mann aber mochte ein böses Gewissen haben, dein: er schien sich fast vor dieser Frage zu fürchten, leugnete fest und sprach: Nein, Sie sahen mich nicht. Darauf wandte — 185 — ich mich an den Engländer und dor sagte: Ja wohl, wir sind nns dort begegnet. Aber wie find sie denn nun hier? „O ich bin eine Stunde vor Ihnen angekommen, denn ich ritt die ganze Nacht und Sie hcrbergteu in Ramleh." Und sind Sie wirklich bis Jerusalem gewesen? „O ja, ich kam noch zurecht, die Grabeskirche zu sehen und auf den Oelberg zu gehen. Darauf saß ich wieder auf und ritt zurück. Denn ich bin mit diesen: Schiff gekommen nnd muß auch wieder mit fort, es ankert aber nnr 24 Stunden." Der Mann hatte also den Weg uon Jaffa nach Jerusalem, wozu sonst jedermann 1^2 Tag braucht, in 24 Stunden hin nnd auck wieder zurück ge-Macht, und dabei noch seine Sehnsncht, Jerusalem zu sehen nnd den Delbcrg zu betreten, befriedigt. Es wird wenige geben, die folchen Ritt zu machen im Stande sind. Auf dem Dampfschiff angekommen, hatten wir also den Boden des heiligen Landes verlassen. Lange noch schauten loir den verschwindenden Geländen nach, bis sie unsern Augen ganz entrückt waren nnd wir den Blick auf nichts mehr richten konnten, als auf das Meer um uns her, auf deu Himmel über uns, und auf Den, der Himmel, Erde und Meer gemacht hat. — Die heiligste Stadt nnd größte Sünderin, das heilige Land unter schwerem Fluche seufzend, hatten Wir gesehen. Der Traum der Kindheit war uach mehr als dreißig Jahren zur Wirklichkeit geworden, aber ciue Heimath hatten wir uicht gcfnnden. Wir blieben fremd in diesem fremden Lande, in dein Lande der doppelten Knechtschaft der Sünde und der Türken. Doch das Jerusalem, das droben ist, wird uns die Heimath bieten. Und dort auch ist es uur „— Wo in cw'gcr Ingcnd nichts veraltet, Die Zeit nicht mehr mit scharfen: Iahne nagt, Und wo kein Auge bricht, kein Herz erkaltet, Kein Leid, tcm Schmerz, kein Tod die Scl'gcn plagt!" „Dort wird alles sehr gut sein!" — 186 — Darum singen wir auch, von dem irdischen Jerusalem hinweg gewandt, aus voller Seele: „Jerusalem, du hochgebaute Stadt, Wollt Nott, ich wär in dir! Mein sehnlich Herz so groß Verlangen hat Und ist nicht mehr bei nur. Weit über Berg und Thalc, Weit übcr blachcs Feld Schwingt es sich über alle Und cilt al,s dieser Welt, Nur ein paar Tage auf der See und wir waren wieder zu Lande, im ^ande der Pharaonen, in Alexanders Stadt. Hier reichen sich Morgenland nnd Abendland die Hand, und die altersgrauen Formen nnd Bräuche Egnptcns schwinden immer mehr vor dein mächtigen Schritte des Abendlandes. Alexandrim ward die „charakterlose" genannt und hat doch ihren ganz eignen Charakter. Weltstadt sollte sie sein, das Abendland mit dem Morgenlande, Europa mit Asien in Afrika verbinden sollte sie, wie hätte es in ihren Straßen nicht bunt sein sollen von allen Völkern unter dem Himmel? Einst füllten 300,000 freie Menschen und eine ungezählte Sklavenmenge ihre Straßen, von welchen eine über eine deutsche Meile lang war. Der Welt Kunst und Reichthum drängte sich hier zusammen, nnd die Weisheit Egyptens, die nach Griechenland gewandert war, kam von dort in griechischer Gestalt znrück nach Egvpten, nach Alexanders Stadt, ^ange lehrten berühmte Namen in geräumigen Hallen hier die Weisheit der Zeit. Und eine Bibliothek von 700,000 Bänden gab selbst den Gelehrtesten noch zu lernen genug. Als aber diese Weisheit der Zeit alt und schwach geworden war und dem Verscheiden nahe, da trat noch eine Jungfrau, Hypatia, als Professorin auf und suchte die verblichene Weisheit wie die verblichenen Götter ihren Zuhörern als noch jung und lebenskräftig vorzutragen. Cyrills erboste Mönche zertraten diese Heidin im Volksanflauf, nnd mit ihr — 187 — erstarb das letzte Aufflackern der heidnischen Weisheit und ihrer Götter in Alexaudrien. Doch neben der „falsch berühmten Kunst" heidnischer Philosophie fand auch die wahre Weisheit von oben schon frühzeitig in Alerandrien eine Stätte. Schon der heilige Markns soll hier gelehrt und sein Blut vergossen haben. Seitdem fehlte es nicht mehr an christlichen Friedensboten in Alexandrien; bald blühte auch eine christliche Schule auf und ward weit berühmt. Und der diese christliche Schule so berühmt gemacht hatte, Pautacuus, giug von hier als Missionar uud Bischof nach Indien, noch vor dem Jahre 200. Die „Viclvölkerhaftc" mag wohl anch Indicr in ihren Straßen gesehen haben, uud durch diese mag dem heiligen Mann das Verlangen gekommen sein, in ihrem finstern Sonnenlandc selbst das Licht von oben zn verbreiten. Doch mit seinem Abgänge verfiel die christliche Schule nicht. „Die Wahrheit, die ihr suchet, besitzen wir", rief der heilige Clc-Meus (PantänuZ' Nachfolger) den Philosophen von Alerandrien zu. „Was ihr in Unwissenheit anbetet, das predige ich euch. Gottes Wort ist Fleisch geworden und hat auf dieser Erde gelebt, der „vollkommene Mensch". Kommt zu uns, nnd wir wollen euch zeigen, Wie ihr Gott durch Ihn erkennen tonnt, und wie durch Ihn sich Gott euch mittheilt." So redete Clemens mit den Philosophen und-die dann zu ihm kanten, um Christen zu werden, denen öffnete er Weiter die Schätze der christlichen Erkenntniß, der wahren uud bleibenden Weisheit. Alexandriens Größe und Herrlichkeit ist längst gewichen, des Halbmonds Bann hat sie bis in den Staub hinabgedrückt. Erst als lener Cäsar von der Seine kam, fing sie sich wieder an zu heben, und mm Mm wieder über 60,00s> Meuscheu die Straßen der Stadt, und zwar ganz in alter bunter Mischung. Das Abendland aber ist offenbar im Siege, nnd das Morgenland muß sich in die — 188 — engen krummen Straßen zurückdrängen lassen. Die „schwarzen, braunen, gelblichen, Gesichter", die mit so großem Geschrei ihre Esel zum Reiten anbieten, schienen uns jedoch diesmal viel ordentlicher zu sein, als vor Jahren. Ohne Eselsritt geht es in Egypten allerdings nicht, und so ein hübsches, milchweißes Eselchen ist auch wirklich ein gar nicht zu verachtendes Thier, und ein Ritt anf demselben ist geeignet, anch den ernstesten Abendländer zur Heiterkeit zn stimmen. Der Morgenländer freilich bleibt auch auf seinem Esel ernst und gemessen. Die guten Straßen aber und die vorhandenen vielen kutschen bringen nun anch die Esel mehr nnd mehr aus der Mode. Beim Zuge durch die Stadt sahen wir mehrere recht gut erhaltene mit Hieroglyphen bedeckte Obelisken eben ans dem Schütte heransgegraben, bedauerten, daß Pompejus Sa'nle wohl bald umstürzen wird, wenn ihr nicht die nöthige Hülfe am Fundament geschieht, nnd kehrten dann in die Stille der Katakomben ein. Hier rnhten einst müde Pilger nach ihrer stürmischen Reise aus, während andre um sie her sich von oben Hülfe erflehten, die noch vorhandenen Stürme treu bestehen zn können. Inmitten der Todten hielten die Lebendigen ihre Gottesdienste zur Zeit der Verfolgungen. Inschriften und Malereien waren zum Theil noch sehr gut erhalten, besonders in dem Ramne, der zur Kapelle gedient hat. Nach einigen Tagen schieden wir von dieser Stadt, die mit so großem Geschick znr Weltstadt auserkoren ward, die Jahrhunderte lang eine große Blüthe entwickelte nnd jetzt eben wieder mit Riesenschritten vorwärts schreitet. Bald faßen wir im Coup« der Eisenbahn, die nach Kairo führt. Auf der Eisenbahn im ^'ande der Pharaonen! Istö nicht wie ein wirrer Traum? Und welche Fruchtebenen durchzogen wir mit Dampf! Gewiß, unser Architekt aus dem Inselreiche hatte recht, wenn er bewundernd ausrief: „Das ist eine der allerfruchtbarsten Ebenen, die je mein Auge gesehen." Reis und — 189 — Mais und Baumwolle :c. wechselten miteinander ad und machten dem alten Ruft von der Fruchtbarkeit Egyptcns alle Ehre. Welch ein Unterschied doch in dieser Jahreszeit (November) zwischen diesem ^andc der Knechtschaft nnd dem Vande der Freiheit, von dem wir kamen! Dort dürre, öde, nackte Felsen mit einem „ehernen Himmel" darüber, nnd räuberische Bewohner ringsumher. Hier ciu klarer, reiner, blauer Himmel droben, der tausendjährige Fruchtspender, der Nil daruuter, ewig jung und freigebig, und reiche Fruchtfelder auf allen Seiten. Dort, im Lande einstiger Freiheit, darf es niemand wagen umhcrzureisen, ohue gut bepistolt zu sein und noch eine Garde dabei zu haben. Hier, im ^ande einstiger Knechtschaft, reist man frei uud ungehindert uud so sicher, wie im "lten lieben Sacksenlande. Ja man überläßt sich sorglos deu Händen der Beduinen, selbst iu der nnheimlichen dicken Finsterniß des Innern der Pyramiden, ohne zu fürchten, daß eiuem auch unr ein Piaster entkomme. — Möchte nnr bald anch erfüllt werden, was Ics. 19 geschrieben steht: „Und die Vgypter werden den H(5rrn kennen zu der Zeit nnd werden Ihm dienen." Je mehr wir uns der Chalifenstadt näherten, desto öfter be-grgiieten wir großen Mengeu vou Arbeitern, die gruppenweise auf dem Boden hingestreckt lagen. Sie tamen vou deu französischen Kaualarbeiten in der Wüste zurück oder gingen dorthin, uud beuutz-ten jedesmal so weit als möglich die Eisenbahn. Ihrer 10,000 Mußte der Pascha den Franzosen jeden Monat in die Wüste senden und 10,000 jeden Monat von dort zurückbeförderu; deuu eineil Monat arbeiten sie in der Regel nur und bekommen dafür einen ordentlichen Tagelohn. So gehen 20,000 Fellalahs jeden Monat MI nnd her uud Egypten würd ordentlich dnrcheinander geworfen, ^ie fernsten Dörfer müssen ihre Bewohner senden, und was sonst wchl nie ans dem Bereiche des Dorfes herausgekommen ist, fährt Mt (Uif der Eisenbahn imd kommt mit Enropä'ern nnd ihrem — 190 — Wesen in Berührung. Ein solches „Bewegen der Völker", sollte es umsonst sein? Gewiß, der HErr hat Gedanken des Friedens auch über Egypten. Anch in Kairo, der Chalifenstadt, ist das Abendland im Siege nnd hatte, seit wir sie znerst gesehen, sich viel mehr Geltung errungen. Dennoch bewahrt Kairo noch gar sehr seinen eigenthümlich orientalischen Charakter. Selbst der wie ein Elephantcnrüssel geformte schwarze Schleier der Frauen ist noch nicht gefallen. Wie Wcscn einer andern Welt treten — öfter noch reiten — sie einem entgegen, und es kann einem unheimlich werden, wenn man ihnen so plötzlich in einer engen dunklen Gasse begegnet. Die Citadelle gewährt einen wunderschönen Blick auf Kairo mit seineu 300 Moscheen. Es ist ein lieblicher Platz hier obm nnd man wird sein nicht leicht müde. Mchemed Ali's Moschee, von Alabaster crbant, so heimlich und schön in: Innern, birgt Mohamed Alis Gebeine und wir standen an seiner Gruft. Da lag der mäch^ tige Mann, dein es der Reisende verdankt, daß er überall in EgYP-ten so sicher nmhcrreisen kann, wie in Deutschland. Es sind eigue Gefühle, die bei dm Gräbern großer ^eute die Brust erfüllen. Sie sind nicht Alltagspflanzcn. Die Jahrhunderte haben ihrer Wenige. Anch Mohamed Ali war ein bedeutender Mann; nnr darf er nicht mit deutscher Elle gemessen, noch weniger anf christlicher Wage gewogen werden. Er steht nun langst vor seinem Richter, der ihn recht richten wird. Ich bestieg der schlanken Minarete eins, welche die Moschee zieren, wie beschwerlich es auch war, die hohen, finstern Stufen in enger Windung hinaufzuklettern. Von hier ans hatte ich eine köstliche Aussicht cmf Kairo und anf die Pyramiden. Welch einen ge-wältigen Umfang hat diese Stadtl Ich konnte mich nicht enthalten, eine Zählung der vielen Minarete zu'versuchen, die sich überall er-hobeu; ich zählte 150, erfuhr aber, daß es ihrer au 400 seien- — 191 — O Städte Deutschlands! Hier in dieser Armuth ist Reichthum genug dem trügerischen Lichte des Halbmonds, dem falschen Propheten zu Ehren Tempel an Tempel Zu reihen. Und in welchen derselben ich auch eintrat oder vorübergehend hineinblickte, ich fand fast immer keute auf deu Kuieeu ihre Gebete hersagend. Und ihr könnt der vollen Sonne des Evangeliums, dem einzigen Mittler zwischen Gott und den Menschen, keine Kirche baueu, wie sehr auch eure Bevölkerung wächst! Uud du, christliches Volk! Die Muselmänner finden Zeit genug, ihre Moschem in der Woche zu besuchen, nnd keine falsche Scham hindert sie, anch sonst zu beten. Und du findest kaum einmal des Sonntags Zeit für die Kirche, während du in der Woche fast ganz wie ohne Gott dahin lebst. — Bessere nnd baue Du, o HErr, Deine träge, hinkende Christenheit! Die Hänser der Großen in Kairo, wiewohl oft recht schön, ertragen doch keinen Vergleich mit denen in Damaskus. So ertragen die Moscheen Kairos noch weniger einen Vergleich mit denen von Konstantinopel. Die schönste ist die des Sultan Hassan, die blntige Moschee genannt, weil Snltau Hassan bei ihrer Einweihung seinen Vezier, der sich in Abwesenheit seines Herrn zum Sultan gemacht hatte, mit allem seinem Gefolge darin niederhauen ließ. Die Paläste der Paschas sind sehr schön. Der Luxus des Abendlandes ist hier mit dein des Morgeulaudes vereinigt, um die Wohmmgen so paradiesisch als möglich Zn machen. Wenn es nur kein Kopfweh Me, und teiu böses Gewissen! Iu Kairo hörtcu wir uiel von einem versteinerten Walde, der eme halbe Tagereise entfernt in der Wüste sein sollte. Wir brachen eines Tages dorthin auf, faudcn aber nur geringe Neste versteinerter Vciume, lange nicht so bedeutende, als zu Tiruvicari in Südindien, wo ich 50 Fuß lange versteinerte Baumstämme sah. Auf dem Rückwege statteten wir den Gräbern der Chalifen einen kurzeu Besuch ab. Sie sind sehr zerfallen und ihre einstige Pracht ist längst dahin. — 192 — Der Patriarch vom Sinai hat seine Residenz nicht auf jener luftigen Höhe, sondern auf einem Landsitze bei Kairo. An ihn hatte ich ein Geschenk von Prof. T. zu überreichen. Dcr gute, noch nicht alte Patriarch empfing mich sehr freundlich und war von einor Menge Priester umgeben. Sein rother Rock zeichnete ihn jedoch unter den vielen Schwarzröcken sogleich aus. Priester brachten den üblichen Kaffee, Priester auch eine andre Erfrischung rein griechischer Art. Eine Unterhaltung durch einen Dolmetscher ist immer etwas steif, der Patriarch aber wußte Fluß hineinzubringen. Er ging hin und öffnete mit eignen Händen einen großen Kasten und zog nüt Hülfe der Priester ein Modell des Sinaiklosters herans, wie es nach feinem Plan verbessert werden follte. Er freute sich des Interesses, das ich an dem eigenthümlichen Gebäude nahm, nud als ich ihm den Wunsch aussprach, daß es bald nach seinem Plane hergestellt sein möchte, bat er mich, meinen Segen dazu zu geben. So schieden wir mit freundlichen gegenseitigen Wünschen; leider war ich außer Stande, von seinem freundlichen Anerbieten der Hülfe znr Reise nach dem Sinai Gebranch zu machen. Von Kairo ists nur etwa zwei Stunden nach On, oder doch nach dem Orte, wo einst On — von den Griechen Hcliopoliss von Icremias Beth Schemes, d. i. Sonnenstadt, genannt — gestanden hat. Seiner Zeit, vor etwa vicrtchalb tanscnd Jahren, wohnte ein alter Priester in dieser Stadt, der sich viel mit Ph^ losophie und Astronomie zu schaffen machte, wie alle Priester der alten Priesterstadt On. Sein Name war Potiphcra. Er muß ein weiser nnd frommer Mann gewesen sein, weil Pharao gerade seine Tochter, Asnath, dem weisen uud frommen Joseph zum Weibe erkor. Doch über dem Bewundern und Berechnen der Sterne vcr^ loren Dn's Priester immer mehr die Erkenntniß von dein Schöpfer der Sterne. So mußten denn nach Ieremias Weissagung die „Bildsäulen" der Stadt, nnd die Stadt dazu, zertrümmert werden. Und wie ist auch diese Weissagung in Erfüllung gegangen! Von alten dm vielen Säulen und großen Bauten On's ist ein einziger Obelisk übrig und stehen geblieben. Pvn rothem Granit, ganz mit Hieroglyphen bedeckt nnd wunderbar gnt erhalten, steht der einsame Zenge da, stumm, uud doch so wohl beredt. Den Götzen war er einst mit seiueu vielen Brüdern geweiht. Die Götzen sind gefallen, seine Brüder alle sind anch in den Staub gesunken, er allem steht uoch oa nnd zeigt mit seiner Spitze nach oben. Er zeigt hinauf uach dem einigen Gott, der da bleibet wie er ist, wieviele Völker auch mit. lhren Götzen in den Stanb sinken mögen. — Schöner, in der Erscheinung noch ganz jugendlicher Zeuge uon oiertehalb tausend Jahren, wie wenig wird doch deine Sprache verstanden? Nicht weit von diesem Obelisken, den Pepsins den ältesten der Obelisken nennt und der uach Wilkinson's Berechnung zur Zeit Josephs von demselben Pharao errichtet worden ist, der Joseph zum Vater Egypteus machte, ist Am Schemes, der Sonnenqnell, ohne Zweifel einst mit dem Sonnentempel in Verbindung. Die Pilger Ueilueu ihn den Bruunen der Jungfrau, weil ans demselben die heilige Familie auf ihrer Flucht vor Herodes getrunken haben soll. ^nsrr mnselmäuuischer Dragoman aber erzählte uns mit vielen Gchuulatwnen noch eine besondre Geschichte dazu. Als die heilige Jungfrau milde uud verschmachtet aus der Wüste hier ankam, bat sie die Bewohner des Ortes um eineu Trnnk Nasser. Diese aber, unfreundlich gegen die Fremdlinge, sagten: Das Wasser ist bitter! ^o sei es euch bitter! antwortete Mana und schöpfte cs selbst. Seit ^ Zelt ist das Wasser den Ortsbewohnern wirklich bitter uud ungenießbar, sie brauchen es nur zur Bewässerung; allen Pilgern aber ^ es süß und gut. Uud zum Beweise, daß er die Wahrheit gesagt, zwang ,,l,s unser Dragoman, das Wasser zu kosten. Wir fanden ^ iMz gut, wissen nun aber freilich nicht, ob cs die Ortsbewohner "'Hl eben so gut finden. 13 — 194 ^ Von dem Brunnen nicht weit ist cm hübschor Oraisgengarten. In demselben steht die berühmte sehr alte Sykomore. Hier, unter dem Schatten dieser Sykomore, soll die heilige Familie anf ihrer Flucht geruht haben. Der Baum wird hoch geehrt uud muß seiue Blätter weithin versenden. Auch uus gab er einige mit nach Indien. On, Hcliopolis, die Tonnenstadt, von welcher einst die Weisheit Egyfttens ausging wie das Vicht von der Sonne, sie ist uicht mehr. Ein armes Dorf steht an ihrer Stätte, ein Brunnen und ein Obelisk nnr sind die einzigen Neste davon. Aber die rechte Weisheit kommt nicht von der Sonne, und nicht von irgend einem Sonnenstadt genannten Orte der Erde. Alle gute uud alle vollkommene Gabe, anch die rechte Weisheit, kommt von oben herab, von dem Vater des Lichtes ohne Schatten. Denn wahrhaft weise ist nicht, der es sich hier bequem zn machen oder sich einen Namen zn erriu geu weiß, sondern wer seine Zukunft zu sichern weis;, der ist weise. Ich meine aber nicht die Zukunft diesseits, sondern die jenseits des Grabes. Wer sich jene Zukunft zu sichern und in den ewigen Hütten eine Wohnung zu erlangen weiß, der ist wahrhaft weise. Thoren sind die andern alle. Oder sind sic's nicht? 25. Nach dcn Pyramiden, nach Memphis und SatlMa. Wer immer das Land der Pharaonen besucht, wird an den ältesteu nud größten Baudenkmälern der Erde, an den Pyramiden, nicht vorüber gehen können. Schon von weitem erscheinen sic dew Ankommenden in nebelhaftes Grau der Ferne, beides des Raumes und der Zeit, gehüllt, und winken ihm zu sich herüber. Auch wir konnten diesem geheimnißvollen Winken nicht widerstehen, und ob ich auch schon früher beides die Höhe wie die Tiefe dieser Wunder- ^ 195 — bauten erstiegen hatte, so ging ich doch gern zum zweiten male, zu schauen, was so ruhig und uuverwüstlich auf die kommenden und gehenden Geschlechter herabschaut, viertausend Jahre lang. Unsere milchweißen Esel mit rothgemalten Ohren standen mit Sonnenaufgang bereit uns aufzunehmen, nnd trugen uns etwas verdrießlich zur Stadt hinaus. Als wir aber erst dcu Nil überschritten hatten und sie das Ziel der Reise merken mochten, raunten sie im lnstigen Galopp, ohne sich auch nur aufhalten zn lassen, auf den Dämmen der Fruchtfelder hiu, bis sie nus am Saume der libyschen Wüste niedersetzten. Darauf wälzten sie sich mi.t großem Wohlbehagen im weichen Wüstensande und warteten nnsrer Rückkehr mit uuermnolicher Geduld. Wir fanden Jungfrau ^ybia sehr geschäftig, mit ihrer Streusandbüchse die Pyramiden nnd den Weg dazn immer mehr zu verschütten. Die älteste und größte Statue, die 148 Fuß lange und 6!^ Fuß hohe Sphinx, fanden wir schon sehr verwittert und ich weine, daß die letzten Zehn Jahre viel dazu beigetragen haben. So scheint deun wenigstens dieser Wächter der Pyramiden dein Zahne der Zeit endlich doch erliegen zu wolleu. Wir bestiegen Cheops Pyramide in der üblichen Weise. Zwei Beduinen gingen einem jeden von uns voraus und zogen uus au de,n Armen, ein dritter ging hinten nach und schob. Ob das die allerbeste Weise ist, fange ich au zu bezweifeln uud deute, man könnte wohl besser ganz allein hinauf. Das versuchte ich auch, uud war bald meinen Plagern voraus. Sie aber schrieen so gewaltig uud wußten so haarsträubende Geschichten von Hals-, und Beinebrechen äu erzählen, daß ich mich für diesmal in mein Schicksal, d. h. in die Hände meiner drei Zcrrer nnd Schieber übergab, doch mit dem Bor-s"h, daß dies das letzte mal sein solle, Mehr wie einmal ging uns ^'r Athem ans nnd wir mußten einige Minuten rasten, bis wir boch endlich die Spitze erreichten. Auch obeu wiederholte sich die alte Noth. Ob sich auch Egypten 13" — 196 ^ in vielen Stücken zum Besseren verändert hatte, darin war kein Fortschritt geschehen. Die Bedninen waren ganz die alten geblieben, und so plagten sie nns auch in derselben alten, unausstehlichen Weise nnd ließen uns kanm einige Minuten zn stiller ungestörter Betrachtung allein. Und doch, wo sollte es sich besser tränmen lassen, als auf der Spitze dieses Riesenbaues von viertausend Jahren? Wo sind uun die mächtigen Erbaucr dieser Werke? Ihre Leiber, so wohl verwahrt nnd verborgen, zieren jetzt die Museeu Europas, oder sind ans ihren granitenen Sartophagen hinausgeworfen nnd Staub geworden, gerade wie die Leiber derer, die einst ihre bedrückten Sclaven waren. Und in welchen Regionen mögen jetzt ihre Geister hausen? Wo anch sind die Reiche alle, die seit dem Dasein dieser Pyramiden entstanden sind? Die vier großen Weltreiche (uud wie viel klciue dazu!) sind alle entstanden und vergangen, während die Pyramiden unverändert da standen und immer gleich ruhig, wie gewaltige Zeugen darein schauten. Wie viel Völker auch und Weltenstürmer haben sie anftanchen, einherbrauseu und verschwinden sehen! Und wie viel Weise haben sie stanncnd nnd fragend und forschend augeschaut, von Herodot an bis anf nnserc Tage, und immer haben die Pyramiden geschwiegen nnd die Frager ohne Autwort gelassen. Auf die einfache Frage: wer bist du? haben sie bis hent noch keinem Antwort gegeben, als ob sie an den verschiedenen Meinungen, womit diese Frage zu beantworten gesucht wird, sich ergötzen wollten. Nun aber, da diese Meinungen alle nicht recht zutreffen wollen, fangen sie doch an, das sonst so glatte Gesicht in tiefe Runzeln zu ziehen: die einzige Veränderung, welche die Ieit ihnen adgcwinnen konnte. Die Weisheit ihrer Erbauer, einst weit berühmt und selbst von der Schrift erwähnt, auch sie schweigt und offeubart sich uns nicht. Denn daß sie den Götzen dienten, ihren Götzen Menschengestalt gaben, auf diese Mcuschenlcibcr aber Köpfe von Kühen, Widdern, Hunden — 197 — und Vögeln sehten, wissen wir zwar und sahen diese glatt ftolirten steinernen Götzen von Jahrtausenden noch hente vor unseren Angen; aber das ist doch nicht Weisheit. Und daß sie in ihren Geheimlehren diese Götzen als bloße Repräsentanten der Kräfte und Wirkungen der Natur erklärten, ist anch wohl bekannt; aber ist das die Weisheit? Warnm doch erhoben sie ihre Herzen nnd Gedanken nicht lieber zum Herrn der Natur, statt an den Kräften der Natur häN' Hen zu bleiben? Waren sie damit nicht den Thoren nnsrer Tage gleich, die so emsig im Staube der Erde nmherwühlen, daß sie zum Blick nach oben gar blöde Augen bekommen un5> über den „Naturgesetzen" des Herrn der Natur vergessen? Die rechte Weisheit ist kein Kind der Erde nnd wohnt weder in Felsen, noch in Höhlen. Sie kommt oon oben herab, von dem Quell des Lichtes, dem Geber aller guten Gaben. So führt sie auch ihre Jünger nicht zur Natur und ihren Gesetzen, sondern zum HErrn der Geister wie der Natur mit allen ihren Gesetzen, Kräften uud Wirkungen. Noch lange nicht gesättigt vom Schauen nnd Betrachten zwan-gm uns nnsere Wüstenkobolde zum Herabsteigcn. Unten angekommen, gings alsbald an den beschwerlichen tiefen, finstern, geheimnißvollen Weg in das Innere der Pyramide. Da standen loir in dem hohen Königssaale am leeren granitenen Sartophage, wie schon Tausende vor uus, nnd wußten eben uicht mehr wie sie. Daß «ie Pyramiden Königsgrüfte waren, wie egyptische Priester dein Herodot mittheilten, wird wohl immer noch am längsten Bestand haben. Was sie sonst noch waren, wird wohl noch lange verborgen bleiben. Kraft unseres Fermans hätten wir vom Pascha ein Dampfboot erlangen können, um den Nil hinaufzufahren. Man versicherte uns, daß der Pascha nns mit Vergnügen eins seiner vielen müßigen Dampfschiffe zur Verfügung stellen würde, daß aber der nöthige V"kschisch (Trinkgeld) an Capitain, Vootlcute lc. uns doch ziemlich — 198 — hoch zu stehen kommen würde. Wir aber konnten schon nm deswillen von des Paschas Großmnth keinen Gebranch machen, weil wir die Zeit nicht mehr hatten, den obern Nil zn besnchen. Gleichwohl wollten wir gern eine Nilfahrt machen. So mietheten wir uns denn eine Nilbarke nur für drei Tage, nach Sakhara und zurück. Diese Nilbarkcn sind gar hübsch und beqnem eingerichtet. Sie haben einige Zimmer mit mehreren Schlafstellen, allerlei Möbel nud sogar eine Auswahl französischer und englischer Werke, wie sie für Reisende passen. Für Reisende, denen die Zeit weniger kostbar ist, muß es ein wahrer Genuß sein, so frei nnd los von dem Getümmel und Gedränge gewöhnlicher Reisen auf dem Nil cinhcrfahrcu zu können. Wir fuhren am Nachmittage, von Cairo ab uud wurden, so lauge es Tag war, nicht müde, die schwindende Stadt nnd die Ufer des Nils zn betrachten. Noch vor Sonnenaufgang warfen wir Anker, um uuseru Weg zu Esel fortzusetzen. Die Esel hier waren von der ärmsten Art, mit Sätteln ohne Steigbügel :c., so daß erst Stricke herbeigeschafft werden mußteu, die Steigbügel zu ersetzen. Endlich zogen wir aus, hübsch laugsam, deuu die armeu Thiere hatten viel gegen unsre Eile einzuwenden. Nach einer Weile gelangten wir in ein Wäldchen, wo wir einige Neste von Granit Sculpturen fanden und wo unser Dragoman uus den jetzigen Thron des ehe-maligen Königs Ramses II. zeigte. Dieser König hatte gar viel zur Größe nnd Berühmtheit Egyptens beigetragen, hatte sich ancd zu Memphis eiue 40 Fuß hohe granitene Statue setzen lassen, die noch jetzt vorhanden ist, aber anf dem Angesicht iu einer Vertiefung liegt uud beim Austrcten des Nils ganz mit Wasfer bedeckt wird, bis die Sonne das Wasser auftrocknet. Dieses ^och ist also der jetzige Thron des ehemaligen großen Königs. Wir standen dicht daran, konnten aber von seiner Majestät keinen Blick erlangen, da das Wasser ihn ganz unsern Angcn cutzog. In einem Palmenwäldchen nicht fern davon waren einige — 199 — Familien mit Dattclsammeln beschäftigt. In diesem Haine trafen wir anf mehrere größere und kleinere Schutthaufen, — das war der Nest von der mächtigen Königsstadt Memphis. Hier also wohnten einst jene gewaltigen Könige, welche die Pvrauliden'erbantm; wo sind ihre Paläste? Hier wohnte anch Joseph mit Asnath, Poti-Phera des Priesters zu Ou Tochter; welcher Schutthügel mag wohl seine Wohnung andeuten? Der vom Hirtenknaben, durch Sklaverei nnd (Gefängniß hindurch, znm ersten Minister des Königs aufsteigen und es sein ^eben lang bleiben konnte, kann nur ein großer Manit gewesen sein. Und dessen Seele so rein und empfänglich war für die Offenbarungen Gottes, kann nnr ein heiliger Mann gewesen sein. Wie ist es in den viertehalb tausend Iahreu so anders geworden in Memphis! Jahrhunderte lang eine herrliche Königsstadt, über anderthalb Jahrtausend ein mächtiges, stauneuerregendes Ruiueu-feld, nnd nnn nnr noch Sand' uud Schntthügel! Im Mittelalter noch schreibt eiu gelehrter Reist-nder: „Die beredteste Zunge möchte umsonst diese austannnngswürdigeu Ruinen zu schildern versuchen. Je mehr man sie betrachtet, desto höher steigt die Bewunderung. Jeder Blick versetzt in nenes Entzücken." Und nun alles eitel Staub und Erde. Doch diese Schutthaufen mögen noch viel herrliche, Ruinen verborgen halten. Wir bestiegen wieder uusre Esel uud ritten zum Nilthale hinaus au den Saum der Wüste, zu der Reihe der Pyramiden von Sathara. Inngfrau Libya ist auch hier überaus freigebig mit ihrem Sandreichthnm, verschüttet alles, was an ihren Füßen gebant war uud engt das Nilthal immer mehr ein. An einem der vielen Hügel losen Sandes machten wir Halt nud stiegen iu eine unansehnliche Vertiefnng hinab, während der leichte Wüstensand nns nachriesclte. Aber wic erstaunt waren wir, nitter dieser Sanddecke mächtige Felsen-banten zn finden! Diese jetzt unterirdischen Gemächer waren alle M>z leer, aber die Wände waren mit so außerordentlich wohler- -- 200 — halteueu Ntalercien bedeckt, daß wir uns nicht genug darüber verwundern tonnton. Wenn diese Farben erst eben aufgetragen gewesen wärm, so hätten sie nicht frischer und schöner sein können. Freilich waren diese Gemächer durch den trocknen Wüstensand lnftdicht verschlossen gewesen und sollen erst ganz kürzlich entdeckt uud geöffnet worden sein; gleichwohl muß mau diese Farbenmischung bewundern, die mehr Jahrhunderte frisch bleiben konnte, als die uusrige ein-zelnc Jahre. In diesen Wandgemälden ist das ganze egyptische Leben aufs anschaulichste dargestellt, so daß mau dadurch vou deut ganzen Thun und Treiben der alten Egypter eine bessere nnd richtigere Vorstel-luug bekommt, als wenn man lange Berichte darüber gelesen hätte. Man sieht es mit Angeu, wie sie leben und weben, spinnen nnd wirken, fischen nnd jagen, kriegen und erobern, banen und Burgen stürmeud zerstören, wie sie zu Markte gehen, kaufen uud verkaufe», uud wie sie vom Markte heimkehren. Man sieht, wie sie ihre ver^ schiedcncn Gewerbe treiben, und wie das ganze Volk leibt nnd lebt. Wir aber fühlten uus so heimisch nuter dieser bunten Gesellschaft, daß wir sie uugeuirt zusehen ließeu, wie wir unser Morgenbrot einnahmen. Wir hatten nicht weit zu gehen, so waren wir wieder an eiuem Saudhügel und au einem unscheinbaren Loche angekommen. Wn' stiegen ziemlich tief hinab und fanden hier zn nufrer Verminderung ein ganzes Todteureich mit Kreuz uud Querstraßen. Das war das Serapcum bci Sakhara, der Todteustadt von Memphis. Ungeheure Sarkophage aus Granit, zum Theil fein polirt nud mit Hieroglyphen bedeckt, zum Theil von schlichterer Arbeit standen vor uus uud in deu Quergassen zur Rechten und zur linken. Mauche wareil aufge brochen worden und leer, manche aber waren noch so fest verschlossen, daß mau es kaum sehen konnte, wo der Deckel eingefügt war, fo das! es allerdings nicht möglich ist, sie ohne Beschädigung Zu öffnen. — 201 - Welche ungeheure Arbeit muß es gelostet haben, diese gewaltigen Granitblöcke auszuarbeiten, so fein zn poliren, über den Nil zu briugeu (denn der Steinbruch, an sich sehr sehenswerth, ist auf dem andern Ufer des Nils) nnd endlich die Höhe hinauf bis an den Sanm der Wüste, nnd dann hinnnter in die Tiefe der Todtenstadt hinein. Wir haben kanm eine Vorstellung davon, wie solche Werke in damaliger Zeit ansgefiihrt werden konnten. Und diese Niesensarkophage, was bergen sie? Nichts weniger als die Leiber jener Achsen, Apis genannt, welche die Egypter göttlich verehrten. Ein solcher Ochse mußte schwarz sein, mit einem weißen Dreieck anf der Stirn, nnd mußte unter der Znnge einen käferartigen Knoten haben. War ein solches Thier gefunden, so war die Freude groß iu gauz Egyptenland. Das Thier wurde dann nach allerlei Ceremonien m einen Tempel gebracht, der einige Kapellen und einen großen offenen Hof hatte, zur Bewegnng des vierbeinigen Gottes. Hier nnn ward der arme Ochse gar köstlich verpflegt, mußte nber dafür auch weiffagen nnd zukünftiges vorherverkündigen, wozu ^ schwerlich von seinem Schöpfer bestimmt war. Die verständigen AboiM-jM^. pflegen zn meinen, daß ein Ochse wohl znin Symbol ^r Dnmmheit tange, Weisheit aber nicht seine Gabe sei. Die phantasiereichen Morgenlander dachten anders darüber. Je nachdem das Thier öfters in die eine oder andere Kapelle ging, hatte es diese oder jene Vorbedentnng. Dazn theilte es anch den jnngen Priestern, ^e es bedienten, von seinem Geiste mit, so daß sie anch weissagen konnten. Und so hatten denn die weisen Egypter einen Ochsen zum ^'hrer und Propheten. Wenn aber dieser Ochse starb, so gabs eine allgemeine Vande5trauer, die sich erst dann in Frenoe verkehrte, wenn wieder ein schwarzer Ochse mit den nöthigen Zeichen gefnnden Wurde. Die Ägypter haben aber auch bei diesem Grauel im kleinen angefangen. Sie verehrten einen Osiris, als den Gründer des Ackerbaues in Egypten, und daran mögen sie ganz recht gethan — 202 — haben. Später aber ward Osiris zum Götzen. Und da zum Ackerbau Ochsen nöthig sind, so gaben die symbolseligeu Egypter dem Götzen Osiris einen Ochsen zum Symbol bei, oder setzten ihm selbst gleich Ochseuhörncr auf. Doch Osiris war längst todt, von seinem eignen Bruder erschlagen, so bildete mau sich zuletzt ein, im Apis eine Incarnation sVerkörperuug) des Osiris zu erblickcu. Uud daher scheute mau sich nicht mehr, ciuen Ochsen, der da Stroh frißt, göttlich zu verehren uud sich von ihm sagen zu lassen, was man selbst uicht wußte. So siud doch, die sich für weise hielten, grüudlich zu Narren geworden. Aber in einem Stücke waren die alten Egypter allerdings weiser, als viele „Männer des neunzehnten Jahrhunderts." Denn sie bedachten das Ende, lind bedachten es ernstlich. Wenn von ihren Palästen auch kein Stein mehr auf dem auderu ist, ihre Grabmouu-meutc trotzen dem Zahuc der Zeit uud scheiueu für die Ewigkeit gebaut. Ihre ^eicheu auch hielten sie in Ehreu und wußteu sie so wohl zu bewahreu, daß wir sie heute uoch zu Hunderten seheu und betrachten können, lind warum thaten sie so? Weil sie gewiß wuß ten, daß das Leben des Menschen mit dem Tode eben so wenig aufhört, als das des Embryos mit der Geburt. Die Eristcnz als Embryo hört mit der Geburt auf, aber eine nuendlich höhere begiuut. Ebcuso hört das irdische ^eben des Menschen mit dem Tode auf, aber eiu unendlich höheres ^ebeu beginnt, nm uie wieder aufzuhören. Auch vou den alten Egyptern und ihren Mouumeuteu löuueu wir viel lerucn, haben wir nur willige Hcrzeu dazu. 2 dien. Eiu juuger Nechsgelehrter vou England, auf dem Wege "ach Madras, auf dem Schiffe mein nächster Tischgenosfe, war ge storbeu. Abends um 6 Uhr wurde die dunkle Trauerflagge aufgc steckt, die Maschine angehalten, nnd langsamen Schrittes augezogen kam der Leichenzug. Unter dem Geheul des ansströmeudeu Dampfes b^mm die leise geleseuc englische Grabeoliturgie. Anf eiu Zeichen sank dcr beschwerte Sarg in sein unermeßlich weites uud tiefes ^asscrgrab. Ernst lag auf allen Gesichtern, aber leine Thräne floß dcm freundlosen Jünglinge nach. Die Trauerflagge wurde eiuge-ä"geu, die Maschine begaun wieder ihr Wert; alles kehrte in seine ^rduuug zurück, uud des Iüugliugs war vergessen, wie man „eines Todten vergißt". Unsre Herzen aber bebten. Wir gedachten nnsrcr n Sachsen zurückgelassenen „Gottesgaden". Trübe Bilder traten — 208 — vor unsre Seele und wollten nicht weichen. Lange flössen unsre Thränen; wer tonnte sie stillen! Doch verhüllt seien die Bilder der Trauer! In Gottes Barmherzigkeit, in seiner cwigcu Vatcrgütc ist Trostes die Fülle. Ihm sei Preis und Dauk für Alles! Nach ciuigeu Tagen erblickten wir die Iuselreihe der Maledi-uen, die mit ihren: frischen Grün sich sehr vortheilhaft von Arabiens Küsten nnd kleineu Inseln unterschieden. Bald daranf warfen wir Auter vor Ecylou, und betraten nun das erste Mal indischen Boden. Der Hafeu von Galle bietet einen wunderschönen Anblick. Er ist fast ganz mit Land umschlossen; hie und da erheben sich felsige Inseln mit üppigem Pflanzeuwnchse anf dem Haupte. Die Aüste ist mit Kokospalmen wie eingesäumt, aus welchen hie nnd da die Häuser der Besitzer durchschimmern. Gern hätten wir mehr von dieser schönen Insel gesehen; aber nnsre Zeit war gemessen, wir mußten uoch ciumal anf das Schiff, um dem Norden zuzufahren. Es war gegen Ende des November, als die Auker fielen uud zwei schuell aufeinanderfolgende Kanonenschüsse die Antnnft nnsers Schiffes vor Madras ankündigten. Die Sonne tauchte gerade ans dem Meere empor und beleuchtete die Ufer des Bandes, welchem ich die Botschaft des Friedens verkündigen sollte. Freudiger Dauk für die gnädige Bewahrung meines treueu Gottes auf dieser Reise von mehreren tausend englischen Meilen mischte sich mit dem Gebet um den Aufgaug der Souue dex Gerechtigkeit über dieses Land so großer Todesschatten. Möchte sie bald aufgehen! Madras hat keinen Hafen, nnd die Schiffe müssen in offner See über eine Meile weit vom Ufer aukern. Aber sobald nnr das Schiff geankert war, kameu sehr schnell eine Reihe Boote auf uns zu gefahreu. Unser Dampfer führte die Post mit sich, die alle Mo-uate zweimal von Europa uach Iudieu kommt; so ist denn immer viel Verlaugen nach seiner Ankunft. Sobald das Schiff seine An-kuuft durch zwei Kauoueuschüsse augezeigt hat, zeigeu die Kauouen __ 20!) __ der Festung dasselbe dcu Bewohnern von Madras an, und Vieler Herzen schlagcli mit banger Freude den kommenden Briefen entgegen. Neben den Boten zog eine andere, Erscheinung nnsrc Aufmerksamkeit al>f sich. Hier und da erschienen branne Menschengestalten wie auf uns zukommend, bald einzeln, bald bei zweien und dreien, ^ie erschienen bald hoch auf den Wellen, bald tief nnten uud unserm Blicke entzogen; aber einen Kahn oder des etwas sahe man nicht. Sie erschienen wie anf dem Wasser stehend und mit den Wellen sich fortbewegend, und wir waren begierig das Geheimniß gelöst zn sehen. Endlich lösete es sich. Die Ankommenden waren Fischer anf einem kattnmaram. Ein Kattnmaram ^wörtlich „znsammcngebnndencr Baum") ist aber ein gar seltenes Fahrzeug. Es besteht aus drei äusammengcbundeneu Banmstämmen, etwa 10—15 Fuß laug. Der Mittlere Stamm ist ein wenig länger als die zn den Seiten, nnd "bcn sind sie ein wenig geebnet. Das ist der gauze Bau. Ein ^er auch zwei bis drei Mann knieen oder stellen sich hinauf, und wisson es mit einem kleiucu Nuder — es ist eigentlich ein ganz gleichseitige Stück Bret — gar beheud zu regieren. Dieses seltene Fahrzeug steigt nnd sinkt mit der Welle, wird von derselben iiber-wvrfen, und nicht selten verschwinden Mann und Kattnmaram in "r Brandung des Ufers; und wenn sie Beide wieder emporkommen, ^ lst oft der Mann ein gnt Stück von seinem Fahrzeug entfernt und dasselbe umgeworfen. Das hat aber auch durchaus nichts zu ^gm. Das Fahrzeug enthält keinerlei Raum, der gestillt werden "unte, und sein Führer weiß es schon wieder einzuholen. Er faßt ^ behende, wendet es wieder auf die rechte Seite, steigt hinauf und ^ Fahrt beginnt von neuem. Seme Kleider werden ihn: dabei "uch nicht naß, denn er hat keine an. Seine ganze Bedeckung besteht "us einer trichtcrartigen Mütze von Palnwrablättern und aus ciuem unentbehrlichen Streifen Zengcs, einer Hand breit nnd zwei Fuß "Ug. Sie sind rechte „Seeleute". Wie oft sah ich sie nachher 14 — 210 — vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang auf ihrem Kattmnaram nmherfahren, um den nöthigen Lebensunterhalt zu gewinnen. Ihr Fahrzeng ist wohl das einzige von alten, das nie leck werden nnd nie untergehen kaun. Und wenn kein Boot die Brandung zn Passiren weiß, fie wagen es, nnd find darum nützliche Üente. Mehrere Boote vom Ufer hatten nns nun erreicht und das Verdeck des Schiffes füllte fich mit einer bunten Menge. Einzelne Europäer begrüßten ihre angekommenen Freunde, und einem Mis sionar wnrde seine in England aufgewachsene Tochter vorgestellt. Beide kannten sich nicht. Der Vater zeigte viel Freude und Herz^ lichkeit über sein Kind; die zur Jungfrau herangewachsene Tochter aber war ziemlich steif und schien sich nicht darein finden Zu können, daß dieser Mann ihr Vater sein sollte. Der Seufzer sei uns verziehen, der im Andenken an nnsre zurückgebliebenen Gottesgaben sich hierbei hervordrängte. — Mancher unsrer Reisegefährten ward von Freunden begrüßt nnd abgeholt. Uns begrüßte Keiner; denn unsre Ankunft ward noch nicht erwartet. So hatten wir denn Muße, die angekommenen Eingebornen zu betrachten. Die drauueu, nackten Gestalten der Bootsleute hatten durchaus uichts Anziehendes. Ihr Ansehen war rauh und ihre Manieren roh. Aber sie sind anch keine würdigen Repräsentanten ihres Volkes. Sie waren allzu eifrig ihre Dienste anzubieten und kämpften mit einander um die Ehre, einen der Europäer oder doch seine Sachen an das Land bringen Zn dürfen. Doch war es nicht sowohl die Ehre, als das zu verdienende Oel^ das sie zu solchem Eifer und Kampf antrieb. Die englischen Matrosen wehrten ihre Zudringlichkeit oft mit einem Schiffsseile ab; diese Behandlung that nns leid. Anßer diesen Bootsleuten kanten aber anch andere Eingeborin' auf das Schiff uud boten in ziemlichem Englisch bereitwillig ihre Dienste an. Man stelle fich einen Mann von mittlerer Große — 211 — vor; seine Farbe ist cm helleres oder dunkleres Braun, sein Auge ist rabenschwarz, dabei scharf und forschend; seine Gesichtszügc sind fein und mild: seine Oberlippe und die Backen siud mit starkem HaarwnchZ versehen, aber sein Kopf ist rasirt. Auf dem Kopf prangt cm schneeweißer Turban von besonderer Gestalt; ein ebenso weißer Rock ohne Krägen bedeckt den Obertheil seines Körpers und ein langes Kleid hängt ihn: vorn bis au die Füße herab, während es hinten beim Gehen seme Waden und selbst einen Theil der Lenden hervortreten läßt. Ein Paar Pantoffeln an den Füßeu vollenden seine Tracht. Diese werden stets allsgezogen uud einige Schritte zurückgelassen, wenn ein Mann von Stande angeredet wird: ein Zeichen der Höflichkeit, wie bei uns das Hauptentblößen. Im Gan-Zen ist die Erscheinung würdig, Haltung nud Manieren edel. Aber auf der Stirn der Meisten steht mit grellen Farben das Götzen-Zeichen des Vischnu oder sie ist dick bestrichen mit der Asche des Siva. Diese Zeichen verfehlen nie, einen ScnfZcr aus der Brust des Friedensboten hervorzulocken. Nicht „Christi Blut und Gerechtigkeit" ist lhr Schmuck uud Ehrenkleid; eiu Zeicheu der Götzen verunziert ihre Stirn. Nicht dem HErrn, der sie mit seinem Blnt erkauft hat, dienen sie, vor todten Götzen fallen sie nieder nnd beten an der Menschen Hände Werk. O Hüter, ist die Nacht schier hin? Einer nach dein Andern unsrer Schiffsgesellschaft war bereits, Mf einen: Stuhle sitzend, hinuutergclasscu worden von den: Verdeck des Schiffes in das schwankende Boot tief nnten; endlich kam die Neihe auch an uns. Die Boote find tief uud die Bohlen derselben nicht Zusammengenagelt, sondern mit Stricken zusammengenäht, weil sie nnr so, den Stößen der Brandung nachgebend, sicher sind. Unsre Zehn brannen Ruderer begannen alsbald ihren Gesang, wie ihn nur solche Kehlen hervorbringen können. Singend ruderten sie kräftig fon, bis die drei Brandungswellen allen Athem wie alle .straft in Anspruch uahinen. Anch wir hatten vollanf zu thun uns fest zu 14-« — 212 — halten. Bei der letzten Welle stieß das Boot auf dcn Sand des Ufers und einige Männer sprangen sofort ins Wasser, um zu verhindern, daß die zurückweichende Welle es wieder mit sich fortreiße. Einige Andere brachten eilig einen Lchnstuhl an das Boot, das noch von den Wellen nmbranst nnd geschwenkt wurde. Anf diesen Stnhl setzten sie meine Frau, nnd eilten mit ihr davon. Mich selbst nahmen zwei Mann anf ihre nackten Schultern nnd trugen mich so vollends auf das Trockene. Indiens Boden war betreten; wer könnte beschreiben, mit welchen Gefühlen! — Wir mischen das Loblied für die glücklich vollbrachte Reise mit der Bitte um Weisheit, Kraft und Segen zmn neuen Werke. Der HErr erhöre Beides! Er lasse Sem Reich bald kommen, damit Sein Name geheiligt werde und Sein Wille geschehe überall anf Erden wie im Himmel. Hns Indien. 1. Kmldn'tlM und die Kouds. Auf den Vergzügen, die den Ostcn und Westen von Dekan und Südindieu durchziehen, durch die Nilagiris sich vereinigen uud dann iu einem Zuge bis auf die äußerste Spitze vou Cap Comoriu aus-laufcu, wohnt ein von den Hindus verschiedenes Volk, oder vielmehr verschiedene Völklein. Sie gehören offenbar der Urbevölkerung Indiens an nnd haben sich vor der ihnen zu mächtig gewesenen brah-manischen Einwanderung lieber auf die Gebirge zurückgezogen, als sich derselben unterworfen. Diese Reste zerfallen in verschiedene Gruppen unter verschiedenen Namen. Einer Grnppe von ihnen, den Konds, gilt jetzt unsre Aufmerksamkeit. Sie bewohnen die Gebirge von Orissa uud Ganjam, welche unter dem allgemciueu Namen ^er Malcias bekannt sind, aber noch viele besondere Namen tragen. Die höchsten sind über 4000 Fuß und die gauze Gegend ist romanisch uud fruchtbar. Die Abhänge der Berge sind überall mit Wald bedeckt, davon die Konds hie nnd da etwas geklärt und in Feld verwandelt haben. Die weniger bewohnten Gegenden werden von Tigern und Bären durchzogen. Die Hauptprvducte, die auf den Nucken vou Lastochsen nach dem Ticflaude versendet werden, sind Gelbwurz, Pfeilwurz, Senf, Pfeffer, Tamarinden, Honig nnd Wachs. Doch nicht sowohl diese Berge mit ihren Schluchten und Höhen, mit ihren Wäldern und Feldern, Rosen nud Dornen wollte ich beschreiben. Die Erde ist überall des HErrn, und im gewissen Siune lst sie auch „vollkommen überall, wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual." Deu Bewohnern dieser Berge gelten diese Zeilen. - 210 — Vis zum Jahre 1836 waren dieser Verge Bewohner so gut wie nngekannt. Selbst die Negierung wußte Nichts von ihnen. In diesem Jahre aber empörte sich der Raja von Gumsur gegen die britische Regierung, und geschlagen nahm er seine Flucht auf diese Berge. Man suchte ihn zu finden nnd fand zugleich, was man uicht gesucht und erwartet hatte. Ein Volk von besonderem Stamme, von besonderen Sitten und mit besonderen Sünden beladen. Erst ein Blick auf das Volk selbst und seine Sprache, dauu auf feine Religion und auf seiue Greuel. Das Volt ist kräftig uud stark, der Kleidung hat es nur wcuig. Ihre Dörfer bestehen aus zwei Reihen Häuser, 40—50 an der Zahl und alle gleich. Diese werden nie reparirt, sondern wenn das Material, Holz und Lehm, verdirbt, werden neue Häuser in derselben Weise gebant. Die Bewohner sind fleißige Ackerbauer, haben aber fast keiue Gewerbe, weil diese nicht ehrenhaft find. Sie sind gutmüthig wie die rothen Indianer, und hadeu ciue ebcuso unüberwindliche Liebe zur Freiheit wie diese. Auch siud sie nicht weniger kriegerisch. Die Schleuder, Pfeil und Bogen und die Streitart lernen sie schon in früher Jugend handhaben; uud über ihren Fehden wird nicht selten der Ackerbau ganz vergesseu. Sie habeu ein starkes Rechtsgefühl, aber nur, wenn es auf ihrer Seite ist, uud machen sich darum durchaus kein Gewissen daraus, ciuzeln oder in Banden in andere Districte einzufallen uud was ihnen gefällt mitzunehmen. Sie sind sehr gastfrei, und leiden lieber den größten Verlust, als daß sie das Recht der Gastfreundschaft verletzen. Dem Trunkc sind sie sehr ergeben. Die Frauen dürfen zwar nicht mit den Männern efsen, aber sie üben einen großen Eiuftuß beides in friedlickeu und kriegerischen Berathuugeu, uud stehen darum doch in einiger Achtung. Die Frauen werden stets aus andern Horden gefreit, und haben das Recht, die Morgengabe zurückzuerstatten nnd den Manu zu verlassen. Uud — 217 — wenn sic sich dann einen Iiingling aus einer anderen Horde wählen, so ist dieser verbnnden, ihre Hand anzunehmen. Ihre Verfassung ist patriarchalisch, es verbinden sich aber gewöhnlich mehrere Familien und wählen ein Stammoberhaupt, und mehrere Stämme verbinden sich nnd wählen ein allgemeines Oberhaupt. Dieses richtet und schlichtet in gewöhnlichen fällen, in besondern aber versammeln sich alle Männer und bilden so den obersten Rath. Ihre Sprache zerfällt in verschiedene Dialecte, wie das mit allen ungeschriebenen Sprachen der Fall ist. Die Konds aber haben keine eigene Literatur, nnd erst seit sie den Europäern bekannt geworden find, hat man ihre Sprache zu schreiben begonnen. Die meiste Achnlickkeit hat sie mit den Dravidasprachen, doch ohne sanskritische Beimischung; nnd man hat behanptet, daß diese Sprache von allen der Tartarischcn am nächsten stehe. Die Religion der Konds ist von besonderer Art. Sie glauben an ein oberstes Wesen, den Ursprung alles Gnten, den Schöpser der Welt, der Götter und der Menschen. Dieses Wesen wird entweder Bura Pennn genannt, der Gott des dichtes, oder Bella Pennu, der Gott der Sonne. Sowohl die Sonne selbst, als der Drt des Aufgaugs derselben sind seine Residenzen. Ihre Tradition ^st reich und allerdings verschieden, wie bei allen Völkern. Das Wesentlichste ist Folgendes: Im Anfang schuf Bura Pennn sich eine Gefährtin, die Tari Pennn, die Göttin der Erde, den Ursprung des Bösen. Bura Pcnnu schuf die Erde und ging mit Tari Pennn auf ^selben spazieren. Aber Tari Pennn ermangelte der hingebenden Treue, denn sie wollte ihm nicht den Rücken kratzen auf seinen Bc-'khl. Da beschloß der Schöpfer den Menschen zn schaffen, der ihm den schuldigen Respect erweisen sollte. Er nahm eine Handvoll Erde nnd warf sie hinter sich, daß der — 218 — Mensch daraus werden sollte. Aber Tan Pcnnu ergriff die Erde voll Eifersucht uud warf sie seitwärts, und so entsprangen daraus die Pflanzen und Kräuter der Erde. Er wiederholte den Versuch, und sie that wie vorhin und warf die Erde in's Meer; da eutstandeir die Fische und Sccthicrc daraus. Aus der dritten Handvoll Erde entsprangen die Thiere der Erde, aus der vierten die Vögel des Himmels. Endlich merkte Bura Pennn, was Tari Penuu gethan hatte, legte seine Hand auf ihr Haupt und schuf den Menschen. Im Anfang war alle Schöpfung in voller Einigkeit und Seligkeit. Es war kein Böses in der Wett, nnd der Mensch hatte Gemeinschaft mit seinem Schöpfer und konnte gleich leicht durch Erde, Ätft und Meer sich bewegm. Aber Tari wurde neidisch darüber, nnd beschloß den Menschen zu verderben. Sie säete Böses in sein Herz, wie man Samen in das Land säet. Auch brachte sie Mißklang in die Schöpfuug. Bura Pennu hielt den ^auf des Bösen in der Schöpfung auf, ließ aber dem Meuscheu die Freiheit, zwischen Gutem und Bösen: zu wählen. Nur weuigc wählten das Gute, uud zu diesen: sprach Bnra: „Seid Götter und lebet ewig. Schant wann ihr wollt mein Angesicht nnd habt Gewalt über die Menschen, die nicht mehr in meiner besonderen Obhut sind." Denen, die Böses gewählt hatten, entzog Vura seine Gegenwart, und der Tod trat mm in ihre Mitte. Von nun an wurdeu die Schlange): giftig und die Thiere reißend nnd der Mensch konnte nicht mehr durch Meer nnd Luft sich bewegen^ Bura aber und Tari geriethcu iu offenen Kampf mit einander, ihre Waffen waren Berge, Gestirne und Sturmwinde. Bis Hieher sind die Konds uutcr sich einig, von hier ab aber scheiden sie sich in zwei Theile in Betreff des Sieges und der Folgen dieses Kampfes. Die Bura-Anbeter glaubeu, daß Bura siegte und als ein bleibendes Zeichet, feines Sieges auf Tari's Geschlecht die Geburts- ^ 219 — schmerzen gelegt hat. Ihr Jörn jedoch und böser Wille gegen die Menschen ist geblieben, mir das; sie ohne Bnra nichts ausführen kann und von ihm nnr zum Ansführcn der Strafen gebraucht wird, die er über die Menschen verhängt. Die Tari-Aubeter hingegen behaupten, daß Tan noch unüberwunden mit Bura forttämpft, nn't verschiedenem Erfolge. Sie halten Bura auch für den Schöpfer der Welt und für die Qnelle alles Guten, daher sie ihn bei feierlichen Gelegenheiten zuerst anrufen. Aber sie meinen, daß Bura's Macht, durch die Götter über die Menschen geübt, nicht hinreicht, die Menschen zn schützen, wenn Tari Böses thnn will. Darum muß man sich mit Tari schon selbst abzufinden suchen, da sie dadurch, daß sie das Gute von Bura nicht aufhält, Gutes thun kann, abgesehen von ihren besondern Gaben. Um die Menschen auf (irden zn behüten und sie zur Seligkeit zu führen, schuf Vura Uutcrgöttcr, die zugleich Macht habeu über die Elemente. Diese Untergötter sind nach Bura und Tari anzubeten, es sind ihrer aber zwei Classen. Die erste Classe enthält die Götter des Degens, der Erstlinge, der Fruchtbarkeit, der Jagd, des Krieges, der Grenzen. Die zweite Classe beherrscht die Natnr, als Berg und Thal, Quellen und Ströme, Wald und Feld :c. Znr ersten Classe der Götter gehört Dinga Pennn, der Richter der Todten. Er wohnt über dein Meere auf einem glatten Felsen, Grippa Vatli gcuaunt, der Springfels. Um diesen Felsen fließt wl schwarzer und sehr tiefer Strom. Wenn die Seelen ihre Leiber verlassen, müssen sie hicher kommen uud indem sie über den Strom "uf den Felsen zn springen versuchen, erleiden sie oft mancherlei schaden, sie verlieren ein Auge oder dergleichen, welche Mängel in der nächsten Geburt zu Tage treten. Auf diesem Felsen sitzt Dinga Tag und Nacht, beschäftigt, die ankommenden Seelen zu richten. Die — 220 — Gerechten gehen alsbald in die Gemeinschaft der Götter, die Ungerechten müssen nach mehreren Strafen anf dem Gripva Valli auf's Neue geboren werden. Die Strafen, die Dinga in dieser einstweiligen Hölle austheilt und die in die nächste Geburt übergehen, sind: Epilepsie, Armuth, Mangel an männlichen Erben und allerlei Gebrechen des Leibes; eine besonders harte Strafe für die Konds. Die gröbsten Laster find: Verweigerung der Gastfreundschaft oder Verlassen des Gastes, Meineid, Lüge, (ausgenommen einen Gast zu retten) Verletzung eiues alten Brauches, Blutschande, Feigheit, Verrath. Jede dieser Sünden verwirkt wieder geboren zu werden, und sind mehrere derselben vorhanden, so ist diese Geburt mit Gebrechen begleitet. Die größten Tugenden sind: im Kriege einen Feind zu erschlagen, im Kriege zu fallen, ein Priester zu sein :c. Ein jeder Mensch hat vier Seelen. Die erste Seele ist der Seligkeit und Gemeinschaft mit Bura fähig. Eine zweite Seele gehört dem Stamme an und wird immer wieder in demselben geboren, so daß bei jeder Geburt der Priester erklären muß, welches Glied der Familie zurückgekehrt sei. Eine dritte Seele hat die Strafen für die Sünden zu erleiden. Die vierte Seele stirbt mit dem Leibes) Die Vorstellungen der Tarisecte in dieser Hinsicht sind ganz ahnlich, nur daß sie der Tari zuschreibeu, was jene den: Vura. Die Konds haben und dancn keinen Tempel und halten die Aufstellung von Götzenbildern für den sichersten Beweis von dem völligen Mangel an Gemeinschaft mit Gott. Sie haben jedoch ein Priesterthum uud zwar eiu doppeltes; d. h. Priester, die so leben 5) Auch dic rothen Indianer in Amerika haben diese Ansicht von uier Seelen, deren eine mit dem ^cibe stirbt. — 221 — wie andre Koudö, und cine Art Mönche, die nicht mir nicht heiratheu, sondern sich auch nicht waschen dürfen. Die Bnra-Anbeter opfern bei gewissen Gelegenheiten, wie bei der Aussaat und bei der Ernte etwa ein Schwein oder einen Büffel und reden Gott etwa folgender Weise an: „O Bura Pennn, o Tari Pennn, und alle Götter — sie werden mit stamen genannt — du^ o Bura Pennu, hast uns geschaffen und uns den Hunger gegeben, darum uns Korn nöthig ist nnd daher Felder. Du hast uns Samen gegeben und uns geheißen Büffel zu brauchen, Pflüge zu machen nnd zu pflügen. Hättest du uus dies uicht gegcbeu, so hatten wir wohl "uch von Wurzeln uud Beeren leben können, aber in Armuth, und wir hätten deinen Dienst nicht ausrichten könueu. Gedenke daran (an das Verhältniß nnsers Wohlstandes und deiner Ehre) uud höre unsere Gebete! Des Morgens geheu wir früh auf unsre Felder Samen zu säen, bewahre uns vor Tigern und Schlangen und allem Bösen. Laß den Samen den Vögeln wie Erde erscheinen nnd wie Steine den Würmern. Laß die Felder so reichlich tragen, daß auf dem Felde so viel übrig bleibe und auf dem Wege so viel verschüttet werde, daß, wenn wir das nächste Jahr ausgehen, der Weg wie ein iunges Kornfeld aussehe. Gedenke, daß die Vermehrung unsrer Miter die Vermehrung deiner Ehre ist und daß nuser Mangel deinen Dienst bcinträchtigt." Die Verehrung der Tari P cnnu ist aber uicht so harmlos. Ihr Hauptdienst besteht in Menschenopfern. Diese werden sowohl von dem Stamme als von einzelnen Personen bei allgemeinen nnd besondern Gelegenheiten dargebracht. Die Opfer müssen gekauft sein oder die Kinder gekaufter ^Pfer. Zohu Tage vor dem Opfer waschen alle Theilnehmer ihre Kleider und rufen die Tari also au: „O Tari Pennn, dn denkst vielleicht, daß wir dein vergessen haben, aber dem ist nicht so. Wir werden jetzt unsre Hänser verlassen uud nicht achten unsre Feinde — 222 — ' und die Götter über unsern Grenzen, oder die Zauberer, die sich in Tiger verwandeln. Wir gehen zu deinem Dienste. Und sMe, uns etwas zustoßen, so wird man dir mißtrancn nnd sagen, dn fragst nicht nach deinen Anbetern. Wir sind nicht zufrieden mit dem, was wir haben, wir hoffen, dn wirst nnsre Wünsche erfüllen. Vergiß unser nicht." Die Opfer-Ceremonie dauert gewöhnlich drei Tage nnd wird nnter einem großen Zulauf vou Menschen jeden Alters und Geschlechts gehalten. Der erste Tag wird mit Trnnt nnd Ausgelassenheit zugebracht. Am andern Morgen wird das Opfer herbeigeführt und von dem Priester an einen Pfahl gebnnden. Es wird nun mit geschmolzener Butter begossen, mit Blmneu bekränzt nnd wie göttlich verehrt. Am dritten Morgen erst beginnt die Opferung selbst und schließt am Mittage nnter lautem Geschrei der Versammlung. Unmittelbar vor der Opferung wird Tari also angeredet: „O Tari Pennn! Wir sind hier versammelt dir deine Speise zu bringen. Laß unsre Häuser so voll Kinder werden, daß uusre Stimmeu vor den ihrigen nicht zu hören seien, Laß uusre Heerden sv zahlreiä' werden, daß kein Gewürm leben kann unter ihren zertretenden Hufen. Laß unsre Schweine so zahlreich werden, daß unsre Gärten keinen Pflug weiter bedürfen, als ihre Rüssel. Laß die Steine unsrer Brunnen hohl werden von der Menge unsrer kupfernen Geschirre. Laß nnsre Kinder es nur vom Hörensagen wissen, daß Tiger und Schlaugen in unserm Lande gewesen sind. Laß uns nur eiue Sorge haben, die Häuser größer zu bauen, um nnsre Güter darein zu sammeln; dann wollen wir dir öfter so dienen. Wir wissen, daß du das haben willst. Gieb uus mehr Vermögen nnd wir werden dir mehr Opfer bringen!" Nach diesem allgemeinen Gebete bittet Jeder für sich, der eiue um ein gutes Weib, der andere, daß seine Waffeu glücklich sein möchten:c.^ 233 Hierauf erzählt dcr Priester die Entstehung dos Gebrauchs und dann beschreibt er ausführlich die Darbringung des ersten Opfers. Viit der Entstehung dieses grausamen Brauches will ich den ^eser nicht aufhalteu. Es läuft darauf hinans, daß Tan es zur Fruchtbarmachung des Feldes befohlen hat. Die Beschreibung der ersten Opferung aber ist so besonderer Art, daß ich sie verkürzt hierher setzen will. Das Opfer weinte und fluchte: das Volk freute sick. Die Pflegeeltern aber des Opfers waren traurig und sprachen: „Die Welt freut sich, wir aber sind betrübt;" und frugen, warum dock dieser Gebrauch vorhanden sei? Tari antwortete durch den Priester: „Beschuldige nicht uns, sondern deine Eltern, die dich uns vertauft haben. Die Göttin der Erde fordert ein Opfer; es ist nöthig für die Welt. Uns plagen Tiger, Schlangen und Fieber; du wirst kein Uebel leideu; uud wenn du der Welt Hell gegeben hast, wirst du ein Gott werden." Das Opfer antwortete: „Habt ihr denn keine Feinde, keine bösen Kinder, keine Feiglinge, die in der Schlacht fliehen, keine Schuldner, mn deretwillen ihr ener ^and vertanfen müßt, nm für 'sie zu bezahlen?" Der Priester antwortete: „Du verstehst nicht unsre Weise. Wir haben dich nicht geraubt, uud die du neunst, sind nicht geeignete Opfer. Sic taugen nur, um durch Epilepsie, Geschwüre und andre Krank-'hnten zn fallen. Solche Opfer tangcn nicht. Deinetwegen habm wir uns selbst beraubt, um dich kaufen zu können. Wir gabelt für dich unsre metallenen Geschirre nnd deine Eltern gaben dich willig An, wie inan willig Fener giebt vom Heerde. Willst du tadeln, tadle sie!" Das Opfer: „Habe ich den Kanfpreis getheilt? Habe ich dem Handel beigestimmt? Niemand erinnert sich des Mutterleibes nock des Geschmackes der Mnttennilch: ich hielt euch für meine Eltern. ^ 224 — Habt ihr nicht Mitleid gehabt, wenn ich litt? O mein Vater, und ihr, und ihr, und ihr meine Vätcr, o tödtet mich nicht-!" Die Pflegceltern: „O Kind, wir müssen dich todten, vcrgieb es uns: du wirst ein Gott werden." Das Opfer: „Warum müßt ihr mich todten? Habe ich nicht mit ench gearbeitet, Ba'nme und Tabak gepflanzt und neue Häuser bauen helfen?" Der Häuptling: „Du wirst bald vergottet werden und wir werden dnrch dein Schicksal gewinnen. Weißt du nicht, wie der Priester dir die wahrsagende Sichel brachte, als Viele krank waren, und sagte, die Göttin fordere ein Opfer?" Das Opfer: „Ja, aber eure Mütter, eure Weiber uud Kinder sagten mir, ihr würdet lieber eller öand verkaufen, um ein anderes Opfer zu erlangen, ihr würdet mich nicht opfern." Der Häuptling: „Wir können dir nicht helfen. Deine Eltern vergaßen die ^ust, dich zu lieben und neigten ihre Herzen anf nnser Vieh nnd auf unsre Mctallgefäße. Schilt sie; verfluche sie nud wir wollen dir helfen. Wir wollen mit dir ihnen fluchen, daß alle ihre Kinder also umkommen sollen; daß sie in Jahresfrist den Preis verlieren sollen, um den sie dich verkauft haben; daß sie ciu frcud-nnd freund loses Alter haben sollen, ungeliebt und unversorgt; daß, wenn sie in ihrer leeren Hütte sterben, Zwei Tage lang Niemand ihren Tod erfahren und die Träger dann die Nasen znhalten müssen; daß ihre eignen Seelen in Opfer fahren, die in hartherzige Hände verkanft werden. Fluche ihucn so, uud wir wollen mit dir fluchen." Das Opfer zum Priester: „Uud warum hast du mir mein Schicksal verborgen? Warum hast du mir's uicht gesagt, daß ich hätte vom Felsen spriugeu köuncn und sterben? — Mein Vater hat mich gezeugt, die Häuptliuge habeu mich gekauft, mein Leben wird geopfert nnd sie werden dadnrch gewinnen; aber dn, o Priesters — 225 — der du teine Theilnahme für mich hast, du sollst keinen Nutzen davon haben." Der Priester: „Gott hat die Welt geschaffen und was darinnen ist; ich bin sein Diener und Vertreter. Gott hat dich gemacht, die Häuptlinge haben dich gekauft und ich opfere dich. Die Kraft deines Todes steht nicht bei dir, sondern bei nur." Das Opfer: „Verflucht sei, der mich nicht erworben hat nnd doch der erste ist bei meinem Tode! Verflucht sei er und lebe uur durch das Elend Andrer! Der Elendeste unter den Elenden sei er und ein Narr in den Augen sciucr Frau und Kinder! Ich rufe euch, deren Brod ich gegesseu, euch, ihr Fremdlinge, uud euch Alle, die ihr mein Fleisch zcrstücken werdet: fluchet dem Priester!" Der Priester: „Sterbendes Geschöpf, flnchst dn mir? Ich werde dir keinen Platz geben uuter den Göttern." Das Opfer: „Sterbend werde ich ein Gott uud du sollst dann schen, wem du dienst! Nuu thue deinen Willen an mir!" Der Priester verwundet nun leicht das Opfer, worauf die Versammlung über dasselbe herfällt und das Fleisch in Stücken von seinem Leibe schneidet. Diese Stücke vergräbt dann ein jeder in seinen Acker uud erwartet nun eine fruchtbare Ernte. Der Rest des Opfers wird mit einem Schaf zusammen verbrannt. Nun folgen "och einige Gebete, deren Inhalt den angeführten ähnlich ist und den Lohn für diese That in allen Gütern der Erde fordert. Zum Schluß wird ein Büffel geopfert, dessen Fleisch von allen Anwcsen-bm verzehrt wird. Und somit schließt das grausige Schauspiel. Wie häufig diese und noch andere, womöglich noch unnatürlichere Greuel bis gauz vor Kurzem stattfanden, werden wir weiter unten sehen. Hier noch die Bemerkung, daß auch nnter bcn rothen Indianern Nord-Amerika's gauz ähnliche Menschenopfer stattfanden, indem man das Fleisch des noch lebenden Opfers ui die Kornfelder vergrub, um eine reiche Erute zu erlangen. 15 — 226 — Dieses mit vielein Anderen beweist beider Völker Abkunft aus der Tartarei. Wie ist doch uuser Geschlecht so tief gefallen, daß es Menschenleben opfern kann, nicht um ein großes Unglück abzuwenden oder Gott für besondere Sünden zu versöhnen, wie wohl sonst geschehen, sondern um der Erde vergängliche Güter mehr zn bekommen! Fürwahr, Finsterniß bedecket das Erdreich nnd Dunkel die Böller. Im Schatten des Todes sitzen Alle, die von Gott, dem wahren Lichte und dem wahren Leben, entfremdet und entfernt sind! Hüter, ist die Nacht schier hin? Die Menschenopfer der Konds, die so häufig stattfanden, daß bei einem fürstlichen Besuche im Jahre 1826 ihrer 25 auf einmal geopfert wurden, sind leider nicht die einzigen Greuel unter diesem Volke. Fast noch unnatürlicher und jedenfalls noch häufiger ist der Töchter-Mord. Zwar ist dieser nicht blos bei den Konds, sondern fast bei allen Bewohnern dieser Gebirge üblich, aber das mildert gewiß nicht die Sache, sondern macht sie nur uoch grausiger. Und nicht nur die Tari-Secte, sondern auch die milderen Bura-Anbetcr thun diese Greuel. In der Regel wird keine Tochter an: Leben gelassen, nur wenn das erste Kind der Mutter eine Tochter ist, bleibt es am Leben, und von den andern nur die, mit welchen Häuptlinge von andern Stämmen Verbindungen anzuknüpfen wünschen. So hat man ganze Dörfer gefnnden ohne ein einziges weibliches Kind. Woher doch diese Sitte und wozu? Die Konds sagen: Es war immer so bei uns, und es ist nöthig. Die Weiber üben unter diesem Volke großen Einfluß im Kriege wie im Frieden, wie schon bemerkt wurde. Treubruch von ihrcr Seite ist so wenig eine Schande, daß die Frau ihren Mann frei verlassen darf nnd einen andern wählen. Aber dann muß die Morgengabe zurückerstattet werden. Diese Morgcngabe besteht in Vieh, Hausrath u. dcrgl., die der Stamm dem Jünglinge bezahlen hilft. Der Vater der Tochter be- — 227 — hält diese (Naben nicht für sich, sondern theilt sie wieder unter seine Stammesgenossen ans. Denn aus dem eigenen Stamme darf Niemand ein Weib nehmen, ware der Stamm anch noch so groß, das wäre Blutschande.*) Kehrt nun das Weib in ihr Vaterhaus zurück, so muß ihr Vater die Morgengabe zurückerstatten. Und weil er die vertheilt hat, so fordert er sie von denen wieder, welche sie empfingen. Das führt dann zu Zank und Streit und Krieg unter den beiden Stämmen, so daß die Konds das Sprüchwort haben: „Nur die eichen und mächtigen Häuptlinge, die sofort das Verlangte zurückerstatten können, ausgenommen, ist jede verhcirathete Tochter ein Flnch." Und sie pflegen zu sagen: „Durch den Tod nnsc'rcr Töchter wird das Leben unzähliger Männer gerettet, uud wir leben in ver-hältnißmäßigcm Frieden." Das ist der vermeinte Nutzen des Töchtermordes. Aber die Konds haben auch noch einen ansehnlicheren Grund dafür. Sie sagen: „Als Bura Pennn uns seine letzten Befehle gab, sprach er: „„Sehet da, ich habe ein Weib geschaffen, und wie viel habe ich und die Welt dadurch gelitten! Ihr habt die Freiheit nur so viel Weiber Hu erziehen, als ihr zu regieren vcrmögct."" So ist deuu das erste Gebet des Hausvaters der Konds um Ncichthum und um reichbegabte Söhne. Und sie meinen dadurch, daß sie die Seelen der Töchter in das Todtenreich zurückschicken, uicht nur der Hoffnung für männlichen Samen Platz Zu machen, sondern anch die Begabung der erhofften Söhne zu erhöhen. Sobald die Negierung mit den Konds bekannt wurde und vernahm, welche Grenel uuter ihnen herrschten, sann sie auf Mittel dem Unwesen zu steuern. Aber das war keineswegs so leicht. Nur ein geringer Theil dieser freien Söhne der Berge hatte die Macht der Regierung gesehen uud fühlen gelernt, die andern Districte wußten *) Dieselbe Sitte herrscht bei den Indicmem Nordamerikas, __ 22H __ kaum ctwas von der britischen Regierung und waren jedenfalls nicht geneigt sie viel zu respectiren. Dazu kam, daß die Districte fast gar keine Verbindung unter einander hatten, da sie der Wege entbehrten. So war denn jeder District gleichsam ein Reich für sich, das sich um die Welt ringsnmher wenig kümmerte. Die Regicrnng aber wollte anch nicht gleich die äußersten Maßregeln crgreifcu, sondern versuchte erst gelindere Mittel. Zu dem Ende wurden Straßen angelegt, nm die Söhne der Berge mit den Bewohnern des Tieflandes, die diese greulicheu Sitten nicht hatten, mehr bekannt zu machen, als anch nm nöthigenfalls militärische Operationen möglich zn machen. Ebenso wnrden die verschiedenen Districtc untereinander durch Straßen in Verbindung gesetzt. Währeud diese vorbereitenden Mittel in der Ausführung waren, war man gleichwohl nicht müßig, sondern snchte sofort, da wo man festen Fuß gefaßt hatte, zunächst die Menschenopfer zu unterdrücken. Schon im Anfange des Jahres 1837, gleich nach beendigtem Kriege hatten die Truppen eine Anzahl Opfer gerettet. Im December desselben Jahres, nm die gewöhnliche Zeit der Opferung, zog Capitain Campbell in den besiegten District von Gumsur, um deren Ausführung zn hindern. Er versammelte die Häuptlinge nnd sagte ihnen frei und offen, weswegen er gekommen sei nnd forderte die Auslieferung der Opfer. Nach einiger Mühe erhielt er nicht weniger als 105 Personen, die erkauft waren, um gransamer Weise geschlachtet zu werden. Die Häuptlinge mußten ihm hierauf schwören, keine Menschen mehr zu opfern. Anch nahm er zwei der Menschen-Händler gefangen. Diese Lcntc pflegten nämlich Kinder zu stehlen, nnd sie dann drn Konds als Opfer zu verkaufen. Um diese Zeit besuchte Herr Bannermann, Collector von Ganjam, einm andern District und fand die ^eute gerade beim Opferfeste. Er bemächtigte sich sofort des Opfers, erklärte den — 229 — Entschluß dcr Negiernng diese Greuel hinfort nicht mehr zu dulden, und forderte die Herausgabe der übrigen Merias, wie sie die Opfer nannten, indem er ihnen das Thörichte und Abscheuliche dieser Handlung darzuthun suchte. Das Volk aber hatte sick bewaffnet und uud erklärte ihm, daft sie der britischen Regierung weder Tribut uoch Gehorsam schuldig wären, daß sie nur thäten, was ihre Vorfahren stets gethan :c. und machten Miene ihm die Nierias wieder zn entreißen, Os gelaug ihm jedoch, sich rechtzeitig zurückzuziehen und neun Opfer zu retten. Nördlich von Gumsur im Boad- und Duspalla-Districte wurden ähnliche Versuche gemacht. Die Häuptlinge von Duvvalla unterzeichneten nach tagelanger Verhandlung ein Document, in welchem sie sich verpflichteten, von den Menschenopfern in Zukunft abzustehen, uud denjenigen in schwere Strafe zu uehmeu, der da' gegen handeln würde. Auch übergaben sie 24 Merias. Die Haupt, lingo von Boad aber wollten auf kciuen Vertrag eingehen, uud gaben auch ihre Opfer nicht heraus. Später gelaug es Zwar eiuer Tnlppeuabtheiluug acht Merias zu retten, aber siebeuzehu audere, die sie noch zn haben erklärten, waren die Häuptlinge nicht zn bewegen herauszugeben. In: Jahre 1844 wurden diese Districte wieder besucht. Mau fand, daß diese Unsitte in etwas nachgelassen hatte, denn nur drei-Zehn Merias waren in dieser Zeit geopfert, während sonst deren Hunderte waren. Auch wurden wieder Z7 Merias befreit. In einer dritten Reihe von Districten, im Westen von hier, "n den Ufern des Mahanadiflnsses, wv ebenfalls diese Unsitte herrschte, wurden ähnliche Versuche gemacht. Aber viele andere Districte waren uoch gar nicht besticht worden und die Autorität der Regierung war auch nicht über alle ausgedehnt. Mau scheute sich sehr einen Anfstand dieser wilden Bergbewohner herbeizuführen, da ihr Vand überhanpt den Europäern tödtliche Fieber brachte. Doch — 230 — war man entschlossen mit den Bemühungen fortzufahren, das Volk von der Verkehrtheit und Abschculichkeit der Menschenopfer zu übcr-zcugeu, uud nur wo dieses nichts fruchtete, Gewalt anzuwenden. Im Jahre 1842 trat Capitain Macphcrson an die Stelle Campbell's. Dieser Offizier schlug einen neuen Weg ein in Behandlung dieser Sache. Er wollte insonderheit nnr die Menschen-Händler ernstlich gestraft haben, das Volk aber wollte er durch Güte zu gewinnen suchen. Er wollte willige Häuptlinge belohnt und zu Beamten gemacht haben; insonderheit aber hoffte er von einer un-parteiischeu Gerechtigkeitspflege oiel Heil. Er meinte, das Volk sollte die bessere Pflege der Gerechtigkeit der britischen Regieruug bald so achten, lieben und schätzen lernen, daß sie aus Dankbarkeit dafür willig von ihren Opfern abstehen würden. Aber diese Methode hatte auch ihre Schattenseiten, so gut sie gemeint war. Die Freiheit uud eiuc alte Sitte, die noch dazu mit der Religion so eng zusammenhängt, giebt ein Volk nicht so leicht hin. Und dann ist auch Dankbarkeit nicht ein so gewöhnlich Ding. Wer darauf bauen wollte, würde sicherlich auf den Sand bauen, denn „Undank ist der Welt Lohn." Doch Capitain Macpherson war ein Mann von großer Energie und Hingabe in seinem Amte. Er besuchte zunächst den District von Gumsur, und ließ sich das Versprechen erneuern, das die Häuptlinge dem Major Campbell gegeben hatteu. Als er im nächsten Jahre wieder hinkam, waren nur 4 Personeu geopfert worden, aber das Verlangen des Volkes zeigte sich deutlich in der Menge der Merias, die ntan angekauft hatte. Es waren uicht weniger als 124 im Werthe von 12,000 Nup. Diese Opfer wurden natürlich befreit ,nno mit fortgenommen. Im Jahre 1844 erneuerten die Häuptlinge wieder ihr Versprechen, und hatten doch nicht weniger als 142 Merias aufgekauft, die sie zu opfern im Begriff waren. Capitaiu Macpherson befreite — 231 — auch diese und nahm sie mit sich fort. Unglücklicher Weift nahm er auf böse Verlenmdnng hin Sam Visage, das gemeinsame Haupt der MaliaZ von Gmnsur gefangen, was nachher bittere Früchte trng. Im nächsten Jahre besnchte er die Districte von Snradah nnd Pondacole, nnd da er dort in Folge des Mädchenmords einen großen Mangel an Frauen fand, so gab er 53 weibliche Merias, die er in Gnmsur gerettet hatte, den Jünglingen zn Fraueu. Er suchte ihnen begreiflich zu machen, daß diese 53 Personen besondere Schützlinge der Negierung seien, nnd daß sie sie darnm gut halten möchten. Das mag auch wohl geschehen sein, aber alle Mädchen, die, von diesen 53 Merias geboren wnrden, fand mau später acopfort. Im Jahre 1840 besuchte Capitaiu Macpherson den District von Boad. Nach einigem Zögern wnrdcn ihm wirklich 170 Merias ausgeliefert. Aber die Agenten der Gerechtigkeit, durch die Capitain Macpherson die Dankbarkeit des Volkes zu verdieneu gemeint hatte, hatten sich so böse betragen, daß das Gerücht Glauben fand, die Negierung wolle nicht nnr die Merias befreien, sondern auch für frühere Opferungen Rache nehmen und das Land ganz unterdrücken. Darauf hin sprang plötzlich Alles zu den Waffen. Die übergebeuen Merias wnrden mit Gewalt zurückgenommen und selbst das friedliche Gumsur mit audcru Districten stand gegen die Regierung auf. So mußte denn die Regierung wieder Truppen in diese Berge elnrückcn lassen. General Dyce bekam den Oberbefehl und nach vielem Blutvergießen ward der Friede nnd die Ordnung wiederherstellt. Die Konds aber hatten durch diese Operation die Macht "er Regierung kennen und respectiren gelernt, uud das war eine gute Frucht der blutigen Saat. Capitain Macpherson aber zog sich letzt von der Agentur unter den Konds zurück. Er hatte nun that-' sächlich gelernt, daß Undank der Welt Lohn ist. Nach wiederhergestellter Ordnung trat Obrist Campbell wieder — 232 — in seine frühere Stellung. Vr forderte sofort die dem Capitain Macpherson mit Gewalt genommenen Nierias zurück und befreite noch andere, im Ganzen 235 Seelen. Und im nächsten Jahre befreite er in demselben District schon wieder 206 Opfer. Obrist Campbell spricht sich über seine Wirksamkeit also aus: „Von Anfang an habe ich es den Konds offen nnd frei ansge-sprochen, zu welchem Zwecke ich zu ihnen gekommen sei. Ich sagte ihnen, daß mich die Regierung einzig und allein um deßwillen nnter sie gesandt habe, um ein für allemal den unmenschlichen und grausamen Mördereien, die sie jährlich verübten, ein Ende zu inachen, und daß wenn es nöthig sein sollte, die Ncgieruug Gewalt auweuden würde, um jedes Opfer aus ihren Händen zu befreien. Alle andern Gebräuche sollten sie frei behalten, denn die Regierung wulle ihre Freundin sein, so jemand Klage habe, der sollte sofort Gerechtigkeit finden; aber diese Nierias-Opfer, diese unmenschliche Sitte, müsse ein für allemal aufhören." „Täglich und fast stündlich waren diese wilden Bergbewohner in meinem Zelte, nnd ich ermüdete sie uud mich selbst mit allen nur möglichen Gründen, mn sie Zu bewegen von dieser Sitte abzustehen, die so grausam und lasterhaft ist, in den Augen Gottes und der Menschen. Ich wies sie hin auf die Districte Saranguda nnd Degi, die so fruchtbar seien, obwohl nie Menschenopfer dargebracht würden-Ich wies sie ans ihr eignes Gesetz hin, das da fordert Leben für ^eben, und forderte sie auf zu beweisen, das dieses Gesetz nicht auch gegen sie als Mörder der Merias zenge. Ich gestand ihnen nicht einen Augenblick zu, ihren unmenschlichen Gebrauch als einen „„be-klagenswcrthen Irrthmn"" anzusehen, sondern ich suchte ihneu hinlänglich klar Zu macheu, daß diese Unsitte ein abscheuliches Ver-brecheu sei." „Ich habe keine geheimeu Spionsmittel angewandt, sondern ich habe offen nut ihnen gehandelt nnd diese Sitte als ein Verbrechen — 233 — bezeichnet, welches die Regierung länger dulden weder wolle noch könne. Ich orwähne das deswegen, weil der Erfolg erwiesen hat, baß cinc freie und kühne Handlungsweise dem Leise treten der vorigen Tage vorzuziehen ist." „Wenn die gegenwärtige Generation nnd vielleicht ihre Kinder dergangen sein werden, wenn wir durch Schulen nnd andre Mittel der Bildung den Lauf ihrer Gedanken, Anschauungen und Gefühle werden geändert haben, dann hoffe ich werden sie im Stande sein, einzusehen, daß diese Sitten thöricht, nutzlos und sündig sind. In ber Gegenwart aber müssen sie es lassen aus bloßer Nothwendigkeit, wenn sie nicht der obrigkeitlichen Strafe verfallen wollen, was sie weislich vermeiden werden." „Ich habe den großen Vorgänger aller Civilisation, das Evan-Aliuin, nicht genannt, nicht darum, weil ich seinen Nutzen für ^cse wilden Stämme nicht einsehen sollte, sondern darum, weil cs Nlcht Aufgabe der Regierung ist, derlei einzuführen. Ich habe 1^'doch die Hoffnung, daß zn seiner Zeit diese armen Wilden von ^chrcrn einer höheren Weisheit werden besticht werden, als die Menschlich? ist." Anch auf die Mädcheumorde hatte Obrist Campbell ein wachsames Augc. Er machte öfter Besuche iu deu verschiedenen Distric-tw, bedrohte die Häuptlinge, wo ein Mißverhältnis; der Geschlechter unter den Kindern den Töchtermord anzeigte nnd belohnte diejenigen, lvo das rechte Verhältniß das Aufhören dieser Unsitte nachwies. Und dazu ließ er alle diese Stämme fort nud fort beobachten. Nach fünfjährigen Bemühungen in dieser Weise zeigten sich "wn anch die gesegneten Erfolge. Denn, um nur eins zu erwähueu, M Distrittc Suradah, das 70 Dörfer und 2150 Familien enthält,, waren im Jahre 1848 nicht 50 Mädchen zn finden. Im Jahre 1853 aber wurden in demselben Districte 900 Mädchen gefunden, unter vier Jahren alt. — 234 — Der Mcricis aber, die in demselben Zeitraum gerettet wurden,-sind nicht weniger als 2000 an der Zahl. Von diesen hat Obrist Eampbelt allein 1500 gerettet, Capitam Macpherson 400, und 100 uuirden durch Bannermann und Andere befreit. Und was ist ans diesen Merias geworden? Die Erwachsenen haben geheirathet und von der Regierung kleine Baucreicn erhalten^ andre sind ihren Eltern zurückgegeben worden, 150 starben, 80 entliefen, andre sind in Dienste getreten und mehr denn 200 sind m den Waiseuschulen der Missionare, wo sie eine christliche Erziehung, erhalten. Einst waren diese Meria Kinder der Kostschnle zn Bcrhamporc vor der Thüre, als eine Anzahl neuer Opfer ankam. Ihre Namen-wurden verlesen, unter welchen auch der Name Dasia vorkam. Bei Nennung desselben sprang plötzlich ein kleiner Knabe, Namens Philipp, ans der Reihe der Schüler nnd rief: Dasia! Dasia! o mein Brnder! nnd damit fielen sich die Kinder um den Hals. — Iu ähnlicher Weise crtanutcn sich mehrere wieder, und die Kinder wußten manches zu erzählen von den Opfern, deneu sie beigewohnt hatten. — Diese edlen Bemühungen der Regierung, ein Volk aus der Barbarei, so viele Menschenleben von: Tode zn retten, wen sollten sie nicht frenen? Daß Gott der HErr der Wege so viele hat, auf welchen Er sein Reich kommen läßt zu den verschiedenen Völkern,-wer sollte Ihn dafür nicht preisen? Daß Er insonderheit so väterlich gedenkt derer, die da noch nicht wissen, „rechts oder links", der armen Kinder — ihre Leiber nicht nur vom unzeitigeu Tode, sondern ihre Seelen auch vom ewigen Todc zu retten sucht — wer sollte Ihn dafür nicht anbeten! Du aber, geliebter Leser, der du hiermit aufs nene einen Blick in die Macht des Heidcnthums gethau hast, danke (Nott für das Ächt, das Dir scheinet, und bitte Ihn, °hic helle volle Sonne der — 235 — Gerechtigkeit mit ewigem Heil unter ihren Flügeln doch recht bald auch diesem Volke aufgehen zu lassen. Schaurig ist ja gewiß der Heiden Macht, in welcher der „Mörder uon Anfang" seine Lust zu morden, Leib und Seele, schier nngcbmdrrt ausüben darf. Bete, daß sein Reich zerstört, das selige Reich unsers ewigen Friedensfürsten aber erbauet werde überall. Nur in diesem Reiche ist Leben, Frieds unk Freude. Es bleibe bei dir und komme Zu Allen! Amen. 2. Die Nilassiris oder blauen Verge in Indien. Wenn in heißen Bändern sich Berge aus dor Tiefebene plötzlich zu einer bedeutenden Höhe erheben, so nehmen sie, durch die Mischung der kältern und wärmern Atmosphäre, gern eine blanc Umhüllung an. Ist dann kein andrer Name für sie vorhanden, so werden sie zuweilen nach dem Angenschein „blcine Berge" genannt, wie z. B. auch die Südspitze von Afrika ihre Blnbergs d. i. blauen Berge hat. In dem noch viel heißeren Südindien tritt das Blan der blau genannten Berge, der Nilagiris, noch deutlicher hervor. Schon einige Tage, ehe ich sie erreichte, sah ich aus meinem Ochscnwagcn die in Blau gehüllte Berginsel vor mir liegen. Anfangs erschien sie wie ein Nebelgebildc ohne bestimmte Umrisse, nach und nach traten einzelne Gruppen näher hervor und des Nachts sahen viele Stellen iil der halben Höhe wie erleuchtet aus. Das waren Waldfeuer, sagten mir meine Begleiter. Wie in einen blauen Schleier gehüllt, lag endlich die lnftige Berginsel dicht vor mir nnd wir hielten vor dem letzten Ruhehausc an ihrem Fuße. Ich meinte, die guten Berge sollteil etwas von ihrer frischen Luft herabsenden in's Tiefland, dem armen Kranken zur Erquickung, aber sie behielten alles Gute für sich. Ja sie wehrten auch noch dem Äiftzuge des Tieflandes, seinen Gang zu gehen, so daß wir eine Nacht zubrachten wie lm Backofen. Am andern Morgen um drei Uhr brachen wir anf. Eine Anzahl Ochsen stand bereit, unsre Ncisekoffer ic. sich auf den Rücken — 237 — laden zu lassen und damit die Bcrgo-hiuauf zu marschiren. Eine Anzahl Männer dagegen nahmen die Kisten mit dem Küchengeräts mit Tellern, Tassen, Schüsseln, Windleuchtcrn nnd was sonst an dergleichen zerbrechlichen Dingen zur indischen Hanshaltung gehört Mid ans Reisen mitgenommen werden muß. Je zwei banden eine Kiste in die Mitte einer Bambusstange, hoben die Enden derselben "uf ihre Schultern und schritten damit voran. Nur was sich nicht zerbrechen ließ, ward den Ochsen anvertraut. Denn sie fallen zuweilen hm oder legeu sich auch wohl absichtlich auf die Seite und ^rdrucken dann, was sich von ihrer Ladung zerdrücken läßt. Wir selbst vertauschte,: uuscru Ochsenwagen mit einem Mandschil. Das ist eine lange starke Bambusstauge, in dereu Mitte eiu Stück Drillich, ui Form einer Hängematte befestigt ist, 6 Fuß lang nnd 2'/2 Fuß breit. Ueber derselben ist noch ein eben solches Stück Zeng ange-bracht zum Schutz gegen die Sonne. Das nntere dient dem Rci-senden zum Lager, denn sitzen kann man der über den Kopf nnd den ganzen Leib hingehenden Stange wegen darin nicht. An jedem Ende "lescr längeren Stange sind je zwei kurze Querstangen befestigt, so daß 8—1^ Mann ihre Schultern darunter stellen können. In einem solchen Mandschil trugen uns die Männer den 6 Meilen breiten sieberischcn Dschungel am Fuße der Berge hindurch und dann begann das Steigen. In der tiefen Schlucht eines Bergstromes ging es hinauf. Mit vielen Kosten hat die englische Regierung au der ^eite derselben eine Straße erbaueu lassen. Auf der einen Seite dieser Straße steht dichter Wald oder starre schroffe Felsen in die Höhe, während auf der andern eine gewaltige Tiefe gähnt, in welcher s^ch der Bergstrom brausend nnd schäumend von Fels zu Fels stürzt, ^'s war ciu neuer Anblick erhebender Art. Nie so anders war es )^r, als in dem einförmigen flachen Ticflande! Was noch von Lebenskräften übrig war, fing sich wieder an zu regeu. Noch mehr als wir staunten unsre Eingebornen ans dem Tamulenlaude. Einer — 238 — von ihnen hob seine Anne empor und rief wiederholt: „Welch ein Wunder Gottes! Welch ein Wunder Gottes! Das Wasser kommt von oven herunter gelaufen!" Es schien fast, als ob es der Mann natürlicher gefunden hätte, wenn das Wasser von unten hinauf gelaufen wäre. Aver er hatte es sein Leben lang aus der Tiefe der Brnnnen heranfschöpfen sehen uud selbst schöpfen müssen, darnm war es ihm so staunenswerth, daß es hier von oben herab uns frei entgegen kam. Bei großer Schwüle, denn auch die Nacht war unerträglich heiß, waren wir schon vor Tage aufgebrochen. Nach und nach, als wir höher hinaufkamen, fühlteu wir uns kühler, so daß wir dald sogar nach deu wollcuen Decken griffen und uns fest darein hüllten. Nach 6 bis 8 ständiger Tour erreichte« wir die Station Kunuur, die erste Ansiedlung der Europäer auf deu Bergen. Wir waren etwa 6000 Fuß hoch über dem Meere. Sobald wir das Rasthaus erreicht hatten, eilte ich zum Kamm an's Fencr, denn mir klapperten die Zähne. Welch ein Wechsel! Vor wenigen Stuuden noch halb vergehend in der Hitze, jetzt klappernd vor Frost! Hier besuchte mich Missionar Schafftcr, den auch die Krankheit aus dem Tiefland in die Vergluft getrieben hatte. Schaffter war einer der ältesten Missionare Iudicns uud mit Rhenius, vi. Beruhard Schmidt uud Lechler zusammen nach Indien gekommen. In den Streit, den Rhenius, mit der englisch-kirchlichen Mis' sionsgellschaft hatte, wareu auch sie verwickelt. Nach Rhönins' Tode war es jedoch mit der Sonderstellung alsbald vorüber. Schafftcr blieb bei der englisch-kirchlichen Missionsgesellschaft, aber er setzte es durch, daß seilte deutsche Ordination anerkannt wnrde. Sonst ordinirm die Engländer aus falscher Ueberhcbung des bischöflichen Amtes alle Geistlichen, die schon ordmirt in ihre Verbindnng treten, noch einmal. Schaffter war der einzige, der darin eine Ausnahme machte. Er war ein tüchtiger und treuer Diener seines Herrn. Von Kunnur ging es dann am nächsten Tage noch gegen ^l)0l> Fuß höher hinauf nach Utatamaud. Das ist eiue sehr ausgebreitete 'Europäer-Stadt mit ganz eigenthümlichem Charakter. Straßen giebt es eigentlich nicht, sondern an den Abhängen der vielen wellenförmigen Berge, über die sich die Stadt erstreckt, liegen die Häuser ,zwci-, drci-, vierfach übereinander. Zu jeglichem Hause führt ein besonderer Weg. Gewöhnlich lehnt sich die hintere Seite des Hanfes an die höhere Seite des Berges, während vorn ein kleinerer oder größerer Halbkreis geebnet nnd mit Blumen nnd Sträuchern bepflanzt ist. Die Häuser, die in den Thälern liegen oder an weniger steilen Bergen, haben oft ausgedehnte nnd gar schöne Gärten. Fast alle Gewächse der heißen wie der gemäßigten Zonen wachsen hier üppig im Freien. Denn in den Mittagsstunden brennt die Sonne mit indischer Kraft, so daß sich Europäer ihr auch hier nicht aussetzen dürfen. Die Morgen und Abende dagegen sind wundervoll kühl uud angenehm, so daß man fast das ganze Jahr hindurch, namentlich des Morgens, ein Kamiufener uutcrhält. Zum eigentlichen Frost aber und zum Schnee kommt es nie. Was den ans dem Tieflande Plötzlich hierher versetzten Europäer, namentlich den tranken, so besonders frieren macht, das ist die sehr verdünnte Atmosphäre. Diese hat bei häufigen Winden etwas so durchdringendes, daß einem "ft wirklich, so zu sagen, das Herz im Leibe friert. Wenn aber die Lebensgeister des Kraukeu sich wieder eiu wenig erholt haben und die Haut an die Luft gewöhnt ist, so ist die Bergesfrische gar angenehm und startend. Das Tiefland nimmt die schönsten rothen 'Wcingen in wenigen Wochen hin, und macht alles bleich und fahl. Die Berge dagegen bringen in Jahresfrist die rotheu Wangen "Wieder. Freilich geht es damit unten bald wieder wie mit manchen pflanzen, die man von obeu herunter zu versetzen gesucht hat: sie Welken nnd sterben ab, da ihnen die nöthige Frische fehlt. Aus allen Theilen Südindiens, ja selbst aus Beugalen kommen Kranke hierher nnd sucheu Wiederherstellung der verlorneu Kräfte, — 240 — Andre haben sich ganz hierher zurückgezogen und verzehren ihre Pension hier statt in England. Darum haben die Engländer auch zwei. Kirchen anf diesen Bergen erbaut, und auch die Katholiken haben eine. Mau kann sich kaum eine schönere Lage und Einrichtung denken, als mau hier bei den Katholiken fiudet. Oben auf dem Berge liegt die Kirche und die Wohnung der Priester, der ganze Abhang des Berges dagegen bis znm Fuße hin ist mit den Wohnungen ihrer eingebornen Christen bedeckt: so daß die Priester jedes Haus derselben sehen können, so oft sie hinuuterblickcu, die Christen aber alle hinaufschauen müssen zu ihrem Gottcshause, als zu dem Berge, von welchem ihnen Hülfe kommt. So oft ich dort vorbei kam, freute ich mich dieses schöne» Anblicks. Aber oft hörte ich, daß es nur im Aeußern so schöu ist; daß die Gemeinde eine gar böse sei, sagten mir Katholiken selbst. Es ist eben damit wie fast mit allem in der römischen Kirche. Viel äußerer Schein, wenig inucrcr Gehalt. Viele gute christliche Ordnungen, wenig gutes christliches Wesen. Ein Reichthum an äußeren Formen, eine Armuth an innerem Leben. Viel Meuschcnfurcht nud Priestergehorsam, wenig Gottesfurcht und neuer Gehorsam des Glaubens. Die Priester selbst haben viel Klugheit dieser Welt, aber wenig Weisheit zum ewigen Leben, deren Anfang die Furcht Gottes ist. O kehre wieder Rom, uud bedenke wovon du gefallen bist! Die englische Hauptkirche liegt auch schön an der Seite ciues Berges. Es ist ein sehr anständiges geräumiges Gebäude und füllt sich an den Sonntagen ganz mit anbetenden Christen. Uebcrhaupt ist's sehr hübsch auf dcu „blauet: Bcrgcu". Es giebt da viel Erquickuug leiblicher nud geistlicher Art. Aber Hütten bauen zum Bleibeu? Nein! Es ist ein Paradies im Vergleich zum sengenden Tieflande, aber es ist ein Paradies mit der Schlange darin. Rings um die Kirche liegen die Garben des Schnitters, der Tod heißt. Es ist noch eine andrc Ruhc vorhanden dem Volke — 241 — Gottes. „Schickt das Herze da hinein, wo ihr ewig wünscht M sein!" Die Berge, die Utakamand rings umgeben, sind kuppelförmig And zum Theil, au den Abhängen, bewaldet. Die Wälder, welche freilich keine deutschen Holzarteu enthalten, sind gar anmuthig und schöu. Maucher muutcre Sänger läßt sich darin hören uud zuweilen rauschen gewaltige schwarze Affen an einem vorüber. Sie springen von Baum zu Banin mit großer Kraft uud Gewandheit lind erfüllen die Einsamkeit mit gar nicht sehr angenehmen Töuen. Seltner wird nun schon das Elenuthier, da so häufig Jagd darauf gemacht wird. Leoparden und Tiger aber wissen sich noch zu halten. Während meiner Anwesenheit wurdeu auf einer Stelle, die ich nachher einigemal passirte, zwei Meuschen, ein Manu und eme Frau, oeim Grassammeln vou Tigern gefressen. Der höchste, aber uicht schönste Berg bei Utakamand ist der Dodabetta, 8640 Fuß hoch. Auf dem Gipfel desselben liegt das „Steruenhaus", wie die Eiugeboruen das Observatorium ueunen. Der Blick auf das tamulische Tiefland ist Rm hier recht hübsch, gleicht aber iu keiucr Weise der herrlichen Aussicht, die mau vou Manchen viel niedrigeren Bergen in Deutschland haben kann, wo Man Städte und Dörfer weit hin Übersicht uud die Schattirung bebauter Felder das Auge erquickt. Ein viel interessanterer Berg, wenn auch um etwas weniger hoch, als der Dodabetta, ist der Snowtou. Wie ein gewaltiger Zuckerhut liegt er da, und der Weg führt in vielen steilen Zickzacks hinauf. Es kostet viel, seine Spitze Zu erreichen, aber oben angekommen, kann mau sich uicht sobald von ^M trennen. Neben eiuer herrlichen Aussicht auf die Berge selbst hat man nach zwei Seiten hin einen Blick in's Tiefland. Zwar 1lcht man anch hier uicht, wie von deutschen Bergen, Städte uud Dörfer mit emauder abwechseln, aber von einer kühlen Höhe auf das Muthlaud zu seiueu Füßeu 8000 Fuß hmabschaucn zu können, 16 — 242 — hat doch immer einen eigenthümlichen Reiz. Wenn wir einst von den Höhen jener Berge, von welchen nns Hülfe kam, auf die Erde blicken werden, „in's dunkle Thal, das uns zu Füßen liegt," dann wird es noch eine ganz andre Frcnde sein, voll Ruhe und voll Sicherheit, wie sie nur auf jenen Bergen zu haben ist. Aber etwas Verwandtes mit dem Blick von kühler Höhe in's lcioenvolle Gluthland hinab wird es doch sein. Die, interessanteste Bergesspitze der ganzen Nilagiris ist aber der Mukati Pik, 7900 Fuß hoch. Er liegt 17 englische Meilen von Makamand nach dem Westen zu. Ich hatte diese eigenthümlich geformte Spitze, die nach einer Seite hin ganz senkrecht abfällt, so oft gesehen und aus der Ferne bewundert, daß ich mich endlich entschloß, sie auch zu besuchen und Zu besteigen. Auf dem ganzen langen Wege hin kam ich nicht durch ein einziges Dorf, wiewohl ich einige verlassene Todava-Mands (Dörfer) zur Seite liegen sah. Die Ebenen fand ich alle mit hohem Gras bewachsen und von ansehnlichen Flüssen durchzogen; da ist Naum genug für noch viele Ansiedelungen der Europäer. Das^ Reitpferd konnte bald nicht mehr höher und mußte unten zurückbleiben. Mit zwei Begleitern erreichte ich die steile Spitze. Hier erklärte sich das eigenthümliche Aussehcu derselben: ein Bergsturz hatte stattgefunden, wie er auf den Nilagiris nicht selten ist, und hatte die eine Hälfte des so schon steilen Berges gespalten und iu die Tiefe hmabgeworfen. Wohl 2000 Fuß tief lagen die gesunkenen Felsblöcke in einem engen tiefen Thale, und die stehengebliebene Hälfte des Felsens war scharf wie mit einem Messer abgeschnitten. Ich leide nicht an Schwindel, aber hier mußte ich mich doch hinsetzen oder vielmehr hiulagern, um sicher in die Tiefe hinunter schauen zu können. Kein Wuuder, daß dieser Berg und diese Schlucht auch iu einer interessanten Sage der Bergbewohner eine Rolle spielt, die wir später noch kennen lernen werden. Von dieser Höhe aus kann man das Tiefland nach drei Seiten — 243 — hin sehen, nnd bei besonders klaren: Wetter soll man sogar den Meeresspiegel bei Ccilicnt an der Westküste Indiens erkennen. Den sah ich jedoch nicht. Was ich aber znerst erblickte, erfüllte mich mit Staunen. Ich sah die ganze weite Fläche des Tieflandes wie mit Schnee bedeckt, worin der Wind kleinere und größere Vertiefungen gebildet hatte. Es war eine angenehme Uebcrraschnng, wiewohl eine Täuschung. Der scheinbare Schnee war nichts anderes als weiße lichte Wolken, dicht an einander gedrängt, die vielleicht um :)0W Fuß über dem Ticflandc schwebten und, in die Verg-Aus lä'ufer eingeengt, unbeweglich waren, während ich noch 3000 Fuß höher stand und auf sie hinabschantc. Noch oft habe ich nachher diesen köstlichen Anblick gehabt, von oben herab auf die Wolken in der Tiefe schauen zu können. Es ist uns dabei, als ob der Himmel uns näher wäre, oder wir dem Himmel. Die Erde liegt zu nnsern Füßen und auf ihr die Wohnungen der Menschen. Wie sehen sie so klein aus, von Oben gesehen, und wie groß dünken sich oft, die darinnen wohnen! Wie viel Erdcnweh bergen oft vier kleine Wandel Und wie viele sind der Wohnnngen, die zn Hüttcu Gottes geworden sind durch sein Wort und feine Gnade? — Etwa nach einer Stunde erhob sich der Wind, die Wolken fingen an sich zu bewegen, lösten sich auf nnd stoben auseinander. Da lag nnn das Tiefland vor wir in mancherlei Schattirungen. Nnr Wohnstättcn der Menschen sah ich hier nicht. Wie schön wäre es doch, wenn das Land der Tamulen hier "ben läge. Es müßte sich noch einmal so gut den Heiden predigen lassen, wo die hehren Werke Gottes das Herz so sehr emporheben, ^nd inmitten dieser Berge Gottes müßten die Götzen, das Werk "er Menschenhände, besonders nichtig erscheinen. Die Menschen selbst aber, die müßten sich hier viel eher schämen, todte Götzen anzubeten, wo der lebendige Gott so viele Wuudcr seiner Allmacht hingestellt nnd znsammengchänft hat. So denkt der Mensch nnd — 1«* — 244 — irrt sich. Denn die Bewohner dieser herrlichen Berge sind so zähe Götzendiener oder doch so die Finsterniß liebende Heiden, wie irgend welche im einförmigen, erschlaffenden Ticflande. Hart wie ihre Berge sind ihre Herzen. Und wie sich dem steinichten Gebirgs-boden nnr mit vieler Mühe sein Vermögen abgewinnen läßt, so schwer ist es auch, anf dem versteinerten Herzensbodcn die Früchte des Evangeliums erwachsen Zu sehen. Ein Blick auf die Bewohner dieser Berge wird das Nähere zeigen. Die ältesten Bewohner der blanen Berge sind die Todawas. Sie sind auch die höchsten Bewohner derselben, indem die übrigen sich etwas tiefer hcrnnterhalten nnd ihre Dörfer an die Abhänge der Berge setzen. Und wie das älteste nnd höchste, so sind sie auch von allen das seltsamste Volt. Kaum KM) Seelen an der Zahl, haben sie eine eigene Sprache, eine eigene Religion, besondere Beschäftigungen, Lebensweisen und Sitten, und ein von allen sonstigen Bewohnern Indiens verschiedenes Aussehen. Es find große kräftige Gestalten von heller Hautfarbe uud etwas gelocktem, rabenschwarzem Haar. Ohne Kopfbedeckung wie ohuc Schuhe geheu fie in jedem Wetter einher, den Unterkörper wie den Oberkörper in ein nngcuahtcs Stück groben baumwolleuen Zeuges gehüllt. Bei weiteren Wegen haben sie einen langen Stock, richtiger eine Keule iu der Hand, womit sie leicht über rauschende Bergbäche springen oder, wenn nöthig, einen Büffel mit einem Schlage erlegen, und welchen sie, wenn sie sterben, mit ihrem Leichnam verbrennen lassen, damit sie ihn auch in jener Welt gleich zur Hand haben möchten. Ebenso sind die Todawa-Franen gewaltige Gestalten mit offenem Angesicht, reichem schwarzen Haar und schweren Messingringcn an den Annen. Ihr Benehmen einem Fremden gegenüber ist durchaus frei, Zuweilen auch etwas dreist und zudriuglich mit ihren: einzigen Anliegen: )un!».M! ^n^in! (d. i. Gabe, Almosen), aber frech und unanständig habe ich sie nicht gefunden. — 245 ^ Dieses eigenthümliche Volk beschäftigt sich einzig mit dem Weiden seiner zahlreichen Büfselhcerden. Doch sind sie nicht eigentliche Nomaden mit unstäter Lebensweise, sie wohnen vielmehr an festen Plätzen, in kleinen Dörfern, Mands genannt, die meist nur aus fünf, sechs Hütten von eigenthümlicher Banart bestehen, aber immer eine Art Heiligthum in geringer Entfernung haben. Die Hütten sind in Gestalt eines Halbkreises gebant, in der Mitte eben hoch genug für einen Mann darin zn stehen, während die Länge auch nur etwa 10 Fuß beträgt. Die eine Hälfte ist etwas erhöht und dient zum Lager, während die andere tiefere zum Kochen :c. benntzt wird. Der Eingang ist äußerst unbequem und mir eben so weit, um hiu-durch kriechen zu können. Ein vorgeschobenes Brett dient als Thür; ist es vorgeschoben, so ist der innere Raum finster, denn Fenster oder dergleichen hat die Hütte nicht. Doch ist eine solche Hütte eigentlich nur eine Zuflucht iu der Nacht und bei schlechtem Wetter, sonst wird das Freie vorgezogen. Manche dieser Todawa-Mands haben eine köstliche Lage und bieten eine wunderschöue Aussicht, aber in ihrer nächsten Umgebung findet das Auge wenig Erfreuliches. Denn der Boden umher bleibt völlig unbenutzt liegen; da giebt's kein Säeu auf Hoffmmg, und also auch keiue Freude der Ernte. Es ist ein wilder und heidnischer Anblick. Die Büffel der Todawas, ihr eiuziger Reichthum uud Stolz, smd gar uubändige Thiere. Sie gehören zwar zu derselben Race, wie im Ticflande, aber dort sind sie sehr trage uud dumm. Sie geheu dort etwa aus Faulheit einem Fußgäuger nicht aus dem Wege und sind auch nicht besonders empfindlich gegen seinen Stock, aber ihn anzugreifen denken sie nie. Auf den Bergen dagegen ist man Zuweilen iu wirklicher Lebensgefahr vor diesen Unholden. Sie neh-wen keine Belehrung an und scheuen keine Drohung, und halten da-äu fest zusammen. Ihrer eine gnte Zahl sah mich einmal mit einem Begleiter meines Weges gehen. Wir waren iu ziemlicher Eutfer- nung von ihnen Ilnd dachten nichts Böses. Dieser Gesellschaft aber schien nnser Wandel nicht zu gefallen, sie kamen näher nnd näher, uns genau anzusehen, und bildeten zuletzt einen verdächtigen Halbkreis um uns herum. Mein Begleiter hatte während ihrer Annäherung sie zu belehren gesucht nnd ihnen anch mit seinen: kräftigen Stäbe gedroht. Aber sie achteten der keines, sondern traten immer noch einige Schritt näher an uns heran. Endlich, als mein Begleiter das Wilde ihres Auges sah (und er kannte es genan, denn er hatte schon oft sein Heil in der Flucht suchen müssen) sagte er: Nun ist es Zeit, wir müssen laufen, ehe diese ganze Horde auf uns losstürzt und wir verloren sind. Aber ich durfte nicht viel Vertrauen in meine Fersen setzen und hätte eiue vielleicht längere Flucht nicht leisten können. Ich versuchte daher erst noch einen Angriff. Ich näherte mich dem wildesten Thiere nm einige Schritte nnd sandte ihm etliche eckige Steine aus voller Äraft in die Seite. Nun aber ward sein Aussehen erst recht wüthend und es schien sich ohne Verzug auf mich losstürzen zu wollen. Ich war in wirklicher Gefahr und anch ernstlich besorgt. Aber ich hatte der Steine einen ganzen Arm voll und richtete sie so schnell und so kräftig, als ich vermochte, alle auf einen Punkt. Das half. Das Thier machte eine Wendung und trat etwas zurück. Sogleich folgte die ganze Heerde seinem Beispiel. Einige Steine hinterdrein brachten sie vollends in die Flucht und wir konnten ungehindert unseres Weges weiterziehen. Wie ernst aber ein solches Begegnen werden kann, zeigt ein Fall mit einem Engländer, der zu Pferde nahe bei einen: Wohnhause von einer Schaar solcher Unholde angegriffen und so gefährlich verwundet wurde, daß er nur durch schnell herbeieilende Hülfe ihren Hörnern entkam. Um diese Büffclheerden bewegt sich, wie gesagt, das ganze Leben der Todawas, und selbst ihre Religion, so viel sie davon haben, bewegt sich um die Büffel. Das Melken derselben nnd namentlich ^ 247 — das Buttern ist ein heiliges Geschäft und darf nur durch besonders dazu eingeweihte Personen geschehen. Diese Einweihung war früher ernster Natur, jetzt ist's nur uoch ein leeres Spiel. Der Anfang geschah damit, daß der Einzuweihende alle seine Kleider abwarf und damit gleichsam sein früheres weltliches Leben. Völlig bloß lebt er nun im tiefsten Walddickigt, bestreicht seinen Leib mit einem Pflanzensaft, badet daun und genießt zu Abend etwas geröstetes Mehl. Nach acht solchen Weihetagcn ist er Zum Amte geschickt und heißt «un Palal, d. h. Milchmann. Er trägt fortan ein schwarzes grobes Gewand um seine Lenden und hat mit der Welt völlig gebrochen. Niemand darf es wagen, ihn anzureden. Er selbst lebt schweigend, von seiner Familie, von seiner Gattin und Kindern geschieden. Er soll durch nichts Irdisches gestört werden und sich nur mit der Gottheit beschäftigen. Der arme Mann, was mögen da für Gedanken m seinen leeren Kopf kommen! Oft werden solche Leute sehr stumpf und dumm, zuweilen aber auch sehr verschmitzte und Pfiffige Gauner, die da vorgeben, von der Gottheit besessen zu sein und sich dabei wie wilde Thiere geberden, wodurch sie alles, was Todawa heißt, in großen Schrecken versetzen. Diese Gottheit aber wohnt eigentlich in einer Kuhschelle, oder wird doch durch eine solche dargestellt. Die ist dann besonders heilig und wird in den Todawa-Heiligthümcrn aufbewahrt. Der Gott selbst wird der Schclleugott genannt. Ist der Priester endlich seiner Einsamkeit, seines Melkens und Bntterns Müde, so kann er sein Amt verlassen und wieder zu seiner Familie zurückkehren. Wä'hreud seiues Amtes aber steht ihm ein Gehülfe zur Seite, Kawilal, der Wächter genannt. Das Gebet der Todawas ist ein sehr einfaches. Sie legen den Daumen der rechten Hand auf die Nasenspitze, berühren mit den ausgespreizten Fingern die Stirn und sprechen: „Möge alles wohl gehen!" Das ist ihr Gebet. In das Blaue hinein, ohne Anrede, vhne Vorstclluug einer Persönlichkeit wird ihr Wunsch den Lüften — 248 — anvertraut. Gott und sich selbst nicht erkennend, wandeln sie im Finstern und wünschen, daß alles wohl gehen möge, ohne auch nnr recht zu denken, was. „HErr, lehre uns beten!" Wie nöthig war diese Bitte der Jünger. Wer es gelernt hat, der übe es doch rechts auch für die armen Todawas, die selbst nicht beten können. Aber nicht dieses Leben allein, auch jenes noch dreht sich bei den Todawas um die Büffelheerde als um seinen Mittelpunkt. Wie könnte das auch anders sein. Mehr oder weniger ist es ja bei allen Heiden der Fall, daß sie das zukünftige Leben nur eine andre, verbesserte Auflage dieses Lebens seiu lassen. So nimmt denn, wie der Indianer sein Jagdgewehr, um dort wieder jageu zu können, so der Todawa im Tode seine Büffel mit, nm sie dort wieder zu weiden nnd von ihrer Milch sich zu nähren. „Begleite den Geist des Verstorbenen in das große Land!" so heißt der Befehl, der jedem Büffel besonders ertheilt wird, wenn er unter den Keulen der Todawas meist auf einen Schlag zusammensinkt, nm seinem Herrn zu folgen-Dann wird die Leiche auf den Scheiterhaufen gelegt und angezündet. Das Fleisch der Büffel aber wird von den Kohatas, einem andern Gebirgsstamm, verzehrt. Doch damit ist der Verstorbene noch nicht vergessen' nach Jahresfrist wird noch eine größere Todten-feier gehalten und noch mehr Büffel dem Geschiedenen nachgesandt. Schmausen und Wehklagen wechselt bei dieser wunderlichen Feier mit einander ab. Stirn an Stirn gelehnt, sitzen die ernsten Männer zwei und zwei bei einander uud jammern dem Verstorbenen nach: „Wie ist jetzt dein Befinden, o Brndcr? „Leidest du am Fieber?" „Gedeihen deine Büffel?" „O warum hast du uns so bald verlassen?" :c. Hcnlend stimmen die Weiber in diese Todtenklage mit ein. Ihre Geberdcn zeugen von dem allertiefstcn Schmerze, ihr ganzer Leib zittert vor Trauer der Seele. Und doch können sie wenige Minuten darauf sich wieder mit einander unterhalten, als ob gar nichts geschehen wäre. Man hat darum gemeint, die ganze — 249 — Trauer sei nur eine äußere Ceremonie und etwas Gemachtes, was jedoch keineswegs der Fall ist. Jenes Volt. wie die Asiaten überhaupt, hat eben eine andre Art, als wir. Die innere Empfindung erfordert bei ihnen äußere Formen, die dieser Empfindung entsprechen, dann freilich auch gern noch darüber hinaus geheu, um sie zu unterstützen. So ist es bei der Freude, wie bei den: Schmerze. Aber leer und nur äußerlich gemacht sind die Formen darum nicht. Die Frau, die um eines wiedergefundenen Groschens willen die Nachbarinnen zusammen rufen und sie zur Theilnahme an ihrer Freude auffordern konnte, freute sich wirklich, wie sehr auch die Form ihrer Freude über das Maß hinans geht, das uns natürlich und gewöhnlich ist. Mit der Trauer ist es ebeuso. Wir verschließen sie in unser Herz, und ist sie recht groß, so wird das Herz von ihr zu--sammcngepreßt und ist außer Stande, sie Andern mitzutheilen. Der Asiate geht damit sogleich nach außen nnd thnt es aller Welt kund, welcher Art und wie groß sein Schmerz sei. Die Todawas sterben aus, trotzdem daß der Töchtermord, der früher nnter ihnen stattfand, mm wohl nicht mehr vorkommt. Doch Mit Sicherheit wird man letzteres kaum sagen können. Pielmä'nncrei besteht noch nnter ihnen, und zwar dem Rechte nach. Wenn einer unter mehreren Brüdern hcirathet, so wird die Geheirathete das Weib aller Brüder. Dasselbe gilt, wenn auch alle Brüder bereits verheirathet sind. Und zwar reicht dieses unnatürliche Recht noch weiter, als die Praxis, die doch etwas mehr in die Bahn der Natur einlenkt. Aber ein eigentliches Verhältniß zwischen Vätern und Kindern findet darum doch kaum statt. Denn die Kinder gehören den Brüdern allen, das älteste dem ältesten, das Zweite dem zweiten:c. Da ist denn auch der Töchtcrmord leicht erklärlich. Der sein sollende Vater wollte einen Sohn haben — die Tochter wirft er von sich. Die Mütter indeß lieben ihre Kinder nicht weniger, als andre Eltern. Bei einem Besuche ihrer Mands mit meiner Familie kam — 250 — eine junge Frau und bat, unser Kindlein, das nur wenige Monate alt war, in ihre Arme nehmen zu dürfen. Die Mutter hatte natürliches Bangen, doch gewährte ich der fremden Frau die Bitte. Sie nahm das Kind, hielt es mit großer Zärtlichkeit und wandte ihren Blick nicht eine Sekunde lang von ihm. Zuletzt perlten große Thränen alls ihren Augen, sie fing bitterlich an zn weinen, gab das Kindlein seiner Mutter wieder und eilte schnell davon, um un-gestört weinen zu können. Ich forschte nach der Ursache dieses seltsamen Betragens nnd erfuhr, daß diese Frau vor kurzem ein Töchterlein in dem Alter des unsrigen verloren hatte. Vielleicht war es mit Willen ihres Mannes geschehen. Wer kann im Einzelnen nachsehen, ob das äußere Verbot des Töchtermordes, den sie je nnd je geübt, nun anch immer gehalten werde. Der Männer scheinen bei ihnen jedenfalls mehr zu sein, als der Frauen, der Kinder aber sind sehr wenig vorhanden. Die Frau ist dem Todawa fast wie eine Last, wie ein nothwendiges Uebel. Sie entschuldigten ihren Mädchenmord damit, daß sie vorgaben, so viele Franen nicht ernähren zn können. So sind ja freilich, die sie ernähren, nur wie Sklavinnen, wie sie demt auch durch einen bestimmten Kaufpreis erworben werden. Die Hochzeit ist keine hohe Zeit zu uenueu, wiewohl es ohne Schmausereien nicht abgeht. Am bestimmten Tage wird die Frau in die Hütte ihrer künftigen Ehcherrn gebracht. Sie muß sich vor ihnen zur Erde niederwerfen auf ihr Angesicht. Darauf setzen ihr ihre Eheherren zuerst den rechten und dann den linken Fuß auf ihren Kopf: das ist so der todawaische Brantkuß. Nuu ist sie Ehefrau und muß sich als solche auch sofort bewähren. Es wird ihr befohlen, Wasser zum Kochen zn holen, und sie eilt demzufolge hinaus und hat somit ihren Ehestand angetreten. Arme Todawafrauen! Möchten christliche Ehefrauen den Dank nie vergessen, den sie Gott schulden-Denn ihre Stellung haben sie allein dnrch's Evangelium erlangt. ^ ^ 251 — Zum Christenthum hat sich von dm Tadowas bisher noch nicht einer bekehrt. Gehört haben sie zwar die Botschaft vom Heiland schon zum öftcrn, da die auf den blauen Bergen arbeitenden Baseler Missionare sich anch dieses armen Hirtcnvölkleins angenommen haben. Aber der einzige Erfolg der Predigt ist bis jetzt gewesen, daß zwei Todawa-Knaben gewagt haben, in die Schule zu kommen; sonst müssen die Missionare über sie klagen als über ein „besonders stnmvfcs Geschlecht." Möge der Hammer, der Felsen Zerschmeißt, bald auch diese harten Todawa-Herzen erweichen und sie zu einem guten Lande Hinschaffen, in dem der Same des Lebenswortes Wurzel schlage! Viel zahlreicher als die Todawas, sind die Badagas. Das sind die eigentlichen Bewohner, die Ackerbaner der blauen Berge. Sie wohnen in etwa 300 Dörfern und mögen an 15,000 Seelen zählen. Die Badagas, auch Badagar oder Wadagar d. i. Leute des Nordens, sind vor einigen huudcrt Jahren von der nördlich gelegenen Hochebene Meisore's auf diese Berge gekommen. Ihre Sprache ist ein etwas verdorbener Dialect des Kanaresischcn, wird auch mit den: kanaresischen Alphabet geschrieben, dem sie jedoch etliche kMe Zeichen begefügt haben. Die Vadagas haben größere Dörfer uud bessere Häuser als die Todawas. Sie bauen ihre Häuser auch nicht jedes einzeln, wie diese, sondern am liebsten in einer langen Straße so dicht zusammen und dabei so gleichförmig, daß es wie ein langes Haus aussieht. Auch gehen Sie etwas besser gekleidet und tragen einen weißen Turban auf dem Kopfe. Dennoch erkennen sie die Todawas als die eigentlichen Herren der Berge nnd Besitzer des Bodens an und Zahlen ihnen daher eine Steuer von ihrer Ernte. Eine feste Pacht lst das nicht, aber es ist so ein Herkommen. Zur Erntezeit stellen sich die Todawas regelmäßig ein und fordern ihren Tribut nnd die Badagas entrichten ihn stets, obwohl sie in der Regel dagegen — 252 — murren. Sie fürchten sich vor den Todawas, und ihr Aberglaube hält diese Furcht lebendig. Früher mögen die Todawas viel zahlreicher gewesen sein, und die Furcht der später hinaufkommenden Fremdlinge von schwächerer Bauart wird einen guten Grund gehabt haben. Die Religion der Badagas ist ein verdorbener Brahmanis-mus. Sie habeu alle Götter des Ticflaudes oder erkennen sie doch an, dienen aber insonderheit dem Siva in Form des Lingadienstes. Vor oem'Lingam stehend und mit ihm zusammengehörend wird „Bas-sappa" gedacht, der heilige Stier, als Sinnbild der zeugenden Naturtraft. Soust verschmähen sie es auch uicht, ihre eignen Vorfahren, einen besonders tüchtigen Jäger, eine hervorragende Frau, ja auch ein altes Messer :c. in religiöser Weise zu verehren. So haben sie die niedrigste uud uureiuste Stufe der brahmanischcn Religion mit ihren eignen, zum Theil kindischen Ideen vermischt. Hohes uud Tiefes ist uicht in ihrer Religion und anch nicht in ihrem Gemüth: hart, wie ihr steinigter Gebirgsbodcn, sind ihre Herzen, und störrig, wie ihre Büffel, ist ihr Verstand. Und das wird noch gefördert durch ihre Kastenidcen, die sie auch aus dcm Ticflande mit heraufgebracht und in ihrer Weise verwerthet haben. In nicht weniger als 18 Kasten sind diese 15,000 Seelen zerklüftet, und keine derselben darf in die andere hinein heirathen, meistens auch uicht mit der andern essen, wenn es damit auch immerhin uicht so streng gehalten wird, als im Ticflande. Manche dieser basten haben einen ziemlich ausgeprägten Charakter. Die höchste blasse, die Nodearu sind so stolz, daß sie auch einen Europäer nicht grüßen mögen. Auch zur Arbeit sind sie zu stolz, aber nicht zum Betteln. Letzteres hat in Indien überhaupt einen andern Sinn als in Deutschland. Den Brahmincn gehört nach Manu, dem Gesetzgeber Indiens, aller Besitz des Bandes, wenigstens dem Rechte, wenn auch nicht der Wirklichkeit nach. Wenn also ein Brahmine bettelt, so bettelt er eigentlich nicht (in unserm — 253 — Sinne), sondorn fordert 'sich nur — so zu sagen — seinc Zinsen -ein, d. h. er bittet sich einen kleinen Theil von dem aus, das ihm eigentlich ganz gehört. So sehen die Brcchminen das Almosen-uehmen an und setzen es daher als ein „gutes Werk" gleich hinter das Almosen geben. Die Wodearu aber spielen eben die Brahminen der Berge. Minder stolz und schweigsam, ja eher geschwätzig ist die Zweite Kaste, die der Kongaru. Die dritte Kaste theilt sich in zwei Theile, von denen der eine Fleisch ißt, der andere aber Fleifchesfen für eine große Sünde hält. Die vierte Kaste erst, die Kauataru, läßt sich herab, schreiben und lesen Zu lernen. Sie sind die Schreiber nnd Rechner, die Aerzte und Beschwörer ihres Volkes uud haben darum einen sehr bedeutenden Einflnsi. Andere Kasten zeichnen sich durch ihre Schlauheit aus, wieder audere durch ihren Schmutz, und endlich auch eine durch ihren Geiz. Wie verworren auch die religiösen Begriffe der Badagas sind, so hat doch ihr Gewissen manche Eindrücke von dem Verderben gehabt, das die Sünde über die Menschen bringt. Jetzt freilich ist auch dieses nnr noch eine todte Ueberlieferung. Sie meinen, daß jeder abgeschiedene Geist an einer Feuersäule vorübergehen und dieselbe umarmen mnß. Hat er nun Sünden an sich, so erfaßt ihn das Feuer und versengt ihn, woranf er dann in die Hölle versinkt und von dein „Drachen mit dem Rabenmaul" genagt wird. Dazu kom-wen nvch besondere Strafen für besondere Sünden. Wer aber keine Sünde an sich hat, den versengt auch die Feuersäule uicht. Er kommt bann zur Fadenbrücke, und drüben liegt das Land der Seligen. Hat er gute Werke gethan, so helfeu diese ihm über die Fadeubrücke hinweg; sonst kann er sie nicht passiren. Kommt er aber hinüber, so betritt er ein Vand, das goldne Maucru hat nnd silberne Säuleu, "essen „Kornähren eine Elle lang und so dick sind wie ein irdenes Trinkgefäß." Dort wandeln dann die Seligen in den Anen der Glückseligkeit mit feinen Kleioerit nm ihre Hüften, „sie wandeln in — 254 — den Wegen Gottes mit den ihnen von Gott gegebenen Füßen nnd essen die ihnen von Gott gegebene Speise." Ein Ziemlich abschreckendes Bild von der Sünde und ihren Folgen haben sich die Baoagas in folgender Sage entworfen. Es war ein reicher Mann, der bestellte sein Land mit zwölf Paar Ochsen, und seine Büffel und sonstigen Schätze waren nicht zu zählen. Er hatte aber zwei Töchter, die waren gottlos. Die Götter sahen herab und hatten noch nie so große Sünden gesehen, wie bei diesen Töchtern. Sie wurden ctttrüstet uud straften den Vater seiner Kinder wegen, so daß er in einer Woche sein gauzes Vermögen verlor. Der Mann ging zum Wahrsager und sprach: was habe ich gethan, daß mich die Götter so strafen? Weil deine Töchter so gottlos sind, war die Antwort. Aber was soll ich denn thun? Thue sie von dir, ricth der Wahrsager. Daranf ging der Mann nach Hause und verstieß seine Töchter. Diese zogen ihres Weges und traten bei einem reichen Maun in Dienst. Aber in kurzer Zeit war auch dieser Reiche arm geworden, und die Wahrsager sagten ihm: das ist die Schuld der beiden Schwestern, die sind böse. Darum jagte er sie fort. Von Hunger geplagt, kamen sie nun zu einen BaniancngartcNs gingen hinein und wollten essen. Aber die Bäume vertrockneten bei ihrem Hinzunahen nnd die Gärtner warfen Steine auf sie und trieben sie davon. Hierauf betraten sie einen Kokosnußgarten, aber auch da vertrockneten die Bäume. Darob wurden die Schwestern sehr betrübt, singen an Zu weinen nnd vergossen so viel Thränen, daß ein Sperling sich hätte darin baden können. Verzweifelnd beschlossen sie, in die Höhle eitles Tigers zu gehen nnd sich so nm's Leben zu bringen. Aber die Tiger flohen vor ihucn nnd ließen sie leben. O weh! sprachen die Schwestern nnd reizten einen Bär, sie zu zerreißen. Aber auch der Bär floh vor ihnen. O daß wir doch sterben könnten! riefen die Schwestern und verschluckten Opium, um sich zu vergiften. Aber es tödtete sie nicht. Darauf stürzten sie sich — 255 — in den Strom, aber der Strom zertheilte sich, und sie blieben auf dein Trocknen liegeil. Sie zündeten ein großes Feuer an und warfen fich hinein, aber das reine Feuer verbrannte die Unreinen nicht. Sie suchten den Tod, aber der Tod floh vor ihnen. So gehen wir lebendig in den Himmel, sprachen die Schwestern. Sie warfen alles von sich, nahmen einen Stab in die Hand und gingen nach dem Mukati Pik, von wo aus nach der Meinung der Badagas die Seelen in den Himmel gelangen. Sie erstiegen einen Berg, den ein Ochse nicht hätte ersteigen können, ohne rücklings hinunter zu fallen, dann stiegen sie in eine Kluft hinab, wo des Büffels Fuß keinen Halt gefunden hätte. Einen Schäfer, dem sie begegneten, fragten sie nach dem Wege zum Himmel. Aber die Schafe flohen in ihrer Nähe, uud der Schäfer wurde zoruig uud wollte ihnen keine Antwort geben. Da ward ihnen bange und sie riefen: o wehe! um der Süude willen unserer Jugend können wir den Weg zum Himmel nicht finden. Hicranf trafen sie einen Büßer mit einem Tigerfelle betleidet, der sie mn ein Almosen ansprach. „Wir haben nichts zu gebeu, erwiderteil sie, wir kamen hierher, um zu sterben. Sage uns, was ist jene Fcnersäulc dort?" Um der Gottlosen willen ist sie errichtet, war die Antwort des Mannes. Die müssen sie umarmen und werden versengt und in die Hölle geworfen; dort kommt der Riese mit dcm Rabcnmaul und quält nnd frißt sie. „Wer sind die, o Bruder, die dort Wasser trageu in der Ebene und das Opiumfeld begießcn?" Das sind diejenigen, die sich mit Opium vergiftet haben. „Wer sind die, o Bruder, die am Fuße des schwarzen Horlabaumes gleich unbändigen Kälbern mit Stricken um-schluugen hängen?" Das sind diejenigen, die sich selbst erhängt haben. „Und die dort im Thale, welche in einer Grube fitzen und nach Rauch schuappen, wer sind die? Das sind diejenigen, die Wittwen bedrückt, geborgtes Gut verschwendet und den Armen Hindernisse in den Weg gelegt haben. „Und jenes schreiende Kind über — 256 — und über nut Moskitos bedeckt, wer ist das o Bruder? Das ist das Kind derjenigen, die nnr an eigne Kinder denkend, fremde Kinder in ihrer Noth gelassen und sie hungernd von ihren Thüren weggetrieben haben. „Und wer sind, die dort rothe Erde aufgraben und essen?" Die Geizigen find's, die den Gast darbend von sich ließen und dem Bettler nichts gaben. „Rechts zwei Häuser, links zwei Hänscr, in der Mitte zwei Häuser offen, was ist das, o Bruder?" Rechts zwei Häuser: der Sünde Häuser; links zwei Häuser: des Lasters Häuser; in der Mitte zwei Häuser offen: der Tngcnd Häuser find's. „Und wo sind die Männer unsrer Jugend, o Bruder?" Hört ihr Weiber Bali, cure Sünden sind offenbar geworden. Weichet oon nnr! Darauf näherten sich die Schwestern der Feuersäule. Sie sahen auch die Fadcnbrücke und den aufgerissenen Schlund des Drachen. Fünf Engel kamen, ergriffen sie heftig, zogen sie hin zur Feuersä'ule nnd hießen sie dieselbe umarmen. Auf der andern Seite der Fadenbrücke stand der Gott mit seiner Gefährtin und sprach: Kommt her Zu mir! Haben wir denn einen Teich voll Wassers im Leibe, daß wir durch dies Feuer zu gehen im Stande wären, so dachten sie und zögerten. Da kamen zwei Jungfrauen in weißen Gewändern. Die waren hell wie die Sonne und lieblich wie der Mond. Zwei Spangen Zierten die rechten Arme nnd köstliches Geschmeide die linken. Mit goldenen Ketten waren ihre Hälse geschmückt, nnd grüne Schirme beschatteten ihre Häupter. So kamen sie einher, wandelnd wie auf Milch und Butter, und traten hin zur Fcuersäule. Sie umarmten sie und blieben unverletzt. Sie betraten die Fadenbrücke und kamen glücklich hinüber. Sie nahctcn sich dem Gott uud fielen ihm zu Füßen, und der Gott hob sie auf uud stellte sie zu seiner Seite. — „O ihr Götter, riefen die Schwestern, wer sind diese Jungfrauen?" Sie find Kinder gerechter Eltern und haben die Sünde nicht gekostet. Wer rein ist von Sünden, kommt hierher in die Nähe seines Gottes. — 257 — „Sie sind hindurchgekommen, wir wollen es auch wagen!" riefen die Schwestern nnd nahetcn sich der Feuersänle. Aber die Feuersäule ergriff und versengte sie, und die fünf Engel ergriffen sie und warfen sie in die Hölle, und der Niese mit dem Nabcnmaul quälte sie, und der Drache der Hölle fraß sie. Und nach sieben Tagen wurden sie in Oel getaucht nnd wie Holzblöcke verbrannt. Und dann nahm der höllische Drache die älteste Schwester nnd verwandelte sie in einen Wolfsmilchstrauch, die Seele der jüngern Schwester aber nahm cr und warf sje in ein Schwein. So lautet die Sage. Erlist genug ist sie uud von Hoffnung hat sie auch keine Spur. Aber das ist es eben, was ihr die Schneide stumpft. Weil dem Sünder gar keine Hoffnnng gegeben ist und nichts zu seinem Herzen spricht, geht er mit stumpfem Sinn seines Weges und erschrickt selbst vor der Hölle nicht. So haben auch die Badagas keine Furcht, weder vor dieser Hölle noch vor dem Niesen mit dein Nabenmaul, sondern leben in allerlei bösen Sünden stumpf dahin. Die ehelichen Bande sind, wie sich erwarten läßt, sehr locker unter den Badagas. „Lebe, lebe; gehe hin und hole Wasser!" ruft der Mann der zu seinen Füßen liegenden Fran zn, die er so eben aus ihrer Eltern Hause geholt hat, indem er ihr den Fuß auf den Kopf setzt. So ist der Ehebund geschlossen. Gewöhnlich bringt die 3'wu ihrem Mann einen Büffel zur Mitgift mit, der dann zurückerstattet werden muß, wenn die Frau wieder entlassen wird. Leider kommt letzteres nicht selten vor. Ziemlich häufig ist anch bei ihnen der Frauenraub. Wenn jemand die Person nicht bekommen kann, auf die er seinen Sinn gesetzt hat, so dingt er eine Anzahl Männer und raubt sie sich bei Nacht und Nebel. Znweilen geschieht das mit Vorwissen der betreffenden Fran. Aber anch oft ganz wider ihren Willen. Sie wird dann streng überwacht, so daß sie nicht wieder entkommen kann,. Nicht selten greifen solche Frauen dann nach dem Opium — das sie selbst bauen — und vergiften sich. 17 — 258 ^- Eine eigenthümliche Sitte haben die Badagas bei feierlichen Begräbnissen. Es war das Begräbniß einer Größe unter ihnen, das ich mit ansah. Schon von fern ward ich ein Gerüst einige Stock hoch gewahr, das in Gestalt einer Pyramide erbant uud mit allerlei bnntem Zeuge behängen war. Unten in diesem Gerüst stand die Leiche. Ein großer Hänfen von Männern nnd Weibern war versammelt; man gruppirtc sich frei nnd unterhielt sich über allerlei, während eine Anzahl der Männer nm das Gerüste her, in welchem die Leiche stand, den Todtentanz tanzte. Es war ein eigenthümlicher Anblick: bald gaben sie sich die Hände, im Kreise um das Gerüst, bald hoben sie eine Hand hoch in die Höhe, nnd bald wieder neigten sie den Oberkörper znr Erde. Die Bewegung der Füße war ziemlich gleichförmig, kein Springen. Ihre Stimmen aber erhoben sie wieder und wieder in einzelnen hohen und tiefen Tönen. Es lag ein außerordentlicher Schinerz, eine tiefe Wehmnth in diesen Schreitönen. Der Tanz ward heftiger, die Gefühle aufgeregter. — Endlich hörte er auf. Die Männer zerstreuten sich, jeder redete mit seinem Nachbar, als ob nichts geschehen wäre. Wie verschieden sind doch diese Asiaten von uns! Nun kamen einzelne, auch eiue alte Frau mit eiuer Sichel iu der Hand, ich weiß nicht, ob sie die Frau oder Mutter des Verstorbenen war, und gingen nm die Leiche. Die Frau ward von Zweien herbeigeführt und stöhnte uud seufzte ganz außerordentlich. Dann redete sie die Leiche in kurzen Sätzen an uud ihre ganze Seele lag in jedem Worte, in jeder Bewegung. Jeden Augenblick fürchtete ich, die Frau würde zusammensinken vor Schmerz und Uebcrreizung ihrer Gefühle. Es dauerte lauge, ehe sie den Gang nM das Gerüst vollendete. Endlich war sie an der Stelle augckommeu, von der sie ausgegangen war. Sie schwieg, warf einen langen Bluk anf den Leichnam, auf die Umstehcndeu, auch auf mich, und ging dann still davon. Bald darauf sah ich sie mit audern in der ruhige sten Weise sprechen. — 259 — Nach einigen Stunden, es war am Vormittag, fingen die Männer an nach der Sonne zu sehen, und als ihnen die rechte Zeit gekommen war, nahmen sie die Leiche aus dem Gerüste heraus und trugen sie einige hundert Schritt weit zn einer bestimmten Stätte. Dort ward ein Kalb in Vereitschaft gehalten. Viele der Männer hatten Aeztc in den Händen, und der ganze Vorgang war etwas eilig. Kaum konnte ich ihnen nachkommen, als sie schon mit dem Sündenregister angefangen hatten, welches sie bei diesen Begräbnissen herzusagen pflegen. Ein alter Mann stand auf der einen Seite, die übrigen Männer anf der andern. Der Alte antiphonirte, die Nebrigen resftondirtcn. Die langen Autiphoncn und die kurzeu Nesponsoricn klangen fast wie eine Litanei. Der Inhalt war etwa folgender: Alis der Nelt dcs Sterbens geht die Reise in die große Welt. Hier 'st Bassawa (der Stier, Büffet). Möge der Verstorbene auch tausend Sünden begangen haben: nntcr dcs Büffels Fuß sollen sie fallen. Seiner Urgroß-unttter Sünden, feines Urgroßvaters Sünden, feiner Großmutter Sünden, seines Großvaters Sünden, seiner Mntter Sünden, seiner Familie Sünden: unter des Büffels Fnß sollen sie fallen. Der Alte: Er hat Brüder aus Neid entzweit. Die Menge: Sünde: Er hat Grenzsteine versetzt: — Sünde! Er hat Fremden einen falschen Ncg gewiesen: — Sünde! Er hat seinen Schwestern die Zähne gewiesen: — Sünde! Er hat eine Schlange gctödtct: — Sünde! Er hat eine Eidecksc gctödtet: — Sünde! Er hat seinen Nachbar nm seinen gnten Büffel beneidet: — Sünde! Er hat mit einem ^cksen gepflügt, der zn jung zur Arbeit war: — Sünde! Er hat nach eines andern Weibe gcfchaut: — Sünde! Er hat die eignen Leute verstoßen und Fremde an ihrer Statt aufgenommen: — Sünde! Er hat den Armen kein Almosen gegeben: — Sünde! Er hat sein Kleid, das an den Dornen hängen blieb, im Zorne weggc-rissen: — Sünde! Er hat auf einer Banl gesessen, wahrend sein Schwiegervater auf dem Boden saß: — Sünde! 17* — 260 — Er hat vor dcr Tonne ausgespicn: — Sünde! Er hat den fließenden Vach ohne Grnß bcrilhrt: — Silndc! Des Todtciihanscs Thür öffne sich! Dcr Tugend Wohnung thue sich auf! Das Sündcnhans fei verfchlosfcn! Die Fcncrsänlc werde talt! Die Fa-dmbrücke stehe fest! Die Herrlichkeit nahe sich! Dcr Hölle Mund schließe ficht Er hat seiner Eltern Fuß umfaßt: — Tugend! Er hat vor den Priestern sich tief gebückt: — Tugend! Er hat dcr Sonne dic Hände entgcgcngcfaltet: — Tugend! Er hat dem Monde Verehrung gebracht! — Tugend. Er hat eine Leichcnpyramide neunstöckig erbaut: — Tugend! Er hat dm Annen einen ellenlangen Sack mit Getreide gegeben: ^ Tugend: Er hat ihnen wie Regenwasscr so viel Schmalz gebracht: — Tugend: Nnd ob es auch tausend dreihundert Sünden waren, die er begangen hat: unter des Büffels Fnß sollen sie fallen. Sie sollen fallen! sollen fallen! Sie sind gefallen! sind gefallen! gefallen! Darauf ward das Büffelkalb gelöst und unter großem Geschrei hinweg! hinweg! davon gejagt. Nieder ergriffen nun die Männer die Leiche und trngcn sie hastig ein Stück weiter fort an das Ufer eines kleinen Flusses, wo sie verbrannt wurde. Vei der Todten-klagc und dem Tanz nm die hohe Lcichenpyramide her hatten die Männer, wie mir schien, keine Eile; cs traten längere Pansen da-" zwischen. Aber sobald sie die Leiche aus dem Gerüst herausgenommen hatten, schienen sie sehr Zu eilen. Die an sich doch sehr ernste Handlnng einer Art von Todtcngcricht, das sie über dcr Leiche hielteil, indem sie des Verstorbenen Sünden nnd Tugenden, oder was sie dafür hielten, herzählten, war auch ganz ohne alle Feierlichkeit. Der Alte plapperte in großer Hast die auswendig gelernten Formeln her, die übrigen Männer schrieen eben so hastig als gedankenlos ihr: „Sünde!" oder ihr „Tngend!" drein, und die Sache war abgemacht. Es ist freilich bei den Badagas nicht allein so: auch unter Christen kaun man leider viel gedankenloses Herplappern herrlicher Formulare hören. Viel Lippenwcrk überall. Der Herr schenke uns reine Herzen und einen neuen gewissen Geist! ^ 261 — Die Stumpfheit der Badagas macht sich auch bei der Predigt des Evangeliums bemerkbar. Auf sie insonderheit, als auf die Haupt-bevölkeruug der blaueu Berge, hatte die Basler Mission, von einem hochgestellten englischen Beamten dazu aufgefordert, ihr Augenmerk gerichtet. Aber volle elf Jahre lang arbeiteten die Missionare vergeblich, obgleich sie nicht einzeln standen, sondern immer zwei bis drei beisammen wareu. Auch haben sie sich mit vieler Liebe uud Hingebuug dieses Volkes angenommen und sind namentlich den Einzelneu, die einige Hoffuung zu macheu schienen, getreulich nachgegangen. Aber erst nach elf Jahre langer Aussaat wagtc es ein Einziger, die Taufe zu verlangen, die er im Anfang des Jahres l858 erhielt. Uud was sich im Ticflaude so oft wiederholt, das zeigte sich auch auf diesen Bergen: der arme Christ, Abraham genannt (als Heide hieß er Halca), durfte sein eignes Haus nicht mehr betreten, seine Frau uud Kinder nicht mehr sehen, mußte Monate laug wie eiu Uureiucr ausgestoßeu sein und allein lcbcn, obwohl er sonst ein angesehener Mann in seinem Dorfe war. Und als cudtich nach drei Monaten er es wagen durfte, wieder iu fein Dorf zurückzukehren nnd seine Fran es sich gefallen ließ, wieder mit ihm zu leben, da verließen alle seine Nachbarn ihre Wohnungen uud zogen lieber in ein andres Dorf, als mit ihm zusammen zu wohnen. So galt der einzig Reine in seinem Dorfe, weil dnrch Christi Blut von dem Schmutz der Sünde gereinigt, für uurciu. Und die wirklich Unreiuen im Geiste nud im Lcbcu, die hielten sich so rein, daß sie mit eiucm getaufteu Christen nicht eiumal mehr iu einem Dorfe zusammen lebeu zu können meiuten. O wie groß ist doch die Verblendung, die Satanas durch die Sünde in die Welt gebracht hat! Alle übrigen Badagas aber, auch diejenigen, die oft versprochen hatten Christeu zu wcrdeu, sobald nur einer den Aufaug gemacht habcu würde, zogen sich nun schen zurück nnd begegneten den Missionaren nicht mehr freundlich wie zuvor. Selbst die Schulen, die — 262 — vor kurzem erst errichtet worden waren, wnrden leer, indem die Eltern aus Furcht, ihre Kinder möchten auch Christen werden, dieselben zurückhielten. In drei Monaten jedoch ward ein zweiter Familienvater getauft, und nach 1'/2 Jahren folgten auch die übrigen Glieder der Familie nach, fo daß im September 185)9 die Vadaga-Gemeindc aus 12 Seelen bestand. Diese Zahl ist dann nicht weiter gewachsen. Die beiden Familien sind christlich geworden, die übrigen blieben Heiden. Die Verfolguug hat aufgehört, und alles geht seinen alten Gang fort. Es geht auch hier wieder anders, als nach Meu-schcugedauken. Man hatte gehofft, daß wenn nach so langer treuer Aussaat des Wortes ciumal die Erntezeit käme, es auch eine reiche Ernte sein werde. Und siehe da, nun besteht die Ernte nur aus zwölf Seelen. Nach Zwölfjähriger Arbeit zwölf Seelen getauft, und dann wieder ein Stillstand! Offenbar paßt unsre Zeit, die so viel zu rechnen pflegt und so viel auf Eisenbahnen lebt, nicht zu solchen Exempeln. Aber Gott rechnet mit andern Zahlen. Und wir, wir werden, indem wir auf Sein Werk schauen, durch Stilleseiu und Hoffen stark werden. Nach neueren Nachrichten ist die Zahl der Getaufteu um etliche Seelen gewachsen. „Die Zeit scheint gekommen, heißt es in einem späteren Jahresberichte der Baseler Missionsgcscllschaft, wo die alten Badaga-Misstonare nicht mehr blos säen, sondern auch cruten dürfen. Denn obwohl die Bekehrung dieser Bergstämme nicht mit raschen Schritten vorwärts geht, so geht sie mm eben doch vor nnsern Augen au und fort." Gott verleihe in Gnaden, daß sich diese Hoffnung mehr und mehr erfülle! Die übrigen Bewohner der blauen Berge, die Kohatas und die Kurumbas, sind von viel geringerem Belange. Doch gehören sie nothwendig mit zu den Bewohnern der Berge und sind zuM Theil ganz unentbehrliche Leute. Beide führen ein Doppelamt, wo- — 203 — nüt sie dm Badagas dieuen und sich ihren Unterhalt erwerben. Sie sind znnächst die Musiker der Berge, die den Badagas bei ihren Festen aufspielen. Es gehören freilich gute Nerven dazu und ein eigenthümlicher Geschmack, diesen Heidenlärm, den sie vollführen, als Musik hinzunehmen. Aber die Badagas scheinen beides zn besitzen und würden unsre Musik vielleicht eben so geschmacklos finden, wie wir die ihrige. Dann aber sind die Kohatas auch die Handwerker der Berge und versorgen die Vadagas mit dem nöthigen Ackerge räth und was sie sonst alles nöthig haben. Sie bekommen dafür einen Theil des Ernteertrags und haben dazu die Freiheit, gefallenes Vieh zu verzehren, was sie sehr gern thun. Reinlich können sie bei diesem Geschmack kaum sein, und sie sind in der That so unrein, daß selbst die Badagas nieinen, sie unreinlich schelten Zu dürfen. Sie mögen auch immerhin ein gewisses Recht dazu haben. Denn von den Badagas hörte ich, daß sie sich wenigstens alle Jahr zweimal waschen, während die Kohatas vielleicht nur alle zwei Jahre einmal dies Geschäft verrichten. Die Kurumbas sind neben dem, daß sic den Kohatas beim Musitmachen helfen, noch besonders die Zauberer der Berge und stehen als solche in bedeutendem Respect. Sie sind es, die den ersten Samen ausstreuen und auch zuerst die Sichel anlegcu. Und wenn inzwischen das Gewürm die Saaten bedroht, so muß der Kurmnba erscheinen und dasselbe verjagen. Er erhebt dabei ein gräuliches Geschrei, das die Badagas fiir kräftiger Hu halten scheinen, als ihr eignes. Die Knrumbas wohnen natür-llch in ihren eignen Dörfern, die aus sehr schlechten Hütten bestehen und m ungesunden Niederungen der Berge liegen. Die Kohatas haben auch ihre eignen Dörfer, die jedoch höher nnd zum Theil recht hübsch gelegen sind und auch leidlich gute Häuser enthalten. Dem Christenthum stehen beide Stämme noch sehr fern, und auch die ueun Schulen der Berge, die im Ganzen nur 60 bis 7l) Schüler euthalten, werden von ihren Kindern nicht besucht. Der deutsche — 2tt4 ^ Schulzwang, auf den Bergen angewandt, würde sie vielleicht auf andern Boden versetzen: aus eigner Wahl begehren sie ein Gut nicht, das sie nicht zu schätzen verstehen. Scholl ist's auf den blauen Bergen. Aber wie viel schöner wär's, wenn sie von einer christlichen Bevölkerung bewohnt wären! Vei dem tausend Jahre sind wie ein Tag, wolle bald in die tausendjährige Nacht dieser Berge das Acht scheinen heißen, das keiner Finsterniß mehr weicht! 3. Sturm und Ucbcrschwcmmmtg. „Und es wird den Leuten ban^c sciu auf lirdcn und werden zagen, und das Nicer und die Wassciwozicii wcrdcn brausen. Und die Menschen wcrdcn verschmachten vor Furcht uud vor Warten der Dinge, die da lommen sollen auf Lrden." So lehrt uns jährlich das Evangelium am zweiten Sonntage des Advents, nnd so geschah es in nnsern Tagen am bengalischen Meerbusen. In der Mitte des October pflegt an dieser Küste der Monsnn einzutreten, und wir dnrch die vorhergegangene Hitze ausgedörrten Europäer sehnen nns oft schmerzlich danach. Starker Nordwind, Donner und Blitz und lautes Brausen der See pfleget: ihn einzuführen. Doch in den letzten Jahren hält selbst der Monsun seine Zeit nicht mehr, kommt oft um 10 Tage später, ist sehr launenhaft und macht den besteu Wetterpropheten ihr Amt sauer. In Calcutta aber hielt er dieses Jahr seine Zeit, nur brachte er statt des Segens für Viele nichts als Verderben nnd Tod. Der ihn begleitende Stnrm stellte sich mit solcher Heftigkeit ein, daß die Schiffe, theils versenkt, theils aufs Land gctriebeu oder sonst beschädigt wurden, einige hundert an der Zahl. Die größten Dampfer waren in der Gewalt dieses Sturmes ganz so hülflos wie die kleinsten Fahrzeuge. Anker und Tanc brachen, und in wilder Wnth — 200 — warf er alles über einen Haufen. In der kurzen Frist von fünf Stunden waren viele Reiche sehr arm geworden, einige tausend Menschen konnten selbst das letzte, ihr eignes Leben, nicht erretten, übcr 196,000 Häuser und Hütten der Stadt nnd Umgebung waren entweder zerstört oder beschädigt. Ganze Dörfer verschwanden, ohne auch nur eine Spur Zurückzulassen. Um diese Zeit schmachteten wir hier in Cnddalorc noch vor Hitze und sehnten uns nach Ncgen, den wir in mehreren Monaten nicht gesehen hatten. Am achten Tage nach dem Allsbruch in Calcutta kam denn auch nnsere Zeit. Langsam und still stellte sich der Regen ein, ohne Stnrm und Tosen. Aber tiefer im Lande war der Ausbruch um so heftiger. Ein hier geborener Europäer erzählte mir, er habe nie etwas Aehnliches erlebt. Die Gewitter erschütterten die Erde, uud nach jedem Schlage ergoß sich ein förmlicher Wollcn-brnch, wie selbst unser Indien sie nicht zu haben pflegt. Daher geschah es denn auch, daß schon am dritten Tage unser Gedullam it: aller Frühe mit solchem Tosen augebraust kam, wie nie zuvor, und Wellen aufwarf, denen des Weeres vergleichbar. Bald sahen wir auch allerlei Hausrath darauf cinherschwimmen und merkten, daß er seine Ufer schon verlassei: hatte. Um 10 Uhr Morgens etwa wandte er sich nach uns zu und stürzte sich mit Heftigkeit auf unser Haus. Eine eben vollendete Lehmwand, die unser Gehöft einschloß, hatte er bald eingerisscn und drang nun unaufhaltsam auf unsere Wohmmg selbst los. Wie gut war es, daß das Haus sieben Stufen erhöht ist, sonst hätte er sofort davon Besitz genommen und nns vertrieben. So aber suchte die heftige Strömnng sich einen andern Ausweg und riß die Mauer ein, die Wohnhaus und Waisenhans mit einander verbindet. Darauf nahn: sie uns einen Vorrath voll Kalk und eine große Katechumenenhütte mit fort, uud füllte bald auch die Waiscn-schule dermaßen, daß sich die Kinderschaar in unser Haus retten mußte. Bis au den Leib im Wasser watend, brachten uns Boten — 267 — eine schriftliche Einladung vom hiesigen Richter, in seinem zweistöckigen Hause Zuflucht zu sucheu, aber wie sollten wir hinkommen? Ich erstieg wiederholt das flache Dach unsres Hauses, um zu sehen, ob die hohe lange Brücke über den Gcoullam uoch nicht gewichen sei, denn sie half nun nnr das Wasser dämmen, und ich wünschte ihr daher recht sehr eiligen Fortschritt. Etwa nm 2 Uhr Nachmittags sah ich es von Norden her mir sehr verdächtig entgegcnblinten. Das war der Pennar, der nm: auch seine Ufer verließ uud sein Wasser mit dem Gednllam vereinigte. Nun wurde die Sache sehr ernst. So weit das Auge vom Dach des Hauses aus reichte, sah ich bald nur Himmel und Wasser, und die Strömung, die jetzt von zwei Seiten auf uns eindrang, ward immer heftiger. Einen Ausweg nach Süden oder Norden hatten wir nicht mehr, denn auf beiden Seiten waren die jetzt so wüthenden Ströme. Nur der Westeu, woher die Fluth kam, uud der Osten mit den Häusern der Engländer (ein bis zwei englische Meilen entfernt) blieb uns offen. Dazu drohte auch die Nacht hereinzubrechen, und die Fluth blieb im Steigen. Um zu sehen, ob noch ein Ausweg möglich sei, lies; ich mir mein Pferd gesattelt vor die Stufen des Hauses führen, knietief im Wasser. Laut protestirte mein Pferdeknecht gegen einen Ritt in dieser reißenden Fluth, dringend bat auch meine Frau, mich der Strömung von unten uud dem ebenso strömenden Regenguß von oben nicht auszusetzen. Aber auf mir lag die Verantwortung für das Men aller Waisen und vieler Andrer, die in meinem Hause Zuflucht gesucht hatten. Laugsam ritt ich der Fluth entgegen, nach dem Westen. Doch je weiter ich kam, je tiefer schien das Wasser Zu werden, nirgends anch nur eine trockne Stelle sichtbar. Da wandte ich nm und zog nach Osten, ob ich die Häuser der Engländer noch erreichen könnte. Auf der gcwöhulichcn Straße war nicht fortzukommen, so führte man mich auf Umwegen dahin Zu. Aber auch hier schieu das Wasser immer tiefer zu werden und — 268 — reichte bis an den Sattel des Pferdes. Ueberall sah ich die Einge-bornen brnsttief darin aus ihren Wohnungen forteilen, mit ihrer wenigen Habe auf dem Kopf. Verwundert frug man mich, wo ich doch hin wollte. Und sie hatten recht mit dieser Frage. Nach zweistündigem Nitt mußte ich froh sein, das Haus wieder zu erreichen^ denn stellenweise war das Wasser selbst über dem Nucken des Pferdes zusammengeschlagen, so daß sich das Pferd zum Schwimmen streckte. Um dieselbe Zeit hatte auch der Collector (oberste englische Beamte) mit dem Ingcnienr einen Ritt versucht. Der Ingenienr, ein guter Schwimmer, war vorausgeritten. Da versank er plötzlich in tiefes Wasser, woil eine kleine Brücke weggerissen war, was ja unter dem Wasser nicht bemerkt werden konnte. Das Pferd bäumte sich und er fiel herab. Er snchtc sich noch an der Mähne des Pferdes zu halten, nmsonst. Der heftige Strom riß ihn nach dein Flusse — und dem Meere zn. Seine Schwimmtunst nnd große Kraft aber kam ihm wenig zn statten, da sein Obergewand sich losgemacht und nm seine Füße gewickelt hatte, so daß er sie nicht branchen konnte. Mit Mühe erreichte er endlich einiges Gesträuch und suchte sich daran festznhalten. Aber auch das nmsonst: es brach vor der Gewalt der Strömung. In der höchsten Gefahr des Ertrinkens, als der hulf-los dabei stehende Collector ihn schon mehr als einmal verloren gegeben hatte, wnrde er eben noch von herbeigeeilter Polizei gerettet. Der ich gar nicht zn schwimmen vermag, war glücklich der Gefahr entgangen nnd im Hause angelangt, in welchem nun auch mein Pferd eine Stätte bekommen mußte, da Stallnngen, Küche, Nebengebände, alles tief im Wasser lag. So weit waren wir alle geborgen. Aber was sollte geschehen, wenn die Flnth uns aus dem Hause trieb? Auf dem flachen Dache tonnten wir allerdings eine Zuflucht finden, aber in diesem heftigen Regengüsse? Und war es gewiß, daß nicht das Haus selbst der immer heftiger andringenden Fluth weichen — 269 — würde? Ich eilte wieder hinauf auf das Dach uud schaute nach der Brücke. Wie ein schwarzer Strich zog sie sich immer noch über die brausende Flnth, dem Auge eben noch erkennbar, denn es dunkelte schon. Lange weilte ich oben allein und redete mit dem Einzigen, der noch helfen konnte. Ich gedachte vor Ihm nicht nur des Häuf lcins meiner Waisen nnd Andrer in meinem Hause, soudern auch der Hundertc und Tausende, die das nächste Tageslicht nicht mehr sehen würden, wenn der Fluth nicht Einhalt geschähe. Getröstet und still geworden ging ich wieder hinunter, ordnete an was Zu ordnen war, nnd versammelte, alles zum Abendsegen. Wir saugen: „Christus der ist mein Leben, Sterben ist mein Gc winu ?c.", dann lasen wir Psalmen, ein Kapitel aus dem neuen Testamente und beteten — ganz so, wie wir jeden Abend zu beschlw ßen Pflegen. Darauf brachte ich jedermaun zur Ruhe, um allein zu sein. Nun maß ich das Wasser uud berechnete, wie lange es noch dancrn würde, bis es uuseru Schlaf störte. Um Mitternacht mußte es im Hause sein, weuu es so fort stiege. Sobald das geschehen War, wollte ich die Thüren des Hauses ausheben, sie auf vorhandene Vambusstangeu binden nnd so ein Floß herstellen, auf welchem wir wenn es Licht geworden seiu würde, eine Fahrt zum nächsten zweistöckigen Hause (1 '/^ englische Meilen) versuchen wollten. Nuu warf auch ich mich müde aufs Lager, doch nnausgcklcidct, und stand immer wieder auf, nach dem Stande des Wassers zu sehen. Wie geheim nißvoll klang bei tiefer nächtlicher Stille das Plätschern der Fluth an den Stufen des Hauses! Doch sie sollte die nächste Stufe nicht wehr erreichen. Immer wieder ging ich mit dem Licht in der Hand hinans und sah genau nach. Die Wellen plätscherten fort, stiegen aber nicht mehr. Um Mitternacht meinte ich, sie seien gefalleu, und um 2 Uhr war ichs gewiß, daß die Fluth im Abnehmen sei. Gott sei Dank! rief ich und wartete nnn auf meinem Lager ruhig den Morgen ab. Ein dicker Schlamm uud hier und da eine Pfütze war — 270 — alles, was da noch von dor grausen Flnth übrig war, nnd wir konnten unsre Kirche wieder erreichen, in welcher wir beim Anfgang der Sonne unsre frohen Lieder sangen, wie bei jedem Sonnenaufgang. Der HErr hatte unser Flehen erhört: während wir unsern Abend-segcn hielten, fielen 6 Bogen der Brücke ein, und gaben somit der Muth mehr Raum zum Abfluß ins Nicer. Wir hatten wohl über 100 Rupics Verlust, aber keiu Leben war verloren, und auch in der Stadt waren nur zwei Personen ertrunken — auf offener Straße — wiewohl viele Straßen statt der frühern Häuser nur uoch Ruiuen zeigten. Aber anf einem andern Punkte unserer Küste, iu der weiter nordwärts gelegenen Stadt Masnlipatam uud ihrer Umgebung, sollte das Wetter bald darauf eine desto grauscre Verwüstung anrichten. Dort mnßten sie noch 10 Tage länger anf den Ausbruch des Mousuns warten, der erst am 1. November seine Erschciunng ankündigte. Er begann sogleich mit einem starken und immer stärker werdenden Nord o st, während wir zu unserm Glück Nord we st hattm. Nur einen Tag hatten sie Regen nud Sturm, der Bäume umriß und Häuser entdachte. Dann kam die schrecklichste Nacht! Das Meer und die Wasserwogen brauscten, und baugc uud immer banger wurde den Menschen. Da erscholl plötzlich, nm 10 Uhr Abends, das Geschrei: „die See! die See!" Uud die reichlichen Phosphorfunken in der Fluch überzeugten bald jedermann, daß das Geschrei schreckliche Wahrheit sei. Niemand sah, niemand hörte, was weiter geschah: denn die fast greifbare Finsterniß hielt jedermanns Augen, und das Brauseu der über die Stadt hereingebrochencn Meereswogcn übertäubte jedes Angstgeschrei. Am Morgen ging die Sonne auf zur rechten Zeit, als ob nichts geschehen wäre, und es war sehr still rings nmher. Aber von der Stadt war nur der fünfte Theil noch stehen geblieben, und ein Drit-thcil der Einwohner war nicht mehr. In den Straßen allein lagen 15,000 Leiber der Menschen nnd sehr viel Vieh. So groß war das — 271 — Unglück, daß es selbst den Ueberlebcnden nnglanblich erschien. Der dortige'Collector berichtete an dcn Gouverneur von Madras anfänglich mir von 5000, dann von 10,000 Leichen in der Stadt, nnd zuletzt kam der Bericht der SanitätZcommission, nach welchem in der Stadt allein nicht weniger als 15,000 Leichen gefunden wurden. Wie groß der Verlust auf dem Lande war, kann man daraus entnehmen, daß die Sanitätscommission nachdem sie 27 Dörfer besticht, welche zusammeu 10,320 Einwohner hatten, von diesen nur noch 4,893 Seelen, also weniger als die Hälfte antraf. — Die größere Hälfte war zum Theil unter den eingestürzten Hänsern bcgrabeu, theils auch sonst todt umherliegend gcfundeu worden. Nicht wenige sind Zugleich mit ihren Hütten spurlos verschwunden — von der See verschlungen. Die Ansdchnung der Küste, welche von der Ucberschwemmuug getroffen wurde, beträgt 80 (engl.) Meilen in der Länge, nnd 9, ja an einer Stelle selbst 17 Meilen weit in das Land hinein bransten die Wogen, so daß nicht weniger als 780 Quadrat-Meilen von der See bedeckt wordoll sind. Unter den Ertrunkenen waren neben mehreren Soldaten, Polizei-und anderen Beamten anch 30 Mädcheu einer Waisenschulc des dortigen Missionars. Die Schule staud wohl noch, aber die Flnth war durchhiu gefahren und hatte anch jede Seele mit fort genommen. Einsam stand der Missionar am andern Morgen uud suchte vergeblich, die er sonst zu lehreu pflegte. Wer will die Äugst und das Wehgeschrei beschreibe«, womit diese mehr denn 20,000 Menschen die Nacht erfüllten, bis ihr letzter Seufzer floh! Die aber dcn Morgen erlebten, hatten nicht Zeit zum Besinnen. Alle Lebcnsmittel waren verdorben, alle Brunnen waren mit Seewasser erfüllt, und ans den Tausenden der Leichen drohte bie Pest zu entstehen, wenu sie nicht schnell uuter die Erde gebracht würden. So rief denn die dortige Behörde alle Ueberlebenden in Mehreren Abtheilungen zn dieser Arbeit auf. Drei Tage lang war — 272 — jedermann ein Todtengräber, bis Hülfe von außen kam. Der Gouverneur von Madras schickte sogleich cm Dampfschiff ab, das mit allerlei Lebensmitteln, mit Aerzten und Arzneien, mit einer Sanitätscommission und mit Zelten für 2500 Menschen beladen war, und das den Befehl hatte, alle obdachlosen Europäer und Halbenropäer, die es wünschten, nach Madras zu bringen. Von allen Seiten aber bceiferte man sich, durch Geldunterstützung den Uebcrlebcnden ihren Zustand erträglich zu machen. Mit diesem Unglück der Stadt und Umgegend von Masulipa-tam verglichen, war unsre Heimsuchung doch nur eine väterliche Erinnerung. Hätten wir statt Westwind Ostwind gehabt, so würde auch unser Schicksal ein ganz andres gewesen sein. So aber müssen wir bekennen: „Der HErr züchtiget uns wohl, aber er übergiebt uus dem Tode nicht." Ihm sei Lob uud Preis für alles! 4. Die letzte der Sattics. Der Nerbudafluß wird von den Bewohnern seiner Ufer für noch heiliger gehalten, als der Ganges selbst. Denn, sagen sie, während das Gaugeswasscr mir heiligt, wenn man es trinkt oder darin badet, heiligt das Nerbndawasscr schon, wenn man es blos ansieht. Kein Wunder also, daß mehrere Tausende dieser Anwohner des heiligen Flnsses einmal eine Petition an das Gouvernement nach Calcutta sandten, in welcher sie alles Gute der Negierung anerkannten, und nur darum dringend baten, daß in dein heiligen Ncrbuda-thale (von den Europäern) kein Rindfleisch gegessen werden möchte, weil dadurch ihre Gegend gar zu sehr entheiligt würde. In andern Gegenden, selbst im Gangesthale, meinten sie, hätte das nicht so viel auf sich, weil die an sich weniger heilig wären; aber das so äußerst heilige Ncrbudathal könnte das durchaus nicht vertragen. An den Ufern dieses Flusses pflegten sich die Wittwen der Umgegend mit den Leichen ihrer Männer zu verbreuuen, indem sie Zum letzten Mal in dem Flusse badeten und dann mit den nassen Kleibern sich sofort dem Feuer übergaben. Die es vermochten, bauten gewöhnlich hübsche kleine Temvelchm auf der Stelle, wo sich eine Wittwe verbrannt hatte, so daß die Gegend damit reichlich versehen War. Der Wunsch, sein Andenken so verewigt zu sehen, wird natürlich bei vielen dazu beigetragen haben, den Entschluß zum freiwilligen Feuertode zu reifen. Doch scheinen im Ganzen die Gründe dazu 18 — 274 — viel tiefer gelegen zu haben, wie sie denn anch mit der ganzen religiösen Anschauungsweise dieses Volkes eng zusammen hängen. Einen lebendigen Beweis davon liefert die letzte der Satties in dieser Gegend. Im Jahre 1828 machte der Obrist Sleemann in jenen Gegenden bekannt, daß hinfort keine Wittwcnverbrennung weiter stattfinden dürfte, nnd daß wer anch nnr „eine Unze Holz" dazn beitrüge, bestraft werden sollte. Im nächsten Jahre schon baten ihn die angesehensten nnd einflußreichsten Brahminen jener Gegend, einer alten Frau zu erlauben, sich nnt ihres Mannes deiche zu verbrennen, der eben an den Ufern des Nerbuda verschieden war. Obrist S. verschärfte seinen Befehl, drohte mit harten Strafen nnd stellte Posten umher, die es anf jede Weise verhindern sollten. Am folgenden Tage wurde also die deiche allein verbrannt, und die Tausend der Zuschauer zerstreuten sich in ihre Wohnuugeu. Die Wittwe aber blieb am Ufer des Flusses sitzen ohne Speise und ohne Trank, nnd begehrte nichts als den Feuertod. Ihre nächsten Verwandten, die der Sitte gemäß nichts essen dnrften, bis sie entweder verbrannt oder in ihre Wohnung zurückgekehrt war, umringteu sie nnd baten sie doch nach Hause zu kommen uud unter ihnen zu leben. Die Uebrigcu gingen hü«, umringten das Haus des Obristcu, und baten ihn, sie doch verbrennen zu lasseu. Der Obrist blieb unbewegt, und so auch die Wittwe. Von Dienstag, wo ihr Mann starb, blieb sie bis Donnerstag unbeweglich auf einem Steine im Flußbette des Nerbuda sitzeu, des Tages den heftigen Souueustrahleu, des Nachts der dortigeu Kühle ausgesetzt, ohne Speise uud ohne Trauk. Am Donnerstage zerbrach sie ihre Armbänder, wodurch sie der Laudcs-sittc gemäß lebendig todt wurde und ans der Kaste schied. Nun war es unmöglich für sie in ihre Familie zurückzukehren, und sie hatte somit den stärksten Beweis gegeben, daß sie nicht mehr leben wolle. Ihre Kinder saßen noch um sie herum, aber alle ihre Bittcu fanden taube Ohren, lind der Obrist war überzeugt, daß sie sich zu Tode hungern würde, wenn ihr Wunsch nicht gewährt werden sollte. Am Sonnabend früh ritt der Obrist zur Stätte nnd fand die Wittwe auf ihrem Steine sitzen, schon den fünften Tag ohne Speise nnd Trank. Ohne aufzustehen, sprach sie: „Ich bin entschlossen meine Asche mit der meines geschiedenen Gemahls zn vereinigen und werde gcdnldig Ihre Erlaubniß dazu abwarten, in der Gewißheit, daß Gott mein Leben so lange fristen wird, wiewohl ich weder essen noch trinken darf." Die aufgehende Sonne anblickend, sagte sie: „Mein Geist ist fünf Tage lang mit meinem Gemahl nahe jener Sonnc gewesen, nichts als meine irdische Gestalt ist noch übrig, uud ich weiß, Sie werden zu seiner Zeit die Erlaubniß geben, daß sich dieselbe mit der Asche des Gatten dort auf jener Stätte vereinigen darf; denn es liegt ja nicht in Ihrer Natur, muthwillig die Leiden eines alten Weibes zu verläugcrn." Der Obrist sprach: „Gewiß nicht, und ich bin hergekommen, Dich zn bitten von diesem eitlen Begehr abzustehen, zu Deiner Familie zurückzukehren nnd die Deinigen von dem Verdacht zu befreien, als ob sie Deine Mörder wären." „Ich fürchte nicht," sprach sie, „oaß irgend jemand so von ihnen denken wird. Sie haben alle, wie gute Kinder, alles was in ihren Kräften stand, gethan, um mich zu erhalten, und wenn ich uuter ihnen geblieben wäre, so weiß ich wohl, daß sie mich geliebt nnd geehrt hätten; aber meine Pflichten gegen sie haben ein Ende. Ich befehle sie alle in Ihre Sorge, und ich gehe hin meinen Ehemann Omcd Sing Opndea Zu begleiten, mit dessen Asche ich die mcinige schon dreimal auf dem Scheiterhaufen verewigt habe." (Sie sprach nach ihrem Rcligionswahne von einer wiederholten frühern Existenz in diesem Erdenlcbm.) Das war das erste Mal, daß sie in ihrem langen ^ebcn den Namen ihres Mannes genannt hatte. Denn Indiens Frauen bringen diesen Namen nie über ihre Lippen, und darin sind sie alle sich gleich, Brahmmen oder Pariahs, arm, oder reich, jnng oder alt. Der Name des Gatten darf nie genannt werden, nnd sie kommen 1«* — 276 — in die größte Verlogenheit, wenn etwa ein Europäer, der das nicht weiß, oder nicht wissen will, sie darnach fragt. Sie drchm ihren Kopf in großer Noth links oder rechts und snchcn gleichsam Hilfe, nnd wenn etwa ein Beistehender diesen Namen für sie nennt, so fällt ihnen ein Stein vom Herzen. Anch unsere Christenfrauen sind über diese Eigenthümlichkeit noch nicht alle ganz hinweg. Als die Alte den Namen ihres Mannes so geflissentlich nannte, war jedermann überzeugt, daß sie zu sterben unwiderruflich beschlossen habe. Sie fuhr fort und sprach: „Meine Seele ist schon bei Omcd Sing Opudea, uud meine Asche wird sich hier mit der scinigen vereinen." Und wieder die Sonne anblickend, sagte sie: „Dort sehe ich schon meine Seele mit ihm zusammen, unter dem bräutlichen Prachthimmel." Der Ton nnd Ansdruck dieser Worte bewegten den Officicr nicht wenig. Er versuchte Ernst nnd Güte mit gleicher Erfolglosigkeit. Er sagte, ihre Kinder würden zur Verantwortung gezogen werden, daß sie sie nicht von diesem Schritt abgehalten hätten; die Denkmale ihrer Borfahren dürften zerstört werden, nnd sicherlich sollte auch nicht ein Stein die Stätte bezeichnen, wo fie verbrannt wäre, wenn sie nicht umkehrte. Dagegen, wenn sie davon abstände, sollte ihr eine anständige Wohnung unter diesen Tempeln errichtet und für ihren Unterhalt reichlich gesorgt werden, auch sollten ihre Kinder (— mit denen sie ja nach dem Brnche der Kaste nicht mehr leben dürfte) täglich sie zu besuchen kommen, uud er selbst, der Obrist wollte ein Gleiches thun. Sie lächelte sanft, reckte ihre Arme aus und sprach: „Meiu Puls hat längst zu schlagen aufgehört, — mein Geist ist entflohen; — nichts ist von mir übrig, als ein wenig Erde, und die begehre ich mit der Asche meines Mannes zn vereinigen. ^-Ich werde nichts leiden im Feuer, und wollen Sie sich davon überzeugen, so befehlen Sie Fencr zu bringen, und Sie werden diesen Arm verbrennen sehen, ohne Schmerzen für mich." Einige fühlten — 277 — nach ihrem Puls uud fanden ihn nicht mehr wahrnehmbar, nnd alle waren überzengt, daß sie fast nichts mehr leiden tonne. Ihr Ende gab den Beweis dazu. Da der Obrist sahe, daß er nichts auszurichten vermochte, schickte er nach den Hänfttern der Familie nnd nahm ihnen das schriftliche Versprechen ab, daß hinfort keine Wittwe mehr verbrannt werden sollte, und daranf gab er die Erlaubniß zu dieser letzten Satti. Die Alte vernahm die Kunde mit Freuden. Es war mn 12 Uhr Mittags. Um 3 Uhr war der Scheiterhaufen fertig. Die Alte stieg in den Fluß sich zu baden, forderte dann ein Betelblatt und aß es, darauf stand sie auf und, einen Arm auf der Schulter ihres ältesten Sohues, deu audcrn auf der Schulter ihres Neffen, schritt sie zum Feuer. Als sie aufstand, wurde der Holzstoß angezündet und war bald in lichten Flammen. Der Holzstoß war über einer Vertiefung errichtet worden, etwa tt Fuß ills Geviert uud 4 Fuß tief, in welcher ihr Mann verbrannt worden war. Sie kam langsamen Schrittes zum Feuer, stand still, hob die Augen in die Höhe und rief: „Warum hat malt mich fünf Tage lang von dir abgehalten, mein Gemahl?" Hierauf ging sie allein einmal nm das Feller, murmelte ein Gebet, warf einige Blumen in die Gluth, uud stieg dann laugsam mitten ill die Flammen, setzte sich, lehnte sich nach hinten, und ohne einen Schrei oder ein Zeichen des Schulerzes war sie bald in Asche verwandelt. — Das war die letzte Satti (Wittwen-Verbreunung) amNer-lmda, und was lehrt sie uns? Wenn Heiden für einen todten eitlen Wahn zum Opfer in den Fenertod zn gehen sich durchaus nicht abhalten lassen, wie viel mehr sollten wir denn für den leben-digcn wahrhaftigen Gott zmn lebendigen und ihm wohlgefälligen Opfer uns selbst darzubringen, willig uud bereit sciu! Nöm. 12, 1. 2. 5. Der dreifache Weg und die einzige Brülle zu Gott. Aber Sie müssen uns nicht für solche Thoren halten, antwortete mir ein Brahmine, der den Rnf der Gelehrsamkeit hatte, und darum von einem andern Brahminen besonders herbeigerufen worden war; Sie müssen uns nicht für solche Thoren halten, die da meinen, daß diese Steine, die Sie Götzen nennen, wirklich Leben haben. Wir Wissens ja recht gut, daß dirs todte Materie ist, uud wenn Sie sagen, die Götzen haben Augen und sehen nicht, Ohren und hören nicht :c., so ist das wohl wahr, aber doch auch wieder nicht wahr. Denn Sie sagen doch mit uns, daß der einige, ewige Gott überall gegenwärtig, alles erfüllend sei. So werden Sie also keinen Ort, keinen Pnnkt in der Schöpfung angeben können, von dem gesagt werden könnte, daß Gott da nicht sei. Wenn nun dem so ist, so können Sie ja auch nicht sagen, daß Gott nicht in diesem Steine sei. Wenn wir nun, die wir gern Gott dienen möchten, aber ihn doch nicht erreichen können, einen Stein nehmen und ihm irgend eine Form geben, und wenn wir dann Gott anflehen, er möchte sich den Dienst, welchen wir diesem so geformten Steine erweisen, als ihm selbst erwiesen Wohlgefallen lassen, so werden Sie nicht sagen können, daß dies noch ein Stein sei, wie andere Steine. Wir aber glauben, daß Gott unsere Gebete nnd Segensformeln erhört hat und in diesem Steine besonders seine Allgegen- — 279 — wart bekundet. So dienen wir denn nicht mehr dem Steine, sondern dem einigen ewigen Gotte, unter der Gestalt des Steines, den wir dazu besonders geheiligt haben. Diese Art Gott zu dienen, ist allerdings die niedrigste Art, aber für das gemeine Volk auch nicht anders möglich. Denn das gemeine Volk wird immer an der Sichtbarkeit hängen bleiben, und wenn man ihm nichts Sichtbares vorhält, worunter es Gott verehren soll, so wird es eben Gott ganz vergessen und ihm gar nicht dienen. Unsere Religion aber zeigt uns einen dreifachen Weg Gott zu dienen. Dieses mm, was Sie als Götzendienst verwerfen, ist die unterste Stufe des Gottesdienstes. Eine höhere Stufe ist es schon, gute Werke zu thun, z. B. Vrahmincn oder auch andere Arme zu speisen, überhaupt uie zu csseu, ehe man vorher nicht Almosen gegeben, einen oder mehrere Arme gespeist hat. Wie auch schou unsere Kindcrfibel uns lehrt: „Erst wenn du Almosen gegeben hast, dann iß du selbst." Und wie ein anderer unserer Poeten gesagt hat: „Alles Familienleben und alle Mühen des Haushalts haben nur den einen Zweck: Gäste aufzunehmen und Almosen zu spenden." Ferner gehört dahin, die Erbanung und Unterhaltung von Rasthäusern für Reisende, das Pflanzen schattiger Bäume für Menschen und Vieh, das Darreichen von frischem Wasfcr an Vorüberreisende bei großer Hitze :c. :c. Dieses ist die zweite Stufe unseres Gottesdienstes und viel höher als die erste; aber die höchste Stufe ist sie noch nicht. Die höchste Stnfe unfercs Gottesdienstes ist das Versinken in Gott durch Contemplation, das Abziehen der Sinne von allem Irdischen, so daß Geld und Gut, Weib und Kind, Rnhm und Ehr keinen Reiz mehr für den Menschen haben. Sein äußeres Auge ist dann für die Außenwelt geschlossen, aber sein inneres Auge geöffnet, so da-ß er Gottes Wesen schant, seine Allmacht, seine Weisheit, seine Unendlichkeit bewundert, alles andere dagegen vergißt. Wer auf bieser höchsten Stufe Gott dient, der bedarf der niederm nicht — 280 — es sei denn, daß er durch die niedern Stufen zu dieser höchsten emporsteige. Dies ist der dreifache Weg unserer Religion, und ein jeder kann nun einen derselben besonders zu dein Seiuigen machen oder auch von alleu dreien so viel üben als er kann; denn diese drei Wege unterstützen einander. So redete der gelehrte Vrahminc längere Zeit fort und die Nede floß ihm nur so vom Muude. Dazu citirte er Sprüche der Schastras, daß es eine ^ust war, ihm zuzuhören; wie denu auch alle Umstehenden nicht nur die Ohreu, soudern auch buchstäblich die Mäuler aufsperrten, um alle seine Worte ill sich aufzunehmen. Meine Autwort darauf war etwa folgende: Sie haben in Ihrer Nede manches Wahre und Gute ausgesagt, und das freut mich aufrichtig. Vieles aber wird doch mit der Wahrheit nicht bestehen können. Was z. B. die unterste Stufe ihres Gottesdienstes betrifft, so werden Sie, der Sie wissen, daß Gott ein Geist ist, doch nicht im Ernste behaupten wollen, daß man durch Verchruug und Anbetung irgend einer todten Materie dem ewigen Geiste dienen könnte. Wenn z. V. mein Diener etwa höhern Lohn von mir zu erhalten wünschte, würde er dann den rechten Weg einschlagen, wenn er meinen Stock hier, der mir recht lieb ist, hernähme, vor ihm Salam machte, und ihm sein Anliegen vortrüge? Schwerlich! Wenn Sie also im Ernste glaubeu, daß Gott überall allgegenwärtig ist, daß Er, der uns das Auge geschaffen hat, alles sieht, der uus das Ohr gegeben, auch alles hört: warum wenden Sie sich nicht mit Ihrer Vcr-chruug uuo mit ihren Gebeten direct an Gott, den Gegenwärtigen, der Alles sieht uud alles hört, statt sich an einen todten Stein zu wenden, der doch einmal weder sehen noch hören kann, und dessen Wesen doch immer todte Materie bleiben wird, welche Form Sie ihm auch geben und welcherlei Segenssprüche Sie auch über ihm aussprechcn mögen? Daß sie sich aber so vou dem ewigen Geiste — 281 — wegwenden und dem todten Stoff Anbetung zollen, das ist nicht nur eine große Thorheit, fondern anch eine große Sünde. Denn dem ewigen Gottc, der Alles und auch Sie geschaffen hat, der Ihnen Leben, Gesundheit, Vernunft nnd alles gegeben hat, dem schulden Sie doch Anbetung und Dankbarkeit! Diese aber zahlen Sie ihm nicht, sondern zahlen sie dem, dem sie gar nichts schnlden, der todten Materie. Hier liegt also offenbar eine Vcrrückung des von Gott gegebenen guten Verstandes uud eine Verführung der Seele vor. Woher diese Verführung? Woher sonst als von den bösen Geistern, die in der Luft herrschen, und von denen Ihnen Ihre eignen Schriften sagen, daß sie den Menschen auf c«llc Weise Schaden uud Böses zuzufügcu sucheu. Es hilft aber nichts, diesen bösen Geistern einen Eienar und andere Obersten zu setzen, nnd diese zu bitten, den bösen Einflnß der übrigen bösen Geister abznhalten. Denn das ist's ja gerade, was diese bösen Geister bezwecken, die Menschen von Gott, dem Quell alles Guten, abzuhalten. Wem der Mensch außer Gott dient, ist gleichgiltig, die bösen Geister haben ihren Zweck erreicht, wenn sie die Menschen von der Vereinigung mit Gott im Geiste und in der Wahrheit abgehalten haben; denn sie sind gewiß, daß außer Gott nur Elend uud ewiger Tod für den Menschen übrig bleibt. Ihr Götzendienst ist und bleibt also ein Dienst des Geschöpfes und nicht des Schöpfers, uud ist so fern davon, ein Dienst des ewigen Gottes zu sciu, daß er vielmehr ein Dicust der bösen Geister ist, die den Menschen von Gott, dem Quell alles Lebens uud alles Heils, aller Freude uud aller Seligkeit abzuhalten snchm. Was aber die zweite Stufe ihres Gottesdienstes betrifft, so ist es ja gewiß recht gut, die Annen zu speisen, die Nackenden zn kleiden, die Neiscnden zu beherbergen :c. Aber wenn dies nicht mit reinem Herzen geschieht, nicht in der reinen Liebe zum Nächsten, wenn sich vielleicht gar Hochmuth und Selbstbesviegclung hineinmischt, so müssen Sie selbst sagen, daß alle Tugend hin und verloren — 282 — ist. Aber auch wenn es am besten Zugeht, so ist es doch nur ein Dienst, den Menschen erwiesen, und kann auch von Leuten geschehen, die Sie selbst Atheisten nennen winden. Es können also diese Werke an sich, wie gut und löblich sie auch sind, ein eigentlicher Gottesdienst gar nicht genannt werden. Ihre dritte Stufe des Gottesdienstes, die Vcrlcugnuug der Welt, das Sichlosmachen von aller Sichtbarkeit und das Sichversenken in den ewigen Geist, um ihn gleichsam im Geiste anbetend und verwundert zu schauen, ist allerdings eine hohe Stnfe des Gottesdienstes. — Aber wie soll der endliche Mensch den unendlichen Geist betrachten, wenn er nichts weiter von ihm weiß, als was seine eigenen Gedanken ihm sagen? Ist dabei Irrthum und Fehlgreifen nicht ganz unvermeidlich? Und kann, was so im Ungewissen geschieht, ohne Gott uud seinen Willen wirklich zu keuncn, in Wahrheit ein Dienst Gottes genannt werden? Denn Gott kann man doch ebensowenig als irgend einem Könige und Herren damit dienen, daß man seinen eignen Willen thut, sondern damit dient man ihm, daß man seinen eignen Willen dem Willen des Herrn unterwirft, das thut, was er geboten hat, und das läßt, was er verboten hat. Doch sagen Sie mir aufrichtig: kennen Sie einen Menschen, der auf diesen drei Wegen es dahin gebracht hat, ohne Sünde uud Schuld zu sein? Ich kenne wohl keinen, aber es mag irgendwo in der Welt zwei oder einen solchen geben. Und was könnte uns das helfen, wenn es auch zwei oder einen solchen gäbe. Sagen Sie mir daher lieber, ich bitte, ob Sie es soweit gebracht haben, ohne Sünde zu sein? Ob Haß und Neid und böse Lust Ihnen gänzlich fern sind? O nein, das kann ich von mir durchaus nicht sagen, denn viel derlei ist noch in mir. — 283 — Wie also gedenken Sic, durch Sünde verunreinigt, vor dem heiligen Gott zu bestehen? Ich muß eben bitten, daß er mir meine Sünde vergeben möchte. Würden Sie den Richter loben, der die Diebe ungestraft und den Mörder ungehangcn ließe? Nein, denn die Gerechtigkeit erfordert, daß solche gestraft werden. So halten Sie also die Gerechtigkeit für etwas Gutes? O ja, wie sollte es auch soust in der Welt Zugehen, ohne Gerechtigkeit. Wir waren doch vorhin einig, daß Gott die Quelle alles Guten sei; woher hat also der Mensch die Gerechtigkeit? Natürlich vou Gott, von dem wir alles haben, was gut ist. Haben wir also die Gerechtigkeit von Gott, wird nicht auch Gott gerecht sein? O gewiß. Er ist das allervollkommste Wesen, und so muß auch seine Gerechtigkeit viel volllommner und höher sein, als die unsrige. Ganz recht. Und darum wird er auch alle Sünden an den Menschen strafen müssen, ob er auch an dem Strafen selbst kein Wohl' gefallen hat, eben vermöge seiner ewigen Gerechtigkeit. Denn wollte er den Menschen ihre Sünden ungestraft hingehen lassen, so würde er eben einem Nichter gleichen, der Mörder und Diebe n. dgl. ungestraft läßt. Dazu ist doch nur in der Vereinigung mit Gott Seligkeit zu finden; wie kann aber mit Gott, den: Heiligen und Gerechten, sich vereinigen, was unrein und ungerecht ist? Das ist allerdings unmöglich. Nachdem wir also die Gerechtigkeit Gottes erkannt haben, darf ich Sie noch einmal fragen, wie gedenken Sie vor Gott zu bestehen? — 284 — Ich muß allerdings bekennen, daß wenn ich jetzt sterben sollte, so wäre ich ohne Hoffnung der Seligkeit. So verläßt Sie also ihre Religion gerade da, wo Sie dieselbe am allernöthigsten haben. Denn die Religion soll uns doch mit Gott verbinden, die Ihre aber tritt da ohnmächtig Zurück, wo diese Verbindung unmittelbar beginnen soll. Sie läßt den Sünder durch die Sünde von Gott geschieden, erweist sich also Zur Zeit der höchsten Noth als ohnmächtig und nutzlos. Aber was sagt denn Ihre Religion darüber? Gern will ich hören, was das Christenthum über diesen schweren Punkt sagt. So hören Sie! Gott, das ewige Gut, wohnt ill einem Lichte, da kein Sünder hinzu kaun. Deun dieses Licht, das den: Gerechten Heil und Leben ist, wird dem Sünder zum verzehrenden Feuer. Gottes ewige Gerechtigkeit umgicbt ihu wie eiu tiefer, breiter, reißender Strom. In diesem Strom versinkt alles was Sünder heißt, und alle Werke der Menschen werden nie ein Fahrzeug zusammenbringen, welches nicht sofort von diesem Strom in Stückeu gerissen und verschlungen würde. So ist denn Gott hoch über alle Gedanken und Werke der Menschen erhaben, heilig uud gerecht, in ewiger Seligkeit thronend. Tief im Elend aber steht der Mensch, innen und außen von Sünde befleckt. Nud zwischeu dem Menschen in seinem Elend und zwischen Gott in seiner Herrlichkeit ist diese tiefe, unübcrsteigliche Kluft, dieser reiscude Strom der Gerechtigkeit Gottes. Das ist die Lage aller Sterblichen, aller Sünder. Und das ist ein Zustand zum Verzagen. Nun aber hören Sie weiter. Gott ist das allervollkommcnste Wesen, Er ist also ebenso barmherzig als gerecht. Und nach seiner ewigen Barmherzigkeit sucht er den Sünder zu retten. Bei dieser Rcttuug aber darf seine ewige Gerechtigkeit iu keiner Weise verletzt werden. So fand denn seine ewige Weisheit ein Mittel, diesen Strom der Gerechtigkeit zu überbrücken. Uud welch eine Brücke ist das? Die ewige Weisheit macht den Plan, die ewige Liebe führt ihn aus. Gott sandte seinen eiugebornen Sohn in diese Welt nns zum Hei land. Jesus Christus, mit seiner Gottheit in der Ewigkeit, in der ewigen Seligkeit fußend, mit seiner wahrhaften Menschheit in Mitten des Elends der Menschen auf Erden fußend, ist die Brücke! Gottes ewige Gerechtigkeit aber dürfte in keiner Weise verletzt werden. Darum nahm Jesus Christus unsere menschliche Natur an, trat in das Menschengeschlecht ein, als ein Sohn des Menschen, um so in seiner Person die Sünden allcr Menschen auf sich zu nehmen und die Strafen dafür selbst zn erleiden. So gab der ewige Gottes söhn, als wahrhaftiger Sohn des Menschen, fein Blut uud sein Leben dahin zur Genugthuung für unsere Süuden. Er starb am Kreuz deu Tod des Verbrechers für alle Uebertreter des Gesetzes Gottes. Er erstaud vom Tode am dritten Tage zum Zeichen, daß er als Gottmensch den Tod für uus zerstört hat. Er fuhr auf geu Himmel und uahm wieder ein den Thron seiner Herrlichkeit, doch nun nicht nur als wahrhaftiger Gott, sondern auch als wahrhaftiger Mensch-und so ist er uusre Brücke geworden. Wer nun diesen einigen und einzig möglichen Mittler zwischen Gott und Menschen annimmt und im Glauben sich an ihn hält, der gelangt durch Ihu sicher über den Strom der Gerechtigkeit Gottes hinüber; denn er hat mit Christo, dem Tilgcr der Sünden, seiner Süuden Tilgung und Vergebuug erlangt. So ist Jesus Christus der einzige Heiland der Welt, der ein zige Weg zu Gott. Alle andern Wege der Menschen, wie anch Ihre eigne Religion, führen nur bis zum Strom der Gerechtigkeit Gottes, welcher Gott und Mensch trennt; hinüber führt kein Weg der Menschen und kann keiner führen. Christus ist der einzige Weg, der hin überführt, die einzige Brücke, welche Zeit uud Ewigkeit verbiudet, die einzige Himmelsleiter, auf welcher die Eugel, die Gnade Gottes, zu uus Herniedersteigen, und dnrch welche wir hinaufsteigen könneu zu Gott. — 286 — So sind denn auch diejenigen allein, die Jesum Christum, von Gott gekommen, mit Freuden und im Glauben ergreifen, die einzigen Weisen. Und Thoren sind Alle, die diesen einzigen Weg zu Gott verschmähen. Denn welchen Weg sie auch sonst einschlagen mögen, über den Strom der Gerechtigkeit Gottes kommen sie nicht hinüber, und so müssen sie ewig von Gott getrennt bleiben und somit vom ewigen Gute, von aller Frende, Leben und Seligkeit; so daß ihnen nichts bleibt als Finsterniß, Tod und Herzeleid, und der nagende Wurm, daß sie hätten zu Gott kommen können, wenn sie den einzigen Weg, die einzige Brücke nicht verschmäht hätten. Wie festgebannt saßen die Brahminen und hörten stauuend und schweigeud zu. Und, was ganz außerordentlich war, sie schwiegen auch, als ich Zu reden aufgehört hatte. Das ist allcrdiugs ein Weg zu Gott, der nicht getadelt werden kann, sagte endlich der das Wort führende Brahmine. Und nach einigen weiteren Nedeu über die Nothwendigkeit, auch zu thun, was wir für recht und gut anerkennen müssen, endigte unsre Zusammenkunft. Möchte sie nicht vergeblich gewesen sein! 6. Nach Nallalam. Vor einiger Zeit kamen einige Männer aus Nallalam, 38 Meilen weit von Cuddalore, zu mir und sprachen ihren Wunsch ans, Christen zu werden. Nach den nöthigen Verhandlungen, in welchen ich sie ernstlich ermähnte, nur ein Ziel vor Augen zu haben, nur ihr Seelenheil suchen zu wollen, ohne alle Hintergedanken, ließen sie ihre uud ihrer Angehörigen Namen aufschreiben, einige siebenzig Seelen, und gingen dann der Mehrzahl nach wieder heim, während einige gleich zum Unterricht hier blieben. Wie ich vermuthete, war dabei allerdings auch noch etwas andres im Spiele, nämlich der .Wunsch nach Erwerb eines Stück wüsten Regierungslcmdcs, das ohne alle Schwierigkeit ihnen gegeben werden würde, wcun nicht ihre neidischen Grundbesitzer es auf alle Weise zu hintertreiben suchten. Dies hatten sie mir offen gestanden, aber auch gesagt, daß unabhängig von jenem Wunsche sie doch Christen werden wollten, auch wenn es mit dem Lande nichts werden sollte. So begann denn meine Verbindung mit den Leuten. Als die hier zurückgebliebenen getauft zurückkehrtcu, hattcu sie und alle andern mit ihnen viel von den dortigen Heiden, einen alten wüthigen Ortsrichter an der Spitze, zu lcideu, und sie baten mich daher oft, daß ich selbst doch einmal hinkommen möchte. So machte ich mich denn auf, nach Nallalam zu gehen, und will nun hier einfach abschreiben, was sich in meinem Tagebuche darüber findet. — 288 — 14. October. Weckte früh um 3 Uhr meine Leute, da mich das heftige Kopfweh, das mich gestern den ganzen Tag zurückhielt, um 2 Uhr verlassen hatte. Um 4 Uhr brachen wir auf und mußten des vielen Wassers im Pennar wegen einen weiten Umweg machen, um die nene Brücke über den Fluß benutzeu zu können. Um 9 Uhr etwa kamen wir nach Tukauampakam, wohin ich einen ^cscr und mein Pferd vorausgeschickt hatte. Dort hörte ich, daß des Hilfs-tatecheten Frau wieder seit 6 Wochen abwesend — bei ihren Verwandten in Tanjorc — sei nnd sich weigere, zu ihrem Manne zurück-zukehreu. Ich schrieb deshalb an nnsern Bruder Onchterlony und bat nm seine Vermittlung. Inzwischen versammelten sich die Chri^ stcn zum Gottesdieust, zu welchem sich auch einige Heiden als Zuhörer einfanden, mit welchen ich nachher noch besonders sprach. Einer der Christen, der sehr unordentlich gewandelt hatte — er kann das Saufen nicht lassen — sagte mir, er könne gar nichts fassen, er wisse auch nicht, was Traner oder Freude sei u. s. w. So will ich auch nicht weiter mit dir reden, erwiderte ich, will aber den übrigen sagen, wie tief mich dein Wandel bekümmert, der dn nnn ein alter Mann bist, der nicht mehr lange zu leben hat, und doch von der Sünde nicht lassen und die ewige Frende nicht ernstlich suchen willst. Ein anderer klagte mir, daß er gar hülflos sei und sich so trostlos fühle, da er in seinem nahenden Alter immer noch alle schwere Arbeit allein thnn müsse, ohne Sohn, ihm Zn helfen. Ich sagte ihm: Gott hat dir eben keinen Sohn gegeben, wie mir auch nicht, Er wird dich aber um deswillen in deinem Alter doch nicht verlassen. ^-Nachmittags brachen wir dann wieder auf. 15. October. Vikravandi. Die Ochsen wollten gestern Abend nicht mehr weiter, so hielten wir ill Villanur au, wo cin schöner Sattiram ist. Bald kamen auch einige Vrahminen herzu. Sie nannten das Getrommel:c. des Götzendienstes, worüber ich mit ihnen sprach,, ein Spiel der Welt, das ganz unnütz sei, zu welchem — 289 — sie aber doch gehen müßten, weil sie sonst für gottlos ausgeschrien werden würden. Wir selbst thäten ja ganz das nämliche, meinten sie, denn sie hielten mich für römisch, schienen sich aber zn freuen, als sie hörten, daß ich das anch verwürfe. ^n 8l>.ii, sagten sie: dann ist's recht. Da sie aber doch noch dabei blieben, anch so Gott dienen zu können, fragte ich sie weiter: Wenn ihr einen Sohn habt, der in einer andern Stadt lebt nnd dem ihr genaue Aufträge gegeben habt, die er ausrichten soll, wird derselbe dann euch wirklich dienen, wenn er alle cnre Aufträge hinter den Rücken wirft, sich aber ein Bild, das seinen Vater vorstellen soll, von Erde oder Stein macht und das täglich mit Oel beschmiert? Nein, erwiederten sie lachend, damit würde er uns gar nicht dienen. Und doch thut ihr gerade dasselbe. Der Schöpfer Himmels und der Erden, von den: auch ihr Leben und Odem empfangen habt, hat euch sehr deutliche Befehle gegeben, uud damit ihr sie ja nicht vergessen möchtet, hat er sie sogar in eure Herzen hineingcschrieben, daß ihr nämlich nicht unkeusch sein, nicht stehlen, nicht lügen, nicht betrügen sollt :c. Aber das alles werft ihr hinter den Nucken nnd geht dafür hin, macht euch irgend ein Bild nach eurem Gefallen und beschmiert dasselbe täglich mit Oel, macht einen wilden ^ärm dazu und denkt dann, ihr habt Gott gedient. Sie gaben zu, daß das alles freilich richtig sei; aber sie hätten es so von ihren Vätern geerbt, was könnten sie thun? Haben eure Väter auch wohl so gute Straßen und Brücken gehabt, als ihr jetzt? O nein. Nun, warum geht ihr denn nicht neben den Straßen und Brücken, da doch eure Väter auch nicht so gereist sind? Was also eure Väter aus Unwissenheit gethan oder nicht gethan haben, kann 19 — 290 — euch nicht zur Regel dienen, denn sonst müßten auch die Kaller heut noch von Raub leben, weil ihre Väter dcivon gelebt. ,! Aber wenn wir auf eine Höhe steigen wollen, sagten sie, so müssen wir doch von unten anfangen, wir können doch nicht die höchste Stnfe erlangen, ohne die niederen betreten zn haben. Und der Götzendienst ist eben die niedere Stufe, Gott zu dienen, von der man nachher höher steigen kann. Dies thut ihr aber nie, cutgegnete ich, sondern bleibt bis an den Tod auf der untersten Stufe des Götzendienstes stehen. Wenn man höher hinauf will, muß man doch die unterste Stufe verlassen. Wäre nun auch der Götzendienst wirklich die untere Stufe, so wäre es doch jetzt hohe Zeit für euch, endlich über dieselbe hinauszugehen. Thut es nur, so wird euch Gott schon mehr Licht schenken und euch höher führen. Da meine milden Leute zweimal vergeblich nach Milch ausgegangen waren, so sagte ich zu den Brahminen: Encr Ort hat so einen schönen Sattiram, aber auch nicht einen Tropfen Milch für einen Reisenden. Daranf stand sogleich einer von ihnen anf und fragte: Erlauben Sie mir, daß ich Milch holen darf? Ja Wohls sagte ich, und er ging. Wirst Du auch wiederkommen? riefeu ihm die andern nach. Wenn ich Milch kriege, sonst nicht, rief er zurück. Nach einer Weile fingen die übrigen an: Es wäre uns sehr angenehm, weiter mit Ihnen zu reden, wenn Sie nur bis morgen bleiben wollten. Als ich aber erwiderte, daß ich noch in der Nacht weiter müsse, gingen sie alle fort mit den Worten: so wollen wir doch sehen, ob wir keine Milch für Sie finden können. Meine Leute meinten, das sei nur so eine höfliche Weise fortzukommen, und ich begann meinen Thee ohne Milch zn trinken. Aber sie kamen wirtlich alle wieder, und zwei brachten in ihren kleinen runden Messinggefä-ßen Milch. Ich hatte an der Hälfte genug, aber sie bestanden darauf, daß ich den ganzen Vorrath annehmen mußte. — 2Mii^6i — Unwcise — nennen sich die Tamnlen selbst und ^Miif;o1 — Weise — nennen sie solche, die der Welt entsagen, dem Besitz, der Freude und dem Leid, und sich mit ihrem Geiste in Gott betrachtend versenken.) Inzwischen hatten sich die Bewohner aus ihren Hütten hcrzu-gemacht, wohl W Männer nnd Kinder. So wandte ich mich an sie und sagte: Hört, diese Brahmincn behaupten, daß ihr so dumm seid, jenen Dämon Mariammcn zu verehren; warum hört ihr denn nicht auf die Belehrung, die sie euch geben? Die Leute sahen einander verlegen an, denn sie wollten wohl nicht gerade heraus sagen, daß sich die Sache doch etwas anders verhalte. So erwiderte ich den Brahminen: Ich denke, sie folgen nur eurem Beispiel. Ihr salbet einen Stein, uud so salben sie einen andern. — 293 — stein, rief der älteste der Brahnnncn, wir thun das nicht. Wir wissen, daß es ein I^radaravasw giebt (I'ai-adn,i6ii — Gott, 1'^-lÄ^lunv^w — göttliches Wesen), und das ehren wir im Gemüth, wir treiben keinen Götzendienst. Aber ihr geht nach Tirnvanamaley? Ja, aber nnr um einzukaufen, was uns noth thut, nur des Jahrmarkts wegen. Das gefiel mir von dem Alten und ich sprach es ihnen aus. Ein junger Brahmine nieinte: Diese Sndras denken, wenn sie der Mariammen nicht dienen, so werden sie alle sterben. Ja wohl, riefen einige Sudras bekräftigend. Versucht's doch nnr ein Jahr, sagte ich. Wir Haben's schon vcrsncht, antworteten sie, aber da hat's das ganze Jahr nicht geregnet. Das geschah nm eurer Sünden willen. Dein Gott, der euch geschaffen, euch ^eib und Seele gegeben und fo viele Jahre erhalten hat, dem dient ihr nicht, dem dankt ihr nicht, den betet ihr nicht an; dafür nehmt ihr euch einen Stein von der Straße, stellt den zum Götzen auf und dient ihm; so verdient ihr mit Recht die Strafe. Um nicht gestraft zu werden, dienen wir eben der Mariammen, die sonst sehr böse ist. Hört eine Geschichte. Ein Grasschneider nahm sein Messer und ging in den Wald, Gras zu schneiden. Da kam ein Tiger und wollte ihn fressen. Der Grasschucider warf sich schnell anf seine Kniee, pries des Tigers Tugenden und bat ihn sehr, seiner doch zu fchoueu. Aber der Tiger fand diese Position anf den Knieen ganz recht, fprang anf ihn zu und fraß ihn auf. Hätte der Mann sich mit seinem Messer zur Wehre gesetzt, so hätte er sich wohl noch retten können, so aber ging er durch seine eigne Thorheit verloren. Und ihr denkt von dem Dämon verschont zn werden, wenn ihr ihn — 294 — bittet? Darf mall mich mit dm Bösen Freundschaft machen? Wider stehet dem Teufel, so fliehet er von euch! Ja, sagte der alte Brahmine, das ist wahr. Da er ein Buch in des Lesers Hand sah, so fragte er: Was ist das für ein Buch? Lies den 51. Psalm, sprach ich zum Leser. Das aber schien ihnen zu hoch. So liesi ich den 1. Psalm lesen uud fand, wie b> gierig sie alles in sich aufnahmen nnd priesen. Namentlich das von der Betrachtung der Schrift — sie wiederholten jedes Wort mit Bedacht — und das von der Spreu, die der Wind verweht. Auch ein großer Haufen Spreu verschwindet, wenn der Wind hineinbläst, bestätigten sie. Ich mußte ihnen das Büchlein lassen, nnd sie baten um noch mehr. Da ich weiter keine bei nur hatte, so suchten sie mich später im Bungalow auf, wo ich ihren Wunsch befriedigen tonnte. Wir sangen dauu unser Abeudlied und hielten unsern Abendgottesdienst im kleinen Bungalow, worauf wir uns bald zur Nuhe legten. Denn wir wollten am Morgen wieder früh aufbrechen, und Zwar gedachten wir unseru Wagen der schlechten Straße wegen hier zu lassen nnd zu Fuß und zu Pferd nach Nallalam weiter zu gehen. 16. October. Heute wollten wir eigentlich schon um 4 Uhr aufbrechen, und ich weckte meine Lente noch viel früher, denn ich hatte keine Uhr, und die Sterne tänschten mich. Ich ließ mir eine Tasse Thee machen, aber schon beim Anziehen merkte ich, daß die vorige Mitternacht mir ein ^eid gethan hatte. Meine Brust war so beklommen, daß ich nicht stehen konnte. So blieb nichts übrig als den Tag abzuwarten, und da der mich auch nicht besser fand, schickte ich meinen Leser voraus, nm mit den freundlich wie mit den feindlich gesinnten Heiden freundlich zu reden uud ihuen meine Anknnft für den »Nachmittag anzuzeigen, da ich hoffte, bis dahin so viel besser geworden zu sein. — 295 — Inzwischen kam ein Bote und sagte, daß dor Weg gnt genug für den Wagen sei uud daß mall eine Hütte für mich erbaut habe, Uni mich nicht sogleich wieder fort zu lassen. Wir machten uns also mit Sack und Pack auf uud zogen auf Nallalam zu. Es sollten wohl nur drei Meilen fein, aber es waren reichlich fünf, uud der Weg war durch Steine und Morast derart, das; ich doch bedauerte, den Wagen genommen zu haben. Nnu war aber nichts mehr daran zn ändern, nnd so kamen wir deuu mit Mühe uud N'oth au Ort und Stelle au und fanden schon einen Haufen Volks, auch Frauen und Kinder, bereit uns zu empfangen. Bald hatte ich aber das Loos aller Missionare, ich mußte viele Klagen anhören. Die Heiden hat-teu den Van der Hütte für mich zuerst mit Schuhschlägen (die größte Schande für Tamuleu) zn hindern gesucht, uud als die Hütte den-noch zn Stande gekommen war, hatten sie sie wieder eingerisseu und das Material umher gestreut. Uusere Veute hatten sich darauf klageud an den Tasildar gewandt, und der hatte Befehl gegeben, daß die Hütte wieder aufgebaut werden sollte, woran nun die Heiden selbst mithelfen mußten. Da der Anführer der Feinde der reiche Muusifdar (Ortsrichter) war, der auch meinen Lesern keine Aufnahme von Andcru erlauben, ja selbst uicht eimnal mit ihnen redeu wollte, so sagte ich: Nun bleibt ihr alle hier, ich will allein zu dem Manne gehen. Ich setzte mich also aufs Pferd uud bat Gott, mir auch hier »vie eiust in Ilaugambur Sieg zu verleihen. Bald hatte ich einen Hänfen Bolks beisammen, mit welchem ich über Heiden-thum uud Christenthum Zu redeu aufing. Es währte nicht lange, als ein kleiner graner Mann herbei kam, der vor Aufregung stark zitterte. <3r stellte sich, als ein Manu von Gewicht, oor das Volk gegen mich hin und sprach mit. Auf meine Frage, wer er sei, gab cr sich als den Muusifdar zu erkenncu. Er habe mich iu deu Ort reiten sehen und sei in Folge dessen vom Felde herbeigeeilt. Gut, sagte ich, uud redete weiter in angefangener Weise fort.. Da — 296 — wir über die Sünde sprachen und diese den Lenten im einzelnen nicht klar werden wollte, so fragte ich den Muusifdar, der nun zum Sprecher geworden war, wie viele wohl in seinem Dorfe keine Lüge redeten. Keine Lüge? erwiderte er, solche giebt's hier gar nicht. Hier sind lantcr Lügner. Ohne Ausnahme? fragte ich. Ohne Ausnahme, hier lügt ein jeder. Also auch Sie? Da fingen die Männer an zu lachen und er biß sich in die Lippen, sagte aber bald: Ich bül ein Beamter, wie könnte ich wohl auskommen, wenn ich nicht Lüge und Wahrheit zusammen mischen wollte? Ich kann also nicht sagen, daß ich nicht lüge. Ohne Lüge könnte ich also nicht bestehen. Und denken Sie damit auch vor Gott zu bestehen? Das freilich nicht. Und was wird dann aus Ihnen, wenn Sie vor Gott nicht bestehen? In dieser Weise ging ich auf des Maunes Gewissen ein und frug dann auch nach dem Druck, welchen er auf die Leute übt. Wenn diese Leute lernen wollten, sagte er, würden sie es wohl unterlassen, auch wenn ich es zu hindern suche? Sie fragen aber in Wahrheit nichts nach der Religion, sie suchen blos ihren Nutzen. Wenn jene also nichts darnach fragen, so thun Sie es wenigstens. Ja, das mag wohl später geschehen. Ich denke auch, daß Ihre nnd Ihresgleichen Zeit noch nicht gekommen ist. Aber sie wird gewiß kommen nnd Ihre Tempel werden verfallen. Auch der große Tempel in Tiruvanamalei wird zu Nui-nen werden. — 297 — Sie nennen ihn also einen großen Tempel? Ja, weil des Gesteins dort so viel ist; sonst ist zwischen jenem dort und diesem hier kein Unterschied. Da Ihre Zeit nun noch nicht gekommen ist, warum bedrücken Sie die Armen, deren Zeit gekommen zu sein scheint, warum werden dieselben sogar geschlagen, wenn Sie mir eine Hütte zum Aufenthalte bauen wolleu? Denken Sie, wenn ich das nachsuchen wollte, die Uebcrtreter würden frei ausgehen? Aber durch Ihre Gegenwart sollte hier Niemandem Leids geschehen, sagte er. Das ist auch mein Wille nicht. Ich wünsche, daß ihr alle euch darüber freuen uud einen Segen davon haben möchtet. Denn euch allen zu gut und nicht zu leid bin ich hergekommen. Ich werde also das Vergangene vergangen sein lassen, aber künftig darf derlei nicht mehr vorkommen. Nein, es soll nuu auch nicht mehr geschehen. So ist's gut. Aber merkt Euch das: Wer Böses säet, der wird Böses ernten. Das Böse, das ihr Andern thut, fällt doch zuletzt anf euren Kopf. So thut denn Gutes, damit ihr auch Gutes empfanget. Morgen sehe ich euch wieder. Damit ritt ich in meine Hütte zurück und freute mich, daß der Mann doch so weit zur Vernunft gekommen war. In der Hütte erzählte ich dann den Leutchen, daß sie sich nun uicht mehr so fürchten sollten. Darauf hatten wir nnsern Abcndgottesdicnst, wobei mir von einer Seite eine Laterne und von der andern ein flackerndes Licht gehalten wurde, und ich doch kaum sehen konnte. Da der 32. Psalm an der Reihe war, so nahm ich davon Gelegenheit zu zeigen, worin die Seligkeit besteht, uud frug sie dann, ob sie der Seligkeit begehrten? Ja wohl, riefen sie. So sucht sie also nicht in irdischem Gut, welcher Art es sei. Sucht sie zuerst in dcr Vcr-gebuug eurer Sünden, und die sucht am rechten Ort, bei Dem, dcr allein sie auch für euch erworben hat:c. Nach dem Gebet entließ — 298 — ich sie in ihre Hütten imd ging anch selbst znr Ruhe, denn ich war matt und müde. 17. October. Sonnabend. Früh mit dem Aufgang der Sonne versammelte ich wieder das ganze Dorf und hielt Morgengottesdienst mit ihnen. Ich ließ die acht Seligpreisungen vorlesen und redete lange Zeit mit ihnen besonders auch über die Seligkeit der Verfolgung um Christi willen. Die Männer redeten oft dazn, die Frauen waren entsetzlich schen. Nach dem Gebet ging dann ein jeder an seine Arbeit, sie auf's Feld, ich auf's Pferd. Ich sah mir mm die Gegend ordentlich an. Nallalam liegt in ciner erhöhten Ebene, so daß man nach allen Seiten eine weite Aussicht hat. Nur gegen Westen wird der Horizont dnrch hübsch geformte Berge, die sich lang hinziehen nnd oft in tiefes Blau eingehüllt sind, begrenzt. — Ick, ritt zn einem benachbarten Dorfe, wo die Männer anch dem Christenthnme geneigt sind, aber das andere Dorf, welches mir eine Hütte gebaut hatte, vorausgehen lassen wollten. Hier war aber schon alles zur Arbeit ausgezogen. Im nächsten Dorfe fand ich ein Haus voll Männer, die aber nicht, der Landessitte gemäß, aufstanden und mich begrüßten. Da ich jedoch weiter niemand sah, blieb ick stehen nnd fing mit ihnen ein (Gespräch an. Es war aber ein Schreier unter ihnen, der mich immer unter-brach nnd es zu nichts kommen ließ. Nach langem vergeblichen Abmühen sagte ich ihm endlich, da er kein Ohr zn hören habe, so solle cr seine Zuugenübimgen iu mciucr Abwesenheit treiben, denn mit einem Narren wollte ich meine Zeit nicht verbringen, obwohl es mir nm die andern Männer leid sei; nnd so ging ich weiter. ^ Anf den: Rückwege fand ich den Munsifoar vor seinem Hause, der aufsprang und mir entgegen kam. Ich bemerkte ihm, daß ich die Hütte nicht abgebrochen wünschte, da ich bald wieder zn kommen gedächte. Sie soll stehen bleiben, erwiderte er. Dann sagte ich zu ihm: Ich habe den Leuten mitgetheilt, was Sie gestern über sie äußer- — 299 — ten, daß es ihnen nämlich nicht um das Christenthum, soudern nur um ihren Nutzen zu thun sei. Sie erklärten das aber für eine Unwahrheit. So lassen Sie die Lente denn in Nuhe. Weuu wir sie lehren nicht zu stehlen, uicht Zu lila.cn, ihren Herreu gehorsam zu sein, treu zu arbeiten :c., so wi-rd das uicht nur Niemanden: Schaden, sondern Jedermann Nntzen bringen, auch Euch. Hindert sie also künftig nicht mehr. Wir wollen sie nicht hindern. Aber Ihr Diener hier achtet mein Auseheu uicht uud bringt auch andere dazu, es zu mißachten. Das soll er nicht thun, sagte ich, verwieß sogleich dem Betreffenden sein etwas freies Mundwerk und gebot ihm, die Obrigkeit des Ortes zn ehren, wie es recht sei. Da der Munsifdar bald nach Cuddalore zu kommen hatte, so lud ich ihu ein, mich zu besuchen, was er auch zu thun versprach. So schieden wir wenigstens in äußerem Frieden von einander. In der Hütte augekommen, las ich noch meinen Leuten eine Lection, wie Christen insonderheit demüthig zn sein hätten, anch hoch-müthigeu und Unrecht thnenden Heiden gegenüber. Denn der HErr hat den Scmftmüthigeu das Erdreich verheißen, nicht den Zänkischen und Klagfcrtigen. Und durch Sanftmuth, durch Leiden und Bluten haben die Ehristen endlich den Sieg davon getragen. Daranf ging ich in's Dorf der Männer, die sich für das Christenthum erklärt hatten. Am Ende des Dorfes fand ich drei Steine aufgestellt uud mit Oel beschmiert, doch nicht frisch. Auf meine Be» merkung, daß sie die nun fort thun müßten, lief einer alsbald hin und warf sie um. Ich hieß die, Steiuc in einen Morast werfen, um darauf treten und so trocknen Fnßes hinübergehen zu können, damit sie doch zu etwas nütze seien. Sie thaten es auf der Stelle. Bald darauf kam der Mamataren (ttandaufseher) des Orts, der verreist geweseu war. Er scheint ein gutmüthiger, aber schwacher Maun zu sein, der durch den Verlust seines Vaters in seiner Kindheit — 300 ^ und durch Ränke neuer Eindringlinge (des bösen Mnnsifdars) um den größten Theil seines Vermögens gekommen ist. Durch diese neuen Eindringlinge ist auch der ärmeren Klasse erst so viel Noth erwachsen, denn des Maniakaren Vater hielt seine Arbeiter alle wie seine Kinder, weshalb er bei ihnen auch noch in sehr gutem Andenken steht. Nun folgte eine Episode, wie sie sich immer wieder im Leben der Missionare wiederholt, die nenc Bahnen brechen uud in neuen Orten das Evangelium pflanzen. Des feindlichen Munsifdars Nede nämlich: „die Leute fragen nichts nach dem Christenthum, sie suchen nur ihren Vortheil" hatte doch auch etwas wahres. Das Christenthum hat schon längst nicht mehr solche äußere Gestalt uud Schöne, daß es die Heiden durch sich selbst anziehen sollte. Zur Zeit, als man mit Fingern auf die Christeu weisen uud sagen konnte: Sehet, wie sie sich lieben?, da hatte das Christenthum für sich allein Anziehungskraft genug. Jetzt aber, da die Heiden, wenn sie mit Fingern weisen wollen, nur rufen könnten: Sehet, wie sie sich streiten!, ist diese Schöne für das äußere Auge dahin. Uud mit äußeren Augen nur können doch die Heiden das Christenthum ansehen. Wenn sie nun sehen in nächster Nähe: Nömer uud Lutheraner, Episcopate und Presbyteriancr, Methodisten und Babtisten, Calvimsten und Congrcgationalisten, wie jedes seine Fahne aufsteckt und oftmals leider nur zu gern auch iu des Nachbars Teiche fischt, müsseu sie da nicht denken, diese Christenthümer werden feilgeboten wie die Waaren des Kaufmauns, wo ein jeder die seinige preist und die des andern herabsetzt? Denn ein inneres Auge und Verständniß kann man doch bei den Heiden noch nicht erwarten. So haben die äußeren Verhältnisse in der Negcl viel dabei mitzuthun, weuu Heiden zum Christenthum tommeu. Und wenn auch die armcu Leute uichts weiter suchen, so suchen sie doch gewöhnlich mit dem Christenthum auch einigen äußeren Schutz, da sie ja den früheren Schutz daran geben müssen und nur Feindschaft dafür eruten. So wollten denn auch diese — 301 — Leute in Nallalam etwas Schutz haben, nicht eben viel, aver doch so viel, daß sie mit ihrer Bitte um das wüste Stück Land, das die Regierung nur zu gern wcggiebt, nicht durch Lug und Trug abgewiesen werden möchteu. Denn die Beamten des Dorfes müssen erst erklären, ob dieser Bitte nichts im Wege steht, ob nicht schon ein anderer das Land begehrt :c. Auf diese Weise aber bekommen es die Leutchen nie und werden darum verzagt, so daß sie zu Tausenden auswandern. — Ich hatte ihnen mm gleich von Anfang an gesagt, daß das zwei ganz verschiedene Dinge seien: wenn sie Land wollten, so müß .ten sie es auf audcrem Wege suchen; wenn sie aber sich bekehren und Christen werden wollten, so seien sie an der rechten Stelle. Nur dürften sie nicht eins sagen und ein anderes denken. Sie erklärten aber wiederholt, daß sie zwar das Land auch gcru hätten, daß sie aber alle Christen werden wollten, sie erlangten das Land oder nicht. Sie hatten dann auch ohne mein Zuthun ihre Bittschrift eingereicht und darauf deu Befehl an die Ortsbehörde erhalten, das Land abzumessen uud den nöthigen Bericht darüber einzusenden. Aber sie fürchteten sich, diesen Befehl abzugeben, weil dann der Betrug los-gehen würde. Da nuu der Mamakaren, das heißt der betreffende Beamte gerade hier war, so ließ ich auch deu anderen Beamten, den Kanaken (Rcchnnngsführer) herzuholen und ermähnte sie, ehrlich und ordentlich bei der Sache zu Werke zu gehen. Sie versprachen das auch, riefen sich ihre Lcnte und gingen das Land zu vermessen. Nachdem das geschehen, kamen sie wieder in meine Hütte, sagten mir, daß es etwas über 25 Morgen seien, nnd wollten nun ins Dorf gehen, ihren Bericht zu schreiben. Dem widersetzte ich mich aber, weil der Munsifdar dann alles verdorben haben würde, und er amtlich doch nichts damit zu thun hatte. So ward denn der Bericht in meiner Hütte geschrieben. Dennoch setzte der Kanakcn einen Satz hinein, den er selbst nicht für wahr erklären wollte, weshalb ich darauf bestand, — 302 — daß er die Wahrheit unten noch hinzufüge. Ich ermähnte ihn darauf noch, wenn er sein Amt behalten wolle, stets der Wahrheit gemäß zu handeln und zu berichten, weil die Lüge doch nicht bestehen, cr dadurch aber fein Amt verlieren könnte. Dann nahm ich meinen Stock und ging etwas auf's Feld hinaus, weil die kleine Hütte der Luft doch gar zu wenig hatte. Nun erhob sich aber ein großer Zank. Der Mnnsifdar bedrohte den Kanaken und schalt ihn aus, daß cr den Bericht in meiner Hütte geschrieben hätte, und diefer vertheidigte sich: „Er nahm den Stock nnd drohte mir, was konnte ich thun!" So ließ der Muufifdar seinen Wagen anspannen und wollte wer weiß wohin fahren, mich zu verklagen. Da er mich aber hier bleiben sah, so blieb er auch, und wir konnten ungestört uusern gewöhnlichen Abendgottesdienst halten, in dem ich den 34. Psalm erklärte. Darauf ging ich bald zur Ruhe. 18. October. Tag des HErrn. Schon um 4 Uhr begann der Lärm im Dorfe, da der böse Feind die Leute zur Arbeit rief. Aber alles Schreien und Schelten und eine ganze Anzahl Männer, die er sich zur Hülfe mitbrachte, half ihm diesmal nichts. Ohne daß ich davon wußte, erklärten ihm die Leute: Wir sind Christen und arbeiten nun des Sonntags nicht mehr. Morgen früh wollen wir kommen. Gegen acht Uhr kamen denn alle zum Gottesdienst in die Hütte, so viel hinein ionuten, die übrigen blieben draußen. Sie setzten sich gleich ordentlich, die Männer auf die eine Seite, die Frauen auf die andere, wie es einige von ihnen in Cuddalore gesehen hatten. Bei den Frauen hielt's freilich nicht ganz leicht, sie dazu zu bringen. Denn hier zu Lande ist es Sitte, daß eine Frau in Gegenwart ihres Schwiegervaters oder des älteren Bruders ihres Mannes nicht sitzen darf. Sie scheuten sich daher hereinzukommen und antworteten, nach dem Grunde gefragt, ganz verschämt: Wie kann ich mich denn hinsetzen, ist doch mein Schwiegervater da! Oder siehst du uicht meines Mannes Anuan (älteren Bruder), wie kann — Z0Z — ich mich denn setzen? In diesen Dingen verdirbt es cin ')l'enling gar oft mit den Renten, da er ihre Sitte nnd die eigentlichen Gründe ihres Handelns nicht kennt. Indien aber ist ein Land, das man nicht so bald ausgelernt hat. Nach einiger Mühe fetzten sich indeß die meisten von ihnen doch, nnd nnr einige blieben dranßen stehen. So hielten wir denn unsern Gottesdienst, den die Feinde durch lautes Schreien nahe bei der Hütte zu stören drohten. Da sie aber keinen von uns herauslocken tonnten, so wurden sie des Spieles müde und gingen davon. Ich zeigte aus dem Evangelium des Tages, daß wie eiust die Krankheit den Gichtbrüchigen zum HErrn getrieben habe, so treibe sie jetzt die gegenwärtige Trübsal zn ihm. Sie sollten deshalb nicht darüber unmuthig werden, noch die Feinde hassen, son» dern vielmehr dem HErrn danken, daß Er sie dnrch diese Trübsal zu sich ziehen wolle, um sie vou dein größten aller Uebel, von der Sünde zu erlösen. Nun war ein mehr als hundertjähriger Greis unter ihnen, der schon gestern sein Verlangen nach der Taufe ausgesprochen hatte. Da ich ihn nicht wieder zn sehen hoffen konnte, so versprach ich seineu Wunsch zu erfüllen und bereitete ihn darauf vor. Als das ein an derer Greis von etwa nennzig Jahren hörte, bat er sehr, doch anch dabei sein zn dürfen, da er ja nur zehn Jahre jünger sei als jener. So nahm ich den auch dazu. Auch uoch ein dritter fand sich ein, den ich aber für jetzt noch zurückstellte, da er noch ziemlich kräftig aussah nnd wohl noch etwas mehr zu lernen im Staude war. Die beiden Greise, vou welchen der alte im rechten Winkel gebückt, in der einen Hand einen Stab, die andere auf den Kuieen ruhend, nnr sehr langsam und zitternd einen Fnß vor den andern setzen konnte, hockten also vor dem Tische, den ich von Cuddalore mitgebracht hatte, und auf welchem mein messingnes Waschbecken als Taufbecken bereit stand. Ich erklärte nun allen die Wichtigkeit und den Segen dcs heil. Sacraments und betete fiir die Täuflinge. Nachdem diese dem Teufel — 304 — kräftig entsagt und dcn Maubon an den dreieinigen Gott bekannt hatten, taufte ich sie, dm Alten Pakiam (Seligkeit), dcn andern Aru^ läppen (Johannes), worauf wir mit Gebet und Segen schlössen. Nach dem Gottesdienst ließ ich den Leuten noch längere Zeit die Hauptstücke des Katechismus vorsagen, bis sie hungrig wurden und in ihre Hütten gingen. Dann hatte ich wieder Besuch vom Mamakaren, der wie ein gescheuchtes Reh bei uns Zuflucht suchte und mich dringend bat, doch noch einige Tage dort zu bleiben. Ich durfte aber hier den Aus. brnch des Monsuns, der stündlich drohte, nicht abwarten, weil ich sonst für lange nicht fortgekonnt hätte. So hinterließ ich ihm wenigstens ein gedrucktes Evangelium mit der Ermahnung, sich damit bekannt zu machen und sciu Hcidenthum zu verlassen, in welchem er doch nur Trostlosigkeit nach allen Seiten finde. Er sprach sich gut aus und ich bat Gott, daß auch ihn die Trübsal zum Tröster aller Mühseligen treiben möchte. Nach manchen weiteren Gesprächen mit einzelnen Männern bekam ich meinen Reis und Kari, worauf wir uns zum Aufbruch rüsteten. Da aber der böse Feind gedroht hatte: Laßt nur den Weißen erst fort sein, so will ich schou mit euch reden!, so wollte ich die Leutchen nicht gar ohne Schntz lassen. Ich trug also einem meiner Leute auf, hier zu bleiben und wenn der böse Mensch komme, sich mit Papier und Bleistift in das Dorf zu stellen, ohne ein Wort zu reden. Wenn er dann gefragt würde, was er da wolle, so solle er ganz ruhig antworten: Sie haben meinem Herrn versprochen, diesen Leuten ferner keine Noth zu bereiten. Nun hat mich mein Herr beauftragt, hier zu bleiben und zu seheu, ob Sie auch Wort halten, sonst aber Ihr Reden und Thun sogleich aufzuschreiben und ihm zu überbringen. Auf diese Weise hoffte ich dcn Bösewicht von allzu Bösem abznhalten. Wir brachen dann auf und ich ritt, obgleich es leise regnete, erst noch auf zwei am Wege liegende Dörfer und ^ Z05 — redete »nit den Lenten, die alle ciufiuertsain und bescheiden zuhörten. In dem eiuen fand ich einige römische Familien, die auch ein Bel' haus hatten, das aber leer stand. Wozu untzt es ench denn? fragte ich. Nuu, ivir gehen halt selber hin und beten, wenn wir Lust haben. Ein Priester hatte sie mit wenig über 1,00 Nup. von ihrem Bchnldherrn losgekauft nnd zn Christen gemacht. Er hatte anch die Bethütte hingebaut nnd wollte sich hier weiter ausbreiten. Er kam aber fort, und so blieb seine Arbeit liegen. Die Leutchen hatteu unn Luft, sich an uus anzuschließen, wenn wir eine Gemeinde in der Nähe gründeten. Die Römer sind also in diesem Punkte nicht so bedenklich, als viele Protestanten. Zie fürchten sich nicht so sehr vor dem Gespenst, die Heiden möchteu des äußeren, Vortheils wegeu zum Christenthum tommeu. Anck die alte Kirche, die uoch uicht römisch war, aber schou lutherisch, die Kirche unter dem Drucke der heidnischen Baiser hielt es für sehr rühmlich, Sklaveu freizulaufen uud sie zu Ehristeu zu nlacheu. Sollte das unerlaubt sein? Eigentlich kommt doch ein jeder Meusch des Vortheils wegen zn Ehrifto. Niemand bringt ihm etwas, es sei denn seine Zünde. Ein jeder will etwas vou ihm haben, nnd zwar etwas Großes, Unaussprechliches, Ewiges. Der Gichtbrüchige aber uud alle die Blinden uud lahmen nnd Aussätzigen kamen anch um äußeren Nutzens willen zu ihm. Uud stieß er sie deshalb vou sich? Nicht einen. Er gab ihnen mehr, als alle Missionare und Missionen zusammengenommen einem Meuschen geben können. Er gab ihnen Gesundheit des Leibes oder der Glieder, und dazu seinen Gnadeublick uud seiu süßes Trostwort, das ihre Herzen band, wie nur Seiu Wort sie bindeu konnte. Wir dagegen rrcmen den Leuten so weuig uud verlangen oft die Früchte, ehe wir auch nnr den Baum gepflanzt haben. Wir siud so geneigt, den Heiden Lasteu aufzulegen, die wir selbst vielleicht mit keinem Finger anrühren würde». 5?, wie vicl barmherziger ist doch die Barmhcr- — 306 — Zigteit Gottes, als die dcr Menschen! Gegen die neuen Christen in Nallalam wandte sich nicht nur die Feindschaft ihres Brotherrn, sondern als ein Neugetaufter fröhlich nach Hause kam, stieß ihn sein eigens Weib von sich nnd flohen ihn seine Kinder. Das zum Will kommen, neben dem Finch und der Drohung seines Brotherrn! Wahrlich ja, auch die Armen in Indien haben um Christi willen Schmach zn leiden uud an ihrem Kreuze schwerer zu trageu, als die seidene Christenheit der Hcimath sich's denken mag. — Doch jenes Mannes Sanftmuth nnd Gednld überwand den Widerstand seiner Frau, uud sie wurde später auch willens, Christin zu werden mit ihreu Kindern. Unter solchen Gedanken ritt ich einsam weiter dem Wagen weit voraus, deuu der Weg war äußerst schlecht, so daß sechs Mäuuer von Nallalam mitgehen mußten, nm dem Wagen über die schlechtesten Stellen hinüber zu helfen. Endlich merkte ich, daß ich meine Begleiter völlig verloren hatte, uud da ich iu der Gegend ganz fremd war, so ritt ich auf einen Hügel, um mich nach ihnen umzusehen. Dort stieg ich ab und wartete. — Cm Mann fand sich herzu, der mich vou feru beobachtet hatte. Ich giug auf ihu zu uud er fragte, uou wo ich käme, da er mich vor einigen Tagen habe vorbei reiten sehen. Ich sagte es ihm nnd fragte ihn dagegen nach dem Tempel auf dem gegenüberliegenden Hügel. Der Gott ist fort, ant wortete er. Die Unterstützung der Regierung hat aufgehört, uud das Maniam (zinsfreies Land), das früher dazu gehörte, ist auch weg, so mögen die Priester nun anch keinen Dienst mehr thun. Also iuimiHmi1I(/l M8«iunl,iII«i? frug ich. Gerade so, erwiderte er, mkniainiii« .p,l8oiuunN6i, d. h. etwa: ohne Lohn anch keinen Gottesdienst. Komm, laß uns hinaufgehen, sagte ich, uud wir gingen beide den einen Hügel hinunter nnd stiegen den andern hinan, wäh' rend ich vom wahren Gottesdienst mit ihm redete. Der Mann wav sehr verständig. Ja wohl, sagte er, die ^cute säeu Spreu und wollen Neis ernten. Dornen säen sie, eutgegncte ich, imd denken Neis zu eru-ten, denn sic thlin Buses und erwarten doch Gutes dafür, sündigen ilud erwarten noch Lohn dafür! So kameit wir oben auf dem Hügel an. Verschiedene Götzenbilder von Granit lagen und standen noch dort muher, aber die beiden Hanptgötzen waren nach einem andern Tempel gebracht worden, deicht hatte ich hier eine solche granitene Heiligkeit erobern können, wären sie nicht alle viel zu schwer gewesen, um sie zu hebeu oder meinen Wagen damit zn belasten. Noch ein anderer Mann fand sich herzn nud wir hatteu ein recht freundliches und gutes Gespräch mit einander, in welchem ich sie von den todten Götzen zu dem lebendigen Gott, und vou dem >7eleu der Steine zum Anbeten im Geist und iu der Wahrheit zu führen fuchte. In diesen luftleeren Temftelräumen aber hatte mein wachsen des Kopfleiden so zngeuommeu, daß ich fast uicht wieder aufs Pferd konnte. Nlan lud mich daher ein, iu den Wagen zn steigen, aber ich wollte Wageu und Leute schonen und so ritt ich noch bis auf die Straße hinaus, wo sich unsre Gesellschaft in drei Theile theilte und nach drei Richtungen hin auseinander ging. Die Männer vou Nalla-lam sandte ich mit den nöthigen l5rmahicnngen zurück nach dein Westen, zwei Leser mit verschiedenen Aufträgen nach dem Süden, während ich selbst mit den übrigen Renten gen Osteu zog. Vou uun an hatte ich aber an meinem Kopf so viel zu leiden, dasi ich den Nest des Nachmittags und die ganze Nacht sehr elend im Wagen zn bringen mnßte. Müde und matt erreichte ick in der ^rühe Pon-dichery, von wo wir dann Abends nach Hause tameu. üO* 7. Aus dem Paläste der GnchlMMln. Im Palaste zu Delhi sitzt dor Kaiser. Der Saal ist oval, sechzig Fuß lang, ganz aus weißen: Marmor. Die Decke, von feiner Arbeit in Gold, richt auf Marmorsäulen. Die eine Seite des ofsneu Saales sieht nach dem Schloßhof; die andere gewährt eine schöne Aussicht anf den breiten Icmmna-Flnß; die dritte führt zn den Schloßgärten; der Nuckelt lehut sich an die Zenana — die Zimmer der Frauen. In der Mitte des Saales steht der Pfauenthrou. Er ist nicht groß. Sechs Fuß Lange und vier Fuß Breite machen seinen ganzen Umfang ans. Aber er ist aus massivem Golde, voll köstlicher Steine. Zwölf goldene Sänleu tragen den goldenen Baldachin, umhängen mit langen Schnüren von Perlen und Diamanten. Vierzig Millionen Thaler ist der Preis dieses Thrones. Der ihn erbante nnd darauf sitzt, das ist Shah Iehan, der glänzendste aller Großmoguln. Vor ihm stehen gebückt die Großen seines Reiches. Die Thiere der Erde werden vor ihm vorübergeführt: allerlei wilde Thiere und Gevögel. Die Elephanten beugen ein Knie vor ihm, heben den Rüssel hoch in die Luft und begrüßen mit einem gewissen Ton ihren Gebieter. Mit den Elephanten beugt sich der sechste Theil aller Erdeubewohner vor ihm nnd ist ihm untcrthau. Der Kaiser fühlt sein Glück. Er spricht — uud laßt -- 309 - cs ill Marmor eingrabeil —: „Wenn's ein Paradies auf lLrden giebt, so ist es hier, so ist es hier!" Armer Shah Iehan! Wie hast du dich getäuscht. Wie dald verging dies Paradies! Als du sieben Iahrc laug, bis zu deinem Tode, ein Gefangener deines eigenen Sohnes warst, hattest dn ^eit, die Nichtigkeit eines irdischen Paradieses, mit der Sündenschlange in der Mitte, zn erwägen. Möchte die Wahrheit des dir nicht nnbc-kannten Christenthums dir gewährt haben, was die Äge des Halb mondcs uimmer kann: den Trost ans dem Paradiese Gottes nicht der Menschen! — Achtzig Jahre sind vergangen. Wir sind wieder im Paläste zn Delhi. Wie ist die S«ne verändert! Neben Mohamed Shah, dem Groß'Mogul, sitzt Nadir Shah ans Persien, sein Besieger. Delhis Straßen fließen mit Blut, denn Z0,00() Seelen werden dem Zorne Nadir Shah's geopfert. Der Großmognl wird zum Bittenden; — er bittet nm das ^eben seiner Unterthanen. Das Blut hört auf zn fließen, aber dcr köstliche Pfaucnthrou, und alle Schätze des Palastes, nnd alles Vermögen von Delhi, nnd viele Große des Bandes ziehen als Bente mit nach Persien. Armer Nachfolger Shah Je ha n's! Wo ift dock dein Pa radies? — — Ueber huudert Jahre sind vergangen. Wir sind noch einmal im Palaste zn Delhi. Im Saale sitzt ein Wjähriger Greis, Bahadnr Shah, dcr letzte Großmognl. Er sitzt, — nicht auf dem Pfauentyron seines großen Vorfahren, nicht anf irgend einem Thron — er sitzt auf einer gewöhnlichen Bettstatt, oder kanert darauf. Hinter ihm stehen die Rothjact'en mit grimmigem Gesicht: seine Wächter. Vor ihm — stehen nickit mehr die Großen seines Reiches - sitzen englische Officicre: seine Nichter. Auf Verrath nnd Mord lautet die Anklage. Verrath seiner Wohlthäter, die ihn nnd sein Hans aus den Händen dcr Mahratten erretteten nnd siäi — 310 — seine „Sklaven" namtteu. Mord dcr unschuldigen Frauen und Kiw der englischer Officicre, die bei ihm Zuflucht suchten uud den Tod,, den gransauien, fanden. Tage uud Wocheu laug sitzt der Mogul und sitzen seine Richter. Endlich sind alle Acten durchgesehen, alle Zeugen verhört, jedes Zengniß ist erwogen und: Schuldig! lautet der Rich-tcrsftrnch. Des Todes schuldig. Aber nicht aus der Welt, aus Indien, uur, aus dem ^ande, seiner Väter, wird der Greis hinausgeschafft^ cin armer, verachteter, vergessener Verbannter. letzter Erbe Shah Ichan's, wo ist doch dein Paradies? „Alle Könige der Heiden mit einauder rnhcn doch mit Ehren ein jeglicher in seinem Hause. Du aber bist verworfen von deinem Grabe, wie cin verachteter Hwcig; — wie ein ^leid der Erschlagenen^ so mit dem Schwert erstochen siud, die hinnnterfahrcn zu den Steinhaufen der Hölle, wie eine zertrctcuc Leiche. Du wirst nicht wie dieselben begraben werden. — Richtet zu, daß mau seine ^iuder schlachte, nm ihrer Väter Missethat nullen, daß sie nicht aufkommen noch das-^and erben, noch den Erdboden voll Städte machen." — Der Du das Verlorne Paradies suchest, auf Erden ist es-nicht, auf Erden ist es nicht! 8. Vom Todtcufcldc. Dor Palast der Großmognln ist leer; die ihn bewohnten, liegen liin uns her. Hier ein mächtiges Denkmal nnd da ems, wie nnr Großmoguln sie bauten. Wir sehen nnd stannen. Ader dort, ill der Mitte mächtiger Grabesdcnkmale, liegt ein einfaches, schlichtes Grab — wie eines Taglohncrs. Rasen ist seine Decke, dürres Gras, welk nnd trocken. Ein einfacher Marmorstein steht zn seinen Hänp-ten, mit tnrzer Inschrift. Diese Ausnahme ist so groß, so auffällig; wir fühlen nns hingezogen, um zu sehen, wer so einfach unter den Großen ruht. Es ist das Grab Iehanara's, des großen Shah Iehan's Tochter. Sie theilte freiwillig die siebenjährige Gefangenschaft ihres Vaters nnd starb bald nach feinem Tode. Die Inschrift ist von ihr selbst. Lies sie, Christ, und schaue! „lasset kein reiches Denkmal mein Grab bedecken. Dieses Gras ist die beste Decke des Grabes der geistlich armen, der demüthigen, der vergänglichen Ie-hanara, Inngerin des heiligen Mannes Christi, Tochter Shah Iehan's!" Hat die Sonne der Gerechtigkeit in dein Gefängniß, in dein Herz hinein geschienen, o Kaiserstochter!? oder woher hast du diese Sprache? Wie klingt sie so anders als die Sprache jener Christel! Dame, die, als sie in dem Taj Mahal stand, dem Grabe deiner Mntter, dem größten Mansolenm, das die Erde tragt, von dieser - 312 Eroenhcrrlichleit überwältigt, ausrief: „Was ich denke, kann ich nicht sagen, aber ich fühle, daß ich morgen sterben möchte, wenn ein solches Denkmal mein Gebein bedeckte!" Du wärest weiser „demüthige Iüngerin des heiligen Mannes Christi!" Friede sei mit deiner Asche; deine Seele sei bei dem HErrn! 9. Vom Grabe eines Weisen. Wir sind zn Futtehpoor Seekree. Es glänzt uns von fern entgegen das weiße Mausoleum des Weisen Tan Salicm. Wir eilen den Hügel hinan, denn werth ist's das Grabdenkmal zn sehen, das an drei Millionen Thaler gekostet hat, und werth ist's der Mann, daß wir seinen Staub besnchen. Er war ein Einsiedler im Rufe großer Heiligkeit. Kaiser Akbar Wallfahrtete mit seiner Kaiserin zu Fuß zn ihm, um durch ihn von Gott einen Erben zu erbitten. Der Erbe kam, in Person Ichangir's, des Vaters von Shah Iehan, und der Einsiedler war groß, sehr groß nnd reich. Von seinem Nachlaß ward dieß Denkmal gebant, nnd er selbst setzte sich die Inschrift. Ist auch die Einleitung avogryvhisch, die Worte sind golden; merle sie wohl! Sie heißt: „Iesns — Friede sei mit ihm! — hat gesagt: Diese Welt ist nur eine Brücke; ihr sollt darüber hingehen nnd nicht ench Hänser daranf banen!" Kann der Halbmond so von der Erde hinwegleuchtcn, Sounc der Gerechtigkeit, leuchte uns hin zu dir! — Druck vmi E. Püschel ck Co. in Leipzig.